Pietismus und Ökonomie (1650-1750) [1 ed.] 9783666560422, 9783525560426


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German Pages [477] Year 2021

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Pietismus und Ökonomie (1650-1750) [1 ed.]
 9783666560422, 9783525560426

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Wolfgang Breul / Benjamin Marschke /  Alexander Schunka (Hg.)

Pietismus und Ökonomie (1650–1750)

Arbeiten zur Geschichte des Pietismus Im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus

Herausgegeben von Thilo Daniel, Manfred Jakubowski-Tiessen und Hans-Jürgen Schrader Band 65

Wolfgang Breul / Benjamin Marschke / Alexander Schunka (Hg.)

Pietismus und Ökonomie (1650–1750)

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Julius Bernhard von Rohr: Compendieuse Haußhaltungs-Bibliotheck, Bayerische Staatsbibliothek München, Oecon. 1510, Titelkupfer. Satz: 3w+p, Rimpar Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0858 ISBN 978-3-666-56042-2

Inhalt

Wolfgang Breul, Benjamin Marschke, Alexander Schunka Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Reflexionen religiös-ökonomischer Zusammenhänge . . . . . . 23 Justus Nipperdey Pietistische Wirtschaftsvorstellungen im Kontext des kameralistischen Diskurses um 1700 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans Schneider Pietismus, Ökonomie und Toleranz: Das Büdinger Toleranzedikt von 1712 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Peter James Yoder The Economics of the Unconverted: Idolatry, Greed, and Theft in August Hermann Francke’s Theology of Wealth . . . . . . . . . . . . .

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Veronika Albrecht-Birkner Die Fußstapffen […] GOTTES: Theologisches Argumentieren mit ›Wirtschaftswundern‹ im hallischen Pietismus bis zum Ende des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Matthias Plaga-Verse Der Allmächtige wird dein Gold sein (Hi 22,25): Ökonomische Strukturen und theologisch motiviertes Wirtschaften in separatistisch-pietistischen Gemeinschaften in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Katherine Carté Engel Religion and the Economy: New Methods for an Old Problem

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Inhalt

2. Praktiken des Wirtschaftens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Jan van de Kamp Pietismus und Ökonomie bei deutschen reformierten Kaufleuten südniederländischer Herkunft am Ende des 17. Jahrhunderts . . . . . . 149 Kai Lohsträter Pietismus, Ökonomie und Nachrichtenpresse im 18. Jahrhundert: Die Hallischen Zeitungen als Wirtschaftsunternehmen der Glauchaer Anstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Alexander Schunka Mit Geld zu Gott: Kollektenreisen zwischen Pietismus und internationalem Protestantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Ann-Kathrin Otte Ich habe die Sache blos aus gehorsam angefangen: Gotthilf August Francke und der Seidenbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Hans-Jürgen Schrader Fürstengnade und Lotterie: Modalitäten der Finanzierung der Berleburger Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Thomas Max Safley A Pietist Economy or a Pious Economy? Funding and Administering Social Institutions in Augsburg, 1650–1750 . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Peter Vogt Let Our Commerce Be Holy unto Thee! Economic Practice in the Eighteenth-Century Moravian Church . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Heidrun Homburg Gläubige und Gläubiger: Zum ›Schuldenwesen‹ der Brüder-Unität um die Mitte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Rüdiger Kröger Das Geschäft mit Luxusartikeln in der Brüdergemeine am Beispiel der Kunstmöbeltischlerei Roentgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

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Inhalt

3. Kulturelle und religiöse ›Ökonomien‹ . . . . . . . . . . . . . . . 357 Udo Sträter Zeitwahrnehmung und Zeitökonomie bei August Hermann Francke und im hallischen Pietismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Daniel Fulda Heilsökonomien: Pietismus und Komödie in Konvergenz und Konflikt Joachim Jacob Freundschaftsökonomie: Der Pietist in der Freundschaft

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. . . . . . . . 403

Corinna Kirschstein Pracht, Wollust und Uppigkeit: Zeitverschwendung und Affektökonomie im Halleschen Pietismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Benjamin Marschke A Waste of Time: Courtly Entertainments, Adiaphora, and Economy of Time in Halle Pietism and in King Frederick William I’s Prussia . . . . 435

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Verzeichnis der Abbildungen/Grafik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Personenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Ortsindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Bibelstellenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

Wolfgang Breul, Benjamin Marschke, Alexander Schunka

Einleitung

Die Epoche zwischen 1650 und 1750 in Europa ist gekennzeichnet durch die Herausbildung neuer Wirtschaftsweisen und Märkte und parallel dazu durch die Entstehung neuer Frömmigkeitskulturen innerhalb und jenseits der etablierten Konfessionskirchen. Die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen überterritorial und international agierenden protestantischen Gruppierungen bzw. Erneuerungsbewegungen1 sowie den ökonomischen Veränderungen innerhalb Europas und auf globaler Ebene sind bislang vereinzelt konstatiert, selten aber genauer erforscht worden. Zwar wurde wiederholt auf die Verbindung von innerweltlicher Frömmigkeit und pragmatischem Wirtschaftshandeln hingewiesen.2 Das Verhältnis der beiden Sphären zueinander kann jedoch, von Ausnahmen abgesehen,3 bisher kaum als ausreichend untersucht gelten. Dies trifft insbesondere für die nicht ganz scharf zu fassende Reformbewegung des Pietismus zu, die häufig als das bedeutendste Phänomen religiöser Erneuerung im zentraleuropäischen Protestantismus nach der Reformation betrachtet wird.4 Die Beziehungen zwischen den als ›pietistisch‹ fassbaren Akteuren bzw. Gemeinschaften und dem zeitgenössischen ökonomischen Denken und Handeln stehen im Zentrum dieses Bandes. 1 Vgl. einige Beiträge in: Geschichte des Pietismus. Bd. 2: Der Pietismus im achtzehnten Jahrhundert. Hg. v. Martin Brecht. Göttingen 1995, v.a. 446–699; Pietismus Handbuch. Hg. v. Wolfgang Breul u. Thomas Hahn-Bruckart. Tübingen 2021, v.a. 44–55, 292–340. Pietism in Germany and North America 1680– 1820. Hg. v. Jonathan Strom, James Van Horn Melton u. Hartmut Lehmann. Aldershot 2009; Gisela Mettele: Weltbürgertum oder Gottesreich. Die Herrnhuter Brüdergemeine als globale Gemeinschaft 1760–1857. Göttingen 2009; W[illiam] R[eginald] Ward: The Protestant Evangelical Awakening. Cambridge 1992. 2 Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus [ursprünglich Archiv für Sozialwissenschaften 20/21, 1904/05]. Nachdruck Paderborn 2011; Carl Hinrichs: Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiös-soziale Reformbewegung. Göttingen 1971. 3 Heinz Welsch: Die Franckeschen Stiftungen als wirtschaftliches Großunternehmen. Untersucht aufgrund der Rechnungsbücher der Franckeschen Stiftungen. Diss. phil. Halle-Wittenberg 1955/ 56; Ernst Bartz: Die Wirtschaftsethik August Hermann Franckes. Harburg-Wilhelmsburg 1934; Gerhard Bondi: Der Beitrag des Hallischen Pietismus zur Entwicklung des ökonomischen Denkens in Deutschland. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 5, 1964, Heft 2–3, 24–48. 4 Siehe u. a. Douglas H. Shantz: An Introduction to German Pietism. Baltimore 2013; A Companion to German Pietism 1660–1800. Hg. v. dems. Leiden 2015; Klaus Deppermann: Der hallesche Pietismus und der preußische Staat unter Friedrich III. (I.). Göttingen 1961; Martin Brecht: Pietismus. In: TRE 26, 1996, 606–631.

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Im Verhältnis von Pietismus und Ökonomie lassen sich für den Untersuchungszeitraum bereits auf den ersten Blick unterschiedliche Tendenzen erkennen, die zunächst gegenläufig erscheinen: so zum Beispiel eine oft wohlwollende Einstellung pietistischer Akteure – etwa im Umfeld der Glauchaer Anstalten August Hermann Franckes – gegenüber ökonomischer Rationalität in der meist selbstverständlichen Anwendung moderner technischer Mittel (Bibeldruck, Bergbau, Buchhandel, Medikamentenvertrieb etc.) und ökonomischer Prinzipien der Zeit, gepaart mit einer effizienten Organisation und Administration. Demgegenüber findet sich gleichzeitig allerdings nicht selten eine deutliche Kritik an Begleiterscheinungen der zeitgenössischen ökonomisch-gesellschaftlichen Praxis wie an der Vernachlässigung der Armen und deren religiöser Erziehung. Auch die vielfältigen Invektiven gegen höfisches Leben und den Konsum von Luxusgütern stehen in diesem Zusammenhang. Solche und ähnliche vermeintliche Widersprüchlichkeiten zwischen weltlichem Wirtschaftshandeln und -denken auf der einen Seite und seinen möglichen Kosten und Problemen im sozialen und spirituellen Bereich auf der anderen Seite trifft man nicht allein im Umfeld des Halleschen Pietismus an, sondern in verschiedenen Gruppierungen aus dem protestantisch-pietistischen Spektrum, wenngleich in unterschiedlicher Ausformung: bei reformierten Kaufleuten, in separatistischen Gemeinschaften und in der Herrnhuter Brüdergemeine, um nur einige der in diesem Band vertretenen Akteursformationen zu nennen. Eingedenk der Tatsache, dass in der jüngeren Forschung die Unschärfe religiöser Gruppenkonstruktionen und -zuschreibungen (nicht allein) im protestantischen Spektrum der Jahrzehnte um 1700 immer deutlicher hervortritt,5 geht es hier vordringlich um die Sondierung eines noch nicht zureichend bestellten Forschungsfeldes. In diesem Band verstehen wir pietistische Phänomene als Ausdrucksformen einer vielfältig sichtbaren religiösen Reformbewegung im mitteleuropäischen Protestantismus, die im 17. Jahrhundert entstand und ihren Schwerpunkt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erreichte.6 Damit lässt sich die zentrale Problemstellung räumlich und zeitlich eingrenzen. Nicht nur der Begriff des Pietismus war und ist durchaus schillernd – von seinen Anfängen als abwertende Fremdzuschreibung bis in die heutige Forschung hinein, die sich der Vielgestaltigkeit der dahinter stehenden Phänomene immer stärker bewusst wird.7 Ähnliches ist für die Wandlungen im 5 Vgl. Alexander Schunka: Protestantismen um 1700. In: Reformation und katholische Reform zwischen Kontinuität und Innovation. Hg. v. Dorothea Klein [u. a.]. Würzburg 2019, 503–526; ders.: Ein neuer Blick nach Westen. Deutsche Protestanten und Großbritannien, 1688–1740. Wiesbaden 2019. 6 Johannes Wallmann: Die Anfänge des Pietismus. In: PuN 4, 1977/78, 11–53. Wiederveröffentlicht in: ders.: Gesammelte Aufsätze. Bd. 2: Pietismus-Studien. Tübingen 2008, 22–66; Wolfgang Breul, Andreas Waczkat u. Johann Schneider: Pietismus. In: Enzyklopädie der Neuzeit online, 2019. http://dx.doi.org/10.1163/2352-0248_edn_COM_327861 (letzter Zugriff: 24. 03. 2020). 7 Siehe z.B. Veronika Albrecht-Birkner: ›Reformation des Lebens‹ und ›Pietismus‹. Ein historiographi-

Einleitung

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Verständnis von Ökonomie zu konstatieren. Der Begriff löste sich im 17. Jahrhundert zunehmend von der älteren Vorstellung einer Haus-Wirtschaft (oikonomia) und bezeichnete ein immer vielfältigeres Ensemble materieller Austauschbeziehungen, denen eigene Rationalitäten zugrunde lagen: im Spannungsfeld von »Gemeinnutz« und »Eigennutz«.8 Individuelles und kollektives Handeln standen in einem eng verschränkten, gelegentlich konfliktreichen Verhältnis zueinander sowie zu den gesellschaftlichen und religiösen Vorstellungswelten. Betrachtet man – wie dies in neueren historischen Forschungen zum Konfessionellen Zeitalter geschieht – die religiöse Sphäre in ihrer Bedeutung als Teilbereich des Sozialen,9 dann ergeben sich naturgemäß vielfältige Schnittmengen zwischen dem gesellschaftlichen Ort von Religiosität und der materiellen Daseinsbewältigung. Institutionell lassen sich diese Überschneidungen gerade in den mehr oder weniger eigenständigen Gruppierungen im pietistischen Bereich greifen, die nicht allein spirituelle Gemeinden, sondern oft zugleich auch Sozial- und Wirtschaftsgemeinschaften darstellten. Ständische Beschränkungen oder kirchliche Normierungsversuche der Zeit trafen hier auf mitunter durchaus erfolgsorientiertes Wirtschaftshandeln, das sich in den Dienst göttlicher Ordnung und religiöser Reform stellte. Speziell die Jahrzehnte um 1700 erweisen sich hier als besonders vielschichtige Epoche. Vor diesem Hintergrund verstehen die Herausgeber den Leitbegriff »Ökonomie« in heuristischer Absicht zunächst umfassend als »Haushaltung«. Zugleich wird aber der Ausdifferenzierung des ökonomischen Felds und des Begriffs im Untersuchungszeitraum Rechnung getragen. Ausgehend von der Orientierung auf gesellschaftliche Ordnung und Auskömmlichkeit von Nahrung bzw. Ressourcen traten seit dem 17. Jahrhundert in immer stärkerem Maße Fragen des Gewinns und der Geldwirtschaft in den Vordergrund. Dies ging einher mit der zunehmenden Erschließung und Durchdringung globaler Märkte,10 mit neuen Formen des Konsums,11 aber auch mit einer Verwissen-

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scher Problemaufriss. In: Pietismus in Thüringen – Pietismus aus Thüringen. Religiöse Reform im Mitteldeutschland des 17. und 18. Jahrhunderts. Hg. v. ders. u. Alexander Schunka. Stuttgart 2018, 21– 50; Wolfgang Breul: Pietismusforschung seit 1970. In: Pietismus Handbuch (wie Anm. 1), 26–41; Shantz, Introduction (wie Anm. 4), 4–7. Werner Plumpe u. Roman Köster: Wirtschaft. In: Enzyklopädie der Neuzeit online, 2019. http:// dx.doi.org/10.1163/2352-0248_edn_COM_382176 (letzter Zugriff: 24. 03. 2020). Klassisch Winfried Schulze: Vom Gemeinnutz zum Eigennutz. Über den Normenwandel in der ständischen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. In: HZ 243, 1986, 591–626. Z. B. David M. Luebke: Hometown Religion. Regimes of Coexistence in Early Modern Westphalia. Charlottesville 2016; vgl. auch die Beiträge in: Conversion and the Politics of Religion in Early Modern Germany. Hg. v. dems. [u. a.]. New York 2012. Immanuel Wallerstein: Das moderne Weltsystem. Bd. 2: Der Merkantilismus. Europa zwischen 1600 und 1750. Wien 1998; Reinhard Wendt: Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Europa und die Welt seit 1500. Paderborn 2007, 107–220. Vgl. Consumption and the World of Goods. Hg. v. John Brewer u. Roy Porter. London 1993; Michael North: Genuss und Glück des Lebens. Kulturkonsum im Zeitalter der Aufklärung.

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schaftlichung ökonomischer Probleme und damit einer Auseinanderentwicklung von theoretischer Reflexion und normativer Festlegung von Wirtschaftspolitik.12 In diesem Rahmen wurden auch Fragen ›ökonomischen‹ Verhaltens im Umgang mit materiellen und immateriellen Ressourcen neu verhandelt, etwa im Verhältnis zur Zeit auf Erden und zur Heilserlangung.13 Im verschränkten Zugriff auf Ökonomie und pietistische Frömmigkeit verbinden sich also bestenfalls religiöse und geistesgeschichtliche Entwicklungen mit Wirtschaftshandeln und Konsum, mit Kommunikation und Aspekten frühneuzeitlicher Weltaneignung. Die Bedeutung der Jahrzehnte zwischen 1650 bis 1750 sowohl für die Neuorientierung protestantischer Frömmigkeit als auch für die Veränderung ökonomischer Praktiken und Vorstellungen ist schwer zu bestreiten. Sowohl die wirtschaftlichen Veränderungen als auch die frömmigkeitlichen Dynamiken in Mitteleuropa sind gelegentlich mit den Aus- und Nachwirkungen des Dreißigjährigen Krieges in Verbindung gebracht worden.14 Auch wenn die jüngere historische Forschung hinsichtlich kausaler Zusammenhänge von Krieg, Krise und Erneuerung zu Recht mancherlei Differenzierungen vorgenommen hat,15 ist die Parallelität politisch-ökonomischer und religiöser Reformdiskurse und Praktiken für die Jahrzehnte ausgangs des 17. Jahrhunderts nicht in Abrede zu stellen. Unmittelbar auf die Kriegsauswirkungen zurückzuführen ist vieles freilich nicht: Die veränderten Wirtschafts- und Warenströme eines frühen globalen Zeitalters,16 klimatische Anomalien,17 aber auch die allenthalben spürbaren Finanz- und Schuldenprobleme barocker Fürs-

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Darmstadt 2003; Consumers and Luxury. Consumer Culture in Europe 1650–1850. Hg. v. Maxine Berg u. Helen Clifford. Manchester 1999; Benjamin Marschke: A Conspicuous Lack of Consumption. Money, Luxury, and Fashion in King Frederick William I’s Prussia (c. 1713–1740). In: Money in the German-Speaking Lands. Hg. v. Mary Lindemann u. Jared Poley. New York 2017, 96–120. Andre Wakefield: The Disordered Police State. German Cameralism as Science and Practice. Chicago 2009; Marcus Sandl: Ökonomie des Raumes. Der kameralwissenschaftliche Entwurf der Staatswirtschaft im 18. Jahrhundert. Köln [u. a.] 1999; Florian Schui: Early Debates about Industry. Voltaire and his contemporaries. Basingstoke 2004; Jan de Vries: The Industrious Revolution. Consumer Behavior and the Household Economy, 1650 to the Present. Cambridge 2008. Vgl. die Beiträge in: Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Arndt Brendecke [u. a.]. Münster 2007. Zu diesem Zusammenhang vgl. Hartmut Lehmann: Zeitalter des Absolutismus. Gottesgnadentum und Kriegsnot. Stuttgart [u. a.] 1980; siehe auch – mit weiterer Literatur – die Beiträge von Andreas Pecˇar und Manfred Jakubowski-Tiessen in: Die Welt verändern. August Hermann Francke – ein Lebenswerk um 1700. Ausstellungskatalog. Hg. v. Holger Zaunstöck, Thomas Müller-Bahlke u. Claus Veltmann. Wiesbaden 2013. Siehe z. B. Justus Nipperdey: Die Erfindung der Bevölkerungspolitik. Staat, politische Theorie und Population in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2012; Wakefield, Police State (wie Anm. 12). Zu den Wurzeln des Pietismus siehe u. a. Shantz, Introduction (wie Anm. 4), 15–37. Vgl. Bernd Hausberger: Die Verknüpfung der Welt. Geschichte der frühen Globalisierung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Wien 2015. Zur sogenannten Kleinen Eiszeit siehe Wolfgang Behringer: Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung. München 2010, 117–162.

Einleitung

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tenhöfe18 gingen einher mit einer wachsenden Erosion und Infragestellung tradierter christlicher Wahrheits- und Begründungsansprüche.19 Die zeitliche und gelegentlich auch inhaltliche Parallelität unterschiedlicher, für große Teile der Bevölkerung massiv spürbarer Veränderungen haben das 17. Jahrhundert zeitweilig als Krisenzeit par excellence erscheinen lassen.20 Diverse Phänomene scheinen jedenfalls zu einer allgemein feststellbaren Verunsicherung beigetragen zu haben, aus der sich spirituelle wie ökonomische Reformdiskurse zu einem gewissen Teil erklären lassen. Die enge Verbindung zwischen gelehrten und politischen Rahmenbedingungen und dem Wirtschaften pietistischer Gemeinschaften um 1700 liegt auf der Hand: Ökonomisches Handeln war niemals losgelöst von der territorialstaatlichen und städtischen Politik der Zeit, denkt man etwa an Kameralismus oder städtische Sozialversorgung.21 Dass die frömmigkeitlichen und wirtschaftlichen Transformationen sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene in Wechselwirkung mit der Lebenswelt und den Mentalitäten der Menschen standen, wird in den Bereichen von Soziabilität, Zeit- und Zukunftsplanung, Infrastruktur, Mobilität oder (Frei-) Zeitgestaltung deutlich.22 Reformdiskurse griffen zeitgenössische Entwicklungen und Erfahrungen auf bzw. entwickelten sich aus ihnen heraus und wirkten auf sie zurück. Wie unter anderem die Diskussionen um gerechtes, gottgefälliges Wirtschaften oder um mögliche Zeitverschwendung durch weltliche Vergnügungen zeigen, waren solche Debatten keineswegs konfliktfrei, ihre Gegenstände galten zeitweise als hochumstritten. Es würde allerdings wohl zu kurz greifen, in der lebensweltlichen Melange pietistischer und wirtschaftlicher Diskurse gleichsam den Überbau einer sich anbahnenden kapitalistischen Kultur gesellschaftlicher Individualisierung zu begreifen. Eher schon spiegelt sich in den Gedankenwelten der Menschen – und das zeigen die Beiträge des vorliegenden Bandes verschiedentlich – das Neben-, Mit- und Gegeneinander älterer und jüngerer, religiöser und säkularer, individueller und kollektiver Vorstellungen wider. Es 18 Siehe Volker Bauer: Hofökonomie. Der Diskurs über den Fürstenhof in Zeremonialwissenschaft, Hausväterliteratur und Kameralismus. Wien 1997; Hartmut Zückert: Die sozialen Grundlagen der Barockkultur in Süddeutschland. Stuttgart 1988. 19 Zum Umbruchscharakter der Frühaufklärungsepoche klassisch Paul Hazard: La crise de la conscience européenne. Paris 1935. 20 Zuletzt in globaler Perspektive Geoffrey Parker: Global Crisis. War, Climate Change and Catastrophe in the Seventeenth Century. New Haven 2017; vgl. auch die Beiträge in: Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Hg. v. Hartmut Lehmann u. Anne-Charlott Trepp. Göttingen 1999. 21 Hinrichs, Preußentum und Pietismus (wie Anm. 2); Benjamin Marschke: Halle Pietism and the Prussian State. Infiltration, Dissent, and Subversion. In: Pietism in Germany and North America (wie Anm. 1), 217–228; ders.: Absolutely Pietist. Patronage, Factionalism and State Building in the Early Eighteenth-Century Prussian Army Chaplaincy. Tübingen 2005. Siehe die Beiträge von Justus Nipperdey und Thomas Max Safley in diesem Band. 22 Vgl. zum Untersuchungszeitraum z. B. Ulrich Rosseaux: Freiräume. Unterhaltung, Vergnügen und Erholung in Dresden 1694–1830. Köln [u. a.] 2007.

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scheint, als ob den Zeitgenossen manches weniger widersprüchlich anmutete als späteren Historikerinnen und Historikern. Um diese vielschichtige Beziehung des Pietismus zu ökonomischem Denken und Handeln kreisen die Beiträge des Bandes. Es geht also nicht darum, die bekannte These Max Webers von der Geburt des Kapitalismus aus den frühneuzeitlichen Frömmigkeitsbewegungen empirisch auszubuchstabieren oder weiterzuführen.23 Gerade mit Blick auf die Wirtschaftspraktiken von bzw. in Frömmigkeits- und Erneuerungsbewegungen der Zeit wäre es wohl verfehlt, im 17. und 18. Jahrhundert vom Beginn einer gleichsam irreversiblen Trennung der religiösen von der ökonomischen Sphäre auszugehen, an deren Ende dann – im Weberschen Sinn – das selbstbestimmt handelnde und wirtschaftende neuzeitliche Individuum stünde. Umgekehrt ist in jüngerer Zeit aber auch die Frage aufgeworfen worden, ob nicht vielleicht dezidiert religiöse Faktoren die Entstehung ›moderner‹ Wirtschaftspraktiken unterstützt oder gar begünstigt haben.24 Doch wäre auch dieser These entgegenzuhalten, dass Referenzpunkte der Gegenwart, die das frühneuzeitliche Mischverhältnis zwischen religiösem und ökonomischem Denken bzw. Handeln von der Warte des 20. oder 21. Jahrhunderts zu erklären versuchen, oftmals zu kurz greifen – selbst wenn sie aktuelle Diskussionen gelegentlich durchaus stimulieren können.25 Im vorliegenden Band jedenfalls soll das Verhältnis zwischen Pietismus und Ökonomie quellennah und disziplinübergreifend vermessen und aus seiner Zeit heraus beleuchtet werden. Die seit den 1980er Jahren begonnene Öffnung der Pietismusforschung für sozial- und kulturhistorische Themen führte zu einer breiteren Aufmerksamkeit für das gesellschaftliche und intellektuelle Umfeld dieser Reformbewegung. Seither werden die engen Verbindungen zu geistes-, wissenschafts-, aber auch wirtschafts- und technikhistorischen Entwicklungen der Aufklärungsepoche und das innovative Potenzial pietistischer Initiativen und Einrichtungen im 18. Jahrhundert stärker herausgearbeitet.26 Dabei rückten auch deren weltweite Verflechtungen in den Fokus der Forschung. Dies gilt etwa für den Zusammenhang von Mission und Ökonomie.27 Darüber hinaus wurden 23 Weber, Protestantische Ethik (wie Anm. 2); vgl. Hartmut Lehmann: Max Webers ›Protestantische Ethik‹. Beiträge aus der Sicht eines Historikers. Göttingen 1996. 24 Vgl. in diesem Band den Beitrag von Katherine Carté Engel mit weiterer Literatur. 25 Ein bekanntes Beispiel der letzten Jahre ist sicherlich Brad Gregory: The Unintended Reformation. How a Religious Revolution Secularized Society. Cambridge u. London 2015, der den Ursprung des modernen Kapitalismus in der Reformation sieht. 26 Z. B. Joke Spaans: Early Modern Orphanages between Civic Pride and Social Discipline: Francke’s Use of Dutch Models. In: Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Udo Sträter u. Josef Neumann. Tübingen 2003, 183–196; Udo Sträter: Soziales. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Hg. v. Hartmut Lehmann. Göttingen 2004, 617–645; Kelly Joan Whitmer: The Halle Orphanage as a Scientific Community. Observation, Eclecticism, and Pietism in the Early Enlightenment. Chicago 2016; Thomas Kuhn: Soziales Handeln. In: Pietismus Handbuch (wie Anm. 1), 523–535. 27 Ulrike Gleixner: Expansive Frömmigkeit. Das hallische Netzwerk der Indienmission im 18. Jahrhun-

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einzelne Unternehmer oder Wirtschaftsinstitutionen bisweilen genauer in den Blick genommen, gelegentlich jedoch auf ihr karitatives Wirken reduziert28 und nur selten – wie im Fall der Herrnhuter – die dahinter stehenden wirtschaftlichen Perspektiven berücksichtigt.29 Hin und wieder ist die neuere Forschung zudem auf wirtschaftsethische Fragen eingegangen.30 Auch wenn die hier versammelten Beiträge von diesen Entwicklungen zweifellos profitieren, so lässt sich doch konstatieren, dass ökonomische Aspekte in der Pietismusforschung bisher eben nur vereinzelt zum Zuge kamen. An dieser Stelle setzt der Band an, der die Beziehung zwischen Pietismus und frühneuzeitlichem Wirtschaftsdenken und -handeln einschließlich der theologischen, gesellschaftlichen und kulturellen Konsequenzen im Rahmen von Fallstudien mit unterschiedlicher regionaler und methodischer Schwerpunktsetzung beleuchtet. Dabei handelt es sich gewissermaßen um die Einlösung einer schon vor mehreren Jahren formulierten Forschungsaufgabe.31 Das Feld der Autorinnen und Autoren der folgenden Kapitel setzt sich aus internationalen Spezialistinnen und Spezialisten aus Mittel- und Westeuropa sowie Nordamerika zusammen, deren unterschiedliche disziplinäre Heimat (Theologie und Kirchengeschichte, Geschichtswissenschaften, Wirtschaftsgeschichte, Literaturwissenschaften, Theaterwissenschaft) die inhaltliche und

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dert. In: Mission und Forschung. Translokale Wissensproduktion zwischen Indien und Europa im 18. und 19. Jahrhundert. Hg. v. Heike Liebau, Andreas Nehring u. Brigitte Klosterberg. Wiesbaden 2010, 57–66; Katherine Carté Engel: Religion and Profit. Moravians in Early America. Philadelphia 2009; Pious Pursuits. German Moravians in the Atlantic World. Hg. v. Michele Gillespie u. Robert Beachy. New York 2007; Europäische Aufklärung und protestantische Mission in Indien. Hg. v. Michael Mann. Heidelberg 2006; Gisela Mettele: Kommerz und fromme Demut. Wirtschaftsethik und Wirtschaftspraxis im ›Gefühlspietismus‹. In: VSWG 92, 2005, 301–321; Thomas Ruhland: Pietistische Konkurrenz und Naturgeschichte. Die Südasienmission der Herrnhuter Brüdergemeine und die Dänisch-EnglischHallesche Mission (1755–1802). Herrnhut 2018; Peter Vogt: Missionsfelder und internationale Beziehungen. In: Pietismus Handbuch (wie Anm. 1), 568–578. Überblick bei Peter Kriedte: Wirtschaft. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 4 (wie Anm. 26), 584–616. Heidrun Homburg: Abraham Dürninger & Co. Management und Unternehmenskultur in der Herrnhuter Brüdergemeine als Faktor in der wirtschaftlichen Entwicklung der Oberlausitz im 18. und 19. Jahrhundert. In: Unternehmen im regionalen und lokalen Raum 1750–2000. Hg. v. Ulrich Heß, Petra Listewnik u. Michael Schäfer. Leipzig 2004, 271–288; Rainer Lächele: Vom Schreinergesellen zum Geheimen Rat. David Roentgen – Herrnhuter und Ebenist. In: Das Echo Halles. Kulturelle Wirkungen des Pietismus. Hg. v. dems. Tübingen 2001, 93–114. Siehe jetzt den Beitrag von Thomas Dorfner: Von ›bösen Sectierern‹ zu ›fleißigen Fabrikanten‹. Zur Wahrnehmung der Herrnhuter Brüdergemeine im Kontext kameralistischer Peuplierungspolitik (ca. 1750–1800). In: ZHF 45, 2018, 283–313. Vgl. auch mit weiterer Literatur die Beiträge von Heidrun Homburg und Rüdiger Kröger in diesem Band. Guntram Philipp: Wirtschaftsethik und Wirtschaftspraxis in der Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine. In: Unitas Fratrum. Herrnhuter Studien / Moravian Studies. Hg. v. Mari P. Bujtenen [u. a.]. Utrecht 1975, 401–463; Peter Vogt: Des Heilands Ökonomie. Wirtschaftsethik bei Zinzendorf. In: Unitas Fratrum 49/50, 2002, 57–172. Hartmut Lehmann: Aufgaben der Pietismusforschung im 21. Jahrhundert. In: Interdisziplinäre Pietismusforschungen. Beiträge zum Ersten Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2001. Hg. v. Udo Sträter. Tübingen 2005, 3–18, hier: 8 f.

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methodische Öffnung der Pietismusforschung der letzten Jahre reflektiert. Dadurch lassen sich verschiedene Ausgangs- und Ansatzpunkte vereinen bzw. nebeneinanderstellen und zugleich aktuelle, transdisziplinäre Interessen aufnehmen. Die Beiträge sind drei Themenkreisen zugeordnet. Im Zentrum des ersten Bereichs Reflexionen religiös-ökonomischer Zusammenhänge stehen ökonomische Diskurse und Modelle im pietistischen Kontext und ihre Beziehung zu wirtschaftspolitischen Denkmustern der Zeit. So bedürfen die der pietistischen Wirtschaftspraxis zugrunde liegenden ökonomischen Ansätze, Methoden und Theorien einer gründlicheren und vergleichenden Betrachtung. Der Neuansatz des Pietismus in der Eschatologie, die Hoffnung auf »einigen bessern zustand seiner Kirchen hier auff Erden«,32 eröffnete für das Handeln in der Welt zweifellos neue Perspektiven, band dieses aber weiterhin zugleich an religiöse Orientierungspunkte. Diese Spannung bot einen Ansatz für wirtschaftsethische Fragestellungen, die seit Ernst Bartz33 keine grundlegende Erörterung mehr erfahren haben (mit Ausnahme der Herrnhuter34). Es geht hier etwa um den Problemkomplex von Wirtschaftsethik und Moralität aus der Perspektive kirchlicher und außerkirchlicher Vertreter des Pietismus sowie um dessen Kontextualisierung innerhalb der ökonomisch-staatswissenschaftlichen Diskussionen des 18. Jahrhunderts. Dazu gehören Beschreibungen und Begründungen des Ideals einer schlichten und einfachen Lebensführung, die Kritik an Luxus, Reichtum und höfischem Prunk und schließlich alternative Modelle von Eigentum und Besitz wie die Gütergemeinschaft. Zeitgenössische Reflexionen über das Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftshandeln als Überlebenssicherung pietistischer Organisationen, möglicher Gewinnmaximierung und karitativer Verantwortung spielen ebenfalls eine Rolle. In dieser Perspektive befasst sich Justus Nipperdey mit kameralistischen Diskursen im Römisch-deutschen Reich der Jahre um 1700 und ihren frühen Adaptionen durch pietistische Autoren. Hans Schneider zeigt anhand des Büdinger ›Toleranzedikts‹ von 1712, dass die dortige Immigrationspolitik von einem merkantilistischen Konzept des pietistischen Regierungsrates Otto Heinrich Becker geprägt war. Der Beitrag von Peter James Yoder diskutiert anhand von Predigten die Sicht August Hermann Franckes auf Götzendienst, Habgier und Diebstahl vor dem Hintergrund pietistischer Bekehrungstheologie. Veronika Albrecht-Birkners Kapitel widmet sich ökonomischen Argumentationsmustern innerhalb der publizistischen Selbstdarstellung und Spendenakquise der Glauchaer Anstalten. Matthias Plaga-Verse richtet einen vergleichenden Blick auf die Begründungen von Gütergemeinschaft in pietistisch-separatistischen Gruppierungen (Gemeinschaft der Christusgeweihten, 32 Philipp Jakob Spener: Pia Desideria. Hg. v. Kurt Aland, Berlin 31964, 43. 33 Bartz, Wirtschaftsethik (wie Anm. 3). 34 Vgl. Engel, Religion and Profit (wie Anm. 27); Philipp, Wirtschaftsethik und Wirtschaftspraxis (wie Anm. 30); Vogt, Des Heilands Ökonomie (wie Anm. 30).

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Evische Sozietät, Ronsdorfer Zioniten) im frühen 18. Jahrhundert. Der erste Themenkreis wird abgeschlossen durch den Beitrag von Katherine Carté Engel zum Verhältnis von Religion und Ökonomie in der Erforschung des protestantisch-atlantischen Kontexts im 18. Jahrhundert, unter besonderer Berücksichtigung der Herrnhuter Brüdergemeine. Wie aber wurden die religiösen, sozialen oder pädagogischen Ideale und Ansprüche pietistischer Akteure mit ökonomischen Erfordernissen verbunden? Opponierten bestimmte Gruppen oder Einrichtungen mit ihrer wirtschaftlichen Praxis gegen zeitgenössische Ordnungskonzepte (wie z. B. die frühneuzeitliche Ständeordnung)? Einige der hier versammelten Beiträge zeigen, dass sich zeitgenössische Diskussionen und theoretische Erwägungen nie ganz trennscharf vom praktischen Handeln abgrenzen lassen. Die Konzentration auf Praktiken des Wirtschaftens dient gleichwohl als heuristische Klammer des zweiten, umfangreichsten Teils des Bandes. Dieser Fokus liegt nahe, wird doch der Pietismus speziell Franckescher Prägung traditionell mit der Gründung und dem Unterhalt von Waisenhäusern und anderen Einrichtungen der Sozialfürsorge sowie deren Wirtschaftsbetrieben verbunden. Seit der Arbeit von Heinz Welsch35 hat es jedoch keine umfassendere Auseinandersetzung mit der Ökonomie der Franckeschen Gründungen in Glaucha mehr gegeben. Gleichwohl haben einige Forschungsbeiträge in den vergangenen Jahrzehnten Korrekturen am tradierten Bild frommer Sozialökonomie vorgenommen,36 die sich auch in Handbüchern und Quellenanthologien niedergeschlagen haben.37 Die wirtschaftliche Praxis pietistischer Einrichtungen muss gleichwohl noch immer als ein wenig erkundetes Territorium bezeichnet werden. Während eine Untersuchung zur Ökonomie von Waisenhäusern existiert38 und auch die wirtschaftlichen Strukturen und Prozesse im Bereich von Mission und Spendenakquise zuletzt etwas größeres Interesse gefunden haben – etwa in geschlechterhistorischer Perspektive39 –, fehlen wissenschaftliche Arbeiten zum Wirtschaften im Umfeld weiterer Institutionen (etwa 35 Welsch, Die Franckeschen Stiftungen (wie Anm. 3). 36 Z. B. Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 26); Sträter, Soziales (wie Anm. 26). Siehe auch die Studie von Daniel Eißner: Erweckte Handwerker im Umfeld des Pietismus. Zur religiösen Selbstermächtigung in der Frühen Neuzeit. Wiesbaden 2016. 37 Kriedte, Wirtschaft (wie Anm. 28); Pietismus. Eine Anthologie. Hg. v. Veronika Albrecht-Birkner [u.a.]. Leipzig 2017, Kap. Wirtschaft, 412–444. Zu den Herrnhutern vgl. die oben (Anm. 29 u. 30) genannte Literatur; Justus Nipperdey: Wirtschaft. In: Pietismus Handbuch (wie Anm. 1), 535–541. 38 Antje Schloms: Institutionelle Waisenfürsorge im Alten Reich 1648–1806. Statistische Analyse und Fallbeispiele. Stuttgart 2017. 39 Gleixner, Expansive Frömmigkeit (wie Anm. 27); Lucinda Martin: Öffentlichkeit und Anonymität von Frauen im (radikalen) Pietismus. Die Spendentätigkeit adliger Patroninnen. In: Der radikale Pietismus. Perspektiven der Forschung. Hg. v. Wolfgang Breul, Marcus Meier u. Lothar Vogel. Göttingen 22011, 385–401; siehe auch Barbara Becker-Cantarino: Zur Bedeutung der Oeconomia im Engagement adeliger Frauen im Pietismus. Erdmuthe Dorothea von Zinzendorf. In: Pietismus und Adel. Genderhistorische Analysen. Hg. v. Ruth Albrecht [u. a.]. Wiesbaden 2018, 155–177.

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von Schulen),40 zur Finanzierung ökonomischer und publizistischer Großvorhaben41 und einigem mehr. Speziell ein vergleichender Blick auf das Wirtschaftshandeln anderer Einrichtungen der Zeit tut not, um den Innovationsgrad pietistischer Wirtschaftsunternehmungen zu gewichten – so unter anderem in Bezug auf die Aufnahme technischer Neuerungen wie z. B. den Stehsatz im Bibeldruck.42 Die Beiträge des zweiten Abschnitts tragen unserer Meinung nach dazu bei, speziell die hallischen und Herrnhuter Wirtschaftsunternehmungen an zeitgenössische Strukturen in unterschiedlichen Regionen rückzubinden und sie nicht gleichsam zum Solitär zu verklären. Dies trägt zumindest ansatzweise zur Klärung der Frage bei, inwieweit das ökonomische Verhalten und Handeln von ›Pietisten‹ dem ihrer Zeitgenossen entsprach oder davon abwich. Jan van de Kamps Beitrag stellt reformierte Kaufleute niederländischer Herkunft im Reich ausgangs des 17. Jahrhunderts ins Zentrum und arbeitet die Bedeutung von Wirtschaftshandeln unter Exilsbedingungen heraus, das religiöse Überzeugungen gelegentlich in den Hintergrund drängte. Kai Lohsträter analysiert die Hallesche Zeitungspresse unter ökonomischen Gesichtspunkten und unter besonderer Berücksichtigung der organisatorischen Herausforderungen innerhalb der medialen Umbrüche des 18. Jahrhunderts. Alexander Schunka verbindet die Finanzstrategien der Glauchischen Anstalten mit der Praxis frühneuzeitlicher Kollektenreisen, bei denen Infrastrukturkenntnis, Zeitmanagement und Zukunftsplanung eine Symbiose eingingen. Ann-Kathrin Otte widmet sich dem eher zurückhaltenden Engagement der Glauchaer Anstalten im obrigkeitlich verordneten Seidenbau zur Zeit Gotthilf August Franckes. Hans-Jürgen Schraders Kapitel beschreibt die Strategien der Finanzierung und Distribution des prestigereichen radikalpietistischen Projekts der ›Berleburger Bibel‹, wozu auch Lotterieprojekte dienten. Thomas Max Safley vergleicht am Beispiel Augsburgs die konkreten Strategien von Armenversorgung und Waisenhausbetrieb in einer bikonfessionellen Stadt mit denen des Halleschen Pietismus. Peter Vogt befasst sich in diachroner Perspektive mit 40 Siehe aber z. B. einige Hinweise bei Lubina Mahling: Um der Wenden Seelenheyl hochverdient. Reichsgraf Friedrich Caspar von Gersdorf. Eine Untersuchung zum Kulturtransfer im Pietismus. Bautzen 2017, v. a. 297–428. 41 Zum Medikamentenhandel vgl. Renate Wilson: Pious Traders in Medicine. A German Pharmaceutical Network in Eighteenth-Century North America. University Park 2000; Hans-Joachim Poeckern: Waisenhaus-Apotheke und Medikamenten-Expedition der Franckeschen Stiftungen zu Halle a. d. Saale. In: Die Geburt einer sanften Medizin. Die Franckeschen Stiftungen zu Halle als Begegnungsstätte von Medizin und Pietismus im frühen 18. Jahrhundert. Hg. v. Richard Toellner. Halle 2004, 73–85. Zur Finanzierung pietistischer Publizistik siehe die Beiträge von Hans-Jürgen Schrader und Kai Lohsträter in diesem Band. 42 Kurt Aland: Der Hallesche Pietismus und die Bibel. In: Pietismus und moderne Welt. Hg. v. dems. Witten 1974, 99–137; Wiederabdruck in: ders.: Supplementa zu den neutestamentlichen und den kirchengeschichtlichen Entwürfen. Hg. v. Beate Köster. Berlin u. New York 1990, 289–324; Wilhelm Fries: Die Cansteinsche Bibelanstalt und ihr Stifter Carl Hildebrand Freiherr von Canstein. Halle 1910.

Einleitung

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den ökonomischen Prinzipien und Praktiken der Herrnhuter Brüdergemeine unter Zugrundelegung der bereits auf Zinzendorf zurückgehenden Vorstellung eines »heiligen Commerciums«. Heidrun Homburg analysiert die Schuldenkrise der Herrnhuter Brüdergemeine um die Mitte des 18. Jahrhunderts und die Auswirkungen der komplexen finanziellen Verflechtungen auf unterschiedliche Arbeitsbereiche. Rüdiger Krögers Beitrag schließlich verfolgt das Schicksal der Kunstmöbeltischlerfamilie Roentgen und räumt mit mancherlei Mythen hinsichtlich ihres Verhältnisses zur Brüdergemeine auf. Kulturelle und religiöse ›Ökonomien‹ stehen im Mittelpunkt des dritten und letzten Teilabschnitts des Bandes, wobei hier der Begriff der Ökonomie vom Bereich konkreter materieller Austauschbeziehungen auf eine eher metaphorische Ebene ökonomischer Rationalitäten in verschiedenen Lebensbereichen verlagert wird. So sind ökonomische Kategorien und Denkmuster in beachtlichem Maß mit ethischen und religiösen Grundsätzen des Pietismus verzahnt, was von der Forschung bislang allerdings unter diesem Aspekt kaum thematisiert wurde. Tatsächlich begründete die Neuorientierung der Eschatologie auch eine neue Ökonomie der Zeit: Die Gegenwart wurde zur »offenen Tür«43 für die Gestaltung einer verheißungsvollen Zukunft. Dies nahm die Gläubigen auf besondere Weise in die Pflicht, am »Bau der Stadt Gottes« tätig mitzuwirken – »Zeitvertreib« geriet unter das Verdikt der Zeitverschwendung.44 Hier stellt sich daher unter anderem die Frage nach dem Zusammenhang von pietistischer Eschatologie und Zeitökonomie.45 Auch der alltägliche Umgang mit der Zeit in pietistischen Kreisen, wie er sich in Tagebüchern, Zeitreglements und der Los[ungs]praxis46 niederschlägt, gerät in den Blick. Das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Zeitmanagement und Kritik an Zeitverschwendung vor dem Hintergrund barocker Divertissements und der Entwicklung einer neuen ›Freizeit‹-Kultur im 18. Jahrhundert berührt zudem Aspekte materiellen und immateriellen Konsums. Da der verantwortungsvolle Umgang mit ›Zeit‹ nicht erst seit der Reformation ein wichtiges christliches Thema darstellte,47 ergibt sich die Frage nach möglichen Besonderheiten innerhalb pietistischer Lebenswelten. 43 August Hermann Franckes Schrift über eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts. Der große Aufsatz. Hg. v. Otto Podczeck. Berlin 1962, 85–101; vgl. Apk 3,8; 4,1. 44 August Hermann Francke: Der rechte Gebrauch der Zeit, So fern dieselbe gut, und so fern sie böse ist. Aus 2. Cor. 6/2. und Eph. 5/16. vorgestellet, Und Auf die Beschaffenheit der jetzigen Zeiten appliciret […]. Halle 1715. 45 Fritz Stolz: Rechnungen in der Endzeitökonomie. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft 8, 2000, 71–92. 46 Vgl. Shirley Brückner: Die Providenz im Zettelkasten. Divinatorische Lospraktiken in der pietistischen Frömmigkeit. In: Geschichtsbewusstsein und Zukunftserwartung in Pietismus und Erweckungsbewegung. Hg. v. Wolfgang Breul u. Jan-Carsten Schnurr. Göttingen 2013, 351–366; dies.: Kulturen der Berechenbarkeit. Religiosität und Lebensführung im Pietismus. Diss. phil. Halle 2010. http://dx.doi.org/10.25673/1464 (letzter Zugriff 24. 03. 2020). 47 Vgl. 1Thess 5,1.

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Damit verbindet sich auf einer noch allgemeineren Ebene die Suche nach gleichsam ›ökonomischen‹ Mustern in unterschiedlichen Bereichen pietistischer Vergemeinschaftung. So scheint es, dass mit der Betonung von praktischer Frömmigkeit und religiöser Erfahrung im Pietismus zumindest ansatzweise Ideen von religiöser Verdienstlichkeit wieder Einzug in die protestantische Theologie hielten, von denen sich die führenden Reformatoren eigentlich verabschiedet hatten. Reziprozitätsvorstellungen von Gabe und Gegengabe, von Belohnung und Wiedervergeltung, von Tun und Ergehen lassen eine Übernahme ökonomischer Metaphorik in vermeintlich eher ökonomiefernen Bereichen vermuten: in pietistisch beeinflusster Theologie, Frömmigkeit und Soziabilität.48 Den dritten Abschnitt des Bandes eröffnet der Beitrag von Udo Sträter zu August Hermann Franckes Zeitökonomie mit ihren unterschiedlichen Facetten und theologischen Hintergründen, einschließlich der an den Glauchaer Anstalten verfolgten Strategien von Zeitoptimierung. Ausgehend vom ›Haus‹ als ökonomischer Basiskategorie der Frühen Neuzeit und zugleich Schauplatz der Komödie setzt sich Daniel Fulda mit dem spannungsreichen Verhältnis des Pietismus zu dieser Gattung auseinander. Joachim Jacob verfolgt, unter anderem entlang pietistischer Lebensregel-Literatur, die Ökonomisierung von Freundschaftsdiskursen nach Nutzens- und Rationalisierungserwägungen, die sich erst zu Beginn der Epoche der Empfindsamkeit wandelte. Dem Theater und der ihm geltenden pietistischen Kritik wendet sich Corinna Kirschstein zu, deren Kapitel das Spannungsfeld zwischen weltlicher Zerstreuung und religiöser Heilssuche umreißt. Benjamin Marschkes Beitrag schließlich behandelt die zwiespältige Haltung des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. zwischen barocken Formen monarchischer Repräsentation bzw. Zerstreuung und der Suche nach individuellem Seelenheil unter Halleschem Einfluss. Der Band bietet somit Einblicke in einen Themenkomplex, der lange Zeit – zu Unrecht – nicht im Mittelpunkt der historischen, kirchengeschichtlichen und kulturwissenschaftlichen Forschung gestanden hat. Die Beiträge mögen Anstöße zu weiteren Forschungen geben: Einen vollständigen und umfassenden Überblick über die Thematik können sie nicht bieten. Unberücksichtigt bleiben unter anderem die Hallesche Medikamentenexpedition,49 die Bedeutung des pietistischen Russlandhandels50 oder das wirtschaftliche Verhältnis zwischen den mitteldeutschen Zentren des Pietismus und seinen Stützpunkten in der Welt, von Tranquebar über die Karibik bis nach Nordamerika, um nur 48 Ein besonders eindrückliches Beispiel hierfür ist sicherlich das kleine Gedicht Johann Andreas Wieglebs von 1690, wonach Gott ein »Capitalist« sei, auf dessen »banco« jeder Mensch mit seinen milden Gaben an die Armen einzahle; jedem Wohltäter sei später seine Rendite sicher, denn der Herr habe noch »keinen […] betrogen.« Abdruck in: Pietismus. Eine Anthologie (wie Anm. 37), Nr. 14.7, 433. 49 Siehe die oben (Anm. 41) genannte Literatur. 50 Zum sogenannten »Moskovischen Handel« siehe Welsch, Die Franckeschen Stiftungen (wie Anm. 3), 59–63.

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einige der außereuropäischen Aktionsräume zu nennen.51 Diese und andere Themen verweisen auf den globalen Kontext religiös-wirtschaftlichen Handelns im pietistischen Umfeld, der gerade in den letzten Jahren immer stärker ins Interesse vor allem der historischen Forschung getreten ist. Hierzu ist aus Sicht der Herausgeber selbstkritisch anzumerken, dass aufgrund der langen Zeit bis zum Abschluss dieses Bandes einige der neueren Forschungsentwicklungen nicht mehr angemessen abgebildet werden konnten. Die vorliegenden Beiträge präsentieren daher – von gelegentlichen Ausblicken in den westeuropäischen und atlantischen Kontext abgesehen – überwiegend mitteleuropäische Szenarien. Forschungspragmatisch mag dies insofern nachvollziehbar sein, als sich darin die Zusammensetzung der dem Buch zugrunde liegenden internationalen Konferenz widerspiegelt – und zugleich eine gewisse Dominanz des Halleschen Umfelds, was sich wiederum aus dem Erschließungsstand der dortigen Quellen und aus entsprechenden Vorarbeiten erklären lässt. Inhaltlich wird sich gleichzeitig kaum in Abrede stellen lassen, dass wesentliche Ursprünge des Nexus zwischen pietistischen Weltsichten und ökonomischem Handeln auf dem frühneuzeitlichen europäischen Kontinent liegen. Zirkulationen (von Ideen, Gütern, Geld und Menschen), wechselseitige Einflussnahmen, Transfers und Transformationsprozesse oder kulturelle Übersetzungsleistungen innerhalb und zwischen unterschiedlichen Weltregionen schließt dies freilich nicht aus. Ein solcher Fokus wäre jedoch Gegenstand weiterer Tagungen und Sammelbände. Der Band beruht auf den überarbeiteten Ergebnissen einer internationalen Konferenz, die gegen Ende des Jahres 2011 in Mainz stattgefunden hat. Die Fertigstellung des Buches hat sich aus unterschiedlichen Gründen erheblich verzögert. Von allen Beteiligten war dies den Herausgebern am Unangenehmsten; ihr Dank geht an die Beitragenden für die ihnen entgegengebrachte große Geduld. Die Herausgeber wollen nicht verschweigen, dass aktuelle ökonomische Umstände die Tagung »Pietismus und Ökonomie« und den nun vorliegenden Band angeregt und beeinflusst haben. Die Tagung wurde konzipiert im Anschluss an die Finanzkrise 2008/09; der Tagungsband wird abgeschlossen in Zeiten von »Lockdown« und »Home Office« aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus. Es waren und sind Zeiten von wirtschaftlicher Verunsicherung, Zukunftsängsten und vager »Hoffnung besserer Zeiten«. Einige Parallelen zur Blütezeit des Pietismus, zu ihren Zeitdiagnosen und Zukunftserwartungen im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert drängen sich auf und ordnen den Band und seine Beiträge in einen gesellschaftlich und 51 Siehe – neben der oben bereits genannten Literatur – die Einbeziehung wirtschaftlicher und finanzieller Aspekte z. B. bei Jan Hüsgen: Mission und Sklaverei. Die Herrnhuter Brüdergemeine und die Sklavenemanzipation in Dänisch-Westindien. Stuttgart 2016; Jon Sensbach: A Separate Canaan. The Making of an Afro-Moravian World in North Carolina. Chapel Hill 1998; Alexander Pyrges: Das Kolonialprojekt EbenEzer. Formen und Mechanismen protestantischer Expansion in der atlantischen Welt des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 2015.

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ökonomisch krisenhaften Kontext ein, der die Geschichts- und Kulturwissenschaften künftig noch beschäftigen wird. Dass der Tagungsband als Kollaboration von Theologie, Kirchengeschichte, Geschichte der Frühen Neuzeit, Literatur- und Kulturwissenschaften sowie Wirtschaftsgeschichte nach allen zwischenzeitlichen Verzögerungen nun in dieser Form das Licht der Welt erblickt, ist vielen Beteiligten zu verdanken: Zunächst der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die den Hauptteil der Förderung für die Konferenz übernahm, sowie der Johannes Gutenberg Universität Mainz und der Universität Erfurt, welche die Tagung ebenfalls finanziell unterstützten. Unser Dank gilt auch dem Tagungszentrum Erbacher Hof in Mainz als Veranstaltungsort. Zahlreiche studentische Hilfskräfte in Mainz und Berlin haben redaktionelle Aufgaben übernommen. Ein besonderer Dank gilt stud. theol. Janina Serfas für ihre sorgfältige Korrektur. Die Drucklegung des Bandes wurde finanziert durch die großzügige Unterstützung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Mainz, Arcata, Berlin im März 2020 Wolfgang Breul, Benjamin Marschke, Alexander Schunka

1. Reflexionen religiös-ökonomischer Zusammenhänge

Justus Nipperdey

Pietistische Wirtschaftsvorstellungen im Kontext des kameralistischen Diskurses um 1700

1. Einleitung Pietistische Wirtschaftsvorstellungen wurden im 20. Jahrhundert fast ausschließlich in Hinblick auf ihr Verhältnis zum heraufziehenden Kapitalismus analysiert. Die Hauptursache dieser einseitigen und häufig de-kontextualisierenden Sichtweise war Max Webers Protestantismus-These. In der Protestantischen Ethik analysierte er bekanntlich auch den Pietismus als »geschichtlichen Träger des asketischen Protestantismus«, wobei er allerdings ein »minus an Antrieb zur Rationalisierung des innerweltlichen Handelns« gegenüber dem Calvinismus konstatierte.1 Ernst Bartz versuchte dagegen zumindest August Hermann Francke gegen Webers eigene Bewertung für die Weber-These zu retten, indem er zeigte, »daß wir bei ihm eine Lebens- und Wirtschaftsgestaltung finden, die in ihrer Methodik nicht etwa der puritanischen nur gleichkommt, sondern sie vielleicht noch übertrifft.«2 Ohne direkten Bezug zu Weber nahm Carl Hinrichs den Faden auf, um den Pietismus über den Umweg des Staatskapitalismus etwas enigmatisch zum Begründer des Sozialismus zu erklären.3 Diesen lange Zeit üblichen Versuch, die wirtschaftliche Seite des Pietismus oder deren Wirkungen durch explizite Zuordnung zu den großen Schlagworten der Moderne zu verstehen, halten Historiker inzwischen weitgehend für untauglich.4 Dennoch hat er deutliche Spuren hinterlassen. Der Referenzrahmen, in den die pietistische Ökonomie eingebettet wird, greift in der Forschung zeitlich und inhaltlich enorm aus: von Martin Luthers Sozial- und Wirtschaftsdenken5 auf der einen Seite bis zu Adam Smith, Karl 1 Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Tübingen 1920, 17–206, hier: 84, 144. 2 Ernst Bartz: Die Wirtschaftsethik August Hermann Franckes. Harburg-Wilhelmsburg 1934, 12. 3 Carl Hinrichs: Friedrich Wilhelm I. König in Preußen. Eine Biographie. Jugend und Aufstieg. Hamburg 1941, 561. Vgl. zum Verhältnis von Pietismus und Kapitalismus bei Hinrichs auch ders.: Pietismus und Frühkapitalismus in Preußen. In: ders.: Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiös-soziale Reformbewegung. Göttingen 1971, 301–351. Zu Hinrichs’ Sozialismus-These ausführlich Hartmut Lehmann: Die Geschichte der Erforschung des Pietismus als Aufgabe. In: PuN 32, 2006, 17–36, hier: 26–35. 4 Vgl. Lehmann, Geschichte (wie Anm. 3), 36. 5 Vgl. etwa Kurt Aland: Der Pietismus und die soziale Frage. In: Pietismus und moderne Welt. Hg. v. dems. Witten 1974, 99–137, hier: 134 f.

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Marx und dem modernden Kapitalismus auf der anderen Seite. So formulierte Peter Kriedte als Fazit seines Beitrages über Wirtschaft im vierten Band der Geschichte des Pietismus einen Satz, der nur vor dem Hintergrund dieser Forschungsgeschichte verständlich ist: »Der Pietismus hatte ein gebrochenes, der Eindeutigkeit entbehrendes Verhältnis zum heraufziehenden Kapitalismus«.6 Im Kontext der deutschen Ideengeschichte der Frühen Neuzeit erscheint dieser Satz trivial, denn: welcher ›-ismus‹ jener Zeit hatte kein ›gebrochenes Verhältnis‹ zum Kapitalismus? Diese Konzentration auf den Kapitalismus hat dazu geführt, dass ein entscheidendes Element zum Verständnis der pietistischen Wirtschaftsvorstellungen in vielen Darstellungen fehlt: die zeitgenössischen, in den Jahrzehnten vor und nach 1700 formulierten und diskutierten nicht-theologischen Vorstellungen des privaten Wirtschaftens, der wirtschaftspolitischen Aufgaben der Obrigkeit und der Organisation von Wirtschaft.7 Dieses amorphe Wirtschafts- und Staatsdenken des 17. und 18. Jahrhunderts wird bekanntlich unter dem Begriff Kameralismus zusammengefasst. Der Kameralismus bildet somit die große Leerstelle in den Forschungen zu Pietismus und Wirtschaft oder besser mit einer unübersetzbaren englischen Redewendung gesagt: er ist the elephant in the room. Jeder weiß, dass er da ist; dennoch wird er ignoriert. Falls er einmal erwähnt wird, geschieht das lediglich, um seine Bedeutung herunterzuspielen. Dies sieht man beispielhaft in Gerhard Bondis Aufsatz über den Beitrag des hallischen Pietismus zur Entwicklung des ökonomischen Denkens in Deutschland, dem einzigen, der sich explizit dieser Thematik angenommen hat. Bondi konstatiert zwar die Ähnlichkeit von Franckes ökonomischen Aussagen zu jenen zeitgenössischer kameralistischer Autoren, doch zieht er daraus keine weiteren Schlussfolgerungen. Da seine Darstellung Marx’ Diktum folgt, es habe in Deutschland keine politische Ökonomie gegeben,8 werden den Kameralisten weder ein Verständnis der Lage noch irgendein Effekt zugeschrieben. Stattdessen ist es hier aus marxistischer Sicht gerade der Pietismus selbst, der geholfen hat, »den Durchbruch von Formen der kapitalistischen Produktion zu ermöglichen.«9 Um dem Eindruck der zeitgenössischen Ausnahmestellung der pietisti6 Peter Kriedte: Wirtschaft. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Hg. v. Hartmut Lehmann. Göttingen 2004, 585–616, hier: 609. 7 Eine Ausnahme, auf die ich später zurückgreifen werde, bilden die Arbeiten Udo Sträters zur Sozialtätigkeit der Pietisten. Udo Sträter: Pietismus und Sozialtätigkeit. Zur Frage nach der Wirkungsgeschichte des ›Waisenhauses‹ in Halle und des Frankfurter Armen-, Waisen- und Arbeitshauses. In: PuN 8, 1982, 201–230; ders.: Soziales Engagement bei Spener. In: PuN 12, 1986, 70–83; ders.: Soziales. In: Geschichte des Pietismus (wie Anm. 6), 617–645. Auch in anderen Publikationen wird natürlich auf gewisse Übereinstimmungen bzw. die Abhängigkeit von nichtreligiösen zeitgenössischen Diskursen hingewiesen, diese werden aber nicht weiter ausgeführt. Vgl. Kriedte, Wirtschaft (wie Anm. 6), 588. 8 Gerhard Bondi: Der Beitrag des hallischen Pietismus zur Entwicklung des ökonomischen Denkens in Deutschland. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1964, Heft 2–3, 24–48, hier: 24. 9 Ebd., 45.

Pietistische Wirtschaftsvorstellungen um 1700

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schen Wirtschaftsvorstellungen entgegenzutreten, sollen sie im Folgenden konsequent in Beziehung zum ökonomischen Diskurs ihrer Zeit gesetzt werden. Ich werde mich dabei sowohl dem Verständnis von Arbeit, Müßiggang und Armenfürsorge als auch der etwas diffuseren Frage nach der Organisation der Wirtschaft zuwenden und hier die Äquivalenzen, aber natürlich auch Unterschiede zum frühkameralistischen Denken aufzeigen. Ich gehe dabei von zwei Grundthesen aus. Erstens glaube ich, dass der Kameralismus nach einer Inkubationszeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts spätestens seit 1700 einen hegemonialen Diskurs darstellte, der die öffentlichen Aussagen zu Wirtschaftsfragen im Reich strukturierte – und zwar auch für Theologen. Die damit einhergehende Definition des Kameralismus als Diskurs enthebt von manchen Schwierigkeiten, die dieser Begriff mit sich bringt. Die Fragen, ob es sich um ein kohärentes Gedankengebäude gehandelt habe, ob der Kameralismus eine echte Wirtschaftstheorie war und ob er überhaupt wirksam war, verlieren so an Bedeutung. Als hegemonialer Diskurs entfaltete der Kameralismus in jedem Falle eine Wirkung: er prägte in erster Linie, was über Wirtschaft geschrieben wurde bzw. werden konnte und später womöglich auch, was gedacht und getan wurde.10 Zweitens muss man den Unterschied zwischen diesem Kameralismus und dem Kapitalismus, sowohl in seiner modernen Form als auch in seinen englischen Frühformen, betonen. Dies mag wie eine Binsenweisheit klingen, sie wird aber zu selten beherzigt. Ich würde daher den zitierten Satz Peter Kriedtes adaptieren wollen: Der Kameralismus hatte ein gebrochenes, der Eindeutigkeit entbehrendes Verhältnis zum heraufziehenden Kapitalismus – und insofern gewisse Übereinstimmungen mit bestimmten Richtungen des Pietismus. Es soll im Folgenden also nicht nur darum gehen, den Pietismus näher an den Kameralismus heranzurücken, sondern umgekehrt auch manche sozialpolitischen Aspekte und Begründungen, für die der Pietismus bekannt ist, im kameralistischen Diskurs aufzuspüren. Einen zentralen Unterschied sollte man dennoch immer im Hinterkopf behalten, der dazu beigetragen hat, die vorhandenen Konvergenzen zu verdunkeln: Theologen sprechen anders über Wirtschaft als Kameralisten oder – modern gesprochen – als Ökonomen. Theologisches Denken über Wirtschaft konzentriert sich klassischerweise auf ethische Probleme. Dies zeigt sich z. B. in der spätmittelalterlichen Scholastik und ihren Überlegungen zu Geld und Zins, die sich zunächst nur mit der individuell heilsrelevanten Frage des Zinsnehmens beschäftigten.11 Erst im Laufe von Jahrhunderten entwickelte sich daraus eine ausgefeilte Theorie des Nutzens und der Notwendigkeit des Zinses – die 10 Die gegenteilige Ansicht bei Andre Wakefield: The Disordered Police State. German Cameralism as Science and Practice. Chicago 2009. Auch Wakefield versteht den Kameralismus als Diskurs, aber als einen von der Realität völlig abgekoppelten, der nur der Camouflage der eigentlichen (finanziellen) Ziele aller Beteiligten diente. 11 Vgl. Odd Langholm: Economics in the Medieval Schools. Wealth, Exchange, Value, Money, and Usury according to the Paris Theological Tradition, 1200–1350. Leiden 1992.

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aber im Grundsatz immer noch dazu da war, das persönliche Zinsnehmen zu rechtfertigen.12 Bei den Pietisten stellt sich die Situation ähnlich dar. Ihre Mahnungen richten sich mehrheitlich auf das Individuum und sein Wirtschaftshandeln, das gewissen ethisch-religiösen Prinzipien folgen müsse – das heißt in erster Linie nicht eigennützig zu handeln. Bei Francke bedeutet dies nun gerade nicht, auf das Geldverdienen zu verzichten, sondern das Geld erstens auf eine moralisch vertretbare Art und Weise zu verdienen und es zweitens dann für den guten Zweck einzusetzen.13 Dennoch bleibt eine Tatsache bestehen: Eine Moralisierung des Wirtschaftsprozesses verspricht er sich – wie alle zeitgenössischen Theologen – von der Läuterung des Einzelnen. Grundsätzliche Überlegungen von Pietisten über die erwünschte Wirtschaftsform oder -organisation findet man dagegen kaum. Ganz anders sieht es im Kameralismus aus. Hier stehen der Einzelne und sein Wirtschaftshandeln im Schatten der Systemfragen. Die Kameralisten glaubten nicht an Läuterung, sondern an die Zähmung und Einhegung des Eigennutzes durch die Wirtschaftsordnung. Daher sprachen sie kaum über das Handeln des Einzelnen oder wenn, dann in einer völlig anderen Semantik als die Theologen ihrer Zeit. In einem sind sich aber beide Gruppen einig: dem Misstrauen gegenüber dem eigennützigen Handeln der Menschen, insbesondere der Kaufleute. Hier ist keine unsichtbare Hand am Werk, die alle eigennützigen Handlungen zum Gesamtnutzen zusammenführt. Auf der anderen Seite rechnen die Kameralisten mit dem Eigennutz; ihrer Meinung nach wird er den Menschen nicht auszutreiben sein, weder durch Predigten noch durch Gesetze. Man muss ihn daher kanalisieren, indem die Wirtschaft so geordnet wird, dass die wohlverstandenen Interessen die egoistischen Leidenschaften dämpfen.14 Schließlich eine letzte Vorbemerkung: Selbstverständlich ist die Verwendung des Begriffs Pietismus in diesem Zusammenhang problematisch, da er eine Einheitlichkeit suggeriert und die unterschiedlichen Strömungen des Pietismus nivelliert. Die weltabgewandten Richtungen, die unter dem Stichwort Radikalpietismus subsumiert werden, hatten bekanntlich »ein sehr viel

12 Marjorie Grice-Hutchinson: Early Economic Thought in Spain 1177–1740. London 1978. 13 Vgl. Joachim Böhme: Heinrich Julius Elers und die wirtschaftlichen Projekte des Hallischen Pietismus. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 8, 1959, 121–186, hier: 184 f. 14 Vgl. Albert O. Hirschman: Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg. Frankfurt a.M. 1980. Die von Hirschman angeführte explizite theoretische Entgegensetzung von Leidenschaften und Interessen findet man bei den deutschen kameralistischen Autoren bis weit ins 18. Jahrhundert hinein nicht. Implizit wird jedoch immer wieder deutlich, dass es unmöglich ist, eine Politik gegen die Interessen der Individuen zu machen. Ein Beispiel dafür ist, dass Auswanderungsverbote fast durchweg abgelehnt werden, nicht wegen ihres freiheitsraubenden Charakters, sondern wegen mangelnder Erfolgsaussichten. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde dies sogar auf Import- und Exportverbote ausgeweitet, die von den interessegeleiteten Untertanen ohnehin umgangen würden.

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ambivalenteres Verhältnis«15 zum wirtschaftlichen Handeln in der Welt und zur zielgerichteten Verbesserung der ganzen Welt als etwa der Hallesche Pietismus. Ich werde mich daher in erster Linie mit dem weltzugewandten Pietismus beschäftigen, insbesondere Hallescher Prägung, da dort – aber eben auch nur dort – die größten Übereinstimmungen mit dem frühkameralistischen Denken vorhanden sind. Ich möchte im Folgenden zunächst zwei pietistische Gesellschaftsentwürfe aus den Jahren um 1700 vorstellen.16 Beide sind stark von frühkameralistischem Denken geprägt, auch wenn sie der damit einhergehenden weltlichen Politik einen unterschiedlichen Stellenwert zuweisen. Nach einer ersten inhaltlichen Gegenüberstellung werde ich mich zwei systematischen Fragen zuwenden: Zunächst der diese Texte prägenden Semantik der Verbesserung, in der meiner Ansicht nach der Einfluss des frühkameralistischen Diskurses auf pietistische Autoren bzw. eine verbindende Affinität beider Diskurse gezeigt werden kann. Darauf folgt eine Untersuchung des Feldes Arbeit und Fürsorge, wo wiederum eindeutige Analogien aufscheinen.

2. August Hermann Francke: Geistliche und weltliche Reform Das Wesen pietistischer Wirtschaftsvorstellungen ist häufig aus der ökonomischen Praxis des Halleschen Waisenhauses oder dem Handeln pietistischer Kaufleute erarbeitet worden.17 Historiker wie Carl Hinrichs wählten diese praxeologische Herangehensweise, weil es nur wenige vollständige Wirtschaftsprogramme oder Gesellschaftsmodelle pietistischer Provenienz gab, was für eine in erster Linie religiöse Bewegung ganz natürlich ist. Die Analyse der Praxis hat gerade für Halle spannende Erkenntnisse hervorgebracht, sie stößt aber außerhalb des Waisenhaus-Kosmos auf Probleme, ist doch die Identifikation einer spezifisch pietistischen Wirtschaftsweise und ihre Abscheidung gegenüber anderen zeitgenössischen Einflüssen bei einzelnen Kaufleuten schwierig, insbesondere wenn es an einschlägigem (auto-) biographischen Material mangelt. Die Spuren des kameralistischen Diskurses, die in Halle und bei pietistischen Kaufleuten sichtbar sind, lassen sich meines 15 Kriedte, Wirtschaft (wie Anm. 6), 600. 16 Es geht mir in diesem Aufsatz ausschließlich um das Verhältnis von Pietismus und (Früh-) Kameralismus in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Spätere wichtige Überschneidungspunkte, beispielsweise in den Persönlichkeiten Johann Jacob Moser oder Johann Heinrich Jung-Stilling, werden hier nicht behandelt. Beider Hinwendung zum Pietismus, nachdem sie in ihrer Ausbildung bzw. dem frühen Berufsleben die gängigen kameralistischen Lehren gut kennengelernt hatten, verdeutlicht meines Erachtens die Existenz gewisser Affinitäten zwischen beiden Bereichen, die in diesem Aufsatz für die Frühzeit des Pietismus nachgewiesen werden sollen. 17 Hinrichs, Frühkapitalismus (wie Anm. 3); Böhme, Elers (wie Anm. 13).

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Erachtens trennschärfer durch die Untersuchung von Idealbildern identifizieren, die zwar selten, aber doch vorhanden sind. Zwei solche Modelle der weltlichen Reform werden hier analysiert: August Hermann Franckes anonym erschienene Beschreibung Eines verbesserten Fürsten-Staats Durch Drey getreue Ministros von 1699 und Otto Heinrich Beckers Unzulänglichkeit der Welt Klugheit von 1712.18 Die Beschreibung Eines verbesserten Fürsten-Staats ist in der Literatur nicht unbekannt, war jedoch bislang nicht als eigenhändiges Werk Franckes identifiziert worden.19 Tatsächlich erwähnt Francke das Werk aber in einem Brief von 1725 an den Rudolstädter Theologen Johann Lorenz Schmidt.20 Francke schlug diesem vor, die Glauchaschen Anstalten zu besuchen, um daraus für seine Aufgabe als Erzieher des Prinzen Johann Friedrich von SchwarzburgRudolstadt (1721–1767) zu lernen. Darüber hinaus empfahl er ihm mehrere seiner Schriften für diese Aufgabe, darunter die Beschreibung Eines verbesserten Fürsten-Staats, die während eines Aufenthalts in Zerbst 1699 entstanden sei.21 Worum geht es in diesem kurzen Text von knapp 30 Oktavseiten? Der Bezug auf Veit Ludwig von Seckendorff und dessen Teutschen Fürstenstaat ist schon durch die Titelwahl offensichtlich.22 Anders als der Gothaer Rat hat Francke das Geschehen jedoch recht oberflächlich in den Kontext frühneuzeitlicher Utopien gestellt, indem er es im Lande Eubulia spielen lässt, welches von Fürst Palingenius – dem Wiedergeborenen – beherrscht wird. Thomas Baumann, der den Text in seiner Arbeit über die pietistische Utopie im 17. und 18. Jahrhundert untersucht hat, kam allerdings leicht enttäuscht zu dem Schluss, es han18 [August Hermann Francke]: Beschreibung Eines verbesserten Fürsten-Staats Durch Drey getreue Ministros. O.O. 1699; Otto Heinrich Becker: Unzulänglichkeit der Welt Klugheit/ Nebst Anweisung Zu der wahren Weißheit/ Wie Herrschafften und Unterthanen glücklich leben können. Schneeberg 1712. 19 Ausführlich behandelt wird der Text bei Thomas Baumann: Zwischen Weltveränderung und Weltflucht. Zum Wandel der pietistischen Utopie im 17. und 18. Jahrhundert. Lahr-Dinglingen 1991, 69–86. Eine kurze Erwähnung mit der Spekulation, ob nicht Gottfried Vockerodt der Autor sein könne, bei Gudrun Busch: Die Beer-Vockerodt-Kontroverse im Kontext der frühen mitteldeutschen Oper oder: Pietistische Opern-Kritik als Zeitzeichen. In: Das Echo Halles. Kulturelle Wirkungen des Pietismus. Hg. v. Rainer Lächele. Tübingen 2001, 131–171, hier: 169. Vgl. jetzt die Titelaufnahme in der Bibliographie im Francke-Portal http://digital.francke-halle.de/mod3/ content/titleinfo/167518 (letzter Zugriff 12. 9. 2019). 20 Hierbei handelt es sich nicht um jenen Johann Lorenz Schmidt (1702–1749), der als Übersetzer der Wertheimer Bibel bekannt ist und der just 1725 in Halle war. 21 Archiv der Franckeschen Stiftungen Halle (im Folgenden: AFSt)/H, A 179, 116, Brief von August Hermann Francke an Johann Lorenz Schmidt, 27. 9. 1725. Digitalisat online verfügbar in der Sammlung Epistolar Franckes: http://digital.francke-halle.de/mod5/content/titleinfo/9889 (letzter Zugriff 12. 9. 2019). 22 Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat. Frankfurt a.M. 1656. Francke war nicht der erste, der sich mit seinem Titel an Seckendorffs Erfolgsbuch anzuhängen suchte. Bereits 1677 war in Erfurt Der Verbesserte Teutscher [sic!] Fürstenstaat erschienen, der jedoch nichts mit dem Original zu tun hatte, sondern eine Streitschrift der Holstein-Gottorfischen Seite im Kampf gegen Dänemark war.

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dele sich um »eine Utopie ohne echte utopische Substanz. Zu nahe bleibt der anonyme Verfasser an den Gegebenheiten und Forderungen seiner Zeit.«23 Gerade dies macht ihn für die hiesige Untersuchung interessant. Francke schildert das Ideal des kleinen deutschen Territorialstaates, beherrscht von einem weisen, fleißigen und vor allem frommen Fürsten, der von seinen ebenso gearteten drei Ministern bestens beraten wird. All ihr Tun dient dem Seelenheil – ihrem eigenen und dem der Untertanen – sowie der »leiblichen Wohlfahrt in dieser Welt«.24 Für letzteres ist insbesondere der Kammerund Kommerzienrat zuständig. Er hat sich schon in jungen Jahren als guter Haushalter hervorgetan und seine eigenen Güter »gar mercklich melioriret«;25 auf Geheiß des Fürsten ging er daraufhin auf Reisen, damit er auffs genaueste untersuchen möchte/ wie das/ was er in seinen Güthern so wol practiciret/ auch in gantzen Herrschafften angehen könnte: nehmlich/ daß ein fürst so viel Vorrath an zeitlichen Güthern erlangen könnte/ als ihm zu Regierung/ Erhaltung und Verbesserung des gemeinen Wesens nöthig wäre/ ohne daß die Unterthanen die allergeringste Ursache hätten sich über einige onera zu beklagen.26

In der Fremde lernte er viel – vor allem wie man nicht regieren sollte. Oft hörte er Klagen, »daß wenn nur einer käme/ der eine neue invention hätte Geld zumachen/ er sich damit gleich bey dem Landes-Herrn insinuirete/ so doch immer darauff hinaus lieffe/ daß die Unterthanen nur mehr beschwehret und gedrücket würden.«27 Am wenigsten lernte er von den Gelehrten der Universität, um so mehr von verständigen und gottesfürchtigen Kaufleuten, Handwerkern und Bauern. Er besuchte alle Gewerbe und stellte genau fest, auf welcher Basis diese betrieben wurden und wie diese im Land des Fürsten Palingenius eingeführt werden könnten. Er stellte fest, dass Monopole und Zünfte dem gemeinen Wesen schadeten und »daß die jenigen Republiquen am besten florireten/ da man dem Recht der Natur und der Christlichen Liebe den Lauff liese/ daß ein jeder sich nähren möchte/ so gut er könte«.28 Nach seiner Rückkehr begann die Reform des Landes: Die Gerichte funktionierten von nun an zügig und kostenfrei, die Erziehung wurde völlig neu aufgesetzt, die Pfarrer neu examiniert, die Sonntagsheiligung durchgesetzt und schließlich auch die Wirtschaft reformiert. Um den Müßiggang zu bekämpfen, wurden Arbeitshäuser errichtet; dazu Zuchthäuser, nicht nur für Diebe, sondern »es musten auch diejenigen wenigstens eine Zeitlang da hinein/ die auff andere Weise von ihrem Müßiggang und Faulheit nicht abzubringen waren«.29 Der Landesverweis wurde abgeschafft und die Kriminellen stattdessen im 23 24 25 26 27 28 29

Baumann, Weltveränderung (wie Anm. 19), 86. Francke, Beschreibung (wie Anm. 18), A 2v. Ebd., A 4v. Ebd., A 5r. Ebd., A 5v. Ebd., A 7r. Ebd., B 4v.

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Zuchthaus zur Arbeit zum gemeinen Nutzen angehalten. Die wahren Armen bekamen ihr Almosen, die anderen Arbeit. »In Summa/ es durffte in der gantzen Herrschafft dieses löblichen Fürsten Niemand über Armuth klagen/ sondern ein jeder konte seine Nothdurfft haben/ entweder von der Arbeit/ oder von den Allmosen/ die ihm gereichet wurden.«30 Genügend Arbeit war vorhanden, da der Handel und Wandel in Schwung gebracht worden war, »in dem alles/ was man in andern Ländern vor Vortheile und gute Einrichtungen hatte/ in dieser Herrschafft/ so viel nur müglich war/ appliciret wurde«31. In dieser Kurzform – die zugegebenermaßen die reichlich vorhandene religiöse Materie vernachlässigt – ist das Vorgestellte von einem frühkameralistischen Programm kaum zu unterscheiden. Dazu gehören Elemente wie die Priorität der praktischen Kenntnisse von Handel und Gewerbe bei gleichzeitiger Abqualifizierung der Gelehrten.32 Der Praxisbezug in der Ausbildung ist bekanntlich einer der wesentlichen Züge des Halleschen Bildungsprogramms – er ist aber auch aus keinem kameralistischen Traktat wegzudenken.33 Dazu gehört des Weiteren das Lob der Kaufleute und Handwerker und die Forderung nach Autopsie, nach exakter Feststellung aller relevanten Daten und Techniken sowie die Einführung ausländischer Verfahren. Selbst die erwähnte Klage über die falschen Versprechungen der bösen Kameralisten und ihrer inventionen unterscheidet Franckes Kammersekretär nicht von den zeitgenössischen Autoren, denn die rhetorische Absetzbewegung von jenen bösen Kameralisten gehörte zum Einmaleins jedes guten Kameralisten.34 In einer Einzelfrage geht Francke sogar über die gängige Meinung der kameralistischen Autoren hinaus, wenn er die Abschaffung der Zünfte fordert. Dies hatte vor ihm lediglich Seckendorff in den Additiones getan, offenbar unter dem Eindruck seiner Erfahrungen in Holland.35 Doch weder war Seckendorff später jemals auf diese Forderung, die quer zu seinem sonstigen Werk steht, zurückgekommen, noch hatte sie Eingang in den frühkameralistischen Diskurs gefunden. Man wird den Grund für die begeisterte Aufnahme 30 Ebd., B 6r. 31 Ebd., B 6v. 32 Dies gilt für den frühkameralistischen Diskurs, d. h. vor der universitären Institutionalisierung im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts, die natürlich auch zu einer Akademisierung der Form führte. Ein früher Autor wie Johann Joachim Becher (1635–1682) inszenierte sich als Autodidakt, der seine Kenntnisse durch eigene Anschauung erworben habe, und zitierte bewusst keine gelehrten Autoritäten, wollte aber zugleich Teil der respublica litteraria sein. Vgl. Pamela Smith: The Business of Alchemy. Science and Culture in the Holy Roman Empire. Princeton 1994, 34– 41. 33 Vgl. z. B. J.H. Gerbet: Curieuser und nachdencklicher Discurs von der Oeconomia und von guten Oeconomis. Nebst einem unvorgreifflichen Vorschlage, Wie junge Leute zu der Oeconomie aufferzogen, und angeführet werden müsten, welche dermahleinst grossen Herren, Republiquen, Stadt und Land, folglich dem gemeinen Wesen zum besten, nützliche und gute Dienste leisten könten. O.O. 1713. 34 Beispiele bei Wakefield, Police State (wie Anm. 10), 6–13. 35 Veit Ludwig von Seckendorff: Additiones Oder Zugaben und Erleuterungen Zu dem Tractat des Teutschen Fürsten-Stats. Frankfurt a.M. 1665, 168 f.

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dieses wirtschaftspolitisch radikalsten Vorschlags des 17. Jahrhunderts durch Francke wohl in seinen eigenen Manufakturplänen sehen können, die er bekanntlich gerade außerhalb der Mauern Halles zu betreiben hoffte.

3. Otto Heinrich Becker: Welt-Klugheit vs. wahre Weißheit In Franckes Fürsten Staat gehen die religiöse und die weltliche Besserung Hand in Hand, sie sind untrennbar miteinander verbunden. Das gleiche gilt für den zweiten hier vorzustellenden Text, der jedoch einen anderen Akzent setzt als Franckes harmonische Halb-Utopie. Bereits der Titel Unzulänglichkeit der Welt Klugheit macht den kritischeren Tonfall deutlich. Denn die hier thematisierte »Welt Klugheit«36 wird keineswegs negativ dargestellt, sie ist aber nicht ausreichend, eben »unzulänglich«. Nur auf Basis der »Welt Klugheit«, so gut und nützlich deren Vorschläge sein mögen, wird es zu keiner Besserung der Welt kommen; eine solche kann allein die wahre christliche Weisheit erreichen. Dies ist die grundlegende – nicht überraschende – Botschaft von Otto Heinrich Beckers Traktat. Der Jurist Becker (1667–1723) hatte in Halle studiert und war einer der eifrigsten pietistischen Verwaltungsbeamten, zunächst in der Grafschaft Waldeck, später in der Grafschaft Ysenburg-Büdingen, wo er das berühmte Toleranzedikt des Grafen Casimir von 1712 konzipierte, und schließlich in der Grafschaft Reuß-Obergreiz.37 Als verantwortlicher Beamter dieser kleinen Herrschaften war Becker ein natürlicher Mittler zwischen pietistischer Theologie und Frömmigkeit und den zeitgenössischen kameralistischen, wirtschaftspolitischen und verwaltungsreformerischen Ideen.38 In Waldeck bemühte er sich um pietistisch inspirierte Reformen der Kirchenzucht, des Bildungswesens und der Armenfürsorge.39 Im Büdinger Toleranzedikt trat dann der klassisch kameralistische Aspekt der Peuplierung und Gewerbeansiedlung in den Vordergrund.40 Otto Heinrich Becker war die Verwaltungspraxis ebenso vertraut wie die normativen Vorgaben guter Regierung, seien sie christlich-politischer oder 36 Vgl. zu den Staatsklugheitslehren des frühen 18. Jahrhunderts Jutta Brückner: Staatswissenschaften, Kameralismus und Naturrecht. Ein Beitrag zur Geschichte der Politischen Wissenschaft im Deutschland des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts. München 1977, Kap. 3. 37 Louis Curtze: Becker. In: Beiträge zur Geschichte der Fürstenthümer Waldeck und Pyrmont 2, 1869, 27–45. Zu seiner Rolle beim Toleranzedikt vgl. den Beitrag von Hans Schneider in diesem Band. 38 Sträter nennt ihn als solchen neben Seckendorff, Ahasver Fritsch und Enno Rudolph Brenneysen. Sträter, Soziales (wie Anm. 7), 634. 39 Demnächst ausführlich dazu Wolfgang Breul: Generalreform: August Hermann Franckes Universalprojekt und die pietistische Neuordnung in der Grafschaft Waldeck. Kap. 3 und 4. 40 Zu Ysenburg-Büdingen vgl. den Beitrag von Hans Schneider in diesem Band. Allgemein zu Toleranz und Peuplierung Justus Nipperdey: Die Erfindung der Bevölkerungspolitik. Staat, politische Theorie und Population in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2012, 268–276, 331–350.

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früh-kameralistischer Natur. Dies wird in seiner Unzulänglichkeit der Welt Klugheit deutlich. Becker konzipierte seinen Traktat als platonisches Streitund Lehrgespräch mit drei Hauptfiguren und einigen Statisten. Auf der einen Seite steht Grypus, ein weder religiös noch weltlich-politisch erleuchteter Herrscher, der immerhin guten Willens und auf der Suche nach ernsthaften Ratschlägen ist. Diese bietet Aristippus, der ihn in die Grundzüge guter Regierungsführung einzuweisen sucht. Dabei führt er Grypus seine Fehleinschätzungen vor, etwa, dass gute Finanzpolitik nicht nur die ständige Vermehrung der Einkünfte auf Kosten der Untertanen bedeute oder dass es eben nicht der »vornehmste[n] Zweck« von Geldstrafen sei, »daß nemlich die Herrschafftliche revenuen durch die Straffen vermehret werden«.41 Grypus spielt also die in der politischen Literatur fest etablierte Rolle des machiavellistischen »Statisten« (von ratio status), auch wenn er eher durch seine Naivität als echte Bösartigkeit auffällt.42 Aristippus verteufelt die von Grypus geschätzten Konzepte der kameralistischen »Plusmacher« – von denen sich die kameralistischen Autoren regelmäßig selbst distanzierten43 – und setzt diesen eine kameralistisch inspirierte Politik zur Ordnung und Verbesserung des Landes sowie der Bereicherung der Untertanen entgegen. Ihr Zwiegespräch, das den größten Teil des Werkes füllt, wird jedoch immer wieder von einer dritten Hauptperson unterbrochen. Dieser Theogenes betont die Nutzlosigkeit der diskutierten Reformen, solange es an echter Läuterung der Menschen und an göttlicher Weisheit fehle. Ein Staat könne keinesfalls nur auf der menschlichen, »natürlichen« oder »politischen Klugheit« aufgebaut werden.44 In einem abschließenden Dialog erläutert Theogenes dem staatsklugen Aristippus das Wesen und die weltlichen Wirkungen dieser »himmlischen Weißheit« und überzeugt ihn damit vollkommen. Beckers Unzulänglichkeit der Welt Klugheit hat eine doppelte Stoßrichtung. Sie ist zunächst ein religiöser Text, der die Möglichkeit guter und für den Fürsten wie die Untertanen erfolgreicher Politik ohne wahre innere Hinwendung zu Gott verneint. Diese Voraussetzung steht in der Tradition der christlich-politischen Autoren der vorangegangenen Jahrhunderte; nur in der Betonung der Schwierigkeiten, diesen Ansprüchen gerecht zu werden, zeigt sich die pietistische Eigentümlichkeit des Textes. Beckers Theogenes betont immer wieder, dass einfacher Glaube und guter Wille nicht ausreichen werden

41 Becker, Welt Klugheit (wie Anm. 18), 26. 42 Vgl. für diesen Typus die häufig nachgedruckte satirische Darstellung von Johann Michael Moscherosch: Alamodischer Politicus, welcher heutiger Statisten Machiavellische Griff und Arcana Status Sonnenklar an Tag gibt. O.O. 1650. 43 Vgl. das spätere, aber prägnanteste Beispiel von Johann Heinrich Gottlob von Justi: Abhandlung, von den sogenannten Plusmachern, oder der schädlichen Art, die Einkünfte des Staats zu vermehren. In: Johann Heinrich Gottlobs von Justi gesammlete Politische und Finanzschriften. Bd. 3. Kopenhagen u. Leipzig 1764, 409–438. 44 Becker, Welt Klugheit (wie Anm. 18), 120.

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zur Überwindung der eigenen »affecten und Begierden«45, die unweigerlich die gute Politik untergraben. Stattdessen ist eine wahre »Seelen-Bekehrung«46 in pietistischem Sinne notwendig. Trotz alledem besteht der Traktat zu vier Fünfteln aus positiv konnotierten Ratschlägen zur guten Regierung, die sich sowohl aus älteren Regimentstraktaten und der politica christiana speisen als auch jüngere kameralistische Forderungen inkorporieren. Die positive Darstellung der Welt-Klugheit ist freilich ein rhetorisches Mittel, das ihre Entlarvung umso wirkungsvoller macht. Doch handelt es sich hierbei sicher nicht nur um Rhetorik, dafür werden die praktischen Ratschläge zu ausführlich diskutiert und liegen zu nah am zeitgenössisch immer wieder postulierten Ideal guter Regierung. Der Verwaltungsbeamte Becker präsentiert also wie viele andere Autoren die perfekte Regierung, mit dem pietistischen Zusatz, dass all dies nur bei vollständiger Bekehrung von Fürst und Untertanen realistisch sei. Im Endeffekt löst sich der Widerspruch zwischen Welt-Klugheit und Weisheit auf, und sie gehen eine Symbiose ein, ebenso wie sie es unausgesprochen in Franckes Fürsten Staat getan hatten. Was ist nun der Inhalt dieser weltklugen Ratschläge? Sie decken das gleiche weite Spektrum wie andere frühneuzeitliche politische Traktate ab. Ein Kapitel erweist sich als kurzgefasster Fürstenspiegel, der das ethische Handeln des Fürsten zum Inhalt hat. Zwei weitere befassen sich mit den Pflichten der Beamten und den Regeln der Finanzpolitik. All diese knüpfen deutlich an die christlichen Politiklehren des 17. Jahrhunderts mit ihrem hohen moralischen Anspruch an. Auch der erste Teil über die gute Ordnung des Gemeinwesens nimmt klassische Topoi auf, setzt sich jedoch in Ton und Inhalt von älteren Autoren wie Georg Engelhard von Löhneyß und Dietrich Reinkingk – dessen Biblische Policey Spener als einziges politisches Buch empfahl47 – ab.48 Geradezu selbstverständlich ist die Kritik an der gängigen Fiskalpolitik, deren einziges Interesse die Steigerung der fürstlichen Einkünfte sei. Dies zu ändern sei jedoch nicht aus bloßer Güte notwendig. Vielmehr müsse jeder Fürst und Beamte darauf achten, dass er »die Wohlfahrth des Landes-Herrn nicht von der Unterthanen Wohlfahrth separire«.49 Denn zusätzliche Einnahmen, die die Untertanen verarmen ließen, seien bloß eine »avantage chimerique«,50 die in kurzer Zeit wieder zerrinnen werde. Diese Grundsatzerklärung steht im Einklang mit älteren christlichen Poli45 Ebd., 28. 46 Ebd., 33. 47 »In Politicis finde so gar viel einem Theologen nicht nötig, es seien dann andere Absichten, welche ihm solches nötig machten. Hingegen sollte Reinkings Biblische Polizei nicht unnützlich zu brauchen sein.« Zit. nach Hans Leube: Die Sozialideen des kirchlichen Pietismus. In: ders.: Orthodoxie und Pietismus. Gesammelte Studien. Bielefeld 1975, 129–152, hier: 135. 48 Dietrich Reinkingk: Biblische Policey. Frankfurt a.M. 1663; Georg Engelhard von Löhneyß: Hof-, Staats- und Regier-Kunst. Frankfurt a.M. 1679. 49 Becker, Welt Klugheit (wie Anm. 18), 2. 50 Ebd., 4.

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tiklehren. Ihre ausführliche ökonomische Rechtfertigung, die das begründete Eigeninteresse des Fürsten ins Zentrum der Kalkulation stellt, hatte sich dagegen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts insbesondere in frühkameralistischen Traktaten durchgesetzt, die einer aktiven Wirtschaftspolitik zur Bereicherung von Untertanen und Fürst das Wort redeten. In genau diesem Sinne fährt Becker fort, wenn Aristippus die rechten Mittel aufzählt, »dadurch Herrschaft und Unterthanen können in Flor gebracht werden und dabey erhalten werden«.51 Als ersten Punkt fordert er nämlich, »daß Anstalt gemacht werde/ damit ieder Unterthan/ wann er fleißig seyn will/ sich ehrlich ernehren könne.«52 Darauf folgt ein relativ klassisches Programm frühkameralistischer Wirtschaftspolitik.53 Es sieht die intensive Ausnutzung der natürlichen Ressourcen des Landes vor, sowohl in der Landwirtschaft als auch im Bergbau, der selbst dann betrieben werden solle, wenn die Bergwerke nicht mehr als die Kosten austrügen – eine klassische kameralistische Forderung, die man fast wörtlich in anderen Texten wiederfinden kann.54 Denn durch den Betrieb der Bergwerke würden die Arbeit und die Geldmenge im Land vermehrt und letztlich ein gesamtgesellschaftlicher Gewinn erzielt, auch wenn der Betrieb selbst nichts abwerfe. Dem gleichen Ziel diente das klassische Verbot der Rohstoffausfuhr und die Verhinderung der Einfuhr jener Waren, die im Lande selbst produziert würden. Zur Förderung der Gewerbe müsse eine öffentliche Verlagsanstalt aufgerichtet werden, die Handwerker mit Aufträgen oder Kapital versorgen könne.55 Auch die bevölkerungspolitische Seite fehlte nicht: Durch Steuerfreiheit und Privilegien sollten Siedler ins Land geholt werden, um die »wüsten Städte und Oerter«56 zu bevölkern – ein Konzept, das Becker im Ysenburger Toleranzedikt in die Praxis überführte. Zu guter Letzt folgte der Neu- bzw. Ausbau aller möglicher Anstalten und Institutionen zur Erziehung, Bestrafung oder Aufbewahrung der Bevölkerung, also Schulen, Waisenhäuser, Zuchthäuser und schließlich Armenhäuser für jene, die selbst in der schönen neuen Arbeitswelt tatsächlich nicht zu gebrauchen waren. Ein Element von Beckers Präsentation eines weltklugen Politikprogramms ist für unseren Zusammenhang besonders interessant: seine eklektische Vermischung von Motiven und Topoi aus unterschiedlichen politischen Diskursen. Er präsentiert ein Potpourri an Problemen und Lösungen, die sowohl Themen der traditionellen Regimentstraktate als auch jüngerer wirtschafts51 52 53 54

Ebd. Ebd. Ebd., 4–10. Vgl. Johann Georg Leib: Probe, wie ein Regent Land und Leute verbessern, des Landes Gewerbe und Nahrung erheben […] könne. Leipzig 1705, 52. 55 Vgl. dazu die ähnlichen Vorschläge Bechers und Marpergers: Johann Joachim Becher: Politischer Discurs von den eigentlichen Ursachen deß Auff- und Abnehmens der Städt, Länder und Republicken. Frankfurt a.M. 1673, 248–250; Paul Jacob Marperger: Ausführliche Beschreibung des Zeugmacher-Handwercks. Dresden [1723], 22. 56 Becker, Welt Klugheit (wie Anm. 18), 6.

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politischer Texte inkorporiert. Dies reicht bei Ersteren von der uralten Klage über zu lange und kostspielige Prozesse bis zur Frage von Kleiderordnungen und Gastordnungen. Aus Letzteren stammt die skizzierte Gewerbe-, Außenhandels- und Bevölkerungspolitik. Auffallend ist auch die Reihenfolge. Beckers Aristippus beginnt mit der Wirtschaftspolitik und innerhalb dieses Bereichs mit dem Thema der Nahrungs- oder Arbeitsbeschaffung. Gerade dies sind Themen, die in christlich inspirierten politischen Traktaten des 17. Jahrhunderts eine marginale Rolle gespielt hatten.57 Selbst in der ursprünglichen Version von Seckendorffs Fürstenstaat taucht das Thema eher kurz und keinesfalls an prominenter Stelle auf. Bei Becker bildet es dagegen den ersten Punkt guter Regierung. Erst später folgen die Pflege der Justiz und die klassischen gesetzlichen Regelungen. Die religiöse Ordnung, die häufig am Anfang solcher Betrachtungen steht,58 bleibt natürlich außen vor, um den Eindruck der letztlich doch defizitären weltlichen Klugheit nicht zu verwischen. Otto Heinrich Beckers Vorstellung der guten weltlichen Politik war tief geprägt von den wirtschaftspolitischen Konzepten, die seit den 1660er Jahren in einer kontinuierlich zunehmenden Menge von Traktaten postuliert wurden. Wie im Fall von August Hermann Franckes utopischem Fürsten Staat zeigt sich eine inhaltliche Kongruenz der von kameralistischer und pietistischer Seite vorgeschlagenen weltlichen Reformen. Dieser Befund, der bis hierher aus der Aufzählung inhaltlicher Übereinstimmungen gewonnen wurde, soll im Folgenden auf zwei Feldern systematischer untersucht werden: der analogen Semantik der Verbesserung und der Behandlung von Arbeit und Fürsorge.

4. Die Semantik der Verbesserung Die beiden Texte pietistischer Provenienz sind durchzogen von einer Semantik des Nutzens und der Verbesserung. Dabei ist es nicht erstaunlich, dass Franckes Fürst und seine Minister für den »gemeinen Nutzen« arbeiten und Beckers Grypus wissen möchte, wie man das »gemeine Beste« fördere,59 schließlich gehört dieser Terminus zu den Zentralkategorien politischer Kommunikation in der Frühen Neuzeit; er war immer positiv besetzt und konnte von jedem für sich in Anspruch genommen werden.60 Doch die Ver57 Vgl. zugespitzt Thomas Simon: ›Gute Policey‹. Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a.M. 2004, 243, 369–380. 58 So etwa in Franckes Fürsten Staat: Francke, Beschreibung (wie Anm. 18), A 2, B 3v. 59 Ebd., A 6v, B 5v; Becker, Welt Klugheit (wie Anm. 18), 5, 23, 52. 60 Peter Blickle: Der Gemeine Nutzen. Ein kommunaler Wert und seine politische Karriere. In: Gemeinwohl und Gemeinsinn. Hg. v. Herfried Münkler. Bd. 1: Historische Semantiken politischer Leitbegriffe. Berlin 2001, 85–108; Winfried Schulze: Vom Gemeinnutz zum Eigennutz. Über den Normenwandel der ständischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit. In: HZ 243, 1986, 591–636; Luise Schorn-Schütte: »Den eygen nutz hindan setzen und der Gemeyn wolfart suchen.«

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bindung von ›Nutzen‹ und ›Verbesserung‹ ist ein neues Element der politischen Theorie des 17. Jahrhunderts, das in der ersten Jahrhunderthälfte zunächst in Form der »amplificatio reipublicae« auftaucht und sich dann zunehmend in deutschsprachigen Texten verbreitet.61 Bei Franckes Kommerzienrat ist der Aspekt der Vermehrung und Verbesserung besonders augenfällig. Dieser hat sich seine ersten Sporen durch die »Melioration« seiner Güter verdient (auf Staaten bezogen bildete der Begriff melioratio häufig ein Synonym für amplificatio62); er und der Fürst sind offen für jede Verbesserung von außen, sie stellen alles Hergebrachte auf den Prüfstand. An keiner Stelle ist von der Rückkehr zu einem früheren guten Zustand die Rede. Im Gegensatz zu Francke geht Becker die Frage der Neuerungen und der möglichen Kritik daran offensiv an. Er lässt einen Gesprächspartner auftreten, der Aristippus vorwirft, er wolle »das Land voll neuer Ordnungen machen«, und seinen Tatendrang mit dem Hinweis zu bremsen sucht, man müsse nicht »alles auf einmahl verbessern«.63 Diese Vorlage nutzt Aristippus zur Attacke: Diejenigen, die alles lassen wollten, »wie es ist gewest […] bekümmern sich wenig um die gemeine Wohlfahrt« und seien »impedimenta Reipubl.«, wie Luther gesagt habe. Denn »[e]s hat ja ein ieder Mensche und also noch vielmehr eine gantze Republic, (da so leicht Unordnungen einschleichen/) allzeit Besserung nöthig.«64 Mit dem realen Vorwurf, ein gefährlicher Neuerer zu sein, setzte sich Becker auch im polemischen Streit mit seinem waldeckischen Intimfeind Carl Gottfried von Rauchbar auseinander.65 Dieser heiße »alle Verbesserungen pietistisch«, egal ob weltlicher oder geistlicher Natur.66 Becker präsentiert sich dagegen als Reformer auf allen Feldern. In der Unzulänglichkeit der Welt Klugheit begegnet Aristippus auf zweierlei Art dem klassischen Einwurf, die Vorfahren seien »auch keine Narren gewesen«67 und hätten gute Ordnungen gemacht und hinterlassen. Erstens bietet er Beispiele offensichtlich notwendiger Reformen wie die Christianisierung und die Reformation, denen er zweitens ein interessantes historisches Entwicklungsargument folgen lässt. Die Vorfahren hätten das Ihrige getan, doch seien die Zeiten und die Möglichkeiten eben andere gewesen. »Mit der Zeit wird man klüger/ lasset

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Überlegungen zum Wandel politischer Normen im 16./17. Jahrhundert. In: Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas. Festschrift Johannes Kunisch. Hg. v. Helmut Neuhaus u. Barbara Stollberg-Rilinger. Berlin 2002, 167–184. Vgl. Nipperdey, Erfindung (wie Anm. 40), 212–221. Christoph Besold: Discursus politicus de incrementis imperiorum eorumque amplitudine procuranda. Straßburg 1623, 5. Becker, Welt Klugheit (wie Anm. 18), 21 f. Ebd., 23 f. Vgl. zu dieser Kontroverse Helga Zöttlein: Dynastie und Landesherrschaft. Politischer Wandel in der Grafschaft Waldeck zwischen 1680 und 1730. Bad Arolsen 2004, 137–151. Otto Heinrich Becker: Abgenöthigte Apologie und Schutz-Schrift Wieder eine unter der Rubric Historia Pietistica Waldeccensis heraus gekommene Schmäh-Schrifft. O.O. 1712, 82. Ders., Welt Klugheit (wie Anm. 18), 25.

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uns auch das Unsrige thun/ zumahlen da es leichter ist inventis aliquid addere dem Guten etwas hinzu zu thun.«68 Dieser aktivistische Blick auf die formbare Zukunft wurzelt sowohl im religiösen wie im politischen Diskurs und stellt ein zentrales Verbindungselement zwischen Pietismus und Kameralismus dar. Die religiöse Basis bildet der pietistische Chiliasmus in seiner postmillenaristischen Ausformung, wonach das tausendjährige Reich erst noch anbrechen und schließlich von der Wiederkunft Christi abgelöst werden sollte. Dies schob den jüngsten Tag in ferne Zukunft hinaus und öffnete den Raum für eine dauerhafte innerweltliche Verbesserung.69 Den Bruch mit der orthodox lutherischen Vorstellung des bereits vergangenen tausendjährigen Reiches und des sich daraus ableitenden baldigen Endes der irdischen Welt hatte Philipp Jacob Spener bereits in den Pia Desideria vollzogen und später in seiner Behauptung der Hoffnung künfftiger besserer Zeiten weiter argumentativ untermauert.70 In Bezug auf Spener ist in der Pietismus-Forschung kontrovers diskutiert worden, inwieweit sich diese besseren Zeiten nur auf die kleine Gemeinschaft der wahren Wiedergeborenen oder doch auf die Generalreformation der Welt beziehen.71 Für Francke und Becker bestand jedenfalls kein Widerspruch zwischen beiden Sphären. Francke postulierte bekanntlich die »reale Verbesserung in allen Ständen in und außerhalb Deutschlands« auf Basis seines Halleschen »Pflanz-Gartens«.72 In vergleichbarer Weise strebte Becker eine »Generalreform« an.73 Diese Ausrichtung schlägt sich semantisch nieder, indem die stetige ›Erneuerung‹, ›Verbesserung‹ und das ›Wachstum‹ in gleicher Weise auf den persönlichen Glauben wie auf die reale Welt bezogen werden.74 Die in den Begriffen ›Verbesserung‹ und ›Wachstum‹ aufscheinende konsequente Zukunftsorientierung und deren Proliferation im pietistischen Bereich kann man in einem übergreifenden Sinn als Teil der von Daniel Fulda für die Zeit um 1700 konstatierten Durchsetzung der Vorstellung einer ›offenen

68 Ebd., 26. 69 Wolfgang Breul: ›Hoffnung besserer Zeiten‹. Der Wandel der ›Endzeit‹ im lutherischen Pietismus um 1700. In: Frühe Neue Zeiten. Zeitwissen zwischen Reformation und Revolution. Hg. v. Achim Landwehr. Bielefeld 2012, 261–282. 70 Ausführlich dazu Heike Krauter-Dierolf: Die Eschatologie Philipp Jakob Speners. Tübingen 2005; Philipp Jacob Spener: Pia Desideria. Frankfurt a.M. 1676; ders.: Behauptung Der Hoffnung künfftiger Besserer Zeiten. Frankfurt a.M. 1693. 71 Vgl. Johannes Wallmann: Pietismus und Chiliasmus. Zur Kontroverse um Philipp Jakob Speners ›Hoffnung auf bessere Zeiten‹. In: ZThK 78, 1980, 235–266, hier: 252 f. 72 August Hermann Francke: Project zu einem Seminario Universali oder Anlegung eines PflanzGartens, in welchem man eine reale Verbesserung in allen Ständen in und außerhalb Deutschlands, ja in Europa und allen übrigen Theilen der Welt zu gewarten. In: ders.: Werke in Auswahl. Hg. v. Erhard Peschke. Berlin 1969, 108–115. 73 Breul, Generalreform (wie Anm. 39). 74 Vgl. zur religiösen Verwendung dieser Begriffsfelder August Langen: Der Wortschatz des deutschen Pietismus. Tübingen 21968, 49 f, 187 f.

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Zukunft‹ verstehen.75 In ihrer konkreten Verwendung sind sie dabei der Ausfluss einer politischen Semantik, die sich erst im und mit dem kameralistischen Diskurs der letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts durchgesetzt hatte. Besonders auffallend ist wiederum der Unterschied zu den früheren christlichpolitischen Werken wie etwa Christian Friedtliebs Prudentia politica christiana oder der schon erwähnten Biblische[n] Policey Dietrich Reinkingks.76 Dort hatte gerade die Behandlung wirtschaftspolitischer Fragen eine völlig andere Ausrichtung gehabt, ging es doch um die Wiederherstellung von ›Treu und Glauben‹, die Wiederherstellung der ›guten alten Münze‹ usw. Von Neuerungen war in diesen Texten nicht die Rede. Selbst im Vergleich zu Seckendorffs Fürstenstaat, der 1656 bzw. inklusive der Additiones 1665 erschienen war und in gewissem Sinn die politica christiana modernisiert hatte, wirken Franckes und Beckers Traktate radikal zukunftsbezogen und von der ständigen Suche nach Verbesserungspotenzial besessen – genauso wie die frühkameralistischen Traktate, die diese Geisteshaltung ungefähr seit 1670 in einer Vielzahl von Publikationen verbreitet hatten. Schon die langen barocken Titel jener Werke verweisen auf diesen Aspekt. So will Johann Joachim Becher erklären, »wie ein Land Volckreich und Nahrhafft zu machen«, und der anonyme Autor der Oeconomia Major (1681) möchte zeigen, wie »[e]in Landes-Herr sein Land besser als durch Krieg vermehren« und »ohne Kosten neue Städte und Dörffer nach seinem Gefallen in kurtzer Zeit erbauen« könne.77 Wegen des dauerhaften Wachtsumspotenzials rät Johann Daniel Crafft dem Fürsten zur Anlage neuer Manufakturen, deren »Vortheil ist/ daß Er die Zahl der Manufactur-Leute/ wenn dieselbe wohl gehalten werden/ von Jahren zu Jahren vermehren kan/ da hingegen die Zahl der Bauer-Höfe und güther immer in einem Stande bleibt.«78 Die Argumentation dieser Traktate richtete sich gerade nicht auf Restauration oder Reformation im wörtlichen Sinn, sondern auf die Neuformierung des Territoriums und die Schaffung bislang ungekannter Prosperität. Dabei fordern sie konkret die 75 Daniel Fulda: Wann begann die ›offene Zukunft‹? Ein Versuch, die Koselleck’sche Fixierung auf die Sattelzeit zu lösen. In: Geschichtsbewusstsein und Zukunftserwartung in Pietismus und Erweckungsbewegung. Hg. v. Wolfgang Breul u. Jan Carsten Schnurr. Göttingen 2013, 141–172; vgl. auch Achim Landwehr: Geburt der Gegenwart. Eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 2014. 76 Christian Friedtlieb: Prudentia politica Christiana. Goßlar 1614. Reinkingk, Policey (wie Anm. 48). Vgl. zu dieser Literatur Luise Schorn-Schütte: ›Politica Christiana‹. Eine konfessionelle oder christliche Grundordnung für die deutsche Nation? In: Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität? Hg. v. Georg Schmidt. München 2010, 245–264. 77 Becher, Discurs (wie Anm. 55); Oeconomia Major, Oder Politisches Kunst Gebäude/ Welches gantz andere Maximen, als die gemeine Politic einführet. Durch welches Ein Landes-Herr sein Land besser/ als durch Krieg vermehren/ und solches so wohl an Volck als Commercien bereichern/ Ja Ohne Kosten neue Städte und Dörffer […] in kurtzer Zeit erbauen/ die alten erbaueten verbessern […]. Leipzig 1680. 78 [Johann Daniel Crafft]: Bedencken von Manufacturen in Deutschland. Jena 1683, 7.

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Neueinführung von Gewerben, Techniken und Praktiken, insbesondere jenen, die bei in- oder ausländischen Konkurrenten bereits existieren. Sie sind somit häufig weniger auf echte Neuerfindungen ausgerichtet als auf die Übernahme dessen, was Ökonomen heute best practice nennen – also genau das, was Franckes Kommerzienrat im Lande Eubulia ins Werk zu setzen suchte.

5. Arbeit und Fürsorge Neben diesen semantischen Überschneidungen möchte ich schließlich einen der Themenbereiche, in denen sich eindeutige inhaltliche Analogien finden, näher untersuchen: das Feld von Arbeit, Müßiggang und Armenfürsorge. Beide Autoren präsentieren sich als Repräsentanten der institutionellen Herangehensweise. Für alle Probleme rund um Armut, Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunwilligkeit soll es die passenden Anstalten geben. Ein System von Armenhäusern, Arbeitshäusern, Zuchthäusern und selbstverständlich Waisenhäusern lösen in Eubulia und Waldeck die sozialen Probleme79 – die ›große Einsperrung‹ aus lautersten Motiven und in ganz ähnlicher Weise wie bei kameralistischen Autoren. Diese Konvergenz ist nicht überraschend, vor allem im Lichte der Forschungen Udo Sträters, der als einer der wenigen die pietistischen Anstaltsvorstellungen intensiv mit den zeitgenössischen nicht-theologischen Konzepten kontextualisiert hat. Er stellte fest, dass der lange Zeit gängige Versuch einer Unterscheidung bei der Gründung zentraler Armenanstalten nach »religiöser« Motivation (also konkret: einem reinen Fürsorgeinteresse, das von den vorhandenen Armen ausgeht) oder »merkantilistischer« Motivation (also einem wirtschaftspolitischen Impetus, der von einem Produktions- und Bereicherungsziel ausgeht) im konkreten Einzelfall nicht sinnvoll ist.80 In praktisch allen Fällen pietistisch inspirierter Gründungen von Arbeits- oder Waisenhäusern in den Jahren vor und nach 1700 gingen beide Motive Hand in Hand.81 Selbst in der theoretischen Begründung verschwimmen diese Gegensätze, sind doch die pietistischen Konzepte nicht so rein karitativ und die kameralistischen nicht so rein repressiv wie vielfach behauptet. Beide gehen von einer Verbindung von moralischer Besserung und materiellem Nutzen für Staat und Untertanen aus. So erklärt Francke, dass im Waisenhaus »Christliche HandWercks- und Handels-Leute/ gute Schul-Meister/ ja auch Christliche Prediger und Raths-Leute zubereitet« würden, von denen sich die »die Hohe LandesObrigkeit […] nicht allein getreue und erwünschte Unterthanen gewiß versprechen/ sondern auch die Hoffnung wol fassen kan/ daß durch solche wohl 79 Francke, Beschreibung (wie Anm. 18), B 4v; Becker, Welt Klugheit (wie Anm. 18), 8 f. 80 Sträter, Soziales (wie Anm. 7), 637. 81 Sträter, Pietismus (wie Anm. 7), 218.

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erzogene Unterthanen noch viele andere von einem straffbaren Leben werden abgeführet werden«.82 Für die übrigen gibt es immer noch das Zuchthaus, das allerdings, wie er in seinem Fürsten Staat deutlich gemacht hatte, nicht nur für die eigentlichen Kriminellen da sei. Die Schaffung eines Netzes von Aufbewahrungs-Institutionen schwebte ihm auch in Halle vor. Im Großen Aufsatz bedauerte er, dass seinen Stiftungen ein Arbeitshaus fehle, welches das Waisenhaus entlasten könnte.83 Die Verbindung der Anstaltspolitik mit der Gewerbepolitik blieb dennoch bei Francke implizit. Gerade im Land Eubulia trennte er den Fürsorge- und den Wirtschaftsförderungsaspekt. Es gibt lediglich eine zeitliche Korrelation zwischen der Errichtung des Arbeits- und des Zuchthauses sowie der Etablierung neuer Gewerbe, die letztlich den Lebensstandard aller Untertanen erhöhen. Aber Francke sagt eben nicht explizit, dass in den neuen Anstalten die neuen Gewerbe betrieben werden sollten – wie es jeder Kameralist getan hätte und wie es in pietistischen Reichsterritorien wie der Reichsgrafschaft Solms-Laubach versucht wurde.84 Beim Waldeckischen Regierungsrat Becker ist die Korrelation von Anstaltsgründung mit der Wirtschaftspolitik stärker, gehören doch beide zu einem kohärenten obrigkeitlichen Gesamtprogramm, das dafür sorgen sollte, »dass jeder Untertan, der arbeiten will, sich ehrlich ernähren kann.«85 Ganz ins Zentrum gerückt wird der Zusammenhang schließlich bei einem weiteren pietistischen Autor zu Sozial- und Wirtschaftsfragen: Georg Christoph Brendel (1668–1722), Pfarrer und Konsistorialrat im oberfränkischen Thurnau.86 Brendel publizierte 1710 eine scharfe Philippika gegen »Das verfluchte heilige Allmoßen/ Welches zum Deckmantel der Schändlichen Betteley/ die als ein Fluch des Landes sich täglich weiter ausbreitet/ gemißbrauchet wird«. Kompromissloser als jeder Kameralist der Zeit verurteilte er das Betteln und Almosengeben, das durch eine institutionalisierte Versorgung ersetzt werden müsse. Dabei sei stets auf den Nutzen der Allgemeinheit zu achten. Alle Dorfbewohner müssten »zuförderst überlegen/ was in ihrem Dorffe zu arbeiten/ dadurch so wohl die Gemeine einen Nutzen/ als ein jeder insonderheit Förderung seiner Handthierung/ die Bettler aber nothdürfftigen Unterhalt erlangen könnten.«87 Die Arbeitskraft der Bettler sollte also explizit der 82 August Hermann Francke: Segens-volle Fußstapffen des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes. Halle 1709, 107 f. 83 Ders.: Schrift über eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts. Der Große Aufsatz. Hg. v. Otto Podczeck. Berlin 1962, 139. 84 Vgl. Sträter, Pietismus (wie Anm. 7), 224–229. 85 Becker, Welt Klugheit (wie Anm. 18), 4. 86 Zu Brendel vgl. Matthias Simon: Georg Christoph Brendel und die Kirche in Thurnau. Ein künstlerisches Denkmal des Pietismus. In: ZBKG 25, 1956, 1–39; Horst Weigelt: Geschichte des Pietismus in Bayern. Anfänge, Entwicklung, Bedeutung. Göttingen 2001, 150–159. 87 [Georg Christoph Brendel]: Das verfluchte heilige Almosen. O.O. 1746 [11710], C 3r.

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»Handthierung« der übrigen Bewohner dienen. Da Brendel eher vom ländlichen Raum ausging, schlug er konkret keine neuen Gewerbe vor, sondern die Heranziehung zu öffentlichen Arbeiten wie Wegebau oder Sumpftrockenlegung. Dieser häufig als Radikalpietist bezeichnete Theologe argumentierte wie ein Kameralist: Die Problemlösung sah er in einer Reform des Systems durch neue Institutionen – er ging gerade nicht vom Individuum und dessen Besserung aus. Auch im pietistischen Bereich wird also die richtige Ausnutzung der Arbeitskraft zum gemeinen Nutzen und sogar der materiellen Verbesserung der übrigen Einwohner thematisiert. Umgekehrt ist der Fürsorgegedanke bzw. eine Art Pflicht zur sinnvollen Unterbringung der Arbeitslosen im Frühkameralismus deutlich stärker, als es die Literatur erwarten ließe.88 In den Diskussionen über die Einführung neuer Gewerbe oder den Bau von Arbeitshäusern und Großmanufakturen etwa zur Versorgung der neuen stehenden Heere spielte der Aspekt der Arbeitsbeschaffung diskursiv immer eine zentrale Rolle. So argumentierten die Befürworter einer solchen Politik in Bayern im Grunde mit einem »Recht auf Arbeit«, wie es auch von Spener eingefordert wurde.89 Die Kameralisten versuchten immer, ihre Vorschläge als Ausfluss sozialer Verantwortung darzustellen – und näherten sich damit automatisch bestimmten religiösen Aussagen zu Arbeit und Armut an. Dass dies nicht bloß rhetorische Nebelkerzen waren, möchte ich anhand der Frage der gerechten Bezahlung von Handwerkern und Arbeitern exemplifizieren. Dabei geht es anders als bis hierher stärker um Wesen und Inhalt des frühen Kameralismus als um den Pietismus. Trotzdem scheint es mir geboten, diese sozialfürsorgliche Seite des kameralistischen Diskurses in den Blick zu nehmen, um die möglichen und tatsächlich aufgenommenen Berührungspunkte zwischen beiden Bereichen deutlicher zu machen. An dieser Stelle treten allerdings auch die eingangs erwähnten strukturellen Unterschiede zwischen religiös-pietistischer und kameralistischer Argumentation klar zutage. Denn wo die Pietisten persönliche Not durch individuelle Fürsorge oder individuelle Beschäftigung im Arbeitshaus zu lindern suchten, machten sich manche Kameralisten Gedanken über die Gesamtorganisation der Wirtschaft. Das Misstrauen vieler kameralistischer Autoren gegenüber den profitorientierten Kaufleuten wurde schon erwähnt. In der Forschung ist dies bislang nicht ernst genommen und eher mit der tatsächlichen Konkurrenzsituation erklärt worden, da die Kameralisten die Organisation von Handel und Gewerbe selbst übernehmen wollten.90 Durch ihr Eintreten für Manufakturen und 88 Etwa Christoph Sachße u. Florian Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Vom Spätmittelalter bis zum ersten Weltkrieg. Stuttgart [u. a.] 1980, 122 f. 89 Ausführlich zu den Argumenten dieser Debatte Nipperdey, Erfindung (wie Anm. 40), 552–564. Zu Speners »Recht auf Arbeit« vgl. Sträter, Engagement (wie Anm. 7), 81. 90 Vgl. Bertram Schefold: Ph.W.v. Hörnigk: ›Oesterreich über alles/ wann es nur will‹. Zum Geleit. In: Vademecum zu einem Klassiker absolutistischer Wirtschaftspolitik. Düsseldorf 1997, 5–45, hier: 34.

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letztlich für Gewinnmaximierung hat man sie als Antagonisten der herkömmlichen alteuropäischen Wirtschaftsstruktur angesehen, auch wenn sie bekanntlich keine liberalen Kapitalisten waren. Von der Forschung wird den Kameralisten irrtümlich die Forderung nach möglichst niedrigen Löhnen zugeschrieben.91 Durch billige Produktion aufgrund niedriger Lohnkosten sollten die Exportchancen der Waren verbessert werden. Zudem seien sie überzeugt gewesen, dass die Arbeiter und Handwerker nur durch einen Subsistenzlohn zur geforderten Arbeit zu bewegen seien. Beide Meinungen findet man in England durchaus, in Deutschland aber praktisch nicht.92 Statt eines ruinösen Preiswettbewerbs forderten die Kameralisten den Wettbewerb über Qualität.93 Seitenweise lassen sie sich über Warenbeschau, Qualitätsstandards und die Reputation von Produktionsorten aus. Das dahinterstehende Ideal, das die kameralistischen Traktate bis weit ins 18. Jahrhundert hinein prägte, war ein handwerkliches: Selbstständige Meister sollten gute Waren produzieren. Als Gefahr für dieses Ideal – das ja auch die Basis der ständischen Gesellschaft bildete – galten profitmaximierende Kaufleute. Schon Johann Joachim Becher hatte zu viel Konkurrenz kritisiert, denn sie sei »den Kauffleuten und Verlägern ein gemachtes Spiel, dann dadurch erhalten sie den Handwercksmann in steter Armuth und Arbeit«.94 Ausführlicher und mit konkreten Lösungsvorschlägen ging Paul Jacob Marperger das Thema an. Auch er monierte, »daß die Verlegers denen Handwerks-Leuten es allzu knap zu schneiden, also daß diese kaum das liebe Brodt bey ihrer sauren Arbeit haben«.95 Als Gegenmodell setzte sich Marperger für eine Art kooperatives Verlagsmodell ein, das den Handwerkern sowohl ihre Selbstständigkeit und ihren standesgemäßen Lohn als auch die nötigen Rohstoffe und Absatzmärkte sicherte. Denn in einem waren sich alle Kameralisten einig: dass man sich letztlich auf dem freien Markt bewähren musste, gerade im Export; ein Abkoppeln von Marktgesetzen oder ihr Negieren führte unweigerlich zu Verarmung. Nur mussten die möglichen negativen Folgen dieser Marktteilnahme gemildert werden, um den positiven Nutzen daraus zu ziehen. So forderte Marperger in einer Grundsatzerklärung: »Eine jede Manufactur muß bei dem

91 Eckart Schremmer: Die Doktrin von der Nützlichkeit der Armut. In: Zeitschrift für bayerische Sparkassengeschichte 6, 1992, 5–18; Fritz Blaich: Die Epoche des Merkantilismus. Wiesbaden 1973, 90 f. 92 Edgar S. Furniss: The Position of the Laborer in a System of Nationalism. A Study in the Labor Theories of later English Mercantilists. Boston u. New York 1920; Ben Dew: Political Economy and the Problem of the Plebs in Eighteenth-Century Britain. In: History Compass 5, 2007, 1214– 1235. 93 Vgl. zum Folgenden Justus Nipperdey: Regulierung zur Sicherung der Nahrung. Zur Übereinstimmung von Menschenbild und Marktmodell bei Zünften und Kameralisten. In: Regulierte Märkte. Zünfte und Kartelle. Hg. v. Margrit Müller [u. a.]. Zürich 2011, 165–182, hier: 171–178. 94 Becher, Discurs (wie Anm. 55), 114. 95 Marperger, Beschreibung (wie Anm. 55), 16.

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utili auch das Honestum haben, daß nemlich niemand darunter graviret oder beleidiget werde«.96 Von pietistischer Seite findet man wenig zu solchen Fragen, da Pietisten sich mit der Marktordnung kaum beschäftigten. Der letzte Satz Marpergers entsprach aber wohl ziemlich genau den Vorstellungen Franckes oder anderer wirtschaftspolitisch interessierter Pietisten, verband er doch die bereichernde, arbeitsschaffende, erneuernde Wirkung von Manufakturen mit einem sozialpolitischen und -philosophischen Kern, der dem Pietismus als religiöser Bewegung eigen war. Die Spannung zwischen den christlichen und philanthropischen Forderungen Franckes und der gewinnorientierten Wirtschaftsweise seiner Stiftungen ist vielfach angemerkt worden.97 Auch in diesem Punkt ergeben sich offenkundige Parallelen zu den frühen Kameralisten. Während jene ohne Unterlass den Ausbau der Manufakturen verlangten, wurde ihnen angesichts der ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen Angst und Bang. Demgegenüber predigten Pietisten Erweckung und Altruismus und bedienten sich zugleich der gängigen zeitgenössischen Wirtschaftspraktiken der Profitmaximierung.

6. Schluss Es ist kein Zufall, dass ich gerade Paul Jacob Marperger als Kronzeugen für den zuletzt vorgestellten fürsorglichen Kameralismus ausgewählt habe. Marperger war nicht nur einer der profiliertesten kameralistischen Autoren und als Kaufmann und späterer sächsischer Kommerzienrat auch Praktiker, sondern zudem der Vater von Bernhard Walter Marperger, dem Francke-Schüler und sächsischen Oberhofprediger. Vater und Sohn Marperger, die nach 1724 parallel in Dresden wirkten, bilden in personalem Sinn die engste Verbindung von Kameralismus und Pietismus im frühen 18. Jahrhundert, als es noch keine Persönlichkeit gab, die man gleichzeitig als Pietist und Kameralist bezeichnen würde.98 Diesen Typus repräsentieren erst Johann Jacob Moser (1701–1785) und – viel später – Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817). Beide gehören einer Zeit an, in der der Pietismus längst etabliert bzw. in Teilen gar schon ›verglüht‹ war, während der kameralistische Diskurs längst alle publizistischen Bereiche durchdrungen hatte. 96 Paul Jacob Marperger: Beschreibung des Tuchmacher-Handwercks. Leipzig u. Dresden 1723, 350. 97 Zeitgenössisch schon kritisiert im Pamphlet: Das Durch die Geschäfftige Martham, und nicht, wie fürgegeben wird, Durch die Das beste Theil erwehlende Mariam Seinen Unterhalt und Reichthum Suchende Wäysenhauß In Halle. Greifswald [1706]. Dokumentiert ist auch die – von Francke schnell verscheuchte – Angst Heinrich Julius Elers’, ob nicht die Sorge um sein eigenes Seelenheil in seiner Rolle als Manager des Waisenhausverlages zu kurz komme. Böhme, Elers (wie Anm. 13), 182. 98 Leider war es mir für diesen Aufsatz nicht möglich, Näheres zu ihrem Verhältnis und möglichen Übereinstimmungen oder auch innerfamiliären Kontroversen zu recherchieren.

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Justus Nipperdey

Doch schon in den Jahren um 1700 adaptierten pietistische Autoren vornehmlich hallischer Provenienz Inhalte und Sprachregelungen des kameralistischen Diskurses. Dies gelang umso einfacher, als gewisse strukturelle Übereinstimmungen zwischen diesem Diskurs und dem pietistischen Projekt bestanden, in erster Linie das Bestreben nach aktiver Veränderung und Verbesserung der konkreten weltlichen Situation im Großen wie im Kleinen. Damit soll keineswegs eine Gleichsetzung suggeriert werden. Die prägende religiöse Semantik der Heiligung und Wiedergeburt und das letztlich doch dominante Interesse am Handeln des Einzelnen unterscheidet die pietistischen Schriften von denen der Wirtschaftsautoren. Auf der anderen Seite zeigen die pietistischen Übernahmen die Wirkmächtigkeit des frühkameralistischen Diskurses schon um 1700. Dieser prägte inhaltlich und stilistisch, was wie über Wirtschaftspolitik und die materielle Verbesserung des Lebens gesagt werden konnte. Daran kamen die innerweltlich interessierten Pietisten nicht vorbei bzw. sie wollten daran gar nicht vorbei kommen, sondern nahmen diesen Diskurs auf und adaptierten ihn nach ihren eigenen Interessen.

Hans Schneider

Pietismus, Ökonomie und Toleranz Das Büdinger Toleranzedikt von 1712

Vor 300 Jahren erregte in Deutschland das Edikt eines kleinen Territorialherrn aus einem pietistisch gesinnten frommen Grafenhaus erhebliches Aufsehen. In der von unserem Tagungsort Mainz gar nicht so weit entfernten Wetterau ließ Graf Ernst Casimir von Ysenburg-Büdingen ein Patent verkünden, das unter dem Namen »Toleranzpatent« bekannt geworden ist.1 Wenngleich die hierin gewährte großzügige Toleranz das Aufsehen und auch Anstoß Erregende war, verbindet das Edikt doch damit eine Vielzahl ökonomischer Bestimmungen, sodass sich die Frage stellt, wie Pietismus, Ökonomie und Toleranz hier verknüpft sind. Es trägt den Titel: Privilegia und Freyheiten/ So der Hoch-gebohrne Graf und Herr/ Herr Ernst Casimir/ Graf zu Ysenburg und Büdingen/ etc. etc. Allen denjenigen/ welche sich in der Stadt und Vor-Stadt Büdingen häußlich niederlassen und bauen wollen/ sub Dato Büdingen/ den 29. Martii/ 1712. Gnädigst ertheilet hat.

Es ist gedruckt von »Bonaventura de Launoy, der gesampten Ysenburgischen Häusern Hof- und Cantzlei-Buchdrucker«, und umfasst einen Druckbogen zu acht Quartseiten.2 Das Dokument ist eine landesherrliche gesetzgebende Verfügung im Wir-Stil, ein Edikt, mit den traditionellen urkundlichen Formelelementen: Der verkürzten (»etc. etc.«) Intitulatio ohne Devotionsformel 1 Vgl. Dagmar Reimers: Sektenwesen und Herrnhuterbewegung in der Grafschaft Ysenburg. In: Kreis Büdingen. Wesen und Werden. Büdingen 1956, 255–276; dies.: Die Grafschaft Ysenburg als Freistatt des Glaubens. In: Isenburg – Ysenburg 963–1963. Zur tausendjährigen Geschichte des Geschlechts. Hanau 1963, 102–107; Heinhard Steiger: Die Gewährung der Gewissensfreiheit durch Ernst Casimir von Ysenburg-Büdingen im Jahre 1712. In: Festschrift Walter Mallmann. BadenBaden 1978, 293–318; Matthias Benad: Toleranz als Gebot christlicher Obrigkeit. Das Büdinger Patent von 1712. Hildesheim 1983, ferner leicht gekürzt u.d.T.: Toleranz und Ökonomie. Das Patent des Grafen Ernst Casimir von 1712 und die Gründung der Büdinger Vorstadt. Büdingen 1983; vgl. dazu meine Rezension in: PuN 13, 1987, 283–289; Hans Schneider: Konfessionalität und Toleranz im protestantischen Deutschland des 18. Jahrhunderts. In: Konfessionalisierung vom 16.–19. Jahrhundert. Kirche und Traditionspflege. Referate des 5. Internationalen Kirchenarchivtags Budapest 1987. Hg. v. Helmut Baier. Neustadt an der Aisch 1989, 87–106; Das Toleranzpatent von 1712. Glaubensfreiheit & Handwerkskunst. Ausstellung im Büdinger HeusonMuseum 29. März – 9. September 2012. Hg. v. Büdinger Geschichtsverein. Büdingen 2012; KlausPeter Decker: Gewissensfreiheit und Peuplierung. Toleranzhaltung und Wirtschaftspolitik in den Ysenburger Grafschaften im 18. Jahrhundert. Büdingen 2018. 2 Exemplare befinden sich im Fürstlich Ysenburg-Büdingischen Archiv Büdingen (im Folgenden: BüdA), Stadt und Land 24, 183.

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folgt die Publicatio (»thun kund und zu wissen Jedermänniglich«). Adresse und Salutatio fehlen, da es sich um eine allgemeine Verfügung handelt und kein enger begrenzter Empfängerkreis angesprochen wird. Die Narratio (das Exposé) legt die Umstände dar, die das Edikt veranlasst haben (»demnach der Augenschein gibt, daß […] daß Wir dahero […] billig bedacht seyn«) und zur Willenserklärung des Autors (Dispositio) führen (»wohl bedächtlich resolviret haben«). Die Privilegien werden in 23 Artikeln dargelegt. Auffällig ist, dass Art. 1 über die Gewissensfreiheit eine besondere, in der allgemeinen Narratio des Edikts noch nicht genannte Begründung erhält (»weil manche redliche Leute […] und Wir aber […] überzeugt sind«). Von Art. 8 an ist mit der Darlegung der gewährten Freiheiten eine Beschreibung der Verhältnisse im Lande verbunden, die offenbar als Hintergrundinformation dienen soll. Am Schluss des Edikts fehlt eine Poenformel; deren positives Element, die Schutzzusicherung, ist nur in Art. 18 (»sollen […] Unseres Sonderbaren Schutzes geniessen«) für die Gruppe der ›Kapitalrentner‹ besonders aufgeführt. Vielmehr schließt sich an Art. 23 unmittelbar die Corroboratio (»zu Urkund dessen und mehrer Bevestigung«) mit Datum, (gedruckter) Unterschrift und Hinweis auf die Besiegelung an. Das Edikt wurde nach seinen eigenen Worten durch die Situation in Büdingen und Umgebung veranlasst: Innerhalb und außerhalb der Stadtmauern lägen Wohnplätze wüst und unbebaut (Narratio), zu früherer Zeit (»vor diesem«) habe die Bürgerschaft des Landes die zwei- bis dreifache Stärke besessen (Art. 8). Daher gehe die Absicht des Landesherrn dahin, neue Einwohner zu gewinnen, die im Lande bauten. Diesem Zweck sollten die gewährten, öffentlich bekannt gemachten Privilegien dienen. Zweierlei Anreize bieten diese in 23 Artikeln dargelegten Privilegien den Einwanderungswilligen: einmal eine mit dem Schlagwort »vollkommene Gewissensfreiheit« angepriesene, weitgefasste religiöse Toleranz, zum anderen eine Vielzahl von wirtschaftlichen Vergünstigungen. Die Zusicherung der landesherrlichen Toleranz bildet den Auftakt der Privilegienreihe: Kein Untertan, Fremder oder Beisasse im Lande, der nicht zur reformierten Landeskirche gehört, solle benachteiligt oder beeinträchtigt werden. Dies gelte auch für solche, »die auß Gewissens-Scrupel sich gar zu keiner äusserlichen Religion halten«. Als einzige Einschränkung wird die Bedingung aufgestellt, dass alle gegenüber Obrigkeit und Mitbürgern und in ihren häuslichen Verhältnissen »ehrsam, sittsam und Christlich sich aufführen« (Art. 1). Alle restlichen 22 Artikel beschäftigen sich mit der wirtschaftlichen Seite und ihren rechtlichen Voraussetzungen: Die Einwanderung in das Büdinger Territorium wird von jeglichen Abgaben und Auflagen befreit (Art. 23). Die Neusiedler erhalten im Land völlige rechtliche Gleichstellung mit den eingesessenen Bürgern (Art. 2), auch im Hinblick auf althergebrachte Rechte wie freie Waldbeholzung für den privaten Bedarf, Waidgang, Viehtrift, Brau- und Handelsrechte (Art. 4). Das Bürgerrecht und – falls gewünscht – das Zunftrecht werden unentgeltlich verliehen (Art. 17). Die steuerliche Be-

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lastung soll nach Ablauf der Freijahre (s. u.) denen der Alteingesessenen angeglichen werden (Art. 7). Da ein Hauptinteresse des Edikts auf dem Wiederaufbau wüster Plätze liegt, werden für den Hausbau besondere Vergünstigungen eingeräumt: Baumaterial soll kostenlos abgegeben werden (Art. 5), und für zweistöckige Hausbauten wird sogar eine zehnjährige Abgabefreiheit eingeräumt. Handwerker und Manufakturen sind besonders erwünscht und erhalten weitere besondere Privilegien in Aussicht gestellt (Art. 10). Hervorgehoben wird, dass an einigen Gewerbezweigen im Lande ein besonderer Mangel besteht (Art. 12, 14, 15, 16). Die Fruchtbarkeit des Landes bietet eine ausreichende Ernährungsgrundlage für eine große Einwohnerzahl (Art. 8), die Lebensmittel sind preiswert (Art. 11), eine Verbesserung der Verkehrsstruktur ist beabsichtigt (Art. 19). Neben den wirtschaftlichen Vorteilen wird eine Reihe von sozialen Sicherheiten und Anreizen geboten: Die Neusiedler und ihre Nachkommen sollen von Leibeigenschaft und Frondienst befreit sein (Art. 3) und unterliegen nicht dem Zunftzwang (Art. 17). Hospital und Waisenhaus werden als soziale Fürsorgeeinrichtungen genannt (Art. 20). Für die Kinder besteht die Möglichkeit des kostenlosen Schulbesuches, der bis zur Universitätsreife führen kann (Art. 22). Bereits diese erste Inhaltsübersicht macht den Charakter des Edikts deutlich und lässt seinen historischen Kontext erkennen. Es handelt sich um eine Maßnahme, die in dem großen Rahmen jener Anstrengungen zu sehen ist, die der deutsche hohe Adel nach dem Dreißigjährigen Krieg zum Wiederaufbau seiner Länder unternahm und die in vielen Gebieten zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch keineswegs abgeschlossen waren.3 Graf Ernst Casimir trat 1708 »die Regierung zu einer Zeit an, wo in hiesigen Landen die Fußstapfen des 30jährigen Krieges noch allerwärts deutlich und kenntbar waren. Verschiedene Oerter lagen noch guten Theils in ihren Ruinen.«4 Das Edikt weist selbst mehrfach auf diese Zusammenhänge hin. In der Narratio wird ausdrücklich erwähnt, dass die wüsten Wohnplätze »in denen Land verderblichen Kriegen« entstanden seien, und in verschiedenen Artikeln werden einige langfristige Kriegsfolgen namhaft gemacht: die um das Zwei- bis Dreifache reduzierte Einwohnerzahl (Art. 8), das Fehlen einer Reihe von Gewerbezweigen (Art. 12 und 14 ff.), der brachliegende Weinbau (Art. 9). In der Tat gehörte die Wetterau zu den Gebieten Deutschlands, die vom Dreißigjährigen Krieg am schlimmsten betroffen waren. Ihre geographische Lage im Schnittpunkt wichtiger Fernstraßen ließ sie zu einem strategisch wichtigen Raum und bevorzugten Einquartierungs- und Durchzugsgebiet werden. Als eine »Kornkammer des Heiligen Römischen Reiches« versprach 3 Hellmuth Rößler: Der deutsche Hochadel und der Wiederaufbau nach dem Westfälischen Frieden. In: BDLG 101, 1965, 129–142, hier: 129. 4 So die rückblickende Beschreibung in den Personalia, die bei den Trauerfeierlichkeiten nach dem Tod Ernst Casimirs 1749 verlesen wurden (BüdA, Ysenb. Trauer- und Todesfälle, 6, 75).

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sie gesicherten Proviant und reiche Beute für die Heere und wurde ausgiebig geplündert.5 Die Bevölkerungsverluste der Wetterau zählten zu den höchsten in ganz Deutschland, man schätzt sie auf 60–75 % des Vorkriegsstandes.6 Nur ein Teil der Kriegstoten ist im Zusammenhang mit kriegerischen Ereignissen ums Leben gekommen, ein größerer Teil fiel den mehrfach grassierenden Epidemien zum Opfer – so starben allein im Pestjahr 1635 in Büdingen mehr als ein Drittel aller Einwohner.7 Schließlich fallen auch noch die Opfer des im Zusammenhang mit dem Krieg erneut aufgeflammten Hexenwahns zahlenmäßig ins Gewicht: Waren vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zu Anfang der dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts 114 Personen aus Büdingen und den umliegenden Dörfern wegen Zauberei hingerichtet worden, so kam es nach 1650 zu einer neuen Verfolgungswelle mit 50 Hinrichtungen.8 Unabdingbare Voraussetzung für eine politische Stabilisierung des Territoriums war die wirtschaftliche Sanierung des Landes. Diese allgemeine Intention lässt das Edikt Ernst Casimirs ebenso deutlich erkennen wie das wirtschaftspolitische Instrumentarium, mit dem sie erreicht werden sollte: Grundanschauungen und Einzelmotive des Merkantilismus9 haben dem Patent unverkennbar sein Gepräge gegeben. Die Gewährung von Privilegien und Freiheiten bildete einen wesentlichen Bestandteil merkantilistischer Wirtschaftspolitik. Sie waren ein Mittel staatlicher Regulierung der ökonomischen und – damit verflochten – der rechtlichen und sozialen Verhältnisse.10 Durch sie sollten bestimmte Personen oder Gruppen bevorrechtigt oder geschützt werden, die dem Staat sozial besonders wichtig oder wirtschaftlich nützlich erschienen. In unserem Fall sollten sie der »(Re-) Peuplierung« des Landes, der Gewinnung neuer Einwohner, dienen. Es war eine merkantilistische Grundmaxime, dass die Stärke von Staat und Gesellschaft wesentlich auf der »Populosität«, auf dem Bevölkerungsreichtum, beruhe und daher das Bestreben 5 Einen anschaulichen zeitgenössischen Bericht veröffentlichte Karl Heuson: Schreckenstage unserer Heimat vor 300 Jahren. In: Heimatblätter für den Kreis Büdingen 7, 1934, Nr. 11. 6 Günther Franz: Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche Volk. Untersuchungen zur Bevölkerungs- und Agrargeschichte. Stuttgart 41979, 36 f. 7 Vgl. Karl Heuson: Büdingen. In: Hessisches Städtebuch. Hg. v. Erich Keyser. Stuttgart 1957, 74. 8 Zahlenangaben nach Hans-Velten Heuson: Büdingen. Frankfurt a.M. 1974. Reiches Material im umfangreichen Aktenbestand »Daemonologie« (!) des BüdA; weitere Protokolle von Hexenprozessen (aus den Jahren 1633/34) ebd., Ungeordnete Sachen, 8, 20–21. 9 Vgl. Ingomar Bog: Der Merkantilismus in Deutschland. Stuttgart 1961; Herbert Hassinger: Politische Kräfte und Wirtschaft 1350–1800. In: Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Bd. 1. Hg. v. Hermann Aubin u. Wolfgang Zorn. Stuttgart 1971, 608–655; Wilhelm Treue: Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit. Bd. 1. Stuttgart 31973; Fritz Blaich: Die Epoche des Merkantilismus. Wiesbaden 1973; Rolf Engelsing: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Göttingen 1973, 84–93; Immanuel Wallerstein: Das moderne Weltsystem. Bd. 2: Der Merkantilismus. Europa zwischen 1600 und 1750. Wien 1998 [New York 1980]; Rainer Gömmel: Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800. München 1998. 10 Martin Preetz: Die deutschen Hugenotten-Kolonien. Ein Experiment des Merkantilismus. Diss. jur. Jena 1930, 8.

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des Staates darauf gerichtet sein müsse, das Land »volkreich« zu machen.11 Staatliche Privilegien schienen den merkantilistischen Autoren ein wirksames Mittel, fleißige gewerbetreibende Fremde zur Ansiedlung zu bewegen; zuweilen wurde sogar die Veröffentlichung eines Generalpatents, das die Privilegien nennen sollte, nachdrücklich empfohlen.12 Das Edikt Ernst Casimirs zielt vor allem auf solche Leute ab, die neue Handwerkszweige ins Land bringen, Manufakturen und »Fabriken« errichten könnten. Es sollen dadurch nicht nur Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten geschaffen werden, sondern auch die Ausfuhr unverarbeiteter Rohstoffe verhindert und ihre Verarbeitung im Lande gewährleistet werden (Art. 12).13 Überhaupt soll der Geldabfluss ins Ausland (Art. 10) gedrosselt und vielmehr, so wird man die Absicht im Sinne des Merkantilismus weiter interpretieren müssen, durch Exporte Geld hereingeholt und so eine aktive Handelsbilanz (Überwiegen der Geldeinfuhr durch gesteigerte Warenausfuhr) erreicht werden.14 Für diese Wirtschaftspolitik gab es naheliegende Anregungen und Vorbilder. Die Aufnahme und Ansiedlung von Hugenotten durch deutsche Landesherren am Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts hat man zu Recht als praktische Verwirklichung merkantilistischer Theorien, als »Experiment des Merkantilismus«,15 bezeichnet. Auch die Offenbacher und die Wächtersbacher Linien des Hauses Ysenburg hatten Hugenotten und Waldenser in ihren Gebieten aufgenommen,16 und Ernst Casimir standen die französischen Siedlungen in Offenbach, Neu-Isenburg und Wächtersbach als Anschauungsbeispiele für erfolgreiche Peuplierungsmaßnahmen und deren wirtschaftlichen Nutzen vor Augen. (Auch der Hofdrucker des Gesamthauses, Bonaventura de Launoy in Offenbach, der das Edikt druckte, entstammte wohl 11 So heißt es in einer anonymen Abhandlung, man müsse sehen, »daß das Aufkommen des Landes beruhe auf der Menge der Bürger und Handwercks-Leute« (Bedencken von Manufakturen in Deutschland […]. Jena 1683, 8). 12 Johann Joachim Becher: Politische Discurs, Von den eigentlichen Ursachen/ deß Auff- und Abnehmens der Städt/ Länder und Republiken/ in specie, wie ein Land Volckreich und Nahrhafft zu machen. Frankfurt a.M. 31688 [Nachdruck Glashütten 1972], 450, empfiehlt die Publikation eines »General-Patents« mit Privilegien für gewerbetreibende Neusiedler. Zu Becher vgl. Herbert Hassinger: Johann Joachim Becher 1635–1682. Ein Beitrag zur Geschichte des Merkantilismus. Wien 1951; Hans Leube: Die Sozialideen des kirchlichen Pietismus. In: ders., Orthodoxie und Pietismus. Gesammelte Studien. Bielefeld 1975, 129–152, hier: 129–131. 13 Das in Anm. 11 zitierte Bedencken bezeichnet »Land-Bau und Manufacturen« als »die eintzigen Seulen […]/ worauf die gantze subsistenz der menschlichen Nahrung/ und per consequens, die Wohlfart eines gantzen Landes beruhe« (3). 14 Vgl. die oben in Anm. 9 genannte Literatur. 15 Preetz, Hugenotten-Kolonien (wie Anm. 10). 16 Vgl. Maria Meissner: Die wirtschaftliche Entwicklung Offenbachs unter dem Hause IsenburgBirstein. Offenbach 1972; Friedrich Illert: Geschichte der französischen Kolonie und Stadt NeuIsenburg. Magdeburg 1899; Johann Adam Heilmann: Geschichte der waldensischen Kolonie Waldensberg. Magdeburg 1903; August Grefe: Waldensberg. In: Hugenotten und Waldenser in Hessen-Kassel. Hg. v. Jochen Desel u. Walter Mogk. Kassel 1978, 386–394 (dort die ältere Lit.).

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einer Hugenottenfamilie.17) Zwei Jahre lang war Ernst Casimir von einem Hugenotten, dem Pfarrer de Beaumont, in Kassel unterrichtet worden und hatte dort das Leben in der aufblühenden hugenottischen Oberneustadt beobachten können.18 Während des ebenfalls zweijährigen Besuchs der preußischen Militärakademie hatte er Gelegenheit gehabt, das Refuge in Brandenburg kennenzulernen.19 Es ist also keineswegs verwunderlich, wenn das Edikt im Tenor an die Hugenottenedikte von Hessen-Kassel20 (1685), von Ysenburg-Offenbach für Offenbach21 (1685) und Neu-Isenburg22 (1685), von Ysenburg-Wächtersbach für Waldensberg23 (1699) und von Brandenburg-Preußen24 (Potsdamer Edikt, 1685) erinnert und in zahlreichen Einzelbestimmungen mit ihnen parallelgeht.25 Auch die den Hugenotten gewährten Privilegien waren vor der Ansiedlung in Form von Einladungspatenten26 publiziert worden und galten für das ganze Territorium oder vorher festgelegte Orte. Die merkantilistischen Leitgedanken und Zielvorstellungen finden sich hier durchgehend: »Bevolckung« des Landes, Anlage von Manufakturen und Förderung des »Commercium«, Rohstoffverarbeitung im Lande und Ausfuhr der Überschüsse, Erschwerung des Geldabflusses und Begünstigung der Geldeinfuhr. Ebenfalls haben die wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Vergünstigungen des Edikts Ernst Casimirs in den Hugenottenedikten ihr deutliches Vorbild: Be17 Sein Vater war Advokat in Löwen, also in den habsburgischen Niederlanden. Bonaventura de Launoy hat 1682 in Frankfurt geheiratet; er ist also nicht ein nach dem Edikt von Fontainebleau 1685 emigrierter Hugenott. Vgl. Hans-Jürgen Schrader: Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus. Johann Henrich Reitz’ »Historie der Wiedergebohrnen« und ihr geschichtlicher Kontext. Göttingen 1989, 135. Auf die Verbindung zur hugenottischen Tradition weist der Umstand, dass das erste in seiner Offizin gedruckte Buch ein Werk des hugenottischen Theologen Jurieu war. Pierre Jurieu: Der Weissagungen Erfüllung/ oder Bevorstehende Errettung der Kirchen. O.O. [Offenbach] 1686, 21689. 18 BüdA, Ysenb. Erziehung, 4, 26; zu den Verhältnissen in Kassel vgl. Alfred Giebel: Réfugiés in der Residenzstadt Kassel. In: Hugenotten und Waldenser (wie Anm. 16), 47–101. 19 Vgl. Alfred Muret: Geschichte der französischen Kolonien in Brandenburg-Preußen. Berlin 1885; Jürgen Wilke: Rechtsstellung und Rechtsprechung der Hugenotten in Brandenburg-Preußen (1685–1809). In: Die Hugenotten 1685–1985. Hg. v. Rudolf von Thadden u. Michelle Magdelaine. München 1985, 100–114; Stefi Jersch-Wenzel: Ein importiertes Ersatzbürgertum? Die Bedeutung der Hugenotten für die Wirtschaft Brandenburg-Preußens. In: ebd., 160–171. 20 Abdruck in: Hugenotten und Waldenser (wie Anm. 16), 43–46. 21 Abdruck in: Die Rechte und Privilegien der franz.-reform. Gemeinde zu Offenbach a.M. Hg. v. Walter Nordmann. Offenbach 1949, 24–35. 22 Abdruck in: Illert, Geschichte (wie Anm. 16), 12–16. 23 Abdruck in: Urkundenheft zur Geschichte der Waldensischen Kolonie Waldensberg. Hg. v. Johann Adam Heilmann. Magdeburg 1905, 14–30. 24 Abdruck in: Muret, Geschichte (wie Anm. 19), 36–39. 25 Vgl. unten (Anm. 34) Beckers Hinweis auf das Beispiel »Chur-Brandenburg«. 26 Dies wird besonders deutlich an der französischen Fassung des Hessen-Kasseler Edikts, in dem über den deutschen (für die betroffenen örtlichen Behörden bestimmten) Text hinaus ein Anhang die Vorzüge des Landes anpreist (Hessische Landesordnungen. Teil 3. Kassel 1749, 291–294; nicht abgedruckt in: Hugenotten und Waldenser, wie Anm. 16).

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freiung von Leibeigenschaft, Auswanderungsrecht, Steuerfreijahre, Rechtsgleichheit mit den anderen Bürgern, Waldbeholzung für Bau- und Brennholz, Waidrecht u. a. m.27 Über die bisher aufgezeigten Zusammenhänge hinaus lässt sich das dem Einladungspatent Ernst Casimirs zugrunde liegende merkantilistische Konzept noch durch eine weitere Quelle mit wünschenswerter Deutlichkeit belegen. Der Leiter der gräflichen Regierungskanzlei, der Erste Regierungsrat Otto Heinrich Becker,28 veröffentlichte in demselben Jahr 1712 einen Traktat, der den Titel trägt: Unzulänglichkeit der Welt Klugheit/ nebst Anweisung zu der wahren Weißheit/ Wie Herrschaften u. Unterthanen glücklich leben können29 und der eine Art Fürstenspiegel darstellt.30 Hier diskutiert Becker auch die Frage, »welches die rechten Mittel sind/ dadurch Herrschafften und Unterthanen können in Flor gebracht und dabey erhalten werden«.31 Die in der Schrift entwickelten »heilsamen consilia«32 legen ein Konzept merkantilistischer Wirtschaftspolitik vor, das im Verlauf der Erörterung durch Ansätze 27 Zu den Artikeln des Büdinger Edikts finden sich folgende vergleichbare Bestimmungen in den Hugenottenedikten (Hessen-Kassel = HK; Offenbach = O; Neu-Isenburg = NI; Preußen = P; Waldensberg = W; zit. nach Art. oder §): Art. II (unparteiische Justiz): HK 5, W 9; Art. III (Befreiung von Leibeigenschaft): O 9, 14, NI 7, W 18; (Auswanderungsrecht): NI 13; Art. IV (Beholzung, Bau- u. Brennholz): NI 6; (Waidgang, Viehtrift): NI 6, W 12; (Handelsfreiheit): O 11, P 8, W 18; Art. VI (zehn Freijahre): HK 10, P 6, O 12, NI 8, W 15, 17; Art. VII (steuerliche Gleichstellung nach Freijahren): O 14, NI 8, W 19; Art. VIII (gute Beschaffenheit des Landes): HK (Anhang, frz.), P 3; Art. X (Privilegien für Manufakturen): O 16, P 8; Art. XVIII (Privileg für Gelehrte und ›Kapitalrentner‹): P (gilt auch für Réfugiés, »die sich als Capitalisten etablirt haben« [Erlaß Friedrich Wilhelms]); Art. XX (Hospital): O 12, P 6; Art. XXIII (Befreiung von Einfuhrzoll): HK 13, P 4. 28 Über Otto Heinrich Becker und seine Wirksamkeit in der Grafschaft Waldeck vgl. Hans Schneider: »Die rechte Gestalt der Wölffe in der Kirche«. Herkunft und Geschichte eines anonymen Beitrags in der »Freiwilligen Nachlese«. In: Unitas Fratrum 3, 1978, 74–110. Demnächst umfassend Wolfgang Breul: Generalreform. August Hermann Franckes Universalprojekt und die pietistische Neuordnung in der Grafschaft Waldeck (i. Vorb.). 29 [Otto Heinrich Becker]: Unzulänglichkeit der Welt Klugheit/ nebst Anweisung zu der wahren Weißheit […]. Schneeberg 1712. Titelblatt und Vorrede bieten nur die Initialen des Autors: O.H. B. Die Verfasserschaft ist gesichert durch: Historia Pietistica Waldeccensis. Korbach 1712, 44 und Otto Heinrich Becker: Abgenöthigte Apologie und Schutzschrift Wieder Eine unter der Rubric Historia Pietistica Waldeccensis heraus gekommene Schmäh-Schrifft […]. O.O. 1712, 80 f. 30 Das Werk ist Graf Christian Philipp von Waldeck, Sohn des regierenden Waldecker Grafen, gewidmet. Becker beabsichtigte »eine kurtze Anleitung zu geben/ wie sie dermahleins glücklich regieren und endlich vor GOTT von administration ihres schweren Ambts fröhliche Rechenschafft geben können« (Becker, Unzulänglichkeit, wie Anm. 29, Zuschrift). – Ein bedeutender Regentenspiegel aus dem mystischen Spiritualismus war Christian Hoburg: Christ-Fürstlicher Jugend-Spiegel: Allen Jungen Regenten/ und denen/ so die Regierung bedienen/ oder schierkünfftig bedienen möchten/ wol zubeschawen […]. Frankfurt a.M. 1645, der, wie Beckers empfehlende Erwähnung in der Zuschrift zeigt, in pietistischen Kreisen sehr geschätzt wurde. In der Forschung nahezu unbeachtet geblieben ist Zinzendorfs zweibändiger Fürstenspiegel (für den dänischen Prinzen Friedrich): Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Le Lecteur Royal. 2 Bde. Amsterdam 1733–1736. 31 Becker, Unzulänglichkeit (wie Anm. 29), 4. 32 Ebd., 1 f u. ö.

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einer pietistischen Sozialethik theologisch unterfangen und auch teilweise relativiert wird.33 Folgende Vorschläge sind in unserem Zusammenhang von Interesse: Becker führt aus, dass eine zufriedenstellende wirtschaftliche Situation, die eine ehrliche Ernährung aller Einwohner eines Landes gewährleiste, ermöglicht werde Durch Anbauung der wüsten Städte und Oerter/ zu deren Anbauung die Unterthanen durch Gönnung gewisser Frey-Jahre und andere Privilegia nach dem Exempel ChurBrandenburg anzureitzen […] Durch Regulierung der Commercien und Manufacturen/ davon viele Tractatus und Vorschläge im Druck sind.34

Dabei sei unter anderem sehr wichtig die »Auffsicht/ daß keine zur Handlung und Handwercken dienliche materialien roh aus dem Lande gebracht werden« und »Daß kein Geld aus dem Lande gebracht werde vor Waaren/ die man im Lande haben kan«.35 Auch die in diesem Traktat empfohlenen flankierenden rechts- und sozialpolitischen Maßnahmen sind in das Edikt aufgenommen. So ist der Forderung, »daß prompte Justiz administriret werde« und die Gerichte mit »ohninteressirten Leuten« zu besetzen seien,36 in Art. 2 des Edikts entsprochen, in dem zugesagt wird, daß »allen und jeden ohnpartheyische Justiz administriret werden« solle. Beckers Darlegungen über das Schulwesen, über notwendige Hospitäler, Waisen- und Armenhäuser37 sind in den Artikeln 20 und 22 berücksichtigt. In diesem Kontext wirtschaftspolitischer Maßnahmen steht der Artikel über die Gewissensfreiheit. Hier wie dort wird ein Privileg gewährt, von unerwünschten Belastungen befreit. Bei der Interpretation zu beachten ist, dass es nicht um institutionelle Religionsfreiheit oder gar um einen in religiösen Fragen neutralen Staat geht, sondern nur individuelle Gewissensfreiheit gewährt wird. Es werden gerade nicht andere »Religionen«, also weitere konfessionelle Gemeinschaften neben der reformierten Landeskirche, aufgenommen und somit der Grundsatz des »cuius regio eius religio« keineswegs durchbrochen, wenn auch ausgehöhlt. 33 Der Traktat ist als Dialog sieben fiktiver Personen in mehreren Gesprächsgängen gestaltet. Die politischen Ansichten Beckers vertritt »Aristippus«, »Momus« repräsentiert die Meinungen der konservativen, orthodoxen Waldecker Gegner Beckers, »Theogenes« (= der aus Gott Geborene, der Wiedergeborene [!]) bringt die theologischen Anliegen des Pietismus vor. Der Dialog endet mit der Feststellung des Aristippus: »Ich bin euch sehr verbunden Herr Theogenes vor euren gegebenen Unterricht/ und gestehe/ daß diese Weißheit die so genandte Politische Klugheit so weit übertrifft/ wie das Licht die Finsternis. Wer sich nun in ihre Schule nicht geben will/ dem ist weder zu rathen noch zuhelffen« (ebd., 120). – Die Ansätze einer pietistischen Sozialethik in dieser Schrift können hier nicht erörtert werden. Vgl. zu Spener und Francke den immer noch lesenswerten Beitrag von Leube, Sozialideen (wie Anm. 12). 34 Becker, Unzulänglichkeit (wie Anm. 29), 6. 35 Ebd., 7 f. 36 Ebd., 12; »ohninteressirt« ist dem »unpartheyisch« in Art. 2 des Edikts synonym. 37 Becker, Unzulänglichkeit (wie Anm. 29), 8–10, 20, 53 f u. ö. Vgl. zu Beckers Aktivitäten während seiner Waldecker Zeit: Breul, Generalreform (wie Anm. 28).

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Der auffälligste Passus war die Einbeziehung derjenigen in die staatliche Toleranz, die sich zu gar keiner äußerlichen Religion – also zu keiner der drei anerkannten Konfessionen – hielten, d. h. also nach den Normen des Reichsrechts von »Sektierern«. Die Aufnahme von Katholiken und Lutheranern war für reformierte Landesherren reichsrechtlich zwar nicht geboten, aber immerhin zulässig; die Duldung und Aufnahme von Sektierern jedoch widersprach nach herrschender Rechtsauffassung eindeutig dem Sektenverbot in Art. 7 des Osnabrücker Friedens,38 selbst wenn ihnen wie hier keine öffentliche Religionsausübung gestattet wurde. Wie verhält sich in dem Ensemble wirtschaftspolitischer Maßnahmen das Privileg der Gewissensfreiheit? Ordnet es sich in dieses Konzept ein oder stellt es einen Fremdkörper dar? Es könnte als das Nächstliegende erscheinen, bei den wirtschaftlichen Erwägungen den Ausgangspunkt zu nehmen. Ökonomische Ziele sind nach den Aussagen in der Narratio der Grund für das Edikt, dessen weit überwiegender Teil (22 von 23 Artikeln!) wirtschaftliche Aspekte behandelt. Daher scheint es sich aufzudrängen, die Gewährung der Gewissensfreiheit hier motiviert zu sehen. Man könnte darauf hinweisen, dass Ernst Casimir während seines zweijährigen Studiums in Utrecht und der Kavaliersreise durch Holland39 Gelegenheit hatte, den wirtschaftlichen Nutzen religiöser Duldsamkeit zu beobachten, den man in den Niederlanden schon im 16. Jahrhundert entdeckt hatte.40 Man kann sich leicht vorstellen, wie eine Interpretation aussähe, die ihren Ausgangspunkt konsequent bei den ökonomischen Verhältnissen und Be38 Der Friedenstext ist abgedruckt in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung. Hg. v. Karl Zeumer. Leipzig 41926, Nr. 197 f. Zur Interpretation vgl. Richard Dietrich: Landeskirchenrecht und Gewissensfreiheit in den Verhandlungen des Westfälischen Friedenskongresses. In: HZ 196, 1963, 563–583. 39 Die Briefe Ernst Casimirs und seiner beiden mitreisenden älteren Brüder aus dieser Zeit (BüdA, Ysenb. Erziehung, 26) sind leider wenig ergiebig. In der Utrechter Matrikel (Album studiosorum academiae Rheno-Traiectinae […]. Utrecht 1886) sind die Grafen nicht verzeichnet, doch ist dies damals häufig der Fall (vgl. Heinz Schneppen: Niederländische Universitäten und deutsches Geistesleben. Münster 1960, 9). – Das Studium Ernst Casimirs in Utrecht könnte zu der Vermutung Anlass geben, er sei in den Niederlanden mit frühaufklärerischem Gedankengut bekanntgeworden und die Toleranzgewährung sei von dort aus zu erklären. Leider geben die o.g. Briefe über Einzelheiten seiner Studien und mögliche Anregungen dieser Art keine Auskünfte. Auf aufklärerische Einflüsse zielt ein Hinweis von Dagmar Reimers. Sie erwähnt, dass zur Lektüre des Grafen »das Werk des englischen Aufklärers John Locke über die Toleranz gehörte, wie aus dem mit seinem Namenszug versehenen Werk in der Büdinger Schlossbibliothek ersichtlich ist« (Dagmar Reimers: Die Ysenburger Linien im 18. Jahrhundert. In: Isenburg-Ysenburg, wie Anm. 1, 55–64, hier: 58). Doch dabei handelt es sich um ein Versehen: Lockes Sendschreiben von der Toleranz in der Schlossbibliothek trägt den Besitzvermerk »Ludovicus Casimirus«, gehörte also Ernst Casimirs ältestem Sohn; außerdem erschien diese deutsche Ausgabe erst 1724, so dass sie zur Interpretation des Toleranzedikts nicht herangezogen werden kann. 40 Erich Hassinger: Wirtschaftliche Motive und Argumente für religiöse Duldsamkeit im 16. und 17. Jahrhundert. In: ARG 49, 1958, 226–245.

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dürfnissen nähme:41 Das Potenzial an möglichen und für die ökonomischen Erfordernisse qualifizierten Einwanderern war stark begrenzt, der Strom hugenottischer Flüchtlinge bereits in andere Territorien kanalisiert. Daher musste man nach anderen Gruppen Ausschau halten, und es bot sich an, all denen die Tore zu öffnen, die anderwärts als »Schwärmer«, »Fanatici« oder wie immer man sie nennen mochte, aus religiösen oder rechtlich-politischen Gründen keine Bleibe hatten. Zu ihnen gehörten am Anfang des 18. Jahrhunderts vor allem jene – meist zum radikalen Flügel zählenden – Pietisten, die in einer Reihe von Territorien und Städten durch obrigkeitliche Edikte mit Strafen bedroht oder des Landes verwiesen worden waren.42 Gerade die führenden Köpfe des radikalen Pietismus waren – wie einst die Spiritualisten der Reformationszeit,43 die auch in traditionsgeschichtlicher Verbindung zu ihnen standen44 – mit leidenschaftlichen Plädoyers für eine weitgefasste Toleranz eingetreten. Erinnert sei nur an Gottfried Arnold, der in seiner Unparteiischen Kirchen- und Ketzerhistorie unter Umkehrung der bisherigen Wertungen nachzuweisen versuchte, dass gerade die wahrhaft Frommen verketzert und verfolgt worden seien, sodass sich daraus die Forderung einer Neufassung der staatlichen Toleranz – speziell gegenüber den »Stillen im Lande« – in den letzten Abschnitten des vierten Teils seines Werkes geradezu als »zwingender Schluß« ergibt.45 Bewegt war er auch in anderen Schriften für eine Änderung der intoleranten Haltung der Obrigkeiten eingetreten.46 Johann Konrad Dippel hatte in seinen Frühschriften, die 1709 in einer ersten Gesamtausgabe erneut abgedruckt wurden,47 häufig das Problem von Gewis41 Vgl. für Preußen: Hans Krüger: Zur Geschichte der Manufakturen und der Manufakturarbeiter in Preußen. Berlin (O.) 1958, 91. 42 Zusammenstellung der Edikte bei Erdmann Neumeister: Pietismus a Magistratu politico Reprobatus et Proscriptus. Hamburg 1736. 43 Vgl. etwa Lotte Blaschke: Der Toleranzgedanke bei Sebastian Franck. In: Blätter für Deutsche Philosophie 2, 1928, 40–56; wieder abgedruckt in: Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit. Hg. v. Heinrich Lutz. Darmstadt 1977, 42–63; Meinulf Barbers: Toleranz bei Sebastian Franck. Bonn 1964. 44 Vgl. etwa die Darstellung der Wirkungsgeschichte Sebastian Francks bei Horst Weigelt: Sebastian Franck und die lutherische Reformation. Gütersloh 1970. 45 Hermann Dörries: Geist und Geschichte bei Gottfried Arnold. Göttingen 1963, 106 f. 46 Vgl. etwa Gottfried Arnold: Erklärung/ Vom gemeinen Secten-wesen/ Kirchen- und Abendmahlgehen; Wie auch vom recht-Evangel. Lehr-Amt/ und recht-Christl. Freyheit […]. Leipzig 1700. Vorbericht, 12 (§ 10): »Und welche Obern dißfals nur einen versuch thun/ und denen über dem gemeinen verderbnüß bekümmerten gemüthern nur einige freyheit und erquickung/ bey ihrem inwendigen schweren kämpfen und gebeth vor alle menschen/ und sonderlich vor die obrigkeit auff eine zeitlang gönnen werden; die werden in der that erfahren/ daß alle angegebene [= angebliche] gefahr und Schaden/ durch interessirte auffwieglerische leute erdichtet/ und hingegen von solchen stillen im lande/ als denen treuesten unterthanen/ ein ungemeiner segen über Obere und untere von GOtt gantz gewiß erhalten werde.« 47 Johann Konrad Dippel: Eröffneter Weg zum Frieden mit Gott und allen Creaturen. Amsterdam 1709 (zu unterscheiden von der dreibändigen postumen Gesamtausgabe gleichen Titels, Berleburg 1747). Angeblich erschien diese Ausgabe »bey Heinrich Betkii Erben«. Ob dies – wie schon die 1706 »bey Heinrich Betkio« erschienene Ausgabe von Ein Hirt und eine Heerde – fiktive

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sensfreiheit und Duldung berührt.48 Und kurze Zeit vor der Publikation des Büdinger Toleranzedikts wandte sich Ernst Christoph Hochmann von Hochenau49 unter seinem Pseudonym »Aaron Sincerus« mit einem glühenden Appell an die Obrigkeiten, der Ende 1711/ Anfang 1712 unter dem Titel Nothwendige Addresse und Warnung an die Regenten Teutschlandes/ Wegen der harten Verfolgung der sogenannten Pietisten/ Oder Waren Kinder Gottes50 erschien.51 Ist das Toleranzpatent auf diesem Hintergrund radikalpietistischer Forderungen zu sehen und als wirtschaftspolitische Maßnahme zu deuten, mit der die Sehnsüchte dieses Personenkreises nach Duldung geschickt aufgenommen, durch die Gewährung von Gewissensfreiheit Separatisten zur Niederlassung in der Grafschaft angeworben werden sollten? Wurde das Toleranzpatent also zur Sanierung der Wirtschaft proklamiert? Gegen eine derartige einlinige und monokausale Herleitung der Toleranz

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Druckangaben sind, muss noch geklärt werden. Zu Betkius als Drucker heterodoxer Literatur vgl. Willem Heijting: Hendrick Beets [1625?–1708], Publisher to the German Adherents of Jacob Böhme in Amsterdam. In: Quaerendo 3, 1972, 250–280. Auch Otto Heinrich Beckers Traktat L’Esprit egaré du Monde kam 1710 »bey Heinrich Betkii Erben« heraus. Auf die Vorhaltung der Historia Pietistica Waldeccensis (wie Anm. 29), 52 u. Anlage 193, Nr. 8, die Schrift sei tatsächlich in Frankfurt verlegt, hat Becker dies nicht rundweg bestritten; »ob aber der Verleger den Tractat zu Amsterdam hat drucken oder den Nahmen nur so davor setzen lassen/ mag Er verantworten« (Becker, Apologie, wie Anm. 29, 93). Besonders instruktiv sind: Johann Konrad Dippel: Christen-Statt auf Erden […]. O.O. 1700; die Unionsschrift ders.: Ein Hirt und eine Heerde […]. Amsterdam 1706 (auch o.O. 1706 u. »Laodicea« 1707) sowie ders.: Unpartheyische Gedancken […]. »Laodicea« 1706, die eine »kurtze[.] Digression von der Brutalität und Illegalität des Religions-Zwangs« enthalten. Aufschlussreiche Äußerungen zur Toleranzfrage enthält auch ein von mir veröffentlichter Brief Hochmanns (Hessisches Staatsarchiv Marburg 4.225 i) in Hans Schneider: Hochmann von Hochenau and Inspirationism. In: Brethren Life and Thought 25, 1980, 199–222, wieder abgedruckt in: ders.: Gesammelte Aufsätze. Bd. 1: Der radikale Pietismus. Hg. v. Wolfgang Breul u. Lothar Vogel. Leipzig 2011, 221–255. Aaron Sincerus [= Ernst Christoph Hochmann von Hochenau]: Nothwendige Addresse und Warnung an die Regenten Teutschlandes/ Wegen der harten Verfolgung der sogenannten Pietisten/ Oder Waren Kinder Gottes. »Frieden-Stadt« o. J. Heinz Renkewitz: Hochmann von Hochenau (1670–1721). Quellenstudien zur Geschichte des Pietismus. Witten 1969 [Breslau 1935], 419, Nr. 5, gibt ohne Begründung »um 1700« als Erscheinungszeit an. Doch in einer Rezension in den Acta Eruditorum 5, 1712, 380–391, heißt es, das »Tractätgen« sei »vor weniger Zeit zum Vorschein gekommen«; dies deutet auf Ende 1711/Anfang 1712 hin. Vgl. etwa Sincerus, Addresse (wie Anm. 50), 20: »Ihr müsset als getreue und gewärtige vasallen eures obersten Lehen-Herrns JEsu Christi darauf mit aller Obliegenheit beflissen seyn/ daß die unschuldigen beschirmet/ von der hand der gottlosen/ und von der gewalt der ungerechten/ errettet werden/ auf daß sie unter euerem regiment ein geruhlich und stilles leben führen mögen in aller gottseligkeit und erbarkeit 1. Timoth. 2. v. 2. Und auf solche weiß werden auch die kinder GOttes durch GOttes Geist bewogen werden für die könige/ und für alle obrigkeiten ihre hertzliche vorbitte zu thun/ auf daß euere regierung möge gesegnet/ und angenehm seyn vor GOtt unserem Heyland 1. Timoth. 2. v. 3.« Vgl. auch die Empfehlung der Separatisten als »stille/ getreue/ gottesfürchtige bürger und unterthanen« (ebd., 6).

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aus ökonomischen Interessen und Bedürfnissen erheben sich allerdings gravierende Bedenken. 1. Man war zur »Peuplierung« des Landes keineswegs auf »Sektierer« angewiesen. Wie die erste Massenauswanderung aus benachbarten Territorien nach Amerika im Jahre 170952 zeigt, gab es noch ein stattliches Reservoir von Menschen, die unter entsprechenden Bedingungen bereit waren, ihre Heimat zu verlassen und sich andernorts eine neue Existenz aufzubauen. Auch im hugenottischen Refuge fand noch eine z. T. erhebliche Fluktuation zwischen den einzelnen Aufnahmegebieten statt.53 2. Dem Edikt lief eine Toleranzpraxis auch anderer Ysenburger Linien zeitlich voraus.54 Sie ist nicht erst gekoppelt mit wirtschaftlichen Anreizen in Aussicht gestellt worden. Vor allem war sie keineswegs auf wirtschaftlich potente und sozial qualifizierte Personen und Gruppen beschränkt. Die Ronneburg im Wächtersbacher Stammteil war geradezu ein Sammelort von Separatisten, daneben aber auch von (konfessionell schwer einzuordnenden) Sinti sowie von Juden, die zum erheblichen Teil der sozialen Unterschicht angehörten.55 3. Schließlich war die Publikation einer so weit gefassten Toleranz, die als öffentliche Verletzung und Missachtung reichsrechtlicher Normen ausgelegt werden konnte, von erheblicher Brisanz. Büdingen musste rechtliche Verwicklungen erwarten, die sich dann nach einer Anzeige beim Reichskammergericht auch tatsächlich einstellten.56 Für einen Duodezstaat wie Ysenburg-

52 Vgl. Wolf-Heino Struck: Die Auswanderung aus Hessen und Nassau in die Vereinigten Staaten. In: Nassauische Annalen 88, 1978, 78–114 (Lit.). 53 Noch 1720 zogen 100 Waldenserfamilien von Württemberg weiter in Richtung BrandenburgPreußen: Hugenotten und Waldenser (wie Anm. 16), 278 f. 54 Für den Prozess vor dem Reichskammergericht (s. u. Anm. 56) hat sich Becker daher mit gewissem Recht von dem Büdinger Grafen attestieren lassen, dass die Gewissensfreiheit »längst vorher/ ehe Rath Becker in ihre Dienste gekommen/ resolviret« gewesen sei (Apologie, wie Anm. 29, Anl., 202). Das ist im Hinblick auf die von den Ysenburger Grafen geübte Toleranzpraxis sicher zutreffend; dem eigentlichen Vorwurf, er sei der »Concipient« des Edikts, wich Becker aus. 55 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts lebten dort 29 Familien (BüdA, Stadt und Land, 169). Bis zu Zinzendorfs Ankunft 1736 war die Zahl auf 56 Familien angewachsen, und selbst ein anspruchsloser Zimmermannsgeselle wie Zinzendorfs mährischer Mitarbeiter Christian David meinte, dort könne man nicht leben (Archiv der Evangelischen Brüderunität Herrnhut, R 20. A.17.121). 56 Beckers früherer Dienstherr, der Graf von Waldeck, erstattete Anzeige beim Reichskammergericht in Wetzlar, und am 12. Juli 1712 erging als eine Art einstweiliger Verfügung ein Mandat des Reichsfiskals gegen den Büdinger Grafen, gegen Becker und den Buchdrucker de Launoy. Sie wurden beschuldigt, reichsrechtliche Normen, vor allem das Sektenverbot in Art. VII § 2 des Osnabrücker Friedensschlusses, verletzt zu haben. Dem Büdinger Grafen und seinen Mitbeschuldigten wurde unter Androhung einer Strafe von 10 Goldmark auferlegt, das Edikt binnen 60 Tagen zu revozieren, sowie befohlen, dass »ihr […] alle diejenige/ welche sich zu keiner deren im Reich tolerirten dreyen Religionen bekennen/ nicht auff- oder annehmet/ noch in eurem Gebiet duldet/ sondern dieselbe ohngesaumbt wegschaffet/ ihnen keinen weitern Unterschleiff/ Schutz

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Büdingen bargen sie ein schwer kalkulierbares politisches Risiko57 und konnten den erwünschten wirtschaftlichen Aufschwung gerade gefährden. Die erhaltenen Büdinger Akten ermöglichen eine, wenn auch nur partielle und manche Fragen offenlassende, Rekonstruktion der Vorgeschichte der Toleranzgewährung, die ein differenziertes Bild ergibt. Eine erste Überraschung bietet der Kontext, in dem zum ersten Mal davon die Rede ist. Im November 1711 tauchte auf der Tagesordnung der Ysenburger Hauskonferenzen, auf denen allmonatlich die Regierungsräte der vier Büdinger Linien (Büdingen, Marienborn, Meerholz, Wächtersbach) Fragen von übergeordnetem, gemeinschaftlichem Interesse berieten, ein »Project zur Abstellung einiger Mängel im Kirchen-Wesen« auf.58 In den Verhandlungen sollte ein »durchgehendes werck in denen Vier Stammtheilen der Hochgräflichen Büdingischen [Gesamt-] Linie« erarbeitet werden. Auf wen die Initiative zurückgeht, ist nicht erkennbar. Immerhin ist auffällig, dass dieser Tagesordnungspunkt nur wenige Monate nach Beckers Amtsantritt erscheint, und man erinnert sich an sein – schließlich gescheitertes – Projekt einer neuen Kirchenordnung in Waldeck.59 Ein erster Entwurf wurde von Marienborner Seite vorgelegt.60 Das kann darin begründet sein, dass Graf Karl August als Chef des Gesamthauses und seine Kanzlei in den gemeinsamen Angelegenheiten federführend waren. Absprachen über die Inhalte dieser Ordnung müssen aber vorausgegangen sein.61 Schon in diesem ersten Entwurf der »Project-ordnung« war – wenn auch eher beiläufig – das Thema religiöser Toleranz angeklungen. In einem Artikel über die kirchliche Unterweisung der Kinder heißt es in einem Nebensatz: »Wollen zwar […] daß niemanden von dero Unterthanen oder Beysassen wegen der Religion einige Mühe gemacht werde«. Im Laufe der Beratungen erhielt dieser Punkt immer stärkeres Gewicht und rückte betont an die Spitze der entworfenen Ordnung.62 Leider lässt sich der Diskussionsprozess im Ein-

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oder Schirm verschaffet« (Historia Pietistica Waldeccensis, wie Anm. 29, 318–322). Der weitere Gang des Prozesses, der schließlich im Sande verlief, kann hier nicht erörtert werden. Gerade erst 1711 waren die jahrzehntelangen Streitigkeiten mit dem mächtigen Nachbarn Hessen-Darmstadt nach der einstigen Sequestration der Grafschaft beigelegt worden. BüdA, Ysenb. Haus.Conferenz-Acta, 7, 43–45. (Die Faszikel sind ungeordnet und enthalten z. T. mehrere Kopien der gleichen Schriftstücke). Zur Waldeckischen Kirchenordnung vgl. Breul, Generalreform (wie Anm. 28). BüdA, Ysenb. Haus-Conferenz-Acta, 7, 43 (Littera H). Dabei ist zu bedenken, dass der leitende Marienborner Regierungsrat Metting ein radikaler Pietist war. Er war verheiratet mit einer Tochter des bekannten Frankfurter Separatisten Johann Jakob Schütz. Das Frankfurter Predigerministerium hatte die Trauung mit der Begründung verweigert, man wisse nicht, »was die Person für eine Religion habe«, und man musste einen Landpfarrer suchen, der sich zur Trauung bereitfand (Hermann Dechent: Johann Jakob Schütz. In: Christliche Welt 3, 1890, 848–854; 864–868; 935–937; 952–956, hier: 955; die einschlägigen Akten des Predigerministeriums sind im Zweiten Weltkrieg leider verbrannt). BüdA, Ysenb. Haus-Conferenz-Acta, 7, 45.

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zelnen nicht mehr aufhellen, da die Konferenzakten jeweils nur Beschlussprotokolle bieten. Einige Indizien sprechen aber dafür, dass der Büdinger Regierungsrat Becker die treibende Kraft war. Am 12. Januar 1712 legte er eine – nicht vollständig erhaltene – Liste von Verbesserungsvorschlägen der Büdinger Regierung vor.63 An einer Reihe von Beschlüssen lässt sich erkennen, dass er seine Vorstellungen geschickt einzubringen und durchzusetzen verstand: Für die Einrichtung einer gemeinschaftlichen Schulaufsicht bezieht sich das Protokoll expressis verbis auf die – einst von Becker entworfene – Waldecker Schulordnung,64 und Becker war es, der den Auftrag erhielt, eine Instruktion für die Inspektoren auszuarbeiten.65 In die Verordnung über das Betteln wurde – entsprechend einem Waldecker Regierungserlass Beckers66 – die Bestimmung aufgenommen, die Almosenvergabe an die vorherige Teilnahme an Katechisationen zu binden.67 Auch das Bemühen um eine bessere personelle Versorgung der Büdinger Lateinschule, die »gar sehr in Decadence gerathen«, ferner Anordnungen, um »die unnöthigen Kosten bey Hochzeiten, Kindtauffen und Begräbnissen« abzustellen, sind durchgesetzte Büdingische Deliberanda aus Beckers Feder.68 Wie diese entsprechen auch weitere aufgenommene Absichtserklärungen, etwa Reparatur und Ausbau des Büdinger Hospitals, Errichtung eines Waisenhauses sowie eines Arbeits- und Zuchthauses,69 Beckers einstigem Waldecker Regierungsprogramm.70 Anhand dieser Beobachtungen ist der maßgebliche Einfluss Beckers bei der Gestaltung der geplanten Kirchenordnung deutlich erkennbar, der seine früheren Waldecker Maßnahmen zur Durchsetzung einer pietistischen Reform von Kirche und Staat aufgriff und nun im Ysenburgischen zur Geltung bringen wollte. Daher legen bereits diese Beobachtungen es nahe, ebenso hinter der stärkeren Gewichtung der Toleranz im Laufe der Beratungen Beckers Initiative 63 Ebd., 7, 44. Becker entschuldigte die Verzögerung damit, dass er gern noch ausführlichere Vorschläge ausgearbeitet hätte. 64 Abdrucke bei Carl Curtze: Die Volksschulgesetzgebung des Fürstenthums Waldeck und Pyrmont. Arolsen 1857, 31–101; Richard Vormbaum: Evangelische Schulordnungen. Bd. 3. Gütersloh 1864, 116–167. Die Anlehnung an Halle hat nachgewiesen: Moritz Pfeifer: Zur waldeckischen Schulgeschichte. In: Zeitschrift für die Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 14, 1924, 113–120, hier: 117 f; einzelne Korrekturen bei Heinz Hettwer: Herkunft und Zusammenhang der Schulordnungen. Diss. phil. Mainz 1964, 231–236. Vgl. auch Gerhard Schmalenberg: Pietismus – Schule – Religionsunterricht. Die christliche Unterweisung im Spiegel der vom Pietismus bestimmten Schulordnungen des 18. Jahrhunderts. Bern u. Frankfurt a.M. 1974, 62. 65 BüdA, Ysenb. Haus-Conferenz-Acta, 7. 66 Abdruck bei Carl Curtze: Die kirchliche Gesetzgebung des Fürstenthums Waldeck. Arolsen 1851, 192–194. Vgl. für Halle: Wolf Oschlies: Die Arbeits- und Berufspädagogik August Hermann Franckes. Witten 1969, 182. 67 BüdA, Ysenb. Haus-Conferenz-Acta, 7. 68 Ebd. Vgl. Beckers entsprechende Waldecker Verordnung, abgedruckt bei Curtze, Gesetzgebung (wie Anm. 66), 178–186. 69 BüdA, Ysenb. Haus-Conferenz-Acta, 7. 70 Vgl. Beckers eigene Schilderung: Becker, Apologie (wie Anm. 29), 49, Beilage 98 f.

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und seine Grundvorstellungen zu suchen. Doch verfolgen wir zunächst den weiteren Gang der Verhandlungen. In der Hauskonferenz am 14. März 1712 wurde eine letzte Revision des Textes vorgenommen.71 Die Vorlage lautet für Art. 1: 1. Wollen des Hochgebohrnen Unseres gnädigsten Grafen und Herrns hochgräfliche Gnaden daß Niemand Dero unterthanen oder frembden und Beysaßen, so sich zu einer andern, alß zu der reformirten Religion bekennen, oder die sich gar zu keiner eußerlichen Religion halten und doch dabey eingezogen, still und Christlich sich aufführen, diesehalb einige mühe und Verdrießlichkeit gemachet, vielweniger denenselben in Ihrer kinderzucht daferne sie sonsten nur ehrbahr ist, eingegriffen werde,72 sondern ein jeder, wie nach dem inhalt heiliger schrifft, also auch nach den Reichs-satzungen, seine Völlige gewissens-freyheit genießen solle.

In den Beratungen wurden offenbar die Bezeichnungen »eingezogen« und »still« als präzisierungsbedürftig empfunden. Sie sind gestrichen und am Rande – in Beckers Handschrift – ersetzt durch: »im Bürgerlichen Wandel denen Hier im Lande üblichen policeyordnungen gemäß gegen Obrigkeit und Unterthanen sowohl als in ihren häusern ehrbahr, sittsam«. Das war die endgültige Fassung des Art. 1 über die Gewissensfreiheit für die »Project-ordnung wegen des Kirchen-wesens«, wie sie am 14. März in ihrer letzten revidierten und korrigierten Fassung vorläufig approbiert wurde. Nur die Meerholzer Linie hatte noch keine Stellungnahme abgegeben. Die Meerholzer Regierung befolgte von Anfang an ganz offensichtlich eine Verschleppungstaktik,73 die schließlich erfolgreich war. Nach dem 14. März 1712 verschwindet der Kirchenordnungs-Entwurf von der Tagesordnung der Hauskonferenzen. Das Projekt einer Kirchenordnung für die Büdinger Gesamtlinie, für dessen Durchführung die Zustimmung aller Teillinien erforderlich war, ist anscheinend an der Obstruktion des Meerholzer Zweiges gescheitert. Die Gründe für diesen Widerstand sind nicht aktenkundig geworden. Sie lassen sich darin vermuten, dass Georg Albrecht von Ysenburg-Meerholz als einziger der Ysenburger Grafen dem Pietismus fremd gegenüberstand74 und eine von pietistischem Geist geprägte Neuordnung des Kirchenwesens 71 BüdA, Ysenb. Haus-Conferenz-Acta, 7. 72 War ursprünglich die Gewissensfreiheit in einem Nebensatz der Bestimmungen über die Kindererziehung erwähnt, so hatte sich das Verhältnis jetzt also umgekehrt. 73 In allen Hauskonferenzen vom November bis März verwies der Meerholzer Vertreter stets auf die noch ausstehende Stellungnahme seiner Regierung und verhinderte dadurch eine endgültige Beschlussfassung. 74 So scheiterte z. B. 1714/15 die Anstellung des radikalen Pietisten Johann Henrich Reitz, der als Rektor der Lateinschule in Büdingen im Gespräch war, am Veto der Meerholzer Kanzlei (BüdA, Kulturwesen, 48, 352). Instruktiv ist auch ein Vergleich der bei den Trauerfeierlichkeiten anlässlich des Todes von Georg Albrecht von Ysenburg-Meerholz mitgeteilten »Personalia«, die keinen Einfluss pietistischer Frömmigkeit erkennen lassen (BüdA, Ysenb. Todes- und Trauerfälle, 5, 61), mit denjenigen Ernst Casimirs (wie Anm. 4).

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offenbar nicht mitzutragen bereit war. So ist die Kirchenordnung nie in Kraft getreten. Zwei Wochen nach der Hauskonferenz in Wächtersbach, die sich zum letzten Mal mit dem Projekt befasst hatte, wurde am 28. März 1712 das Büdinger Toleranzpatent publiziert, das den Art. 1 der gescheiterten Kirchenordnung aufnimmt und als ersten unter seinen 23 Artikeln aufführt. Auch zu diesem Mandat hat es mindestens einen Entwurf gegeben; erhalten sind aber lediglich Notizen von Beckers Hand über eine Konferenz vom 12. Februar, in der »die aufgesetzten puncta durchgegangen« wurden.75 Die 26 Punkte, die dieser Entwurf enthalten haben muss, werden aber nicht wiedergegeben, sondern die einzelnen Nummern sind meist nur mit einem »placet« oder »ommittitur« versehen. Gleichwohl ergibt sich aus kurzen Glossen zu einzelnen Ziffern, dass in diesem Entwurf Art. 2 des gedruckten Patents, der das Bürgerrecht behandelt, hier noch als Nr. 1 gezählt wird.76 Das heißt aber: Der Artikel über die Gewissensfreiheit war in diesem Entwurf überhaupt noch nicht vorgesehen; das als ›Toleranz‹-Edikt bekannt gewordene Patent war ursprünglich als Einladungspatent für Neusiedler konzipiert, das ausschließlich wirtschaftliche Privilegien in Aussicht stellte und noch gar keinen Bezug auf die Gewissensfreiheit enthielt. Diese sollte ja im Rahmen der neuen Kirchenordnung als grundlegendes Privileg für alle Einwohner des Territoriums geltendes Recht werden. Diese Beobachtungen lassen nur einen Schluss zu. Als man in Büdingen erkennen musste, dass die Kirchenordnung als gemeinsames Projekt des Gesamthauses gescheitert war, entschloss man sich zum Alleingang. Wenn die rechtliche Verankerung der Gewissensfreiheit in einer Kirchenordnung, für die der nötige Konsens aller Teillinien fehlte, nicht möglich war, sollte sie auf anderem Wege Rechtskraft erlangen. Daher wurde der Grundsatzartikel über die Gewissensfreiheit in das Einladungspatent für Neusiedler aufgenommen und gewissermaßen als Hinweis auf das allen Landesbewohnern – nicht etwa nur den Neusiedlern – gewährte wertvollste Privileg an die Spitze gesetzt. Von dieser erst sekundären Verbindung des Toleranzartikels mit den wirtschaftlichen Privilegien im ›Toleranz‹-Edikt her finden nun auch die formal auffälligen Besonderheiten ihre Erklärung: die Sonderstellung des Art. 1, sein größerer Umfang im Vergleich zu den anderen Bestimmungen und die besondere Narratio in diesem Artikel neben dem allgemeinen, dem Gesamtedikt vorangestellten Exposé. Aus der Aufhellung der Vorgeschichte ergibt sich für die Interpretation der Toleranzgewährung als eine unabweisbare Konsequenz: ihre einlinige Ableitung aus ökonomischen Interessen erweist sich als unhaltbar. Die Proklamierung der Gewissensfreiheit ist eine Grundsatzentscheidung der Büdinger 75 BüdA, Stadt und Land, 24, 183. 76 »Wird davor gehalten, daß diejenigen, so in der Stadt […] bauen, zur Bürgerschafft geschlagen und bürgerl. privilegien geniessen«.

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Regierung und hat, wie ihr ursprünglicher Ort im Kontext einer Kirchenordnung zeigt, in religiösen Überzeugungen ihr Motiv. Diese Schlussfolgerung wird durch den Text von Art. 1 des Edikts noch weiter untermauert. Gegenüber den Formulierungen im entsprechenden Artikel der Kirchenordnung ist hier eine ausführlichere theologische Begründung für die Gewährung der Gewissensfreiheit hinzugekommen. Nun heißt es: Weil […] Wir aber auß der Natur der Religion des Reiches Christi und des menschlichen Gemüths/ wie nicht weniger auß der Heil. Schrifft/ und auß dem Exempel der grossen Kirchen-Reformation und dabey geführten Rationibus überzeuget sind/ daß die Obrigkeitliche Macht sich nicht über die Gewissen erstrecke/ So wollen wir Jedermann vollkommene Gewissens-Freyheit verstatten.77

Hier sind wir an den Punkt gelangt, an dem sich Beckers Einfluss eindeutig aufweisen lässt. Die neu hinzugekommenen Begründungen weisen wörtliche Entsprechungen zu Äußerungen Beckers in seinen früher veröffentlichten Traktaten auf. In der Schrift L’Esprit egaré du Monde78 kritisiert er den Ruf der Orthodoxen nach einem Eingreifen des weltlichen Arms mit folgender Begründung: Da doch aus der gesunden Vernunfft/ der Natur/ der Christlichen Religion/ ja Luther und LL [= Libris] Symb[olicis] selbst klärlichen erwiesen ist/ daß das brachium seculare über die Gewissen gar keine statt habe/ welche rationes solche verkehrte Leute ohnwiderleget lassen. Solchen Lermen-Blasern und falschen Eifferern wäre wohl zu wünschen/ daß sie eine Zeitlang unter solcher Obrigkeit stünden/ die anderer Religion ist/ und gleichen Eiffer vor ihre Religion hat/ zum Exempel unter dem König in Franckreich/ da würden diese arme Leute die Grund-Sätze/ wie die Obrigkeit gegen Irrende sich zu verhalten etc. besser einsehen/ und mit den Reformatoribus unserer Kirchen behaubten/ daß keine Obrigkeit zustehe Irrthümer mit Gewalt zu vertreiben/ sondern daß es absurd sey/ sich dergleichen zu unterstehen.79

Noch enger sind die Berührungen der im Toleranzartikel aufgeführten Beweggründe mit Formulierungen in Beckers früherem Traktat Grundsätze.80 Dort führt Becker folgende Hauptargumente auf: Die Art und Weise gegen die Irrenden im [sic] Glauben-Sachen mit Gewalt zu verfahren/ ist wider das Reich Christi. […] Dieses wird erwiesen. 1.) Auß der Natur des Reiches Christi. […] 2.) Auß der Natur der Religion […] 3.) Auß der Natur des menschlichen Gemüths […] 4.) Auß der H. Schrifft […] 5.) Auß der Lehre und Zeug77 Privilegia (wie Anm. 2). 78 Otto Heinrich Becker: L’Esprit egaré du Monde das ist/ Das verkehrte Urtheil der Welt in Geistlichen Dingen. Amsterdam 1710. 79 Ebd., 5. Hervorhebungen d. Vf. 80 [Otto Heinrich Becker:] Grundsätze über die Frage: Was der Obrigkeit und der Prediger Pflicht seye/ Ketzerey und Irrthum in Religions-Sachen im Lande zu verhüten/ und wie sie mit Irrenden sollen umgehen? O.O. 1704, 21706.

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nüß der bewehrtesten Kirchen-Vätter […] 6.) Auß dem Zeugnüß Lutheri […] 7.) Auß dem Zeugnüß/ Beystimmung und Exempel verschiedener Christlichen Regenten/ und anderer berühmter Männer. […] 8.) Auß dem Zeugnüß der Symbolischen Bücher […] 9.) Auß dem Exempel und Historie der Reformation Lutheri […].81

Der Begründungszusammenhang im Toleranzedikt stellt sich also als ein Resümee aus Beckers Grundsätzen dar. Die Reduktion auf fünf Punkte hat formale wie sachliche Gründe. Formal gebietet die Narratio eines Edikts größtmögliche Kürze und die Beschränkung auf wesentliche Elemente und bedarf nicht der Ausführlichkeit eines theologischen oder kirchenrechtlichen Traktats. Sachlich waren die Hinweise auf Luther und die (lutherischen) Bekenntnisschriften einst im lutherischen Waldeck angebracht, konnten aber nicht im Edikt eines reformierten Landesherrn erscheinen. Daher sind die Punkte 6 und 9 aus Beckers Grundsätzen hier zu einer allgemeineren Formulierung zusammengezogen: »auß dem Exempel der großen Kirchen-Reformation und dabey geführten Rationibus.« Nach diesen Textvergleichen kann keinerlei Zweifel mehr daran bestehen, dass die Formulierung des Toleranzartikels von Becker stammt. Auf die Übereinstimmung zwischen dem restlichen, ursprünglich als selbstständigem Einladungsedikt für Neusiedler entworfenen Teil des Edikts mit programmatischen Vorstellungen Beckers wurde schon oben hingewiesen. Daraus folgt: Das ganze Toleranzedikt in seiner vorliegenden Gestalt ist also ein Werk Beckers; der Büdinger Regierungsrat ist sein Konzipient.82 Die Publikation im Namen des Grafen setzt freilich voraus, dass dieser zumindest die Intention des Edikts teilte. Da sich am Beispiel der wirtschaftlichen Privilegien zeigen lässt, dass Ernst Casimir ihm vorgelegte Entwürfe eigenhändig durchkorrigierte,83 kann man sicher davon ausgehen, dass auch die Formulierungen Beckers hinsichtlich der Gewissensfreiheit seine volle Billigung gefunden hatten. Die Verbindung von Pietismus, merkantilistischer Ökonomie und Toleranz im Büdinger Toleranzpatent von 1712 erweist sich somit zwar in ihrer Genese erst als sekundär zustande gekommen, jedoch wurde sie in dieser Verknüpfung recht effizient. Das Edikt ist schnell über die Grenzen der Wetterau bekannt geworden. Nicht nur renommierte Zeitschriften wie die Europäische Fama,84 die Gelehrte Fama,85 der Secretarius86 und die Unschuldigen Nachrichten87 81 Ebd., 8, 9, 10, 11, 16, 25, 27, 28. 82 Ritschls Bestreiten dieses Sachverhalts (Albrecht Ritschl: Geschichte des Pietismus. Bd. 2. Bonn 1884 [Reprint Berlin 1966], 449 f) ist nach den vorgelegten Quellenzeugnissen nicht länger haltbar. 83 Vgl. BüdA, Stadt und Land, 183. 84 Die Europäische Fama, welche den gegenwärtigen Zustand der vornehmsten Höfe entdecket 129, 1712, 746–750. 85 Die Gelehrte Fama, welche den gegenwärtigen Zustand der gelehrten Welt und sonderlich derer deutschen Universitäten entdecket 14/15, 1713 [1714], 770. 86 Der mit allerhand Staats- Friedens- Kriegs- Hof- Literatur- und Religions- wie auch PrivatAffairen beschäfftigte Secretarius 11, 1713, 429 f. Diese dem Pietismus nahestehende Zeitschrift

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verbreiteten die Kunde in ganz Deutschland, sondern nicht zuletzt die Mundzu-Mund-Propaganda gerade in den Kreisen der radikalen Pietisten. So kamen in der Folgezeit zahlreiche Immigranten in das Ysenburgische Gebiet, »in welchem Ländlein GOtt […] seinen verjagten Kindern eine Zuflucht und Auffenthalt vergönnet hat«88 und wo sie »in aller Gewissens-Freyheit« leben und arbeiten konnten.89 Die Mehrzahl stammte aus Süd- und Südwestdeutschland, dem Elsass und der Schweiz; einige kamen aus dem benachbarten Hessen und anderen Gebieten Mitteldeutschlands. Sie waren meist nach Konflikten mit geistlichen und weltlichen Behörden in ihrer Heimat und häufig unter obrigkeitlichem Druck (drohende oder verhängte Landesverweisungen, Anti-Pietisten-Edikte90) ausgewandert und in die Wetterau gezogen. Die Einwanderer ließen sich in Büdingen nieder, wohnten in verschiedenen Dörfern der Grafschaft oder auf dem Gelände der Ronneburg91 – sei es als Neubürger oder als »Fremdlinge und Beisassen«.92 Auf den Dörfern betrieben einige eine eigene kleine Landwirtschaft, manche standen in gräflichen Diensten, die meisten arbeiteten als Handwerker und brachten neue Gewerbe nach Büdingen, wo vor dem Jerusalemer Tor die neue Vorstadt entstand, die noch heute durch den einheitlichen Stil aller Häuser mit den typischen Zwerchgiebeln auffällt. Etliche der Immigranten brachten es sogar zu einem ansehnlichen Wohlstand.93 Die durch das Edikt von 1712 dokumentierte staatliche Toleranz bildete auch noch den Hintergrund für die Aufnahme der Herrnhuter in der Grafschaft nach 1736,94 wenngleich sich hierbei besondere Probleme stellten, da es

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referiert ganz sachlich, und im Register des Bandes heißt es sogar: »Büdingen erhält schöne Privilegia«. Unschuldige Nachrichten von Alten und Neuen Theologischen Sachen 1712, 1068 f. So der Separatist Gottfried Neumann, in: Unterschiedliche Erfahrungs-volle Zeugnisse/ Welche Einige in Gott verbundene Freunde Von der so sehr verhassten und verschreyten InspirationsSache […] abgefasset. O.O. 1715, 50. So Johann Friedrich Rock (1725), in: XIV. Sammlung Das ist: Der XIV. Auszug Aus denen Jahrbüchern Der Wahren Inspirations-Gemeinschafften […]. O.O. 1761, 235. Neumeister, Pietismus (wie Anm. 42). Eine Übersicht der Wohnorte der Separatisten bei Reimers, Sektenwesen (wie Anm. 1). Es handelt sich außer Büdingen um Düdelsheim, Eckartshausen, Himbach, Lorbach, Lindheim, Bergheim, Vonhausen, Marienborn und die Ronneburg. Neben den Akten der Ysenburgischen Kanzleien (Büdingen und Marienborn) über Fremde und Beisassen und den Faszikeln der Konsistorialakten über Neutäufer und Inspirierte (BüdA, Kulturwesen, 27, 211 u. 212) besitzen wir eine Reihe sehr informativer gedruckter Schriften aus dem Kreis der Separatisten. Z. B. der aus Heilbronn stammende Kaufmann Georg Melber (1677–1743), der sich zunächst auf der Ronneburg niederließ (Zeugnisse, wie Anm. 88, 28), wo er einen Webstuhl betrieb, später in Büdingen als »Handelsmann« lebte, wo er ein stattliches Haus gegenüber der Pfarrkirche (dem heutigen Pfarrhaus) erwerben konnte. Melber erscheint in den Büdinger Akten häufig als Geldgeber der Ysenburger Grafen mit Summen bis zu 1.000 Gulden, vor allem bei Einkäufen auf den Frankfurter Messen. Vgl. Klaus-Peter Decker: »Gemeine des Lammes« oder »Staat im Staate«? Der Herrnhaag als

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nicht wie im Patent von 1712 nur um Duldung einzelner Personen und deren devotio domestica ging,95 sondern um die Zulassung einer Gemeinschaft, deren konfessioneller Charakter unklar und umstritten schien. Solange Ernst Casimir regierte († 1749), konnten alle Schwierigkeiten einvernehmlich ausgeräumt werden. Zinzendorf hat die Bedeutung des frommen Ernst Casimir als Repräsentanten vorbildlicher staatlicher Toleranz gewürdigt und ihm in einem Geburtstagsglückwunsch ein kleines literarisches Denkmal gesetzt: Gnug, daß unser theurer Graf In der seelgen Lehre, Wovon jetzt die Rede traf, JESU eine Ehre; Und sein anvertrautes Land In geraumen Jahren Eine sanffte Vater-Hand In dem Theil erfahren, Wie die liebe Obrigkeit Ihres Schwerdtes Schneide Von der Angelegenheit Des Gewissens scheide; Und wie billig sie dem Mann,96 Der sie eingesetzet, Seine Seelen lassen kan, Treu und unverletzet. HErr! das haben weit und breit Auf der Erden-Stäte Weder eine Obrigkeit Noch derselben Räthe97 Völliger, als Du, erkannt, Und mit mehr Vergnügen: Seelen ruhn in Deinem Land, Als in einer Wiegen.98

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politisches Modell und sein Ende 1747–1750. In: Jahrbuch der hessischen kirchengeschichtlichen Vereinigung 52, 2001, 25–51. Zu den rechtlichen Aspekten der Toleranzgewährung und deren Grenzen vgl. Schneider, Konfessionalität (wie Anm. 1). Jesus. Zinzendorf war die Rolle des Regierungsrates Becker beim Zustandekommen des Toleranzpatents bekannt. Vgl. Schneider, »Gestalt der Wölffe« (wie Anm. 28). Des Hochgebohrnen Grafen und Herrn/ HERRN Ernst Casimirs, Regierenden Grafen zu Ysenburg in Büdingen […] Gedachten Bey Gelegenheit Dero Geburths-Festes Am 23. May MDCCXL […] Ihro Hochgräflichen Gnaden Treu-Gehorsamste Unterthanen zu Herrnhaag. Büdingen o. J. [1740] (Unitätsarchiv Herrnhut, El 1, 105; 8 S.); wieder abgedruckt in: Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Büdingische Sammlung. Bd. 1. Büdingen 1742, 643–647.

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Schon bei der Ansiedlung der Herrnhuter in der Wetterau und bei der Errichtung der Siedlung Herrnhaag hatten allerdings auch ökonomische Interessen eine erhebliche Rolle gespielt.99 Die verschuldeten Ysenburger Linien Meerholz und Büdingen waren stark an der Erschließung neuer Geldquellen interessiert und sie hofften, dass durch die Anlage von Manufakturen und Fabriken neues Kapital ins Land fließen würde. Mehrmals erhielten YsenburgMeerholz und Ysenburg-Büdingen beträchtliche Darlehen und stellten dafür entsprechende Pfandschaften, die sich freilich zu einer schweren Belastung des beiderseitigen Verhältnisses entwickeln sollten. Die prosperierende Siedlung Herrnhaag, die mit den Jahren nicht nur zu einer Art Staat im Staate zu werden drohte, sondern auch ein wirtschaftliches Eigenleben führte, wurde je länger je mehr ein Problem. Die politischen Befürchtungen einer Souveränitätseinbuße trafen mit der Angst vor der wirtschaftlichen Macht des Herrnhaag zusammen. Nach dem Tod des toleranten Grafen Ernst Casimir (1749)100 kam es unter der neuen Regierung zum offenen Konflikt, der zur Ausweisung der Herrnhuter führte.101 Heute erinnern noch die Büdinger Vorstadt und die – durch eine Herrnhuter Sozietät mit neuem Leben erfüllten – Gebäude auf dem Herrnhaag an die Toleranzpolitik, die Pietismus und Ökonomie verband und ein Experiment darstellte, wie »Herrschafften und Unterthanen können in Flor gebracht und dabey erhalten werden«.102

99 Zu den ökonomischen Aspekten vgl. Manfred Schlosser: Genossenschaften in der Grafschaft Ysenburg vom 16. bis 19. Jahrhundert. Kallmünz 1956, 138–217 (vgl. auch ders.: Der »Kommunismus« der Herrnhuter auf dem Herrnhaag bei Büdingen. In: Kreis Büdingen. Wesen und Werden. Büdingen 1956, 361–368). Schlosser verfolgt interessante Fragestellungen und bringt manche neuen Aspekte. Freilich basieren seine Untersuchungen ausschließlich auf den Akten des Büdinger Archivs. Die Belege sind z. T. schwer zu verifizieren, da die betreffenden Faszikel damals noch keine Blatt- oder Seitenzählung hatten. Eine Wirtschaftsgeschichte des Herrnhaag lässt sich aber nicht ohne die Materialien des Herrnhuter Unitätsarchivs schreiben, die das Bild differenzierter erscheinen lassen dürften. Die wirtschaftlichen Beziehungen etwa zu holländischen Finanziers, die Transaktionen mit Kursachsen etc. lassen sich aufgrund der Büdinger Archivalien nicht aufhellen. Vgl. jetzt Decker, »Gemeine des Lammes« (wie Anm. 94). 100 In einem Epicedion hat auch der damalige Erste Regierungsrat des Grafen an die Toleranz des Verstorbenen erinnert: »Wie liebreich Er die Noth gepreßter Seelen lindert, // Und keinen in der Art des Gottesdienstes hindert, // Nicht die Gewissen zwingt«. Christoph Friedrich Brauer: Bey der Gruft des Weyland Hochgebohrnen Grafen und Herrn, HERRN Ernst Casimir […]. Büdingen 1749, 3. 101 Vgl. Hans Schneider: Christoph Friedrich Brauer und das Ende des Herrnhaag. Einführung zu: Bericht der Büdingischen Grafschaft zur Vertreibung der Herrnhuter aus der Wetterau. In: Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Materialien und Dokumente. Hg. von Erich Beyreuther u. Gerhard Meyer. Reihe 2/18: Antizinzendorfiana. Bd. 5. Hildesheim u. New York 1978, 1–123; Decker, »Gemeine des Lammes« (wie Anm. 94). 102 Becker, Unzulänglichkeit (wie Anm. 29), 4.

Peter James Yoder*

The Economics of the Unconverted Idolatry, Greed, and Theft in August Hermann Francke’s Theology of Wealth

1. Introduction In August of 1694, August Hermann Francke (1663–1727) stood before his parishioners at St. George’s Church in Glaucha and preached an impassioned sermon entitled Von den thränenden Augen des Herrn Jesu.1 His message arose from the liturgical passage found in Lk 19:41–48, in which Jesus turns towards Jerusalem and cries over a city which has rejected him. As was common practice with the young pastor, Francke used this Trinity Sunday sermon to stir his congregants toward repentance and conversion. In this instance, Christ’s outpouring of grief over the city and the Jewish Temple served as motivation for the reforming of lives in Glaucha. Francke reminded his parishioners, [The judgment upon Jerusalem] has served as a pattern for us that God would pour out the bowls of his wrath over the city, [that is] over the Christian church, on account that it has heaped the sins of Jerusalem over its head, and thus has burdened itself under God’s wrath, just as Jerusalem did at that time.2

At every twist and turn of the sermon Francke warned of God’s impending judgment upon the community for the deplorable condition of their city and households: Christ’s zealous tears testified against them. On the same liturgical Sunday three years later, Francke climbed behind the pulpit of St. George’s Church and again took up the same synoptic passage. For those congregants who had been attentive to Francke’s 1694 sermon, they might have recognized the developing theological themes in their pastor’s preaching.3 While years before Francke had focused on the impending judgment of God and the impassioned call of Christ’s tears, now he turned his * This study was sponsored by the German Federal Ministry of Education and Research (BMBF) as part of the Junior Research Group »Transfer and Transformation of Missionaries’ Images of Europe in Contact with the Other, 1700–1970,« which was directed by Dr. Judith Becker at the Leibniz-Institute of European History in Mainz, Germany. 1 August Hermann Francke: »Von den thränenden Augen des Herrn Jesu.« Archiv der Franckeschen Stiftungen (henceforth: AFSt)/H, L 5b, 363–466. 2 Ibid., 365. 3 Francke often complained that his congregants came to church unprepared or even drunk. August Hermann Francke: »Glauchisches Gedenkbüchlein.« In id.: Werke in Auswahl. Ed. by Erhard Peschke (Berlin: Evangelische Verlags-Anstalt, 1969), 79.

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attention to the nature of what he called the »most necessary church, house, and heart reformation.«4 The central theme three years before, Christ’s tears, was relegated to a brief closing section of the sermon while an expansive exposition on the relationship between reborn Christians and their ›economic‹ responsibilities was pushed to the forefront. While Francke never specifically addressed the term »oikonomia« in this later sermon, he did address the various implications of work, commerce, and charity in the context of such vivid patterns as Jerusalem and the Temple. By turning to these biblical examples Francke sought to contextualize the economic responsibilities of those in Glaucha and Halle. This study is concerned specifically with how Francke articulated a theology of wealth in his preaching.5 Previous research on Halle Pietism has provided insight into how Francke’s theology spilled over into his various ministries and commercial activities.6 This study, however, is confined to how Francke preached on the relationship between unconverted individuals and wealth. Of direct interest is his articulation of idolatry and its relationship to tangible goods. In order to provide a thorough analysis, the following examination will move from a brief consideration of Francke’s conception of the nature of humanity to a detailed look at the concepts of »idolatry,« »greed,« and »theft« in his theology. By elaborating on Francke’s thought in this way, this study moves from his more abstract theological constructions of the aforementioned concepts to his pragmatic articulation of his theological perspective in tangible situations that he faced in Glaucha and Halle, like money laundering and tax evasion. The following, therefore, will help clarify some of the theological presuppositions that lay in the background of Francke’s ministry in Glaucha; presuppositions which influenced how he viewed individuals in relation to their economic activity within the community. More importantly, as we focus on Francke’s doctrine of idolatry we come to see that in his theology each 4 August Hermann Francke: »Die höchstnöthige Kirchen-Hauß und Hertzens-Reformation.« In id.: Predigten. Vol 1. Ed. by Erhard Peschke (Berlin: de Gruyter, 1987), 270–302. 5 For Pietists, preaching played a central role in communicating their theology. For this reason, Pietism has often been called a »preaching movement.« Johannes Wallmann: Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus (Tübingen: Mohr, 1986), 206; id.: »Prolegomena zur Erforschung der Predigt im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie.« ZThK 106:3, 2009, 284–304. See also Martin Schmidt: Wiedergeburt und neuer Mensch. Gesammelte Studien zur Geschichte des Pietismus (Witten: Luther-Verlag, 1969), 141, n. 112; Jonathan Strom: »Pietism and Revival.« In Preaching, Sermon and Cultural Change in the Long Eighteenth Century. Ed. by Joris van Eijnatten (Leiden: Brill, 2009), 173–218. 6 Ernst Bartz: Die Wirtschaftsethik August Hermann Franckes (Harburg-Wilhelmsburg: Frenk, 1934); Wolf Oschlies: Die Arbeits- und Berufspädagogik August Hermann Franckes. Schule und Leben im Menschenbild des Hauptvertreters des halleschen Pietismus (Witten: Luther-Verlag, 1969); Heinz Welsch: Die Franckeschen Stiftungen als wirtschaftliches Großunternehmen (phil. diss., Univ. of Halle, 1955); Carl Hinrichs: Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiös-soziale Reformbewegung (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1971).

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person represents an individual economic system.7 One could either be involved in a »heart« commerce that arose from heavenly devotion or engaged in earthly consumption that arose from worldly preoccupations. Inward dispositions toward God had direct implications for activity between persons. For Francke, the Great Commandment given by Christ (to love God and one’s neighbor, Mt 22:37–40) meant that individuals could not avoid being economic actors in their social environments. This becomes evident as we consider how Francke described the sinful outworking of idolatry in the world of the unconverted.

2. The Nature of Man and the Nature of the Problem As Erhard Peschke has noted in his earlier work on Francke’s theology, the Halle Pietist framed the various ideas of his broader theological system in the context of conversion.8 Thus as more specific themes of Francke’s theology, such as wealth, are approached, we are obligated to recognize broader, underlying teachings he held which shaped ideas like prosperity and poverty. In the broadest sense, Francke’s theology of wealth builds upon his conception of the nature of man and the common need for salvation, so in an investigation of his understanding of idolatry, greed, and theft, we must take into account how he characterized the existence of humanity under the reign of sin. While often communicating a progression, or process, of growth in the Christian life that involved levels (Stufen), Francke never failed to neglect the

7 We can find as early as Augustine the belief that the individual should be understood as a selfcontained system. See St. Augustine: On the Trinity. Nicene and Post-Nicene Fathers. First series. Vol. 3. Ed. by Philip Schaff (Buffalo: Christian Literature Publishing, 1887), 9.2.2, 126. 8 Though this type of overarching characterization can gloss over the intricacies of the development of an individual theology, it nevertheless provides a helpful grounding when one undertakes an examination of a particular area of a theological system. See Erhard Peschke: Bekehrung und Reform. Ansatz und Wurzeln der Theologie August Hermann Franckes (Bielefeld: Luther-Verlag, 1977); id.: »Die Theologie August Hermann Franckes.« In August Hermann Francke: Wort und Tat. Ansprachen und Vorträge zur dreihundertsten Wiederkehr seines Geburtstages. Ed. by Dietrich Jungklaus (Berlin: Evangelische Verlags-Anstalt, 1966); id.: Studien zur Theologie August Hermann Franckes. 2 Vols. (Berlin: Evangelische Verlags-Anstalt, 1964–1966). For more recent work on Francke’s theology of conversion see Markus Matthias: »Gewissheit und Bekehrung. Die Bedeutung der Theologie des Johannes Musaeus für August Hermann Francke.« PuN 41, 2015, 11– 31; id.: »Franckes Erweckungserlebnis und seine Erzählung.« In Die Welt verändern: August Hermann Francke. Ein Lebenswerk um 1700. Ed. by Holger Zaunstöck, Thomas Müller-Bahlke, and Claus Veltmann (Wiesbaden: Harrassowitz, 2013); Id.: »Bekehrung und Wiedergeburt.« In Geschichte des Pietismus. Vol. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Ed. by Hartmut Lehmann (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004); id.: Lebensläufe August Hermann Franckes: Autobiographie und Biographie (Leipzig: Evangelische Verlags-Anstalt, 1999).

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transformative moment of conversion.9 It was a moment in which individuals were »reborn« and inwardly »recreated.« In such a spiritual transformation believers were uprooted from a worldly and planted into a heavenly disposition; something he attributed to his own rebirth. It was in Lüneburg at his bedside in 1687 where Francke claimed to have had not just a change of mind or a change of confessional allegiance, but rather a change of heart.10 Francke’s own conversion experience became a point of reference later in his life. He believed that before his conversion he was oriented toward earthly, temporal academic achievement, and it was only after an existential struggle with his sin and a breakthrough by the grace of God that his outlook on reality was reoriented heavenward.11 [F]rom then on it became easy for me to deny ungodliness and worldly lusts and to live disciplined, righteous, and pious in this world. From then on I have steadfastly adhered to God [and] have not regarded [my own] advancement, glory and esteem for the world, wealth, and good days, and outward, worldly ambitiousness. And though before I had made idols for myself out of learning, now I see that faith like a mustard seed is worth more than a hundred sacks full of learning.12

This spiritual transformation that Francke claimed to have experienced carried over into his theology. A call to conversion seeped into every area of Francke’s theological language, and a tension between worldly unbelief and supernatural faith so dominated Francke’s religious thought that he tended to divide humanity into two realms of existence: those who remained in their natural, fallen condition with earth-bound hearts (Stand der Natur) and those who were reborn as new creatures (Stand der Gnade).13 In a 1716 sermon held in St. Ulrich’s Church in Halle entitled Die Liebe der Welt, Francke clarified this distinction he made between fallen and redeemed persons.14 He explained to his parishioners that unconverted souls were by nature disposed to evil passions and bad habits; worldly things captivated their minds. What Francke called a »controlling love« of the world gripped and ruled 9 For a brief examination of Francke conception of »Stufen« in the Christian life see Peschke, Studien (note 8), vol. 1, 59. 10 For a recent study on »conversion« in Pietism see Jonathan Strom: German Pietism and the Problem of Conversion (University Park: Pennsylvania State University Press, 2018); id.: »Pietist Conversion Narratives and Confessional Identity.« In Conversion and the Politics of Religion in Early Modern Germany. Ed. by David M. Luebke [et al.] (New York: Berghahn, 2012), 135–152. 11 Francke claimed to have gone from being a willing participant in a »worldly society« to being an »enemy« of the world he once embraced and loved. Matthias, Lebensläufe (note 8), 23, 31. 12 Ibid., 31. 13 August Hermann Francke: Catechismus-Predigten (Halle: Waisenhaus, 1726), 275. See also id.: »Eine Anleitung zu einer Selbstprüfung, ob man im Stand der Natur oder im Stande der Gnade sei.« AFSt/H, M 11, 155–202. 14 August Hermann Francke: »Die Liebe der Welt.« In id.: Kurtze Sonn- und Fest-Tags-Predigten. Vol. 2 (Halle: Waisenhaus, 1718), 269–286.

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over their hearts.15 Francke believed this falsely oriented love, in contrast to a love grounded on Christ, was inherent in fallen human nature and could be seen in four ways: 1) when individuals find their happiness in their temporal possessions; 2) when they imagine it is enough just to be alive, and do not concern themselves with the »rest of life« (that is, whether they are living their lives according to »God’s order«); 3) when wealth is used so that individuals »can be seen in proud and sumptuous clothing, living in excess and opulence, and seeking worldly joy and delight«; and 4) when »a person, along with his heart, is so set upon this temporal life and his good health that he does not think about the one necessity, namely, that he enters into a true union with God.«16 Individuals who remained in their sinful spiritual states were held captive to their passions and ran after worldly gain. Through such a love of the world, claimed Francke, individuals became »servants and slaves« of the Devil, and should expect God’s punishment.17 In fact, Francke went so far as to tie not only spiritual but also physical consequences to this outworking of fallen humanity’s sinful nature. Divine punishment in the form of bad health and bodily ailments had been meted out against those who remained in their love of the world.18 He also made it a point to note that this type of love was not confined to the rich but also applied to the poor, who like Lazarus, were forced to beg at the gates of the rich. »Were [they] also rich and in possession of much,« cautions Francke, »[they would] also be as greedy.«19 Thus, no person could avoid this manifestation of the sinful nature. To remain separated from God, unregenerate and unconverted, meant one remained enamored by the entrapments of creation. The »Mammon« of the world vied for the attention that God deserved and required, and Francke believed fallen individuals sought

15 Ibid., 278–279. In the same passage, Francke addresses the love of the world found in the reborn: »aber daß die Liebe der Welt auch könne angesehen werden, wie sie zwar nicht bey dem Menschen herrscht, aber ihm dennoch anklebet: und so findet sich dieselbe auch bey den Wiedergebohrnen. Es ist aber ein gar grosser Unterschied zwischen der herrschenden und der anklebenden Welt-Liebe. Denn die Wiedergebohrnen, welchen sie anklebet, streiten ohne Unterlaß dawider, und, ob sie gleich leiden müssen, daß sie davon angefochten werden, so lassen sie sich doch davon nicht einnehmen, sondern dämpfen und überwinden dieselbe durch die dazu erbetene Kraft des Heiligen Geistes.« 16 Ibid., 274–277. Elsewhere in the sermon, Francke uses 1Jn 2:16 to define worldly love, saying, »Man sollte ferner mit Fleiß bedencken, wie die Liebe der Welt und da nach der dreyfachen Lust und Unart, dazu wir von Natur geneiget sind, beschrieben wird, wenn nemlich Johannes benennet des Fleisches Lust, d.i. die Liebe zu allerley fleischlicher Wollust, der Augen Lust, d.i. die Vergaffung in dem äusserlichen Wesen dieser Welt, so uns in die Augen und Sinne fället, und die Liebe zu dem Sichtbaren, sonderlich zu dem irdischen Reichthum, und endlich hoffärtiges Leben, d.i. die Liebe zu dem Prangen und Prahlen mit seinem äusserlichen Stande, Geschicklichkeit, und andere Dinge, darin der von Natur hoffärtige Sinn sich heraus zu lassen suchet.« Ibid., 270. 17 Ibid., 281. 18 Ibid. 19 Ibid., 276–277.

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without success to serve two masters.20 Without true conversion, God received an unacceptable and false worship. Therefore Francke could claim that the love that unbelievers held for worldly things »is such an enormous or horrible love of the world that it is also called an idolatry.«21 The fall of the human race left every person bound to an idolatrous love of the world, in which individuals were dislocated from God and at the same time improperly oriented toward their material surroundings. This understanding of the relationship between unconverted individuals and material possessions dictated how Francke articulated the relationship between individuals, God, and earthly possessions in his sermons on the First, Seventh, Ninth, and Tenth Commandments. These sermons were a part of two series of catechism sermons he held in 1694 and then again nearly two decades later, the latter appearing in his 1726 Catechismus-Predigten. In his attempt to clarify the implications of each of these commandments (»Have no other gods before me,« »Do not steal,« and »Do not covet« respectively), Francke not only assumed a relationship between individuals, God, and earthly possessions but also the detrimental impact that a love of the world had on the nature of this relationship. Thus, when preaching in 1694 on the dangers of coveting, Francke made sure to remind his congregants of the role an unconverted heart played in the relationship between individuals, God, and the world. One could not know the implications of covetousness or stealing, for instance, without knowing the consequences of sin. He remarks, »Thus the individual must know, that all of us – without exception – have the seeds of sin and everything evil in our own persons.«22 The Halle Pietist’s position on human depravity did not change in the course of twenty years. While discussing the commandment not to steal in a 1720 sermon, he stipulated that God would have had no need to provide Israel the commandments had humanity not already been mired in sin.23 This alienation from God and from salvation was for Francke the natural condition of humanity, and it led individuals not only to act disobediently toward God but also to erect earthly idols. Quoting Luther, Francke claimed in his later catechism sermon on the First Commandment that the whole law was summarized and embodied in the 20 Preaching on Mt 6:24–34 in 1711, Francke remarks, »ihr könt nicht Gott dienen und dem Mammon […], denn einer zwey wieder wärtigen Heren hätte, wenn der eine spreche er sollte hingehen, so würde der andere sagen, er sollte kommen, und würde es einen und dem anderen nicht recht machen, und würde ein geplagter elend Mensch seyn, Summa er würde es in der That erfahren, der er einem müße den Dienst aufgeben, und bey einem bleiben, wenn er wollte Ruhe und Friede haben.« August Hermann Francke: »Wie wir unser Hertz sollen von der Last die uns drückt frey machen.« AFSt/H, M 4, No. 24, 1115–1159, here: 1125–1126. 21 Francke, »Liebe« (note 14), 277. 22 Quoted from Erhard Peschke: Die Frühen Katechismuspredigten August Hermann Franckes 1693–1695 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992), 70, n. 10. 23 August Hermann Francke: »Die siebente Predigt über das siebente Gebot.« In Predigten. Vol. 2. Ed. by Erhard Peschke (Berlin: de Gruyter, 1989), 406.

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demand that the Israelites have no other gods except the Lord.24 To break the First Commandment therefore meant that one broke all of the commandments. Thus Francke furthered the already existing belief that there was an inherent coherence within the commandments of the Decalogue; stealing and coveting were inseparably intertwined with the command not to create idols, and vice versa. Francke expressed this overlap, preaching in 1694 on the Seventh Commandment that, the unbelief, in which we were born and which we received, is to be fittingly regarded as the main cause and root of all sins. And thus we are by nature also transgressors of all God’s commandments. By nature we are atheists and idolaters. By nature we are all despisers of God’s name and his honor and glory. By nature we are all unholy [people] to whom his Word, like God himself, is a distaste and annoyance. By nature we are all disobedient, murderers, adulterers, thieves, false witnesses, and so on.25

In this passage in which Francke paralleled specific sinful characteristics to their respective commandment, it is noteworthy that the First Commandment was identified with the sinful disposition of being »idolaters.« Since this summary by Francke was not only embedded in an early sermon on the commandment not to steal but was then repeated twenty-six years later in his Catechismus-Predigten, we find that he continued to recognize an interplay between how one handles material possessions and the notion of idolatry. Standing in the background of Francke’s catechism sermons on the commandments, the Israelites, as inheritors of God’s law, were often used by him as a pattern with which he could convey his theological construction of being either heavenly- or earthly-minded with regards to wealth. At one point, Francke claimed that the Israelites, though God had led them out of Egypt and provided them with (tangible) food in the wilderness, had rejected the abundance of God’s storehouses for the riches gained through idolatrous living.26 Francke contrasted the divine provision of manna and water granted to the wandering Israelites with creating earthly gods, and he willingly lifted this interpretation of the Exodus story and placed upon those in his own congregation, some of whom Francke judged to be unredeemed. Due to their worldly hearts, his own parishioners, claimed Francke, were »not worthy of a 24 Francke, Catechismus-Predigten (note 13), 6–7. Francke quotes from Martin Luther: »Sermon von guten Werken.« WA 6, 204–250. Here, Luther claims the remaining nine commandments »flow« from the first. 25 Francke, »Die siebente Predigt« (note 23), 406. Francke confirms his belief in the inherent coherence of the Ten Commandments when he claims in his sermon on the Third Commandment, »Ohne diesen Grund sind und bleiben wir Heuchler in dem ersten, in dem andern, in dem dritten, in dem vierten, in dem fünften, in dem sechsten, in dem siebenden, in dem achten, in dem neunten und zehnten Gebot. Und wenn wir meynen, wir haben sie alle gehalten: so haben wir noch nicht den geringsten Anfang dazu gemacht.« Francke, Catechismus-Predigten (note 13), 82–83. 26 Francke, »Hertzens-Reformation« (note 4), 274.

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crumb of bread or a drop of water.«27 In Francke’s theology, human corruption exchanged a divinely orchestrated commerce for idols representing earthly self-preservation.

3. Idolatry In the early modern period, accusations of false worship and heresy played an important role in the direction theology traveled. Claims of idolatry were used by Reformers to set boundaries between pure and false doctrine, between the redeemed and the unredeemed.28 As it applied to the unconverted, idolatry became Francke’s organizing concept in his theology of wealth. He maintained a traditional framework for the concept, which he gathered from his interpretation of Col 3:1–5 and Luther’s teaching in the Larger Catechism.29 Idolatry was a problem of the heart. In a careful consideration of Francke’s sermons, we can discern within his theology three degrees of idolatry. The simplest of these degrees understood idolatry to be the building of physical, tangible gods. As the Israelites rejected their Redeemer and his material provision for their exodus from Egypt, they turned to gods formed by their hands. While Francke acknowledged this as a form of idolatry, calling it »grave idolatrous« sin, he did not make it the foremost in his definition.30 Had he done so, he would have likely held stronger iconoclastic opinions with regard to Lutheran worship, an activity which Francke believed to be mired in unbelief and dead tradition.31 Instead, he preached on the usefulness of images in worship while at this same time noting that the Israelites »followed after« their handmade idols instead of God.32 It was this »following after« that hints at Francke’s deeper concern. 27 Francke, »Die siebente Predigt« (note 23), 410. 28 For a discussion on Reformation polemics regarding »idolatry« see Carlos Eire: War Against the Idols: The Reformation of Worship from Erasmus to Calvin (Cambridge: Cambridge University Press, 1989). 29 Martin Luther: »Großer Katechismus.« In: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1982), 560. For Francke’s use of the passage in Colossians see Peschke, Katechismuspredigten (note 22), 58, 69, and for a consideration of Francke’s use of idolatry in combination with atheism see Peter James Yoder: Pietism and the Sacraments: The Life and Theology of August Hermann Francke (University Park: Pennsylvania State University Press, 2020), 49–70. 30 Peschke, Katechismuspredigten (note 22), 32–33. 31 Describing the »rich man« from Lk 16:19–31, Francke reveals this disposition when he writes: »Er war gar sicher, gedachte, er sey Sohn Abrahams, und stehe mit GOtt im Bunde durch die Beschneidung, darum zweifelte er nicht, er werde seinen Theil haben an der zukünftigen Welt, mag auch dabey wol fleißig im Tempel geopfert, die Synagoge besucht, GOttes Wort gelesen und gehöret, und seine Gebets-Formulen, wie andere, hergesagt haben. im folgenden [Teil der biblischen Geschichte] aber siehet man, wie sehr er sich in seiner Meynung betrogen.« Francke, »Liebe der Welt« (note 14), 277–278. 32 Francke, Catechismus-Predigten (note 13), 12–13.

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In the second degree, Francke represented idolatry as turning possessions, activities, or personal honor into gods. To demonstrate this, Francke pointed to the propensity of individuals to elevate in their hearts specific things above the place of God. Francke called this a »fleshly sense« of idolatry.33 This second degree of idolatry differentiates itself from the first in that individuals do not openly recognize possessions or activities as »gods,« but nevertheless hold them more dearly than the God who they publicly profess to follow. Francke illustrated this form of idolatry when he warned his congregants not to »make their work into gods and their hands into idols.«34 It is unlikely the baker sitting in one of the back pews of St. George’s Church left the Sunday morning worship service only to walk into his storefront and hold a sacrifice in honor of Demeter. But, according to Francke, the unbelieving baker, who had centered his life on his business, performed similar earthly-oriented sacrifices within his heart. The third and foremost of these degrees, and that which represents Francke’s overarching understanding of idolatry, concerned the heartdisposition of sinful individuals. In this sense the heart – apart from the work of God’s grace – constantly exists in an idolatrous state.35 Due to its abstract quality, Francke identified in an early catechism sermon this third form as »subtle idolatry.«36 It was the idolatrous condition of their hearts that led the Israelites to build gods instead of follow after their Lord and led the baker to love his croissant more than the cross. It was a devotion not directed toward heaven but toward earth; a misdirected love for creatures and for what Francke called the »temporal and earthly things of the heart.«37 Francke evidenced this construction of idolatry in one of the rare moments where he defined the term: But this is the way of an idolatrous nature, that a person won’t let go of temporal lusts, but rather believes it’s up to the individual whether to dance, prance, fence, or play

33 Ibid., 16. 34 August Hermann Francke: »Der Segen GOTTES in der leiblichen Arbeit.« In Predigten. Vol. 1 (note 4), 246. 35 In advising how to educate children, Francke writes, »sie sollen studieren, daß sie dermaleins Kanzler, Superintendenten, Doctores etc. werden, daß sie fürnehm und hochangesehen in der Welt werden, daß sie einmal ihr Stück Brot haben oder zu Reichtum und guten Tagen gelangen mögen, daß sie es diesem oder jenem dereinst gleich oder zuvorthun etc.: da wird bald der Hauptzweck aus den Augen gesetzt, und an dessen Stelle ein solcher abgeschmackter Nebenzweck erwählet. Denn das menschliche Herz ist ohnedem geneigt, aus sich selbst einen Abgott zu machen und sich der Bauchsorge zu ergeben, oder gute und wollüstige Tage zu suchen, ich geschweige, wann es noch dazu aufgeblähet, und ihm solches als ein Zweck, dahin alles zu richten, fürgestellet wird.« August Hermann Francke: »Kurzer und einfältiger Unterricht, wie die Kinder zur wahren Gottseligkeit und christlichen Klugheit anzuführen sind.« In: A.H. Francke’s Pädagogische Schriften. Ed. by Gustav Kramer (Langensalza: Beyer, 21885), 18. 36 Peschke, Katechismuspredigten (note 22), 32. 37 Francke, »Segen Gottes« (note 34), 251; Peschke, Katechismuspredigten (note 22), 32–34.

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[card] games. And [so] he situates himself in such a society, uses all sorts of useless words, and thinks: ›It does not mean anything. One can stop doing it again [later]‹.38

Idolatry in this third and foremost degree is seen in the disposition of a heart that will not let go of »temporal lusts.« Francke roots idolatry primarily in the inner lusts of the heart, and the outworking of idolatry takes a secondary feature. Therefore when Francke claimed in his 1697 sermon devoted to the theme of earthly occupations that individuals had two callings in life (one upon the soul and one upon the body), he did not intend to claim that they should choose between the two.39 It was not that Francke sought to further a form of gnostic dualism and believed the true believer followed the call on the soul while unbelievers followed the call on the body. Rather, those who still remained bound to their idolatrous hearts neglected both callings. There was, to be sure, a hierarchy between the two Berufe. The soul was of primary importance and the body followed thereafter, but individuals could not follow one without following the other. Thus in Francke’s theology of wealth, those who remained in unbelief were disposed to the idolatrous inclinations of their hearts and undertook household and commercial activity that reflected their unregenerate spiritual state.

4. Greed Francke employed »greed« as a grounding descriptor for idolatry.40 Working from Col 3:5–6, the Halle Pietist tied idolatry and earthly mindedness to the presence of greed in individual lives.41 He remarks, »[Paul] especially opposed greed, ›which is‹, says he, ›an idol‹, and added, ›the wrath of God comes upon the children of unbelief on account of it‹.«42 Being alienated from their heavenly Father, idolaters become absorbed with acquiring wealth and accumulating goods.43 They are willing to simply drink from the banks of the stream of earthly goods, instead of seeking out the source and fount of those blessings.44 In an attempt to clarify for his parishioners the danger posed to individuals when they confine themselves to temporal goods, Francke spiritualized the initial meeting of Jesus and Peter found in Lk 5:1–11.45 38 August Hermann Francke: »Die Wenigkeit der rechten Kinder Gottes.« In Predigten. Vol. 1 (note 4), 343. 39 Francke, »Segen Gottes« (note 34), 251. See also Oschlies, Arbeits- und Berufspädagogik (note 6), 198–203. 40 Peschke, Katechismuspredigten (note 22), 33. 41 Ibid., 32, 69. 42 August Hermann Francke, »Über das VII. Gebot«. In Predigten. Vol. 2 (note 23), 559. 43 Francke, »Segen Gottes« (note 34), 245. 44 Ibid., 263. 45 Ibid., 249.

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According to the biblical account, Peter and his coworkers spent the whole night attempting to catch fish without success. Only after Peter followed Christ’s command to return and fish did they net an innumerable catch. Francke turned the story into an analogy of the individual’s movement from idolatrous to faithful living. Thus specific instances in the story correlated to moments in the lives of individuals. For example, the breaking of Peter’s fishing net represented the Christian’s »testing hour,« and Christ’s boarding of the fishing vessel represented the Lord’s plea that the Christian not be »earthlyminded.«46 Furthermore, Francke interpreted Peter’s boat, empty of fish, as the vanity of seeking after worldly increase.47 While some of these vain fishermen might find themselves amassing considerable wealth, they remained anglers with an empty soul. Francke intimated that only in turning to Christ and away from earthly pursuits could one experience the inward catch of fish Peter experienced outwardly. In speaking this way, Francke was not seeking to deemphasize the Christian obligation to be a diligent worker. Rather he supposed that a heart oriented toward heaven provided a proper perspective of workplace diligence.48 Were Christ not allowed into the workplace – were he not »taken into the ship« – warned Francke, earthly work would not experience God’s true blessing. Francke remarks, »it will continue to be vain as long as you attempt to cater to your worries with your greed, your wisdom, and your wit.«49 Nevertheless greed as an attribute of idolatry, in Francke’s view, has a very unsuspecting beginning. The unconverted heart innocently supposes that it is seeking to have »just enough,« but such an abstraction can never find its fulfillment in the temporal realm.50 On a quest for what is thought to be enough, fallen humanity becomes enthralled with acquiring more. »One with such coveting and avarice never stays still,« says Francke, »but rather they increase in him as the years pass […]. For when God gives him a small piece of bread, one notices that he’s not satisfied but wants something more. God gives him something else, and he is still not satisfied. Rather, he always desires to have more.«51 Francke contrasted godly contentment and satisfaction in one’s allotted portion with idolatry, greed, and an insatiable longing for wealth. As greediness grew in the hearts of idolaters, they gazed at the gold, silver, and temporal goods of others, wishing them for their own, and their inner dispositions had real-world consequences. Idolatry and greed had led Francke’s parishioners to act out their love of the world in a variety of »ungodly« ways. Greed, though, was not confined to the laity. Francke insisted that the clergy were also gripped by the deadly sin, and he often made it a point to signal out 46 47 48 49 50 51

Ibid., 255, 259. Ibid., 247. Ibid., 252. Ibid., 254. Francke, »VII. Gebot« (note 42), 570. Francke, »Die siebente Predigt« (note 23), 407.

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the »unfaithful« and »unconverted« leaders of his church, who in spite of the warnings of such men like Luther were still led by »greed and ambition.«52 Their lusting after temporal things led them to cater to wealthy congregants, dismiss the whole counsel of God’s Word, and neglect their pastoral responsibilities, and since the clergy served as spiritual representatives in their respective places of ministry, their greed endangered the whole community. Francke went to great lengths to show that parishioners could use their pastor’s avarice to excuse their own misdeeds.53 One clear instance in which Francke believed the clergy not only evidenced their greediness but also acted to the detriment of their congregants was the confessional offering (Beichtgeld/Beichtpfennig). This form of freewill offering had traditionally served as a source of income for ministers, but in the midst of what Francke considered to be a corrupt Lutheran church, he claimed pastors were »eagerly« going through the ritual out of their love of money.54 He complains, »A [confessor] is glad and boasts that he has several fashionable and rich penitents, and he sees himself as more fortunate than his colleagues.«55 The same hands with which pastors symbolically offered their congregants God’s absolution greedily awaited the offerings of affluent parishioners who were seeking ways to avoid openly confessing their sins.56 In reaction to this form of greed, Francke determined to forego the confessional offering with his congregants. In a letter to Spener in the spring of 1696 and in a later sermon to his congregants, Francke explained his decision: Even though he had previously been donating the confessional offering to those in need, he would no longer accept the monetary gift, trusting God would provide for his needs in spite of the loss of income he would incur.57 Francke expected his rejection of the confessional offering, which he personally admitted to Spener 52 August Hermann Francke: »Von dem Dienst untreuer Lehrer.« In Predigten. Vol. 1 (note 4), 407. 53 Ibid., 410. 54 August Hermann Francke: »Der unverantwortliche Mißbrauch des heiligen Abendmahls.« In Predigten. Vol. 1 (note 4), 522. For Francke on confession see Yoder, Pietism and the Sacraments (note 29), 103–117. 55 Ibid., 551–552. 56 August Hermann Francke: »Kurzer und einfältiger Entwurf von den Mißbräuchen des Beichtstuhls.« In Werke in Auswahl (note 3), 102. 57 Philipp Jakob Spener: Briefwechsel mit August Hermann Francke: 1689–1704. Ed. by Johannes Wallmann and Udo Sträter (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 435. See Francke, »Mißbrauch« (note 54), 539: »Ich habe selbst im Anfange meines Amts Beicht-Geld angenommen, und solches zu meiner Nothdurft angewendet. Nachgehends hat mir GOtt meinen Glauben gestärket, so, daß ich ihm vertrauet, er werde mir meine Nothdurft schon auf andere Weise ersetzen. Daher ich zwar das Beicht-Geld angenommen; (welches doch allezeit auch vorhin bey keinem geschehen, da ich einen Mangel im Zeitlichen vermuthet) aber alles, was mir gegeben worden, den dürftigen Gliedern Christi zu gut kommen lassen. Aber auch dieses ist mir bishero eine rechte Last gewesen, dieweil ich manche aus dem Beicht-Geld entstehende inconvenientien auf diese Weise nicht abthun können. Dieweil ich dann das kindliche Vertrauen zu GOtt habe, er werde das, was den Armen darunter zu entgehen scheint, sonst auf tausenderley Art und Weise ihnen einbringen können, so lasse ich mich denn auch dieses nicht abhalten, es gar fahren zu lassen.«

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was a burden in his ministry, would be seen by others as an attempt to remedy a form of clerical greediness that he believed had fostered a misunderstanding of the relationship between money and salvation in the minds of the laity. Thus idolatry and greed, in Francke’s opinion, had found a home in the hearts of both the laity and the clergy. The clergy, who were to represent Christ to their parishioners, found ways in which they could use their office to advance their own social status and income. Within the laity, Francke believed greed manifested itself in a variety of ways. Unlike the clergy, they could not satisfy their greedy hearts with the offerings provided them by a guilt-ridden congregation. Instead the laity were left to the means at their disposal, whether it be their position in society or their place of work. Nevertheless, a heart that strove after worldly possessions would eventually seek compromising ways to acquire wealth.

5. The Consequence of Idolatry: Theft Francke uses the idea of theft to articulate the outworking of the »idolatry of greed« in the lives of unbelievers.58 To the extent that we might imagine philanthropic giving exemplified the outworking of the positive side of Francke’s theology of wealth, theft expressed what one could expect from a heart driven by idolatry. Just like in so many other areas of Francke’s theology, he builds the outward act, that of theft in its various forms, upon the steps arising from the foundation of an inward disposition, in this case idolatry. Led by the waywardness of their greed-filled hearts, idolaters make the initial mistake of believing that all that they have, all that they own or earn, is a result of their efforts.59 This results in an unhealthy preoccupation with the ways in which they might continue to provide for themselves and even grow their personal capital. With reference to the servant found in Lk 19, who unfaithfully buried the sum of money (minas) his master had given him specifically to »engage in business until I come« (Lk 19:13), Francke warns his congregants, there are such people, who do not take care of their priceless soul, which they received from God, but rather bury all that which is good in the handkerchief of their earthly work so that their souls are not empowered nor properly built up in Christianity.60

In Francke’s estimation, unbelief (which was the root of all idolatry and greed) led people not only to doubt God’s provision but also to trust in their own human capacities. With respect to wealth, unbelief was a belief in human ingenuity and industriousness. Trust in God, which was to find empowerment 58 Francke, »VII. Gebot« (note 42), 559. 59 Francke, »Segen Gottes« (note 34), 246. 60 Ibid., 243.

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through the Holy Spirit, became a trust in the strength of human hands. This form of earthly diligence, nevertheless, had tragic consequences. Theft, as the child of idolatry and greed, was typified by a »love of earthly things.«61 This love placed temporal goods and a commodification of daily life above spiritual matters. It elevated creation above the Creator. In his 1694 sermon Über das VII. Gebot, Francke presented this form of worldly love to his congregation as the first of four steps or levels leading from inward idolatry to actual theft.62 Out of a love for earthly goods, claimed Francke, arose an inward deliberation by individuals of how they might increase their possessions, but as mentioned above, in Francke’s theological system idolatrous hearts cannot know contentment. Thus when individuals begin to consider how they might augment their already existing capital, they proceed on to the next level and begin devising questionable or »shameful« ways in which they might become richer and rise in prominence.63 This then leads to the final steps of the outworking of an idolatrous heart in which individuals employ deceptive and unethical business practices with the intention of growing their affluence.64 Important to note here is that Francke’s conception of theft works from the inward out. Outside environmental influences and temptations do not plant the seeds of idolatry; rather an idolatrous heart grows out of the deep roots of unbelief and, once nourished, bears the fruit of theft. Upon warning his parishioners of the dangerous path that begins with idolatry, Francke elaborated with tangible examples of activities, which he placed under the heading of theft. Within this rubric Francke openly criticized activities he likely encountered on the streets of Glaucha and in the lives of his congregants.65 At moments these examples of theft seem more basic and abstract, such as those seeking after selfish ends at the cost of neighbors, using false pretexts in order to purchase goods at a lower rate, taking advantage of a billing mistake, or holding back materials that would benefit the whole community. But at other moments Francke signaled problems he may have been facing in his own congregation. He warns against producing counterfeit money, price gouging, trafficking stolen goods, and withholding taxes. There is little doubt Francke was targeting certain members of St. George’s Church when he decried the falsifying of commodities (whether thinning wine with water or mixing perishable goods of a higher quality with those of a lesser value), and he likely had a particular individual in mind when he noted the theft inherent in those who take advantage of the assets of minors under their 61 62 63 64 65

Francke, »VII. Gebot« (note 42), 560. Ibid., 560–562. Ibid., 561. Ibid., 562. Francke provides a list of examples, ibid., 563–566. Peschke notes: »Man spürt, daß er aufgrund eigener Erfahrungen in der Glauchaer Gemeinde zu dem buntscheckigen Bild sündhaften Verhaltens gekommen ist, das er vor seinen Hörern entwirft.« Peschke, Katechismuspredigten (note 22), 59.

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guardianship. These acts of theft, among others that Francke mentioned, offered visible »signs« of the spiritual condition of his community. At one point in his 1694 catechism sermon on the Seventh Commandment, the Glaucha pastor provided two examples of what he called »improper vocations« that resulted in theft.66 He directly addressed the selling of lottery tickets and involvement in comedy plays. The theft of these participants was to be found in their lack of a rechten Beruf. They wasted away of the daylight hours granted by God, doing nothing more than increasing another person’s wealth.67 Francke complained that such jobs »are not appropriate to God’s glory and [their] neighbor’s good.«68 He went on to elaborate that each Christian should have a proper calling; one that could not be associated with evil things. For the love of God did not call people to »unworthy« jobs, but rather to positions like that of a tradesman, which could benefit the community. In contrast, it was the thieving heart, one drenched in sin and idolatrous greed that led individuals to take jobs with such worthless ends. »For people such as these,« advises Francke, »who have no proper job, are not to be considered Christians.«69

6. Conclusion Francke found in the individual an economic system, in which he believed the relationship between the person, God, and the material world spilled over into everyday commerce between individuals. Thus, Francke’s theology of wealth inevitably had repercussions for those continuing in their idolatry. We are reminded of the controversies surrounding the pastor’s early confessional practices in Glaucha. It should not be overlooked that Francke’s attempts to ban Jacob Vogler and Elias Naumann from the Lord’s Supper in 1692 were due in large part to their unwillingness to repent from and forgo that which they believed to be acceptable commercial practices (distributing alcohol on Sundays), and in 1697, Francke sought to limit various economic activities in Glaucha in an attempt to honor the Sabbath.70 We are also reminded of Francke’s constant critique of those in his congregations who did not express their faith through generously giving to the poor. Francke believed that failing 66 67 68 69 70

Francke, »VII. Gebot« (note 42), 566–567. See also Oschlies, Arbeits- und Berufspädagogik (note 6), 194–197. Francke »VII. Gebot« (note 42), 567. Ibid., 567. Veronika Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha: Kehrseiten eines Klischees (1692–1704) (Tübingen: Niemeyer, 2004), 18–29, here: 38–39. Cf. Terence McIntosh: »August Hermann Franckes Behandlung des Themas Kirchenzucht in seinem Collegium Pastorale.« In Hallesches Waisenhaus und Berliner Hof. Beiträge zum Verhältnis von Pietismus und Preußen. Ed. by Holger Zaunstöck [et al.] (Wiesbaden: Harrassowitz, 2017), 125–136.

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to care for one’s neighbor was a sure sign of unbelief, and withholding alms out of greediness was a mark of the unconverted heart.71 These examples reflect two underlying theological expectations Francke held with regards to wealth: 1) conversion was to result in a specific lifestyle change and 2) those »true believers« who represent the center of his reform plan were to live in such a way that they could not avoid rethinking their commercial activities. Honoring the Sabbath had now become an economic concern. True Christians, for example, were not allowed to steal from their neighbors by playing cards on Sunday.72 And one was to take seriously the obligation to act fairly in the marketplace.73 More broadly, New Testament stories about the city of Jerusalem and the Temple became models and lessons against later commercial abuses.74 The idolatrous greed that led priests to allow the trade of sacrificial animals in the Temple courtyard was not to be reproduced in the lives of Francke’s parishioners. The heart of the faithful Christian was the »Temple« and »dwelling place« (Wohnung) of the Holy Spirit. Thus they were to exemplify being the Temple of God, by praying constantly while at work and reforming their personal households (οἰκονομία). In this respect, Francke adapts Mt 21:13 to the hearts and lives of his congregants, and exhorts, »The markets and dens of thieves will become a house of prayer.«75 In Francke’s theology of wealth, individuals are dynamic systems of existence, and the lives they live have unavoidable economic implications.76 Hearts could either be driven by the ever increasing acquisitiveness of greed or driven by devotion toward God, in which individuals recognize that they are »poor in spirit« and like Job receive whatever the Lord gives.77 71 In 1716 Francke chided his parishioners, »Wollt ihr nicht so heissen, so zeiget euren Glauben mit euren Wercken […]. Sprecht ihr: Ja, das wollen wir thun, wenn wir Gelegenheit dazu haben. Sehet, die Almosen-Casse giebt euch Gelegenheit dazu, man fordert monatlich euer Deputat mit Bescheidenheit von euch ab; da zeiget euren Glauben. Was ihr sonst versoffen, an unnöthigem Pracht gewendet, in Wohllüsten verzehret, oder im Geitz zusammen gescharret, das wendet nun an die Elenden und Dürftigen. Die Becken werden öffentlich in die Kirch-Thüren gesetzt, da zeiget euren Glauben, und gebet nicht kärglich und im Geitz, sondern so, daß man draus wahrnehmen könne, daß wahrhaftig Glaube und Liebe unter euch sey.« August Hermann Francke: »Die Beweisung des Glaubens durch die Liebthätigkeit gegen den Nechsten.« In: Sonnund Fest-Tags-Predigten (note 4), 496. 72 Francke warned against harming the community by doing such »sinful« activities as playing cards on the Sabbath. Francke, »Augen des Herrn Jesu« (note 1), 459; id., »VII. Gebot« (note 42), 572. He also believed that true faith brought about a »Sabbath« in the heart. While addressing the passage Mt 6:24–34 he states, »daß wenn sie mir in Glauben angenommen werden, so thun sie ihren Effect und Würkung, so mache sie die Hertzen frey, und bringe den Sabbath in ihre Seele.« Francke, »Hertz« (note 20), 1122. 73 Francke brings up the debasing of wine and beer with water as an activity that wrongs one’s neighbor. Francke, »VII. Gebot« (note 42), 572. 74 Francke, »Augen des Herrn Jesu« (note 1), 380, 382. 75 Id., »Hertzens-Reformation« (note 4), 289. 76 Note here the corporate-to-individualistic movement Francke’s interpretation takes. 77 Francke, »Segen Gottes« (note 34), 264.

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Lastly, the Lutheran church was also to take to heart the missteps of the Jewish leaders of the Temple during Jesus’ earthly ministry. As Francke stood before his parishioners in 1694 and preached on the tears Christ shed for Jerusalem and the Temple, he impressed upon his listeners that their Savior’s tears were still being poured out in grief over the corrupt and unconverted clergy. The tears that Francke himself claimed to have cried over his parishioners were no less a witness to the need not only for conversion in the clergy but for a reform of society and its economics. »I know it well that most people don’t show concern [for the coming judgment]. They can see that I sigh and cry over them in my heart. And though I could receive the grace and mercy from my Savior that the tears, which are in my heart, might pour from my eyes during this sermon, yet I know that most people remain calloused. For, experience up till now has shown me this.«78 Without a conversion in which Jesus »clears the Temple« of idolatry, individuals – tradesmen, pastors, and city officials – were left to their greedy hearts, which produced the fruits of pilfering and profiteering.79

78 Id., »Augen des Herrn Jesu« (note 1), 453–454. 79 Ibid., 433.

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Die Fußstapffen […] GOTTES Theologisches Argumentieren mit ›Wirtschaftswundern‹ im hallischen Pietismus bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

»[…] vier Thaler und Sechzehen Groschen«1 – diesen Betrag kennt jeder, der Pietismusforschung betreibt oder sich für die Franckeschen Stiftungen in Halle interessiert – auch bei sonst weniger gutem Zahlengedächtnis. Die überschaubare Summe von umgerechnet 112 Groschen steht für das ›Wirtschaftswunder Franckesche Anstalten‹, weil sie so ganz konkret angibt, aus wie kleinen Anfängen sich das große Werk in Halle seit 1695 entwickelt habe. Ich zitiere die bekannte Passage aus Franckes unter dem Titel Die Fußstapffen Des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen GOTTES/ Zur Beschämung des Unglaubens/ und Stärckung des Glaubens verfasster Beschreibung der Geschichte der Anstalten aus dem Jahr 1701: Da ferner etwa ein Viertel-Jahr die Armen-Büchse in der Pfarr-Wohnung befestiget gewesen/ gab eine gewisse Person auff einmal vier Thaler und Sechzehen Groschen hinein. Als ich dieses in die Hände nahm/ sagte ich mit Glaubens-Freudigkeit: Das ist ein ehrlich Capital/ davon muß man etwas rechtes stifften/ ich will eine Armen-Schule damit anfangen.2

Das Entscheidende an diesem Bericht ist – und das hat Udo Sträter schon 1998 betont –, dass die angegebene Summe natürlich in keiner Weise ein ›Kapital‹ darstellte, mit dem man in der Frühen Neuzeit eine Waisenanstalt oder eben auch eine Armenschule gegründet hätte.3 Hierfür hätte man üblicherweise ein Gründungskapital von 100 bis 200 Tausend Talern veranschlagt. Franckes Rede von »Capital« angesichts einer Spende von reichlich vier Talern als Kern der Gründungslegende seiner Anstalten steht insofern dafür, dass hier das Unmögliche möglich gemacht wurde – und zwar insbesondere in ökonomischer 1 August Hermann Francke: Die Fußstapffen Des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen GOTTES/ Zur Beschämung des Unglaubens/ und Stärckung des Glaubens/ Durch den Ausführlichen Bericht Vom Wäysen-Hause/ Armen-Schulen/ und übriger Armen-Verpflegung Zu Glaucha an Halle […]. Glaucha 1701 (hier und im Folgenden zitiert nach der auf der dritten Auflage von 1709 basierenden Ausgabe: Segensvolle Fußstapfen. Hg. v. Michael Welte. Gießen 1994), 29. 2 Ebd. 3 Udo Sträter: August Hermann Francke und seine »Stiftungen« – einige Anmerkungen zu einer sehr bekannten Geschichte. In: Vier Thaler und sechzehn Groschen. August Hermann Francke. Der Stifter und sein Werk. Ausstellung im Hauptgebäude der Franckeschen Stiftungen vom 21. März 1998 bis 31. Januar 1999. Bearb. v. Paul Raabe unter Mitw. v. Hannelore Ruhle u. Elke Stateczny. Halle 1998, 15–31.

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Hinsicht. Wer die Fußstapfen einmal genauer angesehen hat, weiß, dass Erzählungen von ›wunderbaren‹ Spenden in höchsten Engpässen die Darstellung überhaupt wie ein roter Faden durchziehen. Anders gesagt: die Erzählung von der Gründung der Anstalten auf der Basis eines vollkommen unzureichenden Kapitals bildet den Anfang einer Darstellung der Geschichte der Anstalten als einer Kette kleiner und auch größerer ›Wirtschaftswunder‹. Diese Fokussierung der von Francke selbst verfassten Geschichte der Anstalten auf deren ökonomische Seite hatte einen konkreten Sitz im Leben. Am 24. März 1700, im Zusammenhang mit einer Reihe anderer anstehender Beschwerden und noch vor Beginn der ab Mitte April tagenden Untersuchungskommission,4 hatten sich die Stände des Herzogtums Magdeburg beim Kurfürsten nämlich unter anderem über das Hallesche Waisenhaus beschwert. Sie hatten behauptet, dass sich dieses in einem Zustand befinde, in dem es den Intentionen des Kurfürsten in keiner Weise gerecht werden könne. Als Bedingung für die Zahlung weiterer Gelder hatten sie deshalb gefordert, dass die Waisenhausrechnungen durch die Magdeburger Regierung kontrolliert werden sollten.5 In einem Brief vom 18. Mai 1700 konnte Philipp Jakob Spener Francke zu dessen Beruhigung allerdings mitteilen, dass er dem Geheimen Rat Paul von Fuchs »die unmüglichkeit des postulati gezeigt«.6 Weil aber gleichwol etwas ex gratia Electorali [= Friedrich III. (I.) von Brandenburg; Anm. d. Verf.in] von collecten eingeloffen, und damit es nicht scheine, man wolte der stände desideria in nichts attendiren, hat er verlangt, das gegen Herrn Gev[attern] darvon meldung thun möchte, solte selbs Commissarios mir vorschlagen und den modum tractandi wie ers verlangte determiniren.7

Hoffnungsvoll fügte Spener hinzu: »Vielleicht leßt Gott das von feinden angegebene wider ihren willen zur gelegenheit eines guten werden.«8 Francke hatte inzwischen schon mit Johann Fischer über die Sache gesprochen, der im Rahmen der Untersuchungskommission unterdessen als Schlichter der Auseinandersetzungen zwischen Francke und der Halleschen Stadtgeistlichkeit tätig geworden war. Dieser hatte gemeint, eine solche Kontrolle »würde das gantze Werck ruiniren, wie er selbst mannichmal erfahren habe, daher wenn 4 Vgl. zu den Untersuchungskommissionen der Jahre 1692 und 1700 Veronika Albrecht-Birkner: August Hermann Francke in Glaucha und die Hallesche Stadtgeistlichkeit. Beobachtungen zu einem spannungsvollen Verhältnis (1692–1700). In: Die Marktkirche Unser Lieben Frauen zu Halle. Hg. v. Sabine Kramer u. Karsten Eisenmenger. Halle 2004, 39–46. 5 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: GStA PK), HA I, Rep. 52, Nr. 131 b 2, 1698–1755, Bl. 410 u. 416; Landeshauptarchiv (im Folgenden: LHA) Magdeburg, Rep. A 6, Nr. 655, unpaginiert. 6 Ph.J. Spener an A.H. Francke, Berlin, 18. 5. 1700. In: ders., Briefwechsel mit August Hermann Francke. 1689–1704. Hg. v. Johannes Wallmann u. Udo Sträter in Zusammenarbeit mit Veronika Albrecht-Birkner. Tübingen 2006, 756 f, hier: 756. 7 Spener, Briefwechsel (wie Anm. 6), 756 f. 8 Ebd., 756.

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der Churfürst das Werck erhalten wissen wolle, er darein nicht zu willigen habe«.9 Dies teilte Francke Spener Ende Mai 1700 mit und fügte hinzu: Ich sehe es auch je länger je gefährlicher an, sonderlich daß man die Regirung und Amts=Cammer zu abnehmung der Rechnung committiren möchte. Es ist solches auch den privilegiis schnur stracks zu wieder; und wenn nur einmal christliche Wolthäter im geringsten mercken, daß andere die Hände mit drinnen haben möchten, wird niemand mehr was darzu geben wollen.10

Dankbar nahm Francke unter diesen Umständen die Möglichkeit wahr, selbst Kommissare für die Untersuchung vorschlagen und das Commissoriale, also den Untersuchungsmodus, festlegen zu können. Dennoch meinte er: »Ich sehe aber nichts das hinlänglich wäre, das Werck aus der Gefahr zu setzen, daß es nicht in decadence und ruin gebracht werde, wenn nicht Gott etwas thut, das man vorher nicht sehen kan.«11 So große Sorgen hätte sich Francke angesichts der Wirtschaftsprüfung des Waisenhauses, die im Oktober und November 1700 dann tatsächlich stattfand, unter diesen Umständen freilich gar nicht machen müssen.12 Denn sie stellte für die Glauchaer Anstalten keine Gefährdung dar, weil sich die von Francke weitgehend selbst gewählten Mitglieder der Kommission mit seiner Position identifizierten und der von ihm festgelegte Modus der Untersuchung Schenkungen von Privatpersonen, die die entscheidende Kapitalbasis bildeten, ausklammerte. So zielte die Untersuchung von vornherein nicht auf eine neutrale Wirtschaftsprüfung, sondern auf den Nachweis mangelnder Unterstützung des Waisenhauses durch das Herzogtum Magdeburg und das Fürstentum Halberstadt – richtete sich also exakt gegen diejenigen, die die Untersuchung gefordert hatten. Die Publikation der Fußstapfen ab 1701 gehört in diesen Zusammenhang. Dies wird deutlich in der Erläuterung der »Ursachen, Welche zur Edirung gegenwärtiger wahrhaften und umständlichen Nachricht Anlaß gegeben«, die Francke der ersten Ausgabe voranstellte.13 Hier heißt es: Nachdem auch allerley widrige Spargimenta, falsche Concepte, ja offenbare Unwahrheiten und Verleumdungen von dem gantzen Wercke, unerachtet des er9 Vgl. A.H. Francke an Ph.J. Spener [22.(?) 5.1700]. In: Spener, Briefwechsel (wie Anm. 6), 758–761, hier: 759. 10 Ebd. 11 Ebd., 760. 12 Der abschließende Bericht der Kommission datiert vom 8. 11. 1700. Vgl. die Untersuchungsakten in GStA PK, HA I, Rep. 52, Nr. 131 b 2, 1698–1755, Bl. 410–550; LHA Magdeburg, Rep. A 6, Nr. 655, Bl. 50–61 (Abschrift des Untersuchungsberichts); einzelne Abschriften im Archiv der Franckeschen Stiftungen Halle (im Folgenden: AFSt)/W, V/-/15; vgl. Gustav Kramer: August Hermann Francke. Ein Lebensbild. Bd. 1. Halle 1880 (Nachdruck Hildesheim [u. a.] 2004), 211–214; Klaus Deppermann: Der hallesche Pietismus und der preußische Staat unter Friedrich III. [I.]. Göttingen 1961, 137 f. 13 Vgl. Francke, Fußstapffen (wie Anm. 1), 19–23.

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wünschten Verlaufs der allergnädigst angeordneten Commission, noch immerdar gehöret, auch das Werck damit nicht wenig gedrucket worden; und in solchem Fall einem jeden wohl vergönnet ist, zu Rettung seiner Unschuld und Abwendung öffentlicher Verunglimpfung, die Wahrheit, so, wie sie an sich selbst ist, bevorab in einer blossen Erzehlung, allen und jeden vorzulegen: als habe ich vielmehr in dieser Sache, die von keinem Verständigen als eine Privat-Sache angesehen werden kan, indem es offenbarlich ein gemein-nütziges Werck ist, mich gemüßiget gefunden, eine freymüthige Nachricht von der gantzen Sache zu geben […].14

An der »unverfälschten Wahrheit« von Franckes Darstellung könne niemand zweifeln – liege diese in den Ergebnissen der Untersuchungskommission und dem, was in Gestalt der Anstalten selbst »Sonnen-klar und allen vor Augen« stehe, doch ohnehin offen zutage.15 Wolle jemand »auch dieser Betheuerung nicht glauben«, müsse allerdings der Herr selbst »der Wahrheit Zeugniß« geben »durch fernern gesegneten Fortgang des gantzen Wercks« und »an jenem Tage zu seinem Preis vor allen Engeln und Menschen« darstellen, »was man jetzo nicht glauben will«.16 Francke verhehlte also nicht, dass es nach der Untersuchungskommission offenbar weiterhin Zweifel daran gab, dass in den Anstalten ökonomisch alles korrekt lief. Unter der Maßgabe, die ohnehin evidenten Ergebnisse der Kommission nun einer breiten Öffentlichkeit bekanntmachen zu wollen, gab er vor, in den Fußstapfen klare Angaben über die wirtschaftliche Lage des Waisenhauses zu liefern. Faktisch drehte sich seine Darstellung aber vor allem um die bei der Wirtschaftsprüfung ausgeklammerten Spenden für das Waisenhaus – nur stets in einer so stark anonymisierten und sowohl zeitlich als auch im Blick auf die tatsächlichen Größenordnungen so unklaren Form, dass eindeutige Aussagen über die finanzielle Lage hieraus in keiner Weise zu erheben sind. Das aber hatte seine Funktion, denn diese Art der Darstellung bot die Möglichkeit, die Geschichte der Anstalten zu der eingangs benannten Abfolge ›ökonomischer Wunder‹ zu stilisieren und sie theologisch als Beweis unmittelbaren göttlichen Wirkens an diesem Ort und insofern als materielle Frucht von Franckes Glauben zu interpretieren. Anders als bei den vor der Wirtschaftsprüfung geäußerten Befürchtungen ging es nun also nicht mehr nur darum, dass Spender anonym blieben. Die Fußstapfen waren nicht nur eine nebulöse Antwort auf diejenigen, die eine Offenlegung der wirtschaftlichen Situation forderten, sondern auch eine Apologie gegenüber denjenigen, die in Halle nicht Gott, sondern eben Francke am Werk sahen. Und dies waren in erster Linie möglicherweise gar nicht die orthodoxen Kritiker,17 sondern diejenigen, die sich in ihrem Kampf um ein wahres, innerliches Christentum von Francke seit der Gründung von dessen 14 15 16 17

Ebd., 19 f. Ebd., 20. Ebd. Zu diesen vgl. Sträter, Francke (wie Anm. 3), 26.

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Anstalten verlassen sahen und ihm vorwarfen, er habe diesen Kampf einer Hinwendung zur Welt, zur vermessenen Vernunft und zu menschlicher Ehre geopfert.18 Gemeint sind die nonkonformen, klassisch als ›radikal‹ bezeichneten Kreise, deren Anliegen Francke mindestens bis zur Mitte der 1690er Jahre geteilt und offensiv unterstützt hatte und denen seine Frau – so viel wir wissen – wesentlich nachhaltiger anhing. Francke tat dies zumindest öffentlich seit der Gründung und Privilegierung des Waisenhauses nicht mehr und erntete von seinen ehemaligen Freunden dafür spätestens seit etwa 1700 heftige Kritik. Faktisch wurde mit den Fußstapfen ein theologisches Programm installiert, das gerade den wunderbaren ökonomischen Erfolg der Franckeschen Anstalten zum Beweis dafür stilisierte, dass Gott hier unmittelbar am Werke sei.19 Das bedeutete freilich auch, dass – obwohl man ständig von Geld sprach – nach außen hin nie klar war und sein durfte, über wie viel Geld das Waisenhaus zu welchem Zeitpunkt tatsächlich verfügte. Die ab November 1695 von Georg Heinrich Neubauer geführten, unvollständig überlieferten Einnahmen- und Ausgabenlisten des Waisenhauses verzeichnen keine Spenden, sondern neben den Einkünften aus »meiner Armen=Büchse« nur den Empfang von Geldern »von dem Herrn Professor«, also von Francke selbst, zum Teil auch von dessen Frau; ab November 1699 sind die Einnahmen in den überlieferten Rechnungsbüchern nicht mehr verzeichnet.20 Auch über die finanzielle Ausstattung der Anstaltsdirektoren liegen keine Informationen vor. Es existieren keine Gehaltslisten, und sonstige Hinweise auf die tatsächliche finanzielle Lage der Direktoren finden sich eher sporadisch. Mehrfach wird pauschal verwiesen auf die Selbstlosigkeit und Armut gerade der ersten Direktoren.21 Auch die

18 Vgl. Veronika Albrecht-Birkner: Franckes Krisen. In: Die Welt verändern. August Hermann Francke – Ein Lebenswerk um 1700. Katalog zur Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen vom 24. März bis 21. Juli 2013. Hg. v. Holger Zaunstöck, Thomas Müller-Bahlke u. Claus Veltmann. Halle 2013, 81–99. 19 Bereits Franckes Historische Nachricht von 1697 enthielt eine anonymisierte Spenderliste (vgl. August Hermann Francke: Historische Nachricht/ Wie sich die Zuverpflegung der Armen und Erziehung der Jugend in Glaucha an Halle gemachte Anstalten veranlasset/ eines aus dem andern gefolget/ und das gantze Werck durch Göttlichen Segen von An. 1694. biß A. 1697. im Monath Junio fortgesetzet und eingerichtet sey […]. [Frankfurt an der Oder] 1697, 59–65). Als abgeschlossener Teil einer ›historischen‹ Beschreibung ist diese Spenderliste aber noch nicht in dem Maße unter ein mit wirtschaftlichen Faktoren argumentierendes theologisches Programm subsumiert, wie das in den Fußstapfen der Fall ist. 20 Vgl. AFSt/W, Rep. 2, VI c/274/1 ff. – Am Anfang des im November 1699 begonnenen Rechnungsbuches heißt es: »Den 24ten November 1699 ist von dem Herrn Professor Francken verordnet worden, daß/ um beßerer Ordnung willen/ allein die Ausgaben in diesem Buche auffgeschrieben, und die Einnahmen nicht, wie bißhero geschehen, darzwischen gesetzt werden sollen«. AFSt/W, Rep. 2, VI c/274/3, (S. 5). In einem gesonderten Buch sollten Einnahmen und Ausgaben gegenübergestellt werden. Entsprechende Überlieferungen existieren aber offenbar nicht. 21 Vgl. z. B. entsprechende Bemerkungen in den Wirtschaftsberichten, die G.A. Francke und J.A.

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Nichterwähnung der tatsächlichen Einkünfte der Direktoren war also Bestandteil des beschriebenen theologisch-ökonomischen Programms. Allerdings finden sich in den Akten durchaus Spuren der Tatsache, dass in Sachen ›ökonomischer Segen‹ teils offenbar auch intensiv ›nachgeholfen‹ wurde. Namentlich in seiner Glauchaer Gemeinde übte Francke hinsichtlich des günstigen Verkaufs von Immobilien und der Überlassung von Erbschaften an das Waisenhaus via Kirchenzuchtmaßnahmen wohl auch erheblichen Druck aus. Dies berichteten Glauchaer Gemeindeglieder bei einer Befragung durch ihre Richter im November 1699. Eine Frau zum Beispiel, die zusammen mit ihrem Mann bereits zwei Jahre lang nicht mehr zum Abendmahl zugelassen worden war, meinte, dies habe Francke damit begründet, dass sie sich vom Bierausschank ernährten. Die eigentliche Ursache, so vermutete sie, sei aber, »daß ihr Mann Herrn M. Francken sein Hauß, darumb er lange gehandelt, nicht wohlfeil verkauffen wollte«.22 Ein Knopfmacher berichtete, er sei seit dem letzten Weihnachtsfest nicht mehr zum Abendmahl zugelassen worden, weil Francke meine, dass er seine Frau, eine Witwe, »nicht aus Liebe, sondern aus Begierde zu ihrem gelde geheyrathet« habe.23 Schon während der Zeit des Aufgebots hatten Francke und sein Pfarradjunkt Johann Anastasius Freylinghausen dem Paar mit drastischen Kirchenzuchtmaßnahmen gedroht. Als die Hochzeit dann doch vollzogen worden sei, habe Freylinghausen sie vom Beichtstuhl abgewiesen mit dem Hinweis, dass er ihnen in der Trauung nicht den Segen gegeben, sondern einen Fluch auferlegt habe. Der Knopfmacher vermutete, es müße diese Verbitterung wohl keine andere Uhrsache haben, dann daß Herr Professor Francken seine Hofnung, ob würde sein Weib, wenn Sie in Witben Stande verstorben, gleich wie sein Vorwirth mit 100 Reichsthalern albereit gethan, Ihr weniges Vermögen dem Waisen Hause laßen, [da(s)] durch die Heyrath, zu waßer werden [sic!] […].24

Wie grundlegend und nachhaltig die Nichtoffenlegung der Einkünfte des Waisenhauses zu Franckes Programm gehörte, zeigte sich auch beim Besuch des neuen Königs Friedrich Wilhelm I. im Waisenhaus am 12. April 1713. Offenbar hatte Francke diesem auf diesbezügliche Fragen nicht geantwortet, denn in einem im Nachgang zu diesem Besuch am 15. April verfassten Brief erklärte er:

Freylinghausen nach A.H. Franckes Tod im Herbst 1727 zur Vorlage beim Hof mit nach Berlin nahmen, AFSt/W, Rep. 1, II/-/20 (unpaginiert). 22 GStA PK, HA I, Rep. 52, Nr. 128 a 1, 1689–1731, Bl. 286r; zit. nach Veronika Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha. Kehrseiten eines Klischees (1692–1704). Tübingen 2004, 61. 23 GStA PK, HA I, Rep. 52, Nr. 128 a 1, 1689–1731, Bl. 286v, zit. nach Albrecht-Birkner, Francke (wie Anm. 22), 61. 24 GStA PK, HA I, Rep. 52, Nr. 128 a 1, 1689–1731, Bl. 287v.

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Übrigens da Ew[r]e Königliche Majest[ät] etliche mal gefraget, woher doch die großen Unkosten und das Geld käme, hätte ich darauf gerne Denenselben mehr Satisfaction gegeben, welches aber wegen Gegenwart anderer Personen, von denen nicht versichert war, wie sie gesinnet, die auch theils meine Worte unrecht verstehen, und darnach anders austragen möchten, nicht bequemlich geschehen können.25

Da sich Francke anlässlich des auf den 1. Mai angesetzten Begräbnisses von Friedrich I. als Vertreter der Universität Halle »etliche Tage in Berlin aufhalten« müsse, wünsche er aber »wol von Hertzen die Höchste Gnade zu haben«, dem König »desfals beßere Satisfaction zu geben, absonderlich da ich versichert bin, daß Ew[r]e Majest[ät] die wahrhaftige Erzehlung sehr notabler Umstände nicht ohne plaesir vernehmen und selbst Gott darüber loben würden«.26 Die Folgen dieses in der Außendarstellung so stark auf wunderbare ökonomische Erfolge setzenden Konzepts waren für den hallischen Pietismus auf Dauer keineswegs nur vorteilhaft. So entstanden z. B. Gerüchte. Jedenfalls berichtet Johann Salomo Semler in seiner Lebensbeschreibung über Erzählungen »von der ersten Zeit der Stiftung des Waisenhauses her, daß es einzele [sic!] Personen gegeben, die den Proceß allerdings in Händen gehabt, und zuweilen, wenn es auf einmal an Geld gefelet, so und so viel Gold schaffen können«.27 Eine solche Erzählung musste Semler, der bekanntlich Interesse am ›Goldmachen‹ hatte, natürlich faszinieren. Schwieriger war der sich nachhaltig etablierende Vorwurf undurchschaubarer und unlauterer Wirtschaftsführung und – damit verbunden – die Meinung, die Franckeschen Anstalten verfügten über nahezu unbegrenzte finanzielle Reserven. Dies wirkte sich insbesondere ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ungünstig aus, als auch die Halleschen Anstalten vor allem durch die wirtschaftlichen Folgen des Siebenjährigen Krieges in arge finanzielle Bedrängnis kamen. Denn jetzt musste man offensiv um Spenden bitten – doch keiner wollte den Stiftungsdirektoren abnehmen, dass sie für die Anstalten nicht eigentlich doch noch ein ausreichendes finanzielles Polster besaßen und dies nur verschwiegen. So berichteten G.A. Francke und J.G. Knapp in einem Memorial an den König vom Beginn des Jahres 1761, in dem sie um finanzielle Unterstützung des Waisenhauses baten, es habe ihnen in »solchen ohnehin bedrängten Umständen« »nicht anderst als schmertzlich fallen können, daß wir bey den Überfällen von 1759. und 1760. zu unserm Leidwesen erfahren müßen, wie sowohl einige vom Magistrat, als auch manche der hiesigen Einwohner, aus einer grundirrigen Einbildung« behauptet hätten, es gebe beim Waisenhaus einen »Vorrath und Überfluß«, und dieses deshalb »mit unerschwinglichen und unbilligen Forderungen und praessationen« beschwert hätten.28 Man habe 25 A.H. Francke an Friedrich Wilhelm I., 15. 4. 1713. GStA PK, HA I, Rep. 52, Nr. 131 b 2, 1698–1755, Bl. 306r-309v, hier: 308v. 26 Ebd., Bl. 308v–309r. 27 Johann Salomo Semler: Lebensbeschreibung von ihm selbst abgefaßt. Teil 1. Halle 1781, 327. 28 GStA PK, HA II, Abt. 15, Tit. 113, Sek. XII, Nr. 1, 1698–1877, Bl. 91–93r (Abschrift), hier Bl. 91r/v.

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sogar versucht, »die feindlichen Chefs und das Commissariat mit dem verfänglichen Vorgeben einzunehmen, und noch schwerere Bedrückung« zu erreichen.29 Ziel dieses Vorgehens sei es gewesen, der Stadt die von den Feinden geforderten Summen »theils baar, theils durch Wechsel und Credit« vom Waisenhaus zu verschaffen und auf diese Weise »der gemeinen Noth auf einmahl ab[zu]helffen«.30 Da auch künftig »von der Gesinnung mancher hiesiger Einwohner schwerlich etwas beßers zu erwarten seyn dürffte«, bitte man um königliches Eingreifen: Der König solle dem Halleschen Magistrat befehlen, das Waisenhaus künftig nicht mehr zu gefährden »noch auch sonst zur Ungebühr und Hinderung seiner bisherigen Fortsetzung durch übertriebene und unerschwingliche Zumuthungen [zu] beschweren«.31 Man sei jederzeit bereit, überzeugend darzulegen, dass das Waisenhaus stets »zur möglichsten Erleichterung der gemeinen Noth der Stadt beygetragen habe«, aber über keine den eigenen Bedarf überschreitenden Vorräte verfüge.32 Vor allem wolle man bezeugen, dass nicht das Waisenhaus der Stadt die Nahrung entziehe und ihr insofern von Nachteil sei, sondern daß vielmehr umgekehrt die Nahrung der gantzen Stadt von den Anstalten augenscheinlich einen so ansehnlichen und beträchtlichen Zugang habe, daß der Ruin oder auch nur die Abnahme derselben einer der empfindlichsten Stöße auf mehr denn einerley Art seyn würde, den sowohl das Interesse E[urer] K[öniglichen] M[ajestä]t als auch die Nahrung der Stadt, und das wahre Beste des gesamten hiesigen gemeinen Wesens erleiden könte.33

Im Siebenjährigen Krieg zeigten sich also erhebliche Spannungen zwischen den Franckeschen Anstalten und der Stadt Halle, die ein grundlegendes ökonomisches Konkurrenzverhältnis offenbarten. Dabei spielte eine entscheidende Rolle, dass der Hallesche Magistrat und zumindest ein Teil der Bürgerschaft im Waisenhaus ausreichende finanzielle Mittel vermuteten, um die Kriegsbelastungen von der Stadt abzuwälzen. Interessanterweise funktionierten die Verbindungen der Stiftungsdirektoren nach Berlin an dieser Stelle aber noch einmal wie in alten Zeiten: Der Magistrat wurde angewiesen, das Waisenhaus bei aller Gelegenheit zu unterstützen und keinesfalls etwas zu veranlassen, was diesem nachteilig sein könnte.34 Schon wenige Jahre später war es dann aber der Berliner Hof selbst, der von den Anstalten eine Offenlegung der finanziellen Lage forderte – und zwar auf

29 30 31 32 33 34

Ebd., Bl. 91v. Ebd. Ebd., Bl. 92v. Ebd., Bl. 93r. Ebd. Reskript an den Magistrat der Stadt Halle, 20. 2. 1761. GStA PK, HA II, Abt. 15, Tit. 113, Sek. XII, Nr. 1, 1698–1877, Bl. 94r.

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indirektem Wege. Im Zuge einer Offensive vom 30. Juni 176835 gegenüber den Universitäten Preußens, jährlich ihre Rechnungen einzusenden, erging an die Universität Halle der Befehl, auch vom Waisenhaus als Annexum der Universität eine vollständige Rechnungslegung zu verlangen. Dieser Vorgang traf bei den Direktoren der Franckeschen Anstalten natürlich schon aus formalen Gründen auf Widerstand. Im Blick auf das Anliegen der Rechnungslegung selbst holte der Justitiar des Waisenhauses, Johann Christoph Schütze, zunächst einmal zu einer breiten Darstellung des öffentlichen Nutzens und der internationalen Bedeutung der Anstalten aus: A.H. Francke habe bey Anrichtung dieser Anstalten den lautern Gedancken gehabt, das wahre Christenthum zu befördern und auszubreiten, für dero Königliche Lande und auswärtige Staaten, gute Bürger, gehorsame Unterthanen, und tüchtige Männer für KirchenSchul- und Policey Aemter durch einen sowohl christlichen als gelehrten Unterricht zu erziehen […].

Und das gegenwärtige Direktorium habe es sich stets »angelegen seyn laßen, seinen [A.H. Franckes, Anm. d. Verf.in] Fußtapfen [!] treulich zu folgen«. Dabei sei es durch göttlichen Beistand gelungen, »daß von Zeit zu Zeit nicht nur in alle Gegenden von Europa, sondern auch nach Asien und America geschickte Männer […] aus diesen Anstalten verlanget« worden seien. Deshalb sei noch eine »große Menge von Jüngern […] allenthalben am Leben, welche ihre Wolfart dem hiesigen instituto verdanken«. Darüber hinaus seien die Verbindungen der Franckeschen Anstalten nach West- und Ostindien und die den preußischen Landen dadurch zukommende Würdigung von erheblicher politischer und wirtschaftlicher Relevanz. Für den ›Wirtschaftsstandort‹ Halle sei zu beachten, dass durch die Ausgaben des Waisenhauses jährlich etwa 120.000 Taler in Umlauf gebracht würden; zudem kämen »ansehnliche Summen« durch Studenten und Schüler nach Halle. Angesichts des Nutzens und der Bedeutung der Anstalten sei man umso bekümmerter, »ein Institutum, so lediglich zur Ehre Gottes und allgemeiner Wohlfart angerichtet worden, und bey seiner bisherigen Verfaßung und administration nun über 70. Jahre in Segen bestanden, der Gefahr des Verfalls und einer nachtheiligen Veränderung exponiret zu sehen«. Denn dies sei aufgrund der geforderten Rechnungslegung zu befürchten. Man müsse ja bedenken, dass Aufbau und Erhaltung eines solchen Werkes nur dadurch möglich gewesen seien, dass der Stiffter solches bloß in Vertrauen auf Gott ohne vorräthige Mittel angefangen, und daß der Herr Himmels und der Erden […] seinen seltenen Glauben also legitimirt hat, daß er ihm Gönner und Freunde aus allen Gegenden erwecket, welche seine Unter-

35 Vgl. das entsprechende Reglement in AFSt/W, Rep. 1, XVI/I/3 (unpaginiert). Aus dieser Akte stammen auch die folgenden Zitate.

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nehmung durch milde Gaben, Geschencke und Vermächtniße, auch großentheils anonymischen, und ohne bekant seyn zu wollen, dergestalt secundirt haben,

dass er große Teile der anfallenden Kosten davon habe bestreiten können. G.A. Francke habe das Werk so fortgeführt und erweitert. Aus alledem gehe klar hervor, »wie hochnothwendig es sey, das Vertrauen des Publici zu observiren, und das Werck in seiner bisherigen Verfaßung zu laßen«. Dies aber betreffe insbesondere den Verzicht auf eine Offenlegung des Rechnungswesens. Diese, so schob Schütze vorsichtshalber nach, sei auch rein praktisch gar nicht möglich, weil »bey und von dem Waisenhause kein gewißer und fixer Rechnungs Etat formirt werden kan, indem Teils die vornehmsten Einnahmen deßelben angezeigter maßen auf ganz ungewißen und veränderlichen Fonds beruhen, teils die Ausgaben großenteils ebenfals veränderlich sind, und sich nach den ereignenden Umständen richten müßen«. Hinzu käme ein erheblicher praktischer Aufwand, der letztlich »von keinem Nutzen« sei. Das Publikum und die Freunde und Wohltäter würden »irre gemacht« und veranlasst, »sich zurück [zu] ziehen«. Man flehe des Königs »geheiligte Person« deshalb um Dispensation von der Rechnungslegung an und könne dabei versichern, dass Gott dies »dem gantzen hohen Königlichen Hause zum Seegen wird gereichen laßen«. Hier wird also ganz deutlich, in welchem Maße die Nichtoffenlegung der Rechnungen des Waisenhauses gewissermaßen zu einem Identitätsmerkmal der Anstalten geworden war, das man auch und gerade im Rekurs auf die Anfänge mit aller Kraft zu verteidigen suchte. In einem Binnenlauf an G.A. Francke brachte Justitiar Schütze das hier wahrgenommene Bedrohungspotenzial auf den Punkt: Gott wache auf, und komme seinem Wercke zu Hülff. Ich leide hefftige Kämpfe mit dem Unglauben, ob ich schon weiß, daß der alte Gott dieses Werck aus nichts so zu reden hervorgebracht, und den Glauben des seeligen Stiffters damit gekrönet, auch weiß, daß der König der Ehren, Jesus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit ist, seine Allmacht nicht ausgezogen, sondern damit noch bekleidet ist, schützen und retten kan, wenn er will; so ist doch mein elendes Hertz von Unglauben, Furcht und Angst benebelt, daß ich beständig schreyen muß: HErr hilff meinem Unglauben, und laß das Licht aus der Finsterniß aufgehen.

In seinem Reskript vom 3. Mai 1769 wies der König allerdings alle Einwände gegen die geforderte Rechnungslegung zurück. Da dem Oberkuratorium an Wachstum und Erhaltung sowie dem guten Ruf des Waisenhauses stets gelegen sei, falle, so wurde aus Berlin argumentiert, die Besorgniß desjenigen Nachtheils weg, so ihr aus Bekantwerdung dieser genauern Einsicht in Eure Anstalten, vornehmlich in auswärtigen Landen, schöpfet, wenn Ihr nur selbst nicht Unsere Landesväterliche dabey habende Intention der genauesten Befolgung der Fundations-Gesetze misdeutet, und dadurch auch bey andern Mistrauen wecket.

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Vielmehr werde das Vertrauen in die Anstalten noch wachsen, wenn eine jährliche neutrale Wirtschaftsprüfung nachgewiesen werden könne. Die Akte enthält dann tatsächlich eine Rechnungsübersicht der Hauptkassenrechnung des Waisenhauses über sechs Jahre unter der Überschrift »Ohngefährer und ungewißer Etat des Hallischen Waisenhauses«. Dazu findet sich die Erläuterung: »Weiln die Anstalten des Waisenhauses auf göttlicher Vorsehung lediglich beruhen, und nichts dotiert, und deßen Zugänge veränderlich sind, mithin auch nichts gewißes in seinen Einnahmen zum voraus rechnen kan, und dahero die Ausgabe sowohl als die Einnahme steigend und fallend ist«, habe man eine sechsjährige Rechnung extrahiert und daraus die jährlichen Einnahmen und Ausgaben im Durchschnitt errechnet. Im Grunde verweigerte man also nach wie vor die geforderte Offenlegung der Rechnungsführung, worauf in einem Reskript vom 4. Juli 1769 dann auch bemängelt wurde, dass die von der Oberrechnungskammer »gemachte Notata sehr leger beantwortet« worden seien. Angesichts der enormen und nachhaltigen Bedeutung, die die wunderbare ökonomische Erhaltung der Franckeschen Anstalten für das Selbstverständnis der Halleschen Pietisten gewonnen hatte, verwundert es nicht, dass erste vorsichtige Versuche einer neuen Werbung für die durch Spener angestoßene ›Erweckung‹ ab den 1770er Jahren – der Begriff »Pietismus« wurde zunächst vermieden – speziell auch dieses Thema einbezogen. So heißt es in einer Darstellung von Franckes Leben in einer exemplarischen Predigerbiografiensammlung in unmittelbarer Rezeption der Intention der Fußstapfen: Es ist wahr, es wurden Frankens Unternehmungen durch immer neue Zuschüsse von milden und reichen Beyträgen unterstützt, aber auch nur unterstützt –, denn es wurde der Plan dazu niemals erst alsdenn entworfen und zur Ausführung gebracht, wenn ihn dazu ein hinlänglicher Vorrath muthig machte.36

Freilich habe Gott durch diese Zuschüsse den Mangel nicht selten gerade am Tag der Lohnauszahlung ersetzt. Deshalb müsse man »mit der größten Rührung, in jenen Nachrichten die erzehlten augenscheinlichsten Beweise göttlicher Vorsehung und Vorsorge, die dies Werk fördert, lesen«.37 In der zweiten Hälfte der 1780er Jahre trafen in Berlin erneut Klagen über die wirtschaftliche Situation der Franckeschen Anstalten ein. So wandten sich die Direktoren am 14. Januar 1786 mit einem Bericht über die schwierige Lage und Bitte um Unterstützung an den König.38 Dabei betonten sie wie am Beginn der 1760er Jahre, dass »das Publicum großentheils in der falschen Einbildung stehet, daß das Waisenhaus sehr reich sey, und großen Überfluß habe«, wes-

36 Nachrichten von dem Charakter und der Amtsführung rechtschaffener Prediger und Seelsorger. Bd. 4. Halle 1777, 1–40, hier: 23. 37 Ebd., 34 f. 38 GStA PK, HA I, Rep. 52, Nr. 131 b 2, 1756–1804, Bl. 229 f. Das folgende Zitat Bl. 229r.

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halb in den letzten Jahren nur wenige es noch unterstützt hätten. Doch die erbetene finanzielle Hilfe blieb aus. Stattdessen trafen aus Berlin schließlich neue Anweisungen zur Kontrolle des Rechnungswesens des Waisenhauses ein. Am 23. Februar 1790 teilte Woellner der Universität mit, dass sich laut Anzeigen, die der Oberrechnungskammer zugekommen seien, das Rechnungswesen des Waisenhauses »in großer Verwirrung befinden« solle.39 Diese sei vor allem durch den kürzlich verstorbenen Provisor Sebastian Fabricius als Aufseher der Cansteinschen Bibelanstalt verursacht worden, der seit 1768 keine Rechnungen mehr abgelegt und große Summen »ohne gehörige Sicherheit« verliehen habe. Überhaupt solle sich das »Oeconomie-Wesen« des Waisenhauses »in gefährlichen Umständen befinden«. Rechnungen der Hauptkasse sowie verschiedene Spezialrechnungen seien seit 1786 trotz Ermahnungen nicht mehr eingesandt worden. Man habe deshalb den Universitätssyndikus Hermann Benjamin Dryander damit beauftragt, mit Zuziehung eines »Rechnungs-Verständigen, das Oeconomie-Wesen des Waisenhauses zu recherchiren« – insbesondere die Rechnungen von der Cansteinschen Bibelanstalt seit 1768 anzufertigen und die vorrätigen Bestände aufnehmen zu lassen, die Sicherheit der verliehenen Kapitalien zu untersuchen, den Etat der Hauptkasse anzufertigen und sofort das Nötige zur Sicherheit der Kasse zu veranlassen. Innerhalb von sechs Wochen solle der entsprechende Bericht vorliegen. Dies werde der Universität zur Nachricht mitgeteilt – verbunden mit dem Befehl, Dryander bey dieser Recherche, die erforderliche Auskunft unweigerlich zu geben, auch denselben vorkommenden Falls, gehörig zu unterstützen; das Waisen-Haus-Directorium aber anzuweisen, die rückständigen Rechnungen binnen 6. Wochen einzusenden, oder zu gewärtigen, daß Wir selbige auf Kosten der Säumigen, anfertigen lassen werden.

Semler als amtierender Prorektor notierte auf dem Schreiben aber nur, dass es nach Kommunikation unter den Professoren zu der die Anstalten des Waisenhauses betreffenden Akte zu legen sei. Offenbar sah er es nicht als notwendig an, sich in Sachen Waisenhaus besonders zu engagieren, was für eine deutliche Distanz zwischen den Institutionen spricht. Es verwundert nicht, dass August Hermann Niemeyer, als er mit seinen Kollegen aus dem Waisenhausdirektorat 1792 mit der Publikation von Frankens Stiftungen, einer Zeitschrift zum Besten vaterloser Kinder eine neue Offensive zur Einwerbung von Spenden startete, wieder bei Franckes Fußstapfen ansetzte. Dabei schickte er den abgedruckten Auszügen die Feststellung voran, dass trotz unterschiedlicher Urteile über Francke nie jemand »die historische Richtigkeit seiner Erzählungen, von dem Entstehen seiner mannichfaltigen Stiftungen, und namentlich von der fast beyspiellosen Wohlthätigkeit, durch 39 Universitätsarchiv Halle, Rep. 3, Nr. 39. Hier auch die folgenden Zitate.

Die Fußstapffen […] GOTTES

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die sie gegründet und erweitert wurden, in Zweifel gezogen« habe.40 Er fährt fort: Es tragen auch wirklich die Nachrichten so sehr das Gepräge der Wahrheit; die Thatsachen sind so einfach edel, ohne allen Aufwand von Worten aufgezeichnet, daß schon dadurch selbst der, welcher den Mann weniger von Seiten seines Characters kennte, zu keinem Zweifel versucht werden dürfte. Auch würde man, wenn man jene Wohlthätigkeit unglaublich finden wollte, die Entstehung des weitläuftigen Werks, und die Ausführung des großen Plans noch weit unbegreiflicher finden müssen.41

In rhetorisch geschickter Weise warb Niemeyer also für die Glaubwürdigkeit von Franckes Angaben in den Fußstapfen, um fast einhundert Jahre nach deren Erscheinen potenzielle Spender zu werben. Offensichtlich war es auch zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, Auszüge aus den Fußstapfen abzudrucken und auf deren selbstredende Aussage zu setzen, ohne vorab eindringlich deren (und damit zugleich die eigene) Glaubwürdigkeit zu beteuern. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Der von Francke geformte Topos, dass sich namentlich in der wunderbaren wirtschaftlichen Entwicklung und Erhaltung der Anstalten Gottes Segen beweise, gehörte zu den zentralen und nachhaltigsten Traditionsbildungen des hallischen Pietismus. Zweifellos hat Franckes Darstellung der Geschichte der Anstalten in den Fußstapfen vor allem unter diesem ökonomischen Aspekt eine hohe Faszination ausgeübt und Spender zur Unterstützung motiviert. Dabei war die Tatsache, dass diese anonym blieben, offensichtlich attraktiv. Das gesamte 18. Jahrhundert hindurch existierte wohl keine Rechnungslegung, der man die Aus- und vor allem Eingänge vollständig hätte entnehmen können. Auf der anderen Seite – bei denen, die den Anstalten weniger freundschaftlich verbunden waren – führte diese in der öffentlichen Darstellung stark betonte, ökonomisch dominierte WunderTheologie zur nachhaltigen Etablierung des Vorwurfs undurchsichtiger und letztlich unlauterer Wirtschaftsführung. Dieser dürfte durch das Weitererzählen von Franckes faktisch durchaus aggressivem Wirtschaftsgebaren insbesondere in Glaucha42 noch verstärkt worden sein. Das Problem war, dass diese Art des Umgangs mit Geld für die öffentliche Wahrnehmung der Halleschen Anstalten eine offensichtlich so konstitutive Rolle spielte, dass sie diesen spätestens ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, als sich die finanziellen Möglichkeiten im Zuge und im Ergebnis des Siebenjährigen Krieges deutlich einschränkten, sozusagen auf die Füße fiel. Denn nun konnte man gegenüber der sich ebenfalls in hoher finanzieller Not befindlichen Stadt Halle, dann auch gegenüber der Berliner Regierung und letztlich 40 Frankens Stiftungen. Eine Zeitschrift zum Besten vaterloser Kinder. Hg. v. Johann Ludwig Schulze, Georg Christian Knapp u. August Hermann Niemeyer. Bd. 1. Halle 1792, 53. 41 Ebd., 53 f. 42 Vgl. hierzu außer den bereits benannten Beispielen Albrecht-Birkner, Francke (wie Anm. 22), passim. Das eklatanteste Beispiel stellen die Vorgänge um den Bau des Waisenhauses selbst dar (vgl. ebd., Kap. 6).

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gegenüber potenziellen Spendern nicht plausibel machen, dass das Waisenhaus entgegen anders lautenden Meinungen und Gerüchten tatsächlich in finanzieller Not war. So erklärt es sich, dass Niemeyer neunzig Jahre nach dem Erscheinen der Fußstapfen bei diesen noch einmal ansetzte und den zur Spendenwerbung auszugsweise abgedruckten Beispielen eindringliche Beteuerungen der Glaubwürdigkeit der Darstellung voranstellte.43 Geholfen hat das nicht – das Erscheinen der Zeitschrift wurde, da Spenden im erhofften Maße ausblieben, 1796 eingestellt. Dabei hatte sich die wirtschaftliche Lage der Anstalten durch erschwerten Absatz von Büchern und Medikamenten und durch die Folgen eines Brandes in den Stiftungen im Dezember 1795 noch weiter verschlechtert. Es muss offen bleiben, ob die damaligen Direktoren die schwierige ökonomische Situation im Sinne von Franckes Fußstapfen zugleich als Entzug göttlichen Segens für die Anstalten deuteten – oder ob sie zu anderen Überzeugungen im Blick auf den Zusammenhang von Theologie und Ökonomie gelangten.

43 Zu den Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. ausführlicher Veronika Albrecht-Birkner: Hallesche Theologen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Traditionen – Rezeptionen – Interaktionen. 2 Bde. Halle 2019, v. a. Kap. 5.1.

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Der Allmächtige wird dein Gold sein (Hi 22,25) Ökonomische Strukturen und theologisch motiviertes Wirtschaften in separatistisch-pietistischen Gemeinschaften in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 1. Einleitung und Fragestellung Warum sind Ökonomien separatistischer Pietisten für die Kirchengeschichte und für benachbarte Fächer interessant und weshalb fällt es vergleichsweise schwer, diese Wirtschaftsweisen mit heutigen (neoklassischen) ökonomischen Theorien zu fassen bzw. zu beschreiben? Mögliche Zugänge zur Beantwortung dieser Fragen können Einsichten aus der Ethnologie bieten. Der von mir vorgeschlagene Rückgriff auf die (Wirtschafts-) Ethnologie erfolgt hier nicht aufgrund einer vermeintlich thematischen ›Exotik‹, sondern ergibt sich aus der Tatsache, dass die meisten indigenen Gesellschaften eine Unterscheidung zwischen einer sakralen und profanen Sphäre nicht kennen oder vornehmen. Auch den hier beschriebenen Pietisten wird diese dichotome Weltsicht unbekannt gewesen sein. Somit muss bei der Analyse separatistisch-pietistischer Ökonomien die substantivistische Prämisse des Wirtschaftsethnologen Karl Polanyi, wonach jede ökonomische Aktivität explizit als soziales Phänomen aufzufassen sei, Gültigkeit haben.1 Polanyi zufolge kann wirtschaftliches Handeln nicht unabhängig von gesellschaftlichen Strukturen (Verwandtschaft, Netzwerk, soziale Gruppe), geteilten Überzeugungen (Religion, Mythologie, Werte) und Institutionen (Politik, Regierung, Gerichtsbarkeit) verstanden werden. Vielmehr ist die Wirtschaft in die übrigen gesellschaftlichen Kontexte eingebettet (embeddedness).2 Dieser Zusammenhang zeigte sich bei den separatistischen Pietisten deutlich in der prägnanten Verknüpfung von spezifischen theologischen Konzepten, angestrebten Veränderungen des Sozialgefüges – auf Gruppen- und Gesellschaftsebene – und mit diesen verbundenen ökonomischen Konzepten. Wenn ökonomisches Handeln eng mit einem religiösen Kontext verwoben ist, dann ist – aus wirtschaftsethnologischer Perspektive – Wirtschaften immer auch »liturgisches Handeln«. Dies meint in der Ethnologie kultisches Handeln 1 Karl Polanyi: Trade and Market in the Early Empires. Economy in History and Theory. New York 1957. Die substantivistische Wirtschaftstheorie ist m. E. auch deshalb hilfreich, da sie moderne marktwirtschaftlich orientierte Gesellschaften klar von nicht-kapitalistischen/nicht-marktorientierten unterscheidet. 2 Vgl. Gareth Dale: Karl Polanyi. The Limits of the Market. Cambridge 2010, 197 f.

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innerhalb eines spezifischen Weltgeschehens (mythische Ontologie).3 Radikalpietistische Theologie und die aus ihr abgeleiteten ökonomischen Modelle waren Denk- und Handlungskonzepte, die nicht unabhängig voneinander existierten, sondern in direkter Wechselwirkung zueinander standen. Auf der (gesellschaftlichen) Makroebene unterhielten religiöse Nonkonformisten des 17./18. Jahrhunderts auf unterschiedliche Arten ökonomische Beziehungen. Auf der Mikroebene stellten die nonkonformistischen Gruppen eigenständige Kleinstgesellschaften dar, in denen eigene sozio-ökonomische Konventionen und Gesetzmäßigkeiten galten, die radikalpietistisch bzw. -theologisch determiniert waren. Diese unterschiedlichen Konventionen lassen sich in einem Kontinuum zwischen zwei Grundkonzepten verorten: Einerseits orientierten sich einige separatistische Pietisten rückwärtig an einem urgemeindlichen Ideal und lehnten die Anhäufung von Reichtum in der Gegenwart aus diesem Grund ab. Andererseits gab es separatistische Pietisten, die sich am Ideal der ökonomischen und gesellschaftlichen Gleichheit aller (frommen) Individuen in einer zukünftig (post-) millenaristischen Zeit im »Reich Christi« orientierten. Diese Haltung tritt noch in der quasi-kommunistischen Zukunftsschau Die Güldene Zeit oder Sammlung wichtiger Betrachtungen von etlichen Gelehrten zur Ermunterung in diesen bedenklichen Zeiten zusammen getragen (1759) des württembergischen Pietisten Friedrich Christoph Oetinger zutage.4 Die von Oetinger formulierten quasi-kommunistischen Ideen (Gleichheit sowie gleichberechtigte Partizipation aller gottesfürchtigen Menschen an allen materiellen Gütern) lassen eine Sehnsucht nach weniger komplexen Lebensbedingungen und Abhängigkeitsverhältnissen erkennen. Zugleich sind sie Ausdruck des Wunsches nach einem gottgefälligen Leben in einer frommen, solidarischen Überflussgesellschaft, die Geldwirtschaft nicht mehr nötig hat: Denn wenn alles im Ueberfluß da waere, so brauchte es keiner Herrschaft, Eigenthums, keiner gezwungenen und durch Herrschaft abgedrungenen Verbindlichkeit. Jeder wuerde willig seyn, dem andern zu reichen, wann er etwas noethig haette, ohne Obligation, hoechstens wuerde man eine mit der andern vertauschen, und kein Geld wuerde gar nicht im Gebrauch seyn.5

3 Thomas Bargatzky: Ethnologie. Eine Einführung in die Wissenschaft von den urproduktiven Gesellschaften. Hamburg 1997, 20. 4 Friedrich Christoph Oetinger: Die Güldene Zeit oder Sammlung wichtiger Betrachtungen von etlichen Gelehrten zur Ermunterung in diesen bedenklichen Zeiten zusammen getragen, Bd. 1. Frankfurt u. Leipzig 1759, 47–56. Der Kommunismus-Begriff kann in diesem Zusammenhang nur auf die Forderungen nach Abschaffung des Privateigentums und der Standesunterschiede sowie der Bildung von Gemeineigentum angewendet werden. 5 Oetinger, Güldene Zeit (wie Anm. 4), 54. Auch der Visionär Oetinger konnte sich keine gänzlich ständefreie Gesellschaft vorstellen. Gleichwohl hätten aber in der zukünftigen Welt alle Menschen »bey allem Unterschied des Standes eine Gleichheit unter einander« (ebd., 53).

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Eine eingehendere Beschäftigung mit Oetingers paradiesischer Zukunftsschau wäre für unsere Fragestellung lohnend, da hier die enge Verknüpfung von separatistisch-pietistischer Theologie und zukünftiger Heils-Ökonomie erstaunlich dicht beschrieben wird. Weil Untersuchungen zur Ökonomie und zum Umgang mit Geld innerhalb separatistisch-pietistischer Gemeinschaften des 17./18. Jahrhunderts bis heute ein Desiderat innerhalb der Pietismusforschung darstellen, kann dieser Beitrag nur einen ersten exemplarischen Einblick liefern. Im Fokus stehen hierbei die Gemeinschaft der Christusgeweihten (1703–1708) um Ernst Christoph Hochmann von Hochenau, die Evische Sozietät (»Buttlarsche Rotte«, 1700–1705) und die Zioniten in Ronsdorf (»Ronsdorfer Rotte«, 1737–1768). Dabei ist im Blick auf die Quellenlage vorab festzuhalten: Eindeutige Aussagen über das ökonomische Binnenverständnis separatistischer Gruppen sind deshalb schwierig, weil in den seltensten Fällen Aufzeichnungen (Rechnungsbücher o. ä.) vorhanden sind. Gerade das Nichtdokumentieren von Ausgaben und Einnahmen aus der Gemeinschaftskasse konnte, wie im Fall der Gemeinschaft der Christusgeweihten, explizit theologisch begründet sein und bereits einen konstitutiven Bestandteil theologisch motivierten Wirtschaftens ausmachen. In anderen Fällen haben wir lediglich Informationen aus der Feder der Gegner – z. B. über das »Commercium« bei den Ronsdorfer Zioniten, die aus der zeitgenössischen Schmähschrift Johann Werner Knevels stammen und mit entsprechendem Vorbehalt zu rezipieren sind.6 Angaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Evischen Sozietät findet man hingegen beim Advokaten der Gruppe Georg Friedrich Vergenius, der wiederum bei Christian Thomasius zitiert wird.7 Vergenius stellt ein Bindeglied zwischen den Christusgeweihten und der Evischen Sozietät dar, da er nicht nur die Evische Sozietät als Anwalt vertrat, sondern auch mit Hochmann von Hochenau befreundet war. Renkewitz wertet in seiner Arbeit zahlreiche Quellen aus diversen Archiven aus, die auch Auskunft über die ökonomischen Verhältnisse Hochmanns geben.8

6 Johann Werner Knevels: Geheimnis der Bosheit der Ellerianischen Secte zu Ronsdorff im Herzogtum Berg, worinnen derselben Irrtümer, Ursprung, Wachstum und Verfall entdecket werden. Nebst zweier Responsis Theologicis wegen Zauberei, der Apologie des Verfassers, und einigen Protocollen. Mit Approbation der Theol. Fac. zu Marburg […]. O.O. 1751. 7 Christian Thomasius: Vernünfftige und Christliche aber nicht Scheinheilige Thomasische Gedancken Und Erinnerungen Uber allerhand gemischte Philosophische und Juristische Händel. Dritter Theil. Halle 1725. 8 Heinz Renkewitz: Hochmann von Hochenau (1670–1721). Quellenstudien zur Geschichte des Pietismus. Diss. Leipzig 1935; ders.: Hochmann von Hochenau (1670–1721). Quellenstudien zur Geschichte des Pietismus. Witten 1969. Alle hier benutzten Belege beziehen sich auf die Originalausgabe von 1935.

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2. Drei Einblicke 2.1 Die Gemeinschaft der Christusgeweihten9 Grundgedanken und Etablierung Das Konzept der Gütergemeinschaft – wie es bei der Gemeinschaft der Christusgeweihten Anwendung fand – entstand unter Einflüssen von Johann Georg Gichtel und Johann Conrad Dippel, mit denen Ernst Christoph Hochmann von Hochenau Ende des 17. Jahrhunderts in Kontakt gekommen war.10 Von Gichtel übernahm Hochmann die Ideale der Ehelosigkeit als Hingabe zu Christus, der Verneinung von Arbeit und der Ablehnung der Vorsorge für den Lebensunterhalt.11 Darüber hinaus muss die chiliastische Schrift Johann Conrad Dippels Die Christen=Stadt auf Erden ohne gewöhnliche Lehr=, Wehr= und Nehr=Stand aus dem Jahr 1699 Hochmann geprägt haben. In ihr entwarf Dippel eine zukünftige Weltordnung, die mit allen althergebrachten Gesellschaftsverhältnissen (Ständeordnung) brechen würde. In dieser zukünftigen Welt würden die »Kinder Gottes«, die jetzt das Ideal der Christusnachfolge unter Verzicht auf die Sorge um das tägliche Brot lebten, als die legitimen Erben die zeitlichen Güter in Besitz nehmen.12 Faktisch sollten nach diesem Konzept die jetzt Besitzenden diesen wahren und daher armen »Kindern Gottes« aber Handreichung tun, indem sie sie materiell unterstützten. Dieser Haltung folgend, hatten viele Pietisten am Laubacher Hof keine Probleme damit, sich von der dortigen frommen Gräfin Erdmuthe Benigna aushalten zu lassen.13 Auch die Christusgeweihten profitierten auf ihren Missionsreisen von dieser Sichtweise, wenn sie sich als Kostgänger an frommen Grafenhöfen oder in Bürgerhäusern aufhielten. Die wahren Reichsgenossen Christi wirtschafteten nicht, sondern begnügten sich »in der Wüste mit dem Brod, so Gott gibt,

9 Zum Folgenden vgl. Renkewitz, Hochmann von Hochenau (wie Anm. 8). 10 Ebd., 41. 11 Das Festhalten an diesem Motiv zeigt sich u. a. daran, dass Gichtel in seinen Briefen an den Separatisten Dietrich Otto Schmitz versuchte, diesen dahingehend zu beeinflussen, kein Handwerk zu erlernen, was Schmitz, wenn er von seinem Pfarramt abgesetzt werden würde, auch tun wollte (vgl. ebd., 131). 12 Ebd., 45. Johann Conrad Dippel und Samuel König scheinen diesen Gedanken geteilt zu haben. König meinte, dass »im tausendjährigen Reiche die Frommen die Güter der Gottlosen besitzen werden« (ebd., 134). 13 Von Balthasar Klopfer wird berichtet, dass er immer mehr Menschen um sich sammelte, die schließlich nicht mehr ihrer Arbeit nachgingen, sondern sich vom Hof aushalten lassen wollten. Das Urteil der Gräfin über Klopfer fiel nüchtern aus: »mich deicht, man henge ihm den Brotkorb etwas höher, So kehrt er sich wider zu gott und kömt in die demuth, die ihm sehr noht tuht; es ist wohl zu beklagen, das die So meinen mitten in zion zu stehen, noch so weit zurück sint und den lester[ern] ursach zum ärgernus geben. got besere alles« (zit. nach ebd., 82 f).

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und mit dem Wasser aus dem Felsen«.14 Faktisch bedeutete diese ökonomische Verweigerung, dass sie darauf setzten, von reicheren Freunden ausgehalten zu werden. Um die Jahreswende 1703/04 gründete Hochmann in Schwarzenau bekanntlich sein »Laboratorium«, in dem sich die Gemeinschaft der Christusgeweihten konstituierte. Vermutet werden könnte, dass der Name »Laboratorium« auf alchemistische Versuche hindeutet, die zu dieser Zeit en vogue waren. Diese lehnte Hochmann aber zeitlebens mit der Begründung ab: »Der Allmächtige wird dein Gold sein und wie Silber, das dir zugehäuft wird« (Hi 22,25).15 Drei Vorbedingungen waren beim Eintritt in die Gemeinschaft zu erfüllen: Verzicht auf Eigentum, Arbeitsverweigerung und Rückzug aus jeglichem Untertanenverhältnis. Ehelosigkeit, wie von Gichtel vertreten und von Hochmann selbst zeitlebens eingehalten, wurde offenbar nicht gefordert. Das Grundprogramm der Gemeinschaft ist einem Brief Hochmanns an Georg Friedrich Vergenius in Wetzlar vom 25. Januar 1704 zu entnehmen: Mein in der Liebe Christi herzlich geliebtester Bruder! Was die Gemeinschafft anlanget, so haben wir uns mit Leib und Seel und Geist und mit allen unsern irdischen Gütern, gegenwärtig(en) und zukünftigen, Christo allein übergeben, und nach Jes. 44,5 uns dem Herrn unterschrieben, und sind wir noch gewillet, dasselbe fest zu halten. Keines Hauptes oder sogenannten Aeltesten haben wir nicht nötig, weil Christus allein unser Haupt ist. Äusserliche Dinge können wir leicht selbst beylegen und schlichten; dann was vor Geld ein jeder in die Gemeine bringt, daß wird von dem, so in die Gemeinschaft eintritt, selbsten, ohne daß man weiß, wie viel er hinterleget, in die gemeine Cassa geworffen, und das quantum gar nicht aufgeschrieben, es wird auch aus dieser gemeinschaftlichen Cassa ausgegeben, was täglich nöthig, ohne daß wieder davon etwas aufgeschrieben wird. Das Rechnungs=führen ist bey uns nicht nötig, weil 14 Johann Conrad Dippel: Eröffneter Weg zum Frieden mit Gott und allen Creaturen. Amsterdam 1709, 469–471. Das ›Wüsten-Motiv‹ wird bei den Ausführungen Hochmanns über die Wirtschaftsweise der Christusgeweihten erneut begegnen. Unklar bleibt in der Zukunftsschau Dippels, wie die Menschen überleben werden, wenn der Nährstand im Aureum Saeculum aufgehoben sein wird. Hatte er – ähnlich wie Oetinger – ein paradiesisches Schlaraffenland vor Augen? 15 Renkewitz vermutet, »daß die Bezeichnung ›Laboratorium‹ mit alchimistischen Versuchen zusammenhäng[en]« könnte. Diese Vermutung scheint sich auf das zeitgenössische Umfeld der Christusgeweihten zu beziehen, da Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt enge Kontakte zu Alchemisten in Laasphe und am Hof des Grafen in Wittgenstein pflegte (Renkewitz, Hochmann von Hochenau, wie Anm. 8, 184). Nicht vergessen werden darf, dass auch Johann Conrad Dippel der »goldmacherische[n] Praxis« nachging (vgl. Joachim Telle: Alchemie II. Historisch. In: TRE 2, 1978, 199–227, hier: 210). In diesem Punkt müssen sich Dippel und Gichtel stark voneinander unterschieden haben, da Gichtel die Alchemie und die Alchemisten verurteilte, die »um Brots und Goldmachens willen Christum zum König machen wollen […]. Wir können wol ohne Goldmachen, aber nicht ohne Glauben Gott gefallen« (Renkewitz, Hochmann von Hochenau, wie Anm. 8, 184). Warum aber Hochmanns Laboratorium in Verbindung mit alchemistischen Versuchen gestanden haben soll, wenn sich »Hochmann selbst […] nie an solchen Versuchen beteiligt [hat]«, bleibt bei Renkewitz widersprüchlich (ebd.).

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wir niemand zur Rechnung stehen als Christo, dem wir die Güter übergeben, weil sie auch ohne dem schon sein sind ex iure Creationis. Wir sind in dieser Gemeinschaft alle gleich und als Brüder und Schwestern anzusehen und erkennen keinen andern Meister als Christum, der zu des Vaters Rechten sitzet. […] Ist die Cassa erschöpft und ledig, so wagen wir es auf den Gott, der Israel in so viel 1000 Personen in der Wüsten ernehret hat, und glauben, daß er uns auch ernehren und nothdürfftig versorgen werde.16

In der Gruppe galt das Egalitätsprinzip. Die interne ökonomische Organisation erfolgte akephal, d. h. ohne Hierarchie und administrative Zuständigkeit. Die explizite Ablehnung des Rechnungsführens wurde theologisch begründet. Zugriffe auf die »Cassa« unterlagen einem persönlichen Vertrauensverhältnis und erfolgten lediglich zur Finanzierung des alltäglichen Lebensunterhalts.

Umsetzungen Die Gruppe der Christusgeweihten war sehr klein – die Größe schwankte zwischen vier und sechs (Kern-) Mitgliedern –, nicht-institutionell und fluide. Man wohnte nicht zwingend gemeinsam an einem bestimmten Ort. Hinzuzurechnen ist eine zahlenmäßig nicht fassbare Anhängerschaft, die Hochmanns Idealen folgte, ohne aber der Gemeinschaft beizutreten. Vielmehr war die Gemeinschaft der Christusgeweihten als »Versuch« gedacht, die Ordnung des Reiches Christi innerhalb einer sehr kleinen Gruppe als irdisch-politischen Weltgestaltungsentwurf zu realisieren.17 Verfolgt wurde ein eremitisches Leben in der Gemeinsamkeit. Deshalb stand bei der gelebten Gleichheit der Christusgeweihten nicht primär die Orientierung am Vorbild der Urgemeinde, sondern die je individuelle geistige und materielle Übereignung an Christus im Vordergrund.18 Die fluide Struktur, der theologische Individualismus und der Versuchscharakter bilden eine Erklärung für die rasche Auflösung der Gruppe im Jahr 1708. Die adligen Mitglieder der Wander-Hausgemeinschaft – der junge Graf Georg Hermann von Leiningen-Westerburg und dessen Mutter Gräfin Juliane Elisabeth – waren nicht vermögend, so dass die Gruppe schnell in »Geldverlegenheit geriet«.19 Anders verhielt es sich beim Gründer der Christusgeweihten. Ernst Christoph Hochmann von Hochenau entstammte einer bürgerlichen Familie. 1664 wurde der Vater Hochmanns per Adelsbrief in den Adelsstand 16 »Geben in dem Laboratorio bey Schwarzenau in der Grafschaft Witgenstein den 25. Jan. 1704« (zit. nach Renkewitz, Hochmann von Hochenau, wie Anm. 8, 187). 17 Ebd., 187. 18 Ebd., 189. 19 Ebd., 190. Ein weiteres Mitglied war zeitweilig »Ließgen« Gebhard. Ihre ökonomische Rolle als reiche Eisenacher Kaufmannswitwe bei den Christusgeweihten bleibt unklar bzw. wird von Renkewitz nicht weiter ausgeführt.

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erhoben. Dies erlaubte den Familienangehörigen die Verwendung des Namenszusatzes »von Hochenau«.20 So entsprach das öffentliche Erscheinungsbild und Auftreten Ernst Christoph Hochmann von Hochenaus weniger dem eines Bürgerlichen als vielmehr dem eines Adligen. Der Bäckermeister Jakob Schatz aus Frankenthal/Pfalz berichtete, dass er »durch den sehr bekannten Herrn Baron Hochmann von Hochenau« erweckt worden sei.21 Auch der Kleidungsstil Hochmanns muss auf seine Zeitgenossen adlig gewirkt haben, da er »Perücke, schwarze Weste und einen weißen Rock [trug], weshalb man ihn kurz den ›Weißrock‹ nannte«.22 Hochmann war nie beruflich tätig, konnte jedoch zeitlebens auf die Zinsen des väterlichen Erbteils zurückgreifen.23 Die jährlichen 200 Gulden aus seiner Apanage erlaubten ihm und seinem Diener (!) einen schlichten standesbewussten Lebensstil.24 Daraus ergibt sich, »daß man Hochmann nicht als notleidend ansehen kann, vorausgesetzt, daß er aus seinem väterlichen Vermögen auch die üblichen Zinsen erhalten hat«.25 Der Zugriff auf diese Geldmittel kam für die Gemeinschaft freilich erst dann in Betracht, wenn es zeitweilig an materiellen Zuwendungen von frommen Gönnern fehlte.26 Trotz des Egalitätsprinzips und der Verneinung des Untertanenverhältnisses legte Hochmann Wert auf standesgemäße Kleidung und Etikette, was ihn – jenseits seiner missionarisch-theologischen Botschaft – auch zum gern gesehenen Gast an den frommen Höfen machte. Hier predigte Hochmann dann über das Glück der Besitzlosigkeit und der Christusnachfolge.27 Diese wie bei Gichtel komfortable Form der Besitzlosigkeit war freilich für die meisten von Hochmanns Zeitgenossen unerreichbar. So führte seine Botschaft vielfach zu sozio-politischen Konflikten. Die gesellschaftspolitische Sprengkraft dieser Gedanken entfaltete sich unter Hochmanns Einwirken erstmals im Sommer 1702 im Lippischen. Fünf Handwerker, die in Kontakt mit Hochmann standen, verweigerten ihre Arbeit mit der Begründung, sie seien »keine lediggänger, sondern sie dienten Gott, und hätten sie damit ihre tägliche Arbeit«.28 Die Handwerker und Hochmann

20 Ulf Lückel: Ernst Christoph Hochmann von Hochenau (1669/70–1721). In: Wittgensteiner Pietismus in Portraits. Ein Beitrag zur Geschichte des radikalen Pietismus in Wittgenstein. Hg. v. Andreas Kroh u. dems. Bruchsal 2003, 73–77. 21 Renkewitz, Hochmann von Hochenau (wie Anm. 8), 229. 22 Ebd., 334. 23 Ebd., 39 f. Ob Hochmann sein Jurastudium mit einem Examen abgeschlossen hatte, ist unklar. Ab Ende 1693 scheint er keinem bürgerlichen Beruf mehr nachgegangen zu sein. 24 Ebd., 374 f. 25 Ebd. 26 Bezogen auf die Gemeinschaft der Christusgeweihten stellt sich die Frage, ob Hochmann seinen gesamten jährlichen Erbzins in die Cassa gegeben hat. 27 Renkewitz, Hochmann von Hochenau (wie Anm. 8), 335. 28 Zu den Handwerkern zählten: Johann Peter Iberfeld (Kaufmannsgeselle) aus Einkirchen/Trarbach, Johann Christian Weil (Barbier) aus Elsoff/Wittgenstein, Conrad Ludwig Brüning/Breu-

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wurden nach Weisung von Graf Theodor Adolf vorübergehend inhaftiert.29 Von den von Hochmann 1706 in Mannheim erweckten Ackerknechten wird z. B. berichtet, dass sie ihren Pflug verließen, um Gott allein nachzufolgen.30 Gleichfalls gab es in Frankenthal von ihm erweckte Handwerker, die mit den Zunftordnungen ihrer Gewerbe brachen und durch Auswanderungen Gewissensfreiheit in liberalen Reichsregionen (z. B. in der Wetterau) suchten.31 Offensichtlich klappte es bei diesen Handwerkern mit dem »Brot in der Wüste« und dem »Wasser aus dem Felsen« nicht so wie bei dem engsten Kreis der Christusgeweihten. Für die Handwerker bedeuteten Hochmanns Ideale zweifellos den Eintritt in den materiellen Verzicht, oftmals ohne finanzielle Sicherheiten in der Hinterhand. Das Vorgehen der Obrigkeit gegen die Pietisten und deren Versammlungen führte zu einem makro-ökonomischen Problem. In Frankenthal versuchten z. B. die konservativen Kräfte (Kirche, Obrigkeit, Zünfte) durch Gefängnisstrafen, Zwangsarbeit und Geldstrafen der pietistischen Konventikel Herr zu werden. Solche Strafaktionen hatten jedoch eine verstärkte Emigration pietistischer Handwerker und somit den Abzug familialer Vermögenswerte aus den jeweiligen Territorien zur Folge.32 Damit blendete die Obrigkeit den fiskalischen Aspekt zugunsten des religionspolitischen aus. Das heißt, dass dem territorialen Konfessionsfrieden – durch Bekämpfung der Konventikel – Vorrang vor der Abwanderung von Kapital gegeben wurde.33

2.2 Die Evische Sozietät34 Grundgedanken und Etablierung Das kommunitäre Zusammenleben und die Ökonomie der Evischen Sozietät wurden maßgeblich von den Vorstellungen Henrich Horchs und Samuel Königs beeinflusst, mit denen Eva von Buttlar 1699 in Eschwege in Kontakt kam.35 In seiner chiliastischen Schrift Das A und das O oder Zeitrechnung der ganzen heiligen Schrift von 1697 betonte Horch, dass der Beginn des Tausendjährigen Reiches unmittelbar bevorstehe. Der Untergang der Konfessionskirchen und die Errichtung einer überkonfessionellen philadelphischen Gemeinschaft

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ning (Bäcker) aus Wetzlar und Niclaus Schmithammer (Schusterknecht) aus Sulzbach/Pfalz (vgl. Renkewitz, Hochmann von Hochenau, wie Anm. 8, 167). Vgl. ebd., 168. Hochmann war von August bis Dezember 1702 inhaftiert. Ebd., 223. Ebd., 229. Ebd. Ebd., 229 f. Zum Folgenden vgl. Willi Temme: Krise der Leiblichkeit. Die Sozietät der Mutter Eva (Buttlarsche Rotte) und der radikale Pietismus um 1700. Göttingen 1998. Ebd., 96.

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seien nur noch eine Frage der Zeit. Arbeitsverweigerung forderte er nicht. Im Gegenteil sollten Handwerker gelehrt und Akademiker handwerklich tätig werden. Wie Horch übte auch Samuel König radikale Kirchenkritik. Die wiedergeborenen Christen sollten untereinander Gütergemeinschaft halten und keinem Handel oder Gewerbe nachgehen. Ferner hätten sich die Wiedergeborenen der Ehelosigkeit zu verschreiben.36 Die Evische Sozietät konstituierte sich im Jahr 1700 in Hessen, zunächst in den Städten Allendorf und Eschwege und ab 1703 in der Nähe des gräflichen Hofes in Saßmannshausen in der Grafschaft Sayn-Wittgenstein.37 Hier konnte die Gruppe mit Hilfe einer Kaution über 2.000 Reichstaler, die der wohlhabende Philipp Jakob Dilthey als Mitglied der Gruppe beisteuerte, einen Hof aus gräflichem Besitz anmieten.38 An der Spitze der Sozietät stand das spirituelle Elternpaar Eva von Buttlar (»Mutter Eva«) und Justus Gottfried Winter (»Vater Winter«). In Saßmannshausen wohnte man kommunitär mit etwa 21 Personen zusammen, die teilweise untereinander – wie die siebenköpfige Familie Scheibehenne aus Eschwege oder die adligen Schwestern von Callenberg – in verwandtschaftlicher Beziehung standen. Familiäre Bande spielten innerhalb der Sozietät jedoch keine Rolle, da das ›Elternpaar‹ darauf bedacht war, jegliche Untergruppen zugunsten der Gesamtgruppe aufzulösen.39 Nahezu sämtliche Mitglieder entstammten dem bürgerlich-städtischen oder höfischen Leben.40 Das ökonomische Organisationsprinzip basierte auf der Gütergemeinschaft.41 Die erlernten handwerklichen Berufe wurden von den Mitgliedern mit Eintritt in die Gemeinschaft nicht mehr ausgeübt. Vielmehr brachen sie mit ihrem bürgerlichen Leben, verkauften Haus und Hof, verließen ihre Heimatstädte und übereigneten alles der kommunitären Gemeinschaft. Anders als bei den Christusgeweihten, die keinen festen Wohnort hatten und lose miteinander verbunden waren, konzentrierte sich das Leben bei der Evischen Sozietät auf das bürgerliche Haus als soziale Basis.42

Umsetzungen Auch in ihrer Einstellung zur Arbeit unterschied sich die Evische Sozietät von den Christusgeweihten, da Arbeit nicht per se abgelehnt wurde. Das tägliche Auskommen wurde, ungeachtet der erlernten Berufe, durch Subsistenzwirtschaft wie Nähen, Stricken, Bewirtschaftung des Hofes, Garten- und Waldar36 37 38 39 40 41 42

Ebd. Ebd., 106. Ebd., 211. Ebd., 232. Ebd., 186. Ebd., 172. Ebd., 186.

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beit bestritten.43 Ob mit den erzeugten Überschüssen Handel getrieben wurde, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Finanziell konnte man auf die Vermögenswerte einzelner Gruppenmitglieder zurückgreifen. Ab 1704 schaffte es beispielsweise die Familie Scheibehenne mit der Veräußerung ihres privaten Vermögens (2.266 Taler), den Pachtzins des Hauses in Saßmannshausen zu bezahlen.44 Diese Zahlung war notwendig geworden, weil Dilthey – der mittlerweile mit der Gruppe gebrochen hatte, da er nicht in den innersten Kreis aufgenommen worden war – seine 2.000 Taler Pachtzins vom Grafen zurückverlangte und der Gruppe somit von gräflicher Seite die Räumung drohte.45 Die vormaligen Forderungen Diltheys nach Verzicht auf Reichtum und Verteilung unter die Armen traten aufgrund dieses Vorfalls in den Hintergrund.46 Eine gemeinsame »Cassa« wird es bei der Evischen Sozietät sicherlich gegeben haben. Ob aber alle Mitglieder gleichen Zugriff auf die Gemeinschaftskasse hatten, ist fraglich. Dies ist jedenfalls aufgrund der differenzierten Struktur der Gruppe zu vermuten: Trotz des egalitär-kommunitären Prinzips und der Güterteilung unter den Mitgliedern stand das spirituelle Elternpaar – und bekanntlich ja vor allem Eva von Buttlar – hierarchisch an der Spitze der Sozietät. Justus Gottfried Winter war nicht nur der spirituelle Vater der Gruppe, sondern kümmerte sich auch um die Einkäufe von Lebensmitteln.47 Eva von Buttlar und andere adlige Gruppenmitglieder hielten sich an die ständische Kleiderordnung. Zudem standen ihnen Mägde zur Seite.48 Die herausragende Position der Mutter Eva zeigte sich auch darin, dass sie als einzige keiner körperlichen Arbeit nachging. Sie begründete diesen Umstand mit ihrer adligen Herkunft und legte Wert auf eine standesgerechte Anrede.49 Eine Schlüsselposition bei der ökonomischen und juristischen Verwaltung nahm der in Wetzlar wohnende Jurist Vergenius ein. Mit Zugriffsrechten ausgestattet und im Auftrag der spirituellen Eltern – die sich gewiss mit den Kapitalgebern absprachen – veräußerte und verwaltete er die Vermögenswerte der Gruppenmitglieder.50 Somit spielte Vergenius für die Evische Sozietät eine wichtige Rolle und stellte eine ökonomische Verbindung zur Umwelt dar.51 Alle internen Mitglieder nebst dem Elternpaar lebten, ungeachtet ihres Standes, in Gütergemeinschaft. Wie aber eine gerechte Verteilung im Saßmannshauser Alltag stattfand, ob Einnahmen und Ausgaben notiert wurden 43 Ebd., 249 f. 44 Ebd., 232. Zum Vergleich: Ein Studium in Gießen kostete Anfang des 18. Jahrhunderts ca. 200 Taler. Der Unterhalt einer erwachsenen Person im Wittgensteinischen um 1726 kostete jährlich 33 1/3 Reichstaler. Der Tagesbedarf waren vier Albus (vgl. Temme, Krise, wie Anm. 34, 230). 45 Ebd., 229. 46 Ebd., 199. 47 Ebd., 246. 48 Ebd., 248 f. 49 Ebd., 246. 50 Ebd., 225. 51 Ebd., 229.

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und welches Personal mit diesen Aufgaben betraut war, ist nicht bekannt. Vorstellbar ist, dass aufgrund der herausragenden Stellung Eva von Buttlars und Justus Gottfried Winters die ökonomische Verwaltung von Gütern innerhalb der Evischen Sozietät redistributiv organisiert wurde. Dies meint, dass alle erwirtschafteten Produkte und Finanzmittel an eine Zentralinstanz (Buttlar und/oder Winter) abgegeben und von dort wieder an die Gruppenmitglieder verteilt wurden. Auch Vergenius in Wetzlar folgte diesem Prinzip, wenn er die Erlöse aus dem Besitz der Mitglieder von Wetzlar aus an die Gemeinschaft in Saßmannshausen schickte. Trotz Subsistenzwirtschaft, kleineren Geldspenden externer Mitglieder und der gelegentlichen Veräußerung von kapitalreichem Privatvermögen lebte die Gruppe bescheiden. Die finanziellen Mittel der Sozietät in Saßmannshausen waren gering, wogegen die Vermögenswerte einzelner Mitglieder in anderen Territorien des Reichs (v. a. in Hessen und Thüringen) zum Teil beträchtlich waren.52 Die stete Dringlichkeit der Kapitalbeschaffung zeigte sich auch daran, dass Eva von Buttlar während der erzwungenen Flucht aus Saßmannshausen 1704/05 einen Erb- und Testamentsstreit mit ihrer Mutter Ursula Maria von Buttlar führte. In diesem Streit ging es nicht nur um die Anerkennung der göttlichen Legitimität Eva von Buttlars durch ihre Mutter, sondern auch um handfeste materielle Interessen.53 Ob die finanzielle Situation der Sozietät aber wirklich so prekär war, muss bezweifelt werden. In Holzkästen, die bei der Festnahme der Gruppenmitglieder auf ihrer Flucht gefunden wurden, befanden sich nicht nur Nahrungsmittel, feine Kleidung und Haushaltsgegenstände, sondern auch Barvermögen von mehreren hundert Talern.54 Wie suspekt der kommunitäre Lebensstil und die Gütergemeinschaft innerhalb der Evischen Sozietät der Obrigkeit waren, belegen die Verhöre, denen sich viele inhaftierte Gruppenmitglieder 1705 in Laasphe unterziehen mussten. Neben Fragen nach den theologischen Auffassungen wurde auch explizit gefragt, ob es Gütergemeinschaft und Ablehnung von Privateigentum in der Gemeinschaft gebe.55 2.3 Die Ronsdorfer Zioniten Grundgedanken und Etablierung Für die Ökonomie der Elberfelder bzw. Ronsdorfer Zioniten sind vor allem die Umbruchsjahre 1736–1751 interessant, da in diesem Zeitraum der Auszug aus Elberfeld und die Stadt- bzw. Gemeindegründung in Ronsdorf stattfanden. 52 53 54 55

Ebd., 210. Ebd., 236. Ebd., 270 f. Ebd., 279. Hier die Fragen Nr. 25 und Nr. 26.

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Trotz ihrer nonkonformen Theologie, die stark vom Chiliasmus geprägt war, blieben die Zioniten bis zum Jahr 1751 Mitglied der reformierten Bergischen Synode.56 Bereits seit 1726 – also zehn Jahre vor der eigentlichen Umsiedlung – hatte die Bäckerstochter Anna Catharina vom Büchel (1698–1743) in ihren Elberfelder Prophezeiungen den Aufbau eines neuen Zions (Ronsdorf) und den Untergang Babels (Elberfeld) beschworen.57 Ihre Visionen prägten die Theologie, das Weltverständnis und das Selbstbewusstsein der Sozietät. Sehr wahrscheinlich wurde Anna vom Büchel, die weder begütert noch gebildet war, von den Schriften Jane Leades beeinflusst.58 Die Rolle Anna vom Büchels und der Organisationsgrad der Sozietät in den Anfangsjahren lassen sich nicht genau bestimmen.59 Spätestens ab 1734 – nachdem sich Elias Eller (1690–1750)60 von seiner ersten Frau Katharina Bolckhaus hatte scheiden lassen und Anna vom Büchel heiratete – nannten sie sich »Vater Zion« und »Mutter Zion« bzw. »Zionseltern« und ließen sich auch als solche von den Zioniten ansprechen.61 Ziel der Gemeinschaft war die Stadtgründung Ronsdorfs als neues Jerusalem mit einer eigenständigen Ökonomie und einem möglichst autonomen politischen Status.

Umsetzungen Die ökonomischen Vorbedingungen waren bei den Zioniten wiederum andere als bei den Christusgeweihten oder der Evischen Sozietät. Viele Mitglieder der Elberfelder Sozietät – hunderte Bürger zählten ab den 1720er Jahren zur Gemeinschaft – kamen aus dem gehobenen Bürgertum und verdienten ihr Geld im produzierenden Gewerbe (Stoffverarbeitung) und im Handel. Als die »Zionseltern« Elias Eller und Anna vom Büchel mit ihrem Gefolge 1737 den Umzug ins gelobte Ronsdorfer »Zion« antraten, verkauften viele Anhänger ihre Häuser und Manufakturen, die sie in Elberfeld besaßen. Wie stark die chiliastische Überzeugung der Neuankömmlinge das ökonomische Sicherheitsstreben überlagern konnte, zeigt ein Eintrag aus dem SchleyermacherManuskript vom März 1740: 56 Vgl. zu Ronsdorf Claus Bernet: Gebaute Apokalypse. Die Utopie des Himmlischen Jerusalem in der Frühen Neuzeit. Mainz 2007, 271–300, bes. 272. 57 Ebd., 275. 58 Ebd., 277 f. 59 Ebd., 272 f. 60 Zu Elias Eller vgl. Claus Bernet: Der lange Weg aus der Konfession in den radikalen Pietismus von Babel in das himmlische Jerusalem: am Beispiel von Leonhard C. Sturm, Elias Eller und »Chimonius«. In: Confessionalism and Pietism. Religious Reform in Early Modern Europe. Hg. v. Fred van Lieburg. Mainz 2006, 255–281. 61 Günter Twardella: Dem Geheimnis der verschollenen »Hirtentasche« Elias Ellers auf der Spur. In: Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 59, 2010, 67–80, hier: 71.

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Als sich Sebastian Lindert mit Frau vom baur ehelich verlobet u. befraget wurde was ihn bewege nach Ronsdorff zu ziehen da er doch in Elverfeld noch dreymahl so viel verdienen könnte u. zur antwort gab dass ihn weder geld noch frauenliebe sondern die liebe zu Gottes Volck u. das Verlangen mit demselben Gottes gnade zu geniessen hierzu angetrieben u. hierüber Z[ions]M[utter] […] d[er] 7 Mertz Bastian der Mann macht viele Zioniten beschämet mit seinem reden.62

Der bekannten Schmähschrift des ehemaligen Zioniten Johann Werner Knevels zufolge räumte Elias Eller der Akkumulation von Kapital höhere Priorität ein als der religiösen Gesinnung der Neu-Ronsdorfer: denn es kam dem Eller nunmehr auch nicht darauf an, obs eben fromme Leute wären, die sich nach Ronsdorf begäben, sondern er sahe nur darauf, daß sie brav Geld mitbrachten, und sich willigst unter das Joch dieses neuen Zions-Königs begaben: um sie aber hierzu zu bringen, brauchte er allerhand Mittel.63

Auch wenn diese Darstellung Ellers als reiner homo oeconomicus angezweifelt werden muss, wird Elias Eller bei einem Großprojekt wie einer Stadtgründung neben theologischen tatsächlich auch handfeste wirtschaftliche Faktoren berücksichtigt haben. Denn aus rein ökonomischer Sicht muss die Umsiedlung für die Zioniten einen Rückschritt dargestellt haben. Elberfeld war infrastrukturell gut ausgestattet und besaß wichtige Standortvorteile, zumal hier erste profitable Manufakturen betrieben wurden und ein internationales Handelsnetz bestand.64 Ronsdorf hingegen wies für das produzierende Gewerbe einige Standortnachteile auf. Die Verkehrsanbindungen, der Zugang zum Wasser und zum Rohstoffmarkt waren unzureichend. Zudem mussten mit der Neugründung des Ortes Industrie- und Wohnstätten neu errichtet werden. Von Vorteil war es hingegen, dass Eller einen Teil des väterlichen Grundstücks, auf dem die Stadt entstehen sollte, von seinem Bruder Samuel Eller kaufen konnte. Bei der Abwicklung des Grundstückkaufs muss es allerdings zu Problemen gekommen sein, da Samuel Eller mehr Geld verlangte bzw. weniger Land abgeben wollte, als bei den Kaufverhandlungen vereinbart worden war. Dem schloss sich ein jahrelanger Grundstücksstreit an, der die beiden Brüder vom Juli 1738 bis zum Januar 1741 beschäftigte.65 Allein in sechs Prophezeiungen Anna vom Büchels vom März/April 1740 wird Samuel Eller als

62 Günter Twardella: Daniel Schleyermachers Manuskript 1738 bis 1743 und 1735 bis 1737. Einsprachen der Anna vom Büchel, Ereignisse um Elias Eller in Elberfeld und in der neuen Gemeinde Ronsdorf – von der handschriftlichen Vorlage transkribiert durch Günter Twardella. Wuppertal 2009, 46. 63 Knevels, Geheimnis der Bosheit (wie Anm. 6), 195. 64 Ebd., 372 f. Nicht vergessen werden darf, dass um 1800 das Bergische Land »die Wiege der deutschen Industrie« war (vgl. Horst Jordan u. Manfred Kranenberg: Das Bergische Städtedreieck – Wuppertal, Solingen, Remscheid. Oldenburg 1983, 90). 65 Twardella, Schleyermachers Manuskript (wie Anm. 62), 33–50.

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»zänkischer Bauer« bezeichnet.66 In einer der Eingebungen von 1738 fällt das Urteil über ihn rigide aus: Warlich ich versichere dir Er/:Sam[uel].:/ wird in seinen Sünden sterben. Ihr Kinder Zion liebet euch nicht allein mit worten sondern mit der that. Ihr sollet sicher weyden auf einer grünen auen. Eure Brüder die euch absonderen um meines Nahmens willen u. sprechen laß sehen wie herrlich der herr sey die sollen zuschanden werden.67

Samuel Eller rächte sich, indem er Anfang 1741 mithilfe zweier lutherischer Prediger aus dem benachbarten Kirchspiel Lüttringhausen den beliebten Zioniten Bastian Lindert als Schulmeister in Ronsdorf absetzte.68 Die chiliastische Hoffnung, in Ronsdorf das neue Zion gründen zu können, überwog alle Mühen und Probleme der Anfangsjahre und kommt in einer Vision Anna vom Büchels aus dem Jahr 1738 deutlich zum Ausdruck: Hier/: zu R[onsdorf] ist der orth hier will ich wohnen hier ist die ruhe hier gefällts mir wohl. Ich will euch geben die heimlichen Kleynodien daß ihr erfahren solt daß ich der Herr bin, daß ich Wege mache in der Wüste und ströhme in der einöde.69

Das ländliche Gebiet, auf dem Ronsdorf entstehen sollte, war jedoch nicht wüst und öde. Die wenigen bereits dort ansässigen Menschen wurden von den Zioniten teilweise verdrängt und ökonomisch benachteiligt. In der für die Zioniten typischen alttestamentlichen Sicht auf ihre eigene Zeit und Situation bezeichnete man sie als »Kanaaniter« oder »Fremdlinge«.70 Damit verwies man auf die Landnahme-Thematik der Israeliten in Kanaan und rechtfertigte die Ungleichbehandlung. Die Sozialstruktur der Ronsdorfer Zioniten war differenziert ausgeprägt. Zwar sah man sich gemeinsam als Heilsgemeinschaft des neuen Zions, bildete aber dennoch eine Hierarchie aus. Familiäre Bande waren nicht ausschließlich für die Organisations- und Lebensform in Ronsdorf maßgebend. Daneben gliederte sich die Gemeinschaft je nach Heilszustand in drei Klassen (»der Vorhof«, »an der Schwelle« und »die Geschenkten«).71 Herausragende Personen blieben Anna vom Büchel als »Zionsmutter« sowie spirituelle Führungsfigur und Elias Eller als »Zionsvater« und theokratisch regierender Bürger- und Kirchmeister. Eller war es, der die ökonomischen Geschicke Ronsdorfs intensiv förderte und zentralisiert organisierte. Diese theologische, soziostrukturelle und ökonomische Ausrichtung auf Elias Eller wird von Knevels in seiner Schmähschrift im achten Hauptstück »Vom Commercio« wie folgt kritisiert: 66 67 68 69 70 71

Ebd., 46 f (Prophezeiungen vom 10. März, 13. März, 16. März, 19. März, 22. März, 11. April). Ebd., 33 (Prophezeiung vom 16. Juli). Ebd., 50. Ebd., 29 (Prophezeiung vom 13. Mai). Bernet, Gebaute Apokalypse (wie Anm. 56), 282. Ebd., 287 f.

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Denn Eller mußte und wollte nicht allein wissen, was in Ecclesiasticis und politicis, sondern auch was in Oeconomicis, zwischen Mann und Weib, zwischen Brüder und Schwestern, zwischen Herrschaften und Bedienten, zwischen Freunden und Verwandten, vorgehe. Hievon aber genaue Wissenschaft zu haben, und seine Befehle darnach einzurichten, erforderte eine besondere Regierungsart und eine besondere Inquisition, die Herzen der Leute zu erforschen, und alsdenn nach diesem Entwurf die Sachen einzufädeln.72

Durch sein Geschick konnte Eller im Lauf der Jahre beim preußischen König nicht nur die Stadtrechte für Ronsdorf erwirken, sondern erhielt auch andere städtische Privilegien wie das »Personal-Freiheits-Patent« und die Erlaubnis, Jahrmärkte abzuhalten.73 Das Wachstum der Stadt – 1743 zählte Ronsdorf bereits über fünfhundert Einwohner – wurde von mehreren Faktoren begünstigt.74 Die Gewährung von Hausbaukrediten an Verheiratete und die Vergabe von Darlehen zur Gründung des Handels förderten den Zuzug. Zudem beeinflusste die geschickte Heiratspolitik, bei der Hochzeiten zwischen ansässigen Zioniten arrangiert wurden, das rasche Wachstum.75 Der Bau einer Florettbandmanufaktur, die Erschließung von Handelsnetzen und das Recht auf Produktveredelung (Stofffärberei) führten zur allmählichen ökonomischen Prosperität Ronsdorfs.76 Auswärtige Handwerker wurden durch Ellers Versprechen stabiler ökonomischer Verhältnisse angelockt.77 Neben der individuellen Arbeit in der Stoff- und Eisenfabrikation sowie im Handel wurde teilweise auch Kollektivwirtschaft angestrebt, wie die Errichtung von gemeinschaftlich bewirtschafteten Gebäuden für Ledige zeigt.78 In diesem urbanen Kontext gab es sicherlich keine (weitgehend egalitär organisierte) gemeinschaftliche »Cassa« wie bei den Christusgeweihten oder der Evischen Sozietät. Wahrscheinlich hatten die Einwohner der Zions-Stadt regelmäßige Steuern zu zahlen, mit denen z. B. repräsentative Gebäude wie die Kirche errichtet wurden.79 Ebenfalls ist zu beachten, dass die zahlreichen Kreditnehmer in finanzieller Abhängigkeit zu Ronsdorf bzw. Elias Eller selbst standen. Die Zioniten suchten die Trennung von der sie umgebenden Umwelt also nicht durch einen ortsungebundenen oder häuslichen Rahmen, sondern durch einen neu zu gestaltenden urbanen Raum mit proto-industriellem Kontext. Erwerbsarbeit, Handel und Geldwirtschaft wurden nicht – wie in anderen zeitgenössischen separatistischen Ausprägungen – abgelehnt, sondern in den urbanen Heilsplan integriert und entsprechend gefördert. Auftretende Kon72 73 74 75 76 77 78 79

Knevels, Geheimnis der Bosheit (wie Anm. 6), 393. Bernet, Gebaute Apokalypse (wie Anm. 56), 290. Ebd., 283 f. Knevels, Geheimnis der Bosheit (wie Anm. 6), 395. Ebd., 373 f, 385. Ebd., 201 f. Bernet, Gebaute Apokalypse (wie Anm. 56), 287 f. Ebd., 286.

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flikte um Grundstücke und Erbvermögen – wie im Fall von Samuel und Elias Eller – fanden eine göttliche Beurteilung in den Prophezeiungen Anna vom Büchels. Die soziale Kontrolle der Zioniten in Ronsdorf wurde auch durch Geldstrafen aufrechterhalten. Wer die allgemeinen Aufsteh- (6.00 Uhr) und die sich anschließenden privaten Bibel- und Betzeiten nicht einhielt und dabei überführt wurde, konnte mit einer Strafe von drei Stübern belegt werden.80 Anders als bei der Evischen Sozietät und den Christusgeweihten lehnten die Zioniten Privateigentum nicht ab.

3. Fazit Die Lebensentwürfe der Gemeinschaft der Christusgeweihten und der Evischen Sozietät (»Kinder Gottes«) stellten einerseits die zeitgenössische gesellschaftliche Ständeordnung in Frage und waren ökonomisch egalitär geprägt. Andererseits hoben sich gerade die adligen Führungspersönlichkeiten (Ernst Christoph Hochmann von Hochenau und Eva von Buttlar) durch standesgemäße Kleidung von den übrigen Gruppenmitgliedern ab und konnten zeitlebens von ihrer persönlichen Apanage leben. Hier finden sich also die gleichen Widersprüche, wie sie sich auch bei Johann Jakob Schütz und seinen Ansichten vom persönlichen Reichtum zeigen, oder bei Johann Georg Gichtels üppigem, von Gönnern gesponsertem Lebensstil, der in Kontrast zu dessen eremitischem Anspruch stand.81 Die unkonventionell wirtschaftenden Gemeinschaften stellten in vielen Fällen für die Obrigkeit bzw. für die Gesellschaftsordnung einen Affront dar, der zu Konflikten führen musste. Manche wohlhabenden Gruppenmitglieder – z. B. die Familie Scheibehenne aus Eschwege – verkauften ihren gesamten persönlichen Besitz und übertrugen den Erlös der Gruppe. Viele nahmen bei ihrer Enkulturation ins Gruppengefüge Abschied von ihren bürgerlichen Berufen, Handwerker stellten sich außerhalb der jeweiligen Zunftordnungen, Ackerknechte verweigerten jegliche Arbeit. Hieraus ergab sich ein dreifacher Konflikt für die separatistischen Pietisten, denn es ging nicht nur um kirchenrechtliche und religionspolitische, sondern auch um sozio-ökonomische Einschnitte.82 80 Knevels, Geheimnis der Bosheit (wie Anm. 6), 443. 20 Stüber entsprachen einem Gulden. 81 Zu Schütz vgl. Klaus Deppermann: Johann Jakob Schütz und die Anfänge des Pietismus. Tübingen 2002, 196 f. Zu Gichtel vgl. Gertraud Zaepernick: Johann Georg Gichtel und seiner Nachfolger Briefwechsel mit den Hallischen Pietisten, besonders mit A.M. Francke. In: PuN 8, 1982, 74–118, hier: 85. 82 Renkewitz, Hochmann von Hochenau (wie Anm. 8), 53. Zu den Zunftverweigerern zählten z. B. die »Münzenberger Separatisten« (fromme Handwerker), denen 1699 in Laubach und Rödelheim von der Obrigkeit der Prozess gemacht wurde, da sie sich wegen Gewissensbissen aus den Zünften fernhielten. Bezüglich der Zunftordnung berichtete ein Münzenberger Schuhmacher, dass dort viel stünde, »was wider sein Gewissen, wider Gott und wider die Liebe des Nächsten

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Das Ideal der Gleichheit und die kommunitäre Lebensweise der Evischen Sozietät und der Gemeinschaft der Christusgeweihten konnten faktisch nur über einen relativ kurzen Zeitraum aufrechterhalten werden, was den experimentellen Charakter des gemeinschaftlichen Lebens unterstreicht. Die Wirtschaftsformen waren innerhalb der drei Gruppen differenziert ausgeprägt. Während die Gemeinschaft der Christusgeweihten egalitär lebte, aber weitgehend akephal wirtschaftete, war der Umgang mit Gütern innerhalb der Evischen Sozietät wahrscheinlich weitgehend redistributiv organisiert. Die Zioniten hingegen wiesen eine proto-industrielle Ökonomie auf, die vom produzierenden Gewerbe und vom Handel bestimmt war. Dabei wurde bei den Zioniten der ökonomisch-egalitäre Anspruch auf eine nicht mehr ferne Zukunft projiziert, die mit der Wiederkehr Christi in Bälde beginnen würde. Eschatologische Schriften verstärkten diese Gegenwartsschau und hatten großen Einfluss auf das Wirtschaftsverständnis der separatistischen Gemeinschaften. Die von den drei Gruppen geteilte chiliastische Erwartung ließ in der Praxis also unterschiedliche ökonomische und organisatorische Rezeptionen bzw. Ableitungen zu: Während die Christusgeweihten ortsungebunden und egalitär lebten, agierten die Mitglieder der Evischen Sozietät in einem häuslich-kommunitären Kontext. Die chiliastischen Vorstellungen der Zioniten führten zu einer urban-komplexen Ausprägung. Hinsichtlich der Frage nach der gegenseitigen Beeinflussung von Theologie und Wirtschaftsform ist zu resümieren, dass es einen eindeutigen Zusammenhang gab. Das ökonomische Handeln der Christusgeweihten, der Evischen Sozietät und der Zioniten war liturgisches Handeln, da es theologisch und gruppenkulturell geprägt war. Die spezifischen theologischen Ansichten wurden durch eine gruppenindividuelle Ökonomie zum Ausdruck gebracht, die sich meist vom ökonomischen System der Umwelt bzw. des Mainstreams unterschied. Die Gewissheit des göttlichen Beistands – in theologischer wie auch in ökonomischer Hinsicht – war allen drei Gruppen gemein. Dabei wurde das aus dem Rückblick auf die Urgemeinde gespeiste Ideal ökonomischer Egalität, das die separatistischen Gemeinschaften ebenso verband wie die chiliastische Naherwartung, offenbar mehr und mehr aus den irdischen Lebensvollzügen in das bald erwartete Reich Gottes verschoben.

sei.« Zudem lehnte es der Handwerker ab »das Auflag=Geld zu versauffen«. Zit. bei Renkewitz, Hochmann von Hochenau (wie Anm. 8), 66.

Katherine Carté Engel

Religion and the Economy New Methods for an Old Problem*

In October 1766 the Moravians of Bethlehem, Pennsylvania, successfully defended themselves against a lawsuit from a former member, Jacob Musch, in which the cobbler attempted to receive compensation for unpaid wages in the years before his 1759 ejection from their communal town. Although the Moravians had dissolved their shared labor arrangement in 1762, three years after Musch’s departure, they argued that they should be exempt from such complaints based on individual interest because their shared housekeeping had placed at its heart the purpose of religious outreach – specifically to Pennsylvania’s Indian population – rather than the economic benefit of its members. Similarly, Benjamin Chew, the Moravians’ lawyer, argued that they had followed the dictates of necessity, as determined by their religious purpose, when they had established their communal endeavor in 1741: »they had no other funds from which to cover the necessary expenses[;] they saw it as necessary to erect their housekeeping so that they would not need to become burdensome to anyone, and [so that] the good purpose would not be hindered by anything.« They chose, Chew continued, »to handle everything in common, to put their income in an account from which each was to be cared for with what he needed for his physical necessities and board, as well as the sending of messengers for […] Godly purposes.« In sum, as their advocate claimed, the Moravians »relinquished thereby all advantage and the profits that one ordinarily has to enjoy from his labors.«1 Musch’s lawsuit ultimately came to * Reprinted from Early American Studies 8, 2010, 482–512, with permission from University of Pennsylvania Press. This article was completed with support from the Program for Early American Economy and Society and the McNeil Center for Early American Studies. I would like to thank Cathy Matson, Rose Beiler, Mark Valeri, Brendan McConville, Rachel Wheeler, April Hatfield, Madlyn Ard, and Jeffrey Engel, as well as the participants at the PEAES Conference on Markets and Morality for helpful comments and suggestions on this essay. I would like to dedicate this work to the memory of Vernon Nelson, who was archivist at the Moravian Archives, Bethlehem, for over forty years. 1 Nachricht vom Muschischen Procez in Pensylvania 1766. Unitätsarchiv Herrnhut (henceforth UA), UVC, X 143a. Recent works on the Moravians include Rachel M. Wheeler: To Live upon Hope: Mohicans and Missionaries in the Eighteenth-Century Northeast (Ithaca: Cornell University Press, 2008); Aaron Spencer Fogleman: Jesus Is Female: Moravians and the Challenge of Radical Religion in Early America (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2007); Jon F. Sensbach: Rebecca’s Revival: Creating Black Christianity in the Atlantic World (Cambridge: Harvard University Press, 2005), and id.: A Separate Canaan: The Making of an Afro-Moravian World in North

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nothing – his record of bad behavior spoke for itself in the court’s eyes – but the terms in which the lawsuit was argued point to the difficulties of trying to separate the religious from the economic in early America. Since their effort was »religious,« the Moravians argued, they should not, in this internal matter, be held to rules that governed strictly economic relationships. At the same time, however, the economic nature of their project – demonstrated through Chew’s discussion of funds, income, and accounts – inevitably also came into the discussion. Separating what was religious from what was simply economic, in other words, was impossible. If eighteenth-century Americans were confounded by the exchange between the religious and the economic, scholars in the years since have been no different. The subject was, for many decades, one of the most heavily studied and one of the most bedeviling of those engaged by early Americanists. Yet this discussion has made surprisingly little headway, and it has flagged significantly in the past two decades as older theoretical paradigms have lost their salience. Haunted by the theories of Max Weber and Perry Miller, and a century after the publication of The Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism, widespread historical perceptions of the interplay between the religious and the economic still reflect the assumption that the two were at loggerheads and engaged in an epic struggle marking the turn from a communal premodern to an individualistic and acquisitive modern.2 Weber’s and Miller’s waning has left a theoretical void, rather than a new paradigm, so that newer trends of historical scholarship have not been brought to bear fully on the way religion motivated economic action in early America.3 For example, in the study of Carolina, 1763–1840 (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1998); S. Scott Rohrer: Hope’s Promise: Religion and Acculturation in the Southern Backcountry (Tuscaloosa: University of Alabama Press, 2005); Craig D. Atwood: Community of the Cross: Moravian Piety in Colonial Bethlehem (University Park: Pennsylvania State University Press, 2004); Jane T. Merritt: At the Crossroads: Indians & Empires on a Mid-Atlantic Frontier, 1700–1763 (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2003); Elisabeth W. Sommer: Serving Two Masters: Moravian Brethren in Germany and North Carolina, 1727–1801 (Lexington: University Press of Kentucky, 2000). 2 Max Weber: The Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism, trans. Talcott Parsons (1930; reprinted New York: Routledge, 1992); Perry Miller: The New England Mind: From Colony to Province (Cambridge: Harvard University Press, 1953). Weber’s thesis was originally published in essay form in 1904–5. For an assessment of Weber’s thesis for New England, see James A. Henretta: »The Protestant Ethic and the Reality of Capitalism in Colonial America.« In Weber’s Protestant Ethic: Origins, Evidence, Contexts. Ed. by Hartmut Lehmann and Guenther Roth (New York: Cambridge University Press, 1993), 327–346. Miller’s work has been more directly influential than Weber’s for the study of the intersection between religion and economic life in early America. Other highly influential works that have dealt with this intersection include R[ichard] H. Tawney: Religion and the Rise of Capitalism (1926; reprinted New Brunswick: Transaction, 2000); E[dward] P. Thompson: The Making of the English Working Class (1963; reprinted New York: Vintage Books, 1966). 3 For historiographical surveys on the subject, see Mark A. Noll: »Introduction.« In God and Mammon: Protestants, Money, and the Market, 1790–1860. Ed. by Mark A. Noll (New York: Oxford University Press, 2002), 3–29; Robert Wuthnow and Tracy L. Scott: »Protestants and Economic

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Puritan New England, the area that has received the most attention and the place where Miller’s influence was particularly strong, ample evidence that religious belief coexisted with economic activity and even innovation has led to the simple severing of the religious from the economic, rather than to more complex theories of how the two intersected.4 Yet the idea that religion and the economy were truly separated in the hearts and minds of early Americans beggars belief. Because they were inevitably intertwined, their intersection remains an important subject of historical inquiry. Recent historiographical, methodological, and theoretical turns in other areas of early American history and in religious studies, however, have created new tools for the interpretation of the complex relationship between religion and economic action, and therefore the time seems right for a systematic reinvestigation of this important topic. After a brief survey of the new terrain upon which historians of early American religion now find themselves, this article will return to the Moravians – a group long viewed as proof for older secularization models and conveniently also at the crossroads of more recent historiographical interpretations – to argue that by focusing on the various ways early Americans understood their economic actions as Behavior.« In New Directions in American Religious History. Ed. by Harry S. Stout and Darryl G. Hart (New York: Oxford University Press, 1997), 260–295; Michael Zuckerman: »Holy Wars, Civil Wars: Religion and Economics in Nineteenth-Century America.« Prospects 16, 1991, 205–240. For a recent historiographical appraisal of Miller’s idea of declension in the context of religious history, see Charles L. Cohen: »The Post-Puritan Paradigm of Early American Religious History.« William and Mary Quarterly 54, 1997, 695–722. For Weber’s influence historiographically, see also Jon Butler: »Theory and God in Gotham.« History and Theory 45, 2006, 47–61, and the forum titled »American Religion and Class« in Religion and American Culture 15, 2005, 1–29, particularly the contributions by David G. Hackett and Laurie F. Maffly-Kipp. 4 The persistence of the »declension model« explains why so much vigorous effort continues to go into establishing how Puritans encouraged rather than rejected seventeenth-century market innovation, a body of work that has become prominent in recent years. Stephen Innes argued that the »civic ecology« of the Bay Colony encouraged economic innovation while still maintaining a religious value system; id.: Creating the Commonwealth: The Economic Culture of Puritan New England (New York: W.W. Norton, 1995). Mark A. Peterson used a longer sweep of time to assert that Puritan spirituality demanded access to wealth, an argument that reprises Barry Levy’s findings for Quaker Pennsylvania; Mark A. Peterson: The Price of Redemption: The Spiritual Economy of Puritan New England (Stanford: Stanford University Press, 1997), and Barry Levy: Quakers and the American Family: British Settlement in the Delaware Valley (New York: Oxford University Press, 1988). John Frederick Martin placed entrepreneurship at the heart of the New England endeavor; id.: Profits in the Wilderness: Entrepreneurship and the Founding of New England Towns in the Seventeenth Century (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1991). And Louise Breen recently argued that although the Puritans were deeply divided in their views on society, even those orthodox personages who were uncomfortable with the vagaries of the transAtlantic economy »positively encouraged the kind of individualism and hard work necessary to build productive family farms and trading networks«; id.: Transgressing the Bounds: Subversive Enterprises among the Puritan Elite in Massachusetts, 1630–1692 (New York: Oxford University Press, 2001), 52. For survey treatments that divide the Puritans’ economic acumen and religious spirit, see, for example, Alan Taylor: American Colonies (New York: Viking, 2001), 174–186.

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»religious,« a much more nuanced picture of religion’s relationship to the economy is revealed.

1. Methodological Trajectories The core insight of Max Weber’s Protestant Ethic was both seductive and fascinating. In the early modern era, the Reformed Protestant nations of northern and western Europe provided the hearth for modern capitalism, and the colonies they settled followed suit to become economic leaders. Ultimately, Weber argued, religion became unnecessary in a modern, capitalistic economy, but in the meantime, it was the essential midwife. This startlingly succinct theory of how two of the most significant aspects of the human experience related in history has bequeathed to historians of religion some of their most basic assumptions. Key among them, as stated recently by David Gary Shaw, is the idea that »religion within our grand historical stories was an anti-modern element, and discussions of early modern, modern, and postmodern history tend to assume religion’s attenuation, compartmentalization, or decline.«5 Historians have provided ample evidence for this thesis. Two core questions account for most of the discussion in the field of early America: When and how did religion give way to economic innovation,6 and, for those who doubt the former, how did religious belief actually aid in the growth of the modern economy? 7 Of course, the idea of a fundamental transition from the early 5 David Gary Shaw: »Modernity between Us and Them: The Place of Religion within History.« History and Theory 45, 2006, 4. See also Butler, »Theory and God in Gotham« (note 3), esp. 53–54. 6 Mark Noll described analyses of the period before 1860 as primarily discussing religion’s »role in either retarding or accelerating the turn to markets,« id., »Introduction« (note 3), 16. Pivotal works emphasizing the relationship between religion and economic life that have argued for (or assumed) the corrosive influence of capitalism on religion include Miller, New England Mind (note 2). Miller’s nuanced arguments avoided many of the pitfalls ascribed to his work by subsequent generations, yet on balance he sought to explain »how economics might dilute religion,« a classic formulation setting the religious and the material at odds. For further statements of economics as the causal force behind religion’s decline, see especially 44, 49, and 51. See also Bernard Bailyn: The New England Merchants in the Seventeenth Century (Cambridge: Harvard University Press, 1955); Kenneth A. Lockridge: A New England Town: The First Hundred Years (New York: W.W. Norton, 1970); Richard L. Bushman: From Puritan to Yankee: Character and Social Order in Connecticut, 1690–1765 (Cambridge: Harvard University Press, 1967). Stephen Foster altered the locus of the conflict, but he concurred on the ultimate erosion of the »Protestant ethic«; id.: Their Solitary Way: The Puritan Social Ethic in the First Century of Settlement in New England (New Haven: Yale University Press, 1971), 99–126. Notable for its uncritical adoption of Miller’s ideas in recent years is Phyllis Whitman Hunter: Purchasing Identity in the Atlantic World: Massachusetts Merchants, 1670–1780 (Ithaca: Cornell University Press, 2001). For Quaker Pennsylvania, see Frederick B. Tolles: Meeting House and Counting House: The Quaker Merchants of Colonial Philadelphia, 1682–1763 (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1948). 7 Significant works arguing for a conjuncture of religion and economic development include Innes, Creating the Commonwealth (note 4); Peterson, The Price of Redemption (note 4); Martin, Profits in the Wilderness (note 4); Levy, Quakers and the American Family (note 4). T.H. Breen and

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modern to the modern has exerted influence far beyond religious history. Social, economic, and legal historians of early America in particular have looked for a shift from a communal before to an atomistic after, and though their treatments usually assume rather than demonstrate the decline of religion, these works add weight to the general belief that religion mattered more in earlier historical periods than it did later.8 For historians operating under Weber’s broad theoretical rubric, religion was a thing of the past. That past included the early American period but was now long gone; religion was a phenomenon that belonged to a kind of society that no longer exists. Stated as it is here, in its baldest form, few historians Timothy Hall argue for the mutually reinforcing influences of expanding commercial and religious networks during the 1740s: »Structuring Provincial Imagination: The Rhetoric and Experience of Social Change in Eighteenth-Century New England.« American Historical Review 103, 1998, 1411–1439. Many scholars looking to connect ongoing religious belief with economic innovation have emphasized the key role of individualistic evangelicalism or revivalism. See, for example, Bushman, From Puritan to Yankee (note 6), and Christine Leigh Heyrman: Commerce and Culture: The Maritime Culture of Puritan New England (New York: W.W. Norton, 1984), though the two emphasize substantially different dynamics. See also Charles Sellers: The Market Revolution: Jacksonian America, 1815–1846 (New York: Oxford University Press, 1991). Sellers’s interpretation of religion, particularly his categories of »Arminian« and »antinomian,« has been debated widely. See Daniel Walker Howe: »Charles Sellers, the Market Revolution, and the Shaping of Identity in Whig-Jacksonian America.« In God and Mammon (note 3), 54–74; Richard Carwardine: »Charles Sellers’s ›Antinomians‹ and ›Arminians‹: Methodists and the Market Revolution.« Ibid., 75–98. Mark Valeri has challenged the idea that evangelicalism rested comfortably with capitalism; id.: »The Economic Thought of Jonathan Edwards.« Church History 60, 1991, 37– 54. He has also made similar arguments for Edwards’s Puritan and Calvinist predecessors; see id.: »Religion, Discipline, and the Economy in Calvin’s Geneva.« Sixteenth Century Journal 28, 1997, 123–142, and id.: »Religious Discipline and the Market: Puritans and the Issue of Usury.« William and Mary Quarterly 54, 1997, 747–768. For a succinct summary of this literature, see Carla Gardina Pestana: »Cultures of Colonial Settlement.« In A Companion to American Cultural History. Ed. by Karen Halttunen (Malden: Blackwell, 2008), 20–21. 8 For discussions of a transition from a cohesive to an atomistic society, the concepts of Gemeinschaft and Gesellschaft have been instrumental. In the context of early American history, they are most closely associated with Thomas Bender: Community and Social Change in America (New Brunswick: Rutgers University Press, 1978). For the influence of these concepts and social science approaches on society more generally, see the pieces by James T. Lemon, Gary B. Nash, and especially Joyce Appleby in Colonial British America: Essays in the New History of the Early Modern Era. Ed. by Jack P. Greene and J.R. Pole (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1984). In the 1980s and early 1990s a different form of the same question was asked in the »transition« debate. For the historiography of this moment, see Allan Kulikoff: »The Transition to Capitalism in Rural America.« William and Mary Quarterly 46, 1989, 120–144; for a recent, sophisticated treatment of the question, see Naomi Lamoreaux: »Rethinking the Transition to Capitalism in the Early American Northeast.« Journal of American History 90, 2003, 437–461. Legal historians who have labored on similar terrain include Bruce H. Mann: Neighbors and Strangers: Law and Community in Early Connecticut (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1987); Deborah A. Rosen: Courts and Commerce: Gender, Law, and the Market Economy in Colonial New York (Columbus: Ohio State University Press, 1997). It should be noted, however, that few of these works deal explicitly or intensively with religion, looking instead at more generalized conceptions of community.

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would subscribe explicitly to such a narrative. Obviously, religion continues to »matter.« Moreover, the form of investigation such an argument requires, drawing broad-based assumptions about »society« by looking for typologies and examining underlying social structures, fell from vogue as historians turned away from their once-deep engagement with the tools of social science and toward a closer relationship to literary and anthropological methodologies. Yet, though categorizing some historical places as »religious« and others as »secular« (most prominently, seventeenth-century New England and the Chesapeake) now sounds like a caricature, those efforts continue to shade the broad outlines of early American religious historiography.9 Discomfort with the reductionism inherent in such categorizations is a positive sign, however, for it reflects the methodological shifts that have come in recent decades, and these innovations pave the way for renewed, critical attention to how religion and the economy intertwine. Three methodological turns in particular have opened the way for new theories. The first comes from scholars of religious studies and modern America, who have addressed the assumption that religion would die out in the modern age far more directly than early Americanists have. The reason is obvious: religion has quite evidently not disappeared in the present, or, arguably, even waned in influence. Neither is its role in America in any way simple or unifaceted. As Jon Butler recently wrote, the central problem for historians of modern religion is »religion’s surprising adaptability to modernity’s conditions, certainly outside Europe, as well as the adaptability of modernity to tolerate or absorb religiosity.«10 In other words, as religion 9 That some places (particularly Massachusetts) are depicted by historians as »religious« and others as »nonreligious« can be seen in Jack P. Greene’s highly influential Pursuits of Happiness (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1988), 7–27. When Greene (28) challenged the foregoing paradigm, he sought to unseat New England’s normative power, not reevaluate the role of religion in Virginia. Rather, Virginia is characterized as a place where social institutions were weak and religion developed only because social elites saw that it would be useful, despite the religious intents of the original Virginia company organizers (11–12, 16–17). David Thomas Konig argues that though Virginia showed initial Puritan influence, and though Virginia and Massachusetts had similar legal cultures through the seventeenth century, they diverged substantially after that; id.: »The Virgin and the Virgin’s Sister: Virginia, Massachusetts, and the Contested Legacy of Colonial Law.« In The History of the Law in Massachusetts: The Supreme Judicial Court, 1692–1992. Ed. by Russell K. Osgood (Boston: Supreme Judicial Court Historical Society, 1992), 81–115. For recent scholarship that challenges the traditional depiction of Virginia as without faith, see Rebecca Anne Goetz: »From Potential Christians to Hereditary Heathens: Religion and Race in the Early Chesapeake, 1590–1740« (Ph.D. diss., Harvard University, 2006); Edward Bond: Damned Souls in a Tobacco Colony: Religion in Seventeenth-Century Virginia (Macon: Mercer University Press, 2000); James Horn: Adapting to a New World: English Society in the Seventeenth-Century Chesapeake (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1994), 391–418. Perry Miller argued for the importance of religion in Virginia more than a half century ago; id.: »Religion and Society in the Early Literature: The Religious Impulse of the Founding of Virginia.« William and Mary Quarterly 6, 1949, 24–41. 10 Butler, »Theory and God in Gotham« (note 3), 53.

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adjusted to modern (and postmodern) social, cultural, and economic circumstances, it changed forms without necessarily declining in influence. This fact has led to two insights for scholars of contemporary religion, each separately useful to early Americanists. First, a diverse and vital religious environment obviously can exist in tandem with complex economic structures, fundamentally undercutting the old Weberian paradigm. Indeed, as Robert Orsi has argued, the interplay between American capitalism and American religion has been a profoundly creative force for the latter. The second conclusion grows from the first: if religion exists where it ought not, but in changeable and varied forms, what early Americanists mean by »religion« when they are thinking about the economy has to be interrogated in much more nuanced ways than hitherto has been the case.11 Freed from teleological expectations of religion’s decline, scholars in religious studies have searched for new definitions of religion and new methodologies for its study, as well as the study of its theoretical opposite, the secular.12 The concept of »lived religion,« most closely associated with the 11 Robert Orsi: »Everyday Miracles: The Study of Lived Religion.« In Lived Religion in America: Toward a History of Practice. Ed. by David D. Hall (Princeton: Princeton University Press, 1998). For an overall historiographical survey of the literature on religion and the economy that emphasizes the nineteenth and twentieth centuries, see Wuthnow and Scott, »Protestants and Economic Behavior« (note 3). For the period before 1860, more familiar to early Americanists, Mark Noll proposed the thesis that »money in the first decades of the new American nation was everywhere on the minds of church leaders and many of their followers,« yet he goes on to note that a flourishing of narrow studies has not led to a reappraisal of the grand narrative in the period before the Civil War; Noll, »Introduction« (note 3), 7–8. Examples of this work include the essays in Noll’s collection, particularly in part 2; the subject of religion and economy also appeared prominently in a recent reassessment of the early republic: Stewart Davenport: »Liberal America/Christian America: Another Conflict or Consensus?« and Amy Dru Stanley: »Wages, Sin, and Slavery: Some Thoughts on Free Will and Commodity Relations.« Journal of the Early Republic 24, 2004, 190–197 and 279–288; James Hudnut-Beumler: In Pursuit of the Almighty’s Dollar: A History of Money and American Protestantism (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2007). Scholarship on the nineteenth century also includes a significant number of works relying on a conflict model to explain the interplay between religion and economic life. See, for example, Kenneth Startup: The Root of All Evil: The Protestant Clergy and the Economic Mind of the Old South (Athens: University of Georgia Press, 1997); William R. Sutton: Journeymen for Jesus: Evangelical Artisans Confront Capitalism in Jacksonian Baltimore (University Park: Pennsylvania State University Press, 1998); Stewart Davenport: Friends of the Unrighteous Mammon: Northern Christians and Market Capitalism, 1815–1860 (Chicago: University of Chicago Press, 2008); Mark Y. Hanley: Beyond a Christian Commonwealth: The Protest Quarrel with the American Republic, 1830–1860 (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1994). An older, still influential work is Paul E. Johnson: A Shopkeeper’s Millennium: Society and Revivals in Rochester, New York, 1815–1837 (New York: Hill and Wang, 1978). 12 Varied definitions of religion abound in most social science fields. See, for example, Contemporary Theories of Religion: A Critical Companion. Ed. by Michael Strausberg (London: Routledge, 2009). For theoretical works that address the historically contingent and constructed nature of the category of religion, see Talal Asad: Formations of the Secular: Christianity, Islam, Modernity (Stanford: Stanford University Press, 2003), and id.: Genealogies of Religion: Discipline and Reasons of Power in Christianity and Islam (Baltimore: Johns Hopkins University

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historian of Puritanism David D. Hall, has proved particularly useful here, and, because it offers a great deal of promise for the study of religion and economic life in early America, is worthy of elaboration. A way of bringing together the study of religious practice and religious meaning, studying lived religion means looking at the varied manifestations of religion in the lives of historical subjects. It entails, according to Orsi, »a fundamental rethinking of what religion is and of what it means to be ›religious.‹ Religion is not only not sui generis, distinct from other dimensions of experience called ›profane.‹ Religion comes into being in an ongoing, dynamic relationship with the realities of everyday life.« Studying lived religion thus allows »religion« itself to be a more fluid concept, existing more comfortably with those aspects of life that it has generally been defined against, including most especially economic action.13 Scholars of early American religion have certainly not overlooked the concept of »lived religion.« Those working in this vein have, for example, privileged the widespread experience of the »spiritual« (taken to include witchcraft, the occult, and folk belief as well as more traditional Christianity) over religion as defined by church attendance or formal theologies.14 Similarly, recent studies on religious experience have elucidated how individuals literally felt their faith, and others understood those sensations.15 Historians interested in the intersection of race and religion have investigated how religious

Press, 1993); Peter Harrison: »Religion« and the Religions of the English Enlightenment (Cambridge: Cambridge University Press, 1990); Tracy Fessenden: Culture and Redemption: Religion, the Secular, and American Literature (Princeton: Princeton University Press, 2007); Russell T. McCutcheon: »›They Licked the Platter Clean‹: On the Co-Dependency of the Religious and the Secular.« Method and Theory in the Study of Religion 19, 2007, 173–199; Tisa Wenger: »›We Are Guaranteed Freedom‹: Pueblo Indians and the Category of Religion in the 1920s.« History of Religions 45, 2005, 89–113; Susan Rosa and Dale Van Kley: »Religion and the Historical Discipline: A Reply to Mack Holt and Henry Heller.« French Historical Studies 21, 1998, 611–629; David Chidester: »The Church of Baseball, the Fetish of Coca-Cola, and the Potlach of Rock ’n’ Roll: Theoretical Methods for the Study of Religion in American Popular Culture.« Journal of the American Academy of Religion 64, 1996, 743–765. 13 The concept of lived religion in American religious history is elaborated most fully in two edited collections: Lived Religion in America (note 11), esp. Hall’s introduction and Robert Orsi’s essay »Everyday Miracles« (note 11), quote on 7; Practicing Protestants: Histories of Christian Life in America, 1630–1965. Ed. by Laurie F. Maffly-Kipp, Leigh E. Schmidt, and Mark Valeri (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2006), provide a more recent reassessment of the same principle. 14 Formative early studies of lived religion in early America include David D. Hall: Worlds of Wonder, Days of Judgment: Popular Religious Belief in Early New England (Cambridge: Harvard University Press, 1989), and Jon Butler: Awash in a Sea of Faith: Christianizing the American People (Cambridge: Harvard University Press, 1992). See also Leigh E. Schmidt: »Religious History and the Cultural Turn.« In A Companion to American Cultural History (note 7), 406–415. 15 Ann Taves: Fits, Trances, and Visions: Experiencing Religion and Explaining Experience from Wesley to James (Princeton: Princeton University Press, 1999); Leigh E. Schmidt: Hearing Things: Religion, Illusion, and the American Enlightenment (Cambridge: Harvard University Press, 2000).

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discourses shaped cross-cultural encounters.16 Yet, despite this attention to religion in the lives of ordinary folks, relatively few have interpreted this shift as a call to look at the intersection of religion and economic life, a surprising lacuna given that so much of ordinary life was concerned with the procuring of one’s daily bread and so many of the field’s dominant works from an earlier generation addressed it directly. Perhaps – one can only guess at explanations for works not published – early Americanists have readily incorporated religion into a broader notion of culture, but they have continued to assume its absence from the category of economic culture.17 Yet lived religion has proven analytically useful for bypassing the teleologies of secularization and modernization in the study of religion and the economy in other contexts. The work of Leigh Eric Schmidt provides one of the best examples of the lived religion of economic life. He has, for example, explored the complex relationship among »commerce, Christianity, and consumption« in American holidays, while assuming neither that commercialization has drained the American religious festival of its spiritual content nor that development of the mass market had no effect on the practice of piety. His words about the »complex, hybrid relationship between Christianity and the consumer culture« of holidays apply equally well to the broader subject. It »was, by turns, symbiotic and conflictual, complementary and contested.«18 In another example, Kathryn Lofton investigated the »Religion of Oprah« as a manifestation of modern capitalism, arguing that the practices (including purchasing) that Oprah encourages her followers to partake in constitute a religion. Just as there is no reason to doubt that sincere religious expression continues to be a part of Christmas celebrations, there is no reason to doubt the depth of spiritual experiences felt by Oprah’s acolytes. Following these models, there is perhaps room for historians of early American religion to unbind their narratives from the assumptions implicit in the grand narrative of modernity without losing track of the central question of how the religious, in diverse 16 Merritt, At the Crossroads (note 1); Goetz, »From Potential Christians« (note 9); Sarah Rivett: »Empirical Desire: Conversion, Ethnography, and the New Science of the Praying Indian.« Early American Studies 4, 2006, 16–45. See also Colin Kidd: The Forging of the Races: Race and Scripture in the Protestant Atlantic World, 1600–2000 (Cambridge: Cambridge University Press, 2006); Joyce Chaplin: Subject Matter: Technology, the Body, and Science on the Anglo-American Frontier, 1500–1676 (Cambridge: Harvard University Press, 2001). 17 Key exceptions to this trend are Innes, Creating the Commonwealth (note 4), and Peterson, Price of Redemption (note 4), though they both speak explicitly to a Weber-Miller paradigm. For a particularly interesting blending of material culture, religion, and economics, see Mark A. Peterson: »Puritanism and Refinement in Early New England: Reflections on Communion Silver.« William and Mary Quarterly 58, 2001, 307–346. 18 Historians of modern America also lament the lack of attention to the question of religion and economic life, though it receives much more attention in recent history than it does in the earlier period. See the forum in Religion and American Culture titled »American Religion and Class« (note 3), especially the contribution from Laurie F. Maffly-Kipp. Leigh E. Schmidt: Consumer Rites: The Buying & Selling of American Holidays (Princeton: Princeton University Press, 1995), 13–14.

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incarnations, influenced the economic. In short, by looking for many manifestations of religion in economic choice, by looking at economic practice rather than simply at Christian discourse about money, a much wider spectrum of interactions becomes clear.19 The idea that religion itself was a malleable concept, constantly being redefined in relation to new cultural circumstances and encounters, fits neatly with one of the most important methodological innovations in early American history and in the wider field in recent decades. Often called the cultural or linguistic turn, the trend has been so widespread as to become almost invisible.20 Cultural historians seek, in Rhys Isaac’s words about his own pivotal study, »to decipher important beliefs, values, and aspirations in a society.« Scholars working in this vein have demonstrated that the meanings of society’s most basic elements, such as race, gender, and national identity, were the subject of continued cultural construction, rather than transhistorical constants. Two recent reassessments of early American cultural history, one by Christopher Grasso and Karin Wulf in the Journal of American History and a second by Michael Meranze in the William and Mary Quarterly, attest to the strength of this methodological approach.21 The seminal works in these lines of 19 See, for example, Schmidt, Consumer Rites (note 18); More Money, More Ministry: Money and Evangelicals in Recent North American History. Ed. by Larry Eskridge and Mark A. Noll (Grand Rapids: W.B. Eerdmans, 2000); T.J. Jackson Lears: No Place of Grace: Antimodernism and the Transformation of American Culture, 1880–1920 (New York: Pantheon Books, 1981); R. Laurence Moore: Selling God: American Religion in the Marketplace of Culture (New York: Oxford University Press, 1994); Colleen McDannell: Material Christianity: Religion and Popular Culture in America (New Haven: Yale University Press, 1995); Kathryn Lofton: »Practicing Oprah; or, The Prescriptive Compulsion of a Spiritual Capitalism.« Journal of Popular Culture 39, 2006, 599–620. Richard J. Callahan, Chad E. Seales, and Lofton have also argued for allegory as the best way to understand the relationship between religion and industrial capitalism in »Allegories of Progress: Industrial Religion in the United States.« Journal of the American Academy of Religion 78, 2010, 1–39. 20 For a succinct summary of these historiographical developments, particularly from the perspective of a religious historian, see Elizabeth A. Clark: History, Theory, Text: Historians and the Linguistic Turn (Cambridge: Harvard University Press, 2004), esp. 63–85, 130–155. 21 Rhys Isaac: The Transformation of Virginia, 1740–1790 (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1982), 6. Unfortunately for this study, however, Isaac explicitly rejects the idea that this is a religious history. Christopher Grasso and Karin Wulf: »Nothing Says ›Democracy‹ Like a Visit from the Queen: Reflections on Empire and Nation in Early American Histories.« Journal of American History 95, 2008, 764–781; Michael Meranze: »Culture and Governance: Reflections on the Cultural History of Eighteenth-Century British America.« William and Mary Quarterly 65, 2008, 713–744. See also Philip J. Deloria: »What Is the Middle Ground, Anyway?« William and Mary Quarterly 63, 2006, 15–22, esp. 18–19. Carla Gardina Pestana has recently asserted that these methodological developments have »had less influence on historians of early America than on those working in the nineteenth and twentieth centuries,« but the dominant trends among early Americanists reflect the influence of cultural history; Pestana, »Cultures of Colonial Settlement« (note 7), 17. Prominent works emphasizing race, gender, and cross-cultural contact include Kathleen M. Brown: Good Wives, Nasty Wenches, & Anxious Patriarchs (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1996); Clare A. Lyons: Sex among the Rabble: An Intimate History of Gender & Power in the Age of Revolution, Philadelphia, 1730–1830 (Chapel Hill:

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inquiry, though not generally concerned with religion, offer innovations of significant utility to the study of religion. Richard White’s 1991 work, Middle Ground, for example, described the process of cultural encounter in the Great Lakes region as a process by which whites and Indians »constructed a common, mutually comprehensible world.« White’s »middle ground« was a place where different groups engaged in »a process of creative, and often expedient, misunderstandings,« a cycle that gave birth to »new meanings and through them new practices.« Cross-cultural engagement, in this paradigm, was neither linear nor peaceful, and never uncomplicated. Quite the opposite: it was a complex process of negotiation carried out through everyday engagements as well as high-level diplomacy. Religious encounters take on more complicated characters when cast in this light. What it meant to be Christian, or to be saved, emerged not from cut-and-dried theologies but through the shared experiences of those who embraced and rejected those beliefs. In light of the cultural turn, the idea that religion was not a static category is hardly revolutionary, though its implications have only just begun to receive attention from specialists within the field of early America who are concerned with religion and economic culture.22 Work in recent American religious history and that in early American historiography stemming from the cultural turn both point to the utility of focusing on religion as a shifting historical category and viewing the intersection between religion and economic action in historically contingent ways. The variety of potential interactions such investigations would uncover comes to the fore through work done in the third trend relevant for the present subject, that of Atlantic history, an area of research now so pervasive that it led not only to David Armitage’s comment that »we are all Atlanticists now,« but also to making that quotation into one that apparently now competes with the aphorisms of Benjamin Franklin in its ubiquity.23 Atlantic history has forced early Americanists to confront the myriad ties that linked early American University of North Carolina Press, 2006); Nancy Shoemaker: A Strange Likeness: Becoming Red and White in Eighteenth-Century North America (New York: Oxford University Press, 2004); Kirsten Fischer: Suspect Relations: Sex, Race, and Resistance in Colonial North Carolina (Ithaca: Cornell University Press, 2002). 22 Richard White: Middle Ground: Indians, Empires, and Republics in the Great Lakes Region, 1650– 1815 (New York: Cambridge University Press, 1991), ix–x. See also Deloria, »What Is the Middle Ground, Anyway?« (note 21). There are notable exceptions to this trend. See, for example, Susan Garfinkel: »Quakers and High Chests: The Plainness Problem Reconsidered.« In Quaker Aesthetics: Reflections on a Quaker Ethic in American Design and Consumption. Ed. by Emma Jones Lapsansky and Anne A. Verplanck (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2003), 50–89. 23 There is a large and burgeoning literature on the Atlantic world. For key works, see David Armitage: »Three Concepts of Atlantic History.« In The British Atlantic World, 1500–1800. Ed. by id. and Michael J. Braddick (New York: Palgrave Macmillan, 2002), 11–27 (quotation on 11); Bernard Bailyn: Atlantic History: Concept and Contours (Cambridge: Harvard University Press, 2005); Alison Games: »Atlantic History: Definitions, Challenges, Opportunities.« American Historical Review 111, 2006, 741–756.

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cultures, economies, populations, and governments to other parts of the world. The principal result of this for religious historians has been to place narrow early American religious trends into larger narratives, such as the international Puritan movement of the seventeenth century or the rise of evangelicalism throughout the Atlantic world in the eighteenth, but it has also carried with it the recognition that early American religious communities, like all other forms of community, were far less homogeneous, and certainly less closed, than we had previously assumed.24 Emphasizing the diversity of and connections between communities in the early modern Atlantic world means acknowledging that the historical reality of early American religion was as messy as the present is, albeit in markedly different and essentially important ways. It was as often a source of conflict as it was one of community, and even Protestant Christians lived in a world populated by the reality and the specter of religious outsiders.25 Moreover, the early American population was undeniably diverse in backgrounds, beliefs, and outlooks. Religion therefore did not serve as the essential cement for a cohesive communal experience. On the contrary, it was often a source of division, discord, and violence.26 Colonial settlements were never isolated from racial, ethnic, or religious »others,« and their communities consequently had to confront the essential elements of religious difference and religious choice in much the same way modern religious communities do. Throughout the colonial period, Baptists, Catholics, Jews, Quakers, Africans, and Indians, to name only a few, served as theoretical and actual others against whom majority groups defined themselves and the idea of religion. A »marketplace of religion,« albeit much more pronounced after the Revolutionary era, also existed before the penning of the Constitution, and the tendency for religious groups to splinter certainly predated the settlement of Virginia. Few if any residents of British North America could claim to live in communities where their values were seamlessly or uniformly shared by all their neighbors and by their governments. Atlantic history thus offers a crucial insight to scholars of 24 See, for example, Stephen Foster: The Long Argument: English Puritanism and the Shaping of New England Culture, 1570–1700 (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1991); Frank Lambert: Inventing the ›Great Awakening‹ (Princeton: Princeton University Press, 1999); Susan Juster: Doomsayers: Anglo-American Prophecy in the Age of Revolution (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2003); Carla Gardina Pestana: Protestant Empire: Religion and the Making of the British Atlantic World (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2009). 25 William Pencak: Jews and Gentiles in Early America, 1654–1800 (Ann Arbor: University of Michigan Press, 2005); Sylviane A. Diouf: Servants of Allah: African Muslims Enslaved in the Americas (New York: New York University Press, 1999). Good recent examples of reconfiguring traditional religious historiography to account for the effect of ethnic and racial diversity are Mary Beth Norton: In the Devil’s Snare: The Salem Witchcraft Crisis of 1692 (New York: Alfred A. Knopf, 2002), and Rachel M. Wheeler: »›Friends to you Souls:‹ Jonathan Edwards’ Indian Pastorate and the Doctrine of Original Sin.« Church History 72, 2003, 736–765. 26 Fogleman, Jesus Is Female (note 1); Peter Silver: Our Savage Neighbors: How Indian War Transformed Early America (New York: W.W. Norton, 2008), esp. 14–21.

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religion: the lived religious experience of early Americans, and therefore the meaning of »religion,« was created as much through diverse cross-cultural and cross-religious encounters as by the ideals of any single tradition.27 The arena of Atlantic history has also generated the most creative and fresh interpretations of the interplay between religion and the economy in recent years. The diversity of their examples is enticing, suggesting that religious actors employed their beliefs frequently and yet in situationally specific ways. Cynthia Van Zandt provided a fascinating portrait of Isaac Allerton, recasting financial disputes that were often depicted as moral transgressions into examples of cross-cultural encounter between the Plymouth colonists and the Dutch-influenced Allerton.28 April Hatfield found an important role for Protestant identity in the trading networks based in early Virginia. Renate Wilson traced the role of Halle Pietist money in two very different ventures: the communalistic settlement of Protestant Salzburger refugees in Ebenezer, Georgia, and the pharmaceutical trade’s support of Halle’s Pietist missionaries. A. Gregg Roeber argued that German immigrants to North America used innovative economic tools to protect and nourish their religious and ethnic communities. Frank Lambert chronicled the easy relationship between the evangelical itinerant George Whitefield and the commerce of print culture, an international venture from the start, and Boyd Schlenther has argued for the intertwined nature of the British commercial and religious empires.29 27 The idea of a marketplace of American religion is elaborated (though not originated) in Roger Finke and Rodney Stark: The Churching of America, 1776–1990: Winners and Losers in Our Religious Economy (New Brunswick: Rutgers University Press, 1992), esp. 17–21. For a treatment that takes this analysis before the Revolution, see Boyd Schlenther: »Religious Faith and Commercial Empire.« In The Oxford History of the British Empire: The Eighteenth Century. Ed. by P[eter] J. Marshall (New York: Oxford University Press, 1998), 128–150. 28 Cynthia J. Van Zandt: »The Dutch Connection: Isaac Allerton and the Dynamics of English Cultural Anxiety in the ›Golden Eeuw‹.« In Connecting Cultures: The Netherlands in Five Centuries of Transatlantic Exchange. Ed. by Rosemarijn Hoefte and Johanna Kardux (Amsterdam: VU University Press, 1994), 51–76. Michael McGiffert pondered the spiritual condition of the same man in a highly contemplative piece that relishes the complicated nature of the intersection between religious belief and economic action in people’s lives; id.: »Religion and Profit Jump Together.« Early American Literature 40, 2005, 145–161. Microhistories of the intersection between religion and economic life in early America account for a significant portion of the work produced in this area in recent years. See, for example, Paul E. Johnson and Sean Wilentz: The Kingdom of Matthias: A Story of Sex and Salvation in 19th-Century America (New York: Oxford University Press, 1994). Works focusing on early modern Britain include Margaret C. Jacob and Matthew Kadane: »Missing, Now Found in the Eighteenth Century: Weber’s Protestant Capitalist.« American Historical Review 108, 2003, 20–49; Paul S. Seaver: Wallington’s World: A Puritan Artisan in Seventeenth-Century London (Stanford: Stanford University Press, 1985). 29 April Lee Hatfield: Atlantic Virginia: Intercolonial Relations in the Seventeenth Century (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2004); Frank Lambert: ›Pedlar in Divinity‹: George Whitefield and the Transatlantic Revivals, 1737–1770 (Princeton: Princeton University Press, 1994); Harry S. Stout: Divine Dramatist: George Whitefield and the Rise of Modern Evangelicalism (Grand Rapids: W.B. Eerdmans, 1991); Renate Wilson: Pious Traders in Medicine: A German Pharmaceutical Network in Eighteenth-Century North America (University Park:

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For the most part, these scholars, each speaking to a different audience with different aims, have not seen themselves as part of a single methodological innovation, and they have not argued that they collectively offer a new paradigm for understanding the intersection between the religious and the economic. Yet such disparate works do show much. Each investigates the interdependence of religious and economic action in a setting in which their subjects had to contend with and negotiate larger social and economic forces that they could not hope to control. Operating in a system that necessitated contact with religious others, individuals constantly defined and redefined what »religion« meant as they engaged with the economy. The diversity of economic needs and opportunities, as well as religious perspectives, created a dizzying variety of possibilities. If such moments of engagement could be lined up next to each other by an omniscient historian, it would still be impossible to reduce them to a mathematical equation or simple causal relationship of the sort so neatly espoused by Weber. Nor is one required, as it is the negotiation between these aspects of life, rather than any imagined stable relationship, that formed the lived religion of economic engagement in early America. The Moravians provide a good avenue for the conscious reexamination of the interplay of religion and the economy along these lines because they sit easily at the nexus of the trends outlined above. They were, perhaps, the quintessential Atlantic community, extending from central Europe to the Caribbean and from Greenland to South America. Because of their missionary work, and because they were always a minority in any society in which they lived, they had as their trading partners people of various faiths. Just as important, they left an abundance of records, both narrative and financial, which allow a rich and textured examination of their religious and economic choices. Last, they provide a good case study because they have often been just that. Scholars since Max Weber and Ernst Troeltsch have used the small group to illustrate how religion influenced economic choices, and vice versa.30 What Pennsylvania State University Press, 2000) and id.: »Halle and Ebenezer: Pietism, Agriculture, and Commerce in Colonial America« (Ph.D. diss., University of Maryland, 1988); A. G[regg] Roeber: Palatines, Liberty, and Property: German Lutherans in Colonial British America (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1993), and id.: »›Troublesome Riches‹: Protestant and Catholic Stewardship of a Capitalist World.« Amerikastudien 42, 1997, 357–375; Schlenther, »Religious Faith and Commercial Empire« (note 27). See also Rosalind J. Beiler: Immigrant and Entrepreneur: The Atlantic World of Caspar Wistar, 1650–1750 (University Park: Pennsylvania State University Press, 2008); Kristen Block: »Cultivating Inner and Outer Plantations: Property, Industry, and Slavery in Early Quaker Migration to the New World«. Early American Studies 8, 2010, 515–548; Holly Snyder: »›Under the Shado of Your Wings‹: Religiosity in the Mental World of an Eighteenth-Century Jewish Merchant.« Ibid., 581–622. 30 Though both Max Weber and Ernst Troeltsch wrote about the Moravians, neither interpretation represents the group’s economic engagement with a great deal of accuracy. Weber, Protestant Ethic (note 2), 96, 134–136; Ernst Troeltsch: The Social Teaching of the Christian Churches. Trans. Olive Wyon. 2 vols. (1931; reprinted Chicago: University of Chicago Press, 1981), 719–721, 788– 790. Bethlehem’s religious and economic history has been the subject of four monographs. Most

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follows attempts to apply the methodological approach outlined above: first, it draws on the work of scholars of recent religious history by looking for many, varied intersections between religion and economic action freed from the teleological burden of proving or disproving religion’s decline in a market economy; second, it incorporates the practices of cultural history, specifically paying close attention to historically contingent categories of »religion« and »economic action« and the process of negotiation that characterized their intersection; and, last, from Atlantic history, it assumes a diversity of experience in the early American religious landscape rather than any uniformity, even within a specific denomination. A detailed examination of the Moravians that pays attention to how the group defined its own religious and economic actions suggests the value of reopening research into this vital area of lived religion.

2. The Moravians’ Lived Religion of Economic Engagement William Penn’s »Holy Experiment« drew widely diverse people to Pennsylvania for varied reasons, but few visitors were as colorful as Count Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. The count, also known as Louis Thurnstein when he wished to shed his aristocratic titles, was a Saxon nobleman, theologian, and religious enthusiast who had had the good fortune to lead his own religious community. His followers, who came to be known in English as the Moravians, traced their roots to the pre-Reformation Protestant followers of the Czech martyr Jan Hus. Within a short time of taking refuge on Zinzendorf ’s Saxon estate in 1722, however, and under his guidance, the group took on a new form heavily influenced by German Pietism. In less than two decades Zinzendorf ’s combination of exuberance, wealth, and connections helped the Moravians grow from a small band of refugees into a major force in the spread of early evangelicalism throughout the Atlantic world. The count’s belief that the experience of rebirth need not be a painful one differentiated him and his followers from mainstream Pietists, and the distinctively joyous faith significant are Beverly Smaby: The Transformation of Moravian Bethlehem: From Communal Mission to Family Economy (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 1988), which argued that the demise of the communal system led to secularization in the town, and Gillian Lindt Gollin: Moravians in Two Worlds: A Study of Changing Communities (New York: Columbia University Press, 1967), which compared Bethlehem to the central European Moravian town of Herrnhut. See also Jacob John Sessler: Communal Pietism among Early American Moravians (New York: H. Holt, 1933), and Hellmuth Erbe: Bethlehem, Pa.: Eine kommunistische Herrnhuter Kolonie des 18. Jahrhunderts (Stuttgart: Ausland und Heimat, 1933). For a similar study focusing on Winston-Salem, see Michael Shirley: From Congregation Town to Industrial City: Culture and Social Change in a Southern Community (New York: New York University Press, 1994).

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embraced by the Moravians proved attractive to spiritual seekers in Europe, Great Britain, and North America.31 Zinzendorf ’s »blood and wounds« theology emphasized Christ’s sufferings on the cross and the sinner’s ability to commune directly with the Savior. His language was filled with graphic metaphors of Jesus’ physicality, but the nurturing image of the Savior’s lap was more indicative of the Moravians’ relationship to Christ than the emphasis on blood might imply. Typical of their daily piety was the record left by the Swedish Moravian Sven Roseen, who lived in northeastern Pennsylvania in the 1740s: »After I had been in the woods alone, reflecting on the Wounds, I preached to the people here, at eleven o’clock, on the words (2 Cor 5:20) ›Be ye reconciled to God.‹« Roseen then contemplated his own spiritual journey, and he concluded by thinking on »the text of the day, which exhorts us to suffer Him to decide further, not interfering, so shall we rest in peace and be happy even here.«32 For Roseen and his colleagues, personal reflection led directly to evangelism, and both centered on a message of redemption offered by Christ’s death. Indeed, according to the 1740 General Synod in Gotha, held just before Bethlehem’s founding, the »Plan« of the Renewed Moravian Church was »to preach Jesus the crucified to the hearts« of all people, and »to make the word of the merits of the wounds of Jesus [the Moravian Church’s] first and last thing and the motivation of all its doings from this hour until [its] end.«33 In less than two decades the small community grew to encompass a network of thousands, a testament to the movement’s appeal and its effective missionizing. Moravian expansion around the Atlantic, and the subsequent interplay in the group’s religious and economic lives, depended on two contradictory facets of Moravian development. First, members embraced the egalitarian and ecumenical tendencies within early evangelicalism wholeheartedly and found within that style of faith a seemingly boundless drive for missionary work. They eschewed sectarian division and definition in favor of communion with a 31 For a general overview of the early Moravian history, see Atwood, Community of the Cross (note 1); J. Taylor Hamilton and Kenneth G. Hamilton: History of the Moravian Church: The Renewed Unitas Fratrum, 1727–1957 (Bethlehem: Interprovincial Board of Christian Education, Moravian Church in America, 1967); and Dietrich Meyer: Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine, 1700–2000 (Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2000). For Moravianism in the context of the German Pietist movement, see Dietrich Meyer, »Zinzendorf und Herrnhut.« In Geschichte des Pietismus. Vol 2: Der Pietismus im achtzehnten Jahrhundert. Ed. by Martin Brecht (Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1995), 5–106. 32 Atwood, Community of the Cross (note 1). For Roseen’s narrative, see Sven Roseen: The Dansbury Diaries: Moravian Travel Diaries, 1748–1755. Trans. William N. Schwarze and Ralf Ridgway Hillman (Camden: Picton Press, 1994), quotation on 7. 33 Computerized transcription of the Gotha Synod Protocol, 1740: UA, R.2.A.3.A1, file 4, 18. For German Pietism and missionary work, see Hermann Wellenreuther: »Pietismus und Mission. Vom 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.« In Geschichte des Pietismus. Vol. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Ed. by Hartmut Lehmann (Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2004), 166–193.

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broad range of Christians, and they became some of the most active evangelists of the eighteenth century. Yet the Moravians simultaneously offered no challenge to the economic and social hierarchies of the day. Quite the contrary: they worked pragmatically within the worlds they inhabited, from the aristocratic society of Saxony to the merchant capitalism of London and Amsterdam and the plantation economies of the Caribbean. A natural tension thus existed within the community between egalitarian evangelicalism and social hierarchy, but with characteristic energy the Moravians avoided being hamstrung by the issue (primarily by simply ignoring it) and used the varied economic environments in which they found themselves to promote spiritual awakening.34 Religious zeal repeatedly invited economic innovation. The Moravians made the most of their connections to wealth and privilege by using Zinzendorf ’s noble status and the privileges it afforded to gain access to places such as the Danish West Indies, which would otherwise have been unreachable. Once there, they purchased a sugar plantation, and the slaves to work it, in order to support their mission. The plight of the enslaved had drawn their energies in the first place, but they avoided any message of earthly freedom and therefore did not present an ideological challenge to the slave economy of the islands. Instead, the gaze of Moravian missionaries remained squarely on the redemptive message of Christ’s sufferings to the exclusion of nearly all else. The Caribbean story was replicated, a decade later, in Pennsylvania, where, as the arguments in the Musch case demonstrate, the desire to spread the Gospel led the Moravians to found a communal settlement at Bethlehem. The exigencies of survival in the backcountry alongside the expenses of missionary work dictated that economic endeavor be a central part of the project. Two intertwining drives thus propelled the Moravians. Their desire to share the gospel energized them to move around the globe and connected them with peoples far from the hills of eastern Saxony, and their need to pay for those expensive activities engaged them directly in the Atlantic economy.35 Moravian religious and economic lives were deeply interconnected, but such statements need not be the end of analysis of how their religious and economic choices and priorities influenced and shaped each other. By examining how religion motivated the Moravians to act in the economy and by asking what economic actions they viewed in religious terms, a subtle engagement between the religious and the economic emerges. Three examples bear mentioning here. First, the distinctly pragmatic communalism erected at the group’s Pennsylvania base of Bethlehem supported the Moravians’ most active form of 34 Evangelicalism’s challenge to the social and racial hierarchies of eighteenth-century America is discussed in Isaac, Transformation of Virginia (note 21), 161–177 and passim. See also Mark A. Noll: The Rise of Evangelicalism: The Age of Edwards, Whitefield, and the Wesleys (Downers Grove: Intervarsity Press, 2003), 172–177. 35 Sensbach, Rebecca’s Revival (note 1), and id., A Separate Canaan (note 1).

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religion, their missions, and it was also the result of their most striking and unique economic choice, the decision to pool their labor in Pennsylvania into a collective whole. Second, in the experiences of a single individual, a very different set of negotiations appears. The merchant Henry Van Vleck made a fortune from his Moravian ties, but he interpreted his actions as a form of religious devotion and sacrifice. Last, by returning to the example with which we began, Jacob Musch, the interdependent nature of »religion« and »economy« for the Moravians becomes clear. These examples provide three different variants on the theme of how economic practice had religious meaning or, alternatively, of lived religion in moments of economic action. In each of these cases, the role the Moravians conceived of for religion in economic choice differed, even to the extent that it was not uniformly shared by all members of the community. Looked at together, they suggest that religion influenced economic choices in widely divergent ways without ever fading from view. The decision to build a communal settlement in Bethlehem resulted directly from that town’s role in the Moravians’ international plan: the support of missionary work in eastern Pennsylvania and, more broadly, the western Atlantic world. Indeed, the town’s intimate relationship to missionary work, and thus to the economics of evangelism, differentiated it from other large Moravian communities precisely because it provided the impetus for communalism. Missionary work also became the core of religious expression for Bethlehem. Although those living in the tightly regulated community followed a detailed plan of worship services and participated in the near constant celebration of rituals, the same was true in any number of Moravian communities. Only in Bethlehem, however, were the earthly labors of everyone explicitly linked to the support of missionary work. In this sense, the religious value of Moravian communalism existed solely in its effectiveness as a basis for evangelization, and religion, in the form of missionary work, was a motivating force for economic action for residents.36 36 In general, Moravian settlements were not economically communitarian. The German towns of Herrnhut and Herrnhaag, for example, and others in Great Britain and the Netherlands, were termed Ortsgemeinen (congregation towns), exclusive Moravian towns designed to nurture the piety and spirituality of those living within them. These settlements had in common close communal governance and an intensely coordinated Pietist lifestyle, but they presented no challenge to the economic environments in which they existed. Just as Zinzendorf never renounced his aristocratic privileges, residents of the Ortsgemeinen did not live in a community of goods. On the contrary, the 1727 »Manorial Injunctions« governing Herrnhut stated explicitly that »each inhabitant of Herrnhut shall work and eat his own bread. If he is old, sick, or incapacitated, however, the community will sustain him.« Thus, while Herrnhuters and residents of other Ortsgemeinen submitted to church authorities in almost all matters, they retained independent households and pursued their own fortunes. For discussion of the Ortsgemeine ideal, see Sommer, Serving Two Masters (note 1), 10–32. Beverly Smaby also gives a schema for the distinction among the various Moravian communities in id., Transformation of Moravian Bethlehem (note 30), 25. The »Brotherly Agreement« and »Manorial Injunctions« appear in

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Although its justification can be found in missionary projects, the economic flexibility that marked Moravian communalism drew on a variety of precedents. An Atlantic perspective points to the example set by August Hermann Francke’s Halle Pietists. That group, in conjunction with the Georgia Trustees and the Anglican Society for Promoting Christian Knowledge, blended commercial and religious goals when they designed the settlement of Ebenezer, Georgia. The Ebenezer group even employed a limited communal system for a time. European Moravians had also been highly creative when it came to economic endeavor, again building on the Halle model to meet their own specific needs. Moravian textile firms in Saxony demonstrated the community’s deep engagement in the market economy, and mission sites around the globe sported commercial establishments alongside their more obviously religious efforts. In other words, a willingness to bend and blend economic forms in order to support religious goals was, in itself, not innovative, and it had proven highly useful in a variety of settings within and beyond the Moravian community before Bethlehem was founded. Moravian communalism in Bethlehem must therefore be placed within a context of diverse economic actions on the part of the Moravians and their peers.37 Zinzendorf und die Herrnhuter Brüder: Quellen zur Geschichte der Brüder-Unität von 1722 bis 1760. Ed. by Hans-Christoph Hahn and Hellmut Reichel (Hamburg: Wittig, 1977), 68–80. 37 For Halle’s financial organization, see Wilson, Pious Traders in Medicine (note 29) and id., »Halle and Ebenezer« (note 29). One of the more remarkable artifacts of American historiographical paradigms on religion and the economy is that American scholars have emphasized the communal (and putatively antimarket) nature of Bethlehem and Salem, whereas European scholars have long assumed a deep level of market engagement by the Moravians. For a recent survey of Moravian economic ethics, see Peter Vogt: »Des Heilands Ökonomie: Wirtschaftsethik bei Zinzendorf.« Unitas Fratrum 49–50, 2002, 157–172. Works on Moravian economic history emphasizing Europe include, primarily, the two books by Otto Uttendörfer: Alt-Herrnhut: Wirtschaftsgeschichte und Religionssoziologie während seiner ersten zwanzig Jahre, 1722–1742 (Herrnhut: Missionsbuchhandlung, 1925), and id.: Wirtschaftsgeist und Wirtschaftsorganisation Herrnhuts und der Brüdergemeine von 1743 bis zum Ende des Jahrhunderts (Herrnhut: Missionsbuchhandlung, 1926). See also Gisela Mettele: »Kommerz und Fromme Demut: Wirtschaftsethik und Wirschaftspraxis im ›Gefühlspietismus‹.« Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 92, 2005, 301–321; Guntram Philipp: »Wirtschaftsethik und Wirtschaftspraxis in der Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine.« In Unitas Fratrum: Herrnhuter Studien/Moravian Studies. Ed. by Mari P. Buijtenen [et al.] (Utrecht: Rijksarchief, 1975); Ilse Tönnies: »Die Arbeitswelt von Pietismus, Erweckungsbewegung und Brüdergemeine – Ideen und Institutionen: Zur religiös-sozialen Vorgeschichte des Industrialisierungszeitalters in Berlin und Mitteldeutschland.« Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 20, 1971, 89–133, and 21, 1972, 140–183; Hans-Jürgen Schrader: »Unleugbare Sympathien: Roentgen-Schreibtische, Magnetismus und Politik in Goethes ›Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten‹.« In Dazwischen: Zum transitorischen Denken in Literatur- und Kulturwissenschaft. Ed. by Andreas Härter [et al.] (Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2003), 41–68; W[illiam] R. Ward: »Zinzendorf and Money.« In The Church and Wealth. Ed. by W[illiam] J. Sheils and Diana Wood (Oxford: Blackwell, 1987), 283–305; Hans Wagner: Abraham Dürninger & Co., 1747–1939 (Herrnhut: Abraham Dürninger, 1940). Gollin, Moravians in Two Worlds (note 30), deals with both Europe and America.

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Also significant for understanding Bethlehem’s economic structure is the fact that nowhere in the Moravian world is there significant evidence of ideological resistance to market exchange, provided it was carried out in a moral fashion. Bethlehem was never a utopian experiment. In fact, the Moravians understood that they worked in a larger market economy over which their little band of missionaries had no legal or practical influence. They attended to its many possibilities, as well as to the financial hazards of resisting its common practices. Indeed, Count Zinzendorf reportedly said that all trade must be carried out in the names of individuals because to trade in the name of the fellowship as a whole created the appearance of a community of goods. This, he continued, »was in all ways to be avoided, in order to silence other inconveniences.« Rejecting even the suggestion of an ideological or theological commitment to communalism, the Moravians’ intellectual approach to that particular economic form was thus both wary and functional.38 In 1747 Bethlehem’s leaders stated outright that their collective economy served practical ends: »Our communal housekeeping is only out of need. It is no point of religion, much less of blessedness.« It was useful because »it is advantageous for the servants and maids of Jesus that many a one can be used [for religious work] who otherwise, through [the need to pursue] his own economy, would be hindered.«39 Economic efficiency, necessitated by the central importance of missionary work, was the primary reason for Moravian communalism. Members donated all their labor to the community and gave over the right to choose occupations or marriage partners, as the latter decision was seen as intimately connected to the former. They lived in communal dormitories, ate in shared dining rooms, and wore clothes made in communal shops. Certainly, shared religious practice united them as well, as they gathered for a constant stream of prayer, sermons, and song services. Yet these activities did not demand communalism, whereas missionary work, they believed, did. Because Bethlehem’s residents did everything in the name of missionary work, all their actions, including the economic, fell into the category of »religious.« The pervasiveness of religious justifications for economic activity permitted the definition of the category of »economic« for the Moravians to be a profit-driven series of market engagements, as all profits were steered to religious ends. The category of economic behavior was thus contained within the religious, and because of this, rather than in spite of it, Moravian business practice differed little if at all from the common practices of their neighbors and trading partners. Town leaders turned a coolly calculating eye on the town’s economy. The broad outlines of the Oeconomy, as they referred to their communal household, suggest remarkably little concern for the moral implications of economic engagement per se. Businesses were founded and then eliminated on the basis of financial opportunity. Moravian storekeepers 38 Beylagen d.i. Erläuterungen aus Zinzendorfs Principien, UA, R.2.B.45.2.a. 39 Moravian Archives, Bethlehem (henceforth MAB), Helfer Conferenz Minutes, May 6, 1746.

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and artisans entered into business relationships with coreligionists and also with whoever offered the best price. Work performed for the community itself was quantified alongside work that brought in much-needed cash. Balance sheets, produced at the end of a fiscal year, allowed the careful monitoring of the project’s financial health. Bethlehem’s religious commitment to missionary work simultaneously validated economic activities and justified the conduct of those activities in ways that seemingly gave priority to the bottom line. It also, over time, facilitated the development of increasingly complicated economic forms, such as corporate structures, insofar as they too earned funds for missionary work.40 Moravian communalism both resembled and differed from other early American communalisms, and a comparative perspective highlights the range of ways that the religious and the economic could come together to produce even as distinctive a form as communalism. Although all such »intentional communities« had some purpose that mirrored the Moravians’ commitment to missionary work, the varied relationships between that purpose and economic action is notable. Because Bethlehem was not economically utopian, its communal structure was never driven primarily by the desire to reject or reform market relationships or the belief that changing economic relationships would improve the nature of community. The Moravians theorized on none of these issues, and they did not require members of the Oeconomy to sign over their assets, but rather merely to donate their labor. In this sense, it differed from many better-known nineteenth-century communal experiments. Both the Shakers and the New Harmonists, for example, required that members give their wealth to the community, a transfer that made leaving those communities very difficult and furthermore reflected a belief that relationships free of economic content would be more spiritual. Though the Moravians shared a certain financial acumen with these communities, both of which were known for successful businesses, Shakers and New Harmonists rejected the economic self, an action never required of the Oeconomy’s members, and thus underlying attitudes toward the market economy differed considerably.41 40 Katherine Carté Engel: Religion and Profit: Moravians in Early America (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2009), chaps. 2 and 4. 41 The Moravians’ unity of purpose and religious devotion bore some resemblance to those of other eighteenth-century communitarian groups, although caution should prevent generalizations about such varied communities. Geographically, ethnically, and temporally, the Moravians were most closely related to the seventeenth-century Women of the Wilderness and to Conrad Beissel’s Ephrata Commune, both of which settled in southeastern Pennsylvania. The same vibrant religious environment in central Europe that produced the Moravians gave rise to all these groups, including George Rapp’s early nineteenth-century Harmony Society, but the Moravians differed from their compatriot communalists in several significant ways. First, the personal influence of Beissel, Rapp, and Johannes Kelpius on their respective communities was undeniable, and, in the former two cases, led to significant conflict within the communities. Zinzendorf ’s central position in the Moravian Church notwithstanding, Bethlehem lacked a single charismatic leader for the majority of this period. Zinzendorf resided far away and was in

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A second intersection between the religious and the economic among the Moravians appears through examination of members living outside Bethlehem, those who were excluded (often voluntarily) from the Oeconomy. These individuals had available to them very different understandings of how religion influenced or justified their economic choices. A notable example is the New York merchant Henry Van Vleck, who made his fortune from his links to the Moravian church. Van Vleck’s business career reflected the lofty potential of the Atlantic economy in the mid-eighteenth century and the power of evangelical religion to shape an individual’s life and economic choices. He was born in 1722 in New York to a Dutch Reformed family. As an adolescent he was apprenticed to a devout merchant, Thomas Noble, and through his master’s connections he came to know both spiritual awakening and the Moravians. When, as a newlywed, he inherited Noble’s business, he had already become a constant motion, two factors that prevented the Moravian Church from depending wholly on his will or personality. August Spangenberg was on the spot in Pennsylvania, but his personal deference to authority from Herrnhut, particularly Zinzendorf ’s, kept him from assuming the sort of pivotal leadership role one often finds in communitarian groups. Second, the Moravians did little more than flirt with millennialism. Beissel, Rapp, and Kelpius felt the end times were imminent – even calculable – but Spangenberg, Zinzendorf, and the Moravians emphasized instead Christ’s role in this world and their nearness to him. The sense of urgency and anticipation that accompanied deeply millennial movements was subdued among the Bethlehem community. Third, unlike other German groups and the Shakers, the Moravians never embraced celibacy, avoiding what can only be described as a source of serious stress in those societies. Last, Moravian spirituality was not limited to its communitarian towns. A member could be a full and equal member and yet not live in a common household. This diversity of living arrangements, which, like the limitations on Zinzendorf ’s influence, also resulted from the size and geographical diversity of the church, militated against the idea that a truly religious life necessitated forsaking the wider world. The Shakers followed the principle of »joint interest,« whereby members gave over their assets to the community when they joined. Believing this transfer to be a religious duty and therefore irrevocable, members were not able to reclaim their goods if they chose to leave the Shakers. George Rapp’s Harmonists also adopted communalism after migrating to America. Combining their assets provided the group with economic stability and protection while they established their first town of Harmony in western Pennsylvania, and, according to the 1805 Articles of Association, members surrendered their assets to a common treasury. Like the Shakers, however, Rapp believed that an individual’s commitment to the commune was permanent. As early as 1808 the return of property to dissenting members became a problem, one that continued to plague the community until after George Rapp died in 1847. The literature on communal movements, particularly in the nineteenth century, is vast. For a good overview of early American communitarian groups, see America’s Communal Utopias. Ed. by Donald E. Pitzer (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1997), especially the essays by Donald Durnbaugh and Karl J.R. Arndt. For works that explore communal movements of religious groups related to the Moravians, see Stephen L. Longenecker: Piety and Tolerance: Pennsylvania German Religion, 1700–1850 (Metuchen: Scarecrow Press, 1994); E. G[ordon] Alderfer: The Ephrata Commune: An Early American Counterculture (Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, 1985). For the Shakers, see Stephen J. Stein: The Shaker Experience in America (New Haven: Yale University Press, 1992), esp. 40–49, 92–93; Priscilla J. Brewer: »The Shakers of Mother Ann Lee.« In America’s Communal Utopias (note 41), 37–56, and Karl J.R. Arndt: »George Rapp’s Harmony Society.« Ibid., 57–87.

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cornerstone of the small but pivotal New York Moravian community. He and his wife requested the privilege of moving to Bethlehem, but »the Brethren advised me, however, to remain in New York and serve the Savior there.« The decision proved fortunate for Van Vleck financially, as »Not long after, we were consigned goods by a merchant in England, who was in business with the blessed Noble.« Once again, Moravian leaders in Bethlehem encouraged him to pursue his business. »I was doubtful about accepting [the goods],« Van Vleck later wrote, but the Brethren said to me I should accept this opportunity from the hand of the Savior for my outward success. I did it and was happy, and the said merchant as well as others trusted me all the more, whereby the Savior evidently blessed me, so that my credit was established in a short time.42

Van Vleck never abandoned his desire to remove to Bethlehem, and he ultimately did so in 1773, nearly thirty years after his initial request. In the meantime, however, he became the Moravians’ principal agent in New York, managed the western end of their Atlantic trade, and performed numerous other duties that relied on his fortune and his position. He also placed his children in the Bethlehem schools, and he continued to submit his life to the oversight provided by Moravian leaders. His close ties to the community notwithstanding, his dealings with the Moravians were only a small portion of his business. He owned part of four different trans-Atlantic vessels, imported dry goods on a number of other ships, and maintained a store on the city’s docks. He rose to a position of prominence in New York City and eventually served two terms as the Dock Ward’s city assessor.43 Van Vleck was quite the picture of the merchant capitalist, and his spiritual life shaped his economic choices in ways radically different from what would have unfolded if he had moved to Bethlehem. Indeed, his spiritual autobiography implies that the presence of the religious in his economic life probably had a great deal more to do with his personal sacrifice in remaining in New York than it did with missionary work directly, as would have been more characteristic of someone in the Oeconomy. He certainly knew of and 42 MAB, Van Vleck’s Lebenslauf. 43 For Van Vleck’s business, see, for example, advertisements and notices, New York Gazette Revived in the Weekly Post Boy, September 11 and 18, 1749, June 18, 1750, December 5 and 19, 1757; New York Mercury, September 19 (3, 4) and 26, 1757, October 3, 1757, July 21, 1760 (supplement). The ships are the Irene, Hope, Two Brothers (New York Gazette, January 17, 1757); Concord (New York Mercury, Supplement, July 21, 1760); Charming Rachel (New York Gazette, June 18, 1750); Prince of Wales and Lamb (New York Gazette, December 5, 1757). For business connections, see New-York Historical Society, Henry Van Vleck Receipt Book. See also Joseph A. Scoville: The Old Merchants of New York City, 3rd ser. (New York: Carleton, 1865), 182–183; Virginia D. Harrington: The New York Merchant on the Eve of the Revolution (New York: Columbia University Press, 1935), 185; Minutes of the Common Council of the City of New York, 1675–1776 (New York: Dodd, Mead, 1905), 6, 303–346; Bruce M. Wilkenfeld: »The New York City Shipowning Community, 1715–1764.« American Neptune 37, 1977, 50–65.

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supported the Moravian community’s religious work. He aided missionaries when help was needed, and he purchased shares in the international Moravian Church’s Commercial Society, a joint-stock venture designed to support evangelical outreach. But his personal labors did not go to aid missionary work in the way they would have if he had worked, wage-free, in one of Bethlehem’s shops. Yet, though religion may have meant personal sacrifice to Van Vleck, it nonetheless helped him become a very wealthy individual, even as the community’s approbation of and reliance on his international business efforts validated his work and justified what had been for him the less desirable path. He quite possibly saw his wealth as evidence of his sacrifice. It is also worth noting that just as Moravian commitment to missionary work as a religious expression defined Bethlehem’s economic sector and freed the group to search for profits, so Van Vleck’s religious commitments, in the form of his work for the Moravian Church, may have enabled him to act more freely as an apparently secular businessman in other contexts. Individual motivations are notoriously difficult to discern without direct statements by the person involved, but the fact that most of Van Vleck’s activities on behalf of the Moravians were mirrored by activities with non-Moravian counterparts is suggestive. It is quite possible that the former provided implicit sanction for the latter, and that Van Vleck did not worry that his actions transgressed moral barriers, even when his trading partners were not Moravian, because he knew his actions met with church approval.44 If he imported goods on the Moravian community ship for which he was trustee, what harm could arise from engaging in the dry goods trade for a reasonable profit for himself ? Moravian economic ethics, crystallized in Zinzendorf ’s belief that what mattered was the spirit behind an action rather than the action itself, relied on self- and community regulation. This outlook was perfectly suited for international commerce, as it demanded nothing of the Moravian’s transactional counterparts and everything of the Moravian, and yet it still permitted the Moravian to act in »outward« or worldly affairs.45 Van Vleck made his fortune in no small part through the Moravians, so for him religion and profit did jump together. The same cannot be said of Johann Jacob Musch, the young man who sued the community in 1766 for what 44 For treatments of religion and merchant communities, see Thomas Doerflinger: A Vigorous Spirit of Enterprise: Merchants and Economic Development in Revolutionary Philadelphia (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1986); Hatfield, Atlantic Virginia (note 29); Tolles, Meeting House and Counting House (note 6); Bailyn, New England Merchants (note 6); Nuala Zahedieh: »Making Mercantilism Work: London Merchants and Atlantic Trade in the Seventeenth Century.« Transactions of the Royal Historical Society 9, 1999, 143–158; J.F. Bosher: »Huguenot Merchants and the Protestant International in the Seventeenth Century.« William and Mary Quarterly 52, 1995, 77–101; Jonathan Howes Webster: »The Merchants of Bordeaux in Trade to the French West Indies, 1664–1717« (Ph.D. diss., University of Minnesota, 1972). 45 For Zinzendorf ’s attitude toward commerce, see Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 37), 48. For a broader Moravian outlook on the subject, see Commerce Committee Minutes, UA, R.4.A.51.1b.

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amounted to breach of contract. The disagreement between Musch and the Moravians revolved around differing definitions of how the religious and the economic intertwined, and a careful reading of his story indicates that despite the Moravians’ comfort with economic engagement, for them and for their fellow Pennsylvanians economic transgressions were also used to establish religious authenticity. Musch’s crimes, and his demands, were essentially economic, and yet his lawsuit turned on the question of whether the Moravians could claim religious sincerity. The two sides offered very different descriptions of Musch’s time in Bethlehem at the trial, without disagreeing much about the underlying facts. Each side claimed the other was corrupt, acting out of selfishness and greed rather than in a spirit of honesty. Musch argued that he had struck a fair bargain. He had promised to work for the Moravians without wages, and they had promised to care for him in perpetuity. »It was said to him that in Bethlehem there would be a common housekeeping,« claimed Ross, Musch’s lawyer, in his opening statement, and that »every person who belonged to this society had his own personal share in the common property, in so far as he contributed to the common good through the work of his hands.« According to Musch, these were the conditions under which he agreed to come to America and join the Bethlehem system. When the Moravians asked him to leave, after having held him in a state of dire poverty for years, they violated the contract. »After he had spent the best years of his life for the advantage of this Society,« his lawyer argued, [he] had lived in the hope that in his old age he would be able to enjoy peacefully the equal measure of his work and effort, only then did the Brethren give him to know that he could no longer live with them, and he was de facto sent away and excluded from further contact with the community.

Musch felt that if the Moravians did not provide him with a lifetime of support, then they should have to pay him as if he had worked outside the Moravian community all those years—a total of five hundred pounds in his calculation. His case, which painted in detail what he viewed as the Moravians’ greed and perfidy, asked jurors to punish the Moravians for their sins and deny them the reputation of having respectable religion.46 The Moravians had an easier job in defining Musch’s behavior as sinful and theirs as representing authentic religion. In court, witnesses for the Moravians argued that Musch was of low moral character, unworthy of participating in a religious endeavor. They testified to his being a difficult and even whiny coworker, but the most damning evidence came from Andreas Weber, who had served on the committee that ejected Musch. »He started to treat his coworkers despotically, and caused real discord, which for us is the greatest vice,« reported Weber. Musch had failed to act the part of the willing laborer, making 46 Nachricht vom Muschischen Procez in Pensylvania 1766, UA, UVC, X 143a.

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it harder for others to do their service with a cheerful heart. Though this may well have been viewed as an economic sin within the Oeconomy, he also reportedly joined it with other, more straightforward examples of greed. »He secretly bought himself Strong beer, Rum, ham and other things out of the money that had been entrusted to him [in the cobbler’s shop],« Weber continued, »he also got for himself a fine shirt, fine stockings, a beaver hat, and other clothes. […] When he was asked about it, he claimed it was from his own money, that he had received from Germany, and everyone knew that he had received nothing.« Weber got angry as he described Musch’s behavior, saying that if Musch were honest, he would have to confess right then that he had never had any hope of money from Germany. But even that was not the end of Musch’s transgressions. »He did not use his time well, and instead of working, and keeping an eye on the workshop, he went hunting and fishing all too often, and he even did this on holy Sunday.« On these grounds Musch lost the case. His wayward character ultimately served, through the public venue of the trial, to reinforce the Moravians’ reputation as missionaries and as Christians, and to reify for the public at large the fact that one who committed economic sins was not authentically religious. One final observation arises from the Musch case. Economic actions defined the religious on much smaller levels as well. The benighted cobbler may have viewed the Oeconomy in purely self-interested terms, at least according to his lawsuit, but during his time in Bethlehem he must also have known how to create the impression that he was dedicated to the community. He lived there for nine years before being ejected, and during that time he had to have participated in a great number of religious services, and he would have had to submit his life to the close organization and monitoring of church leaders. Although there is no way to know for sure, it seems likely that he viewed these performances as economic choices too – as specific costs – made worthwhile by facilitating the ends he wanted: a life of relative comfort. His choices offer the mirror image of Van Vleck’s. Economic goals demanded religious sacrifice in the form of religious performance. For him religion existed in economic terms. Religion motivated Moravian economic activity in a variety of ways. That variety suggests several conclusions. First, the religious and the economic did not, for the Moravians, exist primarily as separate categories. Priorities derived from religious beliefs, such as the desire to sacrifice for the community or the drive to spread the Gospel, had a direct effect on what sort of economic choices were possible. Bethlehem’s leaders could not allow unprofitable businesses to survive, even if they viewed the work in them as having a spiritual component, because they needed cash for the higher goal of missionary work. Likewise, Van Vleck’s commitment to community obedience, certainly a religious value for him, delayed his desire to move to Bethlehem by decades, indeed beyond the life span of the Oeconomy. Because his first choice of economic pursuit (wageless labor in a communal town) was not available, he became a successful international dry goods merchant. Moreover, in the case of both the Oeconomy

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and Van Vleck’s business, the calculated pursuit of profit – the fundamental shape of economic activity for each – was enabled by its relationship to a larger religious framework. Religious commitments both motivated and defined the realm of the economic at the same time. Yet, as evidenced in the Musch case, economic actions – or, more properly, transgressions – also defined what passed for »religious.« The boundaries between the two were never stable. Individuals like Musch, and the wide diversity they represented, demonstrate that the religious and the economic were not merely interdependent but were in a constant process of engagement and reengagement. Second, and equally important to understanding any larger picture of the interplay of religion and economic life in early America, is the diversity of contexts in which individuals and groups negotiated the religious in their economic choices. That a surprising number of such moments (including that of the Moravians) emerges from scholarship on the Atlantic world, and from related work on cross-cultural encounter between various peoples in North America, suggests that early Americans may have been pushed toward conscious assessment of both their religious values and their economic choices by myriad cross-cultural encounters that marked three centuries of early modern exchange. Merchants working in international finance were often dealing with counterparts who did not share their own cultural frameworks. This fact undoubtedly accounted for the preference, noted by many scholars and shared by the Moravians, for intrareligious trade over extrareligious contact. Yet religious frameworks developed by those who engaged in trade despite the reality that it meant dealing with religious others may well have provided new platforms for economic exchange. The same analysis can easily be extended beyond the level of trans-Atlantic trade, for cross-cultural and cross-religious economic exchange characterized all levels of early American life. Last, the diversity of experiences regarding the relationship of the religious to the economic that emerged from even as small and tightly coordinated a group as the Moravians suggests the difficulty of drawing community- or even denomination-wide conclusions about attitudes toward developments as historically complicated as the rise of the market economy. Individuals may well have entertained deeply personal or unique views about economic action, and though some may have met the approval of religious leaders, as Van Vleck’s did, others, like Musch’s, did not. That diversity should not render the role of the religious in the economic just so much background noise. It should make scholars attentive to religion as one of the contexts that framed economic choices in myriad historically specific ways. A systematic reassessment of how religion motivated economic activity in early America is unlikely to result in a single theory or generalization. It will, however, provide a valuable new lens for understanding a rich aspect of lived religion.

2. Praktiken des Wirtschaftens

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Pietismus und Ökonomie bei deutschen reformierten Kaufleuten südniederländischer Herkunft am Ende des 17. Jahrhunderts 1. Einleitung Das Verhältnis von Protestantismus und Ökonomie1 in der Frühen Neuzeit ist ein Thema, das die Forschung seit Max Weber immer wieder berührt hat. Weber hat den modernen Kapitalismus aus dem protestantischen Arbeitsethos und der protestantischen beziehungsweise calvinistischen Theologie hergeleitet. Fleißiges Arbeiten sei als Zeichen der Erwählung gedeutet und Überfluss damit als eine Begleiterscheinung des Kapitalismus legitimiert worden. Die Weber-These gilt in der heutigen Forschung als umstritten, aber es wird noch immer an sie angeknüpft.2 Kürzlich hat Brad S. Gregory in seinem Werk The Unintended Reformation (2012) die These verteidigt, dass der moderne Kapitalismus und der Massenkonsum letztendlich auf die Zersplitterung des europäischen Christentums infolge der Reformation zurückgehen. Geiz, Habgier und die Trennung des wirtschaftlichen Verhaltens von der biblischen Moral oder dem Gemeinwohl wurden im Mittelalter und von den Reformatoren allgemein verworfen. Die konfessionelle Zersplitterung habe aber zu Religionskriegen geführt, die in demographischer und wirtschaftlicher Hinsicht katastrophal gewesen seien. Am Ende des 17. Jahrhunderts sei das Verlangen nach Koexistenz und Toleranz zwischen den Konfessionen gewachsen. Dazu seien religiöse Überzeugungen und Praktiken privatisiert und die wirtschaftliche Praxis von der Religion abgekoppelt worden. Das Gemeinwohl sei von der Konfession gelöst und mit dem Staat verbunden worden. Als Beispiel für diese Entwicklung nennt Gregory, Mark Valeri folgend, den Puritanismus in Neuengland im 17. und 18. Jahrhundert.3 1 Vgl. zur Wirtschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit: Michael North: Von der atlantischen Handelsexpansion bis zu den Agrarreformen (1450–1815). In: Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick. Hg. v. dems. München 2000, 107–281; Hans-Werner Niemann: Europäische Wirtschaftsgeschichte. Vom Mittelalter bis heute. Darmstadt 2009, 26–66. 2 Vgl. die neueste Forschungsliteratur zum Thema: Gianfranco Poggi: Weber. A Short Introduction. Cambridge 2006, 59–74; The Reformation: As a Pre-Condition for Modern Capitalism. Hg. v. Jürgen Backhaus. Münster 2010. Den Stand der Forschung stellt dar: C. Scott Dixon: Contesting the Reformation. Malden 2012, 182–186. 3 Vgl. Mark Valeri: Heavenly Merchandize. How Religion Shaped Commerce in Puritan America. Princeton 2010; Brad S. Gregory: The Unintended Reformation. How a Religious Revolution Secularized Society. Cambridge [u. a.] 2012, 235–297.

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Eine andere Haltung zu Selbstbereicherung und weiteren Begleiterscheinungen der frühmodernen Wirtschaft lasse sich bei lutherischen Pietisten und Herrnhutern finden, so die Ergebnisse der Pietismusforschung. Obwohl sie meist ohne Bedenken moderne technische Mittel und wirtschaftliche Prinzipien anwandten, besaßen Pietisten und Herrnhuter oft eine kritische Haltung zu den Nebenwirkungen der zeitgenössischen wirtschaftlichen Praxis wie der Vernachlässigung der Armen und ihrer religiösen Erziehung, dem höfischen Leben und Luxusprodukten.4 Die am Wirtschaftshandeln interessierte Pietismusforschung hat sich im deutschen Sprachraum bisher beschränkt auf den lutherischen Pietismus und die Herrnhuter und hat den reformierten Pietismus nicht mit einbezogen. Dies werde ich in diesem Beitrag nachholen. Es ist zu fragen, wie reformiert-pietistische Kaufleute in Deutschland in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts mit der modernen Wirtschaft und ihren Begleiterscheinungen umgingen. Den Rahmen bildet die Untersuchung von zwei Schriften deutscher reformierter Pietisten, nämlich ihrer Führungsfigur Theodor Undereyck5 (1635– 1693) und dessen Freundes Johann Deusing6 (ca. 1639–ca. 1697). Beide waren Nachkommen südniederländischer Konfessionsmigranten. An ihren ethischen Vorschriften werde ich das Handeln eines Netzwerkes von reformiertpietistischen Kaufleuten, die aus der Forschungsliteratur bekannt sind, überprüfen. Es handelt sich um Bekannte von Johann Deusing sowie von Johann Jakob Schütz (1640–1690), dem anfänglichen Freund und Mitarbeiter Philipp Jakob Speners (1635–1705).7 Die Kaufleute stammten aus Frankfurt am Main und Köln. Die meisten von ihnen waren Nachkommen südniederländischer reformierter Migranten, die während des niederländischen Unabhängigkeitskampfes (1568–1648) am Ende des 16. Jahrhunderts in deutsche Städte

4 Vgl. zum Verhältnis von Pietismus und Ökonomie im deutschen lutherischen Pietismus den Überblick von Peter Kriedte: Wirtschaft. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Hg. v. Hartmut Lehmann. Göttingen 2004, 585–616. 5 Vgl. Johann Friedrich Gerhard Goeters: Der reformierte Pietismus in Deutschland 1650–1690. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 1: Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert. Hg. v. Martin Brecht [u. a.]. Göttingen 1993, 241–277, hier: 244–249, 253–258; DoHong Jou: Theodor Undereyck und die Anfänge des reformierten Pietismus. Bochum 1994; Rudolf Mohr: Undereyck, Theodor (1635–1693). In: TRE 34, 2002, 268–272; Jan van de Kamp: Übersetzungen von Erbauungsliteratur und die Rolle von Netzwerken am Ende des 17. Jahrhunderts. Tübingen 2020], passim; ders.: Religious Dissidence both Resisted and Protected by Power: The Case of the German Reformed Pietist Minister Theodor Undereyck (1635–1693). In: Usuteaduslik Ajakiri. Akadeemilise Teoloogia Seltsi väljaane. Erinumber »Religioon ja vastupanu« [Theological Journal. Publication of the Estonian Theological Society. Special issue »Religion and Resistance«], 64, 2013, 27–44. 6 Vgl. van de Kamp, Übersetzungen von Erbauungsliteratur (wie Anm. 5), 83–93. 7 Vgl. Andreas Deppermann: Johann Jakob Schütz und die Anfänge des Pietismus. Tübingen 2002.

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ausgewandert waren.8 Deshalb werde ich zuvor die Geschichte der niederländischen reformierten Migranten im Allgemeinen sowie ihrer Gemeinschaften und Kirchengemeinden in Frankfurt und Köln skizzieren.

2. Südniederländische reformierte Migranten in Frankfurt am Main und Köln Im Lauf des 16. Jahrhunderts zogen viele lutherische und reformierte Niederländer, unter ihnen zahlreiche Kaufleute, wegen des Krieges ins Ausland, vor allem nach England, in die nördlichen Niederlande und ins Alte Reich. Dort ließen sie sich in Handelsstädten wie Emden, Bremen, Köln, Wesel und Frankfurt am Main nieder. Heinz Schilling hat die niederländischen reformierten Migranten in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und religiöser Hinsicht zu charakterisieren versucht. Er hat sie mit den sephardischen Juden verglichen, die von der iberischen Insel nach Westeuropa ausgewandert waren und deren soziales, wirtschaftliches und religiöses Leben in vielerlei Hinsicht die gleichen Grundzüge aufweist. In wirtschaftlicher Perspektive haben die niederländischen Migranten neue Gewerbezweige in den Gastgesellschaften angesiedelt und innovative Produktionstechniken sowie Organisationsformen eingeführt. Zu denken ist an das Verlagswesen, die Akkord- und Lohnarbeit sowie die Manufakturen von Luxusgütern und Kunstprodukten. Damit haben sie in den Gastgesellschaften zum wirtschaftlichen Aufstieg und zu einem tiefgreifenden sozio-ökonomischen und kulturellen Wandel beigetragen. Diese Innovationen waren aber paradoxerweise mit Traditionsbewahrung verbunden: In den Migrantenkreisen waren Familie, Kirchengemeinde und Wirtschaftsbetrieb eng miteinander verknüpft. Obwohl in der eigenen Gemeinde eine dogmatische, moralische und insbesondere wirtschaftsethische Reinheit streng überwacht wurde, hat8 Vgl. zur Konfessionsmigration in der Frühen Neuzeit generell: Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa. Hg. v. Joachim Bahlcke. Berlin 2008; Heinz Schilling: Christliche und jüdische Minderheitengemeinden im Vergleich. Calvinistische Exulanten und westliche Diaspora der Sephardim im 16. und 17. Jahrhundert. In: ZHF 36, 2009, 407–444; Exile and Religious Identity, 1500–1800. Hg. v. Jesse Spohnholz u. Gary K. Waite. London 2014; zu niederländischen reformierten Migranten vgl. Dagmar Freist: Dutch Calvinist Refugees in Europe since the Early Modern Period. In: The Encyclopedia of Migration and Minorities in Europe. From the 17th Century to the Present. Hg. v. Klaus J. Bade [u. a.]. Cambridge 2011, 319–325; Ole Peter Grell: Brethren in Christ. A Calvinist Network in Reformation Europe. Cambridge 2011; zu niederländischen Migranten, die sich in Deutschland und England niederließen, Heinz Schilling: Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert. Ihre Stellung im Sozialgefüge und im religiösen Leben deutscher und englischer Städte. Gütersloh 1972, sowie der oben in dieser Anmerkung genannte Beitrag desselben Autors.

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ten die Migranten keine Skrupel, mit katholischen Kaufleuten Handel zu treiben.9 Ihren eigenen Wohlstand stellten die Migranten oft auf demonstrative Art und Weise in Form von Häusern, Wagen, Kleidern oder Grabsteinen der Gastgesellschaft zur Schau, die häufig einer anderen Konfession angehörte, den Migranten mit Argwohn begegnete und ihnen mitunter keine öffentliche Ausübung des Gottesdienstes gestattete. Die Kirchengemeinden waren auf der Basis von Presbyterien autonom vom Landesherrn organisiert. Eine strenge Kirchenzucht diente nicht nur zur Einhaltung göttlicher Gebote, sondern auch zur Bewahrung der Stabilität der Gemeinde und zu ihrer Absicherung gegenüber der Gastgesellschaft. Für die Sozial-, Kranken- und Altersfürsorge waren Diakonien eingerichtet, die primär ortsgebunden waren, aber in Zeiten starker Fluchtbewegungen durchweg auch überregional und international funktionierten, nämlich für andere reformierte Migranten.10 Die reformierte Theologie generell ist von Heiko Oberman als eine »Exulantentheologie« bezeichnet worden. Geprägt worden sei sie durch die Erfahrung des Exils: Calvin habe ab etwa 1549 die Untergrundgemeinden der wenigen Gläubigen (pauci) einer dem Rat untergeordneten Stadtreformation vorgezogen, weil letztere sich für die Reformation als eine Sackgasse herausgestellt habe. Außerdem habe er das geistliche Heil und die geistliche Einheit der Gemeinschaft (salus communis) gegenüber einer von der Obrigkeit angestrebten bürgerlichen Einheit (bonum commune) bevorzugt. Die Fluchterfahrungen von Calvin und seinen Anhängern hätten dazu geführt, dass man einerseits das irdische Dasein als Unterwegssein in der Fremde betrachtet, andererseits aber mitten in den politischen Umbrüchen und Zurückweisungen durch Menschen ein unerschütterliches Vertrauen auf Gottes Schutz entwickelt habe. Angesichts der Bedrängnisse sei man durch die Prädestinationslehre getröstet worden, um bis zum Ende auszuharren.11 Heinz Schilling hat auf Verschränkungen der Theologie mit sozialen und kulturellen Aspekten hingewiesen. Die Erfahrung des Umherziehens und Fremdseins sei zum Kern der reformierten Konfessionskultur geworden. So habe eine Wechselwirkung zwischen der sozialen Flüchtlings- und Minderheitenexistenz und dem Kirchenwesen bestanden, die sich in folgenden Aspekten ausdrückte: der vom Landesherrn autonomen Organisation der Gemeinde, dem zwangsläufig entwickelten Internationalismus, d. h. der engen Vernetzung mit anderen Flüchtlingsgemeinden in ganz Europa, und schließ-

9 Vgl. Schilling, Christliche und jüdische Minderheitengemeinden (wie Anm. 8), 432 f. 10 Vgl. ebd., passim. 11 Vgl. Heiko A. Oberman: Europa Afflicta. The Reformation of the Refugees. In: ders.: John Calvin and the Reformation of the Refugees. Introduction by Peter A. Dykema. Genf 2009, 177–194; ders.: The Two Reformations. The Journey from the Last Days to the New World. New Haven [u. a.] 2003, 111–115.

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lich der von Prädestination und Providenz geprägten Theologie und Frömmigkeit.12 Das Konzept einer Exulantentheologie und -kultur ist neuerdings in verschiedener Hinsicht bestritten worden. Geert H. Janssen und Alexander Schunka haben darauf hingewiesen, dass konfessionelle Migration sich instrumentalisieren ließ, zum Beispiel für wirtschaftliche Zwecke, und dass das Bild von Konfessionsmigranten als unerschütterliche »Märtyrer« auf einer Stilisierung durch die zeitgenössische Publizistik beruhen könne.13 Judith Becker zufolge habe es keine spezifische Exulantentheologie mit einem Akzent auf der Prädestinationslehre gegeben.14 Mirjam van Veen hat auf Konfessionsmigranten verwiesen, die in theologischer Hinsicht eine Offenheit an den Tag legten und die Prädestinationslehre verwarfen.15 Johannes Müller betrachtet das Konzept der Exulantentheologie aus zweierlei Gründen als problematisch. Erstens hätten Exilerfahrungen auch in anderen Konfessionen eine Rolle gespielt. Zweitens seien Oberman und Schilling vom Einfluss Calvins auf reformierte Gemeinschaften in den Niederlanden ausgegangen, ohne dass sie diesen Einfluss anhand der Quellen überprüft hätten.16 Am Ende dieses Beitrages komme ich noch auf die Fragen zurück, inwiefern es eine Exulantentheologie und -kultur gab und ob diese möglicherweise pietistische Tendenzen vorbereitet hat. Kommen wir jetzt zu den Migrantengemeinschaften in Frankfurt und Köln. In Frankfurt ließen sich ab 1554 evangelische Wallonen und Flamen nieder.17 Sie waren aus den südlichen Niederlanden nach London gezogen, mussten 1553 aber anlässlich der Thronbesteigung der römisch-katholischen Königin 12 Vgl. Heinz Schilling: Calvin und Calvinismus in europageschichtlicher Perspektive. In: Calvin und Calvinisten in Ungarn und Siebenbürgen. Helvetisches Bekenntnis, Ethnie und Politik vom 16. Jahrhundert bis 1918. Hg. v. Anton Schindling u. Márta Fata. Münster 2010, 1–21. 13 Vgl. Geert H. Janssen: Quo Vadis? Catholic Perceptions of Flight and the Revolt of the Low Countries, 1566–1609. In: Renaissance Quarterly 64, 2011, 472–499; ders.: The Dutch Revolt and Catholic Exile in Reformation Europe. Cambridge 2014; Alexander Schunka: Lutherische Konfessionsmigration. In: Europäische Geschichte Online (EGO). Hg. v. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG). Mainz 2012. URL: http://www.ieg-ego.eu/schunkaa-2012-de (letzter Zugriff 24. 2. 2020). 14 Vgl. Judith Becker: Migration and Confession among Sixteenth-Century Western European Reformed Christians. In: Reformation and Renaissance Review 13, 2011, 3–31. 15 Vgl. Mirjam G.K. van Veen: Vermaninghe ende raet voor de Nederlanden. De receptie van Sebastian Castellio’s geschriften in de Lage Landen tot 1618. Amsterdam 2012, 10 f. 16 Vgl. Johannes Müller: Exile Memories and the Dutch Revolt. The Narrated Diaspora, 1550–1750. Diss. phil. [masch.] Leiden 2014, 42 f [gedruckt: Leiden u. Boston 2016]. 17 Vgl. für die nächsten Absätze über Frankfurt: Schilling, Niederländische Exulanten (wie Anm. 8), passim; Anton Schindling: Wachstum und Wandel vom Konfessionellen Zeitalter bis zum Zeitalter Ludwigs XIV. Frankfurt am Main 1555–1685. In: Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen. Hg. v. Frankfurter Historische Kommission. Sigmaringen 21994, 206– 260, hier: 224–228; Thorsten Burger: Frankfurt am Main als jüdisches Migrationsziel zu Beginn der Frühen Neuzeit. Rechtliche, wirtschaftliche und soziale Bedingungen für das Leben in der Judengasse. Wiesbaden 2013, 416–468.

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Maria Tudor fliehen und kamen über Wesel und Köln nach Frankfurt. Die Einwanderung nach Frankfurt dauerte bis weit ins 17. Jahrhundert. Um 1595 dürften in der Stadt etwa 4.000 Migranten gelebt haben, zehn Jahre später hatte sich diese Zahl aber auf etwa 2.000 reduziert. Immerhin blieb jedoch der Anteil niederländischer Migranten an der Frankfurter Bevölkerung im 17. Jahrhundert bei zehn bis 20 Prozent. Die niederländischen Migranten bildeten eine nicht nur in geographischer, sondern auch in bekenntnismäßiger und wirtschaftlicher Hinsicht heterogene Gruppe. Erstens handelte es sich um Wallonen und Franzosen, die reformiert waren und sich überwiegend aus mittellosen Seiden- und Textilarbeitern, aber auch aus einigen Großkaufleuten zusammensetzten. Zweitens gab es Flamen, die ebenfalls reformiert waren und unter denen sich einige arme Textilarbeiter befanden, ansonsten aber vornehmlich wohlhabende Verleger, Handelsherren, Juweliere und weitere Unternehmer. Diese Gruppe war zahlenmäßig gering: Viele von ihnen wanderten in den 1560er Jahren nach Frankenthal ab. Drittens existierte eine kleine Gruppe von Lutheranern, die vor allem aus Antwerpen stammten und deren Angehörige (Großkaufleute, Goldschmiede und Diamantarbeiter) in wirtschaftlicher Hinsicht sehr bedeutend waren. Sowohl hinsichtlich der Techniken als auch der Organisation ihrer Produktion verfuhren die Niederländer auf innovative Art und Weise. Sie bedienten sich avancierter Techniken, die sie geheim hielten, vor allem in der Seidenherstellung und -färbung, und sie organisierten sich in einem Verlagssystem. Kapitalkräftige »Verleger« (Unternehmer) stellten Rohstoffe und Arbeitsgeräte den »Verlegten« (d. h. den Handwerkern) zur Verfügung, die dafür Stücklohn erhielten. Die Verleger stellten auch den Vertrieb und Absatz der Fertigprodukte sicher. Diese Organisationsweise war auf Gewinnmaximierung ausgelegt. Die Produktion fand in den sogenannten Seidenmühlen statt, das heißt in protoindustriellen Spinnwerkstätten, Seidenfärbereien und Diamantschleifereien. Die Aufnahme der niederländischen Migranten in Frankfurt führte zu einem wirtschaftlichen Aufstieg der Stadt. Zu Recht hat Heinz Schilling gefolgert, dass die Niederländer das weitgehend agrarisch strukturierte Frankfurt innerhalb kurzer Zeit in »ein neuzeitliches Wirtschaftszentrum mit bedeutenden Luxus- und Exportgewerben (vor allem Seidenherstellung und Diamantenschleiferei), mit einem ständigen Eigenhandel und dem wichtigsten Finanzmarkt Deutschlands« verwandelten.18 Im 16. Jahrhundert entstand in Frankfurt das geflügelte Wort, dass die Katholiken die Kirchen, die Lutheraner die Macht und die Reformierten das Geld besäßen.19 Die wirtschaftliche Überlegenheit vieler niederländischer Kaufleute sowie die innovativen Produktionstechniken und Organisationsformen riefen Widerstand bei den Frankfurter Zünften hervor. Dies verband sich mit konfessionell motivierten Beschwerden unter den lutherischen Prä18 Vgl. Schilling, Niederländische Exulanten (wie Anm. 8), 55. 19 Vgl. Schindling, Wachstum (wie Anm. 17), 209.

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dikanten sowie mit politisch motivierten Abwehrreaktionen von Seiten des Patriziats. Daraus resultierten schließlich konfessionelle, soziale (Aufnahmegebühren und Heiratsgesetze) sowie wirtschaftliche (Hauserwerbsbeschränkungen und Steuern) Restriktionen. Hatte der Rat den Migranten anfänglich die Abhaltung öffentlicher Gottesdienste in der Stadt erlaubt, so zog er 1561 diese Genehmigung hinsichtlich des reformierten Gottesdienstes zurück. Viele Reformierte verließen daraufhin die Stadt, andere hielten private gottesdienstliche Zusammenkünfte ab, die vom Rat 1594 ebenfalls verboten wurden. Die Reformierten begannen nunmehr, Gottesdienste im Dorf Bockenheim in der Grafschaft Hanau zu besuchen. 1595/96 wurde in dieser Grafschaft das reformierte Bekenntnis offiziell eingeführt, worauf die Hälfte der Frankfurter Reformierten in die neu gegründete Stadt Neu-Hanau umzog. Angesichts der negativen Folgen für die lokale Wirtschaft gestattete der Frankfurter Rat 1601 den reformierten Gottesdienst wieder, allerdings in einer Holzkirche außerhalb der Stadt. Als diese 1608 unter ungeklärten Umständen abgebrannt war, zog der Rat die Genehmigung des reformierten Gottesdienstes wieder zurück. Erst 1787 genehmigte man den beiden reformierten Gemeinden, ein Kirchengebäude zu errichten. Die Migranten scheuten sich nicht, ihren Wohlstand öffentlich zu machen. Das bekannteste Beispiel dafür war bis zum Zweiten Weltkrieg das Bürgerhaus zur Goldenen Waage neben dem Domturm, das ein wallonischer Zuckerbäcker 1618/19 erbauen ließ. Während die einheimischen Lutheraner am Sonntag bei Wind und Wetter zu Fuß in die städtischen Pfarrkirchen gingen, fuhren die Reformierten zum Ärger der Altfrankfurter auf luxuriöse Weise, nämlich mit der Kutsche, ins nicht weit vor den Toren gelegene Bockenheim zur Kirche. Außerdem ließen sie sich im zeitgenössischen Stil der nordniederländischen und flämischen Malerei porträtieren, sie führten Wappen, bauten stattliche Häuser und ließen sich monumentale Familiengräber errichten. Einer der Vorwürfe der Einheimischen an die Fremden war, dass diese ein ebenso luxuriöses Leben wie Adelige führten. In Köln lebten seit etwa 1565 evangelische Migranten aus den südlichen Niederlanden.20 Aus diesem Milieu bildeten sich eine lutherische sowie drei reformierte Gemeinden für die drei Sprachgruppen hochdeutsch, niederländisch und wallonisch. Außerdem existierte noch eine reformierte Gemeinde niederländischer Schiffer am Rhein, die ab 1613 offiziell zur reformierten Gemeinde in Mülheim gehörte. Die Migranten waren anfänglich vor allem aus wirtschaftlichen Gründen gastfreundlich aufgenommen worden, aber ab 1570 wurden sie unter Druck der alten Patrizierfamilien und Jesuiten in ihrer Religionsausübung bekämpft. Es kam zu Hausdurchsuchungen und -konfiska20 Vgl. zu den nächsten Absätzen über Köln: Rudolf Löhr: Kölner Kirchenpapiere. Hg. v. Presbyterium der Ev. Gemeinde Köln. Köln 1976; Ursula Schmitz: Zur Geschichte der vier heimlichen Kölner Gemeinden. In: Protokolle der hochdeutsch-reformierten Gemeinde in Köln. Bd. 4. Bearb. v. ders. Köln u. Bonn 1990, 11–31.

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tionen, Verhören, Geldstrafen, Verhaftungen und Stadtverweisen. Obwohl die Unterdrückung ab 1627 und verstärkt nach dem Westfälischen Frieden abnahm, hörten das Aufspüren, Bestrafen und der Ausschluss Evangelischer von öffentlichen Ämtern nicht auf. Die Folge der Repressionen war, dass die evangelischen Gemeinden anfingen, heimlich zusammenzukommen. Gleichzeitig jedoch duldete der Kölner Rat die Evangelischen, sofern sie ihre bürgerlichen Pflichten erfüllten. Auf wirtschaftlicher Ebene verschloss der Rat den Migranten zwar den Zugang zu Einzelhandel und Gewerbe, aber er gewährte ihnen eine Betätigung im Großhandel. Dies war vermutlich eine strategische Entscheidung, denn die meisten evangelischen Kaufleute waren sehr kapitalkräftig und damit als Großhändler prädestiniert. In seiner Wirtschaftspolitik bezüglich der evangelischen Kaufleute handelte der Rat flexibel und milde. Dies führte dazu, dass evangelische Zuwanderer sich auf den Speditions-, Kommissions- und Weinhandel konzentrierten. Das überdurchschnittliche Vermögen evangelischer Kaufleute spiegelt sich in ihrem Anteil an den gesamten Steuerabgaben sowie in ihren einzelnen Steuerleistungen wider. Trotzdem ordnete der Rat um das Jahr 1667 an, ihre Handelstätigkeit einzuschränken.21 1690 bis 1715 durften die Kölner Evangelischen wieder öffentliche Gottesdienste abhalten, 1788 wurde ihnen gestattet, ein eigenes Bet-, Schulund Predigerhaus zu errichten, und 1802 erhielten sie volle Freiheit und ein Kirchengebäude.

3. Ethische Vorschriften für Kaufleute aus dem reformiert-pietistischen Kontext Unter den wenigen Schriften deutscher reformierter Pietisten sind einige Werke bekannt, in denen sich ethische Vorschriften für Kaufleute finden, auch im Hinblick auf Begleiterscheinungen der zeitgenössischen wirtschaftlichen Praxis. Dabei handelt es sich zunächst um die Schriften des Initiators des deutschen reformierten Pietismus, Theodor Undereyck. In seiner Schrift Halleluja, das ist, Gott in dem Sünder verkläret (1678) zählt er zu den Liebespflichten eines Christen das angemessene Verhalten in allen Teilen seines Berufs, wozu auch Verkaufen, Rechnen und Schreiben gehört. Demnach soll man nicht einfach auf die Geschicklichkeit seiner natürlichen Gaben und auf die Gelegenheit, sich reichlich zu ernähren, sehen, sondern darauf, dass das Gewissen unbelastet ist, die Liebe zum Nächsten und dessen Erbauung un21 Vgl. Leo Schwering: Die religiöse und wirtschaftliche Lage des Protestantismus in Köln. In: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 85, 1908, 1–42; Susanna Gramulla: Wirtschaftsgeschichte Kölns im 17. Jahrhundert. In: Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft. Hg. v. Hermann Kellenbenz u. Klara van Eyll. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Köln 1975, 429–517, hier: 439–441, 485, 494, 505.

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gehindert bleiben und die christlichen Hausübungen täglich ausreichend Zeit erhalten. In diesem Rahmen schreibt Undereyck vor, dass man Güter ihrem rechtmäßigen Besitzer wiedererstatten solle. Falls dieser nicht mehr lebe, möge man sie sparsam aufbewahren oder an Bedürftige spenden.22 In seiner Schrift Der närrische Atheist (1689) warnt Undereyck nicht nur vor einem spekulativen (theoretischen), sondern auch vor einem praktischen Atheismus. Ein praktischer Atheist ist demnach jeder, dessen Herz nicht Gott mit Begierde ergeben ist, sondern vielmehr allem, was nicht Gott ist. Im Hinblick auf den Beruf betrachtet er als deutlichen Ausdruck eines praktischen Atheismus den Versuch, sich »per fas et nefas« (durch dasjenige, was moralisch gestattet, aber auch, was nicht gestattet ist), das heißt durch allerhand erdenkliche Künste und gegebenenfalls zum Schaden seines Nächsten zu bereichern.23 Im dritten Teil seiner Schrift Christi Braut unter den Töchtern zu Laodicaea (1670) über die Lebensheiligung behandelt Undereyck unter anderem den Umgang mit Luxus. Von Prasserei beim Essen und Trinken sowie von Unmäßigkeit im Rahmen von Hauseinrichtung, Kleidung und Schmuck sei abzusehen und entsprechende Begierden seien abzutöten.24 Irdische Güter sind laut Undereyck den Frommen auf dem Weg in ihr himmlisches Vaterland zwar nützlich, sie können aber die irdisch gesinnten Herzen der Menschen nie sättigen. Jeder solle sie daher allein zur Förderung des Wachstums im wahren Christentum bei sich selbst und den Seinigen sowie zum Nutzen der Kirche, der Armen und der Ehre Gottes einsetzen.25 Reichtum sei zu verachten: Man dürfe materielle Güter zwar gebrauchen, doch nur zur Notdurft. Es sei demnach schändlich, wenn der eine im Überfluss lebt, während der andere hungert. Demgegenüber sei es rühmlicher, vielen Gutes zu tun als selbst in Saus und Braus zu leben.26 Undereyck zufolge soll ein Mensch nur so viel Nahrung aufnehmen, wie zum Dienst an Gott und zu dessen Verherrlichung notwendig ist. Er empfiehlt daher tägliches Fasten, das heißt Mäßigkeit in der Nahrungsaufnahme und spezielle Fastenzeiten.27 Entsprechend sind alle äußerlichen Vergnügungen wie prächtige Kleidung, prunkvolle Gebäude, unnötiger Hausrat oder die Anlage von Lustgärten nur 22 Vgl. Theodor Undereyck: Halleluja, das ist, Gott in dem Sünder verkläret. Oder, des Sünders Wanderstab zur Erkäntnüs, Geniessung, und Verklärung Gottes, alß des Höchsten Gutes. Teil 1. Bremen 1678, 585. 23 Vgl. Theodor Undereyck: Der närrische Atheist, entdeckt und seiner Thorheit überzeuget. Bremen 1689, 588. 24 Vgl. Theodor Undereyck: Christi Braut, unter den Töchtern zu Laodicæa, das ist, ein hochnötiger Tractat, in diesen letzten Tagen. Darinnen die lebendige Krafft deß seeligmachenden Glaubens von allen Schmach-Reden der in dieser Zeit Christ-scheinender Spötter […] gereiniget und verthädiget wird. Teil 3. Hanau 1670, 11, 17, 21. 25 Vgl. ebd., 53 f. 26 Vgl. ebd., 60 f. 27 Vgl. ebd., 79–108.

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Abbildung 1: Theodor Undereyck (1635–1693) Focke-Museum Bremen D.0354c

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insoweit zu akzeptieren, als sie der Erbauung und Gottes Ehre dienen.28 In diesem Rahmen verurteilt Undereyck etwa das Tragen von Schmuck und Perücken.29 Hochzeiten und Festlichkeiten solle man – wenn überhaupt – nur so lange beiwohnen, wie es der Gemeinschaft mit Gott, dem eigenen Gewissen, der Erbauung des Nächsten und der Verherrlichung Gottes zuträglich sei.30 Als Leitlinie dienen ihm dabei die gemäßigten Feste der heidnischen Antike, außerdem die erbaulichen Tischreden frühchristlicher Heiliger.31 Nicht nur ungerechtfertigte Selbstbereicherung, sondern auch das extravagante Hofleben betrachtet Undereyck als Ausdruck eines praktischen Atheismus. Vehement kritisiert er die Überladung des Tages mit »divertissements« und die damit zusammenhängende Langeweile. Seines Erachtens verwechselt man auf diese Weise den Feierabend mit den Berufsgeschäften. Laut Undereyck ist eine solche Art des Hoflebens glücklicherweise »in dieser Republic«, das heißt in Bremen, nicht bekannt.32 Als praktischen Atheismus betrachtet er jedoch auch, wenn man einem Bettler Speise oder Trank zukommen lässt, ohne dessen Kenntnisse von Gott zu überprüfen und ohne ihn zur Arbeit anzuhalten.33 Nicht nur Undereycks Schriften enthalten reformiert-pietistische ethische Vorschriften. Ratschläge für Kaufleute finden sich darüber hinaus im Buch Das grosse Interesse eines gewissenhafften Kauffmanns (1674).34 Dieses Werk stellt sogar als Ganzes eine Ethik für Kaufleute dar. Es enthält Fragmente von Schriften englischer Theologen wie William Perkins, William Ames und Joseph Hall in deutscher Sprache. Der Übersetzer dieser Textstücke verbarg sich hinter den Initialen J.D., die für Johann[es] Deusing stehen.35 Deusing war Sekretär der Regierungskanzlei von Hessen-Kassel und stammte wahrscheinlich aus Bremen, wohin seine Vorfahren im 16. Jahrhundert aus den südlichen Niederlanden immigriert waren. Er übersetzte eine Reihe englischer und niederländischer reformierter Erbauungsbücher ins Deutsche, wozu er vermutlich von Undereyck angeregt wurde. Deusing widmete seine Schrift Frankfurter, Hanauer und Kasseler Kaufleuten, unter anderen Jacob van de Walle und Daniel Behaghel, auf die unten genauer eingegangen wird.36 28 29 30 31 32 33 34

Vgl. ebd., 108–134. Vgl. ebd., 116 f, 128 f. Vgl. ebd., 135–163. Vgl. ebd., 138 f. Vgl. Undereyck, Atheist (wie Anm. 23), Teil 3, 596–612. Vgl. ebd., 585. Vgl. für diesen und die nächsten Absätze van de Kamp, Übersetzungen von Erbauungsliteratur (wie Anm. 5), 124–134. 35 Übrigens ist ein Briefkontakt zwischen Deusing und Johann Jakob Schütz belegt: 1674 bestellte Schütz bei Deusing schriftlich ein Fass mit Exemplaren von einer der Übersetzungen Deusings, vgl. van de Kamp, Übersetzungen von Erbauungsliteratur (wie Anm. 5), 129. 36 Nicht nur Das grosse Interesse eines gewissenhafften Kauffmanns, sondern noch eine andere pietistische Schrift war einigen der erwähnten Kaufleute gewidmet worden. Es handelt sich um

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Abbildung 2: Das grosse Interesse eines Gewissenhafften Kauffmanns, Jena 1706 Bibliothek der Franckeschen Stiftungen, Halle, 3 G 8 [1]

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In der Widmung zu Das grosse Interesse eines gewissenhafften Kauffmanns weist Deusing darauf hin, dass er durch sein Buch der Unwissenheit bezüglich gottgefälligen Verhaltens im Beruf abhelfen möchte. Der Gegensatz zwischen den Kindern Gottes und den Kindern der Welt spiegelt sich demnach auch im Berufsleben wider. Deusing hofft, dass seine Widmung an die Kaufleute eine weite Verbreitung der Schrift begünstigen wird. Kapitel zwei zum Thema Kaufen und Verkaufen rät, man solle seine Güter so gebrauchen, als besitze man sie nicht (1Kor 7,30). Es enthält Regeln über den Wert von Waren, über Falschgeld, Bezahlungszeit, Aufkaufen, Gewinn, Handel am Sonntag und über verbotene Ware: geistliche Dinge (Gaben des Heiligen Geistes, Kirchenbesitz), gestohlene Güter, Gedenkzeichen und Reliquien von Abgöttern und Menschen. Abschließend erfolgt der Hinweis, dass man sich vor unrechtmäßigem Handel hüten soll. Auch Kapitel drei beschäftigt sich mit dem Verkaufen. Es enthält unterschiedliche Verbote. Dazu gehören der Gebrauch unnötiger Worte, übermäßiges Lob der eigenen Waren, die Verwendung falscher Gewichte und Maße, zweideutiges und unaufrichtiges Reden, das Ausnützen von Unerfahrenheit und Einfalt des Käufers, eine Verfälschung von Waren, die Errichtung von Monopolen, der Verkauf am Tag des Herrn, betrügerische Transaktionen sowie der Handel mit verbotener Ware: Zu letzterer zählt der Verfasser den Verkauf von Sklaven, sich selbst, von Waren, die zur Gottlosigkeit beitragen, und solchen, die nicht ohne Sünde gebraucht werden können wie Puder und Schminke. In Kapitel sechs über den rechtmäßigen Gebrauch von Reichtümern wird davor gewarnt, sich vor unmäßiger Liebe gegenüber den erworbenen Gütern zu hüten. Diese Unmäßigkeit ist an ihren Folgen zu erkennen: mangelnde Beachtung geistlicher Angelegenheiten, übermäßige Beschäftigung mit irdischen Sorgen, fleischliche Wollust, Hoffart, Unbarmherzigkeit, Verachtung der Armen, Vertrauen auf eigenen Reichtum und Unersättlichkeit. Kapitel sieben enthält Hinweise zum Verhalten gegenüber anderen Menschen und warnt vor Geiz und irdischer Gesinnung. Erstens solle man nur so handeln, wie man dies von anderen Leuten sich selbst gegenüber erwartet. Zweitens wird gefordert, lebenslang dem Erwerb fremder Güter durch unlautere Mittel zu widerstehen. Drittens soll das Herz nicht den irdischen, sondern den ewigen Gütern verpflichtet sein. Wer zu sehr den irdischen Gütern anhängt, wird auf dreierlei Weise gestraft: durch den Verlust dieser Güter,

das bekannte reformiert-pietistische Gesangbuch Joachim Neanders: Glaub- und Liebes-übung: auffgemuntert durch einfältige Bundes-Lieder und Danck-Psalmen. Neander widmete die erste Auflage des Jahres 1680 unter anderem Peter d’Orville, Jacob van de Walle und Johann le Brun (s. u.), vgl. Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 154. Die dritte, von Andreas Luppius aus Wesel verlegte Auflage des Jahres 1686 war unter anderem Schütz, van de Walle, David von Enden und le Brun (s. u.) zugeeignet, vgl. ebd., 268.

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durch Leiden, Unersättlichkeit und durch Verhärtung des Herzens bis hin zum Geiz. Auf das letzte Kapitel folgt eine »Wohlgemeinte Erinnerungs-Regel für einen jungen Kauff- und Handelßmann, darnach er sich zu richten, wan er nicht verderben will.« Ein aufrichtiger, redlich handelnder und fleißiger Kaufmann ist demnach zu rühmen; wer unredlich handelt, der ist dagegen »ein UnChrist, ein rechter Jude und Teuffelsgenoß«.37 Für diejenigen, die aufrichtige Kaufleute sein möchten, werden 44 detaillierte Regeln vorgeschrieben, die sich auf den Punkt bringen lassen als: fürchte Gott, ehre die Obrigkeit, liebe deinen Nächsten. Das Werk schließt ab mit einem Gedicht, in dem das Leihen verurteilt, die Barzahlung dagegen empfohlen wird: Weg leihen/ und Borgen/ Machet nur Sorgen. Besser bezahlt mit baarem Geld/ Daß mir auch am liebsten gefällt/ Dann/ ich sage diß dato zu Hand/ Ich schreibe nichts an die Wand/ Will einer was von meinen Waaren/ So thu er baares Geld nicht sparen/ Dann/ dieses ist der Bescheid/ Bezahlt macht gute Richtigkeit. Diß dienet dabey zur endlichen Nachricht/ Ich borge gar im geringsten nicht/ Dann/ man durch Borgen sich Feinde tuht machen/ Drum komme ich zuvor diesen Sachen/ Verhoffe: Ein Jeder wird sich selber schämen/ Und nicht unnöhtig Etwas auf Borg auffnehmen.38

Es wäre interessant, der Frage nachzugehen, wie Undereyck und Deusing selbst mit den Begleiterscheinungen der zeitgenössischen Wirtschaft umgingen. Nur im Hinblick auf Undereyck ist darüber etwas bekannt. So wurden ihm bei seiner Einstellung als Prediger in Bremen 1670 die Reisekosten ersetzt, sein Haus mit Gemälden und Geschirr ausgestattet und ihm zudem ein fetter Ochse geschenkt. Sein Jahresgehalt war sehr hoch, nämlich 300 Reichstaler.39 Diese Großzügigkeit ging vermutlich auf die Gemeinde zurück. Dass Undereyck sich dagegen gewehrt hat, ist nicht bekannt. Ferner pflegte der Prediger Hochzeitsmähler nur so lange zu besuchen, wie er selbst es für vertretbar hielt. 1674 sah er sich nämlich mit einer Klage des Bremer Pfarrerkollegs konfrontiert, in 37 Das grosse Interesse eines gewissenhafften Kauffmans. Kassel 1674, 260. Auf Seite 265 wird der Leser vor den Juden gewarnt: Man solle nicht alles und jedem glauben, vor allem Juden nicht. 38 Ebd., 272. 39 Staatsarchiv Bremen, 2-ad T.4.a.3.b, Geschichte der St. Martinikirche, Catalogus Der Herren Prediger. Vgl. Johann Friedrich Iken: Joachim Neander. Sein Leben und seine Lieder. Bremen 1880, 65, Anm. *.

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der unter anderem Undereycks Praxis zur Sprache kam, bei Hochzeiten die Dankgebete, die normalerweise nach Ende der Vorspeise gehalten wurden, bereits zu Beginn durchzuführen und die Feier zu verlassen, wenn er selbst ausreichend gegessen und getrunken habe.40 Eine andere Frage, die sich aufdrängt, ist, inwiefern die vorgestellten ethischen Auffassungen der Pietisten Undereyck und Deusing mit der Haltung anderer reformierter, lutherischer und römisch-katholischer Theologen übereinstimmten oder davon abwichen. Gingen die Pietisten weiter als andere? Im Rahmen dieses Beitrages kann dies leider nicht geklärt werden.41 Wie reformiert-pietistische Kaufleute aus dem Bekanntenkreis von Johann Deusing und Johann Jakob Schütz wirtschaftlich gehandelt haben, wirft allerdings ein Schlaglicht auf die ökonomische Praxis hinter den Kaufmannsethiken. Dies wird im Folgenden anhand einiger Beispiele dargestellt.

4. Reformiert-pietistische Kaufleute in Frankfurt und Köln Zu den Bekannten des Frankfurter Juristen Johann Jakob Schütz gehörten die reformierten Kaufleute Daniel Behaghel, dessen Schwager Jacob van de Walle sowie Peter d’Orville.42 Daniel Behaghels (1625–1698) Vorfahren waren während des niederländischen Unabhängigkeitskampfes aus Ypern in Westflandern nach Frankenthal geflohen. Im Dreißigjährigen Krieg war die Familie nach Hanau gezogen. Daniels Vater Abraham war dort Goldschmied, seine Mutter war Ida C[o]urhas[s]e. Daniel wurde in Hanau geboren und erhielt später das Bürgerrecht der Stadt Frankfurt, wo er auch starb.43 Jacob van de Walle (1631–ca. 1694) wurde in Rotterdam geboren. Seine Eltern kamen 1655 nach Frankfurt. Dort erhielt Jacob das Bürgerrecht. Er heiratete 1655 in Hanau Johanna Simons van Alphen (1636–1715), die Tochter des aus einem alten niederländischen Adelsgeschlecht stammenden Hieronymus Simons van Alphen (1596–1651) und der erwähnten Ida Curhase. Johanna war somit eine Halbschwester Daniel Behaghels.44 Die Schwäger Behaghel und van de Walle reichten 1661 beim Grafen von 40 Vgl. Gottfried Mai: Die niederdeutsche Reformbewegung. Ursprünge und Verlauf des Pietismus in Bremen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Bremen 1979, 102. 41 Vgl. Gregory, Unintended Reformation (wie Anm. 3), 235–297 sowie die Anm. dort. 42 Vgl. für diesen und die nächsten Absätze: Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 150–153, sowie das Personenregister unter »Behaghel, Daniel« und »Walle, Jacob van de (d.J.)«; van de Kamp, Übersetzungen von Erbauungsliteratur (wie Anm. 5), 132 f. Die genealogischen Daten wurden dankenswerterweise von Frau Monika Rademacher (Stadtarchiv Hanau) aus den Kirchenbüchern der niederländischen reformierten Gemeinde in Hanau und der Literatur ermittelt, E-Mail vom 13. 11.2009. 43 Vgl. zu Daniel Behaghel: Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 151 f. Zum Geschlecht Behaghel vgl. Alexander Dietz: Frankfurter Handelsgeschichte. Bd. 4. Frankfurt a.M. 1925, Nachdruck Glashütten im Taunus 1973, 300–303. 44 Vgl. Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 150–153.

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Hanau ein Gesuch zur Gründung einer Fayence-Manufaktur in Neu-Hanau ein, das bewilligt wurde. Eine kurz zuvor beim Frankfurter Rat eingereichte Bitte war abgelehnt worden. Fayence ist eine weißgrundige, porzellanähnliche Art von Majolika. Die Hanauer Fayence-Manufaktur war die erste im Alten Reich.45 Behaghel und van de Walle blieben weiterhin Frankfurter Bürger. Wiederholt waren sie Diakone oder Älteste der deutsch-reformierten Gemeinde in Frankfurt. Beide verfügten über geschäftliche und freundschaftliche Kontakte mit Johann Jakob Schütz, als dessen Verbindungsleute sie dienten. Van de Walle war ferner ein guter Freund Speners. Außerdem hatte er Kontakte zu unterschiedlichen nonkonformistischen Kreisen: zu reformierten Pietisten in Bremen und in Köln, zu Labadisten, Quäkern, Mystikern und Chiliasten. Ein dritter reformiert-pietistischer Handelsmann aus Schütz’ Bekanntenkreis war Peter d’Orville (1618–1699). Er stammte aus einem alten Brabanter Adelsgeschlecht. Seine Familie war über Frankenthal nach Frankfurt gekommen. Peter d’Orville war Handelsmann und Beisasse in Frankfurt und diente Schütz als Verbindungsmann nach Amsterdam und Wieuwerd, wo die Labadisten sich 1675 niedergelassen hatten. Außerdem verfügte er über Kontakte zum Mystiker Pierre Poiret (1646–1719). D’Orville war Mitglied der französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt.46 Schütz’ Kölner Verbindungen umfassten Johann le Brun sowie David und Wilhelm von Enden. Johann le Bruns (1608–1670) Vorfahren waren aus Tournai in den südlichen Niederlanden nach Köln ausgewandert. Die Familie führte einen Großhandel mit Gewürzen, die aus den niederländischen Kolonien stammten. Le Brun gehörte der niederländisch-reformierten Gemeinde in Köln an und wurde dort wiederholt zum Diakon gewählt. 1687 zog er nach Bremen, wo er Mitglied des Stadtrats und Bauherr der pietistischen St. MartiniGemeinde wurde, deren erster Pfarrer von 1670 bis 1693 Undereyck war.47 David von Enden (vor 1648–ca. 1714) war mehrfach Diakon und Ältester der niederländisch-reformierten Gemeinde in Köln. In einem Brief des Jahres 1676 brachte Schütz seine enge religiöse Verbundenheit mit ihm zum Ausdruck: Er sei gnugsamb versichert […], daß wir in dem eusersten grund der liebe, welche gott selbsten ist, unzertrennlich vereiniget sind, und in solcher gemeinschafft aller heili-

45 Vgl. zur Fayence-Manufaktur Behaghels und van de Walles: Ernst Zeh: Hanauer Fayence. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Keramik. Marburg 1913. Nachdruck Hanau 1978, 3–15, 28– 50; Anthony Hoynck van Papendrecht: De Rotterdamsche plateel- en tegelbakkers en hun product, 1590–1851. Bijdrage tot de geschiedenis der oude Noord-Nederlandsche majolika. Rotterdam 1920, 75–78, 386–388; Fried Lu¨ bbecke: Hanau. Stadt und Grafschaft. Ko¨ ln 1951, 238– 251. 46 Vgl. Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 153. 47 Vgl. ebd., 264; van de Kamp, Übersetzungen von Erbauungsliteratur (wie Anm. 5), bes. 218 f.

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gen, offtmahls miteinander vor dem thron unsers allerherrlichsten vatters erscheinen.48

Von Enden besaß Kontakte zum Naturforscher und Philosoph Franciscus Mercurius van Helmont, zum Spiritualisten Friedrich Breckling und zu den Quäkern.49 Wilhelm von Enden wiederum war einer der wichtigsten Kölner Kaufleute, die auf der Leipziger Messe mit sogenannten Kölner Manufakturen handelten: mit gewebten Bändern wie Florettbändern, seidenen Litzkordeln sowie Seidenund Kniebändern.50 In der niederländisch-reformierten Gemeinde in Köln traten in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts pietistische Tendenzen hervor. Die Gemeinde umfasste zu dieser Zeit mehrere pietistisch gesinnte Mitglieder, darunter le Brun, dessen Schwager Gerhard von Ma[a]stricht (1639–1722) und die Brüder von Enden, die alle mit Schütz in Verbindung standen.51 Unter den Reformierten in Frankfurt existierten demgegenüber schon seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts spiritualistische, mystische, chiliastische und kirchenkritische Einflüsse. Diese waren teils durch Schriften lutherischer Theologen wie Johann Arndt und Christian Hoburg vermittelt worden.52 In der deutsch-reformierten Gemeinde der Stadt wurden seit den 1660er Jahren pietistische Pfarrer nominiert beziehungsweise berufen, so Theodor Undereyck (1663), Heinrich Lampe (1684) und Heinrich Horche (1689).53 Aus der biographischen Darstellung dieser Nachkommen südniederländischer Konfessionsmigranten – wozu man im weiteren Sinn auch van de Walle zählen kann54 – ist hervorgegangen, dass sie Kontakte zu reformierten Pietisten in anderen deutschen Gebieten besaßen, an pietistischen Netzwerken partizipierten und Verbindungen zu führenden reformierten Pietisten wie Undereyck unterhielten. Auch Undereyck stammte von niederländischen Migranten ab, ebenso wie einer seiner engsten Schüler, Cornelius de Hase55 (1653–1710). Nachkommen südniederländischer Migranten hatten somit Schlüsselpositionen im reformierten Pietismus in Deutschland inne.56 Allerdings sind einge48 Johann Jakob Schütz an David von Enden nach Köln, 7./17. 12. 1676. Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt, Archiv der Senckenbergischen Bibliothek Mp 330, zit. nach Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 265 f. 49 Vgl. Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 265 f. 50 Vgl. Gramulla, Wirtschaftsgeschichte Kölns (wie Anm. 21), 470, 485; Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 265. 51 Vgl. Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 264–266. 52 Vgl. ebd., 7–29. 53 Vgl. ebd., 154–158. 54 Van de Walle war zwar in Rotterdam, also in den nördlichen Niederlanden, geboren und erst 1655 nach Frankfurt gezogen, aber war in wirtschaftlicher, sozialer und kirchlicher Hinsicht völlig in der Gruppe der Nachkommen der südniederländischen Konfessionsmigranten integriert. 55 Vgl. Jou, Undereyck (wie Anm. 5), 255–260. 56 Vgl. van de Kamp, Übersetzungen von Erbauungsliteratur (wie Anm. 5), 359–361. Es gibt Parallelen in den Niederlanden: Die Nadere Reformatie wurde bis 1608 durch Südniederländer

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hendere quantitative und qualitative Studien notwendig, um mehr Aufschluss über ihre Bedeutung zu erlangen.

5. Wie handelten reformierte Pietisten als Kaufleute? Wie gestaltete sich das Verhältnis von Pietismus und Ökonomie bei den dargestellten reformiert-pietistischen Kaufleuten? Haben sie zeitgemäße technische Mittel angewandt und ihrem Handeln aktuelle wirtschaftliche Prinzipien zugrunde gelegt? Besaßen sie ebenso wie andere Pietisten eine kritische Haltung zu Begleiterscheinungen der zeitgenössischen wirtschaftlichen Praxis wie Luxusprodukten? Angesichts der Überlieferungslage ist unser Wissen darüber nur bruchstückhaft. Die meisten der erwähnten Kaufleute orientierten sich an den modernen Organisationsprinzipien ihrer Zeit. Behaghels und van de Walles Organisationsform war die Manufaktur. Verschiedene Handwerke wurden in einem Arbeitshaus zusammengefasst, wobei die Arbeiter vom Besitz der Produktionsmittel getrennt und die Arbeitsabläufe aus Effizienzerwägungen neu organisiert wurden. Behaghel und van de Walle fungierten als Geldgeber und Geschäftsführer ihrer Fabrik. Sie verfügten über einen Meisterknecht, der die Fabrik einrichtete, Arbeiter wie Dreher, Poussierer (Former), Brenner und Maler für die verschiedenen Produktionsphasen einstellte und die Produktionsabläufe koordinierte. Behaghel und van de Walle selbst beherrschten die Produktionstechniken nicht; der Meisterknecht sollte sie darin unterrichten. Die Manufaktur ernährte 30 Arbeiter und »Haußgesessene« und setzte in Arbeitslöhnen jährlich insgesamt 3.000 Reichstaler um.57 Dies bedeutet, dass jeder Arbeiter 100 Reichstaler im Jahr verdiente, was eine durchschnittliche oder sogar gute Entlohnung gewesen zu sein scheint.58 Auch Wilhelm von Enden besaß eine Manufaktur. Er und le Brun waren allerdings vorwiegend im Rahmen einer anderen innovativen Handelsform dominiert, vgl. W[illem] J. op ’t Hof: Zeeland en de Nadere Reformatie. In: Documentatieblad Nadere Reformatie 32, 2008, 4–55, hier: 51 f. An den niederländischen Übersetzungen englischer puritanischer Erbauungsliteratur hatten Übersetzer südniederländischer Herkunft in der Zeit von 1598 bis 1622 den höchsten Anteil, wenn man die Zahl ihrer Übersetzungen mit der Gesamtzahl der Übersetzungen vergleicht. Ders.: Engelse piëtistische geschriften in het Nederlands, 1598–1622. Rotterdam 1987, 520 f, 613–616. 57 Vgl. Zeh, Hanauer Fayence (wie Anm. 45), 3–15, 28–50; Hoynck van Papendrecht, Rotterdamsche plateel- en tegelbakkers (wie Anm. 45), 75–78; Lu¨ bbecke, Hanau (wie Anm. 45), 241–244. 58 Einige Vergleichszahlen vermittelt Eike Pies: Löhne und Preise von 1300 bis 2000. Abhängigkeit und Entwicklung über 7 Jahrhunderte. Wuppertal 62008. Um 1600 verdiente in Frankfurt ein Maurer 62 Pfennige am Tag, ein Schreiner 72. Der Durchschnitt davon ist 67 Pfennige. Rechnet man dies auf Reichstaler und auf Jahre um, so handelte es sich um 68 Reichstaler pro Jahr (in Frankfurt entsprach 1700–1710 1 Reichstaler 90 Kreuzern und 1 Kreuzer 4 Pfennigen). Dieser Betrag könnte ein Jahrhundert später durch Inflation etwas gestiegen sein.

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aktiv, nämlich im Großhandel. Sie handelten mit Waren, die sie nicht selbst beoder verarbeiteten, sondern von Herstellern oder anderen Lieferanten beschafften und an Wiederverkäufer, Weiterverarbeiter, gewerbliche Verwender oder andere Institutionen, jedoch nicht an private Haushalte absetzten. Le Brun verfügte über Anteile bei der niederländischen Ostindienkompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, VOC).59 Die VOC gilt als die erste Aktiengesellschaft. Ihre Aktien wurden frei gehandelt, und die Teilhaber wurden nicht registriert. Die VOC war zu jener Zeit die größte Handelsfirma der Welt.60 Die meisten Kaufleute handelten mit Luxusprodukten: Behaghel und van de Walle mit Fayencen und le Brun mit Gewürzen wie Muskatnuss.61 Wilhelm von Enden vertrieb »Kölner Manufakturen«, also gewebte Bänder. Die Hanauer Fayence-Manufaktur orientierte sich an den Fayence-Produkten (»plateel«) aus Delft, insbesondere Geschirr, Fliesen und Vasen, die damals als Prunkstücke galten. Ebenso wie die Delfter Fayencen stattete man die Produkte mit ostasiatischem Dekor und mit den im Barock beliebten Phantasieblumen aus. Allerdings verzichtete man in Hanau aus Sparsamkeit auf die schwarze Konturierung der Figuren (»Treck«) sowie auf eine endgültige Glasur (»Kwaart«). Diese Vollendungsarbeiten waren in den Niederlanden üblich und gaben dem Produkt seinen Glanz. Die niederländisch-reformierte Hanauer Gemeinde verfügte über ein wahrscheinlich von der Hanauer Manufaktur erhaltenes und auf das Jahr 1677 datiertes kastenförmiges Tintenzeug, das an den Seiten mit Darstellungen des Presbyteriums und christlicher Liebeswerke verziert war.62 Die Fayencemanufaktur von Behaghel und van de Walle war in einem stattlichen Renaissancegebäude an der Ecke zwischen Römerstraße 15 und Glockenstraße untergebracht, im Haus »Zur Stadt Antwerpen«. Das Haus war 1602 von einem der reichsten niederländischen Migranten, dem aus Lille stammenden François de la Boë, erbaut worden.63 In Köln gehörte Wilhelm von Enden zu den Bewohnern mit überdurchschnittlichem Steueraufkommen; er wohnte in einem Haus mit einer der höchsten Mieten Kölns im 17. Jahrhundert.64 Einerseits wandten die Kaufleute moderne Organisations- und Handelsformen an, sie handelten mit Luxusprodukten und besaßen stattliche Gebäude 59 Vgl. Gramulla, Wirtschaftsgeschichte Kölns (wie Anm. 21), 464. Wie die Kaufleute selbst, so legte auch die niederländisch-reformierte Gemeinde in Köln beträchtliche Summen bei der VOC an, die hauptsächlich aus Spenden oder Vermächtnissen der kaufmännischen Gemeindemitglieder stammten, vgl. ebd., 494. 60 Vgl. Jonathan I. Israel: The Dutch Republic. Its Rise, Greatness and Fall. 1477–1806. Oxford 1998, 318–325. 61 Vgl. Gramulla, Wirtschaftsgeschichte Kölns (wie Anm. 21), 464. 62 Vgl. Lu¨ bbecke, Hanau (wie Anm. 45), 250. 63 Vgl. Zeh, Hanauer Fayence (wie Anm. 45), 10; Lu¨ bbecke, Hanau (wie Anm. 45), 243. 64 Es handelte sich um das Haus Vor den Augustinern, das einen Mietwert von 325 Gulden jährlich hatte. Es war genauso groß wie das Haus eines der Kölner Bürgermeister. Zum Vergleich: der höchste Mietwert im 17. Jahrhundert in Köln betrug 390 Gulden, vgl. Gramulla, Wirtschaftsgeschichte Kölns (wie Anm. 21), 494, 496.

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Abbildung 3: Enghalskrug aus Hanau, um 1700. Aufnahme: Werner Liebchen (Hanau). Präsentiert im Historischen Museum Hanau Schloss Philippsruhe. Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Hanauer Geschichtsvereins 1844 e.V.

für ihre Manufakturen oder Wohnräume. Andererseits verwendeten sie ihre wirtschaftlichen Erträge zum Nutzen Anderer. Die Kaufleute leisteten Gesinnungsgenossen finanzielle Unterstützung, sie setzten sich für Sozialfürsorge ein und investierten in den Erwerb von Land für unterdrückte Glaubensbrüder. Dies illustrieren die folgenden Beispiele. Die finanzielle Unterstützung von Gesinnungsgenossen zeigte sich etwa in der Vergabe von Krediten. 1680 erteilte eine Reihe von Personen der gräflichen Familie Daun-Falkenstein einen Kredit von 15.000 Reichstalern für Schloss und Herrschaft Broich in der Nähe von Mülheim an der Ruhr. Der Bevollmächtigte der drei reformierten Gräfinnen war nämlich nicht imstande, die Summe ihrem Lehnsherrn, dem Herzog von Pfalz-Neuburg, zu bezahlen. Dahinter standen vermutlich Erbstreitigkeiten der Gräfinnen mit ihren anderen Verwandten. Unter den Namen der Kreditgeber finden wir Johann le Brun, Jacob van de Walle, Peter d’Orville und Daniel Behaghel sowie andere reformierte Pietisten.65 Ferner haben reformiert-pietistische Kaufleute sich für Sozialfürsorge engagiert.66 Die Kölner evangelischen Gemeinden waren bekannt für ihre Lie65 Vgl. van de Kamp, Übersetzungen von Erbauungsliteratur (wie Anm. 5), 368, Anm. 2076. 66 Vgl. zu Sozialfürsorge im Pietismus Udo Sträter: Soziales. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 4 (wie Anm. 4), 617–645; Thomas K. Kuhn: Religion und neuzeitliche Gesellschaft. Studien zum sozialen und diakonischen Handeln in Pietismus, Aufklärung und Erweckungsbewegung. Tübingen 2003.

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bestätigkeit: Geld wurde der eigenen Armenkasse gespendet, aber auch hilfsbedürftigen Geschwistergemeinden, reisenden Spendensammlern sowie Bettlern wie Kriegsvertriebenen und Konfessionsmigranten, die Köln besuchten.67 Von Johann le Brun ist bekannt, dass er seiner Gemeinde regelmäßig hohe Spenden zukommen ließ.68 Jacob van de Walle war einer der Deputierten bei der Eröffnung des Armen-, Waisen- und Arbeitshauses, das der Frankfurter Rat 1679 auf Philipp Jakob Speners Anregung gründete. Es ist gut möglich, dass van de Walle auch Geld für dessen Gründung gespendet hat.69 Schließlich ist auf die Investitionen reformiert-pietistischer Kaufleute beim Erwerb von Land für unterdrückte Glaubensgenossen hinzuweisen. Der Anwalt Johann Jakob Schütz, die Kaufleute van de Walle und Behaghel sowie der reformierte Buchhändler und Kupferstecher Caspar Merian gründeten um 1680 die sogenannte Frankfurter Kompanie. Später trat unter anderem Johann le Brun bei. Die Kompanie erwarb Land in Nordamerika, das der Begründer der Quäker, William Penn, gekauft hatte. Penn hatte bei potenziellen Unterstützern für Investitionen geworben, damit unterdrückte Gläubige aus Europa dorthin auswandern konnten. Daraus sollte später Pennsylvania entstehen. Der Frankfurter Kompanie lag eine Kombination aus politischen, religiösen, wirtschaftlichen und karitativen Interessen zugrunde. Im Hintergrund stand angesichts der Expansion Frankreichs die zunehmende Kriegsgefahr in Europa, die von Pietisten als Gottes Strafgericht und Reaktion auf die Zunahme der Sünden unter den Menschen betrachtet wurde. Weiterhin bestand Anfang der achtziger Jahre für die Frankfurter Pietisten die Gefahr von Repressionen und sogar einer Ausweisung aus der Stadt, weil man sie separatistischer und spiritualistischer Tendenzen verdächtigte. In der Neuen Welt hofften sie, unter den Bedingungen von Gewissensfreiheit Gott dienen zu können. Aus diesen Gründen hatten die Frankfurter Teilhaber anfänglich die Absicht, selbst nach Nordamerika auszuwandern. Hinzu kamen wirtschaftliche Interessen: Durch Landinvestitionen ließ sich Geld gewinnen. Und schließlich konnte man dadurch seine unterdrückten Glaubensgenossen unterstützen. Die Teilhaber verpachteten zu Beginn ihr Land an Mennoniten und Quäker, die in die Neue Welt auswanderten. Mit hohen Summen finanzierten sie deren Überfahrt, aber auch Werkzeuge, Nutztiere und Saatgut. Die Frankfurter selbst wanderten letztendlich aber doch nicht aus. Die Tatsache, dass es in Pennsylvania viele alltägliche Beschwernisse gab und dass die Lage in Frankfurt sich 67 Vgl. Löhr, Kirchenpapiere (wie Anm. 20), 22 f; Schmitz, Geschichte (wie Anm. 20), 28–30. 68 Vgl. Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 264. 69 Das Haus wurde nicht durch ein Stiftungskapital finanziert, weil dies Spener zufolge nicht im Einklang mit dem Glauben an Gottes Providenz stand. Stattdessen wurde es finanziert aus Almosen und aus Erträgen aus der Manufaktur, in der die Armen und Waisen des Hauses arbeiteten, vgl. Udo Sträter: Pietismus und Sozialtätigkeit. Zur Frage nach der Wirkungsgeschichte des »Waisenhauses« in Halle und des Frankfurter Armen-, Waisen- und Arbeitshauses. In: PuN 8, 1982, 201–230; ders.: Soziales Engagement bei Spener. In: PuN 12, 1986, 70–83; Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit. Hg. v. dems. u. Josef N. Neumann. Tübingen 2003.

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für die Pietisten nicht zu einer akuten Bedrohung auswuchs, mag dafür ausschlaggebend gewesen sein. Allerdings können auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle gespielt haben: ökonomischer Erfolg in der Heimat, von dem man sich nicht verabschieden wollte, sowie die Tatsache, dass die Investition in die Neue Welt keinen großen Gewinn erwarten ließ. Das Engagement der Teilhaber an der Kompanie nahm ab und war 1689 sogar ganz zu Ende. Dies kommentierte der lutherisch-pietistische Agent der Kompanie, Franz Daniel Pastorius, von Pennsylvania aus dergestalt, dass die Frankfurter Teilhaber zu sehr in ihre weltlichen Geschäfte verstrickt seien.70

6. Schlussfolgerung Die Schriften Undereycks und Deusings enthalten Vorschriften zu frommem Handelsverhalten sowie zum Umgang mit Handelsgütern. Deusing erwähnte in der Widmung seiner Schrift an reformierte Kaufleute eine große Unwissenheit hinsichtlich gottseligen Verhaltens im Beruf. Vermutlich implizierte er damit insbesondere, dass viele Kaufleute ihre Aufgaben nicht auf eine fromme, christliche Weise ausübten. An dieser Stelle ist nun zu evaluieren, inwiefern die behandelten Kaufleute den Normen dieser reformiert-pietistischen Wirtschaftsethik folgten. Dabei ist zu bedenken, dass Undereyck und Deusing sich nicht zu Handelstechniken und Organisationsformen geäußert haben. Diesbezüglich haben die Kaufleute sich zeitgemäßer Organisations- und Handelsformen wie des Verlagswesens, der Manufaktur und der Kompanie bedient. Weder bei Undereyck noch bei Deusing werden Neuerungen verurteilt. So hat etwa Undereyck in Bremen neue Formen der Frömmigkeit eingeführt, darunter Katechismusstunden und Erbauungsversammlungen für die Jugend. Was Kaufmannspraktiken und Lebensstil betrifft, so handelten die Kaufleute mit Luxusprodukten wie Fayencen und Muskat und bewohnten stattliche Häuser bzw. arbeiteten darin. Es ist zu vermuten, dass Undereyck und Deusing dies nicht völlig abgelehnt haben, aber dass sie eine solche Lebensführung für gefährlich hielten. Die Tatsache, dass Behaghel und van de Walle ihre Fayenceprodukte nicht, wie die niederländischen Fayence-Hersteller, mit einer Konturierung und Glasur vollenden ließen, könnte man daraus erklären, dass die Hanauer zu großen Prunk ablehnten. Dazu stünde aber der Prunk des Manufakturgebäudes im Widerspruch. Die Hanauer haben wohl eher auf die abschließenden Arbeiten verzichtet, weil diese ihre Produktionskosten und die Kundenpreise erhöht hätten. Was die Lohnzahlungen betrifft, so haben die Manufakturbetreiber ihre Arbeiter vermutlich nicht ausgebeutet, sondern sie durchschnittlich entlohnt. 70 Vgl. Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 327–335.

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Wie bereits ausführlicher dargestellt, haben die Kaufleute auf verschiedene Art und Weise ihren wirtschaftlichen Erfolg zum Nutzen Anderer eingesetzt: So wurden Gesinnungsgenossen finanziell unterstützt und Land für unterdrückte Glaubensgenossen erworben. Dies entsprach dem Ratschlag Undereycks, wonach jeder mit seinem Besitz der Kirche und der Ehre Gottes zu dienen habe. Die erwähnten Projekte sind an sich nicht typisch pietistisch. Die Initiatoren und die Begünstigten waren es meistens schon: Es waren Pietisten, die zusammenarbeiteten bei der Kreditvergabe für pietistische Gräfinnen oder die als Teilhaber der Frankfurter Kompanie Glaubensgenossen unterstützen. Übrigens ist im Hinblick auf die Kompanie auffällig, dass dort eine enge Zusammenarbeit zwischen lutherischen und reformierten Pietisten existierte. Die Beispiele zeigen, dass Überfluss nicht unbedingt ein Feind von Frömmigkeit war, sondern dass finanzielle Erträge eingesetzt werden konnten für die materiellen Belange der Kirche wie Bau und Ausstattung von Kirchengebäuden und Beschaffung erbaulicher Literatur. Mark Peterson hat dies für den Puritanismus in Neuengland im 17. Jahrhundert aufgezeigt.71 Immerhin ist es möglich, dass die deutschen reformierten Pietisten Caritas als ein Mittel zur Beruhigung ihres durch Selbstbereicherung geängstigten Gewissens benutzt haben, wie Simon Schama dies als Hypothese in Bezug auf die reichen Niederländer des Goldenen Zeitalters formuliert hat.72 Die Quellen geben darüber aber keine Auskunft. Bei diesen Beispielen finanzieller Unterstützung mögen wirtschaftliche Interessen eine Rolle gespielt haben, zum Beispiel hinsichtlich der Erteilung eines Kredits für das Schloss Broich und im Kontext der Frankfurter Kompanie. Die wirtschaftlichen Interessen waren aber immer mit religiösen Zwecken verbunden. Außerdem waren nicht nur Kaufleute involviert: Zu den Kreditgebern für Broich gehörten zum Beispiel auch ein Jurisprudenzprofessor, ein Pfarrer und ein Schultheiss. Einer der wichtigsten Auftraggeber der Frankfurter Kompanie wiederum war der Anwalt Johann Jakob Schütz. Er und van de Walle hielten die größten Anteile an der Investitionssumme. Wirtschaftliche Interessen konnten aber pietistische Motive überflügeln, wie aus dem Beispiel der Frankfurter Kompanie hervorgeht: Einer der Gründe dafür, dass die Frankfurter pietistischen Kaufleute nicht auswanderten, war wohl die Tatsache, dass sie ihre Manufakturen in der Heimat nicht aufgeben wollten. 71 Vgl. Mark A. Peterson: The Price of Redemption. The Spiritual Economy of Puritan New England. Stanford 1997. Unter den Nachkommen von reformierten Konfessionsmigranten gibt es ähnliche Beispiele reicher Kaufleute, die Mildtätigkeit für eine christliche Pflicht hielten und unterdrückte Glaubensgenossen unterstützten, so der bekannte Kaufmann Louis de Geer (1587– 1652), der sich als Kupferbergbauunternehmer in Schweden niederließ, vgl. Grell, Brethren (wie Anm. 8), 274–299. 72 Vgl. Simon Schama: The Embarrassment of Riches. An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age. New York 1997.

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Der bereits angesprochene, vermutlich bedeutende Anteil von Nachkommen südniederländischer Konfessionsmigranten am reformierten Pietismus in Deutschland ist auffallend. Leicht ließe sich – in Analogie zur These einer Exulantentheologie und -kultur in der Zeit von Reformation und Konfessionalisierung, wie bei Oberman und Schilling – eine Kausalität herstellen zwischen Opferbereitschaft, Fluchterfahrung bzw. religiösen, kirchlichen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Ausgrenzungsprozessen sowie Restriktionen in der Gastgesellschaft einerseits und einem radikalen Verständnis von Christsein andererseits, wie dies für den Pietismus kennzeichnend war. So äußert sich W.J. op ’t Hof in dieser Richtung: Religious refugees were by definition highly serious people in their religious conviction. By their escape they not only cut the tie with their past but also forfeited all their securities, while many of them suffered a financial drain as well. They were willing to sacrifice all that for their religion. This religious seriousness was intensified by the traumatic experiences of the hardships suffered during and after the escape, the general feeling of dislocation and the many insecurities in the new situation. Without exception these matters are in general very beneficial to Pietism. The combination of all this makes it understandable that many religious refugees could not approve of other people who were not so very particular in their life-style. They increasingly criticized abuses and started emphasizing the experience of Reformed doctrine and an according pious manner of life.73

In meiner Dissertation habe ich diesbezüglich auf Gastgesellschaften verwiesen, wo die Migranten in sozialer, kirchlicher und wirtschaftlicher Hinsicht kaum ausgegrenzt wurden und sich relativ schnell integrieren konnten, etwa in Bremen,74 Emden und Wesel.75 Dies lässt sich auf Basis neuerer Forschungsliteratur weiter ausführen. Jesse Spohnholz hat für Wesel gezeigt, dass die dortigen niederländischen Migranten sich ab 1578 in politischer, wirtschaftlicher und kirchlicher Hinsicht an der Gastgesellschaft assimilierten und gleichzeitig die Kirchenzucht in der eigenen Gemeinde intensivierten.76 Dieses Beispiel illustriert, dass Assimilation der Migranten an die Gastgesellschaft 73 W[illem] J. op ’t Hof: Piety in the Wake of Trade. The North Sea as an Intermediary of Reformed Piety up to 1700. In: The North Sea and Culture (1550–1800). Proceedings of the International Conference Held at Leiden 21–22 April 1995. Hg. v. Juliette Roding u. Lex Heerma van Voss. Hilversum 1996, 248–265, hier: 250. 74 Vgl. van de Kamp, Übersetzungen von Erbauungsliteratur (wie Anm. 5), 57, 87, 361. 75 Vgl. ebd., 360; vgl. zu niederländischen Exulanten in Emden und Wesel: Schilling, Niederländische Exulanten (wie Anm. 8), passim; zu Wesel auch Deppermann, Schütz (wie Anm. 7), 266– 268; Jesse Spohnholz: The Tactics of Toleration. A Refugee Community in the Age of Religious Wars. Newark 2011; zu reformierten Pietisten in Emden: Walter Hollweg: Die Geschichte des älteren Pietismus in den reformierten Gemeinden Ostfrieslands von ihren Anfängen bis zur großen Erweckungsbewegung (um 1650–1750). Aurich u. Leer 1978. 76 Vgl. Jesse Spohnholz: Calvinism and Religious Exile during the Revolt of the Netherlands (1568– 1609). In: Immigrants & Minorities 31, 2013, 1–27.

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eine Bewahrung und Intensivierung der eigenen Frömmigkeit nicht ausschloss. Johannes Müller hat darauf hingewiesen, dass die Erklärung von Op ’t Hof zwar für die erste Migrantengeneration gelten könne, aber vermutlich nicht für folgende Generationen. In seiner Dissertation über Erinnerungskulturen niederländischer protestantischer Migranten hat er gezeigt, dass pietistische Tendenzen oft erst in späteren Generationen aufkamen und mit den Erinnerungskulturen in den (Um-)Kreisen der Migranten sowie der Außenwahrnehmung von Pietisten und Puritanern in Verbindung stehen konnten.77 Eine Exilerfahrung galt nämlich in der Frühen Neuzeit unter allen christlichen Konfessionen und unter nonkonformistischen Gruppen als ein Zeichen von Gottesfurcht. Dieser Gedanke wurde auch unter Konfessionsmigranten gepflegt. Somit können Nachkommen von Migranten sich angesprochen gefühlt haben vom Streben des Pietismus und Puritanismus nach einer Intensivierung der Frömmigkeit. In der Außenwahrnehmung durch Pietisten und Puritaner wurden die Fremdengemeinden als modellhaft betrachtet. Die Separatisten unter ihnen benutzten Exil sogar als Metapher für die Abgrenzung von ›lauen‹ Mitchristen. Für zahlreiche Personen, seien es direkte Nachkommen von Migranten oder nicht, war es aus verschiedenen Gründen attraktiv, sich mit einer Flüchtlingsgemeinde und deren Erinnerungskultur zu identifizieren. In religiöser Hinsicht konnte man sich von der durch den Pietismus beklagten religiösen Lauheit positiv unterscheiden. Pietisten zufolge war in den Kirchen das Engagement für die Sache der Reformation fast verschwunden, und nicht alle Besucher und Mitglieder einer Kirche konnten als wahre Christen gelten. Wer sich mit einer Flüchtlingsgemeinde identifizierte, der zeigte, dass er zu den wahren Christen gehörte. Als Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer Migrantengemeinschaft galten wiederum nicht etwa ethnische Gründe, sondern die Identifikation mit der betreffenden Gemeinschaft, was auch für Personen, die nicht direkt oder gar nicht von Migranten abstammten, einen Zugang eröffnete. Die Identifikation mit einer Migrantengemeinschaft war übrigens nicht exklusiv, denn man konnte sich zugleich mit der Gastgesellschaft identifizieren und an ihrer Erinnerungskultur teilhaben.78 Müller hat richtig beobachtet, dass pietistische Tendenzen manchmal erst in späteren Generationen auftraten und also nicht nur aus den Erfahrungen der Migranten zu erklären sind. Seine aus der Analyse von Exilerfahrungen hergeleitete Interpretation halte ich für plausibel. Die aus der Außenwahrnehmung von Pietisten und Puritanern gewonnene Erklärung läuft aber Gefahr, 77 Müller, Exile Memories (wie Anm. 16), widerspricht dem Ergebnis von Grells Studie zu reformierten Migranten und ihren Nachkommen im 16. und 17. Jahrhundert. Grell zufolge haben reformierte Migranten sich nach dem Westfälischen Frieden in sozialer und kirchlicher Hinsicht zunehmend in ihre Gastgesellschaften integriert. Damit sei ihr Zugehörigkeitsgefühl zu einer durch Verfolgung und Exil geprägten Gemeinschaft sowie ihr »militant Calvinism« verschwunden, vgl. Grell, Brethren (wie Anm. 8). 78 Vgl. Müller, Exile Memories (wie Anm. 16), 179–208.

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pietistische Einstellungen nur als Strategie zur Steigerung des eigenen religiösen Status zu betrachten. Vermutlich ist dies daher nicht die einzige Erklärung, denn: Erstens können Nachkommen von Migranten sich von den radikalen Auffassungen und dem Handeln der Pietisten angesprochen gefühlt haben. Diese Radikalität erinnerte sie möglicherweise an die Radikalität ihrer Vorfahren, die in ihren jeweiligen Erinnerungskulturen gepflegt wurde. Daraus wiederum resultierte dann eine spätere Anziehungskraft des Pietismus für Migrantennachfahren. Zweitens dürften pietistische Einflüsse leicht in die überregionalen und internationalen (Handels-)Verbindungen von Migranten und ihren Nachfahren eingedrungen sein.79 Drittens diente vermutlich ein modellhaftes christliches Leben im Sinne des Pietismus als Instrument zur Verbesserung der Beziehungen mit der Gastgesellschaft: Diese würde Argwohn und Feindschaft leichter verlieren, wenn sie sehen würde, dass die Migranten auf vorbildliche Weise lebten. Allerdings scheinen Migranten zuweilen auch dort nach einem modellhaften christlichen Leben gestrebt zu haben, wo eine Verbesserung der Beziehungen zu den Aufnehmenden nicht notwendig schien. Dies zeigt das Beispiel von Wesel, wo die politische, wirtschaftliche und kirchliche Assimilation mit der Gastgesellschaft mit einer Intensivierung der Kirchenzucht in der eigenen Gemeinde einherging. Assimilation und Intensivierung der Kirchenzucht scheinen auf den ersten Blick zwei einander entgegengesetzte Bewegungen zu sein. Man kann sie aber auch als einander gegenseitig verstärkende Mechanismen interpretieren: Assimilation würde bei Erfolg zur Steigerung der Wertschätzung der Migranten durch die Gastgesellschaft führen. Diese Wertschätzung konnte noch verstärkt werden durch ein modellhaftes moralisches Leben. Dazu war eine Intensivierung der Kirchenzucht notwendig. Umgekehrt würde eine strengere Kirchenzucht zur Steigerung der Wertschätzung führen, die durch Assimilation verstärkt werden könnte. Allerdings muss man dabei bedenken, dass diese Mechanismen durch lokale Faktoren bedingt waren und dass Intensivierung der Kirchenzucht in den meisten Fällen nur solange zur Wertschätzung durch die Gastgesellschaft geführt haben wird, wie sie nicht in religiösen Radikalismus umschlug.80

79 Vgl. ebd., 207 f. 80 Ich danke Dr. Johannes Müller (Leiden), Dr. Jesse Spohnholz (Washington, D.C) und Prof. Dr. Mirjam van Veen (Amsterdam) sowie den Herausgebern dieses Sammelbandes für ihre konstruktiven Kommentare zu diesem Beitrag.

Kai Lohsträter

Pietismus, Ökonomie und Nachrichtenpresse im 18. Jahrhundert Die Hallischen Zeitungen als Wirtschaftsunternehmen der Glauchaer Anstalten 1. Einführung Am 25. Juni 1708 erschien die erste Ausgabe der Hallischen Zeitungen, für deren Druck und Verlag der pietistische Theologe August Hermann Francke (1663–1727) rund fünf Jahre zuvor ein Privileg des brandenburgischen Kurfürsten und Königs in Preußen, Friedrich I. (1657–1713), erworben hatte.1 Dem Wortlaut der landesherrlichen Verfügung folgend, waren mit dem politischen Periodikum hauptsächlich zwei funktionale Absichten verbunden: Erstens sollte es einen Beitrag »zum Besten des Gemeinen Wesens« leisten und zweitens der »beßeren Unterhaltung des Weysenhauses« dienen, also den Armen-, Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, die Francke mit Hilfe tatkräftiger Mitstreiter und der Protektion des Berliner Hofes seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert in der Amtsstadt Glaucha vor den Toren Halles aufzubauen begonnen hatte.2 Dass das Universum der Glauchaer Anstalten nicht nur Waisenhaus und ›Schulstadt‹ umfasste, sondern um 1700 durch zahlreiche Betriebe und Manufakturen ergänzt wurde, ist als Phänomen vielfach beschrieben worden.3 Die Gründungen werden in der Regel mit den wachsenden Stiftungen und ihrem steigenden Finanzbedarf erklärt, der die Erschließung neuer Einkunftsquellen neben dem zwar nicht geringen, aber doch recht unkalkulierbaren Spendenaufkommen notwendig gemacht habe. Dieser Zusammenhang ist fraglos evident.4 Gleichwohl muss darauf hingewiesen werden, dass die unternehmerischen 1 Arthur Bierbach: Die Geschichte der Halleschen Zeitung, Landeszeitung für die Provinz Sachsen, für Anhalt und Thüringen. Eine Denkschrift aus Anlaß des 200jährigen Bestehens der Zeitung. Halle 1908, 6 f. Das Privileg wurde am 27. Juli 1703 ausgestellt. 2 Helmut Obst: August Hermann Francke und sein Werk. Halle 2013, 73–100. 3 Grundlegend Heinz Welsch: Die Franckeschen Stiftungen als wirtschaftliches Großunternehmen. Diss. phil. Halle u. Wittenberg 1955/56; ders.: Die Franckeschen Stiftungen als wirtschaftliches Großunternehmen. In: August Hermann Francke. Das humanistische Erbe des großen Erziehers. Hg. v. Franz Hofmann [u. a.]. [Halle] 1965, 28–44. 4 Die Planbarkeit war ein typisches ökonomisches Motiv, ins Geschäft mit Periodika, die in der Regel an einen festen Stamm von Pränumeranten (Abonnenten) vertrieben wurden, einzusteigen. S. Ute Schneider: Grundlagen des Mediensystems. Drucker, Verleger, Buchhändler in ihren ökonomischen Beziehungen 1600–1750. In: Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600–1750). Hg. v. Johannes Arndt u. Esther-Beate Körber. Göttingen 2010, 27–37, hier: 34–37.

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Aktivitäten der Halleschen Pietisten noch kaum tiefer gehend erforscht sind. Abgesehen davon, dass die ökonomische Entwicklung der erwerbenden Anstalten bis heute nur partiell analysiert wurde,5 ist auch »über das Innenleben« der Wirtschaftsbetriebe »höchst wenig« bekannt.6 Ergänzend ist zudem zu bemerken, dass es kaum kontextuelle Einordnungen der geschäftlichen Aktivitäten gibt, weder hinsichtlich der Wirtschaftsgeschichte des ausgehenden 17. und 18. Jahrhunderts, noch hinsichtlich der Stellung der Ökonomie im Vorstellungshorizont der Halleschen Pietisten. Im engen Rahmen dieses Beitrags lassen sich freilich nicht sämtliche angesprochenen Defizite in gebotener Ausführlichkeit behandeln. Anhand des Glauchaer Presseverlags sollen im Folgenden aber zumindest exemplarisch einige Teilaspekte des Themenfeldes stärker konturiert werden. Dass aus der Reihe der Betriebe gerade das Beispiel der Hallischen Zeitungen gewählt wurde, mag dabei überraschen. Denn gegenüber etwa der MedikamentenExpedition, der Apotheke oder auch der Verlagsbuchhandlung wird das sogenannte Zeitungswerk in der Literatur gewöhnlich eher am Rande behandelt, was vor allem seiner vergleichsweise geringen wirtschaftlichen Bedeutung geschuldet ist. In der Tat spielte das Unternehmen selbst in seiner stärksten Phase eine allenfalls untergeordnete Rolle in der Ökonomie der Stiftungen,7 wurde in den 1740er Jahren gar zu einer finanziellen Belastung und 1768 schließlich von den Anstalten gelöst. Allerdings macht gerade diese prekäre Entwicklung das Zeitungswerk zu einem spannenden Untersuchungsgegenstand für das unternehmerische Handeln im pietistischen Umfeld, drängt sich in diesem Zusammenhang doch beispielsweise die Frage auf, warum das Direktorium der Stiftungen so lange beharrlich an den Hallischen Zeitungen festhielt. Das Engagement, mit dem August Hermann Francke, seine Mitstreiter und Nachfolger das Projekt voran- und betrieben, steht jedenfalls in auffälligem Kontrast zu dem bis in die aktuelle Forschungsliteratur nachklingenden Urteil Schürmanns, dass sich »das Zeitungswesen […] niemals in den Organismus der Franckeschen Anstalten« habe fügen wollen, es ein »Fremdkörper« geblieben sei, »der immer von neuem Unzuträglichkeiten und Unbehagen« herbeigeführt hätte.8 5 Die Datenerhebung Heinz Welschs (wie Anm. 3) deckt nur die Phase bis 1728 und damit den Wirkungszeitraum Franckes und seines engen Mitarbeiters Heinrich Julius Elers (1667–1728) ab. 6 Peter Kriedte: Wirtschaft. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Hg. v. Hartmut Lehmann. Göttingen 2004, 585–616, hier: 590. 7 Den 400 bis 700 Reichstalern jährlich, die zu den Spitzenzeiten in den 1720er Jahren vom Presseverlag an die Hauptkasse der Glauchaer Anstalten abgeführt wurden (Tabelle 1 im Anhang), standen zeitgleich 14.593 Reichstaler aus der Medikamenten–Expedition, knapp 3.000 Taler aus der Apotheke und 2.500 aus der Verlagsbuchhandlung entgegen. Die Gesamtausgaben der Stiftungen bewegten sich in diesem Zeitraum zwischen 15.000 und 36.000 Reichstalern. Vgl. Welsch, Die Franckeschen Stiftungen 1955/56 (wie Anm. 3), 124, 127. 8 August Schürmann: Zur Geschichte der Buchhandlung des Waisenhauses und der Cansteinschen Bibelanstalt in Halle a.S. Zur zweihundertjährigen Jubelfeier der Franckeschen Stiftungen 1698– 1898. Halle 1898, 25.

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2. doch gebe die Sache nicht verlohren.9 Der holprige Weg zum politischen Presseverlag Das pietistische Zeitungswerk war kein Ein-Mann-, sondern ein Gemeinschaftsunternehmen. Neben August Hermann Francke war in der Anfangszeit vor allem dessen enger Berliner Vertrauter Carl Hildebrand von Canstein (1667–1719) treibende Kraft bei den Projektplanungen. Zum engeren Kreis der Beteiligten gehörte ferner der Leipziger Oberpostsekretär Johann Job (1664– 1736), ein glühender Anhänger des Halleschen Pietismus, der sein »von Gott verliehenes Talent« unbedingt in den Dienst der Glauchaer Anstalten stellen wollte.10 Im Frühjahr 1703 war er deswegen persönlich bei Canstein vorstellig geworden, der ihn mit der Ausarbeitung eines ersten Projektentwurfes beauftragte.11 Außerdem wurde Job in Aussicht gestellt, nach der Realisierung die Leitung des Zeitungswerks zu übernehmen. Was ihn aus Sicht sowohl Cansteins als auch Franckes dazu prädestinierte, war über seine große Frömmigkeit hinaus sein ausgewiesener Sachverstand im Pressegeschäft. Seit 1700 verantwortete er neben seinen sonstigen administrativen Tätigkeiten auch die renommierte Leipziger Postzeitung.12 Wie das von Johann Job verfasste Konzept, das den bezeichnenden Titel Ohnvorgreiffliches Project, auff was maße in den Königl. Preuß. Landen das Zeitungs-Wesen zu verbeßern seye trägt, vor Augen führt, war die Strategie der Halleschen Pietisten zunächst darauf gerichtet, ihren Presseverlag in den Windschatten der noch jungen Berliner Societät der Wissenschaften zu stellen. Der Einfall stammte von Canstein, dem eine Anbindung auf Basis eines 9 Der Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins mit August Hermann Francke. Hg. v. Peter Schicketanz. Berlin u. New York 1972, 242. 10 Archiv der Franckeschen Stiftungen Halle (im Folgenden: AFSt)/H, C 232:76; Iob, (Johann). In: Johann Christoph Adelung: Fortsetzung und Ergänzungen zu Christian Gottlieb Jöchers allgemeinen Gelehrten–Lexicon. Bd. 2. Leipzig 1787, 2288 f; Job, Johannes. In: ADB 14, 1881, 98; Rainer Witt: Job, Johannes. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 3, 1992, 124 f; Christoph Ernst Siculs: Annalium Lipsiensium […] Oder Des Leipziger Jahr-Buchs zu dessen Drittem Bande Erste Fortsetzung. Leipzig 1723, 326, 333, 779; Johann Christian Lünig: Des Teutschen Reichs-Archivs Partis Specialis IV. und letzter Continuation, II. Teil. Leipzig 1740, 794. 11 AFSt/H, C 232:24; Peter Schicketanz: Carl Hildebrand Freiherr von Canstein. Leben und Denken in Quellendarstellungen. Tübingen 2002, 35 f. Schicketanz folgert daraus, dass auch die Grundgedanken des Konzepts von Job stammen müssten. Es erscheint indes ebenso möglich, dass es in Gesprächen mit Canstein und Francke gemeinsam entwickelt wurde. Zudem ist zu bedenken, dass der Entwurf beiden mehrfach für Anmerkungen und Korrekturen vorlag. Vgl. AFSt/H, C 232:25, 79, 80. 12 Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 223 f; AFSt/H, C 232:31; Brigitte Klosterberg u. Anke Mies: Der Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses zu Halle. Bibliographie der Drucke 1698–1728. Tübingen 2009, 87, 144, 441; Esther-Beate Körber: Zeitungsextrakte. Aufgaben und Geschichte einer funktionellen Gruppe frühneuzeitlicher Publizistik. Bremen 2009, 116, 132 f, 247 f; Georg Witkowski: Geschichte des literarischen Lebens in Leipzig. Leipzig u. Berlin 1909, 235.

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Konzessionsvertrages vorschwebte.13 Die Autorität der Institution sollte das Zeitungswerk vor möglichen Widerständen bewahren und ferner den direkten Zusammenhang zu den Glauchaer Anstalten verschleiern. Denn aus Sicht der Halleschen Pietisten barg das anvisierte landesherrliche Privileg die Gefahr, die bereits mit zahlreichen obrigkeitlichen Vergünstigungen ausgestatteten Stiftungen in der Öffentlichkeit in Misskredit zu bringen.14 Ihr Bestreben untermauerten Canstein, Francke und Job durch eine gezielte inhaltliche Ausrichtung des Projekts an integralen Zielen der Sozietät. Dem Konzept folgend sollte das Zeitungswerk erstens einen Beitrag zur »Reinigkeit der Teutschen Sprache« leisten, zweitens den »Grund-Stein« zu einer »Historia moderna« Brandenburg-Preußens beziehungsweise des kurfürstlich-königlichen Hauses legen und drittens der Intensivierung der gelehrten Kommunikation dienen.15 Die Vorschläge zeigen, dass sich der Entwurf nicht nur geschickt an den repräsentativen und kulturpolitischen Interessen des Berliner Hofes orientierte, sondern auch, dass die Pietisten die medialen Veränderungen aufmerksam beobachteten und für ihre Zwecke zu nutzen suchten. Die formulierten Ideen bewegten sich eng am Puls der Zeit. Dass sie ihr allerdings weit voraus gewesen wären, wie Deppermann konstatierte, ist übertrieben, ebenso wie seine Behauptung, die vollständige Umsetzung des Konzepts hätte das Nachrichtenblatt zur besten Zeitung »des europäischen Kontinents« gemacht.16 Dagegen rückt seine treffende Feststellung, dass es Francke, Canstein und Job nicht gelang, ihr Werk in der gewünschten Weise zu realisieren, in den Blick, dass ihr gestalterischer Spielraum am Hof Friedrichs I. trotz aller ihnen entgegengebrachter Sympathien enge Grenzen hatte. Die Idee der Kooperation mit der Sozietät scheiterte dort ebenso wie die der Zusammenarbeit mit der königlichen Landespost, die Canstein als Alternative vorgeschwebt hatte.17 Und selbst das im Sommer 1703 erworbene Privileg zum Druck und Verlag der politischen 13 AFSt/W, IV/–/2, Nr. 1, Bl. 1; AFSt/H, C 232:25; Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 229; Leonhard Stroux: Die Gründung der Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften durch Gottfried Wilhelm Leibniz und Daniel Ernst Jablonski. In: Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700. Hg. v. Joachim Bahlcke u. Werner Korthaase. Wiesbaden 2008, 409–433. 14 AFSt/H, C 232:77; Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 228 f; Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallische Pietismus. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 1: Der Pietismus vom 17. bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert. Hg. v. dems. Göttingen 1993, 440–539, hier: 478 f. 15 AFSt/W, IV/–/2, Nr. 1, Bl. 1r–3v. Zur Einordnung vgl. Paul Münch: Das Jahrhundert des Zwiespalts. Deutschland 1600–1700. Stuttgart 1999, 142–144; Joachim Bahlcke: Die Rekonstruktion der intellektuellen Kultur Europas um 1700. Forschung zu Leben, Werk und Wirkung Daniel Ernst Jablonskis aus drei Jahrhunderten. In: Daniel Ernst Jablonski (wie Anm. 13), 3–44, hier: 37– 39; Stroux, Gründung (wie Anm. 13); Holger Böning: Welteroberung durch ein neues Publikum. Die deutsche Presse und der Weg zur Aufklärung. Hamburg und Altona als Beispiel. Bremen 2002, 87 f. 16 Klaus Deppermann: Der hallesche Pietismus und der preußische Staat unter Friedrich III. (I.). Göttingen 1961, 146. 17 Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 229.

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Zeitung unterstreicht, dass die Bemühungen in Berlin eher mäßig erfolgreich waren. Das königliche Zugeständnis war nämlich gerade das Mindestmaß dessen, was sich zumindest Francke und Job versprochen hatten.18 Erkennbar werden an dem Beispiel insofern nicht zuletzt Schwierigkeiten des pietistischen Lobbyismus in Berlin, der den Akteuren nicht nur Fingerspitzengefühl und Hartnäckigkeit abverlangte, sondern auch ein gehöriges Maß an Flexibilität. Die persönlichen Befindlichkeiten, Animositäten und Kompetenzstreitigkeiten machten die politisch-administrative höfische Elite schwer kalkulierbar. Und oft genug blieben selbst die wohlgesinnten Anhänger Franckes in ihren Entscheidungen und Handlungen eigenwillig.19 Auf ihre stärkste Probe wurde die Anpassungsfähigkeit der Pietisten zwischen 1703 und 1705 mit ihrem Versuch gestellt, Johann Job als Leiter ihres Zeitungswerks zu installieren und ihm ein entsprechendes »etablissement« in KurbrandenburgPreußen zu organisieren.20 Der Leipziger Oberpostsekretär hatte seinen geplanten Austritt aus den kursächsischen/königlich-polnischen Diensten von Beginn an problematisiert, da er konkreten Schaden für sich und seine Familie befürchtete.21 Um den Schritt besser begründen zu können, stellte er daher die Bedingung, nur »unter einem gewissen Praedicat« – einem Ratstitel – in die »Protection« Friedrichs I. treten zu wollen, was ihm den Vorwurf der Anmaßung und des Karrierestrebens einbrachte.22 Auf Anraten aus Regierungskreisen sah Francke daher lieber davon ab, den Privilegienantrag an diese Forderung zu knüpfen.23 Zwar zeigte sich der König nicht grundsätzlich abgeneigt, Jobs Wunsch zu erfüllen. Gleichwohl wollte er abwarten, bis sich dieser durch mehr »merita bekandt gemacht« habe.24 Für den Oberpostsekretär war dies zu vage. Zudem kam ihm das Versprechen Franckes, ihm einen Unterhalt von 500 Reichstalern jährlich zu garantieren, reichlich unausgegoren vor. Am Tag der Privilegienbewilligung schrieb er an Canstein: ich bin aber noch in einiger Sorge, es werde das Werck, ehe es recht zu Stande käme, zumahlen bey denen vielen Hindernißen, welche menschlichen Ansehen nach nicht ausbleiben dürffen, anfangs so viele Unkosten erfordern, daß ich dem lieben Way-

18 Ebd., 226, 228 f, 231; AFSt/H, C 232:28, 78 u. 82; Deppermann, Pietismus (wie Anm. 16), 146. 19 Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 226 f; AFSt/H, C 232:27, 28, 77, 80, 81, 82. Im Falle des Zeitungsprivilegs richtete sich der Lobbyismus v. a. auf den Finanzminister Samuel von Chwalkowski (gest. 1705). Unterstützung erhielten Canstein und Francke dabei vom Kaufmann, Bankier und Hoffaktor Christoph Troschel. Vgl. Hans Branig: Chwalkowski, Samuel. In: NDB 3, 1957, 253 f; Hugo Rachel u. Paul Wallich: Berliner Großkaufleute und Kapitalisten. Bd. 2: Die Zeit des Merkantilismus. 1648–1806 [1938]. Berlin 21967, 206. 20 Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 223 f. 21 AFSt/H, C 232:84. 22 AFSt/H, C 232:77; AFSt/W, IV/–/2, Nr. 1, Bl. 4r. 23 Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: SBPK), F 8/6:29. 24 Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 227.

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senhauß mit einem so starken Salario könte beschwehrlich fallen, welches mich aber sehr afficiren würde.25

Zudem bemängelte er den fehlenden Rückhalt des Zeitungswerks am Berliner Hof.26 Unter Vorgabe dienstlicher Verpflichtungen zog sich Job in der Folge immer weiter aus der Projektplanung zurück.27 Dem ungeachtet gaben Canstein und Francke ihr Ziel nicht auf, ihrem Wunschkandidaten doch noch eine attraktive Möglichkeit für einen Wechsel zu eröffnen, auch wenn den Freiherrn zunehmend das Gefühl beschlich, dass es mit ihm »nicht rücken« werde.28 Ab 1704 bemühten sich die beiden darum, für Job eine außerordentliche Professur an der theologischen Fakultät in Halle zu schaffen; ein Plan, der beinahe aufging, wäre nicht der für die Ausstellung der Berufungsurkunde zuständige Konsistorialpräsident und Lehnsdirektor Paul von Fuchs (1640–1704) kurz vor der Unterzeichnung des Dokuments verstorben.29 1705 verlief das Vorhaben, dem kursächsischen Postbedienten die Leitung des Zeitungswerks zu übertragen, dann endgültig im Sand, als auch der Versuch misslang, ihn bei der preußischen Landespost unterzubringen.30

3. Hoffnung auf bessere Zeiten: Entwicklung und Praxis des Glauchaer Presseunternehmens Die »unvermuthet in den Weg gekommene[n] Verhinderungen«31 brachten das Zeitungswerk zwar nicht zu Fall, verzögerten die Verwirklichung aber deutlich. Beinahe drei Jahre vergingen, bis die Pietisten mit Jacob Gabriel Wolff (1683/ 84–1754) jemanden fanden, der die Leitung ihres Nachrichtenblattes zu übernehmen bereit war.32 Im April 1708 schloss der angehende Jurist mit Francke einen Vertrag, in dem einerseits die Eigenständigkeit des Unternehmens sowie andererseits die Verpflichtung festgeschrieben war, die potenziellen Erträge weitmöglichst an die Stiftungen abzuführen.33 Für die redaktionelle Arbeit, den Schriftverkehr, die Verwaltung und die sonstigen Aufwendungen erhielt Wolff ein jährliches Deputat in Höhe von 150 Reichstalern.34 25 26 27 28 29 30 31 32

AFSt/H, C 232:79; Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 230 f. AFSt/H, C 232:82. AFSt/H, C 232:80. Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 242, 247. Ebd., 256, 258, 262, 265, 273; Gerhard Oestreich: Fuchs, Paul Frhr. v. In: NDB 5, 1961, 682–685. Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 288 f, 303. AFSt/W, IV/–/2, Nr. 10. Vgl. AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben Wolffs vom 17. 3. 1732); Hermann Arthur Lier: Wolff, Jacob Gabriel. In: ADB 44, 1898, 37 f. 33 AFSt/W, IV/–/2, Nr. 10, 12 u. 13. 34 AFSt/W, VI/–/3, unpaginiert (Schreiben Wolffs vom 12.3.1732); AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/1.

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Allein hinsichtlich seiner begrenzten Erfahrung lässt sich begründet annehmen, dass der erste Leiter der Hallischen Zeitungen kein adäquater Ersatz für den 20 Jahre älteren, journalistisch wie wirtschaftlich versierten Johann Job war. Gleichwohl lässt sich der schlechte Anlauf des Projekts Wolff nur bedingt zuschreiben. Denn bis zu dem von einem Besuch Friedrichs I. in Halle vorgegebenen Verlagsstart am 25. Juni 1708 blieb ihm kaum Gelegenheit, sämtliche organisatorischen Probleme zu lösen, die seit dem Erhalt des Zeitungsprivilegs 1703 offen geblieben waren. Versäumt hatte man etwa, sich mit dem Leiter des königlichen Postamts in Halle über die Modalitäten des Zeitungsvertriebs zu einigen. Während des laufenden Betriebs mussten die Pietisten daher in der zweiten Jahreshälfte 1708 mühselige Nachverhandlungen führen, was freilich mit Reibungsverlusten einherging.35 Als eine Bedingung der letztlich erfolgreichen Einigung wurde mit dem Postmeister dabei der Verlag eines Zeitungsextraktes verabredet, das die drei regulären Ausgaben des Nachrichtenblattes einmal wöchentlich ergänzen sollte und ab Januar 1709 unter dem Titel Kurtze Relation Der merckwürdigsten und zur Conservation der neuen Historie hauptsächlich dienenden Sachen erschien. Vorbilder für ein solches ›Auszugs-Medium‹ gab es reichlich – nicht zuletzt im nahegelegenen Leipzig. Seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts tauchten Zeitungsextrakte, die funktional an den vielfach beklagten Ordnungs- und Auswahldefiziten der Nachrichtenlandschaft der Zeit Anstoß nahmen, in zunehmender Zahl auf dem deutschen Pressemarkt auf.36 Allerdings lässt sich die Gründung der Relation nicht nur als Zugeständnis an die Landespost respektive als Folge des Wettbewerbs mit der kursächsischen Messe- und Universitätsstadt Leipzig lesen, der die Geschichte des Halleschen 35 Vgl. Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 229 f, 377, 385 f, 392; AFSt/W, IV/ –/3, unpaginiert (Schreiben vom 17. 10. 1717); AFSt/W, IV/–/2, Nr. 15 u. 21 f; Gustav Friedrich Hertzberg: Geschichte der Stadt Halle an der Saale. Von den Anfängen bis zur Neuzeit. Bd. 2: Halle während des 16. und 17. Jahrhunderts (1513–1717). Halle 1891, 644; Schürmann, Geschichte der Buchhandlung (wie Anm. 8), 22; Bierbach, Geschichte der Halleschen Zeitung (wie Anm. 1), 10 f; Wilhelm Heinrich Matthias: Darstellung des Postwesens in den Königlich Preußischen Staaten. Berlin 1812, 317. Welchen ökonomischen Einfluss das Versäumnis für den Presseverlag hatte, wird an dem Umstand ersichtlich, dass der Überschuss nach dem erfolgreichen Übereinkommen 1708 sprunghaft anstieg. 36 Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 392; Körber, Zeitungsextrakte (wie Anm. 12), 15 f, 59, 117, 132 f, 135 f; Kai Lohsträter: Zeitgeschichte, Empirie und Pragmatismus. Zeitungskollegs als Versuchsfelder (früh-) moderner historischer Methoden. In: Praktiken frühneuzeitlicher Historiographie. Hg. v. Markus Friedrich u. Jacob Schilling. Berlin [u. a.] 2019, 387–436, hier: 420 f. Zu den gängigerweise beworbenen Leistungen der Zeitungsextrakte gehörte es, die inkohärenten und meist allenfalls ›stapelchronologisch‹ präsentierten Presseberichte in eine sinnvolle Ordnung zu bringen, Relevantes von Nicht-Relevantem, Wahres von Unwahrem zu scheiden. Nicht selten wurden die ausgewählten ›Kernstücke‹ des Nachrichtenangebots zudem didaktisch aufbereitet. So wurde bei der Halleschen Relation ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Berichte »bey Gelegenheit mit Historischen, Geographischen, Genealogischen etc. Anmerkungen illustriret« würden. Siehe Bierbach, Geschichte der Halleschen Zeitung (wie Anm. 1), 22 f, sowie zur Begründung AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Denkschrift vom 13.6.1742).

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Presseverlages von Beginn an prägte. Verstanden werden kann das Extrakt überdies als Ausdruck des ausgeprägten, chiliastisch-eschatologisch inspirierten historischen Bewusstseins der Pietisten. Der damit verbundene Vorsehungsgedanke und göttliche Führungsglaube waren wichtige Triebfedern für sie, die ( jüngere) Vergangenheit gründlich zu beobachten und zu dokumentieren. Des Weiteren fügte sich das Periodikum konzeptionell hervorragend in die Pädagogik Franckes ein, die sich zwischen Ermahnungen zu einem gottesfürchtigen Lebenswandel und der Vermittlung von Realienwissen – hier geographischer, historischer, genealogischer und sprachlicher Kenntnisse – entfaltete.37 Zudem muss hinsichtlich der Etablierung der Relation der Einfluss der rechtswissenschaftlichen Fakultät Halles berücksichtigt werden, die seit 1708 auf verschiedenen Ebenen ein prägender Faktor des Zeitungswerks war. Dies fing bei der zensorischen Aufsicht des Presseverlags an, die von Beginn an in den Händen der juristischen Ordinarien lag.38 Ein Umstand, der übrigens sicher auch bei der Auswahl des Nachwuchsjuristen Wolff als erstem Redaktionsleiter eine Rolle spielte, zumal die einschlägige akademische Sozialisierung bis auf zwei Ausnahmen durchgehendes Merkmal sämtlicher seiner Amtsnachfolger war. Allerdings erschöpften sich die Verflechtungen nicht in der Personalpolitik und der Aufsichtsfunktion. Abgesehen davon, dass es innerhalb der Professorenschaft mitunter Sympathien für den Halleschen Pietismus gab,39 hatten die Rechtsgelehrten nämlich auch ein handfestes programmatisches Interesse an dem Presseverlag, das sich aus der Neuausrichtung des juristischen Studiums in Halle um die Jahrhundertwende speiste. In diesem Zuge kam es zu einer deutlichen disziplinären Aufwertung der

37 Martin Schmidt: Der Pietismus und das moderne Denken. In: Pietismus und moderne Welt. Hg. v. Kurt Aland. Witten 1974, 9–74; Geschichtsbewusstsein und Zukunftserwartung in Pietismus und Erweckungsbewegung. Hg. v. Wolfgang Breul u. Jan Carsten Schnurr. Göttingen 2013; Kai Lohsträter: Die periodische Nachrichtenpresse und der Hallesche Pietismus. Anmerkungen zu einem vergessenen Aspekt der frühneuzeitlichen Mediengeschichte. In: »Schrift soll leserlich seyn«. Der Pietismus und die Medien. Beiträge zum IV. Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2013. Hg. v. Christian Soboth u. Pia Schmid. Halle 2016, 177–192, hier: 186 u. 189– 191. 38 AFSt/W, IV/–/2, Nr. 29; AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/2, 29, 37, 45, 46, 49. Zum rechtlichen Rahmen dieser Verbindung vgl. Ralf-Torsten Speler: »Das gantze Werck ein Annexum Unserer Universität zu Halle«. Hallesche Universitätsprofessoren in den Franckeschen Stiftungen im 18. Jahrhundert. In: Die Universität zu Halle und Franckens Stiftungen. Hg. v. dems. Halle 1998, 39–47. 39 Genannt seien hier nur Samuel Stryk (1640–1710) und sein Sohn Johann Samuel (1668–1715) sowie Justus Henning Böhmer (1674–1749). Vgl. Johannes Wallmann: Neues Licht auf die Zeit Johann Sebastian Bachs in Mühlhausen. Zu den Anfängen des Pietismus in Thüringen. In: PuN 35, 2009, 46–114, hier: 107–109; Ernst Landsberg: Stryk, Johann Samuel. In: ADB 36, 1893, 698; Peter Landau: Kanonistischer Pietimus bei Justus Henning Böhmer. Zugleich zum Einfluss Philipp Jakob Speners in der Geschichte des evangelischen Kirchenrechts. In: Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft. Winfried Trusen zum 70. Geburtstag. Hg. v. Norbert Brieskorn. Paderborn [u. a.] 1994, 317–333.

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Historie.40 Geschichtliche, vor allem zeitgeschichtliche Dokumente, zu denen die Nachrichtenblätter als Zeugnisse des (politischen) Weltgeschehens gewöhnlich gezählt wurden, stießen dabei unter den Gelehrten zunehmend auf Interesse und fanden Eingang in die akademische Arbeit. Die Relation war insofern auch ein maßgeschneidertes Zugeständnis an die Bedürfnisse der historisch arbeitenden Juristen Halles.41 Beinahe vier Jahrzehnte erschien sie als Samstagsausgabe der Hallischen Zeitungen und gehört damit zu den langlebigsten Zeitungsextrakten in Deutschland überhaupt. Das Periodikum wurde zu einem integralen Bestandteil und wichtigen Aushängeschild des pietistischen Presseverlags.42 Die Einigung mit der Landespost und die Herausgabe der Relation waren fraglos wichtige Schritte der Annäherung des Zeitungswerks an die etablierten Wettbewerber. Um gegenüber diesen allerdings auch reüssieren zu können, wie es von den Halleschen Pietisten wiederholt reklamiert wurde, reichten Verbesserungen der Vertriebsbedingungen und die Erweiterung des Produktportfolios allein jedoch nicht aus. Was dabei zählte, war die stilistische Qualität, die Zuverlässigkeit der Informationen, die Exklusivität sowie Aktualität der präsentierten Inhalte. Das journalistische Renommee einer politischen Zeitung hing wesentlich davon ab, nicht nur bereits publizierte Nachrichten anderer Organe auszuschreiben – was zumindest anteilig in allen Redaktionsstuben der Zeit gängige Praxis war –, sondern auch eigene Beiträge in den Nachrichtenpool einzuspeisen.43 Diese Fähigkeit war ein neuralgischer Punkt, der allen Beteiligten des Projekts bewusst war.44 Bis zum Verlagsstart war jedoch auch die Frage der Informationsbeschaffung eine Baustelle geblieben. In der Anfangszeit war Wolff daher nahezu vollständig auf die Kompilation bereits anderweitig publizierter Nachrichten angewiesen.45 Derweil 40 Notker Hammerstein: Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und 18. Jahrhundert. Göttingen 1972, 148–265. 41 Lohsträter, Zeitgeschichte (wie Anm. 36). Wie sehr die Relation auf eine juristisch (vor-) gebildete Leserschaft abzielte, zeigte auch Körber mit ihrem Verweis auf den Schreibstil und den signifikanten Anteil an Reichstagsnachrichten. Vgl. Körber, Zeitungsextrakte (wie Anm. 12), 36, 99. Und nicht grundlos würdigte der Hallesche Jurist und Historiker Johann Peter von Ludewig (1668–1743) den Glauchaer Presseverlag 1737 in seinen Gelehrten Anzeigen. Vgl. Zeitungen, (Hallische). In: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Hg. v. Johann Heinrich Zedler. Bd. 61. Halle u. Leipzig 1749, 914. 42 Vgl. AFSt/W, IV/–/2, Nr. 2, Bl. 5r, u. Nr. 14; Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 391 f; Bierbach, Geschichte der Halleschen Zeitung (wie Anm. 1), 22–24; Körber, Zeitungsextrakte (wie Anm. 12), 90. 43 Hierzu ausführlich Kai Lohsträter: Die Entzündung der Geister. Kommunikation, Medien und Gesellschaft in der Ruhrregion im 18. Jahrhundert. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Provinzpresse in der Frühen Neuzeit. Bremen 2016, 280–288, 301–319 u. 396–422. 44 AFSt/W, IV/–/2, Nr. 1, Bl. 2v–3r, Nr. 2, Bl. 5r, Nr. 14, Nr. 30. 45 Zu diesem Zweck hatte man eine ganze Reihe von auswärtigen gedruckten und geschriebenen Periodika abonniert, was im Übrigen bis 1768 so blieb. Die Auswahl der Blätter, bei der die Anstaltsleitung involviert war, war aber nicht statisch, sondern wurde über die Jahrzehnte hinweg immer wieder verändert und den Notwendigkeiten angepasst. Sie reichte von deutschen, niederländischen, franzö-

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bemühten sich Francke und seine Mitstreiter hinter den Kulissen händeringend um eine Verbesserung. Nachdem sie im Herbst 1708 mit der recht blauäugigen Bitte bei Friedrich I. gescheitert waren, er solle seinen Gesandten und Residenten die (regelmäßige) Belieferung der Zeitungsredaktion mit Informationen befehlen, gelang es ihnen über ihren Unterstützerkreis am Hof zumindest, den Gesandtschaftssekretären die Bitte zustellen zu lassen, möglichst oft Nachrichten nach Halle zu senden.46 Überdies verfolgten die Pietisten die Idee, den umfangreichen Briefverkehr der Glauchaer Anstalten für das Zeitungswerk nutzbar zu machen. 1709 riefen sie alle »Gönner und Freunde« zu entsprechenden Einsendungen auf.47 Der Erfolg oder Misserfolg dieser Appelle ist ohne eine vergleichende Inhaltsanalyse nicht exakt zu bestimmen. Doch ist anzunehmen, dass auf diese Weise zumindest sporadisch eigene Nachrichtenquellen für die redaktionelle Arbeit erschlossen werden konnten.48 Der überlieferte Schriftverkehr des Verlags lässt jedoch gleichzeitig kaum Zweifel daran, dass die (geregelte) Versorgung mit eigenen Informationen ein Dauerproblem und das Ausschreiben anderer Blätter daher essenzieller Bestandteil der redaktionellen Praxis blieb.49

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sischen, italienischen und polnischen politischen Zeitungen über (gelehrte) Zeitschriften bis hin zu Intelligenzblättern. Siehe z.B. AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/1, 2, 35, 40, 49; AFSt/W, IV/–/2, Nr. 3; AFSt/ W, IV/–/3, unpaginiert (Vertrag mit Carl Dachritz vom 1.6.1744). AFSt/W, IV/–/2, Nr. 1, Bl. 2v–3v, u. Nr. 30; Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 379, 385. AFSt/W, IV/–/2, Nr. 5. In dem Aufruf spiegelt sich eindrücklich das intendierte inhaltliche Konzept der Hallischen Zeitungen wider. Demnach waren neben Berichten zu »Staats- und Kriegs-Affairen« insbesondere auch bemerkenswerte Nachrichten aus dem Bereich der »Historia Ecclesiastica, litteraria, naturali et artificiali«, »sonderbare Exempel von Judiciis et beneficiis divinis«, Berichte über »notable und erbauliche Todesfälle, gute und nützliche anderwärts gemachte und zur imitation dienende Anstalten« sowie über »neuherauskommende oder unter der Preße seyende Bücher zu benennen« gewünscht, um die Zeitung »künftig als eine historia nostri temporis specialissima« gebrauchen oder zumindest »dergleichen daraus« extrahieren zu können. Siehe auch AFSt/W, IV/–/2, Nr. 7 u. 9. Aus Berlin lieferte etwa Canstein immer wieder Nachrichten an die Redaktion, die er zum Teil vom Kammerrat und Lehnsarchivar Johann Heinrich Katsch (1663–1722) zugetragen bekam. Dieser zählte besonders in der Anfangsphase zu den wichtigsten Unterstützern des Zeitungswerks am Berliner Hof. Im brieflichen Austausch stand die Redaktion zudem mit Personen in den niederländischen Nachrichtenzentren, in London, Frankfurt, Wien, Breslau, Regensburg und Nürnberg. Als Kontaktleute in Den Haag hatte Canstein den preußischen Gesandten Wolfgang von Schmettau (1648–1711) sowie seinen württembergischen Kollegen Anton Gunther Heespen (gest. 1723) empfohlen. Als Berichterstatter aus Regensburg ist für die Jahre 1715/16 der Sekretär des kursächsischen Gesandten und spätere Stadtgerichtsassessor Johann Christoph Zeischner (1676–1743) nachweisbar. Vgl. AFSt/W, IV/–/2, Nr. 3 u. 14; AFSt/W, Rep. 2 VIb/263/ XX/1, 2, 4, 5, 28; Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 378 f, 411; Rolf Straubel: Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten 1740– 1806/15. Teil 1: Biographien A–L. München 2009, 476. Vgl. AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert; AFSt/W, IV/–/2, Nr. 56; AFSt/W, Rep. 2 VIb/263/XX/28, 34 f, 44, 48; Bierbach, Geschichte der Halleschen Zeitung (wie Anm. 1), 44. Bei dem Problem der Nachrichtenversorgung spielte überdies der Aspekt der Verkehrsinfrastruktur eine Rolle, (s. u. Anm. 69).

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Mit Blick auf die eigenen Ambitionen war das Fehlen einer strukturierten eigenen Nachrichtenversorgung zweifellos ein Offenbarungseid. Und sicher war dieses Defizit ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Publikumsresonanz der Hallischen Zeitungen, die von den Abonnentenzahlen her selbst zu Spitzenzeiten nie an die großen, überregional verbreiteten Nachrichtenblätter dieser Jahre heranreichten.50 Was die Ausgabenseite betrifft, war die Situation dagegen eine andere. Die anspruchsvolle Orientierung an der etablierten Konkurrenz, die an den verhältnismäßig üppigen Redakteursgehältern, den hohen Aufwendungen für den Nachrichtenbezug (vornehmlich Abonnementgebühren) sowie den vier Wochenausgaben, die beträchtliche Produktionskosten verursachten, erkennbar ist, führte zu permanent hohen Belastungen. Allein für den Druck sind zwischen 1710 und den 1740er Jahren weitgehend konstant und unabhängig von Veränderungen der Auflage rund 240 Reichstaler im Jahr zu veranschlagen – ohne Papier.51 Im ersten Jahrzehnt wurden die Einnahmen des Presseverlages daher fast vollständig zur Deckung der laufenden Kosten gebraucht, so dass keine größeren Beträge an die Hauptkasse der Anstalten überwiesen werden konnten. Erschwerend kam hinzu, dass das Geschäft in dieser Phase nahezu fortwährend durch interne Konfusionen belastet wurde, was die Unternehmensführung wenig professionell erscheinen lässt.52 Wolff, der die Verlagsarbeit bisweilen zugunsten seiner parallel betriebenen akademischen Karriere vernachlässigt haben soll, war an der Unordnung vermutlich nicht ganz unschuldig.53 Allerdings war er auch hierfür sicher nicht allein verantwortlich, wofür unter anderem spricht, dass sich die Anstaltsleitung die im Raum stehenden Vorwürfe gegen ihn nicht zu eigen machte. Und trotz aller Schwierigkeiten gelang es unter seiner Führung in den 1720er Jahren zumindest kurzfristig, die Hallischen Zeitungen zu einem recht profitablen Anstaltsbetrieb zu machen.54 Mögliche inhaltlich-redaktionelle Schwächen des eigenen Nachrichtenblattes respektive Mängel in der Verlagsführung standen denn auch weniger im Fokus, als die Führungsebene der Stiftungen55 1732 nach 50 Zum Vergleich siehe Martin Welke: Zeitung und Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert. Betrachtungen zur Reichweite und Funktion der periodischen deutschen Tagespublizistik. In: Presse und Geschichte. Neue Beiträge zur historischen Kommunikationsforschung. München 1977, 71–99, hier: 78 f, u. Lohsträter, Entzündung der Geister (wie Anm. 43), 430–437. 51 AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/3–6, 17, 20, 25, 27, 29. Zu den weiteren Ausgabenposten siehe z. B.: AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/3, 23, 25; AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/1–3, 6, 21, 25, 46, 53; AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 17. 3. 1732). 52 AFSt/W, IV/–/2, Nr. 42–44. Probleme bereiteten die mangelhaften Preisabsprachen sowie Defizite beim Versand und bei der Eintreibung von Abonnementgeldern. Zudem kam es zu Veruntreuungen. 53 AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 17. 10. 1717). 54 Mitbefördert wurde die positive Entwicklung wahrscheinlich durch gleichzeitige Qualitätsprobleme der Leipziger Zeitung, also des schärfsten Wettbewerbers. Vgl. AFSt/W, IV/–/2, Nr. 56. 55 Die Anstaltsleitung hatten nach dem Tod August Hermann Franckes 1727 Johann Anastasius Freylinghausen (1670–1739) und Gotthilf August Francke (1696–1769) übernommen. Vgl.

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den Ursachen dafür suchte, dass die Verkaufszahlen der Zeitung seit 1729 beinahe wieder auf das Niveau der 1710er Jahre zurückfielen und die Einnahmen einbrachen. In seinem Gutachten stellte der Vorsteher der Hauptkassenexpedition und Ökonomieinspektor Ludwig Johann Cellarius (gest. 1754) vielmehr zwei externe Einflüsse heraus: Die Verdichtung des Zeitungsmarktes und die Zurückdrängung des Landkutschenverkehrs durch die preußische Post.56 Tatsächlich kam es im Verlauf der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem spürbaren Anstieg der Neugründungen von Presseunternehmen. Zwar lassen sich nach der Entstehung der gedruckten politischen Zeitungen um 1600 schon im ersten Säkulum ihres Bestehens in der Spitze bis zu 60 Nachrichtenblätter in Deutschland nachweisen, in den ersten Jahrzehnten nach 1700 nahm die Entfaltung des Pressewesens aber nochmals deutlich an Fahrt auf.57 Dieser Prozess ging vor allem mit der Etablierung von Zeitungsverlagen außerhalb der traditionellen kommunikativen Zentren einher, also mit einem Ausgreifen der Medienentwicklung in die Fläche.58 War den Halleschen Zeitungen als erstem politischen Nachrichtenblatt der Universitätsstadt und als erster Presseneugründung innerhalb Kurbrandenburg-Preußens außerhalb Berlins hierbei 1708 eine gewisse Vorreiterrolle zugekommen,59 sahen sie sich zwei Jahrzehnte später der Situation gegenüber, »daß jetzo an mehrern Orten Zeitungen gedrucket« wurden.60 Der Wettbewerbsdruck stieg.61 Gleichzeitig ging dem Glauchaer Presseverlag mit dem sich im zweiten und dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts verschärfenden Vorgehen der preußischen Post gegen den bis dato gebräuchlichen und wenn auch nicht legalen, so doch geduldeten Brief- und Päckchentransport privater Fuhrleute ein wichtiges

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Friedrich Wilhelm Bautz: Freylinghausen, Johann Anastasius. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 2, 1990, 120 f; Udo Sträter: Gotthilf August Francke, der Sohn und Erbe. Annäherung an einen Unbekannten. In: Reformation und Neuzeit. 300 Jahre Theologie in Halle. Hg. v. Udo Schnelle. Berlin u. New York 1994, 211–232. AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 20. 3. 1732). Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert. Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit. Hg. v. Volker Bauer u. Holger Böning. Bremen 2011; Holger Böning: Periodische Presse. Kommunikation und Aufklärung. Hamburg und Altona als Beispiel. Bremen 2002, 16. Lohsträter, Entzündung der Geister (wie Anm. 43), 16 f. Entgegen zahlreichen Darstellungen in der Forschungsliteratur markiert die Gründung aber nicht den Beginn der politischen Nachrichtenpresse in den kurbrandenburgisch-preußischen Territorien. Siehe Martin Welke: Das Pressewesen. In: Panorama der Fridericianischen Zeit. Friedrich der Große und seine Epoche: ein Handbuch. Hg. v. Jürgen Ziechmann. Bremen 1985, 424–436, hier: 426 f; Jürgen Wilke: Nachrichtenvermittlung und Informationswege im 17. und 18. Jahrhundert in Brandenburg/Preußen. In: Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Hg. v. Bernd Sösemann. Stuttgart 2002, 72–84, hier: 72–75, 79 f; Rudolf Stöber: Staat und Verleger im 18. Jahrhundert. Ebd., 159–174, hier: 160. AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 20. 3. 1732). Befördert wurde dieser zudem durch die Ausbreitung des Verleihwesens von Periodika. Vgl. AFSt/W, Rep. 2, VIc/271/Nr. 26, Bl. 37.

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Standbein der Zeitungsdistribution verloren. Denn gerade das durch die Landkutschen aufgespannte regionale Kommunikationsnetz, dem von staatlicher Seite lange keine adäquate Infrastruktur entgegengestellt wurde oder werden konnte, war für den Vertrieb der Hallischen Zeitungen, deren Kernverbreitungsgebiet kaum über die Grenzen des heutigen Mitteldeutschlands hinausreichte, von immenser Bedeutung.62 Vor dem Hintergrund dieser nicht eben geringen äußeren Schwierigkeiten erscheint es umso beachtlicher, dass der Anstaltsökonom Cellarius in seiner Expertise zum Presseverlag dafür plädierte, »alles zu versuchen, dieses Werk, welches auch sonst mancherley nutzen« habe, »wiederum in Gang zu bringen«.63 Nach beinahe einem Vierteljahrhundert mit Wolff an der Spitze erschien der Anstaltsleitung 1732 hierzu allerdings auch ein personeller Wechsel angebracht.64 Als Nachfolger auserkoren wurde dazu der 23jährige Jurist Johann Lucas Niekamp (1708/09–1742).65 An der organisatorischen Gestalt des Zeitungswerks änderte sich ansonsten nur wenig. Das Problem der Fixkosten blieb, auch wenn sich der neue Redakteur mit einem leicht gekürzten Jahresgehalt begnügen musste66 und das Nachrichtenblatt ab der zweiten Hälfte der 1730er Jahre nicht mehr in der Universitätsbuchdruckerei, sondern in der neugegründeten, anstaltseigenen Bibeloffizin gefertigt wurde.67 Der Wechsel des Produktionsortes brachte jedoch keine erkennbaren Einsparungen mit sich. Stattdessen scheint er eher noch größere Schwierigkeiten hervorgerufen zu haben. 1739 klagte Niekamp jedenfalls über Schnelligkeits- und Flexibilitätsprobleme der neuen Offizin; der Anstaltsleitung berichtete er von erheb62 Halle. In: Carl Günther Ludovici u. Johann Christian Schedel: Neu eröfnete Academie der Kaufleute, oder encyclopädisches Kaufmannslexicon alles Wissenswerten und Gemeinnützigen, 3. Teil. Leipzig 1798, 646; Christian Otto Mylius: Corpus Constitutionum Marchicarum. 4. Teil. Berlin u. Halle 1740, 881–884, 1047–1050 (Verordnung vom 6. 7. 1719), 1071–1074 (Verordnung vom 8. 3. 1723). Online-Ressource: Preußische Rechtsquellen Digital, Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, http://web-archiv.staatsbibliothek-berlin.de/altedrucke. staatsbibliothek-berlin.de/Rechtsquellen/inhccm4.html (letzter Zugriff 19. 2. 2020); Versuch einer ausführlichen Erklärung Des Post-Regals. 3. Theil. Hg. v. Joachim Ernst von Beust. Jena 1748, 1–292; AFSt/W, IV/–/2, Nr. 38, Nr. 43 u. Nr. 44; Welsch, Die Franckeschen Stiftungen 1965 (wie Anm. 3), 76. Der enge Verbreitungsraum der Zeitung bildet sich deutlich in den Abonnentenlisten und den Auflagenzahlen ab. Zum kontinuierlichen Rückgang des privaten Versands, der 1749 vollständig versiegte, siehe AFSt/W, IV/–/2, Nr. 49; AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/ 8–11, 14, 34–35; AFSt/W, Rep. 2, VIc/271, Nr. 26, Bl. 37. 63 AFSt/W, IV/–/3 (Schreiben vom 20. 3. 1732). 64 Dieser kam Wolff, der seinen Platz versöhnlich räumte, wohl nicht ungelegen. Seit 1724 hatte er eine ordentliche Juraprofessur inne und war überdies gesundheitlich angeschlagen. Vgl. AFSt/W, IV/–/3 (Schreiben vom 17. 3. 1732). 65 [Andreas Rudolph Koehler]: Beschreibung des Hallischen Waisenhauses und der übrigen damit verbundenen Frankischen Stiftungen nebst der Geschichte ihres ersten Jahrhunderts. Halle 1799, 197. 66 AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/19, 22–23. Niekamp erhielt 13 Prozent weniger als Wolff. 67 Hans-Joachim Kertscher: Der Verleger Johann Justinus Gebauer. Halle 1998; Schürmann, Geschichte der Buchhandlung (wie Anm. 8), 15; AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/35–36, 39, 41, 46, 48 f; AFSt/W, IV/–/2, Nr. 70.

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lichen Widerständen der Angestellten, die den Zeitungsdruck als »nicht so commode« wie die Bibelfertigung empfanden.68 Dies trug sicher nicht dazu bei, die Wettbewerbsnachteile zu verringern, die der Redakteur den Hallischen Zeitungen hinsichtlich des für das Nachrichtengeschäft so wichtigen Aspekts der Aktualität ohnehin attestierte.69 Überdies beobachtete er steigende gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber dem Halleschen Pietismus (»odium pene universale«), was besonders den sensiblen Bereich der Kernleserschaft traf. So fänden sich immer weniger »gute Gemüther«, die die Hallischen Zeitungen ungeachtet aller ihrer Schwächen allein »aus Liebe zu den Anstalten« abonnierten.70 Dass es Niekamp in seiner Amtszeit dennoch gelang, den Abwärtstrend des Presseverlages zumindest zeitweilig zu stoppen und gar leicht umzukehren, war seinen besonderen journalistischen Fähigkeiten geschuldet. Seine räsonierende Schreibweise71 kam beim geneigten Zeitungspublikum gut an. Auf obrigkeitlicher Seite wurde sein freimütiger Stil der Berichterstattung hingegen weniger goutiert. Und während des ersten Schlesischen Krieges (1740–1742) wurde er ihm schließlich zum Verhängnis, nachdem sich Schweden im Frühjahr 1742 offiziell bei der preußischen Regierung über anmaßende Passagen in Niekamps Nachrichtenblatt beschwert hatte. Was folgte, war eine Rüge der laxen Zensurpraxis der Halleschen Juristen sowie die Auswechslung des Redaktionsleiters.72 Das harte staatliche Durchgreifen war Ausdruck eines allgemeinen Wandels der Pressepolitik unter Friedrich II. (1712–1786). Freilich hatte es auch zuvor Eingriffe der Regierung in die journalistische Arbeit gegeben. Im Zuge der politischen und militärischen Auseinandersetzungen in Europa in den 1740er Jahren erreichte die Kommunikationskontrolle in Preußen aber eine neue Qualität.73 Besonders eindrücklich thematisierte Carl Dachritz, der nach nur zweijährigem Intermezzo des promovierten Juristen und Privatdozenten Johann Friedrich Joachim (1713–1767) im Sommer 1744 die Leitung der Halli-

68 AFSt/W, IV/–/2, Nr. 56. Ganz ähnlich äußerte sich ein halbes Jahrzehnt später sein Nachfolger. Vgl. AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 28. 8. 1745). 69 AFSt/W, IV/–/2, Nr. 56. Als positives Gegenbeispiel nannte er die Leipziger Zeitung, deren Nachrichtenversorgung viel besser organisiert sei, schon allein »weil die Posten nach Leipzig als einem Handels-Ort viel häufiger« gingen. Auf ähnliche Defizite hatte über zwei Jahrzehnte zuvor schon der Anstalts-Schreibmeister Gottfried Rost hingewiesen. Das Problem bestand Anfang der 1740er Jahre weiterhin. Vgl. AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 17. 10. 1717, vom 3. 11. 1743 u. vom 11. 6. 1744). 70 AFSt/W, IV/–/2, Nr. 56. 71 Bierbach, Geschichte der Halleschen Zeitung (wie Anm. 1), 39, 45. 72 AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 28. 8. 1745); Welke, Pressewesen (wie Anm. 59), 429. Niekamp starb kurz nach seiner Absetzung am 9. Mai 1742 unter unbekannten Umständen. 73 Welke, Pressewesen (wie Anm. 59), 428–431; Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins (wie Anm. 9), 378; AFSt/W, IV/-3, unpaginiert (undatiertes Schreiben); Helmuth Kiesel u. Paul Münch: Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Entstehung des literarischen Markts in Deutschland. München 1977, 104–123.

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schen Zeitungen übernahm, die veränderte Situation.74 Für den aus Hamburg stammenden Redakteur war der verstärkte obrigkeitliche Zugriff auf die Nachrichtenpresse neben den anhaltenden Auseinandersetzungen mit der Post und den Schwierigkeiten in der Druckerei in dieser Phase die Hauptursache für die angespannte Lage des Presseverlags.75 So gab Dachritz gegenüber Gotthilf August Francke zu bedenken, dass die Regierungsanweisung, alle Berichte zu unterdrücken, die »für das Hauß Preußen oder einen seiner Alliirten« nur im Geringsten unvorteilhaft wären, ausgesprochen negative Auswirkungen auf »den Credit« der Zeitung habe, da dieser wesentlich von der Glaubwürdigkeit der Nachrichten und der Unparteilichkeit der Berichterstattung abhinge. Das Blatt wurde seiner Meinung nach zu diesem Zeitpunkt bereits viel zu sehr als offiziöses preußisches Organ wahrgenommen. Außerdem, gab Dachritz weiter zu bedenken, würden durch die übereifrige Einschränkung jeglicher meinungsorientierter Inhalte gerade die Elemente beseitigt, die andere »Zeitungen courant und beliebt« machten.76 Probleme bereitete dem Journalisten jedoch nicht nur die Regierung. Auch innerhalb der Stiftungen hatte Dachritz einen schweren Stand. Gekränkt beklagte er sich bei Francke darüber, von Anstaltsmitarbeitern bewusst mit Falschmeldungen beliefert worden zu sein. Ferner konstatierte er enttäuscht, dass ihm seine Bemühungen um eine ausgeglichene Berichterstattung über den zweiten Schlesischen Krieg (1744–1745) keine Anerkennung, sondern nur den diskreditierenden Ruf eingebracht hatten, österreichisch gesinnt zu sein. War Dachritz mit großen Hoffnungen nach Glaucha gekommen, empfand er die vorgefundenen Zustände, insbesondere das menschliche Miteinander, bereits nach einem Jahr als »großes und schmerzhafftes Creutz«.77 Warum er dennoch in Halle blieb, ist unklar. Francke jedenfalls hielt an seinem Redaktionsleiter fest, auch als die Zeitung 1746 endgültig in die roten Zahlen rutschte. Erst als Ende Februar 1748 der Vorwurf der Unterschlagung von Abonnementgeldern laut wurde, musste Dachritz gehen.78 An seine Stelle trat am 8. Juni 1748 mit dem promovierten Juristen und 74 AFSt/W, IV/–/3 (Schreiben vom 13. 4. 1742, vom 14. 4. 1744, vom 27. 5. 1744, vom 11. 6. 1744 und vom 28. 8. 1745); Otto Hartwig: Joachim, Johann Friedrich. In: ADB 14, 1881, 94 f; AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert; Körber, Zeitungsextrakte (wie Anm. 12), 135. 75 AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 28. 8. 1745). 76 AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 28. 8. 1745). 77 »Eben wenn mir dergleichen Persecutiones, wie ich hier erfahren, unter Welt-Menschen begegnet wären: würde michs nicht halb so sehr afficiret haben, als da mir dergleichen an einem Orte und bey einer Societaet widerfahren, die ich alle untereinander für veste gute Kern Christen und für auserwaehlte Kinder Gottes hielte und mich dermaßen hieher zu kommen gefreuet, als wenn ich ins Paradieß aus beruffen worden wäre. […] Allein was für frembdes Wesen, was für Kaltsinnigkeit und Mistrauen, was für Entfernung der Gemüther, was für wundersame subtile Politic und politisches Christenthum habe ich nicht gefunden?« AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 28. 8. 1745). Besondere Schwierigkeiten hatte Dachritz mit dem Inspektor des Paedagogiums, Hieronymus Freyer (1675–1747). 78 AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 27. 2. 1748).

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kursächsischen Kommissionsrat Daniel Gottfried Schreber (1708–1777) ein Finanzfachmann.79 Unter ihm entspannte sich die Bilanz des Presseverlages zwar leicht, dennoch verharrte das Unternehmen über ein Jahrzehnt weiter in der Verlustzone. Zudem rutschte die Auflage zeitweise noch unter die Werte der Vorjahre.80 Und das, obwohl Schreber versucht hatte, die Hallischen Zeitungen mit einer Qualitätsoffensive wieder in die Spur zu bringen. Zu den von ihm angestoßenen Veränderungen gehörte die Abschaffung der Relation, die noch im Monat seines Amtsantrittes durch ein reguläres viertes Nachrichtenblatt ersetzt wurde. Dadurch erhöhte Schreber die Aktualität der Zeitung, ohne sich jedoch gänzlich von deren inhaltlichem Konzept zu verabschieden. Deutlich wird dies einerseits an der stärkeren Implementierung fester Rubriken für genealogische, gelehrte, naturgeschichtliche, für Reichstags- und Reichshofrats-Nachrichten sowie für »Oeconomische Sachen«. Andererseits entwarf der Redakteur 1749 die Idee zu einer Jahreschronik – blieb also der historischen Ausrichtung verpflichtet.81 Das Publikum zeigte sich dadurch indes nur wenig beeindruckt. Eine messbare Belebung der Resonanz brachte mit dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) erst ein äußerer Faktor. Während des militärischen Konflikts konnten erstmals seit 1745 wieder kleinere Überschüsse verzeichnet werden. Letzten Endes blieb der Aufschwung aber von kurzer Dauer. Quasi mit dem Friedensschluss von Hubertusburg fiel das Zeitungswerk beinahe wieder auf die Verlustzahlen der Vorkriegsjahre zurück. Schreber musste sich damit jedoch nicht mehr auseinandersetzen. Er hatte Halle schon 1760 verlassen, um sich ganz seiner akademischen Karriere als Kameralwissenschaftler zu widmen. Sein Posten war dem Auditeur und Referendar des preußischen Infanterieregiments in Halle, Johann Friedrich Seyfart (1727–1786), übertragen worden, der die Hallischen Zeitungen als Institut der Glauchaer Anstalten noch rund acht Jahre weiterführte.82 Nachdem die Auflagenzahl allerdings fast bis auf das Ausgangsniveau von 1708 zurückgefallen war, zog Gotthilf August Francke die Reißleine. Im zweiten Quartal 1768 trennte er sich »wegen des […] bishero gehabten vielen Scha-

79 Bierbach, Geschichte der Halleschen Zeitung (wie Anm. 1), 46–55; AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 8. 6. 1748); Schreber (Daniel Gottfried). In: Johann Georg Meusel: Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller. Bd. 12. Leipzig 1812, 433–438; Schreber, (Daniel Gottfried). In: Universal-Lexicon (wie Anm. 41). Bd. 35. Leipzig u. Halle 1743, 1109. Schreber war 1747 »nach mancherley, zum Theil gefährlichen, Verdriesslichkeiten« nach Halle übergesiedelt, wo er als Privatdozent wirkte. 80 Dies löste erstmals Diskussionen über eine mögliche Preissenkung aus. Vgl. AFSt/W, IV/–/2, Nr. 68. 81 Hallische Zeitungen 1 (2. 1. 1749), 4; Bierbach, Geschichte der Halleschen Zeitung (wie Anm. 1), 33–36, 43; AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert (Schreiben vom 16. 1. 1749). 82 AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/46; Seyfart (Johann Friedrich). In: Meusel, Lexikon (wie Anm. 79). Bd. 13. Leipzig 1813, 136–139.

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dens« von dem Unternehmen.83 3.000 Reichstaler hatte die Fortsetzung des Zeitungswerks die Anstalten innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte gekostet. Unter dem Strich war das Projekt gleichwohl kein völliges wirtschaftliches Desaster für die Stiftungen gewesen. Immerhin hatte der Verlag in den ersten drei Jahrzehnten rund 8.000 Reichstaler an die Hauptkasse abgeführt. Nun aber hatte Francke offenkundig die Zuversicht verloren, wieder an diese Zeiten anknüpfen zu können.

4. Mehr als ein Wirtschaftsunternehmen: Schlussbetrachtung Die Entscheidung der Halleschen Pietisten, 1768 aus dem Pressegeschäft auszusteigen, war – der Begründung Gotthilf August Franckes folgend – von ökonomischem Kalkül getragen. Dass sie nicht schon früher getroffen wurde, zeigt aber, dass ihm die Trennung nicht leicht fiel. Der Presseverlag war von den Halleschen Pietisten nie nur als reine erwerbende Anstalt und daher nicht allein aus finanzieller Warte betrachtet worden.84 Zeitung und Extrakt erfüllten in ihren Augen weit mehr Funktionen. Sie waren Bindemittel ihres Sympathisantenkreises und überdies Ausdruck des besonderen historischen Bewusstseins der Pietisten wie auch des akademischen Umfeldes in Halle. Des Weiteren war das Projekt fester Bestandteil der (religiös-erbaulichen) pädagogischen Intentionen August Hermann Franckes und seiner Anhänger. Ähnlich der Verlagsbuchhandlung und der Apotheke85 stand somit auch das Presseunternehmen unmittelbar im Kontext der universalen Ziele des Halleschen Pietismus. Vermutlich war dies der Hauptgrund für die Beharrlichkeit bzw. für den Unwillen der Anstaltsleitung, vom (kostenintensiven) Ursprungskonzept abzuweichen und angesichts der prekären Entwicklung seit den 1740er Jahren umfassende Unternehmensreformen einzuleiten. Dass sich Gotthilf August Francke lieber vom Presseverlag trennte, als die eigenen (qualitativen) Ansprüche aufzugeben – selbst wenn sie retrospektiv als noch so überzogen erscheinen mögen –, wirkt da nur konsequent. Was vor dem Hintergrund, dass die Ambitionen mehr als bloße Floskeln waren, jedoch zugleich ins Auge fällt, ist der Dilettantismus – im positiven wie im negativen Wortsinne –, mit dem das Unternehmen realisiert und geführt 83 Zit. nach Schürmann, Geschichte der Buchhandlung (wie Anm. 8), 23; AFSt/W, Rep. 2 VIc/272, Nr. 40, Bl. 57. 84 Zur ausführlichen Reflexion dieses Befunds siehe Kai Lohsträter: »Wer die Welt nicht kennet, der kennet auch sich und Gott nicht«. Politische Zeitungen und Religion in der Frühen Neuzeit. In: Jenseits der Haupt- und Staatsaktionen. Neue Perspektiven auf historische Periodika. Hg. v. Bernd Klesmann, Patrick Schmidt u. Christine Vogel. Bremen 2017, 49–73, u. Lohsträter, Nachrichtenpresse (wie Anm. 37). 85 Kriedte, Wirtschaft (wie Anm. 6), 590. Für deren Produkte fungierten die Hallischen Zeitungen im Übrigen immer wieder als Werbeplattform.

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wurde. Leidenschaftlicher Ehrgeiz und Selbstüberschätzung waren die Pole, zwischen denen die Gründung und der Verlag der Hallischen Zeitungen angesiedelt waren. Überhaupt ist die Geschichte des Glauchaer Presseunternehmens von vielen Ambivalenzen geprägt. Betrachtet man die Zeitungsmacher, war deren Handeln auf der einen Seite zwar mehrheitlich zweifellos von einem tiefen Idealismus bestimmt. Auf der anderen Seite spielten bei ihrem Tun aber immer auch eigene Interessen hinein. Den vollkommen uneigennützigen pietistischen Unternehmer, der in Heinrich Julius Elers, dem Leiter der Glauchaer Verlagsbuchhandlung, seine gleichsam legendäre Personifizierung gefunden hat, sucht man hier jedenfalls vergebens.86 Und auch was die geschäftliche Praxis betrifft, zeigten die für die Hallischen Zeitungen Verantwortlichen zwei Gesichter: einerseits eine hohe Sensibilität und Affinität gegenüber den progressiven Entwicklungen des Medienmarktes, andererseits aber wenig vorausschauendes Problembewusstsein und Gespür für notwendige (organisatorische) Anpassungen. Dies gilt für die Konfliktfelder des Vertriebs und der Nachrichtenversorgung, die das Zeitungswerk über Jahrzehnte hinweg begleiteten, ebenso wie für das Problem der Produktionskosten. In diesen Bereichen agierten die Halleschen Pietisten zum Teil ausgesprochen amateurhaft. Dabei ist ihnen gleichwohl zugute zu halten, dass die Schwierigkeiten nicht gänzlich hausgemacht waren. Was am Beispiel des Presseverlages deutlich zu Tage tritt, ist nämlich auch, dass die preußische Regierung nicht wirklich hinter dem Projekt stand. Johann Job hatte das bereits in der Anfangsphase richtig eingeschätzt. Nicht nur die permanente Auseinandersetzung mit der strategisch am längeren Hebel sitzenden Landespost legt darüber beredtes Zeugnis ab. Ferner zeigte Friedrich I., trotz der Billigung des Unternehmens, nie tatsächliches Interesse am konzeptionellen Ziel der Pietisten, das Zeitungswesen in seinen Ländern zu verbessern. Gleiches gilt für seine Nachfolger, die die Entfaltungsmöglichkeiten der politischen Presse in ihren Territorien durch neue Rahmenbedingungen (Vertriebs- und Zensurbestimmungen) sogar eher noch weiter einschränkten. Insofern wirft das Beispiel der Hallischen Zeitungen auch ein interessantes Licht auf die Medienpolitik des Berliner Hofes, die sowohl kameralistisch orientiert als auch von einem großen Kontrollbedürfnis bestimmt war. Aus diesem Grund kam es der preußischen Regierung sicher nicht ungelegen, dass der Postmeister und Kriegsrat Johann Christian Bertram (gest. 1777) die Hallischen Zeitungen 1768 übernahm. Als Direktor des Intelligenz-Kontors verwaltete er bereits das regionale Anzeigenwesen unter seinem Dach: Seit 1729 erschienen dort die Wöchentlichen Hallischen Anzeigen. Nun

86 Gotthilf August Francke: Gedächtniß-Rede, Bey dem seligen Abschiede Des Bis an Sein Ende muntern, unverdrossenen, rechtschaffenen […] Herrn Heinrich Julius Elers. Halle 1729, 70; Joachim Böhme: Heinrich Julius Elers, ein Freund und Mitarbeiter August Hermann Franckes. Diss. phil. Berlin 1956.

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fiel mit diesem Schritt auch die politische Presse der Universitätsstadt an das staatliche Unternehmen.87

Grafik 1: Die ökonomische Entwicklung des Zeitungswerks im Spiegel der Hauptkasse der Glauchaer Anstalten Tabelle 1: Wirtschaftliche Entwicklung des Zeitungswerks 1708–176888 Jg.

Abgaben an die Hauptkasse (Reichstaler, gerundet)

Verluste der Zeitungskasse (Reichstaler, gerundet)

1708–1709

k. A.

k.A.

1710

329



1711–1712

k. A.

k.A.

1713–1717

95 (Durchschnitt pro Rechnungsjahr)

19 (im Jahr 1716); 25 (im Jahr 1717)

1718–1724

107 (Durchschnitt pro Rechnungsjahr)



1725

677 Rt.



1726

700 Rt.



87 Bierbach, Geschichte der Halleschen Zeitung (wie Anm. 1), 77–79; Straubel, Handbuch (wie Anm. 48), 71; Holger Böning: Die preußischen Intelligenzblätter. In: Kommunikation und Medien (wie Anm. 59), 207–238. 88 AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/1–6; ebd./10–14; ebd./16–32; ebd./34–46; ebd./48–53; AFSt/W, Rep. 2, VIc/271, Nr. 1; ebd., Nr. 4–32; ebd., Nr. 40, Bl. 57; vgl. zudem Welsch, Stiftungen 1955/56 (wie Anm. 3), 77 f; für die zwischen 1710 und 1721 über Leipzig vertriebenen Zeitungen AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/7.

194

Kai Lohsträter

(Fortsetzung) Jg.

Abgaben an die Hauptkasse (Reichstaler, gerundet)

Verluste der Zeitungskasse (Reichstaler, gerundet)

1727–1734

420 Durchschnitt pro Rechnungsjahr)



1735

358



1736

236



1737–1739

129



1740

187



1741

210



1742

313



1743–1745





1746



116

1747



150

1748



294

1749



211

1750



212

1751



166

1752



171

1753



154

1754



161

1755



224

1756



139

1757



90

1758–1759





1760



8

1761

k.A.

k.A.

1762



27

Pietismus, Ökonomie und Nachrichtenpresse im 18. Jahrhundert

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(Fortsetzung) Jg.

Abgaben an die Hauptkasse (Reichstaler, gerundet)

Verluste der Zeitungskasse (Reichstaler, gerundet)

1763



179

1764



124

1765



143

1766



192

1767



186

1768



30

8011

3021

Tabelle 2: Entwicklung der Auflagenzahl der Hallischen Zeitungen 1708–176689 Erscheinungsjahr

Auflagenhöhe

1708

80 Exemplare (plus x)

1713–1715

300 Exemplare (minus x)

1720er Jahre

600 Exemplare (minus x)

1730

375 Exemplare

1732

300 Exemplare (minus x)

1743/44

400 Exemplare

1747/49

260 Exemplare

1750–1756

180 (minus x) bis 308 Exemplare

1757–1762

260–340 Exemplare

1766

115 Exemplare

89 AFSt/W, Rep. 2, VIb/263/XX/1, 4–5, 8–14, 28, 32, 35, 38, 40, 42–44, 48, 52; AFSt/W, IV/–/2, Nr. 49 u. Nr. 69–70; AFSt/W, IV/–/3, unpaginiert.

Alexander Schunka

Mit Geld zu Gott Kollektenreisen zwischen Pietismus und internationalem Protestantismus

1. Einleitung Eine einschlägige Passage des Lukasevangeliums lässt sich so verstehen, als müsse sich der Mensch zwischen Gott und irdischen Reichtümern entscheiden.1 Geld und weltliche Dinge dürften nicht die Rolle eines »irdischen Gottes« einnehmen, heißt es bei Hans Sachs in der Reformationsepoche und ähnlich noch beim Soziologen Georg Simmel zu Beginn des 20. Jahrhunderts.2 Seit der Frühen Neuzeit schlug sich die Frage, auf welche Weise Wirtschaftshandeln mit christlichen Glaubens- und Moralvorstellungen zu verbinden sei, in den Quellen vielfach nieder.3 Aus Sicht des Halleschen Pietismus scheint die Angelegenheit relativ eindeutig zu sein: Hatte etwa noch Johann Arndt, dessen Wahres Christentum um 1700 hohe Popularität genoss, ein Streben nach zeitlichen Dingen als unchristliche Orientierung an materiellen Werten verurteilt,4 so bildete innerweltliches Wirtschaftshandeln bei August Hermann Francke keinen prinzipiellen Widerspruch zum gottgefälligen Leben eines Individuums, wenn es denn der Reinvestition weltlicher Güter in den Bau des Reiches Gottes diente. Francke plädierte für eine geschickte Einteilung menschlicher Lebenszeit zwischen Arbeit und Gebet. Wirtschaftlicher Erfolg im Diesseits hatte mit christlicher Lebensführung einherzugehen.5 1 Vgl. Lk 6,24: »Weh euch Reichen; denn ihr habt euren Trost schon gehabt.« 2 Georg Simmel: Philosophie des Geldes. Leipzig 1900, 223–225. Zu Hans Sachs vgl. Bernd Hamm: Den Himmel kaufen. Heilskommerzielle Perspektiven des 14. bis 16. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für Biblische Theologie 21, 2006, 239–275. 3 Vgl. z. B. Das grosse Interesse eines Gewissenhafften Kauffmans. Das ist: Eine Christliche Unterrichtung/ wie man sich im Kauffen und Verkauffen verhalten müsse/ damit man nicht wieder Gott und Menschen sündigen; sondern/ geistlichen und leiblichen Reichtum mit gutem Gewissen erhalten möge […]. Kassel 1674; Der Christliche Kauffmann, oder Erweis, daß ein Kauffmann auch ein Christ seyn könne und müsse, wobey zugleich erwiesen wird, wie er sein Christenthum ausüben und alle dabey vorfallende Hindernisse glücklich überwinden könne. Berlin 1745. 4 Johann Arndt: Von wahrem Christenthumb […]. Bd. 1. Frankfurt a.M. 1605, 401 f: »Wo findet man doch Jemand/ der Gott mit so grossem Gehorsam vnnd Sorge dienet/ als dem Mammon vnd der Welt?«. 5 August Hermann Francke: Der Segen GOttes in der leiblichen Arbeit [1697]. Auszüge ediert in: Pietismus. Eine Anthologie von Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts. Hg. v. Veronika AlbrechtBirkner [u. a.]. Leipzig 2017, Nr. 14.1.

198

Alexander Schunka

Die folgenden Ausführungen gehen dem Spannungsfeld gottgefälligen Wirtschaftshandelns unter europäischen Protestanten des frühen 18. Jahrhunderts nach. Exemplifiziert wird dies anhand sogenannter Kollektenreisen, die interessante Einsichten in das komplexe Verhältnis von Netzwerkbildung, ökonomischen Überlegungen, Zeitmanagement und Reich-Gottes-Streben erlauben. In gewisser Weise bildeten solche Reisen überhaupt erst die Grundlage dafür, dass unterschiedliche religiöse Gruppen über größere geographische Entfernungen hinweg miteinander in Kontakt treten und längerfristige Kommunikationsbeziehungen etablieren konnten. Dies gilt auch und gerade für den Halleschen Pietismus, wie er sich an den Glauchaer Anstalten August Hermann Franckes entwickelte. Pietistische Kollektenreisen in den Jahren um 1700 bildeten eine wichtige Basis für die Entwicklung und steigende Bekanntheit von Franckes Anstalten innerhalb des internationalen Protestantismus. Die Forschung hat sich derartiger Reisen bislang in erstaunlich geringem Maß angenommen, und dies gilt nicht allein für den Halleschen Kontext.6 Dagegen ist gerade in jüngerer Zeit das Verhältnis von Religiosität und Wirtschaft unter Protestanten des 17. und 18. Jahrhunderts häufiger thematisiert worden, insbesondere durch transkulturell und globalgeschichtlich orientierte Arbeiten, die sich etwa für Aspekte von Mobilität im Rahmen von Religionsund Handelsbeziehungen interessieren.7 Vor diesem Hintergrund leistet die Untersuchung von Kollektenreisen einen Beitrag zum Verhältnis von Wirtschaftshandeln und grenzüberschreitender Religiosität in europäischer Perspektive. Zwar trugen Kollektenreisen entscheidend zur Vernetzung der Halleschen Pietisten mit Angehörigen anderer protestantischer Reformbewegungen bei: Die Durchführung solcher Reisen war aber keineswegs auf den Halleschen Pietismus beschränkt. Daher wird im Folgenden zunächst in eher allgemeiner Absicht die Praxis frühneuzeitlicher Kollektenreisen umrissen, bevor anschließend ihre organisatorischen Dimensionen anhand von Kollektentagebüchern illustriert werden. Auf dieser Grundlage erfolgt die Darstellung der Kollektenreisetätigkeit Hallescher Pietisten in den Jahren des Aufbaus der Glauchaer Anstalten. Der letzte Abschnitt gilt der Bedeutung der Kollekten6 Relevante Untersuchungen aus jüngerer Zeit umfassen u. a. Mark Greengrass: The Financing of a Seventeenth-Century Intellectual. Contributions for Comenius, 1637–1641. In: Acta Comeniana 11, 1995, 71–87; Sugiko Nishikawa: The SPCK in Defence of Protestant Minorities in Early Eighteenth-Century Europe. In: Journal of Ecclesiastical History 56, 2005, 730–748; Ole Peter Grell: Brethren in Christ. A Calvinist Network in Reformation Europe. Cambridge 2011; Alexander Schunka: Collecting Money, Connecting Beliefs. Fundraising and Networking in the Unity of Brethren of the Early Eighteenth Century. In: Journal of Moravian History 14, 2014, 73–92. 7 Beispielsweise Katherine Carté Engel: Religion and Profit. Moravians in Early America. Philadelphia 2009; Francesca Trivellato: The Familiarity of Strangers. The Sephardic Diaspora, Livorno, and Cross-Cultural Trade in the Early Modern Period. New Haven 2009; Religion and Trade. Cross-Cultural Exchanges in World History, 1000–1900. Hg. v. Francesca Trivellato [u. a.]. Oxford 2014.

Mit Geld zu Gott

199

reisen in Bezug auf die Fortentwicklung der Anstalten als grenzüberschreitendes Zentrum protestantischen Austauschs.

2. Zur Praxis frühneuzeitlicher Bettel- und Kollektenreisen Kritisch konstatierte eingangs des 17. Jahrhunderts Johann Arndt im Wahren Christentum, »Vmb ein weniges Geldes willen wird offt ein grosser Weg gelauffen«.8 Ob er dabei Kollektenreisen im Sinn hatte, ist unklar. Bei diesem verbreiteten Mittel frühneuzeitlichen Fundraisings und religiöser Kommunikation handelte es sich um eine distinguierte Form des Bettelns, die aus den Strukturen vormoderner Armenversorgung erwuchs. Da sich städtische und kirchliche Institutionen bei der regelmäßigen Gabe von Almosen an Bedürftige üblicherweise auf die Unterstützung ihrer eigenen, sogenannten »Haus-Armen« beschränkten und durchziehende fremde Bettler allenfalls mit einem kleinen Viaticum versorgten und zur Weiterreise animierten, blieb mobilen Bedürftigen häufig nur das Erbetteln von Almosen an verschiedenen Orten in Form teils ausgedehnter (Rund-) Reisen.9 Bei mobilen Bettlern handelte es sich um Menschen unterschiedlicher geographischer und sozialer Herkunft, die aus einer Reihe von Ursachen heraus nicht auf eine Versorgung durch ihre Heimatgemeinden zurückgreifen konnten. Aus frühneuzeitlichen Almosenrechnungen und Selbstzeugnissen erschließt sich ein breites Spektrum an Bettelnden und Entwurzelten, das von körperlich Versehrten und abgedankten Soldaten über Migranten und Geflüchtete bis hin zu alleinstehenden Frauen und verarmten Adeligen reichte.10 Nicht selten besserten auch wandernde Handwerksgesellen, Studenten oder Angehörige mobiler Berufe zwischendurch ihre Reisekasse durch Betteln auf und finanzierten sich unterwegs durch Almosen.11 Bettelreisen dienten somit der persönlichen Unterstützung Einzelner.12 8 Arndt, Christenthumb (wie Anm. 4), 402. 9 Zum Umgang mit Armut und Armenversorgung in der Frühen Neuzeit siehe u. a. Robert Jütte: Poverty and Deviance in Early Modern Europe. Cambridge 1994, zur Bettlermobilität ebd., 191 f; Helmut Bräuer: Art. Armut. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Hg. v. Friedrich Jäger. Bd. 1–16. Stuttgart 2005–2012. Bd. 1 (2005), 665–671. 10 Zum Spektrum frühneuzeitlicher Bedürftiger siehe Martin Rheinheimer: Arme, Bettler und Vaganten. Überleben in der Not 1450–1850. Frankfurt a.M. 2000. Eine Auswertung von Almosenrechnungen z. B. bei Alexander Schunka: Gäste, die bleiben. Zuwanderer in Kursachsen und der Oberlausitz im 17. und frühen 18. Jahrhundert. Münster [u. a.] 2006, 288–308. 11 Dies gilt für so berühmte reisende Verfasser von Selbstzeugnissen wie Augustin Güntzer und Thomas Platter, siehe Augustin Güntzer: Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben. Die Autobiographie eines Elsässer Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert. Hg. u. komm. v. Fabian Brändle u. Dominik Sieber. Köln [u. a.] 2002, 129 u. pass.; Emmanuel Le Roy Ladurie: Eine Welt im Umbruch. Der Aufstieg der Familie Platter 1499 bis 1628. Stuttgart 1998 [Paris 1995], 37–43. 12 Zwei gut greifbare Beispiele bei Otto Ulbricht: Die Welt eines Bettlers um 1775. Johann Gottfried

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Alexander Schunka

Daneben zielten sie aber auch auf die materielle Versorgung größerer Gruppen, die Geldsammler an unterschiedliche Orte aussandten. Waren Bettler nicht in eigener Sache, sondern im Namen und Auftrag einer Gruppe unterwegs, dann sammelten sie beispielsweise für den Wiederaufbau von kriegs- oder brandbeschädigten Dorf- und Kirchgemeinden oder für den Bau von Gotteshäusern, Schulen und Sozialeinrichtungen. Die Akquise finanzieller Mittel durch Bettelreisen war insbesondere für Minderheits- und Flüchtlingsgemeinden attraktiv, die von ihren Exilorten aus Emissäre aussandten, um bei Gleichgesinnten und potenziellen Sympathisanten Aufmerksamkeit für die Nöte ihrer Gemeinschaft, vor allem jedoch finanzielle Unterstützung zu erlangen.13 In den meisten Fällen deckten die Radien reisender Bettler einen eher überschaubaren geographischen Bereich ab, über den die Akteure entsprechend genaue Kenntnisse besaßen. Mitunter wurden aber auch weite Strecken zurückgelegt. Belegt sind Bettel- und Kollektenreisen durch halb Europa, nicht selten vom ärmeren Ostmitteleuropa in den reicheren Westen und zurück. Für Spendensammler, die im Auftrag einer Gruppe unterwegs waren, richtete sich die Wahl der Reiserouten und -ziele nach bereits bestehenden Kontakten bzw. nach der geographischen Verteilung möglicher Unterstützergemeinden und schließlich nach der erwarteten finanziellen Lukrativität bestimmter Regionen. Als besonders attraktives Ziel galt seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert England: nicht nur, weil sich dort für Protestanten nahezu jeder Schattierung Unterstützergruppen finden ließen, sondern auch, weil der günstige Wechselkurs des Pfundes im Vergleich zu den Währungen des Kontinents den Spenden von der Insel eine besonders hohe Kaufkraft verlieh.14 Dafür nahmen zahlreiche Kollektensammler den langen und beschwerlichen Weg nach England auf sich. Zudem galten die administrativen Hürden vor Ort als ausgesprochen hoch, bevor jemand auf der britischen Insel als Spendensammler anerkannt und mit entsprechenden Papieren (vor allem dem sogenannten Church Brief) ausgestattet wurde, die ihn offiziell zum Sammeln von Almosen legitimierten.15 So war um das Jahr 1715 herum etwa der orthodoxe Metropolit Kästner. In: Historische Anthropologie 2, 1994, 371–398; Alexander Schunka: Exulanten, Konvertiten, Arme und Fremde. Zuwanderer aus der Habsburgermonarchie in Kursachsen im 17. Jahrhundert. In: Frühneuzeit-Info 14, 2003, 66–78. 13 Neben Grell, Brethren (wie Anm. 6) und Schunka, Money (wie Anm. 6) siehe insbesondere Sugiko Nishikawa: English Attitudes toward Continental Protestants with Particular Reference to Church Briefs c. 1680–1740. Ph.D. Diss. University of London 1998, sowie den Überblick bei Graeme Murdock: Beyond Calvin. The Intellectual, Political and Cultural World of Europe’s Reformed Churches, c. 1540–1620. New York 2004, 39–41. Zur Versorgung von Brandopfern vgl. Cornel Zwierlein: Der gezähmte Prometheus. Feuer und Sicherheit zwischen Früher Neuzeit und Moderne. Göttingen 2011, 263–286. 14 Ulrich Niggemanns Schätzung eines Umrechnungskurses von 1:5 zwischen Pfund und Taler (Ulrich Niggemann: Immigrationspolitik zwischen Konflikt und Konsens. Die Hugenottenansiedlung in Deutschland und England [1681–1697]. Köln [u. a.] 2008, 126 u. Anm. 56) ist realistisch und entspricht der zeitgenössischen Umrechnungspraxis in Halle an der Saale. 15 Zu den Church Briefs siehe Nishikawa, Attitudes (wie Anm. 13); dies., SPCK (wie Anm. 6).

Mit Geld zu Gott

201

Arsenios aus dem ägyptischen Theben als Kollektenreisender in Großbritannien unterwegs und konkurrierte dort mit Vertretern protestantischer Gemeinden aus Polen, Litauen und Siebenbürgen um eine kirchliche Genehmigung zur Geldsammlung.16 Wem eine Reise nach Großbritannien aufgrund fehlender Informationen, mangelnder Sprachkenntnisse oder geringer Reisemittel nicht möglich war, der sammelte seine Kollekten auf dem Kontinent: so der böhmische Exulantenpfarrer Georg Holyk im Reich, in Schweden und Preußen sowie der ungarisch-slowakische Geistliche Daniel Krman, dessen umfangreiches Tagebuch seiner ausgedehnten Spendenreise durch Ostmitteleuropa aus dem frühen 18. Jahrhundert überliefert ist.17 Soweit sich dies feststellen lässt, scheinen religiöse Gruppen und Minderheitsgemeinden häufig jüngere Männer auf Bettelreisen geschickt zu haben, mithin Angehörige einer besonders mobilen Personengruppe, für die eine solche Reise zudem noch Bildungscharakter erhalten konnte.18 Nicht selten handelte es sich um Geistliche oder Theologiestudenten. Üblicherweise waren Kollektensammler nicht allein unterwegs, sondern zu zweit. Dies diente der eigenen Sicherheit und Arbeitsteilung auf gefährlichen und strapaziösen Reisen ebenso wie der Erzeugung von Glaubwürdigkeit.19 Da es im Interesse mobiler Bedürftiger lag, gegenüber potenziellen Spendern, Kirchen und Verwaltungsorganen ihre Anliegen glaubhaft zu präsentieren, besaßen entsprechende Dokumente und schriftliche Nachweise eine zentrale Bedeutung. Ausgestattet waren Kollektensammler daher üblicherweise mit einer Reihe von Ausweisdokumenten unterschiedlicher Herkunft und Kategorie, mit Zeugnissen, Bettel- und Geleitbriefen.20 Solche Dokumente dienten den Geldsammlern dazu, gegenüber Spendern und Behörden ihre 16 Zu seiner Reise siehe Sugiko Nishikawa: Die Fronten im Blick. Daniel Ernst Jablonski und die englische Unterstützung kontinentaler Protestanten. In: Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700. Hg. v. Joachim Bahlcke u. Werner Korthaase. Wiesbaden 2008, 151–168, hier: 156; Ralph Ruhtenberg: Gesellschaften und Vereinigungen für Interkommunion zwischen den Anglikanischen und Orthodoxen Kirchen. In: Kirche im Osten 15, 1972, 48–73, hier: 49. 17 Marie Ryantová: Der Konvertit und Exulant Jirˇí Holík und seine antikatholischen Schriften. In: Acta Comeniana 25, 2011, 199–219, hier: 209–213; Daniel Krman: Itinerarium. Cestovný dennik z rokov 1708–1709. Hg. v. Jozef Minárik. Bratislava 1969; zur Reise des polnischen Kollektensammlers Bogusław Kopijewicz und anderen Sammlungen seines Umfelds siehe Wojciech Kriegseisen: Die Protestanten in Polen-Litauen (1696–1763). Rechtliche Lage, Organisation und Beziehungen zwischen den evangelischen Glaubensgemeinschaften. Wiesbaden 2011, 141–148 u. pass.; vgl. auch Alexander Schunka: Migrationen evangelischer Geistlicher als Motor frühneuzeitlicher Wanderungsbewegungen. In: Konfession, Migration und Elitenbildung. Studien zur Theologenausbildung im 16. Jahrhundert. Hg. v. Herman J. Selderhuis u. Markus Wriedt. Leiden u. Boston 2007, 1–26, hier: 11–13. 18 Dies gilt für die hier im Folgenden dargestellten Reisen Hallescher Pietisten ebenso wie für die Brüderunität, vgl. Schunka, Money (wie Anm. 6). 19 Siehe z. B. Ryantová, Holík (wie Anm. 17), 209; Schunka, Money (wie Anm. 6), 77. 20 Zur vormodernen Ausweis- und Identifizierungspraxis siehe Valentin Groebner: Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Europa des Mittelalters. München 2004.

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Alexander Schunka

persönliche Integrität und den Anlass ihrer Sammlungstätigkeit offenzulegen. So informierten entsprechende Empfehlungs- und Beglaubigungsschreiben, Bittschriften oder gedruckte Traktate über die jeweils spezifischen Notlagen der Reisenden bzw. ihrer Auftraggeber. Immer wieder wurden freilich auch Schwindler und Betrüger aufgegriffen, die mit Hilfe falscher Informationen und Dokumente ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe Verfolgter nur vorspiegelten, um so an die Almosen gutgläubiger Menschen zu gelangen.21 Dies verweist darauf, dass ortsfremde Kollektensammler in vormodernen Gesellschaften, die weitgehend auf persönliche Kontakte angewiesen waren, einer besonderen Legitimation bedurften, die sie vor Ärger mit den Obrigkeiten schützte und für entsprechenden Spendeneingang sorgte. Daraus erklärt sich auch die Bedeutung lokaler Fürsprecher und Unterstützer, die persönlich oder durch Empfehlungsschreiben als Türöffner zu hochrangigen Spendern oder Behörden fungierten, beim Druck von Propagandaschriften behilflich waren oder treuhänderisch das eingenommene Geld verwalteten, das dann später etwa per Wechsel in die Heimat überwiesen wurde.22 Die Reisen und Kontakte, aber auch die mitgeführten Schriftstücke der Kollektensammler trugen gleichzeitig dazu bei, konkrete religiöse Gruppen fern ihrer Heimat bekannt zu machen. Nicht wenige gedruckte Propagandaschriften über das Martyrium protestantischer ›Glaubensflüchtlinge‹ im 17. und 18. Jahrhundert, die spätere Historiker bisweilen als authentische Zeitzeugenberichte konfessioneller Verfolgung betrachteten, waren ursprünglich als Werbeschriften für die Anliegen von Kollektenreisenden konzipiert und sollten vor allem Geldspenden ankurbeln.23 Neben entsprechenden Traktaten aus dem Kontext des habsburgischen Exils gilt eine solche Zweckorientierung bei der Produktion religiös-propagandistischer Manuskripte und Drucke etwa für die Böhmische Brüderunität, in deren Umfeld das Kollektenreisewesen über mehrere Generationen hinweg ausgesprochen professionell betrieben wurde. In nicht geringem Maß machten erst Kollektenreisen die Nöte der 21 Beispiele bei Alexander Schunka: Die Grenzen der Solidarität. Armut, Mobilität und Betrug im frühneuzeitlichen Europa. In: Migration als soziale Herausforderung. Historische Formen solidarischen Handelns von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. Hg. v. Joachim Bahlcke, Rainer Leng u. Peter Scholz. Stuttgart 2011, 233–254. 22 Derartige Finanztransaktionen dargestellt am Beispiel des Verhältnisses der Brüderunität zum Hofprediger Daniel Ernst Jablonski bei Alexander Schunka: Im Dienst des internationalen Protestantismus – der Berliner Hofprediger Daniel Ernst Jablonski (1660–1741). In: Religion Macht Politik. Hofgeistlichkeit im Europa der Frühen Neuzeit (1500–1800). Hg. v. Matthias Meinhardt [u. a.]. Wiesbaden 2014, 361–378, hier: 376; ders., Money (wie Anm. 6), 91 f. 23 Beispielsweise: Bartholomäus Gernhard: De Exiliis. Christliche Erinnerungen aus Gottes Wort. In etlichen furnemen Artickeln zu ende der Vorrede verzeichnet […]. O.O. 1575; Georg Holyk: Blutige Thränen Des Höchst bedrängten und geängsten Böhmer=Landes […]. Wittenberg 1673; ders.: Kurtze und wahrhafftige Erzehlung Des betrübten und gar traurigen Zustandes Des KönigReichs Böhmen. Amsterdam 1679; J.H.: A brief narrative of the state of the Protestants in Hungary, and the sufferings and persecutions of the ministers of Christ for religion in that kingdom. London 1677; allgemeiner zur Problematik siehe Schunka, Migrationen (wie Anm. 17), 21–24.

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Mit Geld zu Gott

Brüderunität im protestantischen Europa bekannt.24 Auch August Hermann Franckes Periodikum Segensvolle Fußstapffen und seine Übersetzung ins Englische knüpfte in gewisser Weise an derartige Praktiken an, indem es für ein Lesepublikum Information und Propaganda mit Spendenwerbung verband.25 Kollektenreisen kombinierten vielfach strukturelle Elemente vormoderner Armenversorgung mit der überregionalen Unterstützung von Minderheitsgemeinden, wie dies insbesondere für das europäische Reformiertentum kennzeichnend war.26 Organisiertes Betteln zur Spendensammlung war allerdings kein ausschließlich reformiertes Phänomen, sondern scheint allgemein für konfessionelle Diasporagemeinschaften hilfreich, wenn nicht überlebenswichtig gewesen zu sein. Jenseits der Akquise finanzieller Mittel trugen diese Reisen zur europaweiten Kommunikation bei, zur Kontaktherstellung und Vernetzung mit Gleichgesinnten und zum Gewinn möglichst einflussreicher Unterstützer und Fürsprecher. Damit gewährleisteten solche Reisen in gewisser Hinsicht den Fortbestand der eigenen Gruppe.

3. Kollektentagebücher auf Reisen Kollektenreisen lag eine ausgefeilte Organisation zugrunde. Dies betraf die Planung und Vorbereitung der Reise, ihre konkrete Durchführung und schließlich auch die Weiternutzung von Informationen, die auf der Reise gewonnen wurden. Nachvollziehen lässt sich diese Dimension frühneuzeitlicher Reisepraxis anhand der überlieferten Kollektentagebücher, die sich gleichsam als Medien religiös-ökonomischen Orts- und Zeitmanagements begreifen lassen. In finanzieller Hinsicht dienten Kollektentagebücher der Dokumentation von Einnahmen und Ausgaben auf Reisen. Mit dem gesammelten Geld mussten nämlich auch die Reisespesen der Geldsammler bestritten, die Kontaktleute vor Ort entschädigt und manchmal sogar die nächste Kollektenreise 24 Johann Amos Comenius: An exhortation of the churches of Bohemia to the Church of England. London 1661; ders.: De Bono Unitatis Et Ordinis Disciplinæque ac Obedientiæ In Ecclesia rectè constituta vel constituenda Ecclesiæ Bohemicæ ad Anglicanam Parænesis: Cum præmissa Ordinis ac Disciplinæ in Ecclesiis FF. Boh. usitatæ Descriptione. Amsterdam 1660; The distressed estate and humble address of the ancient Church the fraternal Unity of the Bohemian Confession to the Church of England. London 1683 (Archiv der Evangelischen Brüderunität Herrnhut [im Folgenden: UA], A13, Nr. 22a, 77). 25 Siehe den Beitrag von Veronika Albrecht-Birkner in diesem Band sowie Alexander Schunka: Zwischen Kontingenz und Providenz. Frühe Englandkontakte der halleschen Pietisten und protestantische Irenik um 1700. In: Pietismus und Neuzeit 34, 2008, 82–114, hier: 100 f. 26 Murdock, Calvin (wie Anm. 13), 39–41; Grell, Brethren (wie Anm. 6); Alexander Schunka: Internationaler Calvinismus und protestantische Einheit. In: Brückenschläge. Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung. Ausstellungskatalog. Hg. v. Joachim Bahlcke [u. a.]. Halle 2010, 171–185.

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Alexander Schunka

anschubfinanziert werden.27 Kollektenreisende hatten über ihre Ausgaben genau Buch zu führen, ebenso wie sie ihre Einnahmen exakt dokumentieren mussten, um darüber bei möglichen Spendern, lokalen Behörden und nicht zuletzt bei ihren Heimatinstitutionen Rechenschaft ablegen zu können, an die sich die Spenden richteten. Kollektentagebücher erschöpften sich freilich nicht in ihrer Funktion als Kassen- und Rechnungsbücher von Kollektenreisenden. Als Quelle sind sie vielmehr ein hybrides Genre: In mehr oder weniger detaillierter Form geben sie Auskunft über technische Abläufe der Reise (Kutsch- und Schiffsverbindungen, Distanzen, Umrechnungskurse von Währungen, Maße und Gewichte vor Ort, Übernachtungsmöglichkeiten, Gefahren). Sie enthalten zudem häufig längere tagebuchartige Einschübe über Reiseerlebnisse und ferner wichtige persönliche Dokumente der Spendensammler wie Passbriefe und Legitimationsschreiben in Abschrift. Außerdem trugen sich die Geber oft persönlich mit den gespendeten Beträgen ein, was den Kollektensammlern zur Rechenschaft über eingegangene Geldbeträge diente und gleichzeitig nachfolgende Spender zu entsprechenden Geldgaben animieren sollte. Die Zirkulation von Kollektentagebüchern zwischen ihren Besitzern und Außenstehenden erinnert damit an frühneuzeitliche Stammbücher. Gelegentlich versahen Kollektenreisende ihre Tageseintragungen sogar mit erbaulichen Sinnsprüchen und Bibelzitaten. Ein Kollektentagebuch erfüllte also unterschiedliche Funktionen: die eines Kassenbuchs, Erbauungsbuchs, Tagebuchs und Stammbuchs. Vor allem aber diente es gleichsam als umfassendes Identitätsdokument zur Legitimation der Kollektensammler, und zwar gegenüber den Spendern ebenso wie für die Behörden der Sammelgebiete und schließlich für die Heimatinstitution im Sinne eines Rechenschaftsberichts.28 Ein solches Buch war kleinformatig, es wurde am Mann getragen, und sein Inhalt ist im Gegensatz zu den meisten gedruckten Reiseberichten der Zeit nicht in einer heimischen Bibliothek überarbeitet worden, sondern auf der Reise selbst entstanden.29 Dies ermöglicht einen relativ gering gefilterten Blick auf frühneuzeitliche Reisepraktiken. Nur indirekt sind wir über die Reisevorbereitungen von Kollektensammlern 27 All dies ist minutiös nachvollziehbar im Umfeld der Kollektenreise der Böhmischen Brüderunität von 1715, siehe British Library London (im Folgenden: BL), Mss. Add. 48713, 48715–48716. Zur Anschubfinanzierung einer Kollektenreise (1715) aus Mitteln einer vorangegangenen Kollektenreise (1708) siehe auch Archiwum Pan´stwowe Poznan´ (im Folgenden: APP), Akta Braci Czeskich, Nr. 1897, 101. 28 Dies trifft u. a. zu auf das Kollektentagebuch der Reise der Böhmischen Brüderunität von 1715, siehe BL, Mss. Add. 48713, sowie auf das Tagebuch von Wenzeslaus Altwasser, Ratsschulbibliothek Zwickau (im Folgenden: RSB), 12.6.10. 29 Zum Problem der Ausgestaltung von Reiseberichten vgl. Wolfgang Treue: Abenteuer und Anerkennung. Reisende und Gereiste in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (1400–1700). Paderborn 2014, 264–289; Sonja Brentjes: The Presence of Ancient Secular and Religious Texts in the Unpublished and Printed Writings of Pietro della Valle (1586–1652). In: Dies.: Travellers from Europe in the Ottoman and Safavid Empires, 16th-17th Centuries. Seeking, Transforming, Discarding Knowledge. Farnham [u. a.] 2010, Nr. III, 1–23.

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informiert. Inhalt und Gestaltung von Kollektentagebüchern weisen allerdings auf einige notwendige Abläufe hin. So mussten vorab passende Dokumente und Empfehlungsschreiben besorgt und in die Bücher eingeklebt oder handschriftlich übertragen werden. Außerdem galt es, Informationen über Reisewege, Ausrüstung und angemessene Reisezeit zu gewinnen. Reiserouten wurden im Voraus geplant – in der Regel wohl auf Basis mündlicher Informationen, manchmal mit Hilfe gedruckter Reiseliteratur, öfter dagegen auf der Grundlage älterer Reiseaufzeichnungen, sofern diese vorhanden waren.30 Innerhalb der böhmisch-polnischen Brüderunität wurden ältere Kollektentagebücher von späteren Reisenden zur Vorbereitung herangezogen, denn sie boten Informationen über bildungsrelevante und gleichsam touristische Attraktionen, über wertvolle persönliche Kontakte und Anlaufstationen, über Schwierigkeiten und Gefahren, Reisekosten, lukrative Einnahmemöglichkeiten und vieles mehr.31 Aus dem Tagebuch eines schlesisch-böhmischen, lutherischen Pfarrers des 17. Jahrhunderts wiederum ist ersichtlich, dass ein Kollektenreisender seine Fahrten und Anlaufstationen im katholisch-protestantischen Grenzgebiet unter Zugrundelegung regionaler Feiertage und unterschiedlicher Kalendersysteme bereits im Voraus akribisch festlegte und auch vorab in sein Buch eintrug: Es ging darum, an Feiertagen und Markttagen vom Spendenaufkommen möglichst vieler Kirchgänger und Marktbesucher zu profitieren. Hohe christliche Festtage ließen sich angesichts der Differenz zwischen julianischem und gregorianischem Kalender möglichst doppelt nutzen, je nachdem, ob sich der bettelnde Pfarrer auf katholischer oder lutherischer Seite der Grenze befand.32 Der Kollektenreisende hielt daher bereits vor der Reise die Orte fest, die er in einem bestimmten Monat zu besuchen beabsichtigte; die tatsächlich eingenommenen Geldbeträge ergänzte er später vor Ort. Falls sich seine Reisepläne kurzfristig änderten, dann blieb die Spalte für die Einnahmen einfach leer.33 Im Umkehrschluss scheint es, als ob Reisen, die nicht auf angemessener Planung oder auf entsprechenden Vorläuferaufzeichnungen beruhten, ein höheres Fehlschlagrisiko aufwiesen, das sich je nach tatsächlichem Reiseverlauf gleichsam stufenweise potenzieren konnte: So verpassten zwei Hallesche Kollektenreisende im Jahr 1699 zunächst in den Niederlanden ihre vorgesehenen Ansprechpartner, was die anschließende Kontaktaufnahme mit Un30 Siehe für Halle: Archiv der Franckeschen Stiftungen (im Folgenden: AFSt)/M, 2 A 1. 31 Vgl. Rodgero Prümers: Tagebuch Adam Samuel Hartmanns über seine Kollektenreise im Jahre 1657–1659. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 14, 1899, 67–140, 241–308; 15, 1900, 95–160, 203–246; ders.: Eine Lissaer Kollektenreise. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 12, 1897, 129–221; Schunka, Money (wie Anm. 6) sowie insbesondere das dort ausgewertete Tagebuch (BL, Mss. Add. 48713). 32 Schunka, Exulanten (wie Anm. 12), 72 f. Der böhmisch-polnische Kollektensammler Sitkovius vermied unter gewissen Umständen Feiertage, weil dann bestimmte Gönner nicht anzutreffen waren: BL, Mss. Add. 48713, 21. 33 RSB, 12.6.10, passim.

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terstützern in England ausgesprochen schwierig machen sollte.34 Dreißig Jahre später, im Juni 1728, kam eine schlecht vorbereitete Herrnhuter Delegation in London an, wo sie von den erhofften Kontaktpersonen niemanden antraf, weil sich der Hof und alle wichtigen Ansprechpartner wie jedes Jahr um diese Zeit in der Sommerfrische aufhielten. Die drei Herrnhuter Reisenden fuhren unverrichteter Dinge wieder ab, und der mit Halle assoziierte Londoner Hofprediger Friedrich Michael Ziegenhagen konnte sich leisen Spott über die schlechte Vorbereitung und mangelnde Informiertheit der Herrnhuter Konkurrenz nicht verbeißen.35 Auch zu den zeitlichen Abläufen vor Ort geben die Aufzeichnungen von Kollektenreisenden somit einige Hinweise: entweder in den Tagebüchern selbst oder in flankierendem Material. Allgemein spielte es eine entscheidende Rolle, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. So fuhren im frühen 18. Jahrhundert die angehenden pietistischen Indienmissionare jeweils im Herbst in Halle ab, um den Jahreswechsel in London zu verbringen. Dort unterstützten sie in der Advents- und Weihnachtszeit als gleichsam lebende Beispiele göttlicher Providenz Kollektensammlungen für die Mission durch eigene Predigten – sowohl in der pietistischen Hofkapelle als auch in benachbarten Gemeinden, was dort gelegentlich für Missmut sorgen konnte. Zudem hatte das Personal der Hofkapelle darauf zu achten, dass die vielfältigen Aktivitäten Hallescher Spendenakquise nicht in Konkurrenz zueinander traten, indem etwa die Versorgung von Predigern in Nordamerika zu Lasten der Einnahmen für die Ostindienmission ging.36 Falls sich Kollektensammler aufgrund unvorhergesehener Ereignisse auf ihrer Reise einmal verspäteten, dann konnte dies ebenfalls Schwierigkeiten mit sich bringen: So kamen zwei Angehörige der Brüderunität aus dem polnischen Lissa mehrere Wochen später als geplant in London an, weil sie unterwegs all ihre Empfehlungsschreiben verloren hatten und sich diese von den Niederlanden aus auf dem Postweg neu beschaffen mussten. Als sie schließlich nach London gelangten, gerieten sie in offene Rivalität mit einer Gruppe Kollektenreisender aus Siebenbürgen, die über Schreiben derselben Unterstützer verfügte.37 Konkurrenzsituationen, die potenzielle Spender überforderten, weil sie auf mangelnder Planung beruhten, kamen anscheinend häufiger vor – obwohl man nach Kräften versuchte, sie zu vermeiden.38 Der pietistische Kollektensammler Georg Heinrich Neubauer, von dem gleich noch ausführlicher die Rede sein wird, konkurrierte im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel 34 Vgl. Schunka, Kontingenz (wie Anm. 25), 95, mit weiteren Nachweisen, sowie unten, Abschnitt 4. 35 Das Material in: UA, R13, A1, hier v. a. Nr. 6, Nr. 10. 36 AFSt/H, C 229, 11b; ebd., A 174, Nr. 20; Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: SBPK), Nachlass August Hermann Francke, 30/59, Nr. 23 (54). 37 Ausführlicher mit Quellennachweisen: Schunka, Money (wie Anm. 6), 83–85. 38 Siehe etwa UA, Nachlass Christian Sitkovius/NSC 5a, zu Kollektensammlungen in der Eidgenossenschaft.

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zeitweise mit einem Sammler aus Siebenbürgen, den er aber offensichtlich durch eigene Beharrlichkeit (oder Mobbing?) zur Abreise nötigte, so dass auch die ursprünglich dem Siebenbürger zugedachte Summe letztlich Halle zugute kam.39 Eine genaue Organisation erforderte jedoch nicht allein die eigentliche Reise, sondern sie lag auch der Eintragung von Spenden in die Kollektentagebücher zugrunde. So wurden am Anfang eines Buches üblicherweise die höchsten Spenden genannt, die in der Regel von besonders bedeutenden Gebern, etwa aus Herrscherfamilien, stammten.40 Mitunter ließen Kollektenreisende die ersten Seiten ihres Buches bewusst frei in der Hoffnung, hier zu einem späteren Zeitpunkt noch entsprechend lukrative Gaben und renommierte Spender verzeichnen zu können.41 Zweifellos zielte für die Kollektensammler eine Präsentation hoher Spenden und hochrangiger Unterstützer darauf, bei nachfolgenden Almosengebern den Eindruck eigener Bedeutsamkeit und besonderer Bedürftigkeit zu erwecken, wenn jene das Kollektentagebuch selbst in die Hand nahmen und auf den ersten Seiten zu blättern begannen. Umgekehrt sind auch Klagen Außenstehender überliefert, wonach Kollektensammler die eingetragenen Summen in krimineller Absicht selbst erhöhten, um künftige Spender zu höheren Gaben zu animieren.42 Insofern bedeutete die Verzeichnung der Spenden und der Spendernamen einen gewissen Gruppendruck für potenzielle Geldgeber: Bei einer Kollektensammlung der Böhmisch-polnischen Brüderunität in der Stadt Halle zu Anfang des 18. Jahrhunderts unterzeichneten die Spender namentlich, was möglicherweise dazu führte, dass die Universitätsprofessoren Anton, Gundling, Kraut und Stahl allesamt identische Beträge in Höhe von zwei Talern spendeten. Dies lag recht deutlich über den Gaben gewöhnlicher Bürger. August Hermann Francke hingegen war zurückhaltender – er gab nur 16 Groschen.43 Freilich trugen sich nicht alle Geldgeber namentlich in Kollektentagebücher ein; bisweilen finden sich anstelle eines Spendernamens auch Bescheidenheitsfloskeln wie »ein guter Freund«. Doch selbst in solchen Fällen blieben Spender nicht zwangsläufig anonym. August Hermann Franckes Mitarbeiter Georg Heinrich Neubauer führte auf seiner Reise nämlich zwei solcher Bücher parallel: ein offiziöses, das den Spendern vorgelegt wurde, und zusätzlich ein privates Buch in noch kleinerem Format, worin er die jeweiligen Klarnamen der Spender notierte.44 Mit Hilfe einer solchen doppelten Spenderbuchführung verfügten er und später die Glauchaer Anstalten über eine Liste an Personen, 39 AFSt/W, Rep. I, II/–/17, Neubauers nach Holland zum Behuf der hiesigen Anstalten und der zu erbauenden Häuser gethane Reise 1697, unpaginiert, nach 1708. 40 Siehe z. B. die ersten Seiten der Spendereintragungen in: RSB, 12.6.10. 41 Siehe z. B. das Tagebuch der Kollektenreise der Böhmischen Brüderunität von 1707 für Berlin und Brandenburg, APP, Akta Braci Czeskich, Nr. 1898. 42 Siehe z. B. AFSt/H, A 115, 10–24. 43 APP, Akta Braci Czeskich, Nr. 1896, 14, 39 (1708). 44 AFSt/W, Rep. I, X/I/144, Kollektenbücher 1697ff, Bd. 2.

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bei denen es sich lohnte, den Kontakt für künftige Zeiten aufrechtzuerhalten. Dies verweist auf die bereits angesprochene Dimension der Zukunftsplanung, die bei Kollektenreisen zu beachten war. Kollektentagebücher illustrieren verschiedentlich, dass Spendensammlungen auf Nachhaltigkeit angelegt waren. Was sich anhand der Überlieferung des Archivs der Brüderunität im polnischen Lissa um die Wende zum 18. Jahrhundert für mehrere Jahrzehnte nachvollziehen lässt,45 gilt ähnlich auch für die Glauchaer Anstalten, wo angehende Tranquebarmissionare bei der Planung und Vorbereitung ihrer Reisen nach Großbritannien und Indien über viele Jahre auf Reiseaufzeichnungen vorheriger Generationen zurückgriffen, diese aktualisierten und selbst neue Berichte einsandten.46 Und auch die Kollektentagebücher der Reisen mehrerer Abgesandter August Hermann Franckes in den Jahren um 1700 wurden säuberlich archiviert. Die Aufbewahrung derartigen Materials verknüpfte offensichtlich unterschiedliche Ziele: so die Kommunikation zwischen Gemeinden und ihren Unterstützern, verbunden mit wirtschaftlicher Absicherung und effizientem, nachhaltigem Informationsmanagement. Die Weitergabe von Informationen über Zielgebiete, die sorgfältige Aufbewahrung von Reise- und Kollektentagebüchern, von Spendernamen und Adresslisten nach Abschluss der Reisen, ja die regelmäßige Überarbeitung und Ergänzung entsprechender Aufzeichnungen deuten darauf hin, dass bestimmte Gruppen besonderen Wert auf die archivalische Sicherung derartiger Informationen legten. Dabei handelte es sich um eine Strategie, die für Erhalt und Fortbestand einer Gemeinschaft gerade in Notzeiten von existenzieller Bedeutung war und dementsprechend bei Bedarf immer wieder aktiviert werden konnte. Letzteres gilt in zweierlei Hinsicht. Zum einen diente ein abrufbarer Pool an Wissen über zurückliegende Reisen und Kontakte der zukünftigen politisch-ökonomischen Absicherung einer Gruppe, zum anderen konnten sich spätere Reisende ganz konkret an den Strategien ihrer Vorgänger orientieren und ihre eigenen Reisen so effizient wie möglich durchführen. Glaubt man den bislang eher verstreut vorliegenden Quellenhinweisen, dann waren Kollektentagebücher in der Frühen Neuzeit ausgesprochen verbreitet, auch wenn sie nur unter bestimmten Bedingungen aufbewahrt wurden. So beklagte sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein Pfarrer aus dem Harz über die angebliche Flut von (ehrbaren wie unlauteren) Bettlern seiner Zeit. Er berichtete, bei ihm hätte sich bereits eine ganze Schubkarre falscher Kollektenbücher angesammelt, während sich deren Besitzer längst aus dem Staub gemacht hätten.47 Es ist davon auszugehen, dass viele tausend Kollektenrei45 Schunka, Money (wie Anm. 6), 76–79. 46 Auswertung bei Thomas Müller-Bahlke: The Mission in India and the Worldwide Communication Network of the Halle Orphan-House. In: Halle and the Beginning of Protestant Christianity in India. Hg. v. Andreas Gross, Heike Liebau u. Andreas Nehring. Bd. 1–3. Halle 2006, Bd. 1, 57–79. Siehe auch Alexander Schunka: Ein neuer Blick nach Westen. Deutsche Protestanten und Großbritannien, 1688–1740. Wiesbaden 2019, 390 f, 457–462. 47 Vgl. Schunka, Grenzen (wie Anm. 21), 248 f.

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sende permanent in Europa unterwegs waren, auch wenn ihre Tagebücher heute nicht mehr vorhanden sind. Überliefert sind sie insbesondere dort, wo die Bedeutung ihres Inhalts für die Zukunft einer konkreten Gemeinschaft bereits von den Zeitgenossen erkannt worden ist. Dazu gehörten protestantische Minderheitsgemeinden wie die Böhmischen Brüder, aber etwa auch August Hermann Franckes Glauchaer Anstalten.

4. Kollektenreisen im Umfeld der Glauchaer Anstalten Abgesehen von der berühmten Schilderung August Hermann Franckes, wonach ihm eine Spende von vier Talern und 16 Groschen als Startkapital zum Aufbau seiner Anstalten gedient habe,48 ist kaum bekannt, dass die Glauchaer Anstalten um 1700 wesentlich auf Geldspenden aus Kollekten setzten.49 Im Licht der neueren Pietismusforschung, die das organisatorische und werbestrategische Talent des Glauchaer Pastors als Fundraiser und Propagator der »Marke Waisenhaus« betont, mag dies aber auch nicht allzu sehr überraschen.50 Tatsächlich ist Franckes Geschichte vom Glauchaer Gründungskapital wohl eher zeichenhaft zu verstehen, denn nahezu gleichzeitig begann von Glaucha aus eine groß angelegte Initiative, durch europaweite Kollektenreisen Kapital für die Anstalten zu akquirieren. Wie bei anderen Kollektenreisen der Zeit spielte es dabei eine entscheidende Rolle, zur richtigen Zeit am rechten Ort zu sein. Soweit sich dies über die bislang bekannten archivalischen Dokumente greifen lässt, entsprach die praktische Durchführung Hallescher Kollektenreisen weitgehend den zeittypischen Mustern, wie sie gerade beschrieben worden sind. Als besonderes Charakteristikum ist hier jedoch die auffallende Multifunktionalität dieser Spendensammlungen zu betonen: Informationserhebung, Geldakquise und pietistisches Ausgreifen in die Welt gingen Hand in Hand. Dies dürfte dazu beigetragen haben, dass die bisherige Forschung, der die konkreten Reisen selbst teils durchaus bekannt sind, deren Dimension als Fundraising-Unternehmen vernachlässigt hat. Die eindrucksvolle Art und 48 August Hermann Francke: Die Fußstapffen Des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen GOTTES […]. Glaucha 1701, 16 f; vgl. Vier Thaler und sechzehn Groschen. August Hermann Francke, der Stifter und sein Werk. Ausstellungskatalog. Hg. v. Paul Raabe. Halle 1998. 49 Knapp bei Klaus Deppermann: Der hallesche Pietismus und der preußische Staat unter Friedrich III. (I.). Göttingen 1961, 106 f. Zu den Finanzstrategien siehe jedoch Heinz Welsch: Die Franckeschen Stiftungen als wirtschaftliches Großunternehmen. Untersucht aufgrund der Rechnungsbücher der Franckeschen Stiftungen, Diss. phil. Halle-Wittenberg 1955. 50 Holger Zaunstöck: Das ›Werck‹ und das ›publico‹. Franckes Imagepolitik und die Etablierung der Marke Waisenhaus. In: Die Welt verändern. August Hermann Francke. Ein Lebenswerk um 1700. Ausstellungskatalog. Hg. v. Holger Zaunstöck, Thomas Müller-Bahlke u. Claus Veltmann. Halle 2013, 258–271; siehe ferner Veronika Albrecht-Birkners Beitrag im vorliegenden Band.

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Weise jedoch, in der die Beteiligten hier unterschiedliche Absichten und Ziele miteinander verbanden, zeugt von der hohen Bedeutung eines effizienten und nachhaltigen Handelns unter Halleschen Pietisten, gleichsam um Geld und Gott miteinander in Einklang zu bringen. Aus den Kollektenreisen, die mit unterschiedlichen Resultaten und gemischtem finanziellem Erfolg unmittelbar vor der Wende zum 18. Jahrhundert von Halle aus unternommen wurden, sticht diejenige Georg Heinrich Neubauers heraus, eines Theologiestudenten und Francke-Vertrauten, der sich im Jahr 1697 in die Niederlande aufmachte. Gewöhnlich ist diese Unternehmung als Informationsreise im Auftrag Franckes interpretiert worden, auf der Neubauer sich, ausgestattet mit einem detaillierten Fragenkatalog, über Bau und Ausstattung niederländischer Waisenhäuser informieren sollte.51 Für sich genommen wäre dies nicht ungewöhnlich, gehörten Waisenhäuser doch ebenso wie sogenannte Irrenhäuser zu beliebten touristischen Anziehungspunkten der Zeit.52 Auch die Niederlande waren seit dem 17. Jahrhundert aufgrund ihrer Wirtschaftskraft, ihrer weltweiten Handelsbeziehungen, ihrer Gelehrtenkultur und nicht zuletzt ihrer multikonfessionellen Gesellschaft ein wichtiges Ziel für Reisende und Migranten aus Mitteleuropa.53 Im Fall Neubauers waren allerdings weder der Zeitpunkt noch die konkreten Zielorte seiner Reise zufällig gewählt. Seit Mai des Jahres 1697 tagte nämlich im kleinen Ort Rijswijk zwischen Den Haag und Delft ein gewaltiger Friedenskongress, der den Neunjährigen Krieg zwischen Frankreich, England und dem Reich beenden sollte und an dem Gesandte aus zahlreichen europäischen Ländern teilnahmen.54 Im Zeitalter der Kongressdiplomatie bedeuteten derartige Friedensverhandlungen eine enorme Ansammlung adeliger Diplomaten, die sich jeweils mit einer Schar von Bediensteten am Kongressort aufhielten und eine solche Veranstaltung zu einem signifikanten ökonomischen Faktor für die 51 Der Fragenkatalog Neubauers in neuerer Edition bei Jürgen Gröschl: Was bey Erbauung unsres Waysen-Hauses zu wissen nöthig sey. Der Fragenkatalog Georg Heinrich Neubauers für die Hollandreise 1697. Halle 2003. Zu Neubauers Reise jetzt Holger Zaunstöck: Auf der Suche nach einem ›Modell‹. Georg Heinrich Neubauers Reise in die Niederlande (1697/98). In: Durch die Welt im Auftrag des Herrn. Reisen von Pietisten im 18. Jahrhundert. Hg. v. Anne Schröder-Kahnt u. Claus Veltmann. Halle 2018, 89–104. 52 AFSt/M, 2 A 1, Reiseinstruktionen, 27 f (undat.); siehe Andreas Selling: Deutsche GelehrtenReisen nach England 1660–1740. Frankfurt a.M. [u. a.] 1990, 200. 53 Vgl. Simon Schama: The Embarrassment of Riches. An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age. London [u. a.] 1988; Erika Kuijpers: Migrantenstad. Immigratie en sociale verhoudingen in 17e-eeuws Amsterdam. Hilversum 2005; Martin Mulsow: The Itinerary of a Young German Intellectual in Early Enlightenment Germany. In: The Enlightenment World. Hg. v. Martin Fitzpatrick [u. a.]. London 2004, 117–133. 54 Siehe: Der Friede von Rijswijk 1697. Hg. v. Heinz Duchhardt. Mainz 1998. Zur medialen und symbolpolitischen Ausstrahlung des Friedens siehe Cornelia Manegold: Der Frieden von Rijswijk 1697. Zur medialen Präsenz und Performanz der Diplomatie in Friedensbildern des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Frieden übersetzen in der Vormoderne. Translationsleistungen in Diplomatie, Medien und Wissenschaft. Hg. v. Heinz Duchhardt u. Martin Espenhorst. Göttingen 2012, 157–193.

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lokale Wirtschaft machten.55 Der Kongress von Rijswijk zog zahlreiche Menschen aus ganz Europa an – darunter den russischen Zaren Peter I. (den Großen), der sich inkognito im Rahmen seiner Großen Gesandtschaft zunächst in die Niederlande und dort nach Rijswijk begab.56 Auch der langjährige Unterstützer des Halleschen Pietismus und Russlandkenner Heinrich Wilhelm Ludolf hielt sich in diesem Umfeld auf, traf in Rijswijk den dänischen Gesandten Plessen und begab sich nach Abschluss der Verhandlungen auf eine Reise, die ihn zunächst nach Halle und dann weiter ins Osmanische Reich sowie ins Heilige Land führte.57 Georg Heinrich Neubauers Reise in die Niederlande diente jedenfalls nicht allein der Besichtigung von Waisenhäusern, sondern steht tatsächlich in enger Beziehung zum Rijswijker Friedenskongress. So verließ Neubauer die Stadt Halle zu Anfang des Monats Juni, als die Verhandlungen in den Niederlanden gerade eingesetzt hatten. Ausgestattet war er mit einem Empfehlungsschreiben der Theologischen Fakultät seiner Heimatstadt, in dem der Aufbau von Franckes Anstalten unmittelbar mit einer internationalen Spendensammlung verknüpft wurde. Die Professoren, die das Empfehlungsschreiben unterzeichnet hatten und zu denen auch Francke selbst gehörte, versicherten Neubauer darin ihrer Unterstützung bei der Aufgabe, »an einigen Oertern in Teütschland und Holland bey Christlichen Gemühtern um eine beliebige Beysteüer« zugunsten des Glauchaer Waisenhauses anzusuchen.58 Neubauer 55 Die finanzielle und wirtschaftliche Dimension der Durchführung von Friedenskongressen verdient genauere Erforschung. Ansätze dazu aus Sicht einer diplomatischen Akteursperspektive bei Daniel Legutke: Diplomatie als soziale Institution. Brandenburgische, sächsische und kaiserliche Gesandte in Den Haag, 1648–1720. Münster [u. a.] 2010. Für den Westfälischen Frieden vgl. Franz Bosbach: Die Kosten des Westfälischen Friedenskongresses. Eine strukturgeschichtliche Untersuchung. Münster 1984. 56 Siehe u. a.: Peter der Große in Westeuropa. Die Große Gesandtschaft 1697–1698. Ausstellungskatalog. Hg. v. Übersee-Museum Bremen. Bremen 1991; zum Inkognito seiner Reise vgl. Volker Barth: Inkognito. Geschichte eines Zeremoniells. München 2013, 109–131. 57 Siehe insbesondere die Briefe des Jahres 1697 in AFSt/H, C 144a, Nr. 31–36; vgl. Joachim Tetzner: H.W. Ludolf und Russland. Berlin 1955, 77 f sowie Alexander Schunka: An England ist uns viel gelegen. Heinrich Wilhelm Ludolf als Wanderer zwischen den Welten um 1700. In: London und das Hallesche Waisenhaus. Eine Kommunikationsgeschichte im 18. Jahrhundert. Hg. v. Holger Zaunstöck, Andreas Gestrich u. Thomas Müller-Bahlke. Wiesbaden 2014, 43–64, hier: 46 f. 58 »Demnach Herr August Hermann Francke, Churfl: Brand: Professor auff der Friedrichs-Universität, und Pastor zu Glaucha an Halle, unser Vielgeliebter Collega, für die Leibes= und Seelen Verpflegung der Armen und sonderlich für die Erziehung der armen Jugend […] seine disfalls gehabte Christliche Intention von Gott dem Allerhöchsten, der ein Wohlgefallen hat an der Liebe und Barmhertzigkeit, schon so weit geseegnet worden, daß dazu ein eigenes Gebäu mit aller Nothdurfft aptiret, über 80 Personen, größeren theils arme Waisen, darinnen verpfleget, unterschiedene Classes für die arme Jugend geordnet, und andere dergleichen gute Anstalten in guten Schwang gebracht seyn; Selbiger aber, umb die bereits gemachte gute Anordnungen zu verbeßern und zu erweitern, durch Hrn George Heinrich Neübauern SS Theol. Studios. an einigen Oertern in Teütschland und Holland bey Christlichen Gemühtern um eine beliebige Beysteüer Ansuchung thun laßen wil, und deswegen uns Professores bey der Theologischen Facultät alhier um ein Attestatum freündlich ersuchet«. AFSt/W, Rep. I, X/I/144, Bd. 1, Beilage (1. 6. 1697), 1.

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führte ein Kollektentagebuch mit sich, dessen erste Seiten ein Geleitschreiben Franckes enthielten. Ein weiteres, kleineres und quasi inoffizielles Büchlein sollte Neubauer zum Eintragen privater Aufzeichnungen dienen. Hier verzeichnete er die Namen derjenigen Spender, die sich in das größere Buch nicht oder nur anonymisiert eintrugen.59 Im Unterschied zu anderen Kollektentagebüchern dieser Jahrzehnte fehlen in Neubauers Aufzeichnungen längere erzählende Passagen. Neubauer fuhr über Wolfenbüttel in die Niederlande, wo er zunächst bei den Teilnehmern des Rijswijker Kongresses Geld sammelte und dabei auch recht erfolgreich war: insbesondere bei den dänischen Diplomaten Lenthe und Plessen sowie ihren Gesandtschaftsangehörigen, in deren Dunstkreis sich Heinrich Wilhelm Ludolf bewegte.60 Dass Ludolf und Neubauer einander in Rijswijk begegneten, ist höchstwahrscheinlich; eine mehrere Jahre nach Neubauers Unternehmung verfasste Relation dieser Reise weist darauf hin, dass es ein vordringliches Ziel Neubauers gewesen sei, Ludolf in den Niederlanden zu treffen.61 Unter den Spendern in Neubauers Kollektenbüchern taucht Ludolf allerdings nicht auf.62 Die Reise des Theologiestudenten Neubauer ging offensichtlich nicht auf Franckes, sondern auf Neubauers eigene Initiative zurück und war von Anfang an als Kombination von Informations- und Kollektenreise geplant.63 Dass sich die Erkenntnisse aus dem Besuch niederländischer Waisenhäuser in Halle planerisch niederschlugen und Neubauer selbst am Auf- und Ausbau der Anstalten in den folgenden Jahren mitwirkte, ist erwiesen.64 Aber auch die eingenommenen Spenden kamen unmittelbar der Waisenhausausstattung zugute, worauf entsprechende Eintragungen in Franckes Schreibkalender schließen lassen.65 Welche Bedeutung letztlich der Gesamtertrag von Neu59 AFSt/W, Rep. I, X/I/144, Kollektenbücher 1697ff, Bd. 1, Kollektenbücher Neubauer (Hollandreise) 1697, 1–7. Siehe auch ebd., Rep. I, II/–/17, Neubauers nach Holland zum Behuf der hiesigen Anstalten und der zu erbauenden Häuser gethane Reise 1697 (unpaginiert, um/nach 1708). Siehe dazu jetzt Zaunstöck, Suche (wie Anm. 51), 92. 60 AFSt/W, Rep. I, X/I/144, Kollektenbücher 1697ff, Bd. 1, Kollektenbücher Neubauer (Hollandreise) 1697, 22r. 61 Ebd., Rep. I, II/–/17, Neubauers nach Holland zum Behuf der hiesigen Anstalten und der zu erbauenden Häuser gethane Reise 1697, unpaginiert (um/nach 1708). Zu Ludolfs Einfluss auf die Reise Neubauers siehe die Schreiben in AFSt/H, D 88, 133–152. 62 Dies ließe sich möglicherweise auf dessen notorische Geheimniskrämerei zurückführen, vgl. Schunka, England (wie Anm. 57), 59, 63. 63 AFSt/W, Rep. I, II/–/17, Neubauers nach Holland zum Behuf der hiesigen Anstalten und der zu erbauenden Häuser gethane Reise 1697, unpaginiert (um/nach 1708). 64 Claus Veltmann, ›Und würde dann nicht ein solches Werk als eine Stadt, die auf dem Berge liegt, jedermann in die Augen fallen?‹ Die Bau- und Entwicklungsgeschichte der Franckeschen Stiftungen bis 1750. In: Gebaute Utopien. Franckes Schulstadt in der Geschichte europäischer Stadtentwürfe. Hg. v. Holger Zaunstöck. Halle 2010, 93–107, hier: 93 f; ders.: ›Es leuchten die Gebäude‹. Francke, Neubauer, von Gedeler, Freystein – die Architektenfrage. Ebd., 109–117. 65 Siehe die Eintragungen im Schreibkalender August Hermann Franckes aus dem Jahr 1698, u. a. 14. November: »Von Hamburg von Herrn Neubauers Collecte 100 rth. Davon 24 thl für Betten

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bauers Kollekte für die Einnahmen des Waisenhauses in diesen Jahren besaß, lässt sich aktuell nicht näher bestimmen. Unabhängig davon ist Neubauers Reise aufschlussreich, was ihren Organisationsgrad und ihre effiziente, zielorientierte Durchführung betrifft. Neubauers Reise in die Niederlande ordnet sich ein in eine Folge ähnlicher Unternehmungen, die in den Jahren 1696 bis 1700 von Halle ihren Ausgang nahmen und damit in die entscheidende Phase des Ausbaus der Anstalten fallen. Auch wenn die Überlieferung lückenhaft ist, deuten die erhaltenen, teils jedoch nur sporadisch ausgefüllten Kollektenbücher und die Empfehlungsschreiben darauf hin, dass Francke in dieser Zeit eine Reihe von Emissären zum Fundraising entsandte, und zwar 1698 nach Berlin und Pommern (legitimiert durch eine kurfürstliche »Recommendation« mit Originalunterschrift des Monarchen Friedrich III. von Brandenburg, die angesichts der deutlich sichtbaren Gebrauchsspuren offenbar häufig vorgezeigt worden ist)66 sowie nach Preußen, Magdeburg und Halberstadt67 und schließlich im Jahr 1700 quer durch das Römisch-deutsche Reich.68 Die Privilegierung einer Kollekte durch den brandenburgischen Kurfürsten zählte zu den zahlreichen Vergünstigungen, die Francke zum Auf- und Ausbau des Waisenhauses von den Hohenzollern erlangt hatte und die er nicht unterließ, werbewirksam in der ersten Ausgabe seiner Spendenschrift Segensvolle Fußstapffen zu erwähnen.69 Unter den Geldeingängen anlässlich dieser Kollektenreisen fallen üppige Spenden der Kurfürstenfamilie sowie von Hofangehörigen in Berlin ins Auge, aber auch von zahlreichen reformierten Gemeinden und Geistlichen wie dem Berliner Hofprediger Daniel Ernst Jablonski – und sogar vom Residenten des katholischen Habsburgerkaisers in der hohenzollerschen Residenzstadt, der sich gleichwohl nur mit einem recht bescheidenen Betrag beteiligte.70 Christliche Mildtätigkeit war zwar nicht prinzipiell an Bekenntnisse gebunden, die Höhe der Spenden jedoch möglicherweise schon. Zugleich zeigt sich, dass derartige Kollektenreisen keineswegs ausschließlich auf Spender zielten, die den lutherisch-pietistischen Frömmigkeits- und Reformunternehmungen von vornherein nahestanden. Der Kreis der Spender scheint in diesen Jahren recht vielfältig gewesen zu sein. Die Vorbereitung, aber auch die Auswahl konkreter Ziele zu bestimmten Zeiten, ferner die Anordnung der Eintragungen im Kollektentagebuch und

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ausgegeben.«; ebd., 15. November: »10 thl 12 gr von Herrn Breithaupten, auch aus Herrn Neubauers collecte.« Dies deutet darauf hin, dass das Geld zunächst in Hamburg angelegt worden war. AFSt/W, Rep. I, II/–/3a. URL: http://digital.francke-halle.de/mod2/content/titleinfo/182103 (letzter Zugriff 12. 9. 2018). AFSt/W, Rep. I, X/I/144, Bd. 3. Ebd., Rep. I, X/I/144, Bd. 4–6; dabei handelte es sich wohl um dieselbe Reise. Der Schlüssel zum offiziellen Kollektenbuch und zu den Klarnamen der Spender findet sich in Bd. 7, ebd. Ebd., Rep. I, X/I/144, Bd. 8. Neuabdruck in: Pietismus (wie Anm. 5), Nr. 14.2. AFSt/W, Rep. I, X/I/144, Kollektenbücher 1697ff, Bd. 7, 25v.

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schließlich die Archivierung der Unterlagen betten Hallesche Kollektenreisen um 1700 in Strategien effizienter Planung ein, wie sie für derartige Reisen typisch waren. Nicht immer allerdings sind die Reisen Hallescher Pietisten in diesen Jahren auf Anhieb als Kollektenreisen erkennbar, insbesondere dann, wenn ein entsprechendes Kollektentagebuch fehlt. Dies betrifft die Fahrt der Theologiestudenten Jacob Bruno Wigers und Johann Christoph Mehder nach England im Jahr 1699, die als Beginn der Halleschen Kontakte nach Großbritannien und in den anglo-amerikanischen Raum gilt.71 Ähnlich wie schon bei der Reise Neubauers in die Niederlande fällt auf, dass auch die Unternehmung von Wigers und Mehder zumindest partiell als Kollektenreise angelegt war. Die beiden Theologiestudenten, die gemeinsam mit Johann Hieronymus Liebenroth von Halle in die Niederlande (wo Liebenroth schließlich bleiben sollte) und von dort weiter auf die Insel entsandt wurden, waren ebenfalls mit einem Begleitbrief Franckes ausgestattet – ohne dass man offenbar von vornherein davon ausgehen konnte, Wigers und Mehder würden sich dauerhaft und erfolgreich auf der Insel etablieren.72 In Franckes Empfehlungsschreiben heißt es, die drei Reisenden verrichten auch nicht diese Reyse aus einiger Noth ihr Brod zusuchen und andern beschwehrlich zuseyn, sondern man hätte sie viel lieber in Teutschland behalten, […] wann man nicht der Würckung des Geists der Liebe Raum geben, und dahero zu ihrer vorgenommenen Reise, die Gott durch sonderbare Umstände veranlaßet, allen Vorschub thun wollen. […] Soll dann auch einige von Herrn erwecket werden zu behuf der hieselbst gemachten höchst nüzlichen Anstalten, von ihren zeitlichen Seegen etwas beyzutragen […], würde solches ihnen sicherlich anvertrauet werden können, als von welchen man aller Treue versichert ist.73

Wigers, Mehder und Liebenroth waren somit durch Franckes Schreiben autorisiert, Auskunft über die Glauchaer Anstalten zu geben und entsprechend Werbung zu machen; darüber hinaus sollten die Emissäre aber auch Spenden akquirieren, die man ihnen guten Gewissens anvertrauen möge. Dass die Reisenden anscheinend mit ihrer Geldsammlung nicht besonders erfolgreich waren und stattdessen in London mehr oder weniger rasch einen Zugang zur neu gegründeten philanthropischen Society for Promoting Christian Knowledge (SPCK) fanden, wo sie sich als Gründer einer Schule hervortaten, scheint ein nicht unbedingt intendierter Nebeneffekt dieser Reise gewesen zu sein. Gleichwohl war Francke zum Zeitpunkt der Entsendung von Wigers und Mehder über die Londoner philanthropischen Interessen informiert, deren 71 Vgl. jüngst Juliane Jacobi: Bildungstransfer im frühen 18. Jahrhundert? Beziehungen zwischen dem Halleschen Waisenhaus und der Society for Promoting Christian Knowledge. In: London und das Hallesche Waisenhaus (wie Anm. 57), 121–138, hier: 125–131; ferner Schunka, Kontingenz (wie Anm. 25), 94–96. 72 Schunka, Kontingenz (wie Anm. 25), 94–96, 99 f. Der Geleitbrief Franckes in AFSt/H, D 93, 124– 128 (Halle, 8. 2. 1699). 73 AFSt/H, D 93, 124–128 (Halle 8. 2. 1699), hier: 127 f.

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Institutionalisierung in Form religiöser Gesellschaften ebenfalls als Reaktion auf den Frieden von Rijswijk interpretiert werden kann.74 Dem Glauchaer Pastor war es zudem offensichtlich gelungen, vom reformierten Berliner Hofprediger Daniel Ernst Jablonski ein Empfehlungsschreiben für die Reisenden zu erwirken. Jablonski eilte der berechtigte Ruf voraus, einer der besten Englandkenner in Brandenburg-Preußen zu sein. Francke jedoch lehnte dessen theologische und kirchenpolitische Ziele einer protestantischen Union vehement ab. Bei aller minutiösen Planung durch den Glauchaer Theologen und seine Mitarbeiter scheiterten Wigers und Mehder indessen daran, die vorgesehenen Kontaktpersonen in den Niederlanden zu treffen, was ihren Einstieg in die Szene der Londoner Voluntary Societies zunächst deutlich erschwerte.75 Dass sich aus der Reise von Wigers und Mehder letztlich die Leitung einer deutschen Schule im Rahmen des Schulgründungsprogramms der SPCK, die Installierung eines Predigers am Hof des Prinzgemahls Georg von Dänemark, die dänisch-britisch-hallesche Mission sowie über Jahre hinaus ein kontinuierlicher und reicher Spendenfluss aus den Kreisen Londoner Philanthropen entwickeln sollten, ja dass die Etablierung Hallescher Pietisten im britischen Weltreich genau genommen auf eine gescheiterte Kollektenreise zurückging, mutet in der Rückschau fast providenziell an. Tatsächlich profitierte Francke nicht unwesentlich von den Zeitumständen im Europa um 1700, kombiniert mit einer effizienten Anwendung zeitgenössischer Wirtschaftspraktiken, zu denen Kollektenreisen gehörten. Auffallend ist die intendierte Multifunktionalität von Kollektenreisen im Halleschen Kontext: Während sich auch in anderen frühneuzeitlichen Zusammenhängen mancherlei Überschneidungen zwischen Geldsammlungen und gleichsam touristischen Interessen oder zwischen berufsbedingter Mobilität und Betteln finden lassen, ist es bei den Reisen von Neubauer oder auch von Wigers und Mehder nicht leicht, einen ›Hauptzweck‹ festzustellen, dem sich andere Bereiche unterordneten. Vielmehr waren die Reisenden bereits von Beginn an mit mehreren Aufträgen betraut, die neben den Geldsammlungen das Verteilen von Schriften, die Kontaktaufnahme mit Gleichgesinnten oder das Einholen bestimmter Informationen umfassten.

74 Zur Gründung der SPCK aus dem Geist des Rijswijker Friedensschlusses: Schunka, Blick nach Westen (wie Anm. 46), 75–77. 75 Die relevanten Briefe von Wigers befinden sich in SBPK, Nachlass A.H. Francke, 30/57. Zum Empfehlungsschreiben Jablonskis siehe AFSt/H, B 71a, 62–69, hier: 68 (Heinrich Wilhelm Ludolf an Heinrich Julius Elers, Rotterdam 10. 4. 1699); vgl. auch Franckes Bericht über seine Reise nach Berlin und sein Treffen mit dem Hofprediger Jablonski am 31. August 1698: »Er übernahm das Werck an gehörigem Ort zu recommendirung«. AFSt/W, Rep. I, II/–/18:1, 4r. URL: http://digital. francke-halle.de/mod2/content/pageview/189413 (letzter Zugriff 12. 9. 2018). Zum Kontext Schunka, Kontingenz (wie Anm. 25), 87–96. Zu Jablonski als Verfasser von Empfehlungsschreiben vgl. Schunka, Migrationen (wie Anm. 17), 14.

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Im Einklang mit frühen Halleschen Reisepraktiken76 standen auch spätere Auftragsreisen von Pietisten: So gaben die Instruktionen für angehende Missionare, die sich über die Jahre etablierten, den Reisenden bereits vorab auf den Weg, ihre Zeit so effizient und nützlich wie möglich zu verbringen: Wenn sie unterwegs auf ›Kinder Gottes‹ stießen, dann sollten sie sich mit ihnen gemeinsam erbauen und Druckschriften verteilen; sie sollten darüber aber auch nicht vergessen, nach Namen und Adresse zu fragen und diese zu notieren. Schließlich wusste man ja nie, ob solche Kontakte nicht für die Zukunft einmal nützlich werden könnten.77 Ähnlich berichteten später auch Herrnhuter Reisende darüber, dass lange Schiffspassagen nicht etwa Anlass zur Untätigkeit boten, sondern vielmehr dazu dienten, Mitreisende zu erbauen und zu katechisieren.78 Jegliche Zeit auf Reisen war demnach im Sinne des Herrn zu nutzen.

5. Fazit Wenn gerade in der Aufbauphase der Glauchaer Anstalten zahlreiche Kollektenreisen durchgeführt wurden, so war dies jenseits eines unmittelbar erhofften finanziellen Nutzens vor allem eine Investition in die Zukunft. Die Reisen dieser Jahre brachten wertvolle Kontakte mit sich, frischten bestehende Beziehungen auf und festigten sie. Eine genauere Untersuchung des Verhältnisses von Reisekontakten, Spendeneingängen und längerfristigen Unterstützerkreisen würde vermutlich die These erhärten, dass gerade in der Verbindung von geographischer Mobilität, pietistischer Reich-Gottes-Arbeit und Fundraising bedeutsame Gründe für die Stabilität und Strahlkraft der Glauchaer Anstalten im 18. Jahrhundert lagen. Das Kollektenmanagement Hallescher Pietisten ordnet sich ein in Abläufe zeitgenössischen Fundraisings, aber auch in die Problematik des Verhältnisses von irdischem Wirtschaftshandeln und seinem Nutzen für das Reich Gottes. Dass die Spendensammler im Auftrag des Herrn ihre Zeit in frommer Absicht so effizient wie möglich gebrauchen sollten, stand in keinem Widerspruch zum Ziel, gleichzeitig möglichst hohe Summen zu erwirtschaften. Auch wenn sich bislang nicht ersehen lässt, wie viel Geld die Kollektenreisen für den Aufbau der Anstalten tatsächlich erbracht haben, verweisen ihre Multifunktionalität, ihr Nachhaltigkeitsgedanke und ihre minutiöse Planung auf die große Bedeutung, die Francke und seine Mitstreiter diesem Mittel der Geldakquise zubilligten. Es ist den Halleschen Pietisten nie gelungen, ein offizielles Church Brief der britischen Krone und der Church of England zu 76 Für die Kanonisierung Halleschen Reiseverhaltens war insbesondere Heinrich Wilhelm Ludolf maßgebend, vgl. Schunka, England (wie Anm. 57), 84 f. 77 AFSt/M, 2 A 1, Nr. 10 g: »Memorial auff der Reiße zu gebrauchen«, 27–29. 78 UA, R 13, A1, Nr. 7 (15. 7. 1728).

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erhalten: Dies erklärt sich wohl nicht zuletzt aus der Distanz Halles zur Anglikanischen Kirche. Demgegenüber resultierten die großen Londoner Spenden für Franckes Anstalten in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts in der Regel aus dem individuellen Engagement der Fundraiser Anton Wilhelm Böhme, Heinrich Wilhelm Ludolf, Frederick Slare, Friedrich Michael Ziegenhagen und verschiedener weiterer SPCK-Mitglieder.79 Dass man jedoch die eingegangenen Spenden recht absichtsvoll als Argument verwendete und sie in verbaler Form strategisch geschickt in Briefe und Publikationen einfließen ließ, lässt sich über Jahrzehnte immer wieder feststellen. Die Veröffentlichung eines »Abstract« der Segensvollen Fußstapffen in englischer Sprache 1706 erhöhte nach Meinung Böhmes das britische Interesse an Halle und das Spendenaufkommen zugunsten der Anstalten unmittelbar,80 und auch die periodische Missionspublizistik lässt immer wieder erahnen, dass die Berichte über die Tranquebarmission eigentlich als Spendenwerbung für Halle zu verstehen waren.81 In gewisser Hinsicht ahmte Francke dabei eine Strategie nach, wie sie aus Kollektenbüchern wohlbekannt war: Man machte Werbung mit hohen Spendeneingängen und bemühte sich dadurch erfolgreich, zukünftige Finanziers zu beeindrucken und zu besonders hohen Gaben zu animieren. So sprach sich der Prediger Anton Wilhelm Böhme etwa dafür aus, in bestimmten Zusammenhängen die Spenden nach ihrer Wirksamkeit aufzuschlüsseln: »Es könten summarischer Weise in dem Briefe diejenigen momenta bemercket werden, die sich nach dem Jahre 1714 zugetragen haben«, und zwar so, dass man bei der »Erzehlung von den zufälligen Gaben […] doch davon ein und ander bedencklich Exempel gleichsam en passant in der Epistel berühren wolte.«82 Dass sich dieser Ratschlag Böhmes konkret auf den Entwurf eines Briefes an den Bostoner puritanischen Prediger Cotton Mather bezog, illustriert die geographische Spannweite dieser Unternehmungen. Franckes werbestrategischer Einsatz von Spenden als Argument machte nicht an der Küste des Atlantiks Halt. Zugleich zeigt sich, dass die Halleschen Pietisten bei der Geldsammlung, wo immer sich entsprechende Chancen boten, keine Scheu davor hatten, sich als Teil eines größeren protestantischen Zusammenhangs zu inszenieren, der auch Außenstehende (etwa aus dem Bereich des Reformier79 Zum Kontext vgl. Alexander Schunka: England als Erfahrungsraum im Halleschen Pietismus. In: ›Aus Gottes Wort und eigener Erfahrung gezeiget‹. Erfahrung – Glauben, Erkennen und Gestalten im Pietismus. Hg. v. Christian Soboth u. Udo Sträter. Bd. 1–2. Halle u. Wiesbaden 2012, Bd. 2, 823–836, sowie Schunka, Kontingenz (wie Anm. 25). 80 Der Schüleraustausch mit London sei, so Böhme an Francke, gar eine unmittelbare »Frucht Pietatis Hallens.«; AFSt/H, C 229, Nr. 71 (4. 9. 1706). 81 Zu den Missionspublikationen siehe z. B. Heike Liebau: Controlled Transparency. The Hallesche Berichte and Neue Hallesche Berichte between 1710 and 1848. In: Reporting Christian Missions. Communication, Culture of Knowledge, and Regular Publication in the Eighteenth Century. Hg. v. Markus Friedrich u. Alexander Schunka. Wiesbaden 2017, 133–147. 82 AFSt/W, Rep. I, X/I/150: Varia Donationes, 1707ff: »Extract der donariorum de annis 1709–1721 wie er dem Briefe an Matherum inseriret worden« (unfoliiert).

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tentums) ganz selbstverständlich einbezog, solange dies dem Bau des Reiches Gottes nützlich schien. Geographisch, rhetorisch und in praktischer Hinsicht verbindet sich Franckes Unternehmung mit einem internationalen Protestantismus, dem man gleichzeitig auf theologischer Ebene skeptisch gegenüberstand.83 So musste Cotton Mather mehrere Jahre warten, bis seine Freundschaftsanfragen bei Francke eine Antwort fanden.84 Spenden, Reisen, Werbemaßnahmen, Kooperation, aber auch Konkurrenz prägten die Beziehungen unter reformorientierten Protestanten im europäisch-atlantischen Raum. Ein verbindendes Element war die Überzeugung von der strategischen Bedeutung des Geldes für den Bau des Reiches Gottes.

83 Schunka, Kontingenz (wie Anm. 25); ders.: Daniel Ernst Jablonski, Pietism, and Ecclesiastical Union. In: Pietism, Revivalism and Modernity. 1650–1850. Hg. v. Fred van Lieburg u. Daniel Lindmark. Newcastle 2008, 23–41. 84 Zu Mather und Halle siehe z. B. Ernst Benz: Ecumenical Relations between Boston Puritanism and German Pietism. Cotton Mather and August Hermann Francke. In: Harvard Theological Review 54, 1961, 159–193.

Ann-Kathrin Otte

Ich habe die Sache blos aus gehorsam angefangen1 Gotthilf August Francke und der Seidenbau

Der Seidenbau der Franckeschen Stiftungen ist – wie überall in Preußen2 – gescheitert. Unsummen wurden in ein Projekt investiert, von dem man große Gewinne auf viele Jahre erhoffte und das sich am Ende sogar als weniger profitabel als normale Obstplantagen erwies.3 Dennoch hielt der Seidenbau für den Halleschen Pietismus gewisse Gewinne bereit. Es handelt sich dabei zwar nicht um wirtschaftlichen Erfolg, aber der Seidenbau bot für Gotthilf August Francke die Gelegenheit, im Bezug auf wirtschaftliche Dinge eine etwas andere theologische Haltung einzunehmen als sein Vater. Um diese These zu erläutern, muss man sich zunächst die Motivationen Gotthilf August Franckes, die ihn zum Seidenbau bewegten, erschließen. Ausgehend davon ergeben sich im zweiten Teil der Analyse wichtige Konsequenzen für den Verlauf des Halleschen Seidenbaus, der in Preußen eine herausragende Rolle spielte. Vor diesem Hintergrund sollen im dritten Abschnitt einige Überlegungen im Vergleich von Vater und Sohn angestellt werden. 1. Zunächst jedoch sei der Begriff ›Seidenbau‹ erläutert. Unter Seidenbau versteht man die Produktion des Rohstoffes Seide im Gegensatz zur Seidenindustrie, welche jegliche Verarbeitung des Rohstoffes zu Strümpfen, Bändern etc. bezeichnet. Zuerst werden zur Gewinnung von Seide ausgewachsene weiße Maulbeerbäume in genügender Menge benötigt, um von deren Laub die Seidenraupen zu ernähren, deren Kokons nach Abtötung der darin lebenden Raupen abgehaspelt werden, um die feinen Seidenfäden zu erhalten. Es handelt sich um ein sehr aufwändiges Unternehmen, das erhebliche Investitionen benötigt, bevor es frühestens nach einigen Jahren Gewinne abwerfen kann.4 1 Archiv der Franckeschen Stiftungen Halle (im Folgenden: AFSt)/H, C 405, 21. 2 Vgl. Gustav Friedrich von Schmoller u. Otto Hintze: Die Preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begründung durch Friedrich den Großen. Bd. 3: Darstellung von O. Hintze. Berlin 1892, 324 f. 3 Vgl. Jürgen Lübbert: Der Seidenbau in den Franckeschen Stiftungen. In: Festschrift zur 200jährigen Jubelfeier der Franckeschen Stiftungen und der Lateinischen Hauptschule. Halle 1898, 16– 38, hier: 32. 4 1742 bewilligte Friedrich II. für Plantagen von entweder mindestens 5.000 Maulbeerbaumpflanzen oder mindestens 1.000 ausgewachsenen Maulbeerbäumen Unterstützungsgelder zur Beschäftigung eines fähigen Gärtners »auf 10. Jahr, oder doch so lange […], bis sothane Plantage, oder die daraus gewonnene Seide so viel abwirft, daß der Entrepreneur die darauf zu verwendende Kosten davon selbst fourniren und tragen kan.« Edict Wegen Anlegung der Plantagen von Maulbeer-

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Dennoch setzte man in den Seidenbau in Preußen große Hoffnungen. Man war sich sicher, auf längere Sicht viel Geld gegenüber dem Import des Rohstoffes sparen zu können. Diverse Druckschriften von Privatleuten aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeugen davon, beispielsweise die von Johann Aunant: »Der Reichthum, welcher einem Lande aus diesem Gewerbe zufließet, leuchtet gar zu sehr in die Augen, dergestalt, daß ein jeder vernünftiger Mensch solches erkennen, und die Nation, bey welcher solches eingeführet wird, glückselig preisen muß.«5 Aber nicht nur Privatleute, sondern auch Preußens Könige6 hegten offenbar keinerlei Zweifel, dass sowol das Clima als Terrain dergestalt beschaffen, daß in selbigen die Cultivirung des Seiden-Baues, mittelst Anlegung der hierzu nöthigen Maulbeer-Baum-Plantages, mit mercklichem Success betrieben, und dadurch nicht allein des Publici, sondern auch vieler Particuliers Bestes, falls sie sich darauf mit Ernst und unverdrossenem Fleiß appliciren, befordert, besonders aber den Manufacturen und Fabriquen ein ungemeiner Nutzen verschaffet, und dahingegen dieselben vieler bisherigen schweren Kosten entübriget werden können.7

Als 1744 nun der königliche Befehl an alle Waisenhäuser im preußischen Herrschaftsgebiet erging, Maulbeerbaumplantagen anzulegen, meldete Gotthilf August Francke binnen weniger Tage, dass er die nötigen Plätze bereits ausgesucht, einen geeigneten Gärtner gefunden und nach Berlin, Leipzig und Venedig wegen der Beschaffung von Maulbeerbaumsamen geschrieben habe.8 Francke gab sich vorbildhaft. Warum? Lag es daran, dass er den preußischen Herrscher für sich gewinnen wollte? Es ist nämlich kein Geheimnis, dass die Beziehung zwischen den Franckeschen Stiftungen und dem Königshaus be-

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Bäumen. De dato Berlin, den 12. November 1742 [Druck Magdeburg 1742]: AFSt/W, II/–/43/1, Bl. 8 f]. Man rechnete also in einem Zeitraum von ungefähr zehn Jahren mit den ersten Gewinnen. Herrn Johann Aunants Directoris der Seiden-Plantage zu Hanau gruendliche Anweisung zum Seiden-Bau und dazu gehoerigen Maulbeer-Baum-Plantagen wie solche in Deutschland anzulegen […]. Leipzig 1749, 5. Das Werk ist im Wirtschaftsarchiv der Franckeschen Stiftungen vorhanden: AFSt/W, XIV/I/19. Die ersten Versuche, den Seidenbau in Preußen einzuführen, wurden bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts unternommen. 1707 beispielsweise erhielt die Königliche Sozietät der Wissenschaften zu Berlin ein »privilegium privativum zur Anlegung von Maulbeerpflanzungen auf ihren eigenen Grundstücken und an geeigneten öffentlichen Orten, sowie zum Betrieb des Seidenbaues und zur Verarbeitung, auch zum Vertriebe der gewonnenen Seide«: Schmoller u. Hintze, Seidenindustrie (wie Anm. 2), Bd. 1, 14. Mit den ersten Befehlen, Maulbeerbaumpflanzungen zu unternehmen, stellten sich auch die ersten Schriften ein, die entweder genaue Anleitung zum Seidenbau oder den dazugehörigen Einzelschritten geben wollten oder aber das Werk an sich zu rechtfertigen suchten. Vgl. ebd., 14–16. Edict (wie Anm. 4), Bl. 8 f. In dem 1744 an G.A. Francke ergangenen Reskript heißt es außerdem, der Seidenbau sei ein »den Waysenhäusern selbst sehr nützliche[s] und dem Publico höchst ersprießliche[s] Werck«. AFSt/W, II/–/43/1, Bl. 21. Nach Auffassung Friedrichs II. gab es beim Seidenbau nur Gewinner. AFSt/W, II/–/43/1, Bl. 22.

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reits seit den ausgehenden 1720er Jahren problematisch geworden war.9 Auch Friedrich II. stand den Hallensern zeitlebens skeptisch gegenüber, und auch wenn er nicht offen gegen sie vorgehen konnte und wollte,10 tat G.A. Francke dennoch gut daran, sich dem König gegenüber dienstbeflissen zu geben. So beendete er seine Briefe an den König oder die Berliner Regierung meist mit Floskeln, die seine Loyalität bezeugten und gleichzeitig dazu aufriefen, seine Treue nicht unbelohnt zu lassen, so auch in seinem ersten Brief an Friedrich II. bezüglich des Seidenbaus: »Dabey aber [unter]stelle besonders die sämtl. Anstalten des hiesigen Waysenhauses nebst mir Ew. Excl. hohen Wohlwollen und erbitte bei demselben mir ferner unterthanig in bedürftenden fällen einen gnädigen Zutritt«.11 Jürgen Lübbert hingegen, der bereits vor mehr als hundert Jahren die Akten zum Seidenbau umfassend bearbeitet und den Verlauf des letztlich gescheiterten Projekts zuverlässig dargestellt hat,12 behauptet, dass G.A. Francke den Seidenbau in erster Linie deshalb mit so großem Eifer betrieben habe, weil er selbst von der genannten Begeisterungswelle erfasst worden war, mithin die wirtschaftlichen Hoffnungen teilte und Gewinne für die Stiftungen erzielen wollte.13 Man kann diese These nicht stichhaltig an den Seidenbau-Akten belegen,14 und der Autor räumt auch selbst ein, dass es sich nur um eine Ver9 Udo Sträter schreibt: »Der Tod Friedrich Wilhelms am 31. Mai 1740 beendete das gute Einvernehmen zwischen der Familie Francke und dem preußischen Königshaus; Friedrich II. hatte schon als Kronprinz heftige Aversionen gegen Gotthilf August Francke entwickelt und nutzte sich bietende Gelegenheiten, dem vermeintlichen ›Mucker‹ in Halle seine Abneigung zu zeigen.« Udo Sträter: Gotthilf August Francke, der Sohn und Erbe. Annäherungen an einen Unbekannten. In: Reformation und Neuzeit. 300 Jahre Theologie in Halle. Hg. v. Udo Schnelle. Berlin [u. a.] 1994, 211–232, hier: 222. Benjamin Marschke hat zudem darauf hingewiesen, dass das Verhältnis zwischen preußischem Königshof und Halleschem Pietismus bereits vorher gespannt gewesen war: »Rather than imagining a long-lasting alliance based on cooperation, we could better understand a brief bloom of their relationship, characterized by infiltration, dissent, and subversion.« Benjamin Marschke: Halle Pietism and the Prussian State: Infiltration, Dissent, and Subversion. In: Pietism in Germany and North America 1680–1820. Hg. v. Jonathan Strom, Hartmut Lehmann u. James Van Horn Melton. Farnham 2009, 217–228, hier: 228. 10 Sträter betont, dass die Stiftungen v. a. in den Krisenzeiten des Siebenjährigen Krieges eine soziale Stabilität in ihrem Umfeld schaffen konnten, auf die der König nicht verzichten konnte; vgl. Sträter, Gotthilf August Francke (wie Anm. 9), 222 f. 11 AFSt/W, II/–/43/1, Bl. 25. Dass Franckes Hoffnung, den König durch das intensive Betreiben des Seidenbaus zufrieden zu stellen und ihn sich dadurch gewogen zu machen, keineswegs abwegig war, zeigt das königliche Edikt von 1750, in dem Friedrich II. in Richtung der Magdeburger Ritterschaft verlauten lässt: »Zu unserer dortigen Ritterschaft aber haben Wir das allergnädigste Vertrauen, sie werde dabey von selbst ihren eigenen Nutzen und mit der Zeit daraus herkommenden Vortheil beobachten, auch Unsere allergnädigste Intention wegen des einzuführenden Seiden-Baues nach Vermögen zu secundieren und sich dadurch Unserer Gnade desto mehr theilhaftig zu machen beflissen seyn.« Reglement, Wegen Fortsetzung Der Maulbeer-Plantagen und Vermehrung Des Seiden-Baues im Herzogthum Magdeburg. Berlin 1750. AFSt/W, II/–/43/1, unpaginiert. 12 Vgl. Lübbert, Seidenbau (wie Anm. 3). 13 Vgl. ebd., 31 f. 14 Lübbert (ebd., 24) verweist zwar auf einen Aufsatz (»Kurtzer Bericht von der bey dem Way-

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mutung handelt.15 Auch scheint zunächst gegen eine Behauptung von großem eigenen Willen Franckes zu sprechen, dass er in seinem ersten Brief an J.G. Wagner in Venedig, bei dem er Maulbeerbaumsamen bestellte, schreibt, er sei »vermöge eines Königlichen Befehls genöthiget […], weiße Maulbeer Bäume zu Behuf des Seydenbaues anziehen zu laßen«.16 In einem Brief an den Baron von Greiffenpfeil vom 29. November 1755 jedoch heißt es: Daß der Herr die zum Seiden Bau gemachte Anstalten bey [unserem] Waysenhause gesegnet, und dieselbige Eignung finden laßen, solche[s] habe mit Dank zu erkennen. Ich habe die Sache blos aus gehorsam angefangen, und weis übrigens daß man sich auf die Gunst der Welt nicht zu viel zu verlassen habe. Gott ist auch so treu, daß er es nicht an Prüfungen fehlen läßet.17

Wenn Gotthilf August Francke schreibt, er habe nur aus Gehorsam mit dem Seidenbau begonnen, meint er damit hier offensichtlich nicht den Gehorsam gegenüber seinem preußischen Landesherrn, sondern den Gehorsam gegenüber Gott, wie sich aus dem zweiten Teil des Satzes ergibt, in welchem er sich von der »Gunst der Welt«18 abgrenzt. Noch deutlicher wird diese Überzeugung, den Seidenbau auf göttlichen Befehl hin zu betreiben, im letzten der zitierten Sätze ausgedrückt, wenn G.A. Francke die Schwierigkeiten, die der Seidenbau zuweilen bereitete, als eine Prüfung Gottes interpretiert und sogar Gott eine gute Absicht damit unterstellt. Sein Motivator sowie die Autorität, der der Seidenbau letztlich untersteht, ist damit für Francke nicht Friedrich der Große, sondern Gott. Der Befehl des Königs war nur der Anlass, mit dem Seidenbau zu beginnen, aber verpflichtet fühlte sich G.A. Francke ausschließlich Gott, der für ihn der Antrieb zum Weitermachen blieb. 2. Das Unternehmen des Seidenbaus war von Anfang an durch zahlreiche äußere Widrigkeiten bedroht. Die Vermutung des Königshauses, »sowol das

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senhause […] angerichteten Maulbeer-Plantage […]«, erschienen 1750 in den Wöchentlichen Hallischen Anzeigen, 717ff), in dem G.A. Francke den Seidenbau als wirtschaftlich profitables Unternehmen wärmstens empfahl, doch stammt dieser Text aus dem Jahr 1750 und kann deshalb nicht belegen, dass Francke diese Meinung schon 1744 hatte. »Hatte er, wie ich glauben möchte, den Betrieb des Seidenbaues nicht bloss deshalb mit solcher Entschiedenheit und solchem Eifer in Angriff genommen, weil der König es allen Waisenhäusern so gebot, sondern vielmehr deshalb, weil er von dem Gedanken des Königs selbst begeistert war«. Lübbert, Seidenbau (wie Anm. 3), 31. AFSt/W, II/–/43/1, Bl. 51 f. AFSt/H, C 405, 21. »Gunst der Welt« ist typisch pietistischer Sprachgebrauch und umfasst ein weites Bedeutungsspektrum, jedoch ist allen Zusammenhängen gemein: »Wortzusammensetzungen mit Welt- sind […] im pietistischen Schrifttum durchweg negativ gebraucht und bezeichnen den Gegensatz zum Göttlichen«. August Langen: Der Wortschatz des deutschen Pietismus. Tübingen 21968, 117. Die additive Formulierung (»und weis übrigens«) des Satzes schließt jedoch eine Interpretation aus, die behauptet, Francke habe zwar nur im Gehorsam seinem König gegenüber den Seidenbau begonnen, wisse allerdings, dass man sich auf die Gunst der Welt nicht zu verlassen habe.

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Clima als Terrain«19 seien in Preußen durchaus geeignet für den Seidenbau, schien sich nicht zu bewahrheiten. Sowohl die Bäume als auch später die Seidenwürmer litten unter der Kälte und Feuchtigkeit Preußens,20 die nicht ihrem ursprünglichen Lebensraum entsprachen. Auch wenn die Regierung ein Scheitern aus meteorologischen Gründen nicht anerkannte, stattdessen den Beteiligten Inkompetenz vorwarf und an Instrukteure verwies,21 half auch der stärkste Fleiß nichts gegen die natürlichen Verhältnisse. Ein weiteres Problem bildeten Scharlatane, die durch die plötzlich angestiegene Nachfrage nach Maulbeerbaumsamen und Seidenraupen-Grains (Seidenraupeneier) Profit machen wollten und minderwertige Ware verkauften.22 Obwohl der Seidenbau der Stiftungen somit mit herben Rückschlägen und Hindernissen zu kämpfen hatte und scheinbar nicht richtig in Gang kommen wollte, erreichte das Waisenhaus in der Mitte der 1750er Jahre den Status des »bei weitem […] bedeutendste[n] Seidenzüchter[s] des Herzogtums Magdeburg und eine[s] der bedeutendsten, wenn nicht gar de[s] bedeutendste[n], in der ganzen brandenburg-preußischen Monarchie«.23 G.A. Franckes oben genannte Meinung, dass der Seidenbau von Gott gesegnet sei, kann neben anderen Faktoren ein Grund dafür sein, wieso dies gelang, denn dadurch war der Seidenbau für ihn nicht nur ein lästiger Befehl des Königs,24 sondern besaß für ihn eine ungleich höhere Priorität. Es liegt außerdem nahe zu vermuten, dass dieses Vertrauen darauf, dass die Bemühungen zum Seidenbau von Gott gewollt und gesegnet und Rückschläge nur als Glaubensprüfungen zu verstehen seien, dazu führten, 19 Edict (wie Anm. 4). 20 Diese Gründe für die Schwierigkeiten bei der Anlegung von Maulbeerbaumplantagen nennt in unseren Akten als erstes der Gärtner, der in Glaucha damit betraut wurde: AFSt/W, II/–/43/1, Bl. 2. Auch beim Waisenhaus zeigte die für die Pflanzen ungünstige Witterung bald ihre Wirkung, teils in einer Verminderung des Baumbestandes, teils in einem deutlichen Rückgang des pro Baum anfallenden Laubes: »man ließe sich auch durch des Gärtners im December und Febr. erstattete widrige relationes, als stünden die Bäume in vollen Saft, und würden den vermuthlichen späten frost nicht aushalten können, in der Hofnung von einer glücklichen Betreibung nicht irren; vielmehr verschrieb man noch im April 6 Loth Grains von Berlin. Allein da man im Anfang des Mai-Monaths mit der Anstellung im Begriff war, fiel ein solcher harter Frost ein, daß sämtliches bereits ziemlich herausgegangenes Laub mit ein mal verwelckte«. G.A. Francke im November 1751, AFSt/W, II/–/43, Bl. 179–182. 21 Als Antwort auf den in Anm. 20 genannten Brief, in dem Francke von den Schwierigkeiten des Halleschen Seidenbaus berichtete, verwies Friedrich II. das Direktorium des Waisenhauses an den Berliner Konsistorialrat Hecker, »um bey gedachten Waysenhause die Fehler und Mängel, so etwa bey dem Seyden Bau entstanden zu examiniren«. AFSt/W, II/–/43/1, Bl. 184. 22 Am 29. 10. 1751 beschwerte sich Francke in einem Brief an den Grafen Christian Ernst von Stolberg-Wernigerode über »die Schwierigkeit, daß man zuweilen mit untauglichen Saamen betrogen wird, wie mirs etliche mal gegangen, da ich sonst noch viel eher meine Plantage zu Stande gebracht haben würde.« AFSt/H, C 703, 84. 23 Lübbert, Seidenbau (wie Anm. 3), 28. 24 Daran, mit wie viel Nachdruck der König immer wieder an seine Befehle gemahnen musste, zeigt sich, mit wie wenig Enthusiasmus große Teile Preußens dem Seidenbau gegenüberstanden. 1750 musste Friedrich beispielsweise in einem allgemeinen Reglement einige Klöster namentlich dazu auffordern, seinen Befehlen Folge zu leisten: Reglement (wie Anm. 11), 2 f.

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dass etwaige Misserfolge für ihn kein Grund zum Aufgeben waren. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Haltung mitursächlich für seinen im Hinblick auf Preußen außerordentlichen Erfolg mit dem Seidenbau war. 3. Die Auffassung G.A. Franckes, dass Gott die wirtschaftlichen Bemühungen der Stiftungen gesegnet habe, kennen wir bereits von seinem Vater.25 Auch August Hermann Francke war davon überzeugt, dass der steile wirtschaftliche Aufstieg der Stiftungen entscheidend auf Gottes Wirken zurückzuführen war. Was die Beurteilung von wirtschaftlichen Misserfolgen angeht, sind Vater und Sohn allerdings allem Anschein nach nicht einer Meinung. August Hermann Francke sieht wirtschaftlichen Erfolg als ein Zeichen, dass man im Gnadenstand sei, woraus Ernst Bartz folgert, »daß dann dauernder Mißerfolg [für A.H. Francke] die Unkenntnis der Führungen Gottes aufdeckt und der Gnadenstand deshalb verloren ist«.26 Diese sehr pointierte These wäre aus heutiger Sicht möglicherweise einer eingehenderen Untersuchung zu unterziehen; allerdings ist die grundsätzliche Schlussfolgerung aus der nur einseitig formulierten Ansicht Franckes zumindest logisch folgerichtig und kann deshalb als Basis für die Analyse dienen. Gotthilf August Francke hingegen schreibt, wie bereits oben zitiert, dass die Schwierigkeiten, die den Fortschritt des Seidenbaus hemmten, eine »Prüfung«27 Gottes seien. Es ist bemerkenswert, dass G.A. Francke sich in diesem Punkt zu einer anderen Sichtweise als sein Vater entschließt, denn wenn er der impliziten Meinung seines Vaters gefolgt wäre, hätte er annehmen müssen, sich durch den andauernden wirtschaftlichen Misserfolg nicht mehr im Gnadenstand zu befinden. G.A. Francke formuliert die Folgen seiner Sichtweise folgendermaßen in einem Brief vom 2. Juni 1769 an die Magdeburgische Kriegs- und Domänenkammer: »Obwohl bei dem hiesigen Seidenbau […] wenig gewonnen wird, so wird doch derselbe bei hiesigem Waisenhause nach aller Möglichkeit poussiret«.28 Auch wenn Gotthilf August Francke das Projekt auf Veranlassung des Königs begonnen hat, war es dennoch von Anfang an sein eigenes Vorhaben. Planung und Durchführung nahm er sofort in die eigene Hand, und auch trotz regelmäßig eingeforderter Berichte und von der Obrigkeit zugewiesener Hilfe ging jene Eigenständigkeit nie verloren. Wahrscheinlich ist dieses enorme Bemühen mit dafür verantwortlich, dass die Stiftungen zeitweilig der wichtigste Seidenproduzent im preußischen Herrschaftsgebiet waren. Die Kraft für diesen Einsatz konnte sich nicht aus den Erfolgen speisen, denn selbst in den Jahren des Aufschwungs blieb das wirtschaftliche Ergebnis stets hinter den hohen Erwartungen zurück. Was G.A. Franckes Engagement aufrechterhielt, 25 A.H. Franckes Großer Aufsatz ist ein einziges großes Exempel dieser Auffassung (Otto Podczeck: August Hermann Franckes Schrift über eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts. Der große Aufsatz. Mit einer quellenkundlichen Einführung. Berlin 1962). 26 Ernst Bartz: Die Wirtschaftsethik August Hermann Franckes. Harburg-Wilhelmsburg 1934, 25. 27 AFSt/H, C 405, 21. 28 AFSt/W, II/–/43/2, Bl. 18.

Gotthilf August Francke und der Seidenbau

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war seine feste Überzeugung, dass die Rückschläge nur eine Prüfung Gottes seien, nicht ein Zeichen dafür, dass er vom rechten Weg abgekommen sei. Der Erfolg des Seidenbaus liegt also nicht in den finanziellen Gewinnen (denn diese gab es gar nicht); wenn man überhaupt von einem Erfolg sprechen kann, dann mag er darin bestehen, dass Gotthilf August Francke seinen Vater in puncto Gottvertrauen im Blick auf die obrigkeitliche Anordnung möglicherweise übertroffen hat. Es scheint, dass der Vater gegenüber dem Sohn im Konflikt zwischen Ökonomie und Theologie anpassungsfähiger und damit vielleicht auch klüger gehandelt hat.

Hans-Jürgen Schrader

Fürstengnade und Lotterie Modalitäten der Finanzierung der Berleburger Bibel

Hoher Idealismus und ein Beklagen der schwachen Kräfte bei fortwährender wirtschaftlicher Misere haben das Riesenunternehmen des Berleburger Bibelwerks durch die beiden Jahrzehnte seiner Entstehung hindurch als ein Cantus firmus begleitet. In für alle Beteiligten quälend langen Abständen waren die Übersetzung aus den Urtexten und die deren Textmenge bei weitem übersteigende opulente Kommentierung entstanden und hatten in Intervallen von jeweils zwei bis drei Jahren die acht dickleibigen Foliobände im Gesamtumfang von 6.200 Seiten zwischen 1726 und 1742 fertig gedruckt und unter die Leute gebracht werden können. »Die Welt prangt mit Ueberfluß, und Christus erscheinet in einer armen Gestalt« – so seufzten die Herausgeber, als nach fast zehn Jahren 1735 endlich die Evangelien erreicht waren und sie in der Vorrede ankündigen mussten, dass von nun an aus Gründen der Sparsamkeit der Schriftgrad gegenüber dem Alten Testament verkleinert und ein raumsparenderes Layout verwendet werden müsse, bei dem nicht mehr der deutlich größer gesetzte Bibeltext im oberen Teil jeder Seite vom darunter positionierten Wort-für-Wort-Kommentar abgehoben ist, sondern die Erläuterungen im Satzspiegel den Einzelversen oder Versgruppen direkt nachfolgen: »Denn die Armuth hat das Werck noch in keinem mehrern Glantz darlegen können«.1 Gegenüber den ungeduldig werdenden Subskribenten und Abonnenten wird die Vorrede-Klage beim Ausliefern des sechsten Teils mit der Apostelgeschichte und den neutestamentlichen Briefen noch beredter: Wir haben uns keines Capitals oder vornehmen Wolthäters bey diesen Blättern zu rühmen, wie die Hällische Bibel an dem Herrn Baron von Canstein. Unser Deutschland ist auch noch bißdato nicht so glücklich, gewisse Gesellschafften erweckter Seelen aufzuzeigen, die von ihrem Ueberfluß zum Behuf einer so nützlichen Arbeit etwas beytrügen, wie in Engelland dergleichen gottselige Gesellschafften von so mancherley Gattung anzutreffen, die vor aller Welt beweisen, daß sie nicht so am 1 Der Heiligen Schrifft Fünffter Theil/ oder des Neuen Testaments Erster Theil. Gedruckt zu Berlenburg, Im Jahr der Menschwerdung Christi 1735, )( 4v. Die Layout-Reform erfolgte, angesichts der zunehmend enger werdenden Wirtschaftslage, auf persönliche Anordnung des regierenden Grafen Casimir zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg an den Bibel-Übersetzer und Herausgeber Johann Friedrich Haug, vgl. den Nachweis bei Hans-Jürgen Schrader: Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus. Johann Henrich Reitz’ »Historie Der Wiedergebohrnen« und ihr geschichtlicher Kontext. Göttingen 1989, 472, Anm. 241.

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Hans-Jürgen Schrader

Irdischen kleben, sondern GOtt zu Ehren und dem Nächsten zum Dienst gern das Ihrige sehr reichlich hergeben […]. Aber dem allen ungeacht, ob wir uns gleich keines äusserlichen Beytrags bey dieser Arbeit zu rühmen, so haben wir doch die Güte des HErrn desto mehr dabey zu preisen, als der doch noch immer so viel Mittel beschehret, daß der Druck nicht hat därffen ausgesetzt werden. Man wird es aber auch diesem armseligen und bey so dürfftigen Umständen fortgesetzten Werck nicht verübeln können, wenn es nicht so herrlich und prächtig erscheinen kan, als andere Bibel=Wercke. Man hat gethan, was man gekönt, und so weit das Vermögen zugereicht. Genug, wir können mit Wahrheit und Danck=beflissener Seele sagen: Biß hieher hat uns der HErr geholffen!2

Als es aber weiterhin nur schleppend voranging, muss das Murren im Publikum über den sich weiter ins Unabsehbare hinauszögernden Werkabschluss mit Drohungen von Abbestellungen und der Einstellung fernerer Zahlungen unüberhörbar geworden sein. In der Rare Books-Sammlung des pennsylvanischen Juniata College der auf wittgensteinische Täufer-Exulanten zurückgehenden Church of the Brethren machte mich Donald F. Durnbaugh auf einen »Jm Julio 1737.« an die Bezieher des Mammutunternehmens gerichteten, der Forschung unbekannt gebliebenen Einblattdruck mit dem Titel »Avertissement wegen der grosen Berlenburgischen Bibel« aufmerksam, der einen dramatischen Krisenmoment fünf Jahre vor dem endgültigen Abschluss beleuchtet. Ich zitiere aus diesem rührenden Dokument der Überforderung der Editoren durch die Dimension und wirtschaftliche Ungesichertheit der übernommenen Aufgabe und der Verärgerung über die zunehmende Ungeduld und Zahlungsunwilligkeit ihres Publikums: Nachdem auf die in verwichener Oster=Meß 1737. geschehene Auslieferung des VIten Theils gedachter Bibel sich unter den Interessenten bey manchen eine zimliche Unzufriedenheit geäussert, daß so viel Theile gemacht würden, ohne daß man wüßte, was noch kommen sollte; andere aber auch ohne Unwillen in geziemender Bescheidenheit nur um einigen Bericht deßwegen Ansuchung gethan, wie es mit dem übrigen noch Rückständigen der Bibel würde gehalten werden: so hat man diesem Begehren zufolg keinen Anstand nehmen wollen, die dißfalls gebührende Nachricht dahin zu ertheilen: daß man nicht gesonnen, mehr als noch einen Theil zu machen, damit es bey der Sieben=Zahl beruhe. Darein müssen dann gebracht werden die noch übrigen wenigen Episteln nebst der Offenbahrung, und dann die apocryphischen Bücher A.T. das Buch der Weißheit, Sirach, und die andern. Wenn denn noch was Platz nach der bestimmten Gröse würde übrig bleiben, so wollte man auch einige apocryphische Schrifften des N. T. als die Testamente der 12 Patriarchen, des Apostolischen Jüngers Hermæ Gesichte u.d.g. mit einrücken. Um solcher willen aber wird man nicht noch einen neuen Theil veranstalten. Da auch viele lieber kein Register dabey verlangen, so kan solches auch wol weggelassen werden. Finden sich nachhero einige Liebhaber dazu, die es ver2 Der Heiligen Schrifft Sechster Theil/ oder des Neuen Testaments Zweyter Theil. Gedruckt zu Berlenburg, Im Jahr der Menschwerdung Christi 1737, )( 4v.

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langen; so kan denen zu Dienst ins besondere noch wol was geschehen, ohne daß andere mit daran därfften gebunden seyn. […] Daß es etwas langsam mit der Arbeit zugegangen, lang damit gewähret, manche darüber gestorben; gibt man gerne zu: es hat sich aber auch geschwinder niemals thun lassen […] Sind einige darüber gestorben, so ist doch die Bibel geblieben; und kommt andern, die an jener Platz kommen, wieder in die Hände, daß sie doch ihren Nutzen schaffen kan. Und worüber sterben nicht Menschen? […] Was die Kosten der Zahlung bey so vielen Theilen betrifft, so ist einmal das gewiß, daß man vor das Geld redlich seinen Werth bekommt auf eine gar nützliche und heylsame Weise. Und dabey ist das ja eben ein Vortheil, daß es so langsam gehet: denn so darff man auch langsam zahlen. Man wird also kaum gewahr, wie man dazu kommt. Wie kan es dann saur werden? Man spürts nicht; und darff ja kaum die Woch einen Kreutzer dazu zurücklegen. Die Billigkeit hoffet Gehör zu finden bey der Bescheidenheit, und hinwiederum: Und in diesem Vertrauen bittet man sich von dem Kern der Interessenten unter Anwünschung alles göttlichen Segens ihre weitere Gunst und die nöthige Gedult bis ans E N D E.3

Der Idealismus, vielleicht auch der Eigensinn der Editoren hielt aber doch über den hier versprochenen Abbruch nach dem Erreichen der heiligen Siebenzahl der Bände hinaus stand. Keineswegs nämlich waren sie gewillt, jenseits der 1739 noch im siebenten Teil der Johannes-Apokalypse nachgestellten hellenistischen Spruchsammlungen »Weißheit Salomonis«, »Buch Jesus Sirachs« und »Anhang weiser Sprüche aus den Zeiten N.T.« das noch ergänzend Geplante der prekären Ökonomie oder der Unlust eines Teils ihrer Klientel aufzuopfern: 1742 lieferten sie nicht als Zusatzangebot für nur einen Teil der Kunden, sondern als integralen Bestandteil ihres Bibelwerks einen achten Teil hinzu, in dem sie die übrigen für ihre spekulative Theologie wichtigen »Apo3 Avertissement wegen der grosen Berlenburgischen Bibel, Jm Julio 1737. Das Blatt ist in der Juniata College Library aufbewahrt in der von Abraham Harley Cassel hinterlassenen Sondersammlung zumeist früher deutsch-amerikanischer Drucke: Treasure Room Bibles, f220.531, PR 3d, 1737. Ich drucke das wichtige, vielleicht nur in diesem Exemplar erhaltene Dokument mit freundlicher Genehmigung der Leiterin der Special Collections im Juniata College, Frau Hedda T. Durnbaugh, am Ende dieses Aufsatzes in Gänze ab. – Einen früheren amtlichen Aufruf zu fortgesetzten Pränumerationszahlungen, »Avertissement wegen des Berlenburgischen Bibel=Drucks« vom 14. Juni 1735, hat J. Jürgen Seidel im Zürcher Staatsarchiv gefunden. Darin werden die »Herren Liebhaber« aufgefordert, der »Förderung dieses guten Wercks (zumal da es mit der Bibel=Arbeit immer näher zum Ende kommt) den echten Nachdruck zu geben, mit der fernern Praenumeration ungesäumt, und zwar von dato an bis in die Herbst-Meß a.c., sich einzufinden […]; damit den Arbeiten dabey, wegen der zimlich-schweren Unkosten des Verlags, die Sache desto leichter gemacht werde.« J. Jürgen Seidel: Die Berleburger Bibel (1726–1742) in der Schweiz. In: Schweizer Kirchengeschichte – neu reflektiert. Festschrift für Rudolf Dellsperger. Hg. v. Ulrich Gäbler u. Hans Schneider. Bern [u. a.] 2011, 225–242, hier: 229 f.

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cryphischen Schrifften des Alten und Neuen Testaments« unterbrachten, sogar eine »Ergäntzung der Jüdischen Historie der Schrifft […] aus Flavii Josephi Elfftem Buch der Jüdischen Geschichten« – und auch das »Haupt=Register über alle 8 Theile dieser Bibel«. Darin nämlich konnte man gezielt zu für die radikalpietistische Theologie so wesentlichen Text- und Erläuterungspassagen geführt werden wie etwa zu »Absterbung seiner selbst«, »Centrum der Seelen«, »Chymie wahre geistliche«, »Inspiration« und »Maul=Christenthum«, ferner zu »Neue Geburt«, »Philadelphischer geistlicher Zustand«, »Propheten=Amt der wahren Kinder Christi« und »Prüfung der Geister«, zu »Reich Gottes«, »Separatismus«, »Wiederbringung aller Dinge«, »Wiedergeburt« und »Zukunfft Christi«. Die Vorrede zeigt die Erleichterung über den doch noch erreichten Abschluss: ENdlich ist es mit GOttes Hülffe so weit gelungen, daß dieses Biblische Werck in seiner Maase gantz erscheinet, woran sonst gar viele gezweifelt und verzweifelt haben; ja noch vollständiger worden, als man es darzulegen gesinnet war […]. O wie hat es sich müssen durchplacken und durcharbeiten! daß es wol Wunder ist, wie es so weit hat kommen mögen. GOtt aber hat beygestanden und durchgeholffen bis zum Ende, ob es schon kümmerlich zugegangen.4

Die ganze Geschichte der radikalpietistischen Berleburger Druckerei- und Verlagsunternehmungen zwischen 1714 und 1749 mit dem Erscheinen und der Verbreitung von weit über hundert oft dickleibigen und mehrbändigen Titeln einer kirchenkritischen und heterodoxen, asketisch-erwecklichen und mystisch-quietistischen Literatur, von der ein Großteil nach den rigide konfessionalistischen Zensurbestimmungen im Reich nie hätte erscheinen dürfen, mit ihrem markanten Einfluss auf die Erweiterung der Toleranzgrenzen und auf die Ideen-, Sprach- und Literaturgeschichte der Goethezeit habe ich in meiner Monographie über Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus von 1989 bereits unter gezielt wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen vorstellen können.5 Der auch mengenmäßig so gewichtige Berleburger 4 Der Berlenburgischen Bibel Achter und Letzter Theil. Berlenburg/ Gedruckt im Jahr Christi 1742, )(2r. Gegen einen kritischen Rezensenten wird da in all der Beliebigkeit wunschgerecht applizierbarer Bibelstellen verteidigt, dass nach der angekündigten Vollendung mit der Sieben-Zahl doch noch dieser »Achte Theil in Druck erscheinet«: »Denn er bezeugte ein Wolgefallen daran, […] daß es bey sieben Theilen bleiben sollte, und sein Urtheil war; es wäre gut, daß kein Achter Theil mehr folgen sollte, denn Acht wäre die Zahl des Antichrists und von keiner guten Bedeutung. Aber die achte Zahl ist so schlimm nicht, daß sie nicht auch ihr Gutes haben sollte. Der achte Tag des Lauberhütten=Fests war ehmals der herrlichste. Joh. 7,37. Und deren die von der Sündfluth errettet worden waren achte. […] Es ist also eine volle Zahl, […] das Oel […] das oben über allen gesetzlichen Ceremonien und der Siebenzahl des gesetzlichen Sabbaths schwimmet.« Ebd. 5 Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1). Auf die Berleburger regional-, wirtschafts- und frömmigkeitsgeschichtlichen Voraussetzungen sowie auf die Geschichte der dortigen Druckerei (Titelliste: 201–221) und des Erwecktenverlags bin ich in dieser anhand des Leitparadigmas der verbreitetsten Biographiensammlung des Pietismus verschiedene Zentren heterodoxer Publikationen und ihre zensurgeschichtlichen Bedingungen beleuchtenden Abhandlung insbesondere

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Beitrag zum pietistischen Buchhandel verdankt sich außer dem fast grenzenlosen persönlichen Einsatz der beteiligten Unternehmer, die ihr rastloses Wirken und ihren wirtschaftlich kaum rentablen Kapitaleinsatz dezidiert als Aufbauarbeit am Reich Gottes verstanden,6 der exzeptionellen Konstellation eines ebenso frommen wie prestigebewussten und profilierungsbetont merkantilistisch aktiven Landesherrn mit der in seinem Lande schon traditionell willkommenen und nun planmäßig angesiedelten Schar intellektuell und religiös unruhvoller Geister. Die waren aus ihren Herkunftsländern aufgrund dogmatischer Konflikte mit ihren Kirchenbehörden vertrieben worden und hatten hier schon um 1700 eine überkonfessionelle »philadelphische« Gemeinschaft gebildet,7 die in den 1730er Jahren ihren Höhepunkt fand, jedem seine individuellen Religionsüberzeugungen beließ, aber zusammenwirkte zu einer fundamental christlichen Lebens- und Gesellschaftsreform. Die auch mit dem Grafenhaus in ungewöhnlich enger persönlicher Verbindung stehenden Querdenker waren selbst besonders fleißige Manuskriptlieferanten für den Berleburger Buchbetrieb, stifteten aber auch vielfältig Kontakte zu anderen ebenso radikal gesonnenen pietistischen Autoren und engagierten sich für die Distribution des Erweckten-Verlags und den religiösen Sortimentbuchhandel. auf 66–73, 89–106, 125–130, 175–238 eingegangen (mit den jeweiligen Belegen und Literaturnachweisen im Anmerkungsapparat). Die Ergänzungen der seither (insbesondere durch die Findigkeit von Johannes Burkardt und Ulf Lückel) aufgetauchten zusätzlichen Titel von Berleburger Druckerzeugnissen habe ich zusammengestellt in Hans-Jürgen Schrader: Zores in Zion. Zwietracht und Missgunst in Berleburgs toleranz-programmatischem Philadelphia. In: Von Wittgenstein in die Welt. Radikale Frömmigkeit und religiöse Toleranz. Hg. v. Johannes Burkardt u. Bernd Hey. Bielefeld 2009, 157–194, wo auch der Zusammenhang mit den philadelphischtoleranzprogrammatischen Ideen und Aktivitäten bis hin zu Goethe und das partielle menschliche Versagen vor dem hehren Ideal der auf ein gemeinsames religiöses Ziel gerichteten Bruderliebe reflektiert werden (dort spezifisch zur ›Berleburger Bibel‹ 183 f und 188–193); jetzt auch in Hans-Jürgen Schrader: Literatur und Sprache des Pietismus. Ausgewählte Studien. Mit einem Geleitwort von Bischöfin Petra Bosse-Huber. Hg. v. Markus Matthias u. Ulf-Michael Schneider. Göttingen 2019, 591–623, zur Bibel 614 f, 617–622. 6 Belege im Abschnitt zur Johann Jacob Haugschen Verlagsbuchhandlung (die nicht, wie in der Forschung häufig, mit dem Druckereibetrieb verwechselt werden darf) bei Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 227–238. 7 Grundlegende Zusammenfassung der zuvor nur isoliert gesehenen Gruppierungen, Denkansätze, Vernetzungen und Forschungslinien bei Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 63–73, 374– 386. Überarbeitet wieder abgedruckt unter dem Titel: Terminologische und historische Eingrenzungen. Pietismus – Radikalpietismus – philadelphische Bewegung. In: ders., Literatur und Sprache (wie Anm. 5), 19–62. Im knappen Aufriss weiterführend Hans Schneider: Der radikale Pietismus im 17. Jahrhundert. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 1: Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert. Hg. v. Martin Brecht. Göttingen 1993, 391–437, hier: 405–421, Lit. 428–437. Vgl. dazu neuerdings Peter Vogt: ›Philadelphia‹ – Inhalt, Verbreitung und Einfluss eines radikal-pietistischen Schlüsselbegriffs. In: Interdisziplinäre Pietismusforschungen. Beiträge zum Ersten Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2001. Bd. 2. Hg. v. Udo Sträter [u. a.]. Tübingen 2005, 837–848; für eine der Einflusslinien Douglas H. Shantz: Between Sardis and Philadelphia. The Life and World of Pietist Court Preacher Conrad Bröske. Leiden u. Boston 2008, auch Schrader, Zores in Zion (wie Anm. 5), 161–168, bzw. ders., Literatur und Sprache (wie Anm. 5), 595–601.

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Seit dem Zugänglichwerden des nicht im Bad Berleburger Schlossarchiv der Fürsten zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, sondern im Synodalarchiv des Kirchenkreises Wittgenstein aufbewahrten umfänglichen Aktenkonvoluts »Acta der evang. Kirche zu Berleburg betreffend: Druck der Berleburger Bibel 1722 [bis 1732]«8 ist weit deutlicher als zuvor zu erkennen, dass das große Bibelwerk als die umfassendste Leistung der philadelphischen Berleburger Exulantenkolonie ein persönliches Prestigeunternehmen des Landesherrn und Hauptunterstützers der vieltönigen Zionsgesellschaft war, des Grafen Casimir von Sayn-Wittgenstein-Berleburg.9 Mit dem Berleburger Verlagsunternehmen des Johann Jacob Haug10 war dies zwar personell und zunehmend auch institutionell auf vielen Ebenen verknüpft, doch war es als Teil des vom Grafen gegründeten Waisenhauses prinzipiell unabhängig organisiert und unter seiner persönlichen Regie direkt vom Staat und von der Landeskirche getragen.11 8 Archiv des Evangelischen Kirchenkreises Wittgenstein, Bestand Kirchengemeinde Bad Berleburg, Nr. 25: Bestandsverzeichnis von Hans Steinberg und Johannes Burkardt (zusammen mit den übrigen Findbüchern des Kreiskirchenarchivs im Internet zugänglich unter: http://www. archive.nrw.de/LAV_NRW/jsp/findbuch.jsp?archivNr=424&id=020&tektId=7; letzter Zugriff 17. 2. 2020). Umfassendere Auswertungen bei Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 183 u. 465. Das Aktenkonvolut wurde mit einigen grundlegenden Richtigstellungen zuerst genutzt von Martin Brecht: Die Berleburger Bibel. Hinweise zu ihrem Verständnis. In: PuN 8, 1982, 162–200 und ders.: Die Bedeutung der Bibel im deutschen Pietismus. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Hg. v. Hartmut Lehmann. Göttingen 2004, 102–120, hier: 106 f. Umfassender Hans-Jürgen Schrader: Pietistisches Publizieren unter Heterodoxieverdacht. Der Zensurfall »Berleburger Bibel«. In: »Unmoralisch an sich…«. Probleme der Zensur im 18. und 19. Jahrhundert. Hg. v. Herbert G. Göpfert u. Erdmann Weyrauch. Wolfenbüttel 1988, 61–88, wo die Geschichte der Berleburger Philadelphiergemeinschaft und ihrer besonderen toleranzpolitischen Lizenzen, insbesondere aber der für das heterodoxe Bibelwerk gefährlichste Einspruch der im Corpus Evangelicorum versammelten protestantischen Reichsstände im Jahr 1724/25 mit einer offiziellen Verbotsanordnung reflektiert wird, die durch das persönliche Engagement des Grafen Casimir unter Nutzung aller juristischen wie standespolitisch möglichen Winkelzüge schließlich aber doch weithin folgenlos überwunden werden konnte. Jetzt auch in ders., Literatur und Sprache (wie Anm. 5), 261–283. 9 Zu ihm grundlegend bereits Friedrich Wilhelm Winckel: Casimir, regierender Graf zu Sayn=Wittgenstein=Berleburg, und das religiös-kirchliche Leben seiner Zeit. Bielefeld 1850 = [Friedrich] A[ugust Gottreu] Tholuck (Einl.): Sonntags=Bibliothek. Lebensbeschreibungen christlich-frommer Männer zur Erweckung und Erbauung der Gemeine, IV/1 (112 S.); jetzt Ulf Lückel: Sayn-Wittgenstein-Berleburg, Casimir. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 19, 2001, 1196–1202, sowie ders.: Casimir zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. In: Wittgensteiner Pietismus in Portraits. Ein Beitrag zur Geschichte des radikalen Pietismus in Wittgenstein. Hg. v. Andreas Kroh u. Ulf Lückel. Bruchsal 2003, 113–122. 10 Dazu jüngst Johannes Burkardt: Johann Jacob Haug; pietistischer Verleger und Buchhändler. In: Biographisch Bibliographisches Kirchenlexikon 19 (wie Anm. 9), 635–637; ungezeichnetes Biogramm in: Wittgensteiner Pietismus in Portraits (wie Anm. 9), 166. 11 Die Formel für die Trägerschaft in den »Acta der evang. Kirche zu Berleburg betreffend: Druck der Berleburger Bibel 1722« lautet durchgängig »Das Waysenhaus oder Res publica«, vgl. Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 187–189 u. ö.; Ulf Lückel: Ein fast vergessener großer Berleburger: Inspektor und Pfarrer Ludwig Christof Schefer (1669–1731). Eine erste Spurensuche. In: Wittgenstein, Blätter 64, 2000, 137–159, hier: 152, nennt »das ›Unternehmen

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Das unternehmerische Dreigestirn, dem sich die Bibel sowohl intellektuell, in den Grundlagen der Übersetzung und Kommentierung, als auch institutionell in der komplizierten Konstruktion der Trägerschaft, der wirtschaftlichen Organisation und finanziellen Verantwortlichkeiten verdankt, waren grundlegend Graf Casimir selbst, der von ihm seinen laufenden Lebensunterhalt beziehende, aber auch mit dem eigenen Vermögen für das Unternehmen einstehende theologisch wie ursprachen-philologisch hochgelehrte leitende Herausgeber, Johann Friedrich Haug,12 und der Erste Pfarrer in Berleburg, Christof Ludwig Schefer,13 der zugleich als Casimirs verehrter Berleburger Bibel‹ ein offizielles Unternehmen der ›Wittgenstein-Berleburgischen Landeskirche‹«. 12 Grundlegend (mit Lit.) Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 163–178 (und Register 619); zu den Unterhaltszuschüssen seitens des Grafen Casimir (und auch durch den als Mittelsmann für den gesamten radikalpietistischen Buchmarkt einflussreichen Andreas Groß) ebd., 190, 193 f, 229, 448 f, 478; Andreas Kroh: Johann Friedrich Haug (1680–1753). In: Wittgensteiner Pietismus in Portraits (wie Anm. 9), 66–72. Zu Haugs studienreformerischem Lehrgedicht Hans-Jürgen Schrader: Johann Friedrich Haugs radikalpietistischer »Studenten=Gesang« als »Anweisung zur Seligkeit in allen Facultäten«. In: Literatur und Theologie im 18. Jahrhundert. Konfrontationen – Kontroversen – Konkurrenzen. Hg. v. Hans Edwin Friedrich, Wilhelm Haefs u. Christian Soboth. Berlin 2011, 139–160; zum Jugendengagement in der Straßburger Philadelphiergemeinschaft, das seine Entfernung aus dem Kirchendienst im Elsass herbeigeführt hatte, vgl. auch ders.: Rezension zu Michaela Scheibe: Rekonstruktion einer Pietistenbibliothek. Der Büchernachlass des Johann Friedrich Ruopp. In: PuN 35, 2009, 296–302, beide Beiträge jetzt auch in Schrader, Literatur und Sprache (wie Anm. 5), 633–655 und 657–663. Die kaum zu überschätzende Leistung und Bedeutung von Andreas Groß als Organisator des radikalpietistischen Bücher- und Warenaustauschs zeigt sich deutlich in zahlreichen der Briefe in: Die Gesellschaft der Kindheit Jesu-Genossen auf Schloß Hayn. Aus dem Nachlaß des von Fleischbein und Korrespondenzen von de Marsay, Prueschenk von Lindenhofen und Tersteegen 1734 bis 1742. Ein Beitrag zur Geschichte des Radikalpietismus im Sieger- und Wittgensteiner Land. Hg. v. Michael Knieriem u. Johannes Burkardt. Hannover 2002, z. B. 119–122, 135, 157, 180, 202, 225, 229, 237 f, 264, 269. Ein knappes Biogramm zu Andreas Groß (mit Lit.) gibt Dieter Ising im Kommentar zu Johann Albrecht Bengel: Briefwechsel. Bd. 2: Briefe 1723–1731. Hg. v. Dieter Ising. Göttingen 2012, 268. Wichtige Richtigstellungen zur Biographie und Enttarnungen einer Fülle von Andreas Groß anonym oder kryptonym publizierter Briefe, Traktate und Streitschriften gibt jetzt Hans Schneider: Anonyme, Pseudonyme, Kryptonyme. Ein Beitrag zur Bibliographie württembergischer Pietisten (W.C. Gmelin, J.F. Golther, A. Groß, E.L. Gruber). In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 117, 2017, 215–254, hier: 225–237, zu J.F. Haug ebd., 227, 231 u. 233. 13 Zusammenfassung der älteren Forschung in der postumen Publikation von Johann Georg Hinsberg: Geschichte der Kirchengemeinde Berleburg bis zur Regierungszeit des Grafen Casimir (18. Jh.). Eingeleitet, hg. u. komm. v. Johannes Burkardt u. Ulf Lückel. Bad Berleburg 1999, 78–87 (Ludwig Christoph Scheffer: Der gelehrte Inspektor). – Schefers (seinen in den Quellen – z. T. auch in Verwechslung mit dem in seinem Haus wohnenden Zweiten Stadtprediger Johann Adam Scheffer – unterschiedlich geschriebenen Namen gebe ich in der Form seiner eigenen Unterschriften wieder) tragende Rolle an dem Bibelwerk, sein enges freundschaftliches Verhältnis zum Landesherrn und die gemäßigt radikalpietistische Ausrichtung seines Wirkens und Werks sind erst jetzt überschaubar durch die grundlegende Recherche von Lückel, Ein fast vergessener großer Berleburger (wie Anm. 11), 137–159, vgl. auch schon ders.: Ludwig Christof Schefer, gemäßigt radikaler Pietist. In: Biographisch Bibliographisches Kirchenlexikon 19 (wie Anm. 9), 1226–1230, sowie ders.: Ludwig Christof Schefer (1669–1731). In: Wittgensteiner Pietismus in Portraits (wie Anm. 9), 141–146.

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Hofprediger amtierte und als Konsistorialpräsident offiziell für die Buchzensur im Lande verantwortlich war.14 Der jüngere Bruder des Editors, der schon als Verleger erwähnte Johann Jacob Haug, war von Anfang an durch seine Messebeziehungen mit anderen Erwecktenverlagen in die Vertriebsorganisation eingebunden und übernahm in den Dreißigerjahren, als der repräsentative Bau des Mittelflügels des Berleburger Schlosses eine Umwidmung der in der vorherigen Staatsträgerschaft der Waisenhausdruckerei gebundenen Mittel erforderte, auch offiziell den Bibelverlag.15 Sie alle waren überzeugte Pietisten und im besten Verhältnis zu den im Land und in der Nachbargrafschaft angesiedelten, an der gräflichen Tafel ein- und ausgehenden Separatisten, die nicht nur für Übersetzung und Kommentar wichtige Vorarbeiten zugeliefert und publiziert, sondern fallweise auch Anregungen und Anteile zur Ausarbeitung beigesteuert haben.16 Ihre Einzelbeiträge sind jedoch außer im Fall Johann Christian Edelmanns, der nach Schefers Tod ins Team geholt wurde und sich in seiner Wendung vom radikalen Spiritualisten zum kämpferischen Aufklärer bald unbeliebt machte,17 nicht mehr klar zuzuschreiben. Eine etwas konstantere Rolle scheint nur der Anhänger des prophetisch-inspirativen Wanderpredigers und Perückenmachers Johann Tennhardt, Tobias Eisler, gespielt zu haben.18 Eine wesentliche Grundlage für die Kommentierung aber 14 Vgl. Schrader, Pietistisches Publizieren (wie Anm. 8), 73. 15 Zu Johann Jacob Haug und seiner Buchhändler- und Verlegertätigkeit vgl. Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 84–100, 163–189, 227–238, 396–412, 448–469, 477–482; zu den Privatisierungsbemühungen und der Übernahme des Bibelverlags in seinen Berleburger Pietistenverlag 192–194 u. 470 f. Ganz deutlich wird die Überführung des Bibelvertriebs aus staatlicher Obhut in den Privatverlag aus der auch sonst mit Angaben über den radikalpietistischen Bücherverkehr und die Vermittlungswege und Reichweite des Handels mit Berleburger Drucken ergiebigen Korrespondenz des nach seiner regen Anteilnahme an der Berleburger Philadelphischen Gemeinschaft zum quietistischen Seelenführer der Hausgemeinde auf Schloss Hayn gewordenen Charles Hector de Marsay, dessen zahlreiche mystisch-spekulative Werke durchweg in Berleburg gedruckt worden sind: Gesellschaft der Kindheit Jesu-Genossen (wie Anm. 12), 207 f. 16 Grundlegend zusammengefasst sind die älteren Forschungen über den Mitarbeiterstab der Berleburger Bibel bei Josef Urlinger: Die geistes- und sprachgeschichtliche Bedeutung der Berleburger Bibel. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte des Quietismus in Deutschland. Diss. phil. Saarbrücken 1969, 21–42. Brecht, Berleburger Bibel (wie Anm. 8), 179 f, hat die Beteiligung einiger davon (Seebach, Schefer) in Zweifel gezogen, was für Schefer ebenso energisch wie plausibel zurückgewiesen wird bei Lückel, Berleburger (wie Anm. 11), 148 f, 151–153 und 158 f. Vgl. Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 74 f. 17 Zu Edelmann siehe Karl Guden: Johann Christian Edelmann. Ein Beitrag zur deutschen Culturund Kirchengeschichte im achtzehnten Jahrhundert. Hannover 1870; Walter Grossmann: Johann Christian Edelmann. From Orthodoxy to Enlightenment. Den Haag u. Paris 1976; Tobias Kaiser: Johann Christian Edelmann. In: Wittgensteiner Pietismus in Portraits (wie Anm. 9), 51–60; Hans-Jürgen Schrader: Goethes Verbindung zum mystischen Quietismus. Zu seinem Brief an Johann Friedrich von Fleischbein vom 3. Januar 1774. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 2016, 28–97, hier: 53–57. 18 Zu Eisler siehe Hans Schneider: Der radikale Pietismus im 18. Jahrhundert. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 2: Der Pietismus im achtzehnten Jahrhundert. Hg. v. Martin Brecht u. Klaus Deppermann. Göttingen 1995, 107–197, hier: 140, 184, 193 f, jetzt auch ders., Anonyme (wie

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hat der Graf selbst geliefert, der dafür die sämtlichen Bibelerläuterungen der französischen Mystikerin Madame Guyon ins Deutsche übersetzt hat (»zwölf sehr starke, enggeschriebene Quartbände«),19 deren Nutzung im Detail noch weitestgehend unerforscht ist. Am Vorbild der Franckeschen Anstalten in Halle, wo er selbst auch studiert hatte, hat sich Graf Casimir ganz offenbar orientiert, wenn er die von ihm 1714 installierte Druckerei in seinem plurikonfessionellen und daher auf den von den Philadelphiern angestrebten interkonfessionellen Ausgleich besonders angewiesenen Territorium mit einem 1722 hinzu gegründeten Waisenhaus verband, zu dessen kommerziellem Nutzen sie arbeiten sollte, dem sie aber eher zur Belastung als zum Gewinn gereichte, so dass auf die Länge nach Möglichkeiten zu einer Privatisierung gesucht werden musste.20 Gut merkantilistisch hat der Graf 1717 dazu auch eine eigene Papiermühle aufrichten lassen. Und wie in Halle und mittlerweile auch anderwärts, etwa in der Lemgoer Residenz von Casimirs Lippe-Brakeschem Onkel, aus der man im Halleschen Waisenhaus die ersten unter eigenem Impressum verkauften Bibeln importiert hatte,21 sollte hier eine eigene Bibelausgabe zentrale Aufgabe der frommen Gründung werden. Anm. 12), 225; vgl. zu seinen Schriften Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 377, 403, 412 (und Reg.). 19 Winckel, Casimir (wie Anm. 9), 111, danach verschiedentlich wiederholt. So auch Schrader, Pietistisches Publizieren (wie Anm. 8), 75, bzw. jetzt ders., Sprache und Literatur (wie Anm. 5), 273. Die Bände sind nach Auskunft von Johannes Burkardt (Detmold/Bad Berleburg) zusammen mit den ebenfalls erst unzulänglich ausgewerteten Tagebüchern des Grafen (Winckel, Casimir, ebd., hatte sie wohl in die Angabe der Bandzahl seiner Guyon-Übersetzung mit integriert) noch heute aufbewahrt im Bad Berleburger Schloss (Büro von Prinzessin Benedikte). Sie sind jedoch schwerer zugänglich als die Bestände der Schloss-Bibliothek und daher weithin ungenutzt geblieben. Was darüber bekannt ist, erschließt sich durch Jean-Marc Heuberger: Les commentaires bibliques de Madame Guyon dans la »Bible de Berleburg«. In: La Bible à la croisée des saviors. Hg. v. Maria Cristina Pitassi. Revue de Théologie et de Philosophie 133, 2001, 303–323 und HansJürgen Schrader: Madame Guyon, Pietismus und deutschsprachige Literatur. In: Jansenismus, Quietismus, Pietismus. Hg. v. Hartmut Lehmann, Hans-Jürgen Schrader u. Heinz Schilling. Göttingen 2002, 189–225, hier: 213–217. Die von Seidel, Berleburger Bibel (wie Anm. 3), 231 gegebene Liste der für den Kommentar genutzten Autoritäten bleibt ebenso aus Gesichertem und bloß Denkbarem kombinierte oder aus Kolportiertem unbelegt weitergegebene Vermutung wie seine Angaben über die Mitarbeiter und Förderer des Werks, über die angebliche materielle Grundlage des Drucks (»Die Finanzen kamen weitgehend vom Vermögen der Gräfin Hedwig Sophie«, 229) oder die Angabe, der Drucker Konert habe auch die gräfliche Papiermühle »errichtet« (227). 20 Zum Vorbild des Halleschen Waisenhaus-Verlags und seiner Bibeleditionen siehe Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 187 f. Während in Halle jedoch die Buchproduktion und der Vertrieb eine maßgebliche Einnahmequelle boten, konnten sie in Berleburg nie Gewinne für das Waisenhaus erwirtschaften. 21 Die erste mit dem Impressum »Halle, zu finden im Buchladen des Waysenhauses. Im Jahr MDCCII« ausgelieferte Bibel war in Wirklichkeit die mit einem neuen Titelbogen und August Hermann Franckes Vorrede ausgestattete Bibelausgabe von 1699/1700 aus der Lemgoer Offizin des Heinrich Wilhelm Meyer, von der Francke gemäß einem zwischen seinem Verlagsleiter Heinrich Julius Elers und Gräfin Dorothee Elisabeth zur Lippe-Brake geschlossenen Vertrag

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Auf die Herausgabe des repräsentativen Bibelwerks war die Druckerei neben der Herstellung von Amts- und Hofdrucksachen und Schriften der überregional bekanntesten wie der heimischen radikalen Pietisten offenbar von Anfang an ausgerichtet, denn zum Druckprogramm gehörte schon seit 1719 eine Serie von Vorarbeiten und Hilfsbüchern für die Übersetzung und Kommentierung,22 etwa ein besonders den typologischen Verweisungssinn der Wörter aufschließendes Hebräisches Wörterbuch des Hofpredigers Schefer, der als Hebraist auch bereits an der mit mystischen Buchvorreden ausgestatteten Marburger »Mystische[n] und Profetische[n] Bibel« des Henrich Horch von 1712 mitgearbeitet hatte.23 Allerdings zog der erste Druckereiinhaber Christoph Konert bereits 1722 in für ihn günstigere Verhältnisse am waldeckischen Verwaltungssitz Mengeringhausen ab, wo er seine neue Karriere auch gleich mit einem eigenen Bibeldruck und einer gesonderten NT-Ausgabe eröffnete.24 Diese Veränderung nutzte Graf Casimir, um den Bibel-Plan tausend Exemplare nach Halle geordert hatte. Einen in der Folge unbeachtet gebliebenen Klärungsversuch, der schon die Spur nach Lemgo in den Blick brachte, gab es bereits bei August Schürmann: Zur Geschichte der Buchhandlung des Waisenhauses und der Cansteinschen Bibelanstalt in Halle a.S. Halle 1898, 29 f; die genaue Aufhellung gelang Beate Köster: Die erste Bibelausgabe des Halleschen Pietismus. Eine Untersuchung zur Vor- und Frühgeschichte der Cansteinschen Bibelanstalt. In: PuN 5, 1979, 105–163, hier: 121 f (mit Zitat der alten Halleschen Katalog-Verzeichnung); vgl. schon dies.: Die Lutherbibel im frühen Pietismus. Bielefeld 1984, 84 f und 227 und jetzt deutlich detailreicher (in einer Gesamterforschung der Lemgoer Bibeln) Julia Freifrau Hiller von Gaertringen: »Gebunden aber in schwartz Leder«. Zum lippischen Bibeldruck des 18. Jahrhunderts. In: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 74, 2005, 67– 128, hier: 82–86. 22 Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 168–188, 203–208, die hebraistischen Vorarbeiten zusammengefasst in ders.: Sulamiths verheißene Wiederkehr. Hinweise zu Programm und Praxis der pietistischen Begegnung mit dem Judentum. In: Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Hg. v. Hans Otto Horch u. Horst Denkler. Teil I. Tübingen 1988, 71–107, bes. 80 f (ebd., 84 f und 105–107 zu den eschatologischen Spekulationen der Berleburger Bibel über die Wiederkunft Christi und Aufrichtung des Himmlischen Jerusalem). Jetzt auch in ders., Literatur und Sprache (wie Anm. 5), 169–204, hier: 178–180, 182 und 202–204. 23 Dazu schon Urlinger, Bedeutung (wie Anm. 16), 10–12 und 29 sowie insbes. Lückel, Berleburger (wie Anm. 11), 145–150; eine knappe, häufig kolportierte Fehler bereinigende Charakterisierung bei Beate Köster: »Mit tiefem Respekt, mit Furcht und Zittern«. Bibelübersetzungen im Pietismus. In: Beiträge zur Geschichte des württembergischen Pietismus. Festschrift für Gerhard Schäfer u. Martin Brecht. PuN 24, 1998, 95–115, hier: 97, zu Tendenzen der Übersetzung und Kommentierung der Berleburger Bibel ebd., 108–111. Vgl. auch dies.: Pietismus und Bibelübersetzung. In: Übersetzung – Translation – Traduction. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung. Hg. v. Harald Kittel [u. a.]. Bd. 3. Berlin u. Boston 2011, 2396–2400. Vgl. auch Hans-Jürgen Schrader: »red=arten u. worte behalten/ die der H. Geist gebrauchet«. Pietistische Bemühungen um die Bibelverdeutschung nach und neben Luther. In: PuN 40, 2014, 10– 47, jetzt auch in ders., Literatur und Sprache (wie Anm. 5), 307–345. 24 Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 186 und 467 (auch mit dem Hinweis auf die vom Berleburger Unternehmen offenbar in Change mit der Berleburger Bibel oder zum Ausgleich von Verbindlichkeiten Konerts abgenommenen Posten von dann schwer absetzbaren Mengeringhäuser Bibeln von 1725); für die Wirksamkeit und die Drucke Konerts weit spezifischer Jürgen

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grundlegend neu zu fundieren: zunächst in die eigene Staats- und Kirchenregie. Er band das bisher im Nassau-usingischen Idstein als Verleger und Druckereikorrektor tätig gewesene Brüderpaar Haug dauerhaft an sich und an seine Residenz. Insbesondere aber gründete er 1722 im freigewordenen herrschaftlichen Haus, das bisher als Wohnsitz der Zweiten Pfarrer und Pfarrerswitwen gedient hatte, sein Waisenhaus25 und ließ dahin die aus eigenen und Kirchenmitteln für 1000 Gulden erworbene und somit verstaatlichte Druckerei übertragen. Für den geplanten Foliodruck der Bibel wurden eine größere Presse und die erforderten fünf bis sechs Zentner an nicht nur Fraktur-, Antiqua- und Kursivschriften verschiedener Größen, sondern auch Speziallettern für die Initialen und bibelsprachlichen Zitationen angeschafft bzw. vervollständigt. Die alte, nur auf bis zu Quartformaten ausgelegte Presse konnte später »abgeschlagen« (zerlegt) an den aus Wittgenstein nach Pennsylvanien ausgewanderten Drucker-Pionier Christoph Sauer verkauft werden, der auf ihr unter anderem 1743 seine berühmte deutsche ›Sauer-Bibel‹ als ersten überseeischen Bibeldruck (nach zuvor nur Bibeln zur Indianermission) hergestellt hat.26 Wolf: Buchdruck in Mengeringhausen. Von den Anfängen bis zu[m] Großbrand 1854. In: [Festschrift] Freischießen 2007. 500 Jahre Schützengesellschaft Mengeringhausen. Mengeringhausen 2007, 286–298, zur Bibelausgabe 287 f. 25 Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 467 f sowie Lückel, Berleburger (wie Anm. 11), 152 f. Die Geschichte des von Casimirs Mutter, Gräfin Hedwig Sophie, zur angemessenen Unterbringung der Zweiten Prediger und der Pfarrerswitwen erbauten Hauses an der unteren Schlossstraße und seiner Nutzung ist jetzt detailliert geklärt durch Johannes Burkardt und Hans Friedrich Petry: Gebäudegeschichtliches zum »herrschaftlichen Haus«, später Waisenhaus und Schulhaus in Berleburg. In: Wittgenstein, Blätter des Wittgensteiner Heimatvereins, Jg. 100 [Bd. 76], 2012, 135–142. Im März 1736 zog dessen Inspektor Johann Friedrich Haug, der mit seiner Frau zunächst im Schloss untergebracht war, in das diesem gegenüber gelegene »Logausche Haus«, das durch den Wegzug des Charles Hector de Marsay und seiner »Eheschwester« Clara von Callenberg, die darin seit 1732 gewohnt hatten, frei geworden war. Nachweise in: Gesellschaft der Kindheit Jesu-Genossen (wie Anm. 12), 36, 88 f u. 118 f. 26 Die Zusammenhänge habe ich, die bisherigen Pioniermythen der amerikanischen Druckgeschichtsforschung korrigierend, in einem Exkurs über die Anfänge der radikalpietistischen Literatur in Amerika aufklären können: Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 223–227 und 475–477; vgl. seither zu Sauers Wirken in Amerika auch ders.: Philadelphian Hope. The Attitudes of Pietist Immigrants in Pennsylvania towards Jews. In: PuN 28, 2002, 185–212, hier: 185–190, 206–208 und ders.: Conrad Beissels Ephrata-Gemeinschaft und seine Poesie. Ein philadelphischmystisch-arkanes »Vorspiel der Neuen Welt«. In: Transatlantische Religionsgeschichte. 18. bis 20. Jahrhundert. Hg. v. Hartmut Lehmann. Göttingen 2006, 31–63, hier: 34 f, 37, 44, 50 f; zur ›Sauer-Bibel‹ auch ders., »red=arten u. worte behalten« (wie Anm. 23), 42 f (alle jetzt auch in ders., Literatur und Sprache, wie Anm. 5, 205–231, hier: 205–210, 225–227; 547–574, hier: 549 f, 552, 557 f, 563 sowie 307–346, hier: 340). Grundlegend für Sauer als Druckerpionier: Julius Friedrich Sachse: The German Sectarians of Pennsylvania 1742–1800. A Critical and Legendary History of the Ephrata Cloisters and the Dunkers. Bd. 2. Philadelphia 1900, 1–64; Donald F. Durnbaugh: Christopher Sauer. Pennsylvania German Printer. His Youth in Germany and Later Relationships with Europe. In: The Pennsylvania Magazine of History and Biography 82, 1956, 316–340; vgl. auch Stephen L. Longenecker: The Christopher Sauers. Courageous Printers Who Defended Religious Freedom in Early America. Elgin, Ill. 1981. Eine englischsprachige Bibel hatte

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Der für das Zusammenbringen der erheblichen Mittel für die Waisenhauseinrichtung und die Übernahme und Installierung der Druckerei verantwortliche Landes-Superintendent Schefer wurde zum Administrator (Oberinspektor) bestellt, der Bibeleditor Johann Friedrich Haug erhielt die Position des für die Oberaufsicht und Finanzen der Druckerei sowie die Verkaufsorganisation zuständigen Waisenhaus-Inspektors.27 Er musste, weil nach Konerts Verkauf bei weiterhin geringen Verdienstaussichten ein Betreiber der nun in Staats- und Kirchenbesitz befindlichen Druckerei nicht zu finden war, selbst als Pächter einspringen. Sein greiser Vater David Haug, der einst in Straßburg, dann in Idstein gedruckt hatte, hat als ›Subunternehmer‹ seit 1723 den ersten Bibel-Band zu drucken begonnen; danach hat dessen Altgeselle Johann Nicolai gegen Ende 1725 in gleicher Stellung die Arbeit bis zur Fertigstellung des zweiten Bandes übernommen und den dritten noch begonnen, bis der frühere Drucker von Horchs Marburger Bibel, Johann Kürsner, für zwei Jahre als Pächter gefunden wurde, der 1732 bis zum vierten Teil und Abschluss des Neuen Testaments gelangte.28 Nachdem so lange alle Mühen Johann Friedrich Haugs vergeblich blieben, eine Reprivatisierung der Druckerei und damit Verflüssigung der Gelder zu erreichen, die eigentlich für die Kirche, das Waisenhaus und den Schlossbau bestimmt waren, konnte endlich 1733 in Christoph Michael Regelein aus Erlangen ein Käufer gefunden werden, der den Betrieb im Waisenhaus in die übliche Geschäftsform einer Hofoffizin im Besitz des Druckers zurückführen und den Rest des Bibelwerks herstellen konnte.29 Um diese Zeit (vielleicht als Voraussetzung dieses Wechsels zu zeitweiser Prosperität) war auch der Vertrieb privatisiert und in Ermangelung eines auswärtigen Verleger-Interessenten in den Berleburger Verlag Johann Jacob Haugs übernommen worden. Am 12. August 1739 vermeldet Charles Hector de Marsay, der an der Berleburger Philadelphiergemeinschaft regen Anteil genommen hatte und in der Berleburger Druckerei sein gesamtes quietistisches Œuvre in deutscher und französischer Sprache drucken ließ, an seinen geistlichen Schüler Gottfried Koch in Lindau (der seinerseits ihm selbst als Lebensgrundlage und zur Finanzierung seiner Drucke das Uhrmacherhandwerk im kolonialen Amerika wegen der scharf überwachten Privilegien der Britischen Bibelanstalt noch nicht publiziert werden können, nur Drucke oder Teildrucke der Bibel in indianischen Sprachen. Vgl. E[dmund] B[ailey] O’Callaghan: A List of Editions of the Holy Scriptures and Parts thereof, printed in America, previous to 1860. Albany 1861, V f, XII f, 22–30. Die Bibel von Sauer, »to whom the honor belongs of having given to America the first edition of a Bible in a European language« (XII), wurde von seinem gleichnamigen Sohn 1763 und 1776 neu aufgelegt (XIII). 27 Entsprechender Aufschluss des Aktenfaszikels bei Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 187, 190–193. Übersicht über die Zuständigkeiten auch bei Lückel, Sayn-Wittgenstein-Berleburg, (wie Anm. 9), 1198 f und ders., Schefer (wie Anm. 13), 1228. 28 Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 194 f. 29 Detaillierte Darstellung, auch der für Regelein anfangs günstigen Gewinnsituation, die einige von Staat und Kirche bisher zum Unterhalt zugeschossene Gelder wieder freistellte, bei Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 196 f, 472.

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beigebracht hatte und sich um den Vertrieb seiner Bücher im südwestdeutschen Raum und in der östlichen Schweiz kümmerte): Der achte Bibelteil wird jetzt gedruckt. Die Nachricht wegen Verkaufs des ganzen Werks, was es kostet, wird Br. [Johann Friedrich] Haug selbst berichten. Sein Bruder, der Buchbinder [Johann Jacob Haug], hat nun alles übernommen, da unser [Johann Friedrich] Haug sich von dem Bücherhandel und Druckerei ganz losgemacht. Hingegen hat sich der Buchbinder verbunden, seinem Bruder jährlich ein gewisses Geld zu geben.30

Gerade noch im letztmöglichen Moment war damit die Bibel 1742 zum Abschluss gekommen. Nach Casimirs Tod 1741 nämlich widerrief sein Sohn Ludwig Ferdinand alle Begünstigungen für die radikalen Pietisten und ihre Unternehmungen. Die meisten zogen ab, Druckerei und Verlag haben nicht mehr lange überlebt.31 Zur von Anfang an prekären Finanzierung des Unternehmens jenseits des Einsatzes kollektionierter Gelder aus der kirchlichen und gräflichen Schatulle, von unter den Philadelphiern und bei Hof eingeworbenen Legaten und dem in Höhe von 845 Gulden eingeschossenen Privatvermögen Johann Friedrich Haugs musste man sich schon während der Vorbereitungen und des Druckbeginns recht zwielichtiger Geschäftspraktiken bedienen. Ein gegen das Einreißen unseriöser Unsitten im Verlagswesen gerichteter Traktat Charlatanerie der Buchhandlung bezichtigte insbesondere die pietistischen Buchhändler, explizit auch die Berleburger, sittenwidriger »Nachdrucke, Trödeleyen u. a. mehr«.32 Außer dem allgemein recht verbreiteten Verfahren der Pränumeration, eines vorauszubezahlenden verbilligten Abonnements auf das Gesamtwerk, wurde nämlich nach auch anderwärtigen pietistischen Vorbildern, etwa einer Erfurter Bibellotterie,33 ein Absatzweg über durch ausgesandte Kollek30 Gesellschaft der Kindheit Jesu-Genossen (wie Anm. 12), 207 f. Ich zitiere ohne die zumeist unnötigen, gelegentlich sinnstörenden Wortergänzungen, die die Herausgeber für eine mit den Sprachformen des 18. Jahrhunderts unvertraute Leserschaft eingefügt haben. Weitere Literatur zu Marsay in der jüngsten Studie über ihn bei Hans-Jürgen Schrader: »Erweckung und Bekehrung der Juden« in quietistischer Perspektive. Charles Hector de Marsays Gutachten zu Glaubensfragen unterweisungsbedürftiger Konvertiten. In: Mission ohne Konversion? Studien zu Arbeit und Umfeld des Institutum Judaicum et Muhammedicum in Halle. Hg. v. Grit Schorch u. Brigitte Klosterberg. Halle 2019, 193–219, hier: 201–210. Zur späten Übernahme des Bibelverlags in die Regie Johann Jacob Haugs vgl. bereits Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 193 f, 471. 31 Resümiert bei Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 98 f, 201, 235 f, vgl. Reg. 630. 32 Charlatanerie Der Buchhandlung, welche den Verfall derselben Durch Pfuschereyen, Prænumerationes, Auctiones, Nachdrucken, Trödeleyen u. a.m. befördert. Sachsenhausen 21732, 81; vgl. Johann Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels (1740–1804). Leipzig 1909, 2 f, 622; dazu Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 235 f und 481. 33 Ein Geldgewinn bei der Erfurter Bibellotterie ermöglichte ausgerechnet dem bei der Zusammenarbeit am Bibelwerk mit Johann Friedrich Haug, bei dem er auch Quartier erhalten hatte, in Streit geratenen Johann Christian Edelmann, sich aus seinen Verbindlichkeiten freizumachen und einen eigenen Hausstand einzurichten, vgl. Grossmann, Edelmann (wie Anm. 17), 98.

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toren »unter gnädigster Concession Ihro Hochgräffl. Excell.« verkaufte Lose in Gang gesetzt, für die der Graf Casimir persönlich mit seinem Renommee als Reichsstand gutsagte. Der ohnehin mit Übersetzung, Kommentierung, Zuständigkeiten für die Druckerei und den Vertrieb geplagte Waisenhaus-Inspektor Johann Friedrich Haug hatte zusammen mit dem Hofprediger Schefer auch noch die organisatorische Generalvollmacht und finanzielle Gesamtverantwortung für den Lotterie-Betrieb auf sich zu nehmen.34 Noch vor Erscheinen des Eingangsbands der Bibel und danach noch wenigstens viermal im Abstand von eineinhalb bis zwei Jahren sind solche Lotterien »zum besten des hiesigen Weysenhauses« und für den »Bibel=Druck« aufgelegt worden. Für ein Los zu anfangs 20 Kreuzer, später einem Gulden, damit der Hälfte dessen, was man per Pränumeration für jeden Einzelband des Bibelwerks auszugeben hatte,35 waren als Hauptgewinn bis zu 100 Gulden, als Zweite Preise je eine ganze Bibel und als Trostpreise allerlei Erbauliches aus dem Verlags- und Sortimentsangebot des Berleburger Buchgeschäfts ausgeschrieben. Die Werbung begann mit einer mit der Lotterieausschreibung gekoppelten breit gestreuten Verteilung eines Probebogens schon 1724, zwei Jahre, ehe der erste Band erscheinen konnte. Und offenbar gab es daran nah und fern auch bei strikten Pietisten ein bedeutendes Interesse. So schreibt der nach einer radikalen Phase wieder in den Kirchendienst aufgenommene württembergische Pfarrer Andreas Bardili am 16. Oktober 1724 aus Bad Boll an Johann Albrecht Bengel in Denkendorf: Übrigens wäre mir lieb, wann von Euch lieben auff kurtze Zeit die ersten bögen von der Berleburg[er] Bibel, sampt der darzugehörigen Nachricht von der Lotterie, vor einige Liebhaber communicirt bekommen könnte, so solche in Euern Handen wären; dagegen kan ich mit looß-billets, die von Andr[eas] Grossen mir in Commision zugeschickt worden, dienen, so jemand in euerm Repfier [Revier] noch einlegen wolte.36

34 Genauere Angaben aus den »Acta der evang. Kirche zu Berleburg betreffend: Druck der Berleburger Bibel 1722« zusammengestellt bei Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 189–193, 196 f, 235–237, 469, 471; vgl. auch Lückel, Schefer (wie Anm. 13), 1228. 35 Erhalten hat sich ein Quittungsformular, auf dem Johann Friedrich Haug dem Grafen Casimir persönlich seine Einzahlung dieser zwei Gulden für sein regulär abonniertes Exemplar des VI. Bands der Bibel bescheinigt. Vgl. Schrader: Literaturproduktion (wie Anm. 1), 469 f; jetzt faksimiliert bei Kroh, Haug (wie Anm. 12), 68 (die handschriftliche Eintragung in den Vordruck gebe ich kursiv wieder): »N. 1401. Auf den VIten Theil der Berleburgischen Bibel in fol. Mit Anmerckungen haben Ihro Hochgräfl. Eczellz. Unser regierender gnädigster Landesherr bezahlet 2 fl. Und bey dessen Verfertigung davor ein Exemplar zu gewarten. Bescheiniget Berlenburg den 21. Jul. 1736. Johann Friedrich Haug.« Das Datum ist handschriftlich korrigiert aus vorgedrucktem »1735«, ein Zeichen, dass sich auch dieser Band verspätet hatte. Zum Pränumerationsaufruf im »Avertissement« vom Juni 1735 vgl. Anm. 3. 36 Bengel, Briefwechsel. Bd. 2 (wie Anm. 12), 268; ebd. auch die Überblicks-Fußnote zur ›Berleburger Bibel‹.

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Der Verleger Haug hat solche Lotterien auch noch über die Beendigung des Werks hinaus bis Februar 1748 fortgesetzt, was ihn bei aller Chance, sich so zu refinanzieren und anderweitig schwer verkäufliche Ladenhüter an den Mann zu bringen, sauer angekommen sein muss, hatte er doch selbst 1720 gegen die Glücksspielmode ein Theologisches Bedencken: Was von der Moralität oder Rechtmässigkeit Der Lotterien/ so unter dem Vorwand eines zum Behuf der Armen daher entstehenden Nutzens heutzutag üblich sind […] eigentlich zu halten sey publiziert und in seinem Berleburger Sortiment noch 1731 Ein Warnungs=Lied an alle Lotterien=Brüder verkauft.37 Ebenso wie die Vorkasse durch Pränumerationen (à 2 Gulden als Gegenwert für einen Bibelband – ein Verfahren, das auch später noch für die großen Poiret- und Dippel-Werkausgaben im Haug-Verlag angewendet wurde)38 brachten die Lotterien das Unternehmen und den dafür gutsagenden Grafen selbst in Verruf, je länger sich der Gegenwert für die Einzahlung, der jeweils nächste Band und schon gar das zum Gewinn ausgesetzte Gesamtwerk in ungewisse Zukunft verschoben. Die Kundschaft war sicher mit Recht erbost, wenn das Werk nach Erscheinen für einen keineswegs höheren Betrag zu haben war, als sie durch die vermeintlich preiswertere Pränumeration (mit aller Gefahr eines Totalverlusts) aufgewendet hatte. So verrät Marsay seinem süddeutschen Vertriebsagenten Koch im August 1739: Die sieben Teile der Bibel wird man wohl für eben das Geld haben können, als wenn man pränumeriert; wie ich aber glaube, wird es aufs höchste 15 Kreuzer an jedem Teil mehr kosten. Ich gedenke aber wohl, für zwei Gulden den Teil zu bekommen, wenn mir der l[iebe] Br[uder] es zu besorgen gibt.39

37 Nachweise: Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 189 f, 194, 237, 460, Anm. 169 u. 482, Anm. 302. Pränumeration und Lotterievertrieb funktionierten offenbar so weiträumig, dass der Zürcher Rat am 16. März 1736 mit einem gesonderten Mandat dem Turmtrompeter von St. Peter, Ludwig Steiner (der diese Aktivitäten von Messekontakte nach Frankfurt unterhaltenden Zürcher Pfarrern übernommen hatte), verbieten musste, fernerhin eine »praenumerationem« auf die ›Berleburger Bibel‹ zu vermitteln als auch »dieses Bücher-Lotteriewesen« für sie zu betreiben. Im erneuerten Einfuhrverbot pietistischer Schriften nach Zürich wurde im November 1736 speziell auch der Handel und Besitz von Berleburger Bibeln unter Strafe gestellt. Dazu Seidel, Berleburger Bibel (wie Anm. 3), 234 f. 38 Genauere Nachweise über dieses Pränumerationsverfahren mit vorzeitigem Kassieren des Buchpreises, das überhaupt erst die Buchherstellung ermöglichte, bei Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 176, 189, 198 f, 214 f, 220 f, 236 f, 469 f, 473, 482; vgl. Gesellschaft der Kindheit Jesu-Genossen (wie Anm. 12), 108, 140; jetzt auch Lückel, Berleburger (wie Anm. 11), 152. 39 Gesellschaft der Kindheit Jesu-Genossen (wie Anm. 12), 208. So ist der Handel für die letzten drei Teile dann offenbar auch zustande gekommen, siehe Marsay an Koch, 12. Mai 1740: »Die sechs Gulden werde ich bei erster Gelegenheit an Br. Haug zahlen lassen, und es auch mit ihm wegen des Bibelteils ausmachen, der für den l. Br. liegengeblieben.« (Ebd., 243; hier, wie an mehreren Kommentarstellen übrigens, verwechseln die Herausgeber die beiden »Brüder Haug«; gemeint ist hier offenbar der Buchhändler, nicht der aus dem Vertriebsgeschäft ausgetretene Bibelübersetzer). Insofern die Bibel in Rohbögen ausgeliefert wurde, brachten dem Verleger in

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Die Lotterie-Kollektoren waren bereits aufsässig geworden, als noch vor dem langerwarteten Erscheinen des ersten Bandes das ganze Bibelwerk grundsätzlich in Frage gestellt wurde: dadurch, dass aufgrund von Heterodoxien, die im ersten Probebogen festgestellt worden waren, den das Verlagsunternehmen im Waisenhaus für die Kauf- und Subskribentenwerbung breit ausgestreut hatte, das Corpus Evangelicorum als höchste Vertretung aller protestantischen Stände im Reich dem Grafen in einem aufsehenerregenden Zensurverfahren 1724 das Verbot des Bibelwerks auferlegte. Diese gefährliche Bedrohung konnte Casimir durch den geschickten Schachzug unterlaufen, dass er den bereinigten Neudruck des Bogens mit der besonders inkriminierten Lehre einer schon vor der Menschenerschaffung androgynen Präexistenz Christi, die übrigens schon anderwärts, im mächtigen Preußen, unbeanstandet durch die Zensur gegangen sei, versprach, und überdies die geschärfteste Aufsicht über seine für unanfechtbar rechtgläubig erklärten Theologen. In Wirklichkeit wurde die inkriminierte Passage nur abgemildert und der amtsentsetzte Urheber der Idee von Christus als dem Erstgeborenen aller Kreaturen, Johann Wilhelm Petersen, nicht mehr namentlich im Kommentar genannt. Im übrigen aber blieb, wenngleich mit lästiger Zeitverzögerung, zum Zorn der zur Resignation gezwungenen Orthodoxen40 alles beim Alten, war doch der LandesOberzensor Schefer als ein begeisterter Parteigänger Petersens41 vermutlich selbst der Kommentator der besonders angegriffenen Kommentarpassage, hier also der Bock zum Gärtner gemacht.42 Angesichts eines so weitgehenden Einsatzes des Landesherrn mit allem seinem Renommee als Reichsstand und auch erheblichen, zumeist indirekten Finanzförderungen für sein Bibelwerk ist die Herausgeberklage zu dessen Vorrede im sechsten Teil, man habe sich anders als die Hallenser »keines Capitals oder vornehmen Wolthäters bey diesen Blättern zu rühmen«, doch entschieden cum grano salis zu nehmen. Aber in dem winzigen Territorium reichten auch die entschiedensten Anstrengungen kaum je für das Nötigste. Deshalb blieb man über alle Ausschöpfung der modernsten, bisweilen auch zwielichtigen Möglichkeiten der ökonomischen Organisation zur Verlustminimierung (an Gewinne war gar nicht zu denken) immer auf die Unterstützung auswärtiger Gleichgesonnener zur Bauarbeit am Gottesreich angewiesen. In zwei von Winckel leider undatiert mitgeteilten Schreiben haben sowohl der Oberinspektor Schefer als auch der Graf selbst um solche Unterstützungen Berleburg nicht nur Versandverluste finanzielle Einbußen, sondern auch Remittenden defekter Bögen, vgl. ebd., 118, 156. 40 Unschuldige Nachrichten. Leipzig 1725, 1727 u. 1736; Christoph Michels: Spiritvs erroris in recentissimo Berlebvrgensivm Bibliorvm opere. Dortmund 1734. 41 Das hat deutlich Lückel, Berleburger (wie Anm. 11), 150 f, herausgearbeitet. 42 Detaillierte Darstellung des Zensuraufsichtsverfahrens und Prozesses mit allen Quellenbelegen bei Schrader, Pietistisches Publizieren (wie Anm. 8), insbes. 77–85, jetzt auch in ders., Literatur und Sprache (wie Anm. 5), 274–281; eine exzellente Zusammenfassung der Mechanismen der Reichs- und Territorialzensur bei Schneider, Anonyme (wie Anm. 12), 215–217.

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gebeten. Der Kirchenmann bittet in einer öffentlichen Werbung um weitere Subskriptionen: Nachdem nun die bisherige Weise durch einlegung zu Loosen […] zu langsam von statten gehet, so wünschte man, daß Seelen, die die Beförderung des Reiches Christi durch solche Zeugnisse sich wollen angelegen sein lassen, zu einem erklecklichen Vorschuß an Geld sich mögen bewegen lassen. Die Versicherung ihres Vorschusses wird ihnen in der Bibel selbst angeboten, da zumal eine hohe Landesobrigkeit dieses Werk möglichst zu befördern sich vorgenommen.43

Die »hohe Landesobrigkeit« selbst, Graf Casimir, aber wendet sich direkt an die in der Bibel-Vorrede als Vorbild für Deutschland genannten »gottseligen […] Gesellschafften« solcher »erweckter Seelen in Engelland«, wenn er dem englischen Quäker Benjamin Holme, mit dem er seit Anfang 1728 in brieflichem Gedanken- und auch Bücheraustausch steht, von seinem Bibelwerk schreibt: sollte Euch und den übrigen Brüdern in England, die Deutsch verstehen, diese Arbeit wohlgefallen, soll es uns angenehm sein. Da dieses Werk etwas langsam von statten geht, weil es uns an den erforderten Geldmitteln fehlt, so habe ich auf ’s einfältigste anfragen wollen, ob man nicht gegen Caution so vieler Theile 100 Guineen vorgestreckt bekommen könnte? Ich wollte für das Geld caviren, und es sollen 200 Theile unsrer Bibel übermacht werden. Ich würde keine solche Forderung thun, wenn ich nicht wüßte, daß die Brüder alles gern befördern, was zur Ausbreitung des Reiches Gottes gereicht, und versichere, daß kein Verlust des Geldes soll zu befahren sein.44

Vom buchhändlerischen Absatz der Bibel jenseits der Auslieferung der vorbestellten und durch die Lotterie gewonnenen Exemplare haben wir ein recht plastisches Bild durch den Bericht des sich zum »Packknecht« degradiert sehenden Mitarbeiters Johann Christian Edelmann, als er zusammen mit dem Brüderpaar Haug, Bibeleditor und Verleger, einigen Verwandten und philadelphischen Helfern »7–8 schwer beladene zweyspännige Karren, lauter Gottes Wort« zur Frankfurter Messe hatte führen müssen.45 Durch die relativ laxe kaiserliche Messezensur wäre das Werk offenbar nicht zu bringen gewesen, so dass sich auch in den Messekatalogen keine Spur davon findet. Über den entsprechend illegal am Rande der Messe erfolgenden Direktverkauf an zueilende Gesinnungsfreunde hinaus konnte hier, mit Hilfe der als Bücheragenten für radikalpietistische Literatur wirkenden Andreas Groß und Christian Fende, der Changehandel mit anderen pietistischen Buchführern jeder Couleur aus dem gesamten deutschen Sprachgebiet und bis nach Amerika abgewickelt oder angebahnt werden. Außerdem wurde die Bibel durch 43 Pränumerationsausschreibung Ludwig Christof Schefers bei Winckel, Casimir (wie Anm. 9), 111. 44 Brief Casimirs an Benjamin Holme bei Winckel, Casimir (wie Anm. 9), 112; vgl. zur am 9. Januar 1728 durch ein Anschreiben von Holmes einsetzenden Korrespondenz ebd., 100–104. 45 Johann Christian Edelmann: Selbstbiographie (1749–1752). Sämtliche Schriften in Einzelausgaben. Bd. 12. Stuttgart-Bad Cannstatt 1976, 229 f; vgl. Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 229, 233 und 407–410 (sowie Reg., 615).

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Kolporteure vertrieben, nachweislich bis in die Schweiz und ins Holsteinische.46 Ein Restbestand jedoch ist bis ins 19. Jahrhundert unverkauft geblieben und musste schließlich makuliert werden.47 Eine missionarisch verbilligte Preisgestaltung wie bei den Cansteinschen Stehsatz-Bibeln im Halleschen Waisenhaus war bei dem Dauermangel an produktiven Geldmitteln kaum zu erreichen. Die sicher knapp kalkulierten zwei Gulden für jeden Einzelband blieben für Unbegüterte eine recht stattliche Summe, ein Viertel mehr als etwa alle sieben Teile des Bestsellers im HaugVerlag, Johann Henrich Reitz’ Historie Der Wiedergebohrnen, kosteten. Das entsprach, umgerechnet in zeitgenössische Einkommensverhältnisse, pro Bi46 Grundlegend für den Kolportagebuchhandel (vorrangig im französisch-romanischen Bereich) Laurence Fontaine: Histoire du colportage en Europe (XVe-XIXe siècle). Paris 1993. Für die Kolportageverbreitung christlicher, speziell pietistischer Bücher im deutschsprachigen Raum sieht Rudolf Schenda im 18. und 19. Jahrhundert die einzige Ausnahme seiner sonstigen Skepsis gegen den Mythos vom lesenden Volk, bringt zahlreiche Beispiele, konstatiert aber zugleich noch erheblichen Forschungbedarf. Rudolf Schenda: Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770–1910. München 21977 [Frankfurt a.M. 1970], 153, 184 f, 169, 228– 270, 316. Spezifisch für den ambulanten pietistischen Buchhandel und seine Reichweite bis nach Nordamerika, Skandinavien, Österreich und durch fast die ganze Schweiz finden sich zahlreiche Zusatznachrichten und Literaturbelege bei Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 224– 227, 236, 244–252, 476 f u. 485; vgl. auch ders., Philadelphian Hope (wie Anm. 26), 196 f, 198 sowie (für die Inspirierten) ders.: Traveling Prophets: Inspirationists Wandering Through Europe and to the New World – Mission, Transmission of Divine Word, Poetry. In: Pietism in Germany and North America 1680–1820. Hg. v. Jonathan Strom, Hartmut Lehmann u. James Van Horn Melton. Farnham u. Burlington 2009 [London 22016], 107–123, hier: 112 f, 115–118, 122 f ( jetzt auch in ders., Literatur und Sprache, wie Anm. 5, 215–217 sowie 575–590, hier: 581–589). Einer der Vermittlungswege in die (östliche) Schweiz lief über Marsays Seelenfreund und Change-Partner Gottfried Koch in Lindau, vgl. Gesellschaft der Kindheit Jesu-Genossen (wie Anm. 12), z. B. 118, 126, 155 f, 208. Auch dort war Andreas Groß eine entscheidende Mittlerfigur (s. o. Anm. 12). Für Bern und die frankophone Westschweiz fungierten als Buchvermittler Schweizer Gesinnungsgenossen und ehemalige Glaubensflüchtlinge wie Johann Heinrich Müslin und Jean-Josephe d’Eymond in Bern oder Etienne Duval im französischen Chevry bei Genf, vgl. ebd., 123, 128, 128 f, 176, 181. 47 Information über eine Restbestands-Versteigerung am 21. Dezember 1836 aus den Kirchenakten (bei einem allerdings sonst vielfältig überholten Informationsstand über die Berleburger Druckund Verlagsproduktion) bei Eberhard Bauer: Das »Ende« der Berleburger Bibel. In: Wittgenstein, Blätter des Wittgensteiner Heimatvereins, Jg. 71 [Bd. 47], 1983, 150–152, mit Nachtrag in Jg. 73 [Bd. 49], 1985, 69 f (mir freundlich zugänglich gemacht durch Johannes Burkardt). Nach der Übernahme des Bibel-Unternehmens in den Verlag Johann Jacob Haugs ergab seine Inventur am 24. Juli 1748, dass in seiner Buchbinderei noch »6 biß 800 diverser Bibel Theile hier stehen« (ebd., Nachtrag, 70). 1836 gehörten noch immer 27 komplette Exemplare des Neuen Testaments zum Versteigerungsbestand, die zum noch immer stattlichen Ramsch-Erlös von zwischen 1 Reichstaler und nur mehr 9 Silbergroschen, 6 Pfg. verkauft werden konnten, dazu packweise Papier als Hadern- (Lumpen-) Makulatur für das Recycling einer Papiermühle (ebd., 151 f). Ohne irgendeinen Beleg teilt dagegen Kroh, Haug (wie Anm. 12), 69 (in eher gegriffen erscheinender Angabe) mit: »Die 1. Auflage der Berleburger Bibel wurde nicht komplett verkauft. Als 1832 der Stuttgarter Verleger P[aul] W[ilhelm] Quack einen Nachdruck herausbringen wollte, waren in Berleburg immer noch 78 vollständige Exemplare vorhanden, die man dann verramschte. Man hat aus manchen überschüssigen Ausgaben sogar Tüten für den Markt hergestellt.«

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bel-Band zwar nur etwas mehr als dem Tagesverdienst eines Pfarrers, aber mehr als dem Wochenlohn eines Maurermeisters, einem Drittel des Monatsverdiensts eines Holzarbeiters – oder in Sachwerten dem Preis von 5 kg Butter, 35 Litern Milch oder 19 Laiben Schwarzbrot.48 Selbst für unvermögende Leute aber war ein solcher Preis offenbar erschwinglich, soweit sie nur in der Sorge um ihr Seelenheil sich des erläuterten Gotteswortes ernsthaft für bedürftig hielten. Bei den Büchervermittlungen und -austauschen in die Ferne betonen Sponsoren wie Marsay, ohnehin stets bereit, ihre eigenen Traktate in großzügigen Verschenkaktionen unters Volk zu bringen, ihre Bereitschaft, von ihnen selbst für wertvoll erachtete religiöse Literatur für mittellose »gutwillige Seelen« ganz kostenfrei zu verspenden.49 Ganz besonders gut war offenbar, ohne dass wir die Vertriebswege im Detail überschauen könnten, der Handel mit Berleburger Bibeln, deren acht schwere Bände man ja nicht so leicht auf das Traggestell eines wandernden Kolporteurs packen konnte, in die deutschsprachige Schweiz organisiert. Sie war nach J.J. Seidels Recherchen nicht nur im Besitz von Geistlichen, die mit den Pietisten sympathisierten wie die Berner Pfarrer Abraham Kyburz und Samuel Lutz oder Daniel Willi in Chur/Graubünden, und von deren Gegnern, die damit ihren Giftschrank munitionierten wie Beat Werdmüller in Zürich oder Heinrich Staehelin in Gais/Appenzell, sondern bemerkenswert oft auch – z. T. in genossenschaftlichem Gemeinschaftsbesitz – von körperlich schwer arbeitenden einfachen Menschen, dem Hafner David Tschanz im Berner Oberland, dem Verdingarbeiter Hans Rudolf Bosshardt im Zürcher Oberland oder der Separatistin Barbara Grubenmann in Niederteufen/Appenzell.50 48 Vgl. meine Berechnungen der Bücherpreise auf der Grundlage der Preisangaben in den während der Entstehungszeit der ›Berleburger Bibel‹ dort gedruckten Sortimentskatalogen Johann Jacob Haugs und der Währungs- und Wertigkeitstabellen für dieselbe Zeit und Region bei Walter Krieg: Materialien zu einer Entwicklungsgeschichte der Bücherpreise. Wien 1953, 27–30; Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 260–263, 471 u. 489 f. In Reichstalerwährung werden die (bis dahin vorliegenden) sieben Teile der ›Berleburger Bibel‹ bereits als Verlagsprodukt Johann Jacob Haugs für 16 Taler, 8 Groschen abgeboten, siehe Theophilus Georgi: Allgemeines Europäisches Bücher-Lexikon. Teil 1. Leipzig 1742, 151. 49 Charles Hector de Marsay ist da nur ein typischer Fall, vgl. Gesellschaft der Kindheit JesuGenossen (wie Anm. 12), 124, 147, 158, 204, 237, 243, 256, 269. Eine Fülle weiterer Belege für pietistisches Literaturverschenken bei Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 264–267, 491. 50 Die meisten dieser Angaben bei Seidel, Berleburger Bibel (wie Anm. 3), 233–237. Auf der Zürcher Liste der Pränumeranten des Bibelwerks standen nach seiner (leider nicht namentlich aufgeschlüsselten) Angabe 98 Besteller (233 f), darunter die Pfarrer der Großmünster- und Fraumünsterkirche; viele Exemplare seien auch in Basel (Stadt und Landschaft) vorhanden gewesen. Seidels Recherche nach der Berleburger Bibel in den Deutschschweizer Bibliotheken erweist neben etlichen Einzelteilen vollständige Exemplare etwa in Zürich, Basel, Schaffhausen, Bern, Thun und Bienenberg (238 f). Aus der frankophonen Westschweiz wären weitere zu melden. Nicht erfasst hat er die gut erforschten Fälle sowohl Ulrich Bräkers als auch – als interessantes Analogon zum genossenschaftlichen ›book-sharing‹ der Berleburger Bibel unter seinen benachbarten Toggenburger Bauern, ebenfalls in ländlicher Schweizer Region – den des »Schärers« (Lohnarbeiters) Hans Rudolf Bosshardt, der noch 1795 dieses Bibelwerk »als Gemeinschaftsbesitz mit sieben anderen Teilhabern« zu eigen hatte. Nachweis: Balz Spörri: Studien zur Sozi-

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Ulrich Bräker, der arme Landmann im St.-Gallischen Toggenburg, in seinen jungen Jahren ein typischer Vertreter des ostschweizerischen Bauernpietismus, hat berichtet, wie er als knapp Dreißigjähriger um 1767 die bei den benachbarten pietistischen Bauern seiner Ostschweizer Talschaft offenbar gemeinschaftlich erworbenen Bücher auf der Suche nach Lebensorientierung und Seelenheil mit Eifer durchstudiert hat, darunter zur Gänze auch die 6.200 Folioseiten dieses gigantischen Bibelwerks: Lange Zeit wendete ich jeden Augenblick, den ich nun immer entbehren – aber eben bald auch manchen, den ich nicht entbehren konnte, auf ’s Lesen an; schnappte jedes Buch auf, das mir nur zu erhaschen stuhnd; hatte itzt wirklich 8. Foliobände von der Berlenburger=Bibel vollendet.51

Noch als 52jähriger denkt er in seinem Tagebuch am 13. Februar 1788 an diese Lektüre zurück, kann allerdings nun, mittlerweile zur Volksaufklärung hingewendet, nicht mehr unterscheiden, ob ihn damals zum Lesen neben der Sorge um sein Seelenheil vielleicht auch der Drang motiviert haben könnte, in allem Gedruckten Anleitungen zu einem bequemeren und einkömmlicheren Leben zu finden: O wie ich mich in gehürsch und – laborinthe verwickelt – abgezapelt – abgehärmt – und dem tode nahe – wikelte mich endlich loß – suchte von neüem, lebensgenuß wünschte gefehrten – freünde – fieng an bücher zulesen – um die kunst zulehrnen – meines lebens zugeniessen – lase die berlenburgische bibel – Antoinette Burignon – und allerhand mistische schrifften – wurde gantz confus – kratzte mir in den haaren – und wuste weder auß noch an.52 algeschichte von Literatur und Leser im Zürcher Oberland des 19. Jahrhunderts. Bern u. Frankfurt a.M. 1987, 43–48. 51 Ulrich Bräker: Lebensgeschichte und Natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H.H. Füßli. In: Ulrich Bräker: Sämtliche Schriften. Bd. 4: Lebensgeschichte und vermischte Schriften. Bearb. v. Claudia Holliger-Wiesmann [u. a.]. München u. Bern 2000, 485, vgl. 391 f; dazu Bd. 5: Kommentar und Register. Bearb. v. Christian Holliger [u. a.]. München u. Bern 2010, 797 f. 52 Ulrich Bräker: Tagebuch 1787–1788. In: ders.: Sämtliche Schriften. Bd. 2: Tagebücher 1779–1788. Bearb. v. Heinz Graber [u. a.]. München u. Bern 1998, 653, vgl. dazu Bd. 5: Kommentar (wie Anm. 51), 438 f. Zu Bräkers pietistischen Lektüren vgl. ferner: Chronik Ulrich Bräker. Auf der Grundlage der Tagebücher 1770–1798. Hg. v. Christian Holliger [u. a.]. Bern u. Stuttgart 1985, 318 f (mit Faksimile des Titelblatts und Titelkupfers vom ersten Band der ›Berleburger Bibel‹), vgl. 21, 68, 123–126 und 531; zur Einordnung in die wahllos-wirren Lektüren Bräkers siehe Schrader, Literaturproduktion (wie Anm. 1), 307–313, 323 f, 511–513 (mit Lit.) und ders.: Inspirierte Schweizerreisen. In: Lesen und Schreiben in Europa. Vergleichende Perspektiven. Hg. v. Alfred Messerli u. Roger Chartier. Basel 2000, 351–382, hier: 363 f ( jetzt auch in ders., Literatur und Sprache, wie Anm. 5, 517–546, hier: 528 f) sowie ders.: Sphärensprünge vom Landleben zur Literatur. Von Bräker bis Brandstetter. In: Schreibsucht. Autobiografische Schriften des Pietisten Ulrich Bräker (1735–1798). Hg. v. Alfred Messerli u. Adolf Muschg. Göttingen 2004, 93–115, hier: 94–102, schließlich auch ders., »red=arten u. worte behalten« (wie Anm. 23), 46 f, bzw. jetzt in ders., Literatur und Sprache (wie Anm. 5), 344 f.

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Anhang: Einblattdruck für die Bezieher der Berleburger Bibel, Juli 173753 [Zierleiste mit Sonnenrädern] Avertissement wegen der grosen Berlenburgischen Bibel Nachdem auf die in verwichener Oster=Meß 1737. geschehene Auslieferung des VIten Theils gedachter Bibel sich unter den Interessenten bey manchen eine zimliche Unzufriedenheit geäussert, daß so viel Theile gemacht würden, ohne daß man wüßte, was noch kommen sollte; andere aber auch ohne Unwillen in geziemender Bescheidenheit nur um einigen Bericht deßwegen Ansuchung gethan, wie es mit dem übrigen noch Rückständigen der Bibel würde gehalten werden: so hat man diesem Begehren zufolg keinen Anstand nehmen wollen, die dißfalls gebührende Nachricht dahin zu ertheilen: daß man nicht gesonnen, mehr als noch einen Theil zu machen, damit es bey der Sieben=Zahl beruhe. Darein müssen dann gebracht werden die noch übrigen wenigen Episteln nebst der Offenbahrung, und dann die apocryphischen Bücher A.T. das Buch der Weißheit, Sirach, und die andern. Wenn denn noch was Platz nach der bestimmten Gröse würde übrig bleiben, so wollte man auch einige apocryphische Schrifften des N.T. als die Testamente der 12 Patriarchen, des Apostolischen Jüngers Hermæ Gesichte u.d.g. mit einrücken. Um solcher willen aber wird man nicht noch einen neuen Theil veranstalten. Da auch viele lieber kein Register dabey verlangen, so kan solches auch wol weggelassen werden. Finden sich nachhero einige Liebhaber dazu, die es verlangen; so kan denen zu Dienst ins besondere noch wol was geschehen, ohne daß andere mit daran därfften gebunden seyn. Kürtzer aber hat sich die Sache in den Theilen selbst und deren Einrichtung nicht wol fassen lassen, nachdem einmal der Erste Theil in der proportion zum Vorschein gekommen, wie er ist. Sonst hätte es einen Mißstand und Unform gegeben, und wäre auch sonst weder halb noch gar auf den Zweck gearbeitet worden. Finden sich nun Sachen darin, die man anderswo auch schon lesen kan; so ist doch die Bibel eben das rechte Buch, dahin solche Sachen eigentlich gehören, die als Text=Erklärungen oder erbauliche Anwendungen anzusehen: welche man dann bey dieser Bibel, die als ein Lexicon anzusehen, in gewisser Maß an ihren Ort und in ihr Fach zu bringen kein Bedencken getragen. Das kan nun wol einigen nicht anständig seyn: man hat aber auf die meisten zusehen, und auf das was am dienlichsten erachtet wird. 53 Avertissement, 1737 (wie Anm. 3), wegen der Schwerzugänglichkeit des bislang unbekannt gebliebenen Einblattdrucks hier komplett abgedruckt.

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Daß es etwas langsam mit der Arbeit zugegangen, lang damit gewähret, manche darüber gestorben; gibt man gerne zu: es hat sich aber auch geschwinder niemals thun lassen; alle Umstände lidten es nicht. Und bey dem ietzigen VIIden Theil sollte man doch lieber etwas darin zugeben, daß es noch langsamer gehen därffte, weil die Offenbahrung darin vorkommt, und man keine neue Offenbahrung darüber schreiben kan, die nur in die Feder dictirt würde, sondern alles, was zu setzen wäre, wol erwägen mögte. Sind einige darüber gestorben, so ist doch die Bibel geblieben; und kommt andern, die an jener Platz kommen, wieder in die Hände, daß sie doch ihren Nutzen schaffen kan. Und worüber sterben nicht Menschen? Warum aber sollte man umdeßwillen etwas wichtiges abkürtzen? Wäre in der Arbeit nur drüber hin geeilt, oder sie auch kurtz gefaßt worden, so mögten die Verstorbenen doch ebenso wenig Nutzen davon gehabt haben, wenn sie dieselbe auch gleich gantz erlebet und in die Hände bekommen hätten. Was die Kosten der Zahlung bey so vielen Theilen betrifft, so ist einmal das gewiß, daß man vor das Geld redlich seinen Werth bekommt auf eine gar nützliche und heylsame Weise. Und dabey ist das ja eben ein Vortheil, daß es so langsam gehet: denn so darff man auch langsam zahlen. Man wird also kaum gewahr, wie man dazu kommt. Wie kan es dann saur werden? Man spürts nicht; und darff ja kaum die Woch einen Kreutzer dazu zurücklegen. Die Billigkeit hoffet Gehör zu finden bey der Bescheidenheit, und hinwiederum: Und in diesem Vertrauen bittet man sich von dem Kern der Interessenten unter Anwünschung alles göttlichen Segens ihre weitere Gunst und die nöthige Gedult bis ans E N D E. Jm Julio 1737.

Thomas Max Safley

A Pietist Economy or a Pious Economy? Funding and Administering Social Institutions in Augsburg, 1650–1750

We read about a fundamental ambivalence in the relationship between Pietism and economy: Sie ist einerseits gekennzeichnet durch eine meist selbstverständliche Anwendung moderner technischer Mittel und ökonomischer Prinzipien der Zeit innerhalb der Frömmigkeitsbewegung des 18. Jahrhunderts sowie einer effizienten Organisation und Administration, insbesondere im Einflussbereich August Hermann Franckes. Diese wohlwollende Einstellung gegenüber ökonomischer Rationalität ging andererseits einher mit einer Kritik an bestimmten Begleiterscheinungen der zeitgenössischen ökonomisch-gesellschaftlichen Praxis wie etwa an der Vernachlässigung der Armen und ihrer religiösen Erziehung oder Invektiven gegen höfisches Leben und Luxus.1

The question to be asked is whether this ambivalence between early capitalistic practices and criticisms of early capitalism is at all unique to eighteenthcentury Pietism. Labor, for example, is the immediate sign and consequence of humanity’s fall from Grace. It is written: And unto Adam he said, Because thou hast hearkened unto the voice of thy wife, and hast eaten of the tree, of which I commanded thee, saying, Though shalt not eat of it: cursed is the ground for thy sake; in sorrow shalt thou eat of it all the days of thy life; Thorns also and thistles shall it bring forth to thee; and thou shalt eat the herb of the field; in the sweat of thy face shalt thou eat bread, till thou return unto the ground; for out of it wast thou taken: for dust thou art and unto dust shalt thou return.2

In the Christian tradition, however, it becomes also a means of redemption. In his first epistle to the Thessalonians, the Apostle Paul wrote: »For ye remember, brethren, our labour and travail: for laboring night and day, because we would not be chargeable unto any of you, we preached you the Gospel of God.«3 And, in his second epistle to the Thessalonians, he refined the point: »Neither did we 1 See the Call For Papers for the 2012 conference, https://www.ev.theologie.uni-mainz.de/call-forpapers-pietismus-und-oekonomie-1650-1750/ (accessed 13 August 2019), and the introduction to this volume. 2 Gen 3:17–19 (all Bible quotes from King James Bible.) 3 1Thess 2:9.

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eat any man’s bread for nought; but wrought with labour and travail night and day, that we might not be chargeable to any of you: Not because we have not power, but to make ourselves an example unto you to follow us.«4 St. Augustine took up this notion of economic activity as a support – both material and moral – of religious life, making manual labor an essential component of Christian monastic life in the West: First then we ought to demonstrate that the blessed Apostle Paul willed the servants of God to work corporal works, which should have as their end a great spiritual reward, for this purpose that they should need food and clothing of no man, but with their own hands should procure these for themselves.5

The Regula of the Ordo Sancti Benedicti recognized in labor or any other kind of activity an opportunity to exercise the highest level of Christian humility: The twelfth degree of humility is, when a monk is not only humble of heart, but always letteth it appear also in his whole exterior to all that see him; namely, at the Work of God, in the garden, on a journey in the field, or wherever he may be sitting, walking, or standing, let him always have his head bowed down, his eyes fixed on the ground, ever holding himself guilty of his sins […]. Having, therefore, ascended all these degrees of humility, the monk will presently arrive at that love of God, which being perfect, casteth out fear.6

When Philipp Jakob Spener wrote of the necessity to »create better times for the church here on earth,«7 he took his place in a long discourse about the necessity and utility of pious labor. The same applies to that even more ambiguous commodity and condition, capital. One reads, familiarly, about wealth in Deuteronomy: At the end of three years thou shalt bring forth all the tithe of thine increase the same year, and shalt lay it up within thy gates; and the Levite, (because he hath no part nor inheritance with thee) and the stranger, and the fatherless, and the widow, which are within thy gates, shall come, and shall eat and be satisfied; that the Lord thy God may bless thee in all the work of thine hand which thou doest.8

What is more: 4 2Thess 3:8–9. 5 »Prius ergo demonstrare debemus beatum apostolum Paulum opera corporalia servos Dei operari voluisse, quae finem haberent magnam spiritualem mercedem, ad hoc ut ipso victu et tegumento a nullo indigerent, sed manibus suis haec sibis procurarent.« S. Aurelii Augustini Hipponensi Episcopi: »De opere monachorum.« In id.: Opera omnia = Patrologia Latina vol. 40. Ed. by Jacques-Paul Migne (Paris, 1865), cap. 4, col. 551. 6 »Sancti Benedicti Regula,« c.VII. In: St. Benedict of Nursia: The Holy Rule of St. Benedict (Veritatis Splendor Publications, 2014), 29–30. 7 Philipp Jakob Spener: Pia desideria. Trans. and ed. by Theodore G. Tappert (Philadelphia: Fortress, 1964), 83. 8 Deut 14:29.

A Pietist Economy or a Pious Economy?

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If there be among you a poor man of one of thy brethren within any of thy gates in thy land, which the Lord thy God giveth thee, thou shalt not harden thine heart, nor shut thine hand from thy poor brother […] For the poor shall never cease out of the land: therefore I command thee, saying, Thou shalt open thine hand wide unto thy brother, to thy poor, and to thy needy, in thy land.9 Jesus, of course, was less sanguine about the piety of the wealthy: It is easier for a camel to go through the eye of a needle, than for a rich man to enter into the kingdom of God.10

His disciples were »astonished out of measure«11 and, indeed, the incident is repeated almost verbatim in the Gospels according to Matthew and Luke.12 In the matter of wealth, Christians fell out over the apparently unequivocal warning of exclusion and the soteriological concern, »who, then, can be saved.«13 The Cistercians, no strangers to profitable economic enterprise in the service of religious devotion, decreed in their twelfth-century constitution, the Charta caritatis: Because we are all servants, unprofitable indeed, of the one true King, Lord and Master, therefore, we demand no exaction of temporal profit or earthly goods from the abbots and brethren whom the goodness of God has been pleased through our unworthy instrumentality, to bring together in diverse places, in the observance of regular discipline. For, desiring only to be of service to them and to the children of Holy Church, we will do nothing toward them that can be either a burden to them or a subtraction of their temporal substance, lest striving to be made wealthy from their poverty, we may incur the guilt of vice and avarice, which the Apostle terms the ›serving of idols.‹14

They signal thus both the moral ambivalence attached to wealth – both a means to piety and a source of sin – and the Pauline autarchy – to not be »chargeable« to any. Aquinas, too, saw wealth as both a curse in the sense of the Gospel and a boon in the sense of the epistle. For imperfect happiness, such as can be had in this life, external goods are necessary, not as belonging to the essence of happiness, but by serving as instruments to happiness, which consists in an operation of virtue, as stated in Ethics, I, 13. For man needs in this life the necessaries of the body, both for the operation of contemplative virtue, and for the operation of active virtue, for which latter he needs also many other things by means of which to perform its operation.15 9 10 11 12 13 14

Deut 15:7, 11. Mk 10:25. Mk 10:26. Mt 19:24; Lk 18:25. Mk 10:26. Charta Caritatis. Trans. by Michael Grant, ch. 1: http://archive.osb.org/cist/charta.html#Chap.1 (accessed 13 August 2019). 15 Thomas Aquinas: Summa Theologica. Vol. 2, Part 2, First Section (New York: Cosimo, 2007), 607 (q. 4, Art. 7.)

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The problem resided in the immoderate desire for capital, wealth, whether in the form of property or money.16 The having of it to the degree necessary to support one’s social status, to maintain a lifestyle appropriate to one’s status, posed no spiritual risk. This was not so easily done, according to many others. St. Francis rejected wealth in exemplary fashion to practice what he and many others held to be the perfection of poverty in the imitation of Christ. St. Bernardino of Siena, the fiery Franciscan penitential preacher, denounced wealth and luxury in uncompromising terms: I say that God having given thee riches and having granted thee peace, thou dost fill up thy throat and from gluttony thou wilt pass to worse sin; for through this excess thou dost next fall into vanities and wantonness, and when thou hast gathered together much wealth, forthwith thou dost fall into the sin of pride.17

Martin Luther, too, seized upon this theme, averring that Mammon was, »the most common idol on earth«18 without specifically condemning getting or keeping of wealth. So, when Nikolaus Ludwig von Zinzendorf wrote, »Wenn bei den Fabriken, Hantierungen und Wirtschaften etwas gewonnen wird, da habe ich nichts dawieder,«19 then he, too, took his place not as an outlier but as a participant in a long theological discourse. The Christian tradition, if one can refer to a single tradition for so diverse and divided a religion, has never held a unitary position on the moral or spiritual valence of economic principles and practices, seeing them as an »offense, an obstacle or an outcome of faith.«20 Some Christians, such as modern Christian social movements, hold wealth, for example, to be »especially sinful.«21 At the other extreme, theologians like John Wesley and modern-day prosperity evangelists hold wealth to be entirely positive, a spiritual duty, a consequence of one’s calling. Between these extremes reside the vast majority of Christian thinkers, who hold wealth as a condition that places the soul at risk of damnation, at best to be avoided, at worst to be held in 16 See the discussion of concupiscence. Aquinas, Summa Theologica (note 15), 966 (q. 85, Art. 3). 17 St. Bernardino of Siena: Sermons. Ed. by Don Nazarino Orlandi, trans. by Helen Josephine Robins (Siena: Tipografia sociale, 1920), 180. 18 Martin Luther: The Large Catechism of Dr. Martin Luther, 1529. Ed. by Kirsi I. Stjerna (Minneapolis: Fortress, 2016), 301. This passage is cited in David W. Miller: »Wealth Creation as Integrated with Faith: A Protestant Reflection.« Paper presented at the conference Muslim, Christian and Jewish Views on the Creation of Wealth, held at Notre Dame University, 23–24 April 2007. 19 Cited in Gisela Mettele: »Kommerz und fromme Demut: Wirtschaftsethik und Wirtschaftspraxis im ›Gefühlspietismus‹.« Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 92, 2005, 301– 321, esp. 315. 20 This felicitous alliteration comes from Miller, »Wealth Creation« (note 18), 2. 21 Alan S. Kahan: Mind vs Money: The War between Intellectuals and Capitalism (New Brunswick: Transaction, 2010), 43; Dorothy Day: »More About Holy Poverty. Which is Voluntary Poverty.« The Catholic Worker, Feb. 1945, 1–2. https://www.catholicworker.org/dorothyday/articles/150. pdf (accessed 11 March 2020).

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extreme moderation.22 Yet, none are prepared to reject wealth or the attainment of it. Even the most stringent advocates of poverty and charity rejoice at wealth set to alms.23 And, there would be the New Jerusalem. »And the building of the wall of it was of jasper: and the city was pure gold, like unto clear glass. And the foundations of the wall of the city were garnished with all manner of precious stones.«24 How, then, can one distinguish a specifically Pietist economy? Put more specifically, did Pietism foster unique economic attitudes, techniques, organizations or institutions? This chapter will not answer these questions directly. Rather, it will attempt to broaden the context of discussion by examining the administration of Evangelical and Catholic social institutions in Augsburg from 1650 to 1750 as a basis for comparison. It will address the administration of charity, in several forms and settings, to help determine what, if anything, might be termed Pietist. * * * Max Weber famously insisted upon a »Gefühlspietismus«25 that developed gradually from Spener to Francke to Zinzendorf, in whom it supposedly reached so fevered a pitch that the great economic sociologist dismissed it as »eine religiöse Spielerei für leisure classes« and »ein frommes Genießen der Gemeinschaft mit Gott.«26 Such emotionality led, according to Weber, to the »Ertötung der Tatkraft im Berufsleben.«27 This was the exact opposite of what he saw as the Calvinist drive for success in this world and justification in the next. Certain Pietist groups, including the Herrnhuter around Zinzendorf, he admitted, achieved a level of activity in their missionizing that promoted an inner asceticism even as it pursued purposeful work on the world. Yet, Weber fundamentally rejected any relationship between Pietist religious life and rational economic activity. Their principles and practices had no influence on the valuation of labor or the applications of wealth in the modern age. Carl Hinrichs believed that Weber underestimated the emphasis on rationalization among Pietists, with particular emphasis on the circle around Francke in Halle, and so failed to recognize their role in the modernization of economy and society. Hinrichs emphasized the role of Pietism in the modernization of the Prussian state, in which he portrays them as sober, rational and disciplined in the service of a general socio-religious reform that 22 23 24 25

See Kahan, Mind vs Money (note 21), and Miller, »Wealth Creation« (note 18), passim. Samuel Wells and Ben Quash: Introducing Christian Ethics (Malden: Wiley-Blackwell, 2010), 244. Rev 21:18–19. Max Weber: Die protestantische Ethik und der »Geist« des Kapitalismus [1904/1920]. Ed. by Klaus Lichtblau and Johannes Weiß (Bodenstein: Athenäum, 1993), 100. Also cited in Mettele, »Kommerz und fromme Demut« (note 19), 303. 26 Weber, Die protestantische Ethik (note 25), 104. 27 Ibid., 93.

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resulted in the creation of great prosperity and power. Yet, he imagined a very different outcome. For Hinrichs, the Pietists emphasized a common good as opposed to the individual utility of classical capitalism. In stark contrast to Weber, Hinrichs borrowed Spengler’s famous generalization to argue: »In England beginnt mit dem Puritanismus auch der Kapitalismus, in Deutschland der Sozialismus.«28 The unqualified equation of English Puritanism with an ascetic Pietism, which Puritans and Pietists alike would probably reject, prompts a series of unanswerable objections, very much like the unqualified instrumentalization of the Weber Thesis. Of course, more recent research has clarified the Calvinist position on worldly calling, economic success and spiritual justification even as it has reduced the dichotomy between a rational, ascetic Calvinism, which supposedly tends toward an egoistic economic ethic, and an emotional, ecstatic Pietism, which, again supposedly, tends toward an altruistic economic ethic.29 The entire discussion seems to assume that egoism and altruism as well as the religious justification of temporal economic success enter the world on the shoulders of Evangelical Christians. This assumption won’t bear scrutiny. It disregards entirely the extraordinary economic development of medieval states – the fact that medieval priests, intellectuals, and merchants played midwife to the principles and practices of commercial capitalism – as well as their capacity to display both egoism and altruism. It likewise ignores the capacity of non-Catholic Christians to cling to premodern non-capitalistic forms of economic organization and activity well into the nineteenth century. And, it ignores the simple fact that Pietists developed highly successful, efficient and rational economic enterprises. The Franckesche Anstalten in 28 Carl Hinrichs: Preußentum und Pietismus: Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiössoziale Reformbewegung (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1971), 12. Also cited in Mettele, »Kommerz und fromme Demut« (note 19), 304. 29 Charles Cohen: »The Saints Zealous in Love and Labour: The Puritan Psychology of Work.« Harvard Theological Review 76, 1983, 459–461; Charles E. Hambrick-Stowe: The Practice of Piety: Puritan Devotional Disciplines in Seventeenth Century New England (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1982); Stephen Innes: Creating the Commonwealth: The Economic Culture of Puritan New England (New York: W.W. Norton, 1995); Hartmut Lehmann: »Asketischer Protestantismus und Ökonomischer Rationalismus: Die Weber-These nach zwei Generationen.« In Max Webers Sicht des okzidentalen Christentums. Interpretationen und Kritik. Ed. by Wolfgang Schluchter (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1988), 529–543; Malcolm H. Mackinnon: »The Longevity of the Thesis: A Critique of the Critic.« In Weber’s Protestant Ethic: Origins, Evidence, Contexts. Ed. by Hartmut Lehmann and Günther Roth (Cambridge: Cambridge University Press, 1993), 211–243; Kaspar von Greyerz: »Biographical Evidence on Predestination, Covenant and Special Providence.« Ibid., 273–284; Hans-Christoph Schröder: »Max Weber und der Puritanismus.« Geschichte und Gesellschaft 21, 1995, 459–478; Hartmann Tyrell: »Potenz und Depotenzierung der Religion – Religion und Rationalisierung bei Max Weber.« Saeculum 44, 1993, 300–347; Robert Wuthnow: Rediscovering the Sacred (Grand Rapids: Eerdmans, 1992), chap. 5; Robert Wuthnow and Tracy L. Scott: »Protestants and Economic Behavior.« In New Directions in American Religious History. Ed. by. Harry S. Stout and D[arryl] G. Hart (New York: Oxford University Press, 1997), 260–295.

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Glaucha (Halle), despite their reliance on royal subventions, privileges, and monopolies,30 and the Herrnhuter Gemeinen in North America and Europe, not least the commonly held industries, such as Abraham Dürninger & Co., one of Saxony’s largest textile manufacturers in the eighteenth and nineteenth centuries, all testify undeniably to the fact.31 The question in this case is whether and to what extent this emphasis on rationality and efficiency – the desirability of profits in the service of piety – is specific to Pietism. Successful, efficient and rational economic enterprises set to social, moral and, even, religious ends certainly predate Pietism and, indeed, the Reformation. The great Cistercian abbeys of the twelfth century, such as Citeaux, Pontigny, Maulbronn or Eberbach, were religious establishments that became important local and regional economic engines, not only centers of production, transaction and consumption but also of innovation and education. Similarly, medieval Spitäler, which appeared in the twelfth century to provide care for the poor, aged and ill, developed huge endowments of property and capital, all of which required rational, efficient management to finance charitable social activities.32 In the thirteenth century, these organizations began to pass into the hands of secular administrators, but the need for and insistence upon the rational management of capital to underwrite the efficient provision of social services never wavered. This is all the less surprising, given that many of the administrators came from mercantile backgrounds, in which these practices were held to be virtues acquired through hard experience in the marketplace. As the pace of secularization – an unfortunate predicate in this instance, because charity and poor relief never yielded their religious signification, even when managed by the state – quickened in the fifteenth and sixteenth centuries, the practice of economic rationality and efficiency became, if anything, a requirement enforced by circumstances. The floodtide of needy persons, who swept over rural highways and byways and into city streets and plazas, posed a singular challenge to existing charity and charitable organizations. Authorities and administrators responded with rational measures intended to increase efficiency: limiting assistance to the truly deserving; promoting work and self-sufficiency as preferable to begging; and developing new resources to support those unable to 30 I wish to thank Ben Marschke for alerting me to this fact. The putative capitalistic nature of the Franckesche Stiftungen may, in fact, resemble a kind of crony capitalism. That possibility merits further study. 31 On Dürninger & Co., see Heidrun Homburg: »Ein kaufmännisches Unternehmen in der Oberlausitz: Abraham Dürninger & Co.« Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2, 1996, 199–221. 32 Regarding the history of German hospitals and their function, see Dieter Jetter: Geschichte des Hospitals. Vol. 1 (Wiesbaden: Steiner, 1966); Friedrich Merzbacher: »Das Spital im kanonischen Recht bis zum Tridentinum.« Archiv für katholisches Kirchenrecht 148, 1979, 72–92; Siegfried Reicke: Das deutsche Spital und sein Recht im Mittelalter. 2 vols. (Stuttgart: Enke, 1932); Jesko von Steynitz: Mittelalterliche Hospitäler der Orden und der Städte als Einrichtungen der sozialen Sicherung (Berlin: Duncker & Humblot, 1970).

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support themselves. They also expanded fiscal support for poor relief, even as they invested capital, founded organizations and created enterprises to keep the costs as low as possible. The orphanages of early modern Augsburg offer a particularly apposite example of these developments. Not only do they demonstrate many of these qualities, but they pursued many of the same ends as the Franckesche Anstalten in Glaucha. The comparison is instructive. Founded on 2 October 1572, the Augsburg orphanage assumed the task of sheltering and rearing the children of deceased citizens, the number of whom had risen catastrophically since 1570 in consequence of famine and inflation. Hitherto the city had placed its abandoned or orphaned children in the care of foster parents, who received a modest stipend to support the needy youngsters in their homes. A report at the time counted 280 children in 164 foster homes at a cost of 3,680 fl.33 Civil authorities found the situation unacceptable. Suspecting the foster parents abused their trust, pocketing the stipend and neglecting or exploiting the children in their charge, they resolved to save both money and orphans by bringing them together under a single roof. An orphanage would provide for both efficiency and economy: It would significantly reduce the costs of child support; and it would permit a uniform, controlled child-rearing: »die kinder zu der forcht gottes dem gepett, auch zur arbaitt, und allen gueten thugeten trewlich underwisen unnd leerten.«34 To achieve these goals, to make of orphans self-sufficient, productive and submissive burghers, it would have to enter the marketplaces and markets of the city, engage in profitable transactions and operate in an efficient manner. Convinced by so rational a plan and such lofty goals, the City Council allowed its Alms Office to spend as much as 4,000 fl for the purchase of a house and garden. It also permitted a fund-raising drive that yielded over 3,300 fl in cash and quantities of used clothing, furniture and other goods from the city’s churches and citizens. The Alms Office paid the costs of maintenance and operation from its own annual budget, itself the result of dedicated tax income, pious private donations and periodic fiscal subventions. Yet, the orphanage was not and never would be economically dependent upon the city government. Even after the City Orphanage was divided into separate Evangelical and Catholic Orphanages as a direct consequence of the 1648 Treaty of Osnabrück, public tax revenues provided only a portion of the income necessary to support and rear the city’s orphans. Citizens continued to donate money and property directly to the orphanage. The orphans themselves contributed, by turning over all of their private property in usufruct to the orphanage administrators. The result was a substantial endowment – a shield of sorts against changing 33 Stadtarchiv Augsburg (henceforth StadtAA), W A1, Die Errichtung, Abtheilung und paritätische Gleichstellung der beeden Wayßenhäußer vom Jaar 1571–1795. 34 StadtAA, W 10, »Ain ungeferlicher Überschlag was ain Waisenhaus darinnen 200 Kinder erhalten mochten werden jerlich kosten möcht, 8 April 1572.«

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political or economic circumstances – that the orphanage would administer on its own until the mediatization of the city into the Kingdom of Bavaria in 1806. Augsburg’s orphanages were by no means unique in this regard. Many early modern social organizations developed their own resources from a combination of public subventions, private donations and capital returns, what I have elsewhere called the three financial pillars of public charity (»die drei finanziellen Säulen der öffentlichen Karitas«).35 Shifting circumstances dictated which source of income was crucial to maintain the orphanages and their services at which points in time, as the financial accounts of all three organizations make clear.36 When the numbers of orphans in need rose dramatically at the end of the sixteenth century, exceeding both the city’s payments and the City Orphanage’s resources, appeals to the citizenry 35 Thomas Max Safley: Kinder, Karitas und Kapital. Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des frühmodernen Augsburgs. Vol. 1 (Augsburg: Wißner, 2009), 123. Some of the most detailed studies of early modern charity focus on organizations in the cities of Northern Italy. These show a very similar pattern of financial management. See, for example, Wolfgang Berwick: Das HeiligGeist-Spital zu Villingen im Schwarzwald von der Gründung bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. Verfassung und Verwaltung (Villingen: Ring-Verlag, 1963); Martin Dinges: Stadtarmut in Bordeaux 1525–1675: Alltag, Politik, Mentalitäten (Bonn: Bouvier, 1988); Cissie Fairchilds: Poverty and Charity in Aix-en-Provence, 1640–1789 (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1976); Timothy G. Fehler: Poor Relief and Protestantism. The Evolution of Social Welfare in SixteenthCentury Emden (Aldershot: Ashgate, 1999); Thomas Fischer: Städtische Armut und Armenfürsorge im 15. und 16. Jahrhundert: Sozialgeschichtliche Untersuchungen am Beispiel der Städte Basel, Freiburg i.Br. und Straßburg (Göttingen: Schwartz, 1979); Philip Gavitt: Charity and Children in Renaissance Florence: The Ospedale degli Innocenti 1410–1536 (Ann Arbor: University of Michigan Press, 1990); Bronislaw Geremek: Geschichte der Armut: Elend und Barmherzigkeit in Europa (München: DTV, 1988); Jean-Pierre Gutton: La société et les pauvres en Europe (XVIe–XVIIIe siècles) (Paris: Presses universitaires de France, 1974); Volker Hunecke: Die Findelkinder von Mailand: Kindsaussetzung und aussetzende Eltern vom 17. bis zum 19. Jahrhundert (Stuttgart: Klett-Cotta, 1987); Colin Jones: The Charitable Imperative: Hospitals and Nursing in Ancien Regime and Revolutionary France (London: Routledge, 1989); Robert Jütte: Obrigkeitliche Armenfürsorge in deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit: Städtisches Armenwesen in Frankfurt am Main und Köln (Köln: Böhlau, 1984); Linda Martz: Poverty and Welfare in Habsburg Spain. The Example of Toledo (Cambridge: Cambridge University Press, 1983); Anne E. McCants: Civic Charity in a Golden Age: Orphan Care in Early Modern Amsterdam (Urbana: University of Illinois Press, 1997); Carol B. Menning: Charity and the State in Late Renaissance Italy: The Monte de Pietà of Florence (Ithaca: Cornell University Press, 1993); Études sur l’histoire de la pauvreté (Moyen Age–XVIe siécle). Ed. by Michel Mollat. 2 vols. (Paris: Sorbonne, 1974); Brian Pullan: Rich and Poor in Renaissance Venice: The Social Institutions of a Catholic State to 1620 (Oxford: Blackwell, 1971); Christoph Sachsse and Florian Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland: Vom Spätmittelalter bis zum Ersten Weltkrieg (Stuttgart: Kohlhammer, 1980); Paul Slack: Poverty and Policy in Tudor and Stuart England (London: Longman, 1988); Marlene Sothmann: Das Armen-, Arbeits-, Zucht- und Werkhaus in Nürnberg bis 1806 (Nürnberg: Stadtarchiv, 1970); Otto Winckelmann: Das Fürsorgewesen der Stadt Straßburg vor und nach der Reformation bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur deutschen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte (Leipzig: Verein für Reformationsgeschichte, 1922). 36 StadtAA, Almosenamt, Jahresrechnungen. See Safley, Kinder, Karitas und Kapital (note 35), esp. chap. 3–5.

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prompted gifts and donations that bridged the financial gap. When subventions and donations decreased, as happened during the crisis years of the mid-seventeenth century, first the City Orphanage and then the Evangelical and Catholic Orphanages drew more heavily upon the income from their own endowments. When subventions decreased again, due to the fiscal scandals that rocked Augsburg in the late eighteenth century, the proceeds of donations and endowments enabled both Evangelical and Catholic Orphanages to continue to admit and care for orphans. The capacity to shift among various sources of income in order to maintain social, charitable services required constant calculation and manipulation of funds, a process learned and performed in the various markets of the city and region. Administrators consistently sought to maximize resources, avoid expenses and pursue their organization’s advantage. Administrators invested capital in a variety of ventures that produced income in the form of rent, in both cash and kind, or interest. Augsburg’s orphanages maintained extensive credit relations with domestic and foreign individuals and organizations. That is to say, they mobilized their endowments by extending credit at interest. Consider the case of Jacob Lipp, one of many that can be reconstructed between the sixteenth and nineteenth centuries. In 1785 he requested the return of his private property, a sum of some 900 fl, that had been held by the Catholic Orphanage since his admission. The City Council ordered the administrators to pay Lipp forthwith, but it prohibited them from borrowing in order to do so: »zumalen es gar nicht schicklich und vor die Stiftung nuzlich seyn will, Gelder aufzuborgen um Passiv Kapitalien und respective Deposita abzulößen und andererseits wiederum Capitalien auszuleihen.«37 Reading between the lines, it becomes clear that the Catholic Orphanage – in fact, all the orphanages – regularly invested the property of orphans in its care by lending it at interest. As soon as the »passive capital,« that is, the property of the orphans, had to be repaid to its owners, the administrators did not simply hand over the equivalent value in cash or bill. Rather, they borrowed money at a lower rate of interest, used the loan to pay the orphan, discharged their debt with proceeds from the debt owed to them and reinvested the rest in the orphanage’s endowment. Such sophisticated transactions were by no means singular; Augsburg’s orphanages regularly injected the property of the needy into local and regional financial markets. Some differences existed. The Catholic Orphanage tended to enter into credit relations more often with ecclesiastical foundations, while the Evangelical Orphanage showed a market preference for loans to individuals and businesses. Yet, the nature of the relationship remained the same: Both entered markets, extended credit and used interest income to support themselves. The resort to capital helped to support and rear orphans, providing 37 StadtAA, KW 13, Sammlung der Ratsdekrete, 1572–1790, »Decretum in senatum secretioris catholicum,« 29 January 1785.

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them with education and training that meant better opportunities for social success, even as it disciplined the administrators to greater awareness of and reliance upon markets and their forces. Insofar as they were not profit-oriented through the production and sale of goods or services, the orphanages were never capitalistic in the strict sense. In this they may differ from the printing press or apothecary operation in Halle or the larger enterprises of the Herrnhuter, such as Abraham Dürninger & Co. They never invested their capital – understood as money or property – to perpetuate more capital for the purposes of private profit that might then be used for a common good or goal.38 Yet, as noted, they depended very much on the stimulation of capital. Subventions, donations and interest generated the income that underwrote and assured the orphanages’ continued existence. Civil authorities admonished often and openly that waste or scandal would ward off donors, over-burden the city and drive down available resources. Capital formation depended upon the reputation of the orphanages as organizations that conscientiously pursued their public service at the least possible cost. Capital became self-perpetuating as long as its use remained efficient. The orphanages had thus to be profitable in the larger sense of costeffective and well-managed. This was charity with a catch, very similar to the charity of the Pietists. Cost-effectiveness and good management made themselves known in the markets and marketplaces. In much the same manner that orphanage administrators entered financial markets to produce a steady and ready income, so, too, they entered marketplaces to purchase the commodities essential to the life of the orphans. They understood very well that their demand for these goods – food, drink, clothing, fuel, light – could be manipulated to minimize costs and maximize resources. Civil authorities understood how to utilize supply to regulate price. Their agents scoured the marketplaces of Central Europe to purchase goods, for which demand was inelastic, especially foodstuffs like grain, at the lowest possible prices. They purchased in times of plenty, when prices were depressed, in order to dump supplies onto the market and, so, reduce prices in times of scarcity. They exploited the relationship between supply and price to limit the catastrophic excesses of otherwise unregulated market forces. The administrators of charity, including those of Augsburg’s orphanages, acted in a similar manner.39 They purchased essential goods not for resale but rather for redistribution, which required an attention to demand and 38 Robert Louis Heilbroner: The Nature and Logic of Capitalism (New York: Norton, 1985), 33–52; Karl Marx: Capital. Vol. 1 (Harmondsworth: Penguin, 1976), 247–257; Thomas Max Safley and Leonard N. Rosenband: »Introduction.« In: The Workplace before the Factory: Artisans and Proletarians, 1500–1800. Ed. by Thomas Max Safley and Leonard N. Rosenband (Ithaca: Cornell University Press, 1993), 1–10, here: 2–5; Charles Tilly: The Contentious French (Cambridge: Belknap, 1986), 5. 39 See Safley, Kinder, Karitas und Kapital (note 35), 193–224.

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information rather than to supply and price. Their agents visited local and regional markets in search of the required commodities and utilized the cumulative demand of the city’s poor population to negotiate stable, advantageous prices. By purchasing large quantities over extended periods, they convinced suppliers to sell below market. Monthly accounts reflect this practice; the City Orphanage purchased and stored large quantities of grains, fat (Schmalz), flax and leather, which it periodically turned over to artisans for the production of essential finished goods.40 This required precise information about production, supply and price. The constant need for essential goods forced the administrators of charity to attend to local and regional market conditions in order to locate large supplies at low prices, to organize production and transportation and, finally, to use their positions as purchasers on behalf of hundreds or thousands of consumers to get the best possible price. In this manner, they entered marketplaces and manipulated markets. In addition to economies of scale (Größeneffekt), the orphanage administrators also relied on long-term relationships. They regularly concluded contracts with merchants and producers of the more expensive and essential goods – bread, clothing and shoes – that fixed the price over extended periods of time. Monthly accounts for the late-sixteenth and early-seventeenth centuries reveal this unmistakably. In 1577, for example, from April to May, the baker Jacob Bockh baked 803 loaves of bread, which required 1,612.5 liters of flour from the orphanage’s stores, the tailor Michael Eberhart sewed 33 pieces of clothing and the shoemaker Michael Frey cobbled 73 new and repaired 51 old pairs of shoes for the City Orphanage.41 Twenty-five years later, in 1612, a different set of producers delivered the same range of goods to the orphanage but at unit prices that had risen less than one percent. This compares to an increase in the total cost per orphan of over 30 percent.42 Longterm contracts and relationships enabled the orphanage administrators to shield their organizations against price volatility and assure regular supplies. Again, they relied on a precise knowledge of current market conditions to achieve cost-effectiveness and efficiency. The disciplined purchase and consumption of commodities extended beyond the sphere of organizational management to penetrate orphanage life itself. Speißzettel from the early-seventeenth until the late-eighteenth century demonstrate a steady movement toward standardization of meals. Though they remained plentiful and nutritious, exact dishes and amounts being set forth, they became ever less various and entertaining. This, of course, had the advantage of making purchases in large quantities simpler and more efficient. It offered possibilities for behavior modification as well. A Waisenhausordnung of 1780 specifically instructed caregivers that 40 StadtAA, W 10, Monatsrechnungen, 1577, 1595, 1612. 41 Ibid., 1577. 42 Ibid., 1612.

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auch den Waisen die ihnen verordnete Kost jedemal mit gutem Willen ohne Neid u. Geiz gewissenhaft u. im solcher Maaße aufgetragen und zugetheilet werden [soll], daß sie zwar an der einen Seyte nicht unersättlich gezogen werden, doch aber auch an der andern Seyte nicht Mangel leiden und hungern dürfen, sondern satt haben und gesund bleiben.43

The use of goods, such as food, was intended to keep children satisfied and healthy, but to avoid avarice and gluttony. Administrators and care-givers taught the orphans that essential commodities were valuable goods, to be treated with care and not to be wasted. Nor were they to be hoarded. Rather, a measured thriftiness became the order of the day. Even as the orphanages worked through marketplaces and markets to become efficient purchasers, they shaped orphans to be careful and conscientious consumers. Maximizing resources through profitable transactions and minimizing expenses through economies of scale, all of which occurred in local and regional markets, constituted the rational pursuits of Augsburg’s orphanages into the nineteenth century. The Franckesche Anstalten probably operated along very similar lines, developing a range of profitable capital transactions to help meet the costs of operation, pursuing operational efficiencies to keep those costs low and turning to the state when all else failed.44 Evidence exists for central planning and administration within and among the Herrnhuter Brüdergemeinen. Communities and businesses surrendered a portion of their annual profits in the form of »Abgaben« to the central body in Herrnhut, which used the proceeds to support its missionizing projects.45 Within individual communities as well, central management concerned itself with local business engagement and vitality: 1786 informierte der amerikanische Gemeinort Salem die Gemeinleitung, dass sie einen guten Schuhmacher, einen gewissenhaften und fleißigen Leineweber sowie einen Schneider, ›der sein Geschäft versteht‹, gebrauchen könnten; auch ›ein Uhrmacher und ein Silberschmied können genug Arbeit hier finden; ebenso ein Kupferschmied […]. Es sollte zur Aufmerksamkeit kommen, daß der Handel mit Lederhosen nicht gut geht und daß davon schon genug gemacht werden […]‹.46

Furthermore, the 1727 Herrnhuter Statuten, which served as a constitution for many of the communities around the world, contained a variety of economic regulations, ranging from choice of occupation to disposal of private property, that remained common practice into the nineteenth century.47 Such planning and direction may well have contributed to long-term economic success, to say 43 StadtAA, EW 12, »Waisenhausordnung 1780, Articulus XXI, §2.« See the broader discussion in Safley, Kinder, Karitas und Kapital (note 35), 220–222. 44 See note 30. 45 Mettele, »Kommerz und fromme Demut« (note 19), 318. 46 Cited ibid., 310. 47 Ibid., 317.

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nothing of social and religious uniformity, but it sits uneasily alongside any undifferentiated association of Pietism with modern economic structures or practices, except perhaps those of great multinational holding companies and centrally planned state economies. Yet, I know of no studies that have examined closely their management practices, rational or otherwise. One rational practice Augsburg’s orphanages consistently avoided: They never exploited the labor of their inhabitants for profit.48 Augsburg’s orphans labored certainly and ceaselessly. Quite apart from the time they devoted to their basic education in reading and reckoning, they assisted the staff in simple housekeeping chores. Monthly accounts testify that they spun linen thread from flax that was then woven into the cloth that went into their own clothing. That thread was never sold on the open market. They also engaged in wagelabor in various households and workshops throughout the city, which was part of their general preparation for such employments, but their wages were scrupulously accounted and kept as savings (Sparhafengeld) for their future use. The orphans and students of the Franckesche Anstalten found employment in the organization’s printing house and apothecary shop, also a form of occupational training, but their work remained otherwise uncompensated, a means of reducing costs for the profit of the pious, Pietist enterprise. The fruits of Augsburg’s orphan labor were other. Pietists were required to lead lives that promoted God’s work (Werk) in the world and that contributed to the expansion of God’s Kingdom. The expectation that such a lifestyle would hasten the Second Coming of Christ created a drive to constant, purposeful effort that was the opposite of the emotional, contemplative passivity which forms the center of Max Weber’s characterization. In the case of the Herrnhuter Brüdergemeine, Gisela Mettele argues convincingly that: Es [das emotionale Erlebnis der Wiedergeburt] führte die Religiosität nicht, wie Weber vermutet, ›in die Bahn diesseitigen Genusses der Seligkeit,‹ sondern rief die Erweckten zum Kampf für den Aufbau des Reiches Gottes auf. Dieser Kampf war der Dreh- und Angelpunkt pietistischen Lebens, und berufsbezogene innerweltliche Askese spielte dabei eine wesentliche Rolle. Nicht nur war Berufsarbeit geeignet, den sündhaften ›alten‹ Menschen in sich abzutöten, sondern sie diente vor allem ganz praktisch der Fortentwicklung der Gemeinschaft der erweckten Christen und war damit ein konkretes Zeugnis Gottes in der Welt.49

The Herrnhuter were simultaneously religious communities and economic organizations. The double goal of separation from a godless world and preparation for a new Kingdom of God required the creation of an efficient economic system that could support these communities and their activities. This was a central issue for the Herrnhuter from the time of their establishment 48 Safley, Kinder, Karitas und Kapital (note 35), 261–297. 49 Mettele, »Kommerz und fromme Demut« (note 19), 307.

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in 1727, and Zinzendorf occupied himself with questions of economic practice and ethics throughout his life. He held the nature of work to be likewise religious. If its purpose was to promote God’s Kingdom on earth, then its nature had to be appropriately liturgical. In his Kinderreden, he wrote: »Wenn ich was arbeite mit den händen, so thue ich’s als eine Liturgie des Heilands. Er hats auch gethan, seine Handwerkstreue, sein Arbeits-Schweiß sind auch Liturgien gewesen.«50 In the Jüngerhausdiarium, he expanded on his sense of »liturgisch arbeiten.«51 »Der Mensch gewöhnt sich nach und nach alle seine Handlungen […] mit einer Dignität zu tun, dabei die Jesushaftigkeit herausblickt, und nichts dabei verliert. Das heißt liturgisch.«52 This quality supposedly contributed as well to the economic vitality of the Herrnhuter specifically and, very likely, to Pietist enterprises more generally. It may have given it a particular character, but, once again, how that character contributes to modern economic practices or principles remains assumed rather than demonstrated. It may have involved a labor discipline that would have appealed to manufacturers in the eighteenth and nineteenth centuries. Yet, the quality of factory labor was anything but liturgical. Augsburg’s orphanages took a very different approach to labor. Although they never engaged directly in manufacturing, they engaged intensively with labor and labor-related activities. As noted, orphans were to be raised to devotion and to prayer as well as to labor and all proper virtues (»zu der forcht gottes dem gepett, auch zur arbaitt, und allen gueten thugeten«). From the moment they entered one or the other of the orphanages, they were captured in a continuous whirl of purposeful activity, a monastic round of prayers, studies and labors that paused only for meals and sleep, allowed no time for recreation or rest and was governed by the ringing of bells. When they achieved the proper age and experience, usually by the age of first communion, they were placed in the urban economy, most frequently apprenticed to artisanal masters or employed in household service. A directive of 1721 captures in brief the process that functioned throughout the early modern period: Wenn die Jugend in einem und anderm zimmlicher massen aufferzogen, unterrichtet, und erwachsen zu Herrn oder Frauen diensten, Item Handtwerckhen zu lernen Lust und Liebe haben auch tauglich zu syn erkandt werden, Solle es den Herrn Deputierten beyzeiten angezeigt und sie dessen gehorsamlich berichtet werden, damit sie weitere

50 Zinzendorf’s Kinderreden (1756) as cited in Hellmuth Reichel: »Zinzendorfs Auffassung von Arbeit und Dienst.« In Zinzendorf-Gedenkjahr 1960. Eine Sammlung von Vorträgen (Hamburg: Appel, 1960), 41–58, esp. 50. 51 See also Zinzendorf und die Herrnhuter Brüder. Quellen zur Geschichte der Brüder-Unität. Ed. by Hans-Christoph Hahn and Hellmuth Reichel (Hamburg: Wittig, 1977), 209–215. 52 Jüngerhausdiarium, 20 April 1760. Cited in Mettele, »Kommerz und fromme Demut« (note 19), 312.

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Verordnung mit anderwärtiger Unterbringung Solcher im Weysen-Hauß erzogene Kinder verfüegen und vornehmen können.53

Thus, no central committee or authority disposed of orphans as a laborforce. The orphans, especially the young men, decided where and how they would work as a matter of personal preference. This is not to say that the authorities played no part in the employment process. They considered the orphan’s physical and mental capabilities and offered counsel as to suitable work, all of which required close knowledge of the individual orphan. They considered available situations, reviewing the members of a given craft and their suitability as masters of apprentices, all of which required close knowledge of Augsburg’s labor market. And, they negotiated with the orphan and his master the particular terms, the various costs – fees, clothing, food, shelter – as well as the expected behaviors of the parties to the apprenticeship, all of which required close knowledge of the specific artisanal craft. Yet, the orphan retained the final word. The apprenticeship of Joseph Tobias Schuester to the master turner (Drechsler) Leonhard Mayr lasted only four months.54 His master returned him to the Catholic Orphanage, claiming that the boy was not capable of learning the trade. The Orphan Father reported that Schuester had never wanted to become a turner and had always shown a preference for tailoring. He promptly attached the orphan to the workshop of Lorentz Widemann, where Schuester completed his apprenticeship and became a journeyman tailor without further difficulty. The Orphan Father closed the record with the observation that it was always a mistake to force a young person to take up a trade »darzu es kein Lust hat.« Schuester’s experience reveals in brief the complex interplay among orphan, master and orphanage. The orphanage served as a school for labor in that it accustomed orphans to the routines and rigors of manual employment. It also served as a clearing-house for labor in that it brought orphans and employers together, mediating their initial contact and negotiating the terms of employment. And, it served as a halfway-house for labor in that it provided resources to maintain or restore labor relations involving orphans. Mayr could return Schuester to the orphanage at no cost to himself or his apprentice. Orphanage records capture these activities again and again, in thousands of cases over hundreds of years: The orphanages underwrote some or all of the costs of employment by paying apprenticeship fees and helping to clothe, feed or house apprentices; they lowered the transaction costs of labor by caring for sick or injured apprentices and journeymen, often years or decades after they left the orphanages; they replaced orphans who proved unwilling or unable to work; and they disciplined orphans – and, occasionally, masters – who violated 53 StadtAA, EW I, Instruction für den Weysen Vatter und Mutter, 11 May 1721. See the discussion in Safley, Kinder, Karitas und Kapital (note 35), 231–238. 54 StadtAA, KW 28, Waisenbuch, 1653–1758, Joseph Tobias Schuester, 1 October 1761.

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the accepted terms of employment. As a result, Augsburg’s orphans enjoyed a competitive advantage over non-orphans in the search for apprenticeships, a fact reflected in the steady increase in the numbers of orphans who found positions and in the numbers of masters who hired orphans repeatedly. Such a massive intervention in the city’s labor market left its mark. The majority of Augsburg’s orphans, 75.8 percent of those orphans who survived the orphanages and 47.4 percent of all orphans, more than 2,700 orphans total, entered the city’s labor force. The lack of consistent statistics before the lateeighteenth century – to say nothing of differences in local circumstance and policy – makes comparisons difficult. Yet, such fragments as exist suggest that the experience of the laboring poor was persistent marginality and mobility. Among early modern artisans generally, the short duration of employment and the cyclical nature of the economy assured a life spent predominantly at risk and on the road. In France, fewer than 20 percent were born in the towns in which they worked, and the usual duration of their employment can be measured in days or weeks rather than months or years.55 Early modern poor relief generally failed – did not, in fact, intend – to provide the needy with the steady means to support themselves and their dependents and maintain a fixed, honorable place in the social hierarchy. The Pia Casa in Milan, for example, released 319 foundlings in 1842, only 12.1 percent of the number admitted, a far higher mortality rate than among Augsburg’s orphans at all but the worst of times, because its law required that support of these young people cease and that they find their own employment at age 15.56 It did nothing to assist them after their release. The orphanage of Pforzheim in Baden, Germany, likewise released its children to find service or employment on their own at age 14.57 Over the course of the fifteenth century, »adoption and apprenticeship accounted for a smaller share of the disposition of children« in Florence’s Ospedale degli Innocenti.58 Similarly, the hôpitaux généraux of seventeenth- and eighteenth-century France »embodied ›un projet du grand renfermement des pauvres‹« and, where orphans were concerned, provided employment in-house but not placement in the economy.59 Augsburg would seem to have pursued a singular course in the care of its orphans. What exactly were the orphanages of Augsburg trying to achieve? The City Orphanage made its goal clear from the very beginning; »truly to instruct and bring the children to the fear of God, to prayer, also to work and to all good 55 Michael Sonenscher: Work and Wages: Natural Law, Politics and the Eighteenth-Century French Trades (Cambridge: Cambridge University Press, 1989), 295–327. 56 Hunecke, Findelkinder von Mailand (note 35), 124–125. 57 Bernhard Stier: Fürsorge und Disziplinierung im Zeitalter des Absolutismus: Das Pforzheimer Zucht- und Waisenhaus und die badische Sozialpolitik im 18. Jahrhundert (Sigmaringen: Thorbecke, 1988), 56–69. 58 Gavitt, Charity and Children (note 35), 226. 59 Olwen Hufton: The Poor of Eighteenth-Century France 1750–1789 (Oxford: Clarendon Press, 1974), 139–159.

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virtues.« Nor did it and its successors stray from their intention over the following 235 years, despite confessional infighting and institutional restructuring. If anything, practice gave contour to principle. The fear of God involved not merely piety in religious observance but submission to what was understood to be a God-given social order. Work extended beyond holding a job and property that provided a self-sufficient income to maintaining a lifestyle consistent with such opportunities and limits as society provided, that is, a »social competence.«60 The orphanages intended to provide their orphans with a Nahrung61 in the fullest sense, to which work was the key. Here, then, is the key difference between Pietist organizations and Augsburg’s orphanages. All set labor in a religious context, as part and parcel of a pious, devout life. All understood labor as essential to the success of a pious mission in this world. Yet, each expected labor to yield a different outcome. For Pietists, labor was itself »liturgical,« symbolizing the Divinity and sanctifying the soul. For Augsburg’s administrators, labor was social and secular, contributing to individual prosperity and communal stability. * * * Scholars have argued that Pietism stood in ambivalent relationship to modern economic life, ready on the one hand to utilize its principles and practices, but critical of, if not opposed, on the other hand to its consequences and excesses. In its insistence that private profit be used for common, pious purposes, its reliance upon central planning as opposed to individual initiative and its sense of labor as sanctifying the laborer, Pietism seems to lend credence to Carl Hinrichs’ assertion: »In Deutschland beginnt mit dem Pietismus der Sozialismus.« But the modern economy is capitalist, demonstrating in many states a particularly virulent form of »booty capitalism.«62 Whatever its particular form or character, scholars agree generally that capitalism involves some combination of private ownership of the means of production, creation of goods and services for profit in a market and, to a varying degree, governmental support for private property in the form of appropriate legal institutions. Pietism seems to have placed inconsistent emphasis on private control of the means of production and the creation of goods and services in the market for profit. The broad comparison of Pietist organizations with Augsburg’s orphanages in the early modern period makes this quite clear. They had similar attitudes 60 Daniel Vickers: »Competency and Competition: Economic Culture in Early America.« William and Mary Quarterly 47, 1990, 3–29. 61 For a discussion of »Nahrung,« see Safley, Kinder, Karitas und Kapital (note 35). Vol. 2, 298–300. 62 The term appears to have been coined by Max Weber to describe a primitive accumulation through violence and plunder. It has since been expanded to capture a particularly ruthless, riskinclined form of capitalism that strives for the largest immediate returns to capital, even at the cost of long-term growth. See Weber, Die protestantische Ethik (note 25).

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toward wealth. Profits were not ipso facto negative, could indeed by positive, provided that they were put to morally defensible purposes. Organizations and orphanages plowed them back into their own social and charitable activities. Over the private uses of wealth they parted company, however. Pietist organizations, especially the Herrnhuter Gemeinen seem to have expropriated at least some of the wealth of their members, whereas the orphanages scrupulously accounted and maintained the earnings and property of their orphans. Organizations and orphanages placed emphasis alike on costeffectiveness and efficiency. Yet, Augsburg’s orphanages achieved these goals through participation in financial, commodity and labor markets, whereas the Pietist organizations appear to have relied on a greater degree of central planning and command. Finally, both vested labor with religious signification, implied that a good Christian would be a good laborer and vice versa. Yet, Pietists went much further, finding liturgical, that is, profound symbolic and ceremonial significance in their labors. Properly done, it served to make straight the way for God’s Kingdom on earth. Augsburg’s orphanages, by contrast, saw the purpose of work in profoundly different terms. It made of the needy self-sufficient, productive citizens, who, far from burdening their community, contributed to its prosperity and stability. One must be careful not to over-extend the contrast. The analysis both of caritative administration among Pietists and Augsburg’s Evangelicals and Catholics reveals many similarities. All were engaged in market activities, albeit to varying degrees as noted. All advocated a plain and simple lifestyle for the givers as well as the receivers of charity, though the Pietists seem less welcoming or open to those who did not practice what they preached. All inculcated an everyday management of time that promoted piety as well as productivity and, so, both recalled the monastery and foretold the factory. All practiced a wellintentioned use of economic rationality and pursued a no less recognizable, administrative efficiency in the operation of social institutions, but Pietists understood their meanings differently and practiced them less singularly in the market. But, interestingly, all these things were done in Augsburg in the sixteenth century, 100 years before Pietism. Indeed, they are far, far older. Recent research has suggested that religious beliefs matter greatly for economic outcomes.63 The possibilities of salvation and damnation can motivate behaviors, raising productivity by fostering such individual traits as honesty, industry and thrift. And belief, rather than belonging or participating, makes the difference. This chapter suggests that the economic principles and practices of Pietists contributed very much to the success of their own undertakings and to the prosperity of their surrounding societies. Yet, they were neither unique to Pietists alone nor constitutive of an original approach to economy. God may 63 Rachel M. McCleary and Robert J. Barro: »Religion and Economy.« Journal of Economic Perspectives 20, 2006, 49–72.

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be a capitalist, pace J.A. Wiegleb,64 but the Pietists were not. Their approach to economy and economic activity recalls far more the medieval monastery than the modern enterprise.

64 See the introduction to this volume.

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Let Our Commerce Be Holy unto Thee! Economic Practice in the Eighteenth-Century Moravian Church

The economic practice of the eighteenth-century Moravian Church (Herrnhuter Brüdergemeine) represents one specific example of an intentionally religious approach to economic matters within the historical context of the Pietist movement.1 The following survey of the Moravians is offered as part of a larger discussion concerning the distinctive character of the relationship between Pietism and the economic sphere. Two questions are paramount: (1) How did the beliefs and values of the Pietist movement express themselves in specific ways of understanding, organizing, and performing economic activities? (2) What is the place of the Pietist movement within, and its contribution to, the larger development of economic theory and practice in early modern Europe? I want to suggest on the basis of the Moravian example that Pietism did not shy away from business activities but embraced and transformed conventional economic practices according to its particular moral and spiritual ideals. The case of the Moravians presents us with an effort to integrate economic activities into the framework of a theocratic community structure, involving a distinctive approach according to which the activities of business and labor were carried out as a spiritual practice. The Moravian ideal was a kind of commerce that could be considered holy before God. The argument of this essay will proceed in three steps. First, we will set the stage of the discussion by considering how sociologist Max Weber describes 1 For general introductory discussions of Moravian economic practice see Otto Uttendörfer: »Die Entwicklung des Wirtschaftsgeistes Zinzendorfs und der Brüdergemeine.« Jahrbuch der Brüdergemeine 30, 1931/32, 157–172; Hellmut Reichel: »Zinzendorfs Auffassung von Arbeit und Dienst.« In Zinzendorf Gedenkjahr 1960: Eine Sammlung von Vorträgen (Hamburg: Appel, 1960), 41–58; Guntram Philipp: »Wirtschaftsethik und Wirtschaftspraxis in der Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine.« In Unitas Fratrum: Herrnhuter Studien / Moravian Studies. Ed. by Mari P. Buijtenen [et al.] (Utrecht: Rijksarchief, 1975), 401–463; W[illiam] R[eginald] Ward: »Zinzendorf and Money.« In The Church and Wealth. Ed. by William J. Sheils and Diana Wood (Cambridge: Blackwell, 1987), 283–305; Peter Vogt: »Des Heilands Ökonomie: Wirtschaftsethik bei Zinzendorf.« Unitas Fratrum 49/50, 2002, 157–172; Peter Kriedte: »Wirtschaft.« In Geschichte des Pietismus. Vol. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Ed. by Hartmut Lehmann (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004), 584–611, here: 591–596; Heidrun Homburg: »Glauben und Rechnen oder von der Führung christlicher Unternehmen in der Herrnhuter Brüdergemeine um 1900.« In Mehrwert, Märkte und Moral: Interessenkollision, Handlungsmaximen und Handlungsoptionen in Unternehmen und Unternehmertum der modernen Welt (Sachsen und Europa). Ed. by Veronique Töpel and Eva Pietsch (Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2012), 171–231.

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Count Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760) and the Moravians in his famous treatise on the Protestant ethic and the rise of capitalism. We will then offer an overview of the economic history of the Moravian Church as it developed in several phases from the eighteenth century to the present. Finally, we will look at the spiritual and theological dimensions of eighteenth-century Moravian economic practice, giving particular attention to the thoughts and writings of Zinzendorf.2

1. The Moravians and Max Weber In 1905, German sociologist Max Weber published his essay Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in which he proposed the remarkable thesis that the Protestant Reformation played a vital role in the rise of early modern capitalism.3 His argument, in short, was that Protestant piety involved a novel appreciation of work in the secular world, which encouraged free entrepreneurship, the striving for economic success, and the accumulation of wealth. According to Weber, the Lutheran concept of vocational calling (Beruf) and the Calvinist doctrine of election laid the foundation for a new economic order that was marked by the rational pursuit of economic gain. The increasing divorce of this economic practice from its original religious background eventually resulted in the emergence of modern capitalism. Weber’s discussion includes a substantial section on the Pietist movement. Recognizing Pietism as a significant historical phenomenon, Weber outlines its place within the context of the ideological development of the rational capitalist ethic and offers an ambivalent assessment both of Pietism in general and of the Moravians in particular.4 He acknowledges that the Pietist emphasis on godliness, including the virtue of honest and diligent labor, and its rejection of self-indulgent luxury contributed to the development of a rational work ethic. Yet, he also maintains that the Pietists’ indebtedness to the Lutheran doctrine of grace hampered the unfolding of economic activity within the Pietist movement. Pietists tended to seek assurance of salvation in terms of inward experience rather than outward sanctification. Accordingly, the 2 The standard bibliographical guide to Zinzendorf ’s publications is Dietrich Meyer: Bibliographisches Handbuch zur Zinzendorf-Forschung (Düsseldorf: Meyer, 1987), henceforth BHZF. The BHZF reference number will be provided for all original Zinzendorf sources cited in this essay. 3 Max Weber: »Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.« In id.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Vol. 1 (Tübingen: Mohr, 1922), 17–205; id.: The Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism (London: G. Allen & Unwin, 1930). On Weber’s view of the Pietist movement, see Hartmut Lehmann: »Max Webers Pietismusinterpretation.« In Der Pietismus in seiner europäischen und außereuropäischen Ausstrahlung. Ed. by Johannes Wallmann and Pentti Laasonen (Helsinki: Suomen Kirkkohistoriallinen Seura, 1992), 161–179. 4 Weber, »Protestantische Ethik« (note 3), 129–145; id., Protestant Ethic (note 3), 128–139.

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personal experience of religious emotion seemed more important to them than the striving for success and advancement in the arena of business and work. Weber presents the Moravians as the prime example of Pietist emotionalism.5 While he recognizes that the aspect of utilitarianism with regard to missionary activities played a significant part in Moravian economic practice, he contends that the Moravian approach to economic matters was, nonetheless, shaped predominantly by emotional and irrational elements. To quote him at some length: In the peculiar piety of Herrnhut, the emotional element held a very prominent place. In particular Zinzendorf himself continually attempted to counteract the tendency to ascetic sanctification in the Puritan sense and to turn the interpretation of good works in a Lutheran direction. Also under the influence of the repudiation of conventicles and the retention of the confession, there developed an essentially Lutheran dependence on the sacraments. Moreover, Zinzendorf’s peculiar principle that the childlikeness of religious feeling was a sign of its genuineness, as well as the use of the lot as a means of revealing God’s will, strongly counteracted the influence of rationality in conduct. On the whole, within the sphere of influence of the Count, the anti-rational, emotional elements predominated much more in the religion of the Herrnhuters than elsewhere in pietism.6

Thus Weber concludes that the Moravians were unable to develop a rational and purposeful economic ethic comparable to that of Calvinistic groups. In a recent article, historian Gisela Mettele has convincingly argued that Weber’s assessment of the Moravians and their economic practice is significantly misguided, in part due to his dependence on a limited number of secondary sources, notably the work of Albrecht Ritschl.7 Inspired by the vision of building up the Kingdom of God, the Moravian Brethren, according to Mettele, showed a much higher degree of rationality and purpose in economic matters than Weber was willing to concede. It is obvious that Weber’s short treatment of five pages is unable to do justice to the complexity of the Moravian approach to economics. Still, the palpable ambivalence in his assessment seems to point to a deeper truth, namely that the understanding and practice of economic activities within the Moravian community did, indeed, stand in some kind of tension with the trajectory of the historical developments that prepared the rise of modern capitalism. On the basis of their religious beliefs, the Moravians envisioned and enacted an economic order that diverged significantly from the path of emerging capitalist ethics. There 5 Id., »Protestantische Ethik« (note 3), 139–143; id., Protestant Ethic (note 3), 134–137. 6 Id., Protestant Ethic (note 3), 135–136. 7 Gisela Mettele: »Kommerz und fromme Demut: Wirtschaftsethik und Wirtschaftspraxis im ›Gefühlspietismus‹.« Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 92, 2005, 301–321. For an older response to Weber’s treatment of the Moravians see Gillian L Gollin: »The Religious Factor of Social Change: Max Weber and the Moravian Paradox.« Archives de Sociologie des Religions 12, 1967, 91–97.

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were some similarities, but there were also important differences as to the purpose, principles, and patterns of economic organization. The case of the Moravians does not fit neatly into the picture that Weber seeks to present. The ambivalence that Max Weber shows in his assessment of the Moravians offers itself as a useful starting point for exploring the question of the specificity of economic activities within the Pietist movement. Was there something unique and distinctive in the practice of labor, trade, and business among the Pietists? Did the beliefs and values to which Pietists felt committed translate into an approach to economics that was noticeably different from their surroundings? Is it, therefore, possible to describe Pietist economics as an historical phenomenon sui generis? This essay will argue that at least in the case of the Moravian movement these questions can be answered affirmatively. As we will see below, the Moravians present us with the example of a Pietist community that intentionally embraced the sphere of economic activity and carefully integrated the economic practice of their communities into the larger framework of a theocratic system. Their approach to business and labor was shaped by theological concepts and spiritual practices, as well as the needs and aspirations of the Brüdergemeine as a religious community. In this way the Moravians developed what might be considered a Pietist alternative to the prevailing economic order of their time. It will be helpful to note four essential concepts from Weber’s treatise that provide important categories for analyzing and describing how religious values and beliefs shape the approach of a religious community to the economic realm. The term »work ethic« denotes for Weber the concept that a positive religious interpretation of labor encourages an attitude of selfless dedication that leads to a work performance marked by high standards of diligence, punctuality, and efficiency. The concept of »vocational calling« (Beruf) expresses the understanding, prevalent in the Lutheran Reformation, that people find the fulfillment of their religious and moral obligations not in forms of spiritual world denial but rather in the dutiful performance of their secular vocation according to their employment and standing in society. The concept of »inner worldly asceticism« refers to the idea that the pursuit of worldly work is coupled with a particular emphasis on simplicity and frugality, inspired by the religiously motivated rejection of luxury, self-indulgence, and wastefulness. Finally, there is the concept of interpreting prosperity as a sign for the assurance of salvation, which draws on the Calvinistic doctrine of double predestination and reflects the belief that those whom God has chosen to be saved are likely to gain material wealth as they follow God’s command to lead a life of diligence and frugality. According to Weber, these concepts describe ideas and beliefs that have played a significant role in the historical process that gave birth to the »capitalist spirit« within Protestantism. For our discussion, these concepts will serve as analytical tools to discern the specific character of the Moravian approach to economic practice vis-à-vis the general historical developments.

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2. Stages in Moravian Economic History Since the publication of Otto Uttendörfer’s two volume study on the economic and social history of Herrnhut, published in 1925 and 1926,8 a considerable number of studies on various aspects of Moravian economic history have appeared, including the developments at Herrnhaag and other Moravian congregations in Germany,9 the communal economy at Bethlehem, Pennsylvania,10 the relationship between economics and mission,11 the comparison between Herrnhut and Halle,12 the figures of Abraham Dürninger13 and of 8 Otto Uttendörfer: Alt-Herrnhut: Wirtschaftsgeschichte und Religionssoziologie während seiner ersten zwanzig Jahre (1722–1742) (Herrnhut: Verlag der Missionsbuchhandlung, 1925), reprinted in Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Materialien und Dokumente. Series 2, vol. 22: Schlesien und Herrnhut (Hildesheim: Olms, 1984); Otto Uttendörfer: Wirtschaftsgeist und Wirtschaftsorganisation Herrnhuts und der Brüdergemeine von 1743 bis zum Ende des Jahrhunderts (Herrnhut: Verlag der Missionsbuchhandlung, 1926), reprinted ibid. 9 On the Herrnhaag settlement, see Manfred Schlosser: Genossenschaften in der Grafschaft Ysenburg vom 16. bis zum 19. Jahrhundert (Frankfurt: Laßleben, 1956), 138–217; for other Moravian congregations see Wilfried Ströhm: Die Herrnhuter Brüdergemeine im städtischen Gefüge von Neuwied: Eine Analyse ihrer sozialökonomischen Entwicklung (Boppard: Boldt, 1988); Guntram Philipp: »Die Sozial- und Wirtschaftsstruktur und die kulturellen Ausstrahlungen der Brüdergemeine in Schlesien im 18. und 19. Jahrhundert.« In Kirchen und Bekenntnisgruppen im Osten des Deutschen Reiches: Ihre Beziehungen zu Staat und Gesellschaft. Ed. by Bernhard Jähnig and Silke Spieler (Bonn: Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen, 1991), 71– 130; Heidrun Homburg: »Glaube – Arbeit – Geschlecht: Frauen in der Ökonomie der Herrnhuter Ortsgemeine von den 1720er Jahren bis zur Jahrhundertwende.« In Gender im Pietismus: Netzwerke und Geschlechterkonstruktionen. Ed. by Pia Schmid (Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen, 2015), 43–62. 10 See Hellmuth Erbe: Bethlehem, Pa.: Eine kommunistische Herrnhuter Kolonie des 18. Jahrhunderts (Stuttgart: Ausland und Heimat, 1929; repr. Hildesheim: Olms, 1975); Gillian L. Gollin: Moravians in Two Worlds: A Study of Changing Communities (New York: Columbia University Press, 1967); Beverly Prior Smaby: The Transformation of Moravian Bethlehem: From Communal Mission to Family Economy (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 1988); Katherine Carté Engel: Religion and Profit: Moravians in Early America (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2009); id.: »The Evolution of the Bethlehem Pilgergemeine.« In Pietism in Germany and North America, 1680–1820. Ed. by Jonathan Strom, Hartmut Lehmann, and James Van Horn Melton (Aldershot: Ashgate, 2009), 163–182; Paul Peucker: »A Family of Love: Another Look at Bethlehem’s General Economy.« Journal of Moravian History 18, 2018, 123–144. 11 See Heidrun Homburg: »Das Wirtschaftsunternehmen der Herrnhuter Brüdergemeine Kersten & Co, Paramaribo in stürmischer Zeit (1914 bis 1933/34).« Unitas Fratrum 76, 2018, 227–256; Jan Hüsgen: »Die Herrnhuter Brüdergemeine als globales Unternehmen.« Zeitschrift für Weltgeschichte 14, 2013, 13–27; Albert Helman: Merchant, Mission and Meditation: The Romance of a Two Hundred Year Old Suriname Company (Fa. C. Kersten & Co.) (Paramaribo: Kersten, 1968); William Danker: Profit for the Lord: Economic Activities in Moravian Missions and the Basel Mission Trading Company (Grand Rapids: Eerdmans, 1971); Siegfried Beck: Die wirtschaftlichsoziale Arbeit der Missionsgeschäfte der Brüdergemeine in Suriname (Herrnhut: Missionsbuchhandlung, 1914). 12 See Guntram Philipp: »Halle und Herrnhut: Ein wirtschaftsgeschichtlicher Vergleich.« In Reformation und Generalreformation – Luther und der Pietismus. Ed. by Christian Soboth and Thomas Müller-Bahlke (Wiesbaden: Harrassowitz, 2012), 125–205.

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Abraham and David Roentgen,14 and the history of individual industries and companies.15 The following section will outline the overall development from the founding of Herrnhut in 1722 to the present. This history can be described as a progression of five stages, each of which is marked by specific issues, concerns, and practices. The first period is the time of the founding of Herrnhut, encompassing the years from 1722 to about 1732. The settlers who established Herrnhut in June of 1722 on the estate of Count Zinzendorf were Protestant refugees from Moravia, mostly craftsmen, who had abandoned most of their possessions when they secretly left their homeland. Accordingly, the basic concern during these initial years was to assure the sheer survival of the group and to provide some kind of livelihood. As one woman exclaimed upon arriving at Herrnhut: »From where will we obtain bread in this desert?«16 It was a significant and farsighted decision on the part of Johann Georg Heitz, the administrator of Zinzendorf ’s estate, not to place the refugees in the village of Berthelsdorf, whose economy was based on agriculture, but to establish a new settlement on the road from Löbau to Zittau, which was part of an important trading route and thus offered the potential for income based on industry and commerce. Accordingly, skilled crafts and trades became the backbone for the emerging economic order of Herrnhut. Still, the survival of the newly established community during these first difficult years hinged largely on the strength of their persistent toil and austerity. As Herrnhut continued to grow into a small Pietist colony, another important concern came into view, namely the question of how to organize its economic affairs according to the community’s spiritual ideals and moral standards. Both Zinzendorf and the Moravian settlers believed that Herrnhut 13 See Otto Uttendörfer: Abraham Dürningers Anfänge (Herrnhut: Missionsbuchhandlung, 1922); Herbert Hammer: Abraham Dürninger: Ein Herrnhuter Wirtschaftsmensch des 18. Jahrhunderts (Berlin: Furche, 1925); Heidrun Homburg: »Ein kaufmännisches Unternehmen in der Oberlausitz: Abraham Dürninger & Co.« Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2, 1996, 199–221; Rüdiger Kröger: Abraham Dürninger: Ein Herrnhuter Kaufmann (Herrnhut: Comenius-Buchhandlung, 2006). 14 See Rainer Lächele: »Vom Schreinergesellen zum Geheimen Rat: David Roentgen – Herrnhuter und Ebenist.« In Das Echo Halles: Kulturelle Wirkungen des Pietismus. Ed. by Rainer Lächele (Tübingen: Bibliotheca Academica, 2001), 93–114; Wolfram Koeppe: Extravagant Inventions: The Princely Furniture of the Roentgens (New York: Metropolitan Museum of Art, 2012). See the essay by Rüdiger Kröger in this volume. 15 Kurt Menzel: Die gewerblichen Unternehmungen der Deutschen Brüder-Unität in Vergangenheit und Gegenwart (Königsfeld: [Ms.], 1985); 225 Jahre Lackherstellung in Niesky: Zum Firmenjubiläum der Höpner Lacke GmbH. Ed. by Rüdiger Kröger and Peter Vogt (Herrnhut: ComeniusBuchhandlung, 2012); Lucia Henke: Handel im Wandel: 120 Jahre Comenius-Buchhandlung in Herrnhut 1898–2018 (Herrnhut: Comenius-Buchhandlung, 2018). 16 Quoted in Philipp, »Wirtschaftsethik« (note 1), 403. On the economic situation of the Herrnhut settlers during the first years, see Hanns-Joachim Wollstadt: Geordnetes Dienen in der Christlichen Gemeinde, dargestellt an den Lebensformen der Herrnhuter Brüdergemeine in ihren Anfängen (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1966), 52–63.

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did not represent a conventional village but was called to be a community dedicated to Christ and organized on the basis of the Christian faith. This view implied that economic activities would be part of a larger spiritual vision and would have to be integrated into the routine and rhythm of the community’s religious life. In 1727, when Herrnhut counted about 300 inhabitants, Zinzendorf used his status as manorial lord to spell out two sets of regulations that all settlers were asked to subscribe, known as »Brotherly Agreement« and »Manorial Injunctions.«17 Some of these rules touch on questions of economic practice, as can be seen in the following examples: 7. Every inhabitant of Herrnhut must work and eat his own bread. But if he is old, sick and poor, the congregation will support him […] 18. Whoever wishes to start up a new business should consult with the Elders to be entered in the register, lest others may be hurt or ruined in their livelihood. Any monopoly, on the other hand, where a person carries out his business by himself to the exclusion and impediment of others, shall not be tolerated except for the most important reasons […] 22. All fraud and deception of one’s neighbor shall be considered a most wicked sin […] 23. No loans charged with interest shall be carried out at Herrnhut, except with the explicit permission of the manorial government.18

The nascent economic approach of the Moravians, as it developed in the community context of early Herrnhut, is clearly visible in these regulations. The second stage in the economic history of the Moravian Church is marked by the beginning of mission work in 1732 and the parallel expansion of the Moravian movement throughout Protestant Europe, and it continued to the time of Zinzendorf ’s death in 1760. The 1730s saw the transformation of the local Herrnhut community into an international and inter-confessional religious renewal movement under the leadership of the energetic and charismatic Zinzendorf.19 His banishment from the state of Saxony in 1736 17 See Zinzendorf und die Herrnhuter Brüder: Quellen zur Geschichte der Brüder-Unität von 1722– 1760. Ed. by Hans-Christoph Hahn and Hellmut Reichel (Hamburg: Wittig, 1977), 70–80. 18 »7. Ein jeder Einwohner zu Herrnhut soll arbeiten und sein eigen Brot essen. Wenn er aber alt, krank und unvermögend ist, soll ihn die Gemeine ernähren. […] 18. Wer eigene Hantierung oder Handel anfangen will, soll sich deshalben zuförderst bei den Vorstehern melden, um ins Buch eingetragen zu werden, damit niemand dem andern zu Schaden oder Untergang etwas vornehme. Monopolia hergegen, da einer allein für sich und mit Ausschließung und Hinderung anderer hantieren dürfe, sollen ohne die wichtigsten Ursachen nicht geduldet werden. […] 22. Aller Betrug und Übersetzung seines Nächsten soll für eine Infamie angesehen werden. […] 23. In Herrnhut soll keiner ohne ausdrücklichen Vorbewußt der Herrschaft, warum oder wozu, auf Wucher leihen oder borgen.« Quoted in Zinzendorf und die Herrnhuter Brüder (note 17), 72–73. 19 See Peter Vogt: »›Everywhere at Home‹: The Eighteenth-Century Moravian Movement as a Transatlantic Religious Community.« Journal of Moravian History 1, 2006, 7–29; Gisela Mettele:

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accelerated the process of spreading out and gathering support in many new places. Missionaries were sent out in rapid succession to exotic places; about a dozen different attempts were made during the first 10 years, half of them with lasting success.20 Increasingly, Zinzendorf and the Moravians were in the public eye. This development involved a significant shift of focus in economic matters: the central question was no longer the survival of an isolated settlement but how to organize and finance a campaign of mission and evangelism on a global scale. Although Moravian missionaries were usually asked to support themselves by their own labor, expenses for travel and correspondence were considerable. At the same time, the Moravians came to enjoy the financial support of wealthy benefactors, and there was also a steady influx of new members, mostly highly skilled young artisans, who were eager to devote themselves with their assets and talents to the Moravian cause. Several important developments in this period need to be noted. First, beginning in 1738, new Moravian communities were established as purposefully planned settlements, whose architecture and social organization reflected Zinzendorf ’s theocratic vision. The town of Herrnhaag, laid out in the form of an elegant miniature city in the Baroque style, became the model for many subsequent congregations.21 Additional settlements were established in quick succession: Niesky (1742), Bethlehem, Pa. (1742), Gnadenberg (1743), Gnadenfrei (1743), Neusalz (1744), Zeist in the Netherlands (1746), Neuwied (1750), Kleinwelka (1751), and so on.22 Life in these settlement congregations was marked by the desire to place all things, both spiritual and temporal, under the authority and rule of Jesus Christ. One important social and economic structure was the division of the congregation into smaller groups according to gender, age, and marital status, which were called »choirs.«23 These groups included the »choirs« of boys and girls, of single brothers and single sisters, of married brothers and married sisters, of widowers and widows. In some cases, usually among the single brothers, the single sisters, and the widows, the members of a »choir« would live together in one building, forming as it were

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Weltbürgertum oder Gottesreich: Die Herrnhuter Brüdergemeine als globale Gemeinschaft 1727– 1857 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009). On the history of Moravian missions see Adolf Schulze: Abriß einer Geschichte der Brüdermission (Herrnhut: Missionsbuchhandlung, 1901); Karl Müller: 200 Jahre Brüdermission (Herrnhut: Missionsbuchhandlung, 1931); Hartmut Beck: Brüder in vielen Völkern: 250 Jahre Mission der Brüdergemeine (Erlangen: Verlag der Evang.-Luth. Mission, 1982). See Hans Merian: »Einführung in die Baugeschichte der evangelischen Brüdergemeinen ausgehend vom Modell der Gemeine Herrnhaag.« In Unitas Fratrum: Herrnhuter Studien (note 1), 465–482; Hans-Walter Erbe: Herrnhaag, eine religiöse Kommunität im 18. Jahrhundert (Hamburg: Wittig, 1988); Ulrike Carstensen: Stadtplanung im Pietismus: Herrnhaag in der Wetterau und die frühe Architektur der Brüdergemeine (Herrnhut: Herrnhuter Verlag, 2009). See Jürgen Lafrenz: Deutscher Historischer Städteatlas. Vol. 3: Herrnhut & Herrnhuter Siedlungen (Münster: Ardey, 2009). On the »choir system« see Wollstadt, Geordnetes Dienen (note 16), 104–122; Zinzendorf und die Herrnhuter Brüder (note 17), 250–258, and Smaby, Transformation (note 10), 10–12.

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smaller sub-congregations, whose members enjoyed their own devotional life and shared together in the task of earning their living. These »choir houses« were particular centers of economic activity, combining many profitable trades and industries with an inexpensive communal lifestyle.24 Another element of the theocratic ideal of Moravian settlements was the use of the lot to obtain certainty about God’s will in decision making processes whenever clarity was not readily available from Scripture or common sense.25 Second, the Moravians grappled with the ideal of Christian communism. It is important to note that they did not, as a matter of principle, embrace the practice of a general community of goods or abolish the ownership of private property. Yet, they recognized the spiritual relevance of the scriptural account in the Book of Acts according to which the first Christian believers had all things in common (see Acts 2:44 and 4:32). Zinzendorf believed that this was meant to be a temporary arrangement for exceptional circumstances.26 Among the Moravians it was found to be a suitable way of living for missionary communities on the frontier. The most advanced attempt in this regard was the communal economy at Bethlehem, Pa., which began when Bethlehem was established as the Moravian headquarters in North America in 1742 and which lasted for about 20 years.27 The congregation of Bethlehem may be regarded as the fullest implementation of Moravian ideals, combining intense religious devotion and tight-knit community structures with tireless mission activities and very efficient economic endeavors. Numerous crafts and industries were established, often utilizing the best available equipment and state-of-the art technology. When the communal economy, after Zinzendorf ’s death, was dissolved over two years, 1762 to 1764, the communally operated industries were slowly replaced by private businesses, which, however, continued to stand under the direct oversight of the congregation. A third aspect during this time of expansion was the tendency towards a more generous and exuberant way of life within the Moravian communities, which eventually reached its high point in the so-called »sifting period.«28 24 See Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 188–356. 25 See Erich Beyreuther: »Lostheorie und Lospraxis bei Zinzendorf.« ZKG 71, 1960, 252–286; Elisabeth Sommer: »Gambling with God: The Use of the Lot among the Moravian Brethren in the Eighteenth Century.« Journal of the History of Ideas 59, 1998, 267–286; Peter Vogt: »Die Medialität göttlicher Willenskundgebung in der Lospraxis der Herrnhuter Brüdergemeine.« In »Schrift soll leserlich seyn:« Der Pietismus und die Medien. Beiträge zum IV. Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2013. Ed. by Christian Soboth and Pia Schmid (Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen, 2016), 465–480. 26 See Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Katechismen. Vol. 1. Ed. by Dietrich Meyer (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008), 452 (= Lehrbüchelgen 1742 [BHZF: 140.2], Frage 1243). 27 See above, note 10. 28 See Paul Peucker: A Time of Sifting: Mystical Marriage and the Crisis of Moravian Piety in the Eighteenth Century (University Park: Pennsylvania State University Press, 2015); id.: »›Blut auf unsre grünen Bändchen:‹ Die Sichtungszeit in der Herrnhuter Brüdergemeine.« Unitas Fratrum 49/50, 2002, 41–94; Erbe, Herrnhaag (note 21); Craig Atwood: »Interpreting and Mis–Inter-

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Beginning in the 1740s, Moravian piety was increasingly marked by joyful gratitude for the gift of salvation that Jesus had won through his suffering and death on the cross. Moravian hymns and liturgies celebrated the presence of Christ as »Savior« in the midst of the gathered congregation. Under the influence of Zinzendorf and other members of the nobility, certain elements of the aristocratic lifestyle were included in the devotional life of Moravian communities: the use of instrumental music for cantatas and liturgical accompaniment, the display of paintings, and festive celebrations with lavish decorations and illuminations.29 The ideal of keeping the Sabbath and the observance of many festival days reduced the amount of ordinary work time in favor of extended times of worship and celebration.30 Zinzendorf pursued ambitious building projects and, in the effort to win public and political support for the Moravian movement, felt compelled to present himself with a certain measure of elegance and style.31 All of this incurred considerable expenses for which substantial loans were obtained. A fourth development, finally, was the rise of commerce and manufacturing industries in Moravian congregations. Weaving and dyeing, for example, were carried out in large scale operations. The merchant Abraham Dürninger (1706– 1773), who had come to Herrnhut in 1747, transformed the community store of the Herrnhut congregation into an international manufacturing and trading company.32 Global connections based on the network of Moravian missions contributed greatly to the success of his business. This extensive involvement in commercial production and trade, however, raised the question of the appropriate moral standards. As Zinzendorf stated during a conference in

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preting the Sichtungszeit.« In Neue Aspekte der Zinzendorf-Forschung. Ed. by Martin Brecht and Paul Peucker (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006), 174–187. On the character of Moravian piety in these years see Peter Vogt: »›Honor to the Side.‹ The Adoration of the Side Wound of Jesus in Eighteenth-Century Moravian Piety.« Journal of Moravian History 7, 2009, 83–106. On the financial implications see Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 13–28. See Colin Podmore: The Moravian Church in England 1728–1760 (Oxford: Oxford University Press, 1998), 150–158; Anja Wehrend: Musikanschauung, Musikpraxis, Kantatenkompositionen in der Herrnhuter Brüdergemeine: Ihre musikalische und theologische Bedeutung für das Gemeinleben von 1727–1760 (Frankfurt [et al.]: Lang, 1995); Paul Peucker: »Kreuzbilder und Wundenmalerei: Form und Funktion der Malkunst in der Herrnhuter Brüdergemeine um 1750.« Unitas Fratrum 55/56, 2005, 125–174; Vogt, »›Honor to the Side,‹« (note 28), 90. See Peter Vogt: »Zinzendorf ’s Theology of the Sabbath.« In The Distinctiveness of Moravian Culture: Essays and Documents in Moravian History. Ed. by Craig D. Atwood and Peter Vogt (Nazareth: Moravian Historical Society, 2003), 205–231; Dieter Gembicki: »From kairos to chronos: Time Perception in Colonial Bethlehem.« Transactions of the Moravian Historical Society 28, 1994, 31–57. See, for example, Podmore, Moravian Church (note 29), 252–255. See above, note 13. In response to this development, many aristocratic rulers increasingly showed an interest to establish Moravian settlements on their territories for economic reasons, see Thomas Dorfner: »Von ›bösen Sektierern‹ zu ›fleißigen Fabrikanten‹. Zum Wahrnehmungswandel der Herrnhuter Brüdergemeine im Kontext kameralistischer Peuplierungspolitik (ca. 1750–1800).« Zeitschrift für Historische Forschung 45, 2018, 283–313.

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1755: »Commerce is a matter that requires great consideration of how far children of God may proceed therein without participating in the sin of others.«33 In response to this problem, Dürninger embraced the principle of fixed prices for goods, as well as fixed wages for workers, and committed himself to providing only goods of the highest quality. Needless to say, the use of dishonest and fraudulent schemes was out of the question. For Zinzendorf, Dürninger represented the prime example of a Christian merchant, the living proof that profitable business activities and Moravian piety could be combined. In 1758, he ordained Dürninger a deacon of the Moravian Church.34 Dürninger himself asserted: »My buying and selling has the purpose of serving my neighbor, and when this aim is not wholly attained I willingly renounce the business of trading, as important as it may be to me.«35 The third period in Moravian economic history stretches from 1760, the year of Zinzendorf ’s death, to the end of the eighteenth century. It is marked by the leadership of August Gottlieb Spangenberg (1704–1792), Zinzendorf ’s successor, and by the effort to repay the enormous debts that had been piled up during the count’s life time.36 After Zinzendorf ’s passing, it soon became apparent that for more than two decades the Moravian Church had lived beyond its means. As creditors requested the repayment of loans, the church faced a financial crisis. How could the debts be paid off ? How could the work of the church’s mission be continued? Spangenberg, who had proven himself to be an able administrator in Bethlehem, was called to Europe to assist in addressing this challenge. His answer was the return to the original virtues of the Herrnhut community: diligence, perseverance, and frugality. The new generation of leaders emphasized simplicity in all things, instituted meticulous book-keeping, and re-organized the administration of economic affairs to increase transparency and control. It was decided that the individual congregations, agencies, and economic enterprises of the Moravian Church should enjoy a fair measure of independence, yet should be committed to provide mutual aid and to share collectively the responsibility for carrying the financial burden of the whole. For this reason, a system for the administration of properties and finances was set up in 1775, known as Gemeindiakonie, which facilitated reciprocal assistance among the various branches and agencies of the Moravian Church and raised funds to support the church’s larger mission.37 33 »Das Kommerzium ist eine Sache, die große Überlegung braucht, wie weit Kinder Gottes darin gehen können, und mögen, ohne sich fremder Sünden teilhaftig zu machen.« Quoted in Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 46. 34 Hammer, Abraham Dürninger (note 13), 79, and Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 48–50. 35 »Mein Kauf und Verkauf hat den Dienst meines Nächsten zum Zweck, und wo der nicht mag erreicht werden, so renoncire ich gern auf allen Handel, von welcher Wichtigkeit er mir auch sein möchte.« Quoted in Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 177. 36 On Spangenberg see Gerhard Reichel: August Gottlieb Spangenberg: Bischof der Brüderkirche (Tübingen: Mohr, 1906). 37 See Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 389–394, and id.: »Zur Geschichte der wirtschaftlichen

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Industries and commerce continued to grow. Both church owned and private businesses were tightly regulated. The potential conflict between Moravian religious values and the striving for economic success surfaced in the controversy with Abraham and David Roentgen, the famous Moravian furniture makers at Neuwied, over the issue of producing and selling luxury goods.38 The fourth period is the nineteenth century. In 1801 all the debts were finally paid off. Now, the income of Moravian industries could be devoted fully to the tasks of the church, especially the support of schools, evangelism, and mission. At the same time, increasing prosperity led to higher living standards and the concomitant formation of new social and cultural sensibilities. There was a growing tendency to regard religious devotion and economic activities as two distinct spheres. In 1844 the congregation of Bethlehem was incorporated as a secular municipality, a change that offered Moravians and non-Moravians alike complete freedom in the pursuit of business activities.39 As a result, the town of Bethlehem grew rapidly and established a flourishing steel industry, whereas the Moravian congregation withdrew from any direct involvement in economic activities. In Europe, Moravian congregations experienced the impact of technological progress partly as a threat to their traditional industries, and partly as an opportunity for new economic ventures. Some businesses, owned privately or run by the church, developed into large factories with modern ways of production and marketing.40 For the most part, however, the Moravians were slow to respond to the challenge of industrialization, perhaps because their established economic approach was not well suited to encourage innovative leadership and entrepreneurial spirit.41 The fifth stage in Moravian economic history, finally, covers the time from the end of the nineteenth century to the present. One important issue for this period has been the question of how to preserve the portfolio of Moravian economic activities under difficult and changing political circumstances. Serious problems surfaced in the 1890s when new governmental legislation in Germany challenged the unity of municipal and religious administration in Moravian settlement congregations. It was necessary to specify the ownership of property and businesses in Moravian towns, assigning them either to the local congregation or to the central church governing board, which represented the Unity.42 Subsequently, many congregation owned stores and businesses that did not return a profit were sold or privatized. Still, Moravian towns

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Organisation der Brüdergemeine.« Herrnhut: Wochenblatt aus der Brüdergemeine 63, 1930, 25– 27. See above, note 14. Smaby, Transformation (note 10), 44–46. See Kröger and Vogt, Lackherstellung (note 15). See Homburg, »Unternehmen« (note 13), 210–221; Mettele, »Kommerz und fromme Demut« (note 7), 317–318. See Uttendörfer, »Geschichte der wirtschaftlichen Organisation« (note 37), 33–35.

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continued to be important economic centers, and some of the larger Unityowned factories and trading companies thrived, especially in the region of Silesia in eastern Germany. Until 1945 there were about 25 Unity-owned businesses, which included trade, industrial production, agriculture, and banking.43 The impact of World War II resulted in devastating losses for Moravian economic enterprises in Germany, as many Moravian settlements suffered under military attacks and all of the congregations and businesses in the Silesia region ceased to exist. Only a few Moravian businesses survived the upheaval of the war and continued to operate. Those located in the German Democratic Republic faced the challenge of carrying on under the conditions of the tightly controlled economic order of a socialist state.44 Then, after the German reunification in 1990, these businesses in the East had to survive the transition from socialism to a capitalist market economy. Presently, the Moravian Church in Germany shares in the ownership and operation of five companies: the Moravian Star factory, the Dürninger textile printing company, the Herrnhut woodworking company, and the Comenius bookstore at Herrnhut, plus a company for heating and climate control technology at Neuwied. These businesses continue to provide jobs to some members of the Moravian Church and offer a portion of their profits to support various ministries. Yet it appears that their operation is no longer seen as an integral part of the spiritual life of Moravian communities. One particular concern is the growing difficulty to find qualified business leaders who identify with the Moravian tradition. For this reason, the church-owned Höpner paint factory at Niesky was recently sold to a private investor. In sum, economic activities have been an important part of the Moravian Church since the foundation of Herrnhut in 1722. The years of the founding of Herrnhut and the subsequent formation of the Moravian movement under the leadership of Zinzendorf laid the foundation for a distinctive economic activity. Practical necessities and religious ideals shaped the Moravian approach, which emphasized the connection between the church’s spiritual life and economic activities. Over the course of 280 years, there has been a significant development in how the relationship between religion and economics played out, but some economic activities continue to be part of the life of the Moravian Church to the present.

43 See Menzel, Gewerbliche Unternehmungen (note 15). 44 See Hedwig Richter: Pietismus im Sozialismus: Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009), 299–309.

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3. Theology and Spirituality The third part of this essay serves to analyze in more detail the theological dimension of Moravian economic practice. As we have suggested above, the distinctive character of the Moravian approach can be found in the particular combination of economic activities with religious ideals. Following the example of the ancient monastic rule ora et labora, the Moravians believed that work and prayer, business and theology, commerce and holiness belonged together. Their economic approach can only be understood properly in the larger context of the theological commitments and spiritual life of the Moravian community. Because the particular connection between piety and economics manifested itself most clearly in the middle of the eighteenth century under the leadership of Count Zinzendorf, the following discussion will focus on the theology and spirituality of the Moravian movement in the eighteenth century.45 A good starting point for looking at the relationship between Moravian theology and economic practice is a section from a liturgical prayer, known as »The Great Church Litany,« which was used every week within Moravian congregations as an intercessory prayer to invoke God’s blessings for the members and activities of the Moravian community.46 Based upon a litany by Martin Luther, the Church Litany was introduced by Zinzendorf in 1744 and was subsequently revised and expanded several times.47 Of particular interest for our purpose is the following section, which articulates the intercessory prayer for the economic well-being of the community. The following lines are being read by the liturgist: Take also the Need of the Church upon thyself, Bless our Table-Service, Grant our Providers a Conduct unexceptionable before God and Men; [cf. 2Cor 8:21; Acts 24:16] Let our Commerce be holy unto Thee, 45 See Peter Vogt: »Evangelische Spiritualität bei Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700–1760) und der Herrnhuter Brüdergemeine seiner Zeit.« In Handbuch Evangelische Spiritualität. Vol 1: Geschichte. Ed. by Peter Zimmerling (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2017), 438–460. 46 Craig D. Atwood: Community of the Cross: Moravian Piety in Colonial Bethlehem (University Park: Pennsylvania State University Press, 2004), 148–152. 47 The English Litany Book of 1759, which was based on the fourth edition of the German Moravian litany book of 1757, offers the fully developed version in English translation. [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf:] The Litany-Book, According to the Manner of Singing at Present Mostly in Use Among the Brethren, Again Revised, and in This Convenient Form Set Forth by the Brethren’s Chantor (London, 1759) [BHZF: A 523E], 42–57. German edition: Das Litaneyen-Büchlein nach der bey den Brüdern dermalen hauptsächlich gewöhnlichen Singe-Weise von neuem revidirt und in dieser bequemen Form ausgegeben von dem CANTORE FRATRUM ORDINARIO (Barby: Brüdergemeine, 1757) [BHZF: A 523], 49–63.

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Bless the Sweat of the Brow [cf. Gen 3:19], and the Faithfulness in Handicraft Business; That in no Labour may be perceived the After-taste of Sin!48

To this supplication the congregation responds with the following hymn verse: So I’ll stretch out my Hand And do that Work with Pleasure, Which, in my Call and Measure, My God for me ordain’d.49

The litany then continues with an affirmation of the congregation’s commitment to those in need, read by the liturgist: O that we might never see a necessitous Person go unrelieved, O that none of us might eat his Morsel alone, [cf. Job 31:17] O that we might see none suffer for Want of Cloathing [sic], O that we might be Eyes to the blind, and Feet to the lame; O that we could refresh the dejected Hearts, [cf. Job 23:16] O that we could mitigate the burden of the labouring Man, and be ourselves not ministered unto, but minister, [cf. Mt 20:28] And to do Good, be our princely Repast.50

This part from the »Church Litany« suggests that for Zinzendorf and the Moravians the performance of economic activities did not simply serve the purpose of sustaining the temporal needs of the church but was seen as a spiritual discipline, marked by obedience to God’s call and the commitment to helping others. The continuous recitation of these texts through the litany’s weekly repetition helped to implant this ideal deeply in the hearts and minds of the Moravian brothers and sisters. The supplications of the Church Litany address a number of topics, such as God’s care for the temporal needs of the church, moral conduct in business activities, the sanctification of labor, and generous assistance to the needy. At the same time, they make various allusions to Scripture and reflect important 48 Litany Book (note 47), 50; see Litaneyen-Büchlein (note 47), 57: »Nimm auch die nothdurft der Gemeine auf dich,/ Segne unsern tisch=dienst,/ Verleihe unsern Schafnern, daß es redlich zugehe, nicht allein vor dem HErrn, sondern auch vor den menschen;/ Heilige dir unser Commercium,/ Segne den arbeits=schweiß und die handwerks=treue,/ Daß man in keiner mühe finde nachschmak der sünde!« 49 Litany Book (note 47), 50; see Litaneyen-Büchlein (note 47), 57 »Drauf strek ich aus mein’ hand, greif an das werk mit freuden, wozu mich GOtt bescheiden in mein’m beruf und stand.« These lines are taken from the final verse of the Protestant hymn by Georg Niege, »Aus meines Herzens Grunde.« 50 Litany Book (note 47), 50–51; see Litaneyen-Büchlein (note 47), 57: »O daß wir keinem dürftigen seine begierde versagen dürften,/ O daß keines seinen bissen allein äße,/ O dürfte man niemand ohne dekke sehen,/ O wären wir die augen der blinden und die füße der lahmen,/ O daß wir das herz der blöden erfreueten,/ O daß mans dem arbeiter leicht machte, und nicht sich dienen ließe, sondern dienete,/ Und gutes thun wär unser fürsten=lust.«

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theological concepts and commitments that stand at the heart of the spiritual dimension of Moravian economic practice. For the purpose of analytical clarity, I would like to describe the pertinent aspects in terms of four theological categories: Scripture, Ecclesiology, Christology, and Liturgy. The category of Scripture refers to the Moravians’ commitment to biblical values. Ecclesiology refers to the Moravians’ vision of, and commitment to, a particular kind of Christian fellowship and community. Liturgy refers to the Moravian understanding of work as worship and spiritual calling. Christology, finally, refers to the interpretation of the human condition in relation to the person of Jesus Christ, the incarnate and crucified Savior of the fallen human race. We will look at each category and its significance for the overall Moravian project of striving toward holiness in the pursuit of economic activities. (1) Scripture. The Moravians’ commitment to biblical values represents the earliest and most basic influence in the development of their approach to economic issues. The Herrnhut congregation was founded on the ideal of the apostolic church, i. e., the idea that all aspects of its life would be organized according to the standards of the Bible and modeled after the example of the first Christian believers. Historians Otto Uttendörfer, Hanns-Joachim Wollstadt, and Paul Peucker have shown that the monumental account of the life of the early church that was published in 1696 by the radical Pietist Gottfried Arnold under the title Die Erste Liebe (»The First Love«) formed an important source of inspiration for Zinzendorf and the evolving Herrnhut community.51 Arnold’s influence can be seen, for example, in Moravian forms of ministry and pastoral care, in the ideal of selfless devotion to the cause of God’s Kingdom, and in certain liturgical practices, such as foot-washing and the lovefeast.52 As regards economics, Arnold’s account emphasizes several features that became important for the Moravian community: the first Christians practiced the community of goods or at least recognized that believers should regard their material possessions as given to them by God for the common good; they used their means to practice charity toward the needy, especially the poor, sick, and elderly in their midst, as well as orphans, widows, prisoners, and strangers; and they extolled the virtue of apostolic poverty and considered the striving for material wealth to be sinful.53 Moreover, Arnold suggests that the early Christians applied strict moral standards to the pursuit of trade and 51 Gottfried Arnold: Die Erste Liebe Der Gemeinen Jesu Christi, Das ist Wahre Abbildung Der Ersten Christen Nach Ihren Lebendigen Glauben Und Heiligen Leben […] (Frankfurt a.M.: Gensch, 1696). 52 Otto Uttendörfer: Zinzendorf und die Mystik (Berlin: Christlicher Zeitschriften-Verlag, 1952), 41; Wollstadt, Geordnetes Dienen (note 16), 43–47; Paul Peucker: »The Ideal of Primitive Christianity as a Source of Moravian Liturgical Practice.« Journal of Moravian History 6, 2009, 7–29. 53 See Arnold, Erste Liebe (note 51), part 1, sect. 3, ch. 8, »On the community of goods among the first congregations;« ch. 9, »On the general charity of the first Christians;« ch. 10, »On the assistance for the poor among the first Christians;« ch. 11, »On the care of the first Christians for the widows, the orphans, the old and infirm, the imprisoned and martyrs.«

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commerce. They rejected exploitation and usury and refrained from all forms of trade that involved the handling of goods related to pagan worship. »Other than that one can perceive that they, above all, wished to see far removed from their business practice even the smallest desire for profit, let alone cheating, lying, swearing, using deceptive goods, or any other form of unrighteousness.«54 It is documented that Zinzendorf read Arnold’s tome in 1722.55 While there are, to my knowledge, no direct references to Arnold in sources dealing with Moravian economics, it seems very likely that his negative stance toward commerce and wealth evoked and reinforced similar tendencies within the early Herrnhut community. Of greatest importance, at any rate, was the concern to live truthfully according to God’s will, as found in the precepts of the Bible, even in economic matters. Zinzendorf touched on this issue in two of his own publications, the catechism Gewisser Grund Christlicher Lehre of 1724 and the Manual of Doctrine of 1740. The catechism Gewisser Grund Christlicher Lehre, which Zinzendorf edited for the religious instruction of his subjects on the Berthelsdorf estate, is based on Luther’s Small Catechism.56 For each section of Luther’s original text, Zinzendorf provides a detailed commentary by citing additional scriptural references. Of particular interest for our discussion are his comments regarding Luther’s exposition of the Ten Commandments. Luther’s explanation of the Seventh Commandment – »Thou shalt not steal« – reads: »We are to fear and love God, so that we neither take our neighbors’ money or property nor acquire them by using shoddy merchandise or crooked deals, but instead help them to improve and protect their property and income.«57 Zinzendorf adds the following citations: no one should cheat by using wrong measures (Lev 19:35), practice deceit with false balances (Am 8:4–8), or take advantage of his neighbor (Lev 25:14); workers should receive fair and sufficient wages (Jer 22:13); the poor should not be exploited or oppressed (Deut 24:12–13, Job 24:9, Ex 22:25); no one should attach one’s heart to wealth (Mt 6:19–20); nor should someone live from alms without real need (2Pet 2:13).58 With reference to the Ninth and Tenth Commandments – »Thou shalt not covet« – Zinzendorf 54 Ibid., part 2, 58: »Sonst siehet man aber, daß sie vor allen Dingen alle auch geringscheinende Gewinnsucht, noch mehr aber den Betrug, das Lügen, Schwören, falsche Waaren und andere Ungerechtigkeit ferne davon wissen wollen.« 55 Wollstadt, Geordnetes Dienen (note 16), 45. 56 [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf:] Ludwig Grafens u. Herrn v. Zinzendorff Gewisser Grund Christlicher Lehre, Nach Anleitung des einfältigen Catechismi seel. Herrn D. Luthers (Leipzig: Walther, 1725; second edition Leipzig and Görlitz: Marché, 1735) [BHZF: A 106], a modern critical edition in Zinzendorf, Katechismen (note 26), 83–236. On the historical and theological significance of this publication see Gottfried Geiger: »Zinzendorfs Katechismus ›Gewisser Grund‹ (1725) als seine ›Theologie‹ in der Frühzeit Herrnhuts.« PuN 25, 1999, 43–82. 57 The Book of Concord. The Confessions of the Evangelical Lutheran Church. Ed. by Robert Kolb [et al.] (Minneapolis: Fortress, 2000), 353. 58 Zinzendorf, Katechismen (note 26), 131.

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points out that many transgressions against God and neighbor are caused by sinful envy (Rom 7:8) and that, therefore, believers should learn to be content with whatever they have (Phil 4:11–13).59 Finally, with regard to the fourth request of the Lord’s Prayer – »our daily bread give us today« – Zinzendorf argues that while believers should not be concerned about their livelihood (Mt 6:25), they must not be lazy (Prov 21:25) but should work quietly and earn their own living (2Thess 3:11–13).60 The Manual of Doctrine offers a similar approach.61 On the basis of questions concerning various topics to which biblical quotations are presented as answers, Zinzendorf seeks to sketch a comprehensive picture of the Christian life. Here we find many familiar ideas related to economic issues: believers should be willing to share their temporal goods, poverty is considered a virtue, one should be content with little, the believers should support themselves with the work of their own hands and deal honestly with others.62 For example: 1398 Q. How do they lead their outward Life? A. In Weariness and Painfulness. 2 Cor. xi. 27 1399 Q. Are they ready to work something with their Hands? A. These Hands, saith Paul, have ministered to my Necessities, and to them that were with me. Acts xx, 34 1400 Q. What do they think in general of their Calling in the Lord? A. Cursed is he that doth the work of the Lord deceitfully. Jer. Xlviii.1063

All in all, it is evident from these sources that Zinzendorf and the Moravians strove to take a scriptural approach to economic issues and felt committed to what they considered the central biblical values for economic practice. These can be summarized in the following points: an emphasis on fairness and honesty in business, an emphasis on faithful and diligent labor, a negative view of material possessions, a condemnation of greed and selfishness, the moral obligation to serve God and neighbor with one’s talents, the practice of charity towards the needy, and the practice of sharing and solidarity among Christians. The outcome of these values in the life of the Moravian community was 59 Ibid., 140–142. 60 Ibid., 193–194. 61 [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf:] A Manual of Doctrine: or, a Second Essay to bring into the Form of Question and Answer as well the Fundamental Doctrines, as the other Scripture Knowledge of the Protestant Congregations who for 300 Years past have been called the Brethren (London: James Hutton, 1742) [BHZF: A 140.E]; German original: Id.: Probe eines LehrBüchelgens (Büdingen: Stöhr, 1740; second edition 1742), critical edition in Zinzendorf, Katechismen (note 26), 363–485. 62 Manual of Doctrine, 198, questions 1243–1246 (= Zinzendorf, Katechismen [note 26], 453, questions 1246–1249). 63 Manual of Doctrine, 221 (= Zinzendorf, Katechismen [note 26], 463, questions 1401–1403).

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characterized by Zinzendorf, when he wrote in 1757: »We are faithful, industrious people; a people who are undisruptive with regard to commercial activity, even if we may not be particularly supportive of it; a people among whom no idlers, beggars, destitute widows and orphans, or insolvent debtors will be found.«64 After his death, the Moravians affirmed the ideal of a Christian business practice: »The foundation for all our commerce is the sincere, honest and, as much as possible, mutually advantageous service to our neighbor.«65 (2) Ecclesiology. The second theological category of relevance to Moravian economic practice is a particular vision of, and commitment to, Christian fellowship and community. The importance of this aspect can hardly be overestimated. Zinzendorf once said that there was no Christianity without community, and his statement certainly rings true for Moravianism as a whole.66 For the eighteenth century, the Moravian emphasis on community is reflected in the word Gemeine, a term often used by Moravians to refer to themselves. In regular German usage, the word Gemeine denotes »unity« or »community« and was used by Luther to translate the Greek term ekklesia, namely the fellowship of believers in a local association (»congregation«) and their overarching unity within the Body of Christ (»church«). In Moravian usage, the basic theological meaning of Gemeine was expanded into a sophisticated and multi-layered concept: (1) Gemeine denoted the association and brotherly fellowship of true believers; (2) the Moravian movement saw itself as such an association within the larger context of Christ’s invisible church; (3) its characteristic mark was the believers’ sense of being bound together in mutual solidarity both on the level of a local congregation and also within the Moravian movement as a whole.67 Moravian economic practice was carried out in the context of a community whose religious identity was marked by the concept of Gemeine. This implied, as Zinzendorf pointed out in 1741, a strong emphasis on mutual solidarity: »We are all named after Christ, share one interest, have one economy, we are all there for one another.«68 Central for the Moravian economic approach was the 64 »Wir sind ein treues, arbeitsames, dem Commercio, wo nicht besonders aufhelfendes, doch unschädliches Volk, unter dem keine Müßiggänger, Bettler, unversorgte Witwen und Waisen oder insolvente Debitoren gefunden werden.« Quoted in Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 50. 65 »Die Grundlage unsers ganzen Commercii ist die aufrichtige, ehrliche und, soviel möglich, auf beiden Seiten vorteilhafte Bedienung unseres Nächsten.« Quoted ibid., 58. 66 »Ich statuiere kein Christentum ohne Gemeinschaft.« Quoted in Zinzendorf und die Herrnhuter Brüder (note 17), 265. 67 For discussions of the concept of »Gemeine« see Wilhelm Bettermann: »Warum wir Gemeine und nicht Gemeinde sagen.« Jahrbuch der Brüdergemeine 32, 1935/36, 16–17; Heinz Renkewitz: »Die Gemeine und ihr Dienst. Was versteht die Brüdergemeine unter Gemeine?« Mitteilungen aus der Brüdergemeine 44, 1938, 147–157; Peter Vogt: »Brüdergemeine – das theologische Programm eines Namens.« Unitas Fratrum 48, 2001, 81–105. 68 »Denn wir sind ja nach seinem Nahmen genannt, haben ein Interesse, eine Wirtschafft, wir sind eins vors andere da.« [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf:] Jeremias, ein Prediger der Gerechtigkeit

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understanding that in Christ the individual believers were bound together into one collective body and thus were called to share their goods and to bear each other’s burdens. Providing aid to the needy was regarded not as a matter of individual acts of charity but as a shared responsibility of the whole congregation. In Herrnhut and other Moravian congregations, sophisticated systems of social ministry and outreach were put into place to take care of the sick, the poor, the elderly, and others in need.69 Furthermore, economic activities, even if they were carried out by individuals, were not seen as a purely private matter but something to be considered in relation to the life of the whole community. Spangenberg wrote in 1753 that the Moravian Brethren should consider themselves to be stewards of their assets, rather than owners, knowing that they will have to answer to Christ for its usage.70 In the same vein, the Moravian Synod of 1764 stated: Everyone should consider himself only as a steward of his possessions. The idea that has been occasionally expressed – this belongs to me, I can do with it whatever I want to – does not suit a member of the Gemeine. We are wholly obliged to our Lord with our body, life, and possession, and He, not we ourselves, should have the authority over what is ours.71

As we consider the implications of this focus on the Gemeine for the Moravian approach to economic practice, two aspects may be noted. First, there was a clear sense that the ultimate purpose for all economic activities was to be found in the service of God and neighbor, as expressed in the life of the Gemeine. As a result, economic activities in the Moravian community were driven not by the goal of personal financial gain but by the desire to serve the needs of the community, both with regard to the practice of charitable aid within the church and with regard to its dedication to Christ’s greater mission in the world. Second, given the community-centered orientation of Moravian economic practice, the oversight over all economic activities rested with the church […] (Frankfurt a.M. and Büdingen: Brandmüller, 1741; reprinted Hildesheim: Olms, 1965) [BHZF: A 139.2.2], 230. 69 See Wollstadt, Geordnetes Dienen (note 16), 189–209; Heinz Renkewitz: »Der diakonische Gedanke im Zeitalter des Pietismus.« In Das diakonische Amt der Kirche. Ed. by Herbert Krimm (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 21965), 283–346, here: 309–337; Peter Zimmerling: »Das sozialethische Engagement Halles und Herrnhuts: zwischen Utopie und Ortsgemeinde.« PuN 29, 2003, 67–79. 70 »Sie sollen denken, daß sie nicht Herren ihres Vermögens, sondern nur Stewards [Haushalter] sind, die ihm Rede und Antwort dafür zu geben haben. Das ist wohl das wenigste, was man von der Wirkung der Lehre von Jesu Blut und Wunden erwarten kann.« Quoted in Müller, Brüdermission (note 20), vol. 1, 315–316. 71 »Es soll sich ein jeder nur als Verwalter der ihm gehörenden Güter betrachten. Das Prinzipium, das hin und wieder geäußert wird: Es ist das Meinige, ich kann damit tun, was ich will, schickt sich für ein Gemeinglied gar nicht. Wir sind uns unserm Herrn ganz nach Leib, Leben und Vermögen schuldig, und nicht wir, sondern Er muß die Disposition über alles das Unsrige haben.« Quoted in Zinzendorf und die Herrnhuter Brüder (note 17), 330–331.

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leadership. Accordingly, both private and church-owned businesses were widely regulated by appointed supervisors and elected committees. These agencies were designed to direct and control the various economic operations, especially to check the bookkeeping, to give approval to major decisions, and to assure that the various business activities conformed to the moral and spiritual standards of the Moravian community. (3) Liturgy. The belief that work should be understood and carried out as a form of worship represents yet another important feature in the Moravian approach to economics.72 In 1758, Zinzendorf remarked about Abraham Dürninger, the merchant of Herrnhut: »he has pursued his commerce for the Savior and the Church. […] I desire such merchants, who not only do no harm to their soul, but carry out their business with heartfelt devotion, as if going to a liturgy.«73 The word »liturgy« in this context refers to the experience of participating in worship and is used here as a point of comparison for the performance of work-related tasks. Zinzendorf and the Moravians held a holistic understanding of worship, believing that the spiritual life included all aspects of human activity and experience. They emphasized that, according to Col 3:17, believers were called to serve and honor God in everything they do. This understanding implied that for Moravian piety the conventional distinction between »secular« and »sacred« was greatly reduced. Within the boundaries of the settlement congregations the Moravians strove to achieve the full integration of all temporal matters into the larger spiritual ethos of their community. Zinzendorf used the expression liturgisch leben – »living in a liturgical manner« – to describe the ideal of living in such a way that all activities flowed out of one’s faith and were performed with the appropriate worshipful disposition and dignity. An essential part of living in a liturgical manner is constant mindfulness of Christ’s presence; another one is taking the person and life of Jesus as the model for one’s behavior in all things. This applies in particular to work-related activities. As Zinzendorf observed in 1760, »you know that sowing and plowing, feeding the cattle and threshing grain, spinning and knitting, sewing, cooking, and baking, and whatever else needs to be done, are nothing but liturgies, if they are done by a soul who is walking step by step with the soul of the Savior.«74 Liturgical living thus means performing one’s

72 On the meaning of »liturgisch leben« see ibid., 209–215; Peter Vogt: »Liturgisch Leben. Spiritualität in der Herrnhuter Brüdergemeine.« Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 52, 2001, 69–73. 73 »Er führt sein ganzes Kommerzium für den Heiland und die Unität. […] Solche Kaufleute hätte ich gerne, die nicht nur keinen Schaden an ihrer Seele nehmen, sondern auch ihr Geschäft so andächtig und von Herzen traktieren, als ob sie in die Liturgie gingen.« Quoted in Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 49. 74 »Denn ihr wisst, daß Säen und Pflügen, Viehfüttern und Dreschen, Spinnen und Stricken, Nähen, Kochen und Backen, und was sonst für Dinge zu tun sind, wenn das eine Seele tut, die Schritt vor

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work with an inner attitude of worshipful devotion and attentiveness in the ubiquitous presence of Christ. Manual labor and mundane business activities are no less holy than so-called »sacred« tasks like praying, singing, or participating in worship. One example of how members of the Moravian community applied Zinzendorf ’s spiritual and liturgical interpretation of labor to their ordinary tasks can be found in the memoir (autobiographical account) of Agnes Friederike von Seidlitz (1751–1826), who describes: One day I was given the task to carry a tablet with many china cups to the other end of a long hallway. And as I was about to say a prayer for the help of the Lord, the sacrilegious thought came into my mind: let me see if I can do it without, and behold, I successfully arrived at the other side. Yet in the course of the same day, I committed a blunder that was far more significant for me than the former one would have been. At once I thought: this is the punishment for what you have thought and failed to do today. I truly cried tears of contrition before my Savior with the plea that he would never let me go from his hand.75

It is important to note that the Moravian understanding of work as a sacred service shows close affinities to the Lutheran concept of »vocational calling« (Beruf). Luther held that each believer was called to serve God and neighbor in the dutiful fulfillment of the particular obligations of his or her occupation and standing in society. The notion of Beruf expressed for Luther the inherent spiritual value of secular occupations as corresponding to the God-given order of society.76 The work of a farmer was just as important and honorable before God than that of a priest. Zinzendorf and the Moravians were indebted to this understanding, but offered their own interpretation. The difference becomes apparent when we look at how Zinzendorf used Luther’s famous example of a maid cleaning the house. Throughout his sermons, Luther repeatedly used the example of a maidservant’s labor to illustrate that true faith does not rest in performing outward works of piety but in doing the work to which a person has been called Schritt mit des Heilands Seele zieht, ihr lauter Liturgien sind.« Quoted in Otto Uttendörfer: Zinzendorfs christliches Lebensideal (Gnadau: Unitätsbuchhandlung, 1940), 189. 75 »Es wurde mir eines Tages aufgetragen, ein Brett mit vielen Porzellan-Tassen einen langen Gang hinunter zu tragen und da ich eben im Begriff war, ein Gebet um die Hülfe des Herrn zu tun, kam mir der wirklich frevelhafte Gedanke in den Sinn: ich will doch sehen, ob es nicht auch ohne das geht: und siehe! Ich langte glücklich an. Allein noch im Verlaufe desselben Tages beging ich ein Versehen, das für mich größer war, als jenes gewesen wäre. Augenblicklich fiel mir ein: das ist die Strafe für das, was du heute gedacht und unterlassen hast. Ich weinte wahre Tränen der Reue vor Ihm, meinem Heiland mit der Bitte, mich doch nie von seiner Hand zu lassen.« »Lebenslauf Agnes Friederika Baronin von Seidlitz.« Nachrichten aus der Brüdergemeine (1829), as quoted in Mettele, Weltbürgertum oder Gottesreich (note 19), 253. A similar experience, related by Heinrich Jahr, is quoted in Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 450–451. 76 Gustaf Wingren: »Beruf II. Historische und ethische Aspekte.« Theologische Realenzyklopädie 5, 1980, 657–671.

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by God. In a sermon on »The highest commandment« (Mt 22:34–36) which he preached in 1534, for instance, Luther points out that, while people often consider the religious activities of monks more important than the work of ordinary people, God rejects such a distinction. He does not prefer one before another, nor does he exclude anyone from serving him, no matter how lowly he might be. Instead, he enjoins upon everyone to love God and his neighbor. Since God seeks nothing extraordinary from us and tolerates no distinctions, we must conclude that, when a maid, who has faith in Christ, dusts the house, her work is more pleasing in service to God than that of St. Anthony in the wilderness.77

In another sermon, Luther states that although it may appear to be »an insignificant thing« when a maid-servant cooks, washes dishes, sweeps the house, and the like, her work still counts as a service to God because it corresponds to what God has commanded her to do.78 Several other passages with similar illustrations could be added.79 Zinzendorf, who seems to have been familiar with Luther’s sermons, offers the following interpretation of the example of the maid: Dr. Luther has said: When a pious maid carries out the ordinary work of her hands, sweeping the room, feeding the cattle, etc., she is doing such a holy deed as the pastor in front of the altar. The Savior only looks at the heart and mind, with what kind of disposition one does something; he values the noble idea that something is done for his sake, out of love for him. This causes the meanest activity to be just as pleasing to him as the most heroic deed.80 77 Martin Luther: The Sermons of Martin Luther. The House Postils. Vol. 3 (Grand Rapids: Baker Books, 1996), 75; cf. WA 37 (Predigten 1533/34), 547. 78 »Every one could enter into the service of God, if he would only learn what is meant by serving God. For it does not consist in work, but in the word and command of God. The world considers it something great if a monk denies himself every temporal enjoyment, enters a cloister, and leads a life of privation by fasting, watching, praying, and the like. In this case there is not lack of work, but a lack of divine command. God has not commanded him to do so; and therefore it cannot be pointed to as a service of God. On the other hand it appears to be an insignificant thing for a maid-servant to cook, wash dishes, sweep the house, and the like. And yet, because God has commanded her to do so, her work is truly a service of God, and excels by far the so-called holiness and hard life of monks and nuns.« Martin Luther: Sermons on the Gospels for the Sundays and Principal Festivals of the Church Year. Vol. 2. Ed. by Matthias Loy (Rock Island: Lutheran Augustana Book, 1871), 454; cf. WA 52 (Hauspostille 1544), 471–472. 79 See WA 10/1.1 (Kirchenpostille 1522), 310; WA 10/1.2 (Adventspostille 1522), 41 and 143; WA 32 (Predigten 1530), 109–110; WA 52 (Hauspostille 1544), 110–116 and 492. 80 »Dr. Luther hat gesagt: Wenn eine gottselige Magd die ordinäre Arbeit ihrer Hände thäte, Stube kehrte, das Vieh fütterte etc., so verrichtete sie ein so heilig Werk als der Pfarrer vor dem Altar. Der Heiland sieht lediglich darauf, mit was für einem Herzen und Gemüth man etwas thut; Er regardirt die Noblesse der Idee, daß mans um Seinetwillen thut, aus Liebe zu Ihm. Das macht Ihm die allergemeinste Handlung so angenehm, als die größte heroische That.« Auszüge aus des Seligen Ordinarii der Evangelischen Brüder-Kirche sowol ungedrukten als gedrukten Reden über biblische Texte. Vol. 1. Ed. by Gottfried Clemens (Barby: Seminarium Theologicum, 1763; re-

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The significance of this passage for our discussion lies in the fact that while Zinzendorf places himself in the Lutheran tradition and affirms the spiritual value of ordinary activities, there is a slight shift of emphasis: it is the inner disposition of one’s heart toward Christ, rather than simple obedience to God’s commandments, that forms the decisive criterion for the sanctity of one’s work. The concept of »calling« is thus complemented by the notion of a person’s religious dedication. Living in a liturgical manner requires an attitude of inner devotion that welcomes ordinary labor as an opportunity to serve and honor Christ. (4) Christology. The last theological category to consider in our review of the Moravian approach to economic practice is Christology, more specifically: the interpretation of the human condition in relation to the person of Jesus Christ, as the incarnate and crucified Savior of the fallen human race. Here, we touch on the heart of Moravian piety, which is centered on the doctrine of the atonement: (1) Jesus Christ has saved humanity from the power of sin and death by his human birth and his suffering and death on the cross; (2) the original innocence and sanctity of God’s created order has been restored in Christ; (3) spiritual regeneration by faith in Christ gives believers the possibility to share, albeit fragmentarily, in a new life marked by the presence and holiness of Christ.81 On the basis of this understanding, Zinzendorf offers two important insights concerning the value of work and labor as a part of the human condition. The first insight is the recognition that labor, according to the order of creation, should not be considered a punishment for sin but as an expression of God’s original intent for the human race. As Zinzendorf notes, God’s mandate for humanity to work belongs to the state of life in paradise, appearing for the first time in Gen 2:15 where it is written that God placed Adam in the Garden of Eden »to till it and keep it.« It was only after the fall that God proceeded to pronounce a curse upon human labor to make it burdensome: »by the sweat of your brow you shall eat your bread« (cf. Gen 3:17–19). According to Zinzendorf, the negative connotation of labor must be carefully distinguished from the »original plan« of caring for the garden. Referring to Gen 2:15, he explains: Normally, labor has been considered a consequence of the fall, but toil and hardship is only a part of it, and not even one that is inseparably attached to it. So as we sing: ›whenever I find something overly burdensome, I taste the sin.‹ Others have looked at printed Hildesheim: Olms, 2010), 61. For additional references to Luther’s example of the maid in Zinzendorf ’s writings see Reichel, »Zinzendorf ’s Auffassung« (note 1), 43–45, Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 33; Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Sonderbare Gespräche. Ed. by Hans Schneider (Leipzig: Evangelische Verlags-Anstalt, 2005), 54. 81 See Dietrich Meyer: »Zinzendorfs Sehnsucht nach der ›Naturellen Heiligkeit:‹ Zum Verhältnis von Natur und Gnade.« In Traditio – Krisis – Renovatio: Festschrift für Winfried Zeller. Ed. by Rudolf Mohr (Marburg: Elwert, 1976), 284–297.

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labor as a necessity of life, without which one would not be able to support oneself and move ahead. But the example of labor in these words suggests a sense of paradise, something voluntary and pleasant.82

As we consider the implications of this interpretation for the Moravian work ethic, it is important to note that Moravians believed that the curse of the fall had been overcome through the redeeming work of Christ and that, therefore, the original dignity of human labor had, in some sense, been restored to them. The new life in Christ, to which they felt called, involved the challenge to embrace work and labor as a God-given privilege, rather than a burden, and to carry out their tasks with eager dedication. The Moravian ideal was a routine of work marked by diligence and zeal, yet freed from the bitterness of strenuous toil, which represented the expression of sin. We find this understanding reflected in one of the supplications of the Church Litany, quoted above: »Bless the Sweat of the Brow, and the Faithfulness in Handicraft Business; that in no Labour may be perceived the After-taste of Sin!«83 The second insight is the recognition that the sphere of human work and labor has not only been redeemed from the power of sin, but has also been sanctified in a particular way through the incarnate life of Jesus Christ. According to Zinzendorf, the Christological doctrine of the two natures implied that Christ, in the person of Jesus, had made the human condition fully his own, including the experience of being employed as a craftsman. The very fact that the Savior did not stand above working with his hands in a carpenter shop made it impossible for believers to discount the performance of ordinary work as spiritually insignificant. On the contrary, the example of Jesus stood as the model for diligent and faithful work, providing the believers in their own efforts with inspiration and encouragement. This understanding is evident in the so-called »Litany of Christ’s Life, Sufferings, and Death« (also known as »Litany of the Wounds«), which includes the following reference to Jesus as laborer: Thy precious Sweat when at Work Make all Labour sweet to us! 82 »Man hat sonst die Arbeit für eine Consequenz des Falls gehalten, und das ist doch nur ein Theil derselben, welcher noch dazu nicht inseparabel davon ist, die Mühe und Verdruß; wie wir singen: ›wenn ich was überlästig finde, schmek ich die Sünde.‹ Andere haben die Arbeit blos als eine Nothwendigkeit tractirt, ohne die man nicht fortkommen und nichts vor sich bringen könte. Aber das Exempel von der Arbeit in diesen Worten hat was von Eden, was freywilliges und wohlgefälliges.« Auszüge aus des Seligen Ordinarii Reden (note 80), 61. 83 Litany Book (note 47), 50; see Litaneyen-Büchlein (note 47), 57: »Segne den arbeits=schweiß und die handwerks=treue,/ Daß man in keiner mühe finde nachschmak der sünde!« The last line is an allusion to a hymn by Gerhard Tersteegen, as quoted in the Herrnhuter Gesangbuch of 1735, reprinted in Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Materialien und Dokumente. Series 4: Gesangbücher. Vol. 3. Ed. by Gerhard Meyer [et al.] (Hildesheim: Olms, 1981), no. 227,2: »Dis ist die frucht von meinen sünden, daß ich mit mühe wirken muß:/ drum thu ichs lieber ohn verdruß: denn, wann ichs widerwärtig finde, schmek ich die sünde.«

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Peter Vogt Thy Faithfulness in thy Handicraft Make us faithful in our Part!84

In the context of this liturgy, the recollection of the experience of Jesus as a craftsman serves to evoke a transformative power for the believers, as they strive toward moral and spiritual integrity in their own work and labor. In a sermon that Zinzendorf preached in 1747 on the passage quoted above, we find a twofold emphasis on consolation and exhortation.85 On the one hand, believers who are faced with difficult and demanding tasks may find comfort in the fact that Jesus was well acquainted with hard work: Now when work is difficult and the demands of business are hard, when we stand in a situation of carrying an overly heavy burden, we remember the divine sweat and recall that the creator of all things, who for our sake has taken upon himself this mortal body, has also experienced hardship in his time, not only in his public ministry of preaching, but – remarkably enough – for the most part of his life in the very ordinary occupation of a lowly craftsman.86

On the other hand, Zinzendorf refers to the example of Jesus to exhort the members of the Moravian community to carry out their respective tasks with greatest care and punctuality, even if they seem small and insignificant. Please note, my brothers and sisters, this faithfulness in his profession and this readiness to serve and obey his parents over the course of 18 years and to be faithful and diligent in all things in which he was needed or instructed. […] Whoever has looked at him saw him to be in all these tasks an industrious and able person. […] It has pleased him to be that way; he has not chosen the most important, but rather the most obvious, simple, and natural state of the various human situations, the one that was most in agreement with the social standing of his parents […] Why? So that we, too, would not long tarry in scruples but would quickly take up whatever is nearest to each one, as regards his or her skills, talents, and vocation, as well as the particular circumstance of one’s situation. May the faithfulness of his handicraft make us faithful on our part.87 84 Litany Book (note 47), 77; see Litaneyen-Büchlein (note 47), 84: »Dein theurer Arbeits-schweiß/ Mach uns alle mühe leicht!/ Deine handwerks-treue/ Mach uns treu in unserem theil.« 85 [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf:] Vier und Dreyßig HOMILIAE über die Wunden-Litaney der Brüder, gehalten auf dem Herrnhaag in den Sommer-Monaten 1747 von dem Ordinario Fratrum (1747) [BHZF: A 176.1]. Reprinted in Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Hauptschriften. Vol. 3. Ed. by Erich Beyreuther and Gerhard Meyer (Hildesheim: Olms, 1963), 120–127. 86 »Wenns einem also wirklich schwer wird, wenn einem die Geschäfte sauer ankommen, und wenn man in einer Art einer Überladung steht, so denkt man an Gottes Schweiß, und besinnt sich, daß der Schöpfer [= Jesus Christus], der um unsertwillen in dieser sterblichen Hütte gewesen ist, zu seiner Zeit auch ein sauer Leben gehabt, nicht nur in seinem Lehr-Amt, sondern, welches das merkwürdigste ist, die meiste Zeit seines Lebens in schlechter Hand-Arbeit, in sehr ordinairen Umständen.« Vier und Dreyßig HOMILIAE (note 85), 122. 87 »Seht, meine Geschwister! diese Handwerks-Treue, diese achtzehn-jährige Pünctlichkeit, seinen Eltern zu dienen und unterthan zu seyn, und in allem dem, darinnen er gebraucht oder ange-

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Zinzendorf ’s Christological reflection stresses, once again, the significance of work and labor within the context of Moravian faith and spirituality. The image of Jesus as a craftsman provided the basis for drawing a close connection between the Imitatio Christi and economic practice. It is important to note, however, that Zinzendorf and the Moravians understood the relationship between work and spirituality in terms of the Protestant doctrine of justification by faith. They rejected the concept of work-righteousness, namely the idea that human effort was necessary to earn the gift of salvation.88 For them it was certain that believers were saved exclusively by the sacrifice of Christ’s death on the cross. Thus they regarded thankfulness towards Christ, rather than desire for spiritual rewards, as the most appropriate motivation for eager and diligent work on the part of the believers.

4. Conclusion In the 1759 version of the Church Litany, the members of the Moravian movement prayed to God for the sanctification of their economic practice: »Let our commerce be holy unto Thee!«89 It could be said that the essence of the Moravian approach to economic practice is summarized in this prayer. The Moravians were striving for the sanctification of labor and business activities, which they considered to be a part of their calling as children of God. The notion of »holy commerce« expressed the ideal of the complete integration of the economic sphere into the spiritual life of the church. The prayer indicates that the Moravians believed that this sort of holiness was possible, that piety and economic activity were indeed reconcilable with one another, yet it also indicates that they felt that ordinary economic practice stood in need of spiritual transformation and that the divine gift of grace was necessary to achieve the consecration of temporal pursuits to the glory of God and the good of one’s neighbor. wiesen wurde, gehorsam, treu und fleißig zu seyn; […] wer ihm so nachgesehen hat, der hat in allen den Theilen, worinnen er gestanden, einen fleißigen, geschickten Menschen an ihm gesehen, […] das hat ihm nun so beliebt, er hat sich nicht das wichtigste, sondern das nächste, simpelste und naturellste von den menschlichen Umständen, die so meist au niveau [auf gleicher Stufe] mit seiner lieben Eltern äußerlichen Stande waren, ausgesucht, […] warum? damit wir auch nicht lange scrupuliren, sondern gleich zu dem greiffen sollen, was einem jeden das nächste ist in Ansehung seiner Geschicklichkeit, seiner Begabtheit und seines Beruffs, in Ansehung der Zeit und der Umstände, darinnen man sich befindet. Seine Handwerks-Treue macht uns treu in unserm Theil.« Ibid., 126–127. 88 See Peter Vogt: »›No inherent perfection in this life:‹ Count Zinzendorf ’s Theological Opposition to John Wesley’s Concept of Sanctification.« Bulletin of the John Rylands University Library of Manchester 85:2–3, 2003, 297–307. 89 Litany Book (note 47), 50; see Litaneyen-Büchlein (note 47), 57: »Heilige dir unser Commercium.«

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It is important to note that the idea of »Holy Commerce,« as representative of the Moravian economic approach, involves several levels of how holiness is understood. First of all, »Holy Commerce« reflects the commitment to moral integrity. Here, holiness means that all business dealings are carried out in a fair and truthful manner according to the precepts of Holy Scripture. Second, »Holy Commerce« represents an operation that serves the purposes of God. Holiness, in this sense, consists in the dedication of all economic activities to the glory of God and to the building up of God’s Kingdom. Third, »Holy Commerce« refers to an attitude of inward spiritual devotion on the part of the believers. Holiness, here, denotes the fact that business activities are carried out in a liturgical manner, that they are performed with a worshipful disposition of the heart toward God. Finally, »Holy Commerce« expresses the conviction that for Christian believers all aspects of life, including the sphere of labor and business, have been sanctified through the saving work of Christ. Holiness is thus the quality of a life that shares in the gift of salvation and has, by the grace of God, been restored to its original innocence and integrity.90 In the context of this transformation, the execution of work-related tasks takes on a new meaning: it is no longer a burden marked by the curse of the fall, but a privilege that corresponds both to God’s created order and to the example of Jesus as a workman. In sum, the Moravian understanding of »Holy Commerce« presents itself as a multi-layered concept that reflects Zinzendorf ’s attempt to integrate economic activities into the spiritual life of the Moravian community. The striving for holiness in the Moravian approach combines ethical and theological aspects that strike a careful balance between human effort and divine grace. The believers are called to be diligent and faithful in their labor, yet they know that it is only through sharing in the holiness of Christ that their activities are counted holy before God. Apart from Christ, their efforts are in vain. The notion of »Holy Commerce« thus expresses the understanding that, paradoxically, work belongs to holiness, but holiness is never achieved through work. The point of departure for this essay was the question of whether and in what ways the Pietist movement created specific forms of understanding, organizing, and performing economic activity. My argument was that one example of such an approach can be found in the economic practice of the Moravian Church, which was based on the ideal of labor and business as a spiritual discipline within the context of a theocratic community. Moreover, we took note of the question as to the place of the Pietist movement within the larger development of economic theory and practice in early modern Europe. In this connection, we considered Max Weber’s famous argument about the origins of capitalism in Protestantism and noted his ambivalent view of the Moravians, which we interpreted as evidence that the Moravian economic approach differed considerably from the emerging capitalist ethics. We will 90 See Meyer, »Zinzendorfs Sehnsucht« (note 81), 284–285.

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now, in conclusion, return to Max Weber’s analysis and utilize the four essential concepts of his theory to describe and summarize the distinctiveness of the Moravian approach. There are, in my view, three areas where the Moravian approach corresponds to one of Weber’s concepts. The greatest agreement can be found with regard to the concept of work ethic that expresses the connection between a positive religious interpretation of labor and the pursuit of a rigorous work performance. As we saw, Zinzendorf and the Moravians placed a great emphasis on labor, which they regarded as part of God’s plan for human existence. In 1738, Zinzendorf expressed the understanding that work was central for every member in the Moravian community: »We do not work so that we may live, but we live for the sake of our work, and if someone does not have anything to work, he will suffer or pass away. Work must be carried out in a congregation.«91 An interesting account of the Moravian work ethic can be found in Christian David’s report about life in early Herrnhut, which was published in 1735: »We count the time of rest from 11 p.m. to 4 a.m., and if 3 hours are subtracted for the nourishment of body and soul, 16 hours remain for physical work, which is carried out with untiring staunchness and diligence, as long as a person is in good health; and each and every one is admonished to eat his own bread.«92 The emphasis on work was softened during the 1740s, when the ideas of rest and celebration moved temporarily into the foreground, but after the end of the »Sifting Period« and especially when the burden of financial debts became apparent after Zinzendorf ’s death, the Moravians recovered their stringent work ethic. Another area of agreement is the affinity between Zinzendorf ’s idea of living in a liturgical manner and Weber’s concept of »vocational calling« (Beruf), which both express the understanding that spiritual fulfillment is found in dutifully carrying out the tasks of one’s secular profession. The decisive aspect here is the conviction that Christian believers are called to serve and honor God in all areas of life and that, therefore, economic activities are just as much an arena for devoting oneself to the service of God as prayer and worship. Zinzendorf frequently cautioned the members of the Moravian community to be faithful in their tasks, even if they seemed mundane, and to look upon ordinary activities as opportunities for doing God’s will.93 A noteworthy Moravian particularity is the interpretation of labor in terms of liturgy: »When I am working with my hands, I am doing it as a liturgy of the 91 »Man arbeitet nicht allein daß man lebt, sondern man lebt um der Arbeit willen, und wenn man nichts mehr zu arbeiten hat, so leidet man oder entschläft. In einer Gemeine muß gearbeitet sein.« Quoted in Zinzendorf und die Herrnhuter Brüder (note 17), 324. 92 »Von 11 Uhr an bis frühe um 4 Uhr rechnet man die Ruhezeit, und bleiben, wenn noch 3 Stunden zur geistlichen und leibliche Speise abgezogen werden, 16 Stunden zur leiblichen Arbeit übrig, welche auch mit unermüdeter Treue und Fleiß, solange man gesund ist, abgewartet und alle und jede […] ihr eigen Brot zu essen angehalten werden.« Quoted ibid., 324. 93 See Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 31–33; and id., Lebensideal (note 74), 29–33.

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Savior. For He has done likewise, His faithfulness in handicraft and His sweat of labor have also been liturgies.«94 Finally, we find some agreement between the Moravian emphasis on simplicity and frugality and Weber’s concept of inner worldly asceticism, which denotes the religiously motivated rejection of self-indulgence and luxury. Certainly, the Moravians concurred with the notion that it was sinful to waste money on unnecessary comfort and pleasure. Living modestly without many needs was considered a virtue.95 Moravian stores were sometimes cautioned not to offer too large a variety of merchandise lest their customers would be tempted into buying superfluous goods.96 In order to avoid fancy clothing, a uniform plain dress was introduced among the Moravian sisters.97 Yet, given Zinzendorf ’s aristocratic background, life in Moravian communities was also marked by a certain level of elegance and style. Accordingly, Moravian aesthetics in music, art, and architecture were not completely austere, but involved a combination of both simplicity and moderate sophistication.98 Having noted several areas of agreement, it is also important to observe the following points where the Moravian economic approach diverges from the conceptual framework for Weber’s argument about the Protestant origins of modern capitalism. One significant difference concerns the fourth concept of Weber’s argument, namely that for some Christian groups the accumulation of wealth was interpreted as a sign for the assurance of salvation. There is no evidence that the Moravians shared this view. To be sure, Moravians generally interpreted economic success as an expression of divine blessing. A Moravian Synod noted in 1754, »we rejoice in the Savior’s blessings in our store and factory,« and expressed the hope that the prosperity of Moravian businesses would »show to the whole country that God is with us.«99 Yet, the Moravians did not think that believers were called to gather material wealth. Zinzendorf believed that the accumulation of money would be harmful for the spiritual life 94 »Wenn ich was arbeite mit den händen, so thue ichs als eine Liturgie des Heilands; Er hats auch gethan, seine Handwerks-treue und sein Arbeits-Schweiß sind auch Liturgien gewesen.« [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf]: Samlung einiger von dem seligen Ordinario Fratrum während seines aufenthalts in den Teutschen Gemeinen von Anno 1755 bis 1757 gehaltenen Reden an die Kinder (Barby: Seminarium Theologicum, 21761 [BHZF: A 212.2]; reprinted Hildesheim: Olms, 1965), 78. 95 See Uttendörfer, Lebensideal (note 74), 34. 96 Uttendörfer, »Entwicklung des Wirtschaftsgeistes« (note 1), 171. 97 Gisela Mettele: »Der Entwurf des pietistischen Körpers: Die Herrnhuter Brüdergemeine und die Mode.« In Das Echo Halles (note 14), 291–314; Elisabeth Sommer: »Fashion Passion: The Rhetoric of Dress within the Eighteenth-Century Moravian Brethren.« In Pious Pursuits: German Moravians in the Atlantic World. Ed. by Michele Gillespie and Robert Beachy (New York: Berghahn, 2007), 83–96. 98 See Podmore, Moravian Church (note 29), 150–158; Helmut Rudolph: Herrnhuter Baukunst und Raumgestaltung: Der bürgerliche Barock der Brüdergemeine Herrnhut (Herrnhut: Winter, 1938); Wehrend, Musikanschauung (note 29), and Peucker, »Kreuzbilder und Wundenmalerei« (note 29). 99 Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (note 8), 42–43.

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of the community. As he pointed out in 1752, »commerce and the pursuit of making money, where we forget that our heavenly father cares for us,« were not agreeable to him.100 He frequently cautioned against the undue expansion of economic undertakings and pointed out that Moravian businesses »must avoid entirely the desire of becoming rich and the wish to win money«.101 He felt, moreover, that the biblical message of Christ’s death on the cross did not contain the promise of material wealth, great honor, and temporal enjoyments, but rather the expectation of a life marked by toil, renunciation, and weakness.102 The Moravian theology of the cross thus effectively ruled out any interpretation of success and prosperity as a sign of salvation. The other two points of difference concern aspects that were an essential part of Moravian economic practice but do not play a prominent role in Weber’s analysis of the Protestant ethic. There is, first, the understanding (which was shared by Moravians and Halle Pietists alike103) that the pursuit of income was only to serve the purpose of building up the Kingdom of God. Moravians spent large sums on mission projects, publications, evangelism, and the maintenance of a network of global connections. The profits of economic endeavors were used to finance these activities, often to the point that very little was left for necessary capital expenditures, not to mention the accumulation of wealth.104 The other aspect is found in the Moravian emphasis on communal solidarity. The Synod of 1775, which introduced the system of Gemeindiakonie, articulated this understanding as follows: As parts of the Unity, all congregations are called not only to benefit from the good but also to participate in the burden. As much as the Moravian congregations form one unity with regard to the spiritual life, they also should be a unity in all their economic facilities, sharing in the same overarching purpose.105

Thus the constellation of the various economic activities was marked by cooperation rather than competition. Both the Moravians’ eagerness to devote themselves to the mission of God’s Kingdom and their readiness to support each other in mutual solidarity sprang from deeply held religious convictions. Both also provided powerful incentives for carrying out economic activities in an effective and dedicated manner. The 100 Ibid., 39. 101 »Das reich werden wollen und Geld gewinnen wollen muß eine Brüderhandlung ganz evitieren.« Quoted ibid., 59. 102 Uttendörfer, Lebensideal (note 74), 38. 103 See Philipp, »Halle und Herrnhut« (note 12). 104 Id., »Wirtschaftsethik« (note 1), 425. 105 »Alle Gemeinen sollen als Teile der Unität nicht nur das Gute mit genießen, sondern auch an den Lasten teilnehmen. So wie die Brüdergemeinen alle zusammen von der Seite des Herzens eine Unität sind, so sollen sie eben auch in ihrer ganzen öconomischen Einrichtung eine Unität sein, d. h. sie sollen dabey alle einen und denselben Zweck haben.« Quoted in Mettele, »Kommerz und fromme Demut« (note 7), 318.

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Moravians thus developed and observed a work ethic that was much more rational and purposeful than Max Weber was willing to give them credit for. They embraced the sphere of economic activity but modified it according to their religious beliefs and values. As a result, they arrived at an economic practice that has been characterized as »moral capitalism,«106 a distinct approach that transformed the performance of labor, trade, and business into a spiritual discipline and was sustained by the conviction that commerce, if carried out in that way, would be holy before God.

106 Katherine Carté Engel: »The Strangers’ Store: Moral Capitalism in Moravian Bethlehem, 1753– 1775.« Early American Studies 1, 2003, 90–126.

Heidrun Homburg

Gläubige und Gläubiger Zum ›Schuldenwesen‹ der Brüder-Unität um die Mitte des 18. Jahrhunderts

1. Einleitung Die Schuldenkrise Mitte der 1750er Jahre steht für eine einschneidende Phase in der Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine. Die Krise war verbunden mit einer Phase rascher Expansion der Brüdergemeine und stand im Zusammenhang mit neuen enthusiastischen Formen der Frömmigkeit. Diese hatten seit Anfang der 1740er Jahre das alltägliche religiöse Leben und gemeinsame Wirtschaften in den brüderischen Ortsgemeinden revolutioniert. Im Folgenden werden der Umgang mit der Schuldenkrise in der Brüder-Unität und eine in diesem Zusammenhang entstandene Quelle vorgestellt. Beides verstehe ich als erste Schritte einer Analyse der Schuldenkrise und als einen Beitrag, deren Stellenwert für die komplexen Wechselwirkungen zwischen Pietismus und Ökonomie in der Brüdergemeine zu fassen.

2. Schuldenmacherei, Geldnot und Kreditkrise 1741–1753 Folgt man der Darstellung von Johannes Plitt in seinen zwischen 1828 und 1841 handschriftlich ausgearbeiteten Denkwürdigkeiten aus der Geschichte der erneuerten Brüder-Unität,1 traten Anfang der 1740er Jahre erstmals massive Geldnöte in der Brüder-Unität auf. Kenntnis davon hatten jedoch nur Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700–1760) und ein engster Kreis seiner Mitarbeiter in der »Pilgergemeine« bzw. im »Jüngerhaus« (so die seit 1751 übliche Bezeichnung), die der Gründer der erneuerten Brüdergemeine seit seiner Ausweisung aus Sachsen 1736 an seinen wechselnden Aufenthaltsorten zur Unterstützung und zum fortgesetzten Austausch in Leitungsfragen um sich versammelt hielt.2 Lange Jahre unterblieben ernste Anstrengungen, sich mit der Schuldenproblematik eingehend auseinanderzusetzen. Andere Fragen 1 Johannes Plitt: Denkwürdigkeiten aus der Geschichte der erneuerten Brüder-Unität in zwölf Büchern (und Anhängen). Handschriftlich im Unitätsarchiv Herrnhut (im Folgenden: UA), NB I, R3, 10a in acht Bänden, 1828–1841. 2 Vgl. Paul Peucker: Herrnhuter Wörterbuch. Kleines Lexikon von brüderischen Begriffen. Herrnhut 2000, 34, 43.

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hatten Vorrang, darunter insbesondere theologische und organisatorische Fragen, die den Ort der Brüdergemeine innerhalb der protestantischen Kirche, ihre religiöse Praxis, ihren Auf- und Ausbau, auch die Sicherung von bereits angelegten Ortsgemeinden sowie die Ausgestaltung ihrer Glaubens-, Alltagsund Arbeitswelt in den einzelnen Gemeinorten, bei der Diaspora- und Missionsarbeit betrafen. Plitt (1778–1841) war selbst Mitglied der Brüdergemeine. Seit seinem zwanzigsten Lebensjahr war er innerhalb der Gemeinschaft in verschiedenen Positionen tätig, zunächst als Lehrer (1798), Konferenzschreiber (1805), Internatsaufseher (1808), Direktor des Theologischen Seminars (1818–1825), dann als Mitglied der Unitätsältestenkonferenz, des Leitungsgremiums der Brüder-Unität (seit 1825) und dazu seit 1836 bis zu seinem Tod als Unitätsarchivar.3 Bei allem Bemühen um einen sachlichen Bericht über die Entwicklung der Brüder-Unität zwischen 1741 und 1760 auf der Basis der von ihm gesichteten archivalischen und gedruckten Überlieferung vermochte er seine Verwunderung, manchmal auch Irritation, die das Quellenstudium hervorgerufen hatte, nicht völlig zu unterdrücken: Nachdem man bis 1741 mit Furcht geborgt und mit Sparsamkeit ausgegeben, ist man, sonderlich in der Sichtungszeit4 [Hervorh. i.O.] auf einen anderen Weg gekommen, hat mit Verwegenheit geborgt und mit Verschwendung ausgegeben. Wol [sic] nie war in einer Christen-Oekonomie ein solcher Zustand! […] Man kann nicht anders denken, als dass damals ein böser Geist ausgegangen ist, der durch eine falsche Lehre im

3 Vgl. Dietrich Meyer: Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine 1700–2000. Göttingen 2000 (= umgearbeitete und um zwei Kap. erweiterte Ausgabe von dems.: Zinzendorf und Herrnhut. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 2. Hg. von Martin Brecht [u. a.]. Göttingen 1995, 5–106), 171. 4 Innerhalb der Brüdergemeine gilt die »Sichtungszeit«, die nach Uttendörfer im Kern die Jahre 1743/44 bis 1749 umfasste, allerdings bereits etwas früher einsetzte und bis in die Mitte der 1750er Jahre ausstrahlte, als »Zeit der religiösen Schwärmerei«, für die – gegenüber der Formationsperiode der Brüdergemeine nach ihrer Gründung in Herrnhut 1722/1727 – ein »Wandel der Frömmigkeit« unter dem Einfluss »aristokratischer Frömmigkeit« hin zu einer »gefühlige[n], fröhliche[n] Religiosität mit ihrem Genuss der Heilandsliebe« und die Abkehr vom alten brüderischen Wirtschaftsgeist und dessen Arbeits-, Armuts- und Selbstbescheidungsethos bezeichnend seien. Vgl. O[tto] Uttendörfer: Wirtschaftsgeist und Wirtschaftsorganisation Herrnhuts und der Brüdergemeine von 1743 bis zum Ende des Jahrhunderts. Herrnhut 1926, 14 f. Bei Peucker, Wörterbuch (wie Anm. 2), 49, findet sich hierzu die folgende Erläuterung: »1. Nach Lukas 22:31 eigentlich: Zeit der Prüfung. […] 2. Allmählich ausschliesslich als Bezeichnung für die Zeit vor 1749, in der die Betonung der Erlösung durch Jesu Blut und Wunden umgeschlagen war in eine spielerische Leichtsinnigkeit, die durch eine exzessiv schwärmerische und erotisierende Sprache gekennzeichnet wurde. Durch die Gewissheit der Gnade schienen sich für manchen die Grenzen zwischen Zeit und Ewigkeit zu verwischen. Zinzendorf machte mit einem Strafschreiben vom 10. 02. 1749 diesen Entwicklungen ein Ende.« Zu den Grenzen der ›Säuberung‹ und dem Fortbestand liturgischer Elemente aus der »Sichtungszeit« vgl. Craig D. Atwood: Interpreting and Misinterpreting the Sichtungszeit. In: Neue Aspekte der Zinzendorf-Forschung. Hg. v. Martin Brecht u. Paul Peucker. Göttingen 2006, 174–187.

Zum ›Schuldenwesen‹ der Brüder-Unität

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Innern und durch Geld-Confusion im Aeußern die Brüder Sache attackiert hat, um sie zum Spectakel zu setzen, so lang die Welt steht!5

Der Unitätsarchivar versucht, aus den Quellen herauszupressen, wie es zu dieser Entwicklung hat kommen können, warum man nicht (beizeiten) gegengesteuert hat, und gelangt zu ihn beunruhigenden Erkenntnissen. 1746 auf der Zeister Synode6 habe Zinzendorf eine Art Schlussrechnung vorgelegt, »den Bestand ungedeckter Schulden auf ungefähr 1 Million Gulden« beziffert und »außerdem 800/m[ille]« genannt, »für die meist Deckung vorhanden« sei.7 War dieser Schuldenstand bereits für sich genommen erdrückend, so gewinnt er für Plitt bedrohliche Dimensionen, da »gerade jetzt […] die dringendsten Geldbedürfnisse [kamen]«.8 Dennoch habe sich Zinzendorf weiterhin der »hallischen Praxis, Collecten zusammen zu bringen«, wie dies Spangenberg9 angeregt hatte, widersetzt,10 habe insistiert, »daß man hauptsächlich den Reichen an den Beutel klopfen müsse«,11 und sich in seiner Eingangsrede auf der nach seiner Rückkehr nach Sachsen in Hennersdorf als »ökonomische Synode« im Oktober 1747 abgehaltenen Konferenz überzeugt gegeben, dass die Finanzierung der großen Vorhaben gesichert sei: »Der Ca5 Plitt, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 1). Bd. 5, 93. 6 Sie tagte vom 12. Mai bis 17. Juni 1746. Vgl. Paul Peucker: Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Übersicht der wichtigsten Lebensdaten. In: Graf ohne Grenzen. Leben und Werk von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Ausstellung im Völkerkundemuseum Herrnhut und im Heimatmuseum der Stadt Herrnhut vom 26. Mai 2000 bis zum 7. Jan. 2001, Herrnhut 2000, 1–9, hier: 7. Zu den auf der Synode verhandelten Gegenständen vgl. August Gottlieb Spangenberg: Leben des Herrn Nicolaus Ludwig Grafen und Herrn von Zinzendorf und Pottendorf. 8 Teile. Barby 1773– 1775. Reprint: Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Materialien und Dokumente. Hg. v. Erich Beyreuther [u. a.]. Reihe 2: Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Leben und Werk in Quellen und Darstellungen. Hildesheim 1971. Bd. 5/6. 6. Teil: 1745–1750 (1774), Kap. 2, § 8, 1649 f; J. Taylor Hamilton u. Kenneth G. Hamilton: Die erneuerte Unitas Fratrum 1722–1957. Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine [1967]. A. d. Amerik. übertr. v. Joachim Haarmann. Bd. 1: 1722– 1857. Bd. 2: 1857–1957. Herrnhut 2001 u. 2003, hier: Bd. 1, 130. 7 Plitt, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 1). Bd. 5, 95. 8 Ebd., 96. 9 Zu August Gottlieb Spangenberg (1704–1792) vgl. Friedrich Wilhelm Graf: Spangenberg, August Gottlieb. In: NDB 24, 2010, 628 f. 10 Plitt, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 1). Bd. 5, 102, vgl. ebd., 113. Siehe auch Spangenberg, Leben (wie Anm. 6). Bd. 5/6. 6. Teil: 1745–1750 (1774), Kap. 6, § 11, 1827. Spangenberg suchte in der Kreditkrise des Jahres 1753 erneut, Zinzendorf für eine andere Finanzpolitik zu gewinnen, ohne bei diesem damit durchzudringen. Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (wie Anm. 4), 40, referiert die unterschiedlichen Positionen in folgender Weise: In einem Gespräch mit Zinzendorf am 26. Juli 1753 (UA, R2, A 32a, 2b) habe Spangenberg dem Grafen vorgehalten, die Kreditnot der Unität rühre daher, »dass er [Zinzendorf] aus Rücksicht auf Halle die Gelegenheiten, von außen Hilfe zu schaffen, sowie die Anlegung von Buchläden und Apotheken wie mit einer Schere abgeschnitten habe. Die Konsequenz dieser Liebesidee sei aber sehr schwer«. Zinzendorf habe seinem Gegenüber Recht gegeben und »bestätigt, er habe sich mit dergleichen Gewinsten nicht abgeben wollen«. Spangenberg habe jedoch darauf beharrt: »Da wir nun eine Religion [eine Kirche, Uttendörfer] geworden sind, müssen wir unsere Ideen in ökonomischen Dingen etwas ändern.« (Spangenberg, zit. nach Uttendörfer, ebd.). 11 Zit. nach Plitt, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 1). Bd. 5, 100.

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pitalist wird Geld leihen, der Rentier zu den Interessen [Zinszahlungen, d. Verf. in] helfen, der Gutsbesitzer Boden schaffen oder rückbürgen.«12 Der Graf sollte Recht behalten. Gemeinemitglieder, aber auch Fremde, Privatiers und Kaufleute waren in Holland, England und deutschen Landen weiterhin bereit, dem Grafen wie auch Vorstehern und Diakonen (Amtsträgern) einzelner Brüdergemeinen Kredite einzuräumen.13 Plitt kann dieser Entwicklung nichts Positives abgewinnen, er spricht von der »Schwindelei des Creditwesens, welche nun [1746–1750] begann«, und von einem »verkehrten Anleihe-System«.14 Die zeitgenössisch von engen Mitarbeitern Zinzendorfs verschiedentlich sorgenvoll beschworene Krise blieb zunächst aus. Erst als Anfang 1753 die Diakone der englischen Brüdergemeinen, die Wechselschulden eingegangen waren, außer Stande waren, fristgerecht die aufgenommenen Gelder zu zahlen oder zum Fälligkeitstermin die dafür zu leistenden Zinsen zu entrichten, erschütterte ihre Illiquidität den Kredit der Brüder-Unität insgesamt, so dass weitere englische Gläubiger ihre vorgeschossenen Gelder zurückforderten, andere Financiers – wie die um Hilfe angegangenen vermögenden Mitglieder der holländischen Brüdergemeine in Zeist – keine neuen Kredite einräumten und sich so die schon mehrere Jahre schwelende »Geldnot« im März 1753 zu einer »Finanzkrise der Unität« auswuchs.15 Anfang des Jahres drohte einigen Mitgliedern der Brüdergemeine als Wechselschuldnern in England der Schuldturm, Anfang März kurz auch Zinzendorf selbst, der sich zu dieser Zeit in London aufhielt und zwischen August 1751 und März 1755 von hier aus die Geschicke der Brüder-Unität leitete.16 In dieser hoch peinlichen, für den Fortbestand der Brüder-Unität bedrohlichen Situation konnte Zinzendorf die englischen Hauptgläubiger am 29. März 1753 für eine Übertragung der Schulden auf ihn selbst und einen neuen Zahlungsplan gewinnen. Der Vergleich wurde am 22. Mai 1753 mit Ausstellung einer »General Deed« rechtskräftig. In dieser Urkunde übernahm der Graf durch Ausstellung entsprechender verzinslicher Obligationen die von den englischen Diakonen der 12 Zit. ebd., 96. Vgl. Spangenberg, Leben (wie Anm. 6). Bd. 5/6, 6. Teil: 1745–1750 (1774), Kap. 3, § 21–23, 1710–1713, bes. 1711 f. Spangenberg datiert diese Konferenz auf den 28.–31. Oktober 1747. 13 Die am 11. Oktober 1747 erfolgte Aufhebung von Zinzendorfs Verbannung aus Sachsen wurde für die weitere Entwicklung der Verschuldung insofern bedeutungsvoll, als sie die Kreditwürdigkeit des Grafen wie auch der Herrnhuter Ortsgemeine steigerte. Vgl. Joseph Müller: Kurzer Überblick über die Finanzgeschichte der Unität, 1722–1914, zu Händen der Finanzdirektion der Deutschen Brüder-Unität, datiert 3. März 1928, Ms., 14 S., UA, R4, A 44b. 14 Plitt, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 1), Bd. 5, 94 u. 101. 15 Vgl. Plitt, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 1). Bd. 5, 112–128; Spangenberg, Leben (wie Anm. 6). Bd. 7/8, 7. Teil: 1751–1756 (1775), Kap. 3, §§ 1–3, 1921–1925; Hamilton u. Hamilton, Unitas Fratrum (wie Anm. 6). Bd. 1, 138. 16 Vgl. Plitt, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 1). Bd. 5, 118; Peucker, Zinzendorf (wie Anm. 6), 8 f; Hamilton u. Hamilton, Unitas Fratrum (wie Anm. 6). Bd. 1, 138; Colin Podmore: The Moravian Church in England, 1728–1760. Oxford 1998, 272. Zinzendorf gelang es in letzter Minute, durch einen aus Holland eingehenden Wechsel seiner Zahlungspflicht nachzukommen.

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Brüdergemeine eingegangenen Schulden und sicherte die Forderungen der Gläubiger durch Verpfändung seiner Güter ab.17 »Hilfen zur rechten Zeit vom Auslande her« wie auch »Zinzendorfs uneigennützige Handelsweise« vermochten zwar – wie Plitt anerkennt – »den Credit [der Unität] in England« zu erhalten, doch auch »die folgenden Jahre brachten noch mancherlei Verlegenheiten« in Geldsachen,18 so dass es schließlich für die Brüdergemeine unabweisbare Notwendigkeit wurde, ihre Finanzen zu ordnen, den Umfang des ›Schuldenwesens‹ und die damit einhergehenden Belastungen zu klären. Dass es sich dabei nicht nur um eine gewissermaßen kircheninterne Frage der administrativen Neuordnung handelte, sondern Ordnung und Verwaltung des ›Schuldenwesens‹ einschließlich der fristgerechten Zins- und Tilgungsleistungen an die Darlehensgeber unverzichtbare Voraussetzung für den Kredit bzw. die Kreditwürdigkeit der Brüder-Unität, für deren Wahrnehmung ›in der Welt‹, aber auch deren Bestand waren, hatte die in London 1753 aufgebrochene Kreditnot deutlich gemacht. Auf die ersten Nachrichten über die drohende Insolvenz hin griff der englische protestantische Prediger George Whitefield (1714–1770), einer der wortgewaltigsten und einflussreichsten Mitbegründer der methodistischen Kirche, im April 1753 Zinzendorf und die Diakone der englischen brüderischen Gemeinden in einem flammenden Sendschreiben an, in dessen Zentrum der mit der Heiligen Schrift unvereinbare und fahrlässige Umgang mit dem Geld und Vermögen anderer stand. Whitefield bezichtigte Zinzendorf und die Diakone der Brüder-Unität, Kirchenmitglieder und nahe Freunde zu übergroßen Darlehen und Schenkungen zu verführen, hielt ihnen unlautere Praktiken bei der Geldbeschaffung vor, geißelte die – aus der Not der Schuldenlast erwachsende – Praxis, durch Zusicherung immer höherer Zinsen sich neue Darlehen zur Bezahlung von Gläubigerforderungen zu beschaffen, und beschuldigte sie, ihre Gläubiger durch die eigene Zahlungsunfähigkeit in den Bankrott zu treiben.19 Der zeitgleich im Frühjahr 1753 in London und Philadelphia von Whitefield in Druck gegebene Expostulatory Letter erschien wenig später auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel Ein Bestrafungsschreiben an Hrn. Nicolaus Ludewig Grafen von Zinzendorff, Oberhaupt und höchsten Sachwalter der sogenannten mährischen Brüdergemeine, der schon bald eine zweite, erweiterte Auflage folgte.20 Gewiss, Whitefield war 1753 weder der erste noch der einzige 17 Plitt, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 1). Bd. 5, 128 f; Hamilton u. Hamilton, Unitas Fratrum (wie Anm. 6). Bd. 1, 138; Peucker, Zinzendorf (wie Anm. 6), 9; Podmore, Moravian Church (wie Anm. 16), 271–273. 18 Plitt, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 1). Bd. 5, 129. 19 George Whitefield: An Expostulatory Letter, Addressed to Nicholas Lewis, Count Zinzendorff, and Lord Advocate of the Unitas Fratrum […]. London 1753. 20 Ders.: Ein Bestrafungsschreiben an Herrn Nikolaus Ludwig Grafen von Zinzendorff, Oberhaupt und höchsten Sachwalter der sogenannten Mährischen Brüdergemeine […] O.O. 1753. Eine zweite, erweiterte Auflage folgte unter dem Titel: George Whitefield: Ein Bestrafungsschreiben an Hrn. Nicolaus Ludewig Grafen von Zinzendorf und höchsten Sachwalter der Brüdergemeine

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Theologe, der mit Zinzendorf und der Brüdergemeine ins Gericht ging. »Antizinzendorfiana« hatten in den 1740/50er Jahren Konjunktur.21 Die Angriffe richteten sich in der Regel gegen die religiöse Schwärmerei, den »Enthusiasmus« und die besondere Frömmigkeitspraxis, wie sie als Ausfluss von Zinzendorfs Christologie in der »Sichtungszeit« für das religiöse Leben in der Brüdergemeine bestimmend wurden. Auch Whitefield reihte sich hier mit einigen knappen Ausführungen ein. Das Besondere und für die Brüder-Unität im Jahr 1753 überaus Kritische war jedoch, dass er die intern schon seit einigen Jahren mit Besorgnis erörterte Schuldenmacherei anprangerte, auch die Höhe der allein in England jüngst aufgenommenen Gelder mit 40.000 Pfund Sterling (einer für die Zeit exorbitanten Summe) benannte sowie die Überschuldung der Brüder-Unität öffentlich zum Thema machte. Deren Illiquidität gefährde die bürgerliche Existenz von deren zahlreichen Gläubigern, da diese ihrerseits ihren gegenüber Dritten bestehenden Zahlungsverpflichtungen nicht fristgerecht nachkommen könnten und ihnen der Schuldturm drohe.22 Im Nachgang zu der Londoner Schuldenkrise wurde damit neben der theologischen Rechtfertigung auch die Sicherung der Kreditwürdigkeit zu einer Herausforderung, der sich Zinzendorf und die Brüder-Unität stellen mussten. Zwar wurde durch Zinzendorfs Engagement und das »General Deed« vom 22. Mai 1753 die von Whitefield wenige Wochen zuvor als Tatsache behauptete Existenzgefährdung der Gläubiger gegenstandslos, aber er hatte in seiner Kampfschrift auch die grundlegende Frage nach dem Verhältnis zwischen Gläubigen und Gläubigern aufgeworfen, die im Selbsterhaltungsinteresse der Brüdergemeine eine Antwort erforderte.

[…]. Nach der zu London bei G. Keith u. J. Oswald 1753 herausgekommenen Ausgabe ins teutsche übersetzet und mit des Herrn Grafen Antwort versehen auch einigen andern Beilagen vermehret. Halle 1753. 21 Vgl. Erich Beyreuther: Einführung. In: Antizinzendorfiana 2. Reprint. Hg. v. dems., Hildesheim u. New York 1982, 1*–198*; John Exalto u. Jan-Kees Karles: Füchse im Weinberg. Herrnhuter und Reformierte in den Niederlanden 1734–1754. In: Unitas Fratrum 55/56, 2004, 93–110, bes. 100– 108, zum Anschwellen der Veröffentlichungen polemischer Flugschriften reformierter Geistlicher in den Niederlanden gegen die Brüdergemeine während der ›Sichtungszeit‹; Podmore, Moravian Church (wie Anm. 16), 268–289. 22 Vgl. Whitefield, Expostulatory Letter (wie Anm. 19). Im Druck umfasst das Schreiben 17 Seiten [3–19], die Schuldenproblematik wird ab 9 f bis 18 diskutiert, zur Schuldenhöhe 11 f; in der deutschen Erstauflage von 19 Seiten [3–21], wird die Schuldenproblematik ab 10 bis 21 thematisiert. Zu Whitefields Schrift und zur Einordnung der Schuldenhöhe vgl. auch Podmore, Moravian Church (wie Anm. 16), 270–272, der zudem darauf hinweist, dass die Gesamtverschuldung der englischen Brüdergemeine 135.242 Pfund betrug (271).

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3. Verwaltungsreformen und Ordnung der Schuldenverwaltung 1755–1765 Das »Strafschreiben«, das Zinzendorf unter dem Datum des 10. Februar 1749 allen Brüdergemeinden zusandte, um den Entwicklungen der »Sichtungszeit« mit ihrer »leichtsinnigen Schwärmerey« ein Ende zu setzen,23 der öffentliche Widerhall der Londoner Kreditkrise im Frühjahr 1753 und die weitere Zuspitzung der Lage im März 1755 im Gefolge der Aufkündigung bedeutender Darlehen seitens gewichtiger holländischer Gläubiger24 stehen für gravierende Einschnitte und Erschütterungen in der Geschichte der Brüdergemeine. Erst in der Kumulation und im Verlauf von über sechs Jahren entwickelten sie allerdings eine ausreichende Wucht, um schließlich – bereits früher angedachte, zunächst aber an der übermächtigen Gründergestalt Zinzendorf gescheiterte – grundlegende Verwaltungsreformen und die Ordnung der Schuldenverwaltung in der Brüder-Unität auf den Weg zu bringen. Der bahnbrechende erste Schritt erfolgte im Juli 1755. Vom 22. bis 25. Juli versammelte Zinzendorf in Taubenheim in der Oberlausitz einen kleinen Kreis führender Männer der Brüdergemeine, um mit ihnen gemeinsam das Ausgabenwesen der Brüder-Unität durchzugehen.25 Die Revision der Bücher ergab einen Gesamtschuldenbestand von rund 1,402 Millionen Reichstalern (= rtl.).26 Diesem standen Aktiva im Schätzwert von rund 1,434 Mio. rtl. gegenüber, darunter befanden sich allerdings »unverzinsliche Gebäude für 300.000 Taler« und »eine beträchtliche Zahl schwer einbringbarer Forderungen«. Zwischen den jährlich aufzubringenden Schuldzinsen, die sich auf 31.000 rtl. summierten, und den Erträgen aus den Gütern und Ländereien des Grafen, die mit 27.000 rtl. veranschlagt wurden, klaffte eine Differenz von 4.000 rtl.27 Als or23 Art. Sichtungszeit. In: Peucker, Wörterbuch (wie Anm. 2), 49; Spangenberg, Leben (wie Anm. 6). Bd. 5/6, 6. Teil: 1745–1750 (1774), Kap. 5, § 5, 1768 f, Zit. 1768. 24 Vgl. Hamilton u. Hamilton, Unitas Fratrum (wie Anm. 6). Bd. 1, 139 f. Die Gesamtsumme der gekündigten Darlehen bezifferte sich auf 287.000 Gulden. Hauptgläubiger in Holland waren Schellinger und Beuning, zwei finanzkräftige Handelsherren, einst Freunde und großzügige Förderer der Brüdergemeine. Beuning hatte einen Strafprozess gegen Zinzendorf wegen verschleppter Schuldenbedienung angestrengt. Es kam jedoch nicht zu einem Prozess, da das Verfahren nach seinem Tod am 7. Juni 1755 von seiner Witwe niedergeschlagen wurde. 25 Tagungsort war das in der Oberlausitz gelegene Gut eines Mitgliedes der Brüdergemeine, Hans Heinrich von Zezschwitz. Zu diesen »Revisionskonferenzen« vgl. Spangenberg, Leben (wie Anm. 6). Bd. 7/8, 7. Teil: 1751–1756 (1775), Kap. 5, § 21, 2016 f; Hamilton u. Hamiliton, Unitas Fratrum (wie Anm. 6). Bd. 1, 140 f. 26 In der Brüdergemeine erfolgte die Rechnungslegung in dieser Zeit i. d. R. in »Reichstalern« (auch »Taler courant« genannt), d. h. man bediente sich – kaufmännischer Usance entsprechend – einer aufgrund des festgelegten Silberfeingehalts wertbeständigen Rechengröße. Vgl. Bernd Sprenger: Das Geld der Deutschen. Paderborn 21995, 128 f; Wolfgang Trapp u. Torsten Fried: Handbuch der Münzkunde und des Geldwesens in Deutschland. Stuttgart 22006, 85, 88. 27 Müller, Überblick (wie Anm. 13).

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ganisatorische Neuerung beschlossen die Versammelten, ein »Administrationskolleg« einzusetzen, dem fortan die Verwaltung des Vermögens und der Schulden sowie die Aufbringung der Schuldzinsen und Tilgung obliegen sollte. Zudem wurden für die »Erziehungsanstalten« und die »Heidenmission« je gesonderte, selbstständige Kassenverwaltungen (sogenannte Diakonien) eingesetzt.28 Im Jahr darauf wurde die Wirtschaftsverwaltung weiter ausdifferenziert und nunmehr für das »Jüngerhaus« eine dritte eigenständige Kassenverwaltung, das sogenannte »Familiendepartement« eingerichtet. Auf die Ausdifferenzierung folgte 1757 die Hierarchisierung, als die drei Kassenverwaltungen der Aufsicht des »Administrationskollegs« unterstellt wurden. Alle Maßnahmen erwuchsen – wie ein internes Papier 1928 in der Rückschau festhielt – »aus dem Bedürfnis […], die Finanzen der Unität zu ordnen und vor dem drohenden Zusammenbruch zu bewahren«.29 Die neue Organisation der Wirtschaftsverwaltung brachte noch nicht die von einigen der 15 Anwesenden befürwortete Trennung der Schulden der Brüdergemeine von dem Vermögen der Familie Zinzendorf, lief jedoch darauf hinaus, »Zinzendorfs autokratische Vollmachten« zu zügeln, »ohne einen schmerzlichen Bruch zwischen den Brüdern und dem Grafen herbeizuführen«.30 Weitere Schritte folgten, als Zinzendorfs Tod (9. Mai 1760) eine Neuordnung unumgänglich machte und den Weg zu einer Verfassung der Unität freigab. Der Siebenjährige Krieg und dessen politische Folgewirkungen zögerten die anstehende Reform, die die interimistische Führung der Brüdergemeine von den Beschlüssen einer Generalsynode abhängig gemacht hatte,31 bis in den Sommer 1764 hinaus. Erst zum 1. Juli 1764 konnten die »bevollmächtigten Deputierten aus den Gemeinden« zur ersten wirklich als solche zu bezeichnenden Generalsynode der Brüder-Unität nach Marienborn (Wetterau/Hessen) zusammengerufen werden. Insgesamt war die Synode von 90 Teilnehmern besucht. Die Verhandlungen streckten sich über mehrere Wochen bis zum 27. August hin. »Ihre Aufgabe war« – wie Dietrich Meyer pointiert mit einem Quellenzitat festhält – »die ›Vereinigung aller Gemeinen im Öconomicum‹.

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Ebd. Ebd., bes. 5. Hamilton u. Hamilton, Unitas Fratrum (wie Anm. 6). Bd. 1, 141. Vgl. Meyer, Zinzendorf (wie Anm. 3), 63, der in diesem Zusammenhang besonders die Intervention von Johann Friedrich Köber (1717–1786) hervorhebt. Siehe dazu auch: Lebenslauf des Bruders Johann Friedrich Köber […] (von Spangenberg erzählt). In: Nachrichten aus der BrüderGemeine 1847/2, 284–295; Hamilton u. Hamilton, Unitas Fratrum (wie Anm. 6). Bd. 1, 196–198. – Nach Abschluss seines Jurastudiums in Leipzig war Köber zunächst Sekretär bei dem Oberamtshauptmann in der Oberlausitz, Graf von Gersdorf auf Uhyst. Von diesem an Zinzendorf in Herrnhaag empfohlen, wurde er 1747 Mitglied der Brüdergemeine und bald darauf als Deputierter, später Con-Senior, Syndicus und Senior Civilis »in den wichtigsten Geschäften eingesetzt« (Spangenberg, Lebenslauf Köber).

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Diese Zielsetzung führte zur Diskussion und zu den Entwürfen einer gemeinsamen Verfassung.«32 Die wichtigsten Neuerungen seien kurz vorgestellt. Als Leitung der Unität zwischen den Generalsynoden setzte die Marienborner Synode ein achtköpfiges »Unitätsdirektorium« (von der nachfolgenden Generalsynode 1769 umbenannt in »Unitätsältestenkonferenz«, UAC) ein. Die Finanz- und Vermögensverwaltung der Unität ging über an das neu bestellte Unitätsvorsteherkollegium (UVC), das dem Unitätsdirektorium untergeordnet war.33 Die Vermögensverhältnisse wurden auch mit Blick auf die Schuldenverwaltung völlig neu geordnet durch den Beschluss der Synode: im Namen der gesamten evangelischen Brüderunität freiwillig und einmütiglich, den gesamten vorliegenden Vermögens- und Schuldenzustand als der Unität eigene Sache zu künftiger durchgängiger Vertretung und Verwaltung um so geneigter zu übernehmen, jemehr das Bestehen der Sache des Heilands, wozu alle wahren und treuen Mitglieder alles nur Mögliche beizutragen sich verbunden erachten, und auch die Sicherheit der Gläubiger [sic] davon abhängt. Dementsprechend übernimmt die Unität alle Schulden der verschiedenen Departements bis Ende 1764 als ihre eigene Sache.34

Die Synode vollzog die noch zu Lebzeiten Zinzendorfs verschiedentlich – allerdings vergeblich – angeregte Trennung zwischen dem Privatvermögen des Grafen bzw. seiner Erben und dem Unitätsvermögen. Der klare Trennungsstrich wurde dadurch möglich, dass sich die Synodalen durchrangen, dem Vorschlag zum weiteren Verfahren zu folgen, den ihnen Christian Gregor35 am 18. Juli 1764 im Auftrag des von der General-Synode eingesetzten Komitees »zum Arrangement der Diaconatssachen« schriftlich ausgearbeitet vorgelegt hatte.36 32 Meyer, Zinzendorf (wie Anm. 3), 64; vgl. auch Hamilton u. Hamilton, Unitas Fratrum (wie Anm. 6). Bd. 1, 199 f; zu den Daten der Synode vgl. Peucker, Wörterbuch (wie Anm. 2), 60. 33 Vgl. Peucker, Wörterbuch (wie Anm. 2), 54–56. 34 Generalsynode von 1764, Synodal-Verlass 1764, S. 37 f. UA, R2, B44, 4b, zit. nach Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (wie Anm. 4), 375. 35 Christian Gregor (1723–1801) kam 1742 zur Brüdergemeine. Er wirkte dort zunächst als Organist, Musiklehrer und Komponist. Von der Generalsynode 1764 wurde er in Anerkennung seiner Leistungen bei der Klärung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse zum Mitglied des Unitätsdirektoriums ernannt. Dem Leitungsgremium der Brüder-Unität gehörte er bis zu seinem Tod an, zuletzt als Präses des Unitätsvorsteherkollegiums (UVC). 1789 wurde er zum Bischof der Brüder-Unität ordiniert. Vgl. Lebenslauf Christian Gregor, von ihm selbst aufgesetzt. In: Beiträge zur Erbauung aus der Brüdergemeine 2/1, 1818, 427–478; Ludwig Schaaff: Art. Brüder-Unität. In: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Hg. v. Johann Samuel Ersch u. Johann Gottfried Gruber. Teil 13. Leipzig 1824, 171–200, bes. 195, Anm. 94. 36 Die folgende Darstellung stützt sich auf: Christian Gregor: General Status der Unitaet, Marienborn, 18. Juli 1764 = Beilage zur 3. Session des zum Arrangement der Diaconatssachen gesetzten Committee. Acta Die zur Diaconats Angelegenheit verordnete Committee des General Synodi der Brüder Unität zu Marienborn, Protocoll des Diaconats Commitees 1764. UA, R2, B44, 3.1. Alle Zitate sind diesem Bericht entnommen.

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Der »General Status der Unitaet«, den das Komitee erhoben hatte, stellte sich wie folgt dar: Die Gesamtschulden aller »Departements oder Abteilungen« der Unität, »exklusive dessen, was jede Gemeine und ihre Chöre noch apart auf sich hat«, beliefen sich auf ca. 1,5 Millionen rtl. Nach Abzug aller verfügbaren eigenen und erborgten Deckungsmittel (= 600.000 rtl.) fehlten 900.000 rtl. Für diese 900.000 rtl. setzte das Komitee einen – bemerkenswert hohen – Zinssatz von 5 v. H. an. Demnach waren für den Zinsendienst jährlich 45.000 Taler aufzubringen, dazu kamen jährlich noch weitere 15.000 Taler, die bislang für den Unterhalt der Familie Zinzendorf, für Pilger und sonstiges »Extraordinarium« auf die Unität angefallen waren. Zusammen ergab dies »nebst dem Capital Defect von 900.000 rth, noch eine Ermangelung von 60.000 rth jährlichen Bedürfnissen«. Die »Haupt-Question« laute – so Christian Gregor: Wie werden diese Defecte sowohl in Absicht aufs Capital, damit wir der Welt und unsern Brüdern gerecht werden können, bedeckt, und in dem Falle von Aufkündigungen Rat geschafft, praestanda zu praestiren.37 Als auch in Absicht auf die Zinsen und die übrigen jährlichen Bedürfnisse, das Nöthige zusammen gebracht?

Zu bedenken sei ferner, dass die jährlichen »Bedürfnisse« bislang nicht etwa aus den im Finanzstatus mit 600.000 rtl. angesetzten Aktiva hätten finanziert werden können. Vielmehr hätten hierzu die laufenden Einnahmen herangezogen werden müssen, die sich aus drei Posten zusammensetzten: 1. Erträgnisse des Gutes Barby, »wenn’s gut ging« (16.000 rtl.); 2. die sogenannte »Mitleidenheit« – eine Art Kirchensteuer, deren Gesamtbetrag Jahr um Jahr neu festgesetzt und seit 1757 auf die einzelnen Gemeinen umgelegt worden war – »wenn sie voll einginge« (17.000 rtl.); 3. »die Beiträge aus den commerzierenden Branchen«, im vorigen Jahr ca. 7.000 rtl., wobei allerdings den Handelsund Gewerbebetrieben in den Gemeinen erst 1763 Zahlungen an die Unität auferlegt worden waren. Die drei Posten zusammengenommen summierten sich im Jahr bestenfalls auf 40.000 rtl. Der Gesamtbedarf war so nicht zu decken, so dass jährlich an die 20.000 rtl. neu »geborgt« werden müssten. Die beschämende Bilanz: Statt Schuldenabbau nahmen die Schulden weiter zu, die Schuldenfalle hatte zugeschnappt, es schien eine Schraube ohne Ende: Dieses jährliche Borgen ist von jeher nach proportion des weniger Habens als Sollens […] eine der Haupt-Ursachen mit worden, dass die Schulden alle Jahre gewachsen sind, zumal solche auch immer neuen Zusatz an Interessen verursacht haben; Ganz eigentlich aber ist doch, bei alle dem, dass 100 recht- und unrechtmäßige Ausstellungen bei dieser Materie gemacht werden können, wobei vielleicht nichts anderes zu erwidern ist, Herr H GOTT! barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnad und Treue, und vor welchem niemand unschuldig ist, die rechte Ursach des ganzen Schulden-Wesens, die dass alle Ausgaben von unzähligen Akten und Artikeln 37 Diese in Rechtsabhandlungen und Erlassen der Zeit gängige Wendung bedeutet sinngemäß ›dem Vorrangigen Vorrang geben‹.

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von einer Zeit zur anderen, mehr oder weniger, von obgedachten Unitaets-Theilen haben müssen besorgt werden, in England, Holland, America, Teutschland pp, weil sich alles unbestimmte dahin adressieret hat. Wie denn allein seit 1753 exklusive des aus der Unitaet oder von deren Mitgliedern immediate geschafften Beitrages von 127/ m[ille] rth zu dem englischen Schulden-Wesen, gegen 300/m rth baren Geldes von obgedachter General.Cass in ihren verschiedenen Abteilungen hat müssen fourniert und folglich erborget wie auch bis daher verinteressiert werden. Da auch hiernächst der Verlust von Herrnhaag, Neusalz und hundert anderer Vorfälle und fürs Gantze erforderlich gewesene Bedürfnisse, deren ich mich sogleich nicht erinnere (die Unordnungen hier und da auch nicht ausgenommen) it. die Anstalten, Etablissements, Pilgerhäuser pp neben denen dazu von anderen Geschwistern jederzeit reichlich getanen Aushülfen, sehr vieles betragen hat, in welcher Rücksicht auch wohl bei aller Erkenntnis so mancherlei Fehler, Mängel u Gebrechen sowohl in nicht genügsamer Sparsamkeit als Behandlung der Dinge [Hervorh. i.O.], vor unserm lieben Heiland mit Tränen in Augen wird bestanden werden können, denn es sind doch u. a. durch den seligen Papa [Zinzendorf, d. Verf.in], in Gottes Augen mehr als Millionen-werthe Productionen zum Vorscheine gekommen, über welche wir uns alle noch in der Ewigkeit nicht wenig freuen werden, wenn Trübsal, Jammer und Elend zum seligen Ende wird gekommen sein. So ist nicht zu zweifeln die ganze Unitaet werde dem Heilande helfen, die Schmach dieser Zeit von sich wenden, die wir scheuen und also darauf denken, wie 1. die Bedeckung des fehlenden Capitals eingeteilt 2. die jährliche Bedürfnisse und andre fürs Generale der Sache Gottes gehörige unvorherzusehende Extraordinaria ausgefunden werden können.

Weitere Berechnungen möglicher Einnahmequellen, um das jährliche Defizit zu schließen, ließen wenig Zuversicht aufkommen. Die konkreteste Hoffnung blieb, dass einst »die dem Statu Passivo entgegen gesetzten 600.000 rth« jährlich einen Ertrag von 20.000 rtl., also etwa 3,3 %, abwerfen könnten. Erwartungen, so die Lücke zwischen ›Haben und Sollen‹ schließen zu können, schob der Berichterstatter sofort einen Riegel vor. Bei den angesprochenen Erträgnissen handelte es sich offenbar um Wechsel auf die Zukunft, wie er mit dem Nachsatz »doch dem Segen unsers lieben Herrn unvorgegriffen« zu verstehen gab. Aus dieser trüben Bilanz heraus wagte das Komitee einen – zumindest auf den ersten Blick – erstaunlichen Vorstoß. Im neunten Punkt seines »aus einer ordentlichen Presse meines Herzens und unter vielen Tränen« geschriebenen Berichts wandte sich Christian Gregor der Frage zu: Was bleibt denn nun – wenn wie obgedacht das jährliche Bedürfnis ins Ganze besorgt und jedem Creditor, Welt und Brüder, das seine gesichert wäre, was bleibt denn nun unserm lieben Graf Heinrich [XXVIII. Reuß zu Ebersdorf, d. Verf.in] und lieben Kindern unseres seligen Papas übrig? Antwort: Nicht ein Groschen.

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So eingeleitet, folgt unvermittelt der Vorschlag des Komitees, wie diesem Missstand abgeholfen werden könne. Sein Antrag ging dahin, zum Defizit von 900.000 rtl. noch 100.000 rtl. »hinzuzutun« als Kapital, »wovon sie leben könnten«, wenn ihnen die Unität hiervon die Zinsen auszahlte (bei einer Verzinsung von 5 % waren das 5.000 Taler im Jahr), wobei sich die Familie ihrerseits verpflichten werde, »das zugeführte Capital nicht aus der Unität herauszuziehen«.38 Der Vorschlag wurde mit unbedeutenden Abänderungen von der Synode angenommen. Sie anerkannte die großen, auch geldlichen Vorleistungen, die Zinzendorf unter Inkaufnahme einer hohen Verschuldung durch Belastung seiner Güter für den Auf- und Ausbau der Brüdergemeine erbracht hatte. Die Erben des Grafen, seine drei noch lebenden Töchter und Heinrich XXVIII., der Neffe von Zinzendorfs 1756 verstorbener ersten Ehefrau Erdmuthe Dorothea, geb. Gräfin Reuß zu Ebersdorf, wurden mit 120.000 rtl. »abgefunden«39; die Brüder-Unität übernahm sämtliche Güter Zinzendorfs mit allen Aktiva und Passiva. Als Rechtsnachfolgerin und neue Gesamtschuldnerin oblag ihr die Finanz- und Schuldenverwaltung, soweit es Einnahmen, Ausgaben, Aktiv- und Passivschulden betraf, die aus dem Glaubensverständnis für die Gesamtheit der in der Brüder-Unität zusammengeschlossenen deutschen sowie außerdeutschen europäischen und nordamerikanischen Brüdergemeinen erwachsen waren bzw. noch erwachsen sollten. Die in dieser Weise durch die Synode im Frühsommer 1764 neu verfasste Körperschaft firmierte seither unter dem Namen »Evangelische Brüder-Unität«.40

38 Alle Zitate: Gregor, General Status (wie Anm. 36). 39 Die Töchter – Benigna (1725–1789), seit 1746 verh. mit Johannes von Watteville (1718–1788), Agnes (1735–1784), seit 1767 verh. mit Moritz Wilhelm Burggraf von Dohna (1738–1777) und Elisabeth (1740–1807), seit 1768 verh. mit Friedrich Rudolph von Watteville (1728–1811) – erhielten ebenso wie Heinrich XXVIII. Graf Reuß zu Ebersdorf (1726–1797) 60.000 Taler als ihnen eigentümliche Hypothek auf die Güter überschrieben. Siehe auch Die Reußen. Genealogie des Gesamthauses Reuß älterer und jüngerer Linie. Hg. v. Berthold Schmidt. Schleiz 1903, Tafel 19: Die jüngere Linie Reuß. VI. Das Haus Ebersdorf. 40 Angaben zur Bewilligung und Höhe des Erbes, nicht jedoch zu den Verfahrensmodalitäten finden sich bei Müller, Überblick (wie Anm. 13); Meyer, Zinzendorf (wie Anm. 3), 64. Bei Hamilton u. Hamilton, Unitas Fratrum (wie Anm. 6). Bd. 1, 200 heißt es, an Zinzendorfs Erben seien 90.000 Dollar gezahlt worden. Die von der Unität 1764 übernommenen Schulden werden hier mit 773.162 Dollar beziffert. Zur Namensgebung auf der Synode 1764 vgl. Meyer, Zinzendorf (wie Anm. 3), 64.

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4. Darlehensgeber und Gläubiger der Brüder-Unität nach dem Stand vom 31. Dezember 1765 Mit der 1764 beschlossenen Neuordnung setzte die Brüder-Unität auch in Geldfragen den Schlusspunkt unter die Aufbauphase der 1740/50er Jahre.41 Deren Rhythmus und Dynamik waren grundlegend von Zinzendorfs religiösem Plan, seiner unverbrüchlichen Glaubenszuversicht in die »Durchhilfen«42 des Herrn, aber eben auch von seinem durch die adelige Herkunft und Sozialisation als Grundherr geformten Wirtschaftsdenken, seinen »seigneuralen Wirtschaftsinstinkten«43 angetrieben. Dazu zählten eine generöse »Lässigkeit im Ausgeben«,44 Leichtigkeit und Großzügigkeit im Schuldenmachen sowie eine gewisse Unempfänglichkeit für die potenzielle Gefährdung seines Aufbauwerks infolge der unter seiner Leitung eingerissenen »finanziellen Misswirtschaft«.45 Dem Zwang der Umstände folgend, hielt 1764 die bürgerliche Rechenhaftigkeit in die Finanz- und die Schuldenverwaltung Einzug.46 Allerdings darf dabei eines nicht übersehen werden: Die neue Rechenhaftigkeit war kein Selbstzweck; auch sie stand im Dienst der ›Reich-Gottes-Arbeit‹, deren Fortgang sie sichern sollte; und auch die mit der Schuldenverwaltung betrauten Männer in den neu geschaffenen kollegialen Leitungsgremien bedurften der Kraft des Glaubens und des Rückhalts in der Gemeine, um Mut zu schöpfen und die Zuversicht zu bewahren, dass es ihnen gelingen könnte, die Unität aus der erdrückenden, ihren Handlungsraum empfindlich einschränkenden Schuldenlast herauszuführen. Die finanzverwaltungs- und schuldenpolitische Wende in der Unität war der Auftakt zur Herausbildung einer professionellen Wirtschaftsverwaltung. Der erste, für alles Weitere grundlegende Schritt war die Beschaffung verlässlicher, erschöpfender Daten über die erhaltenen Darlehen und eingegangenen Zahlungsverpflichtungen, über Einnahmen und Ausgaben der Unität. Die Transparenz der Organisation musste – zumindest für die Mitglieder der Leitungsgremien der Unität – hergestellt werden. Offenkundig setzten schon bald umfangreiche Sichtungs-, Ordnungs- und Verzeichnungsarbeiten von Einzelbelegen ein mit dem Ziel einer lückenlosen, möglichst übersichtlichen, aussagekräftigen tabellarischen Dokumentation aller Passivschulden der Unität mitsamt den Modalitäten der eingegangenen Zahlungsverpflichtungen. Die Zusammenstellungen wurden im Jahresabstand revidiert. Die sorgfältige Erstellung der Listen gibt Auskunft über die Seriosität, mit der die 1764 neu 41 42 43 44 45 46

Zum Folgenden vgl. Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (wie Anm. 4), 13–36 passim, 179 f, 386. Ebd., 24; vgl. ebd., 14, 182 f. Ebd., 28. Ebd., 386. Ebd., 14. Vgl. ebd., 376.

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eingesetzte Unitätsdirektion die Schuldenverwaltung anging. Zugleich eröffnen die Listen die Möglichkeit, das Schuldenwesen der Brüder-Unität nicht nur daraufhin auszuleuchten, in welchem Zeitraum und in welchen Formen es der Unität gelang, ihre Schulden abzutragen, sondern auch die Gläubigerseite in den Blick zu nehmen. Nachvollziehbarerweise hat sich die brüderische Geschichtsschreibung vor allem für die Abtragung der Schuldenlast, kaum jedoch für die Gläubigerseite interessiert. Zwar finden sich verstreut Angaben zu den beachtlichen Krediten, die die bedeutendsten holländischen und einige potente englische Geldgeber Zinzendorf bewilligt haben. Wie groß der Gesamtkreis der Gläubiger war, wie er sich zusammensetzte und welches Profil er aufwies – mit diesen Fragen hat sich die bisherige Geschichtsschreibung zum ›Schuldenwesen‹ Zinzendorfs und der Brüder-Unität nicht beschäftigt. Zum Abschluss dieses Beitrags möchte ich deshalb im Folgenden das – meines Wissens nach – erste Gesamtverzeichnis der Unitäts-Gläubiger nach dem Stand von »ultimo Dec[embris] 1765« vorstellen und aufzeigen, welchen Umfang die von der Brüder-Unität eingegangenen Verpflichtungen zu diesem Zeitpunkt hatten, wie sie sich ländermäßig zusammensetzten und zu welchen Konditionen die Gelder aufgenommen worden waren. Dabei wird zu fragen sein, ob sich Anhaltspunkte für Whitefields Behauptung finden lassen, Zinzendorf und die Brüder-Unität hätten sich bereit gezeigt, in der »Geldnot« wegen der drohenden Insolvenz Gelder zu ungebührlich hohen Zinskosten aufzunehmen. Die Untersuchung wird sich dann den Geldgebern zuwenden. Wie setzte sich der Gläubigerkreis zusammen? Lassen sich anhand der Kategorien Region, Darlehenshöhe, Stand, Geschlecht ein bestimmtes Profil und/ oder ein bestimmtes Einzugsgebiet ausmachen? Wer waren diejenigen, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts für Zinzendorf und das Glaubenswerk der Brüdergemeine besonders aufgeschlossen waren und den von Zinzendorf eingeschlagenen Expansionskurs ebenso mittrugen wie – zumindest zum Teil oder doch eine Zeitlang – auch die neue in den Brüdergemeinen gelebte Frömmigkeitskultur der enthusiastischen Hingabe an den Heiland, an Christus den Erlöser? Die Quelle verzeichnet auf 14 engzeilig beschriebenen Blättern im Folioformat in 14 Rubriken, denen erforderlichenfalls zusätzliche Währungsumrechnungsspalten beigegeben wurden, sorgfältig in alphabetischer Folge alle Einzelkonten, die Gegenstand der neuen Schuldenverwaltung waren (zu den Rubriken vgl. Tabelle 1 im Anhang). Aufgenommen sind drei regional gesondert ausgewiesene Gläubigergruppen: Den Auftakt bilden die holländischen Passiva (I.) auf Bl. 1 und 2; es folgen eng gedrängt auf einer Folioseite (Bl. 3) die englischen Passiva (II.); den Abschluss bilden elf Folioseiten (Bl. 4– 14), auf denen die Einzelkonten der Passiva »in Teutschland und anderen Ländern in teutschem Gelde« aufgelistet sind.47 47 UA, R3, B 1765–1770, hier Tabelle für 1765, 14 Bl.

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Die Passiva setzen sich jeweils aus zwei Posten zusammen, zum einen aus den Schulden, für die zuvor der Graf und sein Haus als Gesamtschuldner gehaftet hatten und die im Sommer 1764 durch die Marienborner Synode auf die Brüder-Unität überschrieben worden waren, sowie zum anderen aus den vom Unitätsvorsteherkollegium, das 1764 von der Synode für die Schuldenverwaltung eingesetzt worden war, »neu aufgenommenen Capitalien«. Die Zusammenstellung unterstreicht noch einmal die enorme Schuldenlast und die daraus erwachsenden Verpflichtungen, denen sich die Brüder-Unität zum Jahreswechsel 1765/66 gegenüber sah.48 Beide Gruppen Passiva – die übernommenen alten und die vermutlich überwiegend zum Schuldendienst neu aufgenommenen Gelder – summierten sich am 31. Dezember 1765 auf rund 1,554 Mio. Reichstaler. Knapp drei Viertel (1,163 Mio. rtl.) dieses gewaltigen Betrags waren in Deutschland bzw. in deutschem Geld aufgenommen worden. Die von Holländern (rund 0,275 Mio. rtl.) und Engländern (rund 0,116 Mio. rtl.) bereitgestellten Mittel waren in ihrer absoluten Höhe zweifellos beachtlich, blieben jedoch mit 17,7 % und 7,5 % deutlich hinter dem deutschen Anteilssatz zurück. Trotz der – vermutlich vorwiegend für diesen Zweck – neu aufgenommenen Gelder49 hatte das Unitätsvorsteherkollegium die bis zum Jahresende fälligen, an die Kreditoren zu leistenden Beträge an Zinsen oder Leibrentengeldern nicht in vollem Umfang auszuzahlen vermocht.50 Absolut gesehen waren die erbrachten Transferleistungen beachtlich. Dennoch blieben die »wirklich bezahlten Interessen und Leibrenten« (= 54.850 rtl.) um 6.441 rtl. (= 10,5 %) hinter dem Sollbetrag (= 61.291 rtl.) zurück. Hier bestand ein konkreter Handlungsbedarf für das Unitätsvorsteherkollegium: zum einen mit Blick auf die Gläubiger, die der Ausfall der ihnen zustehenden Summen hart treffen mochte, was – sofern das in einer breiten Öffentlichkeit publik wurde – die Kreditwürdigkeit der Unität beeinträchtigen musste; zum anderen mit Blick auf die sehr reale Gefahr, die Schuldensumme (und die damit einhergehenden Kosten) durch Zahlungsrückstände weiter zu erhöhen statt abzubauen. Whitefield hatte Zinzendorf und der Brüder-Unität in seiner Streitschrift 1753 eine Reihe von Missständen vorgehalten. Er geißelte deren Finanzengpässe, da die Einnahmen – die im Fall Zinzendorfs und der Unität primär aus den Erträgen der Zinzendorfschen Güter durch Verpachtung oder Eigenbewirtschaftung herrührten – mit den Ausgaben nicht Schritt hielten; er schrieb über den Zwang, neue Schulden machen zu müssen, um Altschulden zu bedienen und so den eigenen »Kredit« zu erhalten, und schlussfolgerte daraus auf drängende Dauersorgen, die zeitweilige Illiquidität könne in eine Insolvenz umschlagen. Einer seiner Kritikpunkte lautete, mangels anderer Möglichkeiten würde die Brüder-Unität Geld zu Wucherzinssätzen aufnehmen, nur um an 48 Vgl. zum Folgenden Tabelle 2 im Anhang. 49 Vgl. Tabelle 1 im Anhang, Zeile 2. 50 Vgl. Tabelle 2 im Anhang.

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die dringend benötigten neuen Kredite zu kommen und dem offenen Bankrott zu entgehen. In der Zusammenstellung der Passiva zum Jahresende 1765 lassen sich hierfür keine, zumindest keine gravierenden Anhaltspunkte finden.51 Im Durchschnitt aller aufgenommenen deutschen Gelder bezifferte sich der Zinssatz auf 4,4 %, im englischen Fall berechnete sich der mittlere Zinssatz auf 4,2 %, im holländischen auf 3,6 %. Bei dem wertmäßig größten Teil der deutschen und englischen Passiva betrug der Zinssatz 4 oder 5 %. Das galt für die Altschulden bzw. übernommenen Passiva ebenso wie für die später von dem Unitätsvorsteherkollegium aufgenommenen Gelder, als die Schuldenlast der Brüder-Unität bereits zum öffentlichen Thema geworden war. Von den deutschen Altschulden waren zu diesen Zinssätzen rund 68 %, von den Neuschulden 80,5 % aufgenommen, bei den englischen Passiva betrugen die entsprechenden Anteilssätze 85,3 % und 100 %. Anders gestalteten sich die Dinge bei den holländischen Passiva. 81,4 % der Altschulden hatten zu einem Zinssatz zwischen 2,5 % und 3 % aufgenommen werden können, die Neuschulden kamen dagegen die Brüder-Unität deutlich teurer zu stehen, da jetzt der günstigste Zinssatz 3,5 % betrug und zu diesem Satz nur ein verhältnismäßig geringer Betrag (3.950 fl) aufgenommen werden konnte, während der Hauptposten (61.400 fl) mit 4 % und ein weiterer Posten von 3.730 Gulden von der Brüder-Unität mit 5 % verzinst werden musste.52 Ausreißer – Zinssätze von 6, 7, 8, ja 10 % – gab es bei den deutschen Passiva, bei den Altschulden wie auch bei den neu aufgenommenen Kapitalien. Absolut und relativ fielen diese teuren Leihgelder nicht stark ins Gewicht. Freilich ist nicht auszuschließen, dass die Aufnahme der Gelder zu diesen unüblichen Konditionen in einer besonderen Notlage der Unität erfolgte, die ihr keine andere Wahl ließ. Selbst wenn es sich bei den Zinssätzen, zu denen die Masse der Kapitalien aufgenommen war, um marktübliche Sätze gehandelt hat,53 bestand für das Unitätsvorsteherkollegium zweifellos auch auf diesem Gebiet Handlungsbedarf, musste es doch im Interesse der Reduktion der laufenden Zahlungsverpflichtungen größtes Interesse an einer Umschuldung bzw. Neuverhandlung der Zinssätze haben. Angesichts der Gesamthöhe der aufgenommenen Gelder fielen selbst Zinsermäßigungen um nur ein halbes Prozent bereits erheblich ins Gewicht. Zinsermäßigungen erfordern Verhandlungen mit der Gläubigerseite und deren Einwilligung. Die Aussichten des Unitätsvorsteherkollegiums auf Erfolg waren von vielen Faktoren abhängig. Die allgemeine Wirtschaftslage, die Nähe 51 Vgl. zum Folgenden Tabelle 3 u. Tabelle 1, Zeile 12 im Anhang. 52 Vgl. Tabelle 3 im Anhang. 53 Nach verstreuten Angaben, die ich in der Literatur zu ›landesüblichen Zinssätzen‹ im 18. Jh. gefunden habe, scheint die Unität die Masse der Kredite in der Tat zu marktüblichen Konditionen aufgenommen zu haben. Gustav Schmoller nennt für Holland 3 % bis 21/2 %, für England 6 % und für »Deutschland« 5 %, vgl. Gustav Schmoller: Grundriss der allgemeinen Volkswirtschaftslehre. 2. Teil. München 1904, 206 f.

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zur Brüderkirche, die Kenntnis ihrer misslichen Lage angesichts eines Dauerzustandes drohender Illiquidität, die Güterabwägung zwischen sicheren (geringen) oder gefährdeten (höheren) Zinserträgen auf die dargeliehenen Kapitalien mochten die Bereitschaft der Gläubiger zu Zinsreduktionen beeinflussen. Zudem kam der Zahl und der Zusammensetzung der Gläubiger eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Einen ersten Anhaltspunkt hierüber bieten die in Tabelle 4 zusammengestellten Daten zur Größenordnung der von den einzelnen Gläubigern dargeliehenen Gelder. Von den holländischen, englischen und deutschen Passiva entfielen die größten Teilsummen auf eine relativ kleine Zahl potenter Gläubiger. Dies galt für die übernommenen Schulden und für Holland und Deutschland – allerdings deutlich abgeschwächt – auch für die neu aufgenommenen Schulden. Darlehen in der Größenordnung von 1.000 Gulden und mehr machten im holländischen Fall 98,5 % der Altschulden (91 % der neu aufgenommenen Gelder) aus. Bei den englischen Konten entfielen auf Beträge in der Größenordnung von 1.000 Pfund und mehr 71,1 % der Altschuldensumme (19.468 von insgesamt 27.397 Pfund), wobei hier zu berücksichtigen ist, dass die Darlehen nach dem damaligen Wechselkurs in Reichstalern das Sechsfache betrugen. Von den in Deutschland und anderen Ländern in deutschem Gelde als Altlasten übernommenen Passiva entfielen auf die Größenordnung 1.000 rtl. und mehr 94 %, von den neu aufgenommenen Geldern waren es 24 %. Die im holländischen wie auch im deutschen Fall zentrale Rolle sehr vermögender Gläubiger wird noch deutlicher, wenn man nur diejenigen betrachtet, die der Brüder-Unität 10.000 Gulden und mehr zukommen ließen: Bei den holländischen Altschulden entfielen auf diese Größenordnung zwölf Gläubigerkonten, die zusammen vier Fünftel (80 %) der Gesamtsumme bereitgestellt hatten, bei den Neuschulden findet sich ein Gläubiger in dieser Größenordnung, der allein 12.000 Gulden oder 17,4 % der neu aufgenommenen Gelder eingebracht hatte. Bei den deutschen übernommenen Passiva (Altschulden) bezifferten sich 27 der hier geführten 402 Gläubigerkonten auf Beträge von 10.000 rtl. und mehr, aufaddiert stand diese Gruppe allein für gut die Hälfte (56,6 %) aller Altschulden; bei den neu aufgenommenen Schulden (165.041 rtl.) fiel der Anteil der Geldgeber dieser Größenordnung deutlich geringer aus, belief sich aber immer noch auf fast ein Viertel (24 %) der Gesamtsumme (vgl. Tabelle 4 im Anhang). Wer waren die Geldgeber, die mit ihren Darlehen den Auf- und Ausbau der Brüder-Unität unterstützten? Ein Durchgang durch die ›Konteninhaber‹ erlaubt, verschiedene Gläubigergruppen und deren Beteiligung an den Finanzvorleistungen zugunsten der Brüder-Unität zu bestimmen.54 Um die Struktur herauszuarbeiten, habe ich die Einzelkonten drei Kategorien zugeordnet: Institutionelle Konten (IK), Personenkonten (P) und Spezialkonten (S). Für diese Hauptkategorien habe ich – soweit das Material es vorgab – Untergruppen gebildet (IK1 bis IK3, P1 bis P5). Als Spezialkonto habe 54 Vgl. zum Folgenden Tabelle 5 im Anhang.

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ich ein in der Aufstellung der übernommenen holländischen, englischen und deutschen Passiva gleichermaßen (allerdings mit wechselnder Bezeichnung) angeführtes Sammelkonto eingeordnet. Im holländischen Fall firmiert es unter »Unverz[inste] Interessen« und steht bei den übernommenen Passiva mit dem beachtlichen Betrag von 19.555 Gulden zu Buch. Davon waren der BrüderUnität bis Ende 1765 zwar bereits 3.715 Gulden erlassen, doch 15.840 Gulden oder (nach dem in der Quelle zugrunde gelegten Wechselkurs) 8.580 rtl. schleppte sie ins neue Jahr 1766 mit. Im englischen Fall firmiert es unter der etwas rätselhaften Bezeichnung »Engl. Cred. div. ungew.«,55 beläuft sich auf 761 Pfund Sterling und wird – hier hat sich nichts bewegt – in gleicher Höhe mit umgerechnet 4.570 rtl. ins neue Jahr übertragen. Vergleichsweise bescheiden nimmt sich der entsprechende Posten im deutschen Fall aus. Hier sind als »Unverzinsbare Interessen« 284 rtl. 16 Groschen eingetragen, die jedoch, wie in einer der nächsten Spalten vermerkt, als »weggelassen, geschenkt, sonst compens[ierter] Posten« beim Schuldenübertrag aufs nächste Jahr nicht mehr zu berücksichtigen waren. Die Kategorie »Institutionelle Konten« fand sich nur unter den holländischen und den deutschen Passiva. Bei den holländischen Konten fallen hierunter Darlehen von drei Einrichtungen der Brüdergemeine in Zeist, unweit von Utrecht gelegen. Nach dem Grunderwerb 1745 hatten sich die Herrnhuter für Zeist als neuen Sitz einer holländischen Brüdergemeine entschieden und hier seit 1748 nach ihren eigenen, sehr anspruchsvollen Plänen eine architektonisch durchgestaltete Siedlung erbaut.56 Der Zeister »Gemeinkredit«,57 das dortige 55 Vielleicht zu lesen als „Englische Creditores diverse ungewiss“. 56 Vgl. De Bataafse Omwenteling te Zeist. Aantekeningen uit het Gemeindiarium van de Evangelische Broedergemeente te Zeist, 4 januarii-5 februari 1795, uitgegeven door L.L.Ph. Leeuwenberg. In: Nederlandse historische bronnen 3, 1983, 147–195, hier: Einführung des Bearbeiters, 151 (Grundstückserwerb für 157.000 Gulden durch Cornelis Schellinger); Wilhelm Lutjeharms: Die evangelische Brüdergemeine in den Niederlanden. In: Unitas Fratrum. Herrnhuter Studien – Moravian Studies. Hg. v. Mari P. van Buitjenen, Cornelis Dekker u. Huib Leeuwenberg. Utrecht 1975, 93–118; Paul Peucker: Wer war der Architekt der Brüdergemeine von Zeist. In: Unitas Fratrum 51/52, 2003, 21–38. 57 Dabei handelt es sich um einen Kreditfonds, der von Mitgliedern der Gemeine durch Einzahlungen aus ihrem Privatvermögen gespeist wurde. Der Fonds sollte die Gemeinde von externen Geldgebern unabhängig machen. Er wurde von einem Ausschuss aus der Mitte der Gemeine verwaltet, i. d. R. unter Beteiligung der wichtigsten Einleger. Aus dem Fonds wurden größere Investitionen für Anlage und Ausbau von Werkstätten, Gewerbe- und Handelsbetrieben in der Gemeinde (vor-) finanziert. Vgl. Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (wie Anm. 4), 357–359, 363–365, 128. In Herrnhut wurde der Kreditfonds 1746 eingerichtet (ebd., 357), in der Brüdergemeine Zeist etwa um die gleiche Zeit (vgl. De Bataafse Omwenteling, wie Anm. 56, 151 f). Gisela Mettele: Kommerz und fromme Demut. Wirtschaftsethik und Wirtschaftspraxis im »Gefühlspietismus«. In: VSWG 92, 2005, 301–321, bes. 320 (mit zu frühem Gründungsjahr) sieht in der Einrichtung »eine Art Genossenschaftsbank« und merkt an, Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) habe, u. a. angeregt durch »das Vorbild der Herrnhuter in Neuwied« – die dortige Ansiedlung der Brüdergemeinde erfolgte 1750 –, »seinen Genossenschaftsgedanken entwickelt«. Demgegenüber ist festzuhalten, dass der Mitgliederkreis des »Gemeinkredits« im 18. Jahrhundert eng begrenzt war und die Mitglieder wie auch die Gemeindeleitung es in der Regel ablehnten, für die Schulden

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Schwestern- und das Brüderhaus hatten Gelder bereitgestellt, wobei dem Schwesternhaus (1.000 Gulden) das Darlehen anscheinend ebenso schwer fiel wie dem Gemeinkredit (731 Gulden), denn anders als das Brüderhaus, das seine 1.500 Gulden ohne Zinsforderung bereitgestellt hatte, verlangten die beiden ersteren jeweils 3 % Zinsen. Ein komplexeres Bild zeigen die institutionellen Konten bei den deutschen Passiva. Unter den »Altgläubigern« finden sich hier neben Einrichtungen verschiedener brüderischer Ortsgemeinden und Kassenverwaltungen der Brüder-Unität (17 Konten) auch Darlehen von Kirchengemeinden in der engeren und weiteren Umgebung von Herrnhut (neun Konten) sowie von anderen Organisationen, vornehmlich Stiftungen (vier Konten), darunter das Leipziger Universitäts-Almosen (1.500 rtl.), die Franckeschen Anstalten (2.200 rtl.) und das Bischofswerdaer Majorat (zwei Kapitalien im Gesamtbetrag von 3.350 rtl.). Während die beiden letzteren Gruppen bei den neu von dem Unitätsvorsteherkollegium aufgenommenen Kapitalien nicht mehr vertreten waren, halfen Einrichtungen der deutschen Gemeinorte und der Brüder-Unität – anders als das in Holland der Fall war – auch in dieser zweiten Runde durch Bereitstellung von Krediten aus. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die von brüderischen Gewerbe- und Handelsbetrieben vorgeschossenen Gelder, die sich dank ihres wirtschaftlichen Erfolgs in der ›Schuldenkrise‹ als wichtige Stütze der Unität erwiesen. Dabei handelt es sich vor allem um »Joh. van der Heiden & Co« – unter diesem Namen firmierte die im Juli 1758 gegründete »Brüder-Commercien-Societät«58 – (1.000 rtl.), das Brüderhaus in Gnadenthal/Neudietendorf im Umland von Gotha, das erst desjenigen Gemeindemitglieds aufzukommen, dem ein Kredit eingeräumt worden war. Bei der Regelung der Rechtsverhältnisse war man bestrebt, eine Haftung der Gemeinde bzw. des Gemeinkredits für brüderische Gewerbe- und Handelsbetriebe auszuschließen. 58 Die »Brüder-Commercien Societaet« bestand 1758–1765. Sie wurde »im Interesse der Mission« als brüderische Übersee-Handelsgesellschaft am 1. Juli 1758 gegründet, und zwar auf Vorschlag von Jonas Paul Weiß (1695–1779), einem vermögenden Nürnberger Kaufmann, der sich Ende der 1720er Jahre in Nürnberg der Brüdergemeine zugewandt hatte und 1741 nach Herrnhut übergesiedelt war. Das Gesellschaftskapital, in Anteilen von mindestens 100, höchstens 200 Species Dukaten (100 Dukaten entsprachen 525 holländ. Gulden oder 300 rtl.), wurde von vermögenden Herrnhutern (darunter auch Zinzendorf) aufgebracht. Bis Ende Juni 1759 waren 17, bis Ende Juni 1760 insgesamt 29 Anteile gezeichnet. Die Hälfte des Gewinns diente der »Heiden- und Etablissementssache« (d.i. die Mission, zumal in Surinam und Berbice, und Gemeindegründungen vor allem in Amerika); vgl. UA, R4, A41, Nr. 1, Nr. 6, Nr. 7, Nr. 13; Peucker, Wörterbuch (wie Anm. 2), 35; zu den Motiven siehe Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (wie Anm. 4), 43–48; zu J.P. Weiß vgl. Dieter Wölfel: Die kirchlich-religiöse Entwicklung von der Mitte des 16. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. § 63: Die evangelische Kirche. In: Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 3/ 1: Geschichte Frankens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Hg. v. Andreas Kraus u. Sigmund Benker (begr. v. Hans Spindler). München 31997, 783–824, hier 819; gedruckter Lebenslauf von J. P. Weiß. In: Nachrichten aus der Brüder-Gemeine 1844, 750–776. Als bevollmächtigter Vertreter der »Societät« nach außen wurde »wegen verschiedener Considerationes«, die das »Commercium« betrafen, »z.E. Speditions-, Wechselbestellungen, Rechnungen nebst der deshalber nöthigen Correspondenz«, am 21. April 1759 Johann van der Heiden eingesetzt. UA. R4, A41, Nr. 10.

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1752/53 neu von Mitgliedern der Brüdergemeine besiedelt worden war59 (1.800 rtl.) sowie die Herrnhuter Firma Abraham Dürninger & Co.60 (5.000 rtl.). Für die Verankerung im religiösen Umfeld, die wirtschaftliche Verfassung sowie Leistungsfähigkeit der Brüder-Unität und der in ihr zusammengeschlossenen Gemeinen ist der Umstand aufschlussreich, dass auf der Gläubigerseite im holländischen und deutschen Fall auch institutionelle Darlehensgeber verzeichnet sind, die der Brüder-Unität »Kapitalien« geliehen hatten und sich hierunter bei den »Altschulden«, besonders aber bei den neu vom Unitätsvorsteherkollegium aufgenommenen Schulden auch brüderische Eigenbetriebe der Gemeinden finden. Bezogen auf die insgesamt von Zinzendorf 59 Die Herrnhuterkolonie Neudietendorf (Gnadenthal) ging in ihren Anfängen auf das Jahr 1742 zurück, als Reichsgraf von Promnitz das Gut im Auftrag und für Zwecke der Brüdergemeine erworben und mit der sachsen-gothaischen Landesregierung eine diesbezügliche Konzession verhandelt hatte. Zinzendorf, mit den Bedingungen hinsichtlich der kirchlichen Stellung der Kolonie als einer »mährische[n]« statt »lutherische[n] Gemeine nach dem Vorbild von Herrnhut« nicht einverstanden, widersetzte sich dem Vorhaben. 1752 hatten sich kirchenpolitisch die Verhältnisse geändert. Der Graf stellte sich nun hinter die Neuansiedlung und warb für die dortige Gemeine. Vgl. David Cranz: Alte und neue Brüder-Historie oder kurz gefaßte Geschichte der Evangelischen Brüder-Unität. Barby 1772. Reprint mit einem Vorwort von Gerhard Meyer = Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Materialien und Dokumente. Reihe 2: Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Leben und Werk in Quellen und Darstellungen. Bd. 11. Hildesheim u. New York 1973, 376 f, 377 (Zitat), 606–608, 636, 794; Spangenberg, Leben (wie Anm. 6), hier Bd. 5/6. 5. Teil: 1739–1744 (1774), § 17, 1496–1498, 1484 u. 1554; Hamilton u. Hamilton, Unitas Fratrum (wie Anm. 6). Bd. 1, 122 f; Meyer, Zinzendorf (wie Anm. 3), 49 f. Arbeitsamkeit, Gewerbefleiß und Ordnungsliebe der Kolonisten fanden zeitgenössisch Aufmerksamkeit. Die Anerkennung durchzieht auch die Lexikon-Artikel zu »Dietendorf« im 19. Jahrhundert, vgl. Allgemeine Encyklopädie (wie Anm. 35). 25. Theil. Leipzig 1834, 86. 60 Abraham Dürninger (1706–1773), ein aus Straßburg gebürtiger, berufs- und welterfahrener Kaufmann, hatte sich im Dezember 1744 Zinzendorf und der Brüdergemeine angeschlossen und war unter Aufgabe seines bisherigen geschäftlichen Wirkungskreises zur Brüdergemeine in Herrnhaag (Wetterau) übergesiedelt. Zinzendorf beauftragte ihn 1747 mit der Führung des »Gemeinladens« in Herrnhut. Am 24. Oktober 1747 trat Dürninger dort die neue Aufgabe an. Er erweiterte das Geschäft um einen Leinwandverlag, nahm die Fabrikation von Blaudrucken (Zitzen), Siegellack, Tabakwaren u. a.m. auf und engagierte sich zusätzlich zum Detailhandel im Groß-, Fern- und Überseehandel mit den Erzeugnissen seiner Herrnhuter »Fabriken«. In nur wenigen Jahren baute er den seit 1751 als »Abraham Dürninger & Co.« auftretenden Herrnhuter »Gemeinladen« zu einem der größten Handelsunternehmen Sachsens aus. Vgl. Herbert Hammer: Abraham Dürninger. Ein Herrnhuter Wirtschaftsmensch des achtzehnten Jahrhunderts. Berlin 1925; Hans Wagner: Abraham Dürninger & Co. 1747–1939. Ein Buch von Herrnhutischem Kaufmanns- und Unternehmertum. Herrnhut 1940, 5–99 passim; Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (wie Anm. 4), 28–50, 134–187, 358–366 passim erörtert eingehend die Grundzüge der Wirtschaftsordnung, auch Dürningers Ausnahmestellung in der Herrnhuter Brüdergemeine und betont Zinzendorfs sozial und religiös motivierte, grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber großbetrieblichen Manufakturen und »Fabriken« selbst bei einer gemeinwirtschaftlichen Bindung der Betriebsführung und Unternehmensleitung. Erst in der Kreditkrise der 1750er Jahre habe der Graf seine Position gegenüber gemeindeeigenen, im Auftrag der Ortsgemeinde und unter ihrer Kontrolle von Gemeindemitgliedern geführten Großbetrieben widerstrebend geändert, nicht jedoch ausdrücklich revidiert (vgl. Uttendörfer, Wirtschaftsgeist, wie Anm. 4, 179 f, 359–361, 366).

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und der Brüder-Unität aufgenommenen Gelder hatten diese institutionellen Gläubiger (IK1) jedoch einen nur verschwindend geringen Anteil. Im holländischen Fall entfiel auf sie noch nicht einmal 1 % des Gesamtschuldenvolumens, im deutschen Fall waren es knapp 5 %, wobei dem Zufluss von Darlehen aus der Brüderkirche selbst bezeichnenderweise anteilmäßig bei den übernommenen Schulden mit rund 4 % ein deutlich geringeres Gewicht zukam als bei den später von dem Unitätsvorsteherkollegium neu aufgenommenen Schulden, an denen sie mit rund 9 % beteiligt waren (vgl. Tabelle 5 im Anhang). Die bei weitem wichtigste Kontengruppe mit der jeweils höchsten Beteiligung an dem Gesamtschuldenvolumen umfasste Kapitalien, die einzelne Personen oder Personengruppen61 der Brüder-Unität zur Verfügung gestellt hatten (vgl. Tabelle 6 im Anhang). Bezogen auf die insgesamt aufgenommenen Schulden wie auch auf die Teilsummen der übernommenen und der neu aufgenommenen Schulden belief sich der Anteilssatz dieser »Personenkonten« auf jeweils deutlich über 90 %. Die Beteiligung an der Gesamtschuldensumme lag im holländischen Fall bei 96 %, im englischen bei 97 % und im deutschen Fall bei 94 %. Die weitere Aufschlüsselung und Zusammenfassung der »Personenkonten« zu Untergruppen (P1 bis P5) anhand gemeinsamer Merkmale wie Geschlecht, Alter und/oder besondere Rechtsverhältnisse (P3) erlaubt erste Einblicke in die Zusammensetzung der individuellen Darlehensgeber (vgl. Tabelle 5 und Tabelle 6 im Anhang). Die jeweils größte Teilgruppe unter ihnen waren erwachsene Männer (P1), an zweiter Stelle standen erwachsene Frauen (P2). Die einzelnen Personen in diesen beiden Gruppen hatten, so darf man unterstellen, aus ihrer Glaubensüberzeugung heraus, aus persönlicher Nähe zu Zinzendorf, aus innerer Neigung oder Anteilnahme, aus eigenem Antrieb und Entschluss das Vorhaben Zinzendorfs und die Expansion der Brüder-Unität durch Darlehen unterstützt. Angesichts der zeitgenössischen Wirtschaftsverfassung und Rechtsordnung der Geschlechterverhältnisse verwundert es nicht, dass erwachsene Männer unter den Konteninhabern zahlenmäßig dominierten und die von ihnen dargeliehenen Kapitalien anteilmäßig bei den insgesamt von der BrüderUnität aufgenommenen Schulden vor allen anderen Teilgruppen bei weitem überwogen.62 Gleichwohl verdient auch der Beitrag von Frauen Beachtung, der im holländischen, englischen und deutschen Fall gleichermaßen, allerdings unterschiedlich stark zu Buche steht. Zu etwa einem Drittel waren erwachsene Frauen mit ihren Darlehensbeträgen an der Gesamtsumme der holländischen Passiva beteiligt, bei den englischen Passiva belief sich ihr Anteil auf 7,5 %, bei den deutschen Passiva auf rund 14 %. Anders als im holländischen und englischen Fall, in dem der Anteilssatz der von Frauen dargeliehenen Kapitalien an 61 Das sind die Kontengruppen P1 bis P5 in Tabelle 5. Sie sind in Tabelle 6 aufaddiert und zusammen als »Personenkonten« ausgewiesen. Siehe Anhang. 62 Vgl. Tabelle 5 im Anhang.

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dem Gesamtbetrag der »Altschulden« und der später neu aufgenommenen Kapitalien keine markante Veränderung aufweist, steigerte sich im deutschen Fall dieser Anteilssatz von rund 2 % bei den »Altschulden« auf rund 24 % bei den neu aufgenommenen Schulden.63 Dass Frauen in dieser Weise an der Bereitstellung von Krediten für die Brüder-Unität beteiligt waren, unterstreicht – zumal im holländischen und deutschen Fall – ihre (auch finanzielle) Anteilnahme an der neuen brüderischen Frömmigkeitsbewegung und lässt – einmal mehr – ihre Bedeutung für die Förderung und materielle Umsetzung pietistischer Vorhaben hervortreten.64 Eine weitere, erheblich schwächer besetzte Untergruppe der Gläubigerkonten, die sich unter den englischen und deutschen, nicht jedoch unter den holländischen Passiva findet, setzt sich aus Forderungen von Unmündigen, »Kindern« oder »Erben« zusammen (P3). Wie aus den Bezeichnungen der Konten hervorgeht, handelte es sich hierbei um drei Typen: Zum einen lauten die Konten auf »Mündel«, zum anderen auf »Vormundschaften«, zum dritten auf »Kinder« oder »Erben«. Nach der Anzahl der Konten und den vermerkten Beträgen bilden Depositen für ein Mündel oder die Überlassung von Geldern unmündiger Kinder unter Vormundschaftsverwaltung, die nur im deutschen Fall als Teilgruppe fassbar werden, eine marginale Gruppe im Vergleich zu den beiden anderen Typen, in denen der Brüder-Unität Kindern eigentümliche Kapitalien von deren Eltern als Darlehen ausgehändigt worden waren oder ihr das noch nicht regulierte, einer Erbengemeinschaft hinterlassene Vermögen als Kapital geliehen worden war. Anders als im englischen Fall, wo zwei Kapitalien à 500 Pfund Sterling dieser Kontenuntergruppe zugehörig sind, weist die Höhe der Kapitalien im deutschen Fall eine erhebliche Streuung auf. Bei vierzehn der neunzehn Konten dieser Gruppe (P3) handelt es sich um Beträge zwischen wenigen Groschen und 75 rtl., drei Konten lauten auf Beträge zwischen 400 und 490 rtl., drei Konten auf Beträge zwischen 1.800 und 3.300 rtl., ein Konto auf 29.000 rtl. (»v. Schweinitzische Erben«) und ein Konto auf 60.000 rtl. (»v. Zinzendorffs[che] Kinder«). In der Zusammenschau mit der weiter oben diskutierten Größenstruktur 63 Vgl. Tabelle 6 im Anhang. 64 Für eine erschöpfende Angabe einschlägiger Forschungsarbeiten ist hier nicht der Ort. Stellvertretend seien nur einige jüngere Veröffentlichungen genannt: Schwestern unter Brüdern. Die Stellung der Frau in der Brüdergemeine. Tagung in Herrnhut im Juni 1998. In: Unitas Fratrum 45/ 46, 1999; Gisela Mettele: Weltbürgertum oder Gottesreich. Die Herrnhuter Brüdergemeine als globale Gemeinschaft 1727–1857. Göttingen 2009, bes. 29–31; Ruth Albrecht: Frauen. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Hg. v. Hartmut Lehmann. Göttingen 2004, 522–555; Gendering Tradition. Erinnerungskultur und Geschlecht im Pietismus. Hg. v. Ulrike Gleixner. Korb 2007; Lucinda Martin: Öffentlichkeit und Anonymität von Frauen im (radikalen) Pietismus – Die Spendentätigkeit adliger Patroninnen. In: Der radikale Pietismus. Hg. v. Wolfgang Breul, Marcus Meier u. Lothar Vogel. Göttingen 2010, 385–401; Ulrike Witt: Bekehrung, Bildung und Biographie. Frauen im Umkreis des Hallischen Pietismus. Halle 1996; Ulrike Gleixner: Mäzeninnen im »Reich Gottes«. Frauen hohen Standes im Netzwerk der protestantischen Indienmission im 18. Jahrhundert. In: L’homme 23, 2012, 13–32.

Zum ›Schuldenwesen‹ der Brüder-Unität

323

der Leihkapitalien erlaubt die Analyse der Gläubigerkonten nach verschiedenen Gruppen von Darlehensgebern die finanzielle Trägergruppe der BrüderUnität in der Expansionsphase der 1740/50er Jahre genauer zu fassen. Die Expansion war kreditfinanziert. Bei den aufgenommenen Kapitalien handelte es sich zu 90 % und mehr um Darlehen von Einzelpersonen. Bis Ende Dezember 1765 hatte die Brüder-Unität in Holland, England und Deutschland – unter Einschluss der Zugänge aus anderen Ländern in deutschem Geld – insgesamt 630 Personen als Geldgeber für ihre Vorhaben gewinnen können. Die Höhe der Kapitalien, die der Brüder-Unität als Darlehen zur Verfügung gestellt wurden, bewegte sich innerhalb einer großen Spannweite, die von wenigen Groschen bis zu mehreren hundert (England), ja – in Deutschland und Holland – sogar zu mehreren tausend Gulden bzw. Talern reichte. Die Finanzierung der Expansion durch Schuldenaufnahme war nicht einer exponentiell anwachsenden Zahl von Förderern und Freunden der Brüder-Unität in diesen drei Ländern zu verdanken. Zwar trugen auch kleine und kleinste Kredite das Ihre zur Finanzierung bei, aber von einem Massenzustrom bzw. einem Massenandrang kleinster und kleiner Kapitalgeber als Finanzierungsreservoir kann nicht die Rede sein. Es war vielmehr jeweils eine quantitativ verhältnismäßig kleine Gruppe, der eine prominente, ja herausragende Bedeutung als Financiers der Brüder-Unität zukam.65 Besonders zu Lebzeiten Zinzendorfs wurden dem Grafen und der erneuerten BrüderUnität in Holland, England und Deutschland von Einzelnen bedeutende Summen dargeliehen und für den Auf- und Ausbau der Brüdergemeine zur Verfügung gestellt. Nach den verzeichneten Namen der Kontoinhaber für die einzelnen Schuldposten zu schließen, waren bei den holländischen und englischen Passiva die kleineren, aber auch die großen Kapitalien von vermögenden Bürgerlichen, von Kaufleuten oder Fabrikanten, deren Ehefrauen, Witwen und Erben der Brüder-Unität geliehen worden. Davon deutlich abgesetzt war die soziale Zusammensetzung der Gläubiger bei den deutschen Passiva.66 Den Familiennamen und diesen zum Teil auch beigefügten Ortsangaben nach zu urteilen, kam die weit überwiegende Mehrzahl der individuellen Gläubiger aus der Oberlausitz, Sachsen, Schlesien, den thüringischen Kleinstaaten sowie Preußen; eine kleinere Gruppe von ihnen lebte in der Schweiz.67 Die relative 65 Bei den holländischen Passiva wird das besonders deutlich. Hier waren offenbar Familienverbände (Eltern und Kinder, Geschwister und Anverwandte) als Kreditgeber aktiv geworden. Die Familie Beuning (zwei Konten) hatte 131.890 Gulden vorgeschossen, Verbeeks (sieben Konten) 127.751 Gulden, Babelingks (sechs Konten) 89.060 Gulden, van Laers (zwei Konten) 34.224 Gulden und van Goldenbergs (fünf Konten) 19.108 Gulden. Die meisten dieser Großfinanciers waren Mitglieder der Brüdergemeine Zeist, wie aus der im Utrechter Staatsarchiv zugänglichen Lebenslaufsammlung der Zeister Brüdergemeinde erschlossen werden kann. 66 Vgl. zum Folgenden Tabelle 7 im Anhang. 67 Die Schweizer gingen in der Gesamtgläubigerzahl unter, als solide Financiers und treue Förderer der Brüdergemeine hatten sie jedoch Gewicht. »Staehely« (Basel) ist bei den übernommenen

324

Heidrun Homburg

wirtschaftliche Rückständigkeit der deutschen Kleinstaaten und Fürstentümer gegenüber den beiden erfolgreichen Handelsnationen Holland und England mit ihrer in den Weltmarkt integrierten, kommerziell ausgerichteten gewerblichen Produktion spiegelte sich in der sozialen bzw. ständischen Zusammensetzung der deutschen Gläubigergruppe. Zwar finden sich auch hier bürgerliche Darlehensgeber, aber nicht sie, sondern der Adel bestimmt das Bild, zumal die Höhe der bürgerlichen Beiträge deutlich hinter den Kapitalien zurückblieb, die der fromme regionale Adel68 Zinzendorf und der BrüderUnität lieh. Die Aufschlüsselung der deutschen Passiva nach der Standeszugehörigkeit der Gläubiger bestätigt die Befunde der älteren Forschungsliteratur69 und belegt aufs Neue die Bedeutung des weitverzweigten altadeligen familiären Netzwerks für die Realisierung des von Herrnhut aus auf Europa und die gesamte Welt ausgreifenden religiösen Projekts Zinzendorfs.70 In gewisser Weise bildeten diese Adelsgeschlechter das funktionale Äquivalent zu den bürgerlichen Kaufleuten, sie waren offen für das neue Glaubensverständnis Zinzendorfs, für eine im Alltag gelebte Gemeinschaft der Frommen und eine dieser verpflichteten Wirtschaftsethik, die »Kommerz und fromme Demut« in neuartiger Weise aktiv miteinander verband.71 Zinzendorfs (oben zitiertes) Diktum, »man [müsse] hauptsächlich den Reichen an den Beutel klopfen«, mit dem er in der Expansionsphase der Brüder-Unität Spangenbergs Ansinnen zurückwies, den Geldbedarf nach Halle’scher Manier durch Kollekten einzusammeln, erscheint insofern alles andere als wirklichkeitsfremd. Vielmehr steht es für Zinzendorfs seismographische Erfassung seiner Gegenwart, seine Einsicht in eine Zeitströmung und sein Gefühlswissen um die Anziehungskraft eines aktiv in enger Gemeinschaft mit Gleichgesinnten gelebten Glaubens. Dafür standen die als Siedlungen neu

68

69

70 71

Passiva mit einem Kapital von 1.837 rtl., der Berner Tscharner mit einem Posten von 5.742 rtl. bei den »Altschulden«, dazu noch mit 800 rtl. bei den »neuen« Schulden eingetragen, ein gewisser Luz (ebenfalls Bern) war bei letzteren mit einer Forderung von 1.233 rtl. vermerkt, sein Landsmann Fischer (St. Blaise) bei den »Altschulden« mit beachtlichen 7.000 rtl. Zu den gewichtigsten Gläubigern der Brüder-Unität gehörten – wie aus der Quelle hervorgeht – mehrere von Gersdorffs, Grafen und Komtessen von Reuß, die Grafen bzw. Freiherren Brockdorff, Dohna, Einsiedel, Rantzau, Peistel, Schweinitz, um nur einige der bekannteren Namen zu nennen. Selbstverständlich aber fallen unter diese Gruppe der Gläubiger auch die Töchter Zinzendorf sowie Heinrich XXVIII. Reuß zu Ebersdorf mit den von ihnen der Unität überlassenen Kapitalien von insgesamt 120.000 rtl. Dieser ganze Komplex kann hier nur kursorisch behandelt werden. Eine eingehende Untersuchung ist geplant. Das Standardwerk hierzu ist nach wie vor Hans-Walter Erbe: Zinzendorf und der fromme hohe Adel seiner Zeit. Phil. Diss. Universität Leipzig. Leipzig 1928. Weitere Verbindungen werden fassbar mit dem Grundlagenwerk von Walter von Boetticher: Geschichte des oberlausitzischen Adels und seiner Güter. 4 Bde. Görlitz 1912–1923. Zum Umfeld siehe auch Robert Langer: Pallas und ihre Waffen. Wirkungskreise der Henriette Catharina von Gersdorff. Dresden 2008; Anke Brunner: Aristokratische Lebensform und Reich Gottes. Ein Lebensbild des pietistischen Grafen Heinrich XXIV. Reuß-Köstritz (1681–1748). Herrnhut 2005. Vgl. Meier, Zinzendorf (wie Anm. 3), 37–93 passim; Mettele, Weltbürgertum (wie Anm. 64). Mettele, Kommerz (wie Anm. 57); vgl. auch Meyer, Zinzendorf (wie Anm. 3), 118–123.

Zum ›Schuldenwesen‹ der Brüder-Unität

325

gegründeten örtlichen Brüdergemeinen, die brüderischen Frömmigkeitsformen, die Aufforderung an die Gemeindemitglieder, als ›Kinder Gottes‹ mitzuwirken an der ›Reich-Gottes-Arbeit‹ und hierzu auch die Ökonomie in den Dienst zu nehmen.72

5. Ausblick Durch die Beschlüsse der Marienborner Generalsynode im Sommer 1764 übernahm die Brüder-Unität als Rechtsnachfolgerin Zinzendorfs die von ihm für Zwecke der Brüdergemeine kontraktierten Schulden sowie die daraus resultierenden Zahlungsverpflichtungen. Sie erklärte den »Schuldendienst« zur gemeinschaftlich zu schulternden Aufgabe und kündigte an, sie werde die Forderungen der Gläubiger respektieren. Das von der Synode neu eingesetzte Unitätsvorsteherkollegium wurde mit der Schuldenverwaltung beauftragt. Die Männer übernahmen ein schweres Amt. Die Dimensionen der Aufgabe verdeutlicht die erste umfassende Zusammenstellung des Schuldenstands der Brüder-Unität, die die Arbeit des Kollegiums nach knapp eineinhalbjähriger Tätigkeit dokumentierte. Der Gesamtbetrag der in Holland, England und Deutschland aufgenommenen Kapitalien belief sich zur Zeit der Übernahme der Schulden auf 1,572 Mio. rtl. Den Zahlungsverpflichtungen an die Gläubiger hatte die Brüder-Unität aus eigenen Mitteln nicht nachkommen können. Der »Schuldendienst« machte die Aufnahme neuer Kredite in Gesamthöhe von rund 207.000 rtl. erforderlich. Der so auf 1,779 Mio. rtl. erhöhten Gesamtschuldenlast standen andere Posten gegenüber, die im Berichtszeitraum die Last reduzierten (vgl. Tabelle 1 im Anhang). Das waren »die von einigen Posten abgezogenen Agio73 gegen besseres Geld« (490 rtl.), »nachgelassene, geschenkte und sonstige Compensations-Posten« (28.042 rtl.), »durch das UVC abgezahlte Capitalien in dem Jahr 1765« (124.686 rtl.), »auf Leibrenten CapitalConto transportirte Posten« (72.211 rtl.), zusammen 225.429 rtl. Nach Abzug dieser Posten belief sich der Gesamtschuldenbestand am 31. Dezember auf rund 1,554 Mio. rtl. gegenüber dem Ausgangsstand – einschließlich der neu aufgenommenen Schulden – von 1,779 Mio. rtl. hatte er um immerhin 72 Uttendörfer, Wirtschaftsgeist (wie Anm. 4) greift zu kurz, wenn er dem Adel, der sich den Brüdergemeinen in Herrnhut und andernorts anschloss, die religiöse Schwärmerei der »Sichtungszeit« und »seigneurales Wirtschaftsdenken« anlastet. Adeligen kam zusammen mit den bürgerlichen Kaufleuten, die sich wie Jonas Paul Weiß oder Abraham Dürninger den Herrnhutern anschlossen, für die Ausformung der brüderischen Frömmigkeit und der Ökonomie große Bedeutung zu. 73 Agio, Aufgeld bezeichnet den »Betrag, um den der Preis (Kurs) einer Geldsorte den Nennwert derselben übersteigt«. Siehe Meyers Großes Konversations-Lexikon 1, 1905, 171. Das Aufgeld beim Wechsel einer Geldsorte in eine andere war – so Pierer’s Universal-Lexikon, 1, 1857, 186 – »am meisten bedingt durch die Nachfrage, wenn irgend eine Geldsorte, gemünztes Geld oder Papiergeld gesucht wird, […] oder wenn das Land, wo sie gangbar sind, sehr in Ansehen steht«.

326

Heidrun Homburg

0,223 Mio. rtl. verringert werden können. Dieser Abbau war selbst jedoch wiederum zu einem erheblichen Teil nur durch Aufnahme neuer Schulden finanziert. Darüber hinaus hatte die Brüder-Unität 1765 zwar 55.849 rtl. an Zinsen und Renten auf das geliehene Kapital ihren Kreditgebern ausgezahlt, war aber dennoch mit 6.441 rtl. bei den in diesem Jahr an die Gläubiger zu zahlenden Leistungen (»Interessen und Renten«) in Rückstand geblieben. Diese Bilanz konnte nicht befriedigen. Sie machte deutlich, welche Anstrengungen es kosten würde, den laufenden Zahlungsverpflichtungen aufgrund der aufgenommenen Kredite nachzukommen, und dass ein sehr langer Weg vor der Brüder-Unität lag, um den Schuldenbestand abzutragen. Diesen im Einzelnen nachzuverfolgen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Einem internen, 1928 »zu Händen der Finanzdirektion der Deutschen Brüderunität« von Joseph Müller verfassten Bericht über die »Finanzgeschichte der Unität« zufolge war die Gesamtschuldenlast im Verlauf von 37 Jahren bis zum Sommer 1801, als eine weitere Generalsynode der Brüder-Unität in Herrnhut zusammentrat, auf einen Rest von 73.000 rtl. »herabgemindert« worden. Müller berichtet: »Als dieses Ergebnis der Synode bekannt gegeben wurde, erklärte der als Abgeordneter anwesende Vertreter der Handlung Abraham Dürninger & Co in Herrnhut, Br[uder]. Strümpfer, in ihrem Namen, dass sie diesen Rest zu übernehmen bereit sei.« Anschließend hält er in knappen Worten fest: »Damit war die seit 1764 auf der Unität lastende Schuld völlig getilgt.«74 Die lang anhaltende Bedeutung des ›Schuldenwesens‹ erschöpft sich – in wirtschaftsgeschichtlicher und organisationssoziologischer Perspektive – jedoch nicht darin, dass die Brüder-Unität mehrere Jahrzehnte benötigte, um die Schulden abzutragen. Als das ›Schuldenwesen‹ im Frühjahr 1753 solche Dimensionen erreicht hatte, dass die Brüder-Unität in Geldnot geriet und ihre ›Kreditkrise‹ in der Öffentlichkeit zum Thema wurde, nicht zuletzt auch wegen der potenziell katastrophalen Folgen für die Gläubiger, wurde dadurch auch der Ablösung von Zinzendorfs seigneuraler Schuldenmacherei durch bürgerliche Rechenhaftigkeit der Weg gebahnt. Kaufleute und buchhalterisch begabte Mitglieder aus dem Kreis der engen Mitarbeiter Zinzendorfs und aus der Herrnhuter Ortsgemeine machten sich ans Werk. Sie begannen, Einnahmen und Ausgaben, Passiva und Aktiva der Unität zu bilanzieren, forderten von den Einzelgemeinden, deren Einrichtungen, den Chören und sogenannten »kommerzierenden Branchen«, jährlich einen Finanzstatus vorzulegen, und bereiteten selbst den Grund für eine der fortlaufenden Kontrolle durch die Bücher ausgesetzten Bewirtschaftung der Schulden. Die Ortsgemeinen wie auch die Brüder-Unität mitsamt ihren jeweiligen Einrichtungen wurden im Zuge der buchhalterischen Erfassung aller wirtschaftlich relevanten Vorgänge zu Objekten einer so bis dahin nicht gekannten bürokratischen Verwaltung, wurden – zusätzlich zu allen anderen seelsorgerlichen Aufgaben, die ihnen 74 Müller, Überblick (wie Anm. 13), 7.

Zum ›Schuldenwesen‹ der Brüder-Unität

327

selbstverständlich weiterhin und vor allem oblagen – zu einer Art Wirtschaftsbetrieb bzw. zu bilanzierenden Abteilungen des Gesamtunternehmens Brüder-Unität. Dass Herrnhuter – wie die deutschen Mitglieder der BrüderUnität im Sprachgebrauch der Zeit mit Rücksicht auf die erste Ansiedlung einer Brüdergemeine in Herrnhut oftmals genannt wurden – auch rechnen konnten, dass sie sich in der kaufmännischen Rechnungsführung wie auch in den zeitgenössischen Finanztransaktionen, in den geschäftlichen Usancen und auf den internationalen Kapitalmärkten auskannten: das alles stellten sie nachdrücklich durch die Art und Weise unter Beweis, wie sie seit 1764 die Schuldenverwaltung der Brüder-Unität aufbauten und handhabten. Für die termingerechte Befriedigung der Gläubiger, für die Umwandlung von geliehenen Kapitalien in Leibrenten, bei denen der Gläubiger auf die Rückzahlung des Kapitals (der sog. Hauptsumme) verzichtete zugunsten einer ihm vom Schuldner in regelmäßigen Abständen bis an sein Lebensende auszuzahlenden ›Rente‹ (eines vertraglich vereinbarten Zinssatzes auf das von ihm eingelegte Kapital), für diese und ähnliche Finanztransaktionen boten die detaillierten Auflistungen der Gläubigerkonten, die 1765 erstmals angelegt und seither jährlich revidiert wurden, die unverzichtbare Grundlage. Der 1765 mit Bedacht und großer Sorgfalt angegangene Schuldendienst war das zentrale Instrument zum Abbau der Schuldenlast wie auch zur Pflege der Kreditwürdigkeit der Brüder-Unität, zum Erhalt ihres ›Kredits in der Welt‹. Die hohe Anzahl der Gläubigerkonten, der Umfang der dargeliehenen Kapitalien und erst recht der auf den eigenen Kredit sowie die Befriedigung der Gläubiger bedachte sorgfältige Schuldendienst ließen die Brüder-Unität am Sitz ihrer Hauptverwaltung in der Oberlausitz zu einem wichtigen Finanzintermediär in der Region werden. Geht man die individuellen, auf Personen lautenden Konten durch, gewinnt man den Eindruck, dass die Brüder-Unität zumal auf dem regionalen Kapitalmarkt um die Mitte des 18. Jahrhunderts in doppelter Weise aktiv wurde, einmal als bedeutender Nachfrager von Krediten, zum anderen als Finanzdienstleister für vermögende Personen, die eine sichere Anlage für ihre Kapitalien suchten. Es scheint, dass sie in beiden Rollen erfolgreich war, nicht zuletzt weil ihre Gläubiger in der Mehrheit mit dem religiösen Projekt Zinzendorfs übereinstimmten und in Situationen offenkundiger Kreditnot der Brüdergemeine aus Verbundenheit im Glauben bereit waren, ihrem – kreditwürdigen – Schuldner entgegenzukommen.

328

Heidrun Homburg

6. Tabellenanhang Tabelle 1: Die Gesamtschulden der Brüder-Unität nach dem Stand ultimo Dezember 1765

Tabellenspalten / Rubriken

1 Übernommene Passiva Neu aufgenommene Capitalien […] durch das UVC 2 (= Unitäts-Vorsteher Collegium)

I. Holländische Passiva (umgerechnet in Convent. Münzen)

II. Englische Passiva (umgerechnet in Convent. Münzen)

III. Passiva »in Teutschland u. anderen Ländern in teutschem Gelde«

rtl

rtl

rtl

gr d

260.247 15

37.418

8

gr d

4 164.396 23

4 1.147.407

0

6

4.827 14

Ausgleichsposten [erscheint in 3 Rubrik durch UVC neu aufgenommene Capitalien] 4

Zwischensumme 1 [HH, Posten in Zeilen 1 + 2 + 3]

297.665 23

7

Durch das UVC abgezahlte Capitalien in dem Jahr 1765

Auf Leibrenten Capital-Conto 8 transporti[e]rte Posten 9

Zwischensumme 2 [HH, Posten in Zeilen 5, 6, 7, 8]

1

164.362 17 11

8

3

4 169.224 13 10 1.312.462

3

3

490

0

0

9.623 23

6

2.012 11 10

16.406

1

9

4.622

18.881

6

0

4 11

16.141 16

0

18.000

0

0

22.776

9

53.287

7

9

8

1

692

Davon ab die von einigen 5 Posten abgezogenen Agio gegen besser Geld Nachgelassene, geschenkte 6 u. sonstige CompensationsPosten

gr d

101.182 14 11

38.070

6

0

149.366 20

5

329

Zum ›Schuldenwesen‹ der Brüder-Unität Fortsetzung Tabelle 1

Tabellenspalten / Rubriken

I. Holländische Passiva (umgerechnet in Convent. Münzen) rtl

II. Englische Passiva (umgerechnet in Convent. Münzen)

gr d rtl

Anno 1765 ultimo Xbris [Dez.] verbliebene Passiva in 10 teutschem Geld [= Zwischen- 274.890 14 summe 1 abzüglich Zwischensumme 2]

III. Passiva »in Teutschland u. anderen Ländern in teutschem Gelde«

gr d rtl

7 115.937

6

gr d

1 1.163.095

6 10

Wovon die jährl[ichen]. Interessen u. Leibrenten nach 11 unten stehenden pro Cento ausmachen 12

Zinssatz [Ziffer] Mittelwert (berechnet HH)

[3,6 %]

[4,2 %]

[4,4 %]

13 Interessen

49.494

14 Leibrenten 15

Anno 1765 wirklich bezahlte Interessen und Leibrenten

16

Bis zu hierunter notierten Termin

Rückständige Interessen und 15 Renten, die ao. 1765 zu zahlen gewesen 16

6.823

2

7

1.375

7

0

2.696 23

517

7

5

0

2

1

2.738 20

6

45.330

7 10

4.548 13

Zu hierunter angemerkten Termin [Termin Angabe]

Quelle: UA, UVC, R.3.B. 1765–1770, hier: 1765, Bl. 1–14. Erläuterungen: rtl = Reichstaler, gr = Groschen, d = Pfennig (1 rth = 24 Gr, 1 gr = 12 d).

1

330

Heidrun Homburg

Tabelle 2: Die Schuldenverwaltung des Unitätsvorsteherkollegiums im Überblick, Stand Ende Dezember 1765 Passiva, Stand ultimo Dez. 1765

rtl

gr

d

v.H.

Holland

274.890

14

7

17,7 %

England

115.937

6

1

7,5 %

Deutschland u. in anderen Ländern in deutschem Geld aufgenommen

1.163.095

6

10

74,8 %

Summe

1.553.923

3

6

100,0 %

Wirklich bezahlte Interessen und Leibrenten i.J. 1765 (Stand ultimo Dez. 1765)

rtl

gr

d

v.H.

Holland

6.823

2

7

12,4 %

England

2.696

23

5

5,0 %

Deutschland u. in anderen Ländern in deutschem Geld aufgenommen

45.330

7

10

82,6 %

Summe

54.850

9

10

100,0 %

Rückständige Interessen, die Anno 1765 fällig gewesen wären

rtl

gr

d

v.H.

Holland

1.375

7

0

21,3 %

England

517

7

0

8,0 %

Deutschland u. in anderen Ländern in deutschem Geld aufgenommen

4.548

13

1

70,7 %

Summe

6.441

3

1

100,0 %

Quelle: UA, UVC, R.3.B. 1765–1770, hier: 1765, Bl. 1–14. Erläuterungen: rtl = Reichstaler, gr = Groschen, d = Pfennig (1 rtl = 24 Gr, 1 gr =12 d).

331

Zum ›Schuldenwesen‹ der Brüder-Unität

Tabelle 3: Zinssätze der von dem Unitätsvorsteherkollegium übernommenen Passiva und neu aufgenommenen Kapitalien, Stand 31. Dezember 1765 Deutschland / dt. Geld

England

Holland

Überneu aufgenomN nommene mene Konten Passiva Kapitalien

Überneu aufgenomN nommene mene Konten Passiva Kapitalien

Überneu aufgenomN nommene mene Konten Passiva Kapitalien

rtl

Zinssatz

Pfd. Sterling

rtl

holl. Gulden

Pfd. Sterling

0,0 %

43

42.902

17.412

1

3

2,0 %

3

100.000

0

0

0

2,5 %

3

6.924

0

0

11

187.780

2,7 %

0

1

450

3,0 %

133

174.694

7.374

0

22

182.976

0

3,5 %

2

0

770

1

1.600

7

0

3.950

4,0 %

60

69.210

34.015

28

16.446

496

25

27.890

61.400

5,0 %

269

709.201

98.779

7

6.140

308

9

23.350

3.730

6,0 %

32

43.402

0

1

500

0

0

7,0 %

2

750

566

0

6.000

0

8,0 %

2

281

0

2

10,0 %

3

0

6.000

0

4

0

125

4

kA/ ? ∑

556

0

44

1 1.500

0

2.113

holl. Gulden 0

0 0

303

0

2

25.233

81

Die Quelle arbeitet mit folgenden Wechselkursen: 1 Gulden (fl) = 13 Groschen (gr), d. h. etwa 1/2 Reichstaler (= rtl), der zu 24 gr gerechnet wurde; 1 Pfund Sterling (£) = 6 rtl. Quelle: UA, UVC, R.3.B. 1765–1770, hier: Aufstellung für 1765, Bl. 1–14. Für die Addition wurden nur die vollen rtl, Pfund, Gulden-Beträge berücksichtigt.

332

Heidrun Homburg

Tabelle 4: Größenordnungen der übernommenen Schulden und neu aufgenommenen Gelder im Ländervergleich, Stand Ende Dezember 1765 I. Holland (in holl. Gulden)

II. England (in Pfd. Sterling)

III. Deutschland und andere Länder in deutschem Geld (in rtl)

Größenordnung der Kredite

Von UVC übernommene Schulden

Von UVC übernommene Schulden

Von UVC übernommene Schulden

jeweilige Landeswährung

N Summe N Summe N Summe N Summe N Summe Konten Konten Konten Konten Konten

Neu von UVC aufgenommene Schulden

5 bis 99

Neu von UVC aufgenommene Schulden

Neu von UVC aufgenommene Schulden N Summe Konten

1

50

10

305

61

2.783

14

587

3

499

107

25.828

56

11.600

100 bis 499

12

3.559

3

650

12

2.816

500 bis 999

5

3.531

8

5.500

8

5.063

56

37.482

25

14.881

1.000 bis 4.999

20

44.448

10

24.930

8

12.600

123

248.378

37

63.766

5.000 bis 9.999

6

45.550

4

26.000

1

6.868

28

183.905

6

34.541

11

253.360

1

12.000

24

478.988

2

39.666

3

170.000

402 1.147.364

140

165.041

10.000 bis 49.999 50.000 bis 99.999 100.000 bis 150.000

1

130.000



55

480.448

Konten ohne Angabe

26

55

14

31

156

416

Konten insgesamt

81

81

44

44

556

556

26

69.080

30

27.397

13

804

Wechselkurse: 1 holl. Gulden (fl.) entsprach etwa 1/2 Reichstaler (rtl.), die Quelle rechnet mit 1 fl = 13 Groschen (gr), 1 rtl = 24 gr; 1 Pfund Sterling (£) entsprach 6 rtl. Quelle: UA UVC R.3.B. 1765–1770, hier 1765, Bl. 1–14. Eigene Berechnungen.

333

Zum ›Schuldenwesen‹ der Brüder-Unität

Tabelle 5: Die Beteiligung verschiedener Gläubigergruppen (Kontentypen) an den der Brüder-Unität dargeliehenen Kapitalien, Stand Ende Dezember 1765 I. Holländische Passiva (alle Beträge in holländischen Gulden) davon Betrag N Konten insgesamt überhaupt (in holl. Gulden)

Geldgeber/ Kontentyp

übernommene v.H. an Schulden (TeilBetrag betrag 1) insgesamt

v.H. an Teilbetrag 1

N Betrag Kten.

von UVC neu aufgenommene Kapitalien (Teilbetrag 2) N Kten.

Betrag

v.H. an Teilbetrag 2

IK1 Brüdergemeine

3

3.231

0,6 %

3

3.231

0,7 %

0

0

S

Spezialkonten

1

19.555

3,5 %

1

19.555

4,1 %

0

0

P1

Männer

52

336.798

61,3 %

31 289.918

60,3 %

19

46.880

67,9 %

P2

Frauen

25

189.944

34,6 %

20 167.744

34,9 %

7

22.200

32,1 %

Summe

81

549.258

100,0 %

55 480.448

100,0 %

26

69.080 100,0 %

II. Englische Passiva (alle Beträge in £ Sterling) davon: Betrag N Konten insgesamt überhaupt (in £ Sterling)

Geldgeber / Kontentyp

übernommene v.H. an Schulden (TeilBetrag betrag 1) insgesamt

v.H. an Teilbetrag 1

N Betrag Kten. S

Spezialkonten

P1

von UVC neu aufgenommene Kapitalien (Teilbetr. 2) N Kten.

Betrag

v.H. an Teilbetrag 2

1

762

2,7 %

1

762

2,8 %

0

0

Männer

34

24.328

86,3 %

22

23.574

86,0 %

12

754

93,8 %

P2

Frauen

8

2.112

7,5 %

5

2.062

7,5 %

1

50

6,2 %

P3

Mündel, Kinder, Erbengemeinschaften (TrV)

2

1.000

3,5 %

2

1.000

3,7 %

0

0

44

28.202

100,0 %

30

27.398

100,0 %

13

Summe

804 100,0 %

334

Heidrun Homburg

Fortsetzung Tabelle 5 III. Deutsche Passiva (alle Beträge in rtl) davon

Geldgeber / Kontentyp

Betrag N Konten insgesamt überhaupt (in rtl)

übernommene v.H. an Schulden (TeilbeBetrag trag 1) insgesamt

v.H. an Teilbetrag 1

N Betrag Kten. IK1 Brüdergemeine

von UVC neu aufgenommene Kapitalien (Teilbetrag 2) N Kten.

Betrag

v.H. an Teilbetrag 2

32

62.073

4,7 %

17

47.844

4,2 %

14

14.229

IK2 Kirchengemeinden

9

11.730

0,9 %

9

11.730

1,0 %

0

0

IK3 Organisationen

4

7.050

0,5 %

4

7.050

0,6 %

0

0

S

Spezialkonten

1

284

1

284

0

0

P1

Männer

319

939.629

71,6 %

225

862.812

75,2 %

91

76.817

46,5 %

P2

Frauen

164

186.733

14,2 %

124

147.304

12,8 %

32

39.429

23,9 %

P3

Mündel, Kinder, Erbengemeinschaften (TrV)

22

98.040

7,5 %

20

69.040

6,0 %

2

29.000

17,6 %

P4

Ehepaare, Vater & Kinder gemeinsam

4

1.866

0,2 %

2

1.300

0,2 %

1

566

0,4 %

P5

kA

1

5.000

0,4 %

0

0

1

5.000

3,0 %

556

1.312.405

100,0 %

Summe

402 1.147.364

100,0 %

8,6 %

141 165.041 100,0 %

Quelle: UA, UVC, R.3.B. 1765–1770, hier: 1765, Bl. 1–14. Erläuterungen: IK = Institutionelle Konten, P1 bis P5 = Personenkonten, S = Sonderkonten, TrV = Treuhänderische Verwaltung.

335

Zum ›Schuldenwesen‹ der Brüder-Unität

Tabelle 6: Kontenstruktur im Ländervergleich: Anteilssätze von Personen und Frauen an den der Brüder-Unität dargeliehenen Geldern, Stand Ende Dezember 1765 v.H.-Satz der Personenkonten an den aufgelaufenen Schulden der Brüder-Unität Schulden übernommene von UVC neu aufgenommene insgesamt Schulden Schulden Holländische Passiva

95,9 %

95,2 %

100,0 %

Englische Passiva

97,3 %

97,2 %

100,0 %

Deutsche Passiva

93,9 %

94,2 %

91,4 %

v.H.-Satz der Beteiligung von Frauen an den aufgelaufenen Schulden der Brüder-Unität Schulden übernommene von UVC neu aufgenommene insgesamt Schulden Schulden Holländische Passiva

34,6 %

34,9 %

32,1 %

Englische Passiva

7,5 %

7,5 %

6,2 %

Deutsche Passiva

14,2 %

1,8 %

23,9 %

Quelle: UA, UVC, R.3.B. 1765–1770, hier: 1765, Bl. 1–14. Erläuterungen: Als »Personenkonten« sind hier die Untergruppen P1 bis P5 in Tabelle 5 zusammengefasst. Zur Anzahl der Konten vgl. Tabelle 5.

Tabelle 7: Passiva der Brüder-Unität in Deutschland und anderen Ländern in deutschem Geld, Ende Dez. 1765: Die Beteiligung von Adeligen und Bürgerlichen als Kreditgeber der Unität

Personenkonten insgesamt* davon: adelig bürgerlich

Übernommene Schulden

Neu aufgen. Kapitalien

Passiva insgesamt

N Kon- Betrag ten (rtl)

N Konten

N Konten

v.H.

162 1.019.437 100,0 %

41

Betrag (rtl)

v.H.

126.923 100,0 %

Betrag (rtl)

v.H.

203 1.146.360 100,0 %

53

579.386

56,8 %

14

76.056

59,9 %

67

655.442

57,2 %

109

440.051

43,2 %

27

50.867

40,1 %

136

490.918

42,8 %

* In dieser Tabelle sind nur die Personenkonten mit Angaben zu den dargeliehenen Kapitalien erfasst. Die Gesamtzahl der Personenkonten in der Quelle ist höher, da hier auch diejenigen Konten ausgewiesen sind, für die von der Unität Zins-, Renten-, Tilgungs- oder andere Leistungen im Berichtszeitraum erbracht worden waren oder in Zukunft noch zu erbringen waren. Quelle: UA, UVC, R.3.B. 1765–1770, hier: 1765, Bl. 4–14. Erläuterungen: rtl = Reichstaler.

Rüdiger Kröger

Das Geschäft mit Luxusartikeln in der Brüdergemeine am Beispiel der Kunstmöbeltischlerei Roentgen 1. Einleitung Herstellung und Verkauf hochwertiger Waren, Ausführung qualitätsvoller Arbeiten und Dienstleistungen und ein faires Geschäftsgebaren, das ist, was man sich im Allgemeinen unter Herrnhuter Wirtschaftsethik vorstellt.1 Die Grenze zwischen hoher Qualität und Luxus ist dabei fließend. Was aber, wenn nun die Produkte sehr kunstvoll, die Preise maßlos, die Geschäftspraktiken ungewöhnlich werden? Die Werkstatt von Abraham (1713–1791) und David Roentgen (1743–1807) gilt als die erfolgreichste deutsche Kunstmöbelmanufaktur des Alten Reichs. Sie belieferte in besten Zeiten, d. h. im achten und neunten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, die Höfe von Paris bis Petersburg mit prunkvollen und exquisiten Möbeln. Spuren von Roentgen-Möbeln finden sich bis in die zeitgenössische Literatur und gegenwärtige Literaturgeschichte hinein.2 Die Roentgen-Forschung hat besonders unter dem Einfluss von Hans Huth3 und Michael Stürmer4 auf die eingangs aufgeworfene Frage eine einfache Antwort gefunden, die nahezu unwidersprochen repetiert, aber nicht einmal wahrscheinlich gemacht oder gar bewiesen wurde: Die Brüdergemeine habe in ihrer geistigen Enge die Zeichen der Zeit nicht verstanden und mit Sanktionen gegen die

1 Vgl. dazu den Beitrag von Peter Vogt in diesem Band. 2 Vgl. Hans-Jürgen Schrader: »Unleugbare Sympathien«. Roentgen-Schreibtische, Magnetismus und Politik in Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Dazwischen. Zum transitorischen Denken in Literatur- und Kulturwissenschaft. FS Johannes Anderegg zum 65. Geburtstag. Hg. v. Andreas Härter [u. a.]. Göttingen 2003, 41–68. 3 Vgl. Hans Huth: Abraham und David Roentgen und ihre Neuwieder Möbelwerkstatt. Völlig veränd., vertiefte und erw. Fassung der 1. Aufl. von 1928. München 1974. 4 Vgl. (in Auswahl) Michael Stürmer: Handwerk und höfische Kultur. Europäische Möbelkunst im 18. Jahrhundert. München 1982; ders.: David Roentgen – Englischer Cabinetmacher 1743–1807. Luxus, Kapitalismus und Puritanismus. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 118, 1982, 61– 72; ders.: Geschäft des Luxus und Frieden der Seele. Das Ende der Manufaktur David Roentgens 1790–1801. In: Kunst und Antiquitäten, 1986, 46–61; ders.: Luxus, Leistung und die Liebe zu Gott. David Roentgen 1743–1807. Königlicher Kabinettmacher. München 1993; ders.: David Roentgen – alte Fragen auf der Suche nach neuen Antworten. In: Edle Möbel für höchste Kreise. Roentgens Meisterwerke für Europas Höfe. Katalog der Ausstellung vom 17. Juni bis 7. Oktober 2007. Hg. v. Andreas Büttner [u. a.]. Andernach 2007, 14–21.

338

Rüdiger Kröger

genialen Möbelkünstler und innovativen Geschäftsleute reagiert. Ich möchte versuchen, diese Fehleinschätzung zu korrigieren. Mangelnde Quellenrecherche, zum Teil fehlerhafte Transkriptionen, zahlreiche Fälle von falsch verstandenen Quellenaussagen, die bisweilen in direktem Widerspruch zu den selbst publizierten Quellen stehen, und schließlich die Neigung, Mutmaßungen und Hypothesen als Tatsachen zu behaupten, ganz zu schweigen von einer gänzlich ermangelnden Quellenkritik, behindern die Roentgen-Forschung nachhaltig. Nach 1991 ist merkwürdigerweise kein ernsthafter Versuch unternommen worden, die wenigen bisher aus dem Unitätsarchiv bekannten Quellen über die Roentgens zu überprüfen, zu vervollständigen oder dort gar auf die Suche nach neuen Quellen zu gehen.5 Ursache dafür mag sein, dass die einschlägige Forschung – sich selbst lobend – das Thema als bereits bestens dokumentiert und erforscht ausgibt. Erst in jüngster Zeit haben neuerliche Archivrecherchen in Neuwied wie andernorts weitere wesentliche Quellen zutage gefördert. Die Forschungsbeiträge lesen sich häufig wie Parodien auf das Herrnhutertum und die Quellen. Maßgeblich für die Biografie von Vater und Sohn Roentgen bleibt dennoch die Arbeit Josef Maria Grebers.6 Die Quellendokumentation ist am vollständigsten bei Dietrich Fabian zu finden.7 Wesentlich neue Erkenntnisse hinsichtlich der Biografie oder der wirtschaftlichen bzw. religiösen Einstellung der Roentgens bieten leider auch die einschlägigen jüngeren Arbeiten nicht.8

5 Die im Folgenden benutzten handschriftlichen Quellen befinden sich alle im Unitätsarchiv in Herrnhut, auf eine besondere Kennzeichnung konnte deshalb verzichtet werden. 6 Josef Maria Greber: Abraham und David Roentgen. Möbel für Europa. Werdegang, Kunst und Technik einer deutschen Kabinett-Manufaktur. Europäische Möbelkunst im 18. Jahrhundert. Mit einer Einführung von Hermann Jedding. Hg. v. der Internationalen Akademie für Kulturwissenschaften. 2 Bde. Starnberg 1980. 7 Dietrich Fabian: Abraham und David Roentgen. Das noch aufgefundene Gesamtwerk ihrer Möbel- und Uhrenkunst in Verbindung mit der Uhrmacherfamilie Kinzing in Neuwied. Leben und Werk. Verzeichnis der Werke. Quellen. Unter Mitarb. von Ekkehart Fabian [u. a.]. Bad Neustadt 1996. 8 So z. B. Rainer Lächele: Vom Schreinergesellen zum Geheimen Rat. David Roentgen – Herrnhuter und Ebenist. In: Das Echo Halles. Kulturelle Wirkungen des Pietismus. Hg. v. dems. Tübingen 2001, 93–114, oder Claus Bernet: Roentgen, Abraham. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 29, 2008, 1177–1181; zuletzt erschienen: Achim Stiegel: »Lauter Projekte« – Möbel für den Luxusmarkt. In: David Roentgen. Möbelkunst und Marketing im 18. Jahrhundert. Hg. v. Andreas Büttner [u. a.]. Regensburg 2009, 52–66; Bernd Willscheid: Roentgen und Stobwasser. Pietistische Unternehmer von Weltrang. In: Reinheit, Feuer & Glanz. Stobwasser und Roentgen – Kunsthandwerk von Weltrang. Katalog der Ausstellung vom 21. April bis 18. August 2013. Hg. v. dems. u. Detlef Richter. Neuwied 2013, 40–57.

Das Geschäft mit Luxusartikeln in der Brüdergemeine

339

2. Abraham Roentgens Weg und frühe Beziehung zur Brüdergemeine Abraham Roentgen kam 1738 in einer kritischen Phase seines Lebens in Verbindung mit Herrnhuter Brüdern in London. Er führte einen zweifelhaften Lebenswandel, wurde unruhig, ging in die Versammlungen der Brüder, die sein Innerstes ergriffen. Er suchte und fand innerhalb kürzester Zeit Gewissheit über die Vergebung seiner Sünden.9 Sein Fall löste nicht nur eine kleine Erweckung unter den Besuchern der herrnhutischen Versammlungen aus,10 sondern er war einen Monat später eines der vier persönlich vorgetragenen Beispiele, die John Wesley gegenüber den Herrnhutern kapitulieren ließen: »Here ended my disputing. I could now only cry out, ›Lord, help thou my unbelief!‹«11 Zwischenzeitlich erfolgte ein fester Zusammenschluss von neun der ledigen jungen Männer zu einer »Bande«, darunter allein fünf »Cabinetmacher« und ein Tischlergeselle.12 Noch im selben Jahr kam Abraham Roentgen in die Wetterau und wurde in die Brüdergemeine aufgenommen. Im Jahr darauf heiratete er. Sicherlich gab es jetzt und in den folgenden Jahren Arbeit für Schreiner bei dem Bau und der Einrichtung von Herrnhaag und Marienborn. Doch war es dies, was Roentgen in dieser Phase seines Lebens suchte? Oder ging es ihm darum, sich unmittelbar und mit ganzer Hingabe in den Dienst des Heilands und seiner Kirche zu stellen, wie es nach seinem Zeugnis vor John Wesley zu erhoffen war? Zunächst schien sich alles im Sinne der Gemeine zu entwickeln, denn bald waren Abraham und seine Frau Susanna Roentgen für den Missionsdienst, zunächst für Äthiopien,13 dann für South Carolina14 vorgesehen. Aber wegen nicht näher bestimmbarer persönlicher Probleme – es ist die Rede von »Confusion« – kam es zu Verzögerungen.15 Als das Missionsunternehmen 1740 schließlich in einem Fiasko endete, hinterließ dies offenbar nur schwer heilende Wunden bei Roentgens, die sich für längere Zeit von der Gemeine entfremdeten. 1742 gestanden sie verschiedene Unaufrichtigkeiten und Verfehlungen ein, die sie schon vor ihrer gescheiterten Reise begangen und seitdem verschwiegen hatten. Susanna Roentgen ging in einem Abbittbrief ausführlich

9 Georg Schulius an Zinzendorf (Berlin). London, 3. April 1738 (Auszug: R.13.A.4.4); Ludwig Röntgen: Das erste Buch meines Lebens. [Manuskript: Esens 1811; Edition:] Rotterdam 1845, 14 f. 10 Peter Böhler an Heinrich Nitschmann (Herrnhut). London, 10. April 1738 (Auszug: R.13.A.4.4). 11 The Works of John Wesley. Bd 18: Journals and Diaries I (1735–1738). Hg. v. W[illiam] Reginald Ward u. Richard P. Heitzenrater. Nashville 1988, 234. 12 Diarium Peter Böhler, Oxford und London, zum 13. April 1738 (R.13.A.4.1). 13 Protokoll der Helfer-Conferenz, zum 27. Juli 1739 (R.2.A.2.2.a+b, 1). 14 Protokoll der Helfer-Conferenz, zum 8. u. 29. Oktober 1739 (R.2.A.2.2.a+b, 4 bzw. 6). 15 Diarium Herrnhaag u. Marienborn, zum 25. Februar 1740 (R.8.33.a.5.b).

340

Rüdiger Kröger

darauf ein. Greber marginalisiert das bekundete Fehlverhalten,16 welches aber nicht nur den strengen Herrnhuter Sitten entgegenlief: Sie hatte gelogen, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen. Im Juni 1742 kehrte Abraham Roentgen mit seiner Frau und einer kleinen Tochter völlig mittellos, aber in Erwartung, er könne »sein brodt wohl verdienen«,17 nach Herrnhaag zurück. Roentgens einstiger Kollege aus London, Johann Friedrich Hintz, der als der bedeutendste Tischler der Brüdergemeine in der Wetterau anzusehen ist, bot an, »Daß er ihm eine Werckbank, Werckzeug, auch Arbeit unter die Hände geben wolte, und er möchte so viel verdienen, als er immer könnte.«18 Inwieweit Roentgen darauf einging, ist nicht überliefert.

3. Abraham Roentgens Schreinerei in Herrnhaag Das von Greber gezeichnete überaus positive Bild Roentgens, das einen von der Brüdergemeine verkannten, begnadeten Kunsttischler entwirft,19 erhält allerdings einen mehrfachen Knacks, wenn man die von ihm entweder übergangenen oder ihm unbekannt gebliebenen Quellen dieser Zeit zur Kenntnis nimmt. Roentgen zeigt sich darin nämlich unfähig oder unwillig, sich in die Gemeinstruktur einzufügen und an die Regeln der Brüdergemeine zu halten. Auch ist er nicht die »Nummer Eins« unter den Tischlern, weder was sein persönliches Ansehen, die Qualität der Arbeit, seine Ausbildungskompetenz noch die Aufträge durch die Brüdergemeine angeht. 1744 kriselte es wegen der strengen Abendmahlsdisziplin erneut zwischen Roentgen und der Gemeindeleitung: Abraham Röntge[n] hat sich in den 2 lezten Gesellschafftsstunden sehr widrig gegen die gemeine herausgelassen aus Gelegenheit des jezmaligen Abendmalsplans. Bruder Peistel als sein Bandenführer wird vorher mit ihm reden, er spricht, er wolle entweder ganz mit der gemeine brechen oder ganz curirt seyn, es stecken noch wiedrigkeiten in ihm von Holland her. Wir wollen also seine Erklärung abwarten.20

Als Roentgens im letzten Viertel des Jahres wiederholt erkrankt waren,21 zogen sie sich zurück, und die gemeindeinterne Gesundheitsfürsorge konnte nicht 16 Greber, Möbel für Europa (wie Anm. 6). Bd. 1, 33. 17 Johann Gottfried Bezold an Johann Nitschmann. Amsterdam, 20. April 1742 (R.10.A.a.12.122). 18 Protokoll Helferkonferenz Herrnhaag 1742, zum 11. Juni 1742 (R.8.36.d.a); so auch Greber, Möbel für Europa (wie Anm. 6). Bd. 1, 33. 19 Greber, Möbel für Europa (wie Anm. 6). Bd. 1, 30–36. 20 Protokoll Ältesten-Conferenz Herrnhaag, zum 21. Februar 1744 (R.8.36.a.1). 21 Die »Willigin mag ein Paar Tage der Röntchen an die Hand gehen, weil sie kranck ist.« Protokoll Helferkonferenz Herrnhaag 1744, zum 10. September 1744 (R.8.36.d.b).

Das Geschäft mit Luxusartikeln in der Brüdergemeine

341

greifen.22 Ebenfalls 1744 kam Roentgens Schwester und blieb gegen den ausdrücklichen Wunsch der Mitarbeiterkonferenz für eine längere Zeit in Herrnhaag, um sich der beiden kleinen Kinder anzunehmen, während Roentgens eine Reise nach Frankfurt unternahmen. Der Lehrjunge wurde kurzerhand umquartiert.23 1745 waren die Mitarbeiter der Brüdergemeine nicht recht zufrieden mit den Verhältnissen, in denen Roentgens ihr Leben führten. »Abrahams gantze Haushaltung sollte einmal gründlich untersucht werden, damit es auf einen oder den andern Weg mit ihm zu was gewißes komme.«24 Der Hinweis auf die Haushaltung könnte sich auf die wirtschaftlichen Umstände beziehen. Die ökonomischen Verhältnisse Abraham Roentgens blieben in den Herrnhaager Jahren sehr angespannt. Roentgens gaben mehr aus, als Abraham durch sein Handwerk verdiente. Häufiger musste er selbst verhältnismäßig kleine Beträge anschreiben lassen oder als Kredit aufnehmen. Die Rückzahlung erfolgte dennoch oft deutlich später als bei anderen Brüdern. Es mangelte ihm offensichtlich ständig an Mitteln.25 Bei der Annahme eines Lehrlings anstelle seines abgeworbenen Gesellen hielt Roentgen es für notwendig, eine ungewöhnliche Verabredung protokollieren zu lassen, die seine materiellen Interessen unterstreicht. Er verlangte für den Fall, dass der Lehrling die Ausbildung nicht abschließen könne, eine Entschädigung.26 Roentgen vernachlässigte seinen Lehrling und behandelte ihn schlecht; letztendlich setzte dieser die Ausbildung bei Roentgens Kollegen Hintz fort, »um noch etwas zu lernen«.27 Mehrere Protokolleintragungen werfen ein fragwürdiges Licht auf die 22 Protokoll Helferkonferenz Herrnhaag 1744, zum 8. Oktober 1744 (R.8.36.d.b); ebd., zum 18. Dezember 1744 (R.8.36.d.b). 23 Protokoll Helferkonferenz Herrnhaag 1744, zum 18. und 22. September 1744 (R.8.36.d.b). 24 Ebd. 25 Greber, Möbel für Europa (wie Anm. 6). Bd. 1, 34, nach Protokoll Helferkonferenz Herrnhaag 1742, zum 19. Juli 1742 (R.8.36.d.a); Protokoll Gemeingericht Herrnhaag, zum 28. Dezember 1742 (R.8.36.i, 16, 17); Protokoll Gemeingericht Herrnhaag, zum 30. April 1743 (R.8.36.i, 42); Kurtzes Verzeichnis der äusserlichen Umständte und des Vermögens derer Herrnhaagischen Geschwister, [bald nach Oktober 1745] (R.8.7.a.b.2); Protokoll Gemeingericht Herrnhaag, zum 27. Oktober 1745 (R.8.36.i, 182). Als Kleindarlehen aus dem Gemeinkredit erhielt Roentgen am 3. Juli 1745 3 Gulden, den 16. August 1745 zurückgezahlt (Journal und Cassa des Herrnhaagischen Gemein-Credits Numero 1 vom 28 Juli 42 – ultimo Martii 48; R.8.59.a, fol. 18); am 24. November 1747 12 Gulden, den 2. Mai 1748 zurückgezahlt; am 17. August 1748 10 Gulden, den 23. September 1748 zurückgezahlt; am 21. August 1749 10 Gulden und am 8. September 1749 3 Gulden, zusammen den 20. Oktober 1749 zurückgezahlt (Haupt-Buch oder Conto Courant Buch von Herrnhaagischen Gemein-Credit seit 1745–1750 Numero 2; R.8.59.h, 104, 147, 206, 207). Außer spät bezahlten Brennholzlieferungen (ebd. 206 f) ist noch erwähnenswert am 12. November 1750 »pro 23 Stück eicherne Bretter 21 Gulden«, worauf den 20. September 1751 ein Abschlag von 12 Gulden und den 10. April 1752 eine Restzahlung erfolgte (Haupt-Buch oder Conto Courant Buch vom Herrnhaagischen Gemein-Credit Numero 4 [1750–1753]; R.8.59.i, fol. 28). 26 Protokoll Helferkonferenz Herrnhaag 1743, zum 12., 15. und 20. August 1743 (R.8.36.d.a); Protokoll Gemeingericht Herrnhaag, zum 23. August und 13. September 1743 (R.8.36.i, 56). 27 Protokoll Helferkonferenz Herrnhaag, zum 22. September 1744 (R.8.36.d.b).

342

Rüdiger Kröger

Qualität der Arbeit Roentgens. 1744 erbrachte die Überprüfung einer Kundenbeschwerde durch Hintz, dass er die Arbeit Roentgens »schlecht gefunden« habe.28 Hintz und andere führten ein Gespräch mit Roentgen. Das Problem sollte dadurch aus der Welt geschafft werden, dass Hintz versuchen wollte, den Mangel so gut wie möglich zu beheben. Nur zwei Monate später scheint es einen neuen Vorfall gegeben zu haben. Im Protokoll heißt es: »Mit Bruder Abraham soll wegen seiner Arbeit gesprochen werden.«29 Ein weiteres Jahr später musste Hintz erneut mit Roentgen sprechen; der Grund ist aber nicht angegeben.30 Die Gemeine musste darauf bedacht sein, jede Erregung von Ärgernissen zu vermeiden, um keinen Vorwand für ihre Ausweisung zu liefern. Nur wenige Möbel aus dieser Zeit werden Roentgen zugeschrieben, wobei übrigens selbst dies umstritten ist.31 Wenig ist auch aus den Herrnhuter Quellen der Anfangszeit zu erfahren, denn die Brüdergemeine als Institution bzw. eine ihrer Gliederungen ist als Kunde kaum greifbar. Einzig eine Schachtel für Obligationen zum Preis von 31/2 Gulden ist den überlieferten Rechnungen zu entnehmen.32 Auch an Bau und Einrichtung des Herrnhaag hat Roentgen, anders als Hintz und die Brüderhaustischlerei, sich allem Anschein nach nicht beteiligt.33 Dagegen sind die Wetterauer Grafen und Herren sowie Standespersonen aus der Brüdergemeine als Kunden nachweisbar. Die bezahlten Rechnungsbeträge belaufen sich maximal auf 33 Gulden.34 Dafür, dass schon in Herrnhaag Roentgens Werkstatt »äußerst erfolgreich« war, wie z. B. Claus Bernet behauptet,35 fehlt jeglicher zeitgenössische Beleg.

4. Abraham Roentgen in Neuwied Mit einem Startkredit der Brüdergemeine in Höhe von 150 Talern ausgestattet verlegte Abraham Roentgen 1750 seine Werkstatt nach Neuwied am Rhein. Nur relativ wenig ist über den Werkstattbetrieb der 1750er Jahre bekannt. Mehrfach, vielleicht alljährlich, besuchte Abraham Roentgen die Frankfurter Messe, bot seine Möbel sowohl »nach dem Frantzösischen als im Englischen Gout« an,

28 29 30 31 32 33 34 35

Ebd., zum 14. April 1744 (R.8.36.d.b). Ebd., zum 23. Juni 1744 (R.8.36.d.b). Ebd., zum 29. Juli 1745 (R.8.36.d.b). Vgl. die Zusammenfassung der Forschungslage bei Lanie E. Graf: Moravians in London. A Case Study in Furniture-Making, c. 1735–65. In: Furniture History 40, 2004, 1–52. Haupt-Buch oder Conto Courant Buch von Herrnhaagischen Gemein-Credit seit 1745–1750 Numero 2: Gemein-Unkosten-Rechnung – Soll, 21. März 1746 (R.8.59.h, 3). Das Baukostenbuch (R.8.20.i) nennt nicht immer die Namen der Schreiner explizit; unter den namentlichen Eintragungen sucht man seinen Namen jedoch vergeblich. Protokoll Gemeingericht Herrnhaag, zum 28. Dezember 1742 (R.8.36.i, 16, 17). So Bernet, Roentgen (wie Anm. 8), 1178.

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wofür er mit einem Zeitungsinserat warb,36 und wird vermutlich für die Bedürfnisse seiner Werkstatt eingekauft haben. Stilistisch wandelte sich das Repertoire der Werkstatt – sofern die frühen Zuschreibungen zutreffen – von schlichteren Barockformen der 1740er Jahre hin zu üppigen Rokokodesigns. In diesen Jahren gelang es ihm, u. a. die Trierer Erzbischöfe als Kunden zu akquirieren. Insbesondere für Erzbischof Johann Philipp von Walderdorff fertigte er immer prunkvollere Möbel an. Die Beziehungen zur Brüdergemeine verliefen nach derzeitigem Kenntnisstand scheinbar in ruhigeren Bahnen als zuvor. Roentgen lieferte u. a. für das Neuwieder Pfarrhaus und Vorsteherhaus Türen mit Rokoko-Schnitzereien.37 Ein ständiges Thema blieb aber die angespannte finanzielle Lage. Roentgens lebten von der Hand in den Mund. Nach sieben Jahren Aufenthalt wurde 1758 festgestellt, sie hätten in den sieben Jahren lauter vorgegessen Brot essen müssen. Man hat den Verdacht, es komme von ihrer schlechten Wirtschaft her, es kann auch etwas davon wahr sein, aber es hängt auch von Dingen ab, an denen sie nicht schuldig sind. […] und so müssen die Geschwister ihnen von einer Messe zur anderen [durchhalten; Vf. recte:] durchhelfen.38

1762 fiel Abraham wieder negativ auf. Er verlangt einen Revers von den dortigen ledigen Brüdern, dass sie keine Cabinet-Arbeit in ihrer Tischerey machen wollen. Da aber der Weg der Reverse unter Brüdern ganz unschicklich und auf keine Weise einzuführen ist, so kanns ihm gnug seyn, dass es den ledigen Brüdern nochmals von hier aus [i. e. der Kirchenleitung, d.Vf.] schriftlich verboten worden, dergleichen Arbeit zu machen.39

Zu Beginn des Jahres 1763 beabsichtigte Abraham Roentgen, der zu dieser Zeit seit Jahren in der Stadt, d. h. nicht auf dem der Brüdergemeine zur Aufsiedlung überlassenen Gelände lebte,40 ein eigenes Haus zu bauen. Er reichte mit seinem Baugesuch einen Bauriss bei der Kirchenleitung der Brüdergemeine zur Genehmigung ein.41 Für den Bau stand ihm allerdings kein eigenes Kapital zur Verfügung. Ein Kredit seines Schwagers deckte die tatsächlichen Baukosten auch nur zu etwa zwei Dritteln ab. Roentgen ersuchte daher die Brüdergemeine Neuwied um einen Kredit in Höhe des Fehlbetrages von etwa 900 Gulden, um das Haus im Wert von über 3.000 Gulden fertigstellen zu können. Die Brü36 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 321, Nr. 2.33: Ordentliche wochentliche Franckfurter Frageund Anzeigungs-Nachrichten, 21. September 1754. 37 Greber, Möbel für Europa (wie Anm. 6). Bd. 2, 18 f (mit Abb. 17). 38 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 323, Nr. 2.37. 39 Protokoll Enge Conferenz zum 21. September 1762 (R.6.A.b.47.b, 189); siehe dazu schon den Neuwieder Vorgang im Mai desselben Jahres (Fabian, Gesamtwerk, wie Anm. 7, 223, Nr. 2.46). 40 Ob und – falls überhaupt – wann bzw. wie lange Abraham Roentgen vor 1763 im Viertel der Brüdergemeine lebte, ist ungewiss. 41 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 224 f, Nr. 2.49–2.53; Nicolas von Watteville an Johannes von Watteville. Neuwied, 10. Januar 1763 (UVC IX.176.4.a).

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dergemeine Neuwied hatte bei einer Vielzahl von Gläubigern Kredite aufgenommen, den sogenannten »Gemeinkredit«, den sie größtenteils in den Aufbau der notwendigen Gemeinschaftsgebäude investierte, zu einem bescheideneren Teil jedoch auch an Mitglieder weiter verlieh. Neben Roentgen gab es lediglich einen zweiten privaten Kreditnehmer.42 Roentgens Kredit war durch den Wert des Hauses abgesichert. Bei der Annahme des Bürgerrechtes durch Roentgen bezog dieser die Leitung der Brüdergemeine Neuwied ein. Doch stand dies im ureigensten Interesse Roentgens, der fürchtete, durch die Hintertür zunftmäßigen Beschränkungen unterworfen werden zu können.43 In der zweiten Hälfte der 1760er Jahre wurden aufs Neue Querelen aktenkundig. Abraham Roentgen galt als »eigener Mann«,44 der »von Anfang an in Neuwied independent gehandelt«45 habe, was besagt, dass er keine Rücksprache mit der Gemeindeleitung nahm bzw. deren Rat und Gepflogenheiten missachtete. Es kam Kritik an der »sehr kostbaren«46 und der »wider allen Gemein-Plan laufenden Haushaltung«47 Roentgens auf. Was ist nun darunter zu verstehen? Dazu vier Punkte: 1) Der ständige Finanzbedarf wurde durch überzogenes Kontokurrent und Privatkredite, vor allem Finanzspritzen seines Schwagers in Hamburg gedeckt. Dadurch war Abraham Roentgen bis Mitte 1767 mit beinahe 8.000 Gulden in Schulden geraten, weit mehr als das Doppelte des Wertes seines Immobilienbesitzes. Dies alarmierte Carl Heinrich von Peistel, den Vorsteher der Gemeine Neuwied, also den Leiter der Ökonomie, wegen der Gefahr eines Bankrotts. Er hatte Roentgen gut 20 Jahre zuvor selbst mit einem kleinen Kredit ausgeholfen und kannte ihn aus seinem früheren Seelsorgekreis (»Bande«) bestens. Abraham fand sich bereit, seine Schulden in vorgenannter Höhe offen zu legen. Der Baukredit der Gemeine wurde nicht aufgeführt, könnte also bereits abgetragen worden sein. Unbezahlte eigene Forderungen wurden nicht erwähnt. Gleichzeitig beschrieb er sein großes Warenlager, dessen potenziellen Wert er mit etwa 14.000 Gulden plus/minus 1.900 Gulden detailliert aus tatsächlich realisierten Verkaufserlösen vergleichbarer Stücke berechnete. Zumindest aus Roentgens Sicht waren damit die Kredite gesichert. Doch was würden die Möbel bei einer Auktion im Konkursfall tatsächlich einbringen? Es wird immer wieder unterstellt, ein Kritikpunkt der Herrnhuter sei gewesen, dass Roentgen 42 Berechnung der Jährlichen Einnahme und Ausgabe des Gemein-Credits in Neuwied vom 3ten November 1762 biß 3. November 1763 (UVC VI.1). 43 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 325, Nr. 2.54 f: Protokoll Helferkonferenz Neuwied, zum 4. und 18. April 1764. 44 Ebd., 328, Nr. 2.62: Unitäts-Syndikats-Collegium [an Gemeinvorsteher Peistel], 17. Januar 1767. 45 Ebd., 325, Nr. 2.57: Gemeinvorsteher Peistel an Unitäts-Syndikats-Collegium, 5. Januar 1766 [recte: 1767]. 46 Ebd., 325, Nr. 2.57: Gemeinvorsteher Peistel an Unitäts-Syndikats-Collegium, 5. Januar 1766 [recte: 1767]. 47 Ebd., 328 f, Nr. 2.64: Unitäts-Syndikats-Collegium [an Gemeinvorsteher Peistel], 4. Mai 1767.

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keine Festpreise gefordert habe. Doch galt das Festpreisgebot (Materialkosten plus Arbeitsaufwand plus bescheidenen Verdienst) eben nur für handelsübliche Ware, nicht für Kunstobjekte, zu denen die Roentgen-Möbel zu zählen sind.48 2) Der hoch verschuldete, zur Zeit zahlungsunfähige Roentgen musste »natürliche« – d. h. nicht zur Brüdergemeine gehörige – hoch qualifizierte Mitarbeiter,49 die ohne Zustimmung der Gemeine eigentlich nicht hätten in der Werkstatt auf dem Gelände der Gemeine arbeiten sollen, zwar fair, aber eben teuer bezahlen. Keine Kritik, sondern Anerkennung und Bewunderung fanden dagegen Roentgens kunsthandwerkliche Erzeugnisse selbst bei seinem schärfsten Kritiker in der Gemeine: »Seine Waaren oder neue Inventionen, Blumen auszulegen, [ist; Vf. recte:] sind was Schönes«.50 Die Kunstfertigkeit der Produktion an sich stellte für die Herrnhuter auch sonst an keiner Stelle einen Kritikpunkt dar.51 3) Ein Problem bestand für die Herrnhuter vielmehr in dem hochgradigen Risiko der spekulativen Geschäfte. Eine 1764 eingesetzte »CommercienCommission« legte zu Jahresanfang 1766 einen ausführlichen Bericht vor, in welchem sie in erster Linie die Grundsätze für das ökonomische Handeln der gewerbetreibenden Mitglieder formulierte. Unter anderem heißt es darin, daß das Commercium, wenn es nicht praecise nach dem Sinne Jesu behandelt wird und sich der Welt Geist hineinmengt, eine höchst gefährliche Sache ist und solches nicht nur einzelnen Seelen, sondern auch ganzen Gemeinen zum Fall und Strick werden könnte. […] Das Geld gewinnen wollen und reich werden wollen, muß bei uns nie aufkommen.52

48 Vgl. die Kritik an zu hohen Preisen der Schreiner in Herrnhaag: »Bruder Hinz soll sich als Obermeister bey den Tischern erkundigen, wie sie sich die Schreinerarbeit bezahlen lassen. Es scheint, daß sie ihre Arbeit, ausser was Kunstarbeit ist, zu theuer geben, z.E. mit denen FensterRahmen ists ziemlich offenbar.« Protokoll Helferkonferenz Herrnhaag 1744, zum 18. Februar 1744 (R.8.36.d.b). 49 Davon berichten die Quellen bereits 1761: Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 323, Nr. 2.45: Ältestenkonferenz Neuwied, 1. Oktober 1761. Die Frage Grebers, ob Roentgen schon vor der großen Lotterie von 1769 fremde Gesellen in seiner Werkstatt angestellt hatte, die er mit zwei undatierten altertümlichen Arbeiten des bis dahin sonst nicht nachgewiesenen J.G. Barthel als gegeben annahm, ist damit hinfällig; vgl. Greber, Möbel für Europa (wie Anm. 6), Bd. 1, 89. Zu Barthel vgl. Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 286. Siehe auch Hans-Jürgen Krüger: Wer noch? Kleiner Nachtrag zur Mitarbeiterzahl der Roentgen-Werkstatt. In: Möbel Design. Roentgen, Thonet und die Moderne. Katalog der Ausstellung vom 22. Mai bis 04. September 2011. Hg. v. Bernd Willscheid u. Wolfgang Thillmann. Neuwied 2011, 57–87. In dieser Zeit trat der jugendliche Intarsiator M. Rummer in die Werkstatt ein: Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 292 f. 50 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 328, Nr. 2.63: Gemeinvorsteher Peistel an Unitäts-SyndikatsCollegium, 23. April 1767. 51 Anders: Huth, Neuwieder Möbelwerkstatt (wie Anm. 3), 12; vgl. auch den letzten Abschnitt dieses Beitrags. 52 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 325 f, Nr. 2.45 – Hervorhebung durch den Autor.

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Im Frühjahr desselben Jahres waren Vater und Sohn Roentgen zu einer Reise aus unbekanntem Anlass – angeblich angeregt durch zwei »Brüder« – nach England aufgebrochen.53 Unterwegs erhielten sie von Abraham Roentgens Schwager in Hamburg einen Kredit über 2.500 Gulden per Wechsel – in der oben genannten Schuldsumme bereits enthalten – für ein bedeutendes wirtschaftliches Projekt. Als sie schließlich zurückgekehrt waren, hatten sie die gesamte Summe auf der Reise und für Materialien ausgegeben und waren überdies noch 400 Gulden schuldig geblieben. Es erschloss sich dem Vorsteher Peistel offensichtlich nicht, ob der Einkauf mit einem Erfolg versprechenden Unternehmen einer Warenlieferung in die »Türkei« in Verbindung stand oder ob sich dahinter ein neues Projekt verbarg, das erst in England geboren wurde. Jedenfalls wurde die Brüdergemeine Neuwied in eine Zwangslage versetzt, aus der sie auch in der Folge nicht so einfach herauskommen konnte. Verweigerte man Roentgen die erforderlichen Mittel, dann wäre er »bankerott und desperat«.54 Im Bewilligungsfall brachte die zunehmende Verschuldung Roentgen ebenfalls dem befürchteten Konkurs näher. Gerne wird behauptet, dass Roentgens wegen dieser Schuldenangelegenheit vom Abendmahl ausgeschlossen worden seien.55 Doch gab es dafür einen triftigen anderen Grund: 4) Der Abendmahlsausschluss von Abraham und Susanna Roentgen wurde nämlich verursacht durch einen skandalösen Fall von Selbstjustiz im Hause Roentgen nur kurze Zeit nach ihrer Rückkehr aus England, wodurch auch das Ansehen der Gemeine geschädigt worden war. Roentgens hatten einen während ihrer Abwesenheit vermeintlich untreuen Angestellten im eigenen Haus festgesetzt und den Anschein erweckt, als geschehe dieses auf obrigkeitliche Anordnung. Als die Sache aufflog, wurde Roentgen dafür gerichtlich belangt; die Gemeine schloss das Ehepaar aus.56 Susanna Roentgen sprach daraufhin beim Grafen zu Wied vor und erreichte ein Interzessionsschreiben mit der Bitte um Wiederzulassung zum Abendmahl. Dem musste die Gemeine entsprechen, allerdings erst nach positivem Losentscheid, um in Neuwied ihre Stellung zu wahren.57 Der Sinn und Zweck, durch den Ausschluss vom Abendmahl ›Verirrte‹ wieder auf die ›rechte Bahn‹ und damit auf die Grundsätze der Gemeine zu führen, wurde somit ad absurdum geführt. Gerade das ist das Spezifikum 53 Die Quelle dafür ist bei Fabian unter der falschen Jahreszahl 1766 abgedruckt. Entweder handelt es sich hier um einen Übertragungsfehler oder Peistel hatte sich zu Jahresbeginn (6. Januar) selbst geirrt. Die Reise fand sicherlich 1766 und nicht schon 1765 statt. Vgl. auch die Antwort des Empfängers bei Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 328, Nr. 2.62. 54 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 325, Nr. 2.57: Gemeinvorsteher Peistel an Unitäts-SyndikatsCollegium, 5. Januar 1766 [recte: 1767]. 55 So z. B. Greber, Möbel für Europa (wie Anm. 6). Bd. 1, 88, sowie Lächele, Roentgen (wie Anm. 8), 105, der aus unerfindlichem Grund auch meint, dass die Reise vom Baukredit bezahlt und der Hausbau dadurch vernachlässigt worden sei. 56 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 328, Nr. 2.63: Gemeinvorsteher Peistel an Unitäts-SyndikatsCollegium, 23. April 1767. 57 Ebd., 330, Nr. 2.69: Gemeinvorsteher Peistel an Unitäts-Syndikats-Collegium 16. August 1767.

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des Falles Roentgen: Das Wesentliche für die Brüdergemeine beschränkt sich eben nicht auf Äußerlichkeiten,58 sondern bezieht gerade das innere Leben, die Haltung oder Einstellung mit ein. Das ganze Leben soll unter der Devise ›liturgisch leben‹ Gott gewidmet sein. Stattdessen bescheinigen manche Forscher den Herrnhutern Engstirnigkeit, Kleinlichkeit und das Fehlen von Weitsicht sowie mangelndes Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge.

5. David Roentgen und seine Hamburger Möbellotterie Es ist bisher nicht direkt zum Ausdruck gebracht worden, dass die Häufung der Probleme sich mit der Einmischung David Roentgens in die Geschäfte zeitlich deckt, von dem es schon Anfang 1767 heißt, dass er »die ganze Machinerie dirigiert«.59 Seine Rolle und Persönlichkeit sind daher näher zu betrachten. David Roentgen war in den Erziehungsanstalten der Brüdergemeine zunächst in der Wetterau, dann in der Oberlausitz untergebracht. Er bereitete aber schon früh Schwierigkeiten, und zwar in solchem Maße, dass man sich bewogen fühlte, den Zehnjährigen 1753 wegen einer nicht näher spezifizierten Versündigung der Schule zu verweisen und zu seinem Vater nach Neuwied zu bringen.60 Dies hatte zur Folge, dass er – obwohl in der Brüdergemeine getauft – nicht wie sonst üblich im Alter von etwa 14 Jahren in die Gemeine aufgenommen, sondern 1759 noch im Status eines Kandidaten auf die Gemeinmitgliedschaft aus dem ›Katalog‹ gestrichen wurde.61 So wurde er zwar extern bisweilen als Herrnhuter betrachtet, intern aber als verdorbenes, nicht zur Gemeinschaft gehöriges »Weltkind«. David Roentgen konnte also überhaupt nicht aus der Brüdergemeine ausgeschlossen werden. Alle diesbezüglichen, in der gesamten Roentgen-Literatur zu findenden Äußerungen, wie auch die Formulierungen bezüglich seiner angeblich beantragten »Wiederaufnahme« sind schlichtweg falsch.62 Bei den wiederholt dokumentierten Gesuchen Davids ging es für ihn als einen »Fremden« zunächst überhaupt um die Erlaubnis, sich in einer Herrnhuter Siedlung mit Perspektive einer künftigen Mitgliedschaft dauerhaft aufhalten zu dürfen, noch gar nicht einmal um die Aufnahme selbst. Mit der Aufnahme in die Brüdergemeine war darüber hinaus keine automatische Berechtigung verbunden, mit der Gemeine zum Abendmahl zu gehen. Dafür war ein weiterer formaler Akt nach einer Bewährungsphase notwendig. 58 Anders auch Lächele, Roentgen (wie Anm. 8), 114, in seinem Resümee: David Roentgen sei ein »Mann, der durch seinen Erfolg in größte Distanz zu den Brüdern geriet«. 59 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 325, Nr. 2.57: Gemeinvorsteher Peistel, 5. Januar 1766 [recte: 1767]; vgl. auch ebd., 13. 60 Anstaltsdiarium Niesky, zum 12., 24. und 31. Mai und Jahresrückblick 1753 (R.4.B.V.d.2.1.a); vgl. auch Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 321, Nr. 2.31. 61 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 321, Nr. 2.32: Katalog Neuwied, 1753/59. 62 Z. B.: Huth, Möbelwerkstatt (wie Anm. 3), 12, 15.

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Alle drei Stufen (Erlaubnis, Aufnahme, Abendmahlszulassung) wurden nicht nach Ermessen der Ältestenkonferenz, die sich zuvor gewissenhaft von der inneren Verfassung der Kandidaten zu überzeugen hatte, sondern letztendlich durch das Los entschieden. Die jeweiligen Daten wurden in Protokollen, Diarien und Katalogen mit Akribie festgehalten und im Rückblick – quasi als persönliche heilsgeschichtliche Epochen – in den Lebensläufen erwähnt. Daraus ergab sich dann auch das zweite Hauptproblem der Herrnhuter im Verhältnis zu den Roentgens. Nur Mitglieder konnten in den Niederlassungen der Brüdergemeine Grundbesitz erwerben, wie auch nur von Mitgliedern Handwerksbetriebe oder Handlungen geführt werden durften. Es stand außer Frage, dass bei der persönlichen Einstellung David Roentgens als ›unbekehrtem‹ bzw. ›verdorbenem Weltkind‹ eine Aufnahme nicht zur Diskussion stand und er deshalb das Haus des Vaters und dessen Werkstatt im Herrnhuter Viertel nicht übernehmen können würde. Während man mit Vater Roentgen vor Ort über die Zukunft seines Hauses und Betriebes verhandelte, trieb der Sohn auswärts die Geschäfte anscheinend nach eigenem Gutdünken. Abraham Roentgen hatte die Kontrolle über sein eigenes Geschäft dem Anschein nach völlig verloren – oder deckte er die Unternehmungen seines Sohnes? Der Vorsteher Peistel konnte Roentgens einerseits kein Vertrauen entgegenbringen, »weil die Leute immer anders reden als sie denken«, andererseits waren es auch »Leute, da kein Zureden hilft oder bisher geholfen hat.«63 Schließlich teilte er mit: »Alle geben keine gute Hoffnung. Der älteste wird in keinem Katalog mehr geführt und darf nur noch in die sonntägliche Predigt, aber nicht in die anderen Versammlungen gehen.«64 David Roentgen nutzte dort, wo es ihm Vorteil zu bringen schien, in nicht aufrichtiger Weise und entgegen mehrfachen Verbots dennoch sein angemaßtes »Herrnhutertum«. Beispiele und Indizien lassen sich dafür über Jahre hinweg nachweisen. Erstmals ist dies bereits 1766 unmittelbar vor der Englandreise der Fall. Durch einen glücklichen Umstand ist ein eindrücklicher Bericht über einen Besuch David Roentgens in Altona, wohl überhaupt die ausführlichste Charakterschilderung David Roentgens, überliefert: Den 3ten [Juni 1766, d. Vf.] kam David Rönntgen, der Geschwister Abrahams in Neuwied ältester Sohn, ein Leider mißrathenes Gemein Kind, hier [i. e. Altona, d.Vf.] an, seiner Mutter HalbBruder Herrn Bausch, einen grossen KauffMann in Hamburg zu besuchen. Er hat ein Stück, von ihme selbst verfertigter CabinetSchreinerey bey sich, dergleichen noch schwerlich in Hamburg gesehen worden. Ein sonst Nobiler junger Mensch, aber voller Wind und Egoismi. Den 4ten […] mußten Geschwister Raschkens, Ziesenis und Engelbach bey Herr Vogt speisen, der samt seiner Frau und zwo Töchtern nach Altona kam, deß jungen 63 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 328, Nr. 2.63: Gemeinvorsteher Peistel an Unitäts-SyndikatsCollegium, 23. April 1767. 64 Ebd., 330, Nr. 2.69: Gemeinvorsteher Peistel an Unitäts-Syndikats-Collegium, 16. August 1767.

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Rönntgen Schreibtisch zu besehen. Dieser junge Pursch machte ein solch geprahl von seiner Geschicklichkeit, Reisen und Aufführung an Churfürstlichen und Fürstlichen Höfen, dass Engelbach Angst und Bange ward, doch Er zerbrach mitten in dem Kauff ein Glaß voll Scheidwasser, goß sich solches über seine besten Kleider und seidene Strümpfe, in denen Er Morgen vor seinem Herrn Oncle erscheinen wollte und richtete solche dadurch völlig zugrunde. weil Er aber beym AbendEssen in Herrn Stenglins Hausse wieder aus dem Ton zu reden anfing, bat Ihn Bruder Engelbach in aller Gegenwart wehmüthig und sehr ernstlich, Sich doch ja Nirgend für einen Bruder und Gemein Glied anzugeben, weil Er, wie Ihme bekannt, nichts weniger denn ein solcher wäre, sonsten würde derselbe sich die schwereste und unausstehlichste Zucht Gottes über den Halß ziehen. Es ist sehr warscheinlich dass Es der unglückseelige öffters bey Hoch und niedern gethan, aber durch seine freche Auffüh[rung] deß Herrn Volck und seinen Ruhm an Christo stinkend gemacht. Er verstummete Augenblicklich, gieng darnach mit Bruder Engelbach in sein Hauß, und weinete bitterlich und noch lange über seinen jämmerlichen Zustand.65

Von den folgenden Tagen gibt es weitere Berichte über David Roentgens Aufführung, die damit enden, dass »er unter vielen Thränen nochmals zusagte, hinkünftig ein freyes Bekänntniß von seinem Elenden Hertzens Zustand vor aller Welt, die Ihn darum befragen oder auch nur für ein Gemein-Glied halten würde, abzulegen.«66 Wie wenig ernst es dem ›Schauspieler‹ David Roentgen in dieser Phase seines Lebens mit der Gemeine war, zeigt sich darin, dass er nicht nur entgegen seiner Beteuerung gesprächsweise an den Höfen in Braunschweig,67 Dresden68 und Kassel69 sich öfters im Zusammenhang mit eigenen Niederlassungsbemühungen in diesen Ländern70 der beanspruchten Herrnhuter Identität bediente, sondern 1770 auch bei einer schriftlichen Petition an den preußischen König.71 Gleichzeitig behaupteten nicht nur seine Eltern Abraham und Susanna immer wieder, dass sie mit der Brüdergemeine in Verbindung bleiben wollten, sondern auch David Roentgen erklärte sich bis 1774 mehrfach in diese Richtung. Überzeugend ist das Bekunden David Roentgens allerdings nicht. Vielmehr hing ja von seiner Mitgliedschaft die Übernahme von Haus und Werkstatt im Brüdergemeinquartier ab. Die Geschäftsführung hatte er faktisch schon lange inne, als sein Vater ihm die Werkstatt 1772 auch formal abtreten wollte. In dem Moment, als er 1774 sein eigenes Haus außerhalb des Karrees erbaute, entfiel die Notwendigkeit für eine Mitgliedschaft gänzlich. Abraham gab nun offiziell seine Werkstatt auf und verkaufte sein Haus zwei Jahre später. Lange Zeit ist dann von Aufnahmege65 Diarium Altona, zum 2. und 4. Juni 1766 (R.19.E.22.a). 66 Ebd., zum 5. Juni 1766. 67 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 330 f, Nr. 2.70: Ältestenkonferenz Neuwied an Unitäts-Syndikats-Collegium, 23. September 1768. 68 UAC-Protokoll, 1770, II, 557–559 (zum 27. Juni 1770). 69 Ebd., 1771, II, 155 (zum 29. April). 70 Greber, Möbel für Europa (wie Anm. 6). Bd. 1, 108. 71 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 333 f, Nr. 2.86.

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suchen Davids auch nicht mehr die Rede. Eine gewisse Scheinheiligkeit unterstellte bereits 1767 die Kirchenleitung den Eltern, wenn sie der örtlichen Gemeindeleitung riet: »Es kommt darauf an, ob sie ihrem Herzen oder wenigsten[s] ihrem Bezeugen und Erklärung gegen die Gemein-Arbeiter nach, annoch einigermaßen als Gemein-Geschwister zu behandeln sind oder ob man sie in dem Theil ohne Restriction aufzugeben hat.«72 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der viele Jahre später von Katharina der Großen, der man sicherlich einige Menschenkenntnis unterstellen darf, aufgezeichnete Eindruck über den von ihr für einen Herrnhuter gehaltenen David Roentgen: »er scheint mir zu scheinheilig«.73 Eine Verbindung David Roentgens zur Brüdergemeine bestand nicht mehr, er lebte »nun aus aller Connexion mit der Brüdergemeine«,74 als er 1768 mit einer größeren Menge edler Möbel, darunter wiederum ein kostbares Schaustück, über Fulda, Gotha, Dessau und Braunschweig nach Hamburg reiste und – durchaus erfolgreich – versuchte, diese an den Mann zu bringen. Von unterwegs übermittelte er seinem Vater einen Erlös in Höhe von 2.000 Gulden. Sein Onkel war inzwischen verstorben, die Tante stand mit den Kindern unter Vormundschaft, was die Verhandlungen mit ihr über die Kreditangelegenheiten erschwerte. Eine Bezahlung in Form von Möbeln musste sie – Davids Bekunden nach – wegen Vorbehalten der Vormünder ablehnen. Daraufhin einigte er sich mit ihr darauf, bis Ende März75 des folgenden Jahres die Schulden in Höhe von 6.600 Gulden völlig abzutragen, wofür ihm die bis dahin angelaufenen Zinsen erlassen werden sollten. Wohl während dieses Aufenthalts erwirkte David Roentgen im Juni 1768 beim Senat der Hansestadt die Erlaubnis zur Durchführung einer Möbellotterie ein knappes Jahr später, am 29. Mai 1769.76 Von der Reise brachte er ein gedrucktes »Avertissement« mit, überschrieben mit »Plan einer Lotterey«.77 Darin warb er voll eitlem Stolz und Prahlerei für seine Möbel und die zu veranstaltende Lotterie. Jedes der 715 Lose sollte drei Dukaten kosten. Deren Preis entsprach dem veranschlagten Gesamtwert der 100 ausgelobten, im »Plan« näher beschriebenen Roentgenmöbel. Bei den Preisen handelte es sich um sehr unterschiedlich aufwendige Stücke im Wert von 6 bis 470 Dukaten. Die kostbaren Stücke waren mit Intarsien ausgestattet, überwiegend bestehend in aus farbigem bzw. eingefärbtem Holz quasi gemalten Blumen, Früchten, Insekten und Musikinstrumenten, in we72 Protokolle des Unitäts-Syndikats-Collegiums, 1767, 77–79, zum 7. Mai 1767; auch Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 328 f, Nr. 2.64, allerdings unter dem 4. Mai 1767. 73 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 362, Nr. 2.225: Recueil de la société hist. Russe, 10. August 1785. 74 Ebd., 330 f, Nr. 2.70: Ältestenkonferenz Neuwied an Unitäts-Syndikats-Collegium, 23. September 1768. 75 D. h. zwei Monate vor der Ziehung der Lotterie. 76 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 331, Nr. 2.71. 77 Ebd., 330 f, Nr. 2.70; 331, Nr. 2.71.

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nigen Fällen auch Chinoiserien. In das Hauptstück, einen Schreibschrank, hatte Roengten außerdem durch den Neuwieder Uhrmacher Peter Kinzing ein neuartiges Glockenspiel und ein Klavier einbauen lassen: Ein Büro mit einem Aufsatz auf das künstlichste, mit Chinuesischen Figuren, à la Mosaique eingelegt, dergestalten, daß ich mich ohne Scheu, in Ansehung der guten Zeichnung, Schattierung und Couleuren der Critique eines Kunst-Mahlers unterwerfen darf. Das allerwunderbar- und seltsamste hiebey aber ist, daß alle Figuren von lauter Hölzern gemacht, und zwar von solchen zusammengesucht- und choisirten Hölzern, daß dieselben eine vollkommene Mahlerey präsentiren, welche mit dem Hobel, ohne dadurch etwas an ihrer Schönheit zu verlieren, können überfahren und abgehobelt werden. In dem Untertheil dieses Stückes befindet sich ein Clavier mit Hämmern, welches einen so starken Klang, wie ein Flügel von 10 Schuhen von sich giebt; Ueber dem Clavier steht ein sehr geräumlicher kostbar eingelegter Schreib-Pult. Das Obertheil hat zwey Schränke, die ebenfals mit einer Chinuesischen Pièce sehr künstlich eingelegt sind. Die Mitte dieses Obertheils stellet perspectivisch eine schöne Comödie mit vielen agirenden Figuren und Architectur, nebst aufgezogenen Vorhängen vor, und das alles, ohngeachtet es von lauter Holz, so naturell und lebhaft, daß es der feinsten Mahlerey, im geringsten nichts nachgiebt. Die Thür an diesem Comödien-Stück kann eben wie ein seidener Vorhang weggezogen werden, daß gar nichts mehr davon zu sehen; Sobald sie weggeschoben, siehet man eine sehr Kostbare Spiel-Uhr, mit vielen recht seltenen fein in Feuer verguldeten Zierrathen. Dieses Glocken-Spiel ist von einer ganz neuen Art, mit einer bewegenden Dämpfung gemacht, so, daß ich mir ohne Ruhm schmeicheln darf, es werde mir ein jeder, der es in Augenschein nimmt, die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, und zugestehen, daß dergleichen noch nicht gesehen und gehöret worden. Oben auf diesem Stück erblickt man eine von Meßing fein und fleißig ausgearbeitet und kostbar in Feuer vergoldete Galerie.78

Weitere Lose bestanden in Schreibschränken bzw. -pulten, Kommoden, Verwandlungsspieltischen, Schreib- und Arbeitstischen. Tischplatten, Schatullen für verschiedene Zwecke, alles mit feinen Einlegearbeiten ausgestattet. Im Februar 1769 sprach David Roentgen erneut beim Senat vor und erreichte eine amtliche Bestätigung für seine Lotterie, die sogar in einer Hamburger Zeitung publiziert wurde.79 Über den Erfolg der Lotterie ist so gut wie nichts bekannt. Die Markgräfin von Baden erwarb 30 Lose, gewann aber lediglich vier weniger bedeutende Stücke, nämlich eine Nachtkommode, einen 78 Ebd., 331, Nr. 2.71. 79 Ebd., 331 f, Nr. 2.75–78.

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Damentisch, ein Spielkästchen und ein »Tambourein«.80 Der Hauptgewinn ging an einen Hamburger Kaufmann namens Grotjahn;81 sein Verbleib ist unbekannt. In der Literatur wird – ohne jeglichen Beleg dafür angeben zu können – ein glücklicher Verlauf mit vollem Ertrag unterstellt. Als Indiz dafür mag die Tatsache herhalten, dass die Werkstatt fortbestand. In gleicher Richtung kann die erneute Veranstaltung einer Lotterie von David Roentgen in Kassel im Jahr 177182 gedeutet werden, diesmal mit auf der Frankfurter Messe nicht verkauften Möbeln. Unabhängig davon wird David Roentgens Bekanntheitsgrad wahrscheinlich gestiegen sein. Immer wieder ist die von David Roentgen mit mehr oder weniger Engagement seines Vaters 1768/69 vorbereitete, in Hamburg durchgeführte und von der Roentgen-Forschung als genial deklarierte Möbellotterie, die nach glücklichem Verlauf das Fortbestehen der Manufaktur sicherte und zu ihrer europaweiten Bekanntheit beitrug, als Grund für sein Zerwürfnis mit der Brüdergemeine genannt worden.83 Ich halte auch diese Hypothese für unbegründet, nicht nur weil, wie schon ausgeführt, das Zerwürfnis bereits in Kindertagen eingetreten war, sondern weil die Argumentation auch sonst löchrig ist. Zwar gab man sich in Neuwied über die Lotterie ganz allgemein betroffen und geängstigt (»Wir können uns freylich hieraus bedenkliche Folgen vermuthen und es ist uns schmerzhaft, eine solche Familie unter uns zu haben«), doch folgte sogleich eine Spezifizierung des eigentlichen Kerns des Problems: Die »Ausschweifungen« und das »ruhmräthige Avertissement« Davids waren das eigentlich Anstößige.84 In seinem Handzettel rühmte sich David Roentgen als quasi größter Meister des Gewerbes. Das war nicht strafbar, doch widersprach es dem Herrnhuter Ideal der Bescheidenheit und des schlichten Dienstes am Kunden. Ob die Lotterie bei den Herrnhutern, die einen ernsthaften Umgang mit dem Los pflegten, in der von David Roentgen gebrauchten Form unmittelbar als unsittlich galt, wäre erst einmal zu prüfen. Einerseits handelte es sich um eine Form des Glücksspiels, also nicht um die Ergründung des göttlichen Willens, die auch sonst häufig in Roentgens Angelegenheiten benutzt wurde. Andererseits war das Verhältnis zwischen dem Verkaufserlös der Lose und dem angenommenen Wert aller Gewinne in der Lotterie immerhin ausgeglichen. Eine zeitnah in Neuwied entstandene andere Lotto-Affäre erlaubt uns dieser Frage nachzugehen. Die Vorsteher des Brüderhauses hatten ohne Wissen der Gemeine eine große Summe Geldes in ein dubioses Lotto-Unternehmen investiert. Als die Sache Ende 1771 bekannt wurde, war neben dem Versuch der Schadensbegrenzung auch die Frage des Warum zu klären. Man mag über die 80 Ebd., 332, Nr. 2.79: Abraham Roentgen an Karoline Louise von Baden, 7. März 1769; gemeint ist wohl nicht Tambourine, sondern Tabouret = Sitzmöbel. 81 Ebd. 82 Ebd., 335, Nr. 2.97 f. 83 Z. B. Greber, Möbel für Europa (wie Anm. 6). Bd. 1, 88. 84 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 330, Nr. 2.70.

Das Geschäft mit Luxusartikeln in der Brüdergemeine

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Sinnfrage des schier endlosen Losverfahrens der Kirchenleitung urteilen wie man will, doch lassen die gestellten Fragen es zu, darin umlaufende Vorstellungen zu sehen. Eines der Lose hieß: »Der Heiland will uns sagen, daß wir das Lotto als einen Kunstgriff des Satans, und eine der Brüder-Gemeine höchstgefährliche Sache anzusehen haben«,85 so dass man annehmen möchte, dass diese Ansicht tatsächlich in manchen Köpfen saß. Doch ein negatives Los wurde gezogen. Im Protokoll heißt es dann weiter: »Man erklärte sich, daß man unter Lotto und Lotto-Sache, jedesmal die in Neuwied gemachte Entreprise und nicht das Lotto an und für sich verstehe, als worüber wir nicht zu richten haben.«86 Ein weiteres Los besagte: »Der Heiland will uns sagen, daß wir die Lotto-Affaire in Neuwied als ein Notabene in Absicht auf die hin und wieder eingerißene und schädliche Gewinnsucht und independente Handlungsweise anzusehen haben.«87 Auch diese Losfrage blieb ohne eindeutig positiven Befund, indem ein leeres Los gezogen wurde. Zur Deutung mussten Hilfsfragen gestellt werden. Ob man bei den Begriffen »schädliche Gewinnsucht und independente Handlungsweise« auch an die Roentgen-Manufaktur dachte, was aus Sicht der Brüdergemeine durchaus berechtigt war, oder ob noch mehr ›schwarze Schafe‹ vor Augen standen, sei dahingestellt.

6. Die Roentgen-Manufaktur – kein Einzelfall der Luxuswarenherstellung für gehobene Kreise Wenigstens kurz ist noch zu zeigen, dass auch andernorts in der Brüdergemeine die Herstellung von ›kunstvollen‹ Möbeln nicht zwingend negativ belegt war, denn die Produktion in den Brüderhaustischlereien darf nicht unterschätzt werden. Schon die Anfrage Roentgens nach einem Revers der Brüderhaustischler im Jahr 1762 hatte gezeigt, dass die Werkstatt von Roentgen durchaus als konkurrenzfähig eingestuft wurde. So waren ja auch die Mitarbeiter der Neuwieder Brüderhauswerkstatt teilweise von Roentgen mit herangezogen worden, aber auch schon auf dem Herrnhaag war Roentgen nicht der einzige Meister gewesen. Als Vergleichsbeispiel greife ich auf Nachrichten zurück, die HerrnhutBesucher in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts über die dortige Brüderhaustischlerei aufzeichneten. 1763 hieß es schlicht: »Die Schreiner machen die schönste getäfelte und ausgelegte Arbeit auf Englische Art.«88 1777 besuchte

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UAC-Protokoll 1771, IV, 889–904 (zum 21. Dezember), hier: 890. Ebd., 890 f. Ebd., 891. [Carl von Zinzendorf]: Verschiedene in die Verfassung des Chur-Sächsischen Justiz- Contribu-

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Friedrich Ulrich Graf zu Lynar (1736–1807) Herrnhut und schrieb: »Wir besahen ferner das Brüderhaus, und in demselben den künstlichen Tisch[l]er, der unter andern für 34 Reichsthaler einen schönen Schreibtisch, so mit allerhand künstlichen und artigen Triebfedern versehen war, verfertiget hatte.«89 Roentgen hatte zu diesem Zeitpunkt bereits an Ludwig XVI. ein einziges Möbel für 80.000 Livres verkauft. In einem zehn Jahre später in der Schweiz erschienenen, sonst durchaus kritischen Buch wird behauptet: Von vorzüglicher Schönheit und Kunst sind in dem Brüderhause die Tischlerarbeiten, wo man mir Kommoden, Schreibpulte, Thekästgen und andere kleine Dinge von solcher künstlichen Zusammensetzung und Feinheit des äusserlichen Ansehens zeigte, welche die so enthusiastisch gerümten englischen Fabrikate beschämen.90

Von einem Regierungsrat aus Prag ist zu lesen, dass Besuchern, »Auch ohne dass man etwas zu kaufen nöthig hat«, die »verfertigten Arbeiten gefällig gezeigt« werden. »Ihre Arbeiten sind meistens theuer, aber dauerhaft und gut.«91 Andere, wie z. B. eine Schlossbesitzerin aus Böhmen, kamen eigentlich in der Absicht her, bey den hiesigen Tischlern Meubles zu ihrer Einrichtung in ihr neuerbautes Schloß zu kaufen, fanden aber zu ihrem Leidwesen eben nichts vorräthig […]; ihr Verwalter aber, welcher zu obiger Absicht einen Wagen mitgebracht hatte, blieb zurück, und ließ nicht nach, bis ihm einige, von bereits schon bestellten Meubles abgelassen wurden.92

Aus alledem ist zu ersehen, dass in der Regel auf Bestellung gearbeitet und nur ein begrenzter Vorrat zum freien Verkauf produziert wurde. Die Preise waren nicht gerade günstig und nicht verhandelbar, aber für die zu erwartende Qualität und Dauerhaftigkeit angemessen. Doch dieser anscheinend konventionelle Charakter der Herrnhuter Brüderhaustischlerei täuscht. Ein außergewöhnlicher Eintrag in das Herrnhuter Diarium von 1789, als inklusive Lehrlingen etwa 20 Personen in der Tischlerei beschäftigt waren, überrascht: Zu Beginn dieses Jahres reiste nämlich der Tischlermeister Jöns Fridlezius (1750–1816) nach Warschau,

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tional- Commercial- und Münz-Wesens, einschlagende Nachrichten pro Anno 1763 (Ms.: NB I. R.3.245.b, 90). Des Grafen F.U. zu Lynar auf Schloß Lübbenau Journal einer Lustreise in die Oberlausitz, im November 1777. In: Johann Bernoulli’s Sammlung kurzer Reisebeschreibungen und anderer zur Erweiterung der Länder- und Menschenkenntniß dienender Nachrichten. Bd. 1. Berlin u. Altenburg 1781, 159–196, hier: 169. Christian Gottlieb Schmidt: Briefe über Herrnhut, und andere Orte der Oberlausiz. Winterthur 1787, 41 f. Ein anonymes, undatiertes Tagebuch einer Reise von Prag in die Lausitz entdeckte Prof. Dr. Anton Frinta, Prag, im Nationalmuseum Prag, literarisches Archiv, Nachlass Josef Dobrovský, Sign. 4 C 14. Teilabschrift im Unitätsarchiv (TM 49). Vermutlich ist ein Regierungsrat Heinrich, dessen Besuch am 14. Oktober 1798 in Herrnhut bezeugt ist, der Autor. Besucherbuch 1, zum 12. Juni 1804 (NB I.R.3.49.f, 223 f).

Das Geschäft mit Luxusartikeln in der Brüdergemeine

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um daselbst ein von ihm mit Mahagony-Holz fourniert-verfertigtes Cabinet, was mit vieler vergoldeten Arbeit in Meßing verzieret war, […] an Mann zu bringen; auch mit einigen dortigen Kaufleuten, die verschiedene Jahre her vieles bey ihm haben arbeiten lassen, mündliche Abrede zu nehmen.93

Zuvor hatte er das Möbelstück am Hof in Dresden präsentiert; zwar konnte er es dort nicht verkaufen, erhielt aber die Transportkosten erstattet und eine Bekundung des königlichen Wohlgefallens einschließlich einer Anerkennung des »sichtbare[n] Arbeits-Fleiß[es] und d[er] darauf verwendete[n] Accuratesse.«94 Entfernt fühlt man sich an die Verkaufsreisen David Roentgens erinnert. Doch das Risiko wurde klein gehalten. Es ist nur von einem Schaustück die Rede, nicht von ganzen Wagenladungen. Auch verhandelte Fridlezius vorab mit seinen Abnehmern. Es ging also wiederum um bestellte Ware. So wundert es dann auch nicht, dass es keinerlei kritische Bemerkung seitens der Gemeine gab. Im Gegenteil, anderthalb Jahre später wurde Fridlezius als Mitarbeiter unter den ledigen Brüdern nach Zeist, Niederlande, und später Gracehill, Irland, berufen. Und der Möbelkünstler fand sich sofort bereit, einen vermeintlichen Ruhm gegen den Dienst in der Brüdergemeine zu tauschen.

7. Schluss Es konnte gezeigt werden, dass die bisher in der Forschung unterstellten wirtschaftsethischen Faktoren und Argumente, die zu einer Konfrontation zwischen der Brüdergemeine einerseits sowie Abraham und David Roentgen andererseits geführt haben sollen, unhaltbar bzw. sehr zweifelhaft sind. Die Brüdergemeine erweist sich hier sehr viel liberaler, als man zu glauben geneigt ist. Doch eine rein äußerliche Sichtweise greift deutlich zu kurz, um das Zerwürfnis zu verstehen. Erst die innere Einstellung zum Geschäft wie überhaupt zum Leben in der Brüdergemeine, die eben gerade nicht zwischen privat und geschäftlich unterscheidet, kennzeichnet einen Kaufmann oder Handwerker als Kind Gottes im Herrnhuter Sinn. Fromme Phrasen, die im Widerspruch zum Lebenswandel stehen, machten bei Herrnhutern keinen (guten) Eindruck. Die Brüdergemeine beanspruchte mit ihren verschiedenen Institutionen allerdings eine Kompetenz, die weit in die persönlichen Entscheidungen hineinreichte. Überging jemand die Beteiligung oder widersetzte sich gar Entscheidungen der Brüdergemeine, grenzte er sich in der weitgehend auf Freiwilligkeit beruhenden Gemeinschaft von allein aus. Hauptanliegen der Brüdergemeine war es, jedes Mitglied auf den Heilsweg zu bringen und dort zu erhalten. Um dies nachhaltig in der Gemeinschaft zu ermöglichen, galt es, die Integrität der Brüdergemeine nach außen zu wahren. 93 Diarium Herrnhut, zum 18. Januar 1789 (R.6.A.b.29). 94 Ebd.

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Soweit es die jeweiligen Verhältnisse erlaubten, konnten auch die privatwirtschaftlichen Unternehmungen der Mitglieder gefördert werden. Die schützende Hand des Grafen zu Wied95 hat sich bemerkenswerterweise gerade nicht durch Kreditgewährung ausgezeichnet. Finanzielle Unterstützung floss Abraham Roentgen dagegen immer wieder aus dem Kreis der Brüdergemeine zu. Das Verhältnis zur Manufaktur gewann durch David Roentgens Etablierung außerhalb des Herrnhuter Viertels dann gänzlich den Charakter eines Außenverhältnisses. Sein Wandel ging die Herrnhuter nun nur noch insofern etwas an, als David Roentgen sich als Herrnhuter ausgab oder als solcher von Außenstehenden angesehen wurde; Nachrichten aus Herrnhuter Quellen werden rar. Roentgen wurde nun aber keineswegs ignoriert. Sogar der Neuwieder Prediger Christian Georg Andreas Oldendorp (1721–1787) – allerdings selbst kunstinteressiert – nahm Anteil an den herausragenden Produkten, wie seine privaten Tagebuchaufzeichnungen zeigen. Dort heißt es z. B. 1776: »Nachher ging ich mit diesen Brüdern96 und Röntgen zu dem Mechanicus Kinzing, ein kostbares spielendes Uhrwerk da zu hören.«97 Selbst als er schon in die Niederlande versetzt worden war, erhielt er Nachrichten über Davids Aufenthalt in Versailles mit einem prominenten Möbel.98 Mit dem Zusammenbruch des Luxusgütermarktes nach der Französischen Revolution kam auch David Roentgen möglicherweise innerlich nach und nach zur Ruhe, ja man könnte fast sagen zur Besinnung. Wie im Rausch war er jahrzehntelang dem persönlichen Erfolg nachgejagt; nun wurde der Kontakt zur Brüdergemeine wieder enger und David Roentgen schließlich 1791 erstmals in die Brüdergemeine aufgenommen.99 1807 übernahm er die Verhandlungen mit der neuen Landesherrschaft in Wiesbaden zur Sicherung des Bestandes der Brüdergemeine Neuwied. Überraschend starb er dort, wurde aber nicht nach Neuwied überführt, sondern in Wiesbaden beigesetzt. Er erhielt ein großes klassizistisches Grabmal, wie es auf dem schlichten Gottesacker der Brüdergemeine nicht möglich gewesen wäre.

95 Vgl. Stürmer, Luxus, Leistung (wie Anm. 4), 32. 96 Darunter der Leiter der Brüderhaustischlerei in Zeist und ehemalige Geselle Abraham Roentgens in Herrnhaag, Johann Isaak Beckmann. 97 Tagebuch von Christian Georg Andreas Oldendorp, zum 7. Juni 1776 (R.21.A.121.b). Das Uhrwerk wurde dann in ein Roentgenmöbel eingebaut und im August 1776 an Herzog Carl Alexander von Lothringen verkauft; vgl. Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 160 mit Abb. Nr. 324, sowie 343, Nr. 2.153. 98 Sonst anscheinend nicht belegt: »Von Neuwied erhielt ich ein Schreiben […]; ferner von Bruder Johann Ulrich Hegner, unter andern mit Nachricht von David Röntgens Anwesenheit in Versailles mit der kostbaren Uhr«. Tagebuch von Christian Georg Andreas Oldendorp, zum 4. Oktober 1778 (R.21.A.121.b). 99 Fabian, Gesamtwerk (wie Anm. 7), 372, Nr. 2.260: Protokoll Ältestenkonferenz Neuwied, zum 11. Mai 1791.

3. Kulturelle und religiöse ›Ökonomien‹

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Zeitwahrnehmung und Zeitökonomie bei August Hermann Francke und im hallischen Pietismus

Sieben Monate nach dem Tode seines Vaters August Hermann Francke reiste dessen Sohn Gotthilf August im Oktober 1727 zu seinem Antrittsbesuch bei König Friedrich Wilhelm I. nach Königs Wusterhausen. Über diesen Besuch hat er folgende Szene berichtet: Der König kommt von der Jagd und man setzt sich zu Tisch, Gotthilf August Francke darf neben dem König Platz nehmen; von Freylinghausens Besuch im September zuvor1 weiß der König, dass man im hallischen Pietismus die Jagd nicht schätzt. So fordert er Francke junior heraus über sein Urteil; dieser antwortet: »ich hielte, daß durch alle dergleichen Dinge der gute Samen des Worts erstickt werde.« Der König antwortet durchaus im hallisch-pädagogischen Jargon: »Es sei eine Motion, diene zur Gesundheit.« Francke hält dagegen: »Die Motion sei gar gut, aber sie könne und solle doch billig so sein, daß die Seele davon keinen Schaden leide.« Der König wird nachdenklich: »Komödien halte er für Sünde, aber die Jagd nicht, doch sei es freilich so, man könne alles entschuldigen und bemänteln, aber wenn man recht in sein Gewissen gehe, so fühle mans doch wohl, daß es nicht recht sei; Gott fordere viel von uns.«2 Als aufgetischt wird, bietet der König Gotthilf August Francke ein halbes Rebhuhn an mit den Worten: »Die habe ich selbst geschossen; ist das auch Sünde?« Als G.A. Francke antwortet: »an sich selbst nicht, es kommt aber auf die Person an, wie die beschaffen ist, und auf das eigene Gewissen, ob man sein Herz durch solche Dinge nicht von Gott abziehen lasse«, fragt der König, »ob man gar keine Divertissements haben sollte?« An diesem Punkt wird Francke grundsätzlich und erklärt:

1 Freylinghausen hatte sich vom 4. bis 10. September 1727 in Wusterhausen aufgehalten; vgl. Fragment eines Reisejournals des Nachfolgers des Prof. Franke und dessen Unterredung mit S[eine]r Königlichen Majestät Friedrich Wilhelm I. in Wusterhausen. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: GStA PK), BPH, Rep. 46 F, Nr. 2 (diesen Hinweis verdanke ich Veronika Albrecht-Birkner); Sieben Tage am Hofe Friedrich Wilhelms I. Tagebuch des Professors J.A. Freylinghausen über seinen Aufenthalt in Wusterhausen vom 4.–10. September 1727. Hg. v. Bogdan Krieger. Berlin 1900. 2 Die Wusterhausener Aufzeichnungen des jüngeren Francke. In: Der Soldatenkönig und die Stillen im Lande. Begegnungen Friedrich Wilhelms I. mit August Hermann Francke/ August Gotthold [sic!] Francke/ Johann Anastasius Freylinghausen/ Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Hg. v. Jochen Klepper. Berlin 1938, 91–134, hier: 110 f.

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Wir hätten zwar in Halle, weil wir die Lustmitteldinge nicht gut heißen wollten, viel Schmach leiden müssen, wir fingen aber davon nicht an, zu sagen, daß dies und das Sünde sei, sondern wiesen auf eine wahre Bekehrung zu Gott. Wenns einem damit ein Ernst geworden, so zeige sichs gar bald, was von solchen Dingen bleiben könne; und wenn die Gnade und Wahrheit in Christo, Vergebung der Sünden und alle himmlischen Güter recht erkannt würden, so finde man an solchen Dingen keinen Geschmack mehr, sondern hätte eine viel reinere und beständigere Freude an Gott, dafür man das andere nicht achtete.3

Nun schlägt die höfische Tischunterhaltung um in ein seelsorgerliches Gespräch. Der gerade 39jährige Preußenkönig gesteht, besonders bei höfischen Maskeraden sei ihm oft unwohl gewesen bei dem Gedanken, »wenn er jetzt sterben sollte und in solcher Positur vor Gott treten, wie Gott zu ihm sagen werde: Weg da!« Ja: »Wenn ihm einer garantieren wollte, daß er noch 40, 50 Jahre leben sollte, so wüßte er wohl nicht, was er tue: nun er aber nicht wisse, wie lange er lebe [es waren noch 13 Jahre], so sei es nichts, wenn man um das bischen Plunder hernach in die Hölle sollte. Ists nicht wahr? Wie?« In diese offene Flanke stößt Gotthilf August Francke sofort hinein: Ja, Ihro Majestät, nicht allein das, sondern wenn einem auch jemand garantieren könnte, so wäre es doch schade, die Zeit zu verlieren, die eine Saatzeit ist, und da wir von jeglichem Augenblick eine ewige Ernte haben können, die wir verlieren, wenn wir unser Leben in Sünde zubringen: davon mein Vater eine Predigt drucken lassen: Das zeitliche Leben als eine Saat=Zeit. Der König antwortete: Ei, die schicke er mir.4

Diese Predigt hatte August Hermann Francke im Jahre 1709 gehalten.5 Der Predigttext ist Gal 6,7 f: »Irret euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten.« Zwei Punkte aus diesem Gespräch will ich herausgreifen. Der eine ist das Bibelzitat Gal 6,7 f. Dass man ernten wird, was man sät, ist durch Luthers Bibelübersetzung im Deutschen zum Sprichwort geworden. Die Sache aber war bekannt, so lange es die Briefe des Apostels Paulus gab. Dies war eines der Bibelworte, die Christen der Antike dazu brachten, sich trotz christlicher Überzeugung erst auf dem Sterbebett taufen zu lassen, weil die Taufe in dieser ältesten Zeit des Christentums als das einzige Sakrament der Sündenvergebung galt und man möglichst sicher sein wollte, nach der Taufe nie wieder zu sün3 Wusterhausener Aufzeichnungen (wie Anm. 2), 111 f. 4 Ebd., 112 f. 5 Die Predigt wurde in der Schul-Kirche, der damaligen Halleschen Universitätskirche, gehalten; sie war 1710 gedruckt worden, dann auch 1726 in der Sammlung von Franckes Predigten über die Sonn- und Fest-Tags- Episteln. August Hermann Francke: Das Zeitliche Leben als eine Saat=Zeit […]. Halle 1710 (vgl. August Hermann Francke 1663–1727. Bibliographie seiner Schriften. Bearb. v. Paul Raabe u. Almut Pfeiffer. Tübingen 2001, Nr. E 211).

Zeitwahrnehmung und Zeitökonomie im hallischen Pietismus

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digen. Erst im Verlauf der folgenden Jahrhunderte wurde das Instrument der Beichte und Buße eingeführt als eine Möglichkeit, sich auch von Sünden, die man nach der Taufe begangen hatte, wieder lossprechen zu lassen. Damit verschob sich das Problem auf die Frage, wie oft man in seinem Leben von der christlichen Lebensführung abfallen und durch Buße wieder in den Stand der Taufgnade zurück versetzt werden könne. Oder extremer formuliert: ob man nach der Taufe lange Jahrzehnte in Sünden leben und dann kurz vor seinem Tod durch Buße in die Taufgnade zurückkehren könne – die Frage nach der »späten Buße«. Der fromme und skrupulöse Preußenkönig Friedrich Wilhelm, der zwischen Hofleben und christlichem Ideal hin- und hergerissen wurde, stellte Francke genau diese Frage: »was ich von der späten Buße hielte.«6 G.A. Francke antwortete: »Wie Gottes Hand nicht gebunden sei, indessen, wenn auch ein solcher errettet werde, werde er selig als [= wie] einer, der aus einer Feuerbrunst entlaufe und alles verbrennen lassen müsse. So finde ein solcher von seinem ganzen Leben auch keine Frucht vor sich.«7 Diese Antwort zeigt ein theologisches Dilemma. Sie ist einerseits lutherisch, wie die hallischen Pietisten ja behaupteten, in der lutherischen Tradition zu stehen, und versichert, dass auch die späte Buße zur Seligkeit führt (denn nach lutherischer Lehre wird der Mensch gerecht aus Glauben allein ohne des Gesetzes Werke; es kommt also auf die Ehrlichkeit und den wahren Glauben an Christi Verdienst in dieser späten und letzten Buße an). Andererseits blickt diese Formulierung (»So finde ein solcher von seinem ganzen Leben auch keine Frucht vor sich.«) auf die bisherige Lebensführung zurück und fordert damit doch ein zumindest langjährig frommes Leben vor der Aufnahme in das Himmelreich. Der andere Punkt, den ich herausgreifen will aus dem überlieferten Dialog zwischen Francke und König Friedrich Wilhelm, ist der Begriff der »Mitteldinge« oder »Adiaphora«. Um zu verdeutlichen, worum es geht, will ich ein bis heute gern zitiertes, berüchtigtes Beispiel aus der Praxis des hallischen Pietismus benennen: die Frage, ob das Tanzen erlaubt sei. Das Problem war schon im 16. Jahrhundert virulent, vor allem bei großen Hochzeitsfeiern. Luther schrieb dazu: Obs denn auch sunde sey pfeyffen und tantzen zur hochzeit, syntemal man spricht, das viel sunde vom tantz komen. Ob bey den Juden tentze gewesen sind, weys ich nicht. Aber weyl es lands sitten ist, gleich wie geste laden, schmücken, essen und trincken und frölich seyn, weys ich [es] nicht zuverdammen, on die ubermas, so es unzuchtig odder zu viel ist. Das aber sunde da geschehen, ist des tantzs schuld nicht alleyn; syntemal es auch wol uber tissch, und ynn den kirchen der gleychen geschehen, Gleich wie es nicht des essens und trinckens schuld ist, das ettlich zu sewen drüber werden. Wo es aber züchtig zu gehet, las ich der hochzeyt yhr recht und brauch und tantze ymer hyn. Der glaub und die liebe lesst sich nicht aus tantzen noch aus sitzen, 6 Wusterhausener Aufzeichnungen (wie Anm. 2), 113. 7 Ebd.

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so du züchtig und messig drynnen bist. Die jungen kinder tantzen ja on sunde, das thu auch und werde eyn kind, so schadet dyr der tantz nicht, sonst, wo tantz an yhm selbst sunde were, müst man es den kindern nicht zu lassen.8

Der vordergründig bekennende Lutheraner A.H. Francke würde sagen: Genau! Und da Tanzen Sünde ist, darf man auch die Kinder nicht tanzen lassen. Ausdrücklich begründet hat er dies im Vorwort zu dem Traktat Gründ= und ausführliche Erklärung Der Frage: Was von dem Weltüblichen Tantzen zu halten sey? Jn zwey Tractätlein verfasset (1697).9 Dort schreibt er: Die Grund-Regul alles unsers Thuns ist; Ihr esset oder trincket/ oder was ihr thut/ so thut es alles zu GOttes Ehre/ 1. Cor. X. Dawider streitet nun das Tantzen/ dadurch GOttes Ehre von keinem Verständigen gesuchet werden kan […]. Darumb ist das Tantzen nicht eine Christliche/ sondern eine irrdische und heydnische Handlung. Man wird auch das keinem Verständigen bereden/ daß sich die Welt da umb GOttes Ehre bekümmere/ wenn sie sich zum Tantz aufspielen lässet.10

Welch eine theologische Welt entfernt von Luther! Und auch den Gedanken der Adiaphora oder Mitteldinge wischt Francke vom Tisch: »Daß aber das heutige Weltübliche Tantzen kein frey Mittel-Ding sey/ ist […] überflüßig zu erkennen.«11 Zwischen Luther und der lutherischen Orthodoxie einerseits und Francke und den ihm anhängenden Pietisten andererseits hat sich in der Frage der christlichen Lebensführung, der Ethik, ein rigoroser Bruch vollzogen. Wo Luther alles für tragbar hält, was nicht offenbare Sünde ist, erklärt Francke alles für Sünde, was nicht unmittelbar der Ehre Gottes gewidmet ist. Damit ist alle Zeit des Menschen auf Erden »Saatzeit« auf die Ewigkeit hin, wie Gotthilf August Francke dem Preußenkönig erklärt hat, und nicht allein die letzte Buße entscheidet über die künftige Seligkeit, sondern auch die Lebenszeit davor. Diese Auffassung, dass nur das erlaubt sei, was unmittelbar der Ehre Gottes dient und für die künftige ewige Seligkeit anrechenbar ist, kann man in dieser rigorosen Form nicht aus dem Luthertum herleiten. Sie stammt wohl aus dem Calvinismus und näherhin aus dem englischen Puritanismus, dessen Ideal eines strukturierten Tagesablaufs seit Beginn des 17. Jahrhunderts in Deutschland durch eine Fülle übersetzter englischer Erbauungsschriften bekannt war und Francke wohl zuerst durch Lewis Baylys Praxis Pietatis, aber auch durch Erfahrungen in seinem familiären Frömmigkeitsmilieu und dann

8 Martin Luther: Predigt am zweiten Sonntag nach Epiphanias über Joh 2,1–11. In: Fastenpostille 1525 (zit. nach WA 17 II, 60–71, hier: 64). 9 Vgl. Francke, Bibliographie (wie Anm. 5), Nr. K 2.1. 10 Zit. nach dem Abdruck in August Hermann Francke: Werke in Auswahl. Hg. v. Erhard Peschke. Berlin 1969, 383–391, hier: 386. 11 Francke, Werke in Auswahl (wie Anm. 10), 391.

Zeitwahrnehmung und Zeitökonomie im hallischen Pietismus

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im Umfeld des fürstlichen Hofes von Gotha vermittelt worden ist, wo der Einfluss des Calvinismus nicht unerheblich war.12 Dieses vorhin zitierte Ideal des »was ihr thut/ so thut es alles zu GOttes Ehre« kann man als eine der biblisch geprägten Maximen Franckes verstehen, nach der er sein Amt als Pfarrer und akademischer Theologe ausrichten und deren Gültigkeit er nicht nur für sich selbst, sondern auch für die ihm anvertrauten Gemeindeglieder durchsetzen wollte. Als Pfarrer in Glaucha ist er damit trotz rigoroser Maßnahmen zur Kirchenzucht gescheitert.13 Ein neues Feld boten ihm seine Anstalten – das Waisenhaus und die Schulen – in Glaucha, die er seit 1695 und dann mit dem Bau des Haupthauses 1698 forciert aufbaute und zu einer geschlossenen Welt formte – von der Stadt Halle abgetrennt, umzäunt und eingehegt, den eigenen Gesetzen folgend (oder in Franckes Verständnis vielmehr: denen Gottes), mit eigenem Rhythmus der Zeit. Alle Zeit zu Gottes Ehre! Was bedeutet Zeit in Franckes Christianopolis, in seiner Stadt Gottes auf Erden? Ich will nicht wiederholen, was jeder weiß, der sich auch nur ein wenig mit dem hallischen Pietismus und Franckes Anstalten vertraut gemacht hat, sondern nur erinnern an den festen Stundentakt, den lückenlos gefüllten Tag in Franckes Schulen und Internaten. Früh gegen 5 Uhr wird mit einer Glocke ein Zeichen zum Aufstehen gegeben, darnach sich ein jeder richten, und wenn er aufgestanden, ohne Verzug anziehen muß, damit gleich nach 5 Uhr die Früh=Betstunde von dem Praeceptore […] angefangen werden könne. Nach deren Endigung müssen die Scholaren auf ihren Stuben bleiben, in der Stille etwas nützliches vornehmen, und sich zu ihren Lectionibus in der Schule anschicken. Um 3 Viertel auf 7 Uhr wird das Zeichen mit der Glocke abermahl gegeben, mit welchem sich ein jeder so fort von der Stube in seine Classe begeben muß, damit die Lectiones mit dem Schlage [7 Uhr] von dem Praeceptore angefangen werden können.14

Es folgen die Schulstunden von sieben bis acht und von acht bis neun Uhr. In der Stunde von neun bis zehn Uhr gibt es anfangs eine Pause: um 9 Uhr werden die Scholaren von denen Praeceptoribus aus ihren Classen herunter auf den Hof geführet, theils etwas frische Lufft zu schöpfen, theils den Leib zu erleichtern, damit sie nicht genöthiget werden, unter denen Lectionibus mit Ver12 Vgl. Udo Sträter: Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert. Tübingen 1987; Veronika Albrecht-Birkner: Reformation des Lebens. Die Reformen Herzog Ernsts des Frommen von Sachsen-Gotha und ihre Auswirkungen auf Frömmigkeit, Schule und Alltag im ländlichen Raum (1640–1675). Leipzig 2002. 13 Vgl. Veronika Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha. Kehrseiten eines Klischees (1692–1704). Tübingen 2004. 14 Johann Christoph Dreyhaupt: Pagvs Neletici Et Nvdzici. Oder Ausfuehrliche diplomatisch-historische Beschreibung des zum ehemaligen Primat und Ertz-Stifft, nunmehr aber durch den westphaelischen Friedens-Schluß secularisirten Hertzogthum Magdeburg gehoerigem Saal=Creyses […]. Bd. 2. Halle 21755 (Nachdruck 2002), 150 f.

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säumniß und Beunruhigung der andern heraus zu laufen. Nach einer halben Viertelstunde wird ein Zeichen gegeben, und sie von denen Praeceptoribus wieder in die Classen geführet […].15

Diese Pause einer »halben Viertelstunde« ist also in der Stundentafel ein Bestandteil der Unterrichtsstunde, die von neun bis zehn Uhr geht. Weiter geht es von zehn bis elf Uhr; dann werden alle auf ihre Stuben geführt, wo sie »in der Stille und unter Aufsicht der Praeceptorum das ihrige verrichten« sollen. »Um 12 Uhr wird das Zeichen zur Mittags=Mahlzeit gegeben«, danach ist es den Schülern erlaubt, »auf dem Hoffe in gehöriger Stille und Bescheidenheit auf= und abzuspatziren.« Die »Nachmittags=Lectiones« finden dann in den Stunden von zwei bis drei, von drei bis vier und von vier bis fünf Uhr statt. Ab fünf Uhr werden die Scholaren »von denen Praeceptoren zur nöthigen Leibes=Bewegung aufs Feld spatziren geführet«; dies aber nur an jeweils vier Wochentagen während des Sommers: »Mittwochs und Sonnabends aber, wie auch den gantzen Winter über, sind sie auf ihren Stuben, elaboriren ihre Exercitia und besorgen die übrige Beruffs=Arbeit; jedoch werden sie auch im Winter bey bequemen Wetter Nachmittags einige Stunden ausgeführet.«16 Um sieben Uhr gibt es Abendessen, um halb neun findet das Abendgebet statt. Solche rigorosen Zeitpläne und ihre Reglementierung durch den Glockenschlag waren damals nicht neu. Sie entstammten klösterlicher Provenienz und hatten längst Eingang in das elitäre Internat-Schulwesen gefunden. Gesamtgesellschaftlich aber trafen sie in der Frühen Neuzeit noch auf erhebliche pragmatisch motivierte Resistenz, und ihre weitergehende Etablierung markiert den epochalen Umschwung zur disziplinierten Arbeitsgesellschaft. Solche rigorosen Zeitpläne sind auch uns nicht unvertraut. In der Regel leben wir selbst nicht anders – nur, dass der Stunden- längst durch den noch rigoroseren Minuten-Takt ersetzt worden ist. Die Frage allerdings ist meist, ob das Ganze in unserer Zeit noch durch ein kohärentes und letztlich eschatologisches Konzept wie das der »Saatzeit« oder der »Ehre Gottes« umfasst und begründet wird. Analysen und Theorien zur zwangsläufigen »Beschleunigung« oder zur nötigen »Entschleunigung« unseres Lebens sind aktuelle Versuche, die fatalen Folgen fremdbestimmter Zeitökonomie in den Griff zu bekommen.17 Der hallische Pietismus stand am Anfang dieser Entwicklung, nicht in der Zeit der Analyse ihrer Folgen. Hinweise zum richtigen Umgang mit der Zeit hat Francke an vielen Stellen gegeben, vor allem in seinen Schriften zur christlichen Lebensführung und in seinen Studienanleitungen. Dabei lässt er erkennen, dass ihm der Gedanke eines natürlichen Lebensrhythmus nicht fremd ist, von dem man nur unter Kosten abweichen kann. Und dass man auch nicht alles gleichzeitig tun kann. In seiner Idea Studiosi Theologiae (1712) mahnt 15 Ebd., 150. 16 Ebd., 151. 17 Vgl. zu diesen Überlegungen Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt a.M. 2005.

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Francke den angehenden Studenten, nächst der Anrufung von Gottes Gnade und Segen seine Zeit zu ordnen: »So dann theilet er seine Zeit und Stunden fein ordentlich ein/ damit er nicht herumfladdere/ und bald diß/ bald das vornehme/ noch etwas zur unrechten Zeit thue […].«18 Hier treffen sich Zeitmanagement und pädagogisches Prinzip: Nötig ist die Konzentration auf jeweils eine Sache – so auch in der Schule. Dabei gilt einerseits der Grundsatz, dass die natürliche Ordnung der Zeit nicht gestört werden darf: Er machet ferner in seinem studiren nicht aus Tag Nacht/ noch aus Nacht Tag; sondern theilet seine Zeit klüglich so ein/ daß er der Morgen-Stunde recht geniesse zur Arbeit/ und doch der nächtlichen Ruhe des Leibes so viel Zeit gönne/ daß die Gesundheit dabey bestehen könne.19

Die Stunden recht einteilen bedeutet aber andererseits – wie bei den Schulen für die einzelnen Klassen kollektiv, so hier für die Studenten jeweils individuell –, sich nicht einer hektischen Betriebsamkeit hinzugeben, sondern das richtige Verhältnis zu wahren zwischen Wissenschaftsbetrieb und eigener Seelenpflege: Hingegen aber siehet er auch wol/ wenn er das gleichsam alles auf einmal lernen und observiren wolte/ was ihm einmal einigen Nutzen geben möchte/ er in keiner Sache zur rechten Vestigkeit gelangen/ und absonderlich das Reich GOttes/ welches doch immer das einige Haupt-Nothwendige bleibet/ in seiner Seele gäntzlich verhindern würde.20

Dieser Hinweis auf das »einige Haupt-Nothwendige« eröffnet eine eigene Perspektive. Lateinisch ist es das Unum Necessarium, über das Johann Amos Comenius 1668 eine Schrift publiziert hat,21 und das ebenso wie die Autobiographie der Anna Maria van Schurman Eukleria seu Melioris Partis Electio22 auf die Geschichte von Maria und Martha anspielt (Lk 10,38–42), die einen biblischen Schuss vor den Bug aller frommen Betriebsamkeit bedeutet. Martha bedient Jesus und seine Jünger, während Maria zu Jesu Füßen sitzt und ihm zuhört. Als sich Martha beschwert: »Herr, fragst du nicht darnach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, daß sie es auch angreife!« antwortet Jesus: »Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe; eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.« Der innerbiblische Verweis geht dann auf Mt 6,33: »Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.« 18 August Hermann Francke: Idea Studiosi Theologiae. In: ders., Werke in Auswahl (wie Anm. 10), 172–201, hier: 182. 19 Ebd., 184. 20 Ebd., 183. 21 Johann Amos Comenius: Unum necessarium, Scire quid sibi sit necessarium, in Vita & Morte, & post Mortem […]. Amsterdam 1668. 22 Anna Maria van Schurman: Eukleria seu Melioris Partis Electio. Tractatus Brevem vitae ejus Delineationem exhibens […]. Altona 1673.

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Fromme Nutzung der Zeit darf also nie in vordergründig innerweltlicher Betriebsamkeit aufgehen, sondern muss stets den Maria-Aspekt wahren. Für Francke, der seine rastlosen Aktivitäten in Glaucha immer als ein Folgen in den Fußstapfen Gottes bezeichnet hat, war es ein schwerer Angriff gegen sein Selbstverständnis, als sein lutherisch-orthodoxer Gegner Johann Friedrich Mayer in einer Schrift öffentlich erklärte, was da in Glaucha aufgeblüht sei, wäre eine kommerzielle Frucht der tätigen Martha, nicht aber der aus dem Waisenhaus verbannten kontemplativen Maria, auf die sich Francke berufe.23 Ganz bewusst distanzierte sich A.H. Francke von dem Image pausenloser Tätigkeit. Nur ein Beispiel: Im Rückblick auf das Jahr 1699, während das Waisenhaus im Bau ist, berichtet Francke von täglichem Geldmangel und dessen jeweils wunderbarer Behebung: »Umb Michaelis anno 1699. war ich in äusserstem Mangel/ und da ich bey gar schönem Wetter ausgegangen war/ und den klaren Himmel betrachtete/ ward mein Hertz sehr im Glauben gestärcket«.24 Während also gearbeitet wird, die Bauleute auf ihr Geld warten und angesichts der leeren Kasse der Offenbarungseid droht, geht Francke spazieren und betrachtet bei schönem Wetter den klaren Himmel. Gerade, wenn stilisiert, um Franckes Gottvertrauen auch angesichts der akuten Finanzprobleme zu demonstrieren, zeigt diese Passage sehr deutlich, dass sich Francke nicht als ein selbst rastlos Tätiger darstellen wollte. Und der Begriff »betrachten« verweist klar auf die Frömmigkeitspraxis der Meditation. Somit zeigt die »Betrachtung des klaren Himmels« einen Ansatz zu meditativ geprägter Physiko-Theologie. Wenn aber, wie Francke erklärt, genug kontemplative Maria in den Tagesablauf eingeplant ist, wie lässt sich dann die geschäftige Martha begründen? In dieser Frage kann sich Francke wieder auf Luther berufen, auf eine der Lieblingsstellen des Pietismus, nämlich auf Luthers Vorrede zum Römerbrief, wo

23 [Johann Friedrich Mayer]: Das Durch die geschäfftige Martham, und nicht/ wie fürgegeben wird/ Durch die Das beste Theil erwählende Mariam Seinen Unterhalt und Reichthum Suchende Waysen=Hauß In Halle. Greifswald [1709]. 24 August Hermann Francke: Die Fußstapffen Des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen GOTTES […]. Halle 1701, 34. Diese Ausgabe ist auszugsweise kritisch ediert in Francke, Werke in Auswahl (wie Anm. 10), 31–55, Zitat 43. Die weiteren Zitate aus den Fußstapffen 1701 folgen dieser Edition. – Weiter verbreitet und bis heute bekannter wurden die Fußstapffen von 1701 (allerdings in einer gegenüber 1701 revidierten Form) durch die um sechs Fortsetzungen und eine Nachricht […] zu künftiger VII. Fortsetzung erweiterte Ausgabe: Segens=volle Fußstapfen des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen GOttes/ Zur Beschämung des Unglaubens und Stärckung des Glaubens/ entdecket durch eine wahrhafte und umständliche Nachricht von dem Wäysen-Hause und übrigen Anstalten zu Glaucha vor Halle […]. Halle 31709. Es existieren mehrere unterschiedliche Drucke mit demselben Erscheinungsjahr, aber Varianten in Orthographie und Paginierung. Leicht zugänglich ist die (unkritische) Edition, nach der die Ausgabe von 1709 im Folgenden zitiert wird: Segensvolle Fußstapfen. Bearb. u. hg.v. Michael Welte. Gießen 1994, Zitat (in anderer Orthographie) 50. Zu den Ausgaben der Fußstapfen siehe Francke, Bibliographie (wie Anm. 5), Nr. F 16.1–3, Nr. F 27.1–2, Nr. F 32.1–3 u. Nr. F 33.1–8.

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Luther erklärt, dass der wahre, lebendige Glaube ohne Unterlass Gutes tut.25 Damit wird die provokative Fragestellung Mayers im Sinne Franckes wieder zurecht gerückt. Denn der Ausgangspunkt der pietistischen Gesellschaftskritik war die Frage, warum das alltägliche Leben der so genannten Christen so wenig christlich sei. Die Antwort im biblischen Gleichnis vom Baum und seinen Früchten hatte schon Philipp Jakob Spener gegeben: Zuerst braucht man gute Bäume, dann kann man gute Früchte erwarten.26 Den Gedanken vom Pflanzen und Aufziehen guter Bäume übernahm Francke 1701 in sein Project von einem Seminario Universali27 – »Seminarium« heißt »Pflanzgarten«. Luther hatte in der Freiheitsschrift erklärt, gute Werke und Gottesdienst seien das, was man aus Dankbarkeit gegenüber Gott für seinen Nächsten tue und was einem in seinem Beruf aufgetragen werde.28 Francke fasst das in den seiner Zeit gemäßen Begriff des »Nutzens«. Dieser Begriff des Nutzens, der bei Luther nur marginal auftaucht, wird bei Francke dominant. In den Fußstapfen (1701) hat er ein ganzes Kapitel unter die Überschrift gestellt: Von Dem Nutzen der gemachten Anstalten. Seine Einrichtungen bezeichnet er »als für ein dem Lande höchst nützliches institutum«, und an zentraler Stelle heißt es: Gleichwie auch die gantze Universität hieselbst zu einem realen Nutzen des gantzen Landes in Kirchen und gemeinem Wesens angeleget ist; Also wird dann solcher Nutzen durch die zu Verpflegung der Armen und Erziehung der Jugend gemachte Verfassung nothwendig in so weit befördert/ als der Universität ein Zuwachs durch dieselbe geschiehet.29

Dieser Gedanke des Nutzens verbindet sich bei Francke mit der Forderung nach Nutzung der Zeit. Die Zeit soll genutzt, soll zum Nutzen angewendet werden. Ist das noch die Maxime »was ihr thut/ so thut es alles zu GOttes Ehre«, wenn Francke davon spricht, dass alles »zu einem realen Nutzen des gantzen Landes in Kirchen und gemeinem Wesens angeleget ist«? Franckes nützliche Anstalten wurden ein zeitökonomisch durchstrukturierter Betrieb. Seit 1714 sind Franckes »Tagebücher« überliefert: Diarien oder Geschäftsjournale, die festhalten, wie Franckes persönlicher Tagesablauf sich 25 Vgl. Martin Luther: Vorrede auf die Epistel S. Pauli an die Römer, 1522 (WA Bibel 7, 2–27, hier: 11). 26 Diesen Gedanken in Ausführung von Mt 12,33 hat Spener oft in seinen Briefen geäußert; vgl. etwa seinen Brief an Gottlieb Spizel vom 10. Dezember 1669. Philipp Jakob Spener: Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1686. Bd. 1: 1666–1674. Hg. v. Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Udo Sträter u. Markus Matthias. Tübingen 1992, Brief Nr. 47, 181, Z. 51–53, aber auch in seiner programmatischen Vorrede vom 17. Dezember 1667 zu Andreas Cramer: Der gläubigen Kinder Gottes Ehrenstand und Pflicht. Dresden 1688: »Sondern […] muß doch das Evangelium durch den Glauben zuerst den guten Baum setzen/ ehe er gute Früchte bringe/ Matth. 12/33«, unpaginiert, Bl. B11r. 27 Francke, Werke in Auswahl (wie Anm. 10), 108–115. 28 Martin Luther: Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520 (WA 7 [12] 20–38, 888 f). 29 Francke, Werke in Auswahl (wie Anm. 10), 52–55, Zitate 52 u. 54. – Segensvolle Fußstapfen (wie Anm. 24), 95 u. 100.

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gestaltet hat – welche Briefe er bekommen und geschrieben, welche Besucher er empfangen, welche Vorlesungen er gehalten und an welchen Sitzungen er teilgenommen hat.30 Organisation und Delegation wurden zentrale Kategorien. Das innovative Mitschreibe-System von Franckes Predigten und Vorlesungen31 gehört ebenso dazu wie die Einrichtung der Halleschen Correspondenz, die eine Rationalisierung des Informationswesens – oder in der Terminologie der »Neuen Steuerung«: der »Berichterstattung« – ermöglichte.32 Ein wesentliches Element war auch die Einrichtung der »Verwaltungskonferenz«, die anfangs täglich stattfand. In den Fußstapfen berichtete Francke: Und zwar habe ich jetzt gemeldte Conferentz des Abends nach der Mahlzeit von 8. bis 9. Uhr angesetzet (wiewol sie nach erforderten Umbständen auch länger währet) so wohl/ dieweil ein jeglicher des Tages über seine Hände voll zu thun findet/ als auch/ damit ich auff diese Weyse die mir anbefohlne Aemter den Tag über unverhindert verrichten kann/ und durch das Expediens der abendlichen Conferenz von dem sonst allzugrossen Uberlauff der Mit-Arbeiter befreyet bleibe.33

Francke begründet also die Einrichtung der Konferenz nicht zuletzt zeitökonomisch. Einerseits will er alle für die einzelnen Teilbereiche der Anstalten verantwortlichen Mitarbeiter zu einer festgesetzten Zeit um sich versammeln, damit nicht jeder einzeln mit seinen Anliegen zu ihm kommt, er also »von dem sonst allzugrossen Uberlauff der Mit-Arbeiter befreyet bleibe.« Andererseits wählt er die Abendstunde von 20 bis 21 Uhr, damit der Tag für die eigentliche Arbeit frei bleibt. Dennoch zog sich Francke selbst nach einigen Jahren (seit 1705) aus der Konferenz zurück. Damit veränderte sich der Termin der Konferenz auf die Zeiten dienstags und donnerstags früh von acht bis neun Uhr. Zur Information Franckes und für Angelegenheiten, die nur der Chef selbst entscheiden konnte, wurde ein spezielles Verfahren entwickelt: Nach den Konferenzstunden sollte das Protokollbuch Francke ins Haus überbracht werden, damit er zu einer ihm genehmen Zeit, aber auf jeden Fall vor der nächsten Sitzung, die Punkte durchgehen und offene Fragen durch eine Anweisung am Blattrand entscheiden könnte. Bei einer Beschreibung dieser zeitökonomischen Maßnahmen darf aller30 Vgl. Veronika Albrecht-Birkner: Einleitung. In: August Hermann Francke: Tagebuch 1714. Hg. v. ders. u. Udo Sträter in Zusammenarbeit mit Carola Wessel † u. Viktoria Franke. Wiesbaden 2014, XI–XXIX. 31 Dieses System beschreibt Erhard Peschke in der Einleitung zu August Hermann Francke: Predigten. Bd. 1. Hg. v. Erhard Peschke. Berlin u. New York 1987, XI f. 32 August Hermann Francke: Die IV. Fortsetzung Der Wahrhaften und umständlichen Nachricht Vom Wäysen=Hause und übrigen Anstalten zu Glaucha vor Halle Bis zu Ende des Septembris An. 1707 […]. Halle 1709, zit. nach: Segensvolle Fußstapfen (wie Anm. 24), 268–273. 33 Francke, Werke in Auswahl (wie Anm. 10), 50. – In abweichender Orthographie: Segensvolle Fußstapfen (wie Anm. 24), 93.

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dings nicht unerwähnt bleiben, dass das System nicht immer reibungslos funktionierte, weil der Herr Professor aus Zeitmangel bisweilen durchaus in einen Entscheidungs-Rückstand geriet und damit die Zügigkeit der Verwaltungsabläufe blockierte. Wir lesen im Protokollbuch der Verwaltungskonferenz Einträge wie den vom 8. Februar 1707: »es wird gebeten, der H. Prof. wolle seine resolution geben über numerum 3, , 8, de 25ten Jan. u. über den numerum 1. 2. 6. 8. 9. 10. 11. vom 1ten Februario.«34 Neben solchen Interna weisen die Protokollbücher der Verwaltungskonferenz aus, welch eine große Rolle der rationelle Umgang mit der Zeit spielte. Das galt schon für die jeweilige Tagesordnung, wie beispielsweise das Protokoll der Konferenz vom 4. Januar 1707 zeigt: »Wenn zu einer Zeit vieles zu proponiren vorfält, so nicht müglich in einer Stunde abzuthun, vergleicht man sich nach Verlesung d[er] Puncte, die ganz kurz geschehen soll, wegen des nöthigsten. […] Bey Abhandlung einer materie muß man ümb Gewinnung der Zeit alles dahin nicht gehörende an Seite sezen.«35 Aber auch bei den inhaltlichen Fragen, die in der Konferenz diskutiert wurden, ging es immer wieder um die Gewinnung und bessere Nutzung von Zeit. So heißt es etwa am 4. Juni 1706: »H. Fabricius proponiret, ob es nicht müglich, daß das Herumführen der Fremden, so ins Waysen=Haus kommen, es zu besehen, auff gewiße Stunden könte restringiret werden, weil es ihm so viel Zeit wegnehme.«36 Sehr eindrücklich zeigen umfangreiche Einträge von Franckes Verwaltungsleiter und Baumeister Georg Heinrich Neubauer vom 20. und 22. Dezember 1707 dessen Bemühen, eine Optimierung des Zeitmanagements durch weitere Formen der Delegierung von Aufgaben zu schaffen. »Ich Georg Heinrich Neubauer«, so notierte er, »proponire, daß ich mit meiner Arbeit ins Stocken gerathe darüber, daß ich keinen Menschen zur Hand habe.«37 Es folgen Beispiele Neubauers für zeitraubende Aktivitäten – jeweils für sich einleuchtend, letztlich aber in einer überraschenden eschatologischen Passage kulminierend: nämlich, dass meinem Gemüth vorkommen, daß es wol ein Tück des Feindes sey, der mich mit so mancherley Flickgeschäfften nur aufzuhalten suche von anderen Dingen, die etwa einen beßern Nutzen geben; oder gar mich mürbe machen wolle, und darzu meine Blödigkeit und Gutwilligkeit, auch das geringste Geschäffte gern zu thun, mißbrauche.38

Der Feind – das ist der Teufel. Und damit ist auch in die so nüchterne sachliche Argumentation Neubauers eine eschatologische Dimension eingezogen. »Zeit« 34 Conferenz-Buch, Bd. 1: 8. 6. 1701–12. 7. 1709. Archiv der Franckeschen Stiftungen Halle (im Folgenden: AFSt)/W 5/-/13, Bd. 1), 239 f. Die folgenden Seitenangaben im Text in Klammern beziehen sich auf diese Akte. 35 Conferenz-Buch, Bd. 1 (wie Anm. 34), 225 f. 36 Ebd., 209. 37 Ebd., 275. 38 Ebd., 277.

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im Pietismus ist eben nicht nur gottgeschenkte Zeit, sondern die Zeit, in der Gott selbst wirkt, Zeit des anbrechenden Reiches Gottes. Die gegen Luthers Erwartung des nahen Jüngsten Tages und damit des baldigen Weltendes, die in der Lutherischen Orthodoxie aufrecht gehalten wurde, gerichtete »Hoffnung besserer Zeiten« hat Philipp Jakob Spener begründet. Luther hatte formuliert: »Denn das ist gewis, Das wir ynn der heiligen schrifft nichts mehr zeitlichs dings zu gewarten haben, Es ist alles aus und erfullet«.39 Spener setzte dagegen: »Sehen wir die heilige Schrifft an/ so haben wir nicht zu zweifflen/ daß GOTT noch einigen bessern zustand seiner Kirchen hier auff Erden versprochen habe.«40 Diese »Hoffnung besserer Zeiten« eröffnete eine innergeschichtliche Perspektive für die Besserung und Ausbreitung der Kirche: Der Jüngste Tag steht noch nicht unmittelbar bevor, sondern es gibt bislang unerfüllte biblische Prophezeiungen, deren künftige Erfüllung nicht zu bezweifeln ist, womit das Ende dieser Welt nicht in naher Zukunft zu erwarten sein kann. Dennoch eröffnete die Hoffnung besserer Zeiten keine generell offene Zukunft, sondern ein aktuelles Zeitfenster, einen kairos, den es zu nutzen gilt. Spener hatte in den Pia Desideria formuliert: »In dem wir aber solche erfüllung hoffen/ so wil nicht gnug seyn/ derselben bloß dahin zu warten/ und mit jenen/ die Salomo narren heisset/ über dem wünschen zu sterben/ sondern es liget uns allen ob/ daß wir so viel […] gethan werden mag/ zu werck zu richten nicht säumig seyen.«41 Francke widmete in dem ersten Teil seines seit 1704 nur handschriftlich und intern verbreiteten, später so genannten Großen Aufsatzes an aktive und potentielle Freunde und Förderer seiner Anstalten ein eigenes Kapitel dem Thema »Wahrnehmung der bequemen Zeit, etwas gutes auszurichten«.42 Ihn treibe um, so Francke, daß bey der so großen Gelegenheit gutes zuthun, und denen dabey befindlichen Hindernißen immer ein Jahr nach dem andern vorbey läufft, und also dasjenige, was das aller köstlichste in diesem Leben ist, nemlich die Zeit in welcher gutes geschehen kan, verloren wird, welche man doch unmöglich wieder gewinnen kan, wenn sie einmal vorbey ist.43

Francke warnte vor der Verschwendung von Zeit mit zwei unterschiedlichen Argumentationen: zum einen mit dem zu erwartenden »Verlust vieler tausend Seelen«, wenn Menschen »in ihrer Seelen=Noth täglich dahin sterben«, bevor 39 Martin Luther: Widmungsbrief zu seiner Danielübersetzung an den sächsischen Kurprinzen Herzog Johann Friedrich vom Frühjahr 1530 (zit. nach WA Bibel 11, 2 [376] 380–387, hier: 380). 40 Philipp Jacob Spener: Pia Desideria. Hg. v. Kurt Aland. Berlin ³1964, 43, 31–33. 41 Ebd., 45, 20–26. 42 August Hermann Francke: Schrift über eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts. Der Große Aufsatz. Mit einer quellenkundlichen Einführung hg. v. Otto Podczeck. Berlin 1962, 52 f. 43 Ebd., 52.

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etwas zu ihrem Heil getan wird; andererseits aber mit dem Hinweis auf Joh 9,4: »Und Christus spricht: Ich muß würcken die Wercke deß, der mich gesandt hat, so lange es Tag ist, es kommt die Nacht, da niemand würcken kan.«44 Mit diesem Zitat baute Francke den Druck auf, die eigene Gegenwart als kairos, als »Gnadenzeit« zu erkennen, die, wenn sie nicht genutzt wird, auch vorübergehen kann: So ist itzt auch ein Tag des Heyls, und eine sonderbare Gnaden=Zeit, darinnen viel gutes gewürcket werden kan. Laßen wir die vorbey gehen, so kan eine Nacht drauff folgen, das ist, eine solche Zeit, darinnen niemand würcken kan, und weder die Gelegenheit noch der Segen sich findet, so itzt von Gott angeboten wird, noch die Leute da sind, die etwas gutes zu würcken Lust haben, wenn man sichs gleich sonst alles wolte kosten laßen.45

Wenige Jahre später, 1709/10, scheint Francke eine solche Nacht, in der niemand (für das Reich Gottes) wirken kann, sehr real vor Augen gehabt zu haben. Die sechste (und letzte) Fortsetzung der Fußstapfen über das Jahr 1708 endete mit den Worten »Geschlossen den 2. Januarii 1709. da mit dem neuen Jahre schon neuer Segen zugeflossen«.46 Eine weitere Fortsetzung erschien nicht, sondern nur eine »Nachricht/ In welcher Verfassung [die Glauchaschen Anstalten] Sich ietziger Zeit im Julio 1709. befinden, zu künftiger Fortsetzung vorläuftig ertheilet«.47 Diese offenbar in Eile herausgegebene Nachricht kulminiert in einem langen Dankgebet an Gott, der auch unerachtet mancher unglimpflichen Beurtheilungen, vieler falschen Anschuldigungen, grossen Neids und Bosheit der Menschen und anderer theils heimlicher, theils in ihren Ausbrüchen offenbarer Anläuffen des Fürsten der Finsterniß, das Werck [zu Halle!] öffentlich vor aller Augen gesegnet und gefördert, und die Hertzen der Hohen und Niederen dazu immer mehr geneiget, die Frucht aber desselben immer grösser, reicher und herrlicher hervor brechen lassen,

und endet mit der Bitte, Derselbe Majestätische und lebendige GOtt verleihe ferner mir und allen, die von Hertzen erkennen, daß sie ein unnützer Staub und eine arme Asche sind, aber seine Ehre lieb haben, daß sie sich an das Urtheil der Welt, sie mögen von ihr gelobet oder gescholten werden, im geringsten nicht kehren, sondern getrost, freudig und unerschrocken, (in reiner Absicht und mit Lauterkeit) würcken die Wercke GOTTES, so lange es Tag ist, ehe denn die Nacht kömmet, da niemand würcken kan. (Joh. 9,4). Amen! Amen!48 44 45 46 47 48

Ebd. Ebd., 52. Segensvolle Fußstapfen (wie Anm. 24), 427. Ebd., [447]. Ebd., 462.

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Das sind ähnliche Formulierungen wie 1704, aber sie sind von einer anderen Emphase getragen: Sie reagieren auf die Empfindung einer wirklichen politischen Gefahr für die Fortsetzung des »Werks zu Halle«, die zunächst aus den gerade in dieser Zeit zunehmenden literarischen Angriffen gegen Franckes Unternehmungen resultierte. Der weitere Verlauf des Jahres 1709 führte aber dann auch noch zu einem tiefen Zerwürfnis zwischen Francke und König Friedrich I.49 Es ist kein Zufall, dass Franckes Vertrauensmann am Berliner Hof, der Baron Carl Hildebrand von Canstein, gerade in dieser Situation 1710 seinen Vorschlag zur Produktion preisgünstiger Bibeln publizierte. Dieser bekannte Ohnmaßgebliche Vorschlag, auf den die Gründung der Cansteinschen Bibelanstalt zurückgeht, wurde nicht in Halle, sondern in Berlin gedruckt.50 Er enthält keinerlei Hinweis darauf, dass Francke an diesem Projekt beteiligt oder Halle dessen Standort sein sollte, sondern enthält vielmehr eine überraschend deutliche Distanzierung gegenüber allen Anstalten zur Erziehung der Jugend oder zur Verpflegung der Armen. In einer Radikalität, die dem Verständnis des Pietismus als einer innerkirchlichen – und damit gesellschaftlichen – Reformbewegung eine geradezu sarkastische Absage erteilt, riss Canstein die bei Francke verschwommenen Grenzen zwischen Reich Gottes und »Welt« auf und erklärte, dass die sozialen Probleme der Zeit Probleme der »Welt« seien, die diese – in eigenem Interesse – auch selbst lösen müsse: »Seynd es also ihre Todten [die Toten der ›Welt‹]/ so lasset die Todten ihre Todten begraben/ gehe du aber hin/ und verkündige das Reich GOttes [Luc. 9,60].«51 Das heißt: Die »Welt« – also die nicht von »wahren Christen« geprägte Gesellschaft – ist für die Zunahme sozialer Missstände und Not verantwortlich; also soll sie selbst sich um deren Behebung kümmern – ja sie wird es aus innerer Notwendigkeit heraus auch ohne christliche Überzeugung tun müssen, um nicht unterzugehen. Canstein wird in seinem Appell an die Frommen im Lande, die er als Spender für das Bibelprojekt gewinnen will, noch konkreter und greift hierbei sogar die gegen Francke verwendete Maria-Martha-Polemik der lutherischen Orthodoxie – aber wahrscheinlich auch anderer frommer Kreise, die sich mit Franckes Kurs einer allgemeinen christlichen Gesellschaftsreform nicht anfreunden konnten – auf: Vielen unter uns wäre zu wünschen/ daß ihren Gemüthern stets gegenwärtig wäre die Beschaffenheit des Reiches Christi/ daß es nicht komme mit äusserlichen Geberden/ 49 Vgl. hierzu Veronika Albrecht-Birkner: Franckes Krisen. In: Die Welt verändern. August Hermann Francke – Ein Lebenswerk um 1700. Katalog zur Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen vom 24. März bis 21. Juli 2013. Hg. v. Holger Zaunstöck, Thomas Müller-Bahlke u. Claus Veltmann. Halle 2013, 81–99. 50 Carl Hildebrand von Canstein: Ohnmaßgeblicher Vorschlag/ Wie GOTTES Wort denen Armen zur Erbauung um einen geringen Preiß in die Hände zu bringen. Berlin 1710 (Nachdruck Halle 1995 m. e. Nachbemerkung v. Paul Raabe). 51 Ebd., 8.

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so würde man mehr das einige nothwendige in Beförderung seines Reichs beobachten/ und das gute Theil erwehlen/ als sich viel Sorge und Mühe machen/ in mancherley Geschäfften/ die zwar ihren Werth auch haben/ aber doch nicht an sich so edel/ und von solcher stattlichen Würckung/ als wenn der Mensch zu JESU Füssen sich setzet/ und höret seiner Rede zu.52

Damit gewinnt die Forderung der Zeitökonomie angesichts konkreter politischer Gefährdungen für Canstein eine klare Handlungsperspektive, die er wiederum mit Joh 9,4 einleitet: So lasset uns doch würcken so lang es Tag ist/ es kömmt die Nacht/ da niemand würcken kan. Und dannenhero so viel mehr befleißiget seyn/ das Wort CHristi […] auch andern mitzutheilen/ wordurch sie und wir alle ihn [= den Fürsten der Finsternis] überwinden sollen. Bey vielen unter uns seynd die Gedancken am würcksamsten/ die Pflichten der Liebe und Barmhertzigkeit an den Nothleidenden zu üben. Die Verheissung bleibt auch wahr. Wohl dem/ der sich des Dürfftigen annimmt. […] Allein solches ist nicht das vornehmste unsers Beruffs. Die Welt/ welche insonderheit jetzo bemühet/ die Zahl der Dürfftigen zu vermehren/ hat so viel mehr recht/ sich ihrer anzunehmen/ wird es auch zum Theil durch eigene Noth getrieben/ thun müssen. Seynd es also ihre Todten/ so lasset die Todten ihre Todten begraben/ gehe du aber hin/ und verkündige das Reich GOttes.53

Im Grunde wechselt Canstein den Fokus von der innerweltlichen Sozialtätigkeit (zurück) auf die Rettung des Seelenheils möglichst vieler innerhalb einer (begrenzten) noch zur Verfügung stehenden Zeit, in der man handeln kann. Die Zukunft erscheint nur noch begrenzt offen. Was im Unterschied zum Endzeit-Pessimismus von Lk 18,8 – eine der Kernstellen gegen den Chiliasmus – an »Hoffnung besserer Zeiten« erhalten bleibt, ist die Zuversicht, dass bei Konzentration der Kräfte auf das unum necessarium und bei intensiver Ausnutzung der verbleibenden Zeit doch noch sehr viel zum »Wachstum des Reiches Gottes« erreicht werden kann. Die große Krise zwischen dem hallischen Pietismus und dem Herrscher in Berlin ging vorüber, und spätestens mit dem nicht völlig spannungsfreien, letztlich aber sehr kooperativen Verhältnis zwischen Francke und König Friedrich Wilhelm I. entstand das »Preußentum und Pietismus«-Modell.54 Zumindest aber war in Halle deutlich geworden, dass im großen Stil der Gesellschaftsveränderung ein zeitökonomischer kairos ganz wesentlich auch von politischen Konstellationen abhing. 52 Ebd., 7 f. 53 Ebd., 8. 54 Vgl. Carl Hinrichs: Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiös-soziale Reformbewegung. Göttingen 1971; Gott zur Ehr und zu des Landes Besten. Die Franckeschen Stiftungen und Preußen. Aspekte einer alten Allianz. Hg. v. Thomas MüllerBahlke. Halle 2001; Benjamin Marschke: Pietism and Politics in Prussia and Beyond. In: A Companion to German Pietism (1660–1800). Hg. v. Douglas H. Shantz. Leiden 2015, 472–526.

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Im Januar 1713, nach der großen Krise, aber noch vor dem Tod Friedrichs I. und dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., hielt Francke seine Neujahrspredigt unter dem Titel »Der rechte Gebrauch der Zeit/ So fern dieselbe gut/ und so fern sie böse ist«.55 Textgrundlage waren zwei konträre PaulusZitate, die Francke einander gegenüberstellte wie weiland Luther die Reden über Freiheit und Knechtschaft eines Christenmenschen: »Sehet ietzt ist die angenehme Zeit/ ietzt ist der Tag des Heyls!« (2Kor 6,2) und »Schicket euch in die Zeit/ denn es ist böse Zeit« (Eph 5,16). Für Francke war es natürlich noch keine literarkritische Frage, ob beide Texte originär von Paulus stammten. Er nahm es so an und nutzte die Diskrepanz beider Texte zu einer Exhortation. Für den Umgang mit Zeit ist schon sein Exordium beachtlich, in dem er die elementaren Lebensvollzüge jedes Tages zu dem stilisiert, was ihm in der Tradition von Joseph Hall oder in dessen Aufnahme durch Christian Scriver als »Occasional Meditations« oder »Gelegenheitsmeditationen« vertraut war: die Transzendierung täglicher Verrichtung in den Bereich »gottseliger Gedanken«.56 Jegliche Zeit sollte bewußt als eine Zeit vor und mit Gott erlebt werden. Im Hauptteil der Predigt explizierte Francke das Spiel um »gute Zeiten – schlechte Zeiten«. Gut waren die Zeiten in der Ära des Paulus, weil Gott seine Gnade allen Menschen offen anbot; schlecht oder böse waren sie insofern, als eine Fülle von Menschen dieses Gnadenangebot ignorierte: Wie nemlich die Zeit gut war von GOttes Seiten/ so war eben dieselbe Zeit böse von Seiten der Menschen; nicht aller/ sondern derer/ die den Tag des Heyls verachteten/ und nicht erkanten die Zeit/ darin sie von GOTT in Gnaden heimgesuchet wurden. Denn wenn die Menschen gut sind/ so ist auch die Zeit gut; hingegen wenn die Menschen böse sind/ so ist auch die Zeit böse. Bessere Leute/ bessere Zeiten; schlimmere Leute/ schlimmere Zeiten. Böse Menschen haben ja eigentlich nimmer eine gute Zeit.57

Was aber besagt das für den Jahresbeginn 1713? Francke hat keine Hemmungen, seine eigene Gegenwart mit den Zeiten des Paulus unmittelbar in Parallele zu setzen. Gottes umfassendes Gnadenangebot ist – nicht immer noch, sondern erneut – präsent. Wo es präsent ist, umschreibt Francke so: Es ist die gegenwärtige Zeit gut/ lieblich und angenehm/ und ein rechter Tag des Heyls/ wenn wir erwegen/ welcher Gestalt GOTT nun von mehrern Jahren her das Wort von Busse und Glauben hat verkündigen und auf dem Erd=Boden weit und breit 55 August Hermann Francke: Der rechte Gebrauch der Zeit/ So fern dieselbe gut/ und so fern sie böse ist/ aus 2. Cor. 6/2 und Eph. 5/16 vorgestellet/ Und Auf die Beschaffenheit der jetzigen Zeiten appliciret/ Den 4. Jan. als zum Anfang des 1713ten Jahrs/ Im Waysenhause zu Glaucha vor Halle […]. Halle 1713 (31724; Francke, Bibliographie [wie Anm. 5], Nr. E 239). Die folgenden Seitenangaben im Text in Klammern beziehen sich auf den Abdruck in: ders.: Der rechte Gebrauch der Zeit […]. Hg. v. Carmela Keller. Halle 2008. 56 Vgl. Sträter, Sonthom (wie Anm. 12), v. a. 96–101. 57 Francke, Zeit (wie Anm. 55), 12.

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erschallen lassen/ daß es durch Reiche und Königreiche/ durch viele Länder/ ja durch Städte und Dörfer/ hindurch gedrungen. Es ist allenthalben die Lehre von dem wahren thätigen Christenthum bekant worden. […] Wer weiß nicht/ daß man auf eine gründliche Veränderung des Hertzens und des Sinnes dringe/ und daß kurtzum die neue Geburt und ein neues Leben erfordert werde/ so wir uns anders in der Wahrheit Christen nennen wollen? Diß ist bekant genug. Wer ist/ der sich mit der Unwissenheit entschuldigen könne? Wer mag sagen/ daß er den Schall dieser Posaune nicht gehöret habe?58

»Von mehrern Jahren her« – das ist nicht ein Rekurs auf die Reformation, die damals knapp 200 Jahre her war, sondern hiermit ist offenbar eine rezentere Bewegung angesprochen, an der Francke sich nicht unbeteiligt weiß. Und diese Bewegung hat Erfolg. In Franckes Worten: So hat auch GOtt das Wort von Busse und Glauben nicht vergeblich in unsern Tagen verkündigen lassen. Nein/ Nein. Er hat es kräfftiglich gesegnet/ und dürffen wir mit aller Freudigkeit sagen/ GOtt habe in unsern Tagen viele tausend Menschen in der Welt erleuchtet und bekehret […]. So groß ist die Bewegung auf dem Erdboden/ daß wir gewiß seyn können/ es vergehe kein Tag/ da nicht GOtt in manchen Seelen sich kräfftig beweise/ sie aus ihrem Verderben herum hole/ und sie mit dem Lichte des Lebens erleuchte.59

Wie aber kommt man in der Exhortation der Predigt nun vom Sein zum Sollen? Francke greift auf seinen Predigttext Eph 5,16 zurück und zugleich auf seine Kritik an Luthers Bibelübersetzung, wie er sie zuletzt in den Observationes Biblicae der 1690er Jahre zelebriert hatte.60 »Schicket euch in die Zeit«, hatte Luther übersetzt. Aber das griechische Original an dieser Stelle lautet »ἐξαγοραζόμενοι τὸν καιρόν«, und »ἐξαγοράζειν« ist ein ökonomischer Begriff und heißt: »aufkaufen« oder »auskaufen«. »Darum saget er nicht«, so erläutert Francke die Emphase, die Paulus in diese Ermahnung legt, sie sollen die Zeit u. Gelegenheit wohl in acht nehmen/ sondern sie sollen sie erkauffen/ sie ansehen als rem pretiosissimam, oder als eine Sache von grossem Werth […]/ wie es ein Kaufmann machen möchte/ so er eine Waare auf dem Marckt anträfe/ von welcher er grossen Gewinn hoffete/ die ihm aber alle Augenblick leichtlich könnte 58 Ebd., 18 f. 59 Ebd., 19 f. 60 August Hermann Francke: Observationes biblicae oder Anmerckungen ueber einige Oerter H. Schrifft/ Darinnen die Teutsche Ubersetzung des Sel. Lutheri gegen den Original-Text gehalten und bescheidentlich gezeiget wird/ Wo man dem eigentlichen Wort=Verstande naeher kommen koenne/ Solches auch Zur Erbauung in der Christl. Lehre angewendet/ und im Gebet appliciret wird/ […] Halle, Januar bis April [September] 1695 (Francke, Bibliographie [wie Anm. 5], Nr. C 13). Ediert in August Hermann Francke: Schriften zur Biblischen Hermeneutik. Hg. v. Erhard Peschke †, zum Druck befördert v. Udo Sträter u. Christian Soboth. Berlin u. New York 2003, 361–640.

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weggekauffet werden/ und die er hernach vielleicht sein Lebelang nicht wiederbekommen dürffte. Denn gleichwie da der Kauffmann keine Stunde versäumen würde/ solche Waare/ so es ihm möglich wäre/ gantz weg oder auszukauffen/ und nichts dahinten zu lassen: Also will er/ sie sollen/ so viel an ihnen ist/ eines jeden Tages/ einer jeden Stunde/ ja eines jeden Augenblicks/ wahrnehmen/ daß sie immer etwas gutes aus der Zeit als aus einem schnell vorbey lauffenden Strom heraus reissen/ so ihnen mit in die Ewigkeit folge […]. Nehmen wir nun der Zeit nicht wohl wahr/ und achtens nicht/ daß ietzt eine Stunde/ und denn wieder eine unnütz verlaufft/ so leiden wir immer Schaden/ und zwar solchen/ den wir nicht wieder ersetzen können. Darum erfordert eben Paulus Verstand und Weisheit dazu/ daß man die Zeit gleichsam auskauffen solle.61

Im Duktus ökonomischer Terminologie heißt es weiter: GOTT hat ietzt gleichsam einen schönen Jahr=Marckt aufgerichtet/ und ruffet dazu: Kommet her und kauffet ohne Geld und umsonst (Jes. 55/1.) Wer nur klug ist/ und den Markt nicht versäumet/ der kan zu dieser Zeit gnug/ ja viel mehr gutes kriegen/ als er sein Lebenlang hätte gedencken oder hoffen mögen.62

Über allem aber steht auch in dieser Predigt aus dem Jahre 1713 das auf Zeit drängende Diktum aus Joh 9,4, jetzt aber positiv in die Gegenwart gewendet: »Weil es die angenehme Zeit und der Tag des Heyls ist: daß wir gutes wircken/ solange es Tag ist/ ehe die Nacht kommt/ da niemand wircken kann (Joh. 9/ 4.)«.63 Damit ist das eschatologische Fenster wieder eröffnet und die innerweltliche Handlungsoption aufgetan. Aber welches eschatologische Fenster? Francke predigt: »Es ist ja anders nicht/ als ob GOtt den himmel zerrissen habe/ und herabgefahren sey/ und lasse nun zu dieser letzten Zeit den Menschen Gnade und Barmhertzigkeit anbieten«.64 »Zu dieser letzten Zeit« – das hätte Abraham Calov sicher nicht anders formulieren wollen, und Grimmelshausen hatte seinen 1669 erschienenen Simplicissimus-Roman mit den Worten begonnen: »Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubt/ daß es die letzte seye)«.65 Was hat die Zeitökonomie aus der Hoffnung besserer Zeiten gemacht? Wo waren die Zeiten, in denen der hallische Pietismus chiliastischer Lehren beschuldigt werden konnte? War die Hoffnung besserer Zeiten aufgegangen in der Hoffnung auf die Leistungskraft eines neuen, zeitökonomisch motivierten Typs preußischer Beamter? Gotthilf August Francke berichtet über seine Gespräche mit König Friedrich Wilhelm von Preußen: 61 62 63 64 65

Francke, Zeit (wie Anm. 55), 16 f. Ebd., 20. Ebd., 17. Ebd., 20. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch und Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi. Hg. v. Rolf Tarot. Tübingen 1967, 9.

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Rex fragte weiter: Was ich vom tausendjährigen Reich hielte? Ego: Ich hoffte zwar, daß Gott noch einen besseren Zustand in seiner Kirche geben würde, specialia aber zu determinieren getraute mich nicht; und hätte man mit den praesentibus (Den gegenwärtigen Dingen) so viel zu tun, daß man nicht Ursach hätte, zu sehr auf die futura (Die zukünftigen Dinge) zu eilen.66

66 Wusterhausener Aufzeichnungen (wie Anm. 2), 122.

Daniel Fulda

Heilsökonomien Pietismus und Komödie in Konvergenz und Konflikt

Der Beitrag expliziert zunächst die verschiedenen Ökonomiebegriffe, die im späten 17. sowie frühen 18. Jahrhundert im Schwange waren (1.), und stellt dann die Komödie als Inszenierung von Ökonomie im mehrfachen Sinne vor und zwar besonders als inszenierte Heilsökonomie (2.). Diesen ›Umweg‹ über eine literarische Gattung wähle ich, weil die Beschreibung der Komödie als Aushandlungsort für die (wechselnde) Geltung verschiedener Ökonomiekonzepte zugleich etwas für den Pietismus Relevantes in den Blick zu rücken vermag. Denn für den Pietismus wie für die Komödie spielt der Zusammenhang der verschiedenen Bedeutungen des Ökonomiebegriffs – von der ›Ordnung des Hauses‹ über bestimmte Erwartungen an die göttliche Providenz bis zur gewinnorientierten Geldwirtschaft – eine besondere Rolle. Deswegen ist im Titel von einer Konvergenz von Pietismus und Komödie die Rede, doch geht es ebenso um die Gründe für den zweifellos bekannteren Konflikt zwischen beidem (3.). Abschließend wendet sich der Beitrag einer Komödie zu, die darauf reflektiert, wie viel Flankenschutz die moderne, gewinnorientierte Ökonomie von der Religion erhielt (4.).

1. Die Vielfalt der Ökonomiebegriffe am Vorabend der Moderne Nulla enim Professio amplior quam Oeconomia, quae Fundamentum et origo est omnium statuum.1

Von Begriffen verlangen wir meist Eindeutigkeit. Sie sollen klarstellen, wovon die Rede ist. In der Wissenschaft markieren sie Zonen des unter Fachleuten Selbstverständlichen, das nicht jedes Mal neu expliziert werden muss. Gewiss kann man immer wieder darüber streiten, welche Explikation die angemes1 [Wolf Helmhardt von Hohberg:] Georgica Curiosa. Das ist: Umständlicher Bericht und klarer Unterricht Von dem Adelichen Land- und Feld-Leben. Auf alle in Teutschland übliche Land- und Haus-Wirthschafften gerichtet/ hin und wieder mit […] einer mercklichen Anzahl schöner Kupffer gezieret/ und in Zweyen absonderlichen Theilen/ deren jeder in Sechs Büchern bestehet/ vorgestellet […]. Bd. 1–2. Nürnberg 1682, Bd. 1, Vorrede.

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senste ist, doch ändert dies nichts daran, dass Begriffe der Vereindeutigung dienen. Anders verhält es sich, wenn man Begriffsanalyse oder Begriffsgeschichte treibt. Dann interessiert die Vielfalt der Bedeutungen eines Begriffs, sei sie durch historischen Wandel oder durch unterschiedliche Verwendungsbereiche bedingt. Ein gegenläufiges Moment gibt es auch hier, weil die Begriffsforschung in der Regel versucht, den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Bedeutungen darzulegen. Verschiedene Bedeutungen eines Begriffs lassen sich dann als Bedeutungswandel in der Zeit oder Übertragung auf andere Gegenstände erklären. Doch ist es nicht das Ziel, die Vieldeutigkeit, die ein historisch oder gegenwärtig gebrauchter Begriff aufweist, zu reduzieren. Interessant sind vielmehr die Bezüge, die durch begriffliche Polysemien markiert werden, je weiter gespannt, desto reizvoller. Nicht selten hat Begriffsforschung den Ehrgeiz, durch die Analyse solcher Bezüge ganze Weltbilder zu rekonstruieren. Diese methodologischen Überlegungen seien vorausgeschickt, weil der Ökonomiebegriff ein Musterbeispiel für weltbildlich aufschlussreiche Polysemie darstellt. Ökonomie wird im 18. Jahrhundert in einer ganzen Reihe recht unterschiedlicher Bereiche verwandt mit teilweise analoger, teilweise aber auch spezifischer Bedeutung. Noch gesteigert wird die Bedeutungsvielfalt dadurch, dass das 18. Jahrhundert auch im Fall des Ökonomiebegriffs die Überlappungszone zwischen traditionell-alteuropäischen und modernen Bedeutungen bildet. Den damals sich vollziehenden Bedeutungswandel bemerkten schon die Autoren, die sich im zweiten Jahrhundertviertel mit dem Ökonomiebegriff auseinandersetzten.2 Bereits im Bewusstsein der reflektierenden Zeitgenossen handelt es sich um einen Begriff, der in enger Verbindung mit den charakteristischen Tendenzen des Zeitalters steht, konkret: mit dem Streben nach vernünftiger Erkenntnis der Funktionssysteme dieser Welt, und zwar um steuernd in sie eingreifen und den größtmöglichen Nutzen aus ihnen ziehen zu können. Als »öconomische Wissenschafft« bezeichnet der »Wirthschaffts«-Artikel in Zedlers Universal-Lexicon »die Anweisung in Lehr-Sätzen und Regeln, dieser nun immer schwehrer, aber auch nöthiger und nützlicher werdenden Geschäffte, und derselben gemeinen und künstlichen Ausübung«, um »die publique Wirthschafft eines gantzen Landes zu befördern und zu dirigiren, oder aber eine Privat-Wirthschafft, theils der Fürsten, theils anderer Leute, zu regieren, zu verbessern, und zu führen.«3 Ob die traditionellen Be-

2 Vgl. Johann Peter von Ludewig: Die, von Sr. Königlichen Majestät […] auf Dero Universität Halle am 14. Iulii 1727. Neu angerichtete Profession, in Oeconomie, Policey, und Cammer-Sachen wird, nebst Vorstellung einiger Stücke verbesserter Kön. Preußl. Policey bekannt gemachet von dem zeitigem [!] Prorectore. Halle 1727, 145 (§ 49 f). Wiederabdruck in: Geschichte der Ökonomie. Hg. v. Johannes Burkhardt u. Birger P. Priddat. Frankfurt a.M. 2000, 143–180, hier: 167–169. 3 [Johann Heinrich Zedler:] Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 1–64 u. 4 Suppl.-Bde. Halle u. Leipzig 1732–1754, Bd. 57 (1748), 1130–1183. Wiederabdruck in: Geschichte der Ökonomie (wie Anm. 2), 181–215, hier: 184. Zeittypisch ist hier die

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deutungen durch die neue einfach abgelöst wurden oder ob sie weiterwirkten, ist eine der zu klärenden Fragen. Schauen wir uns die Bedeutungsbereiche des Ökonomiebegriffs im Einzelnen an.

1.1 Ökonomie als gute Ordnung und Verwaltung des Hauswesens Traditionell bezeichnet Ökonomie die gute Ordnung und »Verwaltung des Hauswesens«.4 Noch 1740, in Zedlers Universal-Lexicon, ist das die »eigentlich[e]« Bedeutung. Gemeint ist der einzelne Haushalt (gr. oı˜kos = das Haus) mit seiner Nahrungsproduktion und seinem Sozialgefüge, das durch Hierarchien sowohl in der Familie als auch zwischen der Herrschaft und dem Gesinde gekennzeichnet ist: Der Hauswirt, oikonómos, steht über seiner Frau, und beide stehen über ihren Kindern und dem Gesinde.5 In diesem durch Aristoteles kodifizierten Sinn meint Ökonomie sowohl weniger als auch mehr als der moderne Begriff. Weniger, weil es um die Produktion einzelner Haushalte geht, vor allem von Nahrung, in zweiter Linie auch von Handwerksgütern, nicht aber um Geschäfte zum Geldgewinn. Der ganze Bereich des Handels und der Geldgeschäfte gehört nicht zu diesem Begriff von Ökonomie! Normativ war der alteuropäische Ökonomiebegriff hingegen anspruchsvoller als der heutige. Weil die Nahrungsproduktion für den eigenen Bedarf (und allenfalls ergänzend für den Tausch gegen Produkte, die im eigenen Haus nicht hergestellt werden können) im Zentrum stand, war kein Gewinnstreben vorgesehen. Ziel war lediglich die ausreichende Versorgung mit dem Nötigen, womöglich auch mit angenehmen Dingen, nicht aber mit überflüssigem Luxus, der in »den verderbten Affecten des Ehrgeitzes und der Wollust seinen Ursprung« habe. Das Zitat entstammt dem »Oeconomie«-Artikel aus Johann Georg Walchs Philosophischem Lexicon von 1726;6 die traditionelle moralische Komponente des Ökonomiebegriffs war damals also noch präsent. Feststellung, dass jene Wissenschaft neu sei (vgl. auch Johann Georg Walch: Art. Oeconomie. In: Philosophisches Lexicon […]. Leipzig 1726, 1921–1924, hier: 1923). 4 Art. Oeconomia. In: Universal-Lexicon (wie Anm. 3), Bd. 25 (1740), 527. Das folgende Zitat ebd. 5 Vgl. Johannes Burkhardt [u. a.]: Art. Wirtschaft. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hg. v. Otto Brunner [u. a.]. Bd. 1–8 (in 9), Stuttgart 1972–1997, Bd. 7 (1992), 511–594, hier: 555. 6 Walch, Oeconomie (wie Anm. 3), 1922. Vgl. den Textzusammenhang: »Die Sachen, so die Menschen zu brauchen pflegen und in das Oeconomische Wesen gehören, sind in Ansehung ihres Endzwecks, dazu sie dienen, dreyerley. Einige sind höchst nöthig, die der Mensch in Ansehung seiner Erhaltung nothwendig haben muß […= Speiß und Tranck, Kleidung, Behausung]. Etliche aber bequem und nützlich, durch deren Gebrauch der Mensch zwar einige Commodität hat; zur Noth aber derselben entbehren könnte […= etliche Kleider zugleich, unterschiedene Meublen u. a.]. Endlich dienen etliche Dinge nur zur eitlen Ergötzlichkeit, deren der Mensch am allerleichtesten entbehren könnte, als niedlich Speisen, köstlicher Schmuck an Kleidung, Gold und Silber-Geschirr und dergleichen, deren Gebrauch aus den verderbten Affecten des Ehrgeitzes und der Wollust seinen Ursprung genommen hat.«

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Der traditionelle Ökonomiebegriff bezeichnete nicht nur einen Funktionsbereich, sondern dessen gute »Ordnung«.7 Die Gewährleistung dieser Ordnung war die Aufgabe des Hauswirts, -herrn oder -vaters.8 Im deutschen Sprachraum ist es daher besonders die sog. Hausväterliteratur, die das ökonomische Wissen pflegt. Wie die Etymologie des aus oı˜kos und némein (›teilen, verteilen‹) gebildeten oikonómos unterstreicht, ging es dabei vor allem um die gerechte Verteilung der vorhandenen Güter (lat. distributio oder dispositio). Produktion und Erwerb galten als nötig, um etwas verteilen zu können, bildeten aber keinen Selbstzweck. Bei Andreas Glorez (ca. 1620–1700), einem der wichtigsten Vertreter der Hausväterliteratur, heißt es sogar: »Erstlich und vor allen Dingen muß ein Hauß-Vatter Gottsfürchtig seyn/ andächtig und fleissig zu GOtt dem himmlischen Haus-Vatter betten/ auch das Gesind fleissig zur Gottsfurcht halten/ und ihnen mit guten Exempeln vorgehen: Dann die Forcht GOttes ist der Weißheit Anfang«.9 Das Frontispiz in Julius Bernhard von Rohrs (1688–1742) Compendieuser Haußhaltungs-Bibliotheck, die von 1716 bis 1755 drei Mal aufgelegt wurde, illustriert dieselbe Prämisse: Der für den alteuropäischen Ökonomiebegriff grundlegende, wenn auch nicht allein maßgebliche Aristotelismus sah die religiös und moralisch eingehegte Befriedigung ständisch differenzierter Bedürfnisse vor, nicht aber ein davon losgelöstes Gewinnstreben.

1.2 Oeconomia divina Von hier aus wird verständlich, dass der Begriff auch genuin religiöse Bedeutungen hatte, die sich auf die »Austheilung derer durch Christum erworbenen Heyls-Güter«,10 auf die Offenbarung und ihre Stufen, auf den Zusammenhang von Sündenfall, Geburt und Tod Christi und die Erlösung des Menschen sowie allgemein auf die harmonische und gerechte Ordnung der Welt beziehen.11 Beginnend schon bei Paulus und den Kirchenvätern, aber auch im 18. Jahrhundert noch lebendig, wird die Welt dann als ›Haus‹ gedacht, über das Gott 7 Ebd. Zeittypisch heißt es außerdem, ein bestimmter »Wohlstand« (die Beachtung des decorum) gehöre zur Ökonomie. 8 Vgl. Burkhardt, Wirtschaft (wie Anm. 5), 554. Zum Haus-Paradigma der vormodernen Ökonomie vgl. Das Haus schreiben. Bewegungen ökonomischen Wissens in der Literatur der Frühen Neuzeit. Hg. v. Christina Schaefer u. Simon Zeisberg. Wiesbaden 2018. Mein eigener Beitrag dort (Ökonomisches Wissen auf der Bühne. Die Komödie und der Übergang von der alteuropäischen zur modernen Ökonomik, 229–252) deckt sich in größeren Teilen mit den Abschnitten 1. und 2. des hier vorliegenden. 9 Andreas Glorez: Vollständige Hauß- und Land-Bibliothec. Worinnen Der Grund unverfälschter Wissenschafft zu finden ist/ deren sich bey jetziger Zeit ein Hof- Handels- Hauß- Burgers- und Land-Mann zu seinem reichlichen Nutzen bedienen kan […]. Bd. 1–4. Regensburg 1701, Bd. 1, 1. 10 Art. Oeconomia divina. In: Zedler, Universal-Lexicon (wie Anm. 3), Bd. 25 (1740), 527. 11 Vgl. U[lrich] Dierse: Art. Ökonomie II. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter [u. a.]. Bd. 1–13. Basel 1971–2007, Bd. 6 (1984), 1153–1162, hier: 1153–1158.

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Abbildung 4: Julius Bernhard von Rohr: Compendieuse Haußhaltungs-Bibliotheck. Darinnen nicht allein Die neuesten und besten Autores, Die so wohl Von der Haußhaltung überhaupt, Als vom Ackerbau, Viehzucht, Jägerey, Gärtnerey, Kochen, Bierbrauen, Weinbergen, Wäldern, Bergwercken u.s.w. geschrieben, recensiret und beurtheilet, Sondern auch überall Des Autoris eigene Meditationes, Nebst andern curieusen Observationen aus den Antiquitæten, der Physic und Mathematic eingemischet werden. Leipzig 1716, Frontispiz.

›ökonomisch‹ herrscht, indem er »sein Volk durch seine Worte und Werke führet«12 und jedem das Beste zuteilt, was er verdient. Was Gott mit überlegener Weisheit austeilt, sind zum einen die Güter des zeitlichen und vor allem des 12 Johann Albrecht Bengel: Welt-Alter darin Die Schriftmässige Zeiten-Linie bewiesen und die Siebenzig Wochen samt andern wichtigen Texten und heilsamen Lehren erörtert werden. Zum Preise des grossen Gottes und seines wahrhaftigen Wortes an das Licht gestellet. Esslingen 1746, 1: »Dabey aber wird in der heiligen Schrift gezeiget die grosse Haushaltung Gottes, wie er sein Volk durch seine Worte und Werke führet, und wie er seine Verheissungen gegeben und erfüllet hat und erfüllen wird, in Christo Jesu.«

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ewigen Lebens, zum anderen aber auch unterschiedlich tiefe Einblicke in seinen – insgesamt verborgenen – Plan (Eph 3,8–10). Da wir Menschen nicht wissen, wie das Ganze verfasst ist, können wir uns die Regeln unseres Handelns nicht selbst geben, so der im Ökonomiemodell ganz konsequente Gedanke, denn im oı˜kos der von Gott regierten Welt befinden sich die Menschen in der Position von Kindern gegenüber ihrem Vater. Eine für den Geist der Aufklärung charakteristische Wendung erhielt dieser Gedanke durch Lessing. In seiner Spätschrift Die Erziehung des Menschengeschlechts von 1780 deutete er die »Ökonomie« der schrittweisen Offenbarung – zunächst im Alten, dann im Neuen Bund und zukünftig »gewiß«, so Lessing, in einem »neuen ewigen Evangelium« – als pädagogischen Plan Gottes, der zur Emanzipation, d. h. zum Selbstdenken und zur Selbstbestimmung des Menschen führen müsse.13 Traditionell war diese Emanzipation von väterlicher Leitung nicht vorgesehen, doch legt die Familienanalogie, die der oeconomia divina innewohnt, sie durchaus nahe. Aus dem traditionellen Modell bewahrte Lessing indessen die väterliche Fürsorge sowie das Weltvertrauen und die Daseinssicherheit, die sie gibt. Die Vorstellung, dass in der »Ökonomie des Heils auch nur eine einzige Seele verloren geht«, lehnte er als traurig und herzlos ab.14 Tragend waren der Ökonomiebegriff und der damit verbundene Gedanke einer gestuften, an die jeweilige Auffassungskraft der Menschen angepassten Offenbarung schon für die Föderaltheologie gewesen, die sich von Calvin und Johannes Coccejus aus verbreitete; in sechs Bänden hat Pierre Poiret den Gedanken der Economie divine (frz. 1687, lat. 1705, dt. in Auswahl 1711, vollst. 1737–42) entwickelt. Wie es scheint, haben sich vor allem pietistische Autoren diese Denkweise angeeignet; die Namen von Spener, Petersen, Bengel und Zinzendorf werden in diesem Zusammenhang genannt.15 Pietisten mag der Gedanke einer ›ökonomisch‹ gestuften Offenbarung des Heils besonders nahegelegen haben, weil sie gut zu ihrer ›Hoffnung besserer Zeiten‹ bzw. des Gottesreiches passte. Eine zentrale Rolle spielt der theologische Ökonomiebegriff bei Johann Wilhelm Petersen (1649–1727). In seiner Lehre von der Wiederbringung aller Dinge (Apokatastasis panton) spricht Petersen zum einen von den »vielfältigen Oeconomien Gottes« als Stufen der göttlichen Offenbarung, zum anderen von Christus als dem »grossen Erlöser und Oeconomus«, der wie ein guter Wirt zunächst sparen muss, am Ende der Zeiten aber reiche Ernte halten kann und dann »alles […] wieder in die Ordnung gebracht« haben wird.16 Ins spätere 18. Jahrhundert gelangte die Vorstellung einer gött13 Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Hg. v. Herbert G. Göpfert. Bd. 1–8. Darmstadt 1996, Bd. 8, 508 (§ 88 u. 86). 14 Lessing: Gegensätze des Herausgebers II [zu den Reimarus-Fragmenten]. In: ders.: Werke (wie Anm. 13), Bd. 7, 467. 15 Vgl. Dierse, Ökonomie II (wie Anm. 11), 1157 f. 16 Johann Wilhelm Petersen: JEsus Christus, Gestern und Heute, und derselbige in Ewigkeit, Das A, und das O, Der Erste, und der Letzte, Der Anfang und das Ende, Nach seinen vielfältigen Oeconomien […]. Frankfurt a.M. 1721, Vorrede, [a4r] u. b2v. Vgl. auch [c4r]: »Ehe ruhet der Herr

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lichen »Haushaltung« vor allem in geschichtsphilosophischer Umformung, wie sich nicht nur bei Lessing, sondern auch bei Herder und Schiller beobachten lässt.17 1.3 Ökonomie als das Ganze aller wirtschaftlichen Tätigkeiten Die bis heute wichtigste semantische Innovation ging vom profanen Ökonomiebegriff aus. Denn in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzog sich die Ausweitung seiner Bedeutung vom einzelnen ›Haus‹ auf das Ganze aller wirtschaftlichen Tätigkeiten. Vermittelnd wirkte dabei das Haus oder besser der Hof des Herrschers, die zunächst als eigener Wirtschaftsbetrieb, sodann aber auch als Spitze der gesamten Ökonomie eines Landes in den Blick genommen wurden, weil es die Aufgabe des Fürsten sei, »nicht allein sein eigen Vermögen zu verwalten; sondern auch der Unterthanen Wohl, Geld und Gut zu vermehren«.18 Um eine semantische Ausweitung handelt es sich zudem deshalb, weil es nicht mehr bloß um »Nahrungs-Kunst« (also um das Besorgen und gerechte Verteilen des Bedarfs), sondern ebenso um »Erwerbekunst« ging.19 Für den Verfasser des Philosophischen Lexicons – einen Theologieprofessor wohlgemerkt – war es bereits »das erste Stück der Oeconomie«, dass man »etwas zu erwerben suchen« soll, »und weil das Geld den höchsten Werth ausmachet, darum man alles haben kann, so gehet dieses dahin, daß man Geld zu verdienen suchen soll.«20 Damit ist all das in die Ökonomie integriert, was die aristotelische Tradition ausgeschlossen hatte: das Gewinnstreben, die Geldwirtschaft, der Handel, zusammengefasst: der Bereich der Chrematistik. All dies wurde bisher unter den Begriff der Commercien gefasst und galt tra-

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nicht in seinen Oeconomien, und Würkungen, bis es dahin [zum Wiederbringen] komme.« Sowie [c4v]: »Alsdann höret das oeconomische Reich Christi Jesu auf, nicht aber seine Herrlichkeit, die alsdenn bey der Wiederbringung aller Dinge, am grössesten wird«. Vgl. Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit [1784]. In: Herder: Sämtliche Werke. Hg. v. Bernhard Suphan. Bd. 1–33. Berlin 1877–1913, Bd. 13, 374, der angesichts der – aus menschlicher Perspektive – Unabsehbarkeit und Unkalkulierbarkeit der Folgen menschlicher Handlungen von der »Haushaltung Gottes mit unserm Geschlecht« spricht und sie »die wahre Philosophie der Geschichte« nennt. Friedrich Schiller: Die Sendung Moses [1790]. In: Werke. Nationalausgabe [im Folgenden: NA]. Begr. v. Julius Petersen. Fortgef. v. Lieselotte Blumenthal u. Benno von Wiese. Hg. v. Norbert Oellers. Weimar 1943ff, Bd. 17, 377– 397, hier: 381: »Hier muß uns die große Hand der Vorsicht, die den verworrensten Knoten durch die einfachsten Mittel lößt, zur Bewunderung hinreißen – aber nicht derjenigen Vorsicht, welche sich auf dem gewaltsamen Wege der Wunder in die Oeconomie der Natur einmengt, sondern derjenigen, welche der Natur selbst eine solche Oeconomie vorgeschrieben hat, außerordentliche Dinge auf dem ruhigsten Wege zu bewirken.« So die Feststellung im »Philosophischen Lexicon« von Walch, Oeconomie (wie Anm. 3), 1922. Dasselbe bei Ludewig, Profession (wie Anm. 2), 168 f. Ludewig, Profession (wie Anm. 2), 168. Walch, Oeconomie (wie Anm. 3), 1923.

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ditionell als ein ganz anderes Feld.21 Nun wurde es jedoch in die Wirtschaft integriert, so dass sich deren Verständnis fundamental wandelte.22 Aus Walchs Ökonomieartikel habe ich vorhin (unter 1.) die moralische Bewertung verschiedener Stufen des Besitzverlangens zitiert. Neues und altes Prinzip stehen bei Walch also noch nebeneinander. An ›ordnungsgemäße‹ Verhältnisse zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, Herrschaft und Gesinde dachte er aber schon nicht mehr. Das Gesellschaftsmodell des neuen Ökonomiebegriffs ging vielmehr vom Erwerbsstreben des atomisierten Einzelnen aus, nicht unbedingt ohne moralische Rücksichten, aber schon im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts mit der Möglichkeit, die Qualität eines ›Wirtes‹ allein daran zu messen, ob er sein »Einkommen, durch Handel und Wandel, vermehret und mehr einnimmt, als er ausgiebt«.23 Insofern haben wir es nicht nur mit einer Ausweitung des Begriffs zu tun (vom einzelnen Haus auf Wirtschaft insgesamt), sondern zugleich mit einer semantischen Verengung, ja Verschiebung auf Gewinnstreben. Wenn das bisher Vorgestellte als drei verschiedene Bedeutungen angesprochen wurde, so stellt eigentlich schon dies eine Verkürzung dar. Nicht nur, weil der theologische Ökonomiebegriff, wie angedeutet, mehrere Bedeutungen hat.24 Auch die beiden anderen Bedeutungskomplexe haben jeweils zwei bis drei Seiten, denn Ökonomie bezeichnet sowohl eine Sache (Haushaltung bzw. Wirtschaft insgesamt) als auch das Wissen davon und ebenso dessen kluge Anwendung (Haushaltungskunst oder -wissenschaft und Oeconomica prudentia im Zedler).25 Hinzu kommen Verwendungen des Begriffs in weder wirtschaftlichen noch religiösen Bereichen. So konnte man mit Bezug auf »die Vertheilung der Säfte in dem thierischen Cörper« von der Oeconomia animalis sprechen.26 1.4 Poetische Ökonomie Von den weiteren Begriffsverwendungen ist für meine Überlegungen nur die poetologische wichtig. Lessing spricht im 81. Literaturbrief von der »ge21 An dieser Stelle bietet sich ein vergleichender Seitenblick auf das etwas andere Begriffsgefüge im Englischen und Französischen an. Dort stand commerce traditionell im Zentrum des Wirtschaftsdiskurses (vgl. Burkhardt, Wirtschaft, wie Anm. 5, 568). Der ursprünglich an das Haus gebundene Ökonomiebegriff erlebte im 18. Jahrhundert einen ähnlichen Wandel wie im Deutschen (als political oeconomy bzw. économie politique). 22 Burkhardt, Wirtschaft (wie Anm. 5), 562–573. 23 Ludewig, Profession (wie Anm. 2), 168. 24 Zum bereits Dargelegten noch hinzu kommt die theologische Verwendung von oeconomia für die »menschliche Natur Christi« im Unterschied zu seiner göttlichen (vgl. Zedler, Oeconomia, wie Anm. 4, 527). 25 Ebd., 528. Zedlers Universal-Lexicon versucht, die Sache und das Wissen davon auseinanderzuhalten durch die Verwendung einerseits des lateinischen, andererseits des eingedeutschten Begriffs (vgl. 527 f). Diese Unterscheidung bildete aber keine feste Konvention. 26 Ebd., 527.

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wöhnlichen Ökonomie der französischen Trauerspiele«,27 Schiller erläutert Goethe die »Oekonomie« des Wallenstein und kommentiert die »Oekonomie« der Iphigenie und des Wilhelm Meister.28 Dieser Begriffsgebrauch meint einen schlüssigen Handlungsaufbau, die Beschränkung des Stoffes zugunsten der klar herauszuarbeitenden Gattungsform sowie einen ›wirtschaftlichen‹, d. h. in der Wirkung auf den Zuschauer effektiven Mitteleinsatz,29 einschließlich der klugen Dosierung der Informationsvergabe an den Zuschauer oder, anders gesagt, der nur allmählichen Enthüllung des Ganzen – ähnlich wie die Ökonomie der göttlichen Offenbarung als einem padägogischen Kalkül unterliegend gedacht wird.30 Allgemeiner formuliert, reklamiert die Rede von der Ökonomie eines Dramas eine gute Ordnung des Ganzen, und zwar zunächst auf die künstlerische Machart bezogen. Dass die vom Dichter geschaffene Form darüber hinaus auch als Modell für die Ordnung der Welt verstanden werden darf und soll, hat Lessing im 79. Stück der Hamburgischen Dramaturgie festgehalten, zwar ohne an dieser Stelle den Ökonomiebegriff zu bemühen, aber in Korrespondenz zu seinem oben zitierten Verständnis einer Heilsökonomie: Der Dichter solle aus seinem Stoff ein Ganzes machen, das völlig sich rundet, wo eines aus dem andern sich völlig erkläret, wo keine Schwierigkeit aufstößt, derenwegen wir die Befriedigung nicht in seinem Plane finden […]; das Ganze dieses sterblichen Schöpfers sollte ein Schattenriß von dem Ganzen des ewigen Schöpfers sein; sollte uns an den Gedanken gewöhnen, wie sich in ihm [also im Drama] alles zum Besten auflöse, werde es auch in jenem [in der Welt] geschehen.31

Der poetologische Ökonomiebegriff ist demnach in durchaus komplexer Weise auf den wirtschaftlichen und vor allem auf den theologischen Ökonomiebegriff bezogen. Überhaupt gilt, dass die verschiedenen Ökonomiebegriffe aufeinander aufbauen bzw. verweisen. Nicht zustimmen kann ich daher der im »Wirtschafts«-Artikel der Geschichtlichen Grundbegriffe geäußerten These, »die theologische Sonderbedeutung« habe in der Frühen Neuzeit »den Zusammenhang mit der säkularen ökonomischen Begriffsgeschichte [verloren]«.32 Beides zeigt sich vielmehr doppelt verbunden: Der theologische Ökonomiebegriff fußt auf dem ursprünglichen Hausmodell, während das an der Tätigkeit des Hauswirts orientierte Wirtschaftsdenken gerahmt bleibt durch 27 Lessing, Werke (wie Anm. 13), Bd. 5, 264. 28 Schiller, Werke (wie Anm. 17), Briefe an Goethe vom 13. 11. 1796 (NA 29, 5), 28. 11. 1796 (NA 29, 15), 24. 8. 1798 (NA 29, 265), 7. oder 8. 10. 1798 (NA 29, 288); 22. 1. 1802 (NA 31, 92); 8. 7. 1796 (NA 28, 252). Der Begriff kommt bei Schiller noch öfter vor. 29 Diesen Aspekt spricht Schiller in seinem Brief an Dalberg vom 6. 10. 1781 mit Bezug auf die Theaterwirksamkeit der Räuber an (NA 33,1, 21). 30 Vgl. Schillers Kommentar zu Wilhelm Meisters Lehrjahren (NA 28, 252). 31 Lessing, Werke (wie Anm. 13), Bd. 4, 598. 32 Burkhardt, Wirtschaft (wie Anm. 5), 554.

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die »oeconomia salutis«.33 Der Verweis auf die »Haußhalterschafft« Gottes als des obersten ›Hausherrn‹ ist noch für den Halleschen Rektor Ludewig in seiner Eröffnungs- und Begründungsrede für die 1729 in Halle etablierte erste Ökonomieprofessur völlig selbstverständlich,34 ›Ökonomie‹ nun im modernen Sinne als Ganzes der Produktion, Distribution und Konsumtion in einem Land verstanden. Gerade die genuin moderne Ausdehnung des Ökonomiebegriffs auf die Gesamtheit »aller Nahrungs und Erwerbekunst« schlägt hier die Brücke zwischen immanenter Mikroebene (dem einzelnen Haus) und transzendenter Makroebene (der göttlichen Weltordnung). Wie eingangs reklamiert: Mit dem Ökonomiebegriff ist im 18. Jahrhundert ein ebenso umfassendes wie differenziertes Weltbild verbunden.

2. Die Komödie als ökonomische Gattung Hier [ist] das Geld in beständigem Umlaufe.35 Auch das [Geld] hat Gott für alle geschaffen.36

Die Diskussion ökonomischer Fragen im Zusammenhang der eben aufgezeigten Bedeutungsvarianten hat im 17. und 18. Jahrhundert einen typischen literarischen Ort: die Komödie. Oder andersherum formuliert: Die deutsche Komödie spätestens von Christian Weise bis Lessing (und manchmal darüber hinaus) ist wesentlich als ein Durchspielen, Erproben und Demonstrieren ›ökonomischer‹ Fragen und Ordnungen zu verstehen.37 Insbesondere für die Zusammenhänge, die man zwischen Mikro- und Makroebene, zwischen dem 33 Ludewig, Profession (wie Anm. 2), 169. 34 Ebd. Das folgende Zitat ebd., 168. 35 So spricht die gewitzte Bediente über den Haushalt des Verschwenders, also der Titelfigur, in [Luise Adelgunde Victorie Gottsched:] Der Verschwender, oder die ehrliche Betrügerinn. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. In: Die deutsche Schaubühne. Bd. 1–6. Faksimiledr. nach d. Ausg. v. 1741–1745. Hg. v. Johann Christoph Gottsched. Mit e. Nachw. v. Horst Steinmetz. Stuttgart 1972, Bd. 3, 63–194, hier: 95 (II,1). 36 So sagt Werner – die moralischste Figur des Stücks! – in Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. In: Lessing, Werke (wie Anm. 13), Bd. 1, 605–704, hier: 655 (III,7). 37 Ausführlich dazu Daniel Fulda: Schau-Spiele des Geldes. Die Komödie und die Entstehung der Marktgesellschaft von Shakespeare bis Lessing. Tübingen 2005 sowie knapper ders.: Ökonomische Komödien. In: Handbuch Literatur & Ökonomie. Hg. v. Joseph Vogl u. Burkhardt Wolf. Berlin u. Boston 2019, 446–455; gattungsübergreifend zur impliziten ökonomischen Theorie in der Literatur und Philosophie des langen 18. Jahrhunderts: Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. München 2002.

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ökonomischen Verhalten des Einzelnen und dem Weltgetriebe insgesamt herstellte, sind Komödien höchst aufschlussreich. Für die Darstellung ökonomischer Probleme und Modelle ist die Gattung Komödie sowohl stofflich als auch strukturell prädestiniert. Stofflich, weil sie es als niedere Gattung mit alltäglichen Interessen und Konflikten zu tun hat. Anders als die Tragödie bringt sie weder Heldentaten noch Grausamkeiten, weder unversöhnlichen Hass noch Liebe bis in den Tod auf die Bühne. Ihre Figuren entstammen den niederen und mittleren Ständen, in der Frühen Neuzeit maximal dem Landadel. Demgemäß haben sie keine politischen Ambitionen, sondern wünschen sich einen Gatten, ein angenehmes Leben – und sehr häufig spielen Geldfragen mit hinein oder sogar eine zentrale Rolle: weil einem Bräutigam die Mitgift wichtiger ist als die Braut, weil ein Kaufmann bankrott zu gehen droht, weil jemand sein Vermögen verschwendet oder ein anderer ein Erbe erschleichen möchte, weil ein Schatz gefunden wird, ein Lotterielos gewinnt oder ein Schuldschein zunächst angefochten, schlussendlich aber doch bezahlt wird (wie in Minna von Barnhelm). Exemplarisch geprüft werden Ethiken des Umgangs mit solchen materiellen Werten einerseits und immateriellen Werten wie Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft oder Maßhalten andererseits. Handlungsstrukturell ist das Geldmotiv außerdem wichtig, weil Geld so volatil ist, dadurch rasche Glückswechsel bewirkt und auf diese Weise die Turbulenzen unterstützt, aus denen die Komödie ihre Bühnenwirksamkeit gewinnt.38 Am Schluss jedoch gelangen das Geld oder ein Geldeswert regelmäßig an das junge Paar, mit dessen Hochzeit die meisten Komödien schließen. Ökonomische Absicherung gehört zur erfüllten Liebe so gut wie selbstverständlich dazu. Solche allgemeine Affinität zum Geld zeichnet das Lustspiel seit dem 4. Jahrhundert v. Chr., seit der sog. Neuen Attischen Komödie, aus. Diese etablierte zudem das über Plautus und Terenz an die neuzeitliche Komödie vermittelte Schema, dass sich die Konflikte des Lustspiels primär im ›Haus‹ entspinnen, zentral zwischen den Generationen – denn die jungen Liebenden müssen den Widerstand vor allem des Vaters überwinden –, flankierend zwischen Herrschaft und Dienern, seltener zwischen Ehegatten. Seitdem geht es in der Komödie um nichts so ostinat wie um die Ordnung des Hauses.39 In der Dramenhandlung wird sie zunächst in Frage gestellt: von den jungen Liebenden produktiv, nämlich mit reproduktiver Perspektive, von geizigen, liebestollen oder hypochondrischen Alten hingegen destruktiv. Destruktiv überdies auch durch eher junge Negativfiguren wie den Verschwender oder altersneutrale wie den Ehrsüchtigen oder den Scheinheiligen. Oder die Ord38 Vgl. Walter Pape: Symbol des Sozialen. Zur Funktion des Geldes in der Komödie des 18. und 19. Jahrhunderts. In: IASL 13, 1988, 45–69, hier: 51. 39 Vgl. Manfred Fuhrmann: Lizenzen und Tabus des Lachens – Zur sozialen Grammatik der hellenistisch-römischen Komödie. In: Das Komische. Hg. v. Wolfgang Preisendanz u. Rainer Warning. München 1976, 65–101.

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nung des Hauses zeigt sich gestört, weil eben der Vater, der sie zu sichern hätte, abwesend ist – ein wichtiges Motiv z. B. in der Pietisterey im Fischbein-Rocke Luise Adelgunde Victorie Gottscheds (1713–1762).40 Im Handlungsverlauf jedoch wird die Ordnung des Hauses gegen die Bedrohung durch lasterhafte Figuren verteidigt, während die Liebenden, die sie zunächst übertreten, am Ende in sie eintreten, um sie wieder mit Leben zu füllen, indem sie einen neuen Hausstand gründen. Dem alteuropäischen Ökonomiebegriff entsprechend, geht es in der Komödie um Sozialbeziehungen, um Moral, um Gottvertrauen und ums materielle Auskommen zugleich. Und ihm weiterhin entsprechend geht es häufig zwar um Geldeswert, aber deutlich seltener um Geldgeschäfte. Der Bereich der Chrematistik ist entweder negativ besetzt – etwa durch die Figur des Wucherers, der manchmal noch zusätzlich als jüdisch pejorisiert wird – oder wird ausgeblendet. Im Kontext des Tagungsthemas ist nun nicht bloß die generelle Affinität der Komödie zur Ökonomie im Sinne des eben an erster Stelle erläuterten Begriffs von Belang, sondern die spezifische Konstellation in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: In diesem Zeitraum wird die Ansiedlung der Komödie im motivischen und normativen Horizont des ›Hauses‹ zu etwas Besonderem, denn der kontextuelle ökonomische Diskurs löste sich damals vom Haus. Die Komödie etwa seit Gottsched hielt also an etwas fest, was in ihrem gesellschaftlichen Kontext aufgegeben wurde. Ihre Ausrichtung auf Moralvermittlung verstärkte sich sogar, während der Ökonomiebegriff seine moralischen Elemente mehr und mehr abstreifte: Rohr beispielsweise verzichtet zwar nicht auf die religiöse Rahmung seiner Haußhaltungs-Bibliotheck (vgl. die Abbildung oben), erklärt jedoch die »Pflicht und Schuldigkeit eines Haus-Vaters gegen seine Frau, Kinder und Gesinde, u.s.w.« zu »fremde[n] Materien«.41 Vermutlich handelt es sich bei diesen vorderhand gegenläufigen Tendenzen um eine Komplementärentwicklung: Die Komödie übernahm die von der modernen Ökonomiediskussion abgelegte Aufgabe, materielle und immaterielle Werte abzugleichen und zu harmonisieren. Man geht nicht zu weit, wenn man zuspitzt: Die neuzeitliche Komödie erlebte ihre Blütezeit, als – und auch weil – die alteuropäische Ökonomik abstarb. Darüber hinaus zeichnet sich die Komödie des 17. und 18. Jahrhunderts durch den Einschuss von Aspekten aus, die der an zweiter Stelle erläuterte theologische Ökonomiebegriff bezeichnet: Zunehmend werden nicht nur Turbulenzen in den weniger edlen Schichten der Menschenwelt dargestellt, 40 Vgl. Luise Adelgunde Victorie Gottsched: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Komödie. Hg. v. Wolfgang Martens. Stuttgart 1979, 62 f (II,7). 41 Julius Bernhard von Rohr: Compendieuse Haußhaltungs-Bibliotheck. Darinnen nicht allein Die neuesten und besten Autores, Die so wohl Von der Haußhaltung überhaupt, Als vom Ackerbau, Viehzucht, Jägerey, Gärtnerey, Kochen, Bierbrauen, Weinbergen, Wäldern, Bergwercken u.s.w. geschrieben, recensiret und beurtheilet, Sondern auch überall Des Autoris eigene Meditationes, Nebst andern curieusen Observationen aus den Antiquitæten, der Physic und Mathematic eingemischet werden. Leipzig 1716, 83.

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sondern zugleich Schauplätze der Providenz modelliert. Der gute Ausgang eines Dramas verweist nun auf die gute Ordnung der von Gott geschaffenen Welt und unterstreicht christliche Heilsgewissheit. Damit niemand diese Bedeutungsmöglichkeit übersieht, wird sie dem Zuschauer bzw. Leser gerne explizit vorgegeben, sei es in der Dramenhandlung durch eine Figur,42 sei es im Text eines Nachredners.43 So avanciert die Komödie von der Belustigung zum Weltmodell (was ihrem Vergnügungswert nicht unbedingt zuträglich ist). Eine Vaterfigur, die heimkehrt und die Ordnung wiederherstellt, kann nun für den fürstlichen Landesvater und darüber hinaus für den göttlichen Weltenlenker stehen.44 Sogar mit der tendenziell anti-patriarchalischen Autoritätskritik und den emanzipatorischen Ansprüchen der Aufklärung ist dieses Modell kompatibel: Im Verschwender, einem Lustspiel der Gottschedin nach französischer Vorlage von 1741, übernimmt eine Frau von Ehrlichsdorf die Gottesrolle – nicht mehr weil sie hierarchisch über den anderen Figuren stände, sondern vermöge ihrer überlegenen Einsicht und ihres taktisch-pädagogischen Geschicks im Dienst der schlussendlichen Rettung des von ihr geliebten Verschwenders (und ›Rettung‹ bedeutete schon damals: Finanzhilfe).45 Das Wiegleb-Zitat »GOTT ist Capitalist,/ Der keinen hat betrogen«, passt bestens auf diese weibliche Lenkerfigur. Der Handlungsverlauf und die vorbildliche Figur des Verschwenders stehen geradezu modellhaft für Ökonomie im theologischen Sinne – und darüber hinaus im poetologischen Sinne, denn die Informationsvergabe an den Zuschauer und die schlussendlich versöhnende Intrige sind hier subtiler angelegt, als es in der deutschen Komödie bisher üblich war.46 Gleichwohl treten ab der Mitte des 18. Jahrhunderts auch Konstellationen auf, die sich als Spiegelungen einer modernen marktwirtschaftlichen Mentalität deuten lassen, also auf den dritten, verallgemeinerten Ökonomiebegriff weisen. Ist die frühneuzeitliche Komödie zunächst von immer strengeren 42 In Gellerts Das Loos in der Lotterie von 1747 nennt Anton, der vorbildlich tugendhafte junge Mann, den Lotteriegewinn seiner Braut ein »Geschenk der Vorsicht« (Christian Fürchtegott Gellert: Das Loos in der Lotterie. Lustspiel in drei Aufzügen. In: ders.: Gesammelte Schriften. Kritische, kommentierte Ausgabe. Hg. v. Bernd Witte. Bd. 1–6. Berlin u. New York 1988–2000, Bd. 3, 113–194, hier: 194 [V,12]). 43 In Christian Weises Curieusem Körbelmacher (aufgeführt 1702, gedruckt 1705) heißt es im Epilog: »Wer sich als ein Christe nichts afficiren läst/ als worinn die Gottseligkeit einige Merckmahle zu erkennen giebt/ der sieht hier ein Exempel/ wie GOttes wunderbare providenz allerhand Unglücke verhengen/ gleichwohl aber einen gewünschten Ausgang treffen kann.« (Ders.: Sämtliche Werke. Hg. v. Hans-Gert Roloff. Berlin u. New York 1971ff, Bd. 15, 311 [V,20]). 44 So in Molières L’Avare von 1668, vgl. meine Interpretation: Schau-Spiele (wie Anm. 37), 265–289, bes. 275–289. 45 Vgl. [Gottsched,] Verschwender (wie Anm. 35), 63–194; [Philippe Néricault] Destouches: Le Dissipateur, ou l’Honnête-Friponne. Comédie. In: Œuvres. [Ed. par] l’académie française. Nouv. éd., augmentées de pièces nouvelles, et mises en meilleur ordre. Bd. 1–10. La Haye 1754, Bd. 3, 149–279. 46 Mehr dazu bei Fulda, Schau-Spiele (wie Anm. 37), 425–439. Zum Wiegleb-Zitat siehe die Einleitung des vorliegenden Bandes.

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Moralforderungen geprägt,47 so gewinnen nun die spielerischen Momente wieder größeren Raum. Aktivität und Risiko werden belohnt; Lust und Lebensfreude dürfen nicht nur die Lustigmacher zeigen, d. h. die moralisch devianten und sozial inferioren komischen Figuren.48 Die hochkomplexe Handlungsstruktur einiger Komödien kann zudem als Übergang zu einem Verständnis gesellschaftlicher Interaktion verstanden werden, das keine Steuerung von einer überlegenen Position aus mehr erwartet – d. h. eine Steuerung, wie sie der Hausvater leisten sollte –, sondern die Eigendynamik von Interessenkonkurrenzen anerkennt, und zwar als produktiven Antrieb, nicht als destruktiv weil amoralisch. Was jedoch ebenso zu betonen ist: Die strukturelle Affinität einiger Komödien der Aufklärung zur modernen Ökonomie bedeutete nicht automatisch, dass die Strukturanalogien zur Heilsökonomie zurücktraten. Wie eben zitiert, bekräftigte Lessing das Prinzip, der Dichter habe durch die sinnvolle Lösung der von ihm geschaffenen Konflikte das Providenzvertrauen seiner Leser zu stärken. Prüfen wir kurz, wie bzw. ob sein berühmtestes Lustspiel dieses Prinzip bewährt. Minna von Barnhelm von 1767 ist ein ökonomisches Stück im modernsten Sinne des Begriffs, denn es geht nicht bloß um Soll und Haben von Privatleuten – vor allem, aber nicht nur des entlassenen Majors von Tellheim, der seine Verlobte nicht heiraten kann, weil ein hoher Wechsel, der ihm ausgestellt wurde, für ungültig und betrügerisch erklärt worden ist.49 Vielmehr geht es zugleich um die Staatsfinanzen und die wirtschaftliche Situation ganzer Länder, nämlich Sachsens und Preußens im und nach dem Siebenjährigen Krieg. Eine Lösung bringt keine der beiden Hauptfiguren zustande, weder der aus Tugend versteifte Mann (Tellheim), noch seine taktisch beweglichere Braut (Minna). Vielmehr wird das ›happy end‹ durch eine randständige Figur ermöglicht, genauer: durch eine ›unsichtbare Hand‹, nämlich durch das, so wörtlich, »Handschreiben« des unsichtbar bleibenden Königs. Erst dieses Schreiben entlastet Tellheim von allen Untreue-Vorwürfen, so dass er seine Braut heiraten kann.50 47 Vgl. Frank Schlossbauer: Literatur als Gegenwelt. Zur Geschichtlichkeit literarischer Komik am Beispiel Fischarts und Lessings. New York [u. a.] 1998; zu Drama und Theater des 18. Jahrhunderts im Allgemeinen vgl. Hilde Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert. Wien u. München 1980 sowie Christopher J. Wild: Theater der Keuschheit – Keuschheit des Theaters. Zu einer Geschichte der (Anti-) Theatralität von Gryphius bis Kleist. Freiburg i.Br. 2003. 48 Vgl. Fulda, Schau-Spiele (wie Anm. 37), 471–479. 49 Vgl. Tellheims Darlegung seiner Situation vor Minna in Lessing: Werke (wie Anm. 13), Bd. 1, 677 (IV,6). 50 Vgl. Lessing, Werke (wie Anm. 13), Bd. 1, V,9; das Zitat 680 (IV,6). Dass die Entscheidung des Königs den entscheidenden Schritt zum ›happy end‹ darstellt, ist in der Forschung häufig übersehen worden, da Minna auch über Tellheims Rehabilitation hinaus noch ihre Rolle der Enterbten spielt, die sich keinem Manne zumuten mag. Klärend hat hier vor allem die klassische Studie von Peter Michelsen: Die Verbergung der Kunst. Über die Exposition in Lessings ›Minna von Barnhelm‹. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 17, 1973, 192–252, gewirkt.

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Es sind nicht Minnas gute Absichten, die das gute Ende herbeiführen. Sogar der geldgierige Glücksritter, ja Betrüger Riccaut leistet dazu einen größeren Beitrag, indem er dem Feldjäger, der mit dem königlichen Handschreiben durch Berlin irrt, den Weg zu Tellheim weist.51 Die so überlegen erscheinende Minna gerät vielmehr selbst in den Strudel des von ihr mit einigem Mutwillen inszenierten Spiels oder »Streichs« (wie sie selbst sagt),52 so dass sie sich am Ende davon überrollt sieht.53 Dass ein Akteur den Lauf der Dinge übersehen könne und daher zu lenken imstande sei, weist Lessings Komödie als eine unterkomplexe Illusion aus. Das alteuropäische Modell der Gesellschaft als personale Interaktion stellt sie als subjektiv-beschränkte Perspektive aus und enthüllt dahinter ein systemisches Funktionieren, das sich um noch so brennende Wünsche nicht kümmert, auch wenn es sie erfüllt. Denn selbst der König, der Tellheim rehabilitiert, tritt nicht als eine überlegene Figur auf, die alles überblickte, fällt seine Entscheidung doch völlig unabhängig von der gezeigten Handlung, nämlich schon am Tag zuvor. Zunächst einmal verkörpert dieser König nicht mehr, aber auch nicht weniger als das systemische Funktionieren der Gesellschaft. Indem sein Eingriff nicht nur das Beste bewirkt, sondern darüber hinaus ante festum erfolgt (der König ermöglicht die Versöhnung Tellheims und Minnas, bevor sich die beiden überhaupt gestritten haben), erinnert sie zugleich aber an die göttliche Providenz. Tellheim kommentiert den königlichen Urteilsspruch dementsprechend in Vokabeln, die hochgradig religiös besetzt sind: »O, mein Fräulein, welche Gerechtigkeit! – Welche Gnade! – Das ist mehr, als ich erwartet! – Mehr, als ich verdiene!«54 Auf komödienadäquate Weise materialisiert sich im erlösenden Handschreiben des unsichtbar bleibenden Königs die »unsichtbare Hand«, mit der Adam Smith wenige Jahre zuvor die Koordination der unendlich vielen individuellen Gewinninteressen in der Gesellschaft zum allgemeinen Besten erklärt hatte.55 Zugleich weist Lessings Komödie aber auch auf den religiösen Hintergrund der schon biblischen Metapher von der unsichtbaren Hand, die alles zum Besten lenkt (Dtn 4,34 u. ö.).

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Vgl. Lessing, Werke (wie Anm. 13), Bd. 1, V,6. Ebd., Bd. 1, 663 (III,12) u. 701 (V,12). Vgl. ebd., Bd. 1, 700 (V,11): »Ich habe den Scherz zu weit getrieben«; 676 (IV,6). Ebd., Bd. 1, 693 (V,9). Adam Smith: Theorie der ethischen Gefühle oder Versuch einer Analyse der Prinzipien, mittels welcher die Menschen naturgemäß zunächst das Verhalten und den Charakter ihrer Nächsten und sodann auch ihr eigenes Verhalten und ihren eigenen Charakter beurteilen. Nach der Aufl. letzter Hand übers. u. m. Einl., Anm. u. Reg. hg. v. Walther Eckstein. Teilbd. 1–2. Leipzig 1926, 316; ders.: Eine Untersuchung über Wesen und Ursachen des Volkswohlstandes. [Nachdruck d. dreibänd. Ausg. Jena 1923.] Bd. 1–2. Gießen 1973, Bd. 2, 235.

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3. Pietistische Theaterfeindlichkeit – komödische Pietismuskritik. Ein Konflikt unter ökonomisch Gleichgesinnten? Der Blödsinn [zu Thalia und Melpomene]. […] mein Magister sagt, ein Mann in sechzig Jahren, Wer mit euch scherzt und lacht, der muß zum Teufel fahren. Er sagt, es koste Geld, wenn man euch sucht und liebt, Und er verdammt das Geld, das man für Sachen giebt, Die man nicht bey ihm kauft. Erführ er, daß ich lachte, Ich wette, daß er mich zum gröbsten Heiden machte; Er lehret, daß die Zeit bey euch entheiligt ist, So gut als die, die man verbuhlt, versäuft, verfrißt.56

Macht man sich den religiösen Gehalt der Gattung Komödie im 18. Jahrhundert klar, so kann man es für ein Missverständnis halten, dass die Pietisten das Theater allgemein und die Komödie insbesondere so scharf ablehnten und bekämpften, dass es in Halle zwischen 1700 und 1742 keine Aufführungen gab.57 Das soeben zitierte Vorspiel wurde vermutlich für den Wiedereinzug des Schauspiels in Halle verfasst; die pietistische Theaterkritik wird hier noch einmal vorgetragen, nämlich vom personifizierten Blödsinn. Zu fragen ist jedoch: Liegt die komödische Kombination von ökonomischen Motiven, gattungskonventionell gesichertem gutem Ausgang und religiöser Rahmung im Dienst des Providenzaufweises nicht ziemlich auf der Linie der pietistischen Verbindung einer zuversichtlichen ›Hoffnung besserer Zeiten‹ in der Welt mit praktischem Unternehmertum, wie sie die Forschung vor allem für den Halleschen Pietismus nachgewiesen hat?58 Haben der Pietismus und die seinerzeitige Komödie nicht überdies das Festhalten an moralischen Wertungsmaßstäben und bestimmten sozialen Ordnungsvorstellungen gemeinsam, und zwar gegen den Trend ihrer Zeit zur Ablösung des ökonomischen Denkens von den Restriktionen der alten Ökonomik? Fragt man danach, wie Pietismus und Komödie zu den drei Hauptbedeutungen des Ökonomiebegriffs stehen, die eingangs vorgestellt wurden, so sind für beide ähnliche Antworten zu geben: Der traditionellen, auf das Haus und seine Ordnung bezogenen Ökonomik (1) entsprechend, denken beide wirtschaftliches Handeln nicht ohne moralische und soziale Gesichtspunkte. Für 56 Johann Christian Krüger: Halle, die Beförderinn der freyen Künste. In: ders.: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Hg. v. David G. John. Tübingen 1986, 91–101. Dieses Vorspiel ist nicht datiert. Krüger ging 1742 zum Theater und starb 1750. Auch inhaltlich ist das Vorspiel eindeutig auf die Situation in Halle nach Friedrichs II. Wiederzulassung von Schauspielen bezogen. 57 Vgl. Wolfgang Martens: Literatur und Frömmigkeit in der Zeit der frühen Aufklärung. Tübingen 1989, 27–29. 58 Vgl. Peter Kriedte: Wirtschaft. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Hg. v. Hartmut Lehmann. Göttingen 2004, 584–616, hier: 586.

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beide spielt die Heilsökonomie (2) der göttlichen Providenz und pädagogisch dosierten Mitteilung an die Menschen eine tragende Rolle. Ebenso haben beide Teil an der gesamtgesellschaftlichen Tendenz zu einer entgrenzten, die Restriktionen des ›Hauses‹ sprengenden Wirtschaft im Sinne des modernen Ökonomiebegriffs (3). Zu den Widersprüchen, die sich aus der Relevanz aller drei Ökonomiebegriffe, der profanen wie des theologischen, der traditionellen wie des neuen, ergeben, werde ich gleich noch etwas sagen. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Hallesche Pietismus und die Komödie der Aufklärung beträchtliche Gemeinsamkeiten zeigen, die über das Zeitübliche hinausreichen.59 Doch ist auch eine Differenz zu konstatieren: Der Notwendigkeit folgend, aber keineswegs nur widerstrebend, ließ sich der Pietismus weit stärker auf die moderne, gewinnorientierte Ökonomie ein, als es die positiven Figuren in der Komödie tun und es den ›ökonomischen‹ Normen der Gattung entspricht. Um die Abhängigkeit seiner Anstalten von Spenden zu reduzieren, plante Francke eine ganze Reihe von Manufakturen, von denen die Strumpfwirkermanufaktur tatsächlich einige Jahre produzierte.60 Dem kapitalistischen Prinzip, Geld ›arbeiten‹ zu lassen, »stand er positiv gegenüber«, wie Peter Kriedte feststellt;61 Ökonomie bestand für ihn keineswegs nur in häuslicher Selbstversorgung. Vielmehr baute er weitgespannte Handelsbeziehungen auf, wobei er nicht zuletzt mit Waren handelte, die er in seinen Predigten als unzulässigen Luxus brandmarkte (Wein, Tabak, Kaffee, Pelze, Schmuck).62 Das heißt nicht, dass die religiöse Perspektive keine Rolle spielte. Doch wirkte sie eher geschäftslegitimierend als -restringierend: Wo der Gewinn hoch ausfiel, war sich Francke besonders gewiss, dass Gott seine Hand im Spiel habe.63 In ökonomischer Hinsicht stellt sich der Pietismus als durchaus moderner als die deutsche Komödie dar. Dort sind es lange Zeit die desinteressierten, aber moralisch vorbildlichen Figuren, die am Ende ›belohnt‹ werden. Erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts kommt – mit Minna von Barnhelm und anderen Figuren – in 59 Gerhard Bondi, ein marxistischer Wirtschaftshistoriker, der die Fortschrittlichkeit des Halleschen Pietismus an dessen Beitrag zur Herausbildung einer bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaftsgesinnung maß, stufte die Franckeschen Stiftungen als »das wahrscheinlich stabilste und florierendste Unternehmen nicht nur Brandenburg-Preußens, sondern eines weit größeren Raumes« ein (Gerhard Bondi: Der Beitrag des hallischen Pietismus zur Entwicklung des ökonomischen Denkens in Deutschland. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1964, Heft 2–3, 24– 48, hier: 24). Nicht so stark herausgehoben aus dem Zeitüblichen sieht Kriedte, Wirtschaft (wie Anm. 58), 588 die Ökonomie der Stiftungen und ihres Schöpfers. Ob Franckes Wirtschaftsweise besonders ›fortschrittlich‹ war oder nicht, ist für meine Argumentation unwesentlich. Entscheidend ist das zu konstatierende Zusammenwirken von ›Haus‹, ›göttlicher‹ und ›moderner‹ Ökonomie. 60 Vgl. Kriedte, Wirtschaft (wie Anm. 58), 588 f. 61 Ebd., 586. Kriedte urteilt vorsichtiger als die ältere Forschung, die Franckes frommem Eifer einen protokapitalistischen Effekt zumaß, vgl. Ernst Bartz: Die Wirtschaftsethik August Hermann Franckes. Harburg-Wilhelmsburg 1934. 62 Vgl. Bondi, Beitrag (wie Anm. 59), 43 f. 63 Vgl. ebd., 28 f.

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die deutsche Aufklärungskomödie ein spielerischer Impuls hinein, der in Analogie zum Aktivismus des Halleschen Pietismus gesehen werden kann. Woher dann die Theaterfeindlichkeit des Pietismus? Schon die Ökonomik des ›Hauses‹ war Vergnügungsveranstaltungen nicht wohlgesonnen gewesen – so mahnte Andreas Glorez, die Hausfrau solle nicht »Täntze/ und Comœdien besuchen/ welches alles dem Hauß schlechten Nutzen bringt/ und nur zu aller Leichtfertigkeit Anlaß gibt«.64 Die pietistische Theaterfeindlichkeit radikalisiert diese Kritik: Francke und Spener führten gegen »alle Comœdien, Opern und öffentliche Narren-Spiele, und andern Zeit-Verderb irdisch-gesinnter Menschen« die Kostbarkeit der Zeit ins Feld.65 Die ihm zugemessene Zeit müsse der Mensch zum ›Gottesdienst‹ nutzen – der wiederum auch in Arbeit bestehen könne –, nicht aber zum Müßiggang. Anders als die lutherische Tradition mochten insbesondere die Halleschen Pietisten keine Adiaphora (Mitteldinge) anerkennen, die für das Seelenheil weder förderlich noch schädlich seien, und damit ›harmlose‹ Vergnügungen wie das Theaterspiel zulassen. Stefan Laube hat die pietistische Theaterfeindlichkeit darüber hinaus als Konsequenz eines »ausgeprägten Konkurrenzverhältnisses zwischen Kirche und Theater« interpretiert,66 denn »Kanzel und Bühne« hätten gemeinsam, dass sie »ihr Publikum [zu] erschüttern und [zu] erbauen« strebten.67 In gewisser Hinsicht kann man in der Tat von einer Konkurrenz sprechen, doch sollte nicht übersehen werden, dass das Theater in der frühneuzeitlichen Gesellschaft sehr viel weniger präsent war als die Kirche, gab es in den meisten Städten doch nur wenige Aufführungen im Jahr, in den Hoftheatern zudem für eine geschlossene Gesellschaft; die pädagogisch eingehegten Schultheateraufführungen gab es seit 1700 kaum noch im protestantischen Bereich. Von 64 Glorez, Hauß- und Land-Bibliothec (wie Anm. 9), 11. 65 August Hermann Francke: Idea Studiosi Theologiæ, oder Abbildung eines der Theologie Beflissenen/ Wie derselbe sich zum Gebrauch und Dienst des HERRN, und zu allem guten Werck, gehörig bereitet […]. Halle 41728, 61. Vgl. auch den Beitrag von Udo Sträter zum vorliegenden Band. Corinna Kirschstein: »Glücks-Töpffer, Comœdianten und dergleichen Zeug«. Pietistische Theaterfeindlichkeit vor 1700. In: Theater und Subjektkonstitution. Theatrale Praktiken zwischen Affirmation und Subversion. Hg. v. Friedemann Kreuder [u. a.]. Bielefeld 2012, 73–84, argumentiert überzeugend von der pietistischen ›Eigentlichkeitsforderung‹ an das Individuum her, die auf einen »tiefgreifenden Wandel im Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft« (77) weise. Insofern wäre die pietistische Theaterfeindlichkeit die Konsequenz einer an sich modernen Tendenz. Der wirtschaftlichen Aktivität des Halleschen Pietismus stand die ›Eigentlichkeitsforderung‹ allerdings nicht entgegen, so dass auch für die Theaterfeindlichkeit nach zusätzlichen Motiven zu fragen ist. 66 Vgl. Stefan Laube: Wissenstheater – Theaterkunst. Theatralische Episoden im Pietismus. In: PuN 34, 2008, 42–81, hier: 62. Von »Konkurrenzneid« spricht auch schon Günter Meyer: Hallisches Theater im 18. Jahrhundert. Emsdetten 1950, 8. 67 Stefan Laube: Von der Reliquie zum Ding. Heiliger Ort – Wunderkammer – Museum. Berlin 2011, 375. Eine Reihe von Belegen für pastoralen »Konkurrenzneid« auf das attraktivere Theater bringt: Frau Magister Velten verteidigt die Schaubühne. Schriften aus der Kampfzeit des deutschen Nationaltheaters […]. Hg. v. Carl Niessen. Zwickau u. Emsdetten 1940, Nachwort, 8 f.

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ihrer gesellschaftlichen Präsenz her standen sich das Theater und der Pietismus wie David und Goliath gegenüber, auch wenn man berücksichtigt, dass der Pietismus seinerseits eine Minderheit in der Kirche war. Als gewichtigerer Gegner stellt sich das Theater indessen dar, wenn man sich bewusst macht, wie umfassend die Weltmodelle waren, die auf der Bühne – und zwar auch in der niederen Gattung der Komödie – zur Anschauung kamen. Als Paradebeispiel dafür kann die Spannweite der von der Komödie integrierten Dimensionen von Ökonomie gelten. Eine Konkurrenz für den Pietismus stellte die Komödie nicht so sehr deshalb dar, weil der für die meisten Menschen höchst seltene Theaterbesuch eine lebensweltlich relevante Alternative zum allsonntäglichen Gottesdienst gewesen wäre, sondern weil sie eine bis ins Religiöse reichende Weltdeutung anbot. Da die Theologen in diesem Punkt die Alleinzuständigkeit beanspruchten, konnten sie die Komödie nicht tolerieren. Konsequenterweise wandte sich das Rhetorik-Lehrbuch von Hieronymus Freyer, einem der prominentesten Lehrer am Pädagogium regium, gegen die sich ausbreitende Einschätzung der Komödie als ein bequemes Mittel […], die Leute zu bessern; und den Willen so wol zur Tugend anzumahnen, als von Lastern abzuschrecken; es wäre aber viel besser gethan, wenn man mit einer solchen unbefugten Bekehrungsmethode […] nur zuhause bliebe und dis wichtige Werk der einfältigen Predigt des Evangelii überliesse.68

In den 1730er und 40er Jahren wurde die heftige Kritik, die die Komödie von den Pietisten erfuhr, in dieser Gattung zurückgegeben. Bekannt ist die schon erwähnte Pietisterey im Fischbein-Rocke der Gottschedin von 1736; zu nennen sind zudem Die Geistlichen auf dem Lande Johann Christian Krügers – eines abgebrochenen Halleschen Theologiestudenten – von 1743. Die Satire auf die Pietisten fällt in beiden Stücken schärfer aus als in der Komödie üblich, denn verlacht werden sollen nicht bloß konventionelle Typen, die als literarische Pappkameraden erkennbar sind. Vielmehr bezieht sich die Satire auf reale, z. T. noch lebende Personen (Spener, Francke, Lange, Freylinghausen, Zinzendorf u. a.) und deren Schriften69 sowie recht konkret auf Praktiken des Halleschen Pietismus. Alludiert und teilweise bis ins Karikaturistische ausgespielt werden sowohl geistliche Eigenheiten wie der Kult der »Wiedergeburt« und chiliastische Neigungen70 als auch – und fast besonders gerne – finanziell Relevantes: die vielen Stipendien für Theologiestudenten, das Verlags- und Arzneimittel68 Hieronymus Freyer: Oratoria In Tabvlas Compendiarias Redacta Et Ad Vsvm Ivventvtis Scholasticae Accomodata. Halle 81754, 214. Diese achte, um einen Anhang zur deutschen Rhetorik erweiterte Auflage des 1719 zuerst erschienenen Lehrwerks erschien erst nach dem Tod Freyers (1675–1747). 69 Vgl. Gottsched, Pietisterey (wie Anm. 40), 14–16 (I,1), 35 u. 38 (I,6), 103 (IV,6). In einem Wortspiel verbirgt sich die Anspielung auf Joachim Lange in Johann Christian Krüger: Die Geistlichen auf dem Lande. In: ders.: Werke (wie Anm. 56), 169–269, hier: 265 (III,12). 70 Krüger, Die Geistlichen (wie Anm. 69), 214 (II,5), 259 (III,9).

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geschäft, das Spendensammeln71 sowie die rege Produktion von »Postillen«,72 d. h. Predigtsammlungen. Es liegt nahe, diese Schärfe darauf zurückzuführen, dass der Pietismus ein echter Gegner war – anders als die überstolzen Offiziere, geizigen Alten oder liederlichen Advokaten, die üblicherweise verlacht wurden –, nämlich ein Gegner, der dem Theater nicht weniger als das Existenzrecht abgesprochen hatte. Die pietistische Theaterkritik spiegelt sich in der komödischen Pietismuskritik überdies insofern, als der gegen das Theater erhobene Vorwurf, bloß betrüglichen Schein zu bieten, jetzt gegen die Frommen gewendet wird: Die pietistischen Geistlichen in den genannten Stücken sind durchweg Heuchler; »stolze, unwissende, und geitzige Heuchler« heißt es in Krügers Geistlichen auf dem Lande.73 Ihre frommen Reden ebenso wie die beständige Beteuerung des Magisters Scheinfromm in der Pietisterey, »daß ichs nicht aus Eigennutz thue«, bemänteln nur ihre sexuelle wie kulinarische Konkupiszenz und vor allem ihre Habgier, die sie zu Kundentäuschung, Unterschlagung, Schnorrerei, Heiratsschwindel, Schwängern der Haushälterin und dem Verkauf »gelinder Examen« bei finanzieller Gegenleistung treibt.74 Bei Krüger resümiert Wahrmund – eine Figur mit komödientypisch sprechendem Namen: »Niederträchtigkeit, Stoltz, und Betrug scheinen am ruhigsten bey den Geistlichen zu wohnen.«75 »Frömmigkeit« wird hier als eben das täuschende Kostüm dargestellt, das die Pietisten dem Theater vorwarfen: Die pietistischen ›Geistlichen auf dem Lande‹ lassen die Frömmigkeit »mit dem Chorrocke in der Kirche« und agieren durchaus egoistisch.76 Wie religiöse Rede und frommes Gebaren vor allem der Selbstlegitimation und dem eigenen Vorteil dienen können – darunter einem zu »Kleinigkeiten« erklärten Gewinn von 3.000 Talern –, führt insbesondere Krügers Komödie mit einigem Geschick vor.77 Solche Satire setzte einen massiven Keil auf einen fundamentalistischen Klotz (mit dem Klotz meine ich die pietistische Theaterkritik).78 Selbst den Vorwurf, ›bloß Komödie‹ zu sein und fruchtlosen Spott zu treiben, gab die Komödie der Gottschedin an die Pietisten zurück: »Ich wollte zwar in die 71 Vgl. Gottsched: Pietisterey (wie Anm. 40), 70 (III,3), 70 f (III,3), 67–69 (III,2/3); Krüger, Die Geistlichen (wie Anm. 69), 197 f (I,8). Die Präzision des satirischen Bezugs auf den Pietismus bei der Gottschedin ist umso höher zu gewichten, als Die Pietisterey in weiten Teilen eine Übersetzung aus dem Französischen darstellt, nämlich der antijansenistischen Komödie La Femme Docteur des Jesuiten Guillaume-Hyacinthe Bougeant. 72 Krüger, Die Geistlichen (wie Anm. 69), 226 (II,9), 245 (III,4). 73 Ebd., 243 (III,3). 74 Vgl. Gottsched, Pietisterey (wie Anm. 40), 99 (IV,4), 138 (V,7), 22 (I,2), 124 (V,4), das Zitat 125 (V,4); Krüger, Die Geistlichen (wie Anm. 69), 171 (I,1), 198 (I,8), 175–179 (I,2), 194 (I,8), 234 f. (III,2). 75 Krüger, Die Geistlichen (wie Anm. 69), 242 (III,3). 76 Ebd., 245 (III,4). 77 Vgl. ebd., die Szene II,9; das Zitat 216 (II,5). 78 Zum Wechselverhältnis zwischen beidem vgl. auch William E. Petig: Literary Antipietism in Germany during the First Half of the Eighteenth Century. New York [u. a.] 1984.

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Comödie gehen«, erklärt dort Herr Wackermann, der seinen klaren Kopf behalten hat, doch werde er gerne auch seine fromme Schwester in eine pietistische »Versammlung« begleiten: »ich werde nichts dabey verliehren. Die wackern Orthodoxen werden gewiß von euch nicht verschonet werden« (soll heißen: vom Spott der Pietisten) – und er werde seinen Spaß haben.79 Das Stück der Gottschedin wurde ebenso verboten wie Krügers; beide wurden wahrscheinlich nie aufgeführt, weder in Halle noch andernorts. Sie wurden aber mehrfach gedruckt (ohne Verfasserangabe), was ein starkes Publikumsinteresse bezeugt.80 Tatsächlich gespielt wurde wohl Krügers Halle-Vorspiel, das den Pietisten, wie zitiert, insbesondere Heuchelei in Gelddingen vorwirft: »Und er [der fromme Magister, d. Vf.] verdammt das Geld, das man für Sachen giebt,/ Die man nicht bei ihm kauft.«

4. Religiöse Flankierung gewinnorientierten Wirtschaftens? Ich bin ein ehrlicher, rechtschaffener Mann. Gott hat mirs gegeben und die Welt wollte mich darum bringen?81

Eine oberflächlich unanstößige, jedoch tiefer gehende Darstellung des Zusammenhangs von religiöser Selbstgewissheit und ebenso reger wie unbekümmerter Geschäftlichkeit enthält Gellerts wenig späteres Lustspiel Das Loos in der Lotterie von 1747. Es spießt nicht speziell pietistische Praktiken und Weltdeutungsansprüche auf, reflektiert aber etwas, was Peter Kriedte zufolge insbesondere auch der Pietismus »lieferte«, nämlich »die theologische Begründung für ein zielgerichtetes Handeln im Hier und Jetzt«.82 Diesen Zusammenhang exemplifiziert Gellert an Herrn Damon, der Hausvater-Figur des Stücks, der freilich weder als Familienoberhaupt noch in seiner Wirtschaftsweise dem alten Ideal entspricht. Das Gespür für gute Gewinnchancen, entschlossenes Zugreifen und einige Betrügereien haben ihn vom »Aufseher über eine öffentliche Casse« zum erfolgreichen Finanzmann avancieren lassen.83 Seinen Geschäften widmet er alle seine Zeit. Selbst an seinem 50. Geburtstag – der Spielzeit des Stücks – kann er nicht von ihnen lassen, denn er vermag alles nur noch geschäftlich zu betrachten, selbst die Verheiratung seiner beiden 79 Gottsched, Pietisterey (wie Anm. 40), 37 (I,6). 80 Vgl. ebd., 155 (Nachwort v. Wolfgang Martens); Katja Schneider: »Vielleicht, daß wir also die Menschen fühlen lehren.« Johann Christian Krügers Dramen und die Konzeption des Individuums um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1996, 21. 81 Gellert, Loos (wie Anm. 42), 182 (V,5). 82 Kriedte, Wirtschaft (wie Anm. 58), 588. 83 Gellert, Loos (wie Anm. 42), 165 (IV,2).

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Mündel (um diese dreht sich die obligatorische Liebeshandlung).84 Als Komödientypus betrachtet, ist Damon aus der traditionellen Figur des Geizigen entwickelt, der »sein eigen Haus [verstöret]«, wie es in den Sprüchen Salomos heißt (15,27). Doch ist er weit mehr als die aktualisierte Variation eines uralten Typus, denn er ist der Repräsentant einer neuen Ökonomie, der entgrenzten Geldwirtschaft. Folglich gibt es im Loos in der Lotterie keinen Grundstock fester Einkünfte qua Grundherrschaft mehr wie noch im Verschwender.85 Gleichwohl versteht sich Damon als tugendhaft und gemeinwohlorientiert. Eine Art Nachruf dieses Tenors hat er sich bereits zurechtgelegt.86 Mit dieser Figurenzeichnung trifft Gellert sehr genau den wirtschaftsbürgerlichen Umgang mit dem Bild der eigenen Person und ihres Wirkens, wie ihn ganz ähnliche Nachrufe und Biographien des mittleren und späteren 18. Jahrhunderts belegen.87 »Die Tugend lasse ich mir nicht nehmen«, insistiert Damon, denn Tugend legitimiert: zum einen den Bürger, obwohl er einem unterprivilegierten Stand angehört – »Ich bin ja kein Hofmann«, betont Damon –, zum andern erfolgreiche Geschäftstätigkeit.88 Ebenso unerschütterlich und zugleich legitimatorisch nützlich ist Damons Gott- und Vorsehungsvertrauen. Wo ihm etwas gelingt, scheint es ihm so, »als ob es der Himmel hätte haben wollen«.89 Ohne dass der Begriff fiele, ist es die oeconomia divina, auf die Damon sich immer wieder beruft. Sie dient ihm zu nichts Geringerem als zu einer Generallegitimation seines durchaus aggressiven Geschäftsgebarens: »Ich bin ein ehrlicher, rechtschaffener Mann. Gott hat mirs gegeben und die Welt wollte mich darum bringen?«90 Wichtig ist: Damon wird dabei nicht als Heuchler gezeichnet, wie es die Komödien Krügers und der Gottschedin mit Blick auf die frommen Reden der 84 Vgl. ebd., 148 (II,9). 85 Das Rittergut, das die Frau von Ehrlichsdorf über einen Mittelsmann dem Verschwender Lockerfeld abkauft, bringt eine Grundrente von 10.000 Talern ein (vgl. Gottsched, Verschwender, wie Anm. 35, 99 [II,2]). Dagegen muss Herr Damon sein Geld verdienen, und zwar durch die Übernahme von Vormundschaften (Gellert, Loos, wie Anm. 42, 131 [II,1]), Geldverleih (152 [III,2]) und Handel mit Steuerscheinen (163 [IV,1], 191 [V,10]). 86 Vgl. Gellert, Loos (wie Anm. 42), 132 (II,1): »Ist dieses nichts, wenn die Leute nach unserm Tode sagen: Der rechtschaffene Mann! Er ließ sichs blutsauer werden; Er wußte, wie schwer das Geld zu verdienen war; Er wandte keine Dreyer an seinen Leib, wenn er nicht erst seine Einkünfte durchdividirt hatte? Ist es nichts, wenn sie sagen: Der wackere Mann! Er baute das grosse Haus; Er legte den schönen Garten an; Er hat zehn reiche Vormundschaften mit vieler Sorgfalt verwaltet; Er hat dem Landsherrn jährlich so und so viel an Steuern und Gaben eingebracht; so und so viel zu dem Kirchthurmbaue vorgeschossen und nur vier Procent genommen; Er trank das ganze Jahr kein Glas Wein, ausser an seinem Geburtstage, oder wenn seine Frau in die Wochen kam? Halten Sie diesen Nachruhm für nichts: so müssen Sie, so wenig ich auch von der Philosophie verstehe, doch gar keine haben.« 87 Vgl. Michael Maurer: Die Biographie des Bürgers. Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (1680–1815). Göttingen 1996, bes. 352–355, 387–396. 88 Gellert, Loos (wie Anm. 42), 151 (III,1). 89 Ebd., 164 (IV,1). 90 Ebd., 184 (V,5).

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pietistischen Figuren getan hatten. Die gattungstypische Lasterkritik wandelt sich in Gellerts Komödie in eine psychologische Analyse, denn Herr Damon hat keinerlei Bewusstsein davon, dass seine Geschäfte und seine religiösen Bekenntnisse nicht zueinanderpassen. Analysiert wird also eine Art gelingender Selbstüberredung zum eigenen Vorteil bei bestem Gewissen. Damons Vorsehungsvertrauen ›bemäntelt‹ nicht sein Gewinnstreben, sondern expliziert es als gottgefälliges Werk. Hinsichtlich der verschiedenen Ökonomiebegriffe, von denen wir ausgegangen sind, ist demnach festzuhalten: Die Denkmuster, die der theologische Ökonomiebegriff bezeichnet, erweisen sich im Loos in der Lotterie nicht als verdrängt durch die moderne Wirtschaftsweise, sondern als deren Stütze. Ob Gellert damit eine historisch zutreffende Beobachtung in Szene gesetzt hat, kann von einem Literaturwissenschaftler nicht alleine entschieden werden, sondern wäre im interdisziplinären Gespräch zu klären, mit Blick auf den Pietismus und darüber hinaus. Hinsichtlich der Komödie lässt sich festhalten, dass die typische Plotstruktur der Gattung generell die Postulate der oeconomia divina weitertrug: das gute Ende, den guten Nutzen auch des Bösen, die pädagogische Dosierung der an die Akteure verteilten Einsichten durch eine lenkende Instanz, die trotz manchen Scheins von Ungerechtigkeit gerechte Verteilung aller Güter. Auf diese Weise trug die Komödie der Aufklärung, im Ganzen genommen, durchaus dazu bei, dass die damals sich ausbildende Geldwirtschaft und Marktgesellschaft als providenziell unterfangen wahrgenommen werden konnten. Doch finden wir auch einige Stücke, die diese weltbildliche Unterstützung für die moderne Ökonomie kritisch darstellen oder durchschaubar machen, bei Gellert in der traditionellen Form einer zu verlachenden Figur, in Minna von Barnhelm durch die unkonventionelle Art der Konfliktlösung durch eine ›unsichtbare Hand‹. Es liegt nahe, ähnliche Fragen an den Pietismus zu richten: Wie viel religiösen Flankenschutz bot er der modernen Ökonomie? Und wie viel kritische Reflexion auf diese Unterstützung leistete er?

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Freundschaftsökonomie Der Pietist in der Freundschaft Weitläuftigkeit im Irdischen ist zu meiden.1

1. Mammon gegen Freundschaft Kaum etwas scheint der Ökonomie ferner zu sein als die Freundschaft. Freundschaft, Vertrauen und Herzensnähe begründen vielmehr solche Beziehungen, die sich einem rationalen ökonomischen Nutzenkalkül widersetzen. Das lehrt nicht nur das Gefühl, sondern auch die Literatur. Friedrich von Hagedorn (1708–1754), der große deutsche Dichter der Frühaufklärung und Vertreter eines neuen, heiteren Lebensideals, für das die gesellige Freundschaft eine zentrale Rolle spielt, fasst diese Opposition zwischen »Freundschaft« und »Eigennutz« in seinem Moralischen Gedicht Die Freundschaft (1748) ironisch so: Ich, lehrt Mammonides, den Geld u. Geiz umgeben, Ich bin der Musse gram; die Arbeit ist mein Leben. Nur Fleiß und Vorschuß sinds, wodurch man Freunden nützt, Wenn man ein Capital, das ist, ein Herz, besitzt. Ich bin ein Patriot. Mich wird man leicht bewegen, Das erste schöne Geld in Häuser zu belegen. Mein alter Wahlspruch bleibt: Zins und Provision! Den Leuten helf ich gern, nur nicht dem Bauernsohn; Doch dien ich, kann er mir drey gute Bürgen stellen, Sind gleich die Zeiten schlecht, auch ihm in allen Fällen. In andrer Creuz und Leid find ich mich, als ein Christ. Wer weiß, wann mancher klagt, warum er dürftig ist? Der Himmel will vielleicht durch Mangel ihn bekehren: Sollt’ ich gerechter seyn, und seine Führung stöhren? Den Armen bin ich nicht, dem Bettlen bin ich feind, Sonst, doch ohn eignen Ruhm, ein grosser Menschenfreund, Und werde, sterb ich spät, zu meinem Angedenken, Dem alten Waysenhaus ein neues Gitter schenken.2 1 August Hermann Francke: Der Segen GOTTES in der leiblichen Arbeit (1697). In: ders.: Predigten. Bd. 1. Hg. v. Erhard Peschke. Berlin u. New York 1987, 240–269, hier: 251. 2 Friedrich von Hagedorn: Die Freundschaft. In: ders.: Moralische Gedichte. Hamburg 1750, 61–86, hier: 67 f.

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Für den allein von »Geld u. Geiz« bestimmten ›Mammonides‹, der nur mit einem »Herz« aus »Capital« beseelt ist, sind die Beziehungen zu seinen Mitmenschen ausschließlich vom Gedanken der persönlichen Gewinnmaximierung bestimmt. Diese Denkweise macht auch vor der religiösen Vorstellungswelt von ›Mammonides‹ nicht Halt, der sich unter Berufung auf eine ziemlich schlichte ›Heilsökonomie‹ von tätiger Nächstenliebe entlastet: »Wer weiß, wann mancher klagt, warum er dürftig ist? | Der Himmel will vielleicht durch Mangel ihn bekehren: | Sollt’ ich gerechter seyn, und seine Führung stöhren?« Ein von ökonomischen Nutzenerwägungen beherrschtes Denken, das ist die einfache Botschaft der Verse, ist zu wahrer Freundschaft nicht fähig. Entsprechend stellt der Dichter gleich darauf klar: »Unselger Eigennutz, wie bist du zu beklagen, | Da deine Frevel dir der Freundschaft Schatz versagen!«3 Der »Freundschaft Schatz« ist vielmehr eine Form des Reichtums, die nicht über »Eigennutz«-Erwägungen erworben werden kann. Dem herz- und mitleidlosen, sich am Freundschaftsideal versündigenden ›Mammonides‹ und seinesgleichen droht ein Strafgericht mit apokalyptischen Anklängen: »Es bann ein Strafgericht | Die Menschen ohne Lieb in Welten ohne Licht!«4 Aber auch wenn die Passage im Ganzen Wort- und Vorstellungsmaterial aus Mt 6,19–24 aufnimmt, wo nicht nur der Dienst am »Mammon« dem an Gott strikt gegenübergestellt wird, sondern auch »Schatz«, »Herz«, »Liebe« und »Licht« zusammenfinden, verdankt sich Hagedorns Freundschaftsideal, wie Steffen Martus gezeigt hat, nicht allein christlicher Morallehre, sondern vor allem antiken Vorbildern und einer für die Aufklärung insgesamt typischen natürlichen Anthropologie.5

2. Aristoteles’ Freundschaftsökonomie Die Reflexionsgeschichte der Freundschaft zeigt allerdings, dass ihr im weiteren Sinne ökonomische Überlegungen nicht so fremd sind, wie es dann vor allem die empfindsame Erziehung zur Freundschaft im 18. Jahrhundert bis in 3 Ebd., 68. 4 Ebd. Die ganze Passage nimmt Wort- und Vorstellungsmaterial aus den Versen Mt 6,19–24 auf, in denen nicht nur der Dienst am »Mammon« dem Dienst an Gott strikt gegenübergestellt wird, sondern auch »Schatz«, »Herz«, »Liebe« und »Licht« zusammenfinden. 5 Vgl. Steffen Martus: Friedrich von Hagedorn. Konstellationen der Aufklärung. Berlin u. New York 1999, 173–322. Zum weiteren Kontext naturrechtlicher Vorstellungen, die für das aufgeklärte Freundschaftsverständnis von Bedeutung sind, Wolfgang Adam: Freundschaft und Geselligkeit im 18. Jahrhundert. http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/epoche/adam_freundschaft.pdf (letzter Zugriff 9. 8. 2018). Zuerst in: Der Freundschaftstempel im Gleimhaus zu Halberstadt. Porträts des 18. Jahrhunderts. Bestandskatalog. Hg. v. Gleimhaus Halberstadt. Bearb. v. Horst Scholke. Mit e. Essay v. Wolfgang Adam. Leipzig 2000, 9–34.

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die Gegenwart anhaltend zu fühlen gelehrt hat.6 So stellte bereits der erste klassische Autor der Freundschaftstheorie, Aristoteles, einen Zusammenhang zwischen Freundschaft und Ökonomie her, indem er im IX. Buch der Nikomachischen Ethik das Problem aufwarf, wie viele Freundschaften ein Mensch sinnvollerweise unterhalten kann bzw. pflegen sollte. Das Problem rührt von der Einsicht her, dass deren Zahl notwendig begrenzt ist. Unausweichlich muss die Zahl der Freunde begrenzt sein, weil das Leben nicht lang genug ist, die Ansprüche unbegrenzter Freundschaft zu befriedigen: »vielen Menschen Gefälligkeiten zu erwidern ist mühsam, und das ganze Leben würde nicht ausreichen, dies zu tun.«7 Vor allem aber ist die Zahl der Freunde zu begrenzen, weil es nicht sehr klug ist, übermäßig viele Freundschaften unterhalten zu wollen: »Was über die für ein vertrautes Leben notwendige Zahl hinausgeht, ist lästig und hinderlich für das edle Leben. Man braucht sie also nicht. Und zur Lust genügen wenige, wie bei der Speise die Würze.«8 Aus dieser Überlegung ergibt sich, dass es »wohl richtig [ist], nicht auf eine Überzahl an Freunden bedacht zu sein«, sondern nur auf die für ein gutes Leben »hinreichen[de]«9 Anzahl. Dazu kommt, dass sich überhaupt nur wenige zur wahren Freundschaft eignen. Aristoteles resümiert: »Doch aus Tugend und um des andern selbst willen kann man nicht Freund mit vielen sein; man muß froh sein, wenn man auch nur wenige derartige findet.«10 Aristoteles argumentiert für eine Freundschaftsökonomie vor dem Hintergrund praktischer Lebenserfahrung und eines in seiner Ethik entfalteten Begriffs des ›guten‹ oder ›edlen‹ Lebens, innerhalb dessen ›Ökonomie‹ im Sinne eines rechten Maßes ein Gebot menschlicher Klugheit ist. Angesichts der unumstrittenen Bedeutung, die ökonomisches Denken im und für den Pietismus hat,11 angesichts aber auch der besonderen Rolle, die 6 Was nicht ausschließt, dass sich heute die ökonomische Theorie intensiv darüber Gedanken macht, wie Freundschaft am profitabelsten als ein Marketinginstrument zu nutzen ist, vgl. Luca di Blasi: Hinter jedem Freund steckt eine Werbung. In: Die Zeit, 10. 3. 2011, http://www.zeit.de/ 2011/11/Facebook-Profilseiten-Facenapping (letzter Zugriff 9. 8. 2018). Der Artikel ist in seiner Internetpräsentation selbstverständlich von Werbung gerahmt und kann mit dem ›Gefällt-mir‹Button Freunden empfohlen werden. Zur Einführung in das Thema aus wirtschaftstheoretischer Sicht siehe Julian Link: Eine ökonomische Analyse der Freundschaft. Soziale Beziehungen zwischen Rationalität, Emotionen und Vertrauen. München 2009, bes. 23–47. 7 Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übers. u. hg. v. Olof Gigon. München 61986, 276 (1170b). 8 Ebd., 276 (1170b). 9 Ebd., 277 (1171a). Auch darin mag begründet sein, dass ›Facebook-Freunde löschen‹ mittlerweile ein sehr prominentes Thema im Internet ist. Siehe zum Beispiel http://www.gutefrage.net/ frage/facebook-freunde-entfernen (letzter Zugriff 9. 8. 2018). 10 Aristoteles, Nikomachische Ethik (wie Anm. 7), 277 (1171a). 11 Ich nenne hier nur als frühen Forschungsbeitrag dazu Gerhard Bondi: Der Beitrag des hallischen Pietismus zur Entwicklung des ökonomischen Denkens in Deutschland (1964). In: Zur neueren Pietismusforschung. Hg. v. Martin Greschat. Darmstadt 1977, 259–293, und, reich bebildert, aus jüngerer Zeit Brigitte Klosterberg: Kommerz und Frömmigkeit. Die Franckeschen Stiftungen als Faktor preußischer Wirtschaftspolitik. In: Gott zur Ehr und zu des Landes Besten. Die Franckeschen Stiftungen und Preußen. Aspekte einer alten Allianz. Hg. v. Thomas Müller-Bahlke. Halle

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dem Pietismus für die Ausbildung eines modernen, auf individuellem Vertrauen basierenden und von Authentizität geprägten Freundschaftsverständnisses zugesprochen wurde,12 liegt darum die Frage nahe, ob auch der Pietismus – wie Aristoteles, wenn auch sicher unter anderen Vorzeichen als in der aristotelischen Ethik – Ökonomie und Freundschaft zusammenführt. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.

3. Nützlichkeit der Freundschaft Die Reflexion sozialer Beziehungen, nicht nur, aber auch im Interesse ihrer Normierung und Effektivität, ist im Pietismus bekanntlich weit verbreitet. Als Beleg sei hier nur eine der frühesten Schriften August Hermann Franckes angeführt, die XXX. Reguln/ zu Bewahrung des Gewissens und guter Ordnung in der Conversation oder Gesellschafft, die zuerst ohne Nennung des Verfassers 1690 in Leipzig erschienen. Die zwölfte dieser sehr knapp formulierten, später in zahlreichen Auflagen wiederholt und erweitert herausgegebenen Lebensregeln lautet: Alle deine Gesellschafft sey entweder aus Noth/ oder aus Hoffnung zur Besserung/ oder doch vorsichtig erwählet. Den äuserlichen Umgang mit den Gottlosen kan man nicht meiden/ aber gib dich nicht in ihre Gesellschafft ohne Noth. Sie werden dich eher verführen/ als du sie gewinnen wirst. Mustu aber mit ihnen umgehen/ so hüte dich desto mehr.13

»Gesellschafft« scheint in diesem Zusammenhang zunächst einmal jede Form menschlicher Vergemeinschaftung zu meinen, im Sinne dessen, was der zeitgenössische Sprachgebrauch allgemein mit ›Umgang‹, nicht selten übrigens auch mit ›Freundschaft‹ assoziiert.14 Bevor Francke auf den »äuserlichen 2001, 157–185. Zur theologischen Begriffs- und Konzeptgeschichte siehe Gerhard Richter: Oikonomia. Der Gebrauch des Wortes Oikonomia im Neuen Testament, bei den Kirchenvätern und in der theologischen Literatur bis ins 20. Jahrhundert. Berlin u. New York 2005, zum Pietismus bes. 628–634. 12 Vgl. Ulrike Gleixner: Pietismus und Bürgertum. Eine historische Anthropologie der Frömmigkeit. Württemberg 17.–19. Jahrhundert. Göttingen 2005, bes. 76 ff. 13 August Hermann Francke: XXX. Reguln/ zu Bewahrung des Gewissens und guter Ordnung in der Conversation oder Gesellschafft. Leipzig 1690, Nr. XII, 10 f, urn:nbn:de:gbv:3:3–923 (letzter Zugriff 27. 4. 2016). 14 »Nachdem Gott der Allmächtige den Adam erschaffen, und wahrgenommen, daß dieser Mensch möchte melancholisch werden, aus Ursachen, weil niemand beihanden war, mit dem er konnte Gesellschaft, Gespannschaft und Freundschaft pflegen, also hat er in seinem göttlichen Rath beschlossen, ihm eine Mit=Consortinn beizuschaffen, benanntlich die Eva.« Abraham a Sancta Clara: Judas der Erzschelm für ehrliche Leut’, oder eigentlicher Entwurf und Lebensbeschreibung des Iscariothischen Böswicht. In: ders.: Sämmtliche Werke. Bd. 3. Passau 1835, 79; Hervorhebungen d.Vf.

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Umgang mit den Gottlosen« abhebt, den man in Kauf nehmen muss, benennt er nur zwei Motive zum aktiven Aufsuchen von Gesellschaft: die Abwehr von Not, also das Sicherstellen des eigenen Überlebens, und die auf sich selbst oder andere gerichtete »Hoffnung zur Besserung«, d. h. anderen darin nützlich zu sein oder von ihnen profitieren zu können, ›besser‹ zu werden, in der Liebe und Ehrerbietung Gottes zuzunehmen.15 Die generelle Vorsicht, die Francke in der Auswahl der eigenen Gesellschaft empfiehlt, liegt in der Sorge um die Verführung und Ablenkung von eben diesen beiden Zielen begründet. Wie Wolfdietrich Rasch in seiner immer noch wichtigen Studie Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schrifttum des 18. Jahrhunderts mit einigem Material untermauert hat,16 unterliegt im Pietismus vor diesem Hintergrund auch die Sozialform der Freundschaft einem Vorbehalt und ist nicht fraglos gerechtfertigt. Sie muss sich eigens ausweisen, ob sie der eigenen oder anderer Besserung dienlich ist. Kann man sich oder dem Nächsten durch die eigene Gegenwart nicht dienen, ist die Gesellschaft anderer zu meiden: Wenn du merckest/ daß die Gesellschafft dir nicht nothwendig ist/ oder daß die Ehre deines GOttes anderweit besser könne befordert werden/ oder daß die Liebe dich nicht dringe/ deinem Nechsten durch deine Gegenwart zu dienen/ so laß dir ja nicht lieb seyn/ bey der Gesellschafft zu bleiben. Keinen Augenblick mustu dabey seyn/ wenn du keinen andern Zweck hast/ als daß du nur die Zeit unnützlich passirest.17

Auch in einem anderen Verhaltensratgeber, der für den Gebrauch am Pädagogium Regium verfassten Nützlichen und nöthigen Handleitung zu Wohlanständigen Sitten (1706, 71733), kommen Freunde daher nicht von ungefähr zunächst als falsche Freunde vor. Auf Reisen, so heißt es im entsprechenden und dem einzigen explizit Freundschaftsverhältnisse berührenden Kapitel, sei man »sehr vorsichtig in Erwählung eines Freundes« und solle sich auch einem »angetroffnen Lands=Manne nicht ohne vorhergangene genugsame Prüfung« 15 So heißt es in der fünften Regel: »Laß dich nicht verwegen ein/ von den Dingen dieser Welt zu reden/ wenn nicht GOtt dadurch geehret/ dein Nechster gebessert/ und deiner Nothdurfft geholffen wird.« Francke, Reguln (wie Anm. 13), Nr. V, 3. 16 Wolfdietrich Rasch: Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schrifttum des 18. Jahrhunderts. Vom Ausgang des Barock bis zu Klopstock. Halle 1936, 36–62. Die spezifische Ambivalenz von Freundschaft für den Pietismus charakterisiert Rasch wie folgt: »So macht der Pietismus den Menschen einsam, aber er verweist ihn gerade damit für sein persönliches Gemeinschaftsbedürfnis, das sich nun um so heftiger regt, auf die unmittelbare Beziehung zu religiös gleichgesinnten Menschen.« (ebd., 44). 17 Francke, Reguln (wie Anm. 13), Nr. XXIX, 23 f. Siehe auch in der vermehrten Neuauflage des Büchleins: August Hermann Francke: Schrifftmäßige Lebens-Regeln, Wie man so wohl bey als auch ausser der Gesellschafft die Liebe und Freundligkeit gegen den Nächsten, die Freudigkeit eines guten Gewissens für Gott bewahren, und im Christenthum zunehmen soll. Leipzig 41701, 25–113: »Das II. Capitel. Wie man ausser der Gesellschafft/ wenn man allein/ und ausser dem Umgang mit andern ist/ für dem Angesicht GOttes leben/ und die Freudigkeit eines guten Gewissens in allen seinem Vornehmen bewahren soll.«

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anvertrauen, wenn man zuvor in heimatlichen Landen »keine vertrauliche Freundschaft mit ihm gepflogen« habe.18 Von einer ›Freundschaftsökonomie‹ wäre in diesen Beispielen jedoch höchstens in einem sehr weiten Verständnis zu sprechen, insofern man nur auf genau bedachte Weise Freundschaftsverhältnisse zu knüpfen habe. Diese stehen – wie alles, was man auf Erden tut – unter der rigorosen Rechtfertigungsanforderung, im heilszuträglichen Sinne nützlich zu sein, woraus sich dann auch die maßvolle Beschränkung sowohl in ihrer Anzahl als auch in ihrer Ausgestaltung zur Vermeidung unnützer »Weitläuftigkeit«19 gleichsam von selbst ergibt.20

4. Freundschafts=Oeconomie (Friedrich Carl von Moser) In einem sehr viel genaueren Sinn findet sich dagegen ›Freundschaftsökonomie‹ in der ebenfalls zur Benutzung im Halleschen Pädagogium Regium vorgesehenen Handreichung Der Christ in der Freundschaft, die 1754 ohne Autornennung die beiden Frankfurter Schwestern Susanna Katharina und Maria Magdalena von Klettenberg zusammen mit dem Juristen und Staatsbeamten Friedrich Carl von Moser vorlegen. Der Christ in der Freundschaft ist wie Franckes XXX. Reguln ebenfalls ein »Regelwerk«, so Christian Soboth, »das bei der Einrichtung einer christlichen Lebensführung hilfreich sein« soll, in »Ton und Thema […] ein signifikantes Zeugnis für die fromme Empfindsamkeit und deren Bemühen, im Medium der Literatur Herz und Kopf durch den rechten Glauben zu einem tugendhaften Lebenswandel zu harmonisieren.«21 Seine Verfasser charakterisiert Soboth als Anhänger eines »gemäßigten, postfranckeschen hallischen Pietismus«.22 Susanna Katharina von Klettenberg, die Johann Wolfgang Goethe später als die »schöne Seele« in seinem Roman 18 Und selbst dann ist es geraten, »wenn du auch einen im Vaterlande sehr wohl gekant hast, und nach einiger Zeit in der Fremde wieder findest, so magst du ihn wohl aufs neue daselbst nochmal recht kennen lernen, und dich ihm nicht sofort vertrauen«. [Hieronymus Freyer]: Nützliche und nöthige Handleitung Zu Wohlanständigen Sitten, Wie man sich In der Conversation, auf Reisen, im Brief=Schreiben und Einrichtung der Geschäfte sittig, bescheiden, ordentlich und klüglich verhalten soll: Zum Gebrauch des Paedagogii Regii zu Glaucha an Halle abgefasset […]. Halle 6 1727, 288 f. 19 Siehe Francke, Segen (wie Anm. 1). 20 Von daher ist Wolfram Mausers Herleitung der »Christliche[n] Freundschaft« aus dem Gebot der Nächstenliebe in Bezug auf den Pietismus nur insofern zuzustimmen, als Nächstenliebe auf die Besserung des Nächsten gerichtet wäre, siehe Wolfram Mauser: Geselligkeit. Zu Chance und Scheitern einer sozialethischen Utopie um 1750. In: Aufklärung 4, 1989, 5–36, hier: 18 f. 21 Christian Soboth: ›… in der geistlichen Waffen=Rüstung bleiben‹. Vermutungen über eine ›unerbauliche Begebenheit‹ in Der Christ in der Freundschaft (1754). In: Praxis pietatis. Erbauungsliteratur aus der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen. Hg. v. Brigitte Klosterberg u. dems. Halle 2001, 29–38, hier: 31. Zur Verwendung im Pädagogium Regium siehe ebd., 34 f. 22 Ebd., 32.

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Wilhelm Meisters Lehrjahre porträtieren wird, lernt 1751 den Juristen und Schriftsteller Friedrich Carl von Moser kennen (der als »Philo« ebenfalls in Wilhelm Meisters Lehrjahren erscheint, als der »innige Freund« der »schönen Seele«23). Moser ist zur Zeit der gemeinsamen Abfassung des Christ in der Freundschaft Hofrat im Dienst des Landgrafen von Hessen-Homburg und wird später u. a. als Erster Staatsminister des Landgrafen von Hessen-Darmstadt die maroden Staatsfinanzen der Grafschaft sanieren, Staatsstraßen anlegen, die Landwirtschaft rationalisieren sowie Münzen, Maße und Gewichte vereinheitlichen. Gleichsam zur wissenschaftlichen Begleitforschung dieser Aktivitäten initiiert Moser später die erste Gründung einer ökonomischen Fakultät in Deutschland an der Universität Gießen.24 Dass das erste von fünf Kapiteln, die Moser insgesamt zu der Gemeinschaftspublikation mit den KlettenbergSchwestern beiträgt, mit Von der freundschaftlichen Oeconomie überschrieben ist,25 ist vor diesem Hintergrund sicher kein Zufall. Mosers Überlegungen zur »freundschaftlichen Oeconomie«, später spricht er auch wörtlich von »Freundschafts=Oeconomie« (71), beginnen wie folgt: Wir stehen, als Menschen, alle unter und in der großen Oeconomie GOttes, unsers allmächtigen Schöpfers, Bewahrers und Erhalters; durch den Glauben an Christum aber kommen wir in seine Gnaden=Haushaltung, wo wir aus seinen Geschöpfen auch seine Kinder, Mit=Erben Christi, Schafe unter ihm, dem guten Hirten, Reben an ihm, dem Weinstock, werden, ja uns, bey aller Empfindung unserer Sündlichkeit, getrösten dürfen: Wir sind doch Fleisch von deinem Fleisch, und Bein von deinem Bein. (58 f.)

Die erste Bedeutung, die Moser demnach mit dem Begriff der ›Ökonomie‹ als »große[r] Oeconomie GOttes« verknüpft, richtet sich auf das Ganze der göttlichen, wohl eingerichteten Schöpfung. Die theologische Formel von Gott als Schöpfer, Bewahrer und Erhalter lässt sich mit dem üblichen zeitgenössischen Verständnis von ›Ökonomie‹ gut assoziieren, insofern diese, als Wissenschaft von der »Haushaltung«, »eine derer trefflichsten Wissenschafften« ist, wie es in Johann Heinrich Zedlers Grossem vollständigen Universal-Lexicon heißt, dadurch der Menschen Glückseligkeit am ersten erlanget wird. Es lehret aber dieselbe, vermittelst denen Regeln der Klugheit, nicht nur durch eine vernünfftige und wohlgefassete Christl. Einrichtung, Haab und Gut zu erwerben, sondern auch das erworbene durch klügliche Anwendung, und verständige Sparsamkeit zu Rathe zu halten

23 Johann Wolfgang v. Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre. In: ders.: Werke. Hamburger Ausgabe. Hg. v. Erich Trunz. Bd. 7. München 1982, 391. 24 Vgl. Günter Christ: Moser von Filseck, Friedrich Carl Freiherr von. In: NDB 18, 1997, 178–181. Onlinefassung: http://www.deutsche-biographie.de/sfz65675.html (letzter Zugriff 9. 8. 2018). 25 [Susanna Katharina u. Maria Magdalena v. Klettenberg, Friedrich Carl v. Moser:] Der Christ in der Freundschaft. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1754, 58–81. Im Folgenden die Zitatnachweise aus dieser Ausgabe nur mit Seitenangabe direkt im Text.

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und zu vermehren, welches eben eine so grosse ja noch grössere Kunst ist, als das Erwerben selbst.26

Durch Jesus Christus wird bei Moser die »große[n] Oeconomie GOttes« als eine »Gnaden=Haushaltung« erfahrbar, welche die Zedlersche, durch »Regeln der Klugheit […] vernünfftige und wohlgefassete Christl. Einrichtung« emphatisch zu einer ›tröstenden‹ Gemeinschaft steigert, in der der Gläubige nicht als klug agierender Teilhaber, sondern vielmehr in bekannter biblischer Metaphorik als ein von seinem Vater und Hirten Abhängiger angesprochen wird. Die prudentia durch gratia ersetzende »Gnaden=Haushaltung« unterstreicht, dass eine christliche Ökonomie als eine von Christus gestiftete Ökonomie nicht einem natürlichen Gemeinschaftshang des Menschen oder einer durch Pragmatik und Tradition bewährten Lebenspraxis entspringt, sondern allein durch das Vorbild Jesu Christi gerechtfertigt und geheiligt ist. Indem Jesus noch vom Kreuz herab mit seinem »gemeinschaftliche[n] Herz« seine Mutter Maria der Fürsorge des Johannes anbefohlen habe, so Moser die Szene Joh 19,25–27 ausdeutend, habe er die »erste Gemeinschaft« (62) von Christen untereinander gestiftet. Dass diese erste Gemeinschaft gläubiger Christen »an und unter seinem Creuz« begründet wurde, heißt auch, dass sie auf den »Sinn des Creuzes« verpflichtet ist (62). Aus seiner Ursprungserzählung christlicher Freundschaft leitet Moser im Weiteren eine Gemeinschaftspflicht ab, der sich nur entziehe, wer unlautere Beweggründe oder wegen persönlicher Verfehlungen Grund zur Furcht vor anderen habe. Der Rückzug aus der Gemeinschaft, der für August Hermann Francke noch eine legitime Lebensform darstellte, in der man als einzelner ebenso wie in Gesellschaft mit entsprechenden Vorkehrungen die »Freudigkeit eines gutes Gewissens in allen seinem Vornehmen« bewahren konnte,27 wird von Moser ausführlich kritisiert (64–69), schließlich als »Privat=Haushaltung«28 abgelehnt und wie jede Form von Separatismus bekämpft: »JEsus will Streiter, aber keine Eremiten haben« (69). Die ›große Ökonomie‹ erscheint damit als die den Einzelnen verpflichtende Idee einer »gemeinschaftliche[n] Handreichung« (64), der man sich nicht entziehen darf. Gewinnt Moser seinem Modell einer »freundschaftlichen Oeconomie« damit zunächst den disziplinierenden Gesichtspunkt einer ›allgemeinen Haushaltung‹ ab, entwickelt er diese im Hauptteil seines Aufsatzes mit einer bemerkenswerten Stringenz zu einer ›Freundschaftsökonomie‹ im engeren 26 Haushaltung. In: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste 12, 1735, 902 f, hier: 902. Der Band wurde im Übrigen, wie alle Bände des Zedlerschen Lexikons der Jahre 1731–1738, in der Druckerei des Halleschen Waisenhauses gedruckt. Siehe dazu mit weiterer Literatur: Kai Lohsträter: Die Waisenhausdruckerei in Halle. http://www.zedleriana.de/zherstwaisen.htm (letzter Zugriff 9. 8. 2018). 27 Francke, Lebens-Regeln (wie Anm. 17), 25. 28 »Oeconomia Privata, ist nichts anders als die Oeconomie eines eintzeln Hauß=Vaters«. PrivatOeconomie, die gemeine Haußhaltungs=Kunst, die Privat-Wirtschaffts=Kunst. In: Zedler, Universal-Lexicon (wie Anm. 26), 29, 1741, 580–583, hier: 580.

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Sinne weiter, die es dann doch mit den in Zedlers Universallexicon beschriebenen effizienzorientierten Grundsätzen der »klügliche[n] Anwendung, und verständige[n] Sparsamkeit« durchaus aufnehmen kann. Denn in Mosers Ökonomie sind keineswegs alle Teilhaber gleichgestellt, wie es sich etwa noch Gottfried Arnold in seiner rückwärtsgewandten Utopie der Urchristengemeinschaft als ›brüderlicher Vereinigung‹ vorgestellt hatte.29 Sondern der Weg zur Vergemeinschaftung und Einkehr in die »Gnaden=Haushaltung« führt über die Selektion hierfür besonders nützlicher sozialer Beziehungen: »Die Wahl hiebey ist erlaubt« (69), ja »bey unsern jetzigen falsch=geistlichen, geistlosen, und Sectenreichen Zeiten gedoppelt nöthig, damit Philadelphia nicht auf Laodicäischen30 Grund und Boden erbauet werde.« (69 f). Jesus ist nach Mosers Verständnis auch für das Wählen das Vorbild. Denn bereits die erste christliche Ökonomie auf Erden – noch vor der durch Jesus veranlassten Vergemeinschaftung von Maria und Johannes unter dem Kreuz – ist eine »Special=Haushaltung« (61), die Jesus während seines irdischen Aufenthalts einrichtete. Sie bestand gleich in einer doppelten Auswahl, wie Moser erläutert, indem nämlich Jesus »während seines Menschenstandes« zum einen aus den Tausenden seiner frisch gewonnenen Anhänger zwölf Apostel, »seine Favoriten, seine Herzens=Freunde«, auswählte (61) und zum anderen sich mit Johannes auch noch »unter diesen wieder einen erwählt[e], der sein Liebling ware« (69). Freunde sind demnach nicht vom Himmel geschenkt, sondern ausgewählt. Dabei heißt es »klüglich zu wählen« (71), und die erste Voraussetzung einer klugen Freundschaftsökonomie ist die Freiheit der Wahl: »Es kan und muß also bei Errichtung einer Freundschafts=Oeconomie aller Zwang entfernet seyn.« (71) Moser verzichtet darauf, die Kollision dieser Forderung nach freier Auswahl mit dem zuvor erhobenen Zwang zur Vergemeinschaftung zu diskutieren, aber nicht nur darum bedarf es offensichtlich weiterer Argumente, um die Legitimität einer solchen Forderung zu belegen. Das erste liefert Mt 18,20: »Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.« Moser kommentiert: Es ist besonders, daß der HErr JEsus die herrliche Verheissung seiner nahen Gegenwart bey den freundschaftlichen Zusammenkünften seiner Kinder nicht darauf setzt: Wo alle von einem Ort, oder doch die mehreste beisammen seyn, da will ich mitten unter ihnen seyn; sondern nur: Wo zwey oder drey beysammen seyn, welches nicht nur blöden oder schüchternen Herzen zum Trost gesagt ist, 29 Vgl. Gottfried Arnold: Die Erste Liebe Der Gemeinen JESU Christi/ Das ist/ Wahre Abbildung Der Ersten Christen/ Nach Ihren Lebendigen Glauben Und Heiligen Leben […]. Frankfurt a.M. 1696, hier vor allem das dritte Buch: »Von der ersten Christen Pflichten und Bezeigungen gegen einander«. ›Freundschaft‹ ist für Arnold indes noch ein Begriff weltlicher, ›natürlicher‹ Vergemeinschaftung, gegenüber der »der Dienst GOTTes aller Freündschafft vorzuziehen sey«, Viertes Buch, 2. Kap., Abs. 22, 475. 30 Vgl. Apk 3,14–20.

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oder etwa mit Blick darauf, dass nicht mehr Gläubige zusammen kommen können, zu verstehen ist, »sondern daß dadurch zugleich die Auswahl, die man unter mehrern macht, gerechtfertiget wird.« (71) Neben der Folgerung, dass damit eine »gewisse Sympathie« im Zusammenleben geboten sei (72) – in der Mitte des 18. Jahrhunderts, insbesondere dort, wo es um nicht-eheliche Beziehungen zwischen Männern und Frauen geht, bekanntlich eine heikle Frage –,31 versucht Moser im Weiteren für den allgemeinen Nutzen des Auswahlprinzips zu argumentieren. Dies besteht vor allem im Bewusstsein des Einzelnen, von anderen als Freund und, um im Bild zu bleiben, ›Haushaltungsgenosse‹ ausgewählt zu sein. Denn einmal ausgewählt, werde man sich, so Moser, besonders anstrengen, alle im Freundeshaushalt angelegten Güter zu nutzen, keine Ressource ungebraucht zu lassen und schließlich genau zu ermitteln, zu was sich welcher Freund am besten brauchen lasse, um »darnach einen Particular=Plan über die mir in dieser seligen Oeconomie zustehende Rechte und Pflichten zu machen« (73). Ohne genauen Plan und Kalkül, das ist Mosers Überzeugung, werde aus Freundschaft allzu leicht Misswirtschaft, ohne das Korrektiv der Vernunft aus einem Übermaß an »zärtlichste[r] Liebe« (74) gar für beide Teilhaber ein »banqueroute« (75).32 So empfiehlt es sich schließlich auch, gerade die Herzensfreundschaft »von Zeit zu Zeit« zu evaluieren und Bilanz zu ziehen: »wie man in seinem ganzen Haußwesen stehe? ob man reicher oder ärmer worden?« (76), »ob sich Trägheit, Gleichgültigkeit gegen JEsum, Liebe zur Welt, irrdischer Sinn, eigene Geistes=Kräfte etc. eingeschlichen haben? ob wir uns nur aus Gewohnheit lieben, weil wir einander liebgewonnen haben«, und schließlich, »ob wir nur aus Gewohnheit, oder aus einem über unsere Gnadenwahl innigst gerührten […] entzündeten Herzen mit einander sprechen?« (77) Als ob es noch eines letzten Belegs für Max Webers bekannte These vom Zusammenhang protestantischer Ethik mit dem Geist des Kapitalismus be-

31 Zum Problem, inwieweit hier auch eigene Belange in der Beziehung Mosers zu Susanna Klettenberg angesprochen sind, siehe Soboth, Vermutungen (wie Anm. 21), 36–38. 32 Aus dem zu diesem Zeitpunkt neuen Gefühlsideal der ›Zärtlichkeit‹ wird sich die Epoche der Empfindsamkeit entwickeln, für die ein ausbalanciertes Verhältnis von Verstand und Gefühl typisch ist, siehe dazu etwa die einleitenden Passagen in Christian Fürchtegott Gellerts empfindsamem Bildungsroman Leben der schwedischen Gräfin von G*** (1747/48): »Er lieh mir seinen Verstand, mein Herz recht in Ordnung zu bringen«, mit dem durchaus pietistisch klingenden Ziel, schließlich »im stillen ruhig« zu werden. Christian Fürchtegott Gellert: Leben der schwedischen Gräfin von G***. In: ders.: Gesammelte Schriften. Kritische, kommentierte Ausgabe. Bd. 4: Roman, Briefsteller. Hg. v. Bernd Witte [u. a.]. Berlin u. New York 1989, 1–96, hier: 3 f. Vgl. zur Entdeckung der Zärtlichkeit im 18. Jahrhundert auch Gerhard Sauder: Der ›zärtliche‹ Klopstock. In: Text und Kritik. Sonderband: Friedrich Gottlieb Klopstock. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold. München 1981, 59–69. Moser seinerseits äußert sich eingehender zur ›Zärtlichkeit‹, die, mit ›Treue‹ und ›Ernst‹ versehen, auch für ihn ein wichtiger Wert ist, im vierten Kapitel seines zweiten Beitrags zum Christ in der Freundschaft: »Von der Zärtlichkeit in der Freundschaft der Glaubigen« (81–93).

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durft hätte,33 verpflichtet Moser die Freundschaftsökonomie am Ende nicht allein zur ständigen Revision der Erhaltung der Güter, sondern zuletzt auch darauf, dass man Wachstum generiere: Unsere Freundschaft soll kein todtes Capital bleiben, welches wir mit einander verzehren wolten, und wenn wir nichts mehr hätten, wären wir zusammen fertig. Keinesweges. Wir wollen Schäze dabey sammeln, und noch vor dem Thron des Lammes ihm ein besonder Dancklied über die reiche Wohlthaten unserer allhier gehabten Freundschafts=Oeconomie anstimmen. (78)

Das »Brauchbar=Machen der Freundschaft« (78)34 impliziert demnach auch einen Erhalt des eingesetzten Kapitals, dessen vermehrte »Schätze« sich bis an das Ende aller Zeiten in der Erinnerung der Freunde erhalten werden. Mosers Vision passt gut zur These des Religionswissenschaftlers Fritz Stolz, dass innerhalb von ›Endzeitökonomien‹ »Transaktionen an der Transzendenzlinie […] eine besondere Dynamik« entfalten.35 Nur dass Mosers »Endzeitgeschäft«36 in pietistischem Verständnis nicht in der Verrechnung auf Erden geleisteter Werke gegen himmlische Erlösung besteht, sondern in der Bekräftigung einer als Gotteskind bereits im irdischen Leben begonnenen Vermögensakkumulation.

5. Zwischen Freundes- und Gottesliebe Soweit die Theorie. Ein Beispiel ihrer Anwendung sei wenigstens noch kurz angedeutet. Im selben Jahr 1754 – man wüsste gerne, ob vor oder nach seinen Beiträgen zu Der Christ in der Freundschaft abgefasst – setzt Moser an seine Freundin und Mitautorin Susanna Katharina von Klettenberg ein Trost=Schreiben über den Tod der Freunde. Bey dem Grabe der Theuren Olorene auf.37 Mosers Schreiben ist ein Dokument praktizierter ›Freundschaftsökonomie‹. Es will in der Stunde der härtesten Prüfung wahrer Freundschaft den Trauernden eine ars moriendi an die Hand geben. Bei der Toten handelt es sich um die jung verstorbene Sophie Eleonore Achenwall geb. Walther (1723– 33 Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 1. Tübingen 91988, 17–206. 34 Siehe dazu auch das eigene, ebenfalls von Moser verfasste Kapitel 5: »Wie man einen Freund brauchbar, und einen brauchbaren noch brauchbarer mache« (Christ in der Freundschaft, wie Anm. 25, 94–111). 35 Fritz Stolz: Rechnungen in der Endzeitökonomie. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft 8, 2000, 71–92, hier: 78. 36 Ebd., 81. 37 Friedrich Carl v. Moser: Trost=Schreiben über den Tod der Freunde. Bey dem Grabe der Theuren Olorene. In: ders.: Gesammelte moralische und politische Schriften. Bd. 1. Frankfurt a.M. 1763, 285–314. Nachweise im Folgenden mit Seitenangabe direkt im Text.

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1754), eine »durch ihre Gedichte so wohl, als übrigen vortreflichen Character berühmte[n]« (286) Freundin Klettenbergs aus der Frankfurter Zeit.38 Mosers Trost=Schreiben ist von dem Dilemma echter pietistischer ›Herzensfreundschaft‹ bestimmt, dass einerseits der Abschied von ›Olorene‹, von der »so zärtlich geliebte[n], so treu und genau verbundene[n] Herzens=Freundin«, der Klettenberg, wie Moser einräumt, nicht »gleichgültig« sein kann (290), andererseits aber es ein Gebot wirklicher Nächstenliebe ist, ›Olorene‹ als die »Braut«, die ihr »Bräutigam […] so schnell heimgehohlet hat«, ihr frühes »Glück« des Übertritts ins Jenseits zu gönnen (289 f.). Damit wird jedoch die irdische ›Anhänglichkeit‹ an die Freunde zu einem gravierenden Hindernis, sich in den eigenen Tod wie in den der Freunde zu ergeben (292). Um diese harte, dem unmittelbaren Herzensgefühl widerstreitende Wahrheit der Freundin zu verdeutlichen, greift Moser wiederum allegorisierend auf die Ökonomie zurück. Nach dem zitierten kurzen Anklang mystischer Brautmetaphorik39 führt Moser seiner Adressatin die wahren Besitzverhältnisse in diesem »Endzeitgeschäft« (Stolz) vor Augen: »Ein Eigenthums=Herr kan das Seinige zu allen Zeiten und ohne vorgängige Weitläuftigkeiten wieder abhohlen, wann es ihm gefällt.« (296) Darum ist von wahren Christen auch die »tägliche Aufopferung unserer geliebtesten Freunde« (305) zu verlangen; zumal die Erfahrung zeige, dass »viele treue redliche Kinder GOttes, ohne einen Herzens=Freund« auskommen (307). Wird einem dagegen der geliebte Freund genommen, so ist »nichts gewissers, als daß er nicht mehr nöthig oder nützlich gewesen« (307): nicht mehr nötig, da man selbst stark genug geworden ist, auch ohne ihn auszukommen, oder nicht mehr nützlich, »weil wir uns allzuviel und zum Nachtheil des Wachsthums der innern Kräfte« auf ihn verlassen haben (307 f.). Die strikte Funktionalisierung, die Mosers ökonomisches Freundschaftsmodell schon in der Theorie bestimmte, findet sich in diesen nüchternen Darlegungen wieder. Dass Gott im Bedarfsfall auch einen neuen »Herzens=Freund« schicken wird, darf man mit Moser hoffen (308). Unersetzbar jedenfalls ist, wie Moser zu Bedenken gibt, niemand: »Der Gedanke soll ja nicht aufsteigen […]: So einen Freund oder Freundin bekomme ich doch nicht wieder.« (309) In strikter Konsequenz setzt Moser damit gerade die gemeinhin als genuin pietistische Errungenschaft geltende Individualität der Freundschaftsbeziehung außer Kraft, um die drohende Konkurrenz zwischen Freundes- und Gottesliebe auszuschließen.40 Sein Argument ist der Gedanke

38 Vgl. Jungfer S[ophie] E[leonore] W[alther]: Gedichte. Hg. v. F[riedrich] A[ndreas] W[alther]. Göttingen 1750. 39 Siehe dazu umfassend Burkhard Dohm: Poetische Alchimie. Öffnung zur Sinnlichkeit in der Hohelied- und Bibeldichtung von der protestantischen Barockmystik bis zum Pietismus. Tübingen 2000. 40 Zu diesem Antagonismus von »Gottesliebe« und »Kreaturliebe« im Pietismus, u. a. mit Hinweis auf den vorliegenden Trostbrief Mosers, siehe Rasch, Freundschaftskult (wie Anm. 16), 40 f.

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der funktionalen Ersetzbarkeit von allem und jedem, es ist der Kerngedanke rationalen ökonomischen Denkens.

6. Von der Rationalisierung der Innerlichkeit zur Empfindsamkeit Mosers kontinuierlich verwendetes ökonomisches Vokabular und sein Modell der Freundschaft als einer Wirtschaftsgemeinschaft ist, wie gezeigt werden sollte, weit mehr als nur ein rhetorischer Kunstgriff. Es veranschaulicht vielmehr die Notwendigkeit einer ständigen Beziehungspflege, dauernder Wachsamkeit und Selbstkontrolle, mithin die Forderung nach einer totalen Rationalisierung der Lebensvollzüge und der Gefühlswelt im Hinblick auf ein möglichst vollkommenes gottgefälliges Leben, das selbst allerdings gerade nicht rational, sondern von »innigst gerührten […] entzündeten Herzen« (77) bestimmt sein soll.41 Die ökonomische Rationalisierung menschlicher Beziehungen, für die der Pietist Moser ein extremes Beispiel liefert, kann als die zugehörige Kehrseite eben jener individualisierten Innerlichkeit betrachtet werden, die man gemeinhin als pietistische Keimzelle empfindsamer und moderner Freundschaftsvorstellungen ansetzt.42 Gleichwohl haftet Mosers ›Freundschaftsökonomie‹, so modern im Vokabular sie sich darstellt, auch etwas Verspätetes an. Denn zur selben Zeit bildet sich im deutschen Kulturraum, englische und französische Vorbilder rezipierend, ein neues empfindsames Freundschaftsverständnis aus,43 das (bei allem Narzissmus, den man ihm auch zuschreiben kann44) Überfluss, Verausgabung und Uneigennützigkeit als neue Werte entdeckt. Für dieses ist die Überzeugung leitend, dass der Wert der Freundschaft genau darin liegt, nicht vernünftig zu kalkulieren. Die Vorstellung ökonomischer Nutzenmaximierung ist für die empfindsame Freundschaft darum auch metaphorisch wenig attraktiv. Das zeigt sich nicht nur bei Mosers Zeitgenossen Friedrich von Hagedorn, für den, wie eingangs zitiert, gerade der »Eigennutz« blind für der wahren »Freundschaft Schatz« macht; diese Überzeugung spricht 41 Eine vergleichbare Anwendung rational-kontrollierter Methodik auf etwas, das der Rationalität gerade entgegengesetzt ist, zeigt Max Weber am Beispiel des pietistischen Bußkampfes auf: Weber, Ethik (wie Anm. 33), 138. 42 Siehe dazu den ausgezeichneten Aufsatz von Hans-Georg Kemper: Der Himmel auf Erden und seine poetische Heiligung. Säkularisierungstendenzen in den ›Freundschaftlichen Liedern‹ von Immanuel Jakob Pyra und Samuel Gotthold Lange. In: ›Geist=reicher‹ Gesang. Halle und das pietistische Lied. Hg. v. Gudrun Busch u. Wolfgang Miersemann. Tübingen 1997, 269–285, hier besonders 275–282. Im weiteren Zusammenhang: Igor S. Kon: Freundschaft. Geschichte und Sozialpsychologie der Freundschaft als soziale Institution und individuelle Beziehung. Reinbek bei Hamburg 1979, besonders 58. 43 Vgl. hierzu die Beiträge in dem Band: Gefühlskultur in der bürgerlichen Aufklärung. Hg. v. Achim Aurnhammer [u. a.]. Tübingen 2004. 44 Vgl. Kemper, Himmel (wie Anm. 42), 278.

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beispielsweise auch aus dem Freundschaftsideal, das im selben Zeitraum die von den Hallensern Samuel Gotthold Lange und Georg Friedrich Meier (ersterer pietistischem Kontext entstammend45) herausgegebene Moralische Wochenschrift Der Gesellige propagiert. Zwar ist auch hier von der Aufgabe der »Verbesserung und Erbauung des Freundes«46 zu lesen, zwar ist auch hier die höchste Freundschaft ein äußerst seltenes Gut: »Sollte man wol in jedem Jahrhundert zwanzig Paar also antreffen?«,47 aber im Unterschied zu einem ökonomischen Freundschaftsdenken ist wahre Freundschaft aus der Perspektive des Geselligen durch Selbstlosigkeit ausgezeichnet: »Freundschaft ist ganz und gar ohne alle falsche Absichten und uneigennützig«.48 Der von ihr Getragene ist »unaufhörlich bemühet, sich dem Freund gefälliger zu machen, oder ihm Dienste zu erweisen«, ja schließlich: »Freundschaft vergißt sich gleichsam selbsten«.49 Aus diesem Verständnis von Freundschaft ergibt sich zum einen eine spezifische Nachsicht gegenüber dem eigenen Freund. Freundschaft »betrachtet« den Freund »immer nach der stärksten Seite; sie übersieht und decket die Fehler zu«,50 wogegen es nach pietistischer Freundschaftsauffassung im Gegenteil eine strikte Verpflichtung wäre, in ›einfältiger‹ Aufrichtigkeit gerade dem Freund keinen seiner Fehler durchgehen zu lassen.51 Zum anderen enthält die im Geselligen gegebene Charakteristik der Freundschaft ein dynamisches Prinzip der Vermehrung von Freundschaftsbeziehungen, das dem pietistischen Ratschlag, seine Freunde vorsichtig und behutsam auszuwählen und sich gegebenenfalls auch mit ihrem Verlust abzufinden, direkt entgegengesetzt ist: »Freundschaft ist unaufhörlich bemühet, […] neue Freunde zu suchen.«52 Damit allerdings zieht auch eine neue Form von Freundschaftsökonomie herauf, die bis in die Gegenwart anhaltend ihre Wirkung entfaltet.

45 Siehe dazu, wie auch zu seiner Freundschaftspraxis, ebd. 46 Der Gesellige. Eine moralische Wochenschrift 1, 1748, Nachdruck der Ausgabe Halle 1748–1750, neu hg. v. Wolfgang Martens. Hildesheim [u. a.] 1987. Bd. 1, 48. Stück, 395–400, hier: 398. Vgl. zum Zusammenhang von Freundschaft und Geselligkeit auch Adam, Freundschaft (wie Anm. 5), zum Aufsatz aus dem Geselligen bes. 1 f. 47 Der Gesellige 1748 (wie Anm. 46), 399. 48 Ebd., 397. 49 Ebd., 398. 50 Ebd. 51 Vgl. mit häufiger Bezugnahme auf den Pietismus, darunter auch auf Klettenberg und Moser, Ursula Geitner: Die Sprache der Verstellung. Studien zum rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen 1992. Kritische Distanz zum Pietismus nimmt Der Gesellige jedoch weniger wegen der Differenz im Freundschaftsverständnis ein, als dass den Pietisten, ohne sie direkt zu nennen, die Fähigkeit zur ›Geselligkeit‹ und damit die Grundvoraussetzung zu Freundschaft überhaupt abgesprochen wird, vgl. die Invektiven gegenüber der »Ungeselligkeit unter dem Vorwand der Religion« und die Betrachtung »Von den ungeselligen Frommen«, Der Gesellige 1748 (wie Anm. 46), 34. Stück, 281–288, u. 85. Stück, 715–720 (Titel nach Inhaltsverzeichnis). 52 Der Gesellige 1748 (wie Anm. 46), 48. Stück, 398.

Corinna Kirschstein

Pracht, Wollust und Uppigkeit Zeitverschwendung und Affektökonomie im Halleschen Pietismus

1. Der rechte Gebrauch der Zeit 1701 spottete Catharina Elisabeth Velten († nach 1712), die Witwe des bekannten Halleschen Schauspielers und Prinzipals Johannes Velten (1640– 1692), die nun selbst die Leitung seiner Truppe übernommen hatte, über millenaristische Erwartungen nach Art der heutigen Pietisten/ die da gern lebendig gen Himmel fahren möchten/ wenn sie sich nur zuvor in dem tausendjährigen Wollust-Freuden und Vergnügungs=Reich werden weidlich getummelt haben/ welches aber doch von einem solchen auffrichtigen Bekenner Christi nicht zuvermuthen.1

Die Häme der Prinzipalin wird verständlich, begreift man sie als eine Reaktion auf heftige Angriffe dieser pietistischen »auffrichtigen Bekenner« gegen theatrale Vorstellungen, namentlich des Diakons am Magdeburger Dom, Johann Joseph Winckler (1670–1722), der während seines Theologiestudiums in Leipzig August Hermann Franckes (1663–1727) Vorlesungen gehört hatte und seither dem Pietismus zuneigte. 1701 hatte Winckler unter dem Titel Des Heil[igen] Vaters Chrysostomi Zeugniß der Warheit wieder die Schau=Spiele oder Comödien eine Predigt des Kirchenlehrers Johannes Chrysostomos (ca. 350–407) herausgegeben und erläutert, in der er dessen Verurteilung antiker Schauspielpraktiken auf seine Gegenwart anwandte: Erwäget die Zeit. Es ist das Liecht noch eine kleine Weile bey euch Ach wie kurtz wird euch die Zeit noch werden! O möchtet ihr die Comœdien=Stunden am Ende eures Lebens zur Bekehrung haben! O wenn euch da nur nicht etwan der Pickelhering [komödiantische Narrenfigur, d.Vf.in] mit seinen Geberden/ Schertzen und Possen ins Gehirne tritt/ und euch durch solche Bilder auch noch im Tode verblendet und verwirret/ bedencket das Elend der Zeit.2 1 C[atharina] E[lisabeth] Velthemin: Zeugnis der Warheit Vor Die Schau=Spiele oder Comödien/ Wider H[err]n Joh[ann] Joseph Wincklers/ Diaconi an der hohen Stiffts=Kirchen in Magdeburg/ Herausgegebenen Schrifft/ Worinnen er Dieselbe heftig angegriffen/ um verhast zu machen sich vergeblich bemühet/ Aus vieler Theologorum Zeugnis auch anderer Gelehrten Schrifften zusammen getragen und auffgesetzt. In: Frau Magister Velten verteidigt die Schaubühne. Schriften aus der Kampfzeit des deutschen Nationaltheaters. Hg. v. Carl Niessen. Zwickau 1940 (unpaginiert). 2 Johann Joseph Winckler: Des Heil[igen] Vaters Chrysostomi Zeugniß der Warheit wieder die

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In ihrer Replik Zeugnis der Warheit Vor die Schau=Spiele oder Comödien sorgte sich Velten nun ironisierend darum, wie sich die sprichwörtliche »pietistische Kopfhängerei« mit der Erwartung eines tausendjährigen Freudenreiches vertrüge, während Winckler ein Konkurrenzverhältnis zwischen jenseitigen Heilsversprechen und diesseitigen Vergnügungen witterte, von dem sehr reale Gefahren ausgehen könnten. In seltsamer Verkehrung ihrer jeweiligen vermeintlichen Zuständigkeitsbereiche äußerte sich die Schauspielerin zu eschatologischen Fragen, wohingegen der Theologe die – in seinen Augen – produktions- und rezeptionsästhetisch fatalen Folgen theatraler Vorstellungen bedachte. Solche Verwerfungen, die auf die Schwierigkeit hindeuten, kulturelle Praktiken bestimmten Diskursen zuzuweisen, lassen sich für die Frühe Neuzeit insgesamt beobachten und bleiben auch um 1700 virulent. Sie eignen sich daher besonders gut, um die wechselseitige Abhängigkeit theologischer, moralischer, ästhetischer und ökonomischer Fragen zu untersuchen. So verbindet zunächst die Frage nach der Zeit und ihrem rechten Gebrauch bzw. ihrem Missbrauch die Argumentation Wincklers und Veltens. Aus pietistischer Perspektive war der Umgang mit der Zeit eng an Fragen der Moral geknüpft: Wo Winckler Jesu Gleichnisrede vom Licht (Joh 12,35) aufgriff, um die Gefahren der Verschwendung der möglicherweise knappen Ressource vor Augen zu führen, lag August Hermann Franckes Argumentation zum rechte[n] Gebrauch der Zeit wohl das Gleichnis vom Kaufmann (Mt 13,45 f) zugrunde. Zum Beginn des Jahres 1713 empfahl er, man solle keine einige bequeme Zeit/ gutes zu wircken/ versäumen/ sondern es so damit machen/ wie es ein Kauffmann machen möchte/ so er eine Waare auf dem Marckt anträfe/ von welcher er grossen Gewinn hoffete/ die ihm aber alle Augenblick leichtlich könte weggekauffet werden/ und die er hernach vielleicht sein Lebelang nicht wieder bekommen dürffte. Denn gleichwie da der Kauffmann keine Stunde versäumen würde/ solche Waare/ so es ihm möglich wäre/ gantz weg oder auszukauffen/ und nichts dahinten zu lassen: Also will er [Paulus, d.Vf.in]/ sie [die Epheser, d.Vf.in] sollen/ so viel an ihnen ist/ eines jeden Tages/ einer jeden Stunde/ ja eines jeden Augenblicks wahrnehmen/ daß sie immer etwas gutes aus der Zeit/ als aus einem schnell vorbey lauffenden Strom heraus reissen/ so ihnen mit in die Ewigkeit folge.3

Schau=Spiele= oder Comödien. Verteutschet und in etwas erläutert. O.O. 1701, 28. Der ›Erfolg‹ dieser Argumentationsstruktur zeigte sich u. a. beim preußischen König Friedrich Wilhelm I., der nicht nur den Besuch von Schauspielen mied, da, »wenn man hernach beten, zum Abendmahl gehen und Gottes Wort hören will, einem die Possen immer wieder einfallen«, sondern auch bei Maskeraden fürchtete, er müsse, stürbe er plötzlich, »in solcher Positur vor Gott treten«, wobei dann »Gott zu ihm sagen werde: Weg da!« Zit. nach Gustav Kramer: Neue Beiträge zur Geschichte August Hermann Franckes. Halle 1875, 172. Vgl. auch den Beitrag von Benjamin Marschke in diesem Band. 3 August Hermann Francke: Der rechte Gebrauch der Zeit/ So fern dieselbe gut/ und so fern sie böse ist/ Aus 2. Cor 6/2. und Eph 5/16. vorgestellet/ Und Auf die Beschaffenheit der jetzigen Zeiten

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Neben den aus Versäumnissen resultierenden Gefahren, vor denen Francke selbstverständlich auch warnt, fällt die positive Konnotation einer Marktlogik (Kapitalakkumulation, Monopolstreben etc.) auf: Die Gesetze des Marktes werden in eins gesetzt mit dem Willen Gottes. Aus Franckes Auffassung von Gnade und Heil als zeitlich gebundenen, endlichen Gütern, die es zu erwerben gilt, folgt, dass ökonomische Praktiken als vorbildliche Verhaltensweisen in den moraltheologischen Diskurs integriert werden können und vice versa. Anders gesagt: Die Verschränkung des Strebens nach dem Guten mit dem Streben nach Gütern lässt moralisches Verhalten als eine Handelsbeziehung zum Ziel der Gewinnmaximierung erscheinen: Darum saget er [Paulus, d.Vf.in] nicht/ sie [die Epheser, d.Vf.in] sollen die Zeit und Gelegenheit wohl in acht nehmen/ sondern sie sollen sie erkauffen/ sie ansehen als rem pretiosissimam, oder als eine Sache von grossem Werth/ also daß sie gern etwas anders/ so ihnen selbst lieb wäre/ fahren lassen/ und es für einen Gewinn achten/ so sie nur hingegen eine Gelegenheit gutes zu thun nicht versäumeten.4

Hier soll es allerdings weniger um die von Francke gepriesenen rechten kaufmännischen Tugenden der Akkumulation von Kapital, des Monopolstrebens oder der Chancennutzung gehen; ich möchte mich vielmehr mit den Schatten- oder Nachtseiten der Ökonomie beschäftigen: mit Betrug, Lüge und Verschwendung – aus ökonomischer und moralischer Sicht unnützen, unproduktiven, ja sogar schädlichen Praktiken. Anders könnte es auch heißen: Mir geht es im Folgenden um Künste, Zerstreuungen und Phantasie.

2. Zerstreuungsangebote Die oben angedeutete Überlagerung moraltheologischer, ökonomischer und ›ästhetischer‹ Diskurse lässt Vergnügungen und insbesondere Theater in den Fokus von Attacken, aber auch von Begehrlichkeiten unterschiedlicher Interessengruppen geraten. Aus moralischer oder ökonomischer Sicht scheinen seine Künste nicht nur nichts zu produzieren, sondern ureigene theatrale Kunstmittel werden als wesensverfälschendes, moralisch korrumpierendes Rollenspiel abgewertet. An der Frage, ob diese Zuschreibungen eine prinzipielle Ablehnung von Theater oder korrigierende Eingriffe in dessen Praxis nach sich ziehen sollten, entschied sich die jeweilige Haltung zu ihm. Verschärfend kam hinzu, dass sich im deutschsprachigen Raum die Schauspielkunst als berufsmäßig betriebene Erwerbspraktik in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eben erst herausbildete: Veltens Truppe, als deren Prinzipalin sich appliciret/ Den 4. Jan[uar] als zum Anfang des 1713ten Jahres. Halle ²1715, 28 f, Hervorhebung im Original. 4 Ebd., 27 f, Hervorhebung im Original.

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seine Witwe gegen die Attacken Wincklers verteidigte, wird allgemein als eine der ersten bezeugten Berufsschauspielertruppen angesehen. Diese Voraussetzungen gilt es zu bedenken, betrachtet man die sprichwörtliche pietistische Theaterfeindschaft, die in Halle um 1700 sogar in ein relativ rigoroses Theaterverbot mündete. Man muss nicht gleich Günter Meyers Einschätzung zustimmen, dass »Halle […] den traurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen [darf], die Topfdeckel in dem pietistisch-rationalistischen Kesseltreiben unter priesterlich-professoraler Anführung gegen das Theater am lautesten und gründlichsten geschlagen zu haben«,5 um die frappierende Beharrlichkeit zu bemerken, mit der über Jahrzehnte hinweg Universität und pietistische Geistlichkeit den Widerständen vonseiten der Studenten und des Magistrats trotzten und mit Nachdruck auf dessen Einhaltung und sogar Ausweitung drangen: Dem Verbot von theatralischen Aufführungen und Pickelheringspossen in der Stadt Halle vom 6. Juli 1700 folgte zwei Jahre später dessen Ausdehnung auf den Vorstadtbereich, die Amtsstädte Neumarkt und Glaucha. An den hinsichtlich der Durchsetzung nachlässigen Magistrat erging im gleichen Jahr die königliche Weisung, »allen Zeit, Geld und Jugend verderbenden Spielen und Narrenspossen« zu wehren. Quasi in einem Atemzug wurde hier Theater als ökonomischer und moralischer Gefahrenherd verdammt. Erneuerungen und Bestätigungen derartiger Verbote erfolgten auf Eingaben pietistisch-universitärer Kreise in der gesamten Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. bis in die Anfänge der Regentschaft Friedrichs II.6 Interessanterweise waren es besonders die Jahrmärkte mit ihrem Konglomerat aus Warenhandel und spielerisch-theatralen Künsten und Attraktionen, die das Eingreifen der geistlichen und weltlichen Obrigkeit herausforderten. So beschwerte sich beispielsweise 1715 die Universität beim preußischen König »über einen Seiltänzer und einen ›marktschreierischen Harlekin‹ auf dem Jahrmarkt«. In seiner Antwort rügte Friedrich Wilhelm I. nicht nur, dass der Magistrat »wieder die ergangene verschiedene Mandata denen Seiltäntzen und andern Gaucklern vergönnet, auf denen Jahrmärckten auszustehen«, sondern präzisierte zugleich, dass er »durchaus nicht wolle, daß dergleichen Comoedianten, Gauckler und Seiltäntzer, die sich auch gemeiniglich bey denen Marcktschreyern aufzuhalten pflegen, ferner in Unserer Stadt Halle geduldet« würden.7 Möglicherweise deuten derartige Verbote darauf hin, dass hier einer Beschränkung auf ›eigentliche Tätigkeiten‹ wie Warenhandel und Dienstleistungen Vorschub geleistet werden sollte, statt ein Mit- und Nebeneinander der auf dem Markt angebotenen ›Künste‹ länger zu dulden: ›Unproduktive‹ Gewerbe (wie die der Seiltänzer und Gaukler) bzw. scheinbar prahlerisch-be5 Günter Meyer: Hallisches Theater im 18. Jahrhundert. Emsdetten 1950, IX. 6 Julius Otto Opel: Der Kampf der Universität Halle gegen das Theater. In: Blätter für Handel, Gewerbe und sociales Leben. Beiblatt zur Magdeburgischen Zeitung, 1881, Nr. 19–32, hier: Nr. 22 u. 23 (unpaginiert). 7 Zit. nach Meyer, Hallisches Theater (wie Anm. 5), 19 f.

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trügerische Praktiken (wie die der Marktschreier) sollten entweder diszipliniert oder ferngehalten werden.8 Es fällt zudem auf, dass die Unterschiede zwischen pietistischer und lutherisch-orthodoxer Geistlichkeit in der Beurteilung von Theater gerade auch im Hinblick auf Jahrmarktsvergnügungen hervortreten. Bereits in seinem berühmt-berüchtigten Bekenntniß von dem Ministerio zu Halle in Sachsen von 1699, in dem Francke vermeintliche Missstände bei der innerstädtischen (lutherisch-orthodoxen) Geistlichkeit anprangerte, rühmte er sich, dass auf Veranlassung der Universität theatrale Vorstellungen verhindert werden konnten. Allerdings kritisierte er auch: Wenn Jahrmärkte gehalten werden, habe ich mich manchmal verwundert, daß fast an allen Ecken Narren stehen, die öffentlich agiren und das gemeine Volk, sonderlich aber die Jugend mit ärgerlichen Wesen und schändlichen Narrentheidungen, die Christen nicht geziemen, an sich locken: welches das Stadt-Ministerium ein Jahr nach dem andern so kann hingehen lassen, und nicht trachtet, es bei dem Magistratu dahin zu bringen, daß solches heidnische und unchristliche Wesen unterbleiben möchte? […] Sehen sie denn nicht, daß ihre Beichtkinder selbst mit hineingehen, und dadurch zu aller Ueppigkeit und bösen Lüsten gereizt und verführet werden? Reden sie ihnen denn darüber nicht zu? Und thun sie dieses ja, warum bezeugen sie nicht ihren Greuel öffentlich, den sie daran haben? Und warum suchen sie nicht die Sache gar aus dem Grunde zu heben?9

3. Luthers Theaterkonzept und dessen pietistische Ablehnung Wenn auch Francke in seinem Bekenntniß die laxe Haltung der Stadtgeistlichen zu den Jahrmarktsattraktionen nicht auf divergierende Lehrmeinungen zurückführt, sondern als persönliches Versäumnis Einzelner darstellt, so kann dies doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die lutherische Geistlichkeit zu Vergnügungen allgemein zwar skeptisch, aber nachsichtig verhielt. Martin Luther (1483–1546) selbst hatte nachdrücklich vor Verstößen gegen die alltägliche soziale Ordnung gewarnt, zu denen – nach seinem Dafürhalten – besonders Festzeiten Gelegenheit gaben: Sie waren in jedem Fall abzulehnen, wie seine Forderung zeigt, »das man alle fest abethet [abtäte, d.Vf.in] und allein den Sontag behielt […] Ursach: den als nu der miszbrauch mit sauffenn, 8 Vgl. Martina Hädge: »Meß-Ärzte« in Leipzig im 17. und 18. Jahrhundert. In: Theaterkunst & Heilkunst. Studien zu Theater und Anthropologie. Hg. v. Gerda Baumbach. Köln [u. a.] 2002, 41– 74, hier: 42 f. 9 August Hermann Francke: Bekenntniß von dem Ministerio zu Halle in Sachsen, dem Hochlöbl[ichen] Consistorio des Herzogthums Magdeburg zu remedirung auf geschehene Veranlassung überreichet von August Hermann Francken, Anno 1699 den 27. April. In: Kramer, Neue Beiträge (wie Anm. 2), 88–115, hier: 106.

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spielenn, mussig gang unnd allerley sund gaht, szo ertzurnenn wir mehr Got auff die heyligenn tag, den auff die andernn«.10 Doch schätzte Luther theatrale Praktiken, die »der jugent mit lust, Gottes wort und werck« einbildeten: Es habe – so schreibt er in den Vorreden zu den Büchern Judit und Tobias – bereits innerhalb des jüdischen Kultus nützliche und heilsame Spiele gegeben.11 Mit der Betonung eines pädagogischen Nutzens von Theater bereitete Luther zwar einerseits den Weg zu dessen moralisch-theologischer Beurteilung und Einordnung, gestand aber andererseits auch gewisse Freiräume zu, die die pietistische Kritik provozieren sollten. Bekannt war etwa seine in den Tischreden geäußerte Ansicht, dass Christen Comödien nicht ganz und gar fliehen [sollen], drum, daß bisweilen grobe Zoten und Bühlerey darinnen seyen, da man doch um derselben willen auch die Bibel nicht dürfte lesen. Darum ists nichts, daß sie solchs fürwenden, und um der Ursache willen verbieten wollen, daß ein Christe nicht sollte Comödien mögen lesen und spielen.12

Gerade solche Vermischungen des vermeintlich Heiligen mit dem vermeintlich Profanen waren aus pietistischer Perspektive nicht hinnehmbar. Winckler bezeichnete es als »listige[n] Griff des Satans«, mit buhlerischen Reden untermengte biblische Historien auf dem Theater darzustellen13 – eine kaum verhohlene Anspielung auf Luthers allseits bekannte Haltung. Diese Angriffe hatten weitreichende Konsequenzen für die fast ausschließlich durch Luthers Autorität legitimierte Praxis des protestantischen Schultheaters. Die aus Luthers Aussagen über theatrale Spiele entnommenen Ziele des Schultheaters – Wissensvermittlung (Moralia und Lebensregeln) und Glaubensunterweisung, Affektkontrolle und damit einhergehend Einübung des sozialen Rollenspiels14 – wurden rundweg infrage gestellt, wobei die tie10 Martin Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung. In: WA 6, 1888, 381–469, hier: 445 f. 11 Martin Luther: Vorrhede auffs buch Judith. In: WA.DB 12, 1961, 4, 6; ders.: Vorrhede auffs Buch Tobia. Ebd., 108, 110. In der Vorrhede auffs Buch Tobia schreibt Luther zum Ursprung abendländischen Theaters, es sei »zuuermuten, das solcher schöner geticht vnd spiel, bey den Jüden viel gewest sind, darinn sie sich auff ire Feste vnd Sabbath geübt, vnd der jugent also mit lust, Gottes wort vnd werck eingebildet haben, sonderlich da sie inn gutem friede vnd regiment gesessen sind, Denn sie haben gar treffliche leute gehabt, als propheten, senger, tichter vnd der gleichen, die Gottes wort vleissig vnd allerley weise getrieben haben, Vnd Gott gebe, das die Griechen ire weise, Comedien vnd Tragedien zu spielen, von den Jüden genomen haben, Wie auch viel ander Weisheit vnd Gottes dienst etc.« 12 Martin Luther: Tischrede Nr. 867. In: WA.TR 1, 1912, 431 f. Vgl. zu Luthers Verhältnis zu theatralen Praktiken Corinna Kirschstein: Schauspiele und Sauspiele. Theaterdiskurse im Zeitalter der Reformation. In: Episteme des Theaters. Aktuelle Kontexte von Wissenschaft, Kunst und Öffentlichkeit. Hg. v. Milena Cairo [u. a.]. Bielefeld 2016, 299–309. 13 Winckler, Zeugniß der Warheit (wie Anm. 2), 19–23. 14 Luther hält fest: »Comödien zu spielen soll man um der Knaben in der Schule willen nicht wehren, sondern gestatten und zulassen, erstlich daß sie sich uben in der lateinischen Sprache; zum Andern, daß in Comödien fein künstlich erdichtet, abgemalet und fürgestellt werden solche Personen, dadurch die Leute unterrichtet, und ein Jglicher seines Amts und Standes erinnert und

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feren Ursachen der Angriffe zunächst unklar bleiben: Relativ deutlich scheint noch hervorzutreten, dass der ostentative, öffentliche Charakter der Schulaufführungen und deren mangelnde moralische Integrität die Hauptkritikpunkte bilden. Doch schon in Bezug auf die Einübung sozialen Rollenspiels bleibt seltsam vage, ob nun eine mögliche Verfestigung oder Aufweichung der jeweiligen Sozialrolle durch das spielerische Agieren der Beteiligten oder die Vorführung sozialen Rollenspiels vor Publikum als schädlich angesehen wurde. Möglicherweise war es dann doch gerade Luthers Haltung einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber den Umständen, solange nur »Gottes wort vleissig vnd allerley weise« getrieben werde, die seinerzeit schon Widerspruch bei radikaleren protestantischen Strömungen hervorgerufen hatte und die nun der pietistischen Haltung, bestimmte Praktiken seien zur Glaubens- und Moralvermittlung per se ungeeignet, diametral zuwider lief. Trifft diese These zu, so entbehrt es nicht einer gewissen Konsequenz, dass Luther gerade in Bezug auf Theater die Autorität abgesprochen wurde. Dem bereits erwähnten Johann Joseph Winckler eiferte der Bautzener Hauptpastor und Schulinspektor Nicolaus Haas (1665–1715) noch deutlicher nach: »Was die Autorität und Approbation des seligen Lutheri betrifft, welche von den Liebhabern der Comödien 1.) aus seinen Tisch=Reden […] 2.) aus denen Vorreden über die Bücher Tobiä und Judith angezogen werden, so ist auff die erste Stelle aus denen Tisch=Reden kein grosser Staat zu machen«.15 Er beharrt darauf, derartige Vorstellungen auf die Schulen zu beschränken und nicht auf öffentlichen Plätzen aufzuführen, fragt aber zugleich, »ob diejenigen, so seinen [Luthers, d.Vf.in] Discurs aufgeschrieben, seine Meynung recht gefasset, und die Worte, wie er sie geredet, zu Pappier gebracht haben«, um schließlich deren Autorität komplett zu negieren.16 Hinsichtlich der Vorreden wird, da »der selige Lutherus nicht categoricè und apodictè von der Sache« vermahnet werde, was einem Knecht, Herrn, jungen Gesellen und Alten gebühre, wol anstehe und was er thun soll, ja, es wird darinnen furgehalten und fur die Augen gestellt aller Dignitäten Grad, Aemter und Gebühre, wie sich ein Jglicher in seinem Stande halten soll im äußerlichen Wandel, wie in einem Spiegel. Zudem werden darinnen beschrieben und angezeigt die listigen Anschläge und Betrug der bösen Bälge; desgleichen, was der Eltern und jungen Knaben Amt sey, wie sie ihre Kinder und junge Leute zum Ehestande ziehen und halten, wenn es Zeit mit ihnen ist, und wie die Kinder den Eltern gehorsam seyn, und freien sollen &. Solchs wird in Comödien furgehalten, welchs denn sehr nütz und wol zu wissen ist.« Luther, Tischrede (wie Anm. 12), 431 f. Zu den pietistischen Angriffen auf das protestantische Schultheater vgl. Ulrike Wels: Die anthropologische Bestimmung der Geselligkeit im Zweiten Adiaphoristischen Streit und ihr Einfluss auf das protestantische Schultheater. In: Alter Adam und neue Kreatur. Pietismus und Anthropologie. Beiträge zum II. Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2005. Hg. v. Udo Sträter. Tübingen 2009, 531–544; dies.: Gottfried Hoffmann (1658–1712). Eine Studie zum protestantischen Schultheater im Zeitalter des Pietismus. Würzburg 2012, 68 f. 15 Nicolaus Haas: Fragen von jetzigen Schul=Comoedien. Auf die an ihn geschehene Invitation zu besserer Erklärung seiner eigentlichen Meynung davon, und zu nöthiger Erbauung aller seiner Zuhörer, Oberer und Unterer in allen Ständen. O.O. 1708, 62. 16 Ebd., 62–64.

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rede, generell in Frage gestellt, ob solche Spiele tatsächlich in Gebrauch waren, und selbst wenn, wäre deren theologischer bzw. moralischer Nutzen aufgrund des in der protestantischen Tradition apokryphen Charakters der Bücher Judit und Tobias zu bezweifeln.17 Im Fokus pietistischer Kritik stand also nicht nur berufsmäßig betriebenes Theater, sondern auch die traditionell protestantische Form des Schultheaters und damit letztlich auch die Einübung von sozialem Rollenspiel. Franckes Forderung, die Sache mit dem Theater »gar aus dem Grunde zu heben«, kann daher kaum weit genug gefasst werden.

4. Theaterfeindlichkeit als Gesellschaftskritik Somit kann die pietistische Theaterfeindschaft vor allem als Symptom einer allgemeinen Kritik an Müßiggang und sozialem Rollenspiel angesehen werden. In pietistischen Kreisen scheint mir in der Tat Einigkeit darüber zu herrschen, dass es mit der Bekämpfung der schlimmsten Auswüchse weltlicher Eitelkeit, zu denen Theater offenbar gezählt wurde, nicht getan sei. Vielmehr ist die pietistische Theaterfeindschaft als Teil eines umfassenden Programms der Sozialdisziplinierung und Affektkontrolle anzusehen. Ein Student Franckes, der später zum Hofprediger in Lobenstein berufene Pietist Friedrich Eberhard Collin (1684–1727), griff in seiner moraltheologischen Schrift Der grosse Ernst des thätigen Christenthums »die thörichte Spiel= und Tantz=Lust, als eine der gemeinsten Sünden mehrmahl« an, doch wollte er darin zugleich »alle andere dergleichen eitele Lustbarkeiten der Welt-Kinder: Zechen, banquetiren, mußig gehen, schertzen, Opern laufen, und so weiter«18 begriffen und verworfen wissen. Und schon Philipp Jakob Spener kam in seiner Antwort auf die Frage, was von repræsentationibus theatralibus zu halten sei, zu dem Schluss: Welche aber auch im übrigen Leben meistens in der Welt stecken/ die trauete ich nicht hauptsächlich in diesem stück erst anzugreiffen/ sondern ich meinete/ ich müste in andern offenbaren stücken suchen sie zur erkäntnus zu bringen/ daß ihnen insgesamt aller eitelkeit vergehe.19

An solchen Einschätzungen wird m. E. deutlich, dass es dem Pietismus speziell Hallescher Prägung mit der Bekämpfung von offenkundigen Missständen zugleich um die Regulierung und Neuordnung des gesamten alltäglichen Lebens in einer Zeit ging, die von manchen Protestanten als instabil wahrgenommen wurde. Dazu gehörten die Sorge vor einem Wiedererstarken des 17 Ebd., 64 f. 18 Friedrich Eberhard Collin: Der grosse Ernst des thätigen Christenthums. Halle 1719, 4 f. 19 Philipp Jakob Spener: Was von repræsentationibus theatralibus zu halten? In: Schriften. Hg. v. Erich Beyreuther. Bd. 15, 2: Letzte theologische Bedencken und andere brieffliche Antworten. Hildesheim [u. a.] 1987, 605 f, hier: 605.

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Katholizismus, wie es sich in der Aufhebung des Edikts von Nantes zu zeigen schien, der die Aufnahme von französischen Glaubensflüchtlingen in preußischen Gebieten folgte, sowie die militärischen Bedrohungen im Norden, Westen und Süden des Reiches durch den Nordischen Krieg, die territoriale Expansionspolitik Ludwigs XIV. im Pfälzischen Erbfolgekrieg bzw. die Zweite Belagerung Wiens durch die Osmanen 1683. All dies konnte den Boden für eschatologische Interpretationen bereiten, in denen die Verwüstung des als viertes und letztes Weltreich gedeuteten Heiligen Römischen Reiches (Dan 2,31–45 und 7,16–27), der Vormarsch des Islam als Erfüllung der sechsten Posaunenvision (Apk 9,13–21) und das Erstarken des – in lutherischer Tradition mit dem Papsttum gleichgesetzten – Antichrist (2Thess 2,4) als Zeichen des nahenden Weltendes wahrgenommen wurden.20 Das Gefühl einer allgemeinen Bedrohung der althergebrachten Ordnung, das aus solchen Deutungen spricht, generierte ein Klima, in dem vermeintlich nebensächlichen Dingen eine enorme Bedeutung zugemessen wurde: Die Sorge um die Lage der evangelischen Christen gebiete es, so Spener unter Verweis auf 1Kor 10,23–33, von der christlichen Freiheit gerade in Fragen der Adiaphora vorsichtigen Gebrauch zu machen; den »jetzigen allgemeinen betrübten Zustand, da wir auch sonst erlaubte ergötzlichkeit billich zu mäßigen haben«, hielt Spener für eines der Hauptargumente gegen theatrale Vorstellungen.21 Auch wenn in diesem Zusammenhang die Frage offenbleiben muss, ob die pietistische Kritik an weltlichen Lustbarkeiten und sozialem Rollenspiel als Reaktion auf die Erschütterung der gesellschaftlichen Ordnung erfolgte oder ob sie diese beschleunigte: Festzuhalten ist, dass der von Pietisten inkriminierte Jahrmarkt der Eitelkeiten, von ostentativem Konsum und sozialem Rollenspiel auf seine Weise den geselligen Verkehr im Alten Reich geregelt hatte, sei es als Kommunikation über menschliche Grundbedürfnisse wie Sexualität, Essen und Trinken, sei es als Zurschaustellung des sozialen Status durch Formen der Höflichkeit, Kleiderordnung und Mode. All diese Praktiken traf das pietistische Verdikt. Wiederum monierte Collin: in den Reden lassen sie [die Kinder der Welt, d.Vf.in] sich hören, entweder bey dem gemeinen Volck Zotten, Possen, Schertz, Narrentheidunge [sic!], oder bey den andern Schmeicheley und Complimenten, da einer den andern ins Angesicht lobt, erhebt, streicht, und zu gefallen redet, aber alles ohne Hertz und Aufrichtigkeit; Die Kleidung ist meistentheils zur Wollust, Verführung und Aergerniß eingerichtet, einer suchet mit den hellen und bundten Farben, der andere mit gezwungenen Harlocken, der dritte mit Poudre, der vierdte mit fremden ärgerlichen Moden der Kleider, der fünffte mit 20 Ernst Koch: Das konfessionelle Zeitalter. Katholizismus, Luthertum, Calvinismus (1563–1675). Leipzig 2000, 251. 21 Spener, Schriften (wie Anm. 19), 605. Zum Umgang mit den Adiaphora angesichts der von ihm diagnostizierten »schwehren trauer-zeit« ausführlich Philipp Jakob Spener: Was von dem tantzen zu halten seye und ob es mit dem Christenthum überein komme? In: ders.: Theologische Bedencken Und andere Brieffliche Antworten auff geistliche/ sonderlich zur erbauung gerichtete materien zu unterschiedlichen Zeiten auffgesetzet […] Anderer Theil […]. Halle 1701, 484–495.

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Entblössung des Leibes, die Augen anderer auf sich zu ziehen, der Welt zu gefallen, und seinen Maden=Sack zu verehren; besucht einer den andern, so muß die Zeit gemeiniglich mit Kurtzweil, mit Spielen und allerley liederlichen Possen verderbt werden.22

Wie Collin hier richtig bemerkt, vollzog sich die offene Repräsentation des sozialen Status im gesellschaftlichen Verkehr in ihrer traditionellen Form ohne innere Beteiligung, das heißt »ohne Hertz und Aufrichtigkeit«. Genau hier setzt der pietistische Gegenentwurf an, was aber nicht bedeutet, dass er keiner Regeln und Normen bedurfte, denn auch hier handelte es sich keineswegs um ein natürliches oder gar kreatürliches Verhalten. Einen Entwurf solcher Regeln und Normen hatte Francke vermutlich noch in Leipzig als 30 Reglen zur Bewahrung des Gewissens und guter Ordnung in der Conversation oder Gesellschaft wohl zum eigenen Gebrauch angefertigt. Regel 23 lautet: Allezeit, und bei aller Gesellschaft hüte dich für allen unanständigen Minen, HandGebehrden und unordentlicher Stellung des Leibes. Es bezeuget Unordnung im Gemüth, und verrathen sich dadurch deine heimlichsten Gemüthsbewegungen. Dein lieber Jesus wird solches nicht gethan haben, warum wollest du ihm im Aeußerlichen nicht nachfolgen, welches ja das Geringste ist.23

5. Techniken der Verhaltensregulierung Hinsichtlich der Aufmerksamkeit gegenüber äußeren Gebärden sowie des Verbergens innerer Gemütsregungen überrascht die auf den ersten Blick erstaunliche Nähe der Ratschläge Franckes zu diesbezüglichen Verhaltensregeln, wie sie in den Ratgebern zur höfischen Lebensklugheit gegeben wurden. In dem dem französischen Kardinal und Ersten Minister Jules Mazarin (1602– 1661) zugeschriebenen Bréviaire des politiciens heißt es etwa: »D’abord, examine-toi physiquement. As-tu le regard insolent, la jambe ou le cou trop raide, le sourcil qui se fronce, les lèvres trop molles, la démarche trop lente ou trop pressée? S’il en est ainsi, il faut te corriger«.24 Die Aufmerksamkeit, die äußerlich wahrnehmbaren Zeichen physischer Schwäche oder unerwünschter Gemütsregungen entgegengebracht wurde, brachte spezielle Techniken der Erzeugung und Zurschaustellung sozial akzeptabler und akzeptierter Verhaltensmuster hervor. So gilt die Technik der Verhehlung, dissimulatio, die Franckes Angst vor einem Verraten der »heimlichsten Gemüthsbewegungen« 22 Collin, Der grosse Ernst (wie Anm. 18), 12. 23 August Hermann Francke: Reglen zur Bewahrung des Gewissens und guter Ordnung in der Conversation oder Gesellschaft (Schriftmäßige Lebensregeln). In: Gustav Kramer: August Hermann Francke. Bd. 1. Hildesheim [u. a.] 2004, 271 f, hier: 272. 24 Jules Mazarin: Bréviaire des politiciens. Traduit du latin par François Rosso. Présenté par Umberto Eco. Paris 1996, 17.

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entspräche, allgemein als eine der wichtigsten Verhaltensregeln im höfischen Alltag: Balthasar Gracián empfahl in seinem 1647 erschienenen Handorakel und Kunst der Weltklugheit, [n]ie aus der Fassung [zu] geraten. Ein großer Punkt der Klugheit, nie sich zu entrüsten. Es zeigt einen ganzen Mann von großem Herzen an: denn alles Große ist schwer zu bewegen. Die Affekte sind die krankhaften Säfte der Seele, und an jedem Übermaße derselben erkrankt die Klugheit: steigt gar das Übel bis zum Munde hinaus, so läuft die Ehre Gefahr. Man sei daher so ganz Herr über sich und so groß, daß weder im größten Glück noch im größten Unglück man die Blöße einer Entrüstung gebe, vielmehr, als über jene erhaben, Bewunderung gebiete.25

In der Hofpräzeptistik wird die dissimulatio neutral als eine Technik des sozialen Rollenspiels unter anderen beschrieben. Sie dient der performativen Erzeugung erwarteter und erwünschter Verhaltensweisen; ebenso wie die Verstellung, simulatio, als bewusste Hervorbringung und Erzeugung bestimmter Affekte, die Gracián ebenso neutral als Technik beschreibt, die soziale Akzeptanz herstellt: Sich allen zu fügen wissen: ein kluger Proteus: gelehrt mit den Gelehrten, heilig mit den Heiligen. Eine große Kunst, um alle zu gewinnen; denn die Übereinstimmung erwirbt Wohlwollen. Man beobachte die Gemüter und stimme sich nach dem eines jeden. Man lasse sich vom Ernsten und vom Jovialen mit fortreißen, indem man eine politische Verwandlung mit sich vornimmt.26

Auch wenn hier vergleichbare Techniken der Verhaltensregulierung im alltäglichen sozialen Umgang beschrieben werden: Der Unterschied zwischen Franckes Reglen zur Bewahrung des Gewissens und guter Ordnung und den Ratgebern zur (höfischen) Lebensklugheit liegt in der moralischen Wertung. Aus der Sicht Franckes erscheint die Verhehlung nicht als beliebig zu instrumentalisierender, sondern dauerhafter Zustand der Affektkontrolle und -unterdrückung, der »allezeit« und »bei aller Gesellschaft« zu erfolgen habe. Nur so kann die dissimulatio positiv konnotiert werden – jedoch nicht als soziale Technik der Manipulation. Weitaus stärker verurteilt und aus moralischem Blickwinkel immer negativ bewertet wird die simulatio als Verstellung, Heuchelei, Hypokrisie. Es handelt sich hier ausgerechnet um einen Begriff, der der altgriechischen Bühnenpraxis entstammte: ὐπόκρισις bezeichnete den Vortrag einer Rede oder die Schauspielkunst allgemein, ὐποκριτής den Schauspieler; der Begriff wurde dann von der antiken Rhetorik als Bezeichnung der Vortragsgestaltung, dem lateinischen actio entsprechend, übernommen. Die neutrale Bezeichnung einer künstlerischen Technik wurde bereits in der Antike in Bezug auf soziales Rollenspiel moralisch aufgeladen und als wesens25 Balthasar Gracián: Handorakel und Kunst der Weltklugheit. Stuttgart 1995, 29. 26 Ebd., 40.

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bedrohende Heuchelei diskreditiert.27 In der Folge erschienen derartige Techniken unter moralischem Blickwinkel als so gefährlich und verwerflich, dass sich Francke verbot, sie im theologischen Diskurs auch nur zu diskutieren: [S]upponendum est, in Scriptoribus sacris nullam simulationem aut dissimulationem locum habere, neque vsquam in suspicionem venire debet eiusmodi hypocrisis, aut peregrini affectus ostentatio, qualis in actoribus ludorum theatralium obseruari solet28

heißt es in seinen Prælectiones Hermenevticæ. Die Schauspielkunst fungiert in Franckes Argumentation als Exempel verwerflicher Praktiken der Täuschung – die Begriffe simulatio, dissimulatio und hypocrisis kehren allesamt wieder.

6. Berufsschauspielkunst als moralisches Problem Vor diesem Hintergrund lohnt sich ein erneuter Blick auf die pietistische Argumentation gegen die berufsmäßig betriebene Schauspielkunst. Wenn sich beispielsweise Winckler ereifert: »Da tritt z[um] e[xempel] einer auf/ der den unschuldigen und keuschen Joseph praesentiret/ und wohl keinen reinen und keuschen Bluts=Tropfen mehr in seinem Leibe haben mag«,29 dann deutet dies zunächst auf eine Übertragung moralischer Normen auf die Praxis des Bühnenspiels hin, die die Vehemenz der Ablehnung von Theater erklären könnte. Doch interessanterweise findet sich in den pietistischen Argumenten gegen Theater ein beinahe ebenso großes Bewusstsein von der Eigengesetzlichkeit der auf dem Theater eingesetzten Kunstmittel. So notierte Collin: Ist gantz offenbahr, daß es den Leuten dabey nicht zu thun sey, um die Tugendlehre, die ihrem Vorgeben nach darunter versteckt seyn soll, sondern um die Verstellung, Geberdung, Kleidung und andere Curiositäten, daß also der vorgegebene Nutzen durch hundertfältige Versuchungen und Schaden wieder vernichtet wird.30

Damit war Theater aus pietistischer Sicht doppelt abzulehnen: Zum einen wurde der moralische Nutzen, den schon Luther theatralen Spielen zugeschrieben hatte und der seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunehmend auch in säkularen, politischen Schriften erschien, unter Verweis auf den anderen Charakter der Kunstmittel des Theaters negiert. Zum anderen wurden 27 Vgl. dazu Sebastian Hauck: Ohne Theater leben? Verstellung und Aufrichtigkeit im Zeitalter Ludwigs XIV. In: Akteure und ihre Praktiken im Diskurs. Aufsätze. Hg. v. Corinna Kirschstein u. dems. Leipzig 2012, 144–206, hier: 153 f. 28 August Hermann Francke: Praelectiones Hermenevticae, Ad Viam Dextre Indagandi Et Exponendi Sensum Scriptvrae S. Theologiae Stvdiosis Ostendendam, In Academia Hallensi, Aliqvot Abhinc Annis, Pvblicae Habitae. Halle 1717, 241. 29 Winckler, Zeugniß der Warheit (wie Anm 2), 4. 30 Collin, Der grosse Ernst (wie Anm. 18), 302.

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eben diese Kunstmittel aus moralischer Sicht als Lüge, Betrug und Heuchelei verdammt. Lediglich an letzterem Punkt zeigten sich divergierende Ansichten und entzündeten sich innerpietistische Dispute: Für Spener etwa waren es eher die äußeren Umstände bzw. die Folgen als die eigentlichen Kunstmittel des Theaters, die als verwerflich anzusehen seien: Wie sie [die repraesentationes theatrales, d.Vf.in] insgemein gehalten werden/ wirds unstreitig ein sündlich wesen seyn/ welches aber fast von den umständen herkommet […]. Daher ich nichts anders gründliches dagegen fast aufzubringen weiß/ als den verlust der edlen zeit/ die gelegenheit zum bösen/ und den jetzigen allgemeinen betrübten zustand […]. Indessen sinds noch keine solche argumenta, welche die sache selbs innerst angreiffen.31

Dies antwortete Spener dem pietistischen Hauptpastor zu St. Michaelis in Hamburg, Johann Winckler (1642–1705), auf dessen von ihm erbetenen Rat wegen seines Vorgehens gegen die Wiedereröffnung des dortigen Opernhauses. Nachdem Winckler nichts von solcher Mäßigung wissen wollte, wurde Spener in seiner erneuten Antwort deutlicher. Er habe Wincklers beigefügte Schrift32 gründlich gelesen und versichere nun, dass er sich durch das ausgeführte argument […] im wenigsten nicht convinciret erkenne: Und nicht leugne/ wo dieses das haupt=argument seyn solle/ daß an der sachen mehr selbst zu zweifeln anfange. Daß die repræsentationes theatrales seyn eigentlich so genante lügen und heucheley, ist nicht zur gnüge erwiesen.33

31 Spener, Schriften (wie Anm. 19), 605, Hervorhebung d.Vf.in. 32 Das 1678 in Hamburg eröffnete Opernhaus war im Januar 1686 aufgrund politischer Unruhen in der Bürgerschaft geschlossen worden. Als der Senat im Juli desselben Jahres die Wiedereröffnung genehmigte, predigte Winckler gegen die Opern. Die Vorstellungen wurden bereits Ende Juli wegen erneuter Unruhen abgebrochen. Interessenten an der Wiedereröffnung des Opernhauses versuchten daraufhin, ihre Position durch Gutachten zur Zulässigkeit von Theater zu stärken, so u. a. durch Unbedenklichkeitsgutachten der juristischen und theologischen Fakultäten an den Universitäten Wittenberg und Rostock. Der Hamburger Senat verlangte zudem ein Gutachten des Ministeriums, dessen Majorität für die Aufrechterhaltung des bereits 1677, also vor der Eröffnung des Opernhauses, gefassten Zulassungsbeschlusses votierte. Winckler fühlte sich in seinem Gewissen nicht an diese Mehrheitsentscheidung gebunden und legte seine Bedenken gegen die Oper schriftlich unter dem Titel Des Pastor Joh[ann] Winckler Aufsatz an seine Gemaine, von den Operen. d[e] d[ato] 18. Nov[ember] 1687 (dem Senat übergeben 21. Nov[ember] 1687) nieder. Vermutlich ließ er Spener eine Abschrift davon zukommen. Vgl. Johannes Geffcken: Theater und Kirche in Hamburg. Drei Vorträge im Vereine für hamburgische Geschichte. Hamburg 1849, 13–23. Das Manuskript des Aufsatzes von Winckler befindet sich neben dem Gutachten der theologischen Fakultät Rostock, den Beschlüssen des Ministeriums sowie dem Gutachten des Pastors zu St. Jacobi, Johann Friedrich Mayer, im Staatsarchiv Hamburg unter der Signatur Cl. VII Lit. Fl No. 2 Vol. 1. (Theaterwesen – Generalia et Specialia) – mein herzlicher Dank für diese Hinweise gilt Ingo Rekatzky. 33 Philipp Jakob Spener: Von den repræsentationibus theatralibus. In: Spener, Schriften (wie Anm. 19), 270–272, hier: 270.

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Die Betonung einer inhärenten Eigengesetzlichkeit von Theaterkunst steht – wie noch zu zeigen sein wird – außerhalb aller anderen Debatten darüber, was Theater sei bzw. sein könne oder solle. Die pietistische Kritik am Theater vollzieht sich also in drei verschiedenen Argumentationssträngen: Zum ersten steht Theater durch seine ureigenen Kunstmittel außerhalb moralischer Normen und ist damit sittlich unnütz; Differenzen bestehen lediglich in der Frage, ob diese Tatsache eine Verdammung rechtfertige oder nicht. Zum zweiten geben seine Umstände Anlass zu Lastern: Francke nennt jene Akteure und Spielleute, »die bei allen Saufgelagen und Nachtschwärmereien aufwarten«, »instrumenta luxuriae«.34 Und zum dritten korrespondiert der in den Augen der Pietisten unnütze Charakter der Darbietungen mit der Idee, das ökonomisch Unproduktive von Theater mit Nichtstun und liederlichem Lebenswandel gleichzusetzen, die einer ordentlichen Berufsarbeit zuwider laufen. Beschauet die Personen recht/ zu deren actionen ihr kommt/ und euch divertiren lasset. Sind es nicht meistentheils solche Leute/ die ihren rechtmässigen Beruff verlassen/ und entweder aus Faulheit oder liederlichen Hertzen zu dieser gefährlichen Lebens=Art sich geschlagen?35

warnte wiederum Johann Joseph Winckler. Gerade die berufsmäßige Ausübung von Schauspielkunst verlieh den Akteuren einen besonders problematischen Status. Mit den Ständen sei es so beschaffen, argumentierte Francke in einer mit Die Verhinderung an der Erkenntnis der Wahrheit überschriebenen Predigt 1699, daß der Mensch seinen Beruf nur soll zur Ehre GOttes und dem Nächsten zu Nutz brauchen; alles aber, was in unsern eiteln Sinn und Hoffart hinein gezogen wird, das ist lauter Teufels=Werk, und eben der Apfel=Biß, daran unsere erste Eltern, die im Paradies gewesen, den Tod gefressen, und woran auch wir, wenn wir uns nicht davon erlösen lassen, sterben müssen.36

Berufsmäßig ausgeübte Schauspielkunst war demnach kein Gewerbe, das von einem rechten Christen ausgeübt werden durfte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Berufsmäßig ausgeübte Schauspielkunst war vielmehr ein Verstoß gegen das siebte Gebot: Denn auch die sind Diebe, die keinen rechten Beruff haben, […] sondern dienen dem Nechsten nur zu ihren Sünden, zu seiner Pracht, Wollust und Uppigkeit […]. Dahin gehören Glücks-Töpffer [Besitzer einer Losbude, d.Vf.in] Comoedianten und der34 Francke, Bekenntniß (wie Anm. 9), 99. 35 Winckler, Zeugniß der Warheit (wie Anm. 2), 23. 36 August Hermann Francke: Die Verhinderung an der Erkäntniß der Wahrheit. Am Sonntage Judica gehalten. Anno 1699. In: ders.: Sonn=, Fest= und Apostel=Tags=Predigten. Tl. 1. Halle 8 1746, 545–569, hier: 554.

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gleichen Zeug, solche Leute, die nichts thun, sondern sind nur Tag-Diebe, Gott dem H[err]n den Tag abstehlen, andere Leute ums Geld bringen37

urteilte Francke dazu in einer Katechismuspredigt. Nicht »schwehre trauer=zeit«, wie sie Spener in seinen Einwänden gegen öffentliche Vergnügungen anführte, sondern ihre ökonomisch-moralische Nutzlosigkeit rechtfertige, so Francke, der sich ebenfalls auf 1Kor 10,23–33 beruft, deren entschiedene Ablehnung. In rein ökonomischer Hinsicht besteht zumindest in diesem letzten Punkt eine Schnittmenge zwischen der pietistischen Einschätzung von Theater und den zeitgenössischen säkularen kameralistischen, zeremonialwissenschaftlichen und frühaufklärerischen Diskursen, die sich ebenfalls mit der Frage beschäftigten, inwieweit Lustbarkeiten und Vergnügungen erlaubt oder gar wünschenswert seien. Christian Wolff (1679–1754) etwa schrieb: Z[um] B[eispiel] Spieler und Glückstöpfer ziehen Geld aus dem Land, ohne den geringsten Vorteil zu schaffen, und sind dabei um so viel gefährlicher, weil sie die Leute durch die Begierde, mit wenigem viel zu gewinnen, an sich locken. Deswegen sind sie niemals zu dulden.38

Der auch durch deren Reisen unkalkulierbare Geldfluss an Glückstöpfer und Berufsschauspieler widerstrebte nicht nur Franckes Wunsch, aus dem fließenden Strom der Zeit und der Waren einen bleibenden Besitz zu ziehen, sondern eben auch den frühmodernen staatstheoretischen und ökonomischen Entwürfen. Theater als Gelderwerb war in sie nicht integrierbar; vielmehr ergingen gegen solche Künste Mandate, wie die eingangs zitierte Beschwerde über den Seiltänzer und marktschreierischen Harlekin auf dem Halleschen Jahrmarkt zeigte.

7. Seligkeit oder Glückseligkeit Anders steht es um das System der Sitten und Moral: In diametralem Gegensatz zu den pietistischen Einschätzungen zeigen sich in verschiedenen säkularen Diskursen Bemühungen, Theater mit gesellschaftlich nützlichen Funktionen zu versehen und aufzuwerten. Binnen weniger Jahrzehnte wurde eine Erwartungshaltung an Theater generiert, die ohnegleichen war: Zwar hatte Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692) im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts noch eher praktisch geurteilt, 37 August Hermann Francke: Über das VII. Gebot. In: Schriften und Predigten. Hg. v. Erhard Peschke. Berlin u. New York 1989, 558–575, hier: 566. 38 Christian Wolff: Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen. München 2004, 422.

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niemand [könne] Comödien tadeln/ die unärgerlich/ und also angestellet würden/ daß sie gute Sitten nicht verderbeten/ […] darbey sich der gemeine Mann ergetzete/ und doch je zuweilen etwas nützliches daraus fassete/ zumal aber die Zeit hinbrächte/ welche er sonst zu Spielen und Sauffen anwendet.39

Damit redete er einer gewissen moralischen Indifferenz von Theater das Wort, deren Nutzen in der Verhütung von Schlimmerem bestünde. Demgegenüber betonte im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts Julius Bernhard von Rohr (1688– 1742) eine politisch-repräsentative Funktion von Theater: Es könne die ideale Ordnung des Gemeinwesens vor- und abbilden.40 Wolffs aufklärerischer Fortschrittsoptimismus schließlich dekretierte, Theater könne zur »Beförderung aller Tugend und Besiegung aller Laster« beitragen.41 Dies war im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts Standarddenken über Theater, von dem in den folgenden Jahrzehnten kaum abgewichen wurde, wenn auch die Kritik an ausbleibender Besserung zunahm. Es wird deutlich, dass Theater bei allen drei hier erwähnten Autoren, trotz der jeweils unterschiedlichen Erwartungshaltung (Bekämpfung privater Laster, Ordnung des Gemeinwesens, Triumph der Tugend) einem sittlich-moralischen Diskurs untergeordnet wurde. Oder anders formuliert: Eine Aufwertung von Theater konnte nur dann erfolgen, wenn es in das System der Sitten und Moral eingebettet wurde. Anders als in der pietistischen Wahrnehmung, die sich stets auf den artifiziellen Charakter von Schauspielkunst richtete, ging es hier um die Indienstnahme von Theater als weltliche Institution, darum, bestimmte Formen von Theater unter strenger Aufsicht als erlaubte Vergnügungen in einem wohlgeordneten Staat zu etablieren sowie Theater als säkulares, innerweltliches Regulativ mit möglichen gesellschaftlich nützlichen Funktionen zu versehen – und zwar unter Preisgabe der künstlerischen Praxis: Das sich herausbildende neue Berufstheater wurde nicht in das System der Künste – also zwischen Musik, Literatur, Bildender Kunst, Architektur etc. – integriert, sondern in das System der Sitten, der Moral, des (realen) Lebens. Bei entsprechend weitgefaßtem Blick wird deutlich, daß jegliche Widersetzung erbarmungslos bekämpft wurde, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.42

Selbst die Rechtfertigungsstrategien der Berufsschauspieler griffen die gängigen Argumentationsmuster auf und bedienten die in den staatstheoretischen Erwägungen vorgefertigten Erwartungen. Theater, so auch die Aussage von Velten in ihrer Verteidigungsschrift, ließ sich nur durch seine Einbettung in die Sphäre des Sittlich-Moralischen legitimieren: 39 Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten-Stat. Bd. 2. Glashütten im Taunus 1976, 206. 40 Julius Bernhard von Rohr: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaft der grossen Herren. Leipzig 1990, 733 f. 41 Wolff, Vernünftige Gedanken (wie Anm. 38), 245. 42 Rudolf Münz: Das »andere« Theater. Studien über ein deutschsprachiges teatro dell’arte der Lessingzeit. Berlin 1979, 54.

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Zwar wenn sie in concreto, oder in dem sündhafften subjecto betrachtet werden/ so können sich viele sündhaffte Wercke und Ubertrettungen so wol bey den Comödien/ als bey den Zuschauern/ finden/ aber an und für sich selbst sollen sie nicht für ein sündhafftes Werck gehalten werden/ und zwar […] Weil […] die Schau=Spiel= oder Comödien andere/ nichts sein/ als lebhaffte Tugend= und Laster=Spiegel/ jene zuthun/ diese zulassen: Sie sein lebende Lehr= und Lebens=Fürstellungen/ daraus wir in Lehr und Leben können unterrichtet werden; Es sein lebendige Exempel=Bücher in welchen wir sehen und hören können/ welche Tugend=Exempel wir folgen/ und welche Laster Exempel wir fliehen sollen; […] So nnn [sic!] aber das Lesen solcher Sachen vor rühmlich gehalten wird/ warum wil man denn das Sehen vor böß ausschreyen.43

Unerwähnt, weil unerwünscht, blieb in Veltens Argumentation ein Verweis auf die artifiziellen Mittel, auf denen diese »Fürstellungen« beruhten und die den Unterschied zwischen dem »Lesen solcher Sachen« und dem Zuschauen ausmachten. Diese Künste wurden – anders als im pietistischen Denken – lediglich als Missbräuche angesehen, die der Theaterkunst nicht inhärent seien und demzufolge abgelegt werden könnten. Allein aufgrund einer Argumentation, die das Lesen und Sehen moralischer Exempel in eins setzte, war es möglich, Theater als nützliche Institution zu etablieren. Theaterformen, die sich einer solchen Nutzanwendung verweigerten, wie die Darbietungen der Pickelheringe, Seiltänzer oder Harlekins, wurden diskreditiert, bagatellisiert und in den Bereich der ›niederen Belustigung für den Pöbel‹ verdrängt. So akzeptierte beispielsweise selbst Velten Johann Joseph Wincklers Übertragung des frühchristlichen Verdikts gegen die Schauspiele auf diejenigen ihrer Zeit als unzüchtige/ üppige/ leichtfertige/ grausame/ abgöttische Huren= und Narren=Spiel […]/ so auff die Trunckenheit zu folgen pflegten […]. Und bey den Heyden mit grossem Aergerniß getrieben worden/ davon wir erbaulicher stillschweigen/ als erzehlen; […] Denselbigen Heydnischen Spielen sind heutiges Tages gleich/ und nicht viel Haar besser die Engelländische Comödien.44

Die Vehemenz der geführten Auseinandersetzungen um erlaubte und verbotene Vergnügungen lässt erahnen, dass es um weit mehr ging als um bloße Fragen des Zeitvertreibs: Letztlich konkurrierten die Heilsversprechungen der Aufklärung, in einem geordneten Gemeinwesen, also einer ›wohlbestellten Republik‹, Glückseligkeit zu erreichen, mit den Verheißungen der Glückstöpfer, des Müßiggangs, der Verschwendung, des Luxus und der Zerstreuungen. Und beide konkurrierten – zumindest in den Augen der Pietisten – mit dem jenseitigen Heilsversprechen der Seligkeit: Selig sind diese [die Bekehrten, d.Vf.in], nicht glückselig, welches in der Welt fürs Beste gehalten wird. Denn wer glückselig ist, das ist, in der Welt Reichthum, Ehre und 43 Velthemin, Zeugnis der Warheit (wie Anm. 1), unpaginiert. 44 Ebd.

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gute Tage hat, der kan morgen unglückselig und seines Glücks und äusserlichen Wohlstandes beraubet werden. Darum ist die Glückseligkeit keine Seligkeit.45

Veltens eingangs beschriebene Häme über das Missverhältnis von Kopfhängerei und Erwartung eines Freudenreiches scheint dennoch nur auf den ersten Blick ins Leere zu laufen. Dass weltliche Vergnügungen als ernstzunehmende Konkurrenten religiöser Heilsversprechen auftreten und dass darüber heftige Debatten geführt worden sind, lässt erahnen, welch entscheidender Teil anthropologischer Konzepte und Weltentwürfe sie sind.

45 August Hermann Francke: Das Abendmahl des Lammes. Am II. Sonntag nach Trinitatis. Anno 1697. In: Francke, Predigten (wie Anm. 36), 63–80, hier: 77.

Benjamin Marschke

A Waste of Time Courtly Entertainments, Adiaphora, and Economy of Time in Halle Pietism and in King Frederick William I’s Prussia

1. Introduction It has been generally assumed that Halle Pietism and »Prussianness« went together, especially during the reign of King Frederick William I of Prussia.1 Carl Hinrichs and Klaus Deppermann told us that they were basically the same thing, or even that Frederick William was a »Pietist on the Prussian Throne.«2 These studies have generally observed coincidental cultural trends and assumed a causal relationship, and it is much more rare that direct connections to the Prussian monarchy or the court of Frederick William are actually made. This chapter is a close study of the cultural connection of Halle Pietism and Prussia.3 1 See Carl Hinrichs: Preußentum und Pietismus: Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiössoziale Reformbewegung (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1971). On Hinrichs, see Hartmut Lehmann: »Vorüberlegungen zu einer Sozialgeschichte des Pietismus im 17./18. Jahrhundert.« PuN 21, 1995, 69–83, and Wolfgang Neugebauer: »Wissenschaft und politische Konjunktur bei Carl Hinrichs. Die früheren Jahre.« FBPG 21, 2011, 141–190. 2 Klaus Deppermann: Der hallesche Pietismus und der preußische Staat unter Friedrich III. (I.) (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1961), 173. Gawthrop takes this even further in Richard L. Gawthrop: Pietism and the Making of Eighteenth-Century Prussia (Cambridge: Cambridge University Press, 1993). 3 I have explored elsewhere at length various aspects of the political relationship of Halle Pietism and the Prussian monarchy, for example, factionalism, patronage, religious policy, etc. See Benjamin Marschke: Absolutely Pietist: Patronage, Factionalism, and State-Building in the Early Eighteenth-Century Prussian Army Chaplaincy (Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 2005); id.: »›Lutheran Jesuits:‹ Halle Pietist Communication Networks at the Court of Friedrich Wilhelm I of Prussia.« Covenant Quarterly 65:4, 2006, 19–38; id.: »Halle Pietism and the Prussian State: Infiltration, Dissent, and Subversion.« In Pietism in Germany and North America, 1680–1820. Ed. by Jonathan Strom, Hartmut Lehmann and James Van Horn Melton (Aldershot: Ashgate, 2009), 217– 228; id.: »Mish-Mash with the Enemy: Identity, Politics, Power, and the Threat of Forced Conversion in Frederick William I’s Prussia.« In Conversion and the Politics of Religion in Early Modern Germany. Ed. by David M. Luebke [et al.] (New York: Berghahn, 2012), 119–134; id.: »Experiencing King Frederick William I. Pietist Experiences, Understandings, and Explanations of the Prussian Court, 1713–1740.« In ›Aus Gottes Wort und eigener Erfahrung gezeiget.‹ Erfahrung – Glauben, Erkennen und Gestalten im Pietismus. Beiträge zum III. Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2009. Ed. by Christian Soboth and Udo Sträter (Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen, 2012), 679–699; and id.: »Pietism and Politics in Prussia and Beyond.« In A Companion to German Pietism (1660–1800). Ed. by Douglas H. Shantz (Leiden: Brill, 2015), 472– 526.

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Benjamin Marschke

Frequently implied is that during the reign of Frederick William, Pietists supposedly instilled in Prussians a sense of time and its value.4 The Pietist notions of adiaphora and economy of time have been thoroughly studied and analyzed,5 as have the Prussian ›virtues‹ (Tugenden), and they seem to dovetail together nicely. However, rather than observing coincidental cultural trends and simply assuming a causal relationship, this chapter is a case study of the relationship between Pietist principles and ›Prussian virtues‹ regarding courtly entertainments6 and the economy of time, with several concrete examples, specifically: dancing, hunting, and going to the theater.

2. The Pietist Condemnation of Divertissements: Waste of Time Francke’s motto has been summed up as »Nutze die Zeit.«7 In the words of Francke in his sermon Der Rechte Gebrauch der Zeit: »Ach, wecke uns dergestalt auf, daß wir hinfort alle Stunden recht anwenden, uns zu unserer letzten Stunde gebührend zu bereiten«.8 Francke’s argument, basically, was that every hour of every day, even while completing mundane tasks, should be dedicated to repentance and edification. For Francke, Zeitverschwendung or Zeitvergeudung was incompatible with a Christian life, and one should live as if »er für alle Tage, alle Stunden und Augenblicke dem Herrn Rechenschaft geben 4 Regarding the sense of time and work ethic in early modern Europe in general, see Jan de Vries: The Industrious Revolution: Consumer Behavior and the Household Economy 1650 to the Present (Cambridge: Cambridge University Press, 2008); Gregory Clark and Ysbrand Van der Werf: »Work in Progress? The Industrious Revolution.« Journal of Economic History 58, 1998, 830–843; Sheilagh Ogilvie: »Consumption, Social Capital, and the ›Industrious Revolution‹ in Early Modern Germany.« Journal of Economic History 70, 2010, 287–325, and Alexis D. Litvine: »The Industrious Revolution, the Industriousness Discourse, and the Development of Modern Economies.« Historical Journal 57, 2014, 531–570. 5 See for example Corinna Kirschstein’s and Udo Sträter’s chapters in this volume, as well as Reimund B. Sdzuj: Adiaphorie und Kunst: Studien zur Genealogie ästhetischen Denkens (Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 2005), 251–281. 6 I am using entertainments or divertissements, but any number of other terms would have worked. There was no shortage of antonyms to ›work‹ or ›boredom‹ in the eighteenth century. We could talk about plaisir, pleasure, or passetemps, pastimes, or recréation. German terms abounded as well: Lust- as a prefix denoted entertainment, enjoyment, pleasure, leisure (Lustspiel, Lustgarten, Lustschloss, or lustig). Vergnügen, too, was used much the same way. See Peter Burke: »The Invention of Leisure in Early Modern Europe.« Past & Present 146, 1995, 136–150, here: 138–139 and 141; and Wolfgang Martens: »Officina Diaboli. Das Theater im Visier des halleschen Pietismus.« In Halle. Aufklärung und Pietismus. Ed. by Norbert Hinske (Heidelberg: Lambert Schneider, 1989), 183–208, here: 203, note 22. 7 Deppermann, Pietismus (note 2), 93. 8 August Hermann Francke: Der Rechte Gebrauch der Zeit, So fern dieselbe gut, und so fern sie böse ist […] (Halle: Waisenhaus, 1713; repr. Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen, 2012), 5.

Courtly Entertainments, Adiaphora, and Economy of Time

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müßte.«9 In light of this, divertissements were a waste of time and distracted people from their relationship with God. This sense of time was closely related to the Halle Pietist rejection of adiaphora:10 Only activities that honored God or served one’s neighbor were worth doing. Everything else was worldly vanity or at best a waste of time, and therefore sinful:11 »Denn das ist schon Böses gnug [sic!] thun, wenn man nicht gutes thut, und die Zeit verlieret, daran die Ewigkeit hanget.«12 So, Francke and the Pietists wanted to stamp out »unrecognized sins,«13 not just obvious minor vices like drinking and gambling, but also things like sleeping late and complaining about the weather.14 Such an activity (or lack of activity) was sinful because it distracted from one’s edification and redemption, and because it wasted time. Note that this uncompromising stance was relatively new and was unique to Halle Pietism. As with his early radicalism and mysticism, regarding adiaphora Francke differed with Philipp Jacob Spener, and this is one of the ways (beyond network affiliation) that we can differentiate between Pietism in general and Halle Pietism in particular.15 The Halle Pietists’ uncompromising condemnation of such seemingly harmless behavior in public and at court earned them a well-deserved reputation as killjoys and Kopfhänger. When asked by Frederick William »ob

9 August Hermann Francke: »Am IX. Sonntage nach Trinitatis. Die wahre Klugheit der Gerechten.« In id.: Sonn= Fest= und Apostel= Tags= Predigten, Darinnen Die zum wahren Christenthum gehörige nöthigste und vornehmste Materien abgehandelt sind (Halle: Waisenhaus, 81746), 290– 313, here: 297. See also Ernst Bartz: Die Wirtschaftsethik August Hermann Franckes (HarburgWilhelmsburg: Wilhelm G. Frenk, 1934), 35. 10 These were the Mitteldinge or indifferente Dinge about which the Pietists debated so vociferously with Christian Thomasius and others. See Carl Hinrichs: »Das Bild des Bürgers in der Auseinandersetzung zwischen Christian Thomasius und August Hermann Francke.« In id.: Preußentum und Pietismus (note 1), 352–387; Ian Hunter: »Multiple Enlightenments: Rival Aufklärer at the University of Halle, 1690–1730.« In The Enlightenment World, ed. by Martin Fitzpatrick [et al.] (London: Routledge, 2007), 576–595. 11 See Ulrich Barth: Aufgeklärter Protestantismus (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 162. 12 August Hermann Francke: »Vorrede.« In Johann Konrad Kesler, Johann Hieronymus Wiegleb, and id.: Gründ= und ausführliche Erklärung Der Frage: Was von dem Weltüblichen Tantzen zu halten sey? […] (Halle: Christoph Wetterkampff, 1696), a3r. 13 Christian Gerber: Unerkannte Sünden der Welt, samt einem Bericht, Von den Sünden der Menschen nach ihrem Tode […] (Dresden: Christoph Hekels sel. Wittib, 81719). 14 Gerber points to complaining about the weather, and Francke points to sleeping late, see Gerber, Unerkannte Sünden (note 13), 50; and Francke, »Vorrede« (note 12), a3r: »Zum Exempel, wie ist es müglich [sic!], daß Hoff= und Staats= Leute, so wie sie insgemein sind, zu einem rechtschaffenen Christenthum gelangen, wenn sie ihre gewöhnliche Lebens= Art nicht ändern wollen, sondern frühe fein lange schlaffen, darnach mit putzen und schmücken die Zeit hinbringen biß zur Mahlzeit, dann den Magen wohl füllen, nach Mittage Visiten geben oder annehmen, dabey unnützes Geschwätz treiben, oder allerley Lustbarkeiten suchen, und so ferner.« 15 Veronika Albrecht-Birkner and Udo Sträter: »Die radikale Phase des frühen August Hermann Francke.« In Der radikale Pietismus. Perspektiven der Forschung. Ed. by Wolfgang Breul, Marcus Meier and Lothar Vogel (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010), 57–84.

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man gar keine Divertissements haben sollte?« Gotthilf August Francke answered: wenn die Gnade und Wahrheit in Christo, Vergebung der Sünden und alle himmlischen Güter recht erkannt würden, so findet man an solchen Dingen keinen Geschmack mehr, sondern hätte eine viel reinere und beständigere Freude an Gott, dafür man das andere nicht achtete.16

As later noted by Princess Wilhelmine, the eldest daughter of Frederick William, Francke »fand ein Vergnügen daran, Gewissensscrupel bei den unschuldigsten Dingen zu erreichen.«17 Especially significant here is Wilhelmina’s ironic juxtaposition of Francke’s (seemingly hypocritical) Vergnügen with his Gewissensscrupel.

3. Rejection of Divertissements and Idleness at Frederick William’s Court: Diligence Frederick William was rather different than most contemporary rulers. He did not enjoy the normal court entertainments and activities, or try to represent himself and his dynasty through them. Instead, he embraced a new monarchical self-representation that legitimized his rule through his diligence.18 For example, Der reisende Chineser, a fictitious travel journal written by a Prussian courtier, described Prussia through the eyes of an imaginary Chinese traveler, and explained that there was no carnival in Berlin: Zu Berlin spühret man deromassen von der seltsamen Carnevals-Zeit wenig oder nichts, indem Seine Königliche Majestät kein Fait davon machen. Hingegen lassen sich Dieselben gefallen öfters zu jagen, und sich starcke Motiones zu machen. Sind 16 Gotthilf August Francke: »Die Wusterhausener Aufzeichnungen des jüngeren Francke.« In Der König und die Stillen im Lande. Begegnungen Friedrich Wilhelms I. mit August Hermann Francke, Gotthilf August Francke, Johann Anastasius Freylinghausen, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Ed. by Jochen Klepper (Witten and Berlin: Eckart-Verlag, 41962), 88–128, here: 107. 17 Quoted in Heinz-Dieter Kittsteiner: »Zu Gast in Königs Wusterhausen: Das Tagebuch des J.A. Freylinghausen vom 4.–10. September 1727.« In Hofkultur und aufgeklärte Öffentlichkeit: Potsdam im 18. Jahrhundert im europäischen Kontext. Ed. by Günther Lottes and Iwan D’Aprile (Berlin: Akademie Verlag, 2006), 213–231, here: 216. 18 This is one aspect of my current research project: »Cultural Revolution: Political Culture, Gender, Money, and Science in King Frederick William I’s Prussia (1713–1740).« Regarding Frederick William’s self-representation, see Benjamin Marschke: »›Von dem am Königl. Preußischen Hofe abgeschafften Ceremoniel:‹ Monarchical Representation and Court Ceremony in Frederick William I’s Prussia.« In Orthodoxies and Diversity in Early Modern Germany. Ed. by Randolph C. Head and Daniel Christensen (Boston: Brill, 2004), 227–252, and id.: »Princes’ Power, Aristocratic Norms, and Personal Eccentricities: Le Caractère Bizarre of Frederick William I of Prussia (1713– 1740).« In The Holy Roman Empire, Reconsidered. Ed. by Jason P. Coy, Benjamin Marschke and David W. Sabean (New York: Berghahn, 2010), 49–70.

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solche vorbey, employieren sie sich unverzüglich wiederum serieusen Verrichtungen, welche die Sorge vor Dero Regierungs-Geschäffte von Ihnen fordert.19

This was the image that the king wanted to project, that he could not spend time (i. e., waste time) taking part in public celebrations or ceremonies, because he preferred to go hunting, and because he was so busy with »serieuse[n] Verrichtungen,« having to do with government business.20 In his instructions to his successor, Frederick William reiterated this point: arbeiten müßet Ihr so wie ich es bestendigst getahn […] also sein die Regenten zur arbeit erkohren und nicht zum flascken [sic!] faullen weiberlehben […] der liebe Gott hat euch auf den trohn gesetzet nicht zu faullentzen sondern zu arbeiten und seine Lender wohll zu Regiren.21

We could assume that the king demanded the same work ethic from royal servants, based on how he repeatedly demanded »Fleiß« from his court personnel.22 Indeed, on the surface Frederick William’s instructions to the (Pietist) governors of crown prince Frederick read very much like Francke’s admonitions about accounting for one’s time before God, »vor welchem sie auch dermahl einst von ihrer Regierung, ja auch von jedem unnützen Wort ebensowohl werden Rechenschaft geben müßen.«23

19 David Fassmann: Der auf Ordre und Kosten Seines Käysers, reisende Chineser, Was er Von dem Zustand und Begebnüssen der Welt, insonderheit aber derer Europäischen Lande, dem Beherrscher des Chinesischen Reichs, vor Bericht erstattet […] Erster Theil (Leipzig: Cörnerische Erben, 1721), 379. 20 We could contrast this with Frederick William’s actual behavior, which was not so diligent. He may have avoided and denounced conventional divertissements, but he was not very diligent about »working,« either. Imagine the surprise of the Pietists when they learned from their contacts within the king’s cabinet that he did not actually read all the paperwork that they sent (and that others sent). Instead, he only read the 3–4 line synopses at the tops of petitions and reports, and he usually referred complicated issues to his secretaries and let them decide. Marschke, »Lutheran Jesuits« (note 3), 24. 21 »Die Instruktion König Friedrich Wilhelms I. für seinen Nachfolger (1722).« In Politische Testamente der Hohenzollern. Ed. by Richard Dietrich (München: DTV, 1981), 100–124, here: 102– 103. This is not the place to discuss the gendered aspect of Frederick William’s equation of »lazy« with »womanly« (»faules Weiberleben«). See Benjamin Marschke: »Competing Post-Baroque Masculinities: Pietist Masculinity and Prussian Masculinity in the Early Eighteenth Century.« In Gender im Pietismus: Netzwerke und Geschlechterkonstruktionen. Ed. by Pia Schmid (Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen, 2015), 197–210. 22 See the oaths of the court personnel. Other than »loss prevention« (and that they themselves not embezzle), the most prominent theme is that court personnel should work diligently. For example, from the oath of Friedrich Francke (no relation to August Hermann), Schreiber bei der Hofstaats-Kasse, 1719: »alle Treue, Sorgfalt, und Fleiß erweisen […] alles getreülich, und fleißig verrichten.« Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (henceforth GStA PK), HA I, Rep. 36, Hofverwaltung, No. 68, Vereidigungen des Schloß- und Hofstaatspersonals, 1713–1766. 23 »Instruction und Bestallung Friedrich Wilhelms I. zur Erziehung seines Sohnes des Kronprinzen für den Oberhofmeister Grafen von Finckenstein und für den Sousgoverneur von Kalkstein. Vom 15ten August 1718.« In Zur Geschichte Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. Könige in Preußen.

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In addition to hunting, Frederick William only seemed to enjoy drilling his troops. In the media of the day, the Europäische Fama, it was reported in 1714, shortly after his succession that: »Die Soldaten sind seine Lieblinge. Was er anderwerts an der Pracht des Hofes ersparet, das wendet er mit Freuden auf Sie, alle andere Divertissements sind ihm ein Greuel.«24 Later the same year, it was reported about Frederick William: »Selbst sind keine Liebhaber von den Studien, und haben dero größtes Plaisir an starck=leibigen Soldaten.«25 Important here is that contemporaries (and presumably Frederick William himself) regarded the building and drilling of the king’s army as his plaisir, and as a divertissement, to be compared with other courtly pleasures and entertainments. There was also a theological aspect of the king’s rejection of conventional divertissements. Especially early in his reign, Frederick William was profoundly concerned about the sinfulness of these activities, and the implications for his own soul. Francke’s son, Gotthilf August Francke, reported that the king told him: »Wenn er auf Masqueraden gewesen, habe er eine große Angst gehabt und gedacht, wenn er jetzt sterben sollte und in solcher Positur vor Gott treten, wie Gott zu ihm sagen werde: Weg da!«26 The king told the younger Francke that if he knew he would live another forty or fifty years – he was then not yet forty, and still in good health – then he might behave differently, but because he was unsure of when he might die, the fear of dying in a sinful activity kept him in check. Gotthilf August Francke’s finessed response is telling: »Ja, Ihro Majestät, nicht allein das, sondern […] so wäre es doch schade, die Zeit zu verlieren […] die wir verlieren, wenn wir unser Leben in Sünde zubringen.«27 Here already we can see a significant difference between the king’s conception of time and that of the Pietists. For the king, the issue with ›time‹ was that his lifetime could run out at any moment; for the Pietists, the issue was that one should use all of one’s lifetime. We can see this more clearly in the king’s instructions for the upbringing of crown prince Frederick. Though the aforementioned warning that a prince must account for his time before God sounds very much like Francke, more often Frederick William’s instructions sound like ›work hard, play hard.‹ Especially on Sundays, though the 9-year-old crown prince was to arise at 7:00 AM and undergo several hours of prayer – interrupted by seven minutes (!) for breakfast – and attend church and partake of the midday meal with the court, Frederick William instructed that »der Rest vom Tage aber ist vor Ihn.«28 The

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Ed. by Friedrich Cramer (Leipzig: Brüggemann, 21833), 3–20, here: 8. I am grateful to Wolfgang Breul for pointing out that Frederick William was paraphrasing Mt 12:36 here. Europäische Fama 157, 1714, 39. Ibid. 161, 1714, 621. Karl Wolff: »Ist der Glaube Friedrich Wilhelms I. von A.H. Francke beeinflußt?« JBKG 33, 1938, 70–102, here: 75; Francke, »Wusterhausener Aufzeichnungen« (note 16), 107. Francke, »Wusterhausener Aufzeichnungen« (note 16), 107–108. »Reglement Friedrich Wilhelms I., wie sein ältester Sohn die Studien zu Wusterhausen halten

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crown prince’s Sunday afternoon free time is in stark contrast with the Pietist demands that Sunday not be despoiled with worldly activities. Furthermore, Frederick William instructed that his son be taught horseback riding and fencing (but significantly, not dancing),29 in contrast with the curriculum for young noblemen at Francke’s Pädagogium, where these things had no place.30 Beyond the physical exercise, the crown prince was to learn »eine honette Recreation,« meaning »anständige Spiele, nicht aber von Karten Hasard, als welche sich sonst wohl lernen, sondern andere wo mit der Esprit aufgemuntert würde.«31 Needless to say, this embrace of gaming, even »respectable games« would have found disapproval with the Pietists. Later the king even explicitly ordered that on weekdays, at the end of the day, his son be allowed »sich in die Luft und nicht in der Kammer divertiren und thun, was Er will, wenn es nur nicht gegen Gott ist.«32 Here, rather explicitly, the king embraced the notion that passing the time doing anything not explicitly ›against God‹ would be permissible, even encouraged – if anything, the king’s concern was not with such ›middle things,‹ but that the crown prince spend his time outdoors, and not indoors.33

4. Overlap and Agreement: Dancing We could understand that the Pietist sense of the good use of time ran parallel with the king’s sense of time, and that they were largely compatible with each other. For example, Frederick William is famous for chasing and beating layabouts in Berlin and Potsdam – he wanted them working, doing something. Francke is famous for having run what was basically a workhouse for indigent children in Halle. Francke stamped out the tavern culture in Glaucha because visiting taverns was a waste of time. In meeting with Frederick William at Wusterhausen in 1727, Freylinghausen confirmed and explained this. Frederick William asked whether a hand worker who worked all week could not be allowed a

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soll. Den Gouverneurs eingehändigt den 3ten September 1721.« In Zur Geschichte (note 23), 20– 25, here: 22. »Instruction und Bestallung« (note 23), 17. Andreas Pecˇar: »Adelserziehung und Pietismus – ein Widerspruch?« In Mit göttlicher Güte geadelt: Adel und Hallescher Pietismus im Spiegel der fürstlichen Sammlungen Stolberg-Wernigerode. Ed. by Claus Veltmann, Thomas Ruhland and Thomas Müller-Bahlke (Wiesbaden: Verlag der Franckeschen Stiftungen, 2014), 89–98. »Instruction und Bestallung« (note 23), 17. »Reglement Friedrich Wilhelms« (note 28), 23. From Freylinghausen we know that such »recreation« including fishing. Johann Anastasius Freylinghausen: »Das Reisetagebuch des Johann Anastasius Freylinghausen.« In: Der König (note 16), 40–87, here: 55.

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»recreation« on Sunday. Freylinghausen answered »no,« because the worker would squander his week’s earnings. Thereby, his wife and child would wind up needy. Worst of all, though, would be the »geistliche Schade« to the soul of the worker.34 Frederick William agreed, and claimed he did much the same thing in Berlin. He had shut down the Schützenhof there, the shooting contest typically accompanied by excessive drinking. When one of his generals pointed out that shutting down the Schützenhof cost the king a source of revenue, and cost people their jobs, Frederick William replied that he would stick to it – moral policing trumped economic concerns.35 At a higher social level, the Pietists and the Prussian king generally agreed on the proper behavior of the elites. The debates between Francke and Thomasius are well known: Francke scolded Thomasius for his elegant clothes, and Thomasius held lectures about decorum, implying that the Pietists lacked it.36 The Pietist position is not dissimilar to that of Frederick William, to the conspicuous lack of consumption at his court,37 and to his open criticism and mockery of people who dressed elegantly.38 We can extrapolate this asceticism to the education of the elites. Francke’s Fürstenspiegel prescribed no fun for young princes.39 In Halle, Francke pronounced an education in courtly manners to be unnecessary and harmful, because these were contrary to Christianity.40 This is not much different than the famously rigid and joyless educational program that Frederick William devised for crown prince Frederick. If we pick a specific activity as an example, like dancing, then this becomes all the more clear. Dancing was one of the Mitteldinge over which the Pietists had debated Thomasius.41 During Freylinghausen’s stay at the court in Wusterhausen, one of Frederick William’s courtiers claimed that the 34 Ibid., 69. 35 Ibid. 36 Martin Brecht: »August Hermann Francke und der Hallische Pietismus.« In Geschichte des Pietismus. Vol. 1: Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert. Ed. by Martin Brecht (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993), 440–539, here: 503–504; Hunter, »Multiple Enlightenments« (note 10). 37 See Benjamin Marschke: »A Conspicuous Lack of Consumption: Money, Luxury, and Political Culture in King Frederick William I’s Prussia (c. 1713–1740).« In Money in the German Speaking Lands. Ed. by Mary Lindemann and Jared Poley (New York: Berghahn, 2017), 96–120. 38 Marschke, »Masculinities« (note 21). 39 Deppermann, Pietismus (note 2), 151; see ›Gottes furcht‹ und ›honnêteté:‹ Die Erziehungsinstruktionen für Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg-Preußen durch August Hermann Francke und Gottfried Wilhelm Leibniz. Ed. by Christoph Schmitt-Maaß (Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen, 2016). 40 Brecht, »August Hermann Francke« (note 36), 494. See also Pecˇar, »Adelserziehung« (note 30). 41 Hinrichs, »Bild des Bürgers« (note 10), 372; and Walter Sparn: »Philosophie.« In Geschichte des Pietismus. Vol. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Ed. by Hartmut Lehmann (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004), 227–263, here: 240, 242.

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Pädagogium in Halle was lacking because it did not teach dancing.42 Frederick William took Freylinghausen’s part, and he rejected the arguments of his courtiers that learning to dance was part of a good education, or that dancing was healthy »movement« for young people.43 The king concluded: »Warum sollte ich die Leute durch die Tanzmeister dem Teufel zuführen lassen?«44 Though most of Frederick William’s courtiers had learned to dance,45 as mentioned above, crown prince Frederick was not taught to dance, and Frederick William later banned dancing at the Kadettenkorps in Berlin weil dieses nur der Anfang wäre, da der Teufel in die Seelen käme, folgendes alle Üppigkeit, Gottlosigkeit und dergleichen entspringen täten […] hingegen sollen die Cadets zu mehrerer Frömmigkeit angeführet und in Mathe und Französischem lernen, so ihnen viel heilsamer und ersprießlicher wäre.46

Both the Pietists and Frederick William seem to have been on the same page, in that they rejected the notion that sensuous activities like dancing were good for young people to learn – they would only be led into temptation by dancing.47 As Francke put it, dancing was unsurpassed in leading people to temptation: »Was kan aber bey solcher menschlichen Schwachheit mehr zu sündigen reitzen, als 42 43 44 45 46

Freylinghausen, »Reisetagebuch« (note 33), 50. Ibid. Ibid. Ibid. Quoted in Carl Hinrichs: »Pietismus und Militarismus im alten Preußen.« In id.: Preußentum und Pietismus (note 1), 127–173, here: 170. 47 Though there was dancing at the court in Berlin, it seems to have been largely same-sex and platonic. In his contemporary biography of Frederick William, David Fassmann notes that the king danced at the celebration of the anniversary of the battle of Malplaquet (11 September 1709), but was quick to explain that he danced only with men, and only senior officers at that: »Endlich fiengen Ihro Majestät der König auch an, zu tantzen; aber mit lauter Officiers, und absonderlich mit alten Generals […]. Frauenzimmer befanden sich bey diesem Tantz nicht.« David Fassmann: Leben und Thaten des allerdurchlauchtigsten und großmächtigsten Königs von Preussen Friederici Wilhelmi. Biß auf gegenwärtige Zeit aufrichtig beschrieben (Hamburg and Breslau, 1735), 897. – The ritualistic Fackel-Tanz that was performed at weddings and other royal family events also seems to have been same-sex and platonic, in that the most senior officers danced while others watched, though this was then followed by mixed-sex dancing late into the night. From the 1716 wedding of Henrietta Maria of Brandenburg-Schwedt to the crown prince of Württemberg we know that »wie dann, als folglich der Ball seinen Anfang genommen, und ein Fackel=Tantz gehalten wurde, 10. Generals mit Fackeln vor dem Hochfürstl. Braut=Paar, so davon den Eingang gemacht, dantzend vorhergiengen.« Europäische Fama 194, 1717, 131. From the 1723 wedding of Anna Sophie Charlotte of Brandenburg-Schwedt to the duke of SaxonyEisenach: »Nach dem die Königl. Tafel aufgehoben, begab sich der gantze Hof in die Königl. Gemächer, unter welcher Zeit Anstalt zum Fackel=Tantz gemacht wurde, und die 14. Herren Generals und 2. Obersten, weisse Wachs=Fackeln von denen Cadets in ihre Hände nahmen […] hohlten die hohe Königl. Herrschafft ab, und führten sie auf die in dem Ritter=Saal unter dem Thron hin, wodann die beyden Herren Obersten mit den 14. Generals, welche die brennende Fackeln in den Händen trugen […] fingen voran zu tantzen.« Europäische Fama 266, 1723, 168. This was repeated at the wedding of Princess Friederike Luise to the count of BrandenburgAnsbach in 1729, Europäische Fama 322, 1729, 826.

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wenn Manns- und Weibs-Bilder sich also mit allerley Gebehrden, Stellungen des Leibes, Umbarmungen etc. begegnen.«48 Both Frederick William and the Pietists also frowned on people reading worldly literature like novels. Some of this was because the ideas in such books were dangerous, as with theater. More of this was the idea that reading fiction was a waste of time. Remember, when Frederick William visited Halle in 1713, he discussed the book trade with Francke. Francke explained that he destroyed »worldly« books, to take them out of circulation, though he lost money by doing so. The king apparently approved of this principled willingness to suffer financial loss.49

5. Divergence and Contention: Hunting There were some issues on which Frederick William and the Pietists never agreed. The best example of this is hunting, and Frederick William and the Pietists went back-and-forth regarding hunting, repeatedly. This was a constant issue for the king, who was an avid hunter.50 While Freylinghausen was visiting, Frederick William announced that hunting was refreshing, and he asked Freylinghausen repeatedly whether hunting was a sin. Freylinghausen replied that the sinfulness of hunting depended on the circumstances. The king answered, apparently rather heatedly: Ja, wie versteht er das […]. Wenn man dabei fluchet und böse wird oder sonst an Gott nicht gedenket? Er muß uns nicht für so gottlose Leute ansehen; wir haben heute mit einander, ehe wir auf die Jagd gegangen, gesungen: ›Wach auf, mein Herz, und singe,‹ und das Vaterunser gebetet.51

We might see this as Frederick William (whom no one ever accused of having a sharp intellect), having adopted the elder Francke’s notion of focusing on one’s edification, even while performing other tasks: he and his entourage sang hymns and prayed before hunting. 48 Francke, »Vorrede« (note 12), a3r. 49 »Hr. Prof. Francke erklärte, seine Meinung sei, gottlose Bücher werden nicht gedruckt; und wenn dergleich auch im Buchhandel aus Versehen mit einlaufen, lasse ich sie gleich verbrennen, obgleich ein Schade darüber geschieht. König: Tun Sie das.« See »Der Besuch König Friedrich Wilhelms I. in den Franckeschen Stiftungen in Halle.« In Der König (note 16), 19–39, here: 38–39. 50 As famously obsessive about hunting as Frederick William was, he was hardly abnormal in the context of his times. We might contrast him with the rulers of Saxony-Poland, across the border, who not only lavishly spent money (and time!) on similar hunting spectacles, but also had dozens of portraits painted of their hunting dogs in the 1720s. See Jutta Charlotte von Bloh: »Die Parforcejagd unter August II. und August III., Königen von Polen und Kurfürsten von Sachsen«. In Die königliche Jagdresidenz Hubertusburg und der Frieden von 1763. Ed. by Dirk Syndram and Claudia Brink (Dresden: edition Sächsische Zeitung, 2013), 127–136, here: 130. 51 Freylinghausen, »Reisetagebuch« (note 33), 72.

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When pressed, Freylinghausen replied that hunting was sinful if one were cruel (unbarmherzig) to the animals, that is, if one tormented the animals unnecessarily. This was clearly directed at Frederick William’s favorite form of hunting, the brutal parforce hunting of elk with dogs. Finally, the king dismissively offered that if Freylinghausen could show him where it says in the Bible that hunting is sinful, then he would give up hunting.52 This came up again when the younger Francke visited Frederick William at Wusterhausen later the same year. Very quickly the courtiers recalled Freylinghausen’s admonitions about hunting. After the king returned from the parforce hunt, he asked Gotthilf August Francke what he thought of it. Gotthilf August Francke avoided answering, but when pressed, said that »ich hielte, daß durch alle dergleichen Dinge der gute Samen des Worts erstickt werde.«53 The king responded that hunting was good exercise (Motion), and good for his health. The Pietist replied, seemingly earnestly, that the king could be just as well moved by hearing a good sermon.54 The king answered that God seemed to demand a lot. Frederick William later offered Gotthilf August a half a partridge to eat, and asked him, apparently ironically: »Die habe ich selbst geschossen; ist das auch Sünde?«55 As for Gotthilf August Francke’s suggestion that a good sermon could be as invigorating as hunting, we should consider Frederick William’s repeated edicts against long sermons from early in his reign (1714–1717) and the reasoning behind them. The first edict reads: Da Wir selbst in höchster Person an verschiedenen Orten bemercket haben, daß viele so wohl der Reformirten= als Lutherischen Prediger ihre Predigten so ungemein lang einrichten und halten, daß nicht alleine denen Zuhörern deshalb die nötige Auffmercksamkeit und schuldige Andacht entgehet, sondern auch die Prediger selbst durch unnötige und verdrießliche Wiederholungen und so genannte Tautologien um nur viel sagen zu können, selbige verlängern; Wir aber dergleichen langes, verdrießliches, zu nichts dienendes, sondern vielmehr die Andacht hemmendes und folglich wenig Erbauung schaffendes predigen, eingeschränckt wissen wollen.56

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Ibid., 73. See also Wolff, »Glaube Friedrich Wilhelms I.« (note 26), 92. Francke, »Wusterhausener Aufzeichnungen« (note 16), 105. Ibid., 106. Ibid. The fine for preaching more than an hour was to be 2 thalers, which was a week or two’s income for most clergymen. »Circular-Verordnung, daß kein Prediger oder Candidate ins künfftige länger als eine Stunde zu predigen sich unterstehen, oder vor jedesmahl zwey Thaler der Kirchen, worinn sie geprediget, erlegen sollen (18 December 1714).« In Corpus Constitutionum Marchicarum […]. Ed. by Christian Otto Mylius (Berlin and Halle: Waisenhaus, 1737–1751), Theil I, LXXXIX, 513–514. The other edict is »Erneuerte Verordnung, daß nicht länger als eine Stunde geprediget werden soll (10 April 1717).« Ibid., XCVI, 527–528. – In Wusterhausen Freylinghausen had preached for over an hour, and he worried that the king would be displeased: »Weil ich etwas

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This condemnation of those who spoke at length »um nur viel sagen zu können,« was part of a larger trend of anti-pedantry at Frederick William’s court – this was the court that published Der Gelehrte Narr, which criticized charlatans in the same terms.57 More broadly, we should connect Frederick William’s condemnation of such »langes, verdrießliches, zu nichts dienendes, sondern vielmehr die Andacht hemmendes und folglich wenig Erbauung schaffendes predigen« with the contemporary discourse regarding substitution of entertainment for edification, and ultimately the utilitarian argument that attending the theater was better at improving people’s behavior than attending church.

6. Change over Time: Theater We have already seen the contrast between how the Soldatenkönig and the Pietists regarded different divertissements – Frederick William consistently agreed with the Pietists that dancing was sinful, and he consistently disagreed with them about the sinfulness of hunting. A third example, theater-going,58 provides us with an even more nuanced and complicated contrast between what Frederick William and the Pietists saw as sinful, permissible, or beneficial activities. Pietists’ criticism of the theater – and the so-called Opernstreit – has been studied exhaustively.59 Of course Francke and the Halle Pietists had been against the theater and opera from early on. Not only did the Pietist critique of the theater follow the pattern set by English Puritan critics, but the public Opernstreit did much to define ›Pietism,‹ just as the public debate regarding theater in England a century earlier had constructed Puritanism.60

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über eine Stunde gepredigt hatte, besorgte ich einen Verweis.« Freylinghausen, »Reisetagebuch« (note 33), 67. David Fassmann: Der Gelehrte Narr […] (Freyburg, 1729). Frederick William also regarded much formal education – including learning Latin – to be a waste of time, and he forbade that his children be taught dead languages. »Instruction und Bestallung« (note 23), 13–14. This was not entirely at odds with Pietism, either. The Pietists were more focused on practicality, activism, and pragmatic learning than purely intellectual/theoretical pursuits. They also lectured in German, rather than Latin, for the same reasons. ›Theater‹ here includes opera, ballet, and comedies, all of which were included in the German term Komödien. See Gudrun Busch: »Die Beer-Vockerodt-Kontroverse im Kontext der frühen mitteldeutschen Oper. Oder: Pietistische Opern-Kritik als Zeitzeichen.« In Das Echo Halles. Kulturelle Wirkungen des Pietismus. Ed. by Rainer Lächele (Tübingen: Bibliotheca Academica, 2001), 131–170. However, the geneses of Puritanism and Pietism as cultural icons were much different, because a ›literary anti-Pietism‹ did not emerge until Pietism was well established, whereas Puritanism was ›invented‹ by the theatrical counter-attacks of English playwrights at the turn of the seventeenth century. See Patrick Collinson: »Ben Jonson’s Bartholomew Fair: The Theatre Constructs Puritanism.« In The Theatrical City: Culture, Theatre, and Politics in London, 1576–1649. Ed. by David L. Smith, Richard Strier and David Bevington (Cambridge: Cambridge University Press,

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Puritans and Pietists objected to the theater for a half-dozen different reasons. First and foremost, the theater taught depravity. Characters tended to be mendacious, adulterous, and murderous,61 and audiences could not help but be tempted to behave similarly. Moreover, the theater mocked serious subjects: upright behavior, chastity, industry, the clergy, etc. Even if a theater piece were wholesome, the actors were not – it was blasphemy, for example, to have actors playing biblical figures.62 Second, those running theaters were self-serving and egoistic.63 Most significantly for our purposes in this chapter, Francke called them »Time Thieves« or »Day Thieves,« because they »stole« people’s time, that rightfully belonged to God (as well as taking their money).64 Third, the theater excited the passions – the wrong passions. Because it stimulated its audiences, theater was not »rest,« in which people might recover from work and prepare for further work (such »rest« would have been acceptable to Francke). Fourth, visiting the theater was idleness65 and not a good use of time.66 This reasoning was a tacit rebuttal to the notion that theater-going was a »harmless mirth.«67 Following the logic of the Pietist rejection of adiaphora: the theater was sinful, because it was not good. Fifth, acting taught duplicity and dissimulation.68 Finally, the Puritans and Pietists decried that the theater was trying to supplant organized religion in its socializing and disciplining functions. The theater claimed to be a »school of virtue.«69 From the perspective of the theater’s defenders, the problem was simply that obtuse opponents of the

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1995), 157–169; id.: »Ecclesiastical Vitriol: Religious Satire in the 1590s and the Invention of Puritanism.« In The Reign of Elizabeth I: Court and Culture in the Last Decade. Ed. by John Guy (Cambridge: Cambridge University Press, 1995), 150–170; Huston Diehl: »Disciplining Puritans and Players: Early Modern English Comedy and the Culture of Reform.« Religion & Literature 32, 2000, 81–104, here: 82; Benjamin Marschke: »From Heretics to Hypocrites. Anti-Pietist Rhetoric in the Eighteenth Century.« In Kinship, Community, and Self: Essays in Honor of David Warren Sabean. Ed. by Jason P. Coy [et al.] (New York: Berghahn, 2015), 122–131. Martens, »Officina Diaboli« (note 6), 188. See Corinna Kirschstein’s chapter in this volume. Diehl, »Disciplining Puritans and Players« (note 60), 92–93. For example: »Dahin gehören Glücks-Töpffer Comoedianten und dergleichen Zeug, solche Leute, die nichts thun, sondern sind nur Tag-Diebe, Gott dem Hn. den Tag abstehlen, andere Leute ums Geld bringen.« August Hermann Francke: »Über das VII. Gebot (22 April 1694).« In August Hermann Francke: Predigten II. Ed. by Erhard Peschke (Berlin and New York: de Gruyter, 1989), 558–575, here: 565. Diehl, »Disciplining Puritans and Players« (note 60), 81. Hellmut Thomke: »Die Kritik am Theaterspiel im Pietismus, Jansenismus und Quietismus.« In Jansenismus, Quietismus, Pietismus. Ed. by Hartmut Lehmann, Hans-Jürgen Schrader and Heinz Schilling (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002), 159–171, here: 165; Martens, »Officina Diaboli« (note 6), 193. Diehl, »Disciplining Puritans and Players« (note 60), 92. Thomke, »Kritik am Theaterspiel« (note 66), 166. Martens, »Officina Diaboli« (note 60), 193.

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theater could not differentiate between literature and reality,70 and they were unable to recognize the theater’s illusions and fictions as such.71 They could not see that the theater held bad behavior up for ridicule in satire and parody. This last Pietist argument against the theater was their side of a paradigmatic struggle over who would reform society.72 Playwrights claimed to be better able to correct bad behavior than preachers, and they claimed that their plays were more effective at disciplining than sermons.73 On several levels, the clergy and theater troupes were similar. Both preaching and acting were theatrical ›performance.‹ Pietist preachers and actors were both on the margins of society, and the economics of preaching and of acting were similar.74 Francke very clearly understood the danger presented: Students and young people would look to worldly amusements, rather than the church, for guidance. The vehement Pietist rejection of the theater was relatively new.75 Luther had not taken a strong stance against the public theater, and had actually endorsed the use of theater in schools for pedagogical purposes.76 Spener had regarded Komödien as Mitteldinge, and he had tolerated them, simply because it seemed impossible to stamp them out.77 In Halle, Francke was successful in having the theater banned by the turn of the eighteenth century.78 Halle Pietists and Frederick William were aware of the foregoing conflicts between ascetic religiosity and the theater, and they were a part or a continuation of it. Frederick William used English and French terms »recreation« and »Temple des Satans,« and the Pietists not only referenced but translated and republished French Jansenist polemics regarding the theater.79 On the surface, at least, Frederick William’s opposition to theater seems to be a key aspect of his supposed ›Puritanism.‹ Some scholars have argued that anglophone Puritanism was originally constructed in the

70 John D. Lindberg: »Der Pietismus und die deutsche Barockoper: Zusammenprall zweier Welten«. In Europäische Tradition und deutscher Literaturbarock. Internationale Beiträge zum Problem von Überlieferung und Umgestaltung. Ed. by Gerhart Hoffmeister (Bern u. München: Francke Verlag, 1973), 251–257. 71 Diehl, »Disciplining Puritans and Players« (note 60), 95–96. 72 Ibid., passim. 73 Ibid., 85, 90. See also Corinna Kirschstein’s contribution to this volume. 74 Diehl makes this analysis for Puritan preachers and actors, see Diehl, »Disciplining Puritans and Players« (note 60). 75 Sdzuj, Adiaphorie und Kunst (note 5). 76 Martens, »Officina Diaboli« (note 6), 191; Thomke, »Kritik am Theaterspiel« (note 66), 160. See also the chapter by Corinna Kirschstein in this volume. 77 Thomke, »Kritik am Theaterspiel« (note 66), 161–162. 78 Martens, »Officina Diaboli« (note 6), 185. 79 See [Pierre Nicole], Deutlicher Erweiß Daß Operen und Comoedien spielen und sehen Kein MittelDing, Sondern eine genommene Freyheit seye, welche mit den Pflichten deß wahren Christenthums streite […](Jena: Johann Vielcke, 1700); Thomke, »Kritik am Theaterspiel« (note 66), passim.

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seventeenth century as opposition to the theater,80 and Carl Hinrichs conflated Frederick William’s banning of the theater with being »puritanisch« – nevermind that by the 1720s Puritanism, to the extent that it still existed, had become relatively flexible towards the theater.81 Upon his succession, Frederick William I legendarily tore down the opera house in Charlottenburg and donated the building stones to the construction of a school.82 By the time that he was ›won over‹ by the Pietists at the end of the 1710s,83 the king categorically banned the theater as sinful. He wrote in his instructions to his successor, in 1722: Mein lieber Successor mus auch nicht zugehben das in seine Lender und Prowincen keine Komedien Operas Balletes Masckerahden Redutten gehalten werden und ein greul: davor haben weil es Gottlohse und teuffelichts ist da der Sahtanas sein tempell und reich vermehret werden. also sollen wier wahrhaftige Kristen des Satans [Tempel] verstöhren. also ist das ein Gottsehl: Regenten und beßer zu sagen euer Werck des des [sic!] Satanas Tempell zu sagen Metressen operas Komedien Redutten Ballets Masquerahden zu unterdruhcken und nicht zu dulden.84

What is not exactly clear here is why Frederick William wanted to ban the theater. It seems most likely that his motivations were in keeping with the first four objections, above: The theater taught depravity, theater troupes were an economic drain, the theater excited the passions, and visiting the theater was a waste of time. Frederick William obviously condemned the theater in no uncertain terms, here and elsewhere.85 Moreover, he emphasized it should be suppressed, and to tolerate it at all would be sinful. This hardline against the theater would not stand. At the time of Francke’s death in 1727, while the Pietists were still obviously favored at court, the theater had become an object of debate. The queen differentiated between theater pieces which were obscene and scurrilous, which she agreed should be banned, and those which were harmless, and could be allowed. She argued people could 80 Diehl, »Disciplining Puritans and Players« (note 60), 82, as well as Collinson, »Ecclesiastical Vitriol« (note 60). 81 See Bruce C. Daniels: »Sober Mirth and Pleasant Poisons: Puritan Ambivalence Toward Leisure and Recreation in Colonial New England.« American Studies 34, 1993, 121–137; id.: Puritans at Play: Leisure and Recreation in Colonial New England (New York: St. Martin’s Griffin, 1995). 82 Charlottenburg. Teil 1: Die historische Stadt. Ed. by Helmut Engel, Stefi Jersch-Wenzel and Wilhelm Treue (Berlin: Nicolai, 1986), 92. 83 Though Frederick William may have been ›won over‹ by the Pietists, he was never a Pietist. See Benjamin Marschke: »›Wir Halenser‹: The Understanding of Insiders and Outsiders among Halle Pietists in Prussia under King Frederick William I (1713–1740).« In Pietism and Community in Europe and North America, 1650–1850. Ed. by Jonathan Strom (Leiden: Brill, 2010), 81–93; and id., »Pietism and Politics« (note 3). 84 »Instruktion König Friedrich Wilhelms I.« (note 21), 100–101. 85 From his instructions for the upbringing of the crown prince: »Von denen Opern, Comödien und andern weltlichen Eitelkeiten abzuhalten und Ihn so viel möglich einen Degout davor zu machen«. »Instruction und Bestallung« (note 23), 10.

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visit the proper theater, »weil’s doch besser wäre, wenn junge Leute dahinein gingen als wenn sie in die Bier- oder andere schlimme Häuser liefen.«86 There is a clear differentiation here between seeing the theater as a harmless pastime – it was preferable to spending one’s time in a house of ill repute – and seeing it as a sinful distraction from one’s edification. Indeed, Frederick William announced to the younger Francke that he felt free to see Komödien outside Prussia: Wenn ich in Bristol oder sonst wo ich nichts zu befehlen habe, eine Komödie sehen wollte, da würde es nichts ausmachen; aber wo ich zu befehlen habe, da kann ichs nicht verstatten dadurch autorisieren; denn so würde ich schuldig an allem Bösen, das dadurch geschieht.87

Frederick William seems to have developed a kind of mercantilist moral economy here – if it did not happen where he had jurisdiction, then he was not morally responsible for it.88 Several years later, once he had turned away from the Pietists, in a complete reversal of his earlier stance towards the theater, Frederick William allowed plays to be performed in Potsdam. He appointed a Hof-Komödiant in 1734 and there were rumors that he would build an opera house.89 Admittedly, the instructions for the new court theater director were explicit regarding the content of the plays to be performed: ihm überall in Unseren Landen und Provintzien in specie aber in Unseren Königlichen Residentzien mit seinen Gesellschaft (bey sich habenden Leuten) Künstliche Spiele u treiben und Comoedien anzustellen verstattet (seye). jedoch soll zugleich, bey verlust dieser Unserer ihm ertheileten Gnade, dahin (Er soll aber auch dahin) sehen solle, daß ist nicht scandaleuses, garstige, (unverschamte u. unerbahres oder sonst) ärgerliches oder sonst anstößiges, (viel weniger was, gottloses und den Christenthumb 86 Freylinghausen, »Reisetagebuch« (note 33), 49–50. Here the queen is reiterating an argument by Veit Ludwig von Seckendorff, who early in his career (in Teutscher Fürsten-Stat, 1656) regarded the theater, given that the content was not offensive, as a less-harmful alternative to gambling or drinking for common people (see Corinna Kirschstein’s chapter in this volume). Seckendorff became more skeptical of the theater later, though he still did not condemn it entirely. See Veit Ludwig von Seckendorff: »Additiones, II.XII.3: Wider die Ergetzungen […].« In: id.: Christen=Stat […] (Leipzig: Gleditsch, 1685), 255–261. 87 Gotthilf August Francke, »Wusterhausener Aufzeichnungen« (note 16), 92. 88 David Fassmann also dates Frederick William’s changing of his mind regarding the theater to 1727, and his viewing of plays in Hanover (or perhaps Brunswick?) on the occasion of the death of his father-in–law, King George I of Great Britain: »Wegen derer Comoedianten haben Ihro Majestät der König lange Jahre eine gantz besondere Meynung geheget, und sie weder an Dero Königlichen Hofe, noch sonst wo in Dero Königlichen Landen dulten wollen. Zwar Anno 1727. nach dem Todt des Höchstseligsten und Glorwürdigsten Königs von Groß= Britannien Georgii I. hatten Sie die Hannoverischen Hof= Comoedianten bereits angenommen […]. Nunmehro [1735] aber ist des Königs Sinn hierinnen geändert, und es befinden sich auch zu Berlin Comoedianten.« Fassmann, Leben und Thaten (note 47), 962–963. 89 Regarding the rumored opera house, see Marschke, »Lutheran Jesuits« (note 3), 31.

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nachtheiliges vorgebracht, sondern lauter innocente, Kühne, so […] um Erinnerung zum Guten honetten, amusement gereichen können, gespielet und vorstellet werden mögen.) wieder die Ehre und das Wort Gottes, vorgebracht, sondern, was zu [dähmpffung?] der Laster, Befoderung der tugend auch Annehmung wohl anständiger Sitten, denen zuschaueren gereichen kann, auff eine honnete Art, praesentiret werde.90

Frederick William thereby embraced the pro-theater argument that theater pieces need not be scandalous, malicious, offensive, or irreverent, but could be innocent, or even inspire the audience to do good and/or adopt decent morals. The appointment of the Hof-Komödiant does not mention the use of time, specifically, but its endorsement of »honnete[s] amusement« seems to approve of going to the theater as leisure. Finally, Pietism (or what was left of it by the late eighteenth century) also gave up the fight against the theater, and after the death of Gotthilf August Francke the Waisenhausbuchhandlung printed classical dramas.91

7. Epilogue and Conclusion: Strange Bedfellows The succession to the throne of King Frederick II (1740–1786), himself a playwright, would further ensure the Prussian court’s rejection of any Pietist objections to the theater – in response to Gotthilf August Francke’s criticism of the theater, Frederick II in 1745 famously ordered him to attend a performance.92 Usually we regard Frederick William I as thinking along the same lines as the Pietists, and we regard Frederick II as rejecting the Pietists and being opposed to them. Regarding the use of time in general and hunting in particular, though, Frederick II seems to have embraced the Pietist position. We should consider Frederick’s condemnation of hunting in Antimachiavell: Die Jagd ist eines jener Sinnesvergnu¨ gen, die den Körper in Wallung bringen und dem Geist nichts bedeuten. Es ist ein brennendes Verlangen, irgendein Tier zu verfolgen, und eine grausame Befriedigung, es zu töten; es ist ein Amu¨ sement, das den Körper kräftigt und ihm gut tut, doch den Geist unberu¨ hrt läßt und ihn nicht schult. Die Jäger werden mir ohne Zweifel vorhalten, daß ich die Dinge zu ernst nehme, daß ich den strengen Kritiker spiele und mich in der Lage der Priester befinde, die das Privileg genießen, allein auf der Kanzel zu reden […]. Die Kirchenväter waren Jäger, ich gestehe das ein; ich gestehe auch ein, daß sie ihre 90 Struck through in original. The sections in parentheses were inserted. GStA PK, HA I, Rep. 36, No. 2524, Verleihung des Prädikats ›Königlicher Hofkomödiant‹ an Johann Carl von Eckenberg, 1732. 91 Martens, »Officina Diaboli« (note 6), 184. 92 Ibid., 187; Thomke, »Kritik am Theaterspiel« (note 66), 165.

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Schwestern ehelichten und die Polygamie zu ihrer Zeit im Schwange war; doch diese guten Kirchenväter waren, wenn sie zur Jagd gingen, von dem barbarischen Zeitalter geprägt, in dem sie lebten; sie waren sehr ungehobelt und unwissend; sie waren Mu¨ ßiggänger, die partout nicht wußten, wie sie sich beschäftigen sollten, und die, um die Zeit totzuschlagen, die ihnen stets zu lang vorkam, ihren Überdruß auf der Jagd spazierenfu¨ hrten: sie vergeudeten in den Wäldern bei der Verfolgung der Tiere die Stunden, die sie in Gesellschaft vernu¨ nftiger Leute hätten verbringen können, wenn ihre Auffassungsgabe und ihr Geist dazu gereicht hätten.93

Frederick’s tirade against hunting stands in contrast to his father’s compulsive enthusiasm for it, and he self-consciously argues as the Pietists did, namely that »ich […] mich in der Lage der Priester befinde.« The Pietists did not compare hunting to polygamy and incest, but they would have agreed with Frederick that hunting did nothing for the spirit (even while admitting that it was good bodily exercise), and that it was wrong because it was a waste of precious time.94 Ultimately, Frederick II’s (completely secularized and etatized) notion of »the first servant of the state« sounds very analogous to the Pietist notion of »Gott zu Ehre und dem Nächsten nutzen.« Both are centered on a compulsive use of time, one for the glorification of God, one for the good of the state, but both at least indirectly for the benefit of society as a whole. To conclude, first, Frederick William and the Halle Pietists were parallel in their rejection of divertissements. However, if we look closely, then we can see a lot of daylight between their positions. We need only look at something like their stances towards hunting or the theater. Frederick William and the Pietists never agreed regarding hunting, and Frederick William argued with them rather aggressively (and seemingly effectively) that hunting was not sinful. Regarding the theater, Frederick William’s position changed dramatically during his reign, and once he turned against the Pietists, Frederick William completely reversed his earlier stance against the theater. It may have been Frederick the Great who built an opera house in Berlin, and who ordered Gotthilf August Francke to attend the theater in Halle, but it was Frederick William who brought the theater back to Prussia.95 Second, we should look closely at how people were arguing. Both the Pietists 93 Emphasis added. Friedrich II.: Der Antimachiavell, Oder Untersuchung von Machiavellis »Fürst.« Bearbeitet von Voltaire [1739] (Leipzig: Reclam, 1991), 50–51. I am grateful to Andreas Pecˇar (Halle) for bringing this to my attention. Andreas Rutz quotes Pecˇar and a similar passage from Antimachiavell regarding hunting as a waste of time, see Andreas Rutz: »Wilde Tiere und herrschaftliche Repräsentation in Brandenburg-Preußen im 17. und 18. Jahrhundert.« HZ 305, 2017, 334–361, here: 358. 94 Moreover, Frederick also adopted the Pietist notion of »time thieves« (or »day thieves,« »Tagediebe«) »die der Arbeit die Muße vorziehen.« Friedrich, Antimachiavell (note 93), 44. 95 Especially regarding the theater, see the repetition of erroneous clichés by Wolfgang Martens (ironically under the subheading »Fakten und Vorgänge«) that Frederick William was »puritanisch disponiert,« or that »Erst 1740, mit der Thronbesteigung Friedrichs II., war es mit pietistischer Einwirkung auf Hof und König vorbei.« Martens, »Officina Diaboli« (note 6), 186.

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and Frederick William prioritized stamping out sinful divertissements, even if it came at a financial cost. This is a clear rejection of the amoral ›luxury debates‹ that were raging in the 1710s, ’20s, and ’30s. Unlike Mandeville, who argued that »private vices« should be allowed and even encouraged because they would lead to »public benefits,«96 the Pietists burned saleable books and Frederick William shut down the lucrative Schützenhof to prevent others from wasting time and/or sinning. On the same tack, both Frederick William and the Pietists rejected the notion that people should be allowed to ›blow off steam‹ at the end of a work week. Instead, both saw only destitution, disorder, and sinfulness as the result of such recreation. Finally, both rejected the notion that learning things like dancing was part of a conventional education, or that it was justified because such ›movement‹ was healthy. Even more interesting is where their ideas differed. Rather than seeing Frederick William as a two-dimensional ›Puritan‹ who went along with the Pietists, we should see the Prussian side as more nuanced and complicated (especially given the divisions among members of the Prussian court when speaking with Freylinghausen at Wusterhausen). Frederick William’s stance towards some of these things may seem to be rather simplistic: he saw some divertissements as inherently sinful, and others as inherently harmless. Hence, early in his reign he condemned the theater as »Satan’s temple,« presumably because of the content of the plays performed. This was a much less radical stance than that of the Pietists, who rejected the theater as a worldly distraction, and inherently sinful, regardless of any obscene or scurrilous content. The Pietist argument, consistently, was that anything that distracted from one’s edification as a Christian was a waste of time, and therefore sinful, regardless of how harmless it might seem. The king’s ultimate acceptance of the theater, as long as the content was innocent, inspiring, and honest, was a tacit rejection of this Pietist position. His instructions to his new Hof-Komödiant make it clear that he had dismissed the Pietist condemnation of the theater and instead embraced the pro-theater argument that the theater could educate/improve people as well as (or better than) sermons – remember here the king’s edict against »unnötige« and »zu nichts dienende« long sermons. Regarding hunting, too, the king argued in pseudo-medical terms that it was »refreshing« and »healthy« to »make strong motions« – unlike dancing, hunting was apparently not sensuous enough to be sinful, especially if the 96 On Mandeville, see Maurice Goldsmith: »Public Virtue and Private Vices: Bernard Mandeville and English Political Ideologies in the Early Eighteenth Century.« Eighteenth-Century Studies 9, 1976, 477–510; Thomas A. Horne: »Envy and Commercial Society: Mandeville and Smith on ›Private Vices, Public Benefits.‹« Political Theory 9, 1981, 551–569; E.J. Hundert: The Enlightenment’s Fable: Bernard Mandeville and the Discovery of Society (Cambridge: Cambridge University Press, 1994); Dorit Grugel-Pannier: Luxus: Eine begriffs- und ideengeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Bernard Mandeville (Frankfurt a.M.: Peter Lang, 1996); John Martin Stafford: Private Vices, Publick Benefits? The Contemporary Reception of Bernard Mandeville (Solihull: Ismeron, 1997).

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hunting party prayed and sang hymns together, as Frederick William and his entourage did. Gotthilf August Francke’s argument that a good sermon could be just as »moving« as hunting was unconvincing. When Freylinghausen waffled and said that hunting could be sinful, depending on the person and the conditions, the king rejected this argument, too – he lashed out at Freylinghausen and explained that his passion for hunting was actually couched in his Christianity. Frederick William’s insistence that hunting is not prohibited by Scripture also seems to be an attempt to use the Pietists’ own arguments against them, even while embracing a fairly libertine stance: anything not explicitly forbidden is allowed. This indicated a complete rejection of the Halle Pietist notion of adiaphora. Only a few short years later the Pietists would be denounced at Frederick William’s court as »Mucker« and »Kopfhänger.«97 These may seem like minor distinctions, but my point is that they reflect profoundly different worldviews. The Halle Pietists and Frederick William I not only had different notions of ›vice‹ and ›sin,‹ but also different paradigms for evaluating these things that were ultimately based on different economies of time: the king allowed for ›free time,‹ in which doing anything not explicitly ›against God‹ would be permissible, even encouraged; the Pietists held that any ›waste of time‹ was sinful. In rejecting divertissements the king and the Pietists may have been fellow travelers for a while, but their reasons for doing so were ultimately incompatible, and the ultimate outcome of this ›marriage of convenience‹ was not happy.

97 See Marschke, »Experiencing King Frederick William I« (note 3), 676.

Anhang

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Albrecht-Birkner, Veronika, Dr. theol., Prof.in für Kirchen- und Theologiegeschichte, Universität Siegen. Breul, Wolfgang, Dr. theol., Prof. für Kirchengeschichte der Neuzeit, Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Engel, Katherine Carté, Ph.D., Associate Professor of History, Southern Methodist University, Dallas. Fulda, Daniel, Dr. phil., Prof. für Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Universität Halle–Wittenberg. Homburg, Heidrun, Dr. phil., Dr. phil. habil. (ehemals Privatdozentin für Neuere und Neueste Geschichte, Historisches Seminar, Universität Freiburg), Berlin. Jacob, Joachim, Dr. phil., Prof. für Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen. Kamp, Jan van de, PD Dr. theol., Associate Prof. für Kirchengeschichte, Vrije Universiteit Amsterdam. Kirschstein, Corinna, Dr. phil., Lehrbeauftragte am Institut für Theater-, Filmund Medienwissenschaft, Universität Wien. Kröger, Rüdiger, Dr. phil., Archivar, Landeskirchliches Archiv Hannover. Lohsträter, Kai, Dr. phil., Leiter des Dezernats Publizieren und des Universitätsverlags Kiel | Kiel University Publishing, Universitätsbibliothek Kiel. Marschke, Benjamin, Ph.D., Professor of History, Humboldt State University, Arcata.

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Nipperdey, Justus, Dr. phil., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Frühe Neuzeit, Universität des Saarlandes. Otte, Ann-Kathrin, Kirchenhistorikerin, Mainz. Plaga-Verse, Matthias, Dr. phil., Realschullehrer in Siegen. Safley, Thomas Max, Ph.D., Professor emeritus of History, University of Pennsylvania, Philadelphia. Schneider, Hans, Dr. theol., Prof. em. für Kirchengeschichte, Philipps-Universität Marburg. Schrader, Hans-Jürgen, Dr. phil., Prof. em. für Neuere deutsche Literatur, Université de Genève. Schunka, Alexander, Dr. phil., Prof. für Geschichte der Frühen Neuzeit, Freie Universität Berlin. Sträter, Udo, Dr. theol., Prof. em. für Neuere Kirchengeschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Vogt, Peter, Pfr. Dr., Studienleiter der Evangelischen Brüder-Unität, Herrnhut. Yoder, Peter James, Ph.D., Lecturer in Historical Theology, Reformed Theological Seminary, Dallas.

Verzeichnis der Abbildungen/Grafik

Abbildung 1: Theodor Undereyck (1635–1693): Focke-Museum Bremen D.0354c Abbildung 2: Das grosse Interesse eines Gewissenhafften Kauffmanns, Jena 1706: Bibliothek der Franckeschen Stiftungen, Halle, 3 G 8 [1] Abbildung 3: Enghalskrug aus Hanau, um 1700: Aufnahme: Werner Liebchen (Hanau). Präsentiert im Historischen Museum Hanau Schloss Philippsruhe. Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Hanauer Geschichtsvereins 1844 e.V. Abbildung 4: Julius Bernhard von Rohr: Compendieuse Haußhaltungs-Bibliotheck. Darinnen nicht allein Die neuesten und besten Autores, Die so wohl Von der Haußhaltung überhaupt, Als vom Ackerbau, Viehzucht, Jägerey, Gärtnerey, Kochen, Bierbrauen, Weinbergen, Wäldern, Bergwercken u.s.w. geschrieben, recensiret und beurtheilet, Sondern auch überall Des Autoris eigene Meditationes, Nebst andern curieusen Observationen aus den Antiquitæten, der Physic und Mathematic eingemischet werden. Leipzig 1716, Frontispiz. Grafik 1: Die ökonomische Entwicklung des Zeitungswerks im Spiegel der Hauptkasse der Glauchaer Anstalten.

Personenindex

Aaron Sincerus siehe Hochmann von Hochenau Achenwall, Sophie Eleonore, geb. Walther (1723–1754) 413 Allerton, Isaac (ca. 1586–1658) 131 Alphen, Hieronymus Simons van (1596– 1651) 163 Alphen, Johanna Simons van (1636– 1715) 163 Ames, William (1576–1633) 159 Anton, Paul (1661–1730) 207 Aquin, Thomas von (1224/25–1274) 251 Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.) 381, 404–406 Arndt, Johann (1555–1621) 165, 197, 199 Arnold, Gottfried (1666–1714) 56, 284 f, 411 Arsenios 201 Assisi, Franz von (1181/82–1226) 252 71, 250 Augustinus (354–430) Aunant, Johann 220 Baden, Karoline Louise von (1723– 1783) 351 Bardili, Andreas (1686–1754) 240 Barthel, J.G. (1737–1805) 345 Bayly, Lewis (1565–1631) 362 Bayreuth, Wilhelmine von (1709– 1758) 438 Beaumont, Pierre de (Pfr. in Kassel, 1685–1713) 52

Becher, Johann Joachim (1635–1682) 32, 36, 40, 44, 51 Becker, Otto Heinrich (1667–1723) 16, 30, 33–40, 42, 53 f, 57–64, 66 Beckmann, Johann Isaak (1719– 1800) 356 Behaghel, Abraham (1579–1627) 163 Behaghel, Daniel (1625–1698) 159, 163 f, 166–170 139 f Beissel, Conrad (1691–1768) Bengel, Johann Albrecht (1687–1752) 233, 240, 384 Bertram, Johann Christian († 1777) 192 Beuning, Matthijs (1707–1755) 307 Bockh, Jacob 260 Boë, François de la (1614–1672) 167 Böhme, Anton Wilhelm (1673–1722) 217 Böhmer, Justus Henning (1674– 1749) 182 Bolckhaus, Katharina (1670–1733) 112 Bosshardt, Hans Rudolf 245 Bougeant, Guillaume-Hyacinthe (1690– 1743) 398 Bourignon de la Porte, Antoinette (1616–1680) 246 Bräker, Ulrich (1735–1798) 246 Brandenburg-Preußen 178, 189, 220, 435 – Friederike Luise (1714–1784) 443 – Friedrich (III.) I. (1657–1713) 88,

462 93, 175, 178 f, 181, 184, 192, 213, 372, 374 – Friedrich II. (1712–1786) 93 f, 96 f, 115, 188, 219–221, 223, 394, 420, 451 f – Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) 20, 92, 220–223, 359–362, 373 f, 376 f, 420, 435–446, 448–454 – Sophie Dorothea (1687–1757) 449 f – Wilhelmine siehe Bayreuth Brandenburg-Schwedt – Anna Sophie Charlotte (1706– 1751) 443 – Henrietta Maria (1701–1782) 443 Brauer, Christoph Friedrich († 1782) 67 Breckling, Friedrich (1629–1711) 165 Brendel, Georg Christoph (1668– 1722) 42 f Breuning, Conrad Ludwig siehe Brüning Brun, Johann le (1608–1670) 161, 164–169 Brüning, Conrad Ludwig (1775– 1816) 107 Büchel, Anna Catharina vom (1698– 1743) 112–114 Buttlar, Eva von (1670–1721) 108– 111, 116 Buttlar, Ursula Maria von († 1673) 111 Callenberg, Clara (Elisabeth) von (1675– 1742) 237 Calov, Abraham (1612–1686) 376 Calvin, Johannes (1509–1564) 152 f, 384 Canstein, Carl Hildebrand von (1667– 1719) 177–180, 184, 227, 372 f Cellarius, Ludwig Johann († 1754) 186 f Chew, Benjamin (1722–1810) 119 f Chrysostomos, Johannes (344/49– 407) 417

Personenindex Coccejus, Johannes (1603–1669) 384 Collin, Friedrich Eberhard (1684– 1727) 424–426, 428 Comenius, Johann Amos (1592– 1671) 365 Crafft, Johann Daniel (1624–1697) 40 Cramer, Andreas (1582–1640) 367 Curhase, Ida (1594–1662) 163 Dachritz, Carl (*1705) 188 f Dalberg, Wolfgang Heribert von (1750– 1806) 387 Dänemark 215 – Georg (1653–1708) 215 David, Christian (1692–1751) 58, 297 Deusing, Joahnn[es] (1639–1697) 150, 159, 161–163, 170 Dilthey, Philipp Jakob (1663–1713) 109 f Dippel, Johann Conrad (1673–1734) 56, 104 f Dohna, Moritz Wilhelm von (1738– 1777) 312 Dryander, Hermann Benjamin (1740–1816) 98 Dürninger, Abraham (1706–1773) 255, 259, 273, 278 f, 281, 289, 320, 325 f Duval, Etienne 244 Eberhart, Michael 260 Edelmann, Johann Christian (1698– 1767) 234, 239, 243 Edwards, Jonathan (1723–1761) 123 Eisler, Tobias (1683–1753) 234 Elers, Heinrich Julius (1667–1728) 45, 176, 192, 235 Eller, Elias (1690–1750) 112–116 Eller, Samuel (1679–1750) 113 f, 116 Enden, David von (vor 1648 – ca. 1714) 159, 161, 164 f Enden, Wilhelm von 164–167 England – George I. (1660–1727) 450

463

Personenindex – Maria Tudor (1516–1558) Eymond, Jean-Josephe d’ 244

154

Fabricius, Sebastian (1716–1790) 98 Fende, Christian (1651–1746) 243 Fischer, Johann (1636–1705) 88 Flavius Josephus (37/38 – ca. 100) 230 Franck, Sebastian (1499–1542) 56 Francke, Anna Magdalena, geb. v. Wurm (1670–1734) 91 Francke, August Hermann (1667– 1727) 25 f, 28–33, 35, 37–42, 45, 54, 69–85, 87–93, 95, 97–100, 137, 175– 180, 182, 184 f, 191, 197 f, 203, 207– 218, 224 f, 235, 249, 253, 359 f, 362– 376, 395–397, 406–408, 410, 417–419, 421, 424, 426–428, 430 f, 436 f, 439– 449 Francke, Friedrich 439 Francke, Gotthilf August (1696– 1769) 91, 93, 96, 185, 189–191, 219–225, 359–362, 376, 438, 440, 445, 450–452, 454 Franklin, Benjamin (1706–1790) 129 Frankreich – Ludwig XIV. (1643–1715) 425 – Ludwig XVI. (1754–1793) 354 Frey, Michael 260 Freyer, Hieronymus (1675–1747) 189, 397, 408 Freylinghausen, Johann Anastasius (1670–1739) 92, 185, 359, 397, 441–445, 453 f Fridlezius, Jöns (1750–1816) 354 f Friedtlieb, Christian 40 Fuchs, Paul von (1640–1704) 88, 180 Gebhard, Elisabeth 106 Gellert, Christian Fürchtegott (1715– 1769) 391, 399–401, 412 Gerber, Christian (1660–1731) 437 Gersdorf, Friedrich Caspar von (1699– 1751) 308

Gichtel, Johann Georg (1638–1710) 104 f, 107, 116 Glorez, Andreas (ca. 1620–1700) 382, 396 Goethe, Johann Wolfgang von (1749– 1832) 387, 408 Gottsched, Luise Adelgunde Victorie (1713–1762) 390 f, 397–400 Gracián, Balthasar (1601–1658) 427 Gregor, Christian (1723–1801) 309– 311 Greiffenpfeil, Gustav Eberhard, Baron von (ca. 1700–1775) 222 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von (1622–1676) 376 Groß, Andreas (ca. 1685 – nach 1749) 233, 240, 243 f Grubenmann, Barbara (1686–1769) 245 Gundling, Nicolaus Hieronymus (1671– 1729) 207 Güntzer, Augustin (1596–1657) 199 Guyon, Madame de (Bouvier de La Motte Guyon, Jeanne-Marie) (1648– 1717) 235 Haas, Nicolaus (1665–1715) 423 Hagedorn, Friedrich von (1708– 1754) 403 f, 415 Hall, Joseph (1574–1656) 159, 374 Hase, Cornelius de (1653–1710) 165 Haug, David (1647–1726) 238 Haug, Johann Friedrich (1680–1753) 227, 233, 237–241, 243 Haug, Johann Jacob (1690–1756) 231 f, 234, 237–239, 241, 243–245 Hecker, Johann Julius (1707–1768) 223 Heespen, Anton Gunther (1665– 1723) 184 Hegner, Johann Ulrich 356 Heitz, Johann Georg (*1707) 274 Helmont, Franciscus Mercurius van (1614–1699) 165

464 Herder, Johann Gottfried (1744– 1803) 385 Hessen-Darmstadt, Ernst Ludwig von (1667–1739) 105, 409 Hintz, Johann Friedrich (1711–1772) 340–342 Hoburg, Christian (1607–1675) 165 Hochenau, Ernst Christoph Hochmann von (1670–1721) 57, 103–108, 116 Holme, Benjamin (1683–1749) 243 Holyk, Georg Jirí Holík (1635 – ca. 1710) 201 Horch(e), He(i)nrich (1652–1729) 108 f, 165, 236, 238 Hus, Jan (ca. 1370–1415) 133 Iberfeld, Johann Peter 107 Isenburg siehe Ysenburg Jablonski, Daniel Ernst (1660–1741) 202, 213, 215 Joachim, Johann Friedrich (1713– 1767) 188 Job, Johann (1664–1736) 177–181, 192 Jung-Stilling, Johann Heinrich (1740– 1817) 29, 45 Katsch, Johann Heinrich (1663– 1722) 184 Kelpius, Johannes (1667–1708) 139 f Kinzing, Peter (1745–1816) 351, 356 Klettenberg, Maria Magdalena von siehe Trümbach Klettenberg, Susanna Katharina von (1723–1774) 408 f, 412–414, 416 Klopfer, Balthasar (1659–1703) 104 Knapp, Johann Georg (1705– 1771) 93 Knevels, Johann Werner 103, 113 f Köber, Johann Friedrich (1717–1786) 308 Koch, Gottfried (1683–1765) 238, 241, 244 Konert, Christoph 235 f, 238

Personenindex König, Samuel (1671–1750) 104, 108 f Kraut, Ludwig Gebhard (1652–1725) 207 Krman, Daniel (1663–1740) 201 Krüger, Johann Christian (1723– 1750) 394, 397–400 Kürsner, Johann 238 Kyburz, Abraham (1704–1765) 245 Lampe, Heinrich (ca. 1646–1690) 165 Lange, Joachim (1670–1744) 397 Lange, Samuel Gotthold (1711–1781) 416 Launoy, Bonaventura de († 1721) 47, 51 f, 58 Leade, Jane (1624–1704) 112 Leiningen-Westerburg – Georg Hermann 106 – Juliane Elisabeth 106 Lent(h)e, Christian von (1649–1725) 212 Lessing, Gotthold Ephraim (1729– 1781) 384–388, 392 f Liebenroth, Johann Hieronymus 214 Lindert, Bastian/Sebastian 113 f Lipp, Jacob 258 Lippe-Biesterfeld, Theodor Adolf von (1660–1709) 108 Lippe-Brake – Dorothee Elisabeth (1661–1702) 235 – Ludwig Ferdinand (1680–1709) 235 Locke, John (1632–1704) 55 Löhneyß, Georg Engelhard (1552– 1622) 35 Lothringen, Carl Alexander von (1712– 1780) 356 Ludewig, Johann Peter von (1668– 1743) 183, 388 Ludolf, Heinrich Wilhelm (1655– 1712) 211 f, 216 f Luppius, Andreas (1654–1731) 161 Luther, Martin (1483–1546) 25, 38,

465

Personenindex 63 f, 74–76, 80, 252, 282, 285, 287, 290– 292, 360–362, 366 f, 370, 374 f, 421– 423, 428, 448 Lutz, Samuel (1674–1750) 245 Lynar, Friedrich Ulrich von (1736– 1807) 354

Nicolai, Johann 238 Niekamp, Johann Lucas (1708–1742) 187 f Niemeyer, August Hermann (1754– 1828) 98–100 Noble, Thomas († 1746) 140 f

Ma[a]stricht, Gerhard von (1639– 1722) 165 Mandeville, Bernard (1670–1733) 453 Marperger, Bernhard Walter (1682– 1746) 45 Marperger, Paul Jacob (1656–1730) 36, 44 f Marsay, Charles Hector de (1688– 1753) 234, 237–239, 241, 244 f Marx, Karl (1818–1883) 26 Mather, Cotton (1663–1728) 217 f Mayer, Johann Friedrich (1650– 1712) 366 f, 429 Mayr, Leonhard 264 Mazarin, Jules (1602–1661) 426 Mehder, Johann Christoph 214 f Meier, Georg Friedrich (1718–1777) 416 Melber, Georg (1677–1743) 65 Merian, Caspar (1627–1686) 169 Mertz, Bastian 113 Meyer, Heinrich Wilhelm 235 Moser, Friedrich Carl von (1723– 1798) 408–416 Moser, Johann Jacob (1701–1785) 29, 45 Musch, Johan Jakob (* 1723) 119, 135 f, 142–145 Müslin, Johann Heinrich (1682– 1757) 244

Oetinger, Friedrich Christoph (1702– 1782) 102 f, 105 Oldendorp, Christian Georg Andreas (1721–1787) 356 Orville, Peter d’ (1618–1699) 161, 163 f, 168

Naumann, Elias 83 Neander, Joachim (1650–1680) 161 Neubauer, Georg Heinrich (1666– 1725) 91, 206 f, 210–215, 369 Neumann, Gottfried (1686–1779) 65

Pastorius, Daniel (1651–1719) 170 Peistel, Carl Heinrich von (1704– 1782) 340, 344, 346, 348 Penn, William (1644–1718) 133, 169 Perkins, William (1558–1602) 159 Petersen, Johann Wilhelm (1649– 1727) 242, 384 Platter, Thomas (1574–1628) 199 Plautus († 184 v. Chr.) 389 Plessen, Christian Siegfried von (1646– 1723) 211 f Plitt, Johannes (1778–1841) 301–305 Poiret, Pierre (1646–1719) 164, 384 Promnitz, Balthasar Friedrich von (1711–1744) 320 Quack, Paul Wilhelm

244

Raiffeisen, Friedrich Wilhelm (1818– 1888) 318 Rapp, George (1757–1847) 139 f Rauchbar, Carl Gottfried von (1683– 1733) 38 Regelein, Christoph Michael (1704– 1761) 238 Reinkingk, Dietrich (1590–1664) 35, 40 Reitz, Johann Henrich (1655–1720) 61, 244

466 Reuß zu Ebersdorf, Heinrich XXVIII. von (1726–1797) 311 f, 324 Rock, Johann Friedrich (1678– 1749) 65 Roentgen, Abraham (1711–1793) 274, 280, 337–350, 352 f, 355 f Roentgen, David (1743–1807) 274, 280, 337 f, 346–356 Roentgen, Susanna (1717–1776) 339–341, 343, 346, 349 Rohr, Julius Bernhard von (1688– 1742) 382, 390, 432 Roseen, Sven (1708–1750) 134 Rost, Gottfried (1678–1753) 188 Russland – Katharina die Große (1729–1796) 350 – Peter I. (1672–1725) 211 Sachs, Hans (1494–1576) 197 Sachsen-Eisenach, Wilhelm Heinrich von (1691–1741) 443 Sachsen-Polen – August II. (1670–1733) 444 – August III. (1696–1733) 444 Sauer, Christoph (1695–1758) 237 f Sayn-Wittgenstein-Berleburg 231 f – Casimir (1687–1741) 227, 232 f, 235 f, 239 f, 242 f – Hedwig Sophie (1669–1738) 235, 237 – Ludwig Ferdinand (1712–1773) 239 Schatz, Jakob (1674–1756) 107 Schefer, Christof Ludwig (1668– 1731) 233 f, 236, 238, 240, 242 f Scheffer, Johann Adam 233 Schellinger, Cornelius (1711–1778) 307, 318 Schiller, Friedrich (1759–1805) 385, 387 Schleyermacher, Daniel (1697–1765) 112

Personenindex Schmettau, Wolfgang von (1648– 1711) 184 Schmidt, Johann Lorenz (1702– 1749) 30 Schmithammer, Niclaus 108 Schmitz, Dietrich Otto (1670–1718) 104 Schreber, Daniel Gottfried (1708– 1777) 190 Schuester, Joseph Tobias 264 Schurman, Anna Maria van (1607– 1678) 365 Schütz, Johann Jakob (1640–1690) 59, 116, 150, 159, 161, 163–165, 169, 171 Schütze, Johann Christoph (1703– 1784) 95 f Schwarzburg-Rudolstadt, Johann Friedrich von (1721–1767) 30 Scriver, Christian (1629–1693) 374 Seckendorff, Veit Ludwig von (1626– 1692) 30, 32 f, 37, 40, 431, 450 Seebach, Christoph (ca. 1685–1745) 234 Seidlitz, Agnes Friederike von (1751– 1826) 290 Semler, Johann Salomo (1725–1791) 93, 98 Seyfart, Johann Friedrich (1727– 1786) 190 Siena, Bernardino von (1380–1444) 252 Slare, Frederick (1647–1727) 217 Smith, Adam (1723–1790) 25, 393 Solms-Laubach, Erdmuthe Benigna von (1648–1702) 104 Spangenberg, August Gottlieb (1704– 1792) 140, 279, 288, 303 f, 324 Spener, Philipp Jakob (1635–1705) 35, 39, 43, 54, 80, 88 f, 97, 150, 164, 169, 250, 253, 367, 370, 384, 396 f, 424 f, 429, 431, 437, 448 Spizel, Gottlieb (1639–1691) 367 Staehelin, Heinrich (1698–1778) 245

Personenindex Stahl, Georg Ernst (1659–1734) 207 Stolberg-Wernigerode, Christian Ernst von (1691–1771) 223 Stryk, Johann Samuel (1640–1710) 182 Tennhardt, Johann (1661–1720) 234 Terenz (ca. 190 v. Chr. – 159 v. Chr.) 389 Thomasius, Christian (1655–1728) 103, 437, 442 Thurnstein, Louis siehe Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von Trümbach, Maria Magdalena von, geb. von Klettenburg 408 f Troschel, Christoph († vor 23. 9. 1717) 179 Tschanz, David (1717–1784) 245 Undereyck, Theodor (1635–1693) 150, 156–159, 162–165, 170 f Velten, Catharina Elisabeth (1646– 1712) 417–420, 432–434 Velten, Johannes (1640–1692) 417, 419 Vergenius, Georg Friedrich (1666– 1741) 103, 105, 110 f Vleck, Henry van (1722–1785) 136, 140–142, 144 f Vockerodt, Gottfried (1665–1727) 30 Vogler, Jacob (1649–1697) 83 Wagner, J.G. 222 Walch, Johann Georg (1693–1775) 381, 386 Waldeck – Christian Philipp (1701–1728) 53 – Friedrich Anton Ulrich (1676– 1728) 58 Walderdorff, Johann Philipp von (1701– 1768) 343 Walle, Jacob van de (1631 – ca. 1694) 159, 161, 163–171

467 Watteville, Friedrich Rudolph (1728– 1811) 312 Watteville, Johannes (1718–1788) 312 Weber, Andreas († 1784) 143 f Weil, Johann Christian 107 Weise, Christian (1642–1708) 388, 391 Weiß, Jonas Paul (1695–1779) 319, 325 Werdmüller, Beat (1543–1620) 245 Wesley, John (1703–1791) 252, 339 Whitefield, George (1714–1770) 131, 305 f, 314 f Widemann, Lorentz 264 Wied-Neuwied, Johann Friedrich Alexander Christian zu (1706–1791) 346, 356 Wiegleb, Johann Andreas (1695– 1716) 20, 268, 391 Wigers, Jacob Bruno 214 f Willi, Daniel (1696–1755) 245 Winckler, Johann Joseph (1670– 1722) 417 f, 420, 422 f, 428–430, 433 Winter, Justus Gottfried (ca. 1677– 1712) 109–111 Woellner, Johann Christoph von (1732– 1800) 98 Wolff, Christian (1679–1754) 431 f Wolff, Jacob Gabriel (1684–1754) 180–183, 185, 187 Württemberg, Friedrich Ludwig von (1698–1731) 443 Ysenburg-Büdingen, (Ernst) Casimir von (1687–1749) 33, 47, 49–53, 55, 58, 61, 64, 66 f Ysenburg-Marienborn, Karl August von (1667–1725) 59 Ysenburg-Meerholz, Georg Albrecht von (1664–1724) 61

468 Zedler, Johann Heinrich (1706–1751) 380 f, 386, 409–411 Zeischner, Johann Christoph (1676– 1743) 184 Zezschwitz, Hans Heinrich von (1696– 1778) 307 Ziegenhagen, Friedrich Michael (1694– 1776) 206, 217 Zinzendorf

Personenindex – – – –

Agnes (1735–1784) 312, 324 Benigna (1725–1789) 312, 324 Elisabeth (1740–1807) 312, 324 Erdmuthe Dorothea, geb. Gräfin zu Reuß-Ebersdorf (1700–1756) 312 – Nikolaus Ludwig (1700–1760) 19, 53, 58, 66, 133–136, 138–140, 142, 252 f, 263, 270 f, 274–279, 281–287, 289–298, 301–315, 319–327, 384, 397

Ortsindex

Allendorf/Werra 109 Altona 348 Amerika siehe Nordamerika Amsterdam 57, 135, 164 Antwerpen 154 Appenzell 245 Äthiopien 339 Augsburg 18, 249, 253, 256, 258 f, 261 f, 264–267 – Kath. Waisenhaus 258, 264 – Waisenhaus 256–258, 260, 265 – Waisenhäuser 256–259, 261–263, 265–267 Bad Berleburg siehe Berleburg Bad Boll 240 Basel 245, 323 Bayern 43, 257 Bergheim 65 Bergisches Land 113 Berbice 319 Berg, Herzogtum 103 Berleburg 227 f, 230–236, 238–242, 244–247 – Logausches Haus 237 – Schloss 234, 237 f – Waisenhaus 232, 237 f Berlin 92–94, 96–99, 175, 177–180, 184, 186, 192, 202, 213, 215, 220 f, 223, 372 f, 393, 438, 441–443, 450 – Opernhaus 452 – Schützenhof 442, 453 Bern 244 f, 324 Berner Oberland 245 Berthelsdorf 274, 285

Bethlehem (Pennsylvania, USA) 119, 132–144, 273, 276 f, 279 f Bienenberg 245 Bischofswerda 319 Bockenheim 155 Böhmen 354 Brabant 164 Brandenburg-Preußen 52, 54, 56, 58, 95, 175, 177–180, 184, 186, 188, 192, 201, 213, 215, 219 f, 223 f, 242, 253, 323, 392, 395, 425, 435, 438, 450, 452 f Braunschweig 349 f, 450 Braunschweig-Wolfenbüttel 206 Bremen 151, 159, 162, 164, 170, 172 – St. Martini-Gemeinde 164 Breslau 184 Bristol 450 Britisches Empire 131, 215 Broich 168 – Schloss 171 Büdingen 47 f, 50, 55, 58, 61 f, 64 f – Jerusalemer Tor 65 – Vorstadt 65, 67 Chesapeake (USA) 124 Chevry (Frankreich, nahe Genf) Chur 245 Citeaux (Kloster) 255

244

Delft 167, 210 Den Haag 184, 210 Denkendorf 240 Dessau 350 Deutschland (inkl. Altem Reich) 16, 18, 26 f, 39, 44, 47, 49 f, 58, 65, 111, 144,

470

Ortsindex

150 f, 154, 164 f, 172, 183, 186, 201, 210 f, 213 f, 227, 230, 242 f, 254 f, 265 f, 273, 280 f, 304, 311, 314–318, 321–325, 330–332, 335, 337, 362, 409, 425 – Mitteldeutschland 65, 187 – Ostdeutschland 281 – Süddeutschland 65, 241 – Südwestdeutschland 65, 239 Dresden 45, 349, 355 Düdelsheim 65 Ebenezer (Georgia, USA) 131, 137 Eberbach (Kloster) 255 Eckartshausen 65 Einkirchen/Trarbach 107 Eisenach 106 Elberfeld 111–113 Elsass 65, 233 Elsoff (Wittgenstein) 107 Emden 151, 172 England 44, 141, 151, 200, 206, 210, 214, 216, 227, 243, 254, 304–306, 311, 314–318, 321–325, 328–333, 335, 346, 362, 433, 446 Ephrata (Pennsylvania, USA) 139 Erfurt 30, 239 Erlangen 238 Eschwege 108 f, 116 Florenz, Ospedale degli Innocenti (Waisenhaus) 265 Fontainebleau 52 Frankenthal (Pfalz) 107 f, 154, 163 f Frankfurt am Main 52, 57, 59, 65, 150 f, 153–155, 159, 163–166, 169–171, 184, 241, 243, 341 f, 352, 408, 414 – Bürgerhaus zur Goldenen Waage 155 – Domturm 155 Frankreich 63, 169, 210, 265 Fulda 350 Gais Genf

245 244

Georgia (USA) 137 Gießen, Universität 409 Glaucha 17, 69 f, 82 f, 92, 99, 175 f, 180, 183, 186, 189, 192, 209, 211, 215, 223, 363, 366, 420, 441 – Georgskirche 69, 77, 82 – Pfarrhaus 87 Glaucha siehe auch Halle Gnadenberg 276 Gnadenfrei 276 Gnadenthal siehe Neudietendorf Gotha 30, 134, 319, 350, 363 Gracehill 355 Graubünden 245 Grönland 132 Großbritannien 131, 134, 136, 200 f, 208, 214 f Großhennersdorf 303 Halberstadt 213 Halberstadt, Fürstentum 89 Halle an der Saale 29 f, 32 f, 39, 42, 60, 70 f, 74, 78, 88, 90, 94 f, 97, 99, 131, 137, 175–178, 181–192, 196 f, 200 f, 205– 207, 210–219, 221, 227, 235 f, 253, 259, 273, 303, 324, 360, 363, 371–373, 388, 394–397, 399, 416 f, 420 f, 435, 437, 441 f, 444, 446, 448, 452, 454 – Anstalten 10, 16, 18, 20, 30, 87–91, 93–100, 175–178, 184 f, 188, 190 f, 193, 198 f, 207–209, 211–214, 216 f, 221 f, 235, 254–256, 261 f, 319, 363, 367 f, 370–372, 395 – Pädagogium Regium 397, 407 f, 441, 443 – Ulrichskirche 72 – Universität 93, 95, 180, 182, 211, 420 – Waisenhaus 29, 41 f, 88–100, 175, 211, 213, 223 f, 235, 244, 363, 366 – Waisenhausbuchhandlung 451 – Waisenhausdruckerei 410 – Waisenhausverlag 45, 235

471

Ortsindex Hamburg 189, 212 f, 344, 346–348, 350–352, 429 – Opernhaus 429 – St. Michaelis 429 Hanau 159, 163 f, 167 f, 170 – Grafschaft 155 – Neu-Hanau 155, 164 Hannover 450 Hayn (Schloss) 234 Heilbronn 65 Heiliges Römisches Reich siehe Deutschland Herrnhaag 67, 136, 273, 276, 308, 311, 320, 339–342, 345, 353, 356 Herrnhut 65, 133, 136, 140, 206, 255, 261–263, 267, 271, 273–275, 278 f, 281, 284 f, 288 f, 297, 302, 304, 318–320, 324–327, 342, 353 f – Unitätsarchiv 67, 338 Hessen 65, 109, 111 Hessen-Darmstadt 59 Hessen-Kassel 52 f, 159 Himbach 65 Holland siehe Niederlande Holstein 244 Hubertusburg 190 Idstein 237 f Indien 208 – Ostindien 95, 206 – Westindien 95 Irland 355 Italien 257 Jerusalem – Tempel

69 f, 84 f 69 f, 84 f

Karibik 20, 132, 135 Kassel 52, 159, 229, 349, 352 – Oberneustadt 52 Kleinwelka 276 Köln 150 f, 153–156, 163–165, 167– 169 – Haus Vor den Augustinern 167

Königs Wusterhausen 453

359, 441 f, 445,

Laasphe 105, 111 Laubach 116 Lausitz 354 Leipzig 165, 177, 179, 181, 185, 188, 193, 220, 308, 319, 406, 417, 426 Lemgo 235 f Lille 167 Lindau 238, 244 Lissa 206, 208 Litauen 201 Löbau 274 Lobenstein 424 London 135, 153, 184, 206, 214 f, 217, 304–307, 339 f Lorbach 65 Löwen 52 Lüneburg 72 Lüttringhausen 114 Magdeburg 213, 221, 224, 417 Magdeburg, Herzogtum 88 f, 223 Mähren 274 Mailand, Pia Casa (Waisenhaus) 265 Malplaquet 443 Mannheim 108 Marburg 236, 238 Marienborn (Wetterau/Hessen) 65, 308 f, 315, 325, 339 Massachusetts (USA) 124 Maulbronn (Kloster) 255 Mengeringhausen 236 Mülheim an der Ruhr 155, 168 Münzenberg 116 Neudietendorf (Gnadenthal) 319 f Neu-Isenburg 51–53 Neumarkt 420 Neusalz 276, 311 Neuwied 276, 280 f, 318, 338, 342– 344, 346–348, 351–353, 356 New York (USA) 140 f

472 Niederlande 35, 52, 55, 131, 136, 151, 153 f, 167, 205 f, 210–215, 276, 304, 306 f, 311, 314–319, 321–325, 328–335, 340, 355 f – Kolonien 164 – Nord 151, 165 – Süd 149 f, 153, 155, 159, 164 Niederteufen 245 Niesky 276, 281 Nordamerika (vorstaatlich) 20, 58, 120, 122–126, 129–132, 134 f, 140, 143, 145, 169, 206, 237 f, 243 f, 255, 261, 277, 311, 319 – Neuengland 120 f, 124, 149, 171 Nürnberg 184, 319 Oberlausitz 307 f, 323, 327, 347 Offenbach 51–53 Osmanisches Reich 211, 425 Osnabrück 55, 256 Österreich 189, 244 Paris 337 Pennsylvania (USA) 119, 121 f, 133– 136, 139 f, 143, 169 f, 237, 273 Pfalz-Neuburg 168 Pforzheim, Waisenhaus 265 Philadelphia 305 Plymouth 131 Polen 201 Pommern 213 Pontigny (Kloster) 255 Potsdam 52, 441, 450 Prag 354 Preußen siehe Brandenburg-Preußen Regensburg 184 Rhein 155 Rijswijk 210–212, 215 Rödelheim 116 Ronneburg 58, 65 Ronsdorf 103, 111–116 Rostock, Universität 429

Ortsindex Rotterdam Rudolstadt

163, 165 30

Sachsen 45, 67, 133, 135, 137, 180, 184, 190, 255, 275, 301, 303 f, 320, 323, 392, 421 Sachsen-Gotha 320 Salem (Winston-Salem, North Carolina, USA) 133, 137, 261 Salzburg 131 Saßmannshausen (Wittgenstein) 109–111 Sayn-Wittgenstein, Grafschaft 109 Schaffhausen 245 Schlesien 281, 323 Schwarzenau (Wittgenstein) 105 f Schweden 171, 188, 201 Schweiz 65, 244 f, 323, 354 – deutschsprachige Schweiz 245 – Ostschweiz 239, 244, 246 – Westschweiz 244 f Siebenbürgen 201, 206 f Skandinavien 244 Slowakei 201 South Carolina (USA) 339 St. Blaise (Schweiz) 324 St. Petersburg 337 St. Gallen 246 Straßburg 233, 238, 320 Stuttgart 244 Sulzbach (Pfalz) 108 Surinam 319 Taubenheim 307 Theben (Ägypten) 201 Thun 245 Thüringen 111, 323 Thurnau (Oberfranken) 42 Toggenburg 245 f Tournai 164 Tranquebar (Indien) 20, 208, 217 Türkei 346

473

Ortsindex Uhyst (Oberlausitz) 308 Ungarn 201 Usingen (Hessen) 237 Utrecht 55, 318, 323 Venedig 220, 222 Versailles 356 Virginia (USA) 124, 130 f Vonhausen 65 Wächtersbach 51, 62 Waldeck (Grafschaft) 33, 41 f, 53, 59 f, 64, 236 Waldensberg 52 f Warschau 354 Wertheim 30 Wesel 151, 154, 161, 172, 174 West India (dänische Kolonie) 135 Westflandern 163 Wetterau 47, 49 f, 64 f, 67, 108, 339 f, 347 Wetzlar 58, 105, 108, 110 f Wien 184, 425 Wiesbaden 356

Wieuwerd 164 Wittenberg, Universität 429 Wittgenstein 105, 110, 228, 232, 237 Wolfenbüttel 212 Württemberg 58, 102, 184, 240 Ypern 163 Ysenburg 65 Ysenburg-Büdingen 33, 36, 47, 59– 62, 67 Ysenburg-Marienborn 59 Ysenburg-Meerholz 59, 61, 67 Ysenburg-Offenbach 51 f Ysenburg-Wächtersbach 51 f, 58 f Zeist 276, 303 f, 318, 323, 355 f Zerbst 30 Zittau 274 Zürcher Oberland 245 Zürich 229, 241, 245 – Fraumünster 245 – Großmünster 245

Bibelstellenindex

Genesis 2,15 292 3,17–19 249, 292 3,19 283

48,10

286

Amos 8,4–8

285

Exodus 22,25 285

Daniel 2,31–45 7,16–27

Leviticus 19,35 285 25,14 285 Deuteronomium 250 4,34 393 14,29 250 15,7 251 15,11 251 24,12 f 285 Sprüche Salomos 15,27 400 21,25 286 Hiob 22,25 23,16 24,9 31,17

101, 105 283 285 283

Jesaja 44,5 55,1

105 376

Jeremia 22,13 285

425 425

Judith

422–424

Sirach

228 f, 247

Tobit

422–424

Weisheit Salomos Matthäus 251 6,19–24 404 6,19 f 285 6,24–34 74, 84 6,25 286 6,33 365 12,33 367 12,36 440 13,45 f 418 18,20 411 19,24 251 20,28 283 21,13 84 22,34–36 291 22,37–40 71 Markus 10,25 251

228 f, 247

476 10,26

Bibelstellenindex Galaterbrief 6,7 f 360

251

Lukas 251 5,1–11 78 6,24 197 9,60 372 10,38–42 365 16,19–31 76 18,8 373 18,25 251 19 81 19,13 81 19,41–48 69 22,31 302

Epheserbrief 3,8–10 384 5,16 374 f Philipperbrief 4,11–13 286 Kolosserbrief 3,1–5 76 3,5 f 78 3,17 289

Johannes 7,37 230 9,4 371, 373, 376 12,35 418 19,25–27 410 Apostelgeschichte 2,44 277 4,32 277 20,34 286 24,16 282

418 f

227, 277

1. Thessalonicherbrief 2,9 249 5,1 19

249

2. Thessalonicherbrief 2,4 425 3,11–13 286 3,8 f 250

249

2. Petrusbrief 2,13 285

Römerbrief 7,8 286

1. Johannesbrief 2,16 73

1. Korintherbrief 7,30 161 10,23–33 425, 431 10,31 362

Johannesapokalypse 3,8 19 3,14–20 411 4,1 19 9,13–21 425 21,18 f 253

2. Korintherbrief 5,20 134 6,2 374 8,21 282 11,27 286

229

Testamente der 12 Patriarchen 247 Hirt des Hermas

228, 247

228,