Scenographic Fashion Design - Zur Inszenierung von Mode und Marken 9783839434130

In recent years, the staging of fashion and brands has become a flourishing field for the discipline of scenography. The

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German Pages 272 Year 2016

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Der Herausgeber. »Was ›in‹ ist, ist ›out‹« Die Zeit der Mode
1. Einleitung. Scenographic Branding und Fashion Design
2. Mode und Marken, inszeniert in der szenographierten Modenschau. Scenographic Fashion Shows
3. Mode und Marken, inszeniert im kommerziellen Kurzfilm. Scenographic Fashion Films
4. Mode und Marken, inszeniert im populären Musikvideoclip. Scenographic Fashion Music Videos
5. Mode und Marken, inszeniert im Warenschaufenster. Scenographic Window Design
6. Mode und Marken, inszeniert im Realraum. Scenographic Fashion Showrooms and Exhibitions
Bibliographie
Abbildungsverzeichnis
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Scenographic Fashion Design - Zur Inszenierung von Mode und Marken
 9783839434130

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Pamela C. Scorzin Scenographic Fashion Design – Zur Inszenierung von Mode und Marken

Szenografie & Szenologie

Band 13

EDITORIAL

Die Reihe Szenografie & Szenologie versammelt Aufsätze und Monografien zur praktischen und theoretischen Szenografie, zur Inszenierung und Inszenierungskritik. Im Kontext neuer Medien und Medientechniken, seltsamer Objekte, ungewohnter Erzählweisen und innovativer Auftrittsformen analysieren die Beiträge beispielhaft wie verallgemeinernd, historisch wie systematisch die Auseinandersetzung um eine Kultur des szenischen Ereignens und Gestaltens in Alltag und Kunst, Politik und Gesellschaft. Die Reihe fördert den transdisziplinären Austausch der beteiligten Wissenschaften. Sie wird herausgegeben von Ralf Bohn und Heiner Wilharm. Sie lehren an der Design-Fakultät der FH Dortmund. Im wissenschaftlichen Beirat vertreten sind Martina Dobbe, Kunstakademie Düsseldorf, Petra Maria Meyer, KH Muthesius Kiel, sowie Hajo Schmidt, Emeritus der Fern-Universität in Hagen.

Pamela C. Scorzin, geb. 1965 in Vicenza (Italien), studierte Europäische Kunstgeschichte, Philosophie, Geschichte und Anglistik/Amerikanistik in Stuttgart und Heidelberg; 1992 Magistra Artium und 1994 Promotion zum Dr. phil. an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Nach Assistenz 2001 Habilitation am Fachbereich Architektur der Technischen Universität Darmstadt. Anschließend diverse Dozenturen und Professurvertretungen an den Universitäten Siegen und Frankfurt am Main sowie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Zugleich freie Arbeit als Kunst-, Design- und Medientheoretikerin. Mitglied der AICA seit 2006. Außerdem seit 2008 Professorin für Kunstwissenschaft und Visuelle Kultur am Fachbereich Design der FH Dortmund. Internationale Veröffentlichungen (dt., engl., frz. und poln.) zur Kunst- und Kulturgeschichte des 17. bis 21. Jahrhunderts. Lebt und arbeitet in Dortmund, Los Angeles und Mailand.

Pamela C. Scorzin SCENOGRAPHIC FASHION DESIGN Zur Inszenierung von Mode und Marken

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elek­ tronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Kostas Murkudis in Zusammenarbeit mit Carsten Nicolai, Filmstill: Mixed-Media-Modenschau im MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, 2010 Foto: © MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main/Renato Ribeiro Alves; Courtesy: Kostas Murkudis, Berlin Korrektorat: Dr. Wolfgang Delseit/Dr. Ralf Drost/Rolf Hahn Satz: Tiesled Satz & Service, Köln Print-ISBN 978-3-8376-3413-6 PDF-ISBN 978-3-8394-3413-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

INHALTSVERZEICHNIS



7 VORWORT DER HERAUSGEBER »Was ›in‹ ist, ist ›out‹« Die Zeit der Mode



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55 2. Mode und Marken, inszeniert in der szenographierten Modenschau Scenographic Fashion Shows

1. Einleitung Scenographic Branding und Fashion Design



131 3. Mode und Marken, inszeniert im kommerziellen Kurzfilm Scenographic Fashion Films



159 4. Mode und Marken, inszeniert im populären Musikvideoclip Scenographic Fashion Music Videos



187 5. Mode und Marken, inszeniert im Warenschaufenster Scenographic Window Design



215 6. Mode und Marken, inszeniert im Realraum Scenographic Fashion Showrooms and Exhibitions



249 BIBLIOGRAPHIE



263 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

VORWORT DER HERAUSGEBER »Was ›in‹ ist, ist ›out‹« Die Zeit der Mode Zur Einführung Inszenierung und Mode gehören wie selbstverständlich zusammen. ›Mode‹ bedeutet Inszenierung. Dass Inszenierung auch ›Mode‹ bedeutet, ist weniger evident, indes ebenso zutreffend, wie sich zeigt. Nicht weniger demonstriert die Mode die Teilung in Inszenierung qua Auftritt und Szenografie qua Entwurf für solchen Auftritt beispielhaft. Dies gilt für alles, was ›Mode‹ ist, keineswegs allein fürs Fashion Design, das Thema des 13. Bandes der Reihe Szenografie & Szenologie ist. Wer modische Kleidung und Accessoires trägt, wer sich modebewusst zeigt, tut es, um seine Person in dieser besonderen Weise vorteilhaft in Szene zu setzen. Dazu bedarf es des Materials und seiner zweckgerechten Verarbeitung. Vor allem aber der inszenierungsrechten Gestaltung, passend für jede und jeden, und insbesondere für jeden Anlass und jede Gelegenheit. Erst die Berücksichtigung dieser Gelegenheits- und Erlebnisorientierung, die Konzentration auf die vielfältig denkbaren Ereignisse, denen ein modischer Auftritt gerecht werden soll, der ›Ausstellung‹ verpflichtet wie der ›Aufführung‹, macht Fashion Design zum Scenographic Design. Modemacher sind heutzutage szenografisch tätige Designerinnen und Designer. Die Couturiers belassen es nicht dabei, nur Kleidungsstücke zu entwerfen. Viel eher planen sie, wer sich, angetan mit ihren Kreationen, wie bei welchen Gelegenheiten vorteilhafterweise fühlen, seine ›Aura‹ auf seine Umgebung wirken lassen kann, und welche Anerkennung er von den anderen vielleicht erlangen könnte. Allein dies, die Orientierung aufs »Performative« als allgemeine gesellschaftliche Handlungsdisposition, erklärt den geradezu beispielhaften Inszenierungsaufwand, nicht um dieser potenziellen Ereignisse willen, sondern zuallererst, die folgenden Effekte allerdings massiv verstärkend, der Szenografie selbst. Der Mode-Designer, wie er mit den Präsentationen der Expanded Media Shows der 1990er-Jahre in Paris, Mailand, London und New York ins Rampenlicht von Society und Börsen trat, überhöht in Dramaturgie und Choreografie solcher ›Entwurfsinszenierung‹ – sozusagen einer Inszenierung der Inszenierung – die ›Szenen des Gebrauchs‹ in fantastischer Weise. Die gestalterische Leistung der Modemacher lässt die kunstgerechte Fabrikation und Darbietung von Kleidung und Accessoires im Hintergrund der Erlebnisfeuerwerke verblassen. Das erweiterte szenografische Modeverständnis macht den (Kunst-)Handwerker zum Performance-Künstler – was wiederum performanceund installationsorientierte Künstlerinnen und Künstler fürs Modemachen einnimmt. Das Entwerfen und Schneidern von Kleidung und all dem, was rund ums

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Aussehen und gesellschaftliche Auftreten dazugehört, versucht sich am Gesamtkunstwerk. Seine Selbstinszenierung (die nicht mit den in Aussicht gestellten schönen Möglichkeiten der Selbstinszenierung der Endverbraucher verwechselt werden sollte) vereinigt die verschiedensten Medien zu orchestralem Klang und szenischem Bild: Theater und Revue, Fotografie und Film, Architektur und Raumgestaltung, Musik und Sound, analoge und digitale Kunst aller Art. Wer solche Performance erlebt und sich von ihr in Stimmung gebracht sieht, begrüßt die Botschaft: »Du kannst Dich fühlen, kannst aussehen, kannst dich bewegen, mit anderen umgehen, wie Du es hier erlebst, ›hier und jetzt‹, immer!« Eine ungewohnte, nicht mehr an die ›Urszene‹ gebundene Interpretation des »what you see, is what you get«. Es ist die Verheißung der ewigen Jugend zusammen mit der Erfüllung aller Wünsche: »Alles, jetzt, nur für Dich!« Die mit der Aufführung einhergehende Modulation der PublikumsAffekte – der Bandbreite möglicher Stimmungslagen der mutmaßlichen Konsumenten – läuft nicht allein darauf hinaus, die Adressaten zu stets aufmerksamer Beachtung und ästhetischer Aufbereitung der eigenen Person zu animieren. Die Inszenierung solcher Gestaltungsarbeit am Selbst fordert vor allem dazu auf, sich konstitutiv der Gegenwart und Gegenwärtigkeit zu verschreiben, einer Dauerpräsentation als Präsentifikation aller denkbaren Dauer. Hierin liegt der Mehrwert der historischen Überschreitung von Ding- und bloßer Kommunikationsbezogenheit des Designs hin zur Inszenierung, insbesondere der exemplarischen Inszenierung der Szenografie selbst. Sie macht die Inszenierung zur Kunst, die den schönen Schein legitimiert. Als Kunst kann die Inszenierung verschwinden machen – vorübergehend zumindest und solange die Bilanzen stimmen –, dass die ›Künste‹, derer sie sich für ihre Zwecke bedient (Sachen und Geschichten, wie Kant in der Anthropologie sagt, die Leute »zu machen verstehen« – auch mit sich selbst), keineswegs Selbstzweck, sondern in Dienst und Arbeit genommen sind. Spätestens die Einbettung der außergewöhnlichen Inszenierung einer Modegala in die Gesamtkommunikation eines Markenauftritts demonstriert dann auch ganz eindeutig, dass man es mit einem durch und durch geschäfts- und folglich konjunkturorientierten Unternehmen zu tun hat. Hierin, im Geschäft, findet sich konsequenterweise das tertium comparationis von großem Theater und wiederkehrender Alltags-Präsentifikation ›verführter‹ Verbraucher. Eine Umkehrung der klassischen Mahnung, derzufolge die Kunst zwar lang, das Leben aber kurz ist: Die Kunst des kurzen Lebens ist, es als wahrhafte Kunst, und wie sie Dauerndes gleichwohl im Augenblick, im wiederkehrenden Ereignis zu genießen, ohne Reue und ohne Erinnerung, nach der Art der Sternschnuppe: aufglühen, erstrahlen, vergehen – da capo. Was ›Mode‹ bedeutet, strebt demnach zu verschiedenen Polen. Zum einen fängt der Begriff den Wechsel bestimmter Gebräuche und Gewohnheiten, Geschmacks- und Stilrichtungen ein, auch damit verbundener Wertemodelle, wie sie aus den verschiedensten Darstellungen hervorgehen. Gewohnheit, Wertstellung

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und Veränderungsdynamik verweisen, was ›Mode‹ heißt, an die Grammatik von Zeit und Zeitlichkeit. Bezieht man die Darstellungen ein in das Spiel der Performanz – zweifellos unabdingbar, um darüber zu sprechen –, ist ›Mode‹, was sich der Dialektik von Wechsel und Dauer, dem Hier und Jetzt der Szenen wie den Abfolgen der Inszenierungen ausgesetzt sieht. Was »immer wiederkommt«, wie die ›Mode‹, ist die Dramatisierung von Präsenz – die demnach die Kontinuität solcher Dramatisierung vor Augen führt. ›Mode‹ ist der Begriff solcher Zeitdynamik zwischen dem einen und dem anderen Jetzt – beziehungsweise Begriff der Konzeptualisisierung dieser Dynamik. Dass mit ›Mode‹ zum anderen, bezogen auf das Fashiondesign, selbstverständlich eine spezifische (d. h. zumindest produktionstechnisch, aber auch geschmacklich, gesellschaftspolitisch, ja juristisch zeitspezifische) Ein- und Ver-Kleidungskultur, die zu diesem Zweck verwendeten Materialien und deren ästhetische Gestaltung wie ihre Grenzen, gemeint sind, und schließlich, seit den Schüben der Moderne, die Aufbereitung eines ›personalen Gesamtkunstwerks‹ samt passender Art freier Darstellung, markiert die empirischen und positiv(istisch)en Konnotationen. In einem Bedeutungszugriff wird das ökonomische, sprich kapitalistische Grundverhältnis von Produktion und Konsumation als Zeit, das heißt als Arbeitszeit, mithin als individuelles Lebenszeitverhältnis thematisiert – soweit es sich der Einmaligkeit eines Fühlens, Erlebens und Tuns ergibt. Doch sind die Bedeutungen verbunden. In der Tiefe der zweiten finden wir in der Moderne die individuelle Aneignung des Ichs in der Einmaligkeit seiner nur für es selbst bemessenen Lebenszeit und der darin kultivierbaren Lebensverhältnisse eines ›Selbst‹, soweit es abhängig ist von der Anerkennung seinesgleichen in Gemeinschaft. Immer erscheint das Entäußerungsverhältnis vom anderen (beziehungsweise Anderen) her definiert. ›Mode‹ als solches Konzept hat wenig zu tun mit kultur- oder naturanthropologischen Überlegungen zur Funktionalität von Kleidung als ›zweiter Haut‹ und Schutz des Menschen im Kampf ums Überleben. Allgemein bezeichnet ›Mode‹ (wie ›modisch‹) Aktualität und Präsenz als positiven Wert. Im Up-to-date-Sein wird das Verhältnis von Neuheit (›Originalität‹) und Wiedererkennbarkeit (›Memorabilität‹) dialektisch vermittelt. Ritualisierung (womöglich Fetischisierung) scheint die geeignetste Art, die Differenz anzueignen. Was ›Mode‹ ist, muss schlechthin ein Neues sein. Als ›modisch‹ kann nur gelten, was sich absetzt von dem, was eben noch als ›modisch‹ galt oder propagiert wurde. Das in der Überbietung scheinbar Vergessene macht den dissimulativen Anteil der Inszenierungssimulation. Was der Mode-Begriff leistet, liegt demnach bei seiner Potenz, die Vergesellschaftung des Individuellen auf dem Weg einer Mythisierung der Einzigartigkeit eines ›Ichs‹ sowohl zu betreiben als auch zu verdecken. Mode wird nicht nur inszeniert, sie ist Ausdruck des Geltungs­ gesetzes aller Inszenierung. Auf diese theoretische Grundlage, impliziten und empirischen Gründen dafür, die Medialisierung der Modeprodukte als »Inszenierung von Inszenierun-

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gen« zu fassen, bauen die Überlegungen der Arbeit von Pamela C. Scorzin auf. Inszenierungen von Inszenierungen, Metaszenografie, werden im Metier der großen Modedesignerinnen und -designer vom Standpunkt derer auf die Bühne gebracht, die »Mode machen«, sich von ihrer Ökonomie leiten lassen. Trendsetter und Nachläufer verbindet eine Differenz, deren Produkt soziale Zeit ist. Die ›Mode‹ ist diejenige Bühne, auf der Geltungen verschoben und ästhetische Wertvorstellungen simuliert wie gehandelt werden können, eine Bühne, die vorgebliche Andersheiten präsentiert und als Besonderheiten zu sozialisieren sucht. Dies unterstreicht den Bedeutungsaspekt, der für die Mode als »Inszenierung von Inszenierung« von grundlegendem Interesse ist: die Mystifizierung gleichförmiger, abstrakter Zeit (vornehmlich von Produktions- und Arbeitszeit) durchs Erscheinenlassen und Heiligsprechen von unableitbaren, ephemeren Augenblicken. Pamela C. Scorzins Abhandlung untersucht im Folgenden das Wesen der heutigen Mode und ihrer Marken konsequenterweise nicht von seiner ästhetischen Qualität, sondern von seiner Inszenierung her: Unter welchen medialen Bedingungen verändert sich die Relation von Präsenz und Dauer, Individualisierung und Vergesellschaftung von Mode-Erscheinungen? Über Mode auf ›Stoff‹Ebene wird auch deswegen relativ wenig berichtet, weil der szenografische Aspekt den der Dramatik der Grenzbedingungen einer Beziehung von diesem und jenem ›Jetzt‹ aufdeckt. Mit der Erhöhung der Popularisierungsgeschwindigkeit neuer Moden, wenigstens neuer Kollektionen und neuer Looks, die die heutige Wegwerf-Mentalität unausweichlich machen, wird die Tendenz offensichtlich, das Ereignishafte gegenüber jeder Wiederholung und Kontinuität (jahreszeitlicher Aspekte etwa, wie sie noch jüngst im Turnus von Sommer- und Winterschlussverkäufen gang und gäbe waren) zu privilegieren. Die Modeökonomie demonstriert gleichsam am offenen Herzen, wie die beiden Aufgaben der globalisierten Modeindustrie, unter denen die Kollektionswechsel dauerhaft zusammengefasst werden: Neues zu offerieren und Trends zu setzen, eine stabile Marke zu etablieren und an ihren Adressaten zu personalisieren, wie diese Aufgaben bewältigt werden. Unterscheiden lässt sich dabei zwischen ›Mode‹ und ›Stil‹. Es lassen sich Methoden probieren, die auf dem Weg einer ›Inszenierung von Zeitlichkeit‹ einen Ausweg aus der postmodernen Beliebigkeit versuchen. Dennoch: Trotz aller Verkürzung der Halbwertzeiten, im Laufe derer sich Modezyklen heute weltweit verbreiten und erneuern, kann es in der Zeitorganisation der Modewechsel nicht bis zur Unsichtbarkeit getrieben werden wie im Millisekundentakt der Börse. Tageszyklen (wie im Arbeitsleben) reichen für die Identifizierung modischer Novität und Attraktivität nicht aus. Hier geht es um sinnliche, sichtbare Veränderungen, die ihre Zeit brauchen. Doch wird Mode kaum mehr als Kleidung und Dekoration vorgeführt, sondern als mediale Simulation unterschiedlicher Lebens- und Gesellschaftspraxen, die sich aufs Erleben und Ereignen fokussiert. Entsprechend die Register der Präsentation, welche

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die unterschiedlichen Wege der Vermittlung der inszenierten Inszenierung anzeigen. Von den Highlights der Modemessen mit ihren Avantgardeshows bis hin zur analogen oder digitalen Schaufensterpräsentation sind dabei je eigene Zeitdimensionen zu gewärtigen, anders beim Geschäftsbesuch, beim Videoclip bis zum Webblog, oder bei der Internetbestellung. In der globalisierten Modeökonomie geht es nicht um den sich selbst überholenden Wechsel, sondern um die weltweite Synchronisation unterschiedlicher Tiefenfelder sozialer wie geografisch spezifischer Produktion und Konsumation, das heißt um Szenografie nicht ausschließlich mit Medien, sondern von Medien in ihren eigenen Inszenierungen. Nun werden unter dem Begriff ›Inszenierung‹ nicht nur die Organisation und Strategie der Raum- und Körpergestaltungen verstanden. Als Szenografie gilt ebenso, was, unabhängig von der Zeit der Uhr, einem zeitlich begrenzten Darstellungsauftrag entsprechend, als Planung von Ereigniszeit realisiert werden kann. Dies gilt so lange, wie die Synchronisation selbst dramatisiert wird: als dialogisches Verhältnis zwischen Konsumpionieren und -verweigerern. Auch ›der letzte Schrei‹ muss sich integrieren lassen, auch der entschiedenste Konsumverweigerer wird nicht nackt herumlaufen wollen. Pamela C. Scorzin macht deshalb den Vorschlag, Mode, Fashion Design, unter die Prämisse von Fremd- und Selbstinszenierung zu stellen. Demokratische Kommunikationsverhältnisse realisieren sich nicht darin, dass jeder Marktteilnehmer Einfluss hat auf die Zuschnitte der Designermode, sondern darin, dass die Synchronisation darauf verzichtet, ein Herrschaftsverhältnis zu etablieren oder zu bestätigen (wie etwa in der ständischen Gesellschaft), sich vielmehr als zuweilen gar konfliktreiches, krisenhaftes Wechselverhältnis darstellt. Wo Mode verstanden wird, erhellt indes, dass sie davon lebt, die relativen Wertverhältnisse jeweils absolut zu setzen und unseren Umgang mit Zeit hinterfragen lässt, wo er jenseits indiskutabler physikalischen Echtzeit aller elektronischen und ökonomischen Medialitäten »rückschrittlich-fortschrittlich« an der Front einer Selbstbeziehung zum Ausdruck kommt. Schauplatz dieses Wechselbades ist der Körper. Der Feind des Körpers ist von jeher die Zeit. Angeregt in dieser Perspektive scheint damit eine Philosophie der Zeit – unserer Zeit – und der Subjektivität in dieser Zeit. Beide bestreiten sich gegenseitig die normative Geltung im Prozess der Arbeit. Die Diagnose aber besagt, dass Zeit nichts anderes ist als das Medium solch konkurrierender ›Vermittlung von Gegenwärtigkeit‹. Die Philosophie führt es unter dem Begriff »Bewusstsein«. ›Mode‹ ist der – zumindest eine – Ort, an dem Zeitordnung, Zeitstile und Zeitmaterialisierung gesellschaftlich konstituiert, ästhetisch synchronisiert und übersetzt werden können: als Dramaturgie von Bedeutungsverschiebungen und -verdrängungen in individuell-kollektiver Zeitorganisation. Als individuelle Allgemeinheit darf sich die ›Mode‹ als Sprache der Zeit verstehen – freilich unter der Voraussetzung, dass die abstrakte Zeit von (körperlicher) Arbeit, anders als

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die kalendarisch konnotierte, von der sie herstammt, selbst niemals eine Sprache sein kann, sondern schweigt. In ihrer Untersuchung anhand einschlägiger Beispiele aus dem aktuellen Handlungsfeld der internationalen Fashion-Szene weist Pamela C. Scorzin nach, dass diese Sprache mehr ist als eine bloße Gestaltungssprache. Sie ist von grundlegender Relevanz für den Dialekt eines Individuell-Allgemeinen. Denn ›Mode‹ muss, um zu funktionieren und nicht als reine Zufälligkeit marginalisiert zu werden, Geltung für mindestens eine Gruppe von Menschen gewinnen. Der kunstwissenschaftlich bekannte Gegensatz von Stilwillen und Genie könnte hier sein Recht behaupten. In der Mode wird er zugunsten der Allgemeinheit eines Stils, wenn auch nur für eine Saison, entschieden, wie großartig auch immer sich die einzelne Fashionshow als einmaliges Event inszeniert. Dialekte als Stile bedürfen, anders als Sprachen, nicht der wissenden Übersetzung durch Dritte, sondern vor allem der emotionalen und affektiven Übertragung und Akzeptanz. Denn ihr Instrument, der menschliche Körper, verzeitlicht immer schon den Sinn jeglicher Kodierung. Bei aller Gestaltungsfreiheit wird zwischen Hemd und Hose nicht diskutiert. Die Dialekte der Mode – wobei wir nicht reden von den zum Teil extremen ethnischen Ausprägungen, sondern von der industriell gefertigten ›westlichen‹ Kleidung und ihrer Zeitorganisation – brauchen keine wissende Vermittlung. Dialekte pflanzen sich analogisch fort. Die Einsichten der Analogien verlassen den körperlichen Referenzraum nicht – was den Bildcharakter der Mode unterstreicht. Im Zuge der Universalisierung und Globalisierung der Modeindustrie, auch ihrer Spitzenproduktionen, imponiert demnach die Verallgemeinerung durch Vorbild und Nachahmung ohne Erinnerung. Körper- und Arbeits-, sozusagen intrinsische Zeitfunktionen, genügen als Stabilisierung. Die ästhetische Analogie findet sich gegenwärtig auf dem Niveau und in der Funktion einer Praxis der Selbstdarstellung, wie sie zum Lebensstil der oberen Zehntausend des Barock gehörte. Damals imponierte nicht der Stil einer Klasse, sondern der einer möglichst individualisiert-personalisierten Stellung in der ständischen Hierarchie. Wieder einmal beginnt die Arbeit der Selbstdarstellung oder die Performanz der Mode-Dialekte den Körper in den Mittelpunkt zu rücken: Mode wird derzeit weniger körperlos, als Ware gestylter oder stilsicherer Verwendung angepriesen, stattdessen zunehmend entsexualisiert als agonistischer Aktionskontext (als Sport!) in Szene gesetzt. Gerade, wenn die Funktionsgerechtheit äußerste Strapazierfähigkeit zeigen soll, muss Tragfähigkeit garantiert sein. Mit neuen synthetischen Stoffen und Texturen scheint dies möglich. Zur Verallgemeinerung der Ideen eines zur Grenz­ individualität stilisierten Designergenies sind die durchszenografierten Shows der großen Modehäuser und ihre Leitbildfunktion nicht besonders hilfreich. Hier braucht es eher den auf regelmäßigen Messen wiederholten Label-Auftritt, der mit dem Branding eine Signatur der Dauer im ›Stil‹ eines Hauses lanciert. Die Tragfä-

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higkeit des einzelnen Kleidungsstücks muss nicht, kann nicht demonstriert werden. In den seltensten Fällen würde der rasch zusammengenadelte Prototyp tatsächlich tragbar sein. Auf der Modenschau richtet sich das Augenmerk nicht auf reale Qualitäten, Materialität und Verarbeitung. Gefeiert wird die Inszenierung der Inszenierung, nicht die Inszenierungstauglichkeit im Alltag. Es behauptet sich die Exklusivität der Szenografie und all derjenigen, die dafür verantwortlich sind. Nun bildet nicht nur der Körper die Grenze zwischen Funktion und ästhetischer Form – mit wechselseitiger Kontaminierung, wie an den Moden des Sports ablesbar ist, sondern Mode selbst ist, wie Roland Barthes in seiner Sprache der Mode schon 19671 ausgeführt hat, ein ambivalentes System, das einerseits diskursiv wie mythisierend als Kommunikationssystem funktioniert, andererseits als Bekleidung – Applikation oder Accessoire – vor allem informationelle Systemeigenschaften trägt. Diese Unterscheidung zwischen kommunikativen und signifikativen Elementen verlangt innerhalb des Gesamtsystems der Modeindustrie eine doppelte Kodierung und Inszenierung. Signifikativ sind die ›Modellopern‹ und Bühnenshows, die den ›Tragekomfort‹ des Kleidungsbildes wie seine ›Textur‹ zeigen. Kommunikativ sind die ›Operetten‹ der Medialisierung mit Blitzlicht­gewitter und Promiherden, die als Multiplikatoren und Mythografen fungieren. Die eigentliche Inszenierungspolitik besteht in einer Übertragung der Individuationen der Mode durch ein mediales System der Stilisierung und Diskursivierung ihrer Verbreitung. Denn es gehört zur gelabelten Designermode, dass sie aus seltenen Einzelstücken besteht, zum Kunstwerk stilisiert, nichtsdestotrotz die Vorbildfunktion für den Massengeschmack abliefern soll, indes in diachroner Form: als fortgesetzte Erzählung möglicher Teilhabe an der Exklusivität. Der Widerspruch lässt sich auf eine Formel bringen: Was »in« ist, ist »out«. Pamela C. Scorzin richtet ihr Augenmerk mithin auf den Übertragungsbereich, der den eigenständigen Begriff ›Szenografie‹ trägt: Eine selbst zur globalen Maschinerie avancierte Darstellungstätigkeit, der es darum zu tun ist, Kommunikation und Nachfrage zu erzeugen. Sofern die ›Szenografie‹ unter die Regie von Künstlern und Künstlerinnen gerät, reüssiert auch die ›Mode‹ im Rahmen künstlerischer Inszenierungen. »Mode und ihre Marken sowie die Massenmedien fungieren dabei gleichzeitig als neue zentrale kulturelle Referenzsysteme für die globale Gesellschaft. Ihre Ästhetiken fungieren dabei als Rhetorik, die jeweils auch mit den Marken verbundene Wertesysteme in Szene setzen«.2 An den Exempeln der involvierten Szenografen lässt sich daher umso besser nachweisen, dass die szenografische Logik von der medialen Verschaltung, einer Art ›szenolinguistischer Logotherapie‹, neue Impulse bekommt. Ereignisgenerierung, nicht mehr nur Ereignisbildung steht im Vordergrund. Offensichtlich ist das die Tendenz auch 1 Roland Barthes: Die Sprache der Mode, Frankfurt am Main 1985. 2 Pamela C. Scorzin 2015: Scenographic Fashion Design, 1. Einleitung, S. 25.

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solcher Branchen, die, von Raumausstattung und Innenarchitektur kommend, zu dynamischen Events und Performanzen drängen, ihr Eigenbild auf diese Weise anamorphotisch verzerren und zerstreuen. Ausgehend von der immer noch in den Jahrzehnten um die Wende zum 20. Jahrhundert wurzelnden Männermode mit ihrer wertkonservativen Anmutung in Farbe und Schnitt als dominierender Kontinuitätsattitüde oder dem kontrastierenden Fortschritt floral ›weiblicher‹ Damenmode, ist auf den Unterschied in der Geschlechterdarstellung aufmerksam zu machen. In der strukturalen wie semiologischen Analyse kommt er oft genug zu kurz. In die stabile Signifikanz solcher Modesprache ist neue Bewegung geraten. Wenn in den derzeitigen Fashion-Auftritten ein wechselseitiges und mehrwertiges Modell von GenderEigenschaften erprobt wird, darf man davon ausgehen, dass die von Roland Barthes propagierte Trennung von Sprache und Signifikation auch andere diskursive Deutungsmuster bevorzugt als die, die durch die strukturale Linguistik vorgegeben wurden: ›Szenolinguistik‹ als Sprache der Vorzeichen, der ephemeren Bedeutungen, der Simulationen in Medialisierungen, in denen die Träger und Materialien nicht mehr als Signifikanten und die fluiden Präsentationen und Situationen nicht mehr eindeutig als Signifikate auszumachen sind. Nicht nur das immer schneller kreisende Modekarrusell ist in der Krise, auch kann der Theorietaumel nicht mehr mit- und festhalten, bekleiden und bedecken, was an Bedeutungsund Wertmodellen kursiert, Modellen, deren Verfallszeit kürzer ist als die möglicher theoretischer Vermittlung. Jean Baudrillard hat 1970 schon darauf hingewiesen, dass gerade in der Minimierung der Geschlechterdifferenz nicht mehr deren unterschiedliche Natur, sondern die »differenzielle[ ] Logik des Systems«3 zum Ausdruck kommt, in der die Entscheidungen über Aussehen und Konsumwahl vom Mann selbstbewusst gefällt und als autonome Kompetenz beansprucht wird, in der die Frau, statt zu wählen, erwählt wird. Konsumforschung wird heute gerade deswegen nicht mehr auf diese Rollenverteilung setzen, weil die affektiven und als demokratisch-dialogisch missverstandenen Inszenierungsstrategien mittlerweile jede Autonomiebehauptung ad absurdum führen. Wahl und Erwählung gehorchen nicht mehr der normativen Kategorie der Personalität, sondern der fabrizierten Individualität einer nicht mehr struktural differenziellen, sondern, wie Pamela C. Scorzin nachweist, viralgenerativen Übergangsmethodik. Doch auch Baudrillard lässt spüren, dass der Modelltyp, dem das Model auf dem Laufsteg seinen Körper leiht, sich nicht mehr auf die geschlechtlichen Rollen (Personalisierungen) bezieht, sondern auf das Modesystem selbst und damit auf vorbildlose Simu­ lakren, denen keine Realgeltung mehr entspricht. »Überall walten hier Diffusion 3 Jean Baudrillard: Die Konsumgesellschaft. Ihre Mythen, ihre Strukturen [1970] (erstmals ins Deutsche übersetzt), Berlin (Springer Verlag) 2015, S. 141.

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und Kontamination.«4 Umso mehr muss nun das System auf die Personage des neuen Götterhimmels, auf die Namen und Label der Designer und Modehäuser setzen, in deren Inszenierungen die Sakralität waltet und tut, was sie kann: Heiligungen ästhetischer Offenbarungen zur Erscheinung zu bringen. Das kann umso verbindlicher geschehen, als nun (weiblich) die Erwählung die Wahl ersetzt. Der Kunde kann sich schlecht ›dialogisch‹ als Erwählter eines Labels in Szene setzen lassen, wenn er nicht zugleich die Regie des Verfahrens in die Hand nimmt. Bekannt ist diese Kompetenzunterschiebung unter dem Namen Verführung. Die geschlechtlichen Diffusionen tendieren dazu, das Simulakrum der unbefleckten Empfängnis, der opferlosen Kommunikation mithin nachzuvollziehen. Ganz so wie die Diffusionen von ›Autor‹, ›Regie‹, ›Rezipient‹. In der Tat ist Verführung weder neu noch verwerflich. Die dringliche Frage nach der Zirkularität der Macht, wie sie Deleuze und Guattari aufgeworfen haben, stellt sich jedoch nicht kunsthistorisch. Der Inszenierungseffekt, der sich im Viralen der Modesprache findet, dementiert einen viralen Kraftbegriff, den der Arbeit und des Produktionsopfers – freilich ohne sich vollständig aus dem Geschlechterkampf heraushalten zu können. Der Transport über von ›Influencers‹ kontrollierte magische Portale, an der der Verführung gelegen ist, kann nicht vollständig verschwinden machen, dass die »Superspreaders« den Shareholdern Rechenschaft abzulegen haben. Baudrillards »Ausbreitung des femininen Modells auf den gesamten Konsumbereich«5 gilt im Sinne der »Objektweiblichkeit«, von der er in Die fatalen Strategien spricht.6 Das erzeugte Bild für den anderen ist offenbar der Kunst geschuldet, Blick und Blicke, die das Weibliche sich selbst widmet, zum Scheinen bringen, materialiter et medialiter. Die »Objektmasse« als solche zeitigt bestenfalls Verharren und Schweigen, die Objektweiblichkeit erst die Verführung. Im Effekt ist diese Attraktivität des Kunstwerks so mächtig, dass der Blick des anderen, des männlichen Auges, davon nicht lassen kann. Die Frage möglicher Augentäuschung stellt sich nicht, da der andere keine andere als die sich ihm anbietende Perspektive für passend und wünschenswert erachtet. Kant spricht in seiner Anthropologie von einer indirekten, »weibliche[n]« Beherrschungskunst, die »keine Gewalt bei sich führt, sondern [weiß,] den Unterthänigen durch seine eigene Neigung zu beherrschen und zu fesseln«. Wer das Begehren des anderen zu wecken und zu leiten weiß, wird ihn mit seinem eigenen Begehren beherrschen können.7 Die Verführung ist ambivalent, frönt dem Fetisch und animiert, ihn zu erkennen und anzuerkennen. Wenn »[h]eutzutage […] das wahrhafte Teilhaben am Sozialen das kollektive Teilhaben 4 Ebd. 5 Ebd., S. 142. 6 Jean Baudrillard: Die fatalen Strategien, München 1991, S. 68. 7 Immanuel Kant: Die Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Kants Werke, Berlin 1968 (= Akademie Textausgabe Bd. I–IX), Bd. VII, S.117–333, Zitat S. 271/273.

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an der Verführung« beinhaltet, wird die Verführung indes nicht beiden Zielen in gleicher Weise dienen.8 Nichtsdestotrotz: Das Soziale stellt sich vor als begehrenswert; statt als Reales der Technik, statt als Datenerhebung und Datenverarbeitung wird es traktiert als Theater, als Bild-, Einstellungs- und Szenenfolge. Die Dekonstruktion des Kant’schen Textes liest die ästhetische Bildverführung zusammen mit dem sexuellen Begehren als dessen Außenprojektion auf den vom Objekt, von der Objektweiblichkeit angebotenen Blickreiz. Als solcher wird der Reiz vom Begehren gecovert, erscheint, ohne dass es bewusst sein muss, als Eigenbild, als idealisch-narzisstisch überhöhtes Phantasma. Hier kommt es zum Turn, der wirkt wie Magie.9 Die systemtheoretischen Analysemethoden bilden die Neutralisierung gerade noch ab, indem sie die Trennung zwischen Struktur und Geschichte im Begriff systemischer Autopoiesis aufheben. Zwar kann beobachtet werden, was geschieht, aber nicht mehr realisiert, dass etwas geschieht. Es bleibt der Wunderglaube an die Oberfläche ohne Tiefe, an den Look, die »Gestaltung des Immateriellen«. In dieser Spitzenform globaler, totalisierender Werbung weiß man nicht mehr, wofür geworben wird. Offenbar ein Generationenproblem von Menschen, denen die Aufhebung signifikanter Produkte noch nicht selbstverständlich geworden ist. Anstelle dessen tritt die Affektmodulation des Konsumenten: Man bekommt eingetrichtert, welche Effekte bestimmte Konsumwahlen auslösen können (sollen). Im gesetzten Range akzeptabler Äußerung darf sich jeder frei bewegen. Die Diskurse, insbesondere der soziologischen Kritik, gliedern sich, indem sie Empfehlungen und Akzeptanzen generieren, vielfach nicht nur selbst dem System des Warenkonsums ein, sie müssen dies auch, sollen ihre Analysen als zutreffend gelten. Entgegen der pessimistischen Kulturkritik (auch der Baudrillards) allerdings erhellt: Weil die Bühnenshow von der Opferlogik der Produktion nicht mehr betroffen scheint, gewinnt der Konsument, der in der Mode die Selbstwahl wählt, einen virtuellen Selbstbestimmungsstatus, der indes seinerseits mit opferreicher Arbeit, mit Konsumarbeit verbunden ist. Freilich möchte sie Opfer der Produktion verschwinden machen. Das ist die List der Demokrati­sierung aller medialen Gadgets, sofern sie technisch – inklusive Stromanschluss – überhaupt zur Verfügung stehen. Gegen die Allgegenwart der Erscheinungen mag es in Fragen der Bekleidung systemtheoretische Exilierungen geben, auf der Ebene der Mode gibt es sie nicht. Die Frage, die vielleicht weiterführt, lautet: Wer veranlasst wen, unter welchen situativen Bedingungen die Darstellung eines anderen als inszeniert, als »für einen anderen in seiner Andersheit gemacht« aufzufassen? Inszenierungen, die nicht wenigstens ›grenzsimulativ‹ sind – das heißt körperaffektiv als veranlasst 8 Baudrillard 1991: 68/92. 9 Vgl. Heiner Wilharm: Die Ordnung der Inszenierung, Bielefeld 2015, Teil. II, Kap. 4 u. Teil III, Kap. 3.

VORWORT DER HERAUSGEBER

und beidseitig gewollt gelten, qualifizieren sich kaum als besonderes Fiktionssystem, am wenigsten in der Mode. Als Projektion dessen, was als geltend gewählt oder interpretiert werden soll, sticht ihr Aufführungswert nicht hervor aus den gesellschaftlich gewöhnlichen Praktiken. Eine Analyse des Inszenierungsbegriffs im System Mode muss sich demnach fragen, welchen Entwurf das Repräsentationssystem Mode für die ›Gesellschaft‹, der es zu Bedeutung verhelfen möchte, in ihrer Selbst- und Sinndarstellung bereithält. Bedeutung – wenn man will »Kommunikation« – ist das eigentliche Tauschgut der Mode. Ralf Bohn und Heiner Wilharm, November 2015

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SCENOGRAPHIC FASHION DESIGN Zur Inszenierung von Mode und Marken

For my fashion world companion Ryan ›Andy‹ B. – forever together sharing »a passion for fashion«! Ralf Bohn und Heiner Wilharm danke ich sehr herzlich für ihr gemeinsames Vorwort und die Aufnahme von Scenographic Fashion Design in die transcript-Reihe Szenografie & Szenologie – ebenso Kostas Murkudis, Carsten Nicolai und dem MMK Frankfurt für die Bildvorlage für das Buchcover.

1. EINLEITUNG SCENOGRAPHIC BRANDING UND FASHION DESIGN Die generelle Hinwendung zum Performativen in unserer gegenwärtigen Kultur ließ in den vergangenen Jahren auch die internationale Modewelt nicht völlig unberührt. Sie erfuhr dabei einen regelrechten Scenographic Turn: Denn mit der allgemeinen Popularisierung der Mode1 und ihrer Marken wandelte sich beispielsweise auch der klassische Catwalk seit den 1960er-Jahren immer mehr zu einem gesellschaftlichen Ereignis und medienwirksamen Event. Spätestens mit den neuen publicityorientierten Star-Modeschöpfern Thierry Mugler, Gianni Versace und Jean Paul Gaultier geriet er in den 1980er-Jahren auch zu einer großen Show und einem theatralen Spektakel.2 »Spektakularität« kann dabei neben »Konzeptualität« als eine besondere inszenatorische Eigenschaft und spezielle Kategorie verstanden werden. Die darin hervorgebrachten charakteristischen ästhetischen Darstellungs- und Repräsentationsmodi entsprechen dem Trend zur generellen Theatralisierung der Künste seit der Postmoderne. Die Modewelt lieferte hierzu eigene Methoden und Strategien des sinnlichen Überwältigens und affektiven Berührens. Insbesondere szenographische Effekte auf den klassischen Laufstegen schienen für die notwendige Generierung von Aufmerksamkeit und Staunen mit einem Mal die schiere Überpräsenz der perfekten Supermodels der 1990erJahre ablösen zu wollen. Die großen klassischen Defilees de mode und traditionellen Runways in Paris, Mailand, London und New York haben sich dabei insbesondere seit Mitte der 90er-Jahre zunehmend in opulente Scenographic Fashion Shows3 gewandelt: vom konventionellen Laufsteg hin zu aufwendig produzierten, ganzheitlichen multimedialen Inszenierungen der jeweiligen Saison-Kollektionen bekannter Modehäuser und großer Modemarken. Im Mittelpunkt dieser speziellen Form eines zeitgenössischen Eventdesigns stehen dabei vor allem medienwirksame und nachhaltige narrative, dramaturgische und performative Szenographien, in denen vormals kategorisch getrennte Metiers wie Design (Mode), Kunst, Musik und Populärkultur/Entertainment/Event, bisweilen auch Choreo1 Vgl. Gertrud Lehnert: Geschichte der Mode im 20. Jahrhundert, Köln 2000; dies.: Mode. Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis, Bielefeld 2013. 2 Siehe hierzu Lydia Kamitsis: An impressionistic history of fashion shows since the 1960s. In: Jan Brand/José Teunissen (Hg.): Fashion and Imagination. About Clothes and Art, Arnheim 2009, S. 92–103. Zur Geschichte der Modenschauen siehe auch José Teunissen: From dandy to fashion show: Fashion as performance art. In: Jan Brand/José Teunissen (Hg.): The Power of Fashion: About Design and Meaning, Arnheim 2006, S. 194–212, und Ginger Gregg Duggan: The Greatest Show on Earth. A Look at Contemporary Fashion Shows and their Relationship to Performance Art. In: Ebd., S. 222–243. 3 Vgl. Pamela C. Scorzin: Scenographic Fashion Shows – ein Statement von ders. In: PLOT. Inszenierungen im Raum/Creative Spaces, Nr. 9: Dress the Stage on Fire (März 2013), S. 14–23.

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graphie, Performance und moderner Tanz, nun effektvoll konvergieren und sich zu einem neuen transdisziplinären und crossmodalen, d. h. viele Sinne des Körpers gleichzeitig adressierenden intermedialen Gesamtkunstwerk zusammenfügen. Auch die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte hat bereits durch verschiedene Veröffentlichungen zu ihrer Theorie des Performativen auf diese zunehmende Auflösung der Dichotomie zwischen freien und angewandten Künsten in den zeitgenössischen Inszenierungskulturen aufmerksam gemacht.4 Und explizit in Hinblick auf die Modeszene betont der belgische Designer Walter van Beirendonck weiter dazu: Manchmal präsentieren Modedesigner ihre Kollektionen auf eine spezielle Weise oder in einem bestimmten Kontext, sodass man von einer Performance sprechen könnte. Das trifft wohl auf meine großen Modeschauen bis heute zu. Deshalb interessieren sich auch Künstler dafür. Sie sehen darin eine Art Performance. In Augenblicken ihrer Zelebrierung erreicht Mode einen gewissen Kunststatus. Man kann einen Catwalk aufbauen und die Models einfach nur auf- und ablaufen lassen. Man kann dem aber auch ein bestimmtes Styling hinzufügen, indem man nur bestimmte Models einsetzt, und man kann mit Musik eine Atmosphäre schaffen. So begibt man sich auf eine andere Ebene. Weg von einer normalen Modenschau und hin zu einer Form der Performance.5

Szenographie 6 lässt sich damit als eine Form und Praxis der ganzheitlichen Gestaltung definieren, die – gestalterisch wie inhaltlich – Verknüpfungen, Verbindungen, Vermittlungen und Vernetzungen hervorbringt. Sie ist darin Ausdruck einer aktuellen Konvergenz- und Konnektivitätskultur nach der Moderne. Nicht mehr allein der Entwurf und die Gestaltung von Objekten nach einem klar formulierten Form- und Funktionsbegriff und die nachgeordnet folgende Inszenierung stehen im Mittelpunkt dieser ästhetischen Produktion, sondern vielmehr die ganzheitliche Fabrikation von ereignishaften, erlebnisintensiven, narrativen und erkenntnisreichen Objektperformanzen, die als Quasi-Subjekte und im Sinne der

4 Siehe hierzu zuletzt in Erika Fischer-Lichte: Performativität. Eine Einführung, Bielefeld (transcript) 2012. 5 Walter van Beirendonck zitiert nach Im Aufbruch zur digitalen Identität. Ein Gespräch mit dem Modedesigner Walter van Beirendonck. Von Heinz-Norbert Jocks. In: Kunstforum International 197 (2009), Themenband: Dressed! – Art en Voque, S. 100. 6 Siehe zur Szenographie als neuer Gestaltungsdisziplin u. a. folgende Veröffentlichungen der vergangenen Jahre: Arnold Aronson: Looking Into the Abyss: Essays on Scenography, Ann Arbor (MI; University of Michigan Press) 2005; Thea Brejzek/Gesa Mueller von der Hagen/Lawrence Wallen: Szenografie. In: Stephan Günzel (Hg.): Raumwissenschaften, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2009, S. 370–385; Ralf Bohn/Heiner Wilharm (Hg.): Inszenierung und Ereignis: Beiträge zur Theorie und

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ANT als Akteure7 eine gesellschaftliche Kommunikation herstellen: In den Inszenierungen der Mode und ihrer Marken geht es heute nicht mehr allein um den Verkauf von funktionalen oder semiotisierten Kleidungsstücken, sondern gerade um die Repräsentation, Charakterisierung und Profilierung von Produkten von Modemarken, zu denen Konsumenten wie zu Subjekten eine emotionale Bindung gewinnen sollen. Als methodisches Instrument fungiert hierbei im Wesentlichen eine Sonderform des modernen Brandings, die aufgrund ihres holistischen Anspruches im

Praxis der Szenografie, Bielefeld (transcript) 2009 (= Szenografie & Szenologie 1); Uwe R. Brückner: Scenography: Making Spaces Talk. Projects 2002–2010, Ludwigsburg (AVEdition) 2011; Jane Collins/ Andrew Nisbet (Hg.): Theatre and Performance Design: A Reader in Scenography, London (Taylor & Francis) 2009; Bernadette Fülscher: Gebaute Bilder – Künstliche Welten. Szenografie und Inszenierung an der Expo.02., Baden (hier und jetzt) 2009; Pamela Howard: What is Scenography?, Revised 2nd ed. London (Taylor & Francis) 2002/2009; Norman M. Klein: The Vatican to Vegas: A History of Special Effects, New York/London (The New Press) 2004; Joslin McKinney/Philip Butterworth (Hg.): The Cambridge Introduction to Scenography, Cambridge: University Press 2009; Alison Oddey/Christine White: The Potential of Spaces: The Theory and Practise of Scenography and Performance, Bristol (Intellect Books) 2006; Natalie Rewa: Design and Scenography, Toronto (ON) (Playwrights Canada Press) 2009; Pamela C. Scorzin: MetaScenography: »The Paradise Institute« von Janet Cardiff & George Bures Miller als inszenatorischer Hyperraum der post-ästhetizistischen Szenografie. In: Ralf Bohn/Heiner Wilharm (Hg.): Inszenierung und Ereignis: Beiträge zur Theorie und Praxis der Szenografie, Bielefeld (transcript) 2009 (= Szenografie & Szenologie 1), S. 301–314; Pamela C. Scorzin: Vom Realwerden des Imaginären und Irrealisieren des Realen: Zur szenographischen Wahrheit im Werk von Janet Cardiff & George Bures Miller. In: Thea Brejzek/Wolfgang Greisenegger/Lawrence Wallen (Hg.): Monitoring Scenography 2: Space and Truth, Zürich (Züricher Hochschule der Künste, Institute for Design and Technology) 2009, S. 138–149; Making the Scene: A History of Stage Design and Technology in Europe and the United States by Oscar G. Brockett, Margaret Mitchell, and Linda Hardberger, Tobin Theatre Arts Fund, distributed by University of Texas Press 2010; Staging Space. Scenic Interiors and Spatial Experiences. Hg. von R. Klanten, L. Feireiss u. S. Ehmann, Berlin (Gestalten) 2010; Archithese. Themenheft Szenografie (4/2010); Pamela C. Scorzin: Trust is Good, Scenography is Better! In: EXTRACT 2. Aspects of Exhibition and Museum Design, hg. von Karl Stocker, Graz (FH Joanneum) 2010, S. 70–75; dies.: Szenographie ist … Verführung! In: PLOT. Inszenierungen im Raum/Creative Spaces H. 8 (März 2011: Reihe Diskurs), 4 Seiten; dies.: MetaScenography. On the Metareferential Turn in Scenography. In: Werner Wolf (Hg.) in Zusammenarbeit mit Katharina Bantleon und Jeff Thoss: The Meta-Referential Turn: Forms, Functions, Attempts at Explanation, Amsterdam/ New York (Rodopi) 2011 (= Studies in Intermediality 5), S. 259–277; Frank den Oudsten: space. time.narrative. The Exhibition as Post-spectacular Stage, Ashgate 2011; Pamela C. Scorzin: Robert Wilson’s Scenographic Video Portraits: Image und Identität als theatraler Inszenierungseffekt. In: Ralf Bohn/Heiner Wilharm (Hg.): Inszenierung und Effekte. Zur Magie der Szenografie, Bielefeld (transcript) 2013, S. 57–74; dies.: Effekt und Affekt in Scenographic Fashion Shows. In: Ebd., S. 41–56; Birgit Wiens: Intermediale Szenographie. Raum-Ästhetiken des Theaters am Beginn des 21. Jahrhunderts, Paderborn (Fink) 2014; Margaret Choi Kwan Lam: Scenography as a New Ideology in Contemporary Curating: The Notion of Staging in Exhibitions, Anchor Academic Publishing 2014; Kai-Uwe Hemken (Hg.): Kritische Szenografie. Die Kunstausstellung im 21. Jahrhundert (in Zusammenarbeit mit Ute Famulla, Simon Großpietsch und Linda-Josephine Knop), Bielefeld (transcript) 2015; Heiner Wilharm: Die Ordnung der Inszenierung, Bielefeld (transcript) 2015, und Ralf Bohn: Szenische Hermeneutik. Verstehen, was sich nicht erklären lässt, Bielefeld (transcript) 2015. 7 Vgl. Bruno Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die AkteurNetzwerk-Theorie, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2007.

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Weiteren als ein transdisziplinäres Scenographic Branding 8 angeführt werden soll. Mit dieser neuen umfassenden Inszenierungspraxis werden insbesondere wirkungsvolle Erzählungen um Mode und Marken generiert, die in einer globalisierten Produktkultur jeweils eine effiziente, einmalige Image-Produktion forcieren. So markiert respektive generiert und inszeniert das Scenographic Branding dafür beispielsweise auch die für das spezifische Image und das wettbewerbliche Alleinstellungsmerkmal einer Modemarke im globalisierten ökonomischen Prozess der Differenzierung und Profilierung immer wichtiger werdenden Informationen zu Herkunft, Tradition, Identität und kulturellem Wertekanon. Moderne Künstler und ihre signaturorientierte wie zugleich subjektzentrierte Schaffensweise dienen dabei der zeitgenössischen holistischen Inszenierung offensichtlich immer häufiger als Vorbild. Auch die schöpferische Kreativität des Universalkünstlers und Gestalters Peter Behrens als Erfinder der modernen Corporate Identity in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhält dabei eine neue Aktualität. Die bekannten historischen Wechselwirkungen und gegenseitigen Beeinflussungen von freier und angewandter Kunst, insbesondere von bildenden Künsten und Modedesign,9 erleben wiederum zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine neue, gesteigerte Form der gegenseitigen Durchdringungen, Überkreuzungen und Vermischungen, die nicht nur im Rahmen eines professionellen modernen Marketings als eine wechselseitige Promotion im Sinne von Win-win-Wirkungen und als ein gegenseitiges Trading-up zu verstehen sind, sondern gerade auch beispielhaft die Entgrenzung bis hin zur Auflösung bislang gültiger Gattungs- und Disziplingrenzen eindringlich vor Augen führen. Ebenso haben sich gleichzeitig die bislang gültigen tradierten hierarchischen Beziehungen zwischen Produkt, Präsentation und Publikum inzwischen grundlegend hin zur Formierung ganzer Erlebniswelten und umfassenderen Markenlandschaften (sprich Brandlands) gewandelt, in die man als Konsument (gerne) ent-/verführt wird. Im digitalen Zeitalter begegnen uns die Mode und ihre Marken heute daher vorwiegend als ästhetisch vernetzte und in einem komplexen Medienverbund umfassend konzertierte Inszenierungen. Szenographierte Mode verbindet überdies Konsum mit leichter Unterhaltung und ist vorrangig für neue Medien konzipiert, die sich heute als intermedial und interaktiv positionieren. Die Mode 8 Siehe hierzu auch Pamela C. Scorzin: Scenographic Branding as a New Method and Creative Tool for Museums Exhibiting Europe in a Globalized Era. In: emee/young scenographers contest – Catalogue of the Travelling Exhibition, hg. von Uwe R. Brückner u. Linda Greci; Publisher for EMEE: Susanne Popp u. Günther Friesinger; Texts: Ruedi Baur u. Pamela C. Scorzin, Wien (edition mono/ monochrom) 2015, S. 121–123, online unter www.museums-exhibiting-europe.de/wp-content/ uploads/2015/04/Emee_YSCKatalog_2015_dig.pdf (letzter Zugriff: Juli 2015). 9 Siehe dazu Adam Ceczy/Vicki Karaminas (Hg.): Fashion and Art, London/New York 2012; Susanne Neuburger (Hg.): Reflecting Fashion. Kunst und Mode seit der Moderne. Köln 2012; José Teunissen: Fashion and art. In: Jan Brand/ders. (Hg.): Fashion and Imagination. About Clothes and Art, Arnheim 2009, S. 10–25; Germano Celant (Hg.): Art/Fashion, Kat. New York 1997.

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und ihre Marken stehen dabei in permanenter gegenseitiger Wechselwirkung zu den Massenmedien und dem Internet. Als synästhetisierende Vermittler und Übersetzer dienen hierbei zunehmend szenographische Praktiken, die heute eine globale Kommunikation herstellen. Mode und ihre Marken sowie die Massenmedien fungieren dabei gleichzeitig als neue zentrale kulturelle Referenzsysteme für die globale Gesellschaft. Ihre Ästhetiken fungieren dabei als Rhetorik, die jeweils auch mit den Marken verbundene Wertesysteme in Szene setzen. Auf der inszenatorischen Repräsentationsebene geht es im globalen Modegeschäft daher heute auch nicht mehr in erster Linie um die Bedienung von Notwendigkeiten und Bedürfnissen (needs), sondern nunmehr gerade um die Stillung und ständige Neugenerierung von Wünschen und Begierden (greeds). Die kreative Produktion verlagert sich dabei in eine Industrie der effektiven Bilder und vorbildlichen Szenerien, die als effiziente Repräsentationen, beispielsweise mithilfe exemplarisch inszenierter modischer Showpieces in der Funktion von Leitmotiven, jeweils subtil den visuellen Lebensalltag der Gesellschaft als kulturelle Kommunikations- und Wertegemeinschaft symbolisch formieren. Mode und Marken bringen über ihre inszenierenden Werbekampagnen dafür jeweils auf Zeit bestimmte allgemeingültige ästhetische Kodes für ein aktuelles Körperbild und damit verbundenes Schönheitsideal hervor, über die eine Gesellschaft als kulturelle Wertegemeinschaft sich im Weiteren stilistisch definiert, optisch repräsentiert und damit immer wieder neu ihre Identität bestimmt. Die vorliegende kulturwissenschaftliche Untersuchung und monographische Darstellung behandelt daher erstmals ausführlich anhand einiger ausgewählter prägnanter und herausragender Fallbeispiele der letzten Jahrzehnte dieses wichtige und innovative neue Feld eines globalen Scenographic Fashion Designs mithilfe eines vielfältigen Scenographic Brandings, d. h. insbesondere in Hinblick auf die aktuellen Inszenierungsformen von Mode und ihrer Marken. Dazu gehören unter anderem prominent szenographierte Modenschauen, die Gestaltung von Ladengeschäften und ihrer Schaufenster, filmische wie fotografische Produktionen und nicht zuletzt auch die zunehmend populär werdende Praxis von Museumsausstellungen, die zeitgenössisches Modedesign zeigen. Im Mittelpunkt dieser exemplarischen Einzelbetrachtungen stehen dabei gleichwohl die vorwiegend kommerziellen Projekte und Produktionen einer globalisierten Luxusmodeindustrie, die jedoch in jüngerer Zeit mit einem immer größeren künstlerisch-gestalterischen Anspruch und originellen konzeptuellen Ansatz daherkommen. Denn entgegen einem alten (bildungsbürgerlichen) Vorurteil ist die Mode, kulturgeschichtlich gesehen, tatsächlich mehr als nur ein bloßes oberflächliches Spiel mit dem schönen Schein. Sie ist vielmehr eine tiefgreifende kulturelle Praxis, vor der sich kaum jemand wirklich ganz verschließen kann. Modedesign ist längst über seine Primärfunktion der stilistischen Be- und Einkleidung des Menschen hinaus auch eines der wichtigsten charakterisierenden visuellen Alltagsphänomene und

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wird als eine der umfassendsten zeichenhaften Hervorbringungen der Moderne der westlichen Kultur angesehen. Modedesign und moderne Kunst haben dabei in etwa, wiederum kulturgeschichtlich gesehen, auch die gleiche Entstehungszeit. In der Parallelität der historischen Ausdifferenzierung ihrer Systeme gab es immer wieder fruchtbare Berührungspunkte, die in ihrer beider Eigenschaft als umfassende ästhetische wie auch symbolische Gestaltungspraktiken begründet liegen. Modernes Modedesign befasst sich jedoch im Gegensatz zum universalistischen Anspruch der bildenden Kunst strategisch mit der Gestaltung von temporären Erscheinungen und flüchtigen visuellen Kodes im Alltag, und liefert dabei in seiner Zeit auch sehr eindringliche Momentaufnahmen und langfristige Dokumente von jeweils virulenten und sich schnell wandelnden Körper- und Schönheitsidealen in einer Kultur als symbolischer Wertegemeinschaft. Die Mode ist dabei eine allgegenwärtige performative Praxis und ein durchdringendes alltagskulturelles Phänomen, das fast jeden im Leben unbewusst tangiert oder mit dem er/sie sich in einer sozialen Gemeinschaft unweigerlich direkt, sprich hautnah, konfrontiert sieht. Überdies wird Mode durch ihre zunehmende Inszenierung in lokalen wie medialen Kontexten im Zeitalter der globalen technologischen Vernetzung zu einer durchaus weitwirkenden und wirksamen visuellen Sprache. Modedesign kann daher gerade auch zu einer universellen, d. h. interkulturellen Kommunikation genutzt werden, indem es virulente Diskurse aufgreift, neue Themen forciert und transkulturelle Konzepte favorisiert. So erscheint 2015 beispielsweise Unisex respektive Agender auf der Agenda der Mode. Die visuellen Rhetoriken und populären Ästhetiken des Modedesigns können überdies gemeinschaftliche Werte und kollektive Meinungen, relevante Themen und neue Theorien in viraler Geschwindigkeit visuell vermitteln, ästhetisch übersetzen und medial distributieren: »Mode ist eine Sprache. Alles, was die Menschen bewegt, zeigt sich zuerst in der Mode der Zeit«, betont daher auch die einflussreichste Mode-Kritikerin unserer Zeit, Suzy Menkes, immer wieder in Gesprächen. Mode und ihr Design sind damit die Avantgarde der Zeit, in der die Szenographie als innovative umfassende Inszenierungspraxis gegenwärtig eine wichtige Allianz und ein nicht unbedeutendes Wirkungsfeld gefunden hat. Während sich jedoch viele Kritiker mit ihren Blogs und Onlinemagazinen inzwischen insbesondere auf die popkulturellen Alltagsinszenierungen der Mode durch ihre Anhänger, die sogenannten Fashionistas, auf den Straßen der großen Metropolen konzentrieren, fokussiert die vorliegende Darstellung zum Scenographic Fashion Design außerhalb dieser schnelllebigen Streetstyles und medialen Hypes mehr den kommerziellen Bereich der professionellen Präsentation und ökonomischen Promotion: Von der Architektur und dem konventionellen Retail Design Store mit seiner Ausstattung und den immer noch obligatorischen Waren-

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schaufenstern, vom klassischen Catwalk bis hin zum szenographierten Runway und zur thematischen Scenographic Fashion Show respektive zum popkulturellen Fashion Campaign Film wird in einer kursorischen Überblicksdarstellung damit ein weiter, übergreifender Bogen gespannt, der die derzeit wichtigsten Betätigungsfelder der Szenographen mit Willen zum Branding absteckt. Am Beispiel der szenographischen Inszenierung von Mode und ihrer Marken soll damit auch eine besondere Entwicklung in der jüngeren Design-, respektive Kulturgeschichte aufgezeigt und thematisiert werden, in der vormals strikt voneinander getrennte klassische Gestaltungsbereiche und Formgebungen nunmehr wirkungsvoll zusammengehen und künstlerisch-gestalterisch miteinander verschmelzen: Architektur und Ausstellungsdesign werden heute anhand dieser aktuellen neuen Formate des ganzheitlichen und nachhaltigen Präsentierens und Exponierens von Mode sowohl von Elementen des Theaters und der Bühne, des Film-Setdesigns als auch der Performance Art10 und des Happenings, der Installationskunst und des Sounddesigns vollends konzeptuell durchdrungen. Museen, Galerien und Kunstinstallationen können heute beispielsweise als attraktive Sets für Fotoshoots und Modepräsentationen dienen und umgekehrt ziehen Kunstpräsentationen wiederum immer häufiger in die Flagshipstores und Cultural Spaces der großen Luxusmarken ein, wie die Art Foundations/Spaces vieler großer Luxusmarken am Beispiel von Cartier, Trussardi, prada, Louis Vuitton, Zegna u. v. m. oder gerade auch einzelne künstlerische Unternehmungen und Aktivitäten im Bereich des kulturellen Sponsorings immer wieder demonstrieren: Während beispielsweise die ereignishafte Fourth Plinth Installation, Powerless Structures, Fig. 101 des Künstlerduos Elmgreen & Dragset am Londoner Trafalgar Square 2012 bis 2013 noch von der Luxusmarke Louis Vuitton klassisch gesponsert wurde und eine kleinere Version ihres beliebten Rocking Horse mit anderen aktuellen Installationswerken im Londoner Louis Vuitton New Bond Street Maison ausgestellt wurde,11 nutzten die beiden Fotografen Sylvie Zijlmans und Howard Jongenelis im September 2011 Elmgreen & Dragsets damals in Rotterdam aufgebaute Großinstallation The One and the Many als exklusive Location und dramaturgische Kulisse für eine fotografische Modestrecke mit Filmstillcharakter (Abb. 1).12

10 ��������������������������������� Vgl. hierzu auch Re�������������� becca Waibel: Wie Mode in Szene gesetzt wird. Die Modenschau als Performance-Kunst, Saarbrücken 2011. 11 Siehe online www.wallpaper.com/fashion/elmgreen-dragset-at-the-louis-vuitton-new-bondstreet-maison-london/6071 (letzter Zugriff: Juli 2015). 12 Siehe online www.wallpaper.com/video/fashion/the-making-of-the-september-fashion-storywrong-turn-w–150/1100197338001 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Abb. 1: Sylvie Zijlmans/Hewald Jongenelis: Fashion Story Wrong Turn. Editorial for Wallpaper* Magazine in the Elmgreen & Dragset Exhibition The One & The Many in der Submarine Wharf, Rotterdam; Ausgabe September 2011

Artdirector, Scene Designer, Szenographen und Showproduzenten agieren dabei gegenwärtig immer häufiger wie Filmregisseure und erzählen Geschichten. Nicht umsonst erhielt der bekannteste und derzeit erfolgreichste Scenographic-FashionShow-Designer Alexandre de Betak (Bureau Betak, Paris13), der Mann hinter den traumhaften Victoria’s Secrets-Schauen, auch den Beinamen ›the Fellini of Fashion‹. Eventdesigner und Showproducer wie er definieren ihr Selbstbild als Creativedirector heute nicht mehr allein nur aus der klassischen Rolle von Schöpfern und Kreateuren, sie gestalten und verkaufen nicht mehr allein nur Artefakte und Produkte, sondern vielmehr gerade über den Einsatz von inszenierten Narrativen und visuellen Effekten vor allem Emotionen und Atmosphären, die ihre Adressaten zu einer weiteren Handlung motivieren, d. h., sie initiieren und generieren besondere Erlebnisse und Emotionen, Erfahrungen und Erkenntnisse, um letztlich so die Angesprochenen dann auch zu einem aktiven Konsum positiv zu animieren. In der Rezeption adressieren nämlich die Effekte der Szenographie stets strategisch die Affekte der Adressierten, die wiederum zu aktiven Reaktionen und weiteren Handlungen motiviert werden. Szenographisch inszenierte Modenschauen sind dabei als taktisch hergestellte Verknüpfungen, Verbindungen, Verflechtungen und Verschränkungen gestalterischer, dramaturgischer und architektonischer Entscheidungen zu verstehen, die insgesamt einen besonderen atmosphärischen Raum erschaffen, der über seine totale Gesamtästhetik die darin Zusammentreffenden als Erlebnis­ gemeinschaft rituell zusammenführt und körperlich-sinnlich affiziert. Nicht von ungefähr sehen daher auch viele im barocken Gesamtkunstwerk neben der Installationskunst eine der wichtigsten historischen Wurzeln für eine effiziente Sze13 Siehe hierzu die diversen Projekte des äußerst vielbeschäftigten und erfolgreichen Bureau Betak online unter http://blog.bureaubetak.com (letzter Zugriff: Juli 2015).

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nographie der Nachmoderne. Wir erleben dabei auch hier auf diesem neuen, sich professionialisierenden Feld des kommerziellen Marketings und szenographischen Brandings die strategische Ausweitung einer wirkungsvollen Inszenierungssphäre vom realen in den virtuellen Raum hinein, in der unter einer gegenwärtig globalisierten und technologisch vernetzten medialen Gesamtsituation die unterschiedlichsten Kommunikationsformen und verschiedensten Werbeformate im digital gestreamten ereignisvollen Event taktisch miteinander verbunden werden und nunmehr ästhetisch effektvoll gekoppelt sind: Eine spektakulär szenographierte Fashionshow als exklusive Schau vor Ort für nur wenige geladene wichtige Livegäste wird heute beispielsweise gleichzeitig für ein breiteres Fanpublikum als Livestream im Internet übertragen14 und danach noch lange als Voll-Doku und nachbearbeiteter Catwalk-Film auf den hauseigenen Label-Websites weltweit gratis zum wiederholten Anschauen zur Verfügung gestellt. Dies führt gleichzeitig zu einer Demokratisierung in der Wahrnehmung und Erfahrung, Vermittlung und Kommentierung kultureller Produktionen. Zugleich mit Zusatz-Features wie beispielsweise Backstage-Reports, Interviews und Kommentaren aufbereitet und auf beliebten Social-Media-Plattformen des Internets instant gepostet, in beliebten Modeblogs und einschlägigen Online-Fashion-Magazinen als Nachricht weiter lanciert, von analogen Print-Kampagnen wie offiziellen Campaign Images begleitet oder als Lookbook auf speziellen Apps digital offeriert und fast immer freilich mit nachgeschalteter direkter Weiterleitung zu einem Onlineshop oder Virtual Flagship Store des jeweils global agierenden Modelabels im Internet, werden neue modische Strömungen heute fast instant zur Präsentation für den Konsum abrufbar. Eine Konsumation noch vor der Produktion. Der US-amerikanische Modedesigner Tommy Hilfiger ließ beispielsweise in den weltweiten Live-Broadcast seiner Fashionshow Fall 2015 via Internet simultan zu den diversen Kameraeinstellungen mehrere vorbereitete Werbebanner mit der simultan in der Modenschau vorgeführten neuen Kollektion schalten, die für die Zuschauer im Netz – quasi direkt vom Laufsteg weg – auch gleich online im Internet zu bestellen waren. Dafür musste nur ein »get it now«-Button auf derselben Website geklickt werden (Abb. 2). Zum langjährigen charakteristischen Markenzeichen und Unique Selling Point der Tommy-Hilfiger-Mode gehören bekanntlich die Farben der US-Flagge, Blau-Weiß-Rot, sowie ein gepflegter US-College bzw. Preppy-Style, wie er in den 1970er-Jahren durch den weltweiten Filmerfolg Love Story (Regie: Arthur Hiller; 1970) populär wurde. Für das 30-jährige Jubiläum seines international erfolgreichen Unternehmens adaptierte die US-Modemarke den Filmtitel im Motto An American Love Story für ihre aufwendige Fashionshow, die in der New Yorker Park Avenue Armory stattfand. Diese signifikante Ästhetik und 14 ������������������ Vgl. Alicia Kühl: Please Take Your Seat and Enjoy The Show! Über das Live-Streaming von Modeschauen, online unter www.modabot.de/please-take-your-seat-and-enjoy-the-show-ueber-daslive-streaming-von-modenschauen (letzter Zugriff: Juli 2015).

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stilistische Anleihe der weltweit bekannten US-Marke wurden – kurz nach dem medialen Jahresereignis, dem Super Bowl, stattfindend – mit einem typisch USamerikanisch-spektakelhaften Setdesign, einem reinszenierten riesigen AmericanFootball-Feld, markant verschränkt. Das zitathaft gewählte ikonische Setdesign verstärkte dabei visuell die popkulturell-patriotische Grundstimmung, die in den USA schließlich immer auch zum Konsum gehört. Szenographie – ob nun real oder nur virtuell erfahren – schafft so Aufmerksamkeit und Interesse durch bewusste Emotionalisierung und aktiviert im besten Fall dann aber auch zu einer aktiven Kaufentscheidung und -handlung. Dafür wurde die assoziativ arbeitende reale Szenographie vor Ort überdies virtuell ergänzt bzw. digital erweitert, wie international führende Modemagazine wie die Vogue instant von der New Yorker Fashion Week auf ihren Websites herauszustreichen wussten: In den USA ist die Collegekultur auch immer mit Sport verbunden, wer in die Eishockey-, Football- oder Schwimmmannschaft aufgenommen wurde, spielt dort auch heute noch eine große Rolle. Sportliche Anleihen sind daher auch essentiell in Tommy Hilfigers Kollektion, vor allem verkörpert in sogenannten Varsity Jackets, die sowohl aus Satin oder Leder[,] aber auch abgewandelt mit Pelz vorkommen; ebenso die Farbgebung in typischen Sport-CollegeFarben, etwa Bordeaux oder Senfgelb – [E]rsteres ist die Farbe von Harvard, der Elite-Uni, an der sich in ›Love Story‹ Jennifer und Oliver kennenlernen. […] Der Preppy-Stil bildete sich in den späten 60er-Jahren aus – weil in dieser Zeit erstmals überhaupt die kulturelle Rolle der Studentenbewegung Bedeutung erlangte. Gleichzeitig ist Tommy Hilfigers Mode untrennbar mit dem Begriff Preppy verbunden und wird seit 1985, als er seine Marke offiziell nach einer früheren Insolvenz gründete und zu großem kommerziellem Erfolg führte, damit assoziiert. Der Preppy-Stil als Unique Selling Point kann sogar als Grundlage für Tommy Hilfigers Erfolg gewertet werden. Mit seiner Kollektion begibt sich Tommy Hilfiger also sowohl zu seinen persönlichen Wurzeln und dem kulturellen Studenten-Nährboden, der ihn so beeinflusste, zurück als auch zum Kern seines Erfolges. Dementsprechend nannte er seine Kollektion eine »Liebesgeschichte für die Frauen meiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft« und eine »Reflektion auf das 30-jährige Erbe von Tommy Hilfiger« – diese Saison ist also auch aufgrund seines Jubiläums so bedeutend für Tommy Hilfiger. Die Umsetzung seiner Fashion Show hätte sich Tommy Hilfiger so in den 70er-Jahren jedoch noch nicht erträumen können: Eine digitale Vorreiterrolle einzunehmen und neue technische Möglichkeiten mit offenen Armen zu empfangen, ist essentiell für ihn geworden – ›so bleibt die Marke relevant, modern und frisch‹, sagte er im Gespräch mit VOGUE. Dementsprechend offen und spielerisch geht er damit um, das beste Beispiel diese Saison: Der »Twitter Mirror«, auf dem Backstage die neuesten Tweets (und Porträts der geladenen Gäste!) mit dem Hashtag #TommyFall2015 in Echtzeit einliefen – die Postings erreichten schon bis kurz nach der Show 41 Millionen Views. Außerdem wurden schon während des Livestreams der Show zwei Teile der Kollektion eingeblendet, die ab dem Moment, in dem sie auf dem Laufsteg zu sehen waren, unter tommy.com/runwayexclusive limitiert zu haben sind: ein Varsity Sweater mit V-Ausschnitt und eine Lederclutch in fünf verschiedenen Farben. Tommy Hilfigers Ansatz passt genau in die Zeit, in der wir leben: Modisch bewegen wir uns im Gestern, die Kombinationen mögen vielleicht neu sein, aber eigentlich war alles schon einmal da – aber was digital morgen passiert, das kann heute noch niemand wissen.15 15 Siehe Kommentar der deutschen Vogue: Tommy Hilfiger. »An American Love Story«: Zum 30-jährigen Jubiläum seiner Marke greift Tommy Hilfiger den Film von 1970 und Ali MacGraws Stil darin auf (16. Februar 2015), online unter http://www.vogue.de/fashion-shows/new-york-fashion-week/

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Abb. 2: Tommy Hilfiger Fall 2015, New York City, 16. Februar 2015, Screengrab des Live Broadcasts der Fashionshow im Internet mit »get it now«-Button

Darüber hinaus archivieren viele internationale Mode-Labels und Brands ihre Scenographic Fashion Shows nachträglich auch in digitaler Form noch lange auf ihren eigenen Websites und Homepages im Internet. Diese virtuelle Dauerpräsenz in den neuen digitalen Medien durchkreuzt in gewisser Weise dann aber auch das Prinzip der inhärenten Saisonalität und schnellen Vergänglichkeit und ästhetischen Flüchtigkeit der saisonalen Mode. Es forciert jedoch zugleich ihre Transformation von einem alltäglichen funktionalen Gebrauchsgegenstand mit begrenzter modischer Aktualität hin zu kulturellen Artefakten mit signifikantem symbolischen Mehrwert, die dem Anspruch nach ewigen Kunstwerken mit universaler Bedeutung, hoher Reputation und dauerhafter Distinktion nachkommen. Letztlich strebt auch das neue Scenographic Fashion Design heute nach Ereignissen mit Sinn und Bedeutung, die von den Teilnehmern als unvergessliche und denkwürdige einmalige Erlebnisse empfunden werden. Der gestalterische wie künstlerische Aufwand, der dafür mit immer mehr szenographischen Details und größeren Raffinessen in den Inszenierungen des Modedesigns betrieben wird, dient nicht zuletzt neben dem pragmatischen ökonomischen Interesse und wirtschaftlichen Hintergrund idealiter auch gleichzeitig der globalen Kommunikation dieses Anspruches, einerseits mit dem Entwurf und der Konzeption der semiotisierten Kleidung und ihrer inszenierten Präsentation herbst-winter-2015-16/new-york-fashion-week-februar-2015-tommy-hilfiger (letzter Zugriff: Juli 2015).

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auch ein einmaliges vergängliches Ereignis in Raum und Zeit zu gestalten, das jedoch noch lange im Gedächtnis des Publikums bleibt, d. h. dessen Effekt andererseits dann gerade auch die Dauer und Nachhaltigkeit sind, und wie die Kunst ein Moment von Transzendenz verspricht. Szenographische Praktiken suggerieren für die angewandte Kunst dann ebenfalls eine gültige universale und inhärente symbolische Bedeutung, wie sie fast immer mit den scheinbar zeitlosen, unabhängigen bildenden Künsten verbunden wird. Szenographie fungiert in der Modewelt letztlich auch als Steigerung der Markenpräsenz, die, visuell gesehen, mit dem Logo-Kult im 20. Jahrhundert beginnt: Diese Abhängigkeit der Mode von ihren Labels zeichnet sich heute auch in ihrem gestalterischen Aussehen ab: Man benutzt das, was sie wiedererkennbar und langlebig macht, auch als Muster bzw. Ornament für die Kleidung selbst. Was einst nur klein auf dem Etikett stand, findet man heute in riesigen Versalien auf den Taschen, Pullis und Basketballkappen. Es bildet nicht mehr nur das Innenfutter, wie in dem 1920 entworfenen Karomuster von Burberrys, oder das kaum sichtbare Unterkleid, wie in dem klassischen Rautenstrick Burlington-Socke, sondern wird auf den omnipräsenten Oberflächen zur Mode selbst. Auch in der Avantgarde kommt man nicht um diese Konstanten herum, wenn man z. B. an das als Anti-Logo gedachte Heftfadenkreuz von Martin Margiela denkt.16

Stoffe und Textilien bergen selbst somit ebenfalls Texte, die als Skripte szenographisch übersetzt werden können. In die charakteristische Flüchtigkeit und Wandelbarkeit der Mode werden nunmehr bezeichnenderweise über ihre besonderen Inszenierungspraktiken gleichzeitig auch zunehmend dauerhafte Konzepte, symbolischer Mehrwert wie hoher Wert, wie wir sie bislang nur vorrangig aus den symbolisch-orientierten bildenden Künsten kennen, eingewirkt. Diese Überkreuzung und Synthetisierung der in der Moderne bislang getrennten Kategorien Kunst und Design werden in und mit der neuen Szenographie, wie hier im Laufenden noch an ausgewählten Beispielen aus dem Bereich der Mode aufgezeigt werden soll, häufig ver-, respektive bestärkt. Viele Details der Entwürfe und saisonalen Looks einer thematischen Kollektion eines internationalen Modelabels lassen sich überdies heute augenblicklich, nachdem die (exklusive) spektakuläre Modenschau vor Ort mit der Vorführung von Showpieces gelaufen ist, von allen weltweit im Internet wie beispielsweise in mit Zusatz- und Hintergrundinformationen bespickten Motion-Lookbooks nochmals ausführlicher und genauer betrachten wie auch kommentieren. Diese für das Design und die angewandte Kunst völlig neuen Betrachtungsmodi sind dafür oftmals noch in unterhaltsame erzählerische wie kulturell komplexere Zusammenhänge mit größerer Assoziationsvielfalt eingebettet, was das Interesse an die Aufmerksamkeit bindenden Analysen und kritischen Kommentaren noch weiter befördert. Die Exklu16 Annette Geiger: Mode und Zeit. Unmögliche Gegenwart als Prinzip. In: kunsttexte.de, Kunst­ Design-Themenheft 2: Kunst und Mode, hg. von G. Jain, 2011, online unter http://edoc.hu-berlin.de/ kunsttexte/2011-4/geiger-annette-4/PDF/geiger.pdf (elf Seiten, S. 3; letzter Zugriff: August 2015).

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sivität der Mode wird somit durch multimediale szenographische Inszenierungen mit hohem Fiktionswert graduell in verschiedene sinnliche Übersetzungen gebrochen und zugleich in eine neue verbindende soziale Kommunikation gewandelt, die heute von vielen unterschiedlichen Akteuren eines sich mit den neuesten Kommunikationstechnologien selbst formierenden Netzwerkes – siehe beispielsweise die boomende Bloggersphäre des Internets – in Gang gebracht wird. Entgegen der immer noch vorherrschenden Meinung einer pessimistischen Kulturkritik erfahren sich die Konsumenten 2.0 der digitalen Ära heute dann nicht mehr nur als verführt und passiv, sondern stehen einer überwältigenden Konsumwelt zunehmend wählerisch, selektiv respektive kuratorisch und ko- oder rekreativ gegenüber, was sich im täglichen performativen Akt des Auswählens, Aneignens, Zeigens und Bekennens ausdrückt. Bei den jüngeren Social Influencern und Modebloggern etwa, den selbst erklärten neuen Peers des Modischen, die von den internationalen Modeunternehmen und etablierten Marken inzwischen durchaus als ›Fashion Influencer‹ respektiert (und manchmal auch gesponsert) werden, geht dies letztlich hin bis zum demonstrativen Kuratieren, offensiven Präsentieren und kreativen Neukombinieren von Modemarken auf eigens dafür geschaffenen, eingerichteten und gepflegten digitalen Kommunikationsplattformen. In diesen Prozessen der aktiven wie kreativen Aneignung kommt es überdies heute auch zu einer individuell umgestaltenden Aneignung von vorgegebenen modischen Konsumprodukten. Markenprodukte werden u. a. unterschiedlich miteinander kombiniert, subkulturell verändert, euphorisch zum IT-Piece gehypt oder mit individuellen Veränderungen adaptiert. Darüber hinaus treten die von der Markt- und Trendforschung beobachteten Konsumenten 2.0 heute schließlich auch bei der ästhetischen Produktgestaltung ko-kreativ und partizipativ immer stärker in Erscheinung und gewinnen dabei an Bedeutung wie Einfluss. An dieser Stelle gilt es auch auf eine Beobachtung von Andreas Reckwitz hinzuweisen, der in seiner Veröffentlichung Die Erfindung der Kreativität bereits erwähnt hat, dass das moderne Modesystem selbst längst als ein Knotenpunkt unter vielen in der ästhetischen Ökonomie aufgegangen ist, in der die Grenzen zwischen Mode, Design, Werbung, Medien, Kunst, Starsystem und Verkauf fließend geworden sind. Charakteristisch für diese Grenzüberschreitungen ist, dass sich die großen Modeunternehmen seit den 1960er Jahren in Richtung allgemeine Designund Lifestylekorporationen weiterentwickelt haben.17

Die technologisch vernetzte und globalisierte Medienwelt nach der digitalen Revolution erschließt sich des Weiteren neue Felder maßgeblicher (Re-)Präsentationsformen und wirkungsvoller Inszenierungsstrategien im realen wie virtuellen Raum, denn: 17 Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin (Suhrkamp) 2012, S. 171.

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Von besonderer Komplexität entwickelt sich die Beziehung der verschiedenen Medien zuund untereinander in ihrer gegenseitigen Dynamisierung. Die Entstehung neuer Medien, die technische Perfektionierung und der Ausbau existierender Medien bedeuten folglich nicht nur eine einfache Multiplizierung, sondern sie gestalten das Gefüge der Medien um und verändern damit die Wirkungen und Reichweite ihrer Botschaften. Zwischen den Medien entfaltet sich ein intermediales Bezugssystem, das durch gegenseitige Verweise und verschiedene mediale Techniken bei einem neuen Medium die Bedeutungen der zu vermittelnden Inhalte neu aushandelt, ihre Platzierung im Gefüge der Medien anders bestimmt und daraus neue Topoi entstehen lässt. Vor allem richten sie einen veränderten Blick auf die vermittelten Objekte und Inhalte. Die Mode scheint von diesem Wechsel der Medien besonders betroffen. Sie hat durch ihre enge Interaktion mit Medien eine Ordnung besonderer Art und ein differenziertes Beziehungsgefüge herausgebildet. Denn Modekulturen liefern starke Bilder, ja Bildwelten, die in einem ständigen Transfer stehen und heute mit der globalen Bildwelt eng vernetzt und verknüpft immer neue Bildfusionen erlauben.18

Mode, Marken und ihre vielfältigen Inszenierungen forcieren daher gleichzeitig auch weitere medientechnologische Innovationen wie etwa die Entwicklung von technischen Add-ons wie Apps für iPhone oder iPad oder beispielsweise interaktive Virtual Catwalks im World Wide Web (siehe hierzu das innovative Projekt von Nicola Formichetti für Thierry Mugler19) ganz entscheidend mit. Die Notwendigkeit der Präsenz von gut gestalteten Websites und interaktiven Homepages (sogenannten digital flagship stores) für die Selbstdarstellung und Selbst(re-)präsentation der Creative Industries wird so durch einhergehende technologische wie soziale Entwicklungen in neue Dimensionen und stark hybridisierte Dispositive weitergeführt. Dabei entsteht aus diesen medialen Supplements für die werbende Inszenierung eines modernes Gestaltungsprodukts heute ein enges relationales und rekursives Beziehungsgeflecht mit den Medien und ihren Nutzern, das heute überwiegend szenographisch formatiert und ästhetisch vernetzt ist. Inmitten darin findet sich dann auch die Zielgruppe des zeitgenössischen Modedesigns in der Rolle von aktiven wie kreativen Konsumenten wieder – unversehens staunend, in stark partizipative oder interaktive, zumindest aber neuartige konsumtive Rollen involviert, denn jede Szenographie stellt idealerweise stets den Rezipienten in ihren Mittelpunkt (Abb. 3). Das neue Scenographic Fashion Design befördert hierin auch den Rollenwechsel des modernen Konsumenten vom passiven Käufer hin zum aktiv mitgestaltenden Prosumenten sowie in den Werbeformaten vom passiven Rezipienten zum aktiven Partizipienten. In der Rolle als wählerischer Kunde und kritischer Konsument in einem globalisierten Markt und Wettbewerb der Güter vermag er sich dabei heute noch gleichzeitig im Sinne eines Kritikers in die Rolle eines einflussreichen Modebloggers, aber auch zum gehörten Opinion-Former und Pro18 Gabriele Mentges/Gudrun M. König: Modegeschichte als Mediengeschichte. In: Dies. (Hg.): Medien der Mode, Berlin 2010, S. VII–VIII. 19 Siehe online www.dazeddigital.com/fashion/article/11729/1/nicola-formichetti-exclusive-virtualcatwalk-documentary (letzter Zugriff: Juli 2015).

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duct-Peer in einer modernen Gestaltungsdisziplin in der Funktion als kreativer Mitgestalter emanzipieren.

Abb. 3: Diamond of Suspense, Skizze von Uwe R. Brückner (2013), Atelier Brückner, Stuttgart

Scenographic Fashion Design ist daher heute im Wesentlichen als ein dialogischer Vermittler und Förderer kreativer Ko-Produktionen zwischen klassischen Designern und jenen, die darüber intensiv kommunizieren und die ästhetische Produktion affirmativ weiterempfehlen, im idealen Fall auch selbst glaubhaft konsumieren bzw. im Alltag authentisch performen, zu verstehen. Zudem immer mit einem inhärent demokratisierenden Anspruch, denn in Zukunft werden wohl auch nicht mehr nur allein professionelle Kritiker, journalistische Feuilletonisten und angestellte (Bild-)Redakteure von Fachmagazinen über die Distribution und Sichtbarkeit der jeweiligen Entwürfe und Kollektionen auf dem weiten Feld des zeitgenössischen Modedesigns im Anschluss an eine erste Präsentation entscheiden, indem nur sie allein die Auswahl bestimmen. Szenographie exkludiert nicht, sondern inkludiert, obwohl sie sich in der Regel an eine definierte Zielgruppe richtet und damit eine sozial wirksame, verbindende Gruppierung herstellt. Sie kann dabei zugleich als ästhetischer Knotenpunkt und integrierender Vermittler mehrerer Interessen gleichzeitig verstanden werden – wie beispielsweise mithilfe einer Scenographic Fashion Show: The shows may no longer be purely a device to present what will be in stores in six months’ time, but a new purpose has emerged: the show has become a hub that serves as an opportunity for all facets of the industry to meet and swap ideas and gather a collective on the season. »Personally I find it extremely valuable when buyers and editors mix –

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there’s great interaction and learning to be had discussing the mood of the season,« agrees Ruth Chapman, CEO of Matchesfashion.com. »Furthermore, the collections are a great forum for me to watch fashion insiders to see what they’re wearing and how. Several trends start here for us. This global gathering generates theatre and drama, and via street-style photography it engages and inspires our customers, too.«20

Gleichzeitig ist dann fast immer, wenn beispielsweise eine Scenographic Fashion Show besonders originell und spektakulär verläuft, auch eine kostenfreie weltweite mediale Berichterstattung für eine Modemarke garantiert. Sie zieht außerdem ein durch die begeisterten Markenfans selbst vorangetriebenes virales Marketing über die unbegrenzten neuen technologischen Kommunikationsmöglichkeiten nach sich, etwa durch Posts der Fashion Aficionados auf ihren Modeblogs oder auf den heute ubiquitär zur Verfügung stehenden einschlägigen Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter. Selbst für viele exklusive Luxusmarken bedeutet dieses Breitenphänomen heute ein lukratives und durchaus günstigeres Geschäft im Vergleich zu der konventionelleren, kostenintensiven Platzierung teurer konventioneller Werbekampagnen in den dafür speziell zur Verfügung stehenden klassischen Fachmagazinen und alten analogen Print-Medien.21 Diese älteren etablierten Kommunikationsmedien mit ihren tradierten spezifischen Inszenierungsformen (z. B. editorials) verlieren aber zunehmend an Verbreitung und damit auch an Bedeutung. Klassische Fotostrecken im analogen Print, die Mode unbewegt inszenieren, müssen nicht zuletzt daher heute durch exklusive Kollaborationen mit ausgewählten zeitgenössischen Künstlern symbolisch aufgewertet werden: Siehe beispielsweise die von Marc Jacobs initiierte gemeinsame Werbekampagne des Hauses Louis Vuitton mit dem in der Kunstwelt international respektierten Konzeptkünstler Daniel Buren für die Spring/Summer 2013-Kollektion, die mehrere stilistische Signaturen künstlerisch-gestalterisch zu einem visuellen Ereignis verwebt.22 (Abb. 4) Denn die Buren’sche Inszenierung der geometrisierenden Marc-JacobsEntwürfe für eine spektakuläre Fashionshow im Pariser Louvre wie in mehreren Anzeigenkampagnen nahm nicht nur intermedial Bezug auf Diane Arbus’ berühmte Zwillingsfotografien, sondern überblendete im Sinne eines Co-Brandings die eigene charakteristische künstlerische Signatur geschickt mit einem ikonischen Markenzeichen von Louis Vuitton, während das Seriell-Repetitive in ihrem stilistischen Minimalismus noch an eine industrielle Warenproduktion erinnerte: 20 Sarah Harris: Show Business: Are Fashion Shows Still Relevant? In: BoF v. 8. January 2014, online unter www.businessoffashion.com/2014/01/show-business.html (letzter Zugriff: Juli 2015). 21 Vgl. hierzu auch Mark Tungate: Communication via Catwalk. In: ����������� Ders.: Fashion Brands. Branding Style from Armani to Zara, London/Philadelphia 22008, S. 141–144. 22 Vgl. hierzu auch Annette Tietenberg: Nach allen Regeln der Kunst. In: Stylepark v. 22. März 2013, online unter www.stylepark.com/de/news/nach-allen-regeln-der-kunst/339645 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Abb. 4: Louis Vuitton und Daniel Buren: Spring/Summer Campaign 2013, fotografiert von Steven Meisel; Models: Janice Alida, Athena Wilson, Ruby Jean Wilson, Tian Yi, Nastya Kusakina, Magdalena Jasek and Ji Hye Park »The square and the grid are repeated motifs in Buren’s work while the checks relate to Louis Vuitton’s own geometric Damier pattern,« Jacobs says. »Also, Buren’s famous work is in the centre of Paris, the home of Louis Vuitton, which is at the heart of the house today and throughout its history.« For Buren, who has collaborated with Nina Ricci and Hermès, fashion and art make natural bedfellows. »The world of fashion has a very long history of direct collaboration with the art world,« he says. »I believe that for at least 20  years we have been at the very top level of collaboration between these two worlds.« It was the very ephemeral yet public nature of doing a high-profile fashion show that attracted him to the project. »I think of these works as specific exhibitions that could just as well be shown within a museum or a gallery. The difference is that the exposure given by these fashion houses with a worldwide presence is bigger in public reach than any single museum in the world.«23

Als ein herausragendes Phänomen der gegenwärtigen »Convergence Culture«24 ist das Scenographic Fashion Design wiederum auch durch Kongruenzen wie Konkurrenzen charakterisiert, in der vormals strikt voneinander geschiedene, distinkte moderne Gestaltungsbereiche nunmehr wirkungsvoll zusammengehen und künstlerisch-gestalterisch miteinander eng verschmelzen. So werden auch die statischen Präsentationsräume von Architektur und Innenarchitektur heute mit den 23 Kin Woo: The Joy of Sets, online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/15567/1/the-joyof-sets (letzter Zugriff: Juli 2015). 24 Vgl. Henry Jenkins: Convergence Culture. Where Old and New Media Collide, New York/London 2006.

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neuen szenographischen Formaten des ganzheitlichen und nachhaltigen Inszenierens sowohl von Elementen des Schauspiels und Theaters, der Oper und des Films als auch von der Installationskunst, der Performance, des Happenings und der Choreographie konzeptuell durchdrungen und in dynamische Ereignisräume transformiert, die mitunter wie bei Hussein Chalayan zum visuellen Kommentar von kulturell geschaffenen gesellschaftlichen Verfassungen mit ihren besonderen Geschlechterbildern werden (Abb. 5).

Abb. 5: Hussein Chalayan: Between, Spring/Summer 1998

Medial betrachtet, kommt es dabei im Allgemeinen in der gegenwärtigen Kultur zu erstaunlichen Vermischungen, wechselseitigen Durchdringungen und gegenseitigen Inkorporationen, die zu bemerkenswert neuartigen Dispositiven und spektakulären Displays für Waren und Produkte der Gestaltung führen. Im Besonderen kommt es aber aus der Sicht der Moderne dabei auch zu paradoxen Umkehrungen, wie Alix Browne ein Charakteristikum der Scenographic Fashion Shows bereits beschrieben hat: So repräsentieren szenographierte Modenschauen ein zeitgenössisches Ausstellungsdesign, »wo Schauobjekte sich bewegen und das Publikum nicht«, während dagegen in anderen Ausstellungsformen »die Schauobjekte auf der Stelle bleiben und das Publikum sich bewegt«. Insbesondere an den Verbindungen, Schnittstellen und Knotenpunkten der kreativen Disziplinen finden sich dann wiederum neue ökonomische Formate und sinnlich aufregende neuartige Repräsentationsmodi, die in unserer allgegen-

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wärtigen Inszenierungs- und Erlebniskultur die Präsentation (Zeigen/Ausstellen) innovativ mit der Narration (Erzählen/Aufführen) verknüpfen. Oder einfacher formuliert mit den Worten von Marc Jacobs, dem ehemaligen Chefdesigner von Louis Vuitton: Die Leute erwarten heute generell eine Show, die ihren Namen immer auch verdient und das Publikum dabei hauptsächlich unterhält bzw. zum Staunen bringt. Neben diesem heute zu erwartenden, nicht unwesentlichen Unterhaltungs­ aspekt vergegenwärtigt, übersetzt, steigert und vermittelt ein effektives Scenographic Fashion Design als effizientes Branding Tool der Zeit darüber hinaus die gestalterische Vision des jeweiligen Modedesigners für ein breiteres Publikum. Es wirkt darin als sinnlicher Verstärker, origineller Übersetzer und ästhetischer Vermittler, das jeweils die gestalterische Vision und das thematische Konzept eines Modedesigners durch kongeniale Inszenierungsstrategien und -praktiken optimal maximiert und dem Rezipienten als Partizipienten körperlich-sinnlich erlebbar zum Ausdruck bringt. Szenographie, als »synästhetische Übersetzung« und »holistische Inszenierungspraxis« (sensu Uwe R. Brückner, Atelier Brückner) verstanden, vermittelt daher mit allen Mitteln der sinnlichen Adressierung und verbindet dabei nachhaltig durch Emotionalisierung und geteilte Narrative. Selbstreflexiv und selbstbewusst demonstriert die szenographierte Inszenierung der Mode und ihrer Marken heute darin, dass sie nicht nur kurzfristige Styles und Hypes kreiert, sondern immer auch jeweils ein bestimmtes Lebensgefühl in ihrer Zeit entwirft, den Konsumenten mit einem ganzheitlichen Lifestyle beliefert. Umgekehrt kauft der Konsument heute auch nicht mehr nur einzelne neue Produkte, sondern bedient sich dabei immer wieder ganzer neuer Stile, die zur temporären Bühne der Selbstinszenierungen und zum ästhetischen Ausdruck der Verfasstheit seines kulturellen Lebens werden: Instead of buying a new dress or pair of shoes, consumers update entire lifestyles. Life as style is the capitalist reformulation of the avant-garde merging of art and life. But if the avant-gardist ultimately imagined the destruction of art – art subsumed by life – the logic of lifestyle transforms life itself into an aesthetic project. The applied arts, the trappings of everyday life, acquire the characteristics of »fine« art. A building is a work of art. A handbag is a work of art. It is these works that are most active in the public consciousness today.25

Diese wirkungsvolle Sprach- und Ausdrucksfähigkeit der sich schnell wandelnden und wechselnden Mode wird insbesondere in die jeweilige Modemarke als konstante, wiedererkennbare Identität eingeschrieben, um deren effektives Branding und Marketing es letztlich und langfristig eigentlich stets geht, wie auch der renommierte französische Szenograph und Show Produzent Alexandre de Betak 25 ����������������������������������������������������������������������������� Dreaming in Trends. Michael Wang on the Louis Vuitton Foundation, Paris. ���� In: Texte zur Kunst, H. 99: Fotografie v. September 2015, online unter www.textezurkunst.de/99/dreamingtrends (letzter Zugriff: September 2015).

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(Bureau Betak) bekennt, der seine langjährige kreative Arbeit an der erfolgreichen Konzeption und Entwicklung von Scenographic Fashion Shows wie folgt auf den Punkt bringt: [I]t’s about analyzing the person, the brand, and the company you work for, and trying to use your objectivity and knowledge to tell them what they should do to be more »them«. My job is to advance the inner qualities of the brands we work with. It’s just a subtle exercise in taking everything you have to make the brand be everything they are.26

Scenographic Fashion Design erfüllt hier folglich mehr als nur seine primäre Funktion im Zeigen, Ausstellen, Vorführen, Präsentieren und Inszenieren; es schafft vielmehr durch szenische Displays, originelle Formate und spektakuläre Dispositive auch erzählerische Ereignisszenerien und emotionalisierende Atmosphären. Es stellt so beispielsweise eine besondere Verknüpfung her zu einem mit der Mode jeweils eng verbundenen Körpergefühl oder aktiv handelnden Körperbild, das wiederum jeweils einen spezifischen kulturellen Lebensstil assoziiert wie konnotiert. Die subtilere sekundäre Funktion des Scenographic Fashion Designs ist es somit, vielmehr über künstlerisch-gestalterische Elemente und ihre Effekte affizierend ihr Zielpublikum zu erreichen. Scenographic Fashion Design liefert dafür beispielsweise visuelle Erzählungen, die responsive Emotionen stimulieren. Die über die rein pragmatische Primärfunktion hinausgehende dramaturgisch szenographierte Inszenierung der Mode und ihrer Marken, etwa bei ihrer premieren Erstpräsentation auf dem Laufsteg, bietet dann eine multisensuale Potenzierung und virtuose sinnliche Pointierung ihrer Semiotik in szenisch verdichteten Bildern und hoch ästhetisierten Raumkonstruktionen, deren Effekte letztlich strategisch die Affekte der Zuschauer adressieren wollen. Diese sind räumlich-szenisch wie dramaturgisch-choreographisch immer strategisch auf alle Sinne der am Ereignis partizipierenden Zuschauer ausgerichtet. Im Zusammenspiel von auf der eingerichteten Schaubühne präsentierten Schlüsselreizen und der Einbildungskraft des Publikums entfaltet sich danach eine wirkungsvolle Maschinerie des Verführens und Begehrens. Mode liefert dabei im Saisontakt immer wieder neue Objets du désir respektive Must-haves, die erst über eine ganzheitliche Inszenierung ihre volle Wirkung als über das Notwendige hinaus Begehrenswerte entfalten. Aufgabe des neuen Scenographic Fashion Designs ist es jedoch, nicht nur Aufmerksamkeit und Interesse dafür zu schaffen, sondern schließlich beim Zuschauer Affekt und Kognition auch so zu stimulieren, dass am Ende beim Adressaten immer tatsächlich auch ein Erwerb des als so begehrenswert Präsentierten in Erwägung gezogen wird, d. h. die Bereitschaft zum aktiven Konsum taktisch vorbereitet wird. Im ide26 Alexandre de Betak, zitiert nach Sofia Cavallo: OC x PFW: Alex de Betak, the Man behind the Shows (3.10.2012), online unter www.openingceremony.us/entry.asp?pid=6546&utm_ source=facebook&utm_medium=social&utm_campaign=fb_100312 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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alen Fall maskiert diese Form der Generierung und Intensivierung von Begierden über die eigentlichen Bedürfnisse hinaus geschickt ihre kommerziellen Hintergründe und wirtschaftlichen Zielsetzungen als die eigentliche kreative Triebfeder. Kreativität führt nicht nur zu Produktivität, sondern versteht sich hier selbstverständlich in Kombination mit Profitabilität. Ohne den freien Markt einer konsumistischen Warenkultur und eines kapitalistischen Wettbewerbs wären szenographische Praktiken in der Konsumkultur schließlich kaum wirklich denkbar, denn es geht dabei immer auch um einen ökonomischen Wettbewerb aus der besten Aufmerksamkeitsgenerierung und sinnlichen Verführung. Zugleich wird das fetischisierte Objekt der Warenkultur im szenographierten Ereignis noch aufgewertet zum Quasisubjekt, mit dem man eine erlebnishafte Begegnung haben kann. Mode und Modemarken treten dabei als körperschaftliche Akteure wie Persönlichkeiten und Stars mit Charisma auf die Bühne des globalen Wettstreits. Aber erst über ihren Erwerb und aktive Aneignung werden sie dann schließlich so richtig und ›hautnah‹ erlebbar. Dabei wird das apodiktische Designcredo der Moderne, form follows function, in der technologisch vernetzten und digitalisierten Gegenwartskultur einer globalisierten Medienlandschaft aus Show und Unterhaltung immer mehr durch ein form follows narration, form follows emotion oder form follows sensation als neues vorherrschendes Paradigma abgelöst. Auch die Gestaltung ist nach der digitalen Revolution im 21. Jahrhundert heute bei einem Über-Design angekommen, in dem die Gestaltung des Immateriellen, des Images und Prestiges, wichtiger als die des noch Materiellen wird. Scenographic Fashion Design ist in der globalen Modewelt eine Begleiterscheinung und besondere Variante dieser neuen Hypergestaltung eines postindustriellen Zeitalters. Interdependenzen und hybride Synthesen, die in den vergangenen Jahren aus neuen Konkurrenzen und Konvergenzen der in der Moderne noch unterschiedlichen künstlerisch-gestalterischen Metiers und ihren historisch ausdifferenzierten Disziplinen entstanden sind, lassen sich nun im Folgenden an vielen herausragenden und originellen Beispielen aus den letzten beiden Jahrzehnten aufzählen und in nuce aufzeigen. Scenographic Fashion Design ist darin nur ein anschaulich erfahrbares Beispiel der aktuellen convergence culture; es fungiert hierin in mehrfachem Sinne als wirkungsvolle Agentur, indem es die Disziplin Modedesign in verschiedene bewusst und strategisch inszenierte ganzheitliche Wahrnehmungs- und Erfahrungsmomente übersetzt und gleichzeitig an viele unterschiedliche Rezipienten sinnlich vermittelt – beispielsweise vom jugendlichen, an Mode und Styles generell interessierten Modeblogger bis hin zu den betuchten Käufern von Haute Couture, Highend-Fashion und globalen Luxusmarken. Szenographen, Stylisten, Artdirectors und Show Produzenten kümmern sich daher heute sorgfältig und minutiös mit größtem Aufwand und ausgeklügelter Logistik um die jeweils konsumentenorientierte originelle Inszenierung der

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Modemarken, indem sie beispielsweise ein Aufmerksamkeit schaffendes Thema und ganzheitliches Konzept für ein Fashionshow-Event lancieren und dafür in einem multidisziplinären Team u. a. für die Auswahl einer geeigneten Location, für den Bau eines thematischen Setdesigns, die Auswahl, Bookings und Fittings der Models, ihres Stylings (Haare und Make-up, Schuhe) sowie für die Einladungen und Ticketings und nicht zuletzt auch für Licht und Sound27 zuständig sind. Im logistisch abgestimmten wirkungsvollen Zusammenspiel dieser einzelnen Inszenierungselemente wird heute der Catwalk dann nicht mehr einfach nur mit ein paar Bühnendekorationen be- und ausgeschmückt, sondern als ästhetisch elaborierte und durchdramatisierte Raumkonstruktion für sprachfähige dynamische Performances konzipiert, die jeweils in sich schlüssig und stimmig für die darin präsentierte Kollektion sprechend sind.

Abb. 6: Ermenegildo Zegna: Milan Fashion Show Spring/Summer 2013

27 Auch für den Score der Scenographic Fashion Shows gibt es bereits einige international gefragte Experten und Spezialisten wie Michel Gaubert. Siehe hierzu Sound Checker. Michel Gaubert im Interview (28. April 2015), online unter www.vogue.de/people-kultur/kultur-tipps/michel-gaubertim-interview-sound-checker (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Ein Still aus der Ermenegildo-Zegna-Menswear Fashion Show, Spring/Summer 2013 illustriert beispielhaft das szenographierte Defilee einer Riege von Kultmodels im Mailänder Showroom des Hauses (Abb. 6): Die saisonale Herrenkollektion und das Setdesign spiegeln sich hier im Ornament der entworfenen Stoffmuster rhythmisch gegenseitig wider und bilden somit in nuce einen einzigen ästhetischen respektive atmosphärischen Markenraum, in dem die verschiedenen Gestaltungsdisziplinen durch die Szenographie subtil miteinander verschränkt und verknüpft, und durch einen zusätzlichen assoziativen Soundscape mit dem kongenialen Django-Django-Track Waveforms ebenfalls noch akustisch wie lyrisch verflochten werden.

Abb. 7: Viktor & Rolf: Paris Autumn/ Winter Fashion Show 2009/2010

Selbst der Auswahl des Modeltyps durch das Casting kommt hier immer eine nicht unwesentliche Bedeutung für das gesamte Showevent hinzu: Denn der präsentierte und repräsentierende Körper im Raum als exemplarischer Träger des Modedesigns, respektive der vorgeführte modisch bekleidete Körper in Bewegung, wird gleichrangig neben den Artefakten im Scenographic Fashion Design als bewegtes respektive emotional bewegendes Körperbild rituell auf der Schau-

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bühne gefeiert. Mode und ihre Inszenierungen sind daher immer auch eine luzide Momentaufnahme eines sich in Raum und Zeit, in Kulturen und Epochen stilistisch wandelnden, weil jeweils neu definierten und gestalteten Bildes, das die Vorstellung eines perfekten Körpers wie aktuellen Schönheitsideals in einer Kulturgemeinschaft anschaulich wiedergibt. Überzeitliche Ideale und universale Vorstellungen, was seit der Antike für den westlichen Kulturraum über die Zeiten hinweg als schön und harmonisch gilt, werden dabei als Konstanten in den Varianzen der modischen Strömungen sichtbar und beispielsweise als kulturelle Referenz szenographisch markiert: So säumten für die Autumn/Winter 2009 Fashion Show von Viktor + Rolf Gipsrepliken antikisierender Skulpturen das Bühnenset, während die Models, statuenhaft mit marmorweiß geschminkten Gesichtern, in ihren langen, fließenden und faltenwurfreichen Kleidern weihevoll den Laufsteg abschritten (Abb. 7). Die kommerzielle Sphäre wurde durch diesen kulturellen Habitus nobilitiert und transzendiert. Anstelle der Antike und ihrer Hochkulturen wählte dagegen der Modedesigner Jeremy Scott für Moschino eine Referenz an die Popkultur. Die LowCulture wird ebenfalls für die Highend-Fashion zitierfähig. 2014 ließ die Marke Moschino das heftig kritisierte und aus der transkulturellen Perspektive einer globalisierten Modewelt nicht mehr wirklich als prominentes Leitbild und westliches Schönheitsideal funktionierende Barbie-Modell auf dem Laufsteg noch einmal leibhaftig werden (Abb. 8). Bereits in den 1990er-Jahren war Supermodel Claudia Schiffer für ein Topmodel-Editorial in die Rolle der ikonischen Barbiepuppe geschlüpft – mit einem erstaunlichen Effekt, denn: Mit einem Mal wird jene Puppe lebendig, die in den Kinderzimmern und auch vielen Sammlervitrinen von Erwachsenen in der westlichen Welt allgegenwärtig ist und deren endlose Beine, dünne Taille und üppiger Busen für Generationen leibhaftiger Frauen erstrebenswert, aber unerreichbar sind. Indem Claudia Schiffer sich selbst zur Puppe macht und zugleich damit die Puppe lebendig werden lässt, offenbart sie unwillkürlich die Künstlichkeit und Inszeniertheit der Weiblichkeitsbilder in der westlichen Kultur. Es wird deutlich, wie sehr sich Schönheit und Erotik in Bildern verfestigt haben, denn so, wie die Puppe zwar sexy aussehen mag, aber nie wirklich sexy sein kann, weil sie immer leblose, nur die Phantasie anregende Puppe bleibt, so unberührbar und unerreichbar bleibt das Model, und wenn es noch so erotisch aufreizend aus dem Bild schaut – denn es bleibt bloßes Bild, das jede Betrachterin, jeden Betrachter auf sich selbst zurückwirft. Hinzu kommt ironischerweise ein in der Modestrecke von Claudia Schiffer als Barbie sicher nicht beabsichtigter und darum um so wirkungsvoller inszenierter Effekt: die Puppenfrau als Geschenk – für wen? –, denn sie steigt aus einem mit rosa Papier ausgeschlagenen Karton. Die Statue oder Puppe, die lebendig wird, und der Mythos von Pygmalion, der sich seine Idealfrau in Marmor schuf und ihr dann von den Göttern Leben einhauchen ließ, erscheint hier mit einem Mal als das geheime Herz des Geschäfts mit den schönen Frauen – aber es zeigt sich auch seine eigentliche Bedeutung, denn die Puppe wird ja nur scheinbar lebendig, insofern sie nämlich die Sehnsüchte anderer und auf das schönste befriedigt, indem sie sie zu ihren eigenen macht.28 28 Gertrud Lehnert: Mode. Models. Superstars, Köln 1996, S. 107.

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Ob nun Moschino aus modischer Provokation, trashiger Nostalgie, popkultureller Ironie oder subversiver Affirmation heraus die berühmte Barbiepuppe noch einmal durch eine Performance auf dem Laufsteg feierte, blieb 2014 jeweils dem Zuschauer selbst überlassen und wurde doch auch durch den umgehenden Erfolg auf den Straßen der internationalen Modemetropolen und in einschlägigen Celebrity-Kreisen sofort mitbeantwortet. Wie in diesem Fall entwickeln Szenographien gerade in der Modewelt auch besondere virulente Effekte und Hypes, indem die davon Affizierten den dabei evozierten Stil in neue Räume, hier auf die Straßen oder in die einflussreichen Medienbilder, performativ weitertragen und modisch weiter vorführen. Gestaltete Kleidung wird so gesehen erst über Inszenierung, Modemedien und Markenbotschafter sowie letztlich durch aktiven Konsum zur Mode. Der Modekonsum bringt dabei dank einer digitalen Vernetzung und globalen, transkulturellen Kommunikation heute auch neuartige Inszenierungsformate für die Mode hervor: Fashionblogs sind beispielsweise mehr als nur Medien für Mode, sie sind selbst ein Ausdruck von Mode geworden und stellen nach der Erscheinung der Anti-Mode im Modesystem der 1990er-Jahre mit Anbruch des neuen Millenniums ein weiteres Ende der Mode nach unserem modernen Verständnis dar bzw. repräsentieren ein wesentliches Charakteristikum für die Hybridisierung in einer neuen nachmodernen Konvergenzkultur.

Abb. 8: Moschino: Milan Spring/Summer 2015 Fashion Show (18. September 2014)

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Weil grundsätzlich viele verschiedene Verantwortliche und Kreative in die szenographischen Auftritte der Mode und ihrer Marken involviert sind, werden die vielfältigen Präsentationsformen und Inszenierungen in der allgemeinen Wahrnehmung bis heute noch als anonymes Design wahrgenommen, d. h., die ökonomisch bedeutsame szenographische Praxisleistung auf dem Sektor der globalisierten Modeindustrie wird erstaunlicherweise weithin als eine anonymisierte Profession, d. h. als ein nonauktoriales Entwerfen und Gestalten, behandelt oder bestenfalls nur über die Namen ihrer prominenten Auftraggeber, die bekannten Modehäuser, renommierten Labels und die gefeierten Modeschöpfer kommuniziert respektive gebrandet. Nicht wenige Kreative und Designer lassen sich dagegen in der internationalen Celebrity Culture als ›Modekünstler‹ und Stardesigner mit einer recht wiedererkennbaren Persona promoten, die den romantischen Künstlermythos adaptiert. Ihr Name fungiert wie in der Kunst nunmehr als Signatur und bedeutet mehr als nur ein Logo oder Brand: Alexander McQueen, Tom Ford, Karl Lagerfeld, Marc Jacobs, Jean Paul Gaultier, John Galliano, Alexander Wang oder Hedi Slimane zum Beispiel. Für sie alle gilt Andreas Reckwitz’ Bemerkung: Der postmoderne Modedesigner vermag […] seine Stellung als Kreativstar, [die] ihm schon Ende des 19. Jahrhunderts zugewachsen ist, noch auszubauen und sich als eine medial sichtbare Figur zu inszenieren, die den Künstlermythos zitiert. Am vorläufigen Ende dieses Prozesses der Transformation des Modesystems ist die Modebranche als Knotenpunkt in der ästhetischen Ökonomie insgesamt aufgegangen, in der die Grenzen zwischen Mode, Design, Werbung, Medien, Kunst, Starsystem und Verkauf fließend geworden sind. […] Mode wird zum Bestandteil des Designs von Alltagsobjekten insgesamt, so wie Letztere sich in Gegenstände der Mode im weiteren Sinne verwandelt haben.29

Im Gegensatz dazu sind bislang nur sehr wenige ihrer Szenographen, Showproduzenten und Agenturen, wie beispielsweise Studio Job, Alexandre de Betak (Bureau Betak), Etienne Russo (Villa Eugénie30), Thierry Deyfus (Eyesight), Olivier Massart (La Mode en Images), Moritz Waldemeyer oder Nicola Formichetti, wirklich auch einem größeren, an der Mode interessierten Publikum bekannt. Bislang konnten diese sich als ausgewiesene Szenographen und professionelle Showproduzenten kaum mit ihrer singulären Autorenschaft und gestalterischen Handschrift, ihrem Personalstil, wirklich Sichtbarkeit hinter dem vordergründigen Branding der Modemarken verschaffen. Dabei sehen einige erfolgreiche und international äußerst vielbeschäftigte Szenographen wie Alexandre de Betak ihr Metier mit dem künstlerisch-gestalterischen Potenzial und somit mit ihrem kreativen Anteil an den medienwirksamen Inszenierungen der Mode und ihrer Marken global durchaus recht selbstbewusst: 29 Vgl. hierzu auch Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin (Suhrkamp) 2012, S. 53. 30 Siehe Website mit Projekten unter http://www.villaeugenie.com (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Der Designer füttert uns mit seinen Inspirationen, Worten und Ideen, bevor er uns wirklich Kleidungsstücke zeigen kann. Ich denke, wenn ein Designer an einer Modenschau arbeitet, zwingt ihn das letztendlich, eine Geschichte zu erzählen; gäbe es dagegen keine Schau, auf die man hinarbeitet, könnte es leicht eine Kollektion aus zusammenhanglosen Einzelstücken werden. Viele Designer hatten aus verschiedenen Gründen Gelegenheit, in einer Saison einmal keine Modenschau zu machen, und wenn man diese Kollektionen objektiv betrachtet, stellt man fest, dass sie weniger gelungen sind. Oder beispielsweise die Shows von Hussein Chalayan – stell dir vor, du gehst zu einer Präsentation, um ein mechanisches Kleid zu sehen …, hätte es die Show nicht gegeben, hätte er dieses mechanische Kleid vielleicht gar nicht geschaffen.31

Einige klassische Couturiers wiederum – wie beispielsweise der seit Langem viel beschäftigte Christian Lacroix – entfalten und verwirklichen ihren schöpferischen Tatendrang und ihr kreatives Talent nun lustvoll auch vollends in diesen neuen, immer wichtiger werdenden szenographischen Gestaltungsfeldern: Die Mode war wunderbar für mich. Aber als Junge liebte ich die Bühne. Und jetzt kann ich das alles verwirklichen: Gestern war ich an der Hamburgischen Staatsoper für die ›Butterfly‹, heute bin ich hier in Berlin für die neue Show des Friedrichstadt-Palastes, morgen bin ich in Paris für die Gestaltung eines neuen Hotels, übermorgen in Rouen für ein Museum. Außerdem entwerfe ich für Händels ›Radamisto‹ im ›Theater an der Wien‹, für einen ›Lohengrin‹ in Graz und für ›Die Perlenfischer‹ von Bizet in Straßburg. Mein ganzes Leben wird theatralisch, und das ist schön. Die Straßenbahnen in Montpellier fahren durch die Straßen wie eine rollende Bühne. […] Vergangenes Jahr habe ich den »Candide« in der Staatsoper ausgestattet. Danach fragte mich Berndt Schmidt an, der Intendant des Friedrichstadt-Palastes. Es gefiel mir gleich hier. Für die Show »Show Me«, die am 18. Oktober (2012) Premiere hat, habe ich Kostüme entworfen – manche mit vielen Pailletten, manche sehr bunt, ein bisschen wie in der Couture, sozusagen als Karikatur von Lacroix.32

Modedesign ist heute mehr als nur die Herstellung von Bekleidung; es muss für etwas stehen. Gerade die großen Modemarken und globalisierten Luxuslabels suchen daher neben ihrem klassischen Kunst- und Kultursponsoring seit einigen Jahren immer häufiger die enge Kooperation und schöpferische Kollaboration mit exponierten wie prominenten Vertretern aus Film, Fotografie, Architektur und bildender Kunst – beispielsweise in den gemeinsamen Projekten von dior mit Harmony Korine, David Lynch oder Anselm Reyle; Louis Vuitton mit Richard Prince, Takashi Murakami, Olafur Eliasson, Vanessa Beecroft, Elmgreen & Dragset, Juergen Teller, Yayoi Kusama, Daniel Buren oder Frank Gehry; Chanel mit Zaha Hadid; Armani mit Robert Wilson oder Martin Scorsese; Kostas Murkudis mit Carsten Nicolai, prada mit Rem Koolhaas’ OMA (Office for Metropoli31 Alexandre de Betak, zitiert nach »Fellini der Catwalkshows« – Alexandre de Betak im Gespräch mit Alix Browne (19. Juli 2009), online unter www.nrw-forum.de/blog/2009/07/19/der-fellinider-catwalkshows-–-alexandre-de-beatk-im-gesprach-mit-alix-browne (letzter Zugriff: Juli 2015). 32 Alfons Kaiser: Interview mit Christian Lacroix: »Mein Leben wird theatralisch.« In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28. September 2012, online unter www.faz.net/aktuell/gesellschaft/modedesign/interview-mit-christian-lacroix-mein-ganzes-leben-wird-theatralisch–11906210.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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tan Architecture), James Lima, Roman Polanski, Martin Scorsese, John Baldessari, Francesco Vezzoli oder Yang Fudong;33 Bottega Veneta mit Robert Longo, Nan Goldin oder Erwin Olaf; Comme de Garçons mit Cindy Sherman; Pringle of Scotland mit Ryan McGinley; Maison Martin Margiela mit Mark Borthwick; Walter van Beirendonck mit Erwin Wurm; Issey Miyake mit Christophe Coppens; Missoni mit Kenneth Anger; Clemens en August mit Liam Gillick; Cos mit Carsten Nicolai; Longchamp mit Sarah Morris und Daniel Buren; Kenzo mit DIS usf. Als beispielhafte Win-win-Situationen sind sie gleichzeitig für das Scenographic Branding relevant. In der jüngsten Intensivierung dieser temporären kreativen Kooperationen und strategischen Kollaborationen kündigt sich auch ein neues Verständnis der alten Traditionshäuser in der globalisierten Modewelt an: Sie diversifizieren nicht nur zusehends ihre Produktpaletten für einen weiten Weltmarkt, sondern werden heute auch selbst zu bedeutenden Medien und kulturellen Einrichtungen. Von der Presse sogenannte Kult-Modedesigner wie Hussein Chalayan, Gareth Pugh, Viktor + Rolf, Nicolas Ghesquière oder Karl Lagerfeld u. a. vertrauen dabei schon lange nicht mehr allein nur der spektakulären Verführungsmacht ephemerer szenographierter Modenschauen und Werbekampagnen, sondern bedienen sich zunehmend auch weitergehenden und dauerhafteren performativen wie narrativen Inszenierungsformen mittels Film und Digital Media, die über das Internet global und gratis verbreitet werden können. In gewisser Weise verleihen sie damit der schnelllebigen wie flüchtigen Mode auch Dauer, Distinktion und symbolisches Kapital. Insbesondere die dynamisch bewegten Bilder des populären Scenographic Fashion Films, der sich mehr als nur ein ›Fashion in Film‹ oder geschicktes filmisches Product Placement versteht, sind somit als modisches Hybridphänomen und neuartiges Medienformat im Zeitalter des Internets heute nicht mehr nur allein mediale Derivate oder technische Erweiterungen oder szenographische Ergänzungen von traditionellen lokalen Modenschauen und ihren dazugehörigen obligatorischen Fashion Editorials, statischen Bildstrecken und geprinteten Fotokampagnen zu verstehen. Sie werden diese sogar in naher Zukunft zusehends ablösen, wenn man den derzeitigen Prognosen und erfolgreichen Praktiken des britischen Modefotografen Nick Knight34 oder dem jungen Kult-Modedesigner Gareth Pugh Glauben schenken mag:

33 Siehe hierzu auch Pamela C. Scorzin: Global Design Art – am Beispiel des Fashion Films »First Spring« von Yang Fudong. In: kunsttexte.de, Journal für Kunst- und Bildgeschichte, KunstDesignThemenheft 2: Kunst und Mode, hg. von G. Jain, 2011 (acht Seiten), online unter http://edoc. hu-berlin.de/kunsttexte/2011-4/scorzin-pamela-c.-7/PDF/scorzin.pdf (letzter Zugriff: Juli 2015). 34 Starfotograf Nick Knight: »Die Modefotografie hat ausgedient.« In: Welt online v. 27. Januar 2010, online unter www.welt.de/lifestyle/article5959159/Die-Modefotografie-hat-ausgedient.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Ich glaube, der Modefilm, der ja noch in seinen Kinderschuhen steckt, dient der Mode sogar viel besser als die Fotografie. Durch die Verbreitung im Internet erreicht ein Modefilm nicht nur ein viel größeres Publikum als das Foto, das nur die Käufer von Modemagazinen sehen. Und ein gut gemachter Modefilm entzaubert die Mode keineswegs: Er lässt das gezeigte Kleidungsstück seine Geschichte selbst erzählen und transportiert dadurch eine emotionale Verbindung, die mindestens so stark ist wie diejenige, die ein Foto herstellen kann. Außerdem, und das ist vermutlich der wichtigste Aspekt: Ein Modefilm kann ein Kleidungsstück in Bewegung zeigen und demonstriert damit unmittelbar, wofür es entworfen wurde. Nicht als statisches Objekt, sondern als eine Sache, die ihren Wert und ihre Bedeutung erst dann entfalten kann, wenn sie sich bewegt. Eben weil der Modefilm der Vision eines Designers ungleich gerechter wird als ein Modefoto, bin ich auch überzeugt davon, dass dieses neue Medium bald die Modefotografie ablösen wird!

Gleichzeitig sind die innerbildlichen Inszenierungen in der Modefotografie des Printzeitalters eine historisch gestalterische Linie zu den dynamisch bewegten Scenographic Fashion Shows and Films der gegenwärtigen digitalen Kultur. Und auch das analog reproduzierte Bild der Modefotografie tendiert gegenwärtig deutlich zu fantastischen szenographischen Settings (siehe etwa bei Tim Walker, Annie Leibovitz oder Erwin Olaf ) wie auch zur Künstlersignatur mit ausgeprägtem Personalstil (etwa bei Juergen Teller, Ryan McGinley, Nick Knight, Olivia Bee oder Viviane Sassen). Die alten traditionellen Verflechtungen und stilistischen Liaisonen von Design, bildender Kunst, Fotografie und Filmgeschichte werden nun zunehmend um die Kategorie der gezielten kundenorientierten Werbung und gleichzeitig unterhaltsamen Commercials ergänzt und durch einen weiteren einflussreichen Aspekt zu einer neuen spannungsvollen Trias erweitert. Metagestalterisch wird Modedesign heute nämlich von einem vermittelnden Scenographic Fashion Design nachhaltig und wirkungsvoll in Szene gesetzt, in seinen ästhetischen wie semiotischen Charakteristika potenziert, und in (sub-) narrative wie performative Strukturen mit strategischen dramaturgischen Spannungsbögen eingebettet. Als eine dabei höchst mimetische Erzählung, sensu Werner Wolf,35 zeichnet sich diese szenographierte Vor- und Verführungspraxis dadurch aus, dass ihr Plot in einer dominant nonverbalen Art szenisch verdichtet und prägnant dargestellt, ereignisvoll aufgeführt und primär optisch-visuell mit zusätzlich akustischen, haptischen, olfaktorischen oder sogar gustatorischen Elementen multisensorisch vermittelt wird. Szenographie fungiert hier als multisensorische Vermittlungsagentur. Scenographic Fashion Design bedient außerdem mit seiner vordergründig ›spektakulären‹ Inszenierungsrhetorik nicht zuletzt eine allgemeine aktuelle Medienlogik, die stark auf Unterhaltungs- wie Neuigkeitswerte, Interessantheit 35 Werner Wolf: Das Problem der Narrativität in Literatur, bildender Kunst und Musik: ein Beitrag zu einer intermedialen Erzähltheorie. In: Ansgar und Vera Nünning (Hg.): Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär. Trier (WVT) 2002 (= WVT-Handbücher zum literaturwissenschaftlichen Studium 5), S. 23–104.

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und Originalität, Überraschung und Performancequalitäten auch in der zeitgenössischen Alltagskultur setzt. Zu den ästhetischen Taktiken und gesamtrhetorischen Strategien einer umfassenden szenographischen Spektakularisierung, die rein funktionale Anforderungen im Akt des Inszenierens und Präsentierens übersteigt, gehören dabei eine kurzfristige und einmalige sinnliche Überwältigung, die ebenso Erstaunen wie Staunen beim Zielpublikum hervorruft, sowie dessen anschließende affektive Beeinflussung erreicht. Das Spektakuläre meint hier einen spezifischen szenographischen Darstellungsmodus, der jeweils bestimmte Rezeptionseffekte forciert. Ebenso sind gleichzeitig eine starke Narrativierung, Dramatisierung, Theatralisierung, Emotionalisierung und somit insgesamt eine zunehmende Eventisierung wie ›Artifizierung‹ der Inszenierungen der Mode und ihrer Marken seit den 1990er-Jahren zu beobachten. Davon angeleitet, gehen wiederum die textilen Themen Mode, Kostüm und Bekleidung neuartig in nichtkommerziellen Fashion Performances in die bildenden Künste ein – mit so prominenten Performerinnen an der Spitze wie Tilda Swinton, Milla Jovovich oder Lady Gaga. Gemeinsam und verbindend ist die Betonung von bestimmten Inhalten und Konzepten, die szenographisch übersetzt und ganzheitlich vermittelt werden. Die Praxis der Szenographie auf dem weiten Feld einer stark global agierenden und wirtschaftlich prosperierenden Modeindustrie bildet heute nicht zuletzt einen wichtigen Bestandteil des zeitgenössischen Marketings und Advertisings. Sie schafft als komplexe Markeninszenierungsstrategie enorme weltweite mediale Aufmerksamkeit und ist darin längst ein relevanter Wettbewerbsvorteil und wichtiger Faktor heutiger Markenbildung geworden. Scenographic Branding soll beispielsweise im globalen Wettbewerb den jeweiligen Spirit einer Kollektion bzw. den Kern einer Marke für die Konsumenten unverwechselbar, einmalig, bedeutungsvoll und authentisch erlebbar machen. Denn über das jeweils gepflegte Imageprofil der Modemarken werden heute tatsächlich die notwendigen, kompetitiven Unterscheidungskriterien für die Waren und Produkte des kommerziellen Kapitalismus und ästhetischen Konsums etabliert, die heutigentags immer weniger über ihre eigentliche Gestaltung, Stil, Ausführung und Qualität definiert werden. Es geht dabei in diesem fundamentalen Image- und Prestige-Bildungsprozess mithilfe eines umfassenden Scenographic Brandings um eine wirksame Nachhaltigkeit und symbolische Befrachtung, d. h. nicht um kurzweilige Effekthaschereien, sondern – wie in der Kunst – nicht mehr und nicht weniger um Transzendenz: The art of scenography is a strange one: part architecture and interpretation of designers’ dreams, part witchcraft, with a dash of Hollywood bravado thrown in, all to create transient experiences that can endure in the mind.36 36 Kin Woo: The Joy of Sets, online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/15567/1/the-joyof-sets (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Wenn sich gestaltete Produkte heute global qualitativ und stilistisch kaum mehr unterscheiden, dient gerade der Einsatz von Personen (z. B. Celebrities in der Funktion und Rolle als Testimonials/Werbegesichter und Markenbotschafter) mit Narrationen und Emotionen der wesentlichen wettbewerblichen Differenzierung und markenstrategischen Exklusivität. Letztlich aber auch der nachhaltigen Markenloyalität und Orientierung für die Kunden, die nach dem Verständnis der Werbebranche heute zunächst mehr am emotionalen Erlebnisprofil als am reinen Sachprofil der Mode interessiert zu sein scheinen. Außerdem wird im Kontext einer Wirtschaft, die sich auf die Erfahrung des Konsumenten konzentriert, […] der Ware kein Wert für ihre tatsächliche Verwendung bzw. für ihren Tauschwert beigemessen, sondern an erster Stelle ihre Fähigkeit geschätzt, das Erlebnis und die Identität des Kunden zu verändern. In dieser Welt der kurzlebigen, durch ein Paradigma der Wahrnehmung angetriebenen Werte spielt das Branding eine zentrale Rolle.37

Jedes effiziente und effektive Advertising und erfolgreiche Marketing beginnen heute daher mit einem gelungenen (bisweilen auch interaktiven) Storytelling, das auf den verschiedensten medialen Bühnenschauplätzen inszeniert werden will. Künstlerisch-gestalterisch hervorstechende, kulturell wirksame Szenographien wie etwa für die Häuser Alexander McQueen, Viktor + Rolf, Maison Martin Margiela, prada, Versace, Chanel, dior, Louis Vuitton, Thom Browne, Dries Van Noten, Jean Paul Gaultier oder Hussein Chalayan erreichen es dabei, zugleich alle sechs Monate immer wieder nicht nur in wenigen Minuten eine neue Geschichte auf den Laufsteg zu bringen und damit szenisch ein einmaliges visionäres Ereignis zu erschaffen, das für das Publikum zum einmaligen Erlebnis wird, sondern längerfristig damit auch emotionale und authentische, d. h. unverwechselbare und einmalige Modemarken aufzubauen und ihnen damit eine wortwörtliche Präsenz als Lovebrands in der globalisierten Kultur zu verschaffen. Scenographic Branding als ein effizientes werbegestalterisches Instrument der Gegenwart ist dabei in der internationalen Modewelt nicht zuletzt ein grundlegender und machtvoller wettbewerblicher Bestandteil der Image Wars der Big Labels geworden, wenn es um die ökonomisch relevante Kundenbindung und Adressierung neuer Käuferschichten wie -generationen geht. Scenographic Branding kommuniziert und performt das Erlebnis der Mode und ihrer Marken zur aktiven Nachahmung und fordert so subtil zu einem konsumistischen Handeln auf. Dabei ist das jeweilige Modelabel insgesamt schon das Ereignis. Es ist der Star jeder Inszenierung; zu ihm soll schließlich eine nachhaltige emotionale Beziehung aufgebaut werden. Die szenographierte Mode wird dafür 37 Anna Klingmann: Architektur und Brands. Plädoyer für eine Marke der Nachhaltigkeit. In: Telepolis, 20. Mai 2006, online unter www.heise.de/tp/artikel/22/22667/1.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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emotional befrachtet, um ihr eine größtmögliche Aufmerksamkeit und inhaltliche Nachhaltigkeit zu verschaffen. Das immaterielle Image einer Modemarke und nicht mehr nur allein das von ihr materiell produzierte Gestaltungsprodukt steht als spektakuläres Showpiece im Mittelpunkt eines jeden Scenographic Brandings, das als synästhetischer Übersetzer und sinnlicher Vermittlungsagent fungiert. Scenographic Branding vermag es darüber hinaus, auch noch kulturellen Mehrwert und die notwendigen symbolischen Unterscheidungskriterien für die jeweilige Modemarke zu generieren. Es trägt am Ende entscheidend zur Ausbildung und Etablierung einer erfolgreichen Markenidentität bei, die in ihrer prägnanten Wiedererkennbarkeit jeweils ein hochkomplexes kulturelles Produktionssystem repräsentiert, das auch in der flüchtigen Mode auf Dauer konzipiert ist. In dieser Hinsicht ist Scenographic Branding insgesamt denn auch wichtiger für das langfristige Image einer Modemarke als nur für das schnelllebige, d. h. temporäre, sprich saisonale Präsentieren und Inszenieren ihrer sich modisch schnell wandelnden Looks und thematisch wechselnden Kollektionen. In der engen kommerziellen Verflechtung von arbeitsaufwendiger wie kostenintensiver Szenographie und globalen Luxusmarken steht das Modedesign als Gestaltungsprozess dann nur mehr als ein weiterer ästhetischer Knotenpunkt symbolischer und nachhaltiger Kommunikation im Mittelpunkt. Man könnte behaupten, die Inszenierung wird heute so wichtig wie die Produktion der Waren selbst, und sie ist darin eine neue Form der Kunst der Kommunikation, auch wenn Szenographie generell gerne noch auf eine angewandte Kunst des reinen Kommerzes heruntergebrochen wird, sprich anonym bleibt. Szenographisch vermittelte Mode und ihre Marken, mit ihren auch im globalisierten Zeitalter immer noch streng saisonal ritualisierten Inszenierungen, vermögen sich jedoch nicht nur in einer globalen Ökonomie der Aufmerksamkeit geschickt medial hervorzuheben und nachhaltig zu behaupten, sondern gewinnen bei ihrem Publikum heute oftmals auch wahren Kultstatus mit regelrechten Fan Communities. Diese dienen einerseits dem heute immer bedeutender werdenden Community Building um eine ganze Marke herum, verhalten sich aber andererseits bezüglich der Bewertungen, was gerade in oder out ist, auch sehr launisch. Scenographic Branding arbeitet schließlich selbst mit schnell wechselnden Moden, wobei in ihrer stilistischen Varianz ebenfalls eine Konstanz angestrebt wird, die sich Aspekte wie Wiedererkennbarkeit, Einmaligkeit, Authentizität, Identität, Heritage, wirkungsvolle Nachhaltigkeit und innovative Kontinuität aufs Schild schreibt. Dabei dreht sich jedoch das globalisierte Modekarussell, wie die teueren Scenographic Fashion Shows etwa von Chanel und Louis Vuitton spektakulär wie augenzwinkernd selbstreflexiv schon vorgeführt haben (Abb. 9), heute unaufhaltsam immer weiter; und es scheint: You just cannot stop the scenographical turn no more …

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Abb. 9: Louis Vuitton: Paris Spring/Summer 2012 Fashion Show

Die in diesem Band versammelten Essays sind kulturwissenschaftliche Studien und theoretische Untersuchungen zu verschiedenen aktuellen Ausdrucksformen und Ausformungen eines inzwischen weitverbreiteten Scenographic Brandings in der Welt der Mode und ihrer Marken. Unter dem Überbegriff Scenographic Fashion Design behandeln sie alle erstmals ausführlicher anhand einiger ausgewählter prägnanter und herausragender Fallbeispiele der letzten Jahrzehnte ein zentrales und höchst innovatives Feld einer neuen holistischen Inszenierungspraxis in der globalen »Konvergenzkultur« (Henry Jenkins). Szenographie als umfassende Gestaltungsdisziplin wird dabei (sensu Uwe R. Brückner) als eine möglichst ganzheitliche und synästhetische Übersetzungsund Vermittlungspraxis verstanden, die den Rezipienten als Partizipienten in ihren Mittelpunkt stellt. Mit zahlreichen Hintergrundinformationen werden gängige szenographische Praktiken aus der internationalen Modewelt hiermit erstmals in einem Rea­der dokumentiert, diskutiert, analysiert und dargestellt. Im Fokus stehen dabei unterschiedliche (sub-)narrative und performative Szenographien für die globalisierte kommerzielle Konsumkultur, in denen die in der Moderne einstmals kategorisch getrennten und klar geschiedenen Gestaltungsdisziplinen wie Design und Kunstgewerbe (insbesondere Modedesign, Produktgestaltung und Visuelle Kommunikation), freie Kunst, Marketing, Design Thinking und das Entertainment in einer eventhaften Populärkultur zusammen- und aufgehen und sich dabei zu einem neuen allumfassenden transmedialen Gesamtkunstwerk formieren. Mit der folgenden kursorischen Überblicksdarstellung werden dabei auch eine paradigmatische Verschiebung und grundlegende generelle Entwicklung in der jüngeren Kunst- und Kulturgeschichte der Nachmoderne aufgezeigt, in der vormals strikt voneinander geschiedene und distinkte moderne

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Gestaltungsbereiche nunmehr zusammenfließen, sich kreuzen, verweben und miteinander verschmelzen, sodass daraus neuartige heterogene, netzwerkorientierte Inszenierungsformen und -praktiken hervorgehen. Mit der Ausbreitung und Ausweitung inszenatorischer Ästhetisierungsformate in der Gegenwart wird nicht nur die nachmoderne Entgrenzung künstlerisch-gestalterischer Materialien, Techniken, Gattungen, Kategorien, Hierarchien, Funktionen und Themen fortgeführt38, sondern in dieser aktuellen Konvergenzkultur auch eine neue gesellschaftliche Aufgabe für die neuen Szenographen formuliert: Als generalistische Gestalter sind sie nun in jeder Form Vermittler, Mitgestalter und Übersetzer von Inhalten, und nicht nur Produzenten von rahmender Atmosphäre und Erregungsintensität. Szenographie ist dann im Sinne der Actor-Network-Theory39 vor allem die Gestaltung von Verbindungen, Verknüpfungen, Verwebungen, Verflechtungen und Vernetzungen. Auf die globalisierte Modewelt übertragen, die hier nur exemplarisch im Fokus dieses Bandes steht, fungieren Szenographen damit als ästhetisch operierende Akteure in einem weitläufigen, unabgeschlossenen, offenen Netzwerk von Modeinteressierten, das sich mit dem Einzug szenographischer Praxen von einer modernen Exklusiv- in eine nachmoderne Inklusionssphäre gewandelt hat und die Mode als kulturellen Ausdruck demokratisiert, an dem viele – insbesondere über Kommunikation – mitwirken. Mode und ihre Marken wurden, nachdem ihr Ende bereits schon mehrfach deklariert wurde (so zuletzt von Naomi Klein40, Barbara Vinken41 oder Li Edel­koort42) durch den erfolgreichen Einzug der Szenographie, mit Andreas Reckwitz formuliert, »zu einem dynamischen System pluraler Stile, das sich primär nicht mehr an Klassen, sondern an aktive Konsumenten als Individuen mit Stilisierungswünschen wendet.«43 Modesdesigner werden darin heute zunehmend zu Stylisten, deren Kreationen über szenographisch wirkende Vermittler und Verstärker zum stilistischen Trendangebot wird, über dessen modische Aktualität nun aber auch die Konsumenten wesentlich mitentscheiden können.

38 Vgl. Juliane Rebentisch: Theorien der Gegenwartskunst zur Einführung, Hamburg (Junis) 2013. 39 Siehe Bruno Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die AkteurNetzwerk-Theorie, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2007. 40 Siehe Naomi Klein: No Logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht: Ein Spiel mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern, München (Riemann) 2001. 41 Siehe Barbara Vinken: Mode nach der Mode. Kleid und Geist am Ende des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main (Fischer) 1994. 42 ���������������������������������������������������������������������������������� Siehe It’s the end of fashion as we know it says Li Edelkoort (1. ���������������� März 2015). In: de zeen magazine, online unter www.dezeen.com/2015/03/01/li-edelkoort-end-of-fashion-as-we-know-itdesign-indaba–2015 (letzter Zugriff: Juli 2015). 43 Reckwitz 2012: 142.

2. MODE UND MARKEN, INSZENIERT IN DER SZENOGRAPHIERTEN MODENSCHAU SCENOGRAPHIC FASHION SHOWS Eine Modenschau ist im Allgemeinen eine temporäre Bühne, auf der nach konventionalisierten Regeln in einem lokalen Versammlungsraum von einem Unternehmen und seinen Chefdesignern mindestens alle sechs Monate in nur wenigen Minuten saisonales Modedesign ritualistisch für ein anwesendes Publikum vor- und aufgeführt wird und dabei eine neue Sache, ein gestaltetes Produkt, werbewirksam vorgeführt und theatralisch zur Schau gestellt wird. 1 Sie bildet von den Vorführungen mit Mannequins und privaten Vorführdamen2 in exklusiven Atelierräumen und Modesalons bis hin zu den heute weltweit im Internet live gestreamten spektakulären Modelparaden seit etwa hundert Jahren den Höhepunkt und festlichen Abschluss eines disziplinären kreativen wie produktiven Schaffensprozesses, dessen Thema und Konzept nun einer größeren Öffentlichkeit weiterkommuniziert werden soll. Zeitgenössisches Modedesign mit seinen visuellen Kodes und seiner vestimentären Semantik als eine erste, ephemere Inszenierungsebene wird von unter bestimmten Aspekten ausgewählten Performern, nach einem besonderen Typ ausgesuchten Models, sowohl für ein direkt anwesendes als auch heute technisch zugeschaltetes Publikum ›vorbildlich‹ in Szene gesetzt. Im Besonderen soll dabei über szenische Strategien, die narrative Komponenten in sich tragen, Modedesign atmosphärisch inszeniert, als Anmutung und Ereignis den Zuschauern sinnlich vermittelt werden. Scenographic Fashion Shows sind daher immer auch Imagination Shows. Die wichtigsten dramaturgischen Hilfsmittel und gestalterischen Elemente für ihre Szenographie sind dabei u. a. der Bau frappierender Kulissen, das Setdesign und originelle Stageprops sowie zusätzliche Accessoires, Make-up und Styling für die ausgewählten Models, eine gelungene Choreographie im Raum, und natürlich hierfür auch Licht und Sound. Darüber hinaus für die Front­row, die prominente erste Reihe direkt am Laufsteg, exklusiv geladene VIPs in der Rolle als Werbegesichter und Markenbotschafter (testimonials), die so ganz nebenbei medial Werbung für die jeweilige Modemarke machen. Im idealen Fall entsteht dabei keine gegenseitige Konkurrenz von Szenographie und Modedesign, sondern vielmehr eine symbolische Einheit, wie Ippolito Pestellini Laparelli von Rem Koolhaas’ OMA/AMO betont, das als erfolgreiches internationales Archi1 Vgl. hierzu auch Estel Vilaseca: Die Modenschau. Konzept – Gestaltung – Umsetzung, München 2010, und zuletzt Alicia Kühl: Modenschauen. Die Behauptung des Neuen in der Mode, Bielefeld 2015. 2 Vgl. hierzu Verkäuferinnen und Vorführdamen in: Gertrud Lehnert: Mode. Models. Superstars, Köln 1996, S. 68–70.

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tekturbüro seit Jahren für die spektakulären räumlichen Inszenierungen der Mode von prada verantwortlich zeichnet: We always try to make people aware that it is not a collection and a set; it is one integrated project where the collection reflects the stage design and vice versa. It’s very similar to theatre, to a certain extent. […] During the last seasons we have been exploring a more theatrical approach; we have been creating context for the fashion. We went through all the stages with the intention of going to the stage. The intention is always to deliver the message of prada, make it stronger; in our case it isn’t [about going to] see a collection. It is about experiencing a show.3

In den letzten Jahrzehnten, spätestens jedoch seit den legendären spektakulären Modenschauen von Thierry Mugler in den 1980er-Jahren, lässt sich dabei ein Trend hin zu immer aufwendigeren, sprich theatralischen und cinematisierten Szenographien auf den Laufstegen der internationalen Modewelt beobachten. Als sinnlich überwältigende Gesamtinszenierungen adressiert insbesondere der Effekt ihrer ›Spektakularität‹ zunächst die Affekte und danach erst an die Kognition der Zuschauer. Der szenographierte Laufsteg wird dabei zur ganz großen Bühnenschau. Fast folgerichtig reüssiert heute auch einer der kreativen Pioniere dieser Entwicklung, der ehemalige Modedesigner Manfred Thierry Mugler, als gefragter Showregisseur und inszenierte zuletzt 2014 auf der großen Bühne des Berliner Friedrichstadt-Palastes erfolgreich das futuristische Revuespektakel THE WYLD. Und auch sein französischer Kollege, der gefeierte Modeschöpfer Christian Lacroix, arbeitet mittlerweile mehr als Kostümgestalter und Bühnenausstatter für die großen internationalen Opernbühnen sowie auch als gerne prominent geladener Szenograph für Kunst- und Kulturausstellungen. Eine typische Modenschau als szenographisch aufwendiges Ereignis an einem bestimmten Ort für eine relativ überschaubare Anzahl von Teilnehmenden legitimiert sich heute im Zeitalter der Digitalisierung und technologisch vernetzten Kommunikation nur noch als lokales, temporäres und multisensorisches Gesamtkunstwerk, das gleichzeitig auch über das Internet 2.0 mit seinen Web­sites und insbesondere Social Media global erfahrbar wird. Denn die Mehrzahl der geladenen Gäste twittert und instagramt heute nicht zuletzt selbst schon direkt live von den Events. Allerdings lassen sich die charakteristischen immersiven Aspekte oder olfaktorischen Komponenten solcher szenographischen Ereignisse dann gegenwärtig doch noch nicht in Gänze über Facebook, Instagram, Twitter oder all die anderen jeweils aktuellen sozialen Medien erfassen: One way labels are trying to make their shows more distinctive is by using more narrative, creating elaborate Hollywood-style sets that immerse the audience in another world. 3 Ippolito Pestellini Laparelli zitiert nach Isabella Burley: Inside the Magical Wolrd of prada. In: Dazed Digital (20. September 2014), online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/17252/1/ inside-the-magical-world-of-prada (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Another trend is adding more interactive and video and digital effects to add visual interest – even at the risk of overshadowing the clothes. A number of shows are pumping in custom fragrances to create a multisensory experience. Last year, Prabal Gurung’s show was perfumed with a »modern Bulgarian rose« scent. Producers have to entertain the jaded, seen-it-all audience that attends fashion shows and the professional photographers in the pit area. Increasingly, they also have to stage and light their shows for the growing number of live streams fashion labels are putting on their web sites or Facebook. Recently, producers also have begun taking into account the scores of attendees armed with mobile-phone cameras who take pictures that are instantly broadcast to thousands of people. The brands, too, often have Instagram accounts, and producers consider everything from Wi-Fi access in the venue to how their productions will read on tiny screens. »Most of our designers want a very heavy social media presence,« Ms. [Gayle] Dizon said. 4

Es geht daher heute in vielen Scenographic Fashion Shows der halbjährlich terminierten internationalen Modewochen neben dieser neuen Ökonomie der digitalen Bilderproduktion und weitreichenden Internet-Livestreams aber hauptsächlich immer noch um die direkte und unmittelbare Ansprache der Gefühle und Emotionen des anwesenden Publikums, oder wie Alexander McQueen (1969– 2010) es einmal ausgedrückt hat: »In fashion … the show … should make you think, there is no point in doing it, if it’s not going to create some sort of emotion.« Die Wirkung einer jeden gelungenen Szenographie erfolgt hier daher vorrangig über das primäre Ziel, Staunen zu generieren, Emotionen zu schaffen und Gefühle zu aktivieren, bevor sie auch die Kognition des Publikums erreicht. Auch wenn szenographierte Modenschauen heute immer häufiger auch live im Internet übertragen werden, kann gerade diese atmosphärische Qualität, ihre emotionale Grundstimmung, wahrnehmungsorientierte Intensität und ereignishafte Präsenz, nur schwer medial vermittelt und ersetzt werden, wie Beobachter, die beide Wahrnehmungs- und Erfahrungsmodalitäten haben, vergleichend berichten – so beispielsweise Anders Christian Madsen noch im Frühjahr 2015 in einem Statement für das Onlinemagazin DazedDigital: Being in the middle of a particularly emotional show marathon, there was no question about it for me: we attend the shows, as Haider Ackermann once told me, »because there is nothing more beautiful than being present at the défilé and hearing the music properly and feeling the person breathing next to you and seeing the movement of the fabric.« Haider is as unapologetically old-fashioned about it, as I am. »Every show is about movement,« I remember him saying. »I think you have to be in the space to understand what the person has to say. It can touch you.« Nothing could be truer for the fall/winter 15 shows I’ve just been through than those pithy words. Following the terror attack in Paris early this year, there was something in the air this season, which turned these shows into an emotional rollercoaster. It was stuff that could never be captured or felt on a live-stream: Rei Kawakubo’s »ceremony of separation« where cushioned titans clashed mid-runway, quietly dancing around each other as they parted ways, set to an epically poignant Max Richter 4 Ray A. Smith: What It Takes to Put On an Instagram-Ready Show. Fashion Week Relies on a Handful of In-Demand Producers. In: Wall Street Journal v. 3. September 2014, online unter http://online.wsj.com/articles/what-it-takes-to-put-on-a-fashion-show-1409786771?mod=Life_ and_Culture_newsreel_1 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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score. Or Valentino’s statuesque black and white gowns, floating softly down the runway like ghosts to Shigeru Umebayashi’s haunting theme from 2046. Or what about the rush to the stomach when an army of fifty Dries Van Noten models march towards you in a finale parade? These are moments that can be captured and played back, but much like going to a pop concert or the symphony, the screen will never give you the entrancing sensory overload that sitting in that show venue provides. Sure, there are many shows you would get just as much – or, indeed, little – out of, watching on a live-stream, but when a show is good and the designer actually wants to make a theatrical impact, there’s no comparing the two. These shows could never be replaced by a live-stream, because the magic would disappear. I guess that’s why streaming a show has never crossed my mind. Similarly, I have rarely watched the video of a show I was present at. The flatness of it somehow taints the memory for me. Of course I understand that live-streams are a great thing and should be there for those who aren’t able to attend the show. I was, however, asked to write about the idea of the industry not attending shows altogether, or leaving them entirely up to a small front row crowd. While it’s true that everyone doesn’t have the best view at fashion shows, a runway – like any theatre – needs a certain amount of guests to create an atmosphere of excitement in the room. Someone on row thirteen may not be able to see the shoes, but their presence is just as important to the show and the mutual experience created by the audience, as the people, who sit front row. Then there’s the rather compelling argument of editors going to New York and London and Milan and Paris for the fashion weeks to actually see – and re-see – the clothes we’ll be featuring over the next season, as well as having key meetings and doing other fashion-y industry stuff. If only the front rows of the world went to fashion week, the industry would collapse from lack of manpower altogether. But serious business aside. When it comes to keeping the shows alive, I much prefer the romantic argument exercised in the paragraphs above, because fashion – in its capacity of being a cut-throat, money-making superpower – needs that element of theatrical, dreamy, emotional presentation value so it doesn’t all come down to dollars and cents.5

Der strategisch ausgeklügelte und enorme gestalterische Arbeitsaufwand aus Entwurf und Konzeption, Planung und Organisation des spektakulären Events will daher auch durch eine besondere plötzliche Ereignishaftigkeit und Erlebnissituation dissimuliert werden, in der Szenographie als ein magischer Moment verstanden werden kann, der alle Sinne gleichzeitig in den Bann zieht, wobei die Szenographen im Hintergrund wie der Zauberer von Oz wirken: To the outside world, a 10-minute fashion show can look like the slickest, most glamorous event on the planet, where  supermodels glide effortlessly through fantasy show sets and all of our favourite celebs just appear in magical formation on the frow. Well, natural it ain’t, as supreme show producer Alexandre de Betak (the man propping up everyone from Rodarte to Boss) can attest. It takes months of work to streamline those running orders, come up with cool venues, build creative set designs and generally whip everyone in sight into shape – hence the obligatory headset.6

5 Anders Christian Madsen: Could the internet kill the catwalk show? (18. März 2015). In: Internetblog des Magazins i-D, online unter https://i-d.vice.com/en_us/article/could-the-internetkill-the-catwalk-show (letzter Zugriff: Juli 2015). 6 Emma Firth: From Concept To Catwalk, This Is How Our Favourite Fashion Shows Are Really Made. In: MarieClaire v. 10. Februar 2015, online unter www.marieclaire.co.uk/blogs/548343/ exclusive-interview-super-show-producer-alexandre-de-betak-reveals-what-really-goes-into-creatinga-fashion-show.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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VALERIA MARINI Szenographie spielt in der Regel mit überraschenden Ereignissen, die für die Involvierten zu denkwürdigen Erlebnissen werden. Mitunter sind sie aber auch eine sehr kalkulierte Provokation und liefern dezidierte Schockmomente, um Aufmerksamkeit zu generieren. So bildete im Sommer 2009 eine höchst verstörende Splattermovie-Szene für die glamouröse Präsentation der Frühjahrskollektionen 2010 auf der Mailänder Modewoche den Auftakt zu der effektvoll choreographierten Fashionshow Seduzioni Diamonds von Valeria Marini (geb. 1967 in Rom; Abb. 10). Das ausgewählte Publikum vor Ort im Mailänder Modezentrum war zuvor nicht eingeweiht geworden und schien daher zunächst recht irritiert und höchst frappiert über das, was sich da plötzlich direkt vor seinen Augen auf dem glitzernden Laufsteg der Modewelt abspielte: War das etwa echt oder doch nur gespielt? Ein dramatischer Zwischenfall oder bloß Teil der spektakelhaften Dramaturgie? Ein völlig blutüberströmtes Model in hautfarbener Unterwäsche und schwarzen Killer High Heels taumelte unmittelbar während des Defilees der verschiedenen aktuellen Looks der in Italien bekannten TV-Moderatorin und Designerin Valeria Marini über den mondänen Catwalk und brach dort nach einigen wenigen schwankenden Schritten und theatralischen Gesten im vollen Scheinwerferlicht direkt vor der prominenten Frontrow und dem allgemein bestürzten Publikum scheinbar bewusstlos zusammen. Der Akt führte nicht nur zu sofortiger Betroffenheit, allgemeiner Aufregung und geschockter Erregung bei den anwesenden Zuschauern, er eröffnete zugleich auch viele Fragen, die mit einem Mal im Raum standen. Zuvörderst herrschte eine allgemein aufgeregte Unklarheit darüber ob des dargebotenen Geschehens auf der Bühne: Ob es sich etwa um Fakt oder Fiktion handelte. Für alle Anwesenden beobachtbar, veranlasste der Kollaps der schönen Brünetten offensichtlich aber auch einige geladene Gäste dieser szenographierten Modenschau zum unmittelbaren Eingreifen und spontanen Handeln, indem sie sofort von ihrer ersten Reihe aufsprangen und dem am Boden liegenden Model unversehens zu Hilfe eilen wollten. Die ›Helfer‹ übernahmen hier zugleich unwissend einen entscheidenden Part in einem inszenierten emotionalisierenden Schauspiel. Sie füllten darin eine wohl kalkulierte Leerstelle in der theatralischen Fashionshow-Performance aus, die eine drastische und vielleicht auch geschmacklosere Variante der Involvierung und Aktivierung des Publikums bedeutete. In performativen und narrativen Szenographien wie dieser bilden jedoch konventionelle Präsentation und theatrale Narration offensichtlich auch keine strengen Opponenten mehr, sondern ergänzen sich nunmehr synergetisch. Das Narrativ-Dynamische vereint sich in einer Scenographic Fashion Show schließlich kongenial mit den Deskriptiv-Statischen. Und auch hier in der szenographischen Praxis auf dem Laufsteg konvergieren derzeit die ausstellenden Künste effektvoll

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mit den aufführenden und darstellenden (sensu Hans Belting). Es entsteht somit ein neues multimediales Gesamtkunstwerk als ›offenes Kunstwerk‹, indem dem teilnehmenden Publikum eine aktivere Rolle, d. h. ein immer entscheidender werdender zentraler Part für die Sinnstiftung und Bedeutung zukommt.

Abb. 10: Filmstill aus der Valeria Marini Fashionshow Seduzioni Diamonds, Mailand, Spring/Summer 2010

Sollte die theatralisch dargebotene Szene auf der Mailänder Fashion Week, die die Routine der professionellen Laufstegpräsentationen so ereignisvoll unterbrochen hatte, gar als ein drastischer performativer Kommentar zu den damals aktuellen Debatten um sogenannte ›Blutdiamanten‹ in der internationalen Modewelt verstanden werden? Stellte sie etwa den dramatischen Höhepunkt eines notorischen Model-Zickenkriegs im Backstagebereich dar? Oder war sie doch nur eine der medial bekannten, spektakulären Attacken von militanten Tierschützern gegen das Tragen von echten Tierpelzen in der internationalen Premiummode? Zugleich erinnerte die blutverschmierte Aktion das Publikum auch an schockierende zeitgenössische Kunstperformances, wie sie etwa von der Performancekünstlerin Marina Abramovic inzwischen auch hinlänglich einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sind. Die Macher der Mailänder Fashionshow hatten mit dieser genau geplanten interaktiven Dramaturgie aber nach eigenem Bekunden lediglich nur einen eigenwilligen szenographischen Mash-up aus dem Marilyn-Monroe-Filmklassiker Gentlemen Prefer Blondes (1953; Regie: Howard Hawkes) und einer Szene aus dem Kurzfilm Dolls (2010)7 des sizilianischen Regisseurs Salvatore Arimatea 7 Siehe den Filmtrailer zu Dolls online unter www.youtube.com/watch?v=iNnpeUxk8PE.

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im Sinne, der hier eine geskriptete Filmhandlung real zur Liveaufzeichnung auf die glamouröse Catwalkbühne bringen sollte. Die regiehaft inszenierte Blutszene auf dem Mailänder Laufsteg wurde danach tatsächlich Bestandteil der filmischen Handlung von Arimateas Produktion Dolls, einem typischen Medienprodukt der Berlusconi-Ära, und die Mailänder Scenographic Fashion Show mit ihrem blutigen Marketing-Stunt war zugleich eine virale Promotion für eben jenen Film, auf den hier szenisch angespielt wurde. Dieser anfängliche Unbestimmtheitseffekt in der Szenographie ist am Ende jedoch immer ganz wesentlich für die intensivere Aktivierung, Involvierung und Emanzipierung (sensu Jacques Rancière) des adressierten Publikums innerhalb eines längst schon durchritualisierten, inszenierten Gemeinschaftserlebnisses wie dem einer saisonalen Modenschau, in dem die Rollenverteilung zwischen aktiv Vorführenden und passiv Zusehenden fest definiert scheint: »It calls for spectators who are active interpreters, who render their own translation, who appropriate the story for themselves, and who ultimately make their own story out of it. An emancipated community of storytellers and translators.«8 Verfremdung, Verunklarung und Verstörung, Irritation, Schock, Provokation oder subversive Ironie wurden hier jedoch – im Vergleich etwa zu konzeptuellen Kunstperformances – eher effekthascherisch als ›attention and conversation getter‹ und für eine extrem emotive Sensibilisierung des Publikums eingesetzt. Man darf den Machern der Mailänder Fashionshow also unterstellen, dass sie dabei durchaus taktisch vorgingen und vorneweg auf eine massenmediale Wirksamkeit und weitere mediale Verbreitung ihrer inszenierten Splatterszene als virale Promotion hofften, die sich dann dank des Internets tatsächlich auch schnell erfüllen sollte.9 Die Fachpresse und Modemagazine goutierten die Inszenierung jedoch ironisch als ›Schockmode‹ wie beispielsweise der Onlineblog von Glamour.de: Es gibt drei Wege, Aufmerksamkeit in der Modeszene zu erhalten. Man setzt einen Star oder ein It-Girl in die Front Row, schneidert eine unglaublich innovative und richtungweisende Kollektion, über die alle Moderedakteure als [E]rstes berichten wollen, oder man schockiert das Publikum. Designerin Valeria Marini entschied sich für letztere Variante und ließ für das Label Seduzioni Diamonds ein blutverschmiertes Model in dramatischen Posen über den Runway laufen. Man kann von einer geglückten PR-Aktion sprechen, weltweit berichteten Nachrichtenportale über die Designerin, aber wir wenden ein: Über ihre Mode sprach am Ende keiner mehr.10

8 Jacques Rancière: The Emancipated Spectator. In: Artforum 2007 (March), S. 280. 9 Siehe beispielsweise die Meldung in Spiegel online vom 24. September 2009 mit der Headline Mailänder Modewoche. Blutrausch auf dem Catwalk (online unter www.spiegel.de/panorama/ gesellschaft/0,1518,651011,00.html [letzter Zugriff: Juli 2015]). 10 Siehe den Blog Laufsteg-Schocker, online unter www.glamour.de/mode/mode-news/schockmode-laufsteg-schocker (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Jedoch gerade gegen routinehaft ablaufende Konventionen und herkömmliche normale Erwartungen verlaufende Eingriffe auf den traditionellen Modebühnen generieren bereits schon im Allgemeinen eine Form von Erzählung, die für das Publikum zum memorablen Ereignis und intensiven wie einmaligen Erlebnis werden kann. Als eine dabei vorwiegend mimetische Erzählung, sensu Werner Wolf,11 zeichnet sie sich im Besonderen dadurch aus, dass ihr Plot über den Einsatz von besonderen Elementen und zusätzlichen Effekten in einer dominant nonverbalen Art szenisch verdichtet und symbolisch dargestellt, theatralisch aufgeführt und optisch-visuell vermittelt wird. Das Narrative in einer Szenographie verläuft dabei fließend ins Performative und übernimmt immer häufiger auch im kommerziellen Werbegeschäft, zu dem auch die ritualisierten saisonalen Modenschauen letztlich gehören, die feste Regie über die notwendige Aufmerksamkeitssteuerung. Im ungünstigsten Fall wenden sich die Reaktionen und Kommentare dann allerdings nur auf das Inszenierende und nicht mehr auf das Inszenierte. Mit der ›Spektakularisierung‹ mittels szenographischer Praktiken und Interventionen scheint sich die weibliche und männliche Kleidermode zu Beginn des 21. Jahrhunderts jedoch auch selbstreflexiv an einen ihrer modernen Ursprungsorte in der höfischen Theater- und Inszenierungskultur des 17. und 18. Jahrhunderts zurückzubesinnen. Ebenso kannte das 19. Jahrhundert theatralische Inszenierungsformen, worauf Marie Helbing 2012 hingewiesen hat: […] mit dem Gesellschafts- und Operettentheater, einer Form der Massenunterhaltung, die zu jener Zeit die »einflussreichste Instanz zur Wahrnehmung zukünftiger Klei­ dungs­wirklichkeit« darstellte. Im Zentrum des Geschehens stand die Mode. Sie gab die Thematik des Stückes vor und war zugleich Kostüm der Darstellerinnen und Darsteller. Die Aufführung fungierte somit als sogenanntes Fashion-Play: »These plays were, in essence, dramatized fashion plates in which leading ladies effectively modeled couture gowns.« Im Jahr 1894 wurde beispielsweise das Stück »The Shop Girl« aufgeführt, »that celebrated the shop assistant as part of a larger tribute to the glories of British trade«. Modeschaffende nutzten die Theaterbühne für einen Durchbruch in der Mode »regarding herself not as a theatre professional but a society dressmaker using the stage for promotional purposes«. Die Theaterbühne wird somit zu einer sich bewegenden Werbefläche für den Modeschaffenden.12

Gleichzeitig liebäugelt die Scenographic Fashion Show intensiv mit den cineastischen Ästhetiken der heutigen populären Medienkultur. Die traditionelle moderne Modenschau seit Charles F. Worth (1826–1895) mit ihren wohlgeord11 Werner Wolf: Das Problem der Narrativität in Literatur, bildender Kunst und Musik: ein Beitrag zu einer intermedialen Erzähltheorie. In: Ansgar und Vera Nünning (Hg.): Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär. Trier (WVT) 2002, S. 23–104. 12 Marie Helbing: 100 Jahre Modeschauen, 1850–1950. Einblick in die Forschungsliteratur. In: Dortmunder Materialien zur materiellen Kultur. H. 2 (2012), hg. von Wiebke Bartsch u. a., S. 7, online unter www.fb16.tu-dortmund.de/textil/07_publikationen/pdfs/dmmk%20heft2.pdf (letzter Zugriff: Juli 2015).

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neten klassischen Defilees gerät dabei immer mehr zu einem komplexen multimedialen Gesamtkunstwerk von maximal 20 Minuten Länge, das von spezialisierten Modenschauregisseuren in allen Tonlagen konzipiert wird: Die Modenschauen sind seit zwei Jahrzehnten Gesamtkunstwerke mit allen positiven und negativen Erscheinungen von guten und schlechten Gesamtkunstwerken. Zwischen Kunst und Kitsch, Camp und Trash gibt es gerade im Bereich der Haute Couture alle Stillagen, Elaborationsgrade, künstlerischen Ansätze und Haltungen: Coolness, Understatement, Sachlichkeit und Überfluss, Schnörkel und Manieriertheit. Alles in allem ist, was auf den Modenschauen begegnet, nicht unbedingt weniger intelligent als in den Performances und Installationen der Bildenden-Kunst-Künstler. Es ist aber weniger gedankenschwer, dafür sinnlicher, bunter und glänzender. Dennoch sind die Schnittmengen zwischen Mode und Kunst weitaus größer als das Trennende. Dass ein Künstler wie Wim Delvoye ein Schwein mit dem Louis-Vuitton-Logo tätowiert, ist nicht mehr nur von der Bildenden Kunst, sondern auch von der Mode her denkbar. Die Mode als System hat keine Berührungsängste. Sie sucht Dialoge, eignet sich visuelle Strategien und Erscheinungsweisen an und hat – wie die Kunst, Werbung oder das Kommunikationsdesign – selbst künstlerische Kompetenz erlangt, die bereits auf die Kunst zurückwirkt,

hielt bereits Martin Seidel in seiner Besprechung der Düsseldorfer Catwalks-Ausstellung im Kunstforum International 2009 fest.13 Als ganzheitliches, synästhetisches Gesamtkunstwerk mit einem eigenen Thema und aktuellem Gegenwartsbezug, wie auch neuerdings mit dezidiert künstlerisch-konzeptuellem Ansatz, gewinnt die zeitgenössische Scenographic Fashion Show mit dem charakteristischen hohen performativen und narrativen Potenzial ihrer elaborierten multimedialen Inszenierungen heute selbst jedoch häufig eine noch viel größere mediale Aufmerksamkeit als die damit jeweils vorgeführten und propagierten saisonalen Modekollektionen. Umfassend szenographierte Modenschauen repräsentieren daher vor allem auch jeweils die Marken­ identität der Mode und potenzieren den Kern der Marke. Werden über Thema, Entwurf und Konzept der jeweiligen Szenographie überdies noch originelle oder gar brisante gesellschaftliche Diskurse angeschnitten, ist eine wirksame und nachhaltige Rezeption fast schon garantiert. Wie in der freien Kunst werden dann gesellschaftliche Themen symbolisch repräsentiert. In dieser Relation zur Kunst werden zudem Evaluation, Distinktion, Prestige und Exklusivität für das künstlerisch-konzeptuell in Szene gesetzte kommerzielle Konsumprodukt erstrebt. Oftmals bedienen sich Setdesigner, Showproduzenten, Artdirectors, Stylisten und Szenographen aber nur äußerst oberflächlich und klischeebefangen an der bildenden Kunst oder dem Film, beispielsweise mit der paraphrasierenden Aktualisierung, weniger der Brechung und Ironisierung bereits bekannter, etwa über Hollywood-Filmklassiker verbreiteter Klischees und konventioneller Stereotypen,

13 Martin Seidel: Catwalks – die spektakulärsten Modenschauen. In: Kunstforum International 199 (2009), S. 306.

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wie die lose, stichwortartige Assoziationskette aus Liebe, Leidenschaft, Diamanten, Gier, Mord, Verrat und Blut bei Valeria Marini bereits zeigte. RICK OWENS Es gehört zu den nachhaltigeren affektiven Wirkungen einer szenographischen Spektakularität, dass sich in ihren strategischen Inszenierungen nicht nur plötzlich Überraschendes, Unerwartetes, Neues, Innovatives und sich abrupt modisch Wechselndes und stilistisch Wandelndes performativ ereignen, sondern darin auch symbolisch provokative und skandalöse Tabubrüche begangen werden können, die verhelfen, auch allgemeingültigere gesellschaftliche Themen und neue Diskurse anzustoßen. In vielen szenographierten Modenschauen, die Ideen, Themen und Konzepte einer Kleiderkollektion als neue Hüllen für den Körper in Szene setzen wie synästhetisch übersetzen, werden dabei beispielsweise auch immer wieder für die Zeit jeweils neuartige Körperbilder in exemplarischer Repräsentation in die Kultur neu eingeschrieben. In denkwürdiger Erinnerung blieb hier zuletzt die von einer großen kontroversen medialen Berichterstattung begleitete Autumn/Winter 2015–2016 Menswear Fashion Show von Rick Owens (geb. 1962 in Porterville, Kalifornien) am 22. Januar 2015 im Pariser Palais de Tokyo (Abb. 11). Der US-amerikanische Modedesigner entwarf für den Fashion Week Runway eine maskulin-düstere Männerkollektion, die in einigen Kleidungsstücken konfrontativ das nackte Geschlechtsteil der männlichen Models sichtbar werden ließ. In einer von Nacktheit, Sexualisierung, Sexismus und sogenanntem Porno Chic dominierten westlichen visuellen Kultur markierte hier Owens die Darstellung männlicher Blöße – gleichsam eines Performance Acts – als eine erstaunliche letzte Tabugrenze, die mit dem immer noch subtil hierarchischen Geschlechterverhältnis in der westlichen Kultur zusammenhängt. Die modische Geste blieb als gesellschaftspolitisches wie Genderstatement jedoch vielen Kritikern zu kryptisch und enigmatisch; man wollte darin nur eine den Voyeurismus bedienende Geste sehen. Passend dazu hatte der US-amerikanische Kultmodedesigner seine aktuelle Männerkollektion »sphinx« getauft: True, it was somewhat enigmatic that he would choose to place a porthole over the groin of some of his models, but he did say he was inspired by an old French movie set in a submarine. And the grace – or not – under pressure of men in close quarters was his launchpad. Peacoats were as straightforward as anything Owens has ever offered, except they were cut from Berber blankets, and one of them had a couture-ish cape back, and another was infected with submarine rust, emblematic of the inevitability of decay, a notion that will rivet Owens till doomsday. A cable-knit sailor sweater was stretched into a full-length situation that embodied the perverse male glamour that is the designer’s stock-in-trade. Then the silhouettes became more chaotic: long in front, cut high in back

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(reminiscent of that scene in The [original] Parent Trap when the Hayley Mills twins snip the back out of Joanna Barnes’ dress – and who’s to say that this isn’t in Rick’s encyclopedia of arcane references?). Some were even scooped high enough in the front that the audience was gifted with that surprising full-frontal eyeful.14

Abb. 11: Rick Owens: Paris Menswear Fashion Show Autumn/Winter 2015

Neben diesen augenscheinlich vorgegebenen Referenzen musste Rick Owens nach der vieldiskutierten Pariser Modenschau auf Druck der vielen Reaktionen und Nachfragen dann aber doch noch ein weiteres offizielles Statement im Internet zu seiner provokanten Inszenierung, die Nacktheit mit Bekleidung kontrapunktiert, nachliefern: Owens remained sanguine about the turmoil he sparked – first in the front row, then on social media networks and beyond. »I pass classical marble statues of nude and draped figures in the park every day, and they are a vision of sensuality – yes, but also of grace and freedom. As a participant in one of our most progressive aesthetic arenas, am I not allowed to use this imagery? Is it only appropriate for a Michael Fassbender movie? I thought this might be an interesting question,« he wrote WWD in an e-mail. Owens said »having been influenced by fear and shame growing up,« he [loved] »the idea of putting a more loving energy out there whenever I can. We all know that runway looks aren’t meant to be taken

14 Tim Blanks: Rick Owens. Fall 2015 Menswear. In: Style.com (22. Januar 2015), online unter www.style.com/fashion-shows/fall-2015-menswear/rick-owens (letzter Zugriff: Juli 2015).

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literally, they illustrate an ethos. I would like to present a utopian world of grace free of fear and shame,« he noted.15

Szenographierte Modenschauen können somit augenscheinlich Konzepte markieren, die zur Gestaltung bestimmter Ästhetiken mit ihren Wirkungsabsichten geführt haben. Rick Owens verschob dabei lediglich einen Gemeinplatz, dass vestimentäre Gestaltung immer mit der Dialektik von Verbergen/Umhüllen und Hervorheben/Enthüllen des menschlichen Körpers spielt, vom Schauplatz der modischen Inszenierung des Weiblichen zur der des Männlichen, die in der Moderne eher durch verschiedene Uniformierungen wie beispielsweise durch den farblich gedeckten Herrenanzug verfolgt wurde. Die Durchbrechung bzw. wortwörtlich Durchlöcherung von Bekleidungskodes, die das biologische Geschlecht durch kulturelle Zeichen naturalisieren, hatte aber zunächst die bildende Kunst vollzogen: 1969 ließ sich beispielsweise die österreichische Künstlerin Valie Export offensiv in ihrer »Aktionshose: Genitalpanik« fotografieren. Die Fotografie erregte die damaligen Gemüter heftig – freilich nicht pornographisch, sondern weil sie feministische Positionen über eine modische Pose pointiert in Szene setzte. SONIA RYKIEL Am 1. Dezember 2009 wurde auch das spektakuläre Défilé de mode bei Sonia Rykiel (geb. 1930 in Paris)16 für die Präsentation ihrer H&M-Unterwäschekollektion im Pariser Grand Palais von Etienne Russo (Villa Eugenie) medienwirksam in eine gigantische cineastische Showparade gesteigert, die offensichtlich auch an den Hollywood-Blockbuster Moulin Rouge (2001; Regie: Baz Luhrmann) erinnern sollte und dabei, wie für burleske Shows typisch, viel nackte Haut zeigte: Zur lauten und bunten Indoor-Street-Parade mit wenigen, dabei aber völlig ausreichenden signifikanten Paris-Chiffren wie dem Nachbau eines glitzernden Eiffelturms à la Las Vegas und sehr viel hollywoodeskem Musicalflair, der den SoniaRykiel-Lookalike-Models sogar atemberaubende akrobatische Showeinlagen auf ihren High Heels abverlangte, stellte sich eine frivol-ausgelassene und erotisierte Grundstimmung im Schauraum ein (Abb. 12).

15 �������������������������������������������������������� Paulina Smydke: Rick Owens Responds to Controversy. ���� In: WWD v. 26. Januar 2015, online unter http://media.wwd.com/fashion-news/fashion-scoops/rick-owens-responds-to-contro versy–8144430?src=r (letzter Zugriff: Juli 2015). 16 ����������������������������� Vgl. Olivier Saillard (Hg.): Sonia Rykiel. Kat., Paris (Arts Décratifs) 2008.

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Abb. 12: Filmstill aus Sonia Rykiels Show für H&M, Grand Palais, Paris (2009)

Die formalen Anleihen des mit Floats mobilisierten Runways am Genre Film Musical made in Hollywood zeigte bei Sonia Rykiel für H&M exemplarisch eine weitere signifikante aktuelle Trendentwicklung in der Konzeption und Ausführung von Scenographic Fashion Shows an: Denn, ob ein Setdesign heute für einen Hollywood-Movie, einen Musikvideoclip oder für einen Fashionrunway entworfen und konzipiert werden muss, scheint, konzeptuell gesehen, tatsächlich fast völlig austauschbar geworden – wie beispielsweise auch die kongeniale Zusammenarbeit des britischen Modedesigners Alexander McQueen (1969–2010) mit dem italienisch-japanischen Stylisten Nicola Formichetti (geb. 1977) und dem US-amerikanischen Popstar Lady Gaga für den Videoclip der Single-Auskopplung Bad Romance und parallel auch für die McQueen-Fashionshow Plato’s Atlantis, Spring/Summer 2010, eindrücklich veranschaulicht. Transdisziplinäres szenographisches Gestalten favorisiert und forciert die optische Vergruppierung mehrerer unterschiedlicher Präsentationsplattformen, die über eine visuelle Vernetzung, crossmediale Verbindung und ästhetische Verschränkung dann in einem fein abgestimmten Auftritt, einer markanten Corporate Identity und Scenographic Branding, für eine Marke resultieren kann, d. h., Modedesign, Bühnenshow und Popmusik konvergieren hier an dieser Schnittstelle der popkulturellen Unterhaltung im Dienste einer nachhaltigen und authentischen Imageproduktion heute so eindrucksvoll, dass keine klaren Trennlinien mehr für die disziplinären Gestaltungspraktiken und ihre Metiers gezogen werden können. Wenn Bühnenshows heute auch opulente Modenschauen sind, dann werden kostspie-

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lige Laufsteginszenierungen zunehmend auch zu fulminanten Bühnenshows, und dies nicht nur mit einem Soundtrack aus der Konserve,17 sondern gerade auch durch zusätzliche musikalische Livedarbietungen, beispielsweise durch ganze geladene Orchester auf dem Laufsteg (Abb. 13) oder angesagte Pop-Music-Liveacts und prominente musikalische Performances. Mode ist ein Echtzeitphänomen.

Abb. 13: Dior Homme: Paris Fashion Show Fall/Winter 2015

Musikalische Liveperformances und Programmteile werden gerade auf den Runways der großen internationalen Modedesigner wie beispielsweise bei Karl Lagerfeld/Chanel (Abb. 14), Louis Vuitton, Hussein Chalayan, Viktor + Rolf oder Vivienne Westwood immer populärer. Sie dürfen heute fast nicht mehr fehlen, weil sie von einem zunehmend heterogener werdenden Publikum fast schon als ein fester, bunter unterhaltsamer Showbestandteil erwartet werden. Sie ergänzen hierin die zur Eigenwerbung für die Modemarke eingeladenen und immer prominent in der Frontrow der Scenographic Fashion Show medienwirksam platzierten VIPs und Celebrities. Ihre Anwesenheit und mediale Sichtbarkeit scheinen heute schließlich fast schon wichtiger als das Beisein von redaktionellen Modekritikern und professionellen Fachleuten, deren Deutungshoheit im Zeitalter des Internets zusehends von passionierten Modebloggern und ihren persönlichen Vorlieben abgelöst scheinen. 17 Siehe hierzu auch Christina Zenk: Die Musik der Laufstege. Merkmale der Modenschaumusik, Berlin u. a. 2014 (= Theorie und Praxis der Musikvermittlung 13).

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Abb. 14: Lily Allens Liveperformance/Chanel: Paris Fashion Show Spring/Summer 2010

Wir erleben damit gegenwärtig eine enorme Eventisierung und prinzipielle Entertainisierung, d. h. einen angestrengten Ausbau und eine effektvolle Dramatisierung des konventionellen historischen Laufstegs hin zu einer voll ausstaffierten Musik-, Opern-, Theater- oder Performancebühne mit cineastischen Anklängen, wobei in dieser Entwicklung auch die spektakuläre Theatralität und inhärente narrative Fiktionalität jedweder szenographischen Praxis nochmals deutlich markiert und herausgestrichen werden. Zeitgenössisches Modedesign und Szenographie sind beide als gestalterische Disziplinen im Dienste einer ganzheitlichen Imageproduktion und des Brandings für eine Modemarke immer auch visionäre Entwürfe, zeitgeschichtlich aktuelle Konzepte und ästhetische Konstruktionen von Lebenswelten, die ihre ganz besonders verfassten dramaturgischen Verläufe und Höhepunkte haben. Neben ihrem Unterhaltungswert fungieren narrative und performative Inszenierungsstrategien in spektakulären Scenographic Fashion Shows in erster Linie jedoch auf dem Sektor der kommerziellen Modeindustrie heute als innovative Vermittler, visuelle Übersetzer und subtile Verstärker, denn sie generieren vor allem die notwendige Aufmerksamkeit und das erste Staunen, um das Erlebnis ›Mode‹ auf der direkten Anschauungs- und Erfahrungsebene dem Kunden und potenziellen Käufer originell zu kommunizieren. Sie bedienen sich dabei vor allem ausgefallener Bühnenelemente und -effekte, die – insgesamt gesehen – den Ästhetiken und Rhetoriken der modernen Installations- und Performancekunst dabei sehr

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nahe kommen. Die Showproduzenten dirigieren dann wie ihre zeitgenössischen Künstlerkollegen bis in die Posen, Mimiken, Gestiken und Handlungen ihrer Modelperformer die Auftritte innerhalb der von ihnen für eine Modepräsentation und -inszenierung erarbeiteten Choreographien und elaborierten Dramaturgien. So ließ sich US-Rapper und Designer Kanye West für die stark im internationalen Medienlicht stehende Fashionshow seiner ersten adidas Originals-Kollektion Autumn/Winter 2015–2016 am 12. Februar 2015 am Skylight Clarkson Square in New York stark von den Kunstperformances der italienischen Künstlerin Vanessa Beecroft inspirieren (Abb. 15). Mit der Übernahme von zeitgenössischen Aufführungs- und Inszenierungspraktiken der internationalen Kunstszene werden Museums- und Bühnenräume mit kommerziellen Werbeaktionen und -auftritten gekreuzt, wobei ein Prestigetransfer und Distinktionswert angestrebt wird. Das Museum muss sich heute unter dem allgemeinen ökonomischen Druck der Gegenwart öffnen und popularisieren, um weiterhin gesellschaftliche Akzeptanz zu erhalten; die schnelllebige Werbung und das kommerzielle Marketing dagegen möchten sich gleichzeitig valorisieren und verewigen.

Abb. 15: Kanye West x adidas Originals: Fashion Show Autum/Winter 2015–2016, während der New York Fashion Week Fall 2015 am Skylight Clarkson Square (12. Februar 2015)

DIESEL Selbst die avantgardistische Medienkunst gerät dabei gegenwärtig zu einem populären Showbestandteil der zeitgenössischen Modeinszenierungen: Im Frühjahr 2014 schuf Nick Knight (geb. 1958 in London) und sein Showstudio-Team ein ca. 15-minütiges künstlerisch-experimentelles Video aus gefilterten iPhone-Shots, filmischen Naturimpressionen und -referenzen, choreographierten Tanzperformances und Pornoaufnahmen, das in einer großformatigen Projektion als atmo-

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sphärische Visuals für Nicola Formichettis (geb. 1977 in Tokio) erste Fashion­ show für den Diesel-Reboot in Venedig fungierte (Abb. 16):

Abb. 16: Nick Knights Showstudio für Nicola Formichettis Diesel Fashion Show in Venedig (2014) […] the show proved another chance for them to push the boundaries of image-making, with Knight creating incredible, striking films for the catwalk presentation. The films were displayed in a triptych that mirrored traditional Italian artwork, and ordered into four acts. In another nod to Italy’s creative history, the introductory segment featured Mahler’s 5th Symphony, which is best known for its use in the 1971 Luchino Visconti film Death in Venice. The next film, which formed the imposing backdrop to Formichetti’s leather section, features visuals of band Judas Priest and the burning of Norwegian churches, a references to the death metal associations of leather. The next section, which compliments the denim range, features equally striking and jarring images – some of nature, others of hardcore porn. The films flip between actual footage and shots where the footage has been projected onto dancers’ bodies – an innovative technique dreamed up by Knight exclusively for this project. The penultimate section, an exploration of deconstruction, features military footage and imagery from Japanese games, while the finale sees Knight draw on his own love of apps and Formichetti’s passion for the democratic nature of the web by taking crowd-sourced images of Diesel fans and reworking them into wonderfully bright distorted visions. All the image research was conducted by acclaimed artist and longtime SHOWstudio contributor Rei Nadal.18 18 Nicola Formichetti’s Diesel Venice Show With Nick Knight Films (4. April 2014), online unter http://showstudio.com/blog/post/nicola_formichettis_diesel_venice_show_with_nick_knight_films (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Eine Medieninstallation des renommierten deutschen Sound- und Videokünstlers Carsten Nicolai (aka Alva Noto) bildete wiederum den zentralen Bestandteil einer exklusiv im musealen Kunstraum szenographierten Modenschau von Kostas Murkudis (geb. 1959 in Dresden), die im Rahmen der Ausstellung Not in Fashion. Mode und Modefotografie der 90er Jahre 2010 exklusiv in der zentralen Halle des Frankfurter Museum für Moderne Kunst aufgeführt wurde (Abb. Cover). Auf dem audiovisuell inszenierten Laufsteg waren neben der von Kostas Murkudis eigens für das besondere museale Veranstaltungsevent entworfenen Kollektion unter anderem die prominenten Berliner Models Luca Gadjus und Charlotte Nolting live im Kunstraum zu bestaunen. Der international bekannte Berliner Modedesigner begründete dabei die bis dahin ungewöhnliche sehr direkte, hautnahe Begegnung von Kunst, Architektur und Design im zeitgenössischen Museum im Interview mit der Kritikerin Gesine Borcherdt mit folgender Erklärung: Ich hatte schon immer eine Nähe zur [b]ildenden Kunst. Sie inspiriert mich. Zugleich empfinde ich aber auch einen großen Respekt vor ihr, sie ist für mich die Königsdisziplin unter den künstlerischen Gattungen. Ich selbst würde mich nicht als Künstler bezeichnen. Deshalb habe ich meine Neigung zu ihr auch nie übermäßig demonstriert. Marketing interessiert mich nicht. […] Ich tausche mich oft mit Künstlern aus, nehme die Gespräche mit in meine Arbeit. Die Recherchen in der Kunst, wie auch die in der Musik und Architektur, sind ähnlich wie die meiner Arbeit. Und auch der inhaltliche und optische Ansatz überschneidet[n] sich gelegentlich. So wie bei Carsten Nicolai, der für die Präsentation meiner Kollektion im MMK Sound, Licht und Animation geliefert hat: Seine Bilder mit schwarzen Linien, die sich von [e]lektronischer Musik ableiten, haben mit meiner Arbeit insofern zu tun, als dass auch sie fälschlicherweise mit reinem Purismus verwechselt werden. […] Ich denke, heute befindet sich ohnehin alles miteinander im Austausch. Die Disziplinen liegen nah beieinander, man kommuniziert permanent, egal, in welchem Bereich man arbeitet. Einflüsse lassen sich gar nicht mehr ignorieren. Das beschreibt ein Phänomen unserer Zeit.19

Die experimentelle Gestaltung von Kleidung deutlich mit Konzepten und Praktiken der Zeitgenössischen Kunst zu verbinden, um ihre gemeinsamen Verschränkungen, Analogien und Wechselwirkungen in Inszenierungen sichtbar zu machen, stellt insgesamt einen wesentlichen Aspekt der kreativen Arbeit von Kostas Murkudis (geb. 1959 in Dresden) dar. Neben direkten Kooperationen mit prominenten Künstlern wie etwa Carsten Nicolai bilden daher auch Hommagen an die Kunstgeschichte hier einen Ausgangspunkt für die außergewöhnlichen Modepräsentationen mit ausgesprochenem Performancecharakter jenseits des klassischen Laufstegs: Unter dem Titel 4D – A Tribute to Franz Erhard Walther dokumentiert beispielsweise ein 8:21-minütiger HD-Videoclip 20 (Regie: Jonas 19 Gesine Borcherdt: Kostas Murkudis und Carsten Nicolai im MMK Frankfurt. Annäherung an die Königsdisziplin (10. November 2010), online unter www.artnet.de/magazine/kostas-murkudis-undcarsten-nicolai-im-mmk-frankfurt (letzter Zugriff: Juli 2015). 20 Siehe online www.kostasmurkudis.net (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Lindstroem, 2013), aus zwei unterschiedlichen Kameraperspektiven aufgenommen, die Vorstellung der Kostas Murkudis Spring/Summer 2014-Kollektion in

Abb. 17: Kostas Murkudis Spring/Summer Collection 2014; eine Hommage an Franz Erhard Walther, Installationsansicht Berlin

einer Berliner Galerie (Abb. 17), die ebenfalls einen Ausbruch aus konventionellen Formaten der etablierten Modevorführungen wagt und dabei explizit Bezug auf die performativen Strategien der Kunst der Gegenwart nimmt: Mit dieser aus ausschließlich exklusiven Einzelstücken bestehenden Kollektion bezieht sich Kostas Murkudis formalästhetisch wie performativ-inszenatorisch auf ein Hauptwerk des deutschen Bildhauers und Konzeptkünstlers Franz Erhard Walther, das sich unter dem Werktitel 1. Werksatz in der ständigen Sammlung des Frankfurter Museums für Moderne Kunst befindet. Die Einzelstücke der saisonalen Kleiderkollektion wurden zunächst auf dem Fußboden des White Cube zu einem abstrakten Formen- und Farbenarrangement ausgelegt. Nach und nach wurden die Teile dann von einem Model angezogen, mit dem handelnden Körper verräumlicht und in Bewegung gesetzt – aus dem zweidimensionalen Bild entwickelte sich gleichzeitig ein mit und in der Zeit sich allmählich konstituierender und wieder vergehender dynamischer Raum der Mode. Mode wurde hier mehr als nur eine Form der schützenden Einkleidung, sondern vielmehr als ein eindrückliches Wechselspiel und eine spannungsvolle Kommunikation zwischen bewegten Körpern, Stoffen, Mustern und Materialien, mit ihren Farben und Formen, in Raum und Zeit sinnlich erlebbar gemacht. Wie schon in den Inszenierungen in enger Kollaboration mit Carsten Nicolai, aka Alva Noto (geb. 1965 in Chem-

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nitz), geht Kostas Murkudis als dezidiert konzeptuell arbeitender Modeschöpfer damit aber auch das Wagnis ein, im harten kommerziellen Modebusiness nicht mehr als erfolgreicher, produktiver Designer, sondern als elitärer AvantgardeKünstler wahrgenommen zu werden: Ich wusste natürlich, dass ich bei einer Zusammenarbeit mit Carsten unter Umständen an einen Punkt komme, wo die klassische Modebranche sagen würde: Um Gottes willen, man sieht ja die Kleider gar nicht. Das war mir aber völlig egal. Ich denke meistens nicht in solchen Kategorien. Die zwei Welten der Kunst und der Mode miteinander zu verknüpfen, sehe ich als Herausforderung, als spannende Idee. Denn natürlich spielen Sound und Inszenierung auch bei uns eine Rolle. Ich wollte weg von diesem klassischen Modell, bei dem die Models ins Licht getaucht werden und das Publikum im Dunkeln sitzt – Catwalk. Es war ein erster Versuch dieser Art. Ich fand es absolut notwendig, Carsten den Freiraum zu geben, den er brauchte – ich würde diesen auch jedem anderen Künstler mit seiner Arbeit geben. So wie er auch mir den Rahmen gibt, das zu zeigen, was ich zeigen möchte und wie ich es zeigen möchte. Die Choreografie und all diese Dinge erarbeiteten wir zusammen, auch die Auswahl der Farben. Und wir sprachen auch über den Sound. Es gibt da Sound-Sequenzen, die aus dem Film »Le Mépris« von Jean Luc Godard stammen. Ich wollte verschiedene Elemente miteinander verbinden, und Carsten setzte das auf eine ganz brillante Art und Weise um. Er nahm Dinge auf, die in der Produktion stattfanden, sowohl Farben als auch Elemente, also die Verteilung und Inszenierung von Farbe, verstärkte diese Elemente nochmals und überlagerte sie zum Teil so, dass der Ursprung gar nicht mehr sichtbar war. Das war ein Experiment. Carsten und ich sagten uns: Lass uns das machen, wir bereiten das hier in Berlin vor und gehen dann nach Frankfurt und gucken und justieren das dort vor Ort – volles Risiko.21

ALEXANDER MCQUEEN Einige weitere große Modemarken und Häuser wie beispielsweise Alexander McQueen22, Hussein Chalayan23, Maison Martin Margiela, Chanel und Viktor + Rolf haben sich in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich und nicht nur sporadisch mit spektakulären Modenschauen ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben, allen voran Lee Alexander McQueen24, der sich – nur 40-jährig – am 11. Februar 2010 in seiner Londoner Wohnung das Leben genommen hat: Es sind die großartigen Laufsteginszenierungen des Londoner Designers, die ihm einen Platz im Modeolymp sichern. Von Highland Rape im Jahre 1995 bis Plato’s Atlantis im September 2009 hat er die visionärsten und in ihrer Vielschichtigkeit schillerndsten 21 Kostas Murkudis im Gespräch mit Peter Gorschlüter, online unter http://mmk-notes.com/2015/07/16/ mode-material-kunst-peter-gorschlueter-im-gespraech-mit-kostas-murkudis (letzter Zugriff: Juli 2015). 22 �������������������������� Vgl. Andrew Bolton (Hg.): Alexander McQueen: Savage Beauty, New Haven (Yale University Press) 2011. 23 ���������������������������� Vgl. Robert Violette (Hg.): Hussein Chalayan, New York (Rizzoli) 2011. 24 ������������������ Vgl. Judith Watt: Alexander McQueen, München 2012; Anne Deniau: Love looks not with the eyes: Thirteen Years with Lee Alexander McQueen, New York 2012; Andrew Bolton (Hg.): Savage Beauty. Alexander McQueen. Kat., New York 2011; Kristin Knox: Alexander McQueen. Genius of a Generation, London 2010.

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Modenschauen der vergangenen 15 Jahre geschaffen. Alexander McQueen war ein Modekünstler. Und der Laufsteg seine Bühne,

schrieb zum Beispiel der Wiener Standard in seinem Nachruf auf Lee Alexander McQueen. Die legendären szenographierten Modenschauen der Marke McQueen sind vielen über das Tagesgeschäft hinaus noch lange im Gedächtnis geblieben und bilden heute bereits den Gegenstand von kulturgeschichtlichen Museumsausstellungen und Blockbustershows. So gewährte die erste umfassende Alexander-McQueen-Retrospektive Savage Beauty im New Yorker Metropolitan Museum of Art 201125 (Abb. 18), die vom 14. März bis 2. August 2015 in leicht

Abb. 18: Ausstellungsansicht Alexander McQueen. Savage Beauty, The Metropolitan Museum of Art, New York City, 4. Mai – 7. August 2011

veränderter Form nochmals im Londoner Victoria & Albert Museum gezeigt wurde26, gerade auch den ikonischen Scenographic Fashion Shows einen gesonderten Raum der Betrachtung. Sowohl im musealen Ausstellungsraum als auch auf der Ausstellungswebsite wurden neben ausgewählten Höhepunkten und originellen Showpieces der legendären McQueen-Kollektionen auch zahlreiche seiner thematischen CatwalkFilme gewürdigt,27 die die einmaligen Scenographic Fashion Shows medial in Szene setzten und dokumentieren: La Poupée (Spring/Summer 1997), Golden Showers 25 Siehe online http://blog.metmuseum.org/alexandermcqueen/about (letzter Zugriff: Juli 2015). 26 Siehe die Ausstellungswebsite online http://www.vam.ac.uk/content/exhibitions/ exhibition-alexander-mcqueen-savage-beauty (letzter Zugriff: Juli 2015). 27 Siehe online http://blog.metmuseum.org/alexandermcqueen/video (letzter Zugriff: Juli 2015).

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(Spring/Summer 1998), Joan (Autumn/Winter 1998/99), No. 13 (Spring/Summer 1999), The Overlook (Autumn/Winter 1999–2000), Eye (Spring/Summer 2000), VOSS (Spring/Summer 2001), What a Merry-Go-Round (Autumn/Winter 2001– 2002), Irere (Spring/Summer 2003), Scanners (Autumn/Winter 2003/04), Deliver­ ance (Spring/Summer 2004), It’s Only Game (Spring/Summer 2005), Widows of Culloden (Autumn/Winter 2006/07) und schließlich Plato’s Atlantis (Spring/Summer 2010). (Abb. 19)

Abb. 19: Alexander McQueen: Plato’s Atlantis, Fashionshow Spring/Summer 2010

In Zusammenarbeit mit dem erfolgreichen Modefotografen Nick Knight hatte der britische Modedesigner28 am 6. Oktober 2009 im Palais Omnisports de ParisBercy eine seiner letzten großen spektakulären Modenschauen inszeniert, die seinen Ruhm als künstlerisch-konzeptueller Modedesigner ganz wesentlich mitbegründeten. Das dialektische Spannungsverhältnis von Natur und Technologie, Evolution und Devolution, dominierte beispielsweise als großes Thema und übergreifendes Motto die vestimentären Entwürfe der Alexander McQueen Spring/Summer 2010-Kollektion. Ihre Erstpräsentation sollte erstmals auch direkt per Livestream ins Internet übertragen werden. Gleichzeitig wartete diese McQueen-Fashionshow auch mit der Weltpremiere eines neuen Lady-Gaga-Songs auf. Die Sounds und 28 ������������������� Vgl. Kristin Knox: Alexander McQueen: Genius of a Generation, London (A & C Black Publishers Limited) 2010. Zur Szenographie der McQueen-Fashionshows auch Steffen Hägele: Dramaturgie des Erweiterten Laufstegs. In: Archithese 4 (2010), S. 98–101.

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Beats ihres Tracks Bad Romance sollten das Laufstegfinale fulminant musikalisch untermalen und vor allem auch eine jüngere Zielgruppe adressieren, für die Mode und Styling wie die Popmusik als zentrale Themen zum Lebensalltag gehören. Der technisch mit riesigen Industriekamerarobotern ausgestattete puristisch weiße Laufsteg lieferte neben der eindrucksvollen Parade der Models in mystisches Meeresblau gefilterte, polyperspektivische Liveaufnahmen der Gesamtszenerie und dazu noch vorgefertigte audiovisuelle Einspielungen auf einem wandfüllenden LED-Screen an der großen Raumstirnseite. Ein von Alexander McQueen, Nick Knight und Ruth Hogben dafür eigens konzipierter Fashionfilm bildete den atmosphärischen Prolog des eigentlichen Livedefilees der diversen Looks auf diesem futuristisch erscheinenden Catwalk. Die vorgefertigten Filmszenen, musikalisch untermalt von John Gosling, eröffneten dabei auch ein inhaltliches Narrativ für die gesamte weitere Show, das durch den Titel und das vorgegebene Thema dieser Saisonkollektion wiederum semantisch unterstrichen wurde: Plato’s Atlantis. Ein Potpourri aus High and Low Culture, aus Plato und dem alten Atlantismythos, kombiniert mit visuellen Anklängen an popkulturelle Science-Fiction-Produktionen der Gegenwart wie beispielsweise Alien, Abyss oder Avatar, aus Charles Darwin und seiner Evolutionstheorie wie auch aktuellen Diskussionen und Sorgen um den weltweiten Klimawandel bildeten u. a. assoziativ die wesentlichen thematischen Referenzpunkte und Motive für die weitere konzeptuelle Szenographie dieser Pariser Fashionshow. Zum Auftakt dafür zeigte der auf den gigantischen Wandscreen eingespielte Fashionfilm das bekannte brasilianische Topmodell Raquel Zimmermann als schaumgeborene Venus und als sich am Meeresstrand lasziv räkelnde Schlangengöttin. In den weiteren Filmsequenzen transformieren sich die lebendigen Schlangen sodann in kunstvoll bewegte, kaleidoskopische Ornamente und bizarre abstrakte Muster, während das weibliche Idol zu einer geheimnisvollen Unterwasserweltfigur morphierte. Neben dem anschließenden, streng choreographierten Defilee29 der ex­trem feingliedrigen und hochgewachsenen Models, die in dieser Kollektion von Alexander McQueen mit ihren Looks den popkulturellen Vorstellungen von fantastisch märchenhaften Meeresbewohnern aus dem sagenumwobenen Atlantis wie auch den bizarr mutierten Sci-Fi-Kreaturen à la HR Gigers Alien oder James Camerons Avataren aus Pandora entsprachen, waren jedoch gerade die technischen Bildmaschinen, die beiden auf Schienen laufenden, vorprogrammierten monströsen Kameraroboter, die eigentlich handelnden kreativen Performer auf dieser retrofuturistischen Schaubühne. Bereits 1999 hatte Alexander McQueen für seine Spring/Summer-Kollektion No. 13 automatisierte Robotermaschinen als spektakuläre Performer auf 29 Vgl. zum Defilee auch Pamela Golbin: Das Defilee. In: NRW-Forum Kultur und Wirtschaft, Düsseldorf (Hg.): Catwalks. Ausst.-Kat., Düsseldorf 2009, S. 18–41.

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die Catwalk-Bühne der Mode gebracht (Abb. 20). Zwei Industrieroboterarme besprühten hier in bester Action-Painting-Technik das weiße Tüllkleider des Ballerina-Models Shalom Harlow auf einem kreisenden Parkettboden von Joseph Bennett und kreierten somit direkt vor den Augen eines staunenden Publikums live ein einzigartiges Stoffdesign. Gleichzeitig erinnerte die poetische Automatisierung der Kreation daran, dass Mode längst ein wesentlicher Zweig der globalen Industrieproduktion ist. Dieser spektakuläre Performance-Showteil des Szenographen Simon Costin war zudem augenscheinlich durch zeitgenössische Kunstinstallationen und -performances inspiriert, was man ohne Weiteres auch als eine

Abb. 20: Alexander McQueen: No. 13, Fashionshow Spring/Summer 1999

Referenz und Hommage an die zeitgenössische Kunst mit Vertretern wie Rebecca Horn oder Jeffrey Shaw hat lesen können. Mit dieser Performance wurde zugleich der Kreativitätsbegriff der Menschheit subtil infrage gestellt, denn die Technologie als Entwicklung und Schöpfung der Biologie führte hier mit ihrer künstlichen Intelligenz direkt vor den Augen des staunenden Publikums mit einem Mal singuläre Gestaltungsprozesse aus. Ebenso konnten auch die neuen auffallenden Stoffmuster von Alexander McQueen nur dank neuester Softwareentwicklungen bahnbrechend entworfen und realisiert werden. Auch für die Alexander-McQueen-Spring/Summer-2010-Kollektion hatte wiederum ein digitales Programm für die innovativen Kleiderstoffe jeweils einzigartige dekorative Printmuster mitentworfen, die deutlich von der Natur, d. h. von Insekten und Faltern, Amphibien- und Reptilienhäuten wie auch von lumineszenten Tiefseefischen und leuchtenden Quallen inspiriert waren (Abb. 21). Die Dessins dieser mit Algorithmen kreativ weiterverarbeiteten Naturmuster dienten dem britischen Fotografen Nick Knight wiederum als weitere Inspiration und kreative Vorlage für ein im Studio inszeniertes Werbefoto (Campaign Image), das

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Abb. 21: Alexander McQueen: Plato’s Atlantis, Pariser Fashionshow Spring/Summer 2010

die mediale Vermarktung der Spring/Summer-2010-Kollektion von McQueen insbesondere im klassischen Printbereich der analogen Medien begleitete. Die großen Würgeschlangen, die das Model Raquel Zimmermann eng umschlängeln, schienen hier mit ihren biologischen Tarnmustern paradoxerweise wie eingekleidet, während die ungewöhnlich bizarren Schuhentwürfe dieser Plato’s AtlantisKollektion, die sogenannten Armadillo Boots, die stark an monströse Krabbenscheren oder tierische Hufe erinnerten und weltweit mediale Aufmerksamkeit genossen, stellvertretend für die weiteren 45 Looks der Saison ebenfalls von Nick Knight nochmals im Park Royal Studio fotografisch in Szene gerückt wurden: One of the strongest features of the »Plato’s Atlantis« collection is its outrageous footwear, which made headlines around the world. […] the »monster« stilettos, melted and twisted plastic meant to evoke a post-nuclear apocalyptic landscape after the ecological meltdown of the planet.30

Die Dramaturgie des gesamten Defilees der verschiedenen Outfits auf dem futuristisch-puristischen Laufsteg folgte dagegen der Idee einer zukünftigen evolutionären Re-Transformation des Menschen über ein futuristisches Reptilienstadium hinweg zurück zu dystopischen Amphibien und schillernden Meeresgeschöp30 Knox 2010: 130.

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fen, die nach dem globalen Meeresanstieg in geheimnisvoll tiefen, dunkelblauen Unterwasserwelten leben. Die entsprechende sukzessive Abfolge von Farben und Mustern in den vorgeführten einzelnen Kollektionsteilen und Looks während des Defilees unterstrich diese inhärente Erzählung nochmals anschaulich. Das Thema humane Evolution wurde hierbei auf dem modischen Catwalk als visuelle Devolution und kreative Transformation imaginiert: »Darwin’s theory of evolution in reverse«, wie es McQueen selbst auf den Punkt brachte. Die aus diesem Konzept entwickelte und spektakulär auf die Schaubühne gesetzte Imagination und Vision eines neuartigen fantastisch-bizarren menschlichen Schönheitsideals aus Elementen und Motiven, die dem natürlichen Ornament von Insekten, Faltern, Schlangen, Reptilien, von Amphibien, Fischen, Quallen und anderem schillernden Meeresgetier der geheimnisvollen Tiefsee entlehnt worden waren, bildeten somit in nuce für die Gesamtszenographie der Show wie auch für die anschließende bildliche Kampagnenwerbung im Weiteren den wesentlichen ästhetischen Ausgangspunkt der fantasievollen Inszenierung der kompletten Kollektion. Die gesamte Szenographie der Pariser Schau nahm somit vom paradoxen Kernthema »reversive Evolution« ihren ursprünglichen Ausgang und brachte es mit einem wahren visuellen Big Bang sinnlich potenziert auf die lange Laufstegbühne. Wie alle populären zeitgenössischen Vorstellungen von einem in ferner Zeiten untergegangenen Reich mit seinen mythischen Bewohnern war auch hier die szenographische wie vestimentäre Visualisierung völlig frei mit der zitierten Vorlage, d. h. assoziativ-spekulativ und thematisch-parasitär mit Platons fiktionaler Geschichte des mythischen Inselreiches Atlantis31 umgegangenen – erinnerte sie doch gleichzeitig viel mehr an moderne cineastische Umsetzungen des fantastischen Stoffes, wie sie das Publikum etwa aus den unzähligen Captain-Nemo-Verfilmungen oder aus populären Science-Fiction-Movies à la Hollywood kennt. Sie begnügte sich mit literarischen Andeutungen, um sich umso stärker auf die Macht der Bilderproduktion zu fokussieren, die rein visuell die Referenzen zu bestimmten Diskursen herstellen konnte: Unter dem Eindruck aktueller Diskussionen und erregter Debatten über den globalen Klimawandel, einer möglichen Erderwärmung mit den Folgen eines rapide ansteigenden Meeres­pegels in vielleicht einer nicht ganz so fernen Zukunft, spekulierte Alexander McQueen im offiziellen Darwin-Jahr 2009 fantasievoll über das Szenario einer möglichen nahen Zukunft für die Menschheit, mit und in den ihm eigenen künstlerisch-gestalterischen Mitteln, und visualisierte seine kreativen Imaginationen mit visionären Entwürfen. Der britische Modedesigner zeichnete unter den antizipierten ökologischen Bedingungen gleichzeitig ein zukünftiges evolutionäres Erscheinungsbild des Menschen, wobei er entgegen eines jeden Ansatzes von Pessimismus oder Resignation die natürliche Evolution in Allianz mit menschlicher Technologie 31 Der griechische Philosoph Platon beschreibt die Insel Atlantis erstmals, wohl auf ägyptische Quellen zurückgreifend, in seinen um 360 v. Chr. verfassten Dialogen Timaios und Kritias.

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und künstlicher Intelligenz deutlich affirmativ als kreative Transformations- und Gestaltungskraft interpretierte: When Charles Darwin wrote The Origin Of The Species, no one could have known that the ice cap would melt, that the waters would rise and that life on earth would have to evolve in order to live beneath the sea once more or perish. We came from water and now, with the help of stem cell technology and cloning, we must go back to it to survive. When the waters rise, humanity will go back to the place from whence it came. »But then again, I’m no Nostradamus«,

so Alexander McQueen32 im offiziellen Statement zur Fashionshow. Allerdings demonstrierten seine visionäre Kollektion und ihre spektakuläre Szenographie nebenbei, wie sehr die Kreativität eines Modeschöpfers auch neue Menschenbilder zu schaffen vermag. Überdies war die fast eine Million Pfund teuere Alexander McQueen Scenographic Fashion Show Plato’s Atlantis wohl auch eine der ersten szenographischen Inszenierungen, die als kulturelle Produktion große mediale Aufmerksamkeit und so schnell ikonischen Status im kollektiven Bewusstsein erreicht hatte, dass sie es, kurioserweise auch in ein konsumierbares Merchandising-Produkt und mitnehmbares Souvenir verwandelt, umgehend in den Museumsshop schaffte. Das Victoria & Albert Museum in London bot diese legendäre Scenographic Fashion Show unter der Bezeichnung Folding Fashion Show – Plato’s Atlantis als ein dem ursprünglichen Lookbook der Kollektion nachempfundenes, 81 x 13,5 cm dimensioniertes Leporello während der Laufzeit der Alexander McQueen Retrospektive Savage Beauty in seinem Haus für £ 8.50 zum Verkauf an: Part of a range of exclusive products specially created in celebration of the Alexander McQueen: Savage Beauty exhibition at the V&A. A folding fashion show featuring nine looks from Alexander McQueen’s Plato’s Atlantis spring/summer 2010 collection. This concertina is designed to be displayed on a shelf and captures key garments from his final final runway collection, widely considered to be his greatest achievement. Photographed at Palais Omnisports de Paris-Bercy, Paris. Created exclusively for the V&A.33

VIKTOR + ROLF Die szenographierten Modenschauen des Designerduos Viktor + Rolf, die in der Mehrzahl in Zusammenarbeit mit dem befreundeten niederländisch-belgi32 Kommentar von Alexander McQueen zur Schau Plato’s Atlantis auf seiner Homepage, online unter www.alexandermcqueen.com (letzter Zugriff: Juli 2015). 33 Zitiert aus dem Anzeigentext des Museumsshops im Victoria & Albert Museum in London, online unter www.vandashop.com/Folding-Fashion-Show-Platos-Atlantis/dp/B00U2G3LJE?field_ availability=–1&field_browse=5782497031&id=Folding+Fashion+Show+Platos+Atlantis&ie=UT F8&refinementHistory=subjectbin%2Cprice%2Cgeneric_text_1-bin&searchNodeID=57824970 31&searchPage=1&searchRank=generic-one-asc-rank&searchSize=12 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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schen Studio Job (geleitet von Nynke Tynagel + Job Smeets)34 konzipiert werden, stechen seit einigen Jahren ebenfalls durch ihre ausgesprochenen künstlerischkonzeptuellen Ansätze wie performativen Inszenierungen in der internationalen Modeszene hervor. Stilisieren sich die beiden niederländischen Modeschöpfer Viktor Horsting (geb. 1969 in Geldrop) und Rolf Snoeren (geb. 1969 in Dongen) beide selbst schon optisch zu einer Doppelpersona und impersonieren damit visuell ihre Marke ›Viktor + Rolf‹, so rufen auch ihre gemeinsamen Bühnenauftritte Erinnerungen an die Performancekünstler der bildenden Künste, wie etwa Gilbert & George, wach. Offenkundig valorisieren Viktor + Rolf damit ihre langfristige Marketingstategie eines ›Brand Yourself‹, d. h. das Prinzip, den Entwerfer der Mode, den kreativen Menschen und individuellen Modeschöpfer im Sinne eines strategischen Alleinstellungsmerkmals zu einer singulären unverwechselbaren und authentischen Marke im globalen Wettbewerb werden zu lassen: »Gerade weil es bei ihnen nur ums Image geht, schließen sich wirtschaftlicher Erfolg, geschickte Zurschaustellung sowie spektakuläre Szenografie nicht aus.«35 Selbstreflexion und Selbstironie sind dabei im performativen und narrativen Sinn durchaus auch erlaubt, beispielsweise wenn die beiden Modeschöpfer Viktor + Rolf ihr prominentes Model Kristen McMenamy wie eine Kleiderpuppe auf dem Catwalk aus- und wiederanziehen (Abb. 22). Diese selbstreferentielle, spielerische Performance für ihre Fall/Winter 2010/11-Fashionshow, in der das niederländische Designerduo dem US-amerikanischen Supermodel in dieser öffentlichen Schauanprobe vor Publikum bis zu 23 Lagen an Kleidung an- und wieder ablegte, war zugleich durchaus auch für ein breiteres, kulturell-interessiertes Publikum als ein origineller, effektvoller Nachhall der absurd-skulpturalen Kunstperformances eines Erwin Wurm in der Modewelt dechiffrierbar. Bereits für die Fall/Winter-Kollektion 1999–2000 hatte das Duo Viktor + Rolf in Russian Doll die Performance des spielerischen Einkleidens und stilistischen Ausprobierens in etwas bescheidnerem, damals aber umso originellerem Umfang, live auf dem Laufsteg erprobt. Russian Doll zeigte, wie der Titel schon andeutet, eine Art Matroschka-Performance in Lebensgröße, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Sie wurde außerdem von Bardo Fabiani für ein Werbefoto nochmals effektvoll fotografisch reinszeniert. Das Verwandlerisch-Schöpferische in dieser gestalterischskulpturalen Transformation war augenscheinlich Motor der modischen OutfitProduktion und wurde hierin augenzwinkernd selbstreferenziell und selbstreflexiv vorgeführt. Denn Mode ist Form permanenter Veränderung wie auch ein ständiger visueller Wechsel. Das kreative Entwerfen und Konzipieren, Machen, Herstellen, Anprobieren, Verändern und Vorführen im hektischen Termintakt der saisonalen Modewochen kann aber auch als eine beschleunigte moderne Fließbandfabrikation 34 Siehe die Website von Studio Job online unter www.studiojob.be. 35 ���������������������������������������������������� Caroline Evans in Jane Alison/Ariella Yedgar (Hg.): Viktor + Rolf, München (Collection Rolf Heyne) 2009, S. 14.

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zusammengefasst werden. Eine kommerzielle Maschinerie und industrielle Fabrik, die heute jedoch nicht nur Produkte und Waren, sondern mindestens seit Andy Warhols Factory auch ›Stars und Glamour‹ produziert.

Abb. 22: Viktor + Rolf: Motiv aus dem Jubiläumseditorial in der Vogue Netherlands (November 2013)

Unter dem Stichwort ›Glamour Factory‹ fasste daher das Bureau Betak auch den Graphic Style und die Gesamtszenographie des Viktor + Rolf-Catwalks für den Pariser Espace Ephemere Tuilleries im März 2010 zusammen. Die markante Gestaltung evozierte gleichzeitig, intermedial gesehen, den nostalgisch-futuristischen Sci-Fi-Charme der großen Fabrik aus dem Filmklassiker Metropolis (Regie: Fritz Lang; 1927). Ihre modische Avantgarde-Produktion zelebrierten Viktor + Rolf freilich gemeinsam nur mit ausgewählten Models und vor geladenem Publikum in einem aufgeführten rituellen Puppenspiel im glamourösen Scheinwerferlicht des Catwalks – denn auch hier bleibt die fleißige und handwerklich geschickte Mannschaft der vielen Näherinnen und Schneiderinnen in den Modestudios mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten weitestgehend anonym. Inszeniert wird im hellen Rampenlicht der Scenographic Fashion Show schließlich nicht die eigentliche gestalterische und produktionstechnische Arbeit, sondern vielmehr nur ein luxuriöses ›Nachspiel‹ und darin gleichzeitig auch die Anfänge dieser exklusiven Modenschauen: das Anziehen und stilistische Einkleiden von Modepuppen

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an adligen Höfen.36 Nicht zuletzt werden die vorführenden und performenden Models daher bis heute gerne noch, wenn auch pejorativ, als Kleiderpuppen und Mannequins, abgeleitet vom ursprünglichen Sinne, bezeichnet. Kleine Porzellanpuppen, die en miniature exemplarisch die besten und bekanntesten Entwürfe von Viktor + Rolf tragen, wurden überdies für die erste Retrospektive des niederländischen Designerpaares in der Londoner Barbican Art Gallery eigens hergestellt und im September 200837 in einem überdimensionierten weißen Puppenhaus, einer Synthese von Miniatur-Modehaus und galerieartigem White Cube, auf originelle Weise für das an der zeitgenössischen Mode und ihrem Design interessierten allgemeinen Publikum im Kunst- und Museumsraum ausgestellt (Abb. 23):

Abb. 23: The House of Viktor + Rolf, Barbican Art Gallery, London 2008 the house of viktor & rolf ist einerseits Gebäude, andererseits auch Moderetrospektive. Das überdimensionale Puppenhaus von Viktor & Rolf fügt sich perfekt in den brutalistischen Stil der Barbican Art Gallery mit ihren Galerien und mehrräumigen Halbgeschossen ein. Darin sind kleine Modepuppen, die übergroßen viktorianischen Puppen ähnlich sehen, mit sorgfältig gearbeiteten und exakt maßstabsgerecht angepassten Kleidern ausgestellt. In den acht Räumen der oberen Ausstellungshalle wachsen die Puppen 36 Vgl. hierzu Modepuppen als Botschafterinnen der Eleganz in: Gertrud Lehnert (Hg.): Mode. Models. Superstars, Köln 1996, S. 44–53. 37 Siehe Alison/Yedgar 2009.

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plötzlich zu lebensgroßen Figuren und geben den Besuchern das unheimliche Gefühl, das Puppenhaus nun selbst betreten zu haben. Dieser reizvolle Alice-im-Wunderland-Effekt hat etwas überaus Spielerisches und zugleich düster Surreales.38

Die Botschaft der Szenographie blieb indessen ambivalent: Große Jungs, die mit kleinen Puppen spielen? Ja, durchaus, wie die weiteren fotografischen Selbstinszenierungen von Viktor + Rolf mit dem wohlmeinenden Augenzwinkern einer Campästhetik suggerieren! Wir haben Mode und unsere Rolle darin als Komplettpaket betrachtet, sodass ›Branding‹ eine ganz natürliche Sache war. Wir wollten etwas erreichen in der Modewelt, nämlich ewigen Ruhm, und unser Instinkt sagte uns, wie wichtig es ist, eine Aura, einen magischen Raum zu erschaffen. Unser Interesse galt sofort der Mode als Ganzes, nicht nur den Kleidern.39

HUSSEIN CHALAYAN Auch das niederländische Groninger Museum gab schon früh einem Modedesigner, nämlich Hussein Chalayan (geb. 1970 in Nikosia), eine erste große SoloAusstellung in seinen exklusiven Kunsträumen. In den vergangenen Jahrzehnten hat der britische Modeschöpfer und Konzeptkünstler türkisch-zypriotischer Herkunft viele spektakuläre saisonale Modekollektionen und -präsentationen realisiert, von denen die wichtigsten bereits in dieser ersten großen Werkschau in Form von vielen Einzelexponaten, Installationen, Foto- und Videoarbeiten nochmals – außersaisonal – museal zur Schau (aus-)gestellt und durch einen wissenschaftlichen Ausstellungskatalog dokumentiert wurden. In der Pressemitteilung begründeten die verantwortlichen Groninger Kuratoren diese vom 17. April bis 4. September 2005 in ihrem Museum laufende, mit einer ersten Monographie40 wissenschaftlich begleitete und retrospektiv angelegte Einzelausstellung wie folgt: Chalayan gehört zu den innovativsten, höchst experimentell und konzeptuell arbeitenden Modeschöpfern unserer Zeit. Mit Inspirationen, die aus unterschiedlichen Disziplinen wie Architektur, Philosophie und Anthropologie stammen, lässt sich sein Œuvre im Grenzgebiet zwischen Mode und moderner Kunst ansiedeln. Seine Themen sind häufig kulturell gesellschaftlich geprägt. Dies hat mit der persönlichen Geschichte Chalayans zu tun, der seine Identität verschiedenen Kulturen verdankt. Mit einer Aufsehen erregenden Präsentation, für die er seine Kleidungsstücke erst begraben hatte, absolvierte Hussein Chalayan sein Studium am Londoner Central St. Martins College of Art and Design. Der Einsatz von innovativen, ungebräuchlichen Materialien und unorthodoxen Techniken, in Verbindung mit dem konzeptuellen Reichtum seiner Präsentationen, brachten ihm bei den British Fashion Awards 1999 und 2000 den Titel Designer of the Year ein. Seit 2001 38 Ebd.: 6. 39 Viktor + Rolf in Alison/Yedgar 2009: 36. 40 ���������������������������� Siehe Caroline Evans u. a.: Hussein Chalayan. Ausst-Kat., Groningen/Groninger Museum (Nai Publishers) 2005.

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veranstaltet er seine Shows während der Prêt à Porter-Modewochen in Paris. Im Jahre 2002 brachte er seine erste mens-wear Kollektion heraus. Seitdem hat her weltweit an zahllosen Ausstellungen wie der Radical Fashion im Londoner Victoria & Albert Museum, Fashion im Kyoto Costume Institute in Japan, Airmail Clothing im Musée de la Mode Palais du Louvre in Paris und der Biennale in Istanbul teilgenommen. 2001/2002 war er Artist in residence am Wexner Center (State University of Ohio). Im April 2004 eröffnete Chalayan seinen ersten Flagship Store in Tokyo, in dem der Kunde in die mediterrane Atmosphäre von Nord-Zypern [eintaucht].41

In der gleich auf zwei Etagen des renommierten Groninger Museums eingerichteten großen Übersichtsausstellung zum damaligen transdisziplinären Gesamtwerk von Hussein Chalayan,42 die danach gleich noch in andere europäische Museen weiterwanderte, war u. a. nochmals die Fashionshow-Performance after words vom 16. Februar 2000 zu sehen. In der damals international großes Aufsehen erregenden Performance-Installation hatte der junge Modeschaffende Hussein Chalayan zur Präsentation seiner Prêt-à-porter-Kollektion Autumn/Winter 2000–2001 während der Londoner Modewoche das hochaktuelle Thema Flucht, Vertreibung und Migration in Bezug auf Behausung und Bekleidung thematisiert. Für die installative Runwayshow mit Performance-Elementen ließ der stark konzeptuell arbeitende Modedesigner im Londoner Sadler’s Wells Theatre dafür eigens unter der Art Direction von Alexandre de Betak ein karges, modernistisch weißes Bühnenset bauen, das eine Art Wohnzimmergruppe im 1950er-JahreStil beherbergte. Ivana Novoselac wies bereits darauf hin, dass das Sadler’s Wells Theatre einst eine jahrhundertealte Tradition als Schaubühne im konventionellen Sinne innehatte und heute vor allem ein Ort für zeitgenössische Tanz-, Kunst- und Theaterperformances [ist]. Insofern positioniert Chalayan seine fashion show von Anfang an in einem ambivalenten Bereich zwischen Mode, Tanz, Kunst und Theater. Der gewählte Ort der Veranstaltung legt somit bereits die Vermutung nahe, dass die Modeschau ohne den üblichen Laufsteg auskommen wird.43

Die Scenographic Fashion Show after words (Abb. 24 u. 25) wurde dort mit einer fünfköpfigen Personengruppe eröffnet, die aus einem dunklen Proszenium mechanisch auf die Bühne gehievt wurde, während das Licht für die Show allmählich anging. Sie repräsentierte augenscheinlich eine Familie, die, gleichsam wie wartend, auf kofferartigen Hockern saß. Nachdem diese Personengruppe, die zum Auftakt der Show auch schon die ersten Outfits trug, das minimalistische Set wieder

41 Siehe die offizielle Presseankündigung online unter www.groningermuseum.nl/de/husseinchalayan (letzter Zugriff: Juli 2015). 42 Siehe Evans u. a. 2005. 43 Ivana Novoselac: Performanz und Metamorphose in der zeitgenössischen Modeschau. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Wien 2012, S. 25.

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Abb. 24 u. 25: Hussein Chalayan: After Words, Fashionshow Autumn/Winter 2000, Womenswear Collection, sponsored by ITKIB and Marks & Spencer

verlassen hatte, wurden ihre Sitzflächen von weiteren Personen, die in neutrale weiße Overalls gekleidet, anschließend auf die Bühne traten und offensichtlich Bühnenarbeiter darstellten, davongetragen. Während im Anschluss immer wieder neue Models nacheinander mit verschiedenen Looks und unterschiedlichen Outfits die Bühne klassisch präsentierend betraten, stimmte zur musikalischen Begleitung ein bulgarischer Frauenchor in Folkloretracht, das Bulgarka Junior Quartet, im Hintergrund live und sehr eindringlich traditionelle Gruppengesänge an. Der auf der Bühne real anwesende folkloristische Chor war dabei durch ein semitransparentes Fenster hinter der nun hell erleuchteten Guckkastenkulisse für das Publikum jedoch nur schemenhaft zu erspähen. Im Mittelpunkt standen vielmehr neben der sukzessiven Abfolge der auftretenden und wieder abgehenden von Hussein Chalayan eingekleideten und gestylten Models die eigens von Paul Topen für das Setdesign von Alexandre de Betak und Jack Flanagan geschaffenen Möbelobjekte, die sich im Folgenden verwandeln ließen. Denn die letzten fünf Models des Defilees eigneten sich wie in einer Performance von Franz Erhard Walther die Stoffbezüge von fünf Sesseln als Kleidungsstücke an, während weitere auftretende Bühnenarbeiter die Konstruktion der Sessel unmittelbar in Kofferobjekte veränderten. Der Wohnzimmertisch im Mittelpunkt der Szenerie transformierte sich wiederum am Ende dieser sehr außergewöhnlichen Bühnenperformance durch eine überraschende Objektwandlung tatsächlich ebenfalls noch in ein weiteres tragbares Kleidungsstück: nämlich in einen langen Faltenrock, der im Sinne eines spektakulären Key-Showpieces wiederum als Höhepunkt der Scenographic Fashion Show das letzte Model auf der Bühne statt in eine zu erwartende Braut nun vielmehr in eine Figurine aus Oskar Schlemmers Triadischem Ballet (1927) zu verwandeln schien. Auch für Thom Brownes Fashionshow Spring/Summer 2013 diente der Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer am 10. September 2012 während der New Yorker Modewoche für die Choreographie und das Styling als gestalterische Anre-

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gung und kunsthistorische Referenz (Abb. 26), wie das Plot-Magazine resümierte: Hinter den Absperrungen im Edna-Barnes-Solomon-Saal der New York Public Library drängen sich nervös die Gäste und sind gespannt, was sie bei dieser Modenschau erwartet. Denn schon der erste räumliche Eindruck gibt so manchem ein Rätsel auf: Gewellte Spiegel wie aus einem Jahrmarkt-Kabinett prägen die Rückwand und auf dem Boden liegen kreisrunde Scheiben, die an schwarz-weiße Spiral-Windräder erinnern. Plötzlich erklingen ungewohnte Töne. Zehn männliche Modelle in scheinbar zu kurz geratenen Seersucker-Anzügen und mit silbernen, ballonförmigen Kopfbedeckungen treten in den Raum und spielen für einige Minuten auf Xylophonen. Nur langsam verlassen sie ihre Position und weichen einer Gruppe Tänzerinnen mit ebensolchen Hauben und in glockenförmigen Kleidern. Fasziniert sieht das Publikum die Damen eine nach der anderen tanzend ihre Position vor den Spiegeln einnehmen. Und kunstbeflissene Zuschauer werden sich hier bereits fragen, ob sie tatsächlich der Präsentation von Thom Brownes Damenkollektion beiwohnen oder ob es sich um die Wiederaufnahme des ›Triadischen Balletts‹ handelt. […] So bekleidet, umrunden die Mannequins in New York weiter die Bühne, finden sich auf einer der hypnotischen Scheiben ein und erstarren in ihrer Bewegung. Nur noch durch die männlichen Models im Kreis gedreht, erinnern sie dabei an Statuen oder lebendige Schaufensterpuppen. Zum Schluss zeigt sich auf der Bühne die Kollektion als Gesamtbild und hinterlässt ein bewundernd staunendes Publikum. Diese Symbiose von Kunst und Mode, angereichert mit ein wenig Skurrilität und einem kleinen Augenzwinkern, begeistert Zuschauer und Kritiker gleichermaßen und auch die »Los Angeles Times« vergleicht Thom Browne mit einem weiteren Meister in Sachen absurd-komischer Inszenierungen: »Wenn Tim Burton Träume von Modenschauen in Farbe hätte, dann würden sie so aussehen. Und das ist eine gute Sache.«44

Abb. 26: Thom Browne: New York Fashion Show Spring 2013 (10. September 2012) 44 Sabine Marinescu: Das Bauhaus in New York. Eine Hommage an Oskar Schlemmer. In: PLOT. Inszenierungen im Raum, H. 9: Dress the Stage on Fire (März 2013), S. 33.

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Tatsächlich verstand der US-amerikanische Modedesigner nach eigenem Bekunden die klar vom Triadischen Ballett inspirierte Szenographie als »a show for show’s sake«, d. h. als eine szenographierte Modenschau mit symbolischem Mehrwert und Transzendenzanspruch, indem sie explizit auch als eine modische Hommage an den berühmten deutschen Bauhaus-Künstler zu rezipieren war: [T]he wacky wavy rainbow plaid dresses were set in a space age spirographic ballet, each of the models entering the scene in increasingly elaborate and occasionally sea-themed ensembles. They took a look around and then were placed onto individual spinning black and white spiral discs, turned and inspected one at a time by a crew of silver beehive turbaned young men, set to the desperate whine of an airplane’s drone and then, in finale, to Kate Bush’s »Wuthering Heights«. It was Thom Browne’s exquisite Triadic Ballet.45

Aus passiv und ausdruckslos präsentierenden Laufstegmodels wurden hier bei Thom Browne und Hussein Chalayan aktive Darsteller und künstlerische Performer, die direkt vor den Augen des Publikums eine symbolische Handlung mit und anhand der entworfenen Kleidung und Bühnenobjekten vollzogen. Die Mode tritt hier im Besonderen durch die Signatur des Modeschöpfers gleichzeitig in ihrer tragenden Rolle als bewegtes wie bewegendes Bühnenkostüm hervor. Die Kleidung als eine entworfene erste Raumhülle des Körpers strebt darüber hinaus im Allgemeinen durch ihr Hervortreten in Raum und Zeit grundsätzlich immer nach einer weiterreichenden Wirkung, die durch ein szenographisches Konzept markiert und sichtbar gemacht werden kann. Chalayan wollte beispielsweise unter dem Eindruck der damals in den Medien allgegenwärtigen Kosovo-Bilder mit der aktuellen Kollektion und ihrer kongenialen Inszenierung auf die steigende Zahl der Flüchtlinge aufmerksam machen. […] Zur Verwunderung der Zuschauer entstanden vor ihren Augen aus Sofabezügen neue Kleider. Den Rest der Möbel klappten die Models zu Koffern zusammen und trugen sie davon. Zuletzt war nur noch ein runder Tisch mit einem Loch in der Mitte übrig, in das ein Model hineinstieg. Dann zog sie den Tisch wie eine Ziehharmonika nach oben, verwandelte ihn dadurch in einen Rock und ging damit vom Laufsteg. Solche Kollektionen dienen dem Designer als Projektionsfläche für politische Aussagen: Indem er statische Einrichtungsgegenstände in mobile Kleidungsstücke verwandelte, thematisierte er gleichzeitig die Situation von Flüchtlingen, jederzeit zum Aufbruch bereit sein zu müssen und kein festes Zuhause zu haben.46

Gleichzeitig war das Thema dieser saisonalen Modekollektion und ihrer Inszenierung auch stark biographisch motiviert, wie im Webarchiv von Hussein Chalayan heute noch nachzulesen ist: 45 ����������������� Paul Wagenblast: Thom Browne Womenswear SS13. Oskar Schlemmer and Browne’s Triadic Ballet (2013), online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/14445/1/thom-browne-womenswear-ss13 (letzter Zugriff: Juli 2015). 46 Eintrag »Chalayan« im »Designer ABC« von FAZ.net.

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Afterwords (2000) was inspired by the horror of having to leave your home at the time of war. Initially Chalayan took the inspiration from how Turkish Cypriots (including members of Chalayan’s family) were subjected to ethnic cleansing in Cyprus prior to 1974 (as there were attempts to annex Cyprus to Greece). After talks with his family Chalayan explored the idea of how we may want to hide our possessions or how we may want to carry them with us on departure in such an ordeal. In this light a living room was created where clothes were disguised as chair covers, suitcases as chairs and each object in the room fitted into a special pocket which was specifically designed to contain them.47

Das Ende von after words bildete eine eigenartig leblose, menschenleere und gespenstisch gegenstandslose Kulisse, ein White-out. Hier geriet die ritualistische Präsentation der Mode in Verbindung mit einer transformativ-perfomativen Szenographie zu einer subjektiven Erzählung, zu einem eindringlich politisch-gesellschaftlichen Statement ihres Autors. Die Szenographie dieser Fashionshow im Theaterraum unterstrich letztlich sehr augenscheinlich, in ihrem selbstreferentiellen wie selbstreflexiven Sinne, dass Modedesign immer auch die Stoffwerdung von bestimmten Ideen und Konzepten ist, und nicht allein nur die handwerkliche Bearbeitung von Stoffen. Die Szenographie wiederum verräumlicht und verzeitlicht die in die Stoffe und Kleider eingewirkten Themen und Konzepte: After Words expressed a political reality that articulated relationships between garments and cultural narratives, but was not intended to transform the garments into inhabited environments. After Words explored notions about expatriation and the idea of being able to transport an environment from one place to another in times of crisis. The Table Skirt and the entire set from the show were later featured in the Tate Modern’s Century City exhibition in 2001, chosen because of their expression of the evolving dynamic between the built environment and the physical transience of urban life. Some of the garments in the collection were equipped with pockets and compartments that would hold essential belongings, or fuse with other items of clothing so that they could be put on more quickly. »A part of the idea was camouflage, so that things could be left in an obvious place and still be there when people came home again. That was part of the concept behind the dresses, that they were something valuable disguised as chair covers that no one would take,« Chalayan explained. »Things like that happened to my family in Cyprus. I heard stories about things that happened to them and everyone elese. Somehow people would sneak back to their homes to get things that belonged to them – which they weren’t allowed to do – so I was also showing how a space could be emptied little by little, almost in secret.« The space occupied by clothing is central to Chalayan’s vision: clothing defines the intimate zone around the body, architecture a much larger one. In After Words, Chalayan expressed how either could become a danger zone and a refuge, a means of transportation for what could be carried and a camouflage for things left behind. Symbolically, the models were able to transport items from a »threatening« environment to a safe place, reestablishing the safety and familiarity associated with them in different surroundings.48

47 Zitiert nach http://chalayan.com/afterwords/ (letzter Zugriff: Juli 2015). 48 ��������������������������������������������������������������������� Bradley Quinn: A Note: Hussein Chalayan, Fashion and Technology. In: Fashion Theory: The Journal of Dress, Body & Culture 6 (2002), H. 4 (Noevember), S. 361.

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›Ambimorphous‹, ein weiteres herausragendes künstlerisch-konzeptuelles Modeprojekt von Hussein Chalayan für seine Autumn/Winter 2002-Kollektion, das sich ebenfalls mit transnationaler Migration, kultureller Transformation und neuer Hybridkultur auseinander gesetzt hatte, ließ sich auf dem Laufsteg der Mode als räumlich-geographische und zeitliche Wanderung von einer Kultur zu einer anderen ›erfahren‹. Die Präsentation der Kollektion begann mit dem Auftritt eines Models, das ganz in ein farbenfrohes ›ethnisierendes‹ Folklorekostüm eingehüllt war, gefolgt von einer Reihe weiterer Models, deren Looks sich dann ›schrittweise‹ in ein westlich-modernes schwarzes Outfit wandelten, während sich dieser modische ›kulturelle Wandel‹ gegen Ende der Show allmählich wieder umkehrte – das kleine Schwarze wieder durch Ornamente exotisiert wurde. Bezeichnenderweise lagen dramaturgisch gesehen, die interessantesten Entwürfe in den Stufen, die stilistisch gesehen, im postmodernen Sinne als interkulturelle Hybride markiert waren. Marcus Tomlinson49, ein bekannter englischer Fotograf und Videokünstler, mit dem der ursprünglich aus Zypern stammende, türkisch-britische Modedesigner häufig zusammenarbeitet, hat die choreographierte Bühnenperformance dieser vom Zusammengehen und Verschmelzen verschiedener Kulturen erzählenden Looks und modischen Outfits nochmals gesondert in Foto- und Videoarbeiten nachträglich in Szene gesetzt. Sie sind auf Hussein Chalayans Website50 im Internet auf Dauer über die vergangene eigentliche Saison hinaus archiviert und stehen dort den an Kunst und Mode Interessierten heute als Bild zur Verfügung, während die darin in Szene gesetzte Modekollektion längst nicht mehr erhältlich ist – mit Ausnahme von sogenannten Vintagestücken, die vorwiegend für Sammler interessant werden und heute auf dem Secondhandmarkt wie Kunstwerke begehrt sind. Hommagen und Referenzen an zeitgenössische transformativ-performative und konzeptuell-installative Aktionen aus dem internationalen Kunstbereich scheinen insgesamt gerade für die Scenographic Fashion Shows ein geeignetes gestalterisches Konzept und narratives Skript für ihre bühnenhaften Präsentationen des aktuellen Modedesigns zu sein, da darin gerade auch für die Nachmoderne so charakteristische thematische Aspekte wie Selbstreflexion, Selbstreferenz und Selbstironie in den kommunikativen Dialog mit eingebunden werden können. Darüber hinaus wird mit der sogenannten ›Artifizierung‹ dieser Szenographien subtil ein Versprechen auf die Möglichkeit eines Erwerbs von symbolischem Mehrwert mitgegeben: Kunstzitate scheinen das Design deutlich zu valorisieren oder seine kulturell niedrigere Wertigkeit über Appropriationsstrategien einfach aufzuheben, seinen Status als funktionales Konsumprodukt zu transzendieren. Gleichzeitig werden umgekehrt die zeitgenössische Installation und Performance Art in diesem neuen, kunstfernen Rahmen für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich und durch sinnli49 Siehe online die Homepage von Marcus Tomlinson www.marcustomlinson.co.uk (letzter Zugriff: Juli 2015). 50 Siehe online www.husseinchalayan.com (letzter Zugriff: Juli 2015).

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chere Ästhetisierungsmomente enorm popularisiert als nur eben instrumentalisiert, wie Kritiker meist befürchten: Iris van Herpens in transparente Plastikfolien eingeschweißte, über dem langen Laufsteg schwebende Models für die sprichwörtlich atemberaubende Scenographic Fashion Show Biopiracy (Abb. 27 u. 28) bezauberten mehr, als dass sie das Publikum nur verstörten. Die konzeptuell-installative Szenographie für die Herbst/Winter-2014-Kollektion war in Kollaboration mit dem belgischen Künstler Lawrence Malstaf entstanden, who specialises ›in the interaction between biology and physicality.‹ Together they vacuumpacked a group of models, suspending them in embryonic ›human installations‹ along the edge of the catwalk. The result was an eery, foetus-like addition to the concept of ›Biopiracy‹ which underpinned the entire show. By creating artificial, voluminous and organic effects through her clothing, Iris looked to question topics such as the purchase of genetics and who really owns our bodies.51

Iris van Herpens Entwürfe selbst gelten in der internationalen Modewelt, beispielsweise durch den Einsatz von ungewöhnlichen Materialien und neuen 4-D-Prints, seit Langem schon als skulptural, innovativ und performativ, weswegen sie nicht selten auch als avantgardistische Kostüme in den spektakulären Bühnenperformances und Musikvideos von Superstars wie Björk, Lady Gaga und Beyoncé zur Wirkung und Geltung kommen. In der internationalen Fachpresse gelten sie als »Kleidung an der Schwelle zur Kunst«. Die spektakulären Szenographien ihrer thematischen Modenschauen akzentuieren und pointieren wiederum die künstlerisch-gestalterischen Ästhetiken und Rhetoriken ihres charakteristischen Modedesigns, das die Grenzen zwischen Kleidung, Körper und Skulptur, zwischen Mode, Kostüm und Objekt immer wieder originell und innovativ durchkreuzt und ästhetisch überschreitet. Biopiracy lieferte 2014 insgesamt gesehen, nicht nur atemberaubende Looks, neuartige Stoffe und fortschrittliche Gestaltungstechniken, sondern auch ein höchst subjektives Statement: In the recent past, patents on our genes have been purchased. Are we still the sole proprietor of our bodies? From this question arises a sense of arrested freedom in one’s most intimate, solitary state. A mix of ready-to-wear and couture pieces is presented with artist Lawrence Malstaf – who specializes in the interaction between biology and physicality. Models float in the air, embryonic, seemingly weightless and in a meditative suspended animation. Metamorphosis is suggested through intricate enmeshing of materials. Imprisoned fire opal beads gleam through lacerated weaves, artificial fibers compose voluminous, architectural structures, the organic ripple of light on water. A 3D printing collaboration with Julia Koerner fuses the artisanal with the technical to create a kinetic dress which dances as it amplifies bodily movement. Molded boots in collaboration with United Nude accelerate and reconfigure the silhouette.52 51 ����������������� Maisie Skidmore: Fashion: Iris van Herpen vacuum packs models in plastic for her Biopiracy show (7. März 2014), online unter http://www.itsnicethat.com/articles/iris-van-herpen-1 (letzter Zugriff: Juli 2015). 52 Zitiert nach www.irisvanherpen.com/womenswear#biopiracy (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Abb. 27 u. 28: Iris van Herpen: Biopiracy (Autumn/Winter 2014)

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PRADA Wenn freie und angewandte Kunst, Film und Populärkultur, Wissenschaft und Design gegenwärtig derart immer wieder ihre gegenseitige Nähe suchen, darf das Modedesign sich auf der Showbühne auch gerne als neue Kunstform feiern lassen oder zumindest als ein einflussreicher Gastgeber der Künste. Das italienische Modeunternehmen prada zelebrierte in und mit der Spring/Summer 2014-Kollektion daher auch ein buntes Festival und Revival einer plakativen Pop-Art-Welt (Abb. 29). Unter der szenographischen Gesamtleitung des Thinktanks AMO, Rem Koolhaas’ kreativem Designerteam, das seit Jahren mit dem Mailänder Modehaus auch an den prada-Modeinszenierungen arbeitet, wurden für die malerische Ausgestaltung des Setdesigns der Scenographic Fashion Show exklusiv sechs junge internationale Künstler, die gegenwärtig im Stil von Graffiti, Pop, Illustration und Muralismo arbeiten, ausgesucht und nach Mailand in die Via Fogazzaro eingeladen: Persönlich ausgewählt von Chefdesignerin Miuccia Prada, gestalteten die Wandmaler Miles »El Mac« MacGregor, Mesa, Gabriel Specter und Stinkfish sowie die Illustratoren Jeanne Detallante und Pierre Mornet jeweils mit ihren Motiven und stilistischen Handschriften vor Ort große, farbintensive Wandstellflächen im Street-Art-Style aus, die am 19. September 2013 als zeitgenössisches urbanistisches Zitat den Hintergrund für das Defilee der Models abgaben und die farbenfrohe Scenographic Fashion Show unter dem gegenwartsphilosophisch inspirierten Motto ›In the Heart of the Multitude‹ visuell mit dem aktuellen Thema Urban Street Style verknüpften. Als zentrales visuelles Inszenierungselement der szenographischen Modenschau für Frühjahr/Sommer 2014 standen damit Leitthemen wie Weiblichkeit, Repräsentation, Macht und Vielfalt im Raum bzw. wurden assoziativ auf den Wänden des hauseigenen prada-Showrooms abgebildet: As the models walked down this stylised »street«, their looks echoed their environment. Those enormous faces on the walls also echoed the zeitgeist-y social political art by the likes of Diego Rivera and José Clemente Orozco that defined an era. But then the athletic tube socks and Britney Spears declaring »Work Bitch« on audio were persuasively of the moment. Six artists – four muralists (Miles »El Mac« Gregor, Gabriel Specter, Mesa, and Stinkfish) plus two illustrators (Jeanne Detallante and Pierre Mornet) – claimed a portion of the dark, angular space and brought it to life with their giant faces that drifted in and out of the kinetic motifs. Brooklyn-based Specter placed his girls within a cross-section of rainbows in offbeat colours. Describing how the artists contributed to the dynamic experience, Spector noted: »The way that each piece confronts each other, it really creates a collaboration.«53

53 Amy Verner: In the Heart of the Multitude«: PRADA’s art collaboration for its S/S 2014 catwalk (20. September 2013), online unter www.wallpaper.com/fashion/in-the-heart-of-the-multitudepradas-art-collaboration-for-its-ss–2014-catwalk/6776 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Abb. 29: prada-Showroom: In the Heart of the Multitude, Fashionshow Spring/Summer 2014, Mailand, Via Fogazzaro (19. September 2013)

Ein Making-of-Video des mit zeitgenössischen künstlerischen Techniken ausgeführten prada-Setdesigns wurde in aktueller Time-Lapse-Technik von 2 x 4, einem New Yorker Kreativkollektiv, das 1994 von Michael Rock, Suan Sellers und Georgianna Stout gegründet wurde, hergestellt und ist zusätzlich neben der Aufzeichnung der gesamten Scenographic Fashion Show im Internet für ein allgemeines Publikum verbreitet worden. Gleichzeitig fanden sich die künstlerischen Motive (vorwiegend Frauenporträts) und plakativen Farben der ephemeren Szenographie in den bunten Stoffmustern der präsentierten Kleiderkollektion wieder und wurden somit käuflich und direkt konsumierbar. Man kann darin eine weitere Hervorhebung und Unterstreichung der individuellen schöpferischen Kreativität lesen, die direkt auf den Leib zugeschnitten ist und damit körperlich-subjektiv erfahrbar wird, obgleich sie massenhaft-industriell hergestellt und vermittelt wird. DRIES VAN NOTEN So brachte auch der belgische Modedesigner Dries Van Noten (geb. 1958 in Antwerpen) die subjektive schöpferische Gestaltungskraft und unbändige freie künstlerische Kreativität für die Präsentation seiner Men’s Fall/Winter 2012-Kollektion direkt sichtbar gleich auf die Catwalk-Bühne mit: Während die ausgewählten Männermodels am 29. Januar 2012 im Pariser Grand Palais die aktuellen

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Looks der saisonalen Kollektion im klassischen Defilee auf dem konventionellen langen Runway nach und nach vorführten, arbeiteten gleichzeitig die beiden holländischen Künstler Gijs Frieling und Job Wouters (aka Letman) mit ihren Assistenten an einer großen Wandarbeit direkt am Laufsteg (Abb. 30). Die in der Ausführung stehende friesartige Arbeit bildete einerseits den unvollendeten optisch-dekorativen Hintergrund für die doch recht konventionelle Vorführung der Männermode, andererseits aber wiederholte sie auch einige Dessins der vorgeführten Looks illustrierend und malerisch auf dem Weißraum der Wand – gleichsam in Umkehrung des Entwurfsprozesses, dem ersten Skizzieren und Zeichnen der Stoffmuster und Outfits auf dem Papier im Atelier. Von der zeitgenössischen Straße inspiriert – von Street Art über Subkultur bis Streetstyles –, auf das weiße Entwurfsblatt gebracht und handwerklich realisiert sowie danach wiederum auf die Straße gebracht, entwickelt sich die zeitgenössische Mode heute als permanenter Schaffensprozess aus gegenseitigen Beeinflussungen und ästhetischen Wechselwirkungen. Der zirkuläre Prozess der kreativen Formfindung und Musterentstehung wurde in einer überdies noch akustisch untermalten Liveperformance bei Dries Van Noten hier als spektakulärer Nebenakt vor den und für die Augen des Publikums aufgeführt. Ein Kritiker der Neue Zürcher Zeitung notierte dazu: Dries Van Noten brachte am Donnerstagabend im Grand Palais Frank Zappa und Oscar Wilde zusammen auf die Bühne – zumindest als Geräuschkulisse zu einer sehr assoziativen Show seiner Menswear. Zappa telefoniert mit Suzy Creamcheese, während ein Schauspieler mit gestelzt britischem Akzent aus »The Happy Prince« von Wilde vorlas. Im Hintergrund malten Künstler der Letman-Gruppe an einem immensen kalligrafischen Fresko, während davor Dries’ neue Ideen defilierten. So verstörend und unfokussiert das Umfeld auch wirkte – Van Notens Looks wirkten angenehm vertraut.54

Waren in der Mehrzahl viele Stimmen euphorisch begeistert über die metaphorische Liveperformance der beiden jungen Graffitikünstler, meldeten sich auf den Fashionblogs im Internet jedoch auch viele kritische und mahnende Stimmen zu diesem originellen ›künstlerischen Side-Kick‹, die vom totalen Ausverkauf der Gegenwartskunst und ihrem Niedergang zum belanglos dekorativen Ornament bzw. zum kommerziellen visuellen Warenkürzel für Kreativität wie neuem chicen Statussymbol redeten: »It seemed like an unnecessary use of the artists’ talent, even an exploitation of involving (gasp!) REAL artists in a fashion show«, so beispielsweise harsch ein Post von einem Blogger im Internet unter dem Pseudonym artlovingfashion.55

54 �������������������� Jeroen van Rooijen: Paris Menswear – Dries Van Noten (20. Januar 2012), online unter http:// laufsteg.blog.nzz.ch/2012/01/20/paris-menswear-dries-van-noten. 55 Online unter http://artlovingfashion.com/2012/01/21/art-on-the-runway-dries-van-notenmens-fallwinter-2012 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Abb. 30: Dries Van Noten: Menswear Fall/Winter 2012–2013

CHANEL Wahrscheinlich hätte diese Kritik auch die subversive Selbstironie in der bewusst ›artsy‹ – so das neue Modewort dafür –, d. h. pseudo-künstlerisch ausgerichteten Scenographic Fashion Show von Chanel für die Spring 2014 in Paris völlig übersehen und in ihrer enormen Diskursfähigkeit verkannt: Schließlich beschäftigt doch gegenwärtig alle im neuen Zeitalter der Konvergenzkultur die Frage, ist Mode heute schon Kunst und Kunst nur noch Mode? Echte Fake Art, spektakuläre Schauobjekte, die für das allgemeine Verständnis eben so irgendwie nach moderner Kunst aussehen und die Kenner aus der Kunstwelt bestenfalls an eine postmoderne Appropriation Art oder an Peter Weibels legendäre Wiener Ausstellung Inszenierte Kunstgeschichte. Mise-en-scène of Art History (Österreichisches Museum für Angewandte Kunst Wien, 15. Dezember 1988 bis 30. Januar 1989) erinnert, zierten in einer imposanten Enfilade den langen Laufsteg, die einem Museum, einer Galerie oder einer Kunstmesse entsprungen schien (Abb. 31). Gleichzeitig aber exponierten die hier so zur abschreitenden Betrachtung aufgereihten ›Kunstwerke‹ fast schon in obszöner Weise auch ihren kommerziellen Warencharakter: Stereotype stilistische Wiedererkennbarkeitsmarker und ein auffälliges inhärentes Logo-Branding wiesen sie signifikant als ›Kunstmarktkunst‹ aus, an dem das mit einem coolen Soundtrack unterlegte beschwingte Defilee der ebenfalls von verschiedenen modernen Kunststilen – kombiniert mit Chanel-Motiven – inspirierten aktuellen Modekollektion von Karl Lagerfeld für das französische Traditionshaus vorbeizog. Der konventionelle lange Laufsteg der Prêt-à-porter von Chanels Spring/Summer 2014 Fashion hatte sich damit am 1. Oktober 2013 im Pariser Grand Palais subtil in den White

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Abb. 31: Chanel: Paris Fashion Show Spring/Summer 2014

Cube einer modernen Galerie verwandelt, bestückt mit ›multiple-gebrandeten Originalkunstwerken‹ vom geschäftstüchtigen Chefdesigner und verehrten Universalkünstler Karl Lagerfeld. Diese wurde auch in einem für die moderne Kunstszene fast schon obligatorischen hochwertigen Katalog56 mit Werkverzeichnis dokumentiert, der als Begleitpublikation im renommierten Steidl-Verlag erschienen ist. Mit viel Galgenhumor und einem Augenzwinkern wurde die unterhaltsam kunterbunte wie subtil subversive Szenographie dieser mondänen Haute-Couture-Modenschau im Internet auch instant kommentiert: But while the legendary architect decorator Peter Marino is commissioning emerging and established artists to create pieces inspired by Chanel icons for the brand’s boutiques around the world, Karl asked himself: »Why not do the same?« So he set his show in a vast »art gallery« created under the dome of the Grand Palais, and hung its walls with all manner of art pieces that riffed on Chanel icons and playfully mimicked some bold-faced art world stars. »I made believe it was all kinds of young artists together,« laughed Karl, standing in one wing of that enormous gallery after the show. »But it’s not all different young artists,« he added with a twinkle. »It’s one old artist – me! I made everything. It was a good summer’s work!«57

Einen derart feinsinnigen, subversiven Humor, der sich selbstbewusst und selbstironisch um den schnöden kommerziellen Waren- und Objektwert von hochmodischen Erzeugnissen schöpferischer Produktivität dreht, zeigte Lager56 Siehe Karl Lagerfeld: Chanel Art, Göttingen (Steidl) 2014. 57 Hamish Bowles in seiner Kritik der Chanel Fashion Show, online unter www.vogue.com/fashionweek/spring-2014-rtw/chanel/review (letzter Zugriff: Juli 2015).

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feld als kreatives Aushängeschild und prominenter Chefdesigner für Chanel wiederholt im Frühjahr 2014 inmitten der auf den ersten Blick höchst skurrilen Szenerie eines im Pariser Grand Palais authentisch nachgebauten Supermarktes für die Präsentation der Kollektion für den Herbst/Winter 2014/15 (Abb. 32). Für dieses die zeitgenössische Konsumkultur zitierende und zelebrierende Setdesign lässt sich eine Kunstinstallation des belgischen Künstlers Guillaume Bijl als Vorläufer und Vorbild anführen. Bijl hatte bereits 2002 in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main und 2003 in der Londoner Tate Modern in einer konsum- und kunstkritischen Aktion komplette Supermärkte als Ready-Made-Installationen in die hehren Museumsräume versetzt, die vom Publikum durchlaufen werden konnten. Im Rahmen der Ausstellung Shopping verwies auch Bijls Installation darauf, dass Konsum heute mehr als nur bloßer Warenerwerb ist. Für viele Konsumenten ist Shoppen heute vielmehr mit der Erwartung eines besonderen Erlebnisses verbunden. Shopping beziehungsweise das Betrachten, Auswählen, Einkaufen und Konsumieren von Markenprodukten ist im 20. Jahrhundert zu einem alltäglichen Part und eingeübten Ritual urbanen Lebens geworden, das auch eines besonderen Inszenierungsrahmens bedarf. Shopping ist darüber hinaus längst als wesentlicher Wirtschaftsfaktor und als Bestandteil des öffentlichen gesellschaftlichen Lebens anerkannt, wodurch kulturelle wie individuelle Identität geschaffen und demonstriert wird. Der zeitgenössische Konsument kuratiert damit sein Leben, stellt es aus und inszeniert es auf den sozialen Medien. Spätestens seit Walter Benjamins kulturphilosophischen Reflexionen über den Flaneur in den Pariser Passagen des 19. Jahrhunderts sind die gegenseitigen Beeinflussungen und komplexen Wechselwirkungen zwischen kapitalistischer Warenpräsentationen und modernem Konsum zu einem besonderen Thema der jüngeren Kulturgeschichte geworden. Es wurde auch von etlichen bildenden Künstlern, Fotografen und Filmemachern wie Andy Warhol und den Pop-Art-Künstlern im 20. Jahrhundert aufgegriffen und führte bereits zu Werken, die ambivalent zwischen Kunst und Kommerz angesiedelt waren.58 Über den ebenfalls metaphorisch auslegbaren Supermarkt der Kunst und Mode rund zehn Jahre nach Bijl, in der opulent szenographierten Pariser Modenschau von Chanel, berichtete das Vogue-Magazin am 4. März 2014 dagegen online im Internetblog: Seit über 30 Jahren ist Karl Lagerfeld Chefdesigner bei Chanel und wird nicht müde, das anspruchsvolle Modepublikum zu überraschen und zu begeistern. Schon die Aufschrift der Einladung zur Show der Herbst/Winter-Kollektion 2014/15 ließ erahnen, welches Set die Besucher im Grand Palais erwarten würde: Im »Chanel Shopping Center« gibt es alles, was das Herz für den täglichen Bedarf begehrt. Regale, bestückt mit Produkten, deren Verpackungen extra entworfen und mit dem Logo des Labels versehen wurden, 58 Vgl. hierzu den Ausstellungskatalog Shopping – 100 Jahre Kunst und Konsum, hg. von Christoph Grunenberg u. Max Hollein, Stuttgart-Ostfildern (Hatje Cantz) 2002.

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dekorieren den tageslichthellen Innenraum. Nudeln, Reis, Spirituosen, Eier, Chips, Seife, Fußmatten und Waschmittel gehören zum Sortiment des gut sortierten Geschäfts. Selbst Kettensägen und Kopfhörer sind erhältlich und können an der Kasse am Ausgang bezahlt werden. Frisch aufgeschnittene Kokosnuss, bester spanischer Schinken und französischer Käse richten sich an das Feinschmecker-Klientel. Die Kundinnen sind […] erst einmal 81 Models, die in legeren Freizeitlooks kreuz und quer durch die riesige Halle schlendern. Sobald sie ihre offizielle Runde erledigt haben, lassen sie sich auf ihre ganz persönliche Shoppingtour ein. Stella Tennant greift im trapezförmigen Wollmantel, in der Hand einen eisernen Einkaufskorb mit verspielten bunten Anhängern, nach Flüssigseife mit Glitzerpartikeln. Die »It-Girls of the Moment« Kendall Jenner, Charlotte Free und Natalie Westling flanieren im Dreiergespann die einzelnen Korridore entlang.  Bevor der Stil in der zweiten Hälfte eleganter wird, ist er sportlich-casual: Leggings, teilweise mit Löchern, aus Lurex oder Wolle, verkörpern in Kombination mit den zurückgebundenen Dreadlocks den Look einer amerikanischen Hausfrau, die in den Südstaaten zu Hause ist. Oder hatte sich Karl Lagerfeld bei seiner Präsentation der »Métiers d’Arts«-Kollektion im Dezember 2013 in Dallas in einen Supermarkt getraut, weil er dort wohl weniger schnell erkannt wird als in Paris, und sich davon inspirieren lassen? […] Nadja Bender betritt die Szenerie Arm in Arm mit einem gut gekleideten Herren, beide tragen mehrere Einkaufstüten, auf denen das Chanel-Logo zu sehen ist. Die Nachricht ist klar: So gut wie jeder Mensch der Zivilgesellschaft muss in den Supermarkt gehen (oder braucht jemanden, der diesen Job für ihn erledigt). Was Andreas Gursky mit seinem Kunstwerk »99 Cents« im Jahr 1999 deutlich machen wollte, unterstreicht Karl Lagerfeld noch einmal: Der Bezug zur Realität versteckt sich genau dort, wo Dinge unverzichtbar und unumgänglich werden. Ein Luxuslabel wird die Marktdominanz eines Konsumgüterherstellers  aufgrund der angesprochenen Zielgruppe so leicht nicht erreichen, man sieht aber nach der harmonischen Zusammenführung heute, dass beides gut miteinander vereinbar ist. Ob es die 2.55 also bald wie ein Steak in Plastik verpackt an der Kühltheke zu kaufen gibt, bleibt natürlich fraglich.59

Unmittelbar nach dieser bizarren Scenographic Fashion Show, die lapidar unter dem Titel Chanel Shopping Center auf den edlen Einladungskarten angekündigt worden war, und scheinbar außeralltäglich Luxus auf Billigmarkt treffen ließ, kam es anschließend zu nicht eingeplanten tumultartigen Plünderungen des Set­ designs durch die exklusiv geladenen Gäste der Pariser Luxusmodenschau. Diese steckten sich nämlich zum Schluss – noch vor dem inzwischen obligatorischen Posten und instanten Bloggen direkt vom exklusiven Schauplatz weg – gierig und ungeniert die mit dem begehrten Chanel-Logo und kuriosen Preisschildern wie »50 % up« (d. h. um die Hälfte teurer!) ausgezeichneten Waren aus den aufgestellten Supermarktregalen einfach ein – ganz frei nach dem appellativen Motto der Zeit: ›Must have!‹ und ›Take it!‹. Besser aber hätte eine Szenographie selbstreferentiell und selbstreflexiv die atmosphärische Maschinerie der Generierung von Begehren und Begierden beim Publikum nicht beschreiben, erfüllen und vorführen können: Shopping als heute höchste Form der befriedigenden, aber nie wirklich zu stillenden Interaktion mit einer sich modisch schnell wandelnden Konsumwelt. Chanel-Chefdesigner Karl Lagerfeld zelebrierte gleichzeitig mit dieser spektakulären wie subversiven Sze59 Aus dem Bericht Chanel, online unter www.vogue.de/fashion-shows/paris-fashion-week/herbstwinter-2014/paris-fashion-week-maerz–2014-chanel (letzter Zugriff: Juli 2015).

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nographie auch selbstironisch sein Image als Andy Warhol der Mode. Denn der beste Künstler ist heute eben doch nur ein kommerzieller Künstler, wie schon Andy Warhol süffisant in seinen legendären Aphorismen bemerkte: »Being good in business is the most fascinating kind of art. Making money is art and working is art and good business is the best art.«

Abb. 32: Chanel: Paris Fashion Fall/Winter 2014

Gleichzeitig geht es in derart konzeptuellen und mit bekannten Kunstformaten spielenden Scenographic Fashion Shows unter den Bedingungen einer technologisch vernetzten und digitalisierten Gesellschaft letztlich immer auch um eine effiziente Ökonomie der globalen Bilderproduktion, die in Zeiten des Internets von den internationalen Modemarken einerseits generell forciert, aber andererseits auch streng kontrolliert, restriktiert, reguliert und reglementiert wird: The likelihood is that you have already seen a version of the Chanel image above. You will know that Karl Lagerfeld transformed Paris’ vast Grand Palais into a whitewashed modern art gallery filled with 75 custom-made original works and installations all in homage to the codes of the house. A sculpture of the interlocking double Cs along with the Chanel No 5 robot will already be etched in your memory. A shower cubicle drenched in Chanel chains will, by now, be as familiar a fixture of the spring/summer ’14 collections as prada’s sporty tube socks. Because all this has been Instagrammed, tweeted, talked about – way before anyone even caught a whiff of the first exit.60

60 ������������������������������������������������������������������� Sarah Harris: Show Business: Are Fashion Shows Still Relevant? ���� In: BoF v. 8. January 2014, online unter www.businessoffashion.com/2014/01/show-business.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Die aufwendig szenographierten und meist kostspieligen Modenschauen von Chanel bieten unter der gestalterischen Ägide von Karl Lagerfeld inzwischen jährlich neue thematische Überraschungen und treten in der Pariser Modewoche nicht zuletzt immer wieder insbesondere durch ihre verblüffenden wie medienwirksamen Gesamtinszenierungen hervor. Gleichzeitig wird ihr Setdesign für das Branding der Marke eingesetzt, da nicht nur das berühmte Chanel-Logo immer wieder darin auftaucht, sondern auch für das Haus und seine Geschichte ikonische Elemente wie beispielsweise der Löwe, der Kristall, die Treppe, die Perlenkette oder die Chanel-Jacke zur Erinnerung wiederholt werden. Jede Marke generiert so heute ihre eigene individuelle Ikonographie. Karl Lagerfeld als Spiritus Rector verknüpft dabei seine jeweils saisonalen Variationen von stilistischen Aktualisierungen und modischen Re-Interpretationen der traditionellen Chanel-Klassiker auf den ersten Blick willkürlich, aber dennoch immer sehr bewusst und hintersinnig mit aktuellen Diskursen und virulenten gesellschaftlichen Themen der Gegenwart. Zur Überraschung und Aufmerksamkeit generierenden Verblüffung werden scheinbar Unzusammenhängendes und zunächst Widersprüchliches miteinander strategisch verknüpft: So zierten für die Chanel Couture Spring/Summer 2013-Fashionshow riesige Windräder und technische Solar Panels in einer real-surrealen Anmutung als weißer Wald den langen Laufsteg im Pariser Grand Palais, wohl weil die großen Gesellschaftsthemen der Zeit, Umweltbewusstsein, Nachhaltigkeit und materielle Ressourcenschonung, nun auch die Luxusmode als Diskurs erreicht hatten (Abb. 33). Freilich in der für die Modewelt eigenen Prosa, die den offiziellen Programmtext bildete, publiziert auf der Website des Modeunternehmens – gleichsam das Libretto der Scenographic Fashion Show: Mit der im Grand Palais präsentierten Kollektion Frühjahr-Sommer 2013 macht Chanel mehr als einen Modevorschlag: Es ist eher ein Gesellschaftsvorschlag, der am Dienstagmorgen inmitten eines Windparks defilierte! Leichtigkeit, Natürlichkeit, ausgelassene Jugendlichkeit, Mobilität, Luxus ohne Prahlerei, Empathie für andere, Innovationskraft, eine spielerische Art, um in diesem Herbst 2012 zu sagen: [n]ieder mit Energie aus fossilen Quellen – und fossiler Mode. Würde chanel die Thesen des amerikanischen Essayisten Jeremy Rifkin, dem Theoretiker der dritten Industrierevolution, annehmen, der für eine CO2-freie Wirtschaft plädiert? In der Tat sprühen die präsentierten Modelle vor Frische, vor Farbe: Violett für einen Hosenanzug mit ¾-langen Ärmeln mit smaragdgrüner Kante, ein Klein-Blau für ein Kostüm und ein fließendes Kleid, Pink und Mauve für ein Hosen-Kleid-Ensemble aus Satin, Karminrot für einen weiten, halblangen Mantel aus geschmeidigem Leder, Sand für ein Mikro-Bustierkleid aus gewaschenem Lammleder, geeiste Marone für eine strahlende Folge von Abendkleidern, die Steppmuster, Transparenz und fließende Stoffe perfekt vereinen. Der legendäre Tweed des Hauses, bunt gemischt und eine textile Tour de Force, wird zur farbigen Apotheose und steht einem Kugelkleid-Ensemble mit seiner fuchsiafarben gepaspelten Puffärmeljacke vorzüglich. Er bringt eine ultrabunte und maßlos luxuriöse Version von einem Jacken-Shorts-Ensemble mit bauschigen Ärmeln beinahe zum [E]xplodieren oder besticht an einem weiten kurzen Kleid mit ¾-Ärmeln, das auf Schenkelhöhe mit goldbraunen Pailletten bestickt ist (»Ein eigenartiger Gold-Bronze-Ton« beschreibt Homer in der Odyssee die zum [Ä]olischen Reich gehörende Insel Stromboli …). Starke Eindrücke für die Netzhaut liefert

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dieser Tweed in den unzähligen Nuancen des Sommers. Weiß. Endlich. Zu finden auf den Claudine-Kragen, die Gabrielle Chanel so liebte, oder den Pierrot-Kragen. Oder in Form von Schleifen, die brave Kinder schmücken, auf Kleidern mit runden Ausschnitten, einem Polokleid aus Tweed und weißer Popeline, wie geschaffen für eine zweite Suzanne Lenglen in Eden Rock. Weiß sind auch die Abendkleider, sie machen den Abend so erfrischend wie ein Sorbet und sind ausgesprochen raffiniert: weiße Bustierkleider, zwei kurze und drei lange, aus Netz oder Piqué, mit Blumen aus Rhodoid oder Perlen-Cabochons bestickt. Die Silhouette des Sommers 2013 ist lang gestreckt (wunderbar der Einsatz von schwarzem Netz für ein Hosen-Ensemble, äußerst elegant, so graphisch und sinnlich) und flirtet mit der Androgynie, die bis in alle Ewigkeit die DNS der chanel-Frau prägt. Der Oberkörper ist schlank, perfekt für die Bustierkleider, die die Grammatik dieser Kollektion beherrschen; für die Miniboleros und Mikrojacken. Bestechend die Symmetrie endlos langer Beine, die von Mikroshorts und Miniröcken noch mehr gestreckt werden. Die Knöchel werden durch Kugel-Kleider betont. Die Accessoires sind eine Interpretation der Zeitlosigkeit und Modernität von chanel: Perlenarmbänder und -colliers, Perlen arrangiert wie Kaviar, riesige Hüte mit Krempen aus transparentem, farbigem Plastik. Ja, Karl Lagerfeld hat die Silhouette einer Frau gezeichnet und kreiert, die noch jünger, noch ungestümer und raffinierter ist als der Zephir-Wind, ein weit tragender Wind. Homer ist somit eindeutig richtungweisend für den kommenden Sommer.61

Abb. 33: Chanel: Paris Fashion Show Spring/Summer 2013

Ein Stage-Prop und Catwalk-Accessoire dieser Show wurde durch die über Blogger-Webseiten, Twitter und Social Media verbreiteten Aufzeichnungen des live teilnehmenden Publikums und durch einen Schnappschuss für Instagram, der 61 Zitiert nach Prêt-À-Porter Frühjahr-Sommer 2013 von Elisabeth Quin Chanel, Pap Sommer 2013, online unter http://chanel-news.chanel.com/de_DE/home/2012/10/spring-summer-2013-readyto-wear--br---by-elisabeth-quin.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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den Chefdesigner Karl Lagerfeld damit leger back-stage in einem Aufzug zeigt, nebenbei schnell zu einem viralen Hit im Internet: Die Tasche im übergroßen Hula-Hoop-Reifen-Format wurde schließlich erst aufgrund der vielfachen Nachfrage im Internet von Chanel dann noch schnell in einer limitierter Edition auf den internationalen Markt gebracht und avancierte umgehend zum ausgefallenen modischen Sammlerstück und begehrten Must-Have-Piece der Saison (Abb. 34).

Abb. 34: Chanel: Paris Fashion Show Spring/Summer 2013

Das dramatische Abschmelzen der Polkappen und Gletscher bei einer globalen Erderwärmung kam dem Publikum dagegen wohl nicht sofort unmittelbar in den Sinn, als es über die ungewöhnliche Kulisse des Runways für die Chanel-Fashionshow Fall/Winter 2010–2011 staunte, denn was hätte Mode nun eigentlich mit den aktuellen Debatten um den weltweiten Klimawandel und neuen Umwelttechnologien zu tun? Direkt vor den Augen der Zuschauer türmte sich in jener Saison im Pariser Grand Palais ein gigantischer echter Eisberg auf, durch dessen Schmelzwasser die in abenteuerliche (Fake-)Pelzkostüme von Karl Lagerfeld ausstaffierten Models für die Fashionshow ohne auszurutschen stapfen mussten, untermalt von heulenden Polarwinden in dem vollklimatisierten, überdachten Showareal. Dabei hatte am selben Ort schon die saisonale Vorgängerkollektion im Vorjahr durch ihre ausgefallene, stark bühnenhafte Szenographie einiges an Aufsehen und Staunen in der internationalen Presse erregt. Für die Summer/Spring 2010-Kollektion von Chanel ließ Karl Lagerfeld, bekanntlich selbst ein Inszenierungsimpresario in eigener Person, wiederum ein sommerlich-romantischländliches Ambiente auf dem Runway installieren, das, mit gewisser (Selbst-)Ironie gesehen, im Zitat sei-

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ner verspielten Schäferromantik und rustikal-bäuerlichen Idylle der Luxusfrivolität einer Marie Antoinette alle Ehre gereichte (Abb. 35). All das duftende Heu und grüne Gras sowie die charmant-rustikale Holzhütte auf der noblen CatwalkBühne waren somit so fiktiv-real wie der berühmt-berüchtigte Landsitz Hameau de la Reine der französischen Königin aus dem Ende des 18. Jahrhunderts. Die Szenographie zitierte eine grandiose Kulisse für eine spielerisch-luxuriöse Inszenierung, wie man sie im Ancien Regime mit ihren kostümhaften Verkleidungen kannte, wenn der Hof einmal genüsslich einfaches, bäuerliches Landleben spielen wollte – Frivolität, Begierden, Rausch, Verschwendung, Dekadenz, Eskapismus und amouröse Schäferstündchen inklusive.

Abb. 35: Chanel: Paris Fashion Show Spring/Summer 2010

Das höfische Zitat, das mit dieser szenographischen Re-Inszenierung auf der Pariser Schaubühne mitgeliefert wurde, erinnerte gerade in der französischen Modemetropole damit an einen kulturgeschichtlichen Ursprungsort der florierenden Inszenierungskulturen und modischen Kostümierungen. Chanels ›Modestadl‹, wie die internationale Presse fasziniert-angewidert kommentierte, sprach als historisierendes Gesamtkunstwerk dabei alle Sinne und Triebe des luxusverwöhnten Publikums gleichzeitig an. Höfisch-folkloristische Elemente sollten in den kommenden Jahren unter der Ägide von Karl Lagerfeld noch weitere Momente bekommen – schließlich bis hin zu Referenzen an die österreichische Dynastielinie. Einen akustischen Höhepunkt bildete für die Fashionshow Spring/Summer

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2010 überdies der überraschende Liveact der damals angesagten Popsängerin Lily Allen, die – selbstverständlich auch im aktuellen Chanel-Outfit – mit ihrer Band zur Unterhaltung aller anwesenden Zuschauer über einen klassischen Hebemechanismus gegen Ende der Präsentationsschau theatralisch dem ganzen Bühnenstroh emporstieg und ihren aktuellen Song Not Fair im Countrystyle live mit ihrer Band sang und spielte, während die Chanel-Models dazu im modischen neubarocken Luxusflair mit Stilettos und Clogs weiter elegant durch Sand, Gras und Stroh paradierten (siehe Abb. 14). Der britische Popstar posierte zudem für eine von Lagerfeld 2010 selbst fotografierte Werbekampagne gleichzeitig als neues Gesicht von Chanel – zu der überraschenden Wahl kommentierte Chefdesigner Karl Lagerfeld in der internationalen Presse: »I love Lily Allen. She looks a lot like Gabrielle Chanel and she is a self-made woman. She is cool, young and extremely witty.« Die DNA der Marke Chanel ist bis heute eng mit der Persona Coco Chanel verbunden. ������������ Ihre Lebensgeschichte und Leistung als Modeschöpferin bilden nicht nur das Erbe, sondern werden über die Ikonographie der Marke so lebendig gehalten. Dabei spielt die Selbststilisierung von Gabrielle Chanel, ihre unverwechselbare Erscheinung, eine besondere Ausgangsrolle. Die Personalisierung der Marke wird ferner mit wiederholten Referenzen an die große französische Kultur verwoben, die wie die Mode ihren Ausgang am festlichen französischen Barockhof nimmt. Sind bei Chanel bereits Maskerade, Spiel, Kostümfest und Karnevaleskes als Selbstreferenz, Selbstreflexion und Selbstironie im Subtext der narrativen wie performativen Szenographien miteingewoben und können für das historisch wie theoretisch bewanderte Publikum in ihrer Vielschichtigkeit und Verwobenheit durchaus mitgelesen werden, nähern sich diese professionellen szenographischen Inszenierungen der Mode und ihrer Marken auch auf eine sehr spielerische Weise den symbolischen Modenschauen der internationalen Kunstszene an, deren bewusst konsumkritische Haltung im Gegensatz dazu aber mit einem Male viel plakativer und eindimensionaler wirken: John Bocks am 25. September 2009 im Berliner Haus der Kulturen der Welt durchgeführte Lecture-/Fashion­ show Die abgeschmierte Knicklenkung im Gepäck verheddert sich im weissen Hemd, dokumentiert in einer Videoarbeit der Julia Stoschek Collection (Düsseldorf ), wirkt beispielsweise dagegen nur noch als dadaistischer Klamauk, als dass sie eine tiefgründigere Auseinandersetzung mit dem avantgardistischen Modedesign der Gegenwart und seinen Inszenierungskulturen böte oder eine neue Geschmacksdiskussion initiierte – bestenfalls lassen sich darin wohl aber noch im Allgemeinen eine unterhaltsam-amüsante künstlerische Persiflage und humoreske Parodie auf Scenographic Fashion Shows etwa von Henrik Vibskov, Bernhard Willhelm (Abb. 36), Walter van Beirendonck, Vivienne Westwood, Rei Kawakubo oder Maison Martin Margiela erkennen. Aber, auch hier gilt, wenn etwas parodiert wird, muss es auch schon irgendwie (pop-)kulturell wichtig sein.

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Abb. 36: Bernhard Willhelm in Zusammenarbeit mit Josh Johnson und der William Forsythe Company: Autumn/Winter 2013–2014, Carrousel du Louvre, Paris (20. Januar 2013)

Abb. 37: Filmstill aus Brüno (2009; Regie: Larry Charles)

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Dies erkannte schließlich auch der britische Schauspieler und Komiker Sacha Baron Cohen, der in einer Filmszene für seinen satirischen Kinofilm Brüno (Regie: Larry Charles; 2009) aus dem Klischee moderner Avantgarde-Modenschauen noch eine veritable Slapsticknummer machte (Abb. 37). Für den Dreh des Filmes crashte der Schauspieler und Autor in der Rolle als homosexueller Modedesigner und All-American-Guy-Modeltyp in einem improvisierten abenteuerlich-dadaistischen Look im September 2008 während der Mailänder Modewoche den Runway von Agatha Ruiz de la Prada, um gleich darauf von den dort positionierten Sicherheitsordnern schnell wieder entfernt und von der italienischen Polizei verhaftet zu werden. Die satirisch-komödiantische Ad-hoc-Theaterszene auf der noblen internationalen Laufstegbühne setzte sich so im realen Leben als Akt fort, um am Ende als dokumentierter authentischer Part in die späteren Filmszenen einzugehen. Fast zeitgleich parodierte in den Kinosälen danach auch Ben Stiller in der Rolle als exzentrisches Male-Model Derek Zoolander in der bitterbösen, satirischen Komödie Zoolander (Regie: Ben Stiller; 2001) die internationale Modewelt mit ihrem anhaltenden postmodernen Hang zu ausgefallen-expressiven Kollektionen in schrillen Inszenierungen und theatralischen Performanzen. Für die offizielle Ankündigung von Zoolander 2 gelang dem US-amerikanischen Schauspieler und Regisseur zusammen mit dem Modehaus Valentino überdies ein veritabler Marketingstunt, der sich nur binnen Minuten viral im Internet auf den einschlägigen Fashionblogs sowie auf Social Media als unterhaltsam-heitere, mit dem heute obligatorischen ›LIKE‹ versehene Nachricht schnell verbreitete. Meta­ l­eptisch crashten die beiden fiktiven Filmcharaktere Derek und Hansel während der Pariser Modewoche 2015 in ihrer bekannten Filmrolle als exzentrische MaleModels unter den musikalischen Klängen der britischen Kultband Human League den realen Laufsteg von Valentino (Abb. 38): Well, nobody saw that coming. Ben Stiller and Owen Wilson closed Valentino AW15 at Paris Fashion Week on Tuesday (March 10, 2015), reprising their respective  Zoolander film roles of  Derek Zoolander and Hansel for the show. Paramount Pictures confirmed on Twitter that the model walk-off was to launch the sequel to the film. Zoolander 2 is coming out on February 12. The two actors walked the runway to the sound of »Don’t You Want Me« by Human League, prompting applause and gasps of disbelief from those assembled. Stiller wore a black brocade two-piece suit with a coat slung over his shoulders (very #fashioneditor). Wilson was in a slinky blue silk pyjama set with a pale grey coat, also worn across his shoulders. »Fashion can be very serious but can also be fun too,« Valentino designers Pierpaolo Piccioli and Maria Grazia Chiuri told us backstage, adding, »I loved the first film, I watched it when I was really young.« Valentino uploaded images of the two stars staring each other down on the runway, writing: »Marie Antoinette once said, ›Let them eat cake.‹ Derek and Hansel have certainly devoured this runway.‹ Looks like Blue Steel is about to make its runway comeback.«62 62 ������������������������������������������������������������������������������������������� Zing Tsjeng: Derek Zoolander and Hansel close Valentino AW 15. Ben Stiller and Owen Wilson were in walk-off mode as their iconic male model characters. In: DazedDigital v. 10. März 2015, online unter http://www.dazeddigital.com/fashion/article/24053/1/derek-zoolander-and-hanselclose-valentino-aw15 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Abb. 38: Zoolander 2: Schauspieler Ben Stiller und Owen Wilson modeln am 10. März 2015 als Überraschungsgäste in der Valentino’s Fall/Winter 2015/2016-Fashionshow während der Pariser Modewoche

Nach diesem enormen medialen Erfolg und der instanten viralen Verbreitung der Livebilder von der Valentino-Modenschau im Internet folgten nur einen Tag später aber auch ausführlichere inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem spektakulären Event, das so zum Tagesgespräch geworden war. Das Event wurde gleichzeitig zur filmischen Vorankündigung wie auch zum geskripteten Livedrehpart für Zoolander 2, über den nur wenige Involvierte – wie beispielsweise die prominente und höchst einflussreiche Chefredakteurin der US-Vogue Anna Wintour – zuvor eingeweiht waren. Szenographie und Social Media sind in diesem Fall gegenwärtig die wichtigsten miteinander verflochtenen Aufmerksamkeitsgestalter und Kommunikationsplattformen für die Mode und ihre Marken. Die erfolgreiche Fashionbloggerin Susie Bubble kommentierte das Pariser Valentino-Ereignis beispielsweise am 11. März 2015 wiederum online auf der Plattform DazedDigital ausführlich: Initial reaction: By now, everyone will have seen/regrammed/retweeted what was the most social media savvy moment of fashion month as Ben Stiller and Owen Wilson walked it off  giving their best Blue Steels (no Magnum alas) to an overexcited frow. Stiller even grabbed a phone from Vine star Jerome Jarre and started doing a video selfie. What preceded this outrageously fun finale though was a collection that found modernity in bygone muses from two very different eras – Emilie Louise Flöge, the pioneering couturier who was

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Gustav Klimt’s muse and Celia Birtwell, wife of designer Ossie Clark and muse of David Hockney. They’re both women who were artists themselves and inspired those around them and so a collection of epic proportions played out running a broad gamut from stark monochrome to eclectic bohemia. Unconventional Women: Let’s not allow Derek and Hansel to overshadow what was yet another masterful collection that mined facets of two contrasting muses, incidentally from two epochs that designers are fixated upon – late Victorian/Edwardian and the 1970s. By looking at the culturally vibrant times of Flöge in turn-of-the century Vienna and Birtwell in Swinging London, Maria Grazia Chiuri and Pierpaolo Piccioli found a harmony between these facets in black and white geometry, dulled pastel lace and felt appliques and a floral and butterfly print that was created by Birtwell herself. The opulence of Klimt’s paintings showed up as metallic flecks on furs and in a mottled and scalloped gold lace gown – one of many that paraded in this mammoth collection of eighty-two looks. Birtwell’s heyday gave way to folkloric and ethereal geo-floral appliques and embroidery work that the house has been known for. The talking point may be the finale but the duo has the last word with the clothes. The fun in fashion: It surprised many that Valentino – a house that isn’t about being »so hot right now« but about crafting clothes that extoll virtues of timeless beauty – would pair up with Paramount Pictures to announce the Zoolander sequel  in such a sensational way. Chiuri said after the show that what they do is serious but that they should be able to have some fun too. This surprise move certainly showcases an irreverent side to the duo and also to Valentino. Perhaps it’s an indication that the forthcoming sequel is about celebrating fashion as well as poking fun at it given the way they’ve taken this opportunity to collaborate with the fashion establishment – see Anna Wintour posing happily with Wilson and Stiller. At an intimate afterparty at the Hôtel Salomon de Rothschild, not unlike a scene that would be parodied in Zoolander, it was interesting that Owen Wilson and Ben Stiller both seemed to still be in character as they partook in Blue Steel selfies with fellow models. When asked he felt it was to do the walk off at the Valentino show, Wilson said in Hansel language, »It felt like it had to happen. It was pre-destined. As I was doing it it was like, ›I’ve been here before …‹« In contrast, this felt like unchartered territory for the Italian fashion stalwart as they showed that with one dramatic moment-of-the-month gesture, that fashion can be fun.63

Der augenscheinliche Flirt mit Film und Kunst liefert hier einen letzten Widerstand gegen das Regime einer gefällig-dekorativen Szenographie, obwohl gerade eine Nähe zu den Freien Künsten im kommerziellen Werbegeschäft bereits längst schon auch als Camouflage und Trojaner dient. Denn die Adaption von zeitgenössischen Kunstpraktiken verspricht gewöhnlich eine sinnhafte symbolische Aufladung von reinen Funktionsprodukten und liefert darin einen besonderen Mehrwert wie erlebnishafte Tiefe und Komplexität. So diente für das kulissenhafte Setdesign sowohl der Runwayshow als auch des dazugehörigen Fashionshow-Filmtrailers von dsquared2’s Pop-Art-inspirierter Menswear Summer/Spring 2015-Kollektion (Abb.  39) bezeichnenderweise die klischeebesetzte geheimnisvolle Keimzelle 63 ������������������������������������������������� Susie Bubble: Valentino AW 15 + live stream. ���� In: DazedDigital v. 11. März 2015, online unter http://www.dazeddigital.com/fashion/article/23924/1/valentino-aw15-live-stream (letzter Zugriff: Juli 2015; Hervorh. im Orig. unerstrichen).

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von Kreativität, das modernistische Künstleratelier und kreative Studio, als plakatives Vor- und Leitbild – inklusive der darin noch unvollendeten abstrakten Malereien und vielen Staffeleien unter einem simuliertem natürlichen Oberlicht eines klassischen Künstlerlofts inmitten einer kargen, weiß gekalkten alten Backsteinfabrikhalle. Kürzelhaft übernimmt hier die Trompe l’Oeil-Szenographie offensichtlich die wichtigsten visuellen Marker für Moderne und freie Kunst, um sie mit der angewandten visuell wie narrativ zu verknüpfen.

Abb. 39: dsquared2: Milan Fashion Show Menswear Spring/Summer 2015

GARETH PUGH Neben dem ausgetragenen dialektischen Verhältnis von freier Kunst und angewandtem Design lässt sich jedoch auch zunehmend eine dialogartige Fusion von zeitgenössischer Kunst, i. e. von künstlerischen Videoprojektionen und Filminstallationen, Performance Art oder Modern Dance, mit den kommerziellen Modenschauen beobachten, woraus medienwirksame ›Mega-Szenographien‹ hervorgehen können. Einen bislang spektakulären Höhepunkt lieferte während der New Yorker Fashion Week am 4. September 2014 die sinnlich überwältigende multimediale Präsentation für die Spring/Summer 2015-Kollektion des jungen britischen Modedesigners Gareth Pugh (geb. 1981 in Sunderland, UK; Abb. 40 u. 41). Sie wurde von ihrem offiziellen Sponsor, dem japanischen Autohersteller Lexus, als ein einmaliges kollaboratives Fashionevent für eine ausgediente alte Lagerhalle am New Yorker East River angekündigt: »An event to feature a live immersive fashion experience harnessing design, performance and technology.«

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Am New Yorker Pier 36 wurden daher auch mehr die Erfahrung und das Erlebnis eines besonderen multisensorischen Ereignisses gestaltet denn neue Designprodukte mit sachlichen Informationen präsentiert: »At Lexus we’re constantly pushing the boundaries of design, performance and technology, and we strive to work with innovative people, like Gareth Pugh, who take similar creative risks,« says Brian Bolain, Lexus corporate marketing communications manager. »This year’s Lexus Design Disrupted defies convention and invites guests to experience both brands in an unexpected way.« »This is an opportunity to elevate my work and present it in a more innovative and meaningful way,« says Pugh, who is premiering a collection in New York for the first time. »I hope to explore a new visual language – something that transcends the nature of a traditional fashion show – where images penetrate and the audience have a deeper understanding of the story I want to tell.«64

Dafür umtanzte die engagierte Wayne-McGregor-Random-Dance-Gruppe live zur Musik von Matthew Stone mehrere Minuten lang in einer dunkel-nebligen Indoor-Atmosphäre sowohl die sich frei im Raum bewegenden geladenen Gäste der exklusiven Modenschau als auch die darin positionierten großen Videoscreens mit vorproduzierten eindrucksvollen Visuals: Gareth Pugh also had a lesson for his attendees. There was no assigned seating, so to experience his interactive dance-and-projection presentation (which included a live tornado, by the way) you had to shove to the front. You had to be there early. At first, it was frustrating, but Gareth illuminated his intentions: you have to want to see. The show format forced audience members to take their own temperature, just like Jonze’s play. Why are we here? What do we want to see? And most importantly: what do we need to see for it to be a fashion show?

Anstelle von Scenographic Fashion Shows waren Gareth Pughs Modepräsentationen seit 2009 vor allem über Inszenierungen mit hoch ästhetisierten, nonnarrativen Fashionfilmen von Ruth Hogben,65 Nick Knights ehemaliger Assistentin, bekannt geworden, in denen der Ausdruck des virtuos choreographierten Tanzparts ebenfalls eine wesentliche Hauptrolle neben den rhythmisch zum Soundtrack bewegten Filmbildern spielte. Mode sollte am expressiv bewegten Körper getragen präsentiert werden. Diese filmischen Inszenierungen resultierten in elaborierten Fashion-Campaign-Filmen für das Internet, die dem popkulturellen Format von Videoclips nahekamen und global über digitale Plattformen wie Commercials distributiert, einmalig an einem einzigen Ort stattfindende lokale Modenschauen marketingtechnisch ersetzen bzw. ergänzen sollten. Gareth Pugh betont in Interviews, dass im Medium Fashion Campaign Film dabei auch eine noch viel größere Kontrolle über die Bil64 Aus der offiziellen Pressemitteilung von Lexus, online unter www.prnewswire.com/news-releases/ gareth-pugh-featured-at-lexus-design-disrupted-kicks-off-fashion-week–273555211.html (letzter Zugriff: 2015). 65 ������������������������������������������������������������������������������������ Siehe hierzu Nathalie Khan: Stealing the Moment: The non-narrative fashion films of Ruth Hogben and Gareth Pugh. In: Film, Fashion & Consumption 1 (2003), H. 3, S. 251–262.

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der der vom Körper bewegten Kleider möglich ist, als dies bereits bei traditionellen Modenschauen über die gecasteten Models erfolgt. So spielerisch performative Szenographien häufig für ihr Publikum anmuten, umso größer und intensiver die klare Regie und das strategische Konzept dahinter. Vorproduzierte Fashion-Campaign-Filme können überdies auch als illustrativer Projektionspart für die Gesamtdramaturgie der Live Fashion Shows eingesetzt und verwertet werden. In der vom Konzern Lexus gesponserten New Yorker Fashionshow von Gareth Pugh wurde das cineastische 2-D wiederum durch ein Live-3-D szenographisch im Realraum erweitert; dargestellte und darstellende Performances interagierten wechselseitig miteinander, wie auch das im szenographierten Performanceraum verteilte anwesende Publikum so selbst zum aktiven Performer und interagierenden Partizipienten auf der ›totalen Schaubühne‹ involviert wurde. Einen Ausgangspunkt bildeten dafür nicht zuletzt die bereits mit performativen Choreographien vorproduzierten eindrucksvollen Visuals der New Yorker Scenographic Fashion Show, in denen neben den Teilen ›Megalith‹ und ›Chaos‹ aufgrund ihrer bildgewaltigen Metaphorik gerade die an die zeitgenössischen Videoästhetiken von Medienkünstler Bill Viola heranreichende Produktion ›Ascension‹66 ein besonderes Augenmerk in der internationalen Medienpresse erfuhr, denn:

Abb. 40: Gareth Pugh: New Yorker Fashionshow Spring/Summer 2015 66 Siehe auch online http://hautemacabre.com/2014/09/gareth-pugh-megalith-chaos-ascension (letzter Zugriff: Juli 2015).

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»Ascension« explores rebirth and renewal and features Gareth Pugh S/S 15 garments and an original piece of choreography by Wayne McGregor. Gareth Pugh caused a stir for S/S 15 by eschewing his usual slot on the Paris Fashion Week schedule and kicking off New York Fashion Week with an immersive live experience, made in collaboration with Lexus. The event featured three short films that combined Pugh’s designs with performances by models, choreographed by Wayne McGregor. Filmmaker and artist Andrew Thomas Huang served as creative director. SHOWstudio is proud to exclusively release the films – Megalith, Chaos, and Ascension – alongside a gallery of images that show off Pugh’s S/S 15 collection in detail. The collection is informed by an obsession with British folklore and its many rites and rituals. »The handwork, the ceremonial aspects, the playful and sometimes outlandish practices, and the unnerving notion of an outsider society, all deeply resonate with me,« explains Pugh. To him, the Lexus Design Disrupted event offered the chance to, »connect the audience with not only the collection itself, but the emotion that went into creating the clothes.« The opening installation – a stylized Stonehenge – made up of 8 monolithic LED screens, presented an imposing cast of characters traditionally found throughout British folklore. The second installation, represented a darker more menacing vision: a Pagan anarchy, illustrating the oppositional forces – black and white, positive and negative, chaos and control – that are all signature to Pugh’s work. Here a live tornado – created by artist Daniel Wurtzel – consumed the space, while dancers performed before a huge screen of swirling chaos. The final installation in the series, Ascension, was perhaps the most profound in Pugh’s mind. The set opened with an original piece created by McGregor, and ended with the image of the phoenix, a timeless icon of rebirth and renewal. From the delicate chiffon ribbons referencing summer rites and the raising of the maypole and the hard graphic lines of pentagram harnesses that call to mind pagan ritual, to the tailoring pieces adorned by mother of pearl appliqué – a reference to Pearly Kings and Queens – this season the fabrics have a handmade quality. Sackcloth hessian, deconstructed cotton, and a specially woven linen jacquard come together to form a collection that is rooted in the visual codes of British folk tradition and the needlepoint philosophy of »make do and mend.«67

Während die visuell herausfordernden Eindrücke dieses immersiven New Yorker Fashionevents, das stilistisch britische Folklore mit internationalem Hightech verbinden wollte, dank internetfähiger Smartphones umgehend zum InstagramHit und Bloggererfolg wurden, bemühten sich Journalisten wie Fashionblogger binnen Minuten und nur weniger Stunden auch einige beschreibende Worte für den dramaturgischen Ablauf der szenographierten Modenschau zu finden, die bis zum Release des offiziellen Fashionshowvideos die spektakuläre Szenographie spontan festhielten und einer größeren Gemeinde Modebegeisterter in ihrer eigenen idiosynkratischen Sprachrhetorik kommunizierten: Eight electronic pillars constructed a stylized stone circle that acted as the stage for the show’s opening. Each »stone« showcased pre-recorded videos of models wearing Pugh’s colorless collection. A stoic figure in a white floor length dress and razor-tailored bodice was accessorized with a giant bull skull as a mask. Another model, covered from head to waist in white flowers, danced. One in a hypnotic black and white patterned pant suit struck poses while a women in a thin, white coven dress seemed to cast spells on the audience. There was even a free-spirited frock made of ropes, which flung about through her ritualistic dance. From there, the audience shifted to the middle of the room. A smoke tornado 67 Zitiert aus dem Begleittext zum Videorelease von Ascenion auf Vimeo, online unter https:// vimeo.com/107275069 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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spawned from the ground. Performers danced to choreography by Wayne McGregor while similar dancers – projected in videos by Pugh’s longtime collaborator Ruth Hogben – were displayed on massive screens. The finale consisted of a lengthy dance routine that mimicked the movements of animals in nature. A giant screen gave viewers an aerial view of the routine before switching to a woman in white slowly rising – the long strips of her white dress expanding to the far corners – before perching high above the crowd in a symbolic form of the phoenix and ending the show. […] While the show itself was a grand production  – Pugh’s most expensive show to date – the fact that it lacked any physical models donning the designs is what really challenged the dynamics of what we, as spectators, have come to expect from the industry’s most anticipated presentations. In order to stay relevant to the public, do collections need to be psychically seen by the bloggers, club kids, and celebrities (Sarah Jessica Parker, Mary Kate & Ashley Olsen, Andy Cohen, Coco Rocha were in attendance), whose opinions matter far less than the powerful buyers who will see his complete collection in a few weeks time?

So kommentierte beispielsweise Justin Jones am Tag danach im Internet auf dem Blog Beaststyle die an kulturellen Referenzen reiche Megaszenographie unter der Überschrift Gareth Pugh’s Fashion Show [that] Lacked Fashion, But Not Passion.68

Abb. 41: Gareth Pugh: Tornado-Szene der New Yorker Fashionshow Spring/Summer 2015

68 Justin Jones: Gareth Pugh’s Fashion Show Lacked Fashion, But Not Passion. In: Beaststyle v. 5. September 2014, online unter www.thedailybeast.com/articles/2014/09/05/ gareth-pugh-s-fashion-show-lacked-fashion-but-not-passion.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Wie der im Mittelpunkt des multimedialen Setdesigns stehende künstliche Tornado, der an Olafur Eliassons von naturwissenschaftlichen Labor- und Versuchsanordnungen inspirierte Indoor-Installationen erinnerte, wirbelte jedoch Gareth Pughs erste real szenographierte Modenschau in New York noch gewaltig durch den Blätterwald bzw. generierte damit die erste wichtige Aufmerksamkeit und staunende Neugier auf die gestalterischen modischen Entwürfe, deren tatsächliche Vollendung und realer Verkauf freilich erst in der nächsten Saison zu erwarten waren. Für den jungen britischen Kult-Modedesigner Gareth Pugh symbolisierten das Phönix-Motiv und die reale Showtornado-Einlage des Künstlers Daniel Wurtzel zudem nach eigenem Bekunden im Interview mit dem New York Times Magazine eine höchst anschauliche und kongeniale Analogie: It’s an idea of building something up and tearing it down again, which then leads to the end thing. She’s down on the ground like a maple with all these fabric strips, which then raise up and form this image like a phoenix. It’s birth, renewal, death, and rebirth. When something ends, something new begins. It’s kind of, for me, an optimistic message. And then at 10:30, we run the whole thing again. It instills the idea of something cyclical – like fashion, I guess. It’s what creative people do. They do something, they move on. You grow from it. It’s an evolution.69

Für die jüngere Geschichte der kommerziellen Modenschauen wurde diese multi­senorische Szenographie der New Yorker Spring/Summer 2015 Gareth Pugh Fashion Show, die Kunst, Technologie und Design im modischen Event verband, ebenfalls wie die epische Londoner Modenschau für die Gareth-Pugh-Kollektion Autumn/Winter 2015, sofort von den Kritikern unisono zu einem evolutionären Markstein innovativer Szenographien in der Modewelt erklärt und medial mit höchsten Tönen gefeiert,70 manifestierte sich doch in ihr einmal mehr sehr beispielhaft der Zeitgeist einer neuen Konvergenzkultur. Als eine mindestens ebenso erfolgreiche Alternative zu diesen neuen überwältigenden Super-Szenographien in der internationalen Modewelt, die mit neuesten Medientechnologien – z. B. mit Kameradrohnen, Holographie, Laser, Visuals, Bluescreen, LEDs, Closed-Circuit u. a. m. – aufgerüstet, oder mit künstlerischen (Dance-)Performances, Aktionen und Flashmobs (siehe Moncler) bereichert sind und mit einem betont thematisch-konzeptuellem Setdesign aufwarten, hat sich außerdem in den letzten Jahren auch die Auswahl vorgefundener außergewöhnlicher Locations und ungewöhnlich realer Settings erfolgreich eta69 ����������������������������������������������������������������������� Katherine Bernard: Reinventing the runway – on format and fashion. In: ����DazedDigital (2014), online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/21616/1/reinventing-the-runway-on-formatand-fashion (letzter Zugriff: Juli 2015). 70 ������������������������������������������������������������ Trupti Rami: How Gareth Pugh Created an Indoor Tornado. In: New York Times Magazine v. 5. September 2014, online unter http://nymag.com/thecut/2014/09/how-gareth-pugh-created-anindoor-tornado.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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bliert, wobei gilt: fashion has left the catwalk! Show Produzenten, Artdirectors, Agenten und Szenographen suchen dabei wie für einen geplanten Filmdreh oder ein Fotoshoot außerhalb ihres gewohnten Arbeitsstudios mit dafür spezialisierten Scouts einen originellen wie prestigeträchtigen Veranstaltungsort, der, beispielsweise mit einer besonderen Architektur oder einer ungewöhnliche Atmosphäre ausgestattet, sich zur spektakulären Kulisse und zum originellen temporären Aufführungsort für eine einmalige Modenschau eignet: Zu diesen Locations gehörten in jüngerer Zeit für fast alle großen Modehäuser beispielsweise zentrale Verkehrsknotenpunkte wie Bahnhofshallen oder modernistische Parkhäuser, Metrostationen sowie Straßen- und U-Bahnen, berühmte Kulturdenkmäler (wie beispielsweise die Chinesische Mauer), Grandhotels, Kirchen, Schlösser, alte Palazzi oder altehrwürdige Bibliotheken (Abb. 42), neue und alte Museen, berühmte Meisterbauten der Moderne und alte verlassene Industriehallen mit ihrem spröden architektonischen Charme, historische Parks, Museumsgärten und romantische Strände usf. Letztere insbesondere für die freiluftige Präsentation von sogenannten ›Cruise Collections‹ zwischen den offiziellen Hauptsaisonen. So verlagerte das Haus Chanel die ausgeklügelte Dramaturgie der elaborierte Choreographie des gesamten Defilees zur Überraschung für das exklusiv geladene Publikum der Scenographic Fashion Show seiner Cruise Collection 2010 an einen nur sehr kurzfristig angekündeten realen ›Schauplatz‹, nämlich den mit seinen narrativ-fiktionalen Anklängen und glamourösem Genius Loci verbundenen, für die Kollektion daher so scheinbar authentischen und kongenialen Lidostrand in Venedig.

Abb. 42: Trussardi: Men’s Spring/Summer 2016, Präsentation in der Mailänder Pinacoteca di Brera

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Das streng konzeptuell und intellektuell auftretende Label Maison Martin Margiela in Paris hingegen lädt dafür häufig ins eigene auratisch aufgeladene wie magisch kreative Arbeitsatelier ein, das jedoch im Kern aus mobilen Tapeten, frappierenden Trompe-l’Oeil-Elementen und illusionistisch-architektonischen Kulissen fingiert ist. Alternativ zur fiktiven Architektur mit einer künstlichen Patina dient auch der Einbezug der Realität mit ihren historischen Relikten, beispielsweise wenn Margiela auf eine anonyme reale Pariser Dachterrasse mit spektakulärem Ausblick auf den echten, signethaften Eiffelturm in Paris einlädt, der damit als ikonisches Wahrzeichen der Modestadt gleichzeitig zur attraktiven Kulisse für die Modenschau degradiert und damit im wahrsten Sinne des Wortes künstlich in den Hintergrund gespielt wird. An diesen beiden unterschiedlichen Strategien für die konzeptuelle Erarbeitung der Destination einer besonderen lokalen Szenographie und ihrer Atmosphäre zeigt sich außerdem, dass jene letztlich immer auch zur Produktion von starken Bildern wesentlich beitragen und dienen muss. Das anwesende Publikum soll als Erstes atmosphärisch überrascht und sinnlich affiziert werden, sodass es im idealen Falle heute in einem technologisch vernetzten Kommunikationszeitalter auch an der globalen Distribution der lokal generierten starken Bilder freiwillig mitarbeitet: Dior lädt seine Gäste für eine Haute-Couture-Show in eine futuristische Mondlandschaft ein, Chanel baut einen gigantischen Supermarkt auf, Givenchy lässt seine Models um Autos laufen, die aussehen, als seien sie gerade bei einem Unfall ineinandergecrasht. Und auch ein junges Label wie Peter Pilotto zeigt seine Winterkollektion 2014 nicht auf einem grauen Laufsteg in irgendeinem nüchternen Raum, sondern inmitten eines Labyrinths aus farbigen Glaswänden [vom Bureau Betak], das auch als Installation im Museum stehen könnte. Neben den Celebrities sind spektakuläre Inszenierungen der sicherste Garant für mediale Aufmerksamkeit.71

SALVATORE FERRAGAMO Salvatore Ferragamo, prominenter und finanzstarker Hauptsponsor einer spektakulären Leonardo-da-Vinci-Ausstellung im renommierten Pariser Louvre, nutzte die Gelegenheit gleichzeitig auch zur Vorführung seiner Resort-Kollektion 2013 vor Ort im berühmtesten Kunsttempel der Welt. Die ausgewählt schönen Ferragamo-Models liefen mit ihren neuesten Looks auf einem entlang einer imposanten Säulenkolonnade im Museumsraum eigens eingerichteten 140 Meter langen, marmorweißen Catwalk, an dessen Frontrow zudem etliche, für die Bildkamera gut sichtbare, exklusiv geladene Hollywood-Celebrities als Markenbotschafter platziert wurden (Abb. 43). Chefdesigner Massimilliano Giornetti kommentierte diese wer71 Silvia Ihring: Die harte Arbeit hinter den Laufsteg-Bildern. In: Die Welt v. 10. April 2014, online unter www.welt.de/icon/article126785798/Die-harte-Arbeit-hinter-den-schoenen-Laufsteg-Bildern. html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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bewirksame und inzwischen fast schon selbstverständlich gewordene Allianz zwischen Design, Kunst und Filmwelt sowie ihrer gegenseitigen Reverenz­erweisungen inmitten eines Fashionevents pauschal mit den Worten: Es ist »a chance to express a lot about the links between Ferragamo, Italy and the artistic and artisan traditions of Tuscany«. In der gleichzeitig verteilten offiziellen Pressemitteilung legimitierte Ferruccio Ferragamo, CEO des global agierenden italienischen Unternehmens, des Weiteren die Bedienung einer öffentlichen Institution für privatunternehmerische Werbezwecke gegen die heftigen Kritiken mit dem gleichzeitig werbenden Argument: »Endless creativity, an innovative aesthetic, artisanal roots and groundbreaking research have always characterised the Italian genius, as embodied by Leonardo da Vinci, that we have always appreciated.«72 Im hehren Museumstempel feierte man über Zeiten und Epochen hinweg, glamourös das Gipfeltreffen der Gestaltungstraditionen handwerklicher und künstlerischen Techniken sowie edler Perfektion und Meisterschaft – ohne dafür noch im szenographischen Ereignis zwischen Kunst und Design unterscheiden zu wollen. Mit diesen Unternehmungen, den klassischen Runway direkt an ungewöhnliche wie kulturell wirksame Örtlichkeiten zu bringen, ihren Genuis Loci synergetisch für Assoziationen und Konnotationen zu nutzen, werden zugleich neue innovative Strategien der polysensuellen Wahrnehmung und interaktiven Rezeption für tradierte moderne Präsentationsformate erprobt. Denn ein

Abb. 43: Salvatore Ferragamo: Cruise Collection 2013, Fashionshow im Pariser Louvre 72 ������������������������������������������������������������������������������������������ Zitiert nach Jess Cartner-Morley: Salvatore Ferragamo Louvre show pushes case for fashion as high art. In: The Gardian v. 13. Juni 2012, online unter www.theguardian.com/fashion/2012/ jun/13/salvatore-ferragamo-louvre-exhibition-leonardo (letzter Zugriff: Juli 2015).

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klassisches Défilé de mode allein, das wohlgeordnete, moderne, vorführende Paradieren mit seinen autoritär-militärischen Anklängen für nur einige wenige (d. h. reiche Kunden und ›eingeweihte‹ Kenner), vermag wohl heutigentags ein durch medial vermittelte Sensationen und effektvolle Spektakel verwöhntes, größeres Publikum nicht mehr allein zu beeindrucken oder in den Massenmedien gar eine nachrichtliche Resonanz zu erzeugen. Die Intensivierung szenischer Momente und Etablierung von atmosphärischen Assoziationsräumen, der Einbezug (sub-) narrativer Elemente und performativer Komponenten im Gesamtablauf einer rituellen Modenschau bis hin zu einem dichten und effektvollen cinemato-szenographischen Gesamtereignis und einmaligen originellen Saisonevent für ein großes, breites Publikum liegen daher heute deutlich im Trend und hängen wohl auch mit der Demokratisierung und enormen Popularisierung der Mode in jüngerer Zeit zusammen. Es lässt sich generell darin eine dezidierte dramaturgische Ausrichtung der Scenographic Fashion Show nicht nur auf ein relativ überschaubares Livepublikum an den exklusiven Rändern und in der prominenten Frontrow des traditionellen modernen Laufstegs festhalten, sondern gerade auch auf die in jeder Modenschau heute schon obligatorisch mitinstallierten Kameras, welche instant bewegte Bilder für eine Liveübertragung ins World Wide Web oder für eine filmische Dokumentation und später nachbearbeitete Ausstrahlung ermöglichen. Die Scenographic Fashion Show fungiert im Gegensatz zu intimeren Vorführungen im klassischen Private-Showroom als magische Bildermaschinerie für die große Öffentlichkeit. So warb zum Beispiel die große deutsche Tageszeitung Die Welt am 9. März 2015 für die Übertragung des Live-Broadcasts der doch noch sehr exklusiven HermèsFashionshow Autumn/Winter 2015 auf ihrer Website im Internet mit der Ankündigung: »Man muss nicht nach Paris reisen, um die wichtigen Shows der Modewoche zu sehen – wir zeigen im Stream die Schau von Hermès.« Diese digitalen Bewegtbilder von den heutigen Modenschauen mit ihren multifokalen Perspektiven und diversen Zooms sind darüber hinaus aktuell auch die größte Konkurrenz zur etablierten klassischen Modefotografie geworden, die damit derzeit nicht nur allein den dramatischen ständigen Rückgang der klassischen analogen Printmedien zu fürchten hat, sondern auch eine schnelle optische ›Ver-/Gewöhnung‹ eines breiten Massenpublikums, das mit digitalen wie interaktiven Medien inzwischen gut sozialisiert ist. Modische Kleidung, wenn sie mehr als nur eine funktionale Notwendigkeit und Schutz für den Körper, d. h. pragmatisch gesehen, Bekleidung bedeuten soll, will schließlich mit ihren visuellen Kodes und semiotischen Ästhetiken auch bewegt am Körper zur Schau getragen und anschaulich in Handlungen und sinnliche Aktionen eingebunden werden. Ein statisches Posen in unbewegter Kleidung kommt schließlich auch im Alltag als Wahrnehmungs- und Erfahrungsform kaum vor und wird zunehmend vom Publikum als künstlich bzw. gekünstelt angesehen. Der immer noch zunehmende

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Erfolg der Street Fashion Photography spricht indes des Weiteren dafür, dass die klassische Modefotografie des 20. Jahrhunderts als modernes Genre ihre Hochphase längst hinter sich hat und mit dem Ende des analogen Printzeitalters weiter an Bedeutung verliert. Die bewegten und fließenden, mit Ton unterlegten Bilder der digitalen Filmkameras, die gleichzeitig Mode und ihre Rezipienten wirkungsvoll ins Blickfeld nehmen und raffiniert in Szene setzen, können dabei wiederum in einem selbstreferentiellen wie selbstreflexiven Spiel als subversives Showelement nochmals auf die zeitgenössische Bühne des modischen Spektakels gesetzt werden. Denn Mode wird heute schließlich nur das, was dann auch wirklich auf der Straße etwa als angesagter Streetstyle getragen wird, und ist nicht mehr nur das, was Designer exklusiv in ihren Ateliers und Studios entwerfen. Die Szenographie stellt hier eine Vermittlung und Verbindung zwischen beiden, zwischen Produzenten und Rezipienten, her. Sie schafft dafür als Vermittlungsagentur einen multisensorischen, atmosphärischen Raum für rituelle und festliche Zusammenkünfte, die zu intensiven und nachhaltig wirksamen Begegnungen (ver-)führen können. »Szenografie ist Verführung«, so lautet bekanntlich auch das Mission Statement des international renommierten und erfolgreich agierenden Architekten und Szenographen der ersten Stunde Uwe R. Brückner (Atelier Brückner, Stuttgart). Unter dem formulierten Designcredo »Form follows content« strebt die bedeutende Szenographie-Agentur in ihren vielfältigen gestalterischen Projekten an, »Inhalte spannend umzusetzen, Atmosphären entstehen zu lassen, Raumbilder zu schaffen, die einer Dramaturgie folgen, die Besucher entlang eines roten Fadens in eine Geschichte zu entführen, das ist die Dimension von Szenografie.«73 Für sogenannte Auratiker und Puristen sind die derzeit im globalen Wettbewerb immer sensationeller und spektakulärer werdenden Inszenierungseffekte der vielen entstehenden Szenographie-Agenturen, die quer über alle Sparten hinweg vorrangig Affekte produzieren, gleichzeitig Stein des Anstoßes und manchen Überdrusses. Ein skeptischer Vorbehalt und gar ein wachsender Unmut ihnen gegenüber, insbesondere formuliert von Wissenschaftlern, Kuratoren und Künstlern, scheinen sich mit einer Kritik am effekthascherischen Überinszenieren und einer kommerzialisierten Entertainisierung wie Eventisierung dem globalen Siegeszug der Szenographie in den Kultureinrichtungen inzwischen entschieden entgegenstemmen zu wollen. Auch die zusätzlichen Budgetausgaben für die szenographischen Elemente stehen häufig bei immer weniger werdenden Etats für kulturelle Projekte zur Diskussion. Schließlich stehen die erfolgreichen neuen Szenographen hier auch mit einem Mal in einem Konkurrenzverhältnis zu Designern oder Kuratoren, wenn sie gleichzeitig als neue Diskursmanager nicht mehr nur lediglich vorgegebene Zeichen und Objekte zu einem ganzheitlichen 73 Siehe die umfangreiche Website von Atelier Brückner online unter www.atelier-brueckner. de (letzter Zugriff: Juli 2015).

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atmosphärischen Raum interpretativ arrangieren, sondern perzeptiv-affektiv vor allem die Affekte und Kognition ihres Publikum adressieren und damit ihre szenographische Inszenierungsleistung in den Vordergrund rücken. Szenographen sind darin wie die Installationskünstler und Erfahrungsgestalter der Gegenwartskunst erfolgreiche, neue und konkurrente kommerzielle Akteure eines umfassenden Affektmanagements in unserer Kultur. Denn auch für sie gilt dabei, wie Andreas Reckwitz bereits für die Künstler und Künstlerinnen der Gegenwart luzide herausgestrichen hat, solches Affektmanagement macht es erforderlich, unterschiedlichste mediale Formate im weiteren Sinne (Foto, Film, Computer, Schauspiel, Tanz, Musik, Ding-Installation etc.) zu beherrschen und auch eine architektonische, eine spazio-atmosphärische Kompetenz zu entwickeln, die es ermöglicht, ganze Räume zu entwerfen74,

die verführen. Das dabei oft gerne übersehene, eigentlich verführerischste Regime der Szenographie in unserer gegenwärtigen Ereignis- und Inszenierungskultur ist allerdings ihre noch machtvollere Kehrseite: eine unsichtbare, dafür umso wirksamere Szenographie, wie sie beispielsweise eine neue Relationale Szenografie darstellt. Diese definiert sich als eine Art New Collaborative Design mit kollektiver Arbeitsweise und multipler Autorenschaft. Sie akzeptiert das Variable und Virtuelle, das Flexible und Experimentelle, das Performative, Transformative und Transitorische wie auch das Spielerische, Hedonistische und grundsätzlich auch Konsumistische in der zeitgenössischen Kultur und wertet dies alles neu auf. Sie scheut dabei aber auch nicht das Risiko des Scheiterns, geht vielmehr darauf ein, zieht es mit strategischem Kalkül und taktischer Intention mitunter auch für eine pointierte Endaussage mit ein. Eine derart postästhetizistische, partizipative und inventive Szenographie mit ihren ereignis- und erlebnishaften Hyperräumen ist dabei gleichzeitig als eine ausgesprochen diskurs- und dialogorientierte, posthistorische und postmediale universelle Gestaltungspraxis der unternehmerischen Wissensgesellschaft einer globalisierten Gegenwart zu verstehen, die an die Stelle einer objekt- und produktfixierten Industriegesellschaft getreten ist. Es gehört dabei augenscheinlich zu den Kernaufgaben und Chancen einer quasi immateriellen relationalen Szenografie, mit einem explizit ethischen Anspruch Kommunikation zu befördern, Gemeinschaften und damit auch Identitäten durch initiierte, gemeinsam geteilte Erzählungen zu stiften, Wissen und diskursive Handlungsfelder zu erschließen und dabei weitere selbstgesteuerte kreative oder kognitive Prozesse in den Gesellschaften anzustoßen. Sie stellt dann als Vermittlungs- und Übersetzungsagentur nur noch Beziehungen her zwischen Subjekten anstelle von Objekten. Szenographie muss dafür unsichtbarer werden. Denn bedenken wir, dass die kreativsten menschlichen Leistungen der jüngeren Vergangenheit im 74 Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin (Suhrkamp) 2012, S. 117.

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revolutionären Entwurf, in der Entwicklung und der Gestaltung des Mobilfunks, des Internets, der Suchmaschinen und der unterschiedlichsten Formen von Social Media liegen, so wären die Szenographen der nahen Zukunft wohl eher in den Backstagerollen von Agenten, Strategen, Programmierern, Arrangeuren, Providern, Operatoren, Mediatoren und Administratoren zu finden, die, selbst invisibel (bzw. anonym), ihre Adressaten zur interaktiven Mitarbeit und zur Bildung neuer, kreativ operierender Gemeinschaften wie innovativer Gesellschaften potenziell verführen. Szenographen sind dann vor allem professionelle Beziehungs- wie Kommunikationsgestalter. Gleichzeitig schaffen die umfassende Technologisierung und Digitalisierung der Kommunikation neue Formate und Formen der Inszenierung und Interaktion mit der Mode und ihren Marken. Versuchten avantgardistische Regisseure wie Ruth Hogben, Nick Knight und sein SHOWstudio-Team bereits die Modenschau mit den Formaten Videoclip und Kurzfilm ästhetisch zu vereinen, so arbeitete Nicola Formichetti 2011 an der Konvergenz von Laufsteg, Videoclip und audiovisueller Game Culture,75 indem er in der Funktion als damaliger Kreativdirektor des Hauses Mugler nicht nur in der Person des Voll-Tattoo-Models Rick Genest (aka Zombie Boy) ein Aufsehen erregendes düsteres Testimonial auf den realen Mugler-Runway schickte, sondern mit dessen markantem Image und auffälligem Look in kreativer Kollaboration mit Entwicklern einer MultiplayerGame-Company einen Avatar für das Fashiongame EVE schuf, mit dem das modebegeisterte Publikum auf einem Virtual-Catwalk auch in Echtzeit interaktiv interagieren konnte: Mit »Zombie Boy« als Muse – den er für Mugler bereits als lebendes Skelett über den Laufsteg schicken konnte – wurde er durch das kanadische Model nun zu einem »ZombieBoy-Avatar« inspiriert. Jenen generierte er in Zusammenarbeit mit dem isländischen Spielehersteller CCP – Vorreiter auf dem Gebiet der Massen-Multiplayer-Onlinespiele –, um ihn in CCPs beliebtesten Spieletitel »EVE Online« (eine Weltraumsimulation, die in ferner Zukunft spielt) zu integrieren – gekleidet in seine modischen Entwürfe. So repräsentierte er eine virtuelle Modewelt, wobei es Formichettis eindeutiges Ziel war, zu demonstrieren, dass theoretisch jeder User ganze Kollektionen per Mausklick individualisieren kann: High Fashion trifft auf High Technology. Die sogenannte »Carbon-Character-Technik« von CCP erlaubte es dabei, detailgenaue Stoff- und Haaranimationen zu gestalten. Formichetti zeigte sich begeistert von den technischen Möglichkeiten: »Als Designer kann ich mich mit dem ›Virtual Catwalk Projekt‹ von den Grenzen der realen Welt lösen. Das Einzige, was mich jetzt noch einschränken könnte, ist die Frage, wie kreativ ich eigentlich bin.« Für kurze Zeit konnten die Onlinespieler von EVE die Kollektionsteile, die Formichetti entwarf, sogar für ihre Avatare käuflich erwerben.76 (Abb. 44)

75 �������������������������������������������������������������������������������� David Hellqvist: Nicola Formichetti: Exclusive Virtual Catwalk Documentary. ���� In: DazedDigital (2012), online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/11729/1/nicola-formichetti-exclusivevirtual-catwalk-documentary (letzter Zugriff: Juli 2015). 76 Rainer Häupl: Sold out. Die Verzahnung von virtuellen und realen Einkaufserlebnissen. ���� In: PLOT. Inszenierungen im Raum, Nr. 9: Dress the Stage on Fire (2013), S. 45.

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Abb. 44: Nicola Formichetti: Fashionshow Avatar/Digital Zombie Boy (Rick Genest; 2012)

Die Kreation eines modischen Avatars suggeriert, dass Individualität ein jeweils willentlicher schöpferischer Prozess der Auswahl, des Kuratierens bzw. des kreativen Kombinierens und Zusammenstellens aus einem sozial vorbestimmten Repertoire an vorhandenen Zeichen und Kodes ist, mit dem die Zukunft eines Akteurs in der Gemeinschaft semiotisch vorbestimmt werden kann. Die demonstrative Konvergenz von High Fashion und neuen digitalen Technologien hingegen verspricht hier ein zutiefst avantgardistisches Potenzial, nämlich die tiefgreifende Gestaltung der Zukunft oder doch, zumindest modisch gesehen, zuerst einmal der nächsten Saison. Im Jahr 2015, in einer Zeit der globalen Krisen und des allgegenwärtigen weltweiten Terrors, lässt sich auf den szenographierten Laufstegen der internationalen Modewelt eine reaktive Gegenströmung, ein Rückzug in die vermeintlich heilen Welten des Privaten, d. h. ein deutlicher Atavismus und Eskapismus gepaart mit Nostalgie, als Symptom der Zeit ausmachen. Am wohl sichtbar deutlichsten in der Dolce & Gabbana-Scenographic Fashion Show Autumn/Winter 2016, die ganz unter dem sehnsuchtsvoll-pathetischen Motto »No matter how, no matter when, no matter with who, no matter where, family is what matters the most in everyone’s life« stand, und dafür mit einem imposanten Tableau vivant auf dem Laufsteg aufwartete (Abb. 45). Unter den Klängen einer italienischen Oper öffnete sich am 17. Januar 2015 in Mailand zu Modenschaubeginn zunächst theatralisch ein großer Bühnenvorhang, der dem Publikum einen Blick auf eine theatrale Kulisse mit einer statistenhaft versammelten Menschengruppe freigab. Ihr Arrangement war alten

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Abb. 45: Dolce & Gabbana: Milan Fashion Show Set Autumn/Winter 2016

Fotografien von typisch italienischen Großfamilien nachempfunden. Die beiden italienischen Designer Domenico Dolce und Stefano Gabbana holten dafür fünf echte italienische Familien als leibhaftige Performer auf die Bühne ihrer Mailänder Schau: Assembled as if for a family photograph, five real-life families; the Spinettis, the Cerettis, the Maninis, the Mazzonis, the Bonsaglios set the scene for a show that was all about family. Dolce&Gabbana models Vittoria Ceretti and Giulia Manini, who are mainstays of many a campaign, were joined by their relatives on the stage, for a gathering that was both theatrical and authentic. If family is all in this collection, then it was literally worn with pride as the families’ photographs were integrated into the collection in print. Everyone has their role in a family and this was reflected in the wide range of ages on the catwalk, clothes for men in all stages of life. Italians have always valued family above all else, as do many other cultures, but as Dolce&Gabbana celebrates Italy, it is the most natural of things that they are inspired by and celebrate it. In our ever-changing modern world, the concept of family too is evolving, but through thick and thin, the family is who and what we are.

So der umgehende Kommentar von Hugo McCafferty auf dem Modehaus eigenen Fashionblog swide im Internet.77 Somit wurde der Laufsteg unter der Verwendung des Hashtags DGFamily zu einem aus aktuellem und historisch rekonstruiertem Zeitgeist heraus propagierten besonderen Gesellschaftsbild und 77 Online unter www.swide.com/photo-gallery/style-fashion-photo-gallery/dolcegabbana-mensfw-2015-16-meet-the-real-families-from-the-fashion-show-set/2015/01/17/1-16 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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symbolischen Bekenntnis, das den modischen Entwürfen der aktuellen Kollektion als universales Konzept und zeitloses Thema eingeschrieben war: ›Fami­glia‹ als charakteristischer Bestandteil der Italianità. Im Übrigen beanspruchte die inszenierte Mode darin, nicht mehr und nicht weniger, heute als ein essenzielles Instrument der Orientierung und Identitätsstiftung verstanden zu werden. Szenographie setzt hier anschaulich visuell um, was das Branding als Marken-Philosophie und Kernbotschaft der Modemarke in der Hashtag-Ära leitmotivisch vorgibt – ein profiliertes Statement, ein ›Für was‹ die Marke (ein-)steht. Zelebriert wird diese bekenntnishafte Rückbesinnung zur Bestärkung auf ebenso historischen Bühnen in bewährten alten medialen Formaten und fungiert gleichzeitig als kulturelles Heritage-Zitat, das schließlich von der modischen Kollektion bis zur ihrer Inszenierung als konstantes atmosphärisches Leitmotiv dient: Anlässlich ihrer Männermodenschau für die Herbst-Winter-Saison 2015 inszenierten die Designer [Domenico Dolce und Stefano Gabbana] auf der Bühne des ehemaligen Mailänder Kinos Metropol ein lebendes Familienporträt aus Models sowie echten Familien. Einige Personen in diesem Tableau vivant stellten Charaktere aus den Filmen des Regisseurs Luchino Visconti dar, die zu den wichtigsten Inspirationsquellen der Designer zählen. »Es sind alles Re-Interpretationen von uns. Aber diese Figuren sind eine Leidenschaft, die wir ständig in uns tragen«, sagt Stefano Gabbana. »Wir lieben Italien. In jeder Kollektion, die wir machen, findet sich ein Bezug zu unserem Land, sei es ein Film, eine Stadt, ein Gefühl. Italien ist ein Lebensstil, der sich stetig verändert, aber im Kern immer derselbe bleibt.«78

prada Szenographierte Modenschauen tendieren somit ihren jeweils inhärenten künstlerisch-konzeptuellen Ansatz auch mit allgemeingültigeren, symbolischen Branding-Botschaften zu vereinen, die über die eigentliche Präsentation und Propagierung eines neuen modischen Stils, einer jeweils aktuellen Mode für ihre Zeit weit hinausgehen. Sie bedienen sich dafür der gängigen Praktiken und aktuellen Formate der bildenden Künste, um universal zeitlose und symbolische Aussagen zu treffen. So ergänzte beispielsweise in der Mailänder prada Fashionshow Autumn/Winter 2015 die vom AMO-Projektteam Cedric van Parys, Giacomo Ardesio, Ippolito Pestellini Laparelli (Partner) und Miguel Taborda auf ein minimalistisch-futuristisches Architekturset gebrachte Männer- und Frauen-Kollektion eine in weißer Typographie auf schwarze Thesenkarten gedruckte und vor Ort an das teilnehmende Publikum verteilte Pressemitteilung, die in Form und Inhalt, in ihrem pointierten Statement-Charakter auch von einem zeitgenössischen Konzeptkünstler hätte stammen können: 78 Silvia Ihring: Stefano Gabbana erklärt Italien in 7 Schritten. In: Die Welt v. 7. September 2015, online unter www.welt.de/icon/article146124031/Stefano-Gabbana-erklaert-Italien-in–7-Schritten. html (letzter Zugriff: August 2015).

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This first part of the Autumn Winter 2015 fashion show continues prada’s analysis of the relationship between men and women. What are the unexpected possibilities, the various relationships, that may occur between the way men and women can or would dress? The way they represent themselves? This is a subject always under investigation. The influences of one upon the other are non-linear, asymmetrical, unobvious but always profound. Gender is a context and context is soften gendered. At times, the extra inspiration comes, ultimately, from women but it can also happen the other way round. Such similarities and differences are the spirit being presented here and lead to cross-references of an idea and the freedom to interpretation. These shows are the perfect moment to analyze this subject more deeply to measure what the genders share, what they take from each other. Everyday life reminds us of the many nuanced and porous exchanges that have historically proliferated in the gender field and obviously in life. Today, more than ever, it is an evolving and essential spirit for the coming prada seasons.

Zugleich beanspruchte das vom AMO-Projektteam aufwendig ausgearbeitete und mit Der endlose Palast (Abb. 46) betitelte labyrinthische Setdesign dieser Mailänder prada Scenographic Fashion Show das Thema und Konzept für die aktuelle Kollektion in einen theatralen Bühnenprospekt und eine sprechende illusionistische Bühnenarchitektur umzusetzen, gemäß einer prominenten Logik der Szenographie, nämlich stets synästhetische Übersetzungen (sensu Uwe R. Brückner) für ihr Publikum zu offerieren:

Abb. 46: prada: Fashionshow Set für die Kollektion Autumn/Winter 2015 Der bestehende Raum wird als klassische Enfilade maskiert. Seine Proportionen verändern sich nach und nach wie aus einer abstrakten, manieristischen Perspektive. Als Gegenstück zu einer einzelnen Bühne wird die Modenschau durch die neue Raumsequenz vervielfacht und

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fragmentarisch in eine Abfolge intimer Momente zerlegt. Durch die aneinandergereihten Räume werden unendliche Wiederholungen und Symmetrien simuliert, was die Illusion eines endlosen Palazzos entstehen lässt. Die Models schreiten linear durch die Enfilade und das in kleine Gruppen unterteilte Publikum tritt in engen und intimen Kontakt mit der Kollektion.  Boden und Wände sind mit blauem und schwarzem Marmor (Imitat) verkleidet und verwandeln jeden Raum in eine dreidimensionale Höhle. Geometrische Aluminiumeinsätze am Boden markieren in dieser zur Orientierungslosigkeit führenden Kulisse die Raumabfolge.79

In der symbolischen Sinnhaftigkeit dieser architekturalen Szenographie steckte wiederum am Ende – sprichwörtlich – der rote Faden für ihre metaphorische Bedeutung. Szenographisch-räumliche Modenschauen werden somit zukünftig durch neue Medienformate wie Fashion-Campaign-Filme nicht ganz so leicht zu ersetzen sein, sondern vielmehr in ihrer besonderen Qualität als einmalige, physische Ereignisse im Realraum, die jeweils der reale Ausgangspunkt und das Fundament für viele weitere audiovisuelle Übersetzungen und Vermittlungen werden, bestärkt und zunehmend im Modemarketing noch relevanter, wie auch viele aufstrebende junge und bereits sehr erfolgreiche Designer wie J. W. Anderson wiederholt bekennen: Ich hatte Momente, wo ich dachte, dass die Fashionshow tot sei. Es ist ähnlich wie beim Theater. Nur weil es auf einmal Filme gab, wurde das Theater nicht verdrängt. Die Fashionshow wird in der digitalen Welt noch wichtiger, weil der Content, der dadurch kreiert wird, so groß ist. Es gibt die Magazine, die kommentieren; es gibt die Bilder auf sozialen Plattformen und es gibt die Street-Style-Features. Nach dem Ende einer Show gibt es überall Millionen Bilder, die Show wird einfach technisch wichtig. […] Es macht mir schon noch Spaß, weil es einen Abschluss darstellt. Durch ein Video finde ich das nicht, aber wenn eine Show endet, dann ist sie zu Ende; du bist mit der Kollektion fertig und kannst mit der nächsten beginnen.80

Als abschließenden Höhepunkt wie kommunikativen Neubeginn sieht schließlich auch der international gefeierte belgische Modedesigner Dries Van Noten die Scenographic Fashion Show, die somit insbesondere durch ihre besondere Schnittstellenfunktion charakterisiert ist: Mit der Modenschau sagt der Designer Adieu zu seiner Arbeit, bevor er sie in fremde Hände übergibt. Zum letzten Mal sieht er sein Werk in Gänze, unfragmentiert. Anders als mit einem Bild kann man mit einer Schau eine besondere Atmosphäre kreieren, für die auch die Musik und die Szenografie eine wichtige Rolle spielen. Für mich wird die Modenschau immer die bevorzugte Methode sein, um auszudrücken, was ich über ein Jahr geschaffen habe. Wie könnte Mode nur aus Bildern bestehen, wenn in einer 79 AMO zitiert nach dem Online-Archiv A Future Archive von PRADA, online unter www.prada. com/de/collections/fashion-show/man-fw–2015.html (letzter Zugriff: Juli 2015). 80 Holly Shackleton: j.w. anderson ist der aufregendste und faszinierendste designer unserer generation. In: i-D (29. April), online unter http://i-d.vice.com/de_de/article/jw-anderson-ist-der-aufregendsteund-faszinierendste-designer-unserer-generation-396 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Kollektion eine ganze Geschichte aus Stoffen, Bewegung, Kontext und Haltung steckt? Auch wenn sie mitunter etwas anachronistisch und zirkusartig daherkommen, bleiben Modenschauen doch das effizienteste Mittel, um diese Geschichte in all ihren Nuancen zu erzählen.81

81 Dries Van Noten zitiert nach 6 Fragen an Dries Van Noten. In: Monopol. Magazin für Kunst und Leben (Mai 2015), S.  30. In diesem Sinne argumentiert auch Christina Pethick in ihrer Zürcher Diplomarbeit Format Fashion Show. Vom linearen Catwalk zur komplexen Räumlichkeit. Eine Untersuchung am Beispiel Chanel (ZHdK 2014), S. 81; online unter www.formatfashionshow. ch/impressum.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

3. MODE UND MARKEN, INSZENIERT IM KOMMERZIELLEN KURZFILM SCENOGRAPHIC FASHION FILMS Wie Modedesign, Populärkultur, Film, Werbespots/Commercials und Medienkunst derzeit im Format Kurzfilm (Fashion Campaign Film) für bekannte Luxuslabels und angesagte Modemarken effektvoll konvergieren und dabei innovative Inszenierungshybride für ein gegenseitiges ›Trading-up‹ bilden, soll im Folgenden an einer Reihe – in ästhetischer wie in künstlerisch-gestalterischer Hinsicht gesehen – von herausragenden und populären jüngeren Fallbeispielen näher analysiert und diskutiert werden: Im Mittelpunkt der exemplarischen Betrachtungen steht im Folgenden dabei ein emotionalisierendes Storytelling, das vorwiegend über filmische Szenographien entwickelt wird, und intermedial mit anderen, ästhetisch abgestimmten Inszenierungsmomenten um die jeweilige Modemarke verbunden ist. Verbindend und verbindlich ist im Scenographic Fashion Film daher immer die cineastische Inszenierung einer spezifischen Markenbotschaft, die gerade über szenographische Komponenten transportiert werden muss. Das stilistische Spektrum der hybriden Fashion Campaign Filme reicht dabei von graphisch-illustrativen Animationen (beispielsweise James Lima für prada oder Tokidoki für Karl Lagerfeld), Manga-Clips (beispielsweise Takashi Murakami für Louis Vuitton) und digitalen Effekten (beispielsweise David Sims für Alexander McQueen) über typische Musikvideo-Ästhetiken (beispielsweise Jonas Akerlund und Romain Gavras für dior oder Baz Luhrmann für Chanel), Puppenspiel (beispielsweise Fendi Bag Bugs [2013] von Virgilio Villoresi), digitalen Collagen und Montagen (beispielsweise OMA für pradas Real Fantasies) oder Stopmotions (beispielsweise Spike Jonze für Olympia Le-Tan) und filmisch inszenierte Graffiti-Aktionen (Niels Shoe Meulman für Louis Vuitton) bis hin zu cineastischen Shortplays (beispielsweise Martin Scorsese für Dolce & Gabbana oder Wes Anderson für prada) und Metawerbeclips (z. B. das Künstlerkollektiv DIS für Kenzo). Einige setzen dabei vorrangig auf Dialoge (beispielsweise Wes Anderson für die Candy-Trilogie von prada mit Schauspielerin Léa Seydoux) oder sind auch unterhaltsam-belehrend (z. B. die zwölfteilige Inside CHANEL-Serie), andere wiederum setzen Modern Dance Performances (beispielsweise Sam Taylor-Wood in Maison Martin Margiela x H&M) in Szene oder setzen filmisch auch nur auf die ästhetische Wirkungskraft eines besonderen Genius Loci, einer atemberaubend schönen Landschaft oder eines weltberühmten spektakulären Architektur-Settings (beispielsweise Inez van Lamsweerde & Vinoodh Matadin in This is BOSS).

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Das neue Hybridformat Fashion Campaign Film hat dabei als neuartiges Filmgenre seine Genese in der Tradition der kurzen TV-Commercials und in der historischen Videokunst. Für viele Modelabels sind musikalisch unterlegte Werbe­videoclips für ihre Parfümlinien schon länger bekannt. Neu sind jetzt die aufwendigere filmische Vermarktung und szenographische Präsentation auch von saisonalen Modekollektionen, die die klassischen Fotoinszenierungen und -strecken, die Kampagnenbilder, die katalogartigen Lookbooks und thematischen Editorials des analogen Printzeitalters zusehends ablösen und für ein mit digitalen Medien sozialisiertes jüngeres Publikum aktualisieren. Serielle werbestrategische Allianzen zwischen Kunst/Film und Modedesign1 im Medium Modefilm als neuem Genre und Hybridformat erfahren weltweit gerade bei einem vornehmlich jugendlichen, konsum- und unterhaltungsorientierten Publikum seit einigen Jahren zunehmende Wertschätzung und große Popularität, die sich als Resonanz auch in den Bloggersphären des Internets mit zahlreichen Besprechungen und Kommentierungen niederschlägt. Fashion-Campaign-Filme liefern hierbei die derzeit überraschendste Konvergenz und frappierendste Synthese der beiden künstlerisch-gestalterischen Disziplinen Film und Design. Der bekannte englische Modefotograf Nick Knight2 (geb. 1958 in London) hielt dazu bereits vor einiger Zeit weitsichtig fest, der Fashion-Film ist über die Jahre mehr oder weniger verborgen im Internet herangereift – er gründet nicht auf Kommerz, sondern auf künstlerischer Leidenschaft, und das ist sehr wichtig für ein neues Medium. Ich halte den Modefilm für die derzeit aufregendste Entwicklung, denn er gibt die Vision eines Designers viel umfassender wieder, als es die Modefotografie mit ihren Mitteln kann. Film ist ein erzählerisches Medium, Fotografie dagegen ein eher sachliches. Erst bewegte Bilder werden dem Modedesign vollständig gerecht, alles andere ist nur ein Kompromiss.3

Gerade die großen Luxuslabels der internationalen Modeindustrie suchen daher schon seit mehreren Jahren die enge kreative Kooperation und schöpferische Kollaboration mit exponierten Vertretern von Film, Architektur und bildender Kunst zur Valorisation ihrer Werbeauftritte. Inszenatorische Gemeinschaftsprojekte mit berühmten Filmregisseuren, bekannten Künstlern und renommierten Fotografen, VIPs oder Celebrities stehen dabei an vorderster Stelle für das strategische Marken-Marketing: So beispielsweise dior mit David Lynch oder Anselm Reyle, Louis Vuitton mit Takashi Murakami, Yayoi Kusama, Cindy Sherman oder Juergen Teller, Chanel mit Zaha Hadid, Armani mit Robert Wilson, prada mit 1 Vgl. Ingrid Loschek: Wann ist Mode? Strukturen, Strategien und Innovationen, Berlin 2007. 2 NICKNIGHT. Die Photographien von Nick Knight. Text von Sakoto Nakahara, Neuaufl. München 2009; Nick Knight. Photographien 1994–2009. Mit einem Text von Charlotte Cotton, München 2009. 3 Nick Knight zitiert nach Ilka Piepgras: Der große Nick. Das Internet revolutionierte die Modewelt – und der Fotograf Nick Knight ist ihr Prophet. In: Zeit online v. 18. Februar 2010, online unter www.zeit.de/2010/08/Nick-Knight (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Wes Anderson, Francesco Vezzoli oder Roman Polanski, Dolce & Gabbana mit Martin Scorsese, Pringle of Scotland mit Ryan McGinley, H&M mit Guy Ritchie, Missoni mit Kenneth Anger, Alexander McQueen mit Damien Hirst, Miu Miu mit Miranda July, adidas mit Kanye West usf. Ausgewiesene AvantgardeModedesigner wie Hussein Chalayan oder Gareth Pugh, Viktor + Rolf und Karl Lagerfeld, Nicolas Ghesquière u. a. m. vertrauen dabei nicht mehr allein nur der spektakulären Verführungsmacht ihrer szenographierten Modenschauen, sondern bedienen sich zunehmend einer weitergehenderen performativen und narrativen Inszenierungs- und Präsentationsform mittels Film und Digital Media, die über die neue Share-und-Like-Kultur des Internets 2.0 zudem schnell und gratis im globalen Maßstab verbreitet wird und im besten Fall zu einem viralen Erfolg wird. Etliche Webseiten, die sich als digitale Diskussionsplattformen diesem neuen strategischen Marketing-Phänomen euphorisch bis kritisch widmen, konnten sich bereits ebenfalls fest als Peers im Netz einen Namen machen und als relevante Instanzen etablieren, so unter anderem auch die 2000 von Nick Knight gemeinsam mit Peter Saville gegründete Website SHOWstudio. The Home of Fashion Film,4 die ein einflussreiches Forum für in erster Linie eigene Medienproduktionen ausgebildet hat. Erste internationale Fashion Film Festivals/Fashion Film Awards5 bilden des Weiteren inzwischen auch im weltweiten Internet mit ihren umfangreichen Webauftritten weitere wichtige Foren der aktuellen Diskussion, Analyse und Kritik mit einer hohen medialen Breitenwirkung wie auch in einem internationalen Wettbewerb. Die dynamisch bewegten und musikalisch begleiteten Bilder des populären Fashion-Campaign-Films, der sich selbst mehr als nur ein ›Fashion im Film‹ versteht, sind somit als modisches Zeitphänomen und neuartig inszenierendes hybrides Medienformat heute nicht nur mediale Derivate oder technische Erweiterungen und damit szenographische Ergänzungen6 von traditionellen Modeinszenierungen 4 Siehe online www.SHOWstudio.com (letzter Zugriff: August 2015). 5 Siehe hierzu beispielsweise das 3. Fashion in Film Festival London und Gründerin Uhlirova im Interview (9. Dezember 2010), online unter www.modabot.de/3-fashion-in-film-festival-london (letzter Zugriff: Juli 2015). Siehe ferner La Jolla Fashion Film Festival (California, USA), online unter www.ljfff.com, Fashion in Film Festival (FFF) (London, England), online unter www.fashioninfilm. com, German Fashion Film Awards, online unter www.german-fashion-film-award.com, Fashion Video Festival (Budapest, Ungarn), online unter www.fashionvideofestival.com, Fashion Video Festival, online unter http://beautifulpeoplefestival.tumblr.com (letzter Zugriff: Juli 2015). 6 Vgl. die Bloggerin Rebecca Schindler: Neue Facetten der Modeindustrie. Blogeintrag vom 12. Mai 2011, online unter http://rebeccaschindler.wordpress.com/2011/05/12/neue-facetten-der-modeindustrie (letzter Zugriff: Juli 2015): »Als Ergänzung zur traditionellen Modenschau und Modefotografie hat sich der Modefilm als ein geeignetes Mittel für Designer entwickelt, über die Stimmung einer Kollektion zu reflektieren und diese auch punktgenau zu vermitteln. Er ist in der Lage, die aktuellen Kollektionen in allen Facetten zu zeigen, und stellt eine geeignete Dokumentation des gesamten Looks dar. Der größte Unterschied zum Modefoto ist jedoch, dass man die Stoffe und Silhouetten in Bewegung betrachten kann, und somit werden sie besser ersichtlich. Hintergrundmusik lockert das Werk etwas auf und strahlt nicht die ursprüngliche Steife innerhalb der Mode aus. Ein Modefilm demonstriert damit

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und -präsentationen mit ihren dazugehörigen statischen Bildstrecken und geprinteten Fotokampagnen. Sie werden diese sogar in naher Zukunft zusehends ablösen, wenn man den derzeitigen Prognosen und erfolgreichen neuen Auftritten von Modefotograf Nick Knight7 oder Modedesigner Gareth Pugh Glauben schenkt. Die global vernetzte und digitalisierte Medienwelt erschließt sich somit beständig neue maßgebende Felder an neuen (Re-)Prä­sen­tationsformen und innovativen Inszenierungsstrategien. Sie forciert dabei technologische Innovationen wie etwa die Entwicklung von Apps für Smartphones und Tablets mit, die die werbetechnische Selbstdarstellung und Selbstpräsentation der Creative Industries auf ihren Websites und Homepages im Internet mit neuen interaktiven Applikationen technologisch erweitern und stärken. Die alten traditionellen Verflechtungen und stilistischen Verbindungen von bildender Kunst, Fotografie und Filmgeschichte in der Moderne werden nun im hybriden Werbevideoclip und -film mit einer zusätzlichen szenographischen Formierung intermedial fortgeführt und auf vielfältige Weise in der neuen Konvergenzkultur miteinander kombiniert und synthetisiert. Im Fashion Campaign Film wird ein auktoriales Modedesign dafür metagestalterisch medial in Szene gesetzt und in (sub-)narrative wie performative und künstlerisch-konzeptuelle Settings eingebunden. Die charakteristischen Details der gestalterischen Entwürfe einer saisonalen Kollektion einer Modemarke lassen sich heute augenblicklich, nachdem die (exklusive) Modenschau vor Ort einmal gelaufen ist, nun von allen Interessierten im Internet in Wiederholungen nochmals ausführlicher betrachten, kommentieren und teilen. Über das Medium Fashion Campaign Filme sind sie zudem noch in einen unterhaltsam erzählerischen, sinnlich emotionalisierenden wie visuell vielseitigen Zusammenhang eingebettet, was die Anmutung der Mode verstärken kann. Zudem ist dieser Form der medialen Betrachtungs- und Erfahrungsmöglichkeit auch ein allgemein demokratisierender Anspruch eingeschrieben, denn in Zukunft werden nicht mehr allein nur professionelle und fest angestellte (Bild-)Redakteure von unmittelbar, wofür es entworfen wurde. Nicht als statisches Objekt, sondern als eine Sache, die ihren Wert und ihre Bedeutung erst dann entfalten kann, wenn sie sich bewegt. Er kann sowohl eine klassische Aneinanderreihung von einzelnen Outfits in Bewegung zeigen, als auch eine kurze Geschichte erzählen.« 7 Starfotograf Nick Knight: Die Modefotografie hat ausgedient. In: Welt online v. 27. Januar 2010, online unter www.welt.de/lifestyle/article5959159/Die-Modefotografie-hat-ausgedient.html (letzter Zugriff: Juli 2015): »Ich glaube, der Modefilm, der ja noch in seinen Kinderschuhen steckt, dient der Mode sogar viel besser als die Fotografie. Durch die Verbreitung im Internet erreicht ein Modefilm nicht nur ein viel größeres Publikum als das Foto, das nur die Käufer von Modemagazinen sehen. Und ein gut gemachter Modefilm entzaubert die Mode keineswegs: Er lässt das gezeigte Kleidungsstück seine Geschichte selbst erzählen und transportiert dadurch eine emotionale Verbindung, die mindestens so stark ist wie diejenige, die ein Foto herstellen kann. Außerdem, und das ist vermutlich der wichtigste Aspekt: Ein Modefilm kann ein Kleidungsstück in Bewegung zeigen und demonstriert damit unmittelbar, wofür es entworfen wurde. Nicht als statisches Objekt, sondern als eine Sache, die ihren Wert und ihre Bedeutung erst dann entfalten kann, wenn sie sich bewegt. Eben weil der Modefilm der Vision eines Designers ungleich gerechter wird als ein Modefoto, bin ich auch überzeugt davon, dass dieses neue Medium bald die Modefotografie ablösen wird!«

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Fachmagazinen über die Distribution und Sichtbarkeit von modischen Entwürfen und ganzen Kollektionen entscheiden, sondern vielmehr die großen, sich selbst organisierenden Fashion Communities im Netz. Neben dem materiellen Warenprodukt, der jeweiligen saisonalen Designer-Kollektion, können nun vor allem auch die immateriellen ›Added Values‹ wie etwa das Image, ein spezielles Lebensgefühl, ein völlig neuer Life-Style, besondere Atmosphären, intensive Emotionen, gesellschaftliche Stimmungen oder auch im Allgemeinen soziale Wertvorstellungen und die jeweilige Kernbotschaft einer Modemarke sinnlich zur Schau gestellt und in symbolische wie gleichzeitig unterhaltsame Erzählungen eingebettet werden. Daher fungieren als Erstes auch die gebauten Setdesigns oder realen Locations der Fashionfilme – szenographisch gesehen – sowohl als sinnlich dichte, atmosphärische Räume für darin erfolgende Darstellungen und Erzählungen als auch als arrangierte konkrete Inszenierungsund Präsentationsbühnen, die es mit einem Male erlauben – im Gegensatz etwa zur konventionellen Modefotografie oder zu den analogen Printmedien –, darin gemeinsam etwa Kleidung, Schuhe und modische Accessoires nun vital in dynamischer Bewegung und Zusammenspiel im inszenierten Bildraum zu zeigen und somit die gestalteten Artefakte in ihrer wirkungskräftigen Performanz (sub-)narrativ in fließend-bewegten Bildern für die interessierten oder noch zu werbenden Kunden vorzuführen. Es geht daher in den meisten Fashion-Campaign-Filmen heute mehr um die Emergenz eines besonderen mit der Mode verbundenen Ereignisses und Erlebnisses, das man mit dem Kauf und Erwerb der jeweils vorgeführten Mode haben könnte, als tatsächlich um die visuelle Demonstration ihrer primären Funktionen, charakteristischen Eigenschaften oder besonderen Qualität. Szenographierte Fashionfilme liefern in der Regel cineastisch imaginierte Visionen, die eine symbolische Geschichte mit besonderen Ereignissen und Erlebnissen alludieren. Als eine dabei höchst mimetische Erzählung, sensu Werner Wolf,8 zeichnet sich diese szenographische Vorführungspraxis im digitalen Kurzfilm dadurch aus, dass ihr Plot in einer dominant nicht-verbalen Art szenisch verdichtet und symbolisch dargestellt, spektakulär aufgeführt und primär optisch-visuell und akustisch dem Publikum vermittelt wird. Fashion-CampaignFilme bedienen mit ihrer ›spektakulären‹ Visualisierung und sub-narrativen Vermittlung nicht zuletzt eine aktuelle Medienlogik, die stark auf Unterhaltungswie Neuigkeitswerte, Interessantheit, Eventisierung und Performancequalitäten auch im Lebensalltag ihres Publikums setzt.

8 Werner Wolf: Das Problem der Narrativität in Literatur, bildender Kunst und Musik: ein Beitrag zu einer intermedialen Erzähltheorie. In: Ansgar und Vera Nünning (Hg.): Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär, Trier (WVT) 2002, S. 23–104.

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SCENOGRAPHIC FASHION FILMS VON MEDIENKÜNSTLERN, FILMREGISSEUREN UND FOTOGRAFEN Der international angesehene chinesische Medienkünstler Yang Fudong (geb. 1971 in Peking, lebt und arbeitet in Schanghai)9 drehte in den heute modernen Filmstudios von Schanghai während des Dezembers 2009 mit einer relativ großen Filmcrew für die aktuelle Spring/Summer 2010-Männerkollektion des italienischen Luxuslabels prada einen opulent ausgestatteten neunminütigen SchwarzWeiß-Film mit dem Titel First Spring (Director: Yang Fudong; Fotograf: Zhou Shuhao; Models: Jacob Coupe, Adrein Sahores, Geng Le, Ji Lili, Zhao Lei, Gao Xiu Li).10 Aber gerade auch das längst vergangene alte, historische Schanghai der zwanziger und dreißiger Jahre, d. h. die besondere charakteristische Filmsprache dieses ehemals bedeutenden Filmzentrums Asiens und modischen ›Paris des Ostens‹, werden dort von Yang Fudong nochmals ästhetisch aufgegriffen, zitiert respektive reinszeniert – in filmischer Kombination und Montage mit den angesagten Brands und zeitgenössischen Kodes einer globalisierten modernen Markenwelt und der konsumistisch transformierten, postkommunistischen Kultur seiner eigenen Generation. Der Plot und die in nostalgischem Schwarz-Weiß gehaltene hochstilisierte Filmsprache von First Spring verweisen zudem insgesamt wiederum auch auf Yang Fudongs eigenen, international bekannt gewordenen poetisch-träumerischen Autorenfilmstil. Motive, Kodes und Symboliken vorheriger Medienwerke Yang Fudongs11 kehren auch hier gleichsam ›in neuem Gewand‹ für die Betrachter wieder: im urbanen Chic elegant gekleidete moderne Menschen, die irgendwie suchend und rastlos von Ort zu Ort nomadisch unterwegs scheinen, junge Reisende, Fremde und Flaneure, Koffer und Gepäck tragend, offensichtlich endlos zwischen unterschiedlichen Kulturen auf der Suche umherirrend und nicht ankommend, dabei nie sprechend, und fast völlig emotionslos in ihren Gesichtern (Abb. 47). Ihr eigenartiger Schwebezustand zwischen verschiedenen Kulturräumen und Epochen visualisiert sich im Weiteren in ihrem traumhaft-surrealistischen Flug und enthobenen Gleiten durch alte chinesische Straßenzüge wie auch in ihrem schwankenden Balancieren mit Regenschirmen auf Drahtseilen über Straßenschluchten (Abb. 48). Die mit einem ausgefeilten Sounddesign unterlegte filmische Erzählung begnügt sich dabei auch hier wie in anderen jüngeren Medien9 Yang Fudong wird international u. a. durch die in Schanghai ansässige ShanghART Gallery vertreten, siehe online unter http://china.shanghartgallery.com/galleryarchive/artists/name/yangfudong (letzter Zugriff: Juli 2015). 10 Online unter www.youtube.com/watch?v=nhswOlqbPUU (letzter Zugriff: Juli 2015). 11 ����� Vgl. No Snow on the Broken Bridge. Film and Video Installations by Yang Fudong. Hg. v. Parasol Unit Foundation for Contemporary Art, Zürich 2006.

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werken von Yang Fudong ausschließlich mit visuellen Andeutungen, stilistischen Referenzen und symbolischen Assoziationen. Lediglich die schweifenden, suchenden und begehrenden Blicke ihrer völlig stummen Charaktere, auf einzelne Subjekte wie Objekte gerichtet, entwickeln dann doch noch einen kleinen filmischen Spannungsbogen, dem aber in den langsam fließenden Kamerabildern kein linearer Handlungsstrang oder gar ein inhaltlich erzählerischer Höhepunkt folgte, sondern nur ein abruptes Ende ohne jede interpretatorische Auflösung für die Betrachter zulässt. Vielmehr wird der Schauplatz selbst mit seinen nicht wirklich stattfindenden sozialen Begegnungen zum Hauptdarsteller eines stillen zeitgenössischen Dramas. Die Filmcharaktere sind hier außerdem in doppeltem Sinne (multi­ ethnische) Models und zeitgenössische Repräsentanten. Ihre Bekleidung und Ausstattung fungieren als Kodierung und symbolisieren das Begegnen bestimmter Kulturformen und Traditionen. Anstelle eines tatsächlichen Austauschs verdrängen, überlagern, überblenden und vermischen sich hier im Kurzfilm augenscheinlich gegenseitig verschiedene Kulturen und Epochen, in die die scheinbar verlorenen reisenden modernen Existenzen wie in einen emotionalen Schwebezustand geworfen und darin verwoben sind. Yang Fudongs Fashion-Campaign-Film First Spring für prada zeichnet hiermit in sinnlich-poetischen und meditativ-eleganten, ästhetizistischen Filmbildern die Conditio humana eines postkolonialen Zeitalters mit seinen globalisierten Formensprachen nach. Sie skizzieren metaphorisch eine modisch-fluide Hybridkultur, zu der letztlich auch die modernen Markenwelten der großen globalisierten Luxuslabels wie das italienische Modeunternehmen prada beitragen, das in Sachen Kunstsponsoring und kulturellen Einrichtungen (Cultural Spaces und einer Fondazione) seit einigen Jahren auch weltweit eine enorm exponierte wie exportierende Rolle spielt. Ungeachtet der hier offenkundig gezielten ästhetischen Ausrichtung des prada-Advertisings und -Marketings auf einen ökonomisch aktuell boomenden fernöstlichen Markt, eröffnet der chinesische Filmemacher, Fotograf und Maler Yang Fudong mit seinem kleinen hybriden Filmkunstwerk aber auch substanziell tiefergehende Fragen wie etwa: Gibt es in einer sich beschleunigend globalisierenden, postkolonialen Welt überhaupt noch monokulturelle Identitäten und so etwas wie eigenständige nationale Ausdrucksformen? Oder konstituiert sich vielmehr in der zeitgenössischen globalen Kulturproduktion nicht auch ein gemeinsamer ›hyperkultureller‹ Raum jenseits von vorgegebenen politisch-geographischen Grenzen, der als neuer gemeinsamer kultureller Kanon und globalisierter Markt der Waren mit geteilten ästhetischen Kodes wirksam wird? Wie steht es dabei aber um die Verfasstheit unseres westlichen modernen Ästhetik-Begriffs im Zeitalter einer vollkommenen wirtschaftlichen und technologischen Globalisierung sowie einer zunehmenden digitalen Gesamtvernetzung, die zu einer völlig neuartigen Konstellation von kulturellen Hegemonien und Peripherien führen?

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Abb. 47: Filmstill aus Yang Fudong: First Spring für prada (2010)

Abb. 48: Filmstill aus Yang Fudong: First Spring für prada (2010)

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Müsste die sich gegenwärtig transkulturell orientierende ästhetische Produktion dann nicht auch umso nachdrücklicher den bislang recht einäugigen eurozentrischen Blick auf die Kunst und Gestaltung der Zeit hinterfragen? Erleben wir statt des seit Ende der 1980er-Jahre vielfach beschworenen Zusammenpralls der Kulturen und ihren charakteristischen Ästhetiken nicht vielmehr immer wieder neue (Re-)Kombinationen und Synthesen verschiedener kultureller Kontexte, also vielmehr das Hervortreten von vielschichtigen und mehrdeutigen, mehrfach kodierten und komplexen heterogenen ›Hybridkulturen‹, die die Szenographie bei Yang Fudong als Grundthema für die darin präsentierte ›globalisierte Mode‹ aufgreift? Erfahren wir einen Abschied von vermeintlich homogenen nationalen Monokulturen, dem eine neue zeitgenössische Global Design Art als postmediales, postethnisches und posthistorisches Kunstphänomen voraus geht, während dabei gleichzeitig auch neue mediale Hybridformate wie etwa der globalisierte Fashion-Campaign-Film als intermediales Genre des globalisierten KonvergenzZeitalters direkt nachfolgen? Oder handelt es sich hier doch nur um den letzten Versuch eines Revivals der überholten modernen ›Weltkunst‹-Fantasien nunmehr in neuen popkulturellen Formaten? Yang Fudongs Filme und Medienkunst-Installationen entsprechen als zeitgenössische künstlerisch-gestalterische Produktionen, als kreative Praxen einer aus postkolonialer Sicht gesehen ›anderen‹ sprich ›fremden‹ visuellen Kultur immer wieder nicht völlig dem eigenen vertrauten und bislang dominierenden westlichen Ästhetikkanon und modernen Kunstbegriff. Sie modifizieren und transformieren bereits durch ihre schiere mediale Existenz und visuelle Präsenz sowie digitale Distribution nun die Kunst und visuelle Kultur der Gegenwart. Gleichzeitig konstituieren sie darin auch eine neue hybride Global Design Art jenseits der alten (kolonialen) Fantasien von einer modernen »Weltgegenwartskunst« und jenseits im Westen längst (seit Immanuel Kant) kanonisierter Gegensätze und klar abgesteckten Grenzen zwischen angewandter und freier Kunst. Die Etablierung eines neuartigen Kanons einer Global Art jenseits überholter Paradigmen eines westlichen Modernismus ist hierbei anschaulich zu beobachten. Er zeichnet sich u. a. durch die Auflösung und Ausweitung der modernen Gattungen und neuen Medien und durch ihre gleichzeitige Konvergenz und Überblendung aus. So sind auch inhaltlich gesehen in Yang Fudongs Fashion Campaign Film First Spring die multiplen Realitäten und hybriden Identitäten, die beispielsweise in Asien während der vergangenen letzten Jahrzehnte durch die Auswirkungen der rasanten Globalisierung und Digitalisierung, des Postkolonialismus und des Postkommunismus, der Migration und der damit einhergehenden Poly-Kontextualität der diversen kulturellen, politischen, religiösen und ökonomischen Systeme entstanden sind, ein großes Leitthema. Dieser Diskurs wird im Fashion-Campaign-Film First Spring mit dem Faktum des globalisierten Marktes einer internationalen Warenwelt und merkantilen Expansion von elitären Luxuslabels wie prada luzide verknüpft.

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Wie die zeitgenössischen jungen Künstler und Künstlerinnen der asiatischen Regionen insgesamt, reagiert Yang Fudong mit fantasievoller Ambiguität, mitunter auch mit ausgeprägter Nachdenklichkeit, Ratlosigkeit und Skepsis, aber auch mit viel Humor, Ironie und Sarkasmus auf die unzähligen Konflikte, Paradoxien und Absurditäten des gemeinsamen alltäglichen Lebens in der globalisierten einen Welt, deren soziale Systeme im Spannungsfeld von Traditionen und Innovationen, neuen und alten Ideologien aus den Fugen zu geraten scheinen. Nicht zuletzt erkennt sich gerade in diesen neuen Global-Art-Werken wie diesem Fashion-Campaign-Film mit kulturellem Mehrwert auch der westliche Betrachter mit seinen eigenen Befindlichkeiten spiegelbildlich wieder. Man erfährt sich als westlicher Konsument bei der Betrachtung von First Spring dabei anders und doch gleich, denn man trägt heute die gleiche zeitgenössische Mode. Jenseits rein ästhetizistischer Vergleiche definieren und bestimmen popkulturelle Hybridwerke am Ende wie Yang Fudongs exemplarischer FashionCampaign-Film First Spring für prada eine neuartige Global Design Art, in der das Scenographic Fashion Design ein- und aufgeht, als ein faszinierend ambivalentes und höchst spannungsvolles postmediales, postethnisches und posthistorisches Kulturphänomen nach dem Ende des westlichen Modernismus und seines autonomen Kunstbegriffs. Im medialen Kampf um die stete Generierung von Aufmerksamkeit und Distinktion konvergieren in Yang Fudongs Szenographie für First Spring schließlich subtil die (freien) darstellenden Künste mit den (kommerziell) aufführenden, und so konträre Kategorien wie das Zeigen und Präsentieren mit dem Erzählen und Aufführen. Eine kommerzielle Warenpräsentation und ihr Ausstellungsdesign suchen hier die Gewinn und Prestige bringende Liaison mit dem großen Autorenkino und der zeitgenössischen Medienkunst. Luxus und Hochkunst wiederum gleichzeitig vereint in vertraut-trauter Allianz, wie uns schon Martin Parrs Bildreportagen zum globalisierten zeitgenössischen Luxus augenzwinkernd vor Augen geführt haben. In den werbetechnischen kreativen Kooperationen und strategischen Kollaboration von Künstlern und Modeunternehmen werden unterschiedliche Ästhetiken und Kodes, Intentionen und Funktionen von Inszenierungen effektvoll in einem medialen Gesamtkunstwerk gekreuzt, und synthetisieren sich darin mithilfe szenographischer Praktiken und performativer Präsentationsformen ohne Zweifel zu einer beidseitigen Win-win-Situation und einem wechselseitigen ›Trading-up‹, indem man sich gegenseitig Kreativität bescheinigt und dies ausstellt. Von Künstlern konzipierte szenographische Modefilme, die den klassischen Laufsteg oder die Scenographic Runway Show in Zeit und Raum cineastisch erweitern und als Campaign-Movies/-Videos die Vorführung und Präsentation der jeweiligen saisonalen Kollektionen, hauptsächlich im Internet weltweit und zu jeder Zeit, dem lokalen Kunden wie globalen Publikum zugänglich machen, erwei-

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sen sich so gesehen gleichzeitig auch als ein interessanter strategischer Bestandteil der gegenwärtigen globalen Markenbildung. Der freie künstlerische Part zielt im Sinne eines Wettbewerbsvorteils und kulturellen Mehrwerts, wie schon allein der ›Designgedanke‹ selbst, letztlich auf einen symbolischen Zugewinn und auf Distinktion für etwas, was in der modernen Kultur nach dem reinen Kommerz bestenfalls im Allgemeinen noch als ›angewandte Kunst‹ wahrgenommen wird. Gleichzeitig scheinen diese unterhaltsamen, filmisch-narrativen QuasiModenschauen im Medium Fashion Campaign Film die flüchtige Mode der Moderne subtil auch als eine aktuelle Ausdrucks- und Ereignisform der hehren Kunst kultivieren und etablieren zu wollen: Aus einem transitorischen, temporären modischen Ereignis wird mittels szenographischer Praktiken heute ein dauerhaftes Kunstwerk mit einer universalen, symbolischen Bedeutung und transzendenten Zeitlosigkeit generiert. Freie Kunst wie Modedesign erobern sich damit derzeit gleichzeitig und in gemeinsamer Allianz das neue digitale und globalisierte Terrain des Internets für ihre inszenatorischen Praxen und kommen dabei miteinander immer wieder neu und eng in Berührung. Aber letztlich entscheiden am Ende dann immer noch die jeweiligen unterschiedlichen Distributionsweisen und verschiedenen Rezeptionskontexte, ob beispielsweise Yang Fudongs filmisches Werk First Spring für prada als originelle audiovisuelle Kampagne und kostenloses unterhaltsames Commercial, das während der aktuellen Saison über die offizielle Website des Modelabels im Internet,12 über Modeblogs der Fashionistas und über weitere einschlägige Social-Media-Plattformen in Form eines viralen Marketings weltweite Verbreitung erfährt, oder eben als ein (editiertes) zeitgenössisches Medienkunstwerk und limitiertes teueres Sammlerstück innerhalb einer exklusiven Sammlung von den jeweiligen Communities der beiden bislang autonomen modernen Systeme Kunst und Design diskutiert und je nach kontextueller Voraussetzung auch valorisiert wird. Auf Nachfrage verrät Lorenz Helbling, Galerist in Schanghai, der Yang Fudong in China vertritt, immerhin: »Die Zusammenarbeit mit prada war die Produktion, bei der Yang Fudong das meiste Geld in der kürzesten Zeit ausgegeben hat. Doch von Anfang an war klar: Er macht eine künstlerische Arbeit, keinen Werbefilm. Deshalb fällt auch das Copyright demnächst an ihn zurück. Der Film wird wieder Teil seines Œuvres und könnte also auch von einem Sammler erworben werden.«13

Yang Fudongs exzeptioneller Fashion-Campaign-Film für eine Frühjahrskollektion des Labels prada, dessen Titel First Spring auch einem alten chinesischen Sprichwort entlehnt ist, wonach ein guter Start im Frühling im Folgenden auch ein glück12 Siehe www.prada.com/firstspringmovie (letzter Zugriff: Juli 2015). 13 Magdalena Kröner: Die Kunst zu den Kleidern. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung online v. 19. Oktober 2010, online unter www.faz.net/s/Rub74F2A362BA5B4A5FB07B8F81C9873639/ Doc~EC84DDF671E374BC0B3A5AAFD8DC6EDE8~ATpl~Ecommon~Scontent.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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liches und erfolgreiches Jahr verspricht, ist somit zugleich der furiose Auftakt in eine globalisierte Gegenwart, deren zukünftige visuelle Kultur durch Hybridisierung respektive Entdifferenzierungstendenzen gekennzeichnet ist und dabei vielfältige Konvergenzen erfährt wie etwa die eindrückliche Fusion von Kunst und Mode zu einer neuen Global Design Art der konsumistischen digitalen Ära. Reisen, Unterwegssein, Bewegung, Geschwindigkeit, kultureller Austausch und Migration finden sich als Subthemen in den Fashion-Campaign-Filmen vieler global aufgestellter Modekonzerne gegenwärtig als zentrales Thema wieder. Schon in Hussein Chalayans Place to Passage (Konzeption und Regie: Hussein Chalayan, Musik: Jean-Paul Dessy, Produzent: Susie Allen; 2003, 13 Min.) trifft man auf dieses große, universale Thema des globalen Zeitalters und sieht sich neben einem neuen modischen Look plötzlich auch mit einer politischen Aussage konfrontiert. Schließlich lassen sich Stil und Ästhetik in einer Gesellschaft nie ganz von Politik trennen. Place to Passage (2003) zeigt eine imaginierte und symbolische Reise von West nach Ost, von London nach Istanbul, die eine allein reisende Frau in einem aerodynamischen, futuristischen Vehikel unternimmt. Durch von riesige Werbetafeln dominierte steinerne Stadtlandschaften und abstrahierte Naturformationen gleitet die spektakuläre Reisekapsel dabei in einer Weise, die entfernt an Stanley Kubriks 2001 erinnert, im rasenden Stillstand, kulturell völlig enthoben durch die Welt. Anlässlich der 53. Grammy Awards 2011 in Los Angeles ließ sich wiederum Stil- und Popikone Lady Gaga in einer dem ursprünglichen futuristischen CADModell nachempfundenen, real nachgebauten durchsichtigen Raumkapsel, begleitet von in Gold gekleideten Trägern, effektvoll auf die Showbühne bringen, um live ihren aktuellen Hit Born This Way zu performen (Abb. 49).

Abb. 49: Lady Gaga bei den 53. Grammy Awards (Los Angeles 2011)

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Die von dem avantgardistischen, konzeptionell und experimentell arbeitenden Modedesigner Hussein Chalayan (geb. 1970 in Nikosia, Zypern) entworfene eiförmige Raumhülle tritt hier Jahre später nochmals real als szenographisches Showelement aus dem bekannten virtuellen Fashionfilm für die Modemarke Hussein Chalayan hervor. Als spektakuläres Einzelobjekt, hier nun auch als echtes Stage Prop, stellt es in nuce und hochsymbolisch die Schnittstelle zur narrativen Gesamtthematik her und verwebt und verbindet gleichzeitig Modedesign, Performancekunst und Popkultur untrennbar miteinander. Selbstverständlich performte Lady Gaga ihre Songs bei der Grammy-Show zusätzlich auch in einem modisch-aktuellen Bühnen-Outfit von Hussein Chalayan. Die Showbühnen der Popkultur sind heute nebenbei auch zu Laufstegen der großen Modemarken geworden. Megastars wie Madonna werden für ihre Bühnenshows und Welttourneen prominent von Designerstars und Luxuslabels ausgestattet – die exklusiven Entwürfe (in Form von Modezeichnungen und Bildreportagen) dafür instant auf Fashionblogs und Social Media diskutiert und kommentiert. Das alte Pariser Traditionshaus Louis Vuitton, das als Hersteller luxuriöser Taschen und hochwertigen Reisegepäcks im 20. Jahrhundert weltberühmt geworden und heute gleichzeitig auch Herausgeber verschiedener Cityguides ist, setzt für das Motiv ›Reise‹ hingegen traditionsbewusst und nostalgisch-verklärend, aber ebenfalls immer pointiert-kürzelhaft, einen rot-weißen Reiseballon als wiederkehrendes Vehikel und prägnantes Motiv in seinen zahlreichen Kampagnen und Modefilmen ein. Als ikonographisches Element ergänzt dieser hier das bekannte Markenlogo von Louis Vuitton und versinnbildlicht den Markenkern einer der nach aktuellen Rankings wertvollsten Marken der Welt. Das ikonische LV-Logo wiederum wurde 1896 vom Firmenbegründer Louis Vuitton noch selbst entworfen und findet sich seitdem als Initialien-Monogramm auf allen Lederwaren des Hauses wieder. Es gewährleistet – wie auch das ebenso ikonische Louis Vuitton Damier – einen fast einzigartigen und unverwechselbaren, nichsdestotrotz gerne gefälschten Wiedererkennungswert aller LV-Produkte und steht nach der pressetextlichen Eigenwerbung des globalisierten französischen Modehauses, heute Bestandteil der LVHM-Investorengruppe, signethaft als Emblem wie Inbegriff für Exklusivität und mondänen Luxus. Logo und für die Modemarke ikonische Motive wie der Ballon werden heute zunehmend auch filmisch thematisiert und inszeniert. Eine Reihe von prominenten Geographien und urbanen Schauplätzen, an denen der Louis-Vuitton-Reiseballon aus dem 19. Jahrhundert startet oder landet, bildet beispielsweise seit einigen Jahren eine unterhaltsame und spannende serielle Folge von mehreren, narrativ miteinander lose verbundenen Episoden in Print-Fotostrecken und neuerdings auch Fashion Campaign Filmen. In den neuesten filmischen Episoden flüchtet zu Beginn eine junge schöne Frau in einer geheimnisvollen, an die spannungsvollen Romane von Dan Brown erinnernden Szene vor einem gutaussehenden, sie offenbar verfolgenden mys-

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teriösen Verehrer aus Paris (Regie: Inez van Lamsweerde & Vinoodh Matadin), um nur wenige Monate später bei Nacht direkt auf dem Markusplatz mitten im Karneval von Venedig zu landen (Regie: Romain Gavras), wo der britische Popstar und die Stilikone David Bowie musikalisch den sinnlich aufgeladene Reigen eines schillernden Maskenballes mit einem seiner bekannten Hits, I’d Rather Be High, am Klavier begleitet. Die Handlung der ersten, durch ein spannungsvolles Wechselspiel von Licht und Schatten geprägten Folge des als Sequels angelegten Fashionfilms L’Invitation au Voyage spielt nach einer romantischen Eingangsszene in einem Pariser Hotel bezeichnenderweise zunächst an einem weltberühmten Kunstort, an dem auch das vermeintlich schönste Porträt der Welt, die Mona Lisa, zu bewundern ist: im Pariser Louvre, dem ehemaligen Residenzschloss der französischen Krone. Der prominente Drehort ist als nobler Schauplatz für den Auftakt einer geplanten sechsteiligen Fashion-Campaign-Film-Serie zugleich eng mit der Unternehmensgeschichte des französischen Luxuslabels verbunden: Denn um 1840 begann im Louvre, den Napoleon I. wieder zur Residenz des französischen Hofes gemacht hatte, auch die traditionsreiche Geschichte des Pariser Modehauses, als die Kaiserin Eugénie den südfranzösischen Täschner Louis Vuitton (1821– 1892) zu ihrem persönlichen Koffermacher bestellte. Hier beginnt denn auch für die Zuschauer der Fashion-Campaign-Film-Folgen eine opulente visuelle Reise. Zum Thema und Konzept ihrer ersten Folge L’Invitation au Voyage – Le Louvre teilten das niederländische Fotografen- und Regisseur-Paar Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin offiziell als Pressenachricht mit:  Es ist eine Einladung zu einer geheimnisvollen Reise um die Welt, die von Zwischenstopps geprägt und voller Abenteuer ist. Die Protagonistin der Geschichte entdeckt das Geheimnis ihrer Reise in einem Koffer von Louis Vuitton. […] Die Farben und das Licht des Raumes, der den italienischen Meistern gewidmet ist, hat uns die Idee für die Farbgestaltung des Films und der Fotos gegeben. Außerdem schafft der Louvre als Inbegriff des europäischen Kulturerbes eine Verbindung zwischen Mode und Kultur.14

Die abenteuerliche Filmhandlung verläuft jedoch in einem Spiel der Andeutungen, was insgesamt typisch für Scenographic-Fashion-Filme ist. Der Plot spielt lediglich mit Andeutungen und Zitaten: Eine junge hübsche Frau scheint zunächst in dem legendären historischen Gebäude auf einer mysteriösen Suche nach einem besonderen Schatz zu sein. Neben einer Louis-Vuitton-Handtasche aus dem Jahre 1926 – die bis heute immer wieder modisch neu aufgelegte »Speedy Monogram Empreinte« – trägt sie auch einen schmuckvollen Goldschlüssel bei sich, um im Museum einem alten (Louis-Vuitton-)Koffer einen kleinen, nach 14 Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin zitiert nach einem Blogeintrag, online unter www. therandomnoise.com/thefashion/sehnsucht-nach-paris-louis-vuitton-l’invitation-au-voyage-video (letzter Zugriff: Juli 2015).

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außen schriftlosen weißen Brief zu entnehmen. Welche Botschaft verbirgt sich wohl darin? Ein geheimnisvoll schöner Mann in Schwarz – scheinbar dort selbst nach etwas suchend – folgt ihr, ohne sie jedoch einholen zu können.

Abb. 50: Printkampagne zu Louis Vuitton: L’Invitation au Voyage – Le Louvre (2012)

Am Ende wird ihm die filmische Protagonistin, verkörpert von dem Model Arizona Muse, vom Innenhof des ehemaligen Königsschlosses mit dem rot-weißen Louis-Vuitton-Reiseballon in die Lüfte entschweben – samt Tasche, Schlüssel und dem rätselhaften Brief. Dieser Schluss mit einem klassischen Cliffhanger ist in der Totale und aus der berühmten Montgolfiere-Perspektive vor einem hochromantischen Pariser Stadtpanorama aufgenommen. Die zentrale Requisite des Briefes ist wiederum ein bekanntes Ausstattungselement und stilistisches Mittel, das vor allem zur Generierung von Spannung in einer filmischen Handlung eingesetzt wird. Als sogenannter MacGuffin steht er außerdem für mehr oder weniger beliebige Objekte oder Personen, die in einem Film oder Roman nur dazu dienen, eine narrative Handlung auszulösen oder durch ihre prinzipielle Unbestimmtheit die Spannungsmomente weiter voranzutreiben, ohne selbst eigentlich von besonderem Wert oder Interesse zu sein. So erfährt auch der Zuschauer

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hier im Weiteren nichts über dessen Inhalt. Als Leerstelle wird der Brief (die Einladung?) jedoch auch zur Projektionsfläche für die individuellen Fantasien der Zuschauer. Zur weiteren filmischen Spannung und geheimnisvollen Stimmung im Videoclip trägt vor allem auch die unterlegte dramatische, symphonische Filmmusik bei, die von dem britischen Star-Komponisten John Murphy stammt. Sie war ursprünglich für den Horrorfilm 28 Days Later (Regie: Danny Boyle; 2002) komponiert worden. Durch solche direkten und indirekten Zitate, durch Assoziationen und Referenzen bildet der Fashion Campaign Film für Louis Vuitton ein somit vielschichtiges Mash-up aus Hoch- und Popkultur, das es für das globale Publikum zu ›entschlüsseln‹ gilt. U. a. findet sich in einer weiteren Filmsequenz des ersten Teils auch eine Überblendung zweier Frauenporträts und damit Schönheitsideale: Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin lassen als visuell in der Kulturgeschichte bewanderte Bildregisseure und Medienkünstler in einer Kameraeinstellung für kurze Augenblicke das in der Hauptrolle gefeierte Model Arizona Muse sich direkt im Panzerglas des Mona-Lisa-Bildnisses von Leonardo da Vinci spiegeln.

Abb. 51: Printkampagne zu Louis Vuitton: L’Invitation au Voyage – Le Louvre (2012)

Für die den Fashion Campaign Film begleitende filmstillartige Printkampagne (siehe Abb. 50 u. 51) posiert die schöne Darstellerin wiederum nochmals sehr dekorativ sitzend im Louvre vor der berühmten Mona Lisa, deren Schönheit und Identität bis heute vielen rätselhaft erscheinen. Das Motiv eröffnet eine weitere bedeutungsvolle intermediale Referenz: Denn das Pseudo-Filmstill der Foto-

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kampagne bildet hier ein direktes, prominentes Zitat aus dem Hitchcock-Klassiker Vertigo (1958). Bei Alfred Hitchcock folgt bekanntlich ein ebenfalls obsessiv verliebter Protagonist einer jungen Frau in eine Kunstgalerie, welche dort das Porträt der Carlotta Valdes betrachtet. Das Bildnis einer Toten in der Gestalt einer anderen, lebenden Frau neu wiederzubeleben und zu verkörpern, war das Grundmotiv des bekannten Hitchcock-Thrillers. Modische Kleidung und perfektes Styling versprechen ebenfalls als Instrumente eines sekundären Körperdesigns nicht nur Schönheit und Jugendlichkeit, sondern das stete und wiederholte Einverleiben einer neuen Identität, eines völlig neuen Life-Styles, etwa über die Aneignung und Annahme eines vordefinierten (weiblichen) Schönheitsideals. Bei Louis Vuitton beginnt dieses Versprechen mit dem Re-Design und der Aktualisierung, dem ›Re-Fashion­ing‹ einer klassischen Formensprache, die mit dem beworbenen Gestaltungsprodukt, hier der ikonischen Louis-Vuitton-›Speedy‹Handtasche, konsumierbar und damit schnell ›greifbar‹ wird. Für das Grundthema Reisen mit seinen spektakulären Szenographien und dem Versprechen, im Unterwegssein seine Identität neu zu finden, werden hier jedoch lediglich Stereotypen aufgerufen, die wenig über bekannte romantische Klischees hinausgehen. Die dafür inszenierten flüchtigen Bilder funktionieren allerdings gerade aufgrund ihrer plakativen Stereotypität und Ikonizität auch global. Die klassisch schöne Darstellerin (das US-Topmodel Arizona Muse) ist in den verschiedenen spannenden Reiseetappen von L’Invitation au Voyage nicht nur immer wieder in wechselnde, musikalisch dramatisch untermalte geheimnisvolle Szenerien und spannungsvolle exotische Atmosphären eingebunden, sondern trägt selbstverständlich die jeweils aktuellen saisonalen Kollektionen und Accessoires von Louis Vuitton in den von den beiden bekannten Künstlerregisseuren hochästhetisierten Kurzfilmen wie beiläufig modisch zur Schau, während die Betrachter gleichzeitig dazu eingeladen werden, auf die nächste Reiseetappe der geheimnisvollen Protagonistin, d. h. auch erwartungsvoll auf die neuesten Looks in der folgenden Station der kommenden Saison, freudig zu warten. Der Titel dieser aufwendigen Fashion-Campaign-Film-Folgen L’Invitation au Voyage war überdies somit auch ganz wortwörtlich zu nehmen: French fashion house Louis Vuitton is moving into television advertising through its first commercial that is part of a multichannel brand awareness  campaign. The L’Invitation au Voyage campaign features model Arizona Muse who is shown in TV, print and digital creative. […] The L’Invitation au Voyage commercial aired Nov. 11 [2012] during Showtime network’s Homeland at 10 p. m. Eastern Time. Louis Vuitton also showed the L’Invitation au Voyage social video for the first time on Facebook that same day. The label teased the campaign through social media, its Web site and print advertising. One element of the campaign is a Facebook application where the digital premiere of the video took place. Louis Vuitton asked its fans to »accept the invitation« through the app. Users had to sign into the app with their Facebook account. Then, the app greeted users with a personalized message that said, »Dear [user], Louis Vuitton invites you to the worldwide premiere of the film L’Invitation au Voyage happening in …« […]. A post was automatically published

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to users’ personal Timeline after they viewed the full video Nov. 11. Users could opt out before the video premiered. Also via Facebook, the label released hints as to the content of the commercial such as »a silhouette glides under the archways of Paris« and »slip into the rooms where the masters of the Renaissance sleep.« These posts included stills from the video. In addition, Louis Vuitton promoted the teaser video on its Web site. It told users to return Nov. 12 to watch the full film. Users could share the teaser on Facebook, Twitter and Pinterest via share buttons. Meanwhile, the print campaign includes placements in high-end media. […] Louis Vuitton seems to be broadening its target audience through the L’Invitation au Voyage campaign. First off, TV is a mass marketing channel. Though fewer consumers subscribe to the Showtime network in comparison to basic cable, viewership probably represents a wide range of demographics. Louis Vuitton also seems to be gathering information about its Facebook fans through the L’Invitation au Voyage app. By requiring users to sign in, the label can potentially see which fans are interacting with the brand on Facebook. Also, users automatically shared the video unless they opted out. The label encouraged peer-to-peer sharing of its message in this way which is often more powerful than a message directly from a marketer. But Louis Vuitton may not reach consumers who will actually buy into the brand. The label seems to be creating brand awareness on a broader scale rather than honing in on prospective customers. »Louis Vuitton has made its brand far too ubiquitous,« Ms. Phillips said. »Its strategy too closely resembles a massmarket one, and the television commercial is just another example. Louis Vuitton needs to figure out a way to make its brand more exclusive and rare, which will definitely not be achieved with this marketing effort,« she said.15

Bangten einige Kritiker somit um die bedrohte Exklusivität der Marke aufgrund ihrer neuen Werbeauftritte im Bereich von Social Media und Fashionblogs, waren im Internet aber auch mit einem Male mehr Advertising- und Marketing-Experimente möglich geworden: So gab es beispielsweise gleichzeitig mehrere offizielle Versionen der filmischen Kampagne L’Invitation au Voyage für die Markenfans zu sehen. Der insbesondere für Fashion-Campaign-Film-Sammler interessante sogenannte Directors Cut des ersten Teils von L’Invitation au Voyage – Le Louvre, unter der Regie der Fotografin Inez van Lamsweerde und des studierten Modedesigners Vinoodh Matadin, ist dabei die längste bekannte Version mit einer Dauer von 2:26 Minuten. Nach einem kurzen Teaser von nur zehn Sekunden Länge war daneben noch eine geschnittene Kurzfassung von etwa einer Minute vor allem für eine kommerzielle Schaltung in den klassischen Telemedien und den traditionellen Kino-Vorprogrammen gedacht. Zu sehen war diese erste Kurzfassung von L’Invitation au Voyage u. a. auf CBS (USA) zur Primetime wie auch auf TF1 (F), Channel 4 (GB) und 15 weiteren Kanälen in der Volksrepublik China. Weitere nachweisliche Ausstrahlungen gab es darüber hinaus in Italien, Russland, Japan, Korea und Hongkong. Lediglich Deutschland und die Ukraine spielten den Spot ausschließlich in der Werbevorschau ihrer Kino-Werbevorprogramme ab. Am häufigsten gesehen und kommentiert wurde die erste Folge dieser Fashion-Campaign-Film-Serie von Louis Vuitton jedoch nachweislich weltweit 15 ������������������������������������������������������������������������� Tricia Carr: Louis Vuitton eyes the masses with first TV commercial. ���� In: Luxury Daily v. 12. November 2012, online unter http://www.luxurydaily.com/louis-vuitton-reaches-the-massesthrough-first-tv-commercial (letzter Zugriff: Juli 2015).

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im Internet auf diversen Social-Media-Plattformen und Fashionblogs. L’Invitation au Voyage ist somit im Internet nicht nur offiziell als Werbung auf der Website von Louis Vuitton gelaufen, sondern auch noch lange über Social-Media-Plattformen der neuen globalen Share-and-Like-Kultur, auf Videokanälen wie YouTube oder Vimeo kostenlos weitergereicht worden und wurde dabei insbesondere sehr häufig gratis verlinkt auf einschlägigen Fashionblogger-Webseiten und Social Media wie beispielsweise Twitter, Instagram und Facebook. Diese kostenlose weltweite Verbreitung und mediale Reichweite war auch für das französische Modeunternehmen enorm, weil virale Effekte des dynamischen und interaktiven Internets durch die vielen (unbezahlten) Aktivitäten der Mode- und Markenfans bedient und genutzt werden konnten. Doch wissen die Unternehmen und Marken inzwischen wohlweislich auch, dass nicht jedes Anschauen, Teilen und ›Liken‹ im Internet 2.0 durch die Anhänger dann auch zu einem tatsächlichen Erwerb des inszenierten Produktes führen. Des Weiteren bot Louis Vuitton einen – inszenierten – Blick hinter die Kulissen des Fashion Campaign Films mithilfe eines inzwischen fast schon obligatorisch gewordenen Making-of-Films, einem Backstage-inspirierten Format, das sich bei den Markenfans ebenfalls im Allgemeinen großer Beliebtheit erfreut. Die neuen Konsumenten möchten heute nicht nur beteiligt werden, sie möchten auch das Entstehen der Werbung für die Konsumprodukte verfolgen und begleiten. dior Diese subnarrative Serialisierung der kommerziellen Fashion Campaign Filme verfolgt auch das Haus dior in seiner musikalisch von Depeche Mode poppig unterlegten Secret Garden – Versailles-Fashion-Campaign-Film-Serie. Von 2012 bis 2015 ist bislang jährlich eine neue Folge erschienen. Secret Garden – Versailles I–IV ähneln sich dabei als serielle Folgen alle filmisch-strukturell wie auch in ihrer intermedialen Musikvideoclip-Ästhetik (Abb. 52). Die mit zahlreichen kunsthistorischen Verweisen arbeitenden Kurzfilme für dior wurden wiederum von dem gefragten Regieduo Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin vor einer höfisch-exklusiven Kulisse, nämlich in den weitläufigen königlich-pompösen Anlagen und im Spiegelsaal von Schloss Versailles bei Paris mit einer renommierten Riege von internationalen Topmodels abgedreht. In vielen szenischen Bildzitaten aus der europäischen respektive französischen Kunstgeschichte (von Watteau bis Manet) vereinen sich dabei filmisch nach der Moderne Modedesign und bildende Künste imaginativ zu einem neuen, transdiziplinären opulenten Gesamtkunstwerk. Ein alter historischer Ort der westlichen Kunst- und Kulturgeschichte wird darin mit einer modernen Luxusmarke für ein jüngeres internationales Publikum, das nicht mehr nur einem klassischen europäischen Bil-

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dungsbürgertum entstammt, neu gebrandet. Während jede Kameraeinstellung im Rhythmus der poppigen Begleitmusik ein aktuelles modisches Outfit und einen dior-Look fokussiert, transformieren sich die echten historischen Kulissen von Versailles mit dieser modisch-szenographischen Bespielung zu rein imaginativen und virtuellen. Klischeehafte Romantik und emotionale Sehnsüchte werden dabei für das internationale Publikum wiederum neu in Szene gesetzt. Der moderne Konflikt zwischen Neu und Alt, zwischen Fiktiv-Inszeniertem und Historisch-Realem, wobei dieses ja selbst bereits einer historischen künstlerischen Inszenierung aus dem Barock-Zeitalter entsprungen ist, wird dabei spielerisch übergangen. Heterotopien werden so in Secret Garden – Versailles szenographisch durch Ineinanderverblendungen von unterschiedlichen Räumen und verschiedenen Zeiten geschaffen: In a deserted Versailles, as if plucked from a fantasy, the model Daria Strokous invites you to follow her on a wondrous path that winds through the Galerie des Glaces, through the palace’s endless interconnecting salons, as far as the grand tree-lined walks that sweep through the classic parkland à la française. Along the way she’s joined by fellow models Melissa Stasiuk and Xiao Wen Ju for a dreamlike fashion show where Versailles is transformed into Christian Dior’s secret garden, his emblematic château. D’or et Dior.

So in der Ankündigung auf der offiziellen Website von dior.16 Im Frühjahr 2015 erschien zuletzt der mit dem US-Superstar Rihanna prominent von Steven Klein in Szene gesetzte vierte Teil der glamourösen Kurzfilmreihe, den das diorMag mit seinen vier Minuten Länge wie folgt in der für die Branche typischen Werberhetorik zusammenfasst: Eine Silhouette wird sichtbar im nächtlichen Versailles. Vor der Kamera von Steven Klein läuft Rihanna durch die Salons der Götter und den Spiegelsaal. Geheimnisvoll und bezaubernd durchstreift die Sängerin dann den Schlosspark, vorbei an Buchsbäumen, die in Form der legendären Initialen der Maison geschnitten sind und wie verwunschen wirken. Allein das Leuchten der Kerzen und der Mondschein heben die Details der Esprit Dior Tokyo Kollektion hervor: den Verschluss und die Metallic-Cannage einer Diorama Tasche, die silberfarbenen Pailletten eines Kleides oder eines Veilchens, das bearbeitete Metall der Tribale Ohrringe …

Die von professionellen Marketing-Agenturen verfolgten und genau beobachteten Klick-Zahlen für Secret Garden auf Social-Media- und Videokanälen wie YouTube oder Vimeo zeigten dabei statistisch an, ob der hochwertig produzierte kurze Fashion Campaign Film auch im Internet zu einem breiten Erfolg wurde und zur viralen Verbreitung des Markennamens und seiner Markenbotschaft in einem digitalen, popkulturellen Kontext erfolgreich beitrug. Da ein viraler Erfolg sich aus vielen Gründen aber nicht unbedingt auch von alleine im Internet einstellt, hat dior auf verschiedenen digitalen Distributionskanälen, beispielsweise auf der 16 Vgl. online www.dior.com/magazine/en_gb/News/Secret-Garden (letzter Zugriff: Juli 2015).

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eigenen Homepage im Internet und im Magazin des Unternehmens, auf Facebook- und Twitter-Profilen u. a., mit kurzen Vorabteasern den Fashion Campaign Film Secret Garden – Versailles bewusst als vernetzte Werbekampagne aktiv vorpromotet und medial Spannung auf ein angekündigtes szenographisches Ereignis generiert. Eine Auswertung etwa durch Socialbakers ergab dabei, dass [w]hen the final video was posted at the beginning of May [2012] tens of thousands were already awaiting it. This resulted in the final video earning more than 17 000 000 views and an extended version launched 2 days later attracted more than 5 000 000 viewers. […] The impact of virality is not only the number of views – much more interesting metric from the long-term perspective is the number of subscribers of your channel. People who feel connected with your brand and are willing to subscribe to your future message. So was the campaign successful in this field? Answer is Yes!17

Für die im Internet ebenso erfolgreich laufenden Lady-Dior-Fashion-Film-Folgen konnte von dem Haus dior u. a. auch ein so prominenter Kultregisseur wie David Lynch gewonnen werden, der in diesem kommerziellen Hybrid aus Autorenkurzfilm mit Dialogen und musikalischen Elementen, Noir Mystery und Werbung, seinen eigenen charakteristischen Filmstil wie ein einzigartiges markantes Markenzeichen selbst zu zitieren schien, um es – im Sinne eines Co-Brandings – gleichzeitig mit der kreativen Raffinesse und stilistischen Artifiziellität einer hochverfeinerten traditionellen Luxus-Modemarke zu verbinden. Auftraggeber und Geldgeber dior allowed the director complete creative control of the Shanghai-set production, providing that three conditions were met: a particular Dior accessory had to be featured prominently, the Oriental Pearl Tower had to be seen, and some scenes had to be shot in old Shanghai. Although it promotes a brand, Lady Blue Shanghai is a »short« rather than a conventional commercial, albeit a short that contractually features a luxury product. Lady Blue Shanghai was made available via the Dior website, reaching audiences through new media while attracting the attention of the mainstream press due to the reputation of its director.18

Allerdings empfand das breite Publikum in einschlägigen Internetblogs David Lynchs Dior – Lady Blue Shanghai (2010, ca. 16 Min., Art Direction: John Galliano) als dritten Teil der Lady Dior-Saga mit Schauspielerin Marion Cotillard atmosphärisch als viel zu dicht und zu experimentell, und für eine kurzweilige Unterhaltung, sprich für eine kleine Unterbrechung beim Internetsurfen, als viel zu langatmig und zu künstlerisch bemüht, trotz der für Lynchs charakteristischen Erzählstil hier relativ linearen Narration: 17 �������������������� Siehe Socialbakers: As we believe that Viral video marketing is one of the most challenging marketing techniques we decided to prepare a case study about one of the current virals: »Secret Garden – Versailles« from Dior, online unter www.socialbakers.com/resource-center/592-case-study-dior-s-viral-video (letzter Zugriff: Juli 2015). 18 ������������ John Berra: Lady Blue Shanghai: The Strange Case of David Lynch and Dior, online unter www. intellectbooks.co.uk/journals/view-Article,id=14917 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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A nameless woman (Marion Cotillard) enters her Shanghai hotel room to find a vintage record playing and a blue Dior purse that seems to come from nowhere. The security guards that search her room find nothing and ask if the bag belongs to an acquaintance. The question reveals to the woman a vision of her traveling to the Pearl Tower and old Shanghai in search of a lost lover who can’t stay with her …

Auch wenn also ein großer Name nicht gleich einen großen Werbeerfolg garantieren vermag, stellt die strategische Zusammenarbeit von Mode, Film und Kunst für beide Seiten jedoch nach den Regeln des modernen Marketings freilich immer auch eine klassische Win-win-Situation dar, indem sich über vielschichtige Referenzverweisungen gegenseitig Kreativität, kulturelle Mehrwertigkeit, Distinktion und Prominenz ausgestellt wird: »For the most part, fortunately, these great visual minds have brought a fresh take to stylish shorts and caused the genre of fashion film to gain credibility across both industries«, verkündete 2014 hierzu der einflussreiche Internetblog Highsnobiety euphorisch. Renommierte Filmschaffende und bekannte Künstler werden mit ihrer signaturhaften Kreativität wie die Stars mit ihrer Prominenz als exklusive Werbegesichter und Markenbotschafter (Testimonials) für die spektakuläre Inszenierung und Präsentation der Mode im Dienste der notwendigen Aufmerksamkeitsgenerierung taktisch eingespannt.

Abb. 52: Filmstill aus dior: Secret Garden – Versailles II (2013) – Manet-Zitat

Mit dem saisonal getakteten Seriencharakter (seasons sequels) dieser cineastischen Fashion Campaign Filme deutet sich jedoch bereits an, dass es darin nicht nur um die spektakuläre Inszenierung der jeweils aktuellen saisonalen Modekollektionen

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geht, sondern vielmehr auch um ein visuell eigenständiges und interessantes Storytelling, das beispielsweise über seine filmischen Szenographien hauptsächlich an der erzählerischen Etablierung eines langfristig einzigartigen und authentischen Images der jeweiligen Modemarke als nachhaltigem Alleinstellungsmerkmal im globalen Wettbewerb arbeitet. Neben der kurzfristigen Gewinnung von Aufmerksamkeit für das jeweilige saisonale Modeprodukte geht es dabei nicht allein nur um eine originelle popkulturelle Unterhaltung, die die wirtschaftlichen Aspekte und den ökonomischen Hintergrund verschleiert, sondern vielmehr um die langfristige Generierung von neuer Bekanntheit und coolem Prestige für die traditionelle Modemarke. Schließlich geht es hier letztlich auch immer um eine multisensorische Verführung zum Kauf und Konsum der in den jeweiligen Kurzfilmen szenisch inszenierten modischen Waren und Objekten. Daneben aber auch um die Erschließung einer potenziell neuen, d. h. heute für die etablierten und in die Jahre gekommenen traditionellen Luxusmarken vornehmlich jüngeren und internationaleren Konsumentengruppe. Neben der Promotion von immer wieder neuen saisonalen ›Must-Haves‹ dient das Scenographic Branding mittels Fashion-Filmen gerade der bestechenden und prägnanten Visualisierung eines authentischen und unverwechselbaren einmaligen Markenimages. Jede Modemarke benötigt selbst heute eine aus der visuellen Vielfalt der Massenmedien hervorstechende Ästhetik und Narration, um als Stilangebot wahrgenommen zu werden. Ein Scenographic Fashion Film sollte daher auch die Kernbotschaft, den Claim, einer Modemarke szenisch wie wörtlich möglichst schnell audiovisuell auf den Punkt bringen – wie beispielsweise mit einem so einfachen wie ebenso einprägsamen Slogan wie »prada suits everyone«. prada Humor, Selbstironie, Persiflage und Parodie können zusätzlich wirksame Faktoren sein, um heute noch in der Inflation werbender Inszenierungen von Modedesign in den Massenmedien hervorzustechen und die eigene Marke authentisch und glaubwürdig zu branden, selbst wenn die Prominenz und das Renommee des dafür engagierten Regisseurs oder der Schauspieler bereits schon eine erste notwendige Aufmerksamkeit geschaffen haben und die Weltpremiere beispielsweise auf den renommierten Internationalen Filmfestspielen in Cannes stattfindet: Im Jahr 2012 lancierte das norditalienische Modehaus prada dort den dreieinhalbminütigen Hybridfilm A Therapy (Abb. 53), der unter der Regie von Roman Polanski mit Ben Kingsley und Helena Bonham Carter in den prominenten Hauptrollen entstanden war. Der Fashion Short Film wurde am 20. Mai im Vorprogramm der Filmvorführung von Polankis Klassiker Tess in der Cannes Classics Section erstmals einer größeren Öffentlichkeit präsentiert. Über

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die künstlerische Zusammenarbeit mit dem weltbekannten italienischen Mode­ unternehmen hielt Roman Polanski fest: A game, a thought, that through friendship and mutual respect has become true. When I was asked to shoot a short movie for prada, I did not think that I could really be myself, but the reality is that in the total freedom I was given, I had the opportunity to reunite my favorite group of people on set and just have fun. The chance to dwell on what the fashion world represents nowadays and the fact that it is accompanied by so many stereotypes is fascinating and at the same time a bit upsetting, but you definitely can not ignore it. It’s very refreshing to know that there are still places open to irony and wit and, for sure, prada is one of them.19

Abb. 53: Cannes-Filmfestival-Plakat für prada und Roman Polanskis A Therapy (2012)

Schauspieler Ben Kingsley, der zwei Jahre zuvor in Martin Scorseses Shutter Island (2010) eindrucksvoll einen Psychiater verkörpert hatte, spielt in Roman 19 Roman Polanski zitiert nach prada presents: A THERAPY by Roman Polanski, online unter www. prada.com/en/a-therapy/info (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Polanskis parodistischem Kurzstück wiederum einen seriösen Psychotherapeuten nach alter Freud’scher Schule, der sich im Laufe einer typischen Therapiesitzung immer mehr für den atemberaubend schönen Pelzmantel von prada zu interessieren scheint als für die Shopping-Suchtprobleme seiner jungen eleganten Patientin. Der schicke Pelzfetisch seiner schönen Klientin weckt in ihm plötzlich eine unkontrollierbare Begierde und erweckt insbesondere dabei seine eigene innere Diva, während das arme, reiche Mädchen auf der Couch weiter theatralisch über ihren Vaterkomplex ungehört vor sich hin lamentiert. Währenddessen intoniert Alexandre Desplats musikalische Untermalung dabei immer exaltierter. Die Schlusseinstellung zeigt den älteren Arzt, wie er sich vor dem Spiegel divenhaft in den Pelz schmiegt … darüber erscheint in fetter Typografie die witzige Kernbotschaft: »prada suits everyone«. Und wie wir seit 2006 schließlich auch aus Hollywood wissen, sogar dem Teufel! Wie in David Frankels The Devil wears prada (2006) wurden die Schauspieler hier selbstverständlich ganz mit prada für die Verkörperung ihrer skurril-komischen Klischeerollen eingekleidet. Als witzige und kurzweilige Unterhaltung erreichte der szenographierte Kurzfilm im Internet eine weite Verbreitung und adressierte nicht nur potenzielle prada-Kunden, d. h., die Bewerbung der Mode und ihrer Marke erfolgt hier eher unterschwellig, fast wie bei einer klassischen Produktplatzierung im Film. Digitalisierung und technologische Innovationen haben in den letzten Jahren völlig neue intermediale und transversale Markenauftritte geschaffen, d. h., die werbenden Inszenierungen und Präsentation von Mode und ihren Marken erstrecken sich heute jeweils gleichzeitig mehrkanalig über unterschiedliche, aber nicht mehr im modernen Sinne klassisch voneinander distinkten Medienplattformen. Ist der Fashion Campaign Film in sich selbst schon stark intermedial orientiert, so muss er heute auch noch transmedial in eine hochgradig vernetzte Medienlandschaft eingewoben werden, d. h., wie die Scenographic Fashion Shows bilden seine szenographischen Komponenten und ästhetischen Elemente den Auftakt und effektiven Knotenpunkt in einem abgestimmten Netzwerk weiterer Marketingaktionen. In verschiedensten Formaten müssen die Erzählungen und Legenden zu einer Marke aber letztlich immer in eine am Ende im Ganzen stimmige, ästhetisch vernetzte Gesamtinszenierung eingebunden werden. So setzen beispielsweise analoge Print-Kampagnen und ein kleines Comicbuch20 die Serie der erfolgreichen digitalen Fashion Campaign Filme für Prada Candy L’Eau (2013) über einen gewissen Zeitraum visuell wie narrativ fort. Dafür wurde eigens ein fiktionaler Charakter geschaffen, verkörpert durch Model und Schauspielerin Léa Seydoux, der dem Publikum über Jahre hinweg immer wieder in variierten Erzählungen mit neuen Erlebnissituationen visuell begegnet und dabei auch als modisches Rolemodel für die Brand-Community fungiert. Es entstehen somit 20 Auf der Internet-Website von prada auch als PDF zum Download: www.prada.com/candyflorale/medias/comic/comic.pdf (letzter Zugriff: Juli 2015).

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endlos fortführbare Erzählsequenzen um eine Markenfigur, die langfristig das Image einer Modemarke personifiziert und als Persona prominent repräsentiert. Durch serielle transmediale Auftritte wird der fiktiven Markenfigur ein QuasiLeben eingehaucht, das sie zur wiedererkennbaren, charakteristischen Markenbotschafterin erhebt. Mit ihr in der Hauptrolle lassen sich beispielsweise Heritage und weitere Core Values der Modemarke unterhaltsam in immer wieder neuen narrativen Strukturen und emotionalisierenden Szenen weiter ausformulieren. Szenographisch, d. h. sinnlich ganzheitlich, müssen sie das übersetzen, was die Narrative der offiziellen Werbetexte für das Produkt nur rhetorisch versprechen – am Beispiel von pradas Parfümlinie Candy: Verführung. Rivalität. Süßigkeiten – Candy verkörpert die pure Lebenslust. Sie ist verspielt und gleichzeitig mysteriös; sinnlich und gleichzeitig süß. Sie isst gerne Popcorn und Geburtstagskuchen. Und sie liebt die beiden Männer Julius und Gene. Eine Amour à trois, Liebe zu dritt. Der Film zum neuen prada-Duft »Candy L’Eau« entführt in eine französische Traumwelt. Dahinter steckt niemand [G]eringere[r] als die legendären Kult-Regisseure Wes Anderson und Roman Coppola, die den Kurzfilm unter der persönlichen, künstlerischen Leitung der Designerin Miuccia Prada realisiert haben. Gesicht der Kampagne und FilmHauptrolle: Léa Seydoux, Liebling des französischen Films.21 (Abb. 54)

Abb. 54: Filmstill aus Wes Andersons & Roman Coppolas Prada Candy L’Eau (2013)

Ebenfalls deutlich inspiriert von einem berühmten Filmklassiker der französischen Nouvelle Vague, François Truffaut’s Jim et Jules, inszenierten die beiden Moonrise Kingdom-Regisseure Wes Anderson und Roman Coppola zu diesem Briefing eine Serie von komödiantischen Episoden, in denen die begehrenswert 21 Siehe online www.elle.de/modefilm-prada-candy-l-eau-131734.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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schöne und lebenslustige junge Hauptdarstellerin zwischen zwei Verehrern hin und her gerissen ist: The film follows the story of Candy (played by Léa Seydoux), who is the object of two incredibly attractive French men’s affection. Clearly enjoying the chase (who wouldn’t?), we were intrigued as to whom she would pick. After another month involving conversations behind curtains, dancing and an amazing looking double vanilla chocolate almond cream cake, she briefly questions how much longer they can possibly all be so happy together before deciding – as only the French can – that this ménage à trois appears to work. The food in the film is integral. Almost like a fourth character, it links us back to the fragrance that is Candy, which is a blend of white musk, caramel, benzoin, sweet pea and citrus …22

Der Bezug zum französischen Kino mit seinen emotionalisierenden Liebesgeschichten wird ebenfalls durch den verwendeten Soundtrack unterstützt: Alle drei Folgen von Prada Candy L’Eau featuren dabei jeweils ein französisches Popchanson aus den 1960er-Jahren: Le temps de la rentrée von France Gall und L’Idole sowie Il est 5 heures von Jacques Dutronc. Appropriation und Intermedialität unterstützen damit als konzeptionelle Strategie den Grundcharakter szenographischer Inszenierungspraktiken, nämlich nicht nur synästhetisch Inhalte zu übersetzen oder ganzheitlich etwas für die Sinne zu inszenieren, sondern gerade auch ihre grundsätzliche Vernetzungsleistung: Inhalte über emotionalisierende Erzählungen sinnlich zu vermitteln, dabei Dialoge herzustellen und so ganzheitliche Erlebniskontexte für viele mit verschiedensten Interessen zu formieren. Information, Werbung, Unterhaltung, (Film-) Kunst? Für den Scenographic Fashion Film offensichtlich wirklich keine zentrale Frage mehr. Funktion und Wirkung der hybriden Werke werden nunmehr vor allem durch die Rezipienten mitbestimmt, die beispielsweise in ein und demselben Scenographic Fashion Film für die Tom-Ford-Kollektion Spring/Summer 2016 dann entweder ein hip von Nick Knight inszeniertes Catwalk-Video oder eben das neue coole Lady-Gaga-Musicvideo I Want Your Love, ein Revival und Remake des Chic-Diskoklassikers für 2015, sehen wollen.

22 Siehe online www.oystermag.com/watch-wes-anderson-roman-coppola-lea-seydouxs-entireshort-film-for-prada-candy (letzter Zugriff: Juli 2015).

4. MODE UND MARKEN, INSZENIERT IM POPULÄREN MUSIKVIDEOCLIP SCENOGRAPHIC FASHION MUSIC VIDEOS Der österreichische Medientheoretiker und Kurator Peter Weibel charakterisierte populäre Musikvideos bereits Mitte der achtziger Jahre, zu ihrer ersten frühen Blüte und Hochzeit während der internationalen MTV-Fernsehära, als »the look of the sound«1, als ein Kostüm für die Musik. Dies impliziert zugleich eine besondere Verbindung und Wechselwirkung zwischen Musik- und Modestilen einer Zeit, d. h., das Aperçu suggeriert früh schon einen besonderen Zusammenhang von modischen Looks und populären Musikvideoproduktionen. In deren moderner Entwicklungsgeschichte sah Peter Weibel, der gleichzeitig als Medienkünstler in den achtziger Jahren ebenfalls mit Videoclipproduktionen reüssierte, nämlich neben der experimentellen Videoavantgarde zugleich auch die Historie der kommerziellen Werbeclips und kurzen Werbefilme des 20. Jahrhunderts sowie auch der modernen Modefotografie und des Modefilms inkorporiert. Wie das wechselvolle Verhältnis gegenseitiger Beeinflussungen und kreativer Durchdringungen von Mode, Film und Kunst in der Moderne, das in den vergangenen Jahren als Thema zunehmend auch wissenschaftliches Interesse durch zahlreiche Dokumentationen, Ausstellungen und Publikationen erfahren hat, 2 sind auch das zeitgenössische Modedesign und das Format Musikvideo von recht mannigfaltigen Liaisonen und ästhetischen Wechselwirkungen geprägt. Der Einsatz von zeitgenössischer Haute-Couture-Mode im Musikvideo ist dabei mannigfaltig. Die spektakuläre Variationsbreite der Einsatzmöglichkeiten verdeckt, dass hinter direkten und indirekten Zitaten von Designerschöpfungen im Musikclip aber vor allem ein marktstrategisches Kalkül mit wirtschaftlichem Hintergrund und ökonomischen Interessen steht. Die häufigsten Formen dieser szenographierten »Auftritte« der Mode und ihrer Marken reichen von direkten Zitaten in Songtext und Filmbild (siehe zuletzt Nicki Minajs Anaconda [Regie: Colin Tilley; 2014]) über augenzwinkernde Persiflagen3 und humorvolle Parodien der zeitgeistigen modischen Lifestyles einer globalisierten, interkulturellen Moderne (siehe u. a. 1 Peter Weibel: Was ist ein Videoclip? In: Veruschka Bódy/Peter Weibel (Hg.): Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo, Köln 1987, S. 274. 2 Siehe zuletzt Susanne Neuburger/Barbara Rüdiger (Hg.): Reflecting Fashion. Kunst und Mode seit der Moderne. Ausst.-Kat. Wien: Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien 2012; Adam Ceczy/Vicki Karaminas (Hg.): Fashion and Art, London/New York 2012; José Teunissen: Fashion and Art. In: Jan Brand/ders. (Hg.): Fashion and Imagination. About Clothes and Art, Arnheim 2009, S. 10–25; Germano Celant (Hg.): Art/Fashion. Kat., New York 1997. 3 Vgl. hierzu Eddie Parsons: How to Make a French Fashion Music Video. In: The Huffington Post Online v. 26. März 2013, online unter www.huffingtonpost.com/eddie-parsons/how-to-make-afrench-fash_b_2953881.html (letzter Zugriff: August 2015).

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Psys Kultvideos Gangnam Style [2012] und Gentleman [2013]; Regie beide: Jo Soo Hyun) bis hin zur generellen Kritik am besinnungslos exzessiven zeitgenössischen Modekonsum (siehe zuletzt bei Macklemore & Ryan Lewis’ Thrift Shop [2012]; Regie: Jon Augustavo & Ryan Lewis; Abb. 55).

Abb. 55: Filmstill aus dem Musikvideo Thrift Shop von Macklemore & Ryan Lewis (2012)

Die mit aktueller Mode bestückten Musikvideos inszenieren das, was insgesamt schon für die gegenwärtigen Allianzen von zeitgenössischer Popkultur und Modemarken gilt: HipHop hat Mode schon immer als Vehikel genutzt, um die »Vom-Tellerwäscher-zumMillionär«-Märchen einiger seiner größten Stars zu feiern. »This the life that I chose / bought out the store / can’t go back no more / Versace my clothes while I’m selling them bows / Versace took over, it took out my soul«, rappt Migos aus den USA im Song ›Versace‹, eine Liebeserklärung an Donatella, de[m] funkelndste[n] Stern am Modefirmament. Für den erfahrenen Rapfan sollte es keine Überraschung sein, dass das italienische Powerhouse schon seit Langem eine enge Bindung zu Musikstars hat. Rapper hatten nie ein Problem damit, Marken in ihren Songs zu erwähnen: Denke nur an Lil Kims »Y’all rock Versace and y’all went out and bought it, I rock Versace and y’all know I ain’t paid for it« in ihrem Song »No Matter What They Say« oder »Get Money« von Junior M.A.F.I.A. Gleichzeitig erhöhte diese Wertschätzung die allgemeine Akzeptanz von Rapstars als Modeikonen. Es gibt eine lange Liste von Designern, die dem HipHop dafür dankbar sein müssen, dass er ihre Produkte einem breiten Publikum, das normalerweise nicht jeden Monat in Vogue blättert, bekannt gemacht hat. »Seit den 70ern hatte HipHop gar keine andere Wahl, als sich in

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kanarienvogelmäßiger Manier anzuziehen. Mit Studio 54 und Chic bestand die Mode der HipHop-Helden der ersten Stunde aus auffallenden Lederanzügen mit Applikationen und im Fall von gewissen Mitgliedern von The Furious Five aus Handschellen. HipHopLooks waren von Anfang an frech, auffallend und konfrontativ, so wie die Stadt, aus der sie stammten. Dieser Style wurde besonders von Pushern, Pimps, Gefängnis und Ralph Lauren Polo beeinflusst. Was man trug, hing davon ab, woher man kam. Baggy-Jeans, XXXL-T-Shirt und Timberland-Schuhe bedeuteten New York. Bandanas, Locs, Chucks und Dickies bedeuteten, dass man aus den wärmeren Gefilden Kaliforniens kam. ›Goldene Grills und Caddy? Dann kam man wahrscheinlich aus Houston‹«, kommentiert i-D Music Editor und HipHop-Aficionado Hattie Collins.4

Damit geht es im Musikvideo um weit mehr als nur um eine notwendige attraktive und auffällige modische Einkleidung und um eine (sub-)narrative Kostümierung der Performer oder Musiker im Promotionformat Musikvideo. Der strategische Einsatz von angesagter modischer Kleidung oder einer exklusiven Designerkollektion im Videobild bedeutet hier oftmals eben auch mehr als nur ein einfach notwendiges glamouröses optisches Styling und visuelles Pimping, und auch mehr als nur eine klassische Charakterisierung, optische Markierung und symbolische Inszenierung der jeweiligen Interpreten und performenden Darsteller im Bild der Kamera – was per se ja schon lange das Kostümdesign als eigenständige Gestaltungsdisziplin im Wesentlichen zu leisten vermag. Als wirk­ samer Bestandteil der schmückenden und stilistischen Ausstattung eines populären Musikvideos tragen der jeweilige modische Look und der ausgewählte aktuelle Style eben auch zur Generierung einer gewünschten Atmosphäre, einer Stimmung und Emotion sowie eines markierten Zeitgeistes im Videoclip bei, und forcieren dabei als (sub-)narrativer Träger gezielt auch die Affekte des Publikums. Modedesign als eine angewandte Kunstform und visuelle Inszenierung dient hier im mehrfachen Sinne insbesondere vorrangig der Image-Produktion und der visuellen Promotion. Denn mit seinem Einsatz im popkulturellen Videoclip werden jeweils immer auch mehr oder weniger thematische Stile und ästhetische Sprachen für ein spezifisches Zielpublikum propagiert und damit nebenbei auch ganz bestimmte Lifestyles und Moden kommuniziert wie lanciert. Kleidermode ist ferner in ihrer stark zeitgebundenen und flüchtig-momenthaften Ästhetik dabei per se schon stark auf einen schnell konsumierenden Blick hin orientiert. Die Kunst der Mode, d. h. ein nachhaltig themenorientiertes und konzeptuelles avantgardistisches Modedesign, zielt dagegen zudem immer häufiger auch auf eine längerfristige, reflektierte Rezeption. Mode und Musikvideo sind somit hier beide als intermediale Erweiterungen und multimodale Inszenierungsformen einer vorangegangenen musikalischen Kreativität zu verstehen. Beide verbindet in ihrer Eigenschaft als im Wesentli4 Lynette Nylander: Mode und Musik im Jahr 2015: Ein Kulturschock? In: i-D v. 2. April 2015, online unter http://i-d.vice.com/de_de/article/mode-und-musik-im-jahr–2015-ein-kulturschock–288 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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chen flüchtige und rasch vergängliche, d. h. schnell wieder an Aktualität verlierende kommerzielle Gestaltungsprodukte der Moderne primär, dass sie in ihrer visuellen Sprachfähigkeit in einem allgemeinen Wettbewerb um Aufmerksamkeit und konsumierende Wahrnehmung besonders auf eine akzeptierende Betrachtung und positive Bewertung hin orientiert sind. Beide verlangen dafür als Instrument die betont performende originelle und bewunderte Pose5 – beispielsweise eine mit dem Körper werbend inszenierte Coolness. »Strike a pose. Vogue, Vogue, Vogue!«, formuliert es Superstar Madonna pointiert in Form einer Baseline für die Lyrics ihres augenscheinlich die Ästhetik klassischer Schwarz-Weiß-Mode­ fotografie zitierenden Musikvideos Vogue (1990; Regie: David Fincher). Die über Jahrzehnte ihrer internationalen Popkarriere hinweg immer wieder von bekannten Modekünstlern aus Paris, Mailand, London und New York für ihre Bühnenshows und Videos ausgestattete ›Queen of Pop‹ gilt dabei als eine der größten Fashionikonen aller Zeiten. Ob im Lolita-Look in »Like a Virgin«, als Latina in »La Isla Bonita«, düster im Gothik-Look in »Frozen« oder als Cowgirl im Musikvideo zu »Music«. Mit ihren Bühnen- und Musikvideo-Outfits prägte sie den Kleidungsstil ihrer Fans und setzte weltweit Trends. Das bekannteste Fashion-Video überhaupt ist vermutlich ihr 1990 erschienener Clip zur Single »Vogue«. Zur Mitte des Songs singt Madonna: »Greta Garbo, and Monroe, Dietrich and DiMaggio, Marlon Brando, Jimmy Dean – on the cover of a magazine. […] They had style, they had grace …« Das Schwarz-Weiß-Video handelt also nicht, wie oftmals angenommen, von dem Magazin Vogue selbst, sondern ist vielmehr eine Hommage an die goldene Ära der 20er und 30er Jahre mit ihren glamourösen Hollywood-Stars und Fashion-Ikonen. Mit dem Video machte die Pop-Ikone das »Voguing«, eine Underground-Dancerichtung, für die Massen populär.6

Das berühmteste Fashionpiece in einem popkulturellen Videoclip, das dadurch zu ikonischem Weltruhm gelangte, war wohl auch der ›Cone-bra‹, den Jean Paul Gaultier für Madonna entworfen hat und der seinen ersten prominenten Auftritt in ihrem von David Fincher gedrehten Musikvideo Express Yourself (1989) hatte. Weitere internationale Musikvideostars wie Lady Gaga, Kylie Minogue, Gwen Stefani, Björk, Pharrell Williams oder David Bowie sind durch derartige Pop-Mode-Allianzen über Jahrzehnte hinweg von einem breiten Publikum auch als Stilikonen ihrer Zeit wahrgenommen worden. Singende Megastars der gegenwärtigen Popkultur wie Madonna, Jennifer Lopez, Lana del Rey, Rihanna, Lady Gaga, Kanye West oder Beyoncé treten dabei zunehmend auch als Supermodels in den Massenmedien auf und werben erfolgreich als mainstreamkonforme Celebrity Testimonials für Billigketten wie H&M bis hin zu High-End-Fashion5 Vgl. hierzu auch Gabriele Brandstetter: Pose – Posa – Posing: Zwischen Bild und Bewegung. In: Elke Bippus (Hg.): Fashion, Body, Cult, Stuttgart 2006, S. 248–266. 6 Kristina Philipp: Music meets Mode – Teil 1. Die besten Fashion-Songs aller Zeiten, online unter www.tonight.de/news/tonight-s-fashion/music-meets-mode-teil–1-die-besten-fashion-songs-allerzeiten.985654 (letzter Zugriff: August 2015).

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Brands und globalen Luxusmarken wie etwa Louis Vuitton, Versace, dior, Balmain oder prada. Das partizipative Web 2.0 erlaubte zudem das Emporkommen von stark frequentierten Modeblogs, auf denen auch populäre Musikvideos von den jeweiligen Fan Communities umgehend nach ihrem offiziellen Release oder illegalem Leak (d. h. einer inoffiziellen Vorveröffentlichung im Internet) auf die neuesten Designerentwürfe und angesagten Mode- wie Kultmarken hin analysiert und kommentiert werden konnten7, die wiederum dann von ihren Anhängern adaptiert und im Weiteren als Streetstyles kreativ weiterentwickelt werden. Das Phänomen Mode und Marken, inszeniert im Musikvideo, geht in seinem Einfluss und seiner Bedeutung über die Funktion eines bloß unterhaltsamen Modekurzfilms hinaus. Scenographic Fashion Music Videos sind vielmehr in der zeitgenössischen populären Musikvideokultur von gegenseitigen Beeinflussungen, subtilen Durchdringungen und mannigfaltigen Wechselwirkungen zwischen der globalisierten Modeindustrie, dem globalen Kunstmarkt und dem internationalen Musikgeschäft geprägt und stehen ebenfalls exemplarisch für eine neue Konvergenzkultur. Gerade die jüngere Musikvideogeschichte nach dem Ende des eigentlichen Musikvideofernsehens bietet eine Reihe von anschaulichen Fallbeispielen, die im Folgenden im Fokus weiterer kursorischer Erörterungen stehen sollen: Dazu gehören zum Beispiel Cameo-Auftritte und Star Features von bekannten Modedesignern im Musikvideo8; Designeroutfits, Accessoires und Bühnenkostüme als geschicktes Branddropping und Product Placement im Musikvideo; Musikvideostars als erfolgreich agierende Testimonials für bestimmte Marken und beliebte Labels; Super- und Topmodels, die jeweils gefeierten und gehypten Gesichter und aktuellen Aushängeschilder der angesagten Kultmarken und Global Brands, in der Rolle als Special Guest Performers9, oder etwa gleich eine kurze Modehistorie mit ihren charakteristischen stilistischen Abfolgen und markanten Epochen als Plot für die visuelle Dramaturgie eines Musikvideos wie u. a. beispielsweise in Musikvideo-Produktionen für Billy Joel (We didn’t start the fire; 1989; Regie: Chris Blum), The Red Hot Chili Peppers (Dani California; 2006; Regie: Tony Kaye) oder Die Fantastischen Vier (Troy; 2004; Regie: Zoran Bihac). 7 Vgl. beispielsweise die Websites http://musicvideofashion.com und http://musicvideoclothes.com. 8 Der französische Modedesignstar Jean Paul Gaultier beispielsweise, der u. a. Madonna in den 1990er-Jahren mit einem legendären und heute ikonischen Cone-bra für ihre Blond Ambition World Tour ausstattete, feierte 1989 selbst große Erfolge mit dem selbstironischen Videoclip How To Do That (Regie: Jean-Baptiste Mondino). Ebenso thematisierte 2010 Christian Louboutin, Schöpfer der kultigen roten Sohlen, augenzwinkernd den mühevollen kreativen Schaffensprozess in seinem Performance Music Video Dancer in a Daydream (Choreographie und Regie: Arthur Gourounlian). 9 Dazu werden im Internet noch eigens Rankings für die Topmodels geführt, siehe beispielsweise Top 10: Models in Musikvideos. In: Andy Warhol’s Interview Online (July 2012), online unter http:// blog.interview.de/Top-10-Models-in-Musikvideos (letzter Zugriff: August 2013).

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Für viele dieser Beispiele aus der szenographischen Allianz von Mode, Kunst, Film und Musikvideo wird dabei auch gelten, dass ihre erfolgreichen Regisseure sich heute ebenfalls ungehindert zwischen den herkömmlichen Gestaltungsdisziplinen bewegen, was insgesamt für die Zeit einer Convergence Culture10 nach der Postmoderne überaus charakteristisch ist: Diese neuen Musik­videoRegisseure sind, wie beispielsweise Nick Knight, Bruce Weber, Jean-Baptiste Mondino, David LaChapelle, Steven Klein oder Herb Ritts, zugleich auch professionelle Modefotografen und -filmer, die hauptsächlich konventionelle Werbefilme oder kommerzielle Fashion Campaign Filme drehen, wie auch gleichzeitig mit künstlerisch-gestalterisch anspruchsvollen (Musik-)Videos Furore machen, deren Ästhetik von der zeitgenössischen Kritik oftmals bezeichnenderweise im Allgemeinen dann mit Begriffen wie »stylish« oder »fashionable« umschrieben wird. Ihr dezidierter Gestaltungsansatz ist dabei grundsätzlich von Intermedialität, Interdigitalität und Hybridisierung gekennzeichnet. Umgekehrt werden heute aber auch viele kommerzielle Fashion Campaign Filme11 von namhaften und etablierten, langjährigen Musikvideo-Regisseuren wie Jonas Akerlund oder Roman Coppola wie ursprünglich Musikvideos mit narrativem Plot oder Performanceelementen konzipiert und realisiert, das heißt nach einer künstlerischen wie finanziellen Hochzeit in den 1990er Jahren, in denen ein einzelner Clip mitunter ein Budget von bis zu sieben Millionen Dollar haben konnte, investieren die Plattenfirmen aufgrund wirtschaftlicher Einbrüche in den vergangenen Jahren zunehmend weniger in Musikvideos, sodass Regisseure verstärkt in die Bereiche von Kino, Kunst und Werbung abwandern. War der Videoclip von [L]etzteren zunächst lange Zeit inspiriert, so werden diese nun wiederum umgekehrt verstärkt durch die Formensprache des Musikvideos geprägt,

so bereits 2009 Henry Keazor und Thorsten Wübbena in ihrem Beitrag Musikvideo für den Linzer Ausstellungskatalog See this Sound.12 Zugleich braucht heute jede professionelle Modenschau auch einen originellen Soundtrack, Score oder Live-Music-Act; und diese musikalisch unterlegten Scenographic Fashion Shows13 können dann wiederum eigens als assoziatives Thema und authentisches Set für einen Musikvideoclip fungieren wie etwa zuletzt in Jennifer Lopez’ feat. Pitbulls Musikvideo Live It Up (2013; Regie: Jessy 10 �������������������� Vgl. Henry Jenkins: Convergence Culture. Where Old and New Media Collide, New York/London 2006. 11 Siehe hierzu ferner Pamela C. Scorzin: Global Design Art – am Beispiel des Fashion Films »First Spring« von Yang Fudong. In: kunsttexte.de, Journal für Kunst- und Bildgeschichte, KunstDesignThemenheft 2: Kunst und Mode, hg. von G. Jain, 2011 (acht Seiten). 12 Online unter http://www.see-this-sound.at/drucken/44 (letzter Zugriff: August 2015). 13 Vgl. Pamela C. Scorzin: Scenographic Fashion Shows – ein Statement von Pamela C. Scorzin. In: PLOT. Inszenierungen im Raum/Creative Spaces, Nr. 9: Dress the Stage on Fire (März 2013), S. 14–23; dies.: Effekt und Affekt in Scenographic Fashion Shows. In: Ralf Bohn/Heiner Wilharm (Hg.): Inszenierung und Effekte. Die Magie der Szenografie, Bielefeld 2013, S. 41–56.

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Terreo) oder wie schon bereits eine Dekade zuvor in Jay-Zs Videoclip Change Clothes (2003; Regie: Chris Robinson) zu sehen war – mitunter dann auch mit originalen Designerkollektionen und dem Defilee einer wahren Riege von echten Supermodels wie Naomi Campbell, was am Ende im Line-up des Catwalks dann fast einer modernen Schönheitsgalerie gleichkommt (Abb. 56).

Abb. 56: Filmstill aus dem Musikvideo Change Clothes von Jay-Z (mit Supermodel Naomi Campbell); Regie: Chris Robinson (2003)

Waren im 20. Jahrhundert insbesondere international bekannte und erfolgreiche Soaps und TV-Fernsehserien wie beispielsweise Denver Clan, Miami Vice oder zuletzt Sex and the City und Mad Men, aber auch Blockbuster-Spielfilme beziehungsweise das große Hollywood-Kino die großen populären Vermittler und medialen Verstärker von weltweiten Modetrends und beliebten Designerlabels – man denke hier nur einmal an die enorme weltweite Popularisierung der italienischen Marke Armani durch den Film American Gigolo (1980; Regie: Paul Schrader) mit US-Schauspieler Richard Gere –, so tragen heute zunehmend gerade modisch ausgestattete kurze Musikvideos im World Wide Web dazu bei. Musikmarketing und Produktwerbung gehen heute in eins. Unterhaltsame populäre Musikvideos sind seit einigen Jahren damit zunehmend sowohl zu subtilen und vielschichtigen Advertising- und MarketingInstrumenten als auch gleichzeitig zu eigenständigen Konsum- und Unterhaltungsprodukten geworden, die als popkulturelle Artefakte zudem von einem Insider-Publikum gesammelt, archiviert, analysiert und diskutiert werden. Zudem verlängert sich damit auch ihre Werbewirkung für die Marken. Diese hybriden popkulturellen Produktionen sind dann gleichermaßen Produkt wie Promotion, Programm wie Werbung – wie beispielsweise zuletzt in DJ Antoines Musikvideo Bella Vita (2013; Regie: Ludoc) ›schön zu sehen‹ war. Eine wirklich nicht mehr trennbare Synthese von Musikvideo und Werbkampa-

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gne findet sich beispielsweise auch 2010 in Jonas Akerlunds Clip Dior Lady Rouge, in dem die französische Schauspielerin und aktuelles dior-Gesicht Marion Cotillard mit der britischen Indie-Rockband Franz Ferdinand prominent den Track The Eyes of Mars singt und unterhaltsam auf einer Bühne performt. Oder 2015 in dem ca. zweiminütigen Kampagnenclip The Creative Journey unter der Regie von Diana Kunst für gucci, in dem die schwedische Sängerin Lykke Li, zugleich in ihrer Rolle als Model und aktuelles Werbegesicht der Sommerkollektion, einen neuen Song in einer an die erfolgreichen Fotoarbeiten von Olivia Bee erinnernden, jugendlich-romantischen Musikvideoästhetik darbringt. Die Entgrenzung, Ausweitung und Verunklärung der vormals distinkten modernen Gestaltungsdisziplinen und klassischen Gattungskategorien, ihre Tendenz, sich formalästhetisch immer weiter mit anderen populären Formaten und Formeln der kommerziellen Werbung und Unterhaltung wie auch mit völlig neuen Mediendispositiven (i. e. Virale Commercials, Trailern, Scripted Documentaries, Making-ofs und Backstage-Filmen, experimentellen Kunstvideos, Mystery Videos u. a.) intermedial zu kreuzen und zu synthetisieren, lässt sich spiegelbildlich ebenfalls gerade auch im jüngeren Internet-Phänomen des Scenographic Fashion Films beobachten. Diese besonderen neuen Kurzvideos von nur ca. 1,5- bis 20-minütiger Dauer, in der Funktion als aufwendig szenographierte Commercials für die Modeindustrie, sind häufig auch mit beliebten und damit leicht wieder erkennbaren Songs und Tracks der jüngeren Popmusikgeschichte und aktuellen Musik-Charts unterlegt und wirken daher für die meisten Rezipienten auf den ersten flüchtigen Blick wie modische Musikvideo-Neuversionen für bereits bekannte Songs der Popgeschichte: beispielsweise zuletzt sehr prominent in der szenisch aufwendigen, aus zahlreichen kunstgeschichtlichen Anspielungen angereicherten dior-Kampagne Secret Garden – Versailles (Sequels I–IV, 2012–2015) unter der Regie des erfolgreichen Kreativduos Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin, die akustisch mit dem Popklassiker Enjoy the Silence der erfolgreichen britischen Synthie-Popband Depeche Mode unterlegt worden ist (Abb. 52); oder beispielsweise im mit Led Zeppelin wild-rockig unterlegten dior homme Fragrance Commercial, das 2013 von Romain Gavras mit Jungstar Robert Pattinson im Schwarz-Weiß-Nouvelle-Vague-Stil abgedreht wurde. Oftmals bestimmt aber auch hier bei den originelleren und inhaltlich komplexeren Musikvideoproduktionen dann eben nur noch der jeweilige Rahmen ihrer Rezeption, etwa im Kontext als viraler Videoclip auf Webseiten und Social-Media-Plattformen im Internet, als fest auf HD-Flatscreens inszenierter Loop in einem Fashion Retail Store oder in Form einer valorisierenden Präsentation als Filminstallation im Rahmen einer musealen Themenausstellung beziehungsweise mit einem exklusiven Screening auf einem Wettbewerbsfestival, ihre endgültige allgemeine Wertschätzung als Kunst oder Nicht-Kunst; d. h., ihre formalen Präsentations- und Vermittlungsstrategien sind dann immer zugleich auch

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suggestive Vorwegnahmen und bereits Vorgaben von klassifizierenden Wahrnehmungen, kategorischen Einteilungen und kulturellen Werteinstufungen. In der Ära des Internets mit seinen vielen für alle leicht zugänglichen neuen Rezeptions- und Distributionskanälen wie etwa YouTube oder Vimeo und digitalen Social-Media-Plattformen mit Filesharing-Funktionen scheinen für die heutigen Musiker respektive Produzenten und Regisseure von Musikvideos insgesamt mehr oder weniger offene Kollaborationen und strategische Kooperationen mit der großen visuellen Leitkultur der Zeit, dem zeitgenössischen Modedesign als einer angewandten populären Kunstform, auch eine ganz spezielle strategische Win-win-Situation und ein gegenseitiges Trading-up darzustellen: Ihre Allianzen sind dann eine Demonstration gegenseitig unterstrichener und ausgestellter Kreativität qua digitaler Audiovisualität und schnell geschnittenem Bewegtbild. Das bereits etwas in die Jahre gekommene und mit dem Ende des konventionellen Musikfernsehens in die Krise geratene Medienformat Musikvideo wird dabei als effektives und relativ günstiges Advertising- und Marketing-Instrument und effizientes Promo-Tool für ein technologisch vernetztes und global kommunizierendes neues Publikum jedoch gerade wiederentdeckt. Popkultur und Modedesign bewerben sich darin gegenseitig und setzen aus der spezifischen Jugendkultur der Zeit heraus wiederum neue globale modische Geschmackstrends, stilistische Hypes und ästhetische Akzente. Bisweilen werden dafür mehrere, in der Länge oder im Schnitt nur leicht unterschiedliche Videoversionen gleichzeitig auf den internationalen Markt gebracht, die dann wie jüngst im Fall von Beyon­cés Album-Track Standing on the Sun im Sinne einer relativ günstigen Mehrfachverwertung über verschiedene Distributionskanäle entweder vorrangig die eigene Singleauskopplung oder die in der musikalischen Visualisierung dafür getragene und damit prominent präsentierte aktuelle Modekollektion für ein Label musikalisch und damit noch recht unterhaltsam bewerben. Das auf den sonnigen Bahamas für die Summer Collection 2013 der Modekette H&M entstandene Fashion-Campaign/Musicvideo-Hybrid von Beyoncé Knowles in der Rolle der Mrs. Carter und klassischen Venus am Strand (Abb. 57) wurde dabei von keinem Geringeren als dem langjährig erfolgreichen und international anerkannten Musikvideoregisseur Jonas Akerlund in Szene gesetzt. Das leicht konsumierbare Performance-Act-Video des US-amerikanischen Beauty-Stars, mit dem Akerlund bereits 2010 im Videoclip Telephone von Lady Gaga feat. Beyoncé recht kontrovers und spektakulär zusammengearbeitet hatte, zeigt hier eher recht konventionell und für ein breites interkulturelles Massenpublikum allgemein verständlich ein ausgelassenes und heiteres paradiesisches Sommerstrandleben unter exotischen Palmen, das in verführerisch schöne und emotionalisierend rhythmische Videobilder gesetzt wurde. Für den kulturgeschichtlich Versierten unter den Zuschauern stellt die schöne Protagonistin des sommerlichen Musikvideos gleichzeitig eine zeitgenössische Aktualisierung und moderne Neuin-

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terpretation des Topos der Schaum geborenen Venus und das tradierte Bild einer verführerischen Aphrodite am Meeresstrand dar. Ein weibliches Idol, geschaffen von modernen Werbegöttern, verpackt in eine global wirksame Bildsprache. Der heitere Videoclip ist damit eine zeitlose wie zugleich auch modisch aktuelle Hommage an die weibliche Schönheit und ihre verführerische Erotik, die weniger durch einen narrativen Plot als durch eine sie symbolisch umrahmende szenische Inszenierung mittels der klassischen vier Elemente (Erde – Sandstrand, Wasser – Meer, Luft – bewegte Stoffe im Wind, Feuer – abendliches Strandpartyfeuer) emotional affizierend vorgeführt wird.

Abb. 57: Filmstill aus dem Video Standing on the Sun von R&B-Sängerin Beyoncé Knowles-Carter für H&M (2013); Regie: Jonas Akerlund

SUPERMODELS IM MUSIKVIDEO Was die singenden und performenden Stars für die internationale Popmusik sind, bedeuten seit den 1990er-Jahren wohl die Supermodels für die Mode. Sie sind die wiedererkennbar schönen Vertreterinnen, die kultisch gefeierten Repräsentanten der zeitgenössischen Mode und bewunderten idealisierten Werbeträger der großen Marken, während die eigentlichen Kreativen, die Designer, Hersteller, Produzenten und Verkäufer der Mode, oftmals außerhalb des Scheinwerferlichts der Medien bleiben, wenn sie nicht als exzentrische »Modekünstler« und begnadete Selbstvermarkter der eigenen Person selbst schon eine Marke wären wie beispielsweise Karl Lagerfeld, John Galliano, Marc Jacobs, Hedi Slimane oder Jean Paul Gaultier. Seit den Anfängen der populären Musikvideokultur14 setzen 14 ��������������������������� Siehe hierzu Henry Keazor: Rewind, Play, Fast Forward: The Past, Present and Future of the Music Video, Bielefeld 2010.

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Videoclip-Regisseure deshalb gerade auch auf den visuellen Einsatz der physischen Attraktivität modisch eingekleideter Models – in der Rolle von schmückendem Beiwerk bis hin zu spektakulär performativen Höhepunkten. Im Übrigen betrifft dies heute Models beiderlei Geschlechts: So verfilmte Yoann Lemoine, der unter dem Künstlernamen Woodkid bekannt ist und bereits für viele erfolgreiche Musikvideos u. a. für Lana del Rey, Taylor Swift, Katy Perry, Moby oder Drake & Rihanna verantwortlich zeichnete, im Frühjahr 2013 die Songauskopplung I love You aus dem eigenen Debüt-Musikalbum The Golden Age mit dem bekannten internationalen Male-Model Matvey Lykov als attraktivem Protagonisten der filmischen Handlung inmitten einer romantisch-wilden Naturkulisse (Abb. 58). Lykov wurde dafür vom gefeierten belgischen Modedesigner Kris van Assche aus dessen aktueller Kollektion eingekleidet und für das romantisch-dramatische Woodkid-Video gestylt. Kris van Assche (geb. 1976 in Londerzeel, Belgien), einer der gegenwärtigen Chefdesigner für dior, und der französische Musiker Woodkid hatten bereits zuvor medienwirksam und sehr erfolgreich für die Herbst/Winter-Kollektion 2012/13 von dior Homme zusammengearbeitet, der nachgesagt wurde, sie wäre dabei auch von Woodkids martialisch-pathetischer Videoästhetik in Iron (2011) inspiriert gewesen; zumindest diente dieser Popsong wiederum tatsächlich dann auch als Soundtrack für die nachfolgende dior Homme-Runwayshow A Soldier of My Own in Paris.

Abb. 58: Filmstill aus dem Musikvideo I love You (mit Male-Model Matvey Lykov) von Woodkid (2013); Regie: Yoann Lemoine

Diese engen formalen wie inhaltlichen Verflechtungen, Verknüpfungen und Verbindungen von Musikvideos und Mode, das Spiel der gegenseitigen Reverenzerweisungen aus verschiedensten Interessen und Motiven heraus, ist dabei mitnichten eine jüngere Erscheinung oder nur eine wirtschaftlich motivierte Entwicklung. Aus den Referenzbildungen stiftet sich nicht unwesentlich ein beson-

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derer Bedeutungssinn. Diese Tendenz zur Sinnproduktion über Vernetzung lässt sich außerdem nicht nur lediglich mit dem Argument der zunehmenden Hybridisierung des Videoformates im Zeitalter der Intermedialität und Interdigitalität erklären. Tatsächlich stellt dies bereits ein Phänomen in den ersten Sternstunden der Geschichte des Musikvideos dar: Exemplarisch hierfür stehen insbesondere die spektakulären Musikvideoproduktionen für die britische Band Duran Duran, deren weltweite Charterfolge seit den 1980er-Jahren nach Meinung vieler Kritiker bisweilen nur mit der außergewöhnlichen visuellen Präsenz und Attraktivität ihrer modisch inspirierten Videoclips in Verbindung gebracht werden können. Innerhalb von 30 Jahren, von Girls on Film (1981; Regie: Godley & Creme) bis Girl Panic (2011; Regie: Jonas Akerlund), sind gerade Mode und Models wesentliche, immer wiederkehrende visuelle Marker für die aufsehenerregenden Videoclips dieser ursprünglich aus der Londoner New-Romantics-Bewegung stammenden Band aus ehemaligen Kunststudenten. Waren bereits in George Michaels exaltiertem Too Funky (1992; Regie: Modedesigner Thierry Mugler) und insbesondere in dessen sensationellem Videoclip Freedom ’90 (1990; Regie: David Fincher) während der Ära der sogenannten Supermodels ausschließlich damalige Topmodels wie Linda Evangelista oder Christy Turlington als weibliche Hauptdarsteller zu sehen, die mit den Lippen synchronisierend George Michaels Gesang im Video performten, so mimten in Jonas Akerlunds ausgesprochen glamouröser und opulenter Visualisierung der erfolgreichen Singleauskopplung aus dem Duran-DuranAlbum All You Need Is Now nochmals fünf dieser bekannten ehemaligen weiblichen Supermodels der 1990er-Jahre (i. e. Helena Christensen15, Naomi Campbell, Yasmin Le Bon, Cindy Crawford und Eva Herzigova), gestyled und ausgestattet von Vanessa Coyle mit aktuell angesagten Luxusmodemarken wie beispielsweise Dolce & Gabbana, Thierry Mugler, Roberto Cavalli, Ralph Lauren, Ann Demeulemeester, Christian Louboutin und Louis Vuitton, ironisierend im Crossdressing und Genderbending hier die männlichen Bandmitglieder von Duran Duran, die in ihren musikalischen Anfängen zu Zeiten des New Waves und des Synthiepops der 1980er-Jahre gerade auch für ihr androgynes Aussehen und für ihre extravaganten modisch-gestylten Auftritte bekannt geworden waren (Abb. 59). Die international renommierte Musikvideoregisseurin Floria Sigismondi, eine der wenigen Frauen der Frühzeit des Musikvideos, wiederum inszenierte den gerade für seine modische Androgynität zur Stil-Ikone und eigenen Marke avancierten David Bowie zusammen mit der Schauspielerin Tilda Swinton im mit neuester Designermode ausgestatteten Video zur Single The Stars (Are Out Tonight) (2013) aus dem Bowie-Album The Next Day in einem narrativen Plot, der in einem visuellen Chiasmus das in der Mode hochaktuelle Thema Unisex und Gender15 Das Topmodel Helena Christensen wirkte bereits prominent in Chris Isaaks mit Preisen ausgezeichnetem romantischen Kultmusikvideo Wicked Games (1991, Regie: Herb Ritts) mit.

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Abb. 59: Filmstill aus dem Musikvideo Girl Panic von Duran Duran (mit Supermodel Helena Christensen, 2011); Regie: Jonas Akerlund

bending dabei etwas gesellschaftspolitischer als bei Jonas Akerlund aufgreift: Bowie und Swinton in der Rolle als gealtertes Paar werden in ihrer spießig gewordenen Lebenswelt mit einem Mal in ihrer direkten Nachbarschaft mit einem viel jüngeren hippen Paar konfrontiert, das sie irgendwie an ihr früheres Leben erinnert, aber doch auch irgendwie ganz anders ist: Gespielt werden diese Rock’n’Roll-Eindringlinge von Andrej Pejic und Saskia De Brauw, die – für Bowie nicht ganz untypisch – die Geschlechter-Rollen vertauschen. Mit Pejic greift Bowie so auch seine eigene androgyne Phase auf, denn das australische Model ist bekannt und berühmt für seine Auftritte bei den Männer- und Frauen-Modenschauen von Jean Paul Gaultier, Marc Jacobs oder michalsky.16

Ebenfalls auf das Charisma und den exotischen Sexappeal von bekannten Topmodels setzte wiederum 2013 Beyoncés Yonce, which stars not only Bey, but also three of the fashion world’s top models – Jourdan Dunn, Joan Smalls, and Chanel Iman – in an homage of sorts to George Michael’s famous supermodel-filled »Freedom ’90«-video. Director, video artist, and co-head of creative at Supreme, Ricky Saiz, shot the video over two days in Brooklyn. »When I started to propose ideas and put together a visual narrative, Beyoncé responded really well,« he said. »She was open to me pushing a bit, and to trying new things, and I didn’t want it to be overproduced. I didn’t want a performance video, which is like jazz hands. This was more like an upskirt.« »Upskirt« does set the racy tone. Saiz was inspired by Daido Moriyama’s erotic photographs as well as the iconic George Michael Video – and 16 Zitiert aus einer Meldung des Musikexpress (Hannah Bahl, 26. März 2013), online unter www.musikexpress.de/news/meldungen/article377316/david-bowie-und-tilda-swinton-spielenkleinstadtehepaar-im-video-zur-neuen-single-the-stars-are-out-tonight.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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styled by Karen Langley, the cast dons an array of revealing outfits, including a black Anthony Vaccarello dress (for Dunn) and a bondage-inspired molded bodysuit from Tom Ford’s tenure at YSL (for Beyoncé).17

Und auch der Plot des Musikvideos Girl Panic von Duran Duran bietet zusätzlich Raum für das geschickte Product Placement der in den Credits gelisteten Hauptsponsoren, Swarovski Elements und das Londoner Hotel Savoy, das sowohl prominenter Schauplatz für ein (inszeniertes) Fashionshoot als auch für die Inszenierung eines Musikvideo-Drehs in der Handlung ist. Dieses gescriptete Backstage-Thema birgt filmisch gesehen gleichzeitig eine raffinierte Metaebene, denn das bekannte Modemagazin Harper’s Bazaar UK, mit dem das Release-Datum des luxuriösen neuneinhalbminütigen Musikvideo-Opus von Duran Duran terminlich abgestimmt war, brachte in seiner Dezember-Ausgabe tatsächlich gleich eine komplette Modefotostrecke, die zu, um und für diesen Videodreh am 6. Juni 2011 in der britischen Hauptstadt entstanden war (Abb. 60). Wen sollte es da überhaupt noch wundern, dass auch die prominent am ganzen, transversal vernetzten Werbeprojekt beteiligten prominenten italienischen Modedesigner, Domenico Dolce und Stefano Gabbana, darin in einem kurzen Cameoauftritt für das Publikum – in der Rolle ihrer selbst bei einem Fitting – zu sehen sind. Bewusst wurden hier künstlerisch somit auch die verschiedenen Realitätssphären effektvoll übereinander geblendet, während der hauptverantwortliche schwedische Regisseur Jonas Akerlund, der sich in einer zweiten, als Director’s Cut ausgewiesenen, etwas längeren Videoversion darin selbst noch als Director of Photography spielt, zusätzlich die Notwendigkeit der beständigen Aktualisierung und Transformation der inzwischen bereits überholten charakteristischen Videoclipkultur unterstreicht: It’s actually that the format is erased. You can make it into anything. Like this one for Duran Duran isn’t even a music video, when you think about it. The music isn’t intact, you never see the band perform really, it’s a lot of dialogue and it’s really long. MTV back when they owned the music video scene, they would never have accepted this. Never. They would have dictated changes and made us cut it down. What’s great about the music video now is that the format is no more. We can do anything we like. We can speed it up and make it really short, we can make little movies, we can make it straight performance. For someone like me who writes all these ideas, it’s opened a lot of new doors. And that makes it fun again.18

17 ������������������������������������������������������������� Behind Beyoncé’s »Yonce«: Supermodels, Sex, and Supreme. ���� In: Style File Blog v. 13. Dezember 2013, online unter www.style.com/stylefile/2013/12/behind-beyonces-yonce-supermodels-sexsupreme (letzter Zugriff: Juli 2015). 18 ������������������� Jonas Akerlund in: Exclusive! Director Jonas Akerlund Talks About Shooting Duran Duran’s New Supermodel-Packed »Girl Panic!« Video, online unter http://goldenageofmusicvideo.com/exclusivedirector-jonas-akerlu…ut-shooting-duran-durans-new-supermodel-packed-girl-panic-video (letzter Zugriff: August 2015).

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Abb. 60: Cover der Dezember-2011-Ausgabe der englischen Harper’s Bazaar (mit – von links nach rechts – den Supermodels Yasmin Le Bon, Helena Christensen, Cindy Crawford, Naomi Campbell und Eva Herzigova)

Performen außerdem die kaum gealterten, schönen und streng disziplinierten Supermodels aus den 1990er-Jahren hier augenzwinkernd nochmals das ebenfalls überholte Klischee von gefeierten Rock’n’Roll-Stars, die ein ausschweifendes Leben führen, treten die eigentlichen Popstars, die Duran-Duran-Bandmitglieder Simon Le Bon, John Taylor, Nick Rhodes und Roger Taylor nur in karikierenden Nebenrollen hin und wieder in den mit viel Swarovski-Kristallen glitzernden Kulissen auf: u. a. als Paparazzi, Medienvertreter, Hotelboys, Barkeeper, Kofferträger oder Chauffeure. Sounds und Lyrics von Girl Panic gehen in dieser schieren visuellen Opulenz und all dem inszenierten modischen Glamour und luxuriösen Bling-Bling der Zeit fast schon unter – ein unweigerlicher, aber vielleicht von einem Augenzwinkern begleiteter Hinweis, dass das musikalische Talent bei Duran Duran ohnehin schon immer etwas nachrangig gewesen ist? Die Produktion des atmosphärischen Promotion-Musikvideos von Jonas Akerlund wurde dagegen gleichzeitig unter dem Motto Behind the Scenes mit einer 25-minütigen

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TV-Produktion der BBC, unter der Regie von Gavin Elder, für dokumentationswürdig angesehen. Nach der legendären Ära der idealisierten Mega-Supermodels, die im Duran-Duran-Musikvideo für eine hedonistische und Marken-fetischisierende Generation der Babyboomers stehen, die heute bereits nostalgisch auf eine von Coolness und Glamour, neuem Reichtum und Luxuslabels geprägte Modedekade zurückblickt und diese retrospektiv glorifiziert wie zelebriert, mutet dagegen der Reigen sehr junger, hübscher und für die breite Masse fast namenloser Models in Robin Thickes Musikvideo Blurred Lines (2013; Regie: Diane Martel) fast schon wie ein Indikator für die gegenwärtige Popularisierung und weite Verbreitung der Mode mit all ihren soziokulturellen Erscheinungen in der Alltagswelt Jugendlicher zu Beginn des 21. Jahrhunderts an. Es existieren wiederum gleich mehrere Versionen dieses auf YouTube millionenfach angeklickten erfolgreichen Musikvideos, das von einer erfahrenen Regisseurin in Szene gesetzt wurde, und in seiner auf den Punkt gebrachten Szenographie und Choreographie wie ein herkömmliches Fashion Shoot ihrer vorwiegend männlichen Kollegenzunft für ein zeitgenössisches Modemagazin anmutet (Abb. 61).

Abb. 61: Filmstill aus dem Musikvideo Blurred Lines von Robin Thicke (2013); Regie: Diane Martel

Die US-amerikanische Videoregisseurin Diane Martel führte im Internetblog Grantland dazu aus, dass ihr künstlerisch-konzeptueller Ansatz für den Dreh im Grunde gesehen auf dieser besonderen Metaebene der Selbstreferenz ansetzte:

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I’ve been thinking about music videos, marketing, and the Internet for a while. I want to make videos that sell records. This is my main focus right now, not to make videos that express my own obsessions, but to make videos that move units. Robin asked me to make a white cyc video. I heard the song and loved it. Here was an opportunity to try out some of my ideas about sales and craft working in unison. I love Helmut Newton and as I sat and thought about the ideas for what the girls could wear in the video, some images of his work came to mind. I realized they could wear … shoes. This would get some attention for the song and the artist. […] I have written a lot of white cyc treatments, I am obsessed with and go to see George Balanchine’s black-and-white ballets at the New York City Ballet each season. They are super minimal. I love Richard Avedon. I was a dancer and a choreographer, and before I was a director I made performance art that was very simple with bodies and D.I.Y. sets. [For Blurred Lines] I wanted to have beautiful bodies and crazy, fucked-up sets. I thought about cheap props, crappy fun stuff. The video is goofy and innocent. I was channeling Benny Hill and 1960s variety shows.19

Im Original sind die tanzenden Jungmodels neben den in modisch-elegante Herrenanzüge gekleideten R&B-Sängern Robin Thicke, T.I. und Pharrell Williams nahezu nackt – eine visuelle Pointierung des angesagten Nude Looks innerhalb der aktuellen Mode und Kosmetik –, während in einer anderen, womöglich für die weltweiten Fernsehstationen nachproduzierten und quasi moderat nachzensierten Version von Blurred Lines die attraktiven jungen Mädchen etwas bedeckter in hautfarbene Dessous und zwischen Kunst, DIY und Fetisch angesiedelte transparente Plastikfolien eingehüllt wurden. Eine wiederum leicht veränderte Kurzversion dieses von feministischen Kreisen heftig kritisierten, nichtsdestotrotz im Internet höchst erfolgreichen, umstrittenen Sex-Exploitation-Videos 20 wurde als Spin-off für einen kommerziellen Werbespot des Unternehmens Beats by Dr. Dre angefertigt und wirbt hierin explizit für das elektronische Unterhaltungsprodukt Beatspill. FASHION PRODUCT PLACEMENT IM MUSIKVIDEO Das Verwischen der klaren Grenzen, die zunehmende Hybridisierung, die Synthetisierung und Heterogenisierung audiovisueller Artefakte, auch des klassischen Musikvideos, in einer durch die umfassende Digitalisierung vorbereiteten Konvergenzkultur nach der Postmoderne ist derzeit insbesondere durch unterschiedlichen Formen und Varianten der Intermedialität gekennzeichnet. Dabei spielen 19 ��������������������������������������������������������������������������������������� Die Videoregisseurin und Choreographin Diane Martel im Interview mit Eric Ducker: Q&A: Veteran Music Video Director Diane Martel on Her Controversial Videos for Robin Thicke and Miley Cyrus. In: Grantland, im Blog gepostet am 26. Juni 2013, online unter www.grantland.com/ blog/hollywood-prospectus/post/_/id/80424/qa-veteran-music-video-director-diane-martel-on-hercontroversial-videos-for-robin-thicke-and-miley-cyrus (letzter Zugriff: Juli 2015). 20 Siehe hierzu den Huffington Post-Artikel von Kia Makarechi: »Blurred Lines« Director Diane Martel Defends Music Video Against Claims Of Misogyny (gepostet am 27. Juni 2013), online unter www.huffingtonpost.com/2013/06/27/blurred-lines-director-diane-martel_n_3509359.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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die spannungsvollen Verbindungen, disziplinären Vernetzungen und mannigfaltigen Verknüpfungen zwischen vormals distinkten Medien und ihren tradierten Formaten, Techniken und Praktiken eine nunmehr größere Rolle. Gleichzeitig erhalten ihre rekursiven Wechselwirkungen, ihre genreübergreifenden und grenzüberschreitenden Transformationen wie crossmedialen Übersetzungen und symbiotischen Synthesen, oder gerade auch ihre gegenseitigen Brechungen, Überblendungen und Durchkreuzungen, eine neue bedeutungsvolle Aufmerksamkeit. Dazwischen – intermedial gesehen – entwickeln sich nunmehr neue ästhetische Ausdrucksformen, die mehr als nur die Summe einzelner Medien und ihrer gemeinsamen Kombinationen sind. Auch ein Musikvideo ist heute dann nur wirklich intermedial, wenn es ein multimediales und transdisziplinäres Nebeneinander der vormals in der Moderne distinkten Einzelmedien (Sprache/ Text, Klang/Musik, Bühnenbild/Set, Licht, Choreographie, Kostüm u. a. m.) in ein kohärentes szenographisches Gesamtkonzept integriert, das durch die Sichtbarwerdung dieser Einzelmedien und ihrer gegenseitigen Durchdringungen wie kreativen Verschmelzungen oder Verwerfungen letztlich neue ästhetische Formen gebiert und dabei nunmehr auch cross-modale Wahrnehmungsformate für das Publikum bereithält. Das heißt, ein und dasselbe Musikvideo kann beispielsweise heute in einem bestimmten Kontext als reiner kommerzieller Werbclip, in einem anderen wiederum als freie Kunstform wahrgenommen werden, weil es aufgrund seiner formalästhetischen wie inhaltlichen Heterogenität als komplexe Hybridform unterschiedliche, miteinander verwobene ästhetische Rezeptionsformen bereithält, die auch in ihrer synthetischen Kombinatorik vom Publikum goutiert werden können. Seine jeweiligen Gebrauchs- und Aneignungsweisen durch ein partizipierendes Publikum entscheiden am Ende heute schließlich immer mehr auch neben der Wertschätzung über die klassifizierende und begriffliche Kategorisierung. Ein konkretes Beispiel hierfür bildet die weit verbreitete Marketingstrategie eines verdeckten oder gar offenen Product Placements in Filmen oder Videos. Im Grunde wäre damit auch die im Internet gestellte Frage zu Justin Timberlakes offiziellem neuen Musikvideo Suit & Tie (2013; Regie: David Fincher) eigentlich bereits für die Zeit völlig obsolet: »Did Justin Timberlake make a music video or fashion ad?« – d. h. ein Modevideo für den US-amerikanischen Stardesigner Tom Ford, dessen aktuelle Label-Kollektion von dem gutaussehenden Popmusiker en passant mit einem souligen Touch und einem aus Hollywood-Filmklassikern bekannten Hauch von mondänem Frank-Sinatra-Style im gesamten Videoclip durchweg elegant vorgeführt wird (Abb. 62). Neben dem Markenzitat im szenographierten Musikvideoclip wird schließlich gleichzeitig auch das Branding von Justin Timberlake zu einer einmaligen Popmarke bemerkbar. Augenscheinlich muss sich jede kreative Leistung heute selbst auch eine wirksame Bühne für ihre dauerhafte, nachhaltige Wahrnehmung im globalen Wettbewerb um Aufmerk-

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samkeit schaffen – dies gilt umso mehr, wenn es um Produktionen auf einem schnell vergänglichen, sich modisch schnell wandelnden Feld des Konsums geht.

Abb. 62: Filmstill aus dem Musikvideo Suit & Tie von Justin Timberlake (2013); Regie: David Fincher

HAUTE COUTURE FASHION IM MUSIKVIDEO Es sind die großartigen Laufsteginszenierungen des Londoner Designers, die ihm einen Platz im Modeolymp sichern. Von Highland Rape im Jahre 1995 bis Plato’s Atlantis im September 2009 hat er die visionärsten und in ihrer Vielschichtigkeit schillerndsten Modeschauen der vergangenen 15 Jahre geschaffen. Alexander McQueen war ein Modekünstler. Und der Laufsteg seine Bühne,

schrieb der Wiener Standard in einem Nachruf auf den Briten Lee Alexander McQueen, der sich nur 40-jährig am 11. Februar 2010 in seiner Londoner Wohnung das Leben genommen hatte. Die legendär szenographierten und mit einer bedeutungsvollen Assoziationsvielfalt durchsetzten Modenschauen der Marke Alexander McQueen sind vielen über das Tagesgeschäft hinaus noch lange im Gedächtnis geblieben und bilden heute bereits den Gegenstand von wissenschaftlichen wie gut besuchten Museumsausstellungen. So gewährte die erste große Alexander-McQueen-Retrospektive Savage Beauty im New Yorker Metropolitan Museum of Art 201121 gerade auch den multimedialen Scenographic Fashion Shows einen eigenen Raum der Betrachtung und Reflexion. Sowohl im Ausstellungsraum als auch auf der offizielle Ausstellungswebsite wurden neben ausgewählten Höhepunkten und ausgestellten originellen Showpieces der verschiede21 Siehe hierzu die Website online unter http://blog.metmuseum.org/alexandermcqueen/about (letzter Zugriff: Juli 2015).

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nen gefeierten McQueen-Kollektionen auch zahlreiche Catwalk-Fashion-Videos gewürdigt.22 Gemeinsam mit dem anerkannten britischen Modefotografen und Videoregisseur Nick Knight hatte der englische Modedesigner23 am 6. Oktober 2009 in Paris eine seiner letzten spektakulären Modenschauen inszeniert, die seinen Ruhm als künstlerisch-konzeptuell herausragender Modedesigner der jüngeren Geschichte ganz wesentlich mitbegründete. Die Spannungsverhältnisse von Natur und Technologie, Evolution und Devolution, Vergangenheit und Zukunft dominierten als großes Thema die Entwürfe der Alexander McQueen Spring/Summer 2010-Kollektion. Ihre Präsentation sollte erstmals auch direkt per Livestream ins Internet übertragen werden – gleichzeitig mit der Weltpremiere eines neuen Lady Gaga Songs, der das LaufstegFinale fulminant mit den Sounds und Vocals der ersten Singleauskopplung Bad Romance aus dem zweiten Musikalbum The Fame Monster untermalen sollte. Die Ankündigung dieser mit dem prominenten Showact von Lady Gaga ergänzten Scenographic Fashion Show über Social-Media-Plattformen wie Twitter und Facebook führte allerdings auch zu einem technischen Zusammenbruch des geplanten Livestreams aufgrund zu vieler zeitgleicher weltweiter Serverzugriffe durch die globale Lady-Gaga-Fangemeinde. Im nachträglich produzierten Videoclip (2009; Regie: Francis Lawrence) zu diesem Runway-Soundtrack trug der USamerikanische Popstar wiederum maßgeschneiderte Bestandteile jener spektakulären McQueen-Kollektion als Kostüm am Leib (Abb. 63). Im Sommer 2015 wurde bekannt, dass Lady Gaga drei Paare der ikonischen Armadillo Boots bei Christie’s als Erinnerung an den verehrten Alexander McQueen ersteigerte. Auf der Plattform DazedDigital wurde zu diesem privaten Erwerb auch eine offizielle Pressemitteilung veröffentlicht, die nicht nur nochmals auf das Musikvideo verweist, sondern auch eine sehr persönliche Verneigung an den früh verstorbenen Kult-Modedesigner ist und neohagiographische Züge trägt: There is no diamond, no award, nothing I ever wanted more than a memory of my brief friendship with McQueen. I am sad every day that I enter my closet, knowing he is not here anymore to dazzle the world with his beautiful, dark, limitless, brave mind. These shoes are the only tangible piece I have left of our work together. They came to me this morning, after a dream I had again about him. As the dream goes, I enter my closet and his clothes are no longer there. I’m tortured. The loss is deep. Mourning in my own way constantly, why he is gone, he was so talented. I hate the empty space, not only in fashion, but in the creative consciousness that fizzled when he passed. This morning I got the call I would now be the caregiver to three pairs of armadillo platforms, just like the kind I wore in the ›Bad Romance‹ video, the shoes from his crescendo collection »Plato’s Atlantis«, the ones that 22 Online unter http://blog.metmuseum.org/alexandermcqueen/video (letzter Zugriff: Juli 2015). 23 ������������������� Vgl. Kristin Knox: Alexander McQueen: Genius of a Generation, London (A & C Black Publishers Limited) 2010. Zur Szenographie der McQueen-Fashion-Shows auch Steffen Hägele: Dramaturgie des Erweiterten Laufstegs. In: Archithese 4 (2010), S. 98–101.

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made everyone gasp from the front row because they had never seen something like them before. I was reminded this morning that he is still here. He is everywhere. In every store window. In the designs of commercial mainstream retail, fashion, in music, in the heart of every young designer that wishes he could be as free and as fearless as McQueen was. I cried all morning, convinced he was with me. Convinced that I’m loved from somewhere far beyond the eternal body and mind, outside of all the chaos. He wanted me to have them. They made their way back to me. I am here today not just because of my talent, but because he believed in me. My weird brand of art pop manic expression of my emotions was the part of me he knew he taught me. I will be grateful long after I pass and join him wherever it is they put souls like us. Long live McQueen.24

Abb. 63: Filmstill aus dem Musikvideo Bad Romance von Lady Gaga in einem Showoutfit von Alexander McQueen (2009)

Der Superstar Lady Gaga ist dabei – wie viele andere Popgrößen im aktuellen internationalen Musikvideo-Geschäft – nicht an jeweils bestimmte Modemarken gebunden, sondern geht, beraten durch Stylisten, für die Visualisierung ihrer Album-Tracks/Songs immer wieder neue strategische Allianzen für ihre Bühnenshows und Videos ein. Lediglich die Kernbotschaft (core values) der jeweiligen Marken muss dabei die musikalische Inszenierung sinnvoll verstärken oder markierend ergänzen. So kooperierte Lady Gaga dann auch prominent mit dem Label Thierry Mugler, für das zu jener Zeit ihr persönlicher Stylist und Image­berater Nicola Formichetti25 zugleich als Chefdesigner und Szenograph fungierte. Die Singleauskopplung Scheiße aus dem zweiten Musikalbum Born This Way diente wiederum als Runway-Soundtrack für Muglers düster-surreale Menswear Winter 2011/12-Show Anatomy of Change feat. Male-Model Rick Genest, der mit seinem markanten Bodydesign als total tätowierter »Zombie Boy« auf dem Laufsteg international große mediale Aufmerksamkeit genoss. Nach dieser spektakulären Fashionshow erschien unter der Regie von Mariano Vivanco für Lady Gagas 24 ������������������������������������������������������������������������������������������ ���� DazedDigital v. 24. Juli 2015, online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/25641/1/gagajust-bought-those-mcqueen-armadillo-boots (letzter Zugriff: Juli 2015). 25 Siehe die Website des Stylisten und Designers online unter www.nicolaformichetti.com (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Single Scheiße noch eine filmische Inszenierung dieser Runway-Szenographie als Web-Only-Musikvideo, das auf den einschlägigen Videokanälen im World Wide Web, wie beispielsweise auf Vimeo und YouTube, jederzeit von den Mode- wie Musik-Fans bequem angeklickt werden konnte. Vor Ort in Paris lief die technisch aufwendig inszenierte und musikalisch prominent unterlegte Alexander-McQueen-Modenschau Plato’s Atlantis jedoch trotz des Server-Zusammenbruchs recht reibungslos nur für das exklusiv geladene Publikum routinemäßig weiter. Die Anwesenden wurden zudem über eine integrierte Closed-Circuit-Technik von zwei Kamerarobotern und einem gigantischen LED-Screen neben den gestylten Models auf dem Catwalk selbst in den Mittelpunkt dieser technisch unterstützen Präsentation gerückt. Das spektakelhafte Ereignis einer saisonalen Modenschau wird damit auch visuell als eine geschlossene rituelle Gemeinschaft mit sozial verteilten, aber miteinander inter-agierenden Rollen aus Performern und Zuschauern höchst augenscheinlich auf einer großen sichtbaren Bühne zelebriert. Performer und Partizipienten sind somit beide gleichermaßen kulturelle Akteure in einem gemeinsamen Schauspiel. Im Zeitalter des Internets besteht diese besondere kultisch-rituelle Gemeinschaft, die Fashion Community, heute freilich weithin aus real wie virtuell versammelten Anwesenden. Für ungefähr 15 Minuten lang konnte das Livepublikum 2009 in Paris dabei nahezu wortwörtlich in eine multimediale Inszenierung eintauchen, die den Catwalk zu einer selbstbezüglichen und kollektiven Performance-Bühne der gegenseitigen Bespiegelungen und medialen Betrachtungen machte. Der technisch mit riesigen Industriekamerarobotern ausgestattete, puristisch-weiße Laufsteg lieferte neben der beeindruckenden Parade der zierlichen Models in mystisches Meeresblau gefilterte, polyperspektivische Liveaufnahmen der lokalen Gesamtszenerie und dazu noch vorgefertigte audiovisuelle Einspielungen auf einem wandfüllenden LED-Screen an der Laufstegstirnseite. Ein von Alexander McQueen, Nick Knight und Ruth Hogben (Showstudio) dafür eigens konzipierter Fashionfilmclip bildete den Prolog des eigentlichen Live-Defilees der Dramaturgie der aufeinanderfolgenden diversen thematischen Looks auf dem zentralen Catwalk. Die Videofilmsequenzen eröffneten dabei auch ein atmosphärisches und assoziationsreiches Narrativ für die gesamte bildtechnologisch bestückte Bühnenshow, das durch den Titel und das vorgegebene Thema jener modischen Saison-Kollektion wiederum semantisch unterstrichen wurde: Plato’s Atlantis. Die Scenographic Fashion Show von Alexander McQueen bildete dabei ein Potpourri aus High-and-Low-Culture, aus Plato und dem uralten Atlantis-Mythos, kombiniert mit visuellen Anklängen an popkulturelle Science-Fiction-Filmproduktionen der Gegenwart, aus Naturgeschichte, Charles Darwin und seiner Evolutionstheorie, wie auch weiteren Diskussionen und aktuellen Debatten, beispielsweise den epidemischen Sorgen um den weltweiten Klima-

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wandel und damit einhergehenden Meeresanstieg. Diese inhaltlich-thematischen Ansätze bildeten frei assoziierend die wesentlichen semantischen Referenz- und Eckpunkte für die weitere künstlerisch-konzeptuelle Szenographie der letzten großen Modenschau von Alexander McQueen. Modedesign liefert heute demnach nicht mehr nur semiotisierte kulturelle Gestaltungsprodukte, sondern auch ganzheitliche Ereignisse, die als kunstästhetisch wahrgenommen werden können: Zum Auftakt der Scenographic Fashion Show Plato’s Atlantis zeigte ein auf den gigantischen Wandscreen eingespielter atmosphärisch-assoziativer Fashionfilm als spannungsvoller Show Opener das bekannte brasilianische Top-Model Raquel Zimmermann in der Rolle als sich lasziv an einem Meeresstrand räkelnde schaumgeborene Venus, die offensichtlich von Poseidons Seeschlangen dekorativ wie ornamental umspielt wird. In den weiteren Filmsequenzen transformieren sich diese bedrohlich wirkenden Schlangen jedoch in kunstvoll bewegte, dekorative Ornamente und abstrakte Formfigurationen, die den computergenerierten Stoff- und Printmustern der aktuellen McQueen-Kollektion nahekamen. Das weibliche Idol auf der Showbühne mutierte dagegen zusehends zu einer in tiefes Blau getauchten, geheimnisvollen monströsen Unterwasserweltfigur. Neben dem anschließenden, streng durchchoreographierten Defilee der extrem feingliedrigen und hochgewachsenen Models auf dem langen puristischen Laufsteg, die in dieser saisonalen Kollektion von Alexander McQueen mit ihren Looks und Styles den popkulturellen Vorstellungen von fantastisch märchenhaften Meeresbewohnern aus dem sagenumwobenen Atlantis wie auch den bizarr mutierten Sci-Fi-Kreaturen à la HR Gigers Alien oder James Camerons PandoraAvataren entsprachen, waren jedoch gerade die technischen Bildmaschinerien, die beiden auf zwei Schienen selbstlaufenden, vorprogrammierten monströsen Kameraroboter, die eigentlich handelnden kreativen Performer auf dieser multimedialen Schaubühne. Bereits 1999 hatte Alexander McQueen für seine Spring/Summer-Kollektion No. 13 automatisierte Robotermaschinen als spektakuläre Performer auf die Catwalk-Bühne der zeitgenössischen Mode gebracht. Zwei Industrieroboterarme besprühten hier in bester Action-Painting-Manier das weiße Tüllkleid des Ballerina-Models Shalom Harlow und kreierten somit direkt vor den Augen eines staunenden Publikums live ein einzigartiges kreatives Stoff-Dessin. Dieser frappierende Performance-Showpart, der gleichzeitig die Hegemonie der menschlichen Kreativität zugunsten der künstlichen Intelligenz der Technik subtil hinterfragte, war augenscheinlich durch zeitgenössische Kunstinstallationen und -performances inspiriert, was man ohne Weiteres hier auch als eine Hommage und Reverenz an die zeitgenössische Kunst mit Künstlern wie Rebecca Horn oder Jeffrey Shaw hat lesen können. Die ungewöhnlich bizarren Schuhentwürfe dieser Plato’s Atlantis-Kollektion von Alexander McQueen, die an monströse Krabbenscheren oder tierische

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Hufe erinnerten, und instant nicht zuletzt durch das Lady Gaga Musikvideo Bad Romance weltweit rege mediale Aufmerksamkeit und große Beliebtheit genossen, wurden stellvertretend für die weiteren modischen Looks der Saison ebenfalls von dem an der Show beteiligten Fotografen und renommierten Videoregisseur Nick Knight zusätzlich fotografisch ins Bild gesetzt wie auch im Musikvideo von Lady Gaga filmisch in Szene gesetzt (Abb. 64): One of the strongest features of the ›Plato’s Atlantis‹ collection is its outrageous footwear, which made headlines around the world. […] the »monster« stilettos, melted and twisted plastic meant to evoke a post-nuclear apocalyptic landscape after the ecological meltdown of the planet.26

Abb. 64: Filmstill aus dem Musikvideo Bad Romance von Lady Gaga (2009)

Die Dramaturgie des gesamten Defilees der verschiedenen Looks und Styles auf dem futuristisch-puristischen Laufsteg folgte somit dem gedanklichen Konzept und der Vision einer zukünftigen evolutionären Transformation des Menschen über ein futuristisches Reptilienstadium hinaus zurück zu dystopischen Amphibien und schillernden Meeresgeschöpfen in geheimnisvoll tiefen, dunkelblauen Unterwasserwelten. Evolution wurde hierbei auf dem Laufsteg als visuelle Devolution und kreative Verwandlung wie auch Umgestaltung imaginiert und, in mehrfachem Sinne, in ihren sukzessiven Schritten präsentiert: »Darwin’s theory of evolution in reverse«, wie es Alexander McQueen dabei selbst auf den Punkt gebracht hatte. Die aus diesem thematischen Konzept entwickelte und auf die im modischen Fokus stehende große Schaubühne gesetzte Vision eines neuartigen ›fantastischen‹ menschlichen Schönheitsideals aus bizarren Elementen und grotesken Motiven, die dem biologischen Ornament und den natürlichen Mus26 Knox 2010: 130.

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terungen von Insekten, Faltern, Schlangen, Reptilien, von Amphibien, Fischen, Quallen und anderem schillernden Meeresgetier der geheimnisvollen Tiefsee entlehnt worden waren, bildete somit in nuce für die Gesamtszenographie der Scenographic Fashion Show wie auch für die anschließende visuelle Kampagnenwerbung aus Fotografien und Videos im Weiteren den wesentlichen ästhetischen Ausgangspunkt der werbenden Inszenierung dieser bereits in sich schon selbst höchst spektakulären Modekollektion. Das exzentrische »Mother Monster«, wie Lady Gaga gerne von ihren Fans genannt wird, fand hier für ihr Popimage kongenial den modisch-aktuellen ästhetischen Anschluss. Mit dem Release ihres neuen Albums Artpop Ende 2013 wandte sich die US-amerikanische Popsängerin Lady Gaga noch stärker und expliziter für die Konzeption ihrer Szenographien auf der Bühne wie im Musikvideo der zeitgenössischen Kunst und dem Design zu, und ging dafür enge Kollaborationen u. a. mit Künstlern wie Jeff Koons, Marina Abramovic und Robert Wilson ein. Gleichwohl wurde Lady Gaga dabei wiederum für ihre populären Musikvideos wie beispielsweise Applause (Regie: Inez van Lamsweerde & Vinoodh Matadin) prominent mit aktuellster Luxusmode, etwa von Maison Martin Margiela, eingekleidet. Die exzentrische Sängerin und Performerin startete darüber hinaus in der Rolle als Fashion Testimonial und Celebrity Model eine exklusive Werbekampagne mit dem Haus Versace und mutierte dabei kurzfristig optisch zum Double von Kult-Modedesignerin Donatella Versace, die Lady Gaga zugleich mit dem Album Track Donatella musikalisch feiert. Währenddessen verließ ihr gefeierter Stylist Nicola Formichetti im selben Jahr noch die Marke Thierry Mugler und fungierte danach auch nicht mehr als einflussreicher und prominenter Imageberater für Lady Gaga, sondern fand in der jungen US-Raptress Brooke Candy eine neue Muse, um gemeinsam mit ihr über verschiedene Kommunikations- und Präsentationsformate die Marke Diesel neu zu branden. Nach diversen Modefotos für den Printbereich und einigen klassischen Werbeclips für Diesel engagierte Nicola Formichetti als neuer Chefdesigner der alten italienischen Denimmarke im April 2014 die Rapperin aus LA als Live-Music-Act seiner ersten Diesel-Fashionshow in Venedig. Gleichzeitig übernahm er wiederum das Styling für die Produktion des zeitgleich veröffentlichten aufsehenerregenden Musik­videos ihres aktuellen EP-Tracks Opulence, das unter der Regie des renommierten Modefotografen Steven Klein in Szene gesetzt wurde (Abb. 65). Die lange Liste der parallel im Internet zum Release dieses spektakulären Musikvideos veröffentlichten sogenannten Fashion Credits27 liest sich neben der darin besonders gefeatureten Marke Diesel dabei wie ein Who’s who des derzeit angesagten zeitgenössischen Modedesigns. In diesem modisch wahrlich ›opulenten‹ Musikvideo kulminiert nun auch das zuvor Ausgeführte in höchst strategi27 Siehe online www.nicolaformichetti.com/brooke-candy-opulence-fashion-credits (letzter Zugriff: Juli 2015).

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scher Weise – denn wir sehen darin nämlich die eindrückliche Konvergenz und unaufhaltsame Hybridisierung von Musikvideo und Modewerbung, von Kunst und Design im bewegten und akustisch untermalten Bild.

Abb. 65: Filmstill aus dem Musikvideo Opulence von Brooke Candy (2014); Regie: Steven Klein

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird Modedesign daher nicht mehr nur im Musikvideo direkt atmosphärisch zitiert, etwa in Form von Found Footage, das wie beispielsweise in Kraftwerks Musikvideo Das Model (1978) als Originalfilmmaterial von Modenschauen der 1950er- und 60er-Jahre in ein Musikvideo-Format hineingeschnitten wird, sondern die Mode und ihre vielfältigen Inszenierungsformen selbst bilden heute in ihrer spektakelhaften wie emotionalisierenden Ereignisform einen grundlegenden szenographischen Bestandteil aller Auftritte. Verschiebt sich im Design das kreative Gestalten allmählich weg von Objekten hin zu Objektperformanzen, vom Material zum Image, von der Produkt- zur Markengestaltung, so muss auch im szenographierten Musikvideo heute nicht mehr primär nur ein rein kommerzielles Medienformat für aktuelle Popsongs, sondern vielmehr, im Sinne der Actor-Network-Theory betrachtet, eine mediale Schnittstelle mehrerer unterschiedlicher kreativer Präsentationspraxen gesehen werden, die hier eine ereignishafte und einmalige Verknüpfung eingehen, während sie sich kreuzen. In ihr werden die modernen autonomen Gestaltungsdisziplinen zu einem sozialen Kommunikationsnetzwerk aus Kreativen, Broadcastern wie Konsumenten – Produzenten, Performern und Fans – neu verwoben. Szenographierte Mode und ihre Markeninszenierung bilden heute somit einen wesentlichen Knotenpunkt in einer konsumistisch gesteuerten, sogenannten (kunst-)

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ästhetischen Ökonomie des globalen Zeitalters: Marken werden dabei Medien, aber Mode wird letztlich nicht nur in und von den Medien gemacht, sondern findet immer noch in sozialen Interaktionen auf den Straßen und in den gesellschaftlichen Räumen statt. Neu ist, dass der Inszenierungswille auf beiden Seiten zugenommen hat: Dem Einfluss und der Macht der Streetstyles hält die Mode, und insbesondere die Haute Couture, heute ihre spektakulären Szenographien entgegen.

5. MODE UND MARKEN, INSZENIERT IM WARENSCHAUFENSTER SCENOGRAPHIC WINDOW DESIGN Ein gelbes Taxi durchfährt am frühen Morgen Manhattan. An der 727 Fifth Avenue entsteigt ihm eine junge Frau in mondäner Abendgarderobe. Sie trägt ein kleines Schwarzes von Givenchy. Vor den Warenschaufenstern des bekannten Tiffany-&-Co-Gebäudes entnimmt die flanierende Elegante nonchalant ihr französisches Frühstück aus einer mitgebrachten Papiertüte. Die Szene spiegelt sich auf den Glasscheiben der luxuriösen Geschäftsfassade wider. Wie in einem granitenen Tresor liegen dort hinter dem dicken Sicherheitsglas kostbar funkelnde Diamanten zur Schau. Es bleibt offen, was zunächst mehr dem Blick der das Schaufenster betrachtende Frau gilt: der narzisstischen eigenen Projektion in die hier ausgestellte Luxuswarenwelt, mit der die Schöne in der optischen Spiegelung eins wird, oder den kunstvoll inszenierten glitzernden Schmuckwaren, die hinter der Transparenz des Schaufensterglases doch plötzlich so greifbar nah scheinen. Der hier geschilderte außergewöhnliche Schaufensterbummel in New York City ist freilich die mit der sentimental-romantischen Moon River-Melody unterlegte filmische Eröffnungsszene des weltberühmten Hollywood-Klassikers Breakfast at Tiffany’s (1961; Regie: Blake Edwards; Abb. 66). Eine weitere Kameraeinstellung zeigt uns im Folgenden die Schauspielerin Audrey Hepburn, die in diesem Film nach einem Roman von Truman Capote das sehnsuchtsvolle ›Fashion Victim‹ Holly Golightly spielt, auch aus einer ungewohnt umgekehrten Perspektive, die den Kunden der Warenkaufhäuser in der Regel verwehrt bleibt: Denn aus dem Schaufensterraum heraus mit der Filmkamera aufgenommen, erblicken wir so den wahren Mittelpunkt, auf den die gesamte dekorative Inszenierung der opulenten Auslagen im Warenschaufenster1 letztlich immer strategisch ausgerichtet ist: auf uns, die Kunden und Kundinnen, die auf den hektischen Großstadtstraßen mit aufmerksam und neugierig gewordenen Blicken plötzlich haltmachen und deren Interesse dabei von einer sinnlichen Warenästhetik und -inszenierung gänzlich eingenommen wird. Obgleich die Szene schon vor mehr als 50 Jahren in New York City spielt, scheint sie bis heute paradigmatisch in ihrer universalen Zeitlosigkeit. Dekorative Warenschaufenster und attraktive Fensterauslagen stellen bis heute einen wesentlichen Bestandteil von Urbanität dar. Handelt es sich dabei noch um jene von weltberühmten und exklusiven Luxusmarken wie beispielsweise Tiffany & 1 Vgl. hierzu auch Schaufenster-Botschaften. Ein Piktorial zur Ikonografie des Urbanismus in Peter Weibel: Architektur und Medien. Die Künste des Raumes im Zeitalter der Medien, Wien/Karlsruhe/ Ostfildern 2015 (= Enzyklopädie der Medien 1), S. 141–194.

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Co, dann sprechen wir sicherlich auch von Metropolen und Global Cities. Sind die Schaufenster nicht nur dekoriert, sondern szenographiert, dann sprechen wir heute von einem besonderen Marketingtool, dem Scenographic Window Design.

Abb. 66: Filmstill aus Breakfast at Tiffany’s mit Audrey Hepburn (1961); Regie: Blake Edwards

Die Konzeption und Gestaltung eines urbanistischen Warenschaufensters müssen dabei zunächst systemisch verstanden werden: Sie sind Bestandteil eines weiteren Retaildesigns für Mono- oder Multibrandstores und ein wesentliches Element in der Fassade der Architektur eines städtischen Warengeschäftes oder eines ausgewiesenen Luxury Flagship Stores.2 Im räumlich-architektonischen Gesamtkonzept aus Gebäudearchitektur und Innenarchitektur, das bei den großen globalisierten Luxus- und Kultmarken, den Global Brands, heute ganz einer einheitlichen 2 Vgl. Sabine Fließ/Sarah Kudermann/Esther Trell: Der Einfluss von Schaufenstern auf die Erwartung der Konsumenten – Eine explorative Studie (Diskussionsbeitrag 404 [April 2007]), passim, PDF online unter http://managementconsult.de/wp-content/uploads/2009/04/kudermann-der-einflussvon-schaufenstern.pdf (letzter Zugriff: August 2015).

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und umfassenden Markenidentität respektive Corporate Identity unterworfen ist, und somit mitunter zur signifikanten Markensignatur gerät, bildet es auch heute eine immer noch nicht unwichtige direkte physische Schnittstelle zwischen dem Unternehmen und dem Kunden. Im Zeitalter von boomenden Onlineshops und Digital-Flagshipstores im Internet ist es der reale, einmalige physische Ort aus Aufmerksamkeit gestaltenden, Atmosphären produzierenden oder Geschichten erzählenden, emotionalisierenden (Ober-)Flächen. Diese sinnlich gestalteten Oberflächen der kommerziellen Verkaufsräume stellen ein abgegebenes Versprechen dar, das noch vor der tatsächlichen Erfahrung des realen, funktionalen Gebrauchswerts von Waren und Produkten des Konsums liegt. Erst hinter den verführerischen Schaufenstern und einladenden Eingangstüren liegt schließlich der wahre Point of Sale, der heutigentags zum intensiven Erlebniseinkauf im urbanen Raum werden soll. Spektakulär ausdekorierte Warenschaufenster sind dabei schon immer eine wichtige visuelle Verkaufsförderung gewesen und heute ein wesentliches szenographisches Advertising des urbanen Einzelhandels.3 Als erste Aufmerksamkeit und selektiv steuernde Wahrnehmung gestaltender, integraler Bestandteil der gesamten Geschäftsfassade schaffen sie eine erste Sichtbarkeit und locken potenzielle Kunden von der Straße ins Ladeninnere hinein. Ihre Store Window Displays bilden dabei eine besondere Konfiguration aus multiplen sinnlichen (An-)Reizen, die letztlich zum sofortigen Kauf vor Ort animieren sollen. Effizient szenographierte Geschäftsfassaden und attraktive Fensterauslagen haben dabei grundsätzlich eine stark appellative und affektive Wirkung, die heute neben spektakulären Ansichten wesentlich über visuelle Narrationen und atmosphärische Emotionalisierungen arbeitet. Ein exklusives Ladengeschäft in einer attraktiven Großstadt funktioniert heute dabei sowohl für den einheimischen Kunden als auch für den globalen Touristen nicht einfach mehr nur als eine direkte lokale Kauf- und Informationsstelle, sondern vielmehr als ein atmosphärisch aufgeladenes Produkt- und Markenreich, in das es im mehrfachen Sinne möglich wird einzutreten. Die Marke und ihr Store werden dabei zu einem Bestandteil des urbanen Erlebnisses und zum einmaligen lokalen Ereignis. Dabei geht es vor allem darum, mit großer Wirkung und Nachhaltigkeit die notwendigen gläsernen Sicherheitsschranken regelrecht zu durchbrechen, wie ein inszeniertes Warenschaufenster für den Apple-Konzern in San Francisco bereits mit einem wohlmeinenden selbstironischen Augenzwinkern ob der gestalterischen ›Produktionsmaschinerie von Begierden und Begehrungen‹ vor einigen Jahren bereits vorgeführt hat (Abb. 67).

3 Vgl. hierzu auch Pamela C. Scorzin: Zeitgenössische Schaufensterkunst der Global Brands. In: Ruth K. Scheel/Stiftung Pro Klingentalmuseum Basel (Hg.): Schaufensterkultur – Inszenierte Warenwelt in Basel. Kat., Basel (Christoph Merian Verlag) 2013, S. 80–93.

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Abb. 67: Store Window Display für Apple (2006) mit patrouillierenden Wachmännern

Inszenierte Warenschaufenster können somit mehr als nur eine hübsche Ausdekorierung darstellen, indem sie ein besonderes Thema oder inhaltliches Konzept aufgreifen, das beispielsweise mit dem Image einer Marke kongenial konform geht; es verstärkt, interpretiert, pointiert oder auch selbstreflexiv damit spielt. Dann sind urbanistische szenographierte Schaufenstergestaltungen auch als ein nicht unwichtiger Bestandteil für das Branding und die Markenpflege eines Warenhauses insgesamt zu bewerten: als wirksames visuelles Merchandising 4 für eine kontinuierlich fortlaufende Markenkommunikation neben der vordergründigen Verkaufsförderung, die auch die sogenannten Core Values, die DNA und Kernbotschaft einer jeweiligen Produktmarke, zwischen stabiler unverwechselbarer Markenidentität und anhaltend generierter Aufmerksamkeit – durch stete Neuheit und Innovation oder adäquate Saisonalität respektive immer wieder überraschende Originalität – im harten globalen Wettbewerb vermittelt und damit der Marke eine quasi personale, individuelle Präsenz auf dem Markt verschafft. Sorgfältig und aufwendig inszenierte Themenschaufenster eines Unternehmens ermöglichen somit auch die instante, prägnante visuelle Vermittlung eines Markenproduktes und seiner jeweiligen Markenbotschaft. Mit einer global rezipierbaren Formensprache und visuellen Rhetorik müssen sie den unverwechselbaren Geist einer Marke anschaulich, glaubwürdig, wahrhaftig und authentisch zur Geltung bringen und in einem ›Augenblick‹ für den Kunden mit einer bildhaften Szenerie sinnlich erlebbar machen.

4 Vgl. Matthias Spanke/Sonja Löbbel: Erfolgreiches Visual Merchandising, Frankfurt am Main 2012.

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Zentral ist es daher gerade für die großen Luxusmarken, dass die Szenographien ihrer saisonalen und temporären Schaufenster weltweit einerseits eine stilistisch-ästhetische Kontinuität und unverwechselbare einheitliche Wiedererkennbarkeit ohne langweilige Gleichförmigkeit oder stereotype Wiederholung bieten. Gemeinsam ist ihnen dabei auch eine jeweils besonders zielgruppenspezifische Ausrichtung der urbanen Schaufenstergestaltung, die darin nicht nur aktuelle Waren und modische Produkte wirkungsvoll zur Schau stellt, der Öffentlichkeit real vor Ort präsentiert, sondern dabei auch das jeweilige Image, das Ereignis und das Erlebnis einer Marke einprägsam inszeniert. Das inszenierte Warenschaufenster fungiert schließlich dabei als eine kleine (Theater-)Bühne, auf der der erste entscheidende Akt im großen Konsum-Spiel aufgeführt wird. Von dem, was hier gezeigt und erzählt wird, hängt schließlich ganz der Fortgang der weiteren Erfolgsgeschichte ab: Szenographierte Schaufensterauslagen mit ihren originellen Markeninszenierungen beeinflussen schließlich entscheidend die erste Erwartungsbildung von Konsumenten bezüglich der Attraktivität und Qualität eines Einzelhandelsgeschäftes – beispielsweise durch die Demonstration ihrer künstlerisch-konzeptuellen Sorgfältigkeit, durch den dabei betriebenen materiellen Aufwand und der verwendeten Sorgfalt, mit der sprichwörtlichen Liebe zum gestalterischen Detail. Sie bestechen insbesondere nach weiteren aktuellen Umfragen der Marktforschung immer auch durch eine thematische Klarheit, gestalterische Ordnung und harmonische Struktur sowie insgesamt durch eine einheitliche und einprägsame kreative Gestaltung. All diese gestalterischen Faktoren dienen überdies dazu, bei den städtischen Passanten und Flaneuren zunächst Aufmerksamkeit, Neugier, Interesse und Staunen auszulösen und im Weiteren über die sinnliche Anmutung der Atmosphäre eines szenographierten Schaufensters auch eine mehrfache aktive und selektive Zuwendung an einen theatralisch ausgestellten Gebrauchsgegenstand zu erreichen. Am Ende stehen dann die stete und immer wieder erneute Aktivierung und Animierung zum Kauf und Konsum. Gerade aber bei kunstvoll opulenten Szenographien, die die spontane Kauflust befördern sollen, werden heute die eigentlich dahinterstehende ökonomische Zielsetzung und der wirtschaftliche Hintergrund gerne maskiert. Die tatsächliche Präsenz eines inszenierten materiellen Konsumproduktes, scheinbar nun so leicht direkt hinter Glas für den Kunden greifbar, weckt Begehren und Begierde, wird zur Aufforderung eines ›Haben-Wollens‹ und ›Must have‹, und wirkt doch zugleich auch wie ein Versprechen und eine Verheißung auf ein noch etwas Größeres weil transzendentes Immaterielles, das mit dem schnöden nötigen Kleingeld gleich noch mit ermöglicht wird: Emotionalisiert und affiziert durch eine überwältigende Schaufensterinszenierung, verheißt es doch gerade bei den großen globalisierten Luxus- und Kultmarken auch den potenziellen Erwerb einer besonderen magischen Atmosphäre, eines bestimmten Lifestyles und vielleicht auch einer ganz neuen exklusiven Lebensweise.

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Dafür müssen vor allem jeweils der symbolische Mehrwert und die transzendente Bedeutung anstelle des reinen Funktions- und Gebrauchswerts eines besonderen Markenproduktes in einer elaborierten Mise en Scène zunächst eindrücklich und überzeugend auf- und vorgeführt werden. Temporäre Warenschaufenster mit einem szenographischen Design sind daher als effektvolles Theater en miniature zu verstehen, das positive Affekte adressiert. Ihre Raumkompartimente sind als kleine Bühnen für effiziente Produkt- und Markeninszenierungen zu sehen. Auf das jeweils besondere Image und Prestige einer Marke ausgerichtete künstlerisch-konzeptuelle Ausgestaltungen ermöglichen dabei spektakuläre theatralische Themenfenster, die nicht nur lokal vor Ort viel Aufmerksamkeit und Interesse gewinnen, sondern heute auch schnell über die beliebten Themenblogs der global vernetzten internationalen Internet Communities kommuniziert werden und damit virtuell eine mitunter dauerhaftere weltweite Verbreitung und nachhaltige Präsenz über ihre ephemere Lokalität und schnelllebige Saisonalität hinaus gewinnen können. Dolce & Gabbana promoteten im Winter 2015 ihre Themenfenster überdies eigens mit Trailern aus kleinen Animationen, die, im Internet über Social Media wie Twitter, Instagram und Facebook verteilt, den pelzigen Charakter »BFG« (Big Fashionable Giant) als werbend agierende Schaufensterfigur einführte. Die Statik der Schaufensterszenerie wurde virtuell mit kurzen animierten Erzählungen um die Schaufensterfigur cartoonartig ergänzt: Der drollige, an einen populär-mythischen weißen yeti erinnernde Charakter reist dabei von Land zu Land, von Stadt zu Stadt (bislang von Mailand über New York und Aspen nach Tokio) einmal um die Welt, um in den großen Warenschaufenstern der internationalen Monostores von Dolce & Gabbana die Kundschaft mit den neuesten Kreationen zu überraschen und zu bedienen. Dank der kurzen comichaften WerbeClips mit ihren unterhaltsamen Ankündigungen wusste so die globale Dolce & Gabbana-Community immer, in welchem Geschäft auf der Welt der BFG gerade zu sichten und inmitten eines einmaligen Winter Event Windows touristisch auch ›real‹ zu bestaunen war (Abb. 68). Obgleich die beschriebene werbetechnische Vernetzung von szenographischen Schaufenstergestaltungen potenziell eine hohe Wirksamkeit und eine besondere Nachhaltigkeit verspricht, ist das Scenographic Window Design in der Gegenwart für die breite Öffentlichkeit wiederum erstaunlicherweise ein bislang nur anonymes Design geblieben, d. h., die Namen der hier szenographisch erfolgreich wirkenden Gestalter im Metier eines allgemein florierenden Visual Merchandising und Retaildesigns treten im Bewusstsein des allgemeinen Publikums immer noch deutlich hinter den jeweiligen Markennamen, der Corporate Identity eines Labels oder Global Brands, deutlich zurück. Noch sind Scenographic Window Displays auch kein echtes Autorendesign, obwohl im Internet auf einschlägigen Blogs registrierte und diskutierte szenographische Projekte immer

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häufiger auch dazu führen, dass dabei auch über die Namen dieser erfolgreichen neuen ›Window Dresser‹ gesprochen wird.

Abb. 68: Scenographic Window Dressing von Dolce & Gabbana mit dem Charakter »BFG«, Corso Venezia 7, Mailand (2015 )

Große globale Luxusmarken engagieren für ihre Warenschaufenster deshalb zunehmend auch erfolgversprechende junge oder bereits bekannte Designer, die sich durch ihre außergewöhnliche künstlerisch-gestalterische Handschrift international auch außerhalb ihrer Fachdisziplin schon einen Namen gemacht haben. Ihre temporären Schaufenstergestaltungen werden quasi signiert bzw. deren Autorschaft über Pressemitteilungen und mediale Berichterstattungen werbewirksam für beide Seiten, für das Unternehmen wie für den saisonal beauftragten Gestalter, lanciert. So beauftragte im Winter 2015 prada den renommierten italienischen Designer und Künstler Martino Gamper (geb. 1971 in Meran) für die hochwertige Gestaltung einiger Schaufenster, die das materiell-edle Retaildesign der prada Stores einerseits originell fortsetzte und aufwertete, andererseits die aktuelle Frühjahrskollektion künstlerisch-konzeptionell gesehen kongenial material-ästhetisch in Szene zu setzen wusste (Abb. 69). Martino Gamper ist beispielsweise bekannt für sein ausgesprochenes gestalterisches Faible für Ecken5 jeder erdenklichen Art: Seine mit filmisch bewegten LED-Screens, die in träumerischer Slow Motion majestätisch-sublime Landschaftsszenerien zeigen, und mit 5 Vgl. John Deurell: Nobody puts prada in the Corner. How Surrealist painters and living in a warehouse as an RCA student inspired Italian designer Martino Gamper’s corner obsessed prada collab. In: DazedDigital v. 9. Januar 2015, online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/23099/1/ nobody-puts-prada-in-the-corner (letzter Zugriff: Juli 2015).

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raffinierten taktilen Materialien ausgestatteten wie auch mit optischen Tricks und illusionistischen Täuschungen aufwartenden architekturalen ›Corners‹ für prada verstanden sich dabei nicht nur als einen atmosphärischen Hintergrund für das Design der aktuellen Modekollektion mit ihren ausgewählten Stoffen und Mustern als Basics, sondern zugleich auch kontrapunktisch als eine Hommage an simple Dinge wie die Ecke. Das Design orientiert sich an Perspektiven, Fragmenten und Kontrasten zwischen natürlichen Materialien. Diese Elemente werden verstärkt durch die Schlichtheit einer Ecke, die sich wie ein roter Faden durch sämtliche Darstellungen zieht. Corners ist ein Raum innerhalb des Raums, das aus jeder Darstellung eine einzigartige Geschichte macht, die sich im Verlauf der Jahreszeiten weiterentwickelt.6

Abb. 69: prada-Schaufenster in der Galleria Vittorio Emanuelle II, Mailand (Frühjahr 2015): Corners von Martino Gamper

Die Zusammenarbeit von Martino Gamper und prada ist repräsentativ für einen gegenwärtigen Trend, die zeitgenössische Schaufenstergestaltung aufwendig szenographisch zu überhöhen respektive das Dekorationsmetier bedeutungsvoll zu veredeln, d. h., in ihm mehr als nur eine bloße professionelle Schaufensterdekoration zu verstehen: Dafür suchen die wirtschaftlich großen Labels und Global Brands für ihre saisonalen Schaufenster immer häufiger auch die enge Kooperation und kreative Allianz mit der zeitgenössischen Kunstwelt. Neben die effektvolle Zurschaustellung und ganzheitliche Inszenierung von Markenprodukten in holistischen atmosphärischen Verkaufswelten tritt in jüngster Zeit insbesondere die ›Artifizierung‹ (artification) der kommerziellen Warenschaufenster und edlen Verkaufsräume hervor. Was bedeutet es aber, wenn namhafte zeitgenössi6 Zitiert nach www.prada.com/de/a-future-archive/projects/martino-gamper.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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sche Künstler und Künstlerinnen als Gestalter von Markenunternehmen beauftragt werden? Was macht gerade die freien Künstler so interessant und begehrt für eine auf Zeit angesetzte Kollaboration mit den Global Brands? Und wie sind dann die kreativen Arbeitsergebnisse dieser strategischen Kooperationen zwischen wirtschaftlich orientiertem Markendesign, angewandter und freier Kunst zu bewerten? Eine erste allgemeine Antwort gibt auch hier ein Post aus den schnell reagierenden Fan-Communities, den bekennenden Windowshoppers, im World Wide Web: Redefining everything we ever thought about window shopping, these creative window displays will stop anyone in their tracks. As a mix of art, fashion, design and marketing, they not only have to quickly grab our attention they must compel us to enter a store. By giving people an experience, these displays also have the important duty of helping define a brand’s image. As window displays have started becoming more like amazing art installations or fantastic scenes from a movie, we can only imagine the time spent beforehand – conceptualizing, planning and installing. How wonderful is it, though, when your art comes to life … like this?7

Kunst und Design konvergieren insbesondere in Form von populären Store Window Installations gegenwärtig zu einer neuen aufsehenerregenden Global Design Art. Über die wirksame taktische Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsgestaltung hinaus versprechen diese zeitgenössischen Synthesen aus Design und Kunst offensichtlich einen spezifischen bedeutungsvollen Mehrwert und eine symbolische Transzendenz. Beauftragt für die künstlerisch-konzeptuelle Ausgestaltung saisonaler Themenschaufenster werden dabei gerne in einer beiderseits lukrativen Win-win-Situation zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen, die sich aufgrund ihrer Popularität und Prominenz nicht nur bestens auch als Testimonials für die jeweilige Marke eignen, sondern als über ihre Disziplin hinaus gefeierte Kreative und anerkannte Autoren-Gestalter mit einer besonderen einmaligen künstlerischen Signatur selbst schon einen globalen Markenstatus gewonnen haben. Der Prestige- und Image-Transfer scheint dabei jedoch immer noch mehr in Richtung der Designsphäre zu fließen, während die vermeintlich autonome und freie Kunstszene eine kommerzielle Vereinnahmung und billige Instrumentalisierung ihrer Kunst zu einem bloß valorisierenden Dekor-Element befürchtet und als ›kommerzielle Auftragskunst‹ despektierlich diskreditiert. Einen besonderen Vorreiter in dieser aktuellen Entwicklung bildeten hierbei in jüngerer Zeit gerade die großen globalisierten Luxusmarken wie beispielsweise das Haus Louis Vuitton. Den Höhepunkt langjähriger Kollaborationen des weltweit agierenden Pariser Luxus-Unternehmens mit der zeitgenössischen Kunst bildete 2012 die spektakuläre Zusammenarbeit von Louis Vuitton mit der japa7 Siehe den Post The Art of Window Displays (15 Creative Examples) online unter www.mymodernmet. com/profiles/blogs/the-art-of-window-displays-15 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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nischen Avantgarde-Künstlerin Yayoi Kusama in einer Reihe von künstlerischgestalterischen Projekten und einer limitierten saisonalen Produkt-Kollektion. 8 Während Louis Vuitton gleichzeitig eine erste große Retrospektive der angesehenen japanischen Avantgarde-Künstlerin in der Londoner Tate Modern und im New Yorker Whitney Museum klassisch sponserte, verwendete Louis Vuittons damaliger charismatischer Chefdesigner Marc Jacobs das charakteristische Farben- und Formenrepertoire der inzwischen hochbetagten Yayoi Kusama (geb. 1929 in der Präfektur Nagano), ihre berühmten Polka Dots, poppigen Blüten und phallischen Wave-Formen, nicht nur für ein saisonales und limitiertes ReDesign und ›Re-Fashioning‹ der gesamten Louis-Vuitton-Produktpalette, sondern auch – nach einem All-over-Prinzip und wie schon zuvor in einer überaus erfolgreich erprobten Kooperation mit dem ebenfalls japanischen Künstler Takashi Murakami – als eine einheitliche visuelle Vor- und Maßgabe für die unverwechselbare Corporate Identity des gesamten integralen, ästhetisch-vernetzten Werbeauftritts von Louis Vuitton. Dieser reichte über die heute zur Verfügung stehende gesamte klassische Werbepalette einer ästhetisch vernetzten globalen Kampagne, d. h. von Videoclips (Regie: Angelo Pennetta), über kurze Werbespots und eine interaktive App für Smartphones, Print-Fotostrecken bis hin zu Lookbooks und den künstlerischen Ausstattungen der Louis-Vuitton-Ladengeschäfte. Fassaden, Fenster und Inneneinrichtungen wurden gleichzeitig mit dem unverkennbaren und einmaligen markanten Personalstil der berühmten japanischen Künstlerin als kreativer Signatur versehen und darin künstlerisch valorisiert (Abb. 70 u. 81). Außerdem hatte das Haus Louis Vuitton Yuji Yushimoto beauftragt, von der charakteristischen Persona Yayoi Kusamas mehrere lebensechte Schaufensterpuppen herzustellen, die in verschiedenen Größen zeitgleich weltweit in allen Läden und Schaufenstern die von Yayoi Kusama inspirierten aktuellen Kollektionen ›stellvertretend‹ vorführten (Abb. 70). Wie auch bisweilen das Geschäftspersonal auf den Look von Yayoi Kusama für die Saison umgestylt wurde. Eine besondere Aufmerksamkeit gewannen dabei neben den limitierten modischen Sonderkollektionen für eine breitere Öffentlichkeit gerade auch die konzertierten szenographischen Schaufenstergestaltungen des weltweiten exklusiven Vertriebs- und Verkaufsnetzes von Monostores der Marke Louis Vuitton. Diese wurden nämlich nicht nur als spektakuläre saisonale Schaufensterdekorationen, sondern vom allgemeinen Publikum und der Boulevardpresse auch als ephemere High Art Installations im Stadtraum wahrgenommen und boten gleichzeitig in den urbanen Metropolen eine temporäre Touristenattraktion, die vielfach fotografiert, im Internet geteilt und kommentiert wurde.

8 Siehe hierzu die Special-Website von Louis Vuitton online unter www.louisvuittonkusama.com/ de_DE (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Abb. 70: Yayoi-Kusama-Schaufenster für Louis Vuitton, Fifth Avenue Maison, New York City 2012

Zugleich schien die einmalige saisonale Kooperation von Louis Vuitton und Yayoi Kusama für viele Kritiker jedoch geradezu ein exemplarisches Beispiel abzugeben, wie in Zeiten einer neuen Convergence Culture9 einerseits Einzelhandelsgeschäfte der globalisierten Luxusindustrie immer mehr wie Ausstellungsräume der zeitgenössischen schönen Künste anmuten, und andererseits wiederum vormals unabhängige Kunsträume durch den Einfluss privatwirtschaftlichen Sponsorings zu modischen Advertising- und Marketing-Abteilungen umfunktioniert zu werden schienen. Architektur, Design und Kunst namhafter kreativer Autoren fungierten dabei mit ihren unverwechselbaren ästhetischen Signaturen und originellen künstlerischen Entwürfen nur noch als effiziente Marketing- und Branding-Instrumente der internationalen Luxuslabels. Diese Form der strategischen Allianzen und kurzfristigen Kooperationen von zeitgenössischer Kunst und globalisierten (Privat-)Unternehmen auf dem weiten Feld des Szenographischen kommt jedoch auch nicht ganz von ungefähr, worauf der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich hingewiesen hat, denn:

9 Vgl. Henry Jenkins: Convergence Culture. Where Old and New Media Collide, New York/London 2006.

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Art is defined far less by a practical value, but instead promises conceptual and spiritual qualities. Like a modern branded article, a work of art is said to exist above all in intellectual spaces and to have the power to change the recipient – or consumer. […] Art’s greatest success in the modern age is to have developed the model of a product-related aesthetic and a ›corporate design‹ that guarantees the survival of a capitalist market economy, even if all our basic needs – specific desires – have long since been satisfied and we prefer to consume attitudes and feelings rather than practical values.10

Werden diese neuartigen Formen der künstlerisch-gestalterischen Zusammenarbeit in der freien Kunstszene eher ambivalent wahrgenommen und oftmals auch als Ausverkauf und ultimative Kommerzialisierung der modernen Kunst beargwöhnt, feiern dagegen die globalisierten Luxusunternehmen diese schillernden Kooperationen und öffentlich demonstrierte Ko-Kreativität unter gewaltigem Presseaufwand weltweit als jeweils produktives gestalterisches Zusammenspiel, das zum besonderen urbanen Ereignis und einmaligen Konsumentenerlebnis mit nachhaltigem symbolischen Mehrwert wird. Zugleich lässt sich kunsthistorisch auf eine noch viel ältere und längere Tradition verweisen, denn sowohl Robert Rauschenberg als auch Jasper Johns gestalteten zu Beginn ihrer Pop-Art-Karrieren noch kommerzielle Warenschaufenster aus. Ebenso sind beispielsweise von Friedrich Kiesler, Marcel Duchamp, Dieter Roth oder Henry Moore künstlerische Schaufenstergestaltungen im 20. Jahrhundert überliefert. Am bekanntesten wurde unter den sogenannten ›Künstlerschaufenstern‹11 jedoch Andy Warhols Schaufenstergestaltung für das New Yorker Warenhaus Bonwit Teller & Co. in den frühen 1960er-Jahren, für die der Werbegraphiker und Künstler spektakulär fünf eigene frühe Pop-Art-Werke einbrachte und darin erstmals ausstellte, die heute in Museen und Privatsammlungen hängen (Abb. 71). Die jüngste Bespielung eines Schaufensters eines bekannten traditionellen Warenhauses durch Kunst der Gegenwart war u. a. im Frühjahr 2014 in Düsseldorf zu sehen, die in direkter Kooperation mit der Kunstsammlung NRW geschah. ›Karibik‹ war dabei das übergeordnete aktuelle Thema und Motto der Breuninger-Themenschaufenster auf der Düsseldorfer Nobelmeile »Kö«. Die renommierte Fotokünstlerin Katharina Sieverding, in Berlin und Düsseldorf lebend, stellte dabei auf den ersten Blick aber nicht wirklich einen direkten Bezug zu diesem aktuellen Kampagnen-Motto und der dazu passenden Mode her. Sieverding nutzte vielmehr mit der Installation eines Flachbildschirms den vorgegebenen Schaufensterraum als semi-öffentlichen Showcase für ihre tiefblau leuch­ tende Sonne um Mitternacht, die die Betrachter anzog. Die Videoarbeit strahlte insbesondere zu dämmrigen Abendstunden geheimnisvoll aus einem großen 10 ��������������������������������������������������������������������������������������� Wolfgang Ullrich: Art and Brands: Who learns from Whom? In: ������������������������������� Hans-Jörg Heusser/Kornelia Imesch (Hg.): Art & branding. Principles – interaction – perspectives, Zürich 2006 (= outlines 3), S. 44/54. 11 �������������������������� Vgl. hierzu Nina Schleif: SchaufensterKunst: Berlin und New York, Köln 2004.

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Abb. 71: Andy Warhol: Bonwit Teller Window Display, New York (1961)

Schaufenster nach außen. Sie schien hier überdies mehr für Sieverdings zeitgleiche Einzelausstellung im K21 der Kunstsammlung NRW als für das Traditionswarenhaus Breuninger zu werben – sofern man mit der zeitgenössischen Kunstszene vertraut war. Überdies war die bekannte Stuttgarter Kaufhauskette für Mode des gehobenen Segments auch gerade Hauptsponsor der NRW Landesgalerie geworden. Neben dem klassischen Sponsoring bot Breuninger weiteren Düsseldorfer Künstlern damit eine ungewöhnliche öffentliche Ausstellungsfläche auf Zeit an, zu der Sieverdings nahezu werbemäßig leuchtendes Kunstwerk den spektakulären Auftakt machen sollte. Ein Jahr zuvor war diese avantgardistische Form einer digitalen Neo-Romantik bereits im nicht allzu weit entfernten Museum Schloss Moyland innerhalb eines reinen Kunst- und Ausstellungsraums zu sehen gewesen. Man konnte sie nun wiederum in einem kommerziellen Werberahmen am von Daniel Libeskind neu gebauten Kö-Bogen von der Straße aus ganz ohne Eintrittsgeld bestaunen. Kontext und Vorwissen der Betrachter bestimmten somit die Art der Wahrnehmung und Erfahrung des Kunstwerkes mit, bestimmten jeweils auch über seinen Wert: Kunst, Design oder Kommerz? Drei Jahre lang hatte die mehrfache documenta-Teilnehmerin Katherina Sieverding jedenfalls für ihre poetisch-romantische Sonne um Mitternacht rund 100 000 technische NASA-Satellitendaten über die dokumentierten Sonnenaktivitäten von 2010 bis 2013 gesammelt und digital archiviert, um sie anschließend zu einer magisch-blauen Sonnenkugel mit pulsierenden Protuberanzen und langsam rotierender Oberfläche visuell zu verdichten. Ob dieses Bild der Sonne nun einfach als originell leuchtendes Deko-Objekt, als sinnliche Visualisierung von Daten und

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Informationen, als Neo-Romantik oder als digitales Zitat eines uralten, mythisch aufgeladenen Symbols von den Betrachtern wahrgenommen wurde, bestimmten offensichtlich der wechselnde Ausstellungs- und Präsentationsort sowie die gesamte rahmende szenographische Einbettung ganz wesentlich mit. Festzuhalten ist die subtile zielgruppenspezifische und exklusive Ausrichtung dieser gegenwärtigen High Art Window Displays, denn angesprochen wird damit unverhohlen das gleiche soziologische Kundensegment: Konsumenten internationaler Luxusmarken sind statistisch gesehen in der Mehrzahl auch Kunst- und Kulturinteressierte, wenn nicht sogar Kunstsammler und notorische Käufer einer sogenannten ›Kunstmarktkunst‹. Sowohl zeitgenössische Kunstwerke als auch Konsumprodukte der globalisierten Luxusindustrie werden dabei nicht zuletzt gerne als exklusive moderne Statussymbole und spekulative Wertobjekte gehandelt. Ein weiteres gutes Beispiel für eine auch werbetextliche Legitimierung einer äußerst medienwirksamen und zudem lukrativen Zusammenarbeit zwischen zeitgenössischen Künstlern und großen Luxuskonzernen bietet wiederum der Kommentar der Louis-Vuitton-Presseabteilung, der in Zusammenhang mit der weltweiten Präsentation von einigen exklusiven Olafur-Eliasson-Schaufenstern offiziell herausgegeben wurde. Ende des Jahres 2006 fungierten die künstlerischen Arbeiten des erfolgreichen dänischen Installationskünstlers in den urbanen Zentren erstmals als ausgesprochener Eye-Catcher und soziales Conversation Piece. Louis Vuitton hatte für die Werke Eliassons sogar kurzfristig alle eigenen Produkte aus den großflächigen Warenschaufenstern der eigenen Stores entfernt: Mit der für die Louis-Vuitton-Weihnachtsschaufenster entworfenen Kreation »Eye See You« greift Olafur Eliasson sein bevorzugtes Thema auf: Natur und die Bedeutung der Wahrnehmung. Anhand dieser Kunstwerke – speziell konzipierte Lampen in jedem Schaufenster – sollte durch das einfache Überschreiten der physischen und psychologischen Grenze, die das Schaufenster eines Luxuswarengeschäfts darstellt, eine Beziehung zu der von außen durch das Fenster hereinschauenden Person hergestellt werden.12 (Abb. 72)

Die von Louis Vuitton bei Olafur Eliassons Berliner Kunstfabrik bestellten Schaufenster-Dekorationsobjekte waren, rein funktional gesehen, freistehende große Lampen. In der Form und Gestalt der Pupille eines großen Auges erstrahlten sie sonnenhaft in einem hellen monochromatischen, gelben Licht, das dem natürlichen Licht physikalisch und phänomenologisch frappierend nahe kam. En miniature zitierten die exklusiven Schauobjekte Eliassons hier nochmals die gefeierte Großinstallation The Weather Project, die der dänisch-isländische Künstler bereits 2003 spektakulär in der Londoner Tate Modern als das vielfotografierte Kunstereignis des Jahres präsentiert hatte. Und obwohl von diesen temporären 12 Zitiert nach www.louisvuitton.de/front/#/deu_DE/Journeys-section/LV--die-Kunst/Art-Wall (letzter Zugriff: Juli 2015).

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atmosphärischen Louis-Vuitton-Schaufensterinstallationen gerade in der dunklen Jahreszeit und in den Abendstunden ebenfalls eine effektvoll hypnotisierende Wirkung auf die Passanten und Flaneure in den Städten wie bei der Großinstallation seiner Sonne in London ausging, reagierte die zeitgenössische Kunstkritik und Theorie zunächst recht naserümpfend ob dieser kommerziellen Auftragskunst im vormodernen Sinne.13 Da half auch nicht viel, dass diese magisch reflektierende Lampen-Edition gleichzeitig als eine über Eliassons New Yorker Galerie, der Tanya Bonakdar Gallery, organisierte Charity-Aktion für die Organisation 121Ethiopia angekündigt worden war. Nichtsdestotrotz sind heute etliche dieser limitierten Louis-Vuitton-Schaufensterlampenobjekte längst von internationalen Kunstsammlern aufgekauft und finden sich inzwischen weltweit als nunmehr ›strahlend reine‹ Kunstobjekte in renommierten Privatsammlungen und internationalen Museen für zeitgenössische Kunst wieder.

Abb. 72: Olafur Eliasson: Eye See You, Temporary Store Window-Installation für Louis Vuitton (2006)

13 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Siehe hierzu beispielsweise Leah Modigliani: Louis Vuitton and the Luxury Market After the End of Art. In: Art Criticism 22 (2007), H. 1, S. 91–104 (als PDF online unter www.leahmodigliani. net/uploads/2/6/5/3/2653262/2007modiglianilouisvuitton.pdf ) oder Niklas Maak: Loopings auf dem Parkplatz des Vorstands. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10. März 2006, online unter www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/kunst-und-wirtschaft-loopings-auf-dem-parkplatz-desvorstands-1302394.html (letzter Zugriff: Juli 2015); vgl. auch Hanno Rauterberg: Die Kunst und das gute Leben. Über die Ethik der Ästhetik, Berlin (Suhrkamp) 2015, S. 16: »Viele Künstler der Gegenwart machen sich gemein mit den Interessen anderer. Sie werden zu Auftragskünstlern im vormodernen Sinne.«

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Wie viele andere Kritiker schmähte auch Ben Davis dagegen die jüngsten erfolgreichen künstlerisch-gestalterischen Kooperationspartner von Louis Vuitton, die internationalen Erfolgskünstler Takashi Murakami und Olafur Eliasson, gar namentlich als globalisierte ›Imagineers‹ und oberflächliche ›Superartists‹, die selbst mit ihrem künstlerischen Werk ein bloßes ökonomisches Marktphänomen auf dem zeitgenössischen internationalen Kunstmarkt darstellen würden: First of all, as each of these figures has evolved, their work has increasingly refused to be constrained by the narrow confines of the art community. The very nature of their practice, and its status as art, depends on its interweaving with wider media. From figures of narrow significance within a certain tradition they have evolved into cultural impresarios, bringing their trademark art sensibility to cartoons, clothing lines and commissions for tourism boards. This then rebounds on what they do within the art world, affecting its definition and presentation. »Superart« has a populist touch, and appreciation of the work tends to be an appreciation of being part of a collective, as opposed to an individual, esthetic experience, just as the works themselves tend away from personal statements and towards blank social referents – death, change, media, atmosphere.14

Diese unterschwellige tiefe Ablehnung ist aber vielleicht eher Ausdruck einer Verkennung des gewandelten Verständnisses, was Kunst und Design heute in einem globalisierten und technologisch wie ökonomisch vernetzten Zeitalter ausmachen und bedeuten, insbesondere in ihren aktuellen gegenseitigen Vermischungen, Überblendungen und Durchdringungen, wie sie die speziellen szenographischen Schaufenstergestaltungen zeitgenössischer Künstler anschaulich darstellen. Die historisch bekannten Wechselwirkungen zwischen Kunst und Design/ Mode15 erleben zu Beginn des 21. Jahrhunderts darin eine neue, gesteigerte Form der gegenseitigen Beeinflussungen und Überkreuzungen, die nicht nur als eine gegenseitige Promotion und wechselseitiges Trading-up zu verstehen sind, sondern auch beispielhaft die Ausweitung und Auflösung bislang gültiger Kategorien sowie der historisch etablierten reinen Gattungs- und Disziplingrenzen deutlich vor Augen führen. Ebenso haben sich die bislang gültigen tradierten hierarchischen Beziehungen zwischen Produkt, Präsentation und Publikum inzwischen grundlegend hin zur Formierung ganzer umfassender Erlebniswelten und multisensorischer Markenlandschaften gewandelt, in die man als Konsument (gerne) ent-/verführt wird. Die Scenographic Store Windows und künstlerisch-konzeptuellen Schaufenstergestaltungen durch professionelle Künstler und Künstlerinnen der Gegenwart sind darin, dessen ungeachtet, aber auch vor allem Ausdruck und aktuelle Spiel14 ����������� Ben Davis: The Rise of the Superartists, online unter www.artnet.com/magazineus/reviews/davis/ davis7-16-08.asp?print=1 (letzter Zugriff: Juli 2015). 15 ��������������������������������������������� Siehe dazu Adam Ceczy/Vicki Karaminas (Hg.): Fashion and Art, London/New York 2012; Susanne Neuburger (Hg.): Reflecting Fashion. Kunst und Mode seit der Moderne, Köln 2012; José Teunissen: Fashion and Art. In: Jan Brand/ders. (Hg.): Fashion and Imagination. About Clothes and Art, Arnheim 2009, S. 10–25; Germano Celant (Hg.): Art/Fashion. Kat., New York 1997.

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formen eines größeren vorherrschenden Eventdesigns in der gegenwärtigen Spektakel- und Erlebnisgesellschaft. Die künstlerisch inspirierten Szenographien der lokalen Warenschaufenster sind ebenfalls gerade für die neuen Medien des Internets 2.0 und eine nachhaltige virale Kommunikation hin konzipiert. Marken und Medien stehen heute mehr denn je in permanenter gegenseitiger Wechselwirkung zueinander. Beide fungieren gleichzeitig als zentrales kulturelles Referenzsystem für eine technologisch vernetzte Gesellschaft. In ihm stechen die Produktion, Transmission und Rezeption von eindrücklichen Bildern, sinnlich einnehmenden Atmosphären und emotionalisierenden Narrationen hervor, die tiefgreifend den Lebensalltag einer urbanen Zivilisation als kultureller Kommunikationsgemeinschaft formieren, indem darin jeweils auf Zeit gültige, gemeinschaftlich ausgehandelte ästhetische Kodes wie etwa die Mode hervorgebracht werden. Die schnelllebig inszenierten Schaufenster der großen Labels und Global Brands mit ihren modisch schnell wechselnden Ästhetiken und sich wandelnden visuellen Rhetoriken und modischen Stilen suchen dabei augenscheinlich in der steten Kollaboration mit der zeitgenössischen Kunst dann auch nach universelleren kulturellen Ausdruckswerten, die letztlich für Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit und Authentizität, langlebige Nachhaltigkeit und dauerhafte Wirksamkeit stehen. Weitere Marker sind die mit der modernen Kunst dabei gemeinhin verbundenen symbolischen (Mehr-) Werte wie Prestige, Exklusivität, Luxus, Distinktion, Kreativität, Originalität, Innovation usf. Nicht abgestritten wird dabei eine gewisse Skeuomorphisierung der zeitgenössischen Kunst in solchen künstlerisch-motivierten Szenographien, die in diesem Zusammenspiel in zu temporären öffentlichen Ausstellungsflächen umgewandelten Schaufensterräumen der weltweiten Luxus- und Kultmarken einer größeren Zielgruppe präsentiert wird. Was dort nämlich für eine große Allgemeinheit – für den sprichwörtlichen ›Mann auf der Straße‹ – gezeigt wird, gibt sich häufig lediglich nur noch dem Anschein nach als moderne Kunst aus, d. h., weil es gerade nach zeitgenössischer Kunst für viele aussieht, ist es aber oft gar keine, sondern in der klischeehaften Wiederholung und stereotypen Aneignung die Mimikry und Travestie ihrer selbst. Die szenographischen Store Windows der Gegenwart sind daher oftmals auch bühnenechte Maskeraden und theatralische Mimiken großer Kunstepochen und ihrer spezifischen Gattungs- und Stilformen (Objektkunst, Installationen, Performances usf.), deren kulturelle Symbolwerte subtil und wie beiläufig für die jeweils notwendige holistische Markenidentität heraufbeschwört werden sollen. Jedoch hier einfach nur pauschal von einer generellen Instrumentalisierung der zeitgenössischen Kunst für kommerzielle Werbezwecke zu reden, verkennt allerdings auch das hohe Kommunikationspotenzial und die vielschichtige Komplexität vieler originellerer Beispiele in diesem boomenden künstlerisch-

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gestalterischen Kooperationsgeschäft im Dienste des Branding. Kritiker vermissen dabei vor allem neben der symbolischen Tiefe ein gesellschaftskritisches Potenzial, das der Avantgarde-Kunst seit der Moderne zugesprochen wird und nun seit der Postmoderne gegen problematische Strategien der Affirmation und Appropriation eingetauscht worden sei. In Zeiten der Transformation der bildenden Künste werden heute jedoch auch zeitgenössische Künstler, die gemeinhin als notorische Critical Artists gelten und mit dezidiert konsumkritischen oder zynischironischen Werken bekannt geworden sind, inzwischen von den internationalen Luxusgeschäften für die Entwicklung saisonaler Installationen und künstlerischer Interventionen umworben und gezielt in die eigenen Warengeschäfte eingeladen. Wurde beispielsweise das dänisch-norwegische Künstlerduo Elmgreen & Dragset seit den 1990er-Jahren eher durch verschiedene hintergründige wie subversive Kontextkunst-Projekte international bekannt, die auch die zeitgenössischen Luxuslabels kritisch bis satirisch fokussierten, genießen die beiden etablierten Künstler heute das offizielle Kultursponsoring von den ganz großen Luxusmarken, das bis hin zu ko-kreativen Beteiligungen am Retaildesign der jeweiligen Flagshipstores in den großen Metropolen reicht. Ließen Elmgreen & Dragset beispielsweise noch im Jahr 2005 einen versiegelten minimalistischen prada-Store, der hauptsächlich durch zwei charakteristische große Warenschaufenster bestach, die mitten in der leeren Weite der texanischen Wüste sehnsuchtsvolle Blicke auf eine aktuelle prada-Schuhkollektion gewährten, als eine ironisch gemeinte gigantische Drop Sculpture in der Nähe von Marfa/Texas platzieren (Abb. 73), zierten Ende 2012 die als subversiv geltenden Installationen des Künstlerduos offiziell auf der Londoner Bond Street das dortige Hauptgeschäft von Louis Vuitton. Bereits 2001 waren die Marke und ihr Marketing und Branding sowie die Unternehmenspolitik eines globalisierten Luxuslabels, nämlich wiederum die von prada, Ausgang und Thema einer originellen Intervention des dänisch-norwegischen Künstlerduos geworden. Damals beklebten Elmgreen & Dragset das Schaufenster der Tanya Bonakdar Gallery in New York mit einer Aufschrift in der Typografie des Original-Logos: »Opening soon – prada«. Selbstverständlich wurde hier nie ein prada-Shop eröffnet; es blieb bei einer hoffnungsvollen Irritation, die so eigenartig dann aber doch nicht wirkt: Schließlich ähneln die Interieurs der prada-Flagship-Stores in ihrem edlen Minimalismus nicht selten den musealen white cubes der Kunsthallen und Galerien.16

16 Cordula Vielhauer: prada, Marfa. Kunst in der Mitte von Nirgendwo. In: Sueddeutsche.de v. 17. Mai 2010, online unter www.sueddeutsche.de/kultur/kunst-in-der-mitte-von-nirgendwo-pradatexas-1.432441 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Abb. 73: Elmgreen & Dragset: prada, Marfa, USA (2005)

Zeitgenössische kommerzielle Schaufenstergestaltungen können ihrerseits damit auch Thema von künstlerischen Projekten werden – als Metakunstwerke –, in denen sich wiederum die vermeintlich klare modernistische Grenzziehung zwischen Design hier und Kunst dort weiter verwischt. Gleichzeitig schärfen sie mittels der aktuellen Inszenierungen von etablierten Inszenierungen den Blick auf moderne Ausstellungsformen und klassische Präsentationstechniken, deren eindeutige Zuordnung entweder zu rein kommerziellen Zwecken oder zu kulturellen heute immer schwieriger wird, weil sich die historisch tradierten Formate und etablierten Dispositive nun stetig weiter aufeinander zubewegen, indem sie sich heute immer stärker zu synthetisieren und zu hybri­ disieren suchen. Wird in der Gegenwart bildende Kunst offenkundig immer häufiger für einen freien und spekulativen globalen Weltmarkt produziert und in internationalen zeitgenössischen Galerien ostentativ zum Verkauf und Erwerb ausgestellt, so kann wiederum auch das kommerzielle Konsumprodukt schließlich wie zeitgenössische Kunst inszeniert werden. So warf auch die thematische Schaufenstergestaltung des documenta (13)-Teilnehmers Seth Price für das Kasseler Kaufhaus SinnLeffers während der 100 Tage der internationalen Kunstausstellung gleich mehrere Fragen auf, da sie sowohl als visuelles Advertising und Merchandising als auch als reines Exponat, als autonome Kunstinstallation – je nach Perspektive und Interesse des Betrachters – im Stadtraum zu sehen war (Abb. 74).

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Als Teil des Projekts Folklore U.S. hatte der New Yorker Künstler zusammen mit dem US-amerikanischen Modedesigner Tim Hamilton eine Spring/Summer 2012-Kollektion speziell für die documenta-Stadt entworfen, die zunächst mit einer Scenographic Fashion Show in einer Kasseler Tiefgarage performativ präsentiert wurde und danach bei SinnLeffers auch käuflich ›an der Stange‹ über den documenta-Sommer hinweg exklusiv zu erwerben war. Die Styles und Looks dieser Entwürfe zwischen Kunst und Design waren künstlerische Adaptionen eines aktuellen paramilitärischen Stils in der zeitgenössischen internationalen Mode wie auch eine kreative Neuinterpretation aktueller Umschlaggestaltungen von global wirkenden Versanddiensten. Insbesondere zeitgenössische Kunst wird heute für den boomenden Biennale-Betrieb zunehmend in alle Winkel der Welt versendet – sie ist quasi im Zustand permanenter Versendung aufgrund hoher modischer Nachfrage.

Abb. 74: Seth Price/Tim Hamilton: U.S. Folklore, documenta13, Kassel (2012)

Künstlerisch-konzeptuelle Schaufenster zwischen Kunst und Kommerz werden heute überdies wiederum auch gerne von den Modedesignern selbst geschaffen. Ein jüngstes Beispiel hierzu lieferte die Modedesignerin Vivienne Westwood, die im November 2012 in Zusammenarbeit mit dem britischen Künstler Joe Rush für den temporären Miu Miu Private Members Club im Café Royal am Londoner Piccadilly eine szenographierte Schaufensterinstallation im aktionistischen Modus einrichtete, die dort nur drei Wochen lang zu sehen war (Abb. 75). Die im aktuellen Protest Chic gehaltene Inszenierung für dieses künstlerische Schaufenster bestand unter anderem aus recycelten Materialien und vorgefundenen Objekten und unterstand ganz dem Thema ›Climate Revolution‹. Mit diesem Motto war sie nicht nur Werbung für eine über Miu Miu verkaufte limitierte Edition von Westwood-T-Shirts, sondern zugleich auch ein Hinweis auf ein Aktionsprojekt,

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das Vivienne Westwood zum Abschluss der Londoner Paralympics ins Leben gerufen hatte und derzeit von ihrem Blog im Internet begleitet wird.17

Abb. 75: Miu Miu/Vivienne Westwood; Setdesign: Joe Rush, London (2012)

Die großflächigen aktuellen Medienschaufenster von Abercrombie & Fitch und Hollister Co. verzichten dagegen nunmehr ganz auf skulpturale oder installative Komponenten und klassisch-kinetische Elemente (beispielsweise animierte Schaufensterpuppen und Marionetten) und bedienen sich dafür oftmals bereits ausschließlich bewegter digitaler Videobilder, bisweilen sogar Livestreams aus dem Internet von beliebten Surferstränden wie dem kalifornischen Huntington Beach und kombinieren diese Bewegtbilder noch mit olfaktorischen oder auditiven und insbesondere mit besonderen performativen Elementen: An den Eingängen zu ihren Läden locken und begrüßen jeweils jugendlich-sportliche Männer mit idealen Modelmaßen, die auch in den Print- und Videokampagnen dieser Unternehmen die alleinigen Werbestars sind. Von den Fans der beiden Marken gerne als ›Surfer Dudes‹ bewundert, ziehen diese smarten schönen Jungs in der Rolle als ›Greeters‹ vor allem die jugendliche Kundschaft bereits vor dem Eintritt an den Geschäftsfassaden in den Städten stark an. Kulissen und Schaufensterpuppen scheinen hier magisch-verführerisch lebendig geworden. Die Grenzen zwischen Schein und Sein verfließen in der jugendlichen Kultmode (Abb. 76). 17 Siehe Vivienne Westwoods Blog Get a life online unter http://activeresistance.co.uk/getalife/ index.html (letzter Zugriff: 2015).

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Abb. 76: Sogenannte Surfer Dudes und Store Greeters vor Hollister Co. an der New Yorker Fifth Avenue (2012)

Insgesamt gesehen lassen sich gegenwärtig neben der Implementierung und Integration von bekannten zeitgenössischen künstlerischen Praktiken und medialen Formaten folgende Trends in den szenographierten Schaufenstergestaltungen der großen Marken beobachten: einerseits die erfolgreiche Fortführung thematischer und künstlerisch-konzeptueller Schaufensterinstallationen, Scenographic Store Windows, die mit einem originellen Setdesign visuell pointiert eine (emotionalisierende) Geschichte erzählen oder eine Markenbotschaft szenisch prägnant auf den Punkt bringen, und andererseits die Durchbrechung der Schaufensterglasscheiben mit performativen Elementen und dem Einsatz neuer digitaler Medientechnologien, die den direkten Kontakt und die reale Begegnung mit der begehrten Warenwelt im Internetzeitalter auch am realen urbanen Ort zu einem überraschenden und intensiven interaktiven Erlebnis für den städtischen Einkauf werden lassen und diesen gleichzeitig virtuell erweitern. Diese neuen szenographischen Schaufenstergestaltungen zeichnen sich nun nicht mehr nur allein etwa durch kinetische Effekte und raffinierte Bewegtbilder aus, die die Aufmerksamkeit, das Staunen und die Neugier erregen und somit die erste Wahrnehmung der Konsumenten und Kunden schon auf der Straße gestalten, sondern vielmehr auch beispielsweise durch leuchtende digitale

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Store Window Screens und Motion Graphics/Visuals, mit denen die Kundschaft spielerisch und aktiv interagieren kann. Den Vorreiter hierzu machte zum Beispiel die international bekannte Sportmarke adidas mit einem neuartigen interaktiven Schaufensterkonzept für ihre jüngst eröffneten NEO-Filialen (Abb. 77).18

Abb. 77: Interaktive Digital Store Window Displays von adidas NEO in Nürnberg (2012 )

In einem Pilottest konnten im Herbst/Winter 2012 Passanten in der Nürnberger Breiten Gasse nicht nur über physische Bewegungen mit den großflächigen Digital Window Screens explorativ interagieren, sondern zugleich auch ihre Smart­ phones direkt per Bluetooth und Free Wi-Fi damit verbinden, um ein völlig neuartiges urbanes Konsumentenerlebnis zu genießen: das Digital Window Shopping im Rahmen eines neuen Mobile-Social-Marketings. adidas möchte darin vor allem seine jugendliche Zielgruppe begeistern, die mit Internet und Handys sozialisiert ist, das Shoppen in der City als beliebte Freizeitbeschäftigung kennt und generell affin gegenüber interaktiven Games und trendigen Technikneuheiten ist – die mediale Szenographie verbindet dabei den Realraum mit dem virtuellen Raum:

18 ������������������������������������� Siehe die Pressemitteilung der Marke adidas Tests New Window Shopping Experience of the Future at Nürnberg NEO Store (1. Oktober 2012), online unter http://news.adidas.com/global/ Latest-News/adidas--Tests-the-New-Window-Shopping-Experience-of-the-Future-at-N-rnbergNeo-Store/s/245172e1-8fb4-49d2-8f43-fc61326a4e48 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Shoppers can also play with a life-size digital model showcasing NEO’s fashion range in a fun and engaging way. By touching hotspots on the window the shopper can make the mannequin show product details, interact with the product and make playful actions and movements.19

Von einer klaren Trennung zwischen Werbung und Entertainment ist in diesen neuen digitalen Präsentationsformaten dann wirklich nicht mehr viel zu reden. Sie gehört zu einer umfassenderen Gamification in unserer gegenwärtigen Kultur. Die Erfahrung genussvollen virtuellen Shoppens, bequemer Onlineeinkäufe, werden solcherart in Zeiten des boomenden und mit den Ladengeschäften konkurrierenden Internethandels in die realen physischen Sphären urbaner Zentren und Städte effektiv zurückgeholt. Das klassische Warenschaufenster wird in seiner Funktion und Charakteristik als sinnlich überwältigende Informationsstelle bei adidas für das global und technologisch vernetzte Internetzeitalter hiermit aktualisiert und in seiner Qualität und Eigenschaft bestärkt. Die Kunden finden sich dabei spielerisch affiziert, in höchst involvierten und konsumtiven Rollen wieder, und werden als User auch zum partiellen Mitgestalter dieser ständig bewegten und modisch schnelllebigen Moving Digital Window Displays, für deren interaktive Attraktivität insbesondere die szenographische Ausgestaltung an erster Stelle wirbt. Als Prognose für die Zukunft steht damit am Ende die Vision einer weiteren Sequenz aus einem bekannten Hollywood-Film. Die Schaufenster der nahen Zukunft werden uns wohl wie im Sci-Fi-Movie Minority Report (2002; Regie: Steven Spielberg) als Kunden und Konsumenten ganz in ihren Fokus nehmen, uns mit unseren jeweils spezifischen Interessen, Bedürfnissen und Begierden individuell erkennen und uns dabei freundlich adressieren … schöne neue Warenwelt – oder Einkaufen wie in der guten neuen Zeit. Die digitalen Displays von Tablets und Smartphones sind dabei zunehmend die neuen virtuellen Schaufenster der großen Modemarken und die relevantesten interaktiven Schnittstellen zu den Waren und Produkten einer globalisierten Konsumkultur. Ihrer sorgfältigen und strategischen Ausgestaltung kommt heute eine maßgebliche Bedeutung für ästhetisierte Übersetzungs- und Kommunikationsprozesse zu. Szenographie ist auch dafür eine wichtige Agentur geworden. Gleichzeitig gibt es zu diesen mit digitalen Flatscreens technologisch aufgerüsteten und technisch unterstützten neuen urbanistischen Schaufensterflächen als medialen Schnittstellen und virtuellen Vermittlungspunkten, auf denen auch Commercials, vorproduzierte Fashionfilme oder Catwalk-Dokumentationen sowie Live-Broadcasts gestreamt werden können, eine gestalterische Gegenbewegung, die wiederum auf das Zusammenspiel von realer materieller Präsenz und origineller Einzigartigkeit von individuell und einmalig gestalteten ausge19 Ebd.

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fallenen Dekorationsobjekten setzt: Die Berliner Illustratorin und Grafikdesignerin Sarah Illenberger schuf beispielsweise 2011 anlässlich der Eröffnung des neuen Hermès-Shops im Berliner KaDeWe in allen Schaufenstern an der Tauentzienstraße eine auffallende dreidimensionale Papierobjekt-Szenerie rund um die bekannte Markenpalette (Abb. 78).20 Die zehn zur Bespielung gestellten Warenschaufenster bildeten dabei insgesamt gesehen gleichsam ein großes Diorama, das den Passanten gleichzeitig kostenfreien Blick auf ein künstlerisch verspieltes Papiertheater freigab. Die Materialität der analogen Technik sowie der Motive hinter dem Schaufensterglas schufen insgesamt eine nostalgische Atmosphäre, die Tradition und Vergangenheit modisch reaktivierte und damit den HeritageGedanken als Markenkern der alten Luxusmarke in Szene setzte: Die Images von Hermès erzählen von einer langen Familiengeschichte, sie konservieren die ›gute alte Zeit‹ und erinnern an frühere ›bessere‹ Zeiten, als noch Pferd, Reiter und Kutschen vor den Schlössern des französischen Adels standen. […] Hermès ist neoaristokratisch, da Exklusivität und der historische Rückblick zwar marktkonform zelebriert werden, aber die Masse bewusst ausgeschlossen bleibt.21

Abb. 78: Sarah Illenberger für Hermès, KaDeWe, Berlin (2011)

Das norditalienische Modeunternehmen Bottega Veneta dagegen ließ 2014 lebensgroße Blythe-Puppen von Hasbro in seinen exklusiven Monostore-Schaufenstern auftreten, die im wahrsten Sinne des Wortes als hübsche Modepüppchen die aktuelle Spring/Summer-Kollektion zur Schau trugen und die Passan20 Nina Kirst: Sarah Illenberger über Schaufensterdesign (26. April 2014), online unter www.pageonline.de/emag/kreation/artikel/sarah-illenberger-ueber-schaufensterdesign (letzter Zugriff: Juli 2015). 21 Barbara Schmelzer-Ziringer: Mode Design Theorie, Wien/Köln/Weimar 2015, S. 114 f.

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ten dabei mit Blicken aus ihren übergroßen kindlichen Kulleraugen magisch in den Bann zogen (Abb. 79).22 Der für das italienische Modehaus eigens entworfene Blythe-Mannequin-Typ war zugleich auch der Star im Editorial des japanischen Modemagazins Spur, das inszeniert von Tisch, dem Kultfotobüchlein This is Blythe (1972) von Gina Garan nachempfunden war und wiederum gleichzeitig von einem Making-of-Video für das Internet begleitet wurde.

Abb. 79: Bottega Veneta x Blythe: Spring/Summer 2014

Die Verknüpfung, Verbindung, Verflechtung und Vernetzung von unterschiedlichen Werbeformaten und -dispositiven zu einem saisonalen szenographischen Gesamtereignis wird somit jeweils vorwiegend über eine einheitliche ästhetische Signatur für einen spezifischen Markenauftritt erreicht, der u. a. synergetisch über ausgewählte ko-kreative Kooperationen mit der freien Kunst oder einer weiteren visuell hervorstechenden Kultmarke erreicht wird. Zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen, die wie beispielsweise Anselm Reyle23 bereit22 ����� Vgl. Blythe Doll Models Bottega Veneta’s Spring Summer 2014 Collection (14. Februar 2014), online unter http://luxurytrump.com/fashion/blythe-doll-models-bottega-venetas-spring-summer2014-collection (letzter Zugriff: Juli 2015). 23 Estelle Marandon: Anselm Reyle. Warum Handtaschen keine Kunst sind. In: Die Zeit v. 29. November 2011, online unter www.zeit.de/lebensart/mode/2011-11/Anselm-reyle-Dioraccessoires (letzter Zugriff: Juli 2015).

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willig mit und für große Marken arbeiten, genießen wiederum dabei den verkaufsfördernden größeren öffentlichen Auftritt für ihre künstlerischen Arbeiten außerhalb der einschlägigen zeitgenössischen Galerien und modernen Museen, auch wenn solche kreativen Kollaborationen von der Fachwelt bisweilen höchst skeptisch bis kritisch goutiert werden. Die szenographische Ausgestaltung der traditionellen Warenschaufenster kommerzieller Ladengeschäfte kann jedoch auch als eine bewusste Rückkehr zum kreativen Umgang mit konkreten Materialien verstanden werden, wofür die bildende Kunst bekanntlich ja schon lange mit ihrer unmittelbaren physischen Präsenz eine hohe Expertise hat. Szenographierte Warenschaufenster, Scenographic Window Design, in der Funktion als wahre Bühnen des konsumistischen Warenangebots sind dann auch als körperlich-sinnlich erfahrbare Alternativen zu den neuen, virtuellen Schaufenstern der großen Marken zu verstehen, d. h. ihren rein virtuellen Websites und digitalen Onlineshops im Internet. Szenographie bringt hier ihren charakteristischen Wettbewerbsvorteil ein, nämlich Inhalte insbesondere sinnlich zu übersetzen und ganzheitlich zu vermitteln.

6. MODE UND MARKEN, INSZENIERT IM REALRAUM SCENOGRAPHIC FASHION SHOWROOMS AND EXHIBITIONS Im harten Wettbewerb mit dem derzeit beliebten und bequemen virtuellen Window-Shopping auf einschlägigen Label-Websites, d. h. zum populären Onlineshopping in gut gepflegten Digital Flagship Stores im Internet, von zu Hause aus (vgl. hierzu beispielsweise nur die Digital Flagship Stores von gucci, Louis Vuitton, Viktor + Rolf oder Ermenegildo Zegna im Internet) oder von unterwegs auf Smartphones und Tablets über praktische Apps, erfordert heute der reale physische Ort für Kaufentscheidungen offenkundig einen ganz besonderen szenographischen Auftritt, der für die Kunden und Konsumenten nunmehr zu einem multisensorischen Erlebnis und einzigartigen lokalen Ereignis werden muss. Die Gestaltung und Ausstattung von physischen Präsentations- und Verkaufsorten1 hat daher für viele Modemarken in den letzten Jahren zusätzlich eine völlig neue Bedeutung erhalten. Das traditionelle Retaildesign der großen Monobrand Stores mutet dabei heute immer häufiger wie ein Geschichten erzählendes, Atmosphären produzierendes und Emotionen stimulierendes Set- oder Produktiondesign an, in das die Konsumenten eintauchen können. Das immersive und interaktive Erleben von ganzheitlichen Markenräumen wird dabei zuvörderst durch die Szenographie befördert. Die Differenzen und Grenzen zwischen musealen Ausstellungsräumen und kommerziellen Verkaufsräumen scheinen dabei gegenwärtig, szenographisch gesehen, nahezu fließend geworden. Vormals getrennte und klar definierte Kategorien der historisch ausdifferenzierten Systeme Kunst und Design werden jetzt im Prozess des szenographierten Zurschaustellens und Präsentierens synergetisch übereinander geblendet und gekreuzt. Am deutlich sichtbarsten begann diese Entwicklung mit einem am klassischen White Cube der Moderne orientierten coolen Minimalismus im Retaildesign der 1990er-Jahre, dem Andreas Gursky mit seiner prada-Serie ein fotokünstlerisches Denkmal gesetzt hat: Zunächst dominierte eine Art Edelminimalismus, der als ›Boutique cistercianism‹ bezeichnet wurde, weil sich einer seiner Hauptvertreter, John Pawson, von der spartanischen Architektur des Zisterzienserordens inspirieren ließ. Die farblich zurückhaltenden, hochmonumentalen und materiell sehr aufwendigen Interieurs eroberten von SoHo aus die Modewelt. Die erfolgreichsten Duos waren John Pawson/Calvin Klein, Claudio Silvestrin/ Giorgio Armani und David Chipperfield/Dolce & Gabbana. Das Zusammenspiel von Label und Architektur beschreibt der Architekturkritiker Deyan Sudjic folgendermaßen: »In such a setting, fashion looked as if it mattered, as if it were worth the money«. Vom Auftragsvolumen gesehen waren diese Boutiquen klein, interessant wurden sie oft dadurch, 1 Vgl. hierzu auch Gertrud Lehnert (Hg.): Räume der Mode, München/Paderborn 2012.

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dass die Corporate Identity einer Marke zu gestalten war. Ende der 90er Jahre änderte sich das Profil der Aufträge. Ein Wendepunkt war der 26-geschossige Louis Vuitton Moët Hennessy Tower in New York von Christian de Portzamparc. Die Aufträge wurden volumenmäßig attraktiver, gleichzeitig legten die Modehäuser mehr Wert darauf, nicht nur prächtige, sondern neuartige Architektur zu bekommen. Sie beauftragten in zunehmendem Maße sogenannte Stararchitekten, die ihnen ein innovatives Image verpassen sollten.2

Das szenographische Display in diesen hochästhetisierten kommerziellen Räumen neuer ikonischer Stararchitekturen bedient sich wiederum dezidiert musealer und künstlerisch-konzeptueller Strategien, um Waren und Produkte in einen Schwebezustand zwischen erwerbbarem modischem Konsumprodukt und unantastbarem kulturellem Artefakt mit symbolischem Mehrwert zu bringen. Szenographie gerät hier zur transzendierenden Transformationsmaschinerie und magischen Stimulans, auch wenn sie zunächst beispielsweise mit nur so minimalen Elementen wie der Reduktion und Isolation der ausgestellten Waren auf sockelartigen Auslageflächen mit spezieller Beleuchtung und neutralen Hintergründen arbeitete – selbstverständlich auch mit fehlenden Preisschildern, was bei fast allen Luxushäusern bis heute ein charakteristisches Merkmal geblieben ist. Wegweisende Vorreiter für diese Entwicklung waren insbesondere die Häuser von internationalen Luxusmarken wie Louis Vuitton, Cartier 3, Hermès und prada, die Ende des 20. Jahrhunderts in der Architektur und deren Ausgestaltung wichtige visuelle Marketinginstrumente und neue Branding Tools erkannten. Sie formierten gleichzeitig eine neue Corporate Architecture. Bedürfnisse und Begierden werden dabei nicht nur über Präsentationen und Expositionen in den in der Mehrzahl sehr exklusiven und luxuriösen Ausstattungen dieser neuen spektakulären Architekturen, sondern gerade auch über ihre aufwendige Ausgestaltung mit modisch wechselnden, aber stets umfassenden ästhetisierenden originellen Inszenierungen geweckt, die emotionalisierende Erzählungen um und über die jeweilige Marke und ihre modisch-aktuellen wie ikonischen Produkte liefern, und darin systematisch ein Scenographic Branding4 verfolgen. Alle positiv besetzten Assoziationen und relevanten Informationen, die mit einer Marke und ihrem Markenkern jeweils verbunden werden, sollten dabei durch die Szenographie sinnlich vermittelt und verstärkt werden. Sie übersetzt synästhetisch und ganzheitlich für die Kunden und Kon2 Ruth Hanisch: Architecture for Fashion! In: DZB 7 (2009), S. 89. 3 Vgl. Vanessa Müller-Rees: Haute Architecture. Eine Untersuchung der Baustrategie der Marke Cartier und der Corporate Architecture von Luxusmodemarken seit 1990, München 2008 (= Kunstwissenschaftliche Studien 152). 4 Vgl. hierzu auch meine Ausführungen in Scenographic Branding as a New Method and Creative Tool for Museums Exhibiting Europe in a Globalized Era in: Emee/Young Scenographers Contest – Catalogue of the Travelling Exhibition, hg. von Uwe R. Brückner u. Linda Greci; Publisher for emee: Susanne Popp u. Günther Friesinger; Texts: Ruedi Baur u. Pamela C. Scorzin, Wien (edition mono/ monochrome) 2015, S. 121–123, online unter www.museums-exhibiting-europe.de/wp-content/ uploads/2015/04/Emee_YSCKatalog_2015_dig.pdf (letzter Zugriff: Juli 2015).

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sumenten die funktionalen wie auch emotionalen Vorzüge sowie insbesondere die Alleinstellungsmerkmale einer Marke im allgemeinen ökonomischen Wettbewerb. Szenographisch mit einer eigenen markanten stilistischen Handschrift arbeitende Gestalter und Innenarchitekten wie beispielsweise der New Yorker Peter Marino, der über lange Jahre hinweg mit seinem Team u. a. erfolgreich für die hochwertige Ausgestaltung und exklusive Innenausstattung der internationalen Ladengeschäfte von Louis Vuitton, Chanel oder dior verantwortlich zeichnete, sind dabei inzwischen selbst zu großen Designerstars geworden, die auf internationalen Kunst- und Designmessen wie etwa der wichtigen Art Basel Miami Beach anzutreffen sind. Ihre szenographischen Entwürfe und Konzepte vermitteln nicht nur zwischen den Kunden, den Eigentümern und den Konsumprodukten einer Marke, sondern verknüpfen, verketten und verflechten heute gleichzeitig auch die vormals strikt getrennten modernen Gestaltungsdomänen Gebäudearchitektur, Innenarchitektur und Dekoration mit dem Produkt- und Warendesign. Dabei sind insbesondere in den vergangenen Jahren in der luxuriösen Modewelt neuartige Räume und spektakuläre Bühnen entstanden, die vom Ansatz her auch grundlegend künstlerisch inspiriert und konzeptuell entworfen sind und sich in ihrem inhärenten ganzheitlichen, synästhetischen Anspruch daher auch als ganze Markenwelten oder -landschaften definieren. Kritiker sehen in dieser Entwicklung jedoch auch abschätzig eine problematische zeitgenössische Artifizierung und Valorisierung von kommerziellen Verkaufsräumen und Ladengeschäften und bedauern gleichzeitig dabei auch ein zunehmendes ›Retailment‹, eine Kombination aus dekorativem Retaildesign und oberflächlichem bis geschwätzigem Entertainment, während szenographisch erfolgreich ausgestaltete Luxusgeschäfte aber weiterhin heute wie moderne Kunstgalerien und Museen von den Massen, insbesondere von den globalen Touristen und Flaneuren, in den großen Metropolen der Welt auch als Städteattraktionen frequentiert werden. Mitunter findet man dann in kommerziellen Luxuswarengeschäften auch echte und originale Kunstwerke der zeitgenössischen Kunst, allerdings hier in ihrer primären Funktion degradiert zu rein schmückenden Dekorations- und Valorisierungsobjekten, wieder. Im Gegensatz zu einer medialen respektive virtuellen Präsenz im Internet können in szenographisch konzipierten Ladengeschäftsräumen bei der unmittelbaren Wareninszenierung zudem gleichzeitig immer auch mehrere Sinne, beispielsweise cross-modal, angesprochen werden – vom primären Sehsinn über den Geruchs- und Hörsinn bis hin zum gerade bei der Präsentation und Exposition von Modekollektionen nicht zu unterschätzenden Fühl- und Tastsinn. Die für die moderne Warenpräsentation und den -verkauf traditionell grundlegenden Gestaltungsdisziplinen Architektur, Innenarchitektur und Dekoration werden dafür nunmehr häufig durch szenographische Praktiken regelrecht überarbeitet,

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synergetisch verbunden, in ihrer zusammengehörigen Gesamtheit ästhetisch wie stilistisch homogen zusammengeführt.5 Bedeutender Vorreiter und Wegbereiter für diesen aktuellen Trend der Konvergenz und Hybridisierung in der Inszenierungskultur war zu Beginn des Jahrhunderts u. a. das traditionelle Pariser Unternehmen Louis Vuitton: The standalone boutiques of Louis Vuitton have revoltionized store design in the 21st century with their seamless fusion of fashion, art and architecture. […] What defines Louis Vuitton’s stores, beyond their sheer size, however, is their incorporation of the label’s innovative multimedia branding operations, which in a single store can include animation and video displays, temporary art installations and semi-permanent exhibitions. The development of digital manufacturing technology over the past fifteen years has made possible the incorporation of figuration and ornamentation into the structure at the inception of the building’s design. Given that Louis Vuitton has been using its signature damier pattern since the 1870s to mark its goods as authentic, it makes sense that all-encompassing branding should be so instrinsic to the house’s architectural productions as well, with its logo and damier pattern embossed on the walls of some of its flagship stores. Louis Vuitton regularly uses this comprehensive multimedia branding to transform its stores to promote its collaboration with contemporary artists. For the release of its Takashi Murakami collaborative products in 2002, store exteriors were covered in large reproductions of the artist’s brightly coloured reinventions of the »LV« monogram, while their interiors featured installations of his large ›plushie‹ toy sculptures. In 2012, coinciding with the release of its collaborative line with Yayoi Kusama, the house set up six global pop-up stores stocked exclusively with the accessories and ready-to-wear goods decorated with the artist’s signature dot patterns, while the existing store windows were given over to major installations of dot-patterned tentacles and miniature dolls of the artist, eschewing any display of the products themselves, the exterior façades of Louis Vuitton’s Fifth Avenue store was covered in dots to coincide with the artist’s retrospective at the Whitney Museum in July of 2012.6 (Abb. 80 u. 81)

Abb. 80: Retail Design und Capsule Collection von Yayoi Kusama für Louis Vuitton, Selfridges London (2012) 5 Vgl. hierzu beispielsweise für Louis Vuitton die umfangreiche Dokumentation Frédéric Edelmann: Louis Vuitton. Architecture and Interiors, New York (Rizzoli) 2011. 6 Mitchell Oakley Smith/Alison Kubler: Art/Fashion in the 21st Century, London (Thames & Hudson) 2013, S. 262. Vgl. hierzu auch Edelmann/Luna 2011.

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Abb. 81: Fassade des Louis-Vuitton-Flagshipstores in New York City, 5th Avenue, mit Yayoi-KusamaDekor (2012)

Während sich exklusive Luxusgeschäfts- und Ausstellungsräume in ihrer Konzeption und Ästhetik heute zunehmend stilistisch ähneln und die Grenzen zwischen den verschiedenen Funktionsbereichen und Kategorien scheinbar fließend werden, werden die szenographisch überarbeiteten Vorzeige-Hauptfilialen, die Flagshipstores der großen Marken und internationalen Brands, in den besten Geschäftslagen der großen globalen Zentren zudem kurzfristig durch spektakuläre mobile wie temporäre Pop-up-Stores in jeweils marktrelevanten Gegenden der Welt ergänzt. Diese temporären originellen Markenauftritte und eventhaften Kaufgelegenheiten genießen dann jeweils per se fast immer auch einen allgemeinen Nachrichtenwert, was nebenbei für die jeweiligen Marken einer kostenlosen Werbung in den Medien gleichkommt. Während Louis Vuitton beispielsweise vom 2. Dezember 2013 bis 19. Januar 2014 auf dem Roten Platz in Moskau recht plakativ und in einer noch recht postmodernen Manier einen mit seinem charakteristischen Monogram versehenen Riesenkoffer als ephemere Ausstellungsund Verkaufsarchitektur errichtete, ließ die italienische Konkurrenz prada bereits 2009 im südkoreanischen Seoul eine relativ avantgardistisch-experimentelle Pavillon-Architektur, den in der Architekturszene intensiv diskutierten prada Transformer, eine von Stararchitekt Rem Koolhaas und OMA entworfene mobile und multifunktionale Transformationsarchitektur, im öffentlichen Stadtraum unter großer Medienresonanz auftreten:

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The basic structure is a mechanical tetrahedron covered in an elastic membrane that allows its shape to be changed in order to suit the exhibition it houses. It can even be turned upside down by cranes. In 2009 it was installed next to Gyeonghui Palace in the centre of Seoul, where over the course of three months it flipped and shifted its shape to house a series of exhibitions intended to »bring together, for the first time, the brand’s diverse activities in the fields of culture, fashion, architecture, cinema and art art in one space«, according to Patrizio Bertelli, prada’s CEO. The exhibitions in the Transformer included a cinematic programme selected by Babel director Alejandro González Iñárritu and co-curated by film critic Elvis Mitchell, and »Waist down – Skirts by Miuccia Prada«, an exhibition of prada skirts. In the final stage of the structure’s rotation, students from local universities produced independent events, performances and exhibitions across the fields of fashion, architecture, graphic design, film and multimedia.7

Mit diesem umfangreichen und vielfältigen Kultur- und Informationsprogramm aus diversen Veranstaltungs- und Ausstellungsaktivitäten ausgestattet, zog der transportable prada Transformer im Anschluss noch an weitere stark frequentierte Locations in Tokio, Schanghai, New York und Los Angeles monatelang weiter – inklusive der viel besprochenen In-Store-Exhibition Waist down – Skirts by Miuccia Prada, die das in Mailand ansässige traditionelle Modeunternehmen selbst auch in Eigenregie konzipiert, kuratiert und organisiert hatte (Abb. 82).

Abb. 82: Ausstellung Waist down – Skirts by Miuccia Prada 2009 im prada Transformer von Rem Koolhaas

Unter einer neuartigen Cocoon-Membrane der flexibel drehbaren Stahlarchitektur von Rem Koolhaas waren somit spielerisch wie unter einem wandernden 7 Smith/Kubler 2013: 280.

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modernen Zirkuszelt angewandte und freie Künste, Design, Kunst, Popkultur und Film, vereint worden. Die Pop-up-Architektur trat hier als Cultural Space inmitten des urbanistischen Raums auf. Im Internet wurde außerdem 2009 ein zusätzlicher virtueller Auftritt des prada Transformers in Form einer interaktiven Website eingerichtet, die in Text, Bild und Video zusätzlich weitere Informationen zum Projekt und laufendem Programm bereithielt.8 2012 wurde das szenographische Ausstellungskonzept von pradas Waist down Seoul, das u. a. aus einer (An-)Sammlung frei im Raum an Seilen hängender, tanzender und rotierender Röcke bestand, zudem vom traditionellen New Yorker Metropolitan Museum of Art für die Abteilung Waist up/Waist down in der Ausstellung Schiaparelli and prada: Impossible Conversations9 nochmals formalästhetisch aufgegriffen, um die dynamischen Fließbewegungen der typisch weiblichen Kleidungsstücke mit virtuos-kinetischen Effekten im Ausstellungsraum zur Wirkung zu bringen. Fast zeitgleich dazu wurde von Karl Lagerfeld, dem äußerst geschäftstüchtigen Modedesigner und rührigen Artdirector von Chanel, der Aufsehen erregende temporäre Mobile Art Chanel Contemporary Art Container (2008–2010), konzipiert von der im Irak geborenen britischen Stararchitektin Zaha Hadid10, ebenfalls auf werbende ›Wanderschaft‹ respektive ›Welttournee‹ geschickt – mit Stationen in den für das Haus wirtschaftlich aktuell relevanten internationalen Metropolen und Märkten wie beispielsweise Hongkong, Tokio, New York und Paris. Die avantgardistisch-futuristische mobile Architektur von Zaha Hadid beherbergte dabei eine von Fabrice Bousteau kuratierte multimediale und mit einem besonderen ›Soundwalk‹ ausgestattete Kunstausstellung. Zum 50-jährigen Jubiläum von Chanels legendärer Taschenikone, der inzwischen zeitlos-ewigen It-Bag 2.55, war sie von Chanel eigens in Auftrag gegeben worden. Der spektakuläre Ausstellungspavillon sollte anfänglich kommissionierte künstlerische Auseinandersetzungen mit eben diesem legendären Designprodukt beherbergen. 11 Zu den international renommierten Künstlerinnen und Künstlern, die dafür bereitwillig künstlerische Beiträge – von skeptischen Kritikern auch abwertend als ›Auftragskunst‹ bezeichnet – lieferten, gehörten u. a. international berühmte, sogenannte Art Celebrities wie Yoko Ono, Nobuyoshi Araki, Stephen Shore und Sylvie Fleury (Abb. 83).

8 Siehe online unter http://prada-transformer.com (letzter Zugriff: Juli 2015). 9 Vgl. hierzu auch die Publikation Bolton/Koda Schiaparelli and prada: Impossible Conversations (2012). 10 Siehe online unter www.zaha-hadid.com/architecture/chanel-art-pavilion (letzter Zugriff: Juli 2015). 11 Siehe hierzu auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Chanel Mobile Art Pavillon von Viola Rühse: »Chanel Mobile Art« – Architektur, Kunst und Kuratieren im Dienst einer Luxusmarke (15 Seiten). In: kunsttexte.de, KunstDesign-Themenheft 2: Kunst und Mode, hg. von Jain, 2011, online unter www.kunsttexte.de (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Abb. 83: Sylvie Fleurys Installation Crystal Custom Commando im Chanel-Mobile-Art-Pavillon in Tokio

Die durch ihre intensive künstlerische Beschäftigung mit der zeitgenössischen Mode und deren feminin ästhetisierenden Inszenierungen in den 1990er-Jahren bekannt gewordene französische Künstlerin Sylvie Fleury platzierte bei ihrer Installation »Crystal Custom Commando« (2007-08) in einer circa 2  m großen pinkfarbigen Replik der »2.55« eine entsprechend überdimensionierte Kom­ paktpuderdose. In dem aufgeklappten Innenspiegel ist eine Videoprojektion zu sehen, in der Frauen amazonenähnlich auf Handtaschen schießen. Entfernt erinnert dies an die Schießperformances und -assemblagen von Niki de Saint Phalle in den Jahren 1961–64 sowie an scheinbar konsumkritische Aktionen, in denen Markenartikel bewusst zerstört werden. Insbesondere das Video in der Arbeit Fleurys soll wohl dazu anregen, sich von dem Wirbel um »It-Bags« zu emanzipieren. Die Projektion war jedoch in der Ausstellung nur für diejenigen zu sehen, die nah genug an das Werk herangingen. Auf den vielen Pressephotos der Gesamtinstallation ist das Puderdosenvideo meist nicht zu erkennen. Die Arbeit Fleurys konnte so bei »Chanel Mobile Art« für sehr viele ebenfalls als positive Pop ArtHuldigung der »2.55« wirken. Gefördert wurde dies durch die exponierte Positionierung der Installation im zentralen überdachten Innenhof des Pavillons.12

Die mit dem bekannten Logo der französischen Luxusmarke gebrandeten und sorgfältig in einen größeren szenographierten Zusammenhang gesetzten künstlerischen Einzelwerke formierten so unter dem Dach des mobilen Pavillons einen speziell ausgewiesenen Markenraum im öffentlichen Raum und dienten marketingstrategisch damit auch der nachhaltigen Imagepflege des Hauses. Die Aktion war insgesamt gesehen unter dem Deckmantel einer öffentlichen kulturellen Ver12 Rühse 2011: 6.

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anstaltung insbesondere ein strategisches Advertising- und Marketing-Instrument für eine subtil umfassende wie auch viral sehr gut funktionierende Aufmerksamkeitsgestaltung für die französischen Luxusmarke, wie die Kunsthistorikerin Viola Rühse bereits äußerst kritisch hervorgehoben hat: Geschickte Pressearbeit und mehrkanaliges Marketing lenkten weltweit das Interesse auf das Ausstellungsprojekt. Chanel versendete aufwendig gestaltete Pressemeldungen sehr lange im Voraus und schaltete Bannerwerbung auf wichtigen Modeseiten im Internet. Während der Ausstellungsstation in New York dienten eine spezielle Schaufensterdekoration und ein illegalerweise überdimensioniertes Plakat an der Hausfront eines Chanel-Geschäfts der Bewerbung des Kunstpavillons. Die Lifestyle-Presse berichtete ausgiebig von den Eröffnungsfeiern, wobei der Pavillon als Photokulisse für die berühmten geladenen Gäste aus der Mode-, Film- und Kunstszene fungierte. In New York waren bei der Vernissage unter anderen Jeff Koons, Terry Richardson, Sarah Jessica Parker, Kate Bosworth, verschiedene berühmte Models und – nicht zu vergessen – Zaha Hadid sowie Karl Lagerfeld zugegen. Über Social Media, insbesondere Blogs, wurde das Projekt weiter verbreitet. Öffentliche Museen können ihre Ausstellung dagegen meist nur mit viel geringerem Budget und Aufwand bewerben. Die durch mehrere Ausstellungsstationen noch gesteigerte internationale Medienaufmerksamkeit gehört zu den Hauptzielen von Megaevents wie ›Chanel Mobile Art‹. Für Unternehmen sind sie von großer Bedeutung, auch, weil die Menschen gegen klassische Werbung immer mehr immun werden. Chanel konnte mit der Wanderausstellung international Status und Macht demonstrieren und in der Spektakelgesellschaft als Weltmarke sichtbar werden. Erzielt wurde damit ein ähnlicher Effekt wie bei Haute Couture-Schauen, die ebenfalls in erster Linie der Imageförderung dienen, aber nur in Paris stattfinden. Bei ›Chanel Mobile Art‹ achtete man deshalb besonders auf eine bewusste Präsentation des Logos und des Markennamens, der bei der abgekürzten, jedoch hauptsächlich genutzten Benennung des Projektes mit ›Chanel Mobile Art‹ an erster Stelle stand. Vor dem Pavillon wurde eine Art Namensskulptur aufgestellt, in der durch die extensive Wiederholung der Ausstellungsbezeichnung sieben Mal auch der Markenname erschien. Im Pavillon waren ganze Wände mit dem Ausstellungsnamen gefüllt. Das Chanel-Logo wurde nicht nur auf der Oberbekleidung des Personals, sondern auch auf den Schutzhelmen der Bauarbeiter angebracht. […] Im Vergleich zu der großen, weltweiten Präsenz des Ausstellungspavillons in den Medien war die tatsächliche Besucherzahl mit insgesamt 100.000 für alle drei Stationen gering. Die vorab über ein Online-Ticketsystem zu reservierenden kostenlosen Eintrittskarten waren schon nach wenigen Tagen ausgebucht. Während der Ausstellung gab es noch ein kleines Restkartenkontingent vor Ort. Die lange Besucherschlange, die sich hierfür vor dem Ticketschalter aufreihte, konnte indirekt auch als Auszeichnung von ›Chanel Mobile Art‹ als beliebter »Blockbuster« fungieren. […] Auch wurde an jeden Besucher am Ende der Ausstellung kostenlos ein Exemplar der opulenten ›Chanel Mobile Art‹-Magazine ausgeteilt. Sie unterscheiden sich allerdings sehr von kunstwissenschaftlichen Ausstellungspublikationen und ähneln eher den aufwendigen Werbematerialien von Chanel. Zwar enthalten die großformatigen Hefte einige Angaben zu der Pavillonarchitektur und den Künstlern, Aufnahmen der Installationen, weitere Photoarbeiten zum Beispiel von Richard Kern und Karl Lagerfeld sowie kulturelle Essays. Neben Informationen zu der Handtasche wird jedoch ebenfalls auf die damals aktuellen Modekollektionen von Chanel aufmerksam gemacht. Auch deshalb erarbeitete Olivier Zahm, Herausgeber des Magazins ›Purple‹, das Heft für jede Ausstellungsstation neu. Denn Handtaschen wie die »2.55« fungieren als Einsteiger in den Luxusmarkt, Chanel ist jedoch daran interessiert, bei Neukunden das Interesse an der Prêt-à-porter-Mode zu steigern. In New York machte sogar das Sicherheitspersonal vor dem Pavillon Werbung für die ChanelKollektionen, indem es die neuen Ski-Mäntel als geliehene Arbeitskleidung trug.13 13 Ebd.: 8–10.

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Bekannte traditionelle Modemarken positionieren sich für derartige globale Auftritte heute in der Regel gleichzeitig im Sinne eines Co-Brandings sehr medienwirksam mit von renommierten Stararchitekten, wie beispielsweise Zaha Hadid, Frank Gehry (für Louis Vuitton in Paris)14 (Abb. 84), Herzog & de Meuron (für prada in Tokio), Christian de Portzamparc (für dior in Seoul) oder Rem Koolhaas und OMA (für prada in Mailand), spektakulär errichteten Pavillonstrukturen oder großen Häusern. Kritiker sprechen hier von einem anhaltenden ›BilbaoEffekt‹, der seine ökonomische Motivation und wirtschaftliche Strategie hier nun ganz unverhohlen und demonstrativ in den Vordergrund rückt. Gerade von sogenannten internationalen Stararchitekten entworfene Architektur fungiert dabei als eine besondere zusätzliche Form des Brandings15 und Advertisings, wie Rachel Gamble bereits hervorgehoben hat: Recently, companies have become increasingly creative with their marketing, in an attempt to stand out. Modern-day companies have begun to turn to architecture in order to establish their own unique public identity. Thus architecture has taken on a new role: that of an advertisement, through which companies can convey their message to the public. Now more than ever, architecture, like a billboard or signage piece, has the ability to define the image of the company. prada is an example of a company that has begun to employ commercial architecture to represent itself to the public. In the prada flagship store in New York, we see how the design decisions of Dutch architect Rem Koolhaas and his firm OMA communicate the nature of the merchandise within to visitors. Like an advertisement, Rem Koolhaas’s 23,000-square-foot building infers the qualities and ideals of the brand. The New York store was part of a prada project to rethink the brand’s image. The goal was a space that is representative of the new, revitalized organization that commissioned it. Thus, the building was designed to say that the prada brand is luxurious, as well as experimental, unorthodox, and technologically advanced. The architecture of the store thus becomes a kind of narrative – a personal statement on the brand.16

Neben temporären kommerziellen Architekturen werden daher immer häufiger auch permanente ikonische Flagshipstores und exklusive Foundations respektive Art/Cultural Spaces in den internationalen Modemetropolen von den großen Unternehmen in Auftrag gegeben, die neben klassischen Repräsentationszwecken heute insbesondere die sogenannte Philosophie und Identität der jeweiligen Marke anschaulich übersetzen und werbewirksam signalisieren sollen. Marken sollten außerdem jeweils originell und einzigartig sein, für etwas stehen, eine Aussage haben. Offenkundig liefert die Philosophie hierzu gegenwärtig den 14 ������������������������� Siehe Anne-Line Roccati: La Fondation Louis Vuitton par Frank Gehry, Paris 2014; Fondation Louis Vuitton, Paris (Soc. Française de Promotion Artistique) 2014. 15 Siehe hierzu Anna Klingmann: Brandscapes. Architecture in the Experience Economy, Cambridge (MA; MIT Press) 2007, passim; Philip Ursprung: Architecture as a branding device. In: Hans-Jörg Heusser/Kornelia Imesch (Hg.): Art & branding. Principles – interaction – perspectives, Zurich 2006 (= outlines 3), S. 139–152. 16 ��������������� Rachel Gamble: prada Epicenter: Architecture as Advertising. In: Contemporary European Architecture, Fall 2012, online unter http://cea-seminar.blogspot.de/2012/11/prada-epicenterarchitecture-as.html (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Content bzw. inhaltlich und sprachlich eine Kommunikationsoptimierung;17 die Szenographie wiederum in Verbindung mit der Mutter der Künste, der Architektur, wird hiermit zu einem zentralen Werkzeug und bedeutenden Instrument der heute immer wichtig werdenderen Image- und Prestigeproduktion eines post­ industriellen Zeitalters, das die traditionellen Warenunternehmen als Produzenten von Gebrauchswaren heute radikal umdenken lässt: Marken werden – im wörtlichen wie sinnbildlichen Sinne – zu Medien.18 Oft auch zu kulturellen Institutionen, die, privat getragen, zunehmend mit den öffentlichen Einrichtungen konkurrieren und rivalisieren.

Abb. 84: Fondation Louis Vuitton, gebaut von Frank Gehry, Paris 2014

Diese neuen Formen von zeitweiligen kreativen Partnerschaften und ästhetischökonomischen Allianzen vormals unterschiedlicher, d. h. historisch ausdifferenzierter Gestaltungsmetiers, zwischen Design, Architektur und Kunst, erstrecken sich somit vom Entwurf, Konzeption, Planung und Realisation sensationeller Hausarchitekturen und -innenarchitekturen bis hin zu streng limitierten saisonalen Kollektionen. Der US-amerikanische Stararchitekt Frank Gehry entwarf beispielsweise nicht nur die exzentrische Architektur für das neue Aushängeschild 17 �������������������������������������������������������������������������������������� Siehe hierzu auch Marc Zitzmann: Philosophen in der Luxusindustrie. Wird Denken jetzt Mode? In: Neue Zürcher Zeitung online v. 14. August 2015, online unter www.nzz.ch/feuilleton/ wird-denken-jetzt-mode-1.18595723 (letzter Zugriff: August 2015). 18 Vgl. hierzu auch Miriam Löffler: Think Content! Content-Strategie, Content-Marketing, Texten fürs Web, Bonn (Galileo Computing) 2014.

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von Louis Vuitton, die 2014 eröffnete Fondation Louis Vuitton pour la Création im Pariser Bois de Boulogne, sondern im Sinne eines kollaborierenden Kreativ­ beraters fast zeitgleich auch eine modische Edition, von der der Taschen-Entwurf, seine streng limitierte Twisted Box (2014) für die Celebrating MonogramSerie, international die meiste Furore machte. Taschen zu entwerfen scheint heute damit mehr und mehr für die zeitgenössischen Architekten auch den notorischen Entwurf einer Stuhl-Ikone abzulösen. Die entwerferischen Unternehmungen folgen dabei insgesamt einer szenographischen Gesamtlogik, d. h., eine bereits sehr bekannte und beliebte, mitunter schon sehr traditionelle Marke erhält durch solche kurzfristigen ko-kreativen Allianzen und künstlerisch-gestalterischen Kollaborationen schnell auch ein aktuelles Redesign und sogenanntes ›Re-Fashioning‹, ein strategisches ›Revamp‹ oder cooles ›Reboot‹, um nicht zuletzt wieder stärker ins Gespräch zu kommen und damit auch neue, jüngere Käuferschichten zu erreichen. Neuartige ästhetische Reize für bereits Bekanntes und modisch-überholt Traditionelles zu schaffen, gehört dabei auch zur sinnlichen Perzeptions- und Affektproduktion der szenographischen Gesamtpraxis, die nicht zuletzt aber als aktuelle Advertising- und Marketingstrategie heute immer auch die Evaluisierungs- und Affizierungskompetenzen ihres Publikums mitberücksichtigt: So können beispielsweise das kreative ›Redesign‹ und ›Re-Fashioning‹ eines altbekannten traditionellen Markenproduktes, etwa nach transkulturellen und modisch-angesagten Trends mit globalen Ästhetiken, oder mit einer originellen künstlerischen Signatur, einem eigenwillig-markanten Personalstil, aufgefrischt werden. Bei eingefleischten Markenfans kann dies eine regelrechte Freude an den unerwarteten und überraschenden neuen modischen Variationen von Altgeliebtem hervorrufen. Durch ihre zeitliche und quantitative Limitierung avancieren die Überarbeitungen auf dem Markt mitunter schnell zu begehrten Sammlerstücken. Eine nur kurzzeitige saisonale Verfügbarkeit und geschickte Vermarktung mit dem Etikett ›Limitierte Edition‹ verdecken dabei freilich allzu oft, dass mit dem damit beworbenen, nur temporär mit einem fremden Markenlogo und Claim eines prominenten Künstlers, Designers oder Stararchitekten kombinierte, d. h. exklusiv überarbeitete und originell interpretierte Hausmarkenprodukt, lediglich eine höchst strategische, raffinierte Produktveredelung und symbolische Sublimierung der Gebrauchsfunktion stattfindet. Denn meist handelt es sich dann doch nur um eine mehr oder weniger simulierte Pseudo-Co-Autorschaft und ›aufgetragene‹ exklusive Personalisierungsmasche für letztlich immer noch nach der gleichen Art und Weise traditionell bzw. industriell hergestellte Produkte, die lediglich eine flüchtige modische Abweichung in der immer wieder gleichen Serie von hochwertigen Artefakten aus einer etablierten Produktpalette einer Top-Marke abgeben. Thema und seine Variation als grundlegender Movens für die konstante Serienproduktion. Dies entspricht jedoch auch einer sehr modernen Markenlogik, nämlich eine langfristige Markenpräsenz mit stets kurzfristiger modischer Varianz zu

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erreichen, die konstant in Zyklen neue Stile liefert und sie dabei selbst mitunter auch wieder regelrecht recycelt. So übergab beispielsweise Louis Vuitton 2014 mit einer mehrkanaligen und einheitlich konzertierten imposanten Marketingkampagne aus Bildern, Filmen, Texten, Veranstaltungen und Publikationen wiederholt sein traditionelles ›LV-Monogram‹, unter dem Kampagnenmotto »Ikonen und Ikonoklasten«, einer weiteren Auswahl von dafür eigens eingeladenen prominenten Kreativkollegen zur kurzfristigen modischen Überarbeitung und subjektiv-individuellen Interpretation. Hinter dem Prinzip dieser kollaborativen Ko-Kreation steht freilich wiederum der Gedanke von limitierten Sammler-Editionen, wie sie aus der Kunst bekannt sind: 1854 gründete Louis Vuitton das Unternehmen, 1896 kreierte sein Sohn Georges zu seinem Andenken das berühmte Monogram. Es war die Geburtsstunde einer Ikone. Dieses ungewöhnliche Monogram wirkte bei seinem Erscheinen geradezu revolutionär und avancierte bald von einer sehr persönlichen Signatur zu einem universellen Symbol der Modernität. Georges Vuitton benutzte es für eines der ersten Beispiele gehobener Markenpolitik. Es wurde zum Erkennungszeichen einer globalen Kultur. 1965 schilderte Gaston-Louis Vuitton, wie sein Vater Georges die Motive für das ›Monogram Canvas‹ entwarf: »Als erstes die FirmenInitialen LV, die bei aller Verschlungenheit deutlich zu entziffern bleiben sollten. Danach kam der Diamant an die Reihe, dem er ein unverwechselbares Aussehen verleihen wollte, indem er die Seiten konkav einbuchtete und in der Mitte eine Blume mit vier Blütenblättern zeichnete. Diese Blume wurde daneben als Positiv-Bild erneut aufgegriffen. Und am Ende fügte er noch eine Blume in einem Kreis hinzu, die vier abgerundete Blütenblätter hat.« Heute gilt dieses Monogram weltweit als charakteristisches Markenzeichen des Hauses Louis Vuitton – im direkten wie übertragenen Sinne. Seine Grundzüge und Bedeutung haben den Wandel der Zeiten nahezu unverändert überdauert. Es steht für das Verschmelzen von Handwerkskunst, Kunst und Design, für Innovation, Zusammenarbeit und Kühnheit, wie sie das Unternehmen im Laufe seiner Monogram-Geschichte immer wieder unter Beweis stellte. In diesem Sinn erscheint dieses Jahr das Projekt »Eine Zelebration des Monograms«. Es ist eine Kollektion von Werken, die eindeutig die persönliche Seite dieses Monograms verdeutlichen. Sie zeigen etwas, das wir alle zu kennen glauben in einem neuen, ungewöhnlichen, äußerst individuellen und idiosynkratischen Licht. Sechs die Besten ihrer jeweiligen Gebiete, die die Grenzen zwischen Mode, Kunst, Architektur und Produktdesign verschwimmen lassen, erhielten völlig freie Hand, was immer sie darin sähen in diese gemusterte Leinwand zu kleiden und ihre Vorstellungen zu diktieren. Die Kollektion 2014 knüpft an die Jubiläums-Ausgabe von 1996 an, zu der Azzedine Alaia, Manolo Blahnik, Romeo Gigli, Helmut Lang, Isaac Mizrahi, Sybilla und Vivienne Westwood ihre sehr unterschiedlichen, individuellen Entwürfe beitrugen. Aber diesmal gingen Christian Louboutin, Cindy Sherman, Frank Gehry, Karl Lagerfeld, Marc Newson und Rei Kawakubo mit ihren radikal persönlichen und spielerischen Schöpfungen sogar noch weiter und brachten eine absolut beispiellose Kollektion hervor. Hier schließt sich der Kreis des LV Monograms in mehrerer Hinsicht: Wie bei seinem handgemachten Ursprung waren es wieder individuelle Kreativität, das mutige Überschreiten von Kategorien und – vor allem – zukunftsweisende persönliche Visionen für das Haus Louis Vuitton, die diese Kollektion erschufen. Sie ist sowohl universell als auch personenbezogen und eine Fortführung der stets gepflegten Firmentradition, sämtliche Erwartungen zu übertreffen.19 19 Offizielles Statement des Unternehmens zur Kampagne Iconoclasts auf www.louisvuitton.com (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Mit dieser exklusiven, temporären Zusammenarbeit mit prominenten zeitgenössischen Architekten, Designern, Regisseuren und Künstlern, die in der Praxis oftmals einer neuen mäzenatischen Patronage gleichkommt, wird aber insbesondere auch der jeweilige physische Ort und reale Raum für den Verkauf zu einem einzigartigen Schauplatz der Kreativität aufgewertet, der in seiner formalen Nähe zu künstlerischen Rauminstallationen oder Kunstgalerien, und damit in seiner Konstitution als singulärer sensualistischer Wahrnehmungs- und Erfahrungsraum, (noch) nicht ganz als Erlebnis durch das Internet ersetzt werden kann. Die Versprechen des modernen Marketings wollen heute wirklich erlebbar werden. Der reale Verkaufsort, an dem die Verheißungen als Erstes wahr werden sollen, weist heute durch zusätzliche technische Implementierungen in seiner spektakulären Architektur immer häufiger gleichzeitig auch strategisch gestaltete Schnittstellen zwischen dem Physisch-Lokalen und dem Digital-Globalen, zwischen dem Realen und Virtuellen, oder dem Imaginären und Tatsächlichen auf. Vorreiter hierzu war um die Jahrtausendwende das von Rem Koolhaas und OMA konzipierte prada-Epicenter in SoHo (New York City; Abb. 85), das als international gefeierter Fashion-Flagshipstore erstmals u. a. mit den damals neuesten digitalen Technologien, wie beispielsweise virtuellen Spiegeln, ausgestattet war und in ähnlicher konzeptioneller Ausgestaltung in Los Angeles und San Francisco sowie in Schanghai für die italienische Modemarke – mit Anpassungen an den jeweiligen Genius Loci – wiederholt wurde. Die Architektur des New Yorker prada-Epicenters ist dabei nicht nur variabel und multifunktional, indem sie als Geschäfts- und Präsentationsraum wie auch kultureller Veranstaltungsraum vielfältig genutzt werden kann; sie sollte in ihrer Sprachfähigkeit gerade auch die ›Philosophie‹ und Kernbotschaften der italienischen Modemarke jenseits von Werbetexten synästhetisch für eine globale Kundschaft übersetzen und sinnlich vermitteln: prada verkörpert perfekt den erfolgreichen Einsatz des Brandings durch Architektur. 1999 datierte der Entschluss, auf Avantgarde-Architektur zu setzen. Aufträge an das Office for Metropolitan Architecture, OMA (unter dem Spiritus Rector Rem Koolhaas), Herzog & de Meuron und SANAA folgten. Baulich die größten Einsätze sind die so genannten Epicenter in New York, Tokio, Los Angeles und San Francisco und jetzt auch London. Dass drei von fünf der Epizentren an notorisch von Erdbeben bedrohten Orten liegen, ist mit Sicherheit Teil der Inszenierung. OMA bzw. dessen Think Tank AMO hat zudem die Indoor Technology für prada geplant, die Shows inszeniert, die Drucksorten gelayoutet und jüngst einen mobilen Ausstellungspavillon, den prada-Transformer in Seoul, entworfen. Das erste dieser Zentren, von dem aus die Modewelt erschüttert werden sollte, war ein Umbau am New Yorker Broadway. Es zeigt, was die Reichweite dieser Typologie sein könnte. Koolhaas integriert das, was die Modehäuser aus den Straßen von SoHo vertrieben hatten, die Kultur. Nachts könnte das Epicenter ohne Aufwand zur Bühne umgebaut werden. Auch in Tokio steht prada für eine nicht exklusive architektonische Politik. Jacques Herzog und Pierre de Meuron spielten mit dem Baukörper wie auf einem Spielbrett, um etwas zu schaffen, was dort der pure Luxus ist: einen öffentlichen Platz! Gleichzeitig wurde aus dem Zoning Law das Absolute an Höhenentwicklung herausgeholt. Die Fassaden

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Abb. 85: prada-Epicenter New York City von Rem Koolhaas, mit der Bespielung The Iconoclasts 2015 von Michael Wilkinson und Tim Martin im Februar 2015 des kristallinen Baukörpers sind tragend. Erreicht wird dies durch ein rautenförmiges Stahlgerüst, in das die großflächigen Glasscheiben eingespannt sind; konvexe, konkave, mehrheitlich durchsichtige und gelegentlich opake. Die Fassade ist nicht ohne textile Referenzen, das rautenförmige Raster erinnert an gequilltes Material. Während des Entwurfsprozesses wurde das Gebäude als ›borsa‹ bezeichnet, als Tasche. »prada represents for us a new type of client who is interested in an innovative type of architecture. This approach involves an exchange of experience and a cultural debate«, loben Herzog und de Meuron den Auftraggeber. […] Einkaufen soll heute ein »Einkaufserlebnis« sein, bei prada heißt das »The prada Experience«. Dazu benützt man einerseits spektakuläre Architekturen, andererseits ein Angebot des »tertiären Sektors« unter demselben Dach. Ohne Bar, Lounge oder Restaurant kann sich kein Flagship Store mehr sehen lassen. Aber auch Luxusgaragen, Ausstellungsflächen und Gärten vervollkommnen das Angebot. Manche Architekten und Designer entwickeln Gadgets: Drehbare Wendeltreppen, gepolsterte Loungeareas

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mit Fernseher und Bar im Aufzug sollen den Aufenthalt des Kunden anregender machen und so die Ausgabenseite stärken. Viele Konzepte sehen Rückzugsmöglichkeiten vor, in denen man sich von den Strapazen des Probierens erholen kann und vor aufdringlichem Personal geschützt ist. Möglich wurde diese entspannte Haltung durch die elektronische Überwachung von Kunden und Waren. Auch die traditionelle Umkleidekabine profitiert von dem neuen Anspruch des Erlebnisshoppings. Sie wird zum Dressing Room aufgewertet, in dem nicht nur Erfrischendes konsumiert, sondern via Internet auch weitere Informationen über die anprobierten Kleidungsstücke eingeholt werden können. Kameras liefern simultane Bilder von allen Seiten und machen die mühevollen Verrenkungen vor dem Spiegel endlich obsolet.20

Das klassische Retail- und Interiordesign wird dabei längst immer mehr mit zusätzlichen Dienstleistungsfunktionen und avancierten Medientechnologien durchsetzt bzw. multifunktional wie -dimensional ergänzt: Durch integrierte Digitale Screens etwa, die im Loop die jeweils aktuellen Modenschauen und Kampagnenfilme zeigen, oder durch die Implementierung und Integration von interaktiven Flächen und virtuellen Spiegeln, die direkt mit dem Internet verbunden, die Kunden dazu animieren, ihr lokales Einkaufserlebnis instant auch auf Social-Media-Plattformen global zu teilen oder noch mehr Ware zu ordern, die gegebenenfalls vor Ort gerade nicht vorrätig ist. Die globale Like-and-ShareKultur führt somit zu virtuell erweiterten Szenographien, die das Interaktive, Ko-Kreative und Partizipative wie Responsive als charakteristische Komponenten in sich tragen. Für das szenographische Retail- und Storedesign der großen Luxusmodehäuser gilt daher auch, dass es bei der Planung und Konzeption immer auch um die nachhaltige Formulierung einer eigenständigen, unverwechselbaren und leicht wiedererkennbaren ästhetischen respektive stilistischen Sprache für die jeweilige Marke geht und nicht bloß um eine gerade passende, weil notwendige verführerische Ausdekorierung in der Funktion als passiver optischer Hintergrund für lokale Produktpräsentationen und -expositionen. Denn auch hier gilt bereits die pointierte Bemerkung von Thai Cong Quach: Viele Menschen dekorieren ihre Räume nur. Dekorieren kann jeder Florist und Dekorateur. Ich verstehe mich als Regisseur: Räume müssen eine Geschichte erzählen. Zu Weihnachten kann man mit Tannenbaum und Christbaumkugeln dekorieren – oder man inszeniert es: Es riecht nach Weihnachtsplätzchen, gedämpftes Licht, leise Musik, das Knistern des Kamins – das ist eine komplette Welt.21

Die imposant als Architektur-Ikonen herausragenden Flagshipstores der globalen Luxusmarken in den urbanen Zentren bieten ihren Besuchern nunmehr aufwen20 �������������������������������������������� Ruth Hanisch: Architecture for Fashion! In: DZB 7 (2009), S. 90. 21 Wohnen als Kunst. »Räume müssen Geschichten erzählen«. Thai Cong im Gespräch mit Nadine Oberhuber. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 29. Dezember 2014, online unter www.faz.net/ aktuell/wirtschaft/immobilien/wohnen-als-kunst-raeume-muessen-geschichten-erzaehlen-13343293. html (letzter Zugriff: August 2015).

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dig inszenierte ganzheitliche Erlebniswelten und atmosphärische Markenlandschaften, die sich parallel zur zeitgenössischen Installationskunst als umfassende Wahrnehmungs- und Erfahrungsräume definieren, in denen es für die Kunden und Konsumenten gilt, mit allen Sinnen gleichzeitig einzutauchen. Aus der klassisch-modernen Warenhausarchitektur ist im Verlauf des 20. Jahrhunderts die Teilfunktion Event- und Exhibitiondesign immer stärker in den Vordergrund gerückt. Im Scenographic Branding dreht sich letztlich alles um die Kunst des stimmungsvollen Geschichtenerzählens oder zumindest um die Produktion von bedeutsamen Atmosphären und die Stimulation von Emotionen, die sich zwischen Subjekten, den Kunden und Objekten, den Waren und Produkten, in einem wechselseitigen Zusammenspiel aufbauen. Aus szenographischen Effekten sollen schließlich positive Affekte resultieren. Diese permanente emotionale Grunderregung versteht sich dabei als eine zutiefst strategische Stimulanz für eine dauerhafte und nachhaltige Kundenbindung in Zeiten, in denen es Marken – aus den verschiedensten Gründen – insbesondere bei jüngeren Generationen offenbar immer schwerer zu haben scheinen. Markenhersteller sehen sich vor dem Hintergrund einer generell kritischen Ablehnung des Markenkultes im Sinne Naomi Kleins bis hin zu der generell mangelnden Loyalität heutiger Kunden stärker denn je gefordert zu kommunizieren, wofür ihre Marke steht. Hinter jeder szenographischen Erfahrung steht daher versteckt der Appell: »Du sollst deine Marke auf immer lieben lernen!« Für einige Kultmarken, die grundsätzlich auf ein holistisches Design-Thinking großen Wert zu legen scheinen, gilt immer noch das Ziel, sogenannte Brand Communities zu entwickeln. In ihnen werden Kunden und Konsumenten zu überzeugten, treuen Anhängern, wie der Konzern Apple derzeit am besten beweist. Die Choreographie und Dramaturgie der gesamten narrativen und emotionalisierenden Verkaufszenerie sollen schließlich den Kunden in den Räumen der Präsentation und des Verkaufs schrittweise zu einer tatsächlichen Kaufhandlung (ver-)führen. Kommerzielle Szenographie gestaltet dabei subtil die sozialen Interaktionsmomente von Marken und Kunden mit Kauferwägungen mit. Sie animiert, indem immer eine Partizipation aus dem zunächst noch passiven Betrachten hin zu einem aktiven Aneignen eines Markenprodukts gefördert wird. Gleichzeitig geht es dabei nicht mehr nur um einen bloßen Tausch, Geld gegen Ware, sondern vielmehr tatsächlich auch um einen symbolischen. Neben den funktionalen Werten stehen heute gerade auch die immateriellen Qualitäten eines Produktes, von denen die Kunden sinnlich erfahrbar überzeugt werden müssen. Szenographie muss ein mit dem Produkt abgegebenes Versprechen und eine Verheißung auf symbolischen Mehrwert somit überzeugend in Szene setzen. Als eine vorrangig visuelle Form des Emotional Branding etabliert sie im erfolgreichen Fall dann auch eine besondere und längerfristige affektive Verbindung zwischen einer Marke und ihren Konsumenten. Erklärtes Ziel vieler Hersteller und Unter-

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nehmer ist es daher heute, die Generierung und Etablierung von sogenannten ›Lovemarks‹ zu erreichen, mit denen sich der Konsument auch langfristig emotional identifiziert. Eine kommerziell orientierte Szenographie im Bereich von Mode und Marken soll eben nicht nur kurzfristig Aufmerksamkeit und Interesse an einem bestimmten tragbaren Gestaltungsprodukt wecken, sondern längerfristig gerade auch Sympathien für ihren Entwerfer und Hersteller respektive für die Marke selbst als bewährter und verlässlicher Lifestyle-Lieferant generieren. Über die Dauer kann daraus dann auch eine nahezu kultische Verehrung entstehen – die Marke verstanden als ein verheißungsvolles Versprechen, dem man in allen Lebenslagen immer vertrauen kann. Die effiziente gestalterische Zurschaustellung eines besonderen ästhetisch-symbolischen Mehrwerts in ganzheitlichen saisonalen Produktinszenierungen schlägt heute schließlich in ihrer affizierenden sinnlichen Dimension im Wesentlichen selbst alle rhetorischen Raffinessen von informationsorientierten Produktvorführungen (falls es diese in Reinform überhaupt jemals in einem konsumistischen Kapitalismus der Moderne gegeben haben sollte). Künstlerisch-konzeptuell gestaltete Räume wie auch die Kunsträume der Moderne dienen dabei offenkundig den gegenwärtigen Szenographen der prominenten Luxusmarken als Vorbild und Referenz, wenn es um die Installation von wirksamen ganzheitlichen Wahrnehmungs- und Erfahrungsräumen und insbesondere um die Entwicklung von effektiven Verkaufsatmosphären geht: beispielsweise hinsichtlich ihrer einheitlich-stilistischen Ästhetik bis hin zu einer damit verbundenen inhärenten bedeutungsvollen Symbolik, nicht zuletzt aber auch von ihrer nachgesagten besonderen Exklusivität hin bis zur Suggestion eines elitären Prestiges. Einzelne Luxusmarken appropriieren dafür heute nicht nur offensichtlich die einschlägigen Inszenierungspraktiken der modernen Kunst und ihrer charakteristischen Galerieräume, während diese wiederum reziprok vom theatralischen Retail- und Storedesign der Zeit beeinflusst werden. Marken werden in diesem Prozess der wechselseitigen Beeinflussungen und Übernahmen selbst zusehends zu kulturellen Akteuren und Agenten. Das szenographische Branding der modisch wechselnden Kreationen und Kollektionen verbindet sich hier nicht nur synergetisch mit den langfristigen Aktivitäten als Sponsoren und Förderer nachhaltig kultureller Projekte und Programme, sondern exponiert mit einem wachsenden Renommee und der gewonnenen Reputation gerade auch die für die Marken attraktiv gewordenen Rollen als aktive Sammler, mäzenatische Auftraggeber und altruistische Förderer von zeitgenössischer Kunst und Kultur in der Gesellschaft. Weltbekannte traditionelle Luxusmarken werden dabei nicht nur zu Medien mit eigenen Presseabteilungen und regelmäßigen (Print-)Publikationen, sie gründen heute vielmehr vermehrt auch – freilich nicht ganz uneigennützig – museale Häuser oder richten – im Vergleich zu Staat und Gesellschaft äußerst finanzstarke – private Kultureinrichtungen mit einem umfangreichen

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Programm­angebot ein. Hierzu zählen gegenwärtig beispielsweise die globalen Luxusmarken Ermenegildo Zegna (ZegnArt22), prada (Fondazione prada in Mailand sowie im venezianischen Ca’ Corner Della Regina23), Trussardi (Fondazione Nicola Trussardi24), Cartier (Fondation Cartier pour l’Art Contemporain in Paris25) oder jüngst Louis Vuitton (Fondation Louis Vuitton pour la Création in Paris26; Abb. 84). Nebenbei dienen derartige private museale Einrichtungen und die Gründung kultureller Institutionen oftmals auch der Dokumentation, Archivierung und Historisierung der eigenen kreativen Firmen- oder Unternehmensgeschichte. Der Effekt dieser Bestrebungen, sich zu musealisieren und historisch zu archivieren, unterstützt die Arbeit am Prestige-bringenden Faktor ›Heritage‹. So steht heute das noch relativ junge Museo Gucci selbstbewusst im Stadtkern von Florenz27 neben all den anderen hehren, alten Kunstmuseen und altehrwürdigen traditionellen Kultureinrichtungen. Die dagegen mobile Mailänder Fondazione Nicola Trussardi proklamiert sich ebenso stolz als »an agency for the production and diffusion of contemporary art in a wide variety of contexts and channels.«28 In ähnlicher Weise performt das französische Traditionshaus Hermès im weitesten Sinne die mit zahlreichen mäzenatischen Kulturprojekten sich aufs Schild geschriebenen Kernkompetenzen Kreativität und Expertise in hochqualitativer Handwerkskunst: The Fondation d’entreprise Hermès supports people and organisations seeking to learn, perfect, transmit and celebrate the skills and creativity that shape and inspire our lives today, and into the future. Guided by our central focus on artisan expertise and creative artistry in the context of society’s changing needs, the Foundation’s activities explore two complementary avenues: know-how and creativity, know-how and the transmission of skills. The Foundation supports partner organisations across the globe. At the same time, we develop and administer our own projects in the contemporary visual arts (exhibitions and artists’ residencies), the performing arts (the New Settings programme), design (the Prix Émile Hermès international design award), craftsmanship (the Skills Academy) and biodiversity. The Foundation’s unique mix of programmes and support is rooted in a single, underlying belief: Our gestures define us.29

22 Siehe die Website online unter www.zegnart.com. 23 Siehe die Website online unter www.fondazioneprada.org. 24 Siehe die Website online unter www.fondazionenicolatrussardi.com. 25 Siehe die Website online unter http://fondation.cartier.com. 26 Siehe die Website online unter www.fondationlouisvuitton.fr. 27 Siehe hierzu die Website online unter www.guccimuseo.com/de. 28 Siehe die Website der seit fast zehn Jahren aktiven mobilen Fondation des Hauses Trussardi, die alle Kulturaktivitäten dokumentiert und archiviert, online unter www.fondazionenicolatrussardi. com/home (letzter Zugriff: Juli 2015). 29 Siehe die Website der Fondation d’entreprise Hermès online unter www.fondationdentreprisehermes. org (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Außerdem agieren heute die großen Modemarken im globalen Wettbewerb zueinander, indem sie sich immer häufiger und intensiver jeweils sowohl als Medien als auch als aktive kulturelle Akteure gerieren. Die modische Konkurrenz aus Italien, prada, wiederum initiiert, finanziert und fördert immer wieder höchst spektakuläre und medienwirksame avantgardistische und ephemere Kunstprojekte wie die berühmt gewordene Installation prada, Marfa (2005) des dänisch-norwegischen Künstlerduos Elmgreen & Dragset in Texas, unweit von Marfa (Abb. 73), oder wie das exklusive Pariser Ausstellungsevent 24HoursMuseum, das 2012 in Kooperation mit AMO und dem italienischen Medienkünstler Francesco Vezzoli an einem ebenfalls ausgefallenen Ort entstanden ist (Abb. 86): Prada presents the »24HoursMuseum«, designed by Francesco Vezzoli with AMO, Rem Koolhaas’ think tank. The »24HoursMuseum« opens in Paris on Tuesday 24 January for 24 hours only, till Wednesday 25 January, in the historic Palais d’Iéna, the building designed by Auguste Perret between 1936 and 1946, today home of CESE (Conseil Économique, Social et Environnemental), the French »third Chamber«. AMO’s installation for the »24h Museum« is divided in three sections, each inspired by a particularly type of museum space: historic, contemporary and forgotten. The three sections are instrumental to the sequence of events that take place during 24 hours in different areas of the ground floor of the Palais d’Iéna. The central space is a large metal cage made from grills and neon lights that encloses the work by Francesco Vezzoli. In the three sections – historic, contemporary and forgotten – Vezzoli is creating a ›non-existent museum‹ where he shows his personal tribute to the eternal allure of feminity through interpretations of classical sculptures that make reference to contemporary divas. »They are my icons turned into sculptures and placed on marbled pedestals«. At the top of the stairway, epicentre of the building, Vezzoli is placing a majestic sculpture of a mysterious goddess. Vezzoli’s vision is of a museum that exists for just 24 hours and which is also a celebration of a collective rite that mixes visitors, red-carpet, Oedipus’ complex and night visions. […] In its tradition of working with artists and making multiple approaches to the creative process – with a unique capacity to embrace utopias like The Double Club (London, 2008–09) and the Prada Transformer (Seoul, 2009) – Prada realizes with Francesco Vezzoli a new project of visual and linguistic experimentation in the »24h Museum«, a Baroque festival in which the entire exhibition lasts only 24 hours.30

Neben dem Sponsoring von eventhaften und avantgardistischen Kunstprojekten wie diesem experimentellen Museum auf Zeit, die oftmals selbstbezüglich in hohem Maße inszenatorisch oder szenographisch angelegt sind, verleiht die ökonomisch boomende und gewinnstarke internationale Modeszene gerne auch Förderpreise an die bildende Kunst, um damit Kreative anderer Disziplinen auszuzeichnen und anzuerkennen: Das deutsche Modelabel Hugo Boss etwa vergibt seit 1996 in Kooperation mit der renommierten New Yorker Solomon R. Guggenheim Foundation alle zwei Jahre einen der höchstdotierten und zugleich

30 Zitiert aus dem 24 h Museum Leaflet, zum Download unter www.24hoursmuseum.com/book (letzter Zugriff: Juli 2015).

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auch weltweit angesehensten internationalen Kunstpreise: »It honors both young, up-and-coming artists as well as their established contemporary counterparts.«31

Abb. 86: pradas 24HoursMuseum, Paris 2012

Modedesign, das seine Profession schon immer mehr als nur eine bloße Herstellung und Fabrikation von funktionaler Gebrauchskleidung verstand und von seinen modernen Anfängen her gesehen stets auch von den bildenden Künsten und dem Theater beeinflusst32 gewesen ist, streicht hier offenkundig seine direkte Nähe zur Kunst mit ihrem kulturellen Stellenwert deutlich hervor. Modedesign ist demnach wie die bildende Kunst eine besondere Form der symbolischen Kommunikation und Generierung von Bedeutung, und für avantgardistische Modekünstler wie beispielsweise Martin Margiela, Alexander McQueen, Viktor + Rolf, Walter van Beirendonck, Iris van Herpen, Bernhard Willhelm, Henrik Vibskov, Kostas Murkudis, Issey Miyake, Rei Kawakubo oder Hussein Chalayan ist die stofflich am Körper getragene Kleidung lediglich ihr favorisiertes Gestaltungsmaterial und primäres Ausdrucksmittel. Bezeichnenderweise ist dabei seit einigen Jahren auch eine deutliche Verschiebung dieses quasi künstlerischen Anspruches und spezifischen Kreativitätsidioms vom eigentlichen Modedesign hin zu der Modeinszenierung zu beobachten, die nicht zuletzt durch aktuelle szenographische Praktiken befördert und getragen wird. Eine noch so in sich hervorragende und originelle modische Kollektion muss heute daher immer lediglich als nur ein weiterer Kommunika31 Siehe hierzu online unter http://group.hugoboss.com/en/group/sponsoring/art-sponsoring/ hugo-boss-prize (letzter Zugriff: Juli 2015). 32 ���������������������������� Vgl. hierzu Alice Mackrell: Art and Fashion: The Impact of Art on Fashion and Fashion on Art, London 2005.

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tionsknotenpunkt unter vielen in einem weitgespannten ästhetischen Netzwerk, in einem ästhetisierenden Inszenierungsverbund verhandelt werden, in dem die Szenographie als Agentur der Knotenpunkte und Schnittstellenherstellung ebenso wirksam wie bedeutungsvoll wird. Mit, für, über und durch die Mode werden Events als temporäre respektive saisonale Gesamtkunstwerke geschaffen, die Konzepte und Themen einer Kollektion sinnlich in Szene setzen, d. h., synästhetisch und ganzheitlich übersetzen, pointieren oder auch frei und ganz neu interpretieren. Das zeitgenössische Modedesign wurde in den letzten Jahren daher zunehmend auch selbst zu einem beliebten Ausstellungsthema und -typus33, wofür weitere neuartige Szenographie-Praktiken erarbeitet und erprobt werden mussten, die mitunter heute zugleich subtil auf einer Metaebene operieren, nämlich als Inszenierungen von Inszenierungen, als eine durch Kreativität inszenierte Kreativität. Das Kuratieren, Präsentieren, Exponieren und Inszenieren von Textilien und Modedesign etabliert sich mittlerweile dabei auch als ein ganz eigenständiges Aufgaben- und Arbeitsfeld, seit Modedesignerinnen und -designern die Pforten in die internationalen Museen und großen Ausstellungshäuser geöffnet wurden und darüber hinaus in den letzten Jahren immer mehr neue Firmen- und Spezialmuseen wie etwa zuletzt das Staatliche Textil- und Industriemuseum (TIM) in Augsburg34 entstanden sind, dessen preisgekrönte technisch avancierte und interaktive Szenographie 2010 vom renommierten Stuttgarter Atelier Brückner35 gestaltet wurde (Abb. 87). Die Kunsthistorikerin, Kuratorin und Ausstellungsmacherin Annelie Lütgens hält zu dieser boomenden, aber gerade von deutschsprachigen Feuilletons gerne kritisch beäugten musealen Inszenierung von Mode fest: Kunst und Mode nähern sich heute aus verschiedenen Gründen aneinander an: Dies sind die Schnelligkeit des Kunstbetriebs einerseits und das Bedürfnis nach Dauer und künstlerischer Anerkennung seitens der Modedesigner und -designerinnen andererseits. Außerdem arbeiten Künstler und Künstlerinnen am eigenen Branding genauso wie Modedesigner oder -designerinnen, und Museen setzen auf bekannte Marken. Insgesamt sind Kunstsystem und Modesystem stärker als früher durch Designer_innen, Sammler_ innen, Künstler_innen und Medienleute miteinander verflochten. Die Kunstwelt ironisiert bisweilen die Modewelt, nicht zuletzt auch um mit diesem verwandten Parallelsystem das eigene zu hinterfragen. […] Modedesigner oder -designerinnen, die sich mit ihren Kreationen mit Formen und Themen aus der Kunst auseinandersetzen, sei es durch das Transformieren von Bildmotiven wie etwa bei Yves Saint Laurent, Issey Miyake oder Alexander McQueen, sei es durch konzeptuelle und mediale Übertragungen, etwa bei Hussein Chalayan oder Viktor & Rolf, arbeiten im System Mode. Das Museum führt

33 Zur Geschichte und Tradition des Ausstellens von Mode vom Anbeginn des 20. bis zum 21. Jahrhundert siehe Judith Clark/Amy de la Haye (Hg.): Exhibiting Fashion: Before and After 1971, New Haven/London 2014. 34 Siehe die Website online unter www.timbayern.de (letzter Zugriff: Juli 2015). 35 Vgl. die vielen Inszenierungsprojekte des führenden Gestaltungsbüros für Architektur und Szenographie online unter www.atelier-brueckner.de (letzter Zugriff: Juli 2015).

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beide zusammen. Diese Dialektik von Analogie und Differenz zwischen beiden Systemen deutlich zu machen, ist das eigentlich Spannende und Riskante bei Ausstellungen von Mode im Kunstkontext.36

Abb. 87: Atelier Brückner, TIM – Staatliches Textil- und Industriemuseum, Augsburg 2010

Unter der erstaunlichen Vielzahl von jüngeren Einzelausstellungen und Retrospektiven angesehener internationaler Modedesigner (u. a. Giorgio Armani37, Walter van Beirendonck38, Hussein Chalayan39, Viktor + Rolf 40, Iris van Herpen41, Yves Saint Laurent42, Jean Paul Gaultier43, Marc Jacobs44, Alexander McQueen45, 36 Annelie Lütgens: Mode als museale Inszenierung. In: Gudrun M. König/Gabriele Mentges/ Michael R. Müller (Hg.): Die Wissenschaften der Mode, Bielefeld 2015 (= Edition Kulturwissenschaft 34), S. 129 f. 37 Siehe Germano Celant (Hg.): Giorgio Armani. Kat., New York 2000; Robert Wilson (Hg.): Giorgio Armani, New York (Guggenheim Museum Publications) 2003. 38 Siehe Bracha de Man (Hg.): Walter van Beirendonck: Dream the World Awanke, Tielt, Lannoo 2011. 39 Siehe Yuko Hasegawa: Hussein Chalayan: From Fashion and back, London 2010. 40 ��������������������������������������� Siehe Caroline Evans/Susannah Frankel: The House of Viktor + Rolf, London u. a. 2008. 41 Siehe Iris van Herpen. Kat.: Groninger Museum, Groningen 2011. 42 ������������������������������� Siehe Jéromine Savignon (Hg.): Saint Laurent Rive Gauche: La Révolution de la Mode. Kat., Paris 2011; Yves Saint Laurent. Kat., Paris (Éd. de la Martinière) 2010. 43 ����������������������������������� Siehe Thierry-Maxime Loriot (Hg.): The Fashion World of Jean Paul Gaultier: From Sidewalk to the Catwalk. Kat.: Museum of Fine Arts u. a., Montreal 2011. 44 ��������������������� Siehe Pamela Golbin: Louis Vuitton. Marc Jacobs. Kat.: Les Arts Décoratifs, Paris 2012. 45 ��������������������������������� Siehe Andrew Bolton/Harold Koda: Alexander McQueen: Savage Beauty (2011); Susanne Neuburger (Hg.): Reflecting Fashion: Kunst und Mode seit der Moderne, Köln 2012; Germano Celant (Hg.): Art/Fashion. Kat., New York 1997.

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Azzedine Alaïa46, Dries Van Noten47, Martin Margiela48, Christian Louboutin49, Bernhard Willhelm50, Karl Lagerfeld51, Henrik Vibskov, Kostas Murkudis52 oder Gareth Pugh) lassen sich in den vergangenen Jahre nicht nur eine enorme Anzahl völlig unterschiedlicher kuratorischer Konzepte und verschiedener Präsentationsformen, sondern gerade auch vielfältige szenographische Herangehensweisen ausmachen und aufzeigen, die zunächst sowohl durch die Interessen und Intentionen ihrer Organisatoren und Veranstalter als auch durch die vorgegebenen Rahmen der ausgewählten Veranstaltungsorte im Wesentlichen vorbestimmt waren. Darüber hinaus hat bereits Rainer Wenrich zu Recht bemerkt, dass die seit etwa drei Jahrzehnten zunehmende Anzahl von »Modeausstellungen konzeptuelle Strukturen repräsentieren, die [gleichzeitig auch]einen wissenschaftlichen Diskurs über Mode unterstützen«.53 Eine Sonderform dieser neuen boomenden Spartenausstellungen, die Modedesign nunmehr auch in Museumsräumen, Kunsthallen und Galerien präsentieren und in vielem dem Retaildesign von kommerziellen Concept Stores ähneln, stellen zudem die kreativen (Re-)Installments von hervorstechenden Präsentationsformaten der Modegeschichte dar – am wohl prominentesten und bahnbrechendsten bislang 2009 im NRW Forum Düsseldorf in der Ausstellung Catwalks. Die spektakulärsten Modenschauen realisiert. Vom 26. Juli bis 1. November präsentierten die beiden Kuratoren Petra Wenzel und Werner Lippert eine Auswahl von herausragenden Inszenierungen für die Modeschöpfungen von Karl Lagerfeld, John Galliano, Hussein Chalayan, Alexander McQueen, Yves Saint Laurent, Comme des Garcons, Yohji Yamamoto, Thierry Mugler, Marc Jacobs, Rodarte, Balenciaga u. a. Im dafür eigens vom Bureau Betak entworfenen Ausstellungsdisplay für die Düsseldorfer Schau ließ sich zudem die visuell tragende Szenographie für solche charakteristischen Präsentationen nochmals auf einer Metaebene erfahren: als körperlich erfahrbare Inszenierung von legendären Inszenierungen respektive als die sinnliche Vermittlung der multisensualen Übersetzungen der Konzepte und The46 Siehe Azzedine Alaïa in de 21e eeuw. Kat., Leuven 2011. 47 Siehe Pamela Golbin (Hg.): Dries Van Noten. Inspirations. Kat.: Les Arts Décoratifs, Paris 2014. 48 ������ Siehe Maison Martin Margiela. Kat., Rizzoli 2009. 49 ������ Siehe Christian Louboutin, New York u. a. 2011. 50 ������������������������� Siehe Mark Wilson (Hg.): Bernhard Willhelm & Jutta Kraus, Rotterdam 2009. 51 Siehe zur Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle Karl Lagerfeld. Modemethode (2015) die Website online unter www.bundeskunsthalle.de/ausstellungen/karl-lagerfeld.html (letzter Zugriff: Juli 2015) sowie das Vogue-Special Karl Lagerfeld. Modemethode, hg. vom Condé Nast Verlag GmbH in Kooperation mit dem Steidl-Verlag, April 2015. 52 Siehe Susanne Gaensheimer/Peter Gorschlüter (Hg.): Kostas Murkudis, München 2015. 53 Rainer Wenrich: Einführung zu einer Medialität der Mode. In: Ders. (Hg.): Die Medialität der Mode. Kleidung als kulturelle Praxis. Perspektiven für eine Modewissenschaft, Bielefeld 2015, S. 13; vgl. hierzu ferner Gudrun M. König/Gabriele Mentges/Michael R. Müller (Hg.): Die Wissenschaften der Mode, Bielefeld 2015.

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men in den Entwürfen und Kollektionen von ausgewählten zeitgenössischen Modedesignern. Die von Alexandre de Betak konzipierte Metaszenographie bündelte in Düsseldorf die Video-Projektionen erinnerungswürdiger Scenographic Fashion Shows der letzten zwanzig Jahre zu einem einheitlichen Wahrnehmungs- und Erfahrungsraum, der im mehrfachen Sinne vom Thema Catwalk konzeptuell konstituiert wurde. Denn die Ausstellungsbesucher sollten den Ausstellungsparcours mitunter dabei selbst als individuellen Laufsteg erleben. Die besonderen Immersions- und Partizipationseffekte der vom Bureau Betak entworfenen und gebauten Ausstellungszenographie überspielten damit die Tatsache, dass hier keine realen Exponate, sondern vielmehr nur Dokumentationen und Zeugnisse in virtuellen Projektionen zu sehen waren. Werner Lippert erläuterte im Interview die Idee der dennoch hoch multisensorischen ModeAusstellung wie folgt: Jeder Besucher bekommt ein paar schnurlose Kopfhörer über die er zunächst einmal nur eine Geräuschkulisse, wie das Klicken von tausend Kameras oder das Gemurmel von den Zuschauern hört. Dabei läuft er auf einem Laufsteg entlang, bis er in die verschiedenen Fashionshows gerät. Videoeinblendungen in Live Size, also lebensecht, machen das Erlebnis bei dem alle Sinne gleichermaßen angesprochen werden perfekt. Der Zuschauer hat das Gefühl, selbst ein Teil der größten und spektakulärsten Modenschauen seit 1990 bis jetzt zu werden.54

Neben professionellen Kuratoren und klassischen Ausstellungsmachern aus musealen Häusern agieren heute viele Modeunternehmen jedoch zunehmend auch selbst aktiv als Aussteller oder engagieren dafür auf Projektbasis, neben Szenographen, oftmals aus der internationalen Kunstszene kommend, prominente und renommierte Ausstellungsmacher wie zum Beispiel Germano Celant. prada schickt seit 2014 beispielsweise die Geschichte ihres Hauses mit einer exemplarischen Auswahl an herausragenden Entwürfen und erfolgreichen Kreationen aus der eigenen Firmensammlung unter dem Titel pradasphere als multimedial aufgerüstete Eigenproduktion in Form einer Wanderausstellung auf Welttournee. Und wie prada richten auch andere internationale Luxusmarken wie beispielsweise Gucci in Florenz oder Armani in Mailand zugleich zunehmend feste museale Häuser mit ihren ständigen Schausammlungen ein, die im Allgemeinen ein besonderes Flair von Distinktion, Prestige, Exklusivität, Luxus und Tradition verströmen und inzwischen auch schon zum festen, auf dem Plan stehenden kulturellen Bestandteil touristischer Städteprogramme avancieren. In beiden Fällen sind die dafür aufwendig und sorgfältig erarbeiteten Ausstellungsszenographien jedoch jeweils für nicht länger als nur für einen Zeitraum von circa drei bis fünf Jahren konzipiert, denn permanenter Wandel und Innovation gehören schließ54 Werner Lippert zitiert nach Isabel Armenat/Marjorie Kublun: »Catwalks«: Interview mit Werner Lippert (23. Juli 2009), online unter www.modekommentar.de/?p=2303 (letzter Zugriff: 2015).

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lich gerade in der Mode zum fundamentalen Ethos und kreativen Credo. Szenographie ist als junge Dachdisziplin ebenfalls eine temporäre, wenn nicht schon eine ephemere angewandte Kunst, die überdies noch kaum und selten wirklich dokumentiert, archiviert und kritisch gewürdigt wird. Der Italiener Giorgio Armani (geb. 1934 in Piacenza) bezog als einer der ersten internationalen Modedesignerstars mit einer großen Retrospektive noch zu Lebenszeit darüber hinaus gleich die hehren Säle bzw. den White Cube eines der international bedeutsamsten Museen für moderne Kunst. Für die Szenographie der in der Kunst- und Museumswelt zunächst heftig kritisierten wie umstrittenen und vom Star-Kunstkritiker Germano Celant ko-kuratierten Armani-Schau im renommierten New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum konnte 2000/01 überdies der US-amerikanische Theaterregisseur und -star Robert Wilson gewonnen werden, dessen minimalistische Regie-Ästhetik den charakteristischen Armani-Look kongenial ins museale Licht zu rücken wusste (Abb. 88):

Abb. 88: Giorgio Armani: A Retrospective, szenographiert von Robert Wilson im Solomon R. Guggenheim Museum, New York City 2000 More than 400 garments are presented in a kaleidoscopic display, evoking the richly layered narrative of Armani’s oeuvre. Original sketches, photographs, and video presentations of historical material will round out this portrait, charting the evolution of Armani’s designs from their early status as ideas to their carefully orchestrated presentation as finished work. […] Through a dramatic combination of elements – including floating mannequins, mudlike floor and wall coverings, translucent scrims, and radically different color and lighting

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schemes at each ramp level – Wilson will transform the museum, providing a spectacular environment in which to experience the multifaceted aspects of Armani’s creations.55

Wer als Ausstellungsbesucher nun die Spiralrampe in der Rotunde des berühmten modernen Museumbaus von Frank Lloyd Wright beschritt, konnte atemlos staunend und bewundernd an Armanis Kollektionen wie an einer musealen Sammlung von klassizistischen oder antiken Skulpturen vorbeilaufen. In Umkehrung zu den Fashionshows defilierte hier das Publikum an den statischen Modepuppen vorbei. Und wie auch bei solchen Museumsausstellungen obligatorisch, erschien dazu gleich noch ein umfangreicher Ausstellungskatalog56, der die einzelnen modischen Entwürfe und epochalen Kreationen von Giorgio Armani gleichsam auf Kunstwerkniveau hob und wissenschaftlich kommentierte. Indem die Kleiderentwürfe im Museumsraum ihrem ursprünglichen funktionalen Herstellungs- und Gebrauchsalltagskontext augenscheinlich enthoben waren, konnten sie nunmehr ›vorbildhaft‹ auf Podeste gestellt, wie klassische Kunstwerke als edel und zeitlos ins Scheinwerferlicht der Geschichte gerückt, neu betrachtet und bewertet werden. Die Fachkritik wie die Feuilletons mussten sich in den letzten Jahren erst an solche thematischen Modeausstellungen und ihre elaborierten Szenographien in den White Cubes der hehren Museen für die Klassische Moderne und den generell von der Alltagskonsumwelt abgeschotteten Museumstempeln gewöhnen. So waren auch die ersten Reaktionen auf die New Yorker Armani-Retrospektive, trotz des gewaltigen Medienechos und allgemein großen Publikumsinteresses, eher skeptisch verhalten bis im Ton deutlich abwertend, wobei immer wieder entweder die Nähe zu kommerziellen Produkt- und Wareninszenierungen oder die szenographische Überhöhung als ernstes Manko unterstrichen wurde, so etwa auch bei Ute Thon für das Kunstforum International: Unter Kritikern hat die Schau dagegen für einiges Stirnrunzeln gesorgt. Schließlich hat das Guggenheim keine Kostümabteilung, die Ausstellung steht also nicht im historischkunsthandwerklichen Kontext, sondern wird als moderne Kunst verkauft. Armani auf einer Stufe mit Kandinsky, Rothko und Rauschenberg? »Vielleicht ist die Museumswelt einfach den Selbsttäuschungen der Modewelt über ihre angebliche künstlerische Reinheit erlegen«, schreibt Judith Thurman im New Yorker. Die New York Times wittert dagegen Anzeichen von ›intellektueller Korruption‹. Tatsächlich besteht der unschöne Verdacht, dass sich der italienische Designer die publicityträchtige Show für sehr viel Geld gekauft hat. Die Museumsleitung bestreitet das aufs heftigste. Doch die Ausstellung wurde zu einem Zeitpunkt geplant, als Armani dem Museum rund 15 Millionen Sponsordollars in Aussicht stellte. Im Pressematerial taucht Armanis Name als Sponsor gar nicht erst auf, und das, obwohl die meisten Exponate aus seinem Archiv stammen. Um der Show zusätzliches kulturelles Gewicht zu verleihen, wurde für das Ausstellungsdesign der Theaterkünstler 55 Zitiert aus der ursprünglichen Pressemitteilung des Guggenheim Museums anlässlich der Armani-Schau, online unter www.guggenheim.org/new-york/press-room/releases/press-releasearchive/2000/698-september-25-giorgio-armani (letzter Zugriff: Juli 2015). 56 Germano Celant: Giorgio Armani. Kat. Guggenheim Museum, New York (Abrams) 2000.

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Robert Wilson engagiert. Der Bühnenmagier hat für die Präsentation der Armani-Roben sämtliche Register gezogen. Frank Lloyd Wrights Spiralrampe wurde mit Gaze bespannt, der Boden mit grauem Teppich belegt, die Wände taupe gestrichen. Die Gewänder schweben im zenmäßig-minimalistischen Raum, als steckten unsichtbare Menschen drin. Cremefarbene Spitzentops umschmeicheln imaginäre Busen, Spaghettiträger kreuzen sich auf einem durchsichtigen Frauenrücken, ein hauchdünner Chiffonrock umspannt einen unsichtbaren Modelpopo. Tarnkappe meets Frau ohne Unterleib. Ein zauberhafter Effekt, der sich bei der Inspektion von 400 menschenleeren Hüllen allerdings schnell verliert. Weiter oben hat Wilson die Kleider auf rissigen Lehmböden arrangiert, aus denen leuchtende Glasfaserstäbe wachsen. Rote Seide glüht im Spotlicht. Aus unsichtbaren Lautsprechern wispert meditative Sitarmusik. Die Atmosphäre schwankt zwischen Luxusmall und Fashion’s Hall of Fame. »Was der Armani-Show an Tiefe fehlt, macht sie mit Glitter wett«, urteilte Herbert Muschamp in der New York Times. Tatsächlich siegt perfektes Styling über Substanz. Die Armani-Gewänder sind beispielsweise nicht chronologisch, sondern thematisch, sprich nach Farben und Mustern zusammengestellt. Das macht sich hübsch, besonders bei den Schwarzweiß-Ensembles, die, mal längs-, mal quergestreift oder kariert, streng geometrisch wie ein Cecil Beaton-Bild inszeniert sind. Die dekorative Anordnung trübt jedoch den Blick für zeitliche Zuordnung oder künstlerische Entwicklungen. Von den »25 Jahren eines Modevisionärs« sieht man nur die glitzernden Highlights. Entwürfe aus der frühen Schaffensperiode sind auffallend rar. Seine Mode für normale Menschen, seine Uniformen für italienische Polizisten, für Stewardessen und Soldaten fehlen ganz. Die meisten Exponate stammen aus den 90er Jahren, nicht wenige sogar aus den allerletzten Kollektionen. Was gestern noch im Laden hing, steht heute im Museum. Fast erwartet man, dass an den Gewändern noch irgendwo Preisschilder baumeln. […] Das Guggenheim hat sich in Armanis neusten Megastore verwandelt, an der Wand hängen Fashionfotos von berühmten Fotografen, hinten im gleißenden Licht warten die Fetischobjekte. Das einzige, was fehlt, ist die blasierte Verkäuferin, die einem bei der Kleiderbeschau über die Schulter schaut.57

In den vergangenen Jahren ist jedoch trotz der scharfen Kritik bei einem breiten Publikum generell das Interesse an solchen Einzel- und Themenausstellungen zu Wechselwirkungen und Berührungen von Kunst und Design enorm gewachsen, was wiederum neue Ausstellungsszenographien forcierte, die dabei ihre inhärente Funktion als Netzwerkagenturen deutlich hervorkehrten. Es geht nicht mehr allein nur um die adäquate Präsentation und Exposition von (vielleicht) bedeutenden Entwürfen, sondern im Wesentlichen auch um Erklärungen, Übersetzungen und Vermittlungen, was Mode jeweils in ihrer Zeit ist, darstellt und bedeutet – was sich in ihr kulturell artikuliert. Diese idiosynkratische Sprache der Mode muss Szenographie sinnlich erfahrbar und subnarrativ übersetzen. Die kreative und kulturelle Leistung einer Designerpersönlichkeit in ihrer Zeit wird dann nicht nur wie in der wegbereitenden Ausstellung von Giorgio Armani im New Yorker Guggenheim Museum stil-kongenial übersetzt, dort museal zur Kulturgeschichte aufbereitet und in ihrer originär-signaturhaften Ästhetik wiederum zur atmosphärischen Wirkung gebracht, sondern gerade auch als ein Knotenpunkt 57 Ute Thon: Giorgio Armani. Ringmeister im Zirkus der Eitelkeiten. Das Guggenheim-Museum geht mit der Mode und zeigt Armani-Klamotten als hohe Kunst. Business mit glänzenden Hüllen. Guggenheim Museum, New York City, 20.10.2000–13.1.2001. In: Kunstforum International 153 (2000), S. 420.

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in einem Netz vieler subjektiver Inspirationen, von sozialen Beeinflussungen und zeitgeschichtlichen Wechselwirkungen thematisiert und damit in weitaus größere kulturelle Gesamtzusammenhänge gesetzt, die das Verständnis und die Erkenntnis für die gestalterische Leistung im Publikum befördern. Bestes Beispiel hierfür lieferte zuletzt eine während der Pariser Fashion Week 2014 eröffnete, ebenfalls monographische Ausstellung zu den modischen Entwürfen des Belgiers Dries Van Noten (geb. 1958 in Antwerpen), einem prominenten Vertreter der legendären ›Antwerp Six‹ in der jüngeren Geschichte des Modedesigns. Sie wurde von der Presseabteilung des Pariser Museum Les Arts Décoratifs wie folgt als Parcours durch einen Kosmos der schöpferischen Fantasie und überbändigen Kreativität angekündigt, der durch die Szenographie opulent und sinnlich vorgeführt und dargestellt werden sollte. Dries Van Notens oftmals als eklektizistisch definierter Stil wurde hier szenographisch, quasi auf eine Metaebene, kongenial übersetzt: From March 1st to August 31st 2014, the work of the Belgian fashion designer Dries Van Noten takes us on an intimate journey into his artistic universe, he reveals the singularity of his creative process which illustrates his various numerous sources of inspiration. This event is an eye opening experience where Dries Van Noten’s men’s and women’s collection are put together with iconic pieces from the museum’s fashion and textile collection. The show also includes photographs and videos, film clips, musical references, as well as artworks by renowned artists from public and private collections, that have triggered the designer’s imagination throughout his life and career.58 (Abb. 89)

Nicht nur Dries Van Notens saisonale Modenschauen bestechen seit Jahren immer wieder gerade durch ihren originellen szenographischen Aufwand, auch das multimediale Display der umfangreichen Werkschau unter dem Titel Inspirations im Museum Les Arts Décoratifs des Pariser Louvre folgte einer szenographischen Gesamtlogik aus sinnlichem Präsentieren, Exponieren und Informieren. Die etablierten disziplinären Kategorien und systematischen Unterscheidungen, d. h. die historisch etablierte Abgrenzung und Ausdifferenzierung von Kunst und Design, von Hochkultur und Subkulturen in der Moderne, von bloßem Kommerz und hohem Kulturgut, wurden hier durch die Inszenierung der gefertigten Entwürfe inmitten ihrer vielfältigen und reichen Inspirationsquellen aufgehoben. Die Pariser Szenographie erlaubte dafür auch vergleichende Assoziationen und konzeptuelle Rückgriffe auf die genreübergreifenden alten Wunder- und Schatzkammern, während die atmosphärische Anmutung von Treib- und Gewächshäusern der Moderne nicht nur für die floralen Muster und ornamentalen Stoffe in Dries Van Notens Kollektionen Pate standen, sondern gerade auch als sprechende Metapher für das Blühen und Gedeihen kreativer Visionen und schöpferischer Realisierungen verstanden werden konnte. Fast wortwörtlich folgte damit 58 Zitiert aus der offiziellen Pressemitteilung des Pariser Les Arts Décoratifs 2014 anlässlich der Dries-van-Noten-Schau.

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Abb. 89: Ausstellung Dries Van Noten. Inspirations, Musée des Arts Décoratifs, Paris 2014

die Pariser Szenographie für Dries Van Notens Schaffen, die im Anschluss noch in erweiterter und variierter Form nach Antwerpen ins belgische Museum der Mode weiterwanderte, damit der Idee eines sinnlichen Gartens blühender Fantasien und eines geheimnisvoll schöpferisch-kreativen Kosmos, in dem alles mit allem in befruchtender gegenseitiger Beeinflussung und wechselseitiger Verbindung steht: For this exhibition, Dries Van Noten has brought together elements which point to other sources of inspiration, such as the Renaissance »chambers of wonder« or »curiosity cabinets« in which collectors amassed memorabilia and souvenirs. Each piece is exposed with various items that seem hard to grasp at first sight but become progressively legible as a reflection of his creative process. His choice to organize his work in a particular way, results from a skilful montage in the museum space. By associating the pieces with shared similarities, he illustrates the main themes and characteristics of his production from the early 1980s. The exhibition brings together all the artistic fields with an assemblage of historical, pictorial, ethnic, cinematic, musical and geographic references. While stressing the influences, the analogies and the contradictions in Dries Van Noten’s work, the show combines fashion design with the world of decorative and fine arts, in order to illustrate the Belgian creator’s distinctive techniques and stylistic vocabulary. Dries Van Noten has selected anonymous 19th century pieces and works by emblematic couturiers such as Elsa Schiaparelli and Christian Dior and 1980s designers, to evoke intimate subject matters such as youth, the archetype, ambiguity and passion, while highlighting his ›signature‹ themes. Thanks to exceptional loans, masterpieces by important artists such as Bronzino, Kees Van Dongen, Yves Klein, Victor Vasarely, Francis Bacon, Elizabeth Peyton and Damien Hirst are on display in each section of the show. Major films, including Stanley Kubrick’s Clockwork Orange and Jane Campion’s The Piano, are also part of the event.59 59 Ebd.

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Die Szenographie, die Dries Van Notens gestalterisches Werk und schöpferische Schaffensweise so signifikant in Szene setzte und dabei vor allem mit assoziativen wie konnotativen Verbindungen arbeitete, gerät dann nebenbei auch zur charakterisierenden Definition von der Vorstellung, was Kreativität in unserer Zeit heißt. Denn nach der postmodernen Entgrenzung der bildenden Künste, die mit einer Ausweitung der Materialien, Techniken, Gattungen und Genres, Kategorien, Klassifikationen und Hierarchien sowie der Themen und Zweckbestimmungen der modernen Kunst einherging, lässt sich heute nicht nur eine deutliche Hinwendung zum Performativen, zum Zusammengehen von Darstellungs- mit Aufführungskünsten und zu Mixed Media, sondern gerade auch eine neue verbindende Konvergenzkultur ausmachen, in der die historisch ausdifferenzierten Systeme und Hierarchien von Kunst, Design und Alltagskultur sich zunehmend auflösen. Indem in ihren Beschreibungen und Erklärungen nun vielmehr das Augenmerk viel stärker auf gegenseitige Wechselwirkungen und Beeinflussungen, auf gemeinsame Verbindungen, Verknüpfungen, Verflechtungen und Vernetzungen gerichtet wird. So dominieren in dieser opulent inszenierten Szenographie für die fertile Kreativität von Dries Van Noten in den Pariser und Antwerpener Retrospektiven gerade die Vermittlungs- und Verbindungsstrategien von scheinbar Disparatem und Heterogenem in einem ganzheitlichen inszenatorischen Konzept aus intermedialen Praktiken: Kreatives Planen, Entwerfen, Konzipieren, Realisieren und Präsentieren wie Exponieren stellen dabei jeweils als transient gestalterischer Transformationsakt von Materiellem und Immateriellem multisensusale Knotenpunkte und temporäre Schnittstellen zu weiteren Dispositiven in einem größeren kulturellen Rahmen her. Freie und angewandte Künste, wie sie die westliche Moderne als autonome kreative Disziplinen hervorgebracht hat, zeichnen sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch ihre Auflösung in intermediale Hybride aus, die sich nun einer klaren gattungstheoretischen Einordnung und reinen Klassifizierung wie systematischen Kategorisierung eher verweigern, wie auch gleichzeitig durch eine neu geschaffene Verdichtung zu komplexen Knotenpunkten in einem weiten und variablen Netzwerk künstlerisch-gestalterischen Schaffens und symbolischen Erzählens sichtbar hervortreten. Die Installationskunst des 20. Jahrhunderts, in der Rolle als eine wichtige Inspirationsquelle und wesentliche Wegbereiterin für gegenwärtige szenographischen Praktiken, hatte bereits die notorischen Purifizierungstendenzen der Moderne mit einer sichtbaren Hinorientierung zu immersiven, multisensorischen und interaktiven Gesamtkunstwerken, die als ganzheitliche wie synästhetische Wahrnehmungs- und Erfahrungsräume fungieren, durchgestrichen. Zunehmend partizipatorische und multiauktorielle Komponenten der Installationswerke perforierten ebenfalls die hermetische Geschlossenheit des autonomen modernen Kunstobjekts mit seiner zertifizierenden klassischen Werksignatur

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inmitten eines vom Leben und der Alltagswelt separierten modernen Ausstellungsraumes. Als eine neuartige Inszenierungs- und Ausstellungspraxis versteht sich die Szenographie daher offensichtlich als (kommerzielle) Aktualisierung der bisherigen modernistischen Installationskunst für ein konsumistisches Zeitalter, das im Wesentlichen als eine technologisch vernetzte und global kommunizierende Gesellschaft verfasst ist. Durch das Überschreiten von physisch-räumlichen und zeitlichen Grenzen öffnet Szenographie als wirksame Netzwerk-Agentur hierbei zugleich die totalitäre Geschlossenheit des modernen Gesamtkunstwerkes in ein prozessuales, sich stetig transformierendes, variables und heterogenes weites Feld, in dem unterschiedliche Akteure und Aktanten immer wieder neue Bezüge und aktuelle Verknüpfungen herstellen, und daraus synoptische wie mythopoetische Narrative entwickeln – daher auch die grundsätzliche Variabilität der Dries-Van-NotenWanderschau, die sich flexibel in unterschiedliche Kontexte und architektonische Rahmen anbinden und einbetten lässt. Die praktische Ausführung und vorläufige Vollendung einer solchen Szenographie gehen außerdem immer auch mit ihrer temporären Ausstellung respektive ephemeren Aufführung in eins. Zugleich drückt sich darin aber auch eine neue Rolle der Designerin/des Designers in der Gegenwart aus: Vom modernen Formgestalter, Zeichenarrangeur und Diskursmanager avanciert er/sie in einem konsumistischen Kapitalismus und in einer Ära der umfassenden ästhetischen Event- und Aufmerksamkeitsökonomie durch szenographische Praktiken, in der Entwerfen und Gestalten heute mehr und mehr ein- und aufgehen, zum maßgebenden Atmosphärenproduzent und subjektiven Erfahrungsgestalter, zum anregenden Kommunikationsgestalter, zum Impuls gebenden Ereignisinitiator, zum emotionalisierenden Storyteller respektive digitalen ›Scrollyteller‹, und – last, but not least – zum bedeutenden Erlebnisformer in der Gesellschaft. Mode und Marken artikulieren in ihren Szenographien, als gesamtkunstwerkartiges Scenographic Fashion Design, heute nicht nur jeweils Lifestyles, sie sind selbst auch zum Ausdruck dafür geworden, welche Ereignisse und Erlebnisse wir uns in der Zeit für unser Leben versprechen. Und somit gilt heute umso mehr: Mode geht uns an die Haut. Szenographisches Denken und Handeln im Kontext der Mode und ihrer Marken schafft Profile, Mehrwert und Wertigkeiten im globalen ökonomischen Wettbewerb. Szenographie ist dabei im Sinne von Latours ANT als eine spezielle Agentur auf dem umkämpften Feld der globalisierten Kreativwirtschaft zu verstehen, die die notwendigen sozialen Beziehungen und wesentlichen Austauschformen zwischen denjenigen, die diese Unterscheidungen und Charakteristiken miteinander aushandeln und setzend ausformulieren, bilden und gestalten. Ein Scenographic Branding formatiert dabei den notwendigen Kommunikationsprozess als variables, flexibles und fluides Netzwerk aus Entwerfern und Produzenten,

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Herstellern und Verkäufern sowie den Kunden und Konsumenten, die in wiederholten Interaktionen gemeinschaftlich definieren, welche Anzahl und Gesamtheit von positiv besetzten Funktionen, Emotionen, Narrationen und Assoziationen jeweils mit einer Marke verbunden werden können. Der Einsatz einer hervorstechenden oder originellen Gestaltung und deren wiederholte einheitliche, crossmedial abgestimmte Verwendung und ästhetische Präsenz an den verschiedensten Schnittstellen und Knotenpunkten für die gesellschaftliche Kommunikation der jeweiligen Modemarken und ihrer Unverwechselbarkeit sind dabei von hoher Relevanz, damit es zu nachhaltigen und langfristigen Identifikationen in einem so schnelllebigen und modisch sich rasch wandelnden Konsumgeschäft kommen kann. Szenographie arbeitet somit gerade im Modischen am Unveränderlichen, Unvergänglichen und Universalen, an einer signifikanten langlebigen Markenkultur, die nicht nur mit ihren hervorstechenden stilistischen Ästhetiken, sondern gerade auch mit ihren jeweiligen Werten, Haltungen und Einstellungen für ihre Konsumenten so vorbildlich und begehrenswert wird, dass man dazu nicht nur eine Sympathie und emotionale Bindung aufbaut, sondern sich ihren Versprechungen und Verheißungen auch vertrauensvoll zuwendet und sich darin identifiziert. Mittels szenographischer Praktiken wird zudem markiert, dass in der Kultur der Gegenwart gerade auch das Modedesign, das mit den kollektiven Gestaltungsstilen seiner Farben, Formen, Muster und Materialien letztlich immer auch ganze Lebensstile entwirft und repräsentiert, vielen Konsumenten heute auch wichtige Orientierung liefert und soziale Identifikationen erlaubt – in Zeiten, in denen alles und jedes in einer pluralistischen und globalisierten Welt im beschleunigten Wandel und schnellen Fluss scheint. Modische Trends sind dabei gerade die Wegemarken. Für die hier im Mittelpunkt der besonderen Betrachtungen und allgemeinen Überlegungen stehende Mode und ihrer Marken kann daher in Hinblick auf ein sie derzeit prägendes Scenographic Branding abschließend festgehalten werden, was die Neue Zürcher Zeitung im Frühjahr 2015 bereits in ihrer Stilkolumne zu den internationalen Fashion Weeks zusammenfassend als Beobachtung auf den Punkt gebracht hatte: An die Stelle der Trend-Relevanz ist das Branding getreten: Nicht die modische Aktualität funktioniert für viele Kunden heute als erster Filter, sondern die Marke. Die Marken versuchen sich gerade diesem neuen Verständnis anzupassen. So macht Nicholas Ghesquière bei Louis Vuitton neu recht normale Streetwear auf Exklusiv Level, und siehe da: Es kommt an. Die Menschen wollen keine Kunst, sondern Klamotten. Auch Hedi Slimane rezykliert für Saint Laurent die Modegeschichte im Luxus-Fleischwolf und entwertet damit auch systematisch die Codes früherer Jugendkulturen. Punk und Rock’n’Roll waren einst Lebenshaltungen, heute sind diese Stile nur noch Zitate.60 60 Jeroen von Rooijen: Stilkolumne Catwalk. Wer hat heute noch den Überblick? In:

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Im Bilden von Referenzen durch Verknüpfung und Vernetzung entfaltet sich auch eine enorme Sinnproduktion. Bedeutung entsteht erst durch Verweis und Verbindung. Szenographie ist daher die sinnstiftende (angewandte) Kunst der Vernetzung mit primär ästhetischen Mitteln. Indem Scenographic Fashion Design als Metaszenographie, als Inszenierung der Inszenierung – wie etwa im September 2015 in Marc Jacobs’ inszenierter Roter-Teppich-Inszenierung während der New York Fashion Week (Abb. 90) –, fungiert, da verweist es gleichzeitig selbstreflexiv und -referentiell auf eine Kultur, in der nur noch das Inszenierte – gegenwärtig auch als Retro-Zitat – modisch wirksam werden kann. Marc Jacobs zeigt, wie sehr Modedesign und Markenkult heute ein wesentlicher Bestandteil der globalen Eventkultur und des Entertainments sind. Entsprechend gewinnen auch ihre Social-Media-tauglichen Inszenierungen weiter an Bedeutung. Und es gilt heute schließlich vielmehr: Before it’s in fashion, it’s on stage!

Abb. 90: Marc Jacobs Spring/Summer 2016-Fashionshow: Premiere, Ziegfeld Theatre, New York City, 18. September 2015

Neue Zürcher Zeitung v. 19. März 2015, online unter http://www.nzz.ch/lebensart/stil/ wer-hat-noch-den-ueberblick–1.18505288 (letzter Zugriff: Juli 2015).

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Alexandre de Betak, zitiert nach Sofia Cavallo: OC x PFW: Alex de Betak, the Man behind the Shows (3.10.2012), online unter www.openingceremony. us/entry.asp?pid=6546&utm_source=facebook&utm_medium=social&utm_ campaign=fb_100312 »Fellini der Catwalkshows« – Alexandre de Betak im Gespräch mit Alix Browne (19. Juli 2009), online unter www.nrw-forum.de/blog/2009/07/19/der-fellini-dercatwalkshows-–-alexandre-de-beatk-im-gesprach-mit-alix-browne Katherine Bernard: Reinventing the runway – on format and fashion. In: DazedDigital (2014), online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/ 21616/1/reinventing-the-runway-on-format-and-fashion Tim Blanks: Rick Owens. Fall 2015 Menswear auf dem Blog Style.com (22. Januar 2015), online unter www.style.com/fashion-shows/fall–2015-menswear/rickowens Blythe Doll Models Bottega Veneta’s Spring Summer 2014 Collection (14. Februar 2014), online unter http://luxurytrump.com/fashion/blythe-doll-modelsbottega-venetas-spring-summer-2014-collection Gesine Borcherdt: Kostas Murkudis und Carsten Nicolai im MMK Frankfurt. Annäherung an die Königsdisziplin (10. November 2010), online unter www. artnet.de/magazine/kostas-murkudis-und-carsten-nicolai-im-mmk-frankfurt Susie Bubble: Valentino AW 15 + live stream. In: DazedDigital v. 11. März 2015, online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/23924/1/valentino-aw15live-stream Isabella Burley: Inside the Magical World of Prada. In: DazedDigital v. 20. Septem­ ber 2014, online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/17252/1/insidethe-magical-world-of-prada Tricia Carr: Louis Vuitton eyes the masses with first TV commercial. In: Luxury Daily v. 12. November 2012, online unter www.luxurydaily.com/louisvuitton-reaches-the-masses-through-first-tv-commercial Jess Cartner-Morley: Salvatore Ferragamo Louvre show pushes case for fashion as high art. In: The Guardian v. 13. Juni 2012, online unter www.theguardian. com/fashion/2012/jun/13/salvatore-ferragamo-louvre-exhibition-leonardo Ben Davis: The Rise of the Superartists, online unter www.artnet.com/magazineus/ reviews/davis/davis7-16-08.asp?print=1 John Deurell: Nobody puts Prada in the Corner. How Surrealist Painters and living in a warehouse as an RCA student inspired Italian designer Martino Gamper’s corner obsessed prada collab. In: DazedDigital v. 9. Januar 2015, online unter www.dazeddigital.com/fashion/article/23099/1/nobody-putsprada-in-the-corner Exclusive! Director Jonas Akerlund Talks About Shooting Duran Duran’s New Supermodel-Packed »Girl Panic!« Video, online unter http://goldenageofmusic

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Cover Kostas Murkudis in Zusammenarbeit mit Carsten Nicolai, Filmstill: Szenographierte Modenschau im MMK Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main, 2010; Photo: © MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main/Renato Ribeiro Alves; Courtesy: Kostas Murkudis (Berlin) 1 Sylvie Zijlmans & Hewald Jongenelis: Fashion Story Wrong Turn Editorial for Wallpaper* Magazine in the Elmgreen & Dragset Exhibition The One & The Many in the Submarine Wharf in Rotterdam/ September 2011 Issue; Foto: Sylvie Zijlmans & Hewald Jongenelis © Julian Meijer Agency, Fashion Matthew Stevenson-Wright, Production Happé Creative Productions (http://zijlmansjongenelis.nl/wallpaper) 2 Tommy Hilfiger Fall 2015, New York City, 16. Februar 2015, Screengrab des Live Broadcast der Fashionshow im Internet mit Get it now-Button/ PlugIn für Link 3 Diamond of Suspense, Skizze von Uwe R. Brückner, Atelier Brückner, Stuttgart; © Uwe R. Brückner 4 Louis Vuitton und Daniel Buren, Spring/Summer-Kampagne 2013, fotografiert von Steven Meisel; Models: Janice Alida, Athena Wilson, Ruby Jean Wilson, Tian Yi, Nastya Kusakina, Magdalena Jasek and Ji Hye Park; © Louis Vuitton und Daniel Buren 5 Hussein Chalayan: Between, Spring/Summer 1998-Fashionshow; © Hussein Chalayan; Bildquelle: https://de.pinterest.com/funkie75/hus sein-chalayan/ 6 Ermenegildo Zegna: Mailand Fashionshow Spring/Summer 2013, © Ermenegildo Zegna, Bildquelle: http://mensmodelstalk.blog8.fc2.com/ blog-entry-5411.html 7 Viktor + Rolf, Paris Autumn/Winter Fashion Show 2009/2010, © Viktor + Rolf 8 Moschino: Milan Spring/Summer 2015 Fashion Show, © Pier Marco Tacco/Getty Images, 18. September 2014 9 Louis Vuitton: Paris Spring/Summer 2012 Fashion Show, © REUTERS/ Benoit Tessier 10 Filmstill aus der Valeria Marini Fashionshow Seduzioni Diamonds, Mailand, Spring/Summer 2010; Foto: AP 11 Rick Owens: Paris Menswear Fashion Show Autumn/Winter 2015–2016, © Kristy Sparow/Getty Images

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Filmstill aus der Sonia-Rykiel-Show für H&M, Grand Palais, Paris 2009; Bildquelle: http://twentyteneightyfour.wordpress.com/tag/sonia-rykiel dior Homme: Paris Fashion Show Fall/Winter 2015; © dior; Bildquelle: http://mensmodelstalk.blog8.fc2.com/blog-entry-7092.html Lily Allens Liveperformance, Chanel, Pariser Fashionshow Spring/ Summer 2010; Bildquelle: http://www.wallpaper.com/fashion/chanelspringsummer-2010-show/3773 Kanye West x adidas Originals: Fashionshow AUTUMN/WINTER 2015-2016, während der New York Fashion Week Fall 2015 am Skylight Clarkson Square, 12. Februar 2015; © Gareth Cattermole/Getty Images Nick Knights Showstudio für Nicola Formichettis Diesel-Fashionshow in Venedig, Frühjahr 2014; Bildquelle: http://showstudio.com/blog/post/ nicola_formichettis_diesel_venice_show_with_nick_knight_films Kostas Murkudis Spring/Summer Collection 2014; eine Hommage an Franz Erhard Walther, Installationsansicht Berlin; Foto: © Jonas Lindstroem/Kostas Murkudis Ausstellungsansicht Alexander McQueen. Savage Beauty, The Metropolitan Museum of Art, New York City, 4. Mai – 7. August 2011; © The Photograph Studio, The Metropolitan Museum of Art, New York City; Bildquelle: http://blog.metmuseum.org/alexandermcqueen/ about/#sthash.lfX9LWMK.dpuf Alexander McQueen: Plato’s Atlantis, Fashionshow Spring/Summer 2010; Foto: © François Guillot, AFP/Getty Images Alexander McQueen: NO. 13, Fashionshow Spring/Summer 1999; Foto: Chris Moore, Catwalking/Courtesy Victoria & Albert Museum London Alexander McQueen: Plato’s Atlantis, Paris Fashionshow Spring/Summer 2010; Foto: AFP; Bildquelle: http://www.bt.dk/underholdning/beamme-scottie#slide-2 Viktor + Rolf, Motiv aus dem Jubiläums-Editorial in der VogueNetherlands, November 2013, © Philip Riches The House of Viktor + Rolf, Barbican Art Gallery, London 2008; © Lyndon Douglas Hussein Chalayan: After Words, Fashionshow Autumn/Winter 2000, Womenswear Collection, sponsored by ITKIB and Marks & Spencer; © Hussein Chalayan; Bildquelle: http://chalayan.com/afterwords Thom Browne: New York Fashion Show Spring 2013 (10. September 2012); AP Photo/ John Minchillo Iris van Herpen: Biopiracy, Autumn/Winter 2014; © Iris van Herpen; Bildquelle: http://www.irisvanherpen.com/womenswear#biopiracy

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prada Showroom: In the Heart of the Multitude, Fashionshow Spring/ Summer 2014, Mailand, Via Fogazzaro, 19. September 2013; © prada/ Foto: Attilio Maranzano Dries Van Noten: Menswear Fall/Winter 2012–2013; © Foto: Richard Bord/Getty Images Chanel, Paris Fashion Show Spring/Summer 2014; © Foto: Christophe Ena/AP Foto Chanel, Paris Fashion Fall/Winter 2014; © Foto: EPA/Christophe Karaba Chanel, Paris Fashion Show Spring/Summer 2013; © Chanel; Bildquelle: http://chanel-news.chanel.com/de_DE/home/2012/10/spring-summer2013-ready-to-wear--br---by-elisabeth-quin.html Chanel, Paris Fashion Show Spring/Summer 2013; © Chanel Chanel, Paris Fashion Show Spring/Summer 2010; © Getty Images; Bildquelle: http://www.popsugar.com/fashion/photo-gallery/5477025/ image/5477386/Chanel-Goes-Farm-Girl-Takes-Roll-Hay-Spring-2010 Bernhard Willhelm in Zusammenarbeit mit Josh Johnson und William Forsythe Company: Autumn/Winter 2013–2014, Carrousel du Louvre, Paris (20. Januar 2013); © Foto: Rocío Pastor Eugenio/ WOMANWORD; Bildquelle: http://womanword.com/2013/03/31/ bernhard-willhelm-longer-thicker-hair/ Filmstill aus Brüno (Regie: Sacha Baron Cohn; 2009); © Foto: Alessandro Garofalo/Reuters Zoolander 2: Schauspieler Ben Stiller und Owen Wilson modeln am 10. März 2015 als Überraschungsgäste in der Valentinos-Fall/Winter 2015/2016-Fashionshow während der Pariser Modewoche; © AP Photo: Christophe Ena dsquared2, Milan Fashion Show Menswear Spring/Summer 2015; © dsquared2; Bildquelle: http://www.wallpaper.com/fashion/catwalk-tourthe-top-mens-fashion-week-venues-from-ss-2015/7724#102229 Gareth Pugh: New York Fashion Show Spring/ Summer 2015; © Foto: Diane Bondareff/AP Gareth Pugh: New York Fashion Show Spring/Summer 2015; Bildquelle: instagram by @justinoshea at 02:45 Fri 5 Sep 2014, verlinkt auf https://showstudio.com/collection/gareth_pugh_new_york_womens wear_s_s_2015/instagram_98319 Trussardi: Men’s Spring/Summer 2016 in der Mailänder Pinacoteca di Brera; ©  Trussardi; Bildquelle: https://www.facebook.com/trussardi/photos/ ms.c.eJxlzMsJgFAUA9GOJIn3239j4kZ4cTschmBqIQw7GVUXv4 KQF~_EsPWmml~_tm6mfg544yEyozs0ehbo19OHzLAxfCKvU~-

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.bps.a.10152902077336466.1073741942.114139216465/101529020 79191466/?type=1&theater Salvatore Ferragamo: Cruise Collection 2013, Fashionshow im Pariser Louvre; © Foto: Benoit Tessier/Reuters Nicola Formichetti: Fashionshow Avatar/Digital Zombie Boy (Rick Genest), 2012; Bildquelle: http://www.dazeddigital.com/fashion/gallery/11729/0/ nicola-formichetti-exclusive-virtual-catwalk-documentary Dolce & Gabbana: Milan Fashion Show Set Autumn/Winter 2016; © Dolce & Gabbana; Bildquelle: http://www.swide.com/photo-gallery/ style-fashion-photo-gallery/dolcegabbana-mens-fw-2015-16-meet-thereal-families-from-the-fashion-show-set/2015/01/17/8-16 prada: Fashionshow-Set für die Kollektion Autumn/Winter 2015; © Foto: Agostino Osio Filmstill aus Yang Fudong: First Spring (2010); © prada/Yang Fudong Filmstill aus Yang Fudong: First Spring (2010); © prada/Yang Fudong Lady Gaga, 53. Grammy Awards, Los Angeles (2011); © Foto: Jason Merritt/Getty Images Printkampagne zu Louis Vuitton: L’Invitation au Voyage – Le Louvre (2012); © Louis Vuitton Printkampagne zu Louis Vuitton: L’Invitation au Voyage – Le Louvre (2012); © Louis Vuitton Filmstill aus dior: Secret Garden – Versailles II (2013); © dior Cannes: Filmfestivalplakat für prada und Roman Polanskis A Therapy (2012); © prada Filmstill aus Wes Andersons und Roman Coppolas Prada Candy L’Eau (2013); © prada Filmstill aus dem Musikvideo Thrift Shop von Macklemore und Ryan Lewis (2012); Regie: Jon Augustavo/Ryan Lewis Filmstill aus dem Musikvideo Change Clothes von Jay-Z (mit Supermodel Naomi Campbell; 2003); Regie: Chris Robinson Filmstill aus dem Musikvideo Standing on the Sun von R&B-Sängerin Beyoncé Knowles-Carter für H&M (2013); Regie: Jonas Akerlund Filmstill aus dem Musikvideo I love You (mit Male Model Matvey Lykov) von Woodkid (2013); Regie: Yoann Lemoine Filmstill aus dem Musikvideo Girl Panic von Duran Duran (mit Supermodel Helena Christensen; 2011); Regie: Jonas Akerlund Cover der Dezember 2011 – Ausgabe der britischen Harper’s Bazaar (mit – von links nach rechts – den Supermodels Yasmin Le Bon, Helena Christensen, Cindy Crawford, Naomi Campbell und Eva Herzigova)

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Filmstill aus dem Musikvideo Blurred Lines von Robin Thicke (2013); Regie: Diane Martel Filmstill aus dem Musikvideo Suit & Tie von Justin Timberlake (2013); Regie: David Fincher Filmstill aus dem Musikvideo Bad Romance von Lady Gaga in einem Showoutfit von Alexander McQueen (2009), Regie: Francis Lawrence Filmstill aus dem Musikvideo Bad Romance von Lady Gaga mit AlexanderMcQueen-Stilettos (2009); Regie: Francis Lawrence Filmstill aus dem Musikvideo Opulence von Brooke Candy (2014); Regie: Steven Klein; Bildquelle: http://imvdb.com/blog/new-release-brookecandy-opulence-directed-by-steven-klein-09985 Filmstill aus Breakfast at Tiffany’s mit Audrey Hepburn (1961); Regie: Blake Edwards; Bildquelle: http://classicmoviechat.com/wheres-theoutrage Store Window Display für Apple (2006) mit patrouillierenden Wach­ männern; Bildquelle: http://www.mymodernmet.com/profiles/blogs/ the-art-of-window-displays-15 Scenographic Window Dressing von Dolce & Gabbana mit dem Character BFG (Big Fashionable Giant), Corso Venezia 7, Milano (2015); © Dolce & Gabbana; Bildquelle: http://www.swide.com/photo-gallery/ style-fashion-photo-gallery/yeti-spotted-in-milan-in-the-dolce-andgabbana-windows/2015/01/12/1-3 prada-Schaufenster in Mailand (Frühjahr 2015): Corners von Martino Gamper; Foto: © prada Yayoi-Kusama-Schaufenster für Louis Vuitton, Fifth Avenue Maison, New York City 2012; Foto: © Louis Vuitton; Bildquelle: http://www. mymodernmet.com/profiles/blogs/louis-vuitton-yayoi-kusama-storesaround-the-world Andy Warhol: Bonwit Teller Window Display, New York, 1961; Foto: © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc., Courtesy of The Andy Warhol Museum, Pittsburgh (USA) Olafur Eliasson: Eye See You. Temporary Store Window Installation für Louis Vuitton (2006); Foto: © Louis Vuitton, Courtesy of Olafur Eliasson Elmgreen & Dragset: Prada, Marfa (USA 2005); Foto: Lizette Kabré, Courtesy Galerie Perrotin, New York/Paris/London Seth Price/Tim Hamilton: U.S. Folklore, documenta13 (Kassel 2012); Bildquelle: http://www.artnet.com/magazineus/news/nathan/docu menta-13-2012.asp

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Miu Miu/Vivienne Westwood: Setdesign Joe Rush (London 2012); Bildquelle: http://climaterevolution.co.uk/wp/2012/12/11/viviennes-dia ry-17-november-1-december Sogenannte Surfer Dudes und Store Greeters vor Hollister Co. an der New Yorker Fifth Avenue (USA 2012); Bildquelle: https://www.flickr.com/ photos/nyclovesnyc/6110136649 Interaktive Digital Store Window Displays von adidas NEO in Nürnberg, (2012); Bildquelle: http://digital-signage.info/archives/6-adidas-machtdas-Schaufenster-zum-interaktiven-Store.html Sarah Illenberger für Hermès, KaDeWe Berlin (2011); Foto: © Sarah Illenberger represented by Thierry Kauffmann, Bildquelle: http://www. designboom.com/art/sarah-illenberger-hermes-shop-windows Bottega Veneta x Blythe, Spring/Summer 2014; © Bottega Veneta; Bildquelle: http://moda.corriere.it/2014/02/15/le-bambole-di-bottegaveneta/?refresh_ce-cp Fassade des Louis Vuitton Flagshipstores in New York City, 5th Avenue, mit Yayoi-Kusama-Dekor (2012); © Yayoi Kusama/Louis Vuitton Retaildesign und Capsule Collection von Yayoi Kusama für Louis Vuitton, Selfridges London (2012); © Yayoi Kusama/Louis Vuitton Ausstellung Waist down – Skirts by Miuccia Prada (2009) im prada Transformer von Rem Koolhaas; © prada; Bildquelle: http://www.prada. com/en/a-future-archive/projects/specials/waist-down-seoul.html Sylvie Fleurys Installation Crystal Custom Commando im Chanel Mobile Art Pavillon in Tokio; © Chanel; Foto: Toshio Kaneko, Bildquelle: http:// www.nytimes.com/slideshow/2008/07/24/arts/design/20080724_ ZAHA_4.html Fondation Louis Vuitton, gebaut von Frank Gehry (Paris 2014); © Louis Vuitton/Frank Gehry (gepostet auf Pinterest) prada Epicenter New York City von Rem Koolhaas, mit der Bespielung The Iconoclasts 2015 von Michael Wilkinson und Tim Martin im Februar 2015; © prada; Bildquelle: http://www.architecturaldigest.com/blogs/ daily/2015/02/michael-wilkinson-designs-for-prada-iconoclasts-newyork pradas 24HoursMuseum (Paris 2012); © prada/Rem Koolhaas’ AMO/ Francesco Vezzoli; Bildquelle: http://www.wallpaper.com/gallery/fashion/ prada-24-hours-museum-paris/17052878#57641 Atelier Brückner, TIM – Staatliches Textil- und Industriemuseum, Augsburg 2010; © Atelier Brückner, Stuttgart; Foto: Volker Mai

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Giorgio Armani: A Retrospective, szenographiert von Robert Wilson im Solomon R. Guggenheim Museum, New York City 2000; © Giorgio Armani/Robert Wilson; Foto: Ellen Labenski Ausstellung Dries Van Noten. Inspirations, Musée des Arts Décoratifs (Paris 2014); Foto: PR; Bildquelle: http://www.wallpaper.com/fashion/ in-bloom-dries-van-notens-first-retrospective-exhibition-at-paris-musedes-arts-dcoratifs/7232#95791 Marc Jacobs Spring/Summer 2016-Fashionshow, Premiere, Ziegfeld Theatre, New York City (18. September 2015); © Marc Jacobs; Foto: AP;  Bildquelle: http://www.faz.net/aktuell/stil/mode-design/ new-york-fashion-week-nicht-mehr-exklusiv-13811004/als-wollteer-den-oeffentlichen-13811346.html

Szenografie & Szenologie Ralf Bohn, Heiner Wilharm (Hg.) Inszenierung und Politik Szenografie im sozialen Feld August 2015, 346 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3105-0

Ralf Bohn Szenische Hermeneutik Verstehen, was sich nicht erklären lässt Juni 2015, 486 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3151-7

Heiner Wilharm Die Ordnung der Inszenierung Februar 2015, 682 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2665-0

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Szenografie & Szenologie Christine Schranz Von der Dampf- zur Nebelmaschine Szenografische Strategien zur Vergegenwärtigung von Industriegeschichte am Beispiel der Ruhrtriennale 2013, 214 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2693-3

Ralf Bohn, Heiner Wilharm (Hg.) Inszenierung und Effekte Die Magie der Szenografie 2013, 410 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2303-1

Ralf Bohn Inszenierung als Widerstand Bildkörper und Körperbild bei Paul Klee 2009, 282 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1262-2

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Szenografie & Szenologie Nebojsa Tabacki Kinetische Bühnen Sean Kenny und Josef Svoboda – Szenografen als Wiedererfinder des Theaters 2014, 242 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2876-0

Paul Divjak Integrative Inszenierungen Zur Szenografie von partizipativen Räumen 2012, 140 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1942-3

Ralf Bohn, Heiner Wilharm (Hg.) Inszenierung der Stadt Urbanität als Ereignis 2012, 372 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2034-4

Ralf Bohn, Heiner Wilharm (Hg.) Inszenierung und Vertrauen Grenzgänge der Szenografie 2011, 392 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1702-3

Sandra Schramke Kybernetische Szenografie Charles und Ray Eames – Ausstellungsarchitektur 1959 bis 1965 2010, 186 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1508-1

Ralf Bohn, Heiner Wilharm (Hg.) Inszenierung und Ereignis Beiträge zur Theorie und Praxis der Szenografie 2009, 406 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1152-6

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