Pietismus und Neuzeit Band 40 - 2014 9783666559129, 9783525559123


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Pietismus und Neuzeit Band 40 - 2014
 9783666559129, 9783525559123

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PIETISMUS UND NEUZEIT EIN JAHRBUCH ZUR GESCHICHTE DES NEUEREN PROTESTANTISMUS im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus herausgegeben von Rudolf Dellsperger, Ulrich Gäbler, Manfred Jakubowski-Tiessen, Anne Lagny, Fred van Lieburg, Hans Schneider, Christian Soboth, Udo Sträter, Jonathan Strom und Johannes Wallmann Band 40 – 2014

VANDENHOECK & RUPRECHT

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Geschäftsführender Herausgeber Prof. Dr. Udo Sträter, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, c/o Interdisziplinäres Zentrum für Pietismusforschung, Franckeplatz 1, Haus 24, D-06110 Halle a. d. Saale Redaktion PD Dr. Christian Soboth, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Interdisziplinäres Zentrum für Pietismusforschung, Franckeplatz 1, Haus 24, D-06110 Halle a. d. Saale Anschriften der Autorinnen und Autoren Prof. em. Dr. Elke Axmacher, Hampsteadstr. 53, 14167 Berlin • Prof. em. D. Dr. Martin Brecht D. D., Schreiberstr. 22, 48149 Münster • Dr. Urban Claesson, Sekretariatet för teologi och ekumenik, fors­ kningsenheten, Kyrkokansliet, Svenska kyrkan, S-75170 Uppsala • Dr. Daniel Eißner, Henricistr. 50, 04177 Leipzig • Dr. Wolfgang Flügel, Kulturhistorisches Museum Magdeburg, Otto-von-Guericke-Str. 68–73, 39104 Magdeburg • Dr. Zsuzsa Font, Universität Szeged, Lehrstuhl für Ältere Ungarische Lite­ ratur, Egyetem 2, H-6722 Szeged • Dr. Renko Geffarth, Deutsche Akademie der Naturforscher Leo­ poldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, Jägerberg 1, 06108 Halle a. d. Saale • Dr. Jadwiga Kita-Huber, Uniwersytet Jagielloński, Instytut Filologii Germańskiej, Wydział Filologiczny, al. Mickie­ wicza 9/11, PL-31–120 Kraków • Andrew Kloes, PhD candidate, University of Edinburgh, New College, Mound Place, UK-Edinburgh, EH1 2LX • Dr. Britta Klosterberg, Studienzentrum August Hermann Francke, Franckesche Stiftungen zu Halle, Franckeplatz 1, Haus 24, 06110 Halle a. d. Saale • Prof. em. Dr. Wilhelm Kühlmann, Universität Heidelberg, Hauptstr. 207–209, D-69117 Heidelberg • Dr. Ulrike Kummer, Alberstr. 10, 79104 Freiburg i.Br. • Prof. Dr. Anne Lagny, ENS de Lyon, Institut d’Histoire de la Pensée Classique, 15 parvis René Descartes – BP 7000, F-69342 Lyon • Prof. em. Dr. Hartmut Lehmann, Caprivistr. 6, 24105 Kiel • Prof. Dr. Markus Matthias, Protestantse Theologische Universiteit, Hoogleraar Lutherana, De Boelelaan 1105, NL-1081 HV Amsterdam • Dr. Dietrich Meyer, Zittauerstr. 27, 02747 Herrnhut • Dipl. theol. Claudia Neumann, Spenerbriefedition der Säch­ sischen Akademie der Wissenschaften, Franckeplatz 1, Haus 24, 06110 Halle a. d. Saale • Prof. Dr. Isa­ belle Noth, Universität Bern, Professur für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik, Fakultät für Theologie, Länggasstraße 51, CH-3000 Bern • Prof. Dr. Hans Otte, Landeskirchliches Archiv, Goethestr. 27, 30169 Hannover • Prof. em. Dr. Christine Reents, Mühlenteichstr. 48, 26316 Varel • Dr. Christoph Schmitt-Maaß, Holbeinstr. 31, 04229 Leipzig • Prof. em. Dr. Hans-Jürgen Schra­ der, 173, route d’Aïre, CH-1219 Aïre / Genève • PD Dr. Friedemann Stengel, c/o Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung der Universität Halle-Wittenberg, Francke­ platz 1, Haus 54, 06110 Halle a. d. Saale • Reinhardt Würkert, Universität Greifswald, Theologische Fakultät, Lehrstuhl für Kirchengeschichte, Am Rubenowplatz 2/3, 17489 Greifswald

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55912-3 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Gesamtherstellung:

Hubert & Co, Göttingen

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Vorwort 40 Jahre Pietismus und Neuzeit! Herzlichen Glückwunsch und einen herzlichen Dank an alldiejenigen, die in den vergangenen Jahrzehnten als Beiträger, als Herausgeber, Gutachter, Redakteure, Mitarbeiter und beim Verlag Vanden­ hoeck & Ruprecht zum Gelingen und zur Verstetigung dieser wissenschaftli­ chen Unternehmung beigetragen haben. Auf die kommenden Jahre und Jahr­ zehnte! – Der diesjährige Jubiläumsband offeriert die gewohnte Vielfalt, diesmal mit einem thematischen Schwerpunkt: Im Oktober 2012 hatte in Halle mit dem Thema „Die Bibel im Pietismus“ die Jahrestagung der Histori­ schen Kommission zur Erforschung des Pietismus stattgefunden, ausgerichtet vom Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung und in Zusammenar­ beit mit den Franckeschen Stiftungen zu Halle. Vier Beiträge werden hier abgedruckt: Hans-Jürgen Schrader berichtet über pietistische Bibelverdeut­ schungen nach und neben Luther, Martin Brecht über die Bibelauslegung bei Oetinger, Christine Reents über Kinder- und Schulbibeln des langen 18. Jahr­ hunderts im Spannungsfeld von lutherischer Orthodoxie, Pietismus und Er­ weckungsbewegung, und schließlich stellt Hans Otte Bibelgesellschaften des 19. Jahrhunderts in Halle und andernorts mit ihren jeweiligen Programmen und ihrer Arbeit vor. Weiterhin bietet der Band einen Beitrag von Elke Axmacher zu Arndts an Tauler orientierter Himmelfahrtspredigt und von Ulrike Kummer eine Darstellung von Leben und Werk des pietistisch gesinn­ ten Mediziners Johann Friedrich Maul, der sich um das westfälische Bäderund Brunnenwesen verdient gemacht und für die Alchemie begeistert hat. Andrew Kloes aus Edinburg stellt in einer quellengesättigten Fallstudie am Beispiel des „Commitee for the Relief of Distress in Germany“ eine von Soli­ darität getragene Kooperationen zwischen britischen Evangelikalen und Pieti­ sten in Deutschland während der Napoleonischen Ära zu Beginn des 19. Jahr­ hunderts vor. Ein Beitrag zum „Networking across the Channel“, wie vor Jahren der Titel einer Tagung der Franckeschen Stiftungen lautete. Beschlos­ sen wird der Aufsatzteil mit zwei ganz unterschiedlich gearteten Beiträgen zu August Hermann Francke im Jahr Eins nach dem großen Jubiläum: Brigitte Klosterberg erläutert das mit DFG-Mitteln am Studienzentrum August Her­ mann Francke der Franckeschen Stiftungen eingerichtete Francke-Portal. Mit den hier gebotenen Recherchemöglichkeiten kann und wird die engere und weitere Forschung zu Francke und zum hallischen Pietismus wesentliche neue Impulse erfahren und zu wichtigen neuen Ergebnissen kommen. Schließlich, anknüpfend an eine Studie von Reinhard Breymayer aus dem Jahr 2001, stellt Christoph Schmitt-Maaß die Privatbibliothek von August Hermann und 5

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Gotthilf August Francke vor. Die hier präsentierten Ergebnisse und geleistete Auswertung, die Blicke auch auf die theologische und pastoral-seelsorgerliche Arbeit im Hause Francke erlauben, verdanken sich bereits den Möglichkeiten des Francke-Portals. – Rezensionen, Bibliographie und Register runden den Band ab. Mit Glückwunsch und Dank soll das Vorwort schließen: Gedankt sei Hans Goldenbaum, M. A., der von 2008 bis 2013 sechs Jahre die aufwen­ dige Bibliographie betreut und die Register miterstellt hat. Zu seinem MaxPlanck-Promotionsstipendium gratulieren wir ihm mit den besten Wünschen für die Zukunft ganz herzlich. Ab diesem Band übernimmt stud. phil. Oliver Seide die bibliographische Recherche und die Registerarbeiten. Dr. Corinna Kirschstein sei für die Hilfe bei den Korrekturen gedankt. Für die Herausgeber: Udo Sträter

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Inhalt Beiträge Hans-Jürgen Schrader : „red=arten u[nd] worte behalten / die der Heil[ige] Geist gebrauchet“. Pietistische Bemühungen um die Bibelverdeutschung nach und neben Luther . . . . . . . . . . . . . .

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Martin Brecht: Bibelauslegung bei Friedrich Christoph Oetinger nach seinem Biblischen und Emblematischen Wörterbuch . . . . . . . . . . . .

48

Christine Reents: Wie spiegeln sich Orthodoxie, Pietismus und Erweckung in der Zeit zwischen 1688 und 1850 in evangelischen Kinder- und Schulbibeln? Bestandsaufnahme und theologische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

Hans Otte: Halle, Stuttgart und anderswo. Zur Bedeutung der Bibelgesellschaften im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

Elke Axmacher: Johann Arndts Himmelfahrtspredigt nach Johannes Tauler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Ulrike Kummer: „Gold von Mitternacht“ – Zu Leben und Werk des Arztpietisten Johann Philipp Maul (1662–1727) . . . . . . . . . . . . 134 Andrew Kloes: The Committee for the Relief of Distress in Germany. A Case Study of Cooperation and Solidarity between British Evangelicals and German Pietists during the Napoleonic Era . . . . . . . . . . . . 163 Brigitte Klosterberg: Francke-Portal. Werkstattbericht über ein DFGProjekt am Studienzentrum August Hermann Francke . . . . . . . . . 202 Christoph Schmitt-Maaß: Die Privatbibliothek von August Hermann und Gotthilf August Francke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

Rezensionen Eruditio – Confessio – Pietas. Kontinuität und Wandel in der lutherischen Konfessionskultur am Ende des 17. Jahrhunderts. Das Beispiel Johann Benedikt Carpzovs (1639–1699). Hg. v. Stefan Michel u. Andres Straßberger. Leipzig: Evangelische Verlagsgesellschaft 2009 (Leucorea-Studien, 12): Daniel Eißner . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 7

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Piety and Modernity. Ed. by Anders Jarlert. Leuven: Leuven University Press 2012 (The Dynamics of Religious Reform in Northern Europe, 1780–1920, 3): Hartmut Lehmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Konzepte des Hermetismus in der Literatur der Frühen Neuzeit. Hg. v. Peter André Alt u. Volkhard Wels. Göttingen: V&R unipress 2010 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, 8): Friedemann Stengel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Geschichtsbewusstsein und Zukunftserwartung in Pietismus und Erweckungsbewegung. Hg. v. Wolfgang Breul u. Jan Carsten Schnurr. Göttingen [u. a.]: Vandenhoeck & Ruprecht 2013 (AGP, 59): Markus Matthias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Gegen den Strom. Der radikale Pietismus im schweizerischen und internationalen Beziehungsfeld. Hg. v. J. Jürgen Seidel. Zürich: Dreamis Verlag 2012: Isabell Noth . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Andreas Bähr: Furcht und Furchtlosigkeit. Göttliche Gewalt und Selbstkonstitution im 17. Jahrhundert. Göttingen: V&R unipress (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, 14): Hartmut Lehmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Dietrich Blaufuß: Korrespondierender Pietismus. Ausgewählte Beiträge. Hg. v. Wolfgang Sommer u. Gerhard Philipp Wolf. Leipzig: EVA 2003: Anne Lagny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Thomas Töpfer: Die „Freyheit“ der Kinder. Territoriale Politik, Schule und Bildungsvermittlung in der vormodernen Stadtgesellschaft. Das Kurfürstentum und Königreich Sachsen 1600–1815. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012 (Contubernium, 78): Reinhardt Würkert . . . . . 269 Friedemann Stengel: Aufklärung bis zum Himmel. Emanuel Swedenborg im Kontext der Theologie und Philosophie des 18. Jahrhunderts. Tübingen: Mohr Siebeck 2011 (Beiträge zur historischen Theologie, 161): Wilhelm Kühlmann . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Uta Wiggermann: Woellner und das Religionsedikt. Kirchenpolitik und kirchliche Wirklichkeit im Preußen des späten 18. Jahrhunderts. Tübingen: Mohr Siebeck 2010 (Beiträge zur historischen Theologie, 150): Renko Geffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Kim Apel: Predigten in der Literatur. Homiletische Erkundungen bei Karl Philipp Moritz. Tübingen: Mohr Siebeck 2009 (Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart, 7): Jadwiga Kita-Huber . . . 282 8

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Reformation, Pietismus, Spiritualität. Beiträge zur siebenbürgischsächsischen Kirchengeschichte. Unter Mitarbeit von Bernhard Heigl u. Thomas Şindilariu hg. v. Ulrich A. Wien. Köln: Böhlau [u. a.] 2011 (Siebenbürgisches Archiv. Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde. Dritte Folge, 41): Zsusza Font . . . . . . . . . . . . . 286 Udo Schemmel: Laien in lutherischen Kirchenordnungen. Die unterschiedlichen Entwicklungen ihres Beeinflussungspotentials auf Gemeindebelange im 18. Jahrhundert in Pennsylvania im Vergleich zu Kirchenordnungen des Landesherrlichen Kirchenregimentes – dargestellt an der Genese der Kirchenordnung der St. MichaelisGemeinde in Philadelphia, Pennsylvania. Würzburg: Ergon Verlag 2012 (Bibliotheca Academica. Soziologie, 9): Wolfgang Flügel . . . . . 290 Jan Carsten Schnurr: Weltreiche und Wahrheitszeugen. Geschichtsbilder der protestantischen Erweckungsbewegung in Deutschland 1815–1848. Göttingen: V&R 2011 (AGP, 57): Dietrich Meyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Veronika Jüttemann: Im Glauben vereint. Männer und Frauen im protestantischen Milieu Ostwestfalens 1845–1918. Köln [u. a.]: Böhlau 2008 (L’Homme Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft, 16): Claudia Neumann . . . . . . . . . . . . 297 Magnus Friedrich Roos – Ein Württembergtheologe und Schweden. Hg. v. Anders Jarlert. Lund: Lunds universitets kyrkohistoriska arkiv 2011 (Bibliotheca Historico-Ecclesiastica Lundensis, 51): Urban Claesson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300

Bibliographie Christian Soboth und Oliver Seide: Pietismus-Bibliographie . . . . . . 305

Register Personen- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

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HANS-JÜRGEN SCHRADER

„red=arten u[nd] worte behalten / die der Heil[ige] Geist gebrauchet“. Pietistische Bemühungen um die Bibelverdeutschung nach und neben Luther I. Über die Leistungen der pietistischen Frömmigkeitsreformer zur Verbrei­ tung und Exegese der Heiligen Schrift, zugleich auch zu einer philologischen Überprüfung der Urtextüberlieferungen, zur Neuübersetzung und histo­ risch-theologischen Neukommentierung liegt schon eine ganze Reihe von Untersuchungen vor, deren Titel oft einen gewissen Gesamtzugriff verspre­ chen.1 Bei näherem Eindringen in die Vielfalt des Überlieferten muss man den Optimismus aber rasch dämpfen und sich bescheiden: Mit der fundierteren Übersicht über die Bibelübersetzungen des Pietismus von Beate Köster in der Doppel-Festschrift für Martin Brecht und Gerhard Schäfer, Pietismus und Neu­ zeit 24 (1998)2 – jüngst auch von ihr zusammengefasst im Handbuch Überset­ zung3 – ist zwar erstmals eine nach Abfolge, Traditionslinien und haltbarem Erkenntnisgewinn grundlegend systematisierte Ordnung in die unüberseh­

1 Zu nennen sind hier insbesondere Kurt Aland: Der Hallesche Pietismus und die Bibel. In: Die bleibende Bedeutung des Pietismus. Zur 250-Jahrfeier der von Cansteinschen Bibelanstalt. Hg. v. Oskar Söhngen. Witten, Berlin 1960, 24–59 und Martin Schmidt: Der ökumenische Sinn des deut­ schen Pietismus und seine Auswirkungen in der Bibelverbreitung, ebd., 60–75; Kurt Aland: Bibel und Bibeltext bei August Hermann Francke und Johann Albrecht Bengel. In: Pietismus und Bibel. Hg. v. dems. Witten 1970, 89–147; Beate Köster: Die Lutherbibel im frühen Pietismus. Bielefeld 1984; Martin Brecht: Die Bedeutung der Bibel im deutschen Pietismus. In: Geschichte des Pietis­ mus. Bd. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Hg. v. Hartmut Lehmann. Göttingen 2004, 102–120. In Hauptpositionen resümiert bei Hans-Jürgen Schrader: Die Literatur des Pietismus – Pietistische Impulse zur Literaturgeschichte. Ein Überblick, ebd., 386–403, hier 394. 2 Beate Köster: „Mit tiefem Respekt, mit Furcht und Zittern“. Bibelübersetzungen im Pietis­ mus. In: Beiträge zur Geschichte des württembergischen Pietismus. FS Gerhard Schäfer und Mar­ tin Brecht. In: PuN 24, 1998, 95–115. 3 Beate Köster: Pietismus und Bibelübersetzung. In: Übersetzung – Translation – Traduction. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung. Hg. v. Arnold Kittel [u. a.]. Bd. 3. Ber­ lin, Boston 2011, 2396–2400.

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bare Vielfalt entsprechender Anstrengungen in der zentralen Epoche des Pie­ tismus gebracht (hinter die spätere Handbuchartikel wieder zurückfallen), weit aber sind wir abgesehen von Einzelsondierungen4 doch noch entfernt von einer über Paraphrasen der jeweiligen Vorreden5 hinaus die Texterwä­ gungen und Textkonstitutionen in gehöriger Breite vergleichenden Detailer­ forschung des gesamten Feldes. Die ist freilich auch hier in Aufsatzform nicht zu leisten, bedürfte vielmehr weit umfassenderer Recherche und monogra­ phischer Ausarbeitung.6 Ich möchte hier an einigen Fallbeispielen zunächst die noch kaum überschaubare Vor- und Frühgeschichte der pietistischen Bibel-Arbeit in ihren dominierenden Motiven und Impulsen beleuchten und dann für die spätere Phase im Ausblick unter Hinweis auf die voliegenden Forschungsansätze umreißen, wo bisher eher stiefmütterlich Behandeltes noch spezifischen Erkundungsbedarf aufgibt. Die bunte Vielfalt von schon in der Frühphase des stürmischen Expandie­ rens der pietistischen Bewegung neu vorgelegten Bibel-Angeboten sowie ihre Begleitung durch höhnischen Kollegenhader hat Erdmann Neumeister unter dem Pseudonym „Orthodoxophilus“ schon 1712, in vermehrter Auflage dann nochmals 1714, in einem launigen Versgedicht in Alexandriner-Merk­ versen bespottet: als erster Neuerer und Mäkler an Luthers Erbe wird von ihm genüsslich „Der Pietisten Gott, der Hällische Franckius“, danach aber ein ganzer Schwarm weiterer Übeltäter vorgeführt:

4 Vorgreifend hinweisen möchte ich auf ältere Vorarbeiten wie Ilse Francke: Die Übersetzung des Neuen Testaments von Philipp Matthias [!] Hahn (1777). Im Vergleich mit den von ihm benutzten Übersetzungen von Luther, Bengel, Heumann und Reitz. Diss. phil. Greifswald 1936 und Josef Urlinger: Die geistes- und sprachgeschichtliche Bedeutung der Berleburger Bibel. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte des Quietismus in Deutschland. Diss. phil. Saarbrücken 1969. Über die pietistischen Bibeldrucke in Lippe, ihre Verbindung mit Halle und ihre Nutzung am Anfang der Bibelverbreitung im Halleschen Waisenhaus informiert Julia Hiller von Gaertringen: „Gebunden aber in schwartz leder“. Zum Lippeschen Bibeldruck des 18. Jahrhunderts. In: Lippi­ sche Mitteilungen 74, 2005, 67–128, sowie als Einzeldruck im Selbstverlag des Naturwissen­ schaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe. Detmold 2005. 5 Hierzu spezifisch und verdienstvoll Jürgen Quack: Evangelische Bibelvorreden von der Reformation bis zur Aufklärung. Heidelberg 1975, hier 231–322 mit Kapiteln über Arndt, Spe­ ner, die „Spener-Schüler“ (Johann Fischer, Johann Winckler, Salomon Glassen und August Her­ mann Francke), über Zinzendorf und den radikalen Pietismus (Reitz, Horch, v. a. die Berleburger Bibel). 6 Wie mir Frau Dr. Beate von Tschischwitz (vormals: Köster) freundlich mitteilte, ist bei Hol­ ger Strutwolf in Münster gegenwärtig eine Dissertation von Frau Pfarrerin Sandra Sternke-Menne in Arbeit mit dem vorläufigen Projekttitel „Die Bibelübersetzungen des Pietismus. Eine Analyse (Bedeutung, Aufbau, Vergleich)“. Freundlich hat mir die Bearbeiterin am 17. Oktober 2012 ihren spezifischen Zugriff, der auch philologische Vergleiche verspricht, umrissen: „In meiner Arbeit berücksichtige ich die Übersetzungen von Bengel, Hahn, Reitz, Zinzendorf, Heumann, Junck­ herrot, Berleburg für das Neue Testament. Für das Alte Testament Berleburg. Ich stelle die Über­ setzungen im Einzelnen vor (Vorreden, Aufbau) und vergleiche dann im Hauptteil die Überset­ zungsleistung der einzelnen Theologen, die den gleichen Urtext verwandt haben.“

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Ich bringe meines Orths nur noch die Frage bey: Ob Luthers Version der Schrifft zu admiriren / Vor völlig accurat und nett zu nennen sey / Und ob sie nicht vielmehr mit Recht zu castigiren? Der letztren Meynung ist Herr Francke zugethan / Der Sideralto noch die Antwort schuldig blieben. Ein gleiches trifft man auch bei Reitz und Trillern an / Die eine Version nach ihrem Sinn geschrieben. Wie D. Hedingern Lutheri Fleiß gefällt / Ist gründlich wiederlegt bey Schrödern nachzuschlagen. Mit welchen Vieren es Joachim Lange hält / Und die aus Uberdruß / was alt ist / nicht vertragen. Doch Reitz und Trillern hat sich Zeltner opponirt.7

So eingängig in der plakativen Verketzerung von August Hermann Fran­ ckes Observationes biblicae von 1695, denen sein Danziger Orientalistenkollege Johann Georg Hocheisen unter dem Pseudonym „Sideraltus“ widersprochen hatte, gegen die beiden von Gustav Georg Zeltner in der Dissertatio theologica de novis Bibliorum Versionisbus, Altdorf [21711] abgefertigten8 Neuübersetzun­ gen des Neuen Testaments aus dem Jahr 1703 durch den sich auf Franckes Kritik am Luther-Text berufenden, jedoch sozinianischer (die Gottheit Chri­ sti in Frage stellender) Irrlehren beschuldigten Caspar Ernst Triller9 sowie durch den einfachheitshalber gleich ähnlicher Lehrabweichung mit verdäch­ tigten Johann Henrich Reitz,10 sodann gegen Johann Reinhard Hedingers 7 Orthodoxophilus: Idea pietismi Oder Kurtzer Entwurff Von der Pietisten Ursprung Lehr und Glauben Durch ein Send=Schreiben in gebundener Rede. Andere und vermehrte Aufflage. Franckfurt, Leipzig 1714, 36 f., vgl. 3. Die Erstauflage erschien zufolge der verbergend „Lichten­ berg / d. 12. Mart. Anno 1712. Orthodoxophilus“ gezeichneten Vorrede zwei Jahre zuvor, wobei „Lichtenberg“ offenbar auf Neumeisters Herkunft (Weißenfels) verweist. Auf die PseudonymAuflösung Neumeisters verweist Max Wieser: Der sentimentale Mensch gesehen aus der Welt hol­ ländischer und deutscher Mystiker im 18. Jahrhundert. Gotha, Stuttgart 1924, 264. 8 Den offenbar noch nicht als bekannt vorausgesetzten kontroverstheologischen Widerspruch Zeltners weist Neumeister als Fußnote aus: „In Tract. De novis Versionibus Bibliorum Reizii & Trilleri. Altorf.“ Genauer Titelnachweis in der alle Auseinandersetzungen mit Reitz’ NT-Über­ tragung zu erfassen suchenden Bibliographie bei Hans-Jürgen Schrader: Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus. Johann Henrich Reitz’ „Historie Der Wiedergebohrnen“ und ihr geschichtlicher Kontext. Göttingen 1989, 558, vgl. 570–578. 9 Eine Mit dem Grund=Text genauer übereintreffende Übersetzunge des neuen Testaments Angefertiget Von Caspar Ernst Trillern. Amsterdam 1703. Dieser (tatsächlich wohl in Deutschland gedruckten) sklavisch wörtlichen, bis zur Unverständlichkeit alle Spracheigentümlichkeiten des griechischen Urtexts nachzubilden suchenden Übertragung hatte Triller eine Untersuchung etlicher Oerter des Neuen Testaments, die wegen bißher übler Übersetzung die Wahrheit aufgehalten haben, Danzig 1699, vorausgeschickt, die zusammen mit Franckes „Observationes“ vertrieben worden war. Ein­ zelheiten mit Übersicht über die kontroverstheologische Polemik und Proben aus der hölzernen Übertragung gibt Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm.2], 96 f. 10 Das Neue Testament Unseres Herren Jesu Christi / Auffs neue ausm Grund verteutschet / und mit Anziehung der verschiedenen Lesungen / und vieler übereinstimmenden Schrifft=Oerter / versehen. Offenbach 1703. Der Übersetzer ist nur unter der Vorrede, S. 4r genannt: „Offenbach

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Nachbesserungen an der Luther-Bibel von 1704 und deren Abkanzelung in Jacob Schröders DISPUTATIO DE Novi Testamenti Hedingeriani ERRORIBUS PIETISTI­ CIS, Greifswald 1710,11 sowie schließlich gegen weitere Besserungsvorschläge am Luther-Text durch Franckes halleschen Mitstreiter Joachim Lange12 geht es im kontroverstheologischen Lehrgedicht munter weiter. Und ebenso munter wie dieser „Orthodoxophilus“ warfen auch die übri­ gen Freunde der geradsinnig-rechtgläubigen Lehre alle Diskussionsanregun­ gen um neue Einsichten in den Wortlaut der Urtexte und um eine präzisere Sinnerfassung von Einzelstellen, als sie beinahe zwei Jahrhunderte zuvor Luther möglich geworden war, mit jedem Versuch einer Revision an Luthers Übersetzung und gar jedem Angebot einer Neuübersetzung unterscheidungs­ los in denselben Topf einer allgemeinen Verdammnis. Der überkommene Text von des Reformators letzter Hand allein sollte als zugleich philologisch akkurat und „nett“ (in der historischen Wortbedeutung von „rein und fehler­ frei“, doch auch mit der Konnotation von „wohlklingend“) bewundert wer­ den. Jede Abweichung von dieser geraden Linie und jedes konkurrierende Textangebot galt als eine castigatio, ein zurechtweisender Tadel am den Deut­ den 30. Nov. 1702. Johann Henrich Reitz.“. 2. Aufl. Frankfurt und Leipzig [recte: ErlangenNeustadt] 1706, weitere gemeldete Auflagen Frankfurt und Leipzig [recte: Thurnau] 1713, Büdingen 1717, 1730, 1735, 1737 und 1738. Vgl. Schrader, Literaturproduktion [s. Anm. 8], 570, u. a. erörtert bei Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 99–101. 11 Das Neue Testament Unsers Herrn und Heylandes Jesu Christi / Nach der Ubersetzung deß seeligen Herrn D. Martin Luthers: Mit ausführlichen Summarien [. . .]. Nach den besten Exempla­ rien Von vielen eingeschlichenen Fehlern sorgfältig corrigirt und gebessert. Stuttgart 1704 und (ebenso ohne Nennung Hedingers auf dem Titelblatt) Biblia, Das ist: Die gantze Heil. Schrifft Alten und Neuen Testaments / Nach der Teutschen Ubersetzung D. M. Luthers. Mit pünctlichen Summarien / sehr vielen Parallelen, weitläuffigen Vorreden [. . .] Nach dem Grund=Text / und den bewährtisten sowohl alt=als neuen Exemplarien aufs fleissigste revidirt / und von einer gros­ sen Menge eingerissener Fehler befreyet. Stuttgart 1704. Grundlegende Untersuchung bei Köster, Die Lutherbibel [s. Anm. 1], 171–187, 264–271. Zu Hedingers gründlicher Revision des LutherTexts und den Angriffen gegen solches Unterfangen durch den als Disputanden bestellten Schüler des orthodoxen Greifswalder Francke-Gegners Johann Friedrich Mayer, Jacob Schröder: Disputatio theologica inauguralis, De Novi Testamenti Hedingeriani Erroribus pietisticis. Greifswald 1710 vgl. Wolfgang Schöllkopf: Johann Heinrich Hedinger (1664–1704). Württembergischer Pietist und kirchlicher Praktiker zwischen Spener und den Separatisten. Göttingen 1999, 135–163, insbes. 158–162 sowie knapp bei Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm.2], 97 und (im selben Band) aus­ führlicher untersuchend Wolfgang Sommer: Johann Heinrich Hedinger als Hofprediger in Stutt­ gart. In: Beiträge zur Geschichte des württembergischen Pietismus. PuN 24, 1998, 160–185, hier 178–183. 12 Ins Visier gefasst ist hier offenbar nicht eine spezifische Abhandlung Langes zu bibel-über­ setzungstheoretischen Fragen oder eine eigene Textbearbeitung, sondern die Vielzahl der Stel­ lungnahmen in den kontroverstheologischen Publikationen dieses schon seit Studententagen an Franckes Collegium philobiblicum entschieden engagierten Halleschen Professors gegen die Ortho­ doxie und zur Verteidigung der Pietisten, namentlich Franckes. Langes eigene umfassend-exegeti­ schen Bibelwerke, Biblisches Licht und Recht, Leipzig 1729–1738, und Biblia parenthetica (Hausbibel, 2 Bde.), Leipzig 1743, kamen ja erst in seinen späten Jahren heraus. Vgl. den Artikel von [Julius] Wagenmann: Joachim Lange. In: RE 8, 1881, 406–409.

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schen gegebenen Gotteswort, also als ein Sakrileg. Die Theologen und Philo­ logen, die dergleichen wagten, konnten nach solchem Urteil abseits des von der Kirche zu wahrenden geraden Weges nur eine interessengeleitete Version „in ihrem Sinn“ propagieren, da manifestierte sich nicht der göttliche, son­ dern der Herren eigner Geist, statt rechtgläubiger Lehre also Heterodoxie. II. Die Pietisten, die gegen solche Starrheit mit größerer oder geringerer Konsequenz aufbegehrten, hatten von der Reformation und vom Reforma­ tor, schon gar von der unantastbaren Heiligkeit des göttlichen Worts aller­ dings keine geringere Meinung als die Sachwalter der unverrückbar reinen Lehre. Dass die Bibel von Wort zu Wort göttlich inspiriert und daher von unauslotbarer Bedeutungsfülle und Verheißungskraft sei, stand ihnen gera­ deso wie jenen unbezweifelbar fest. Nur gerade deshalb meinten sie, man müsse angesichts der seit Luthers Tagen erfolgten Neufunde und Korrek­ turen an der urtextlichen Überlieferung – ebenso wie er selbst zu seiner Zeit – aus den bestverfügbaren Quellen schöpfen und auch nach fortgeschritte­ nem Stand der philologischen Einsicht übertragen. Und wie ihre Vordenker seit dem Ende des Reformationsjahrhunderts, namentlich Johann Arndt, waren sie überzeugt, man müsse die zur Gänze begrüßenswerte, seit Luthers Tod aber unvollendet stecken gebliebene Reformation weiter vorantreiben. In Bezug auf die Bibel bedeutete das, das noch immer nicht gemäß dem Anspruch der Reformatoren in aller Menschen Häuser und Herzen gedrun­ gene Gotteswort weiter auszubreiten und zugleich seine Bedeutung in ihrer Anforderung an jeden Einzelnen immer präziser und zugleich facettenreicher zu entfalten. Die pietistischen Bemühungen um die Bibel lassen sich infolgedessen resü­ mieren einerseits in Aktivitäten zu weitestmöglicher Verbreitung, natürlich in der reinsten verfügbaren Form, und parallel dazu in der Förderung der gelehrten Arbeit um philologisch beste hebräische bzw. griechische UrtextGrundlagen und um deren profundesten Bedeutungsaufschluss in der eigenen Sprache, also um die Bibelrevision und vertieften Sinnaufschluss in Glossen und Exegese oder in Neuübersetzungen, die auch dem nicht ursprachenkun­ digen Laien im Vergleich der verschiedenen Versionen die ganze Bedeutungs­ breite der heiligen Offenbarung und das ihm daraus zu seiner Erbauung Dien­ lichste zu erschließen halfen. Denn alle pietistischen Neuübersetzungen sollten erklärtermaßen additiv sowohl zur Luther-Bibel (die zumeist als allei­ nige Grundlage des lutherischen Gottesdiensts gar nicht in Frage gestellt wurde) als auch zu allen anderen in den verschiedenen Konfessionen verbrei­ teten genutzt werden, keiner ihrer Urheber erhob den Anspruch, eine wah­ rere Botschaft zu präsentieren, die für sich allein für alle öffentliche wie pri­ vate Nutzung ausreiche. 14

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Beate Köster hat herausgestellt, dass in den älteren Studien über das pietisti­ sche Engagement um die Bibel nicht nur Revisionen und Neuübertragungen vielfach verwechselt wurden, sondern auch die philologischen, historischen und spekulativen Vorarbeiten und deren Nutzung ähnlich durcheinander gerieten wie in Erdmann Neumeisters Neuerungen-Schelte. Schließlich domi­ nierten auch im Blick auf die pietistische Bibelarbeit, kulminierend in der Erforschung der gedanklich von Spener angestoßenen und tatkräftig-prak­ tisch von Francke und seinen Mitarbeitern ins Werk gesetzten Revisions- und Verbreitungsleistung der Halleschen Bibelanstalt, die traditionell persona­ lisierten Interessendominanzen, die von Spener und Francke ausgehend zu Zinzendorf, Bengel und Oetinger führten und alles außerhalb dieses erklärten Mainstream Stehende für weniger wichtig nahmen. So blieb Erforschung außerhalb dieser Linie eher unterbelichtet, ihre Charakteristik weithin beschränkt auf die Programmaussagen der Vorreden und die von der kontro­ verstheologischen Kritik bereitgestellten Stempelformeln. In der Tat ist für die geschichtlich beispiellose Verbreitung der Bibel im 18. Jahrhundert die Unternehmung Franckes, seines freiherrlichen Leiters der Bibel-Anstalt im Waisenhaus, Carl Hildebrand von Canstein, sowie seines Oberaufsehers für das Verlagsgeschäft, Heinrich Julius Elers, der schon allein mengenmäßig wichtigste Faktor dafür, dass es „das biblische Jahrhundert“ genannt werden kann.13 Betrug die wittenbergische Bibeldruck-Produktion des Fast-Jahrhunderts von 1534 bis 1626 die für die frühe Neuzeit unerhörte Menge von 200.000 Stück, dann erreichte das Cansteinsche Unternehmen als jetzt führende Offizin (während freilich wie auch in der Reformationszeit noch an vielen anderen Orten Luther-Bibeln weiterhin gedruckt und vertrie­ ben wurden), in den hundert Jahren seit dem Beginn der Waisenhausdruckerei gut das Zehnfache mit fast zwei Millionen Halleschen Vollbibeln zuzüglich einer Million Separatausgaben des Neuen Testaments, allerlei Teileditionen noch nicht mitgezählt. Allein in den sieben Jahren bis zu Cansteins frühem Tod 1719 hatten in 16 Auflagen (je zur Hälfte in Großoktav und in Duodez) 80.000 Bibeln und zusätzlich in gar 28 Auflagen 100.000 Neue Testamente verkauft werden können.14 Auch in Rücksicht auf die im 18. Jahrhundert 13 Heimo Reinitzer: Biblia deutsch. Luthers Bibelübersetzung und ihre Tradition. Wolfenbüttel 1983, 300–315. 14 Ich folge hier den Angaben bei Aland, Der Hallesche Pietismus und die Bibel [s. Anm.1], 31–36, ergänzend (mit geringen Abweichungen der Berechnung) für die Auflagenzahlen Oskar Söhngen: Festrede zur 250-Jahrfeier der von Cansteinschen Bibelanstalt in Bielefeld am 22. Mai 1960 im selben Sammelband: Die bleibende Bedeutung des Pietismus. Zur 250-Jahrfeier der von Cansteinschen Bibelanstalt. Hg. v. Oskar Söhngen. Witten, Berlin 1960, 11–23, hier 15. Söhngen (ebd., 21) nennt die Zahl von bis zum 200. Jubiläum des Unternehmens 1910 insgesamt verkauf­ ten 7,5 Millionen Bibeln bzw. Neuen Testamenten. Genauere Aufschlüsselung bei Manfred Lem­ mer: Zur Bedeutung von Luthers Bibelwortschatz im 17./18. Jahrhundert. In: Luthers Deutsch: Sprachliche Leistung und Wirkung. Hg. v. Herbert Wolf. Frankfurt [u. a.] 1996, 270–290, hier 278–286. – Der Aufsatz ist zuerst erschienen in: Beiträge zur Sprachwirkung Martin Luthers im 17. / 18. Jahrhundert. Hg. v. Herbert Wolf. Teil 2. Halle/Saale 1988, 36–58.

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weit fortgeschrittene Lesefähigkeit und den allgemeinen Rückgang der Buch­ preise15 sind das völlig beispiellose Zahlen. Bekanntlich war ein so enormer Erfolg zur Bibelverbreitung bei einer für jeden Bedürftigen (notfalls durch Schenkung) erschwinglichen missionarischen Preisgestaltung von 2 Groschen für ein NT und (je nach Ausgabe) 6 bis 10 Groschen für eine Vollbibel auch bei allem persönlichen Finanzeinsatz Cansteins und dem programmatischen Verzicht auf allen Profit nur möglich durch den technischen Progress, auf den Francke von vornherein gesetzt hatte. In seinem Großen Aufsatz hatte er schon 1704 für „das arme Volck [. . .] eine Invention“ in Blick genommen, die geeignet war, „alles gleichsam mit Bibeln umb ganz wolfeilen Preyß anzufül­ len“, für die ihm aber noch „etliche tausend Thaler“ fehlten. Worum es sich bei dieser Invention handelte, hatte Canstein 1710 in seinem Gründungsmani­ fest für die Bibelanstalt, Ohnmaßgeblicher Vorschlag / Wie GOTTES Wort denen Armen [. . .] um einen geringer Preiß in die Hände zu bringen, im Druck offenbar gemacht.16 Nach niederländischem Vorbild für den Druck englischer Bibeln nämlich sollte statt des üblichen Verfahrens eines für jede Neuauflage bogen­ weisen Neusatzes, nach dem die Typen zu anderweitiger Wiederbenutzung in den Setzkasten zurückzuordnen waren, das sogenannte Stehsatzverfahren eingeführt werden, dank dessen nicht nöthig seyn möchte / die Setzung der Bibel öffters zu wiederholen / sondern allemahl / so viel als von Exemplarien verlanget würde / um einen solchen Preiß / als sonst niemahls geschehen können / vorhanden wäre. [. . .] Es sollen so viel Littern angeschaffet werden / als zu Absetzung aller [. . .] Bogen gehören / daß sie [. . .] in ihren Formen [. . .] stehen bleiben / [. . .] damit / wenn man wieder eine neue Auff­ lage machen will / man [. . .] die bereits vormals gesetzten [. . .] gleich in die Presse tragen / und so viel hundert oder tausend Exemplaria / als man verlanget / abdrucken könne; Auf solche Weise könten in kurtzer Zeit / und ehe die Schrifften abgenutzet würden / bey die viermal hundert tausend Exemplaria abgedrucket werden / welches sonst nach der gemeinen Anstalt in andern Druckereyen kaum in 30. Jahren ausge­ richtet werden könte.17 15 Zu der mit missionarischer Zielsetzung im Pietismus erreichten maßgeblichen Reduktion der Buchpreise (und tendentiell auch der Buchformate hin zu „Taschenbüchern“) sowie zu den Organisationen und Privatinitiativen für sogar kostenlose Verteilungen erbaulicher Schriften an Bedürftige vgl. die Angaben bei Schrader, Literaturproduktion [s. Anm.8], 259–267, 489–491 (dort auch Hinweise auf die volksmissionarische Preisgestaltung des Cansteinschen Bibelvertriebs). Genaue Informationen über Auflagen, Preise und Formate in der vorangehenden Phase (unter­ sucht für die Jahre 1666–1675) beim für Bibeln, Gesangbücher und (v. a. arndtianische) Erbau­ ungsliteratur führenden Verlag der Brüder Stern in Lüneburg gibt jetzt Wolfgang Schellmann: Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne. Eine Quelle neuer Erkenntnisse über Ökonomie und Usancen im Buchgewerbe des 17. Jahrhunderts. In: AGB 68, 2013, 47–103, hier besonders 55–58, 75, 86–88, 96, 102 f. 16 [Carl Hildebrand von Canstein:] Ohnmaßgeblicher Vorschlag. Dieser Druck („Berlin / Aufm Fridrichs=Werder druckts Gotthart Schlechtinger 1710.“) ist als Faksimile nachgedruckt im Anhang zu Söhngen, Die bleibende Bedeutung [s. Anm. 14], 109–116, woraus ich zitiere. 17 Canstein, Ohnmaßgeblicher Vorschlag [s. Anm. 16], 3.

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Diese wichtigste Innovation vor der Erfindung der Schnellpresse 1811 und der Setzmaschine 1884 konnte jedoch, wie Canstein vier Jahre darauf durch seine Umständliche Nachricht Von dem Neuen Testament und Bibeln / Welche [. . .] Zu Glaucha vor Halle [. . .] bisher ediret worden [. . .] Von Anfang des Wercks bis zu Ende des Monats Octobris 1714 bekannt machte, bis zur Sicherung der Finanzie­ rung, dem Schneiden und Guss von Probetypen für je zwei künftige Stan­ dardformate, der Lieferung der dafür erforderten Typenmenge und parallel bis zum Feststehen der bestgesicherten und bereinigten Luther-Version für das Neue Testament erst (nach drei verlustreich noch konventionell gesetzten Ausgaben 1712 und 1713) ab Oktober 1713 eingesetzt werden, für die gesamte Bibel (nach gar fünf Auflagen im bogenweisen Neusatz) ab 1717.18 Die hinter diesem Unternehmen stehende Idee Franckes ist auch zu Recht auf Spener zurückgeführt worden, der schon 1675 in den Pia Desideria für die häusliche Bibellese und seine neu vorgeschlagenen den Gottesdienst ergänzen­ den Bibelkreise eine Intensivierung des reformatorischen Hauptanliegens ver­ langt hatte, die „leute zu dem Wort GOttes [. . .] wiederumb zu bringen“.19 Und von dort wurde ebenso überzeugend auch der unmittelbare Impuls abge­ leitet, nicht nur den Luther-Text in einer aufgrund der besten Überlieferung bereinigten Fassung zu präsentieren, zugleich vielmehr die Kenntnis und Aus­ legung der Bibel auf intensive philologische und theologische Auseinanderset­ zung mit den reinsten verfügbaren urtextlichen Quellen zu gründen. Spener hatte ja selbst schon 1653 in Straßburg für intensivste Auseinandersetzungen mit dem Hebräischen des Urtexts die Unterstützung jüdischer Schriftgelehr­ ter gesucht und die urtext-gestützte Exegese in seinem Leipziger Collegium philobiblicum 1689/90 auszubreiten gesucht, sein eifrigster Schüler darin, Francke, hatte dort auch eigene, ungeheuren Zulauf findende Collegia biblica gegründet und hatte, durch Speners Vermittlung zur Halleschen Professur für orientalische Sprachen gelangt, mit ungewöhnlichen altsprachlichen Anforde­ rungen an die Theologiestudenten die Bibel ins Zentrum seiner Lehre gestellt: die Studenten sollten bereits im ersten Studienjahr das gesamte Alte Testa­ ment auf Hebräisch durchstudiert haben, das Neue auf Griechisch gar zwei­ mal.20 In seinen Lectiones paraeneticae begründet Francke diese heute fast unvor­ stellbar rigiden Voraussetzungen:

18 Detaillierte Angaben bei Aland, Der Hallesche Pietismus und die Bibel [s. Anm. 1], 31–37 und ergänzend Beate Köster: Die erste Bibelausgabe des Halleschen Pietismus. Eine Untersuchung zur Vor- und Frühgeschichte der Cansteinschen Bibelanstalt. In: PuN 5, 1979, 105–163, hier 106–108, 114–116, 120. 19 Philipp Jakob Spener: Pia Desideria. Hg. v. Kurt Aland. 3., durchges. Aufl. Berlin 1964, 58, vgl. 53 f.; zusammengefasst und erörtert auch bei Aland, Der Hallesche Pietismus und die Bibel [s. Anm. 1], 25. Dazu und zur Aufnahme in die Vorrede zu Speners eigener Bibelausgabe von 1694 (21699) vgl. auch Brecht, Die Bedeutung der Bibel [s. Anm. 1], 103 f. 20 Zusammengefasst bei Aland, Der Hallesche Pietismus und die Bibel [s. Anm. 1], 26–30.

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Denn weil die Bibel im Studio Theologico das principium cognoscendi ist, müssen Studiosi Theologiae Griechisch und Hebräisch lernen. Das ist einmal unter den Stu­ diis propaedeuticis das allernothwendigste. [. . .] Das aber muss ein Studiosus Theolo­ giae zu seiner Haupt=Regel nehmen, daß er den Textum Graecum et Hebraicum [. . .] sich recht familiair mache; damit er ein textualis Theologus werde [. . .].21

In seiner im Januar 1695 gegründeten, wegen der heftigen orthodoxen Angriffe gegen das Sakrileg einer Infragestellung der absoluten Zuverlässig­ keit der Luther-Bibel aber nach vier Heften wieder eingestellten Monats­ schrift Observationes biblicae, in der er insgesamt 33 Verbesserungsmöglichkei­ ten aufgrund des griechischen Texts zur Diskussion gestellt hatte, hatte Francke auch einen ersten (deshalb von Neumeister so heftig gescholtenen) Ansatz gewagt, den Luther-Wortlaut nach Maßgabe der fortgeschrittenen Bibelphilologie durchzuprüfen. Diese Vorschläge über Lesartennachweise hinaus auch in die Halleschen Bibeldrucke zu integrieren, hatte er sich mit drei Ausnahmen aber noch nicht getraut.22 Auch Canstein war ein vertrauter Schüler Speners gewesen, der ihn zu sei­ nem literarischen Nachlassverwalter eingesetzt hatte, als der er postum Speners Letzte Theologische Bedencken, Halle 1721, herausgebracht hat.23

III. Für die Zielsetzungen sowohl zur Verbreitung der Bibel als „Volksbuch“ für jedes Haus24 als auch zur Bereinigung der im häufigen Nachdruck mehr und mehr verderbten Grundlage des Luther-Texts, zu seiner Kontrolle und wo nötig Revision aufgrund der Urtexte aber muss man weiter zurückrei­ chende bzw. zusätzliche Vorgaben aus der Vor- und Frühgeschichte des Pie­ tismus in näheren Betracht und Vergleich ziehen. Francke und Canstein setz­ ten hier nur effizienter fort, was sie in der Arndt-Schule bereits vorbereitet 21 August Hermann Francke: Lectiones paraeneticae, Oder Oeffentliche Ansprachen an die Stu­ diosos Theologiae auf der Universität zu Halle. Halle 1731, 156 f., hier zit. n. Aland, Der Halle­ sche Pietismus und die Bibel [s. Anm. 1], 41. 22 Dazu bislang genaueste Angaben bei Köster, Die erste Bibelausgabe des Halleschen Pietismus [s. Anm. 18], 117, 119, 135 f.; dies., „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 96. – Auf die Verketzerung der Franckeschen Observationes zur Bereinigung der Luther-Übersetzung kommt noch die Vor­ rede zum 6. Teil der Berleburger Bibel, Der Heiligen Schrifft Sechster Theil, oder des Neuen Testaments Zweyter Theil, Berleburg 1737, )(3v, zu sprechen, wenn sie erinnert, „was vor ein Zustand unter den Lutheranern wurde, als der selige Professor Francke in Halle nur eine und andere billig zu=verbessernde Stellen aus Lutheri Uebersetzung vor die Hand nahm. Wer hätte damals dencken sollen, daß nach etlichen 20 Jahren eine gantz neue Bibel-Uebersetzung [. . .] ans Licht treten [. . .] därffte?“ 23 Details bei Aland, Der Hallesche Pietismus und die Bibel [s. Anm. 1], 38 f., 55 f. (dort Anm. 54). 24 Kennzeichnung bei Reinitzer, Biblia Deutsch [s. Anm. 13], 278.

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fanden. Martin Brecht hat darauf hingewiesen, dass viele pietistische Bibeln „seit Johann Fischers Rigaer Bibelausgabe“ als Vorrede Johann Arndts Infor­ matorium Biblicum, 1623 postum von seinem Schüler Melchior Breler25 heraus­ gegeben, verwendet haben, obwohl doch Arndt in seinen Büchern vom wahren Christentum „kein dezidiertes Interesse an der Bibel habe[n] erkennen“ lassen. Hier bleiben Zusammenhänge noch zu erforschen, für die ich nur einige Indi­ zien zusammenstellen kann. Zunächst: Aus Jürgen Quacks erweiterter Doktorarbeit über Evangelische Bibelvorreden von 1975 schon wissen wir, dass Arndts Informatorium Biblicum bereits im Jahr ihres Ersterscheinens auch als Vorrede in einer Bibel des Lüne­ burger Verlags der Brüder Johann und Heinrich Stern von 1623 verwendet worden war, nachdem schon eine 1621 ebenfalls im Stern-Verlag vertriebene, in Goslar gedruckte Bibel eine kurze allegorisch-typologische Schriftausle­ gung Arndts zur Einführung bekommen habe.26 Das Informatorium wurde dann in einer Straßburger Bibel von 1626 nachgedruckt und kam danach infolge der Stagnation des Dreißigjährigen Krieges erst wieder in die Bibeln, nachdem Spener auf Bitten des Frankfurter Verlegers Johann David Zunner die Arndtsche Evangelienpostille 1675 wieder herausgebracht hatte, die durch 25 Wichtigste Informationen zu Breler als vertrautem Arndt-Mitabeiter und späterem Hofpre­ diger des jungen Herzogs August zu Braunschweig-Lüneburg in Hitzacker sowie seinen Verbin­ dungen zum Lüneburger Stern-Verlag gibt Johannes Wallmann: Herzog August d. J. zu Braun­ schweig und Lüneburg als Gestalt der Kirchengeschichte. Unter besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zu Johann Arndt. In: Ders.: Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock. Gesammelte Aufsätze [Bd. 1]. Tübingen 1995, 20–45, hier 31–38, 42, zur Herausgabe des Informatorium biblicum ebd., 36. 26 Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 240 (in der Überschrift schreibt Quack offenbar irrtümlich „Göttingen“ für Goslar). Wie sich diese Ausgabe zur ersten Gemeinschaftsar­ beit der Lüneburger Brüder Stern, der „Foliobibel von 1620“ verhält, die auch schon mit einer (derselben?) Vorrede von dem greisen Generalsuperintendenten des Fürstentums Lüneburg, Johann Arnd in Celle begleitet gewesen sei (Hans Dumrese: Der Sternverlag im 17. und 18. Jahrhundert = Hans Dumrese / Friedrich Carl Schilling: Lüneburg und die Offizin der Sterne. Lüneburg 1956, Teil I [1– 132], hier 16), vermag ich nicht zu sagen. Eine weitere vierbändige Luther-Bibel aus demselben Verlag war Lüneburg 1624 erschienen, zu der Herzog August zu Braunschweig-Lüneburg im sel­ ben Format als Orientierungshilfe sein Büchlein Biblischer Außzug / Oder Gründliche Summaria. Vber die beiden heyligen Testamenta, Lüneburg: Hans und Heinrich Stern 1624, hinzugefügt hatte. Eine „Biblia [. . .], Lüneburg bey den Sternen“ 1634 benutzte er als Handexemplar für seine Bibelstu­ dien, von einer zweibändigen „Lüneburg, bey den Sternen“ 1641 besaß er eine auf Pergament gedruckte Widmungsausgabe. Nachweise: Wolf-Dieter Otte: Religiöse Schriften. In: Sammler Fürst Gelehrter. Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg 1579–1666 [Konzeption Paul Raabe und Maria von Katte]. Katalog der Niedersächsischen Landesausstellung 1979. Wolfenbüttel 1979, 192–205, hier 195 und 197 (Kat.-Nr. 394 und 395), vgl. 158 f. (Nr. 344). – Zur Bedeutung des Stern-Verlags für die Verbreitung der Ideen Johann Arndts und der Arndt-Schule, aber auch als wichtigste Produktionsstätte für Bibeln und Andachtsliteratur im nördlichen Deutschland vgl. jüngst Hans-Jürgen Schrader: „Reisset nieder ewer Inwendiges Babel / vnnd heuchelt nicht mit deroselben außwendig“. Christian Hoburg als Lektor in Lüneburg – Netzwerk und Schriften. In: JGNKG 110, 2012, 43–74 und Wolfgang Schellmann: Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne [s. Anm. 15], bes. 55, 58, 84–88, 94–96, 102 f.

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das Voranstellen von Speners Programmschrift Pia Desideria eine ArndtRenaissance inaugurieren konnte.27 Einem Leipziger Separatdruck des Infor­ matorium 1676 folgte dann ein Jahr später, 1677, die Aufnahme in die von Brecht erwähnte Rigaer Bibel des Spener-Vertrauten Johann Fischer (zusam­ men mit dessen eigener Vorrede), 1690 in die für die hallische Textrevision richtungweisende „Stader Bibel“ des wegen seiner Wertschätzung Arndts und konfessionsirenischen Haltung als „Pietist“ und „Kryptokalvinist“ geschol­ tenen Verden-Bremer Generalsuperintendenten Johann Dieckmann (Diec­ mann) von 1690 und abermals 1698, 1700, 1702 und 1703.28 Francke hat schon vor dem Aufbau seiner Anstalten in Halle, während seiner kurzen Pfarramtszeit in Erfurt 1690/91, in großem Stil preiswerte NT-Aus­ gaben angekauft, um sie für 2 Groschen mit reißendem Absatz unter die Leute zu bringen. Der Verlag, aus dem er in drei Sendungen gleich 900 Exemplare mengenverbilligt geordert hatte, war wiederum das wichtigste Bibelunter­ nehmen des 17. Jahrhunderts, die Lüneburger Offizin der Brüder Stern, deren Profil außer auf Editionen der Heiligen Schrift ganz auf die von der Orthodo­ xie heftig beargwöhnten Werke Arndts und seiner Schüler ausgerichtet war.29 Eingekauft hat er damit offenbar eine Teilausgabe der ebenfalls durch Arndts Informatorium Biblicum eröffneten Lüneburger Bibel von 1689 des SpenerFreundes Johann Winckler. Und seine Tätigkeit in Glaucha vor Halle eröff­ nete Francke gleich mit der Massenverschenkung einer neuen Lieferung stern­ scher Neuer Testamente an die Armen seiner neuen Gemeinde.30 Der entschiedenste Förderer der „Sterne“ war ein seit Jugendtagen auch persönlich glühender Arndt-Verehrer, der fromme und gelehrte Fürst und Büchersammler Herzog August von Braunschweig-Lüneburg,31 der etliche 27 Kurt Aland: Spener-Studien. Berlin 1943, 1 f.; Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 242. 28 Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 231 f., 240–242 u. 266, dazu auch Köster, Die Lutherbibel im frühen Pietismus [s. Anm. 1], 34 f. Wichtige Zusatzangaben zum theologi­ schen Standort und zur Revisionsleistung des Johannes Dieckmann (Diecmann) bei Reinitzer, Biblia deutsch [s. Anm. 13], 276 f., Nr. 172. 29 Dumrese, Der Sternverlag [s. Anm. 26], 12, 16, 19, 23. Dazu auch Lemmer, Zur Bedeutung von Luthers Bibelwortschatz [s. Anm. 14], 284 f. Neuerdings Schellmann, Das Kontobuch der Sterne [s. Anm. 14], 55, 58, 94, speziell zu den ehrgeizigsten, reich mit Kupferstichen ausgestatte­ ten Bibeln des Stern-Verlags, der sogen. „Osiander-Bibel“ mit Texterläuterungen Lukas Osian­ ders (1650, 21665) 58, 75, der „Scheits-Bibel“ von 1672 (mit von 14 Stechern unter Aufsicht Hans Jürg Waldtreichs ausgeführten Kupfern nach Vorzeichnungen des Matthias Scheits) 75, 84, 88 f., 93, 103. 30 Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 270–273, umfassender Köster, Die Lutherbi­ bel im frühen Pietismus [s. Anm. 1], 71–74, 83. 31 Für Herzog Augusts Verhältnis zum Stern-Verlag und zu dem gemeinschaftlichen Einsatz für Arndts Werke und Ideen vgl. insbesondere Dumrese, Der Sternverlag [s. Anm. 26], 11, 20, 29 f., 36, 58–60, 126, 131; für des Herzogs Bewunderung, wenn nicht freundschaftliches Verhält­ nis gegenüber Arndt (Breler schreibt, er sei ihm „familiarissimus“ gewesen) Wallmann, Herzog August d. J. [s. Anm. 25], 27–30, 33 f. Zu diesem Beziehungsgeflecht auch Martin Brecht: J. V.

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angefochtene Propagatoren Arndts, darunter auch Breler, in seinen Schutz und Dienst gezogen hat. Hochselbst hat er sich für den Stern-Verlag an die Arbeit einer gründlichen Sprachrevision des Luther-Texts entsprechend der Sprachreinigungstheorien der zeitgenössischen Grammatiker und Sprachge­ sellschaften gemacht und dafür die Sternsche Handbibel von 1634 unter Nut­ zung anderer Übersetzungen, namentlich der reformierten des Johannes Piscator, handschriftlich opulent durchannotiert. Gegen die vorrangig kir­ chenpolitischen Bedenken einer Publikation dieser Arbeit hat er dazu noch eine Vorrede geschrieben, schließlich, als er den Druck nicht durchsetzen konnte, den Orientalisten seiner Universität Helmstedt, Johannes Saubert d. J., mit einer totalen Neuübersetzung aufgrund der Urtexte beauftragt, von der aber, da sie nach dem Tod des Herzogs nicht fortgesetzt wurde, 1665/66 (ohne Jahresangabe) nur der Erste Teil (bis 1Sam 17) in der Wolfenbütteler Filiale des Stern-Verlags erschienen ist.32 In einem Brief vom 15. Oktober 1664 hatte Saubert immerhin die kanonische Geltung der Luther-Bibel auf­ grund des seitherigen Fortschritts der Hebräischkenntnisse in Frage gestellt: Es wäre doch ia eine thörichte superstitio, wann man D[octor] Luthers Dolmet­ schung pro authentica wollte halten, da er doch ea aetate cognitio Ebraeae linguae, welche zuvorn gantz und gar in dem Staub gelegen [. . .] auff gar schwachen füssen gestanden. [. . .] Daher der seelige D[octor] Luther in denen schwehren locis meisten­ teils den fontem verlassen müßen und sich an die Vulgatos Graecum et Latinum hän­ gen [. . .]: die deutsche protestantes aber sind so superstitiosi geworden, daß sie nicht einen apicem außleschen wollen in versione Lutheri, auch so gar an denen Orten, die manifeste dem Text zuwieder waren.33

Andreae und Herzog August zu Braunschweig-Lüneburg. Ihr Briefwechsel und ihr Umfeld. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 25–28, der allerdings (27) darauf hinweist, für eine auch persönli­ che Kenntnis des jungen Herzogs und des greisen Celler Generalsuperintendenten gebe es keinen Beleg. Vgl. ferner Paul Raabe: Herzog August und die „Sterne in Lüneburg“ In: Sammler Fürst Gelehrter [s. Anm. 26], 157–161 sowie Jörg Jochen Berns: Einleitung [zum Katalogteil „Herzog August – Frömmigkeit und kirchliche Tradition“] ebd., 343–353. Weitere Kontexte und Lit. bei Schrader, „Reisset nieder“ [s. Anm. 26], bes. 47, 50, 57–71 sowie ders.: „Mißbräuche“, „ärgerliches Christenthumb“ und „teutscher Krieg“. Christian Hoburgs kirchenkritischer Pazifismus unter Herzog Augusts prekärer Protektion. In: Der Pietismus im Fürstentum Wolfenbüttel. Studien und Dokumente. Hg. von Dieter Merzbacher u. Wolfgang Miersemann (2014/15) 47–87. 32 Dazu in: Sammler Fürst Gelehrter [s. Anm. 26] außer 195/197 (Nr. 395) 202–204, Nr. 410– 416, 419); Reinitzer, Biblia deutsch [s. Anm. 13], 280–285 (Nr. 176, 178–180), ein Blatt des Hand­ exemplars mit den herzoglichen Bearbeitungsannotationen ist auch faksimiliert 282 (zu Nr. 280). Schellmann, Kontobuch der Sterne [s. Anm. 15], 94 (Nr. 17–19) weist drei verschiedene kleinfor­ matige Ausgaben der Saubert-Bibel im Lüneburger Stammhaus nach, von denen in der Inventur von 1666 insgesamt 9.226 Exemplare auf Lager waren. – Die Revision des frommen Wolfenbüt­ teler Fürsten wird von Sommer, Hedinger als Hofprediger [s. Anm. 11], 182 als erster Realisie­ rungsversuch des Wagnisses gewürdigt, die bislang sakrosankte Luther-Bibel einer gründlicheren Revision zu unterziehen. 33 Vollständiger Briefauszug bei Reinitzer, Biblia Deutsch [s. Anm. 13], 285.

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Johann Arndts Vorrede hingegen enthielt gar keine grundlegenden überset­ zungstheoretischen Reflexionen zur Erneuerung oder gar Ersetzung des Luther-Wortlauts, fasste vielmehr die Kernbotschaften der biblischen Lehre zusammen, die durch alle ihre Bücher auf das Zeugnis von Christus hinziele. Jede ihrer Aussagen aber habe auch eine typologische, auf die Einzelseele bezogene Aussage, die diese in die Nachfolge rufe. Ohne Annahme dieser figurativen Ausrichtung bleibe der Wortlaut der Bibel nur „toter Buchstabe“. Und der verführe zu bloßem „Maulglauben“, stifte nicht die heilsnotwendige Herzenserneuerung, zu der nur die „verachtete einfalt des worts Gottes“ geleiten könne.34 Selbstverständlich bedeutet der Begriff der „Einfalt“ hier im Sinne der mystischen Tradition nicht Einfältigkeit, simplicitas, sondern integri­ tas, die uneingeschränkte Ganzheit des Ursprünglich-Einen, die Identität und grundlegende Übereinstimmung seiner Aussage.35 Für die Pietisten erwuchs aber gerade aus dieser arndtschen typologischen Anwendung der gesamten Schrift für das Tun und Lassen eines jedes Christen die Notwendigkeit zu stets neuem, angestrengten Bemühen, sich gläubig heranzutasten an die Reinheit der Überlieferung, zunächst um das in deut­ scher Sprache ererbte Kleinod der Luther-Übersetzung vollständig verstehen zu können, wo nötig aber auch in einer Revision jener Passagen, in denen sie den Urtext nach neuerer Kenntnis nicht vollständig erschließt. Damit dieser Urtext als Zeugnis der unmittelbaren Gottesrede, der selbstverständlich auch nach dem aktuellsten Stand zusätzlich gefundener Codices und philologischer Bedeutungsrecherche beständig zu revidieren blieb, den Nichtsprachenkundi­ gen zugänglich werde, bedurfte es neuer, wörtlicher an den offenbarten Sinn heranführender Übersetzungen, überhaupt möglichst vieler Versionen, in deren Lichte die luthersche durch beständiges Vergleichen reicher und tiefer auslotbar werden konnte.

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Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 233–238, 240 f. DWb. 3, 172 f. und wesentlich ergänzend August Langen: Der Wortschatz des deutschen Pie­ tismus. 2., erg. Aufl. Tübingen 1968, 362–365, vgl. in späterer Begriffsverwendung 408, 413, 437, 466. Im gleichen Sinne entschließt sich Johann Henrich Reitz für seine Neuübersetzung des Neuen Testaments gegen idiomatische Eingängigkeit zu strikter Wörtlichkeit, weil man eben „hiemit der einfalt des Geistes Gottes / worinnen der weißheit schätze liegen / widersprechen / u[nd] vom wahren sinn u[nd] zweck abirren“ würde. Das Neue Testament [s. Anm. 10], )( 2v. – In der Berleburger Bibel wird vom Gotteswort der Schrift gesagt, dass es zugleich „einigermassen wie unendlich manchfaltig“, „einig und doch manchfaltig“ ist. [Berleburger Bibel:] Die Heilige Schrift Altes und Neues Testaments / Nach dem Grund=Text aufs neue übersehen und übersetzet: Nebst einiger Erklärung des buchstäblichen Sinnes / Wie auch der fürnehmsten Fürbildern und Weissagungen [. . .]. Bd. 1. Berleburg 1726, )( 3rf. Beate Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 100, die diesen Passus zitiert, scheint diese begriffsgeschichtliche Dimension nicht zu realisieren. – Die Vorrede zum 6. Teil der Berleburger Bibel, 1737 [s. Anm. 22], 4r, nimmt nochmals Bezug auf den schichtenreichen Figuralsinn des Gottesworts: „Nullus Apex scrituræ vacat mysterio, pflegte HIERONYMUS zu sagen: Kein Punckt der Schrifft ist lär von Geheimnissen.“ 35

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IV. Inwieweit in den mit Arndts Vorrede aufgemachten Bibel-Ausgaben eine solche Revision stattgefunden hat zur Wiederherstellung der Reinheit und Verständlichkeit des Luther-Texts, der in den zahllosen Nachdrucken nach willkürlichen oder nachlässigen Abweichungen von der jeweiligen Druckvor­ lage zunehmend verwildert war, bleibt im Detail zu untersuchen.36 Das ist bisher ansatzweise nur geleistet für die erwähnte Stader Bibel des Johann Dieckmann, der als solider Philologe den Luther-Text im Vergleich verschie­ dener alter Luther-Ausgaben (allerdings waren ihm frühe reformationszeitli­ che Wittenberger Drucke nicht zugänglich geworden), unter Heranziehung auch einer niederdeutschen Lübecker Bibel Bugenhagens und der ober­ deutsch-reformierten Zürcher Froschauer-Bibel, gründlich revidiert hatte – und unter schwedischer Oberherrschaft vor orthodoxen Eiferern sicher war, die jede Abweichung vom Luther-Wortlaut zensorisch belangten.37 Der mit Spener in Kontakt stehende und mit ihm zu massenhaftem Absatz um preis­ werte Bibeln bemühte Superintendent im thüringischen Schleusingen, Johann Pretten, hatte für seine „Schleusinger Bibel“ von 1684 (mit Neuausgaben 1691, 1694 und 1700) durch hinzugefügte Glossare mit Erläuterungen der für die Jugend seiner Zeit unverständlich gewordenen Luther-Wörter den Text aufzuschließen versucht. In die späteren Ausgaben Dieckmanns sind die Anre­ gungen dieser Glossare in den Text eingegangen.38 Spener selbst hat bekanntlich erst spät, 1694 und 1699 (mit verbesserten Neuauflagen 1702, 1707 und 1712), Bibel-Ausgaben mit eigenen Vorreden herausgebracht. In der von Francke als zeitgenössisch beste eingeschätzten, auf der Grundlage der Schleusinger Bibel (ob von Spener selbst oder durch Mitarbeiter) vergleichend weiter bereinigten Leipziger Folio-Bibel von 1694 hat er dabei im Lobpreis für Luthers Übersetzungsleistung, die „von Gott vie­ les liecht [. . .] empfangen“ habe, die Notwendigkeit aktueller Richtigstellun­ gen und Verständnishilfen angesprochen. Der im Gottesdienst häufiger zu hörende Hinweis, dass einiges im Grundtext aber anders laute, könne die Gläubigen ohne Erschließung der wörtlichen Bedeutung irritieren. Tatsäch­ lich gebe es im lutherschen Dolmetschen Irrtümer, die zwar nirgends heils­ notwendige Wahrheiten berührten, durch seitherige Fortschritte der Überset­ 36 Köster, Die Lutherbibel im frühen Pietismus [s. Anm. 1], 26–32, beschreibt sowohl die Ver­ witterung der Textgestalt seit Luther als auch die Bemühungen um Wieder-Bereinigung, geht aber z. B. auf die Bibel-Ausgaben der Arndt-Getreuen im Lüneburger Stern-Verlag nicht ein. Nur allgemeine Umrisse skizziert Lemmer, Zur Bedeutung von Luthers Bibelwortschatz [s. Anm. 14], 274, 285 für die Revision von Jakob Weller in der Lüneburger Bibel von 1663. 37 Reinitzer, Biblia deutsch [s. Anm. 13], 276, detaillierter Köster, Die Lutherbibel im frühen Pietismus [s. Anm. 1], 32–35 und dies., Die erste Bibelausgabe [s. Anm. 18], 111–113, 134, 148– 150. Dazu auch Lemmer, Zur Bedeutung von Luthers Bibelwortschatz [s. Anm. 14], 285. 38 Reinitzer, Biblia deutsch [s. Anm. 13], 273, 276; Köster, Die Lutherbibel im frühen Pietismus [s. Anm. 1], 35 f.; Lemmer, Zur Bedeutung von Luthers Bibelwortschatz [s. Anm. 14], 274 f.

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zungskunst aber auszubessern seien. Da jedoch keine Übersetzung alle Dimensionen des Urtexts wiedergeben könne, bleibe ein verbreitetes Studium der Originalsprachen unerlässlich, „um den heiligen Geist in seiner sprach hören zu können“.39 Die erste von den Franckeschen Anstalten im eigenen Namen vertriebene Bib­ lia, das ist, Die gantze Heilige Schrifft Altes undt Neues Testaments Nach der Teut­ schen Übersetzung Doct. Martini Luthers [. . .]. Halle, zu finden im Buchladen des Waysenhauses. Im Jahr MDCCII, hat als vermeintlich erster Halleschen Bibel­ druck und Vorläufer des Cansteinschen Unternehmens ein besonderes For­ schungsinteressse gefunden.40 Im Anhang waren die verschiedenen Besserun­ gen aus Prettens Schleusinger Bibel, Dieckmanns Stader und Speners Leipziger Bibel zusammengeführt. Beate Köster hat im Aufgreifen früherer Hinweise schon 1979 gezeigt, dass es sich überhaupt noch nicht um einen Halleschen Druck handelt, vielmehr um jene 1000 Exemplare aus der Lem­ goer Druckerei des Heinrich Wilhelm Meyer, die Francke gemäß einem zwi­ schen Heinrich Julius Elers und Gräfin Dorothee Elisabeth zur Lippe-Brake geschlossenen Vertrag nach Halle geordert hatte.41 Die genauen Zusammen­ hänge hat nun mustergültig minutiös Julia Hiller von Gaertringen geklärt. Die pietistische Dorothee Elisabeth, Schwägerin übrigens der in dieser Rich­ tung weit exponierteren Berleburger Gräfin Hedwig Sophie,42 einer gebore­ nen Lippe-Brake, hatte in Pyrmont nach Halleschem Vorbild ein Waisenhaus gegründet, zu dessen Gunsten sie, von Francke in der aktuell besten Textge­ stalt beraten, eine Lemgoer Bibelausgabe plante, die 1699 für das Neue Testa­ 39 Biblia [. . .]. Nebenst einer Vorrede Herrn D. Philipp Jakob Speners, Wie die Heilige Schrifft mit Nutz und Frucht zu lesen. Leipzig 1694, Vorrede, )( )( )( )( 2 vf., zit. n. Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 259, vgl. 243; ausführliche Erörterung nicht allein der Vorreden, son­ dern auch der Revisionsleistung und ihres Weitertreibens in den Ausgaben von 1699, 1702, 1707 und 1712, Köster, Die Lutherbibel [s. Anm. 1], 38–66, danach abbreviierend Brecht, Die Bedeutung der Bibel [s. Anm. 1], 103 f. 40 Einen in der Folge unbeachtet gebliebenen Klärungsversuch, der schon die Spur nach Lemgo in den Blick brachte, gab es bereits bei August Schürmann: Zur Geschichte der Buchhandlung des Waisenhauses und der Cansteinschen Bibelanstalt in Halle a. S. Halle/Saale 1898, 29 f., vgl. Köster, Die erste Bibelausgabe [s. Anm.18], 121 f. (mit Zitat der alten Halleschen Katalog-Verzeichnung) und dies., Die Lutherbibel [s. Anm. 1], 84 f., 227. Noch für Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 280–283, stand hingegen fest, Francke habe 1702 „in der Druckerei des Waisenhauses selbst eine Bibel drucken“ lassen, mit seiner eigenen Vorrede zusätzlich zu Arndts Informatorium biblicum (280 Anm. 207). 41 Köster, Die erste Bibelausgabe [s. Anm. 18], 121–123, resümiert und weitergeführt auch in dies., Die Lutherbibel [s. Anm. 1], 84–88 („Die Francke zugeschriebene Ausgabe von 1702“). 42 Ulf Lückel: Hedwig Sophie, Gräfin zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg (1669–1738). In: Witt­ gensteiner Pietismus in Portraits. Ein Beitrag zur Geschichte des radikalen Pietismus in Wittgen­ stein. Hg. v. Andreas Kroh u. Ulf Lückel. Bruchsal 2003, 123–128 (mit Lit.), seither Hans-Jürgen Schrader: Zores in Zion. Zwietracht und Missgunst in Berleburgs toleranz-programmatischem Philadelphia. In: Von Wittgenstein in die Welt. Radikale Frömmigkeit und religiöse Toleranz. Hg. v. Johannes Burkart u. Bernd Hey. Bielefeld 2009, 157–194, hier 172–175.

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ment und 1700 als Gesamtbibel mit Arndts Informatorium biblicum zur Ausliefe­ rung kam. Dieser Lemgoer Druck von 1700 ist dann in den nach Halle bestellten 1000 Exemplaren nicht nur über Heinrich Julius Elers’ Waisenhaus­ laden vertrieben worden, sondern auch neu firmiert als Titelauflage mit dem ausgetauschten Titelbogen, der auf dem Titelblatt die Lieferbarkeit im Halle­ schen Buchladen und die aktuelle Jahresangabe 1702 auswies und auf den Fol­ geseiten der Arndtschen Vorrede Franckes Anleitung Einfältiger Unterricht / Wie man die H. Schrifft zu seiner wahren Erbauung lesen solle von 1694 voran­ stellte.43 Der tatsächlich früheste Bibeldruck im Halleschen Waisenhaus-Ver­ lag war also erst der von 1708 mit einer neuen Francke-Vorrede, die knapp über die Textkonstitution Rechenschaft legte: Man hat [. . .] bey dieser neuen bibel [. . .] die besten Editiones der version Lutheri vor sich gehabt / und ist denenselben einfältig und treulich nachgegangen / wie die Collation zeugen wird.44

Für die eigenen Drucke der Cansteinschen Anstalten wurde die Bereini­ gungsarbeit am Luther-Text dann auch vorangetrieben durch das Herbei­ schaffen und Kollationieren von Wittenberger Originaldrucken aus der Lebenszeit des Reformators mit jeweiliger Textentscheidung – freilich in orthographisch-interpunktioneller Normalisierung und Modernisierung – für diejenige Version zwischen Septembertestament und Ausgabe letzter Hand, die am genauesten an den ursprachlichen Befund heranführte.45 Dies konnte dann in den ersten noch bogenweise gesetzten Ausgaben fortschreitend nach­ gefeilt werden, bis mit der Einführung des Stehsatzes den Detailveränderun­ gen an Textgestalt und erläuternden Zusätzen ein technisch bedingter Einhalt geboten war. Das Ergebnis war zwar ein schichtenmischender Fleckerlteppich 43 Hiller von Gaertringen, „Gebunden aber in schwartz leder“ [s. Anm. 4], 84–86. Das neue Titelblatt dieser selten gewordenen Titelauflage ist dort zitiert: Biblia, Das ist, Die gantze Heilige Schrifft Altes undt Neues Testaments Nach der Teutschen Übersetzung Doct. Martini Luthers, Mit Jedes Capitel’s kurtzen Summarien, Concordantzien, und Hn. Johann Arndts Informatorio biblico, Benebenst Aug. Herman Franckens Unterricht, wie man die H. Schrifft zu seiner Erbau­ ung lesen soll. Halle, zu finden im Buchladen des Waisenhauses. Im Jahr MDCCII. – Zu Franckes Vorrede (hier unter dem Titel Kurtzer Unterricht, später auch übernommen in viele Cansteinsche Bibelausgaben) schon Köster, Die erste Bibelausgabe [s. Anm. 18], 124, und dies., Die Lutherbibel [s. Anm. 1], 86–88. 44 Francke, Vorrede zur Bibelausgabe von 1708, Halle, 21. April 1708, im Abdruck bei Köster, Die erste Bibelausgabe [s. Anm. 18], 163, paraphrasiert und erläutert in: dies., Die Lutherbibel [s. Anm. 1], 88–99, hier 94, gibt sie auch eine Abhängigkeiten der Textkonstitutionen versinnli­ chende Übersichtsgraphik markanter Texteingriffe in den Bibel-Revisionen Dieckmanns und Prettens, der Ausgaben Speners, Wincklers und Franckes und der einschneidenden Revision Hedingers, Stuttgart 1704. 45 Grundlegende Kennzeichnung der Kollationierungsarbeiten bei Köster, Die Lutherbibel [s. Anm. 1], 118–132, vgl. dies., „Mit tiefstem Respekt“ [s. Anm. 2], 96. Aland, Der Hallesche Pietis­ mus und die Bibel [s. Anm. 1], 37, betont, dass diese Version – schon durch ihre generationen­ weite Festschreibung im Stehsatzverfahren mit bloß reduzierter Möglichkeit zu Nachbesserungen – die grundlegende Referenzausgabe für den gesamten Pietismus wurde.

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an Wortlauten und Begriffen unterschiedlicher Überlieferungsstufen Luthers, der heutigen philologischen Editionsnormen diametral zuwiderläuft, konnte sich aber des Vorzugs rühmen, den bisherigen Wildwuchs nachdruckend fort­ geschleppter Textverderbnisse ausgeräumt zu haben, fast hundertprozentig aus Originalwortlauten der Luther-Versionen zusammengebastelt zu sein und so weit wie möglich das Gebot der Texttreue zu den urtextlichen Grundlagen zu erfüllen. Abgesehen von den erläuternden Annotationen und Glossen sind die in den Luther-Text selbst eingebrachten Eingriffe aller dieser Revisionsbemühungen übrigens punktuell und minimal gewesen. Selbst die systematischen Bearbei­ tungen der am Ende des 19. Jahrhunderts aufblühenden Bibelanstalten blieben im Auswechseln einzelner Wörter noch äußerst behutsam. Sie wurden erst massiver eingreifend mit der Überarbeitung von 1956, die die noch sehr Luther-nahe Version von 1912 ablöste, bis dann die forsch an die Medienspra­ che des 20. Jahrhunderts heranführende „Revision“ im NT ’75 öffentlich die Frage aufrief, ob nicht die Bezeichnungen als „Lutherbibel“ und das Gütesie­ gel „Nach der Übersetzung Martin Luthers“ zum Etikettenschwindel ver­ kommen seien und eine intertextuell, erstaunlich weitgehend sogar interkon­ fessionell jahrhundertelang wirksame Kulturtradition damit ihre zentralen Verständigungsbezüge verliere.46

V. Die entscheidenden Impulse für das in der Epoche des Pietismus so viel­ gliedrig und entsagungsvoll penible Ringen um die Genauigkeit und den Auf­ schlusswert jeder einzelnen Textstelle leiteten sich nicht aus einem eigenwer­ tig philologischen Interesse im Sinne eines neuen Humanismus und schon gar nicht aus einer Anti-Luther-Stimmung oder gemäß dem Vorwurf der Ortho­ doxen aus Konkurrenz-Ehrgeiz und Neuerungssucht her. Den wichtigsten Anstoß gab eine existentieller rege gewordene Sorge um das Seelenheil. Die uns durch die kritische Bibelwissenschaft des 19. Jahrhunderts ferngerückten pietistischen Grundüberzeugungen über den Ursprung, die Eigenart und den individuellen Appellcharakter des ganzen biblischen Texts muss ich noch ein­ mal knapp in Erinnerung bringen, weil erst sie die gehäuften Anstrengungen um die Bereinigung der Urtext-Editionen, die zahlreichen Neuübersetzungen und die Ausarbeitung so vieler philologischer Hilfsmittel erklären, mit denen 46 Hierzu die Reflexionen im Vorfeld einer neuerlichen Revision der Gesamtbibel in dem Sammelband aus Anlass der Reformationsdekade: Anmut und Sprachgewalt. Zur Zukunft der Lutherbibel. Beiträge der Jenaer Tagung 2012. Hg. v. Corinna Dahlgrün u. Jens Haustein. [Stutt­ gart] 2013, in dem ich mich um eine geschichtliche Aufarbeitung und Beurteilung bemüht habe, Hans-Jürgen Schrader: Zwischen verbaler Aura und Umgangsdeutsch. Zur Sprachgestalt der Luther-Bibel und zur Problematik ihrer Revision, ebd., 145–180.

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zusätzlich zur Bereinigung des Luther-Texts auch Vergleichsangebote in Alternativversionen gegeben werden sollten. Danach möchte ich die pietisti­ schen Versionen noch einmal im Überblick kursorisch besichtigen unter dem Blickwinkel, wie viel jeweils an grundlegender Erforschungsarbeit für die Auslotung des gesamten Feldes zu tun bleibt. Bislang nämlich gibt es für die pietistischen Neuübersetzungen mit einigen Ausnahmen erst recht pauschale Kennzeichnungen. Beate Köster hat bereits darauf hingewiesen, wie oft bloße Bearbeitungen des Luther-Texts, für die allenfalls die Urtexte und andere Versionen als Entscheidungshilfe herangezogen wurden, mit den grundlegen­ den Neuübersetzungen verwechselt und in eine Linie gestellt wurden. Biswei­ len tauchen in den Übersichten über pietistische Neuverdeutschung in unge­ prüfter Übernahme sogar Titel auf, die weder pietistischer Genese noch Übersetzungen ins Deutsche sind wie eine Königsberger Bibel 1727 von Johann Jakob Quandt (in Wirklichkeit eine Übersetzung ins Litauische), Neu­ testament-Übersetzungen klassischer Philologen ohne pietistische Intentionen wie die des Göttinger Polyhistors Christoph August Heumann, Hannover 1748, oder des Lexikographen, Pindar- und Homer-Übersetzers Christian Tobias Damm, Berlin 1764, wenn nicht gar aufklärerische Gegenentwürfe.47 Die wichtigste Grundlage des noch allen Pietisten gemeinsamen Verständ­ nisses der Bibel ist die von der Orthodoxie übernommene Auffassung48 ihrer verbalen Inspiration: Jedes Wort in ihr ist buchstäbliche Gottesrede, die er den Menschen durch den Mund und die Hand seiner Erleuchteten offenbar gemacht hat. Für Spener sind beide Testamente von Gott eingegeben, Worte des lebendigen Gottes, ganz im neuplatonischen Sinn ein „ausfluß“ seines Geistes, emanatio, ἐρρύησις.49 Das aber bedeutet: „Man soll auf jedes Wort achten, da der Heilige Geist nichts umsonst geschrieben hat.“50 Schon diese Auffassung allein macht die Heilige Schrift zu einem Extremfall für alle über­ setzungstheoretischen Anforderungen sowohl an äußerster Genauigkeit im Wortlaut wie in jeder mitgeführten Sinnschattierung als auch an geradezu übermenschlicher Sprachkraft und Eingängigkeit. Ganz in diesem Sinn postu­ liert Johann Albrecht Bengel noch in der Vorrede seiner postum 1753 erschie­ nenen Neuübersetzung des Neuen Testaments:

47 Vgl. die diesbezüglich ganz ungegliederte, nicht einmal in der Chronologie stimmige Liste bei Reinitzer, Biblia Deutsch [s. Anm. 13], 305 f. – Die von Josef Schmidt [u. a.]: Moderne Bibel­ übersetzungen. In: ZKTh 82, 1960, 321 als Gegenstück zur NT-Übersetzung des Johann Henrich Reitz (Offenbach 1703) vorgestellte Übersetzung des Christian Möller (Frankfurt a. O. 1700) ist in Wahrheit eine zur Judenmission angefertigte Übertragung ins Jiddische. 48 Brecht, Die Bedeutung der Bibel [s. Anm. 1], 103. 49 Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 251, vgl. 258 f., 262. Für Speners Bekennt­ nis zur Verbalinspiration auch Martin Schmidt: Philipp Jacob Spener und die Bibel. In: Aland, Pie­ tismus und Bibel [s. Anm. 1], 9–58, hier 26 f. 50 Zitiert und paraphrasiert bei Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 251, 258, 262.

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In Uebersetzung menschlicher Schriften kann ein Mensch des andern Sinn viel leich­ ter erreichen und ausdrücken, und wann er auch dessen verfehlet, so ist gemeiniglich nicht viel daran gelegen. Aber bei der Uebersetzung der Worte Gottes, himmlische und ewige Dinge betreffend, soll man mit tiefem Respect, mit Furcht und Zittern handeln, daß man nichts daran schmützen [herabsetzen], nichts unterschlagen, nichts verwechseln möge [. . .], sie muß seyn wie ein vollkommenes Contrefait [. . .]. Man muß nichts dazu setzen, nichts zurücksetzen, nichts anders setzen, sondern überset­ zen.51

Zu der Gewissheit aber, dass es sich unmittelbar und bis ins kleinste Detail um ein göttlich Diktiertes handele, dessen Verfehlung oder Verfälschung schon für sich ein verdammniswürdiges Vergehen wäre, kommt anders als bei der Orthodoxie noch ein mehr oder weniger stark herausgestelltes typologi­ sches Schriftverständnis. Die Lehre vom vierfachen Schriftsinn, die jedem Wort, Buchstaben, ja Zeichen der Schrift neben dem unmittelbaren, histori­ schen Sinn auch noch reichen Verweisungssinn für die Ökonomie Gottes in der Heilsgeschichte, für die Kirche und die Gemeinde, aber auch für die Ein­ zelseele und den Prozeß ihrer Wiedergeburt zuweist, wird auf den Titelblät­ tern und in der Allgemeinen Vorrede zur „Berleburger“ Bibel (1726 bis 1742) wohl am deutlichsten aufgerufen. Ansatzweise aber sind die Pietisten noch geeint in der Überzeugung einer so das Wörtliche überschießenden, immer auch auf den einzelnen Gläubigen applizierbaren Bedeutung. Schon Arndt hatte in seinem Informatorium biblicum ja ein solches typologisches Verständnis eingefordert, da ohne die durchgängig auch allegorische Auslegung der Buch­ stabe tot bleibe: „Wie Christus beschnitten, also müssen auch die menschen beschnitten werden mit der beschneidung Christi. Wie aber? Durch ablegung deß sündlichen Leibs, den jeder trägt in seinem fleisch, Kol 2,11.“52 Johann Henrich Reitz drückt dies in seinem Das Fürbilde der heilsamen Worten 1705 so aus:

51 Bengel-Vorrede in: Das Neue Testament zum Wachsthum in der Gnade und der Erkennt­ niß des Herrn Jesu Christi nach dem revidierten Grundtext übersetzt und mit dienlichen Anmer­ kungen begleitet von D. Johann Albrecht Bengel. Stuttgart 1753, VII, XV, zitiert bei Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 112, die diesem Zitat zwar den Titel ihres Aufsatzes entnimmt, auf die Extremdimension des übersetzungstheoretischen Problems aber nur peripher eingeht. 52 Vgl. Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 236, zit. n. der Vorrede-Version in der Lüneburger Oktav-Bibel von 1689. Zum in der Orthodoxie längst obsolet gewordenen, aus dem Mittelalter v. a. in der mystischen Tradition lebendig gebliebenen Denkansatz ebd., 210–221. – Zur Bedeutung dieses typologischen Denkens gerade für die Theologie der Imitatio Christi und für deren emotionale Wirkkraft noch im goethezeitlichen Roman vgl. Hans-Jürgen Schrader: Vom Heiland im Herzen zum inneren Wort. ‚Poetische‘ Aspekte der pietistischen Christologie. In: PuN 20, 1994, 55–74, hier 67 f., und ders.: Von Patriarchensehnsucht zur Passionsemphase. Bibel­ allusionen und spekulative Theologie in Goethes „Werther“. In: Goethe und die Bibel. Hg. v. Johannes Anderegg u. Edith Anna Kunz. Stuttgart 2005, 57–88, hier 77, vgl. 82.

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Dergestalt wird immer Himmel und Erden erschaffen (in der Bekehrung des Men­ schen) [. . .] Einfolglich / daß alle Historien / Personen und Sachen immer Figuren und Fürbilder der künfftigen seyn. Also ist ein Elias kommen / und kommt noch / und wird kommen [. . .]. Daß demenach auch alles neben dem buchstablichen Ver­ stand / einen geistlichen mystischen Verstand / und die eigene Nahmen als Canaan / Jerusalem / Sara usw. ihre sonderliche Bedeutung haben.53

In der orthodoxen Karikatur war ein Pietist geradezu daran zu erkennen, daß er bei vielen Sprüchen der heiligen Schrift [. . .] more pietistico fast alles mystice per allegorias, typos et antitypos öfters nicht ohne Verdrehung der Worte erklären will.54

Der allegorische Mehrwert jedes Bibelworts, in dem jeder Buchstabe, jedes Jota subscriptum und hebräische Akzentuationszeichen „durch den Heiligen Geist eingegeben“ ist,55 auch für den aktuellen Zustand und das Heil der Ein­ zelseele aber machte die präzise und ungeschmälerte Bedeutungswiedergabe einer Übersetzung heilsnotwendig. Da jedoch eine einzige Version nie alle Nuancen erfassen kann, mussten viele Bemühungen vergleichend studiert werden, um bei anderen vielleicht vernachlässigte Schattierungen zu erfassen. Spener schreibt in seiner Erklährung der Epistel an die Galater 1697, dass in der Bibel nicht nur objektiv 53 [Johann Henrich Reitz:] Das Fürbilde der heilsamen Worten/ Vom Glauben und Liebe/ So in Christo JEsu ist Oder die Lehre nach der Gottseeligkeit. [Erlangen] 1705, 22 f. 54 Christoph Kiesewetters Bericht über die Ausbreitung der Pietisterei, publiziert bei Theodor Wotschke: Der Pietismus in Thüringen. In: TSZG 18, 1929, 1–55, hier 40. Weitere Belege für das typologische Schriftverständnis im Pietismus bei Hans-Jürgen Schrader: Sulamiths verheißene Wie­ derkehr. Hinweise zu Programm und Praxis der pietistischen Begegnung mit dem Judentum. In: Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Hg. v. Hans Otto Horch u. Horst Denkler. Bd. 1. Tübingen 1988, 71– 107, hier 74 sowie ders.: Die Sprache Canaan, Auftrag der Forschung. In: Interdisziplinäre Pietis­ musforschungen. Akten des I. Internationalen Kongresses für Pietismusforschung 2001. Hg. v. Udo Sträter [u. a.] Tübingen 2005, 55–81, hier insbes. 60 f., 78 f. 55 Berleburger Bibel, Bd. 1 [s. Anm. 35], )( 2rf., vgl. )( 5v: „GOttes eigenhändiges schreiben“, „Schrifft von Gott eingegeben“. Dass für die Apokryphen in Der Berlenburgischen Bibel Achter und Letzter Theil, bestehend in einem Zusatz von Apocryphischen Schriften. Berleburg 1742, )( 2v, nicht mehr eine so buchstäblich wörtliche Wiedergabe der Gotteseinsprache angenommen wird, von der sie menschlich kopiert seien, habe ich ausgewiesen, Hans-Jürgen Schrader: Lesarten der Schrift. Die „Biblia Pentapla“ und ihr Programm einer „herrlichen Harmonie Göttlichen Wortes“ in „Fünf=facher Deutscher Verdolmetschung“. In: Zwiesprache. Beiträge zur Theorie und Geschichte des Übersetzens. Hg. v. Ulrich Stadler. Stuttgart, Weimar 1996, 199–218, hier 202 f. In der ersten Vorrede zur Berleburger Bibel wird daraus das Übersetzungsprogramm abgeleitet: „Da man dann sowol dem Buchstaben nach es sollte aufs einfältigste geben / wie es da geschrieben ist [. . .] als auch die Deutlichkeit sich lassen angelegen seyn / daß man zugleich unsere Redens=Arten brauche / [. . .] daß es ein ieder desto besser verstehen könne: da man auch die hebräische Accentua­ tion oder Unterscheidungs=Zeichen / die / wie einige nicht ohne Grund dafürhalten / durch den heiligen Geist eingegeben sind / und den wahren Verstand der Schrifft anweisen / wol zu beob­ achten hat.“ Berleburger Bibel, Bd. 1 [s. Anm. 35] )( 2r. Dasselbe Argument äußert Francke schon in seiner Idea studiosi theologiae, Halle 1712, vgl. Aland, Der Hallesche Pietismus und die Bibel [s. Anm. 1], 47.

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alles / was zu unserm trost / besserung / unterricht und vermahnung dienlich seye / gewiß darinnen stehe / wie denn der Heilige Geist / der sie eingegeben / und auff­ zeichnen hat lassen / alle meine anfechtung und alles mein anliegen [. . .] vorgesehen und erkannt / [. . .]wie sie zu meiner erbauung und gegenwärtiger noth dienlich seye / damit ich in dieser apothecke unfehlbar auch artzneyen vor meinen zustand finde.56

Ganz entsprechend findet die Berleburger Bibel im geistlichen Sinn den so-genannten Moral-Verstand / oder die Nutz=Anwendung der Schrifft / wie dadurch die Seele muß gebessert werden: durch den geheimen Sinn her­ gegen die innere Erkenntniß / die durch den Geist GOttes in der Seele gewircket wird [. . .] gleichwie die Weißheit einig und doch manchfaltig ist /Weißh. 7/22. [. . .] Und wenn der Mensch mehr als einerley an einem Orte finden kann / warum sollte GOtt nicht mehr als einerley hinlegen können oder wollen? Die Juden erkannten sol­ ches wol / welche vormals sagten; es wäre in der Schrifft kein einziger Buchstab / woran nicht gantze Berge der Erkenntnissen hiengen. GOtt redet offt was aus / da sowol der buchstäbliche als geistliche und auch der profetische Verstand zugleich mit einander ausgesprochen wird.57

Die optimale Sprachgewalt, Schönheit und auch Eingängigkeit, zu der der Gottesmann Luther in seiner Übersetzung gefunden hatte, wurde nirgends bestritten. Weil aber einerseits seither bessere Urtextversionen verfügbar waren, Luthers Übersetzung andererseits nicht völlig fehlerfrei war58 und viele nicht mehr verständliche Wörter enthielt,59 drittens schließlich, weil 56 Philipp Jakob Spener: Erklährung der Epistel an die Galater des Hocherleuchteten Apostels Pauli. Frankfurt 1697, 28, zit. bei Schmidt, Philipp Jacob Spener und die Bibel [s. Anm. 49], 28. 57 Berleburger Bibel, Bd. 1 [s. Anm. 35], )( 3rf. Der letzte Hinweis könnte sich beziehen auf den Rechenschaftsbericht zur jiddischen Witzenhausen-Übersetzung („Nota wegen der Judischen Ubersetzung“) im ersten Band von Johann Otto Glüsings Biblia Pentapla, das ist: Die Bücher der Hei­ ligen Schrift des Alten und Neuen Testaments / nach Fünf=facher Deutscher Verdolmetschung. OO. [Schiff­ beck] 1711, 1v., dass sogar die Distinktionszeichen Silluk und Atnach als sinntragende emphati­ sche Signale in die Übersetzung übernommen worden seien. 58 Der vom Herzog August mit der Neuübersetzung der Hebräischen Bibel beauftragte Helm­ stedter Orientalistikprofessor Johann Saubert d. J. äußert sich im persönlichen Schreiben an ihn über diese von der Orthodoxie bestrittene Möglichkeit recht dezidiert, vgl. den oben zitierten vertraulich-privaten Briefauszug am 15.10.1664 [s. Anm. 32, zit. bei Reinitzer, Biblia deutsch [s. Anm. 13]]. Spener richtete sich offen gegen die Auffassung, Luthers Übersetzung sei den Urtexten ranggleich zu halten und vollkommen fehlerfrei. Vgl. Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 145; Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 96. Francke ging dann so weit, in seinen Observationes biblicae solche „Fehler“ zur Diskussion zu stellen. 59 Die seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts vermehrt auftauchenden Klagen über ein Veralten von Luthers Sprachform und Wortschatz, das ein allgemeines Verständnis erschwere (in den Nachdrucken waren nur unsystematisch Orthographie, Laut- und Formenbestand aktualisiert worden), führten zu Sammlungen der nicht mehr ohne weiteres verständlichen Luther-Wörter in kleinen Lexika (Philipp Salzmann: Sonderbare Worte. Naumburg 1664; Dietrich von Stade: Erläu­ ter= und Erklärung der vornehmsten Wörter, deren sich [. . .] Doct. M. Luther in Übersetzung der Bibel [. . .] gebrauchet. Stade 1711, vier Auflagen bis 1746; Johann Heinrich von Seelen: Stro­ mata Lutherana. Lübeck 1740, zusammengefasst bei Wilhelm Abraham Teller: Vollständige Darstel­ lung und Beurtheilung der deutschen Sprache in Luthers Bibelübersetzung. 2 Teile. Berlin 1794/

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idiomatisch freies Übersetzen vom Mehrfachsinn eines Gottesworts „in seiner gantzen Gröse / Weite und Breite / Höhe und Tiefe“60 nie alle Dimensionen erfassen konnte, war für das individuell-heilsbegierige Zusatzstudium der Schrift die dichtestmögliche Annäherung und Aufschließung des Ursprungs­ worts danebenzustellen.

VI. Um der Heilsrelevanz jeder Bedeutungsnuance des Gottesworts wegen hat sich schon der früheste unter den pietistischen NT-Neuübersetzern, der Reformierte Johann Henrich Reitz, entschlossen, eine skrupulös dicht an den Urtext (in der revidierten Oxforder Version des Robert Gell,61 unter Nut­ zung der textkritischen Emendationen des Johannes Cocceius) angelehnte Version auszuarbeiten.62 Das Neue Testament Unsers HERREN JEsu Chisti / Auffs neue ausm Grund verteutschet / und mit Anziehung der verschiedenen Lesungen / und vieler übereinstimmender Schrifft=Oerter / versehen ist erstmals 1703 in dem radikalpietistischen Druckereiunternehmen des Bonaventura de Launoy erschienen, wo Reitz seit 1698 auch schon die ersten drei Teile seiner Historie Der Wiedergebohrnen herausgebracht hat.63 Wenigstens sieben Nachauflagen seines Neuen Testaments kamen bis 1738 ebenfalls an Orten heraus, in denen Glaubensvertriebene wie er selbst64 Unterschlupf gewonnen hatten und auch 95) oder in Glossaren, die den Bibeln beigedruckt wurden, hat Lemmer, Zur Bedeutung von Luthers Bibelwortschatz im 17. / 18. Jahrhundert [s. Anm. 14], gründlich erforscht und zusammen mit den Diskussionen, die zu den Revisionen des 19. Jahrhunderts führten, detailliert dargestellt. 60 Berleburger Bibel, Bd. 1 [s. Anm. 35], )( 3v. 61 Über Gell und seine umfänglichen übersetzungskritischen und exegetischen Arbeiten zum Neuen Testament (REMAINS oder übergebliebene Brocken: das ist; Unterschiedene auserlesene Schrifft=Texten des Neuen Testaments eröffnet und erklärt. Berleburg 1724, 928 Seiten) wie auch zum Pentateuch (Ein Versuch / Muster oder Probe / zur Verbesserung der letzten Englischen Ubersetzung der Bibel [. . .]. Der Erste Theil in Pentateuchum, oder über die Fünff Bücher Mosis. Berleburg 1723, 904 Seiten), die als Vorarbeit zur Übersetzung der Berleburger Bibel dort 1723/24 in deutscher Übersetzung herausgegeben wurden, vgl. Schrader, Literaturproduktion [s. Anm. 8], 188, 204 und 468 f. 62 Reitz, Das Neue Testament [s. Anm. 10], Vorrede An den Christlichen Leser, „Offenbach den 30. Nov. 1702.“, )( 2v, )( 4r. 63 Greifbar in der Neuedition, Johann Henrich Reitz: Historie Der Wiedergebohrnen. Vollstän­ dige Ausgabe der Erstdrucke. Hg. v. Hans-Jürgen Schrader. Tübingen 1982. 64 Biographische Grundinformation: Rudolf Mohr: Ein zu Unrecht vergessener Pietist: Johann Henrich Reitz (1655–1720). Leben und Werk. Korrekturen und Ergänzungen der Biographie. In: MEKGR 22, 1973, 46–109, neuere „Reitz“-Artikel (mit Lit.) von Erich Wenneker in: BBKL 7, 1994, 1587–1592 und Udo Sträter in: RGG4 7, 2004, 256. Neuerdings zur durch die „Historie“ in der protestantisch-erbaulichen Kirchengeschichtsschreibung angestoßenen Tradition Hans-Jürgen Schrader: Kanonische neue Heilige. Sammelbiographien des Pietismus und der Erweckungsbewe­ gung. In: Geschichtsbewusstsein und Zukunftserwartung in Pietismus und Erweckungsbewe­ gung. Hg. v. Wolfgang Breul u. Jan Carsten Schnurr. Göttingen 2013, 303–338.

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die drucküberwachenden Kichenbehörden toleranter waren, in ErlangenNeustadt, Thurnau und Büdingen.65 In seiner Vorrede betont Reitz, der als reformierter Geistlicher freilich weniger auf die – auch dort wertgeschätzte – Luther-Vorgabe verpflichtet war als die Lutheraner, den Nutzen, wenn mög­ lichst vile übersetzungen der H[eiligen] Schrifft obhanden [. . .]; zumalen da solche arbeit von so vilen [. . .] dem wort der warheit nachforschenden seelen in allen partheyen / als welche täglich von allen cantzeln hören, daß es im grund=text anders laute / schon längstens verlanget worden.

Für sie, wohlgemerkt „in allen partheyen“, hat er sich bemüht, indem er „allen anderen versionen ihren gebührenden ruhm läßet / u[nd] fern von dem vorgeben ist / daß diese neue arbeit ohne fehl seye [. . .] dem siñ des geistes u[nd] dem grund näher“ zu kommen, gerade auch den bisweilen harten „ungewöhnlichen red=arten des H[eiligen] Geistes“. Er gesteht ein, „daß man an vielen stellen die Worte der version Lutheri wol hette behalten können“, doch könne die Konfrontation mit streng beim Wortlaut bleibenden Überset­ zungen der „verdunckelung des Sinnes deß H[eiligen] Geistes“ wehren. Übersetzend will er eben dieselbe red=arten u[nd] worte behalten / die der Heil[ige] Geist gebrauchet / u[nd] so viel möglich von wort zu wort übersetzen / weil wir keine schönere noch bedeutendere erfinden können / ob sie wol zuweilen unsern ohren etwas hart und ungewöhnlich lauten mögten / indem wir [. . .] der sprach des H[eiligen] Geistes wenig kundig sind. Zierlichen teutsches aber hat man sich umb so viel weniger befleissen können / weil man eben hiemit der einfalt des Geistes Gottes / worinnen der weißheit schätze lie­ gen / widersprechen / u[nd] vom wahren sinn u[nd] zweck abirren würde.66

Um der ursprünglichen Bedeutung des Texts noch näher zu kommen, hat Reitz Varianten zum Oxforder griechischen Text hinzu übersetzt67 und außer den üblichen Glossaren bibelkundlicher Begriffe, Maße und Gewichte auch ein Fremdwortregister und eine Liste solcher Begriffen beigefügt, die den 65 Genauere Nachweise mit einer intentional vollständigen Bibliographie der Rezensionen, Beurteilungen und Forschungsliteratur bei Schrader, Literaturproduktion [s. Anm. 8], 132, 138, 153 f., 570–578, vgl. 523–526. Zu den vorangegangenen zwei ersten Auflagen der Historie Der Wiedergebohrnen ebd., 77–84 u. 390–396. 66 Alle hier systematisch umgruppierten Zitate bei Reitz, Das Neue Testament [s. Anm. 10], Vorrede An den Christlichen Leser, )( 2r – )( 3r. 67 „Daß man aber solche verschidene leßungen dieser teutschen version mit beygefügt / ist unter andern darzu nötig geweßen, damit die / welche das grichische nit verstehen / [. . .] sehen mögen / wie durch einige verschidene lesungen die wahrheit [. . .] gerettet und bestärcket werde.“ Reitz, Das Neue Testament [s. Anm. 10], Vorrede, )( 4r. Dies präformiert also schon das Pro­ gramm der „Biblia Pentapla“ mit ihrem spaltenweis-synoptischen Versionenvergleich, vgl. Schra­ der, Lesarten der Schrift [s. Anm. 55], 204.

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Vollsinn des griechischen Worts nur verkürzt erfassen, hat dabei deren zusätzliche Bedeutungsdimensionen aufgeschlossen. Die Kennzeichnungen der reitzschen Übersetzung in der Forschung erweisen sich bei näherem Hinsehen als weithin bloße Reflexe sowohl der Rechen­ schaft des Übersetzers in seiner Vorrede als auch der Stellungnahmen in der zeitgenössischen Kontroversliteratur. Da wird sie sozinianischer Irrtümer (die also die Gottheit Christi leugnen) bezichtigt, hauptsächlich wohl, weil das NT von Reitz im selben Jahr wie eine Neuübersetzung durch den (kaum als Pietist zu bezeichnenden) wegen sozinianischer Lehrabweichung entlassenen Rektor Caspar Ernst Triller aus Ilfeld im Südharz herauskam68 und umso bequemer (bis heute) mit dieser in einem Atemzug zu besprechen war, als auch Reitz schon einmal entsprechender Abirrungen verdächtigt worden war, nachdem er in einem Traktat Mitleid mit den ganz kreatürlichen Leiden des Heilands am Kreuz geäußert hatte, durch die er „seinen Brüdern / die Fleisch und Blut haben / κάτ᾽ πάντα / in allen Stücken gleich seyn müs­ sen“.69 Und wie Triller (Eine Mit dem Grund=Text genauer übereintreffende Uber­ setzunge Des Neuen Testaments, mit fingiertem Druckort „Amsterdam“ 1703) wurde die Reitz-Version, deren Bemühen um Wörtlichkeit ja schon die Vor­ rede betonte, pauschal als „sklavisch“ am Urtext klebend, „abgeschmackt“ und „undeutsch“ bezeichnet.70 Zum Beleg werden aber auch da fast nur die Beispiele kritisiert, die Reitz selbst in seiner Vorrede als wortgetreuere Abweichungen seiner Wortwahl vom Gewohnten hervorgehoben hatte, übersetze er doch Z. E. philadelphia nit durch bruder=liebe / sondern durch bruder=freundschafft / oder bruder=freundlichkeit / item, hypomone nit durch gedult / sondern gedultige aushar­ 68 Am einlässlichsten besprochen (doch, wie auch sonst üblich, bloß im Hinblick auf Reitz) bei Francke, Die Übersetzung des Neuen Testaments [s. Anm. 4], 7, 10, 14–21, 27, 43, 75–78, 82–87; Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 98 f. 69 Johann Henrich Reitz: Kurtzer Vortrag von der Gerechtigkeit. [Offenbach] 1701, 7–11, hier 7 f. – Zur pietistischen Relevanz dieser Lehre und zu den orthodoxen Verdächtigungen, aber auch zur pietistischen Ablehnung einer unterschiedlosen Verdammung von Menschen, die aus uner­ träglicher Qual oder Verzweiflung Suizidversuche begangen hatten, vgl. Schrader, Literaturpro­ duktion [s. Anm. 8], 583 f., ders., Vom Heiland im Herzen [s. Anm. 52], 58 f. und v. a. ders., Von Patriarchensehnsucht [s. Anm. 52], 78–80. 70 Nach der Kritik in den Unschuldigen Nachrichten (1710, 616 f.), zusammen mit den Verdächti­ gungen sozinianischer Lehrabweichungen, z. B. Gustav Georg Zeltner: Dissertatio theologica de novis Bibliorum Versionibus [. . .] Trilleri et J. H. Reizi. Altdorf 2[1711], 17, 40, 65–68, 72 f., 77, 107 f., 127, 137; Ernst Stockmann: Kurtze Fragen aus der Kirchen=Historia des Neuen Testaments. 9. Teil. Jena 1732, 642–644, 1011–1014; [Johann Melchior Goeze:] Verzeichnis seiner Samlung sel­ tener und merkwürdiger Bibeln. Halle 1777, 238–240; F[riedrich] Lücke: Kurzgefaßte Geschichte der Lutherischen Bibelübersetzung (Fortsetzung und Beschluß). In: Zeitschrift für gebildete Chri­ sten der Evangelischen Kirche, 4. Elberfeld 1824, 63. Ansätze zu differenzierterer Sicht bietet neben Francke, Die Übersetzung des Neuen Testaments [s. Anm. 4] bereits Urlinger, Die geistesund sprachgeschichtliche Bedeutung [s. Anm. 4], 5–9, 20.

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rung / metanoia nit durch buß / sonddern sinnes=änderung / ascòs, Matth 9,17. nit durch schlauch / sondern ledern sack usw.71

In der Tat ist die Reitz-Version mühsam zu lesen, das liegt aber mehr als an der Tendenz zur Wörtlichkeit an ihrer winzigen Schrift und der durch diakri­ tische Zeichen für Doppelungen und Dehnungen sowie durch Abkürzungen unendlich konzentrierten Orthographie, vermutlich dadurch bedingt, dass Reitz zufolge der Anzeige im Messekatalog offenbar selbst zu den Druckkos­ ten hatte beitragen und das Verlagsrisiko übernehmen müssen und (als amts­ entlassener Pastor ohne feste Einkünfte) infolgedessen, auch in Rücksicht auf die missionarische Kalkulation des Verkaufspreises von nur 30 Kreuzern, ex­ tremem Sparzwang unterlag.72 Wegen seiner Übersetzungstreue wurde er (unter Anführung etlicher Bei­ spiele) von Johann Georg Gichtel gelobt, „weyl er beim Text geblieben, und das Grichisch teutsch=redend gemacht, sich auch an keine andere Uberset­ zung Lutheri, oder Piscatoris gebunden“.73 Und von den Übersetzern der Ber­ leburger Bibel, der amerikanischen Sauer-Bibel und von Philipp Matthäus Hahn wurde seine Version explizit dankbar genützt.74 Gottfried Arnolds Übersetzung der neutestamentlichen Apokryphen gar wurde als ein Zusatz­ band zur Reitz-Ausgabe herausgebracht.75 Dagegen haben Zinzendorf und Reitz, Das Neue Testament [s. Anm. 10], Vorrede An den Christlichen Leser, )( 3rf. Catalogus universalis, sive designatio omnium librorum, qui hisce nundinis [. . .] prodierunt. [Frankfurt und] Leipzig Ostern 1703, D 1v; dazu die Angebote in den Sortimentskatalogen des Berleburger Verlegers und Buchhändlers Johann Jacob Haug, Nachweis und Erörterung bei Schrader, Literaturproduktion [s. Anm. 8], 138, 260, vgl. 444, 489 (dort Anm. 61). 73 Johann Georg Gichtel: Sämmtliche Werke, oder Theosophia Practica. Bd. 1. Berlin 31768, 490 f. – Gichtels und Überfelds Lob für die Übersetzungen von μετανοεῖν oder σημεῖον könn­ ten ein Indiz für spiritualistische Übersetzertendenzen sein. 74 Die Berleburger berufen sich auf Reitz nur im Kommentar zu einzelnen Stellen, während im Vorbericht zum Neuen Testament [Bd. 5, 1735, )(3v] nur auf Paul Anton und seine Hallenser Luther-Revision als Orientierungshilfe beim Übersetzen hingewiesen ist. In Christoph Sauers Vorbericht Kurtzer Begriff. Von den Heiligen Schrifften und deren Uebersetzungen zu seiner eigenen „Biblia“, Germantown 1743 (III), wird auf Reitz’ Version (Lk 6,5) besonders für die unter den Amerika-Immigranten heikle Frage der Sabbat- oder Sonntagsheiligung Bezug genommen, vgl. dazu Hans-Jürgen Schrader: Philadelphian Hope. The Attitudes of Pietist Immigrants in Pennsylva­ nia towards Jews. In: PuN 28, 2002, 185–212, hier 206. Philipp Matthäus Hahn beruft sich auf ihre Nutzung im Vorbericht zu seiner Luther-Revision: Die heilige Schrifften der guten Botschaft vom verheissenen Königreich, oder das sogenannte neue Testament. – Zum Dienst derer, welche sich aus den ersten Quellen der göttlichen Schriften selbst erbauen wollen, nach der heutigen teut­ schen Sprachart neu übersetzt, und mit vielen zum lautern Wortverstand leitenden Hülfsmitteln, Fingerzeigen und Erklärungen versehen. [Winterthur] 1777, I. 75 Novi Testamenti Apokrypha, Oder: Etlicher Lehr=Jünger des Herrn und Apostolischen Männer Send=Briefe [. . .] nach des Seel. Hn. Gottfr. Arnolds genauerer Verteutschung [. . .] im Format eingerichtet / daß solche Reitzens Ubersetzung des Neuen Testaments können beygefüget werden. Büdingen 1723. Vgl. Goeze, Verzeichnis seiner Samlung [s. Anm. 70], 239; Schrader, Lite­ raturproduktion [s. Anm. 8], 571 f. 71 72

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(weil sie einen revisionsbedürftigen Originaltext reproduziere) Bengel die strikte Wörtlichkeit kritisiert.76 Inwieweit aber diese Version in ihrer Begriffswahl radikalpietistische Sonderlehren begünstige, bleibt ebenso wie die Sprachleistung noch grundlegend zu untersuchen. Die Tatsache, dass sich namentlich die Inspirierten wiederholt auf die Übersetzung von Mk 3,21 / Joh 10,20 „μαίνεται“ über Jesu von den Schriftgelehrten als Besessenheit ausgelegte Entzückung – statt bei Luther (1545) „Er wird von sinnen komen“ mit „er ist gantz verstellt“ – zum Beleg für ihre Auffassung von der Heiligkeit prophetischer Ekstasen beriefen, zeigt, dass solche Recherche fruchtbar sein könnte.77 VII. Die Abfertigung des reitzschen Bestrebens um absolute Textentsprechung auch zulasten deutscher Idiomatik war in der theologischen Polemik vielleicht deshalb so gleichstimmig, weil sein Neues Testament durch das beständige Zusammenstellen außer mit dem verdächtigen Triller auch noch mit einem Extrembeispiel der Wort-für-Wort-Oberflächenübersetzung verdächtig gemacht werden konnte: Johann Jakob Junckherrots Das Neue Testament Des Herren Unserer Jesu Christi Eigentlich aus dem Griechischen Grund=Text gedollmet­ schet war ebenfalls in Offenbach 1732 erschienen, als Privatdruck eines Hen­ rich Christian Schäffer mit dessen postumer Vorrede. Die von Beate Köster mit Sorgfalt gesammelten Nachrichten über diese „Misgeburt“ (Goeze) eines „possirlichen Kauderweltsch“ (Nestle)78 lassen zweifeln, ob es sich hier über­ haupt um eine pietistische Produktion handelt, zumal da die pietistenfreund­ lich-tolerante Isenburgische Obrigkeit, um einen Skandal zu vermeiden, zur Zensur schritt und das Buch konfiszierte. Siegmund Jacob Baumgarten weiß darüber zu berichten: 76 Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Nach=Erinnerung. In: Eines Abermahligen Versuchs Zur Ubersetzung Der Lehr= und Prophetischen Bücher des Neuen Testaments [. . .] Erste Probe. Büdingen 1739, )( 3v; Johann Albrecht Bengel: Vorrede. In: Das Neue Testament zum Wachsthum in der Gnade [. . .] nach dem revidirten Grund=Text übersetzt und mit dienlichen Anmerckungen begleitet. Stuttgart 1753, XIII. 77 Mit dem Nachweis der entsprechenden Stimmen und Belege diskutiert bei Hans-Jürgen Schrader: Inspirierte Schweizerreisen. In: Lesen und Schreiben in Europa 1500–1900. Verglei­ chende Perspektiven. Hg. v. Alfred Messerli u. Roger Chartier. Basel 2000, 351–382, hier 359 f.; vgl. ders., Von Patriarchensehnsucht [s. Anm. 52], 80–83. 78 Zitate und Untersuchung bei Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 101 f. Häufiger, auch noch bei Köster, Pietismus und Bibelübersetzung [s. Anm. 3], 2398, wird Junckherrots NTÜbersetzung, deren Privatdruck von der Landesregierung rasch konfisziert wurde, wegen ihres bis zur Unverständlichkeit getriebenen Bemühens um buchstäbliche Entsprechung zur Ursprache als Kuriosum angeblich gleicher Sprachverirrung mit Reitz’ NT zusammen besprochen. Die pieti­ stische Publikationstradition Offenbachs lag bei Erscheinen dieses Machwerks bereits eine Genera­ tion weit zurück.

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Der unausbleibliche Anstos, welchen dieses Buch verursachen müssen, hat die Obrig­ keit bewogen [. . .] alle vorrätige Exemplare der ganzen auf des Verfassers Kosten veranstalteten Auflage in die gräfliche Kanzlei liefern zu lassen. Daher es sehr selten zu haben ist, indem es nie in Buchhandlungen gekommen.79

Eine recht behutsame Revision des Luther-Texts der ganzen Bibel und nicht, wie vielfach zu lesen, eine Neuübersetzung des Neuen Testaments, hat der fromme Stuttgarter Prälat Johann Reinhard Hedinger 1704 vorgelegt,80 der neben einer eigenen wiederum auch Arndts Informatorium biblicum als Vor­ rede beigegeben hat. Wenig später im selben Jahr kam das Neue Testament als Oktavausgabe auch gesondert heraus.81 Die angesichts der nur sehr behut­ samen Texteingriffe (Beate Köster hat kollationiert, dass oft über Seiten kei­ nerlei Änderung an Luthers Wortschatz konstatierbar wird) völlig maßlose Kritik der orthodoxen Kritiker weit über Hedingers Tod hinaus – Erdmann Neumeisters Spottverse hatte ich ja eingangs schon zitiert –82 zeigt, wie mas­ siv noch immer jedes erklärte Revidieren des Luther-Texts als strafwürdiges Sakrileg attackiert wurde. Durch den offenen Titelzusatz „revidirt / und von einer grossen Menge eingerissener Fehler befreyet“ hat sich der gegen jeden Schwärmerverdacht gefeite Kirchenmann die wütenden Abfertigungen wohl selbst zugezogen. Nachdem Valentin Ernst Löschers spätorthodoxe Rezensi­ onszeitschrift Unschuldige Nachrichten in umfänglicher Abfuhr den Stab über das Unterfangen gebrochen hatte, Nunmehr [. . .] trifft man eine neue methode an / Lutheri Version zu verkehren / wenn seine Arbeit in den meisten behalten / in vielen aber interpolirt / ausgestrichen und dergestalt zertrümmelt wird / daß man sie nicht mehr davor erkennen solte,83 79

Siegmund Jacob Baumgarten: Nachrichten von merckwürdigen Büchern. Bd. 8. Halle 1755,

318. 80 Biblia, Das ist: Die gantze Heil[ige] Schrifft Alten und Neuen Testaments / Nach der Teut­ schen Ubersetzung D. M. Luthers [. . .] Nach dem Grund=Text / und den bewährtisten sowohl alt= als neuen Exemplarien aufs fleissigste revidirt / und von einer grossen Menge eingerissener Fehler befreyet. Stuttgart 1704. Der Name Hedingers bleibt (auch unter seinem „Vorbericht“) ungenannt. Vgl. Hedingers zeitgenössische Biographie in Reitz, Historie Der Wiedergebohrnen [s. Anm. 63]. Teil IV. Idstein 1716, 195–206, und die persönliche Erinnerung an ihn durch den Fortsetzer dieses Sammelwerks, Johann Samuel Carl, ebd. Teil VI. Berleburg 1730, 376, beson­ ders an seine Predigt, in der er einem „Selbstmörder [. . .] die Seligkeit nicht absprach“. Zu dieser Episode vgl. Schrader, Literaurproduktion [s. Anm. 8], 90, 402; ders., Von Patriarchensehnsucht [s. Anm. 52], 78. 81 Das Neue Testament Unsers Herrn und Heylandes Jesu Christi / Nach der Ubersetzung deß seeligen Herrn D. Mart. Luthers [. . .]. Nach den besten Exemplarien Von vielen eingeschlichenen Fehlern sorgfältig corrigiert und gebessert. Stuttgart 1704. Irrig war hier meine Datierung auf 1701, Schrader, Lesarten der Schrift [s. Anm. 55], 202. Hier gibt sich Hedinger durch seine Unter­ zeichnung der Widmung als Bearbeiter zu erkennen. 82 S. o., Anm. 7. 83 Unschuldige Nachrichten Von Alten und Neuen Theologischen Sachen / Büchern [. . .] und dergleichen. Bd. 5. Leipzig 1705, 610–618, hier 607, vgl. ebd., Bd. 14. 1714, 989.

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geriet Hedinger darüber auch mit der eigenen Kirchen- und Zensurbehörde in Zerwürfnisse, worüber Johann Daniel Herrnschmidt ärgerlich an seinen Lehrmeister Francke berichtet.84 Durch die gründlichen Untersuchungen von Köster und Sommer ist dieser lange vernachlässigte Beitrag des württembergi­ schen Pietismus zur Bibelphilologie fundierter erforscht als andere, kaum aber die von ihm angestoßene Tradition späterer württembergischer Luther-Revi­ sionen.85 Schon kurz nach der umstrittenen Neuübersetzung von Reitz und der Luther-Revision von Hedinger kam, anonym herausgegeben von dem Sepa­ ratisten (Gichtelinaner) Johann Otto Glüsing, eines der interessantesten Bibel­ werke des Pietismus heraus, die Biblia Pentapla, das ist: Die Bücher der Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments / nach Fünf=facher Deutscher Verdolmet­ schung, Schiffbek und Wandsbek 1710–12.86 84 Brief Herrnschmidts an Francke vom 03.10.1704, bei Theodor Wotschke: Der Separatist Andreas Groß in Eßlingen. In: BWKG 37, 1933, 208–228, hier 225. 85 Grundlegend für Revision, Rezensionen und Rezeption Köster, Die Lutherbibel [s. Anm. 1], 171–187, 264–271; ergänzend Sommer, Hedinger als Hofprediger [s. Anm. 11], insbes. 179–181, auch Schöllkopf, Johann Heinrich Hedinger [s. Anm. 11]. – Eine abermals revidierte Neu­ ausgabe auf der Grundlage von Hedingers Luther-Revision hat dann auch der vom Pietismus zur Aufklärung hin tendierende Christoph Matthäus Pfaff (als 3. Aufl., wiederum mit Zusatz von Johann Arndts Unterricht von Lesung der Bibel, und Hedingers [. . .] Erklärungsregister), Tübingen 1745, heraus­ gebracht. Während Pfaffs Position in Kirchunionsplänen wissenschaftlich breit reflektiert ist, gibt es zu seiner Bibel-Revision noch keine gründliche Untersuchung, ebenso wenig wie zu seinem (zusammen mit Johann Christian Klemm: für das NT) 1729 f. publizierten Bibelwerk (neuerlich 1767–1770). Zu erforschen bleibt ferner, inwieweit spätere Luther-Revisionen württembergischpietistischer Theologen (Gottlob Christian Storr, Tübingen 1758 und nochmals 1793, Magnus Friedrich Roos, Tübingen 1787), daran anschließen. 86 Vgl. meine Studie mit näheren Angaben zum Herausgeber Glüsing, zu seinem Lehrer Gich­ tel und dem Altonaer Kreis der Engelsbrüder, zu den Ausgaben der jiddischen Version Witzen­ hausens im Amsterdamer Athias-Verlag und zur Transliterierung aus der hebräischen Schrift sowie zur „jüdisch-deutschen“ Sprachadaption (wahrscheinlich durch den auch das Register besorgenden Tübinger Hebraisten Matthäus Hiller), schließlich zu den spezifischen ZensurVoraussetzungen in den unter dänischer Oberhoheit stehenden Vorstädten Hamburgs, Schrader, Lesarten der Schrift [s. Anm. 55], 129–218. Dort auch Hinweise auf die sogleich nach dem Erscheinen des NT-Bandes erfolgende orthodoxe Abweisung durch den Wandsbeker Pastor Michael Berns: Endeckung [!] Des Greuel Wesens / Welches die so genandte Neue Christen / Mit der biß dahin In Wandesbeck gedruckten Biblia Pentapla vorhaben. Hamburg 1710, und auf die Rezension dieser Schmähschrift in Valentin Ernst Löschers Zeitschrift Unschuldige Nachrichten. Bd. 11, 1711, 7. Stück, 127–134. Zur Athias-Bibel grundlegend Johann Jacob Schudt: Jüdische Merkwürdigkeiten. Bd. 1. Frankfurt, Leipzig 1714, 285, zur „Pentapla“ auch Reinitzer, Biblia Deutsch [s. Anm. 13], 308 f.; Schrader, Sulamiths verheißene Wiederkehr [s. Anm. 54], 81–83 (mit Lit.); Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 100; Hermann Patsch: Arnoldiana in der Biblia Pentapla. Ein Beitrag zur Rezeption von Gottfried Arnolds Weisheits- und Väterübersetzung im radikalen Pietismus. In: PuN 26, 2000, 94–116 und ders.: Verstehen durch Vergleichen. Die Biblia Pentapla von 1710–1712. In: Die Hermeneutik im Zeitalter der Aufklärung. Hg. v. Manfred Beetz u. Guiseppe Cacciatore. Köln, Wien 2000, 113–130 sowie Schrader, Philadelphian Hope [s. Anm. 74], 196–198 und ders.: „Gedelöcke“. Der christlich-jüdische Skandalfall von 1729 in

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Diese dreibändige Fünf-Versionen-Bibel begann also im Jahr von Cansteins Ohnmaßgeblichem Vorschlag und zwei Jahre nach August Hermann Franckes mit eigener Vorrede ausgestatteter Luther-Bibel zu erscheinen. In den meisten älteren Forschungsüberblicken ist sie übergangen oder bloß deshalb am Rande erwähnt, weil sie in ihrem synoptischen Spaltenvergleich mit anderen Versio­ nen (Luther, der reformierten Übersetzung Piscators, der katholischen Main­ zer Bibel und der niederländischen Generalstaaten-Bibel) auch das reitzsche Neue Testament nachgedruckt hat. Aus jüngerer Zeit gibt es zur Pentapla einige grundlegende Arbeiten, die auch die Frage geklärt haben, wie eine sol­ che Synopse verschiedener konfessioneller Lesarten der ganzen Heiligen Schrift überhaupt publizierbar war, da doch die Zensurordnungen des Heili­ gen Römischen Reichs den Druck ausschließlich von Schriften in Überein­ stimmung mit der im jeweiligen Territorium rezipierten Landeskonfession erlaubten. Die Hamburger Vorstädte Wandsbek und Schiffbek nämlich gehörten zum dänischen Gesamtstaat, lagen also wie das ebenso durch hetero­ doxe, spiritualistische und mennonitische Druckerzeugnisse verrufene Altona außerhalb des Zugriffs der Reichszensur. Insbesondere herausgestellt wurde die Kühnheit einer programmatischen Wahrheitssuche durch die für jeden Vers vereinfachte Vergleichsmöglichkeit des in den verschiedenen Kirchen Verkündeten, vor allem aber die Verwegenheit, für das Alte Testament auch eine jüdische Version neben die christlichen zu stellen. Dafür war eine freilich aus profundester gottesdienstlicher Hebräischkenntnis geschöpfte Bibelüber­ setzung ins Jiddische, von Josel Witzenhausen, geschaffen für europäische Juden, die den Sinn vieler hebräischer Ursprungswörter auch nicht mehr klar verstanden, nun mit ungemeinem Aufwand für christliche Leser aus der hebräischen in lateinische Schrift transliteriert und der standardsprachlichen Lautung eines sogenannten ‚Judendeutsch‘ angepasst worden. Diese sprachli­ che Adaptation ist noch nicht einmal ansatzweise untersucht worden, setzt eine profunde Kenntnis des Westjiddischen voraus. Durch diese Vermitt­ lungsleistung wurde erstmals bibelforschenden Christen, die der hebräischen Schrift unkundig waren, ein Dokument jüdischen Bibelverständnisses und jüdischer Geistigkeit (auch durch den Abdruck der transliterierten Vorreden des Übersetzers sowie des Amsterdamer Verlegers der Ursprungsversion von 1979, Josef Athias)87 zugänglich. Die Reitz-Übersetzung des Neuen Testa­ ments mit ihrem Versuch einer besonders engen Anlehnung ans griechische Wilhelm Raabes Novellentransposition. In: Integration und Ausgrenzung. Studien zur deutschjüdischen Literatur- und Kulturgeschichte von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. FS Hans Otto Horch. Hg. v. Mark H. Gelber [u. a.]. Tübingen 2009, 87–113, hier 99–104. – Der ver­ gleichsweise hohe Preis von 7 Gulden, 30 Kreuzer, der für die dreibändige Bibelsynopse aufzu­ wenden war (fünfzehn mal so viel wie für ein um 30 Kreuzer zu habendes Reitz-NT), ist relatio­ niert bei Schrader, Literaturproduktion [s. Anm. 8], 260. 87 Zu dieser jiddischen Ausgabe im Amsterdamer Athias-Verlag von 1679 (mit einer Titelauf­ lage Amsterdam 1687) vgl. [Irene Faber and Edward van Voolen:] Amsterdam. In: Jüdische Lebens­ welten. Katalog. Hg. v. Andreas Nachama u. Gereon Sievernich. Frankfurt/Main 31992, 321.

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Original gewinnt in dieser Intention eher eine Statthalterrolle, weil die christ­ liche Fortschreibung der Heiligen Schrift in der Witzenhausen-Athias-Bibel natürlich fehlte. Um den Skandal eines Zugänglichmachens der jüdischen Bibelbearbeitung, ranggleich mit den lutherischen, katholischen und refor­ mierten für fromme christliche Leser möglichst gering zu halten, wurde der NT-Band zuerst auf den Markt gebracht, dem die beiden AT-Bände mit dem programmatischen Titelblatt des Gesamtunternehmens und den auch zum Vergleich gegebenen besonders verfänglichen Vorreden mit einigem Zeitab­ stand nachfolgten – dennoch wütende orthodoxe Rezensionen mit z. T. krass antijudaistischen Entgleisungen hervorrufend. Mit der philadelphisch-transkonfessionellen, sogar religionsübergreifenden Vergleichsmöglichkeit der Pentapla, die weder in die Kategorie der Revisio­ nen noch in die der Neuübersetzungen passt, war besser als je zuvor die für die pietistische Besorgnis um ein heilsnotwendiges Präziserfassen der Aussa­ gen des Heiligen Geists erwünschte und von Reitz explizit geforderte Hand­ habe, eine „Harmonie Göttlichen Wortes“, geschaffen, sich durch den synop­ tischen Vers-für-Vers-Vergleich der Lesarten an den Vollsinn eines jeden Bibelworts heranzutasten. Ununtersucht bleibt einstweilen, welche Textvor­ lagen der nebeneinandergestellten Übersetzungen der konkurrierenden Kon­ fessionen Verwendung fanden. VIII. Die Liste der Bibelarbeiten in der späteren Kulminationsphase der pietisti­ schen Bewegung ist im Umriss bekannt und wie von anderen auch von mir selbst in Handbuchartikeln wiederholt zusammengestellt, ich kann hier nur ergänzende Hinweise geben auf bislang nur randständig in Augenschein Genommenes und dabei die treibenden Impulse und übergreifenden Struktu­ ren, das typisch Pietistische also, an den so vielfältigen Berichtigungs- und Erneuerungsaktivitäten herausstellen. 1712, im Jahr der Komplettierung der Wandsbeker Pentapla, brachte der wegen spiritualistischer Verirrungen entlassene Professor der reformierten Herborner Hochschule, Henrich Horch (oder Horche), seine zusammen mit dem guten Hebraisten Ludwig Christof Schefer erarbeitete Mystische und Pro­ fetische Bibel heraus, nach ihrem Erscheinungsort auch „Marburger Bibel“ genannt.88 Wie wenig aufschließend die bis vor kurzem noch erforscht war, sieht man daran, dass diese sprachlich stark eingreifende (auf welcher Grund­ lage und ob in spezifischer Ausrichtung, bleibt zu untersuchen) Revision der 88 Mystische Und Profetische Bibel / Das ist Die gantze Heil. Schrifft [. . .] Auffs neue nach dem Grund verbessert / Sampt Erklärung Der führnemsten Sinnbilder und Weissagungen [. . .]. Wie auch Denen fürnemsten Lehren / bevoraus die sich auf diese letzte Zeiten schicken, Marburg: Johann Kürßner 1712; 2. Aufl. Marburg: Philipp Casimir Müller 1733.

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Luther-Bibel bis vor kurzem als Neuübersetzung galt.89 Wirkungsrelevant an ihr sind vor allem die in Vorreden und Annotationen beigegebenen mystischspekulativen Ausdeutungen. Schefer, mit dem zusammen Horch diese Bibel-Ausgabe erarbeitet und publi­ ziert hat, war dann auch einer der Mitarbeiter an dem 1726–1742 in acht Foliobänden unter der Leitung des vormals Straßburger Philadelphiers Johann Friedrich Haug und unter Schutz und Förderung des Sayn-Wittgenstein-Ber­ leburger Grafen Casimir herausgebrachten großen Berleburger Bibelwerk. Diese auch auf größtmögliche wörtliche Genauigkeit, bei allerdings angestreb­ ter idiomatischer Eingängigkeit, gerichtete Übersetzung ist, auch durch Stu­ dien zu ihrer Entstehung und den um sie – letztlich folgenlos – bis zu den höchsten Reichsgerichten getragenen Zensurprozess, zu ihrem Mitarbeiterstab und den in den Vorreden erläuterten Intentionen (mit Exegese des einigen Exemplaren beigegebenen philadelphischen Titelkupfers)90 sowie zum Ver­ hältnis von Text und Erläuterungen – weitgehend bekannt.91 Meist wird Bezug genommen auf ihre durchgängige, den Text um ein Vielfaches überstei­

89 Auf diese Bibel als Vorbereitungsarbeit der Berleburger hat ausführlicher schon Urlinger, Die geistes- und sprachgeschichtliche Bedeutung [s. Anm. 4], 10–15 hingewiesen, ihren Status als urtextgestützte Revision hat Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 97, herausgearbeitet. Vgl. ferner Brecht, Die Bedeutung der Bibel [s. Anm. 1], 106; Köster, Pietismus und Bibelübersetzung [s. Anm. 3], 2396. Grundlegend neuen Aufschluss bringt Ulf Lückel: Ein fast vergessener großer Berleburger: Inspektor und Pfarrer Ludwig Christof Schefer (1669–1731). Eine erste Spurensu­ che. In: Wittgenstein. Blätter des Wittgensteiner Heimatvereins 88, 2000, 137–159, hier 141, 145–149, 157; vgl. auch schon ders.: Ludwig Christof Schefer. In: Kroh / Lückel, Wittgensteiner Pietismus in Portraits [s. Anm. 42], 141–146; danach Schrader, Zores in Zion [s. Anm. 42], 177. 90 Dazu besonders Martin Brecht: Die Berleburger Bibel. Hinweise zu ihrem Verständnis. In: PuN 8, 1982, 162–200; vgl. den das gesamte historische Umfeld beleuchtenden Artikel von Hans Schneider: Der radikale Pietismus im 18. Jahrhundert. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 2: Der Pie­ tismus im 18. Jahrhundert. Hg. v. Martin Brecht u. Klaus Deppermann. Göttingen 1995, 107–197, hier 160–163. Reproduziert auch bei Andreas Kroh: Johann Friedrich Haug (1680–1735). In: Kroh / Lückel, Wittgensteiner Pietismus in Portraits [s. Anm. 42], 66–72, hier 70 sowie Schrader, Zores in Zion [s. Anm. 42], 164–169. 91 Jenseits der literaturwissenschaftlich-einflussgeschichtlichen Dissertation von Urlinger, Die geistes- und sprachgeschichtliche Bedeutung [s. Anm. 4] und den genannten Arbeiten sind wich­ tige Grundlagen bereitgestellt von Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 304–322; Hans-Jürgen Schrader: Pietistisches Publizieren unter Heterodoxieverdacht. Der Zensurfall „Berle­ burger Bibel“. In: „Unmoralisch an sich . . .“. Zensur im 18. und 19. Jahrhundert. Hg. v. Herbert G. Göpfert u. Erdmann Weyrauch. Wiesbaden 1988, 61–88; ders., Literaturproduktion [s. Anm. 8], 126–129, 189–198, 207, 433 f., 469–474; ders.: Madame Guyon, Pietismus und deutschsprachige Literatur. In: Jansenismus, Quietismus, Pietismus. Hg. v. Hartmut Lehmann [u. a.]. Göttingen 2002, 189–225, hier 213–217; dazu jüngst auch, den Kontext der das Bibelwerk tragenden phila­ delphischen Kreise Berleburgs ausleuchtend, ders. Zores in Zion [s. Anm. 42], 183 f., 188 f. und ders., „Gedelöcke“ [s. Anm. 86], 100–102. – Vgl. ferner: Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 108–110; dies., Pietismus und Bibelübersetzung [s. Anm. 3], 2397 f.; Brecht, Die Berle­ burger Bibel [s. Anm. 90]; ders., Die Bedeutung der Bibel [s. Anm. 1], 106 f. und insbesondere Lückel, Ein fast vergessener großer Berleburger [s. Anm. 89], 151–153.

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gende Kommentierung im Geist der gesamten mystischen und spiritualistischspekulativen Auslegungstradition, insbesondere der von Madame Bouvière de Guyon in quietistischer Herzenseinkehr und ekstatischer Schau aufgezeichne­ ten Bibelauslegungen. Dafür sind, wie alle Untersuchungen topisch wiederho­ len, vom Grafen selbst alle Guyonschen Bibelauslegungen ins Deutsche über­ setzt und dann in die Bibel eingearbeitet worden. Die in den Privatgemächern des Bad Berleburger Fürstenhauses aufbewahrten Bände des gräflichen Über­ setzungsmanuskripts hat aber bisher niemand näher untersucht92 (ich habe sie selbst bei meinen Arbeiten im Schlossarchiv nie in Augenschein nehmen kön­ nen). Solange sie nicht detailliert gesichtet sind, muss unklar bleiben, wie viel davon tatsächlich – wörtlich oder nur dem Sinne nach – in den Bibelkommen­ tar aufgenommen wurde, in welcher Form und etwa konzentriert auf welche Bibelpassagen das geschah und in welchem Verhältnis zu anderen ausgewiese­ nen Autoritäten oder auch ungenannten dogmatisch verdächtigen Auslegern. So unverkennbar auch der Kommentar der „Berleburger Bibel“ die starke bis in Goethezeit und Romantik fortwirkende quietistische Tradition in Deutsch­ land93 angestoßen und beeinflusst hat: Über die Gesamtheit der Quellen und 92 Der französische Guyon-Text ist zwar mit exemplarischen Ableitungen in der Bibel minu­ tiös verglichen von Jean-Marc Heuberger: Les commentaires bibliques de Madame Guyon dans la „Bible de Berleburg“. In: La Bible à la croisée des savoirs. Hg. v. Maria-Christina Pitassi. In: RThPh 133, 2001, 303–323. Auf Casimirs Handschrift im Berleburger Schlossarchiv wird dort zwar (305) hingewiesen, sie und die Art, wie der gedruckte Kommentar zur Bibel damit umgeht, ist aber auch hier nicht untersucht. Johannes Burkardt hat zwei bislang unbekannte Berleburger (auch in meiner Liste der dortigen Drucke, Schrader, Literaturproduktion [s. Anm. 8], 220, feh­ lende) Ausgaben Guyon’scher Bibelkommentare aufgefunden, von denen er mir freundlich Kopien der Titelbögen zugestellt hat: Das Buch Hiobs, erklärt von MADAME GUION. In frantzösi­ scher Sprach geschrieben / und nun treulich ins Teutsche übersetzt. [. . .] Berlenburg / gedruckt bey Christoph Michael Regelein. 1743. (und) Das Alte Testament mit Erklärungen, das Innere Leben betreffend, von Madame Jeanne Bouviere de la Mothe GUION. In zwölff Theile eingetheilet [. . .] Aus dem Frantzösischen in die Teutsche Sprache übersetzt. [o. O.] Gedruckt im Jahr JEsu Christi 1744. Hier geht aus dem „AVERTISSEMENT des Uebersetzers“, A2r, hervor, dass zuvor auch der Kommentar zur „Apocalypsis in teutscher Sprach“ veröffentlicht wurde. Vgl. dazu Michael Knieriem / Johannes Burkardt: Die Gesellschaft der Kindheit Jesu-Genossen auf Schloß Hayn. Aus dem Nachlaß des von Fleischbein und Korrespondenzen von de Marsay, Prueschenk von Lindenhofen und Tersteegen 1734 bis 1742. Ein Beitrag zur Geschichte des Radikalpietismus im Sieger- und Wittgensteiner Land. Hannover 2002, 69 f. Ob es sich um einen Teil der Überset­ zung des Grafen Casimir handelt und in welchem Verhältnis sie zur Berleburger Bibel stehen, bleibt aber noch zu klären. Die Aussagen der Forschung beruhen statt auf Autopsie weithin auf dem Hinweis der Vorrede zum Ersten Teil, 1726 [s. Anm. 35], )(4v, die unter Verweis auf die Bibel erläuternde göttliche Offenbarungen von Jane Leade, Antoinette Bourignon und Johanna Eleonora Petersen aussagt: „Umsovielweniger hat man nun die so berühmt= als geistreichen Erklärungen der [. . .] Mad. De Guyon diesem Werck vor andern mehrentheils einzuverleiben Bedencken getragen / nachdeme solche erbauliche Schrifften durch die Vorsehung GOttes von einer Hohen Stands=Person sind übersetzt und dazu communiciret worden; die auch dieses Werck mit Dero Freygebigkeit zu unterstützen angetrieben wird / [. . .] da also mancher / der kein Frant­ zösisch verstehet [. . .] der Mad. De Guyon Biblische Wercke zugleich übersetzt bekommt.“ 93 Jüngste Übersicht (mit Lit.): Schrader, Madame Guyon, Pietismus und deutschsprachige Lite­ ratur [s. Anm. 91].

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Einflusslinien des monumentalen Kommentarwerks fehlt noch jede Untersu­ chung. Sie böte reichlich Stoff für einen monographischen Zugriff. Zu beden­ ken bleibt auch, wie sich der Kommentar durch die lange Zeit der Bearbeitung und den Wechsel der Mitarbeiter verändert. Denn der Eindruck drängt sich auf, dass nach dem Verschießen des besten Pulvers an Gelehrsamkeit und spe­ kulativen Deutungen beim jeweils ersten Auftauchen eines zur Kommentie­ rung reizenden Sachverhalts oder Gedankens die Erläuterungen in häufig geistlosen Leerlauf erbaulichen Paraphrasierens verfallen. Für die Übersetzung bleibt auch zu klären, eine wie maßgebliche Bedeutung die Vorgaben Luthers und anderer deutscher Übersetzer in der Auseinandersetzung mit der urtextli­ chen Vorgabe gewinnen konnten. Denn keine der pietistischen Neuüberset­ zungen ist ohne beständiges Konsultieren der früheren Versionen, grundle­ gend allemal derjenigen Luthers, entstanden. Von seiner geistigen Herkunft und Programmatik mit den Berleburgern verwandt war der als „Titotheus Philadelphus“ mit einer neuen Bibelüberset­ zung hervortretende Arzt Johann Kayser. Wie Johann Friedrich Haug hatte auch er (nach Maßregelungen wegen separatistischer Verirrungen bereits 1699 am Tübinger Stift) schon früh (1710 in Stuttgart) einen philadelphischen Zirkel gegründet und sich später den Inspirierten angeschlossen, mit denen er bald in Zerwürfnisse geriet. Seine Neuübersetzung der synoptischen Evange­ lien und der Apostelgeschichte von 1733/34 war zufolge der knappen Kenn­ zeichnungen von Beate Köster aber nicht auf wörtliche Texttreue gerichtet, sondern sollte, teilweise paraphrasierend und mit erläuternden Interjektionen, programmatisch (vgl. die Vorrede zum Ersten Teil) auf die Hinführung der Juden zur Jesus-Botschaft gerichtet sein. 1735 kam separat das JohannesEvangelium, aufgefasst „im Sinn der Mystik Jakob Böhmes“, hinzu. Mit geringen Änderungen übernahm Kayser diese Partien dann in seine Ausgabe des gesamten NT, wobei der Titel Das Neue Testament nach dem Buchstaben und buchstäblichen Verstand des Grund-Textes übersetzt, o. O. 1735, das gemeinpieti­ stische Bestreben nach möglichster Präziserfassung jeder Nuance der Bot­ schaft des Heiligen Geists wieder aufnimmt. Detailliertere Untersuchungen fehlen auch hier.94 Mit dem Berleburger Bibelwerk und seinen Erarbeitern auch personell aufs engste verknüpft ist sie die erste Bibelausgabe überhaupt, die in einer europä­ 94 Alle Angaben zur Übersetzung nach Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 102 f. und dies.: Pietismus und Bibelübersetzung [s. Anm. 3], 2398. Titelaufnahmen bei Gottfried Mälzer: Die Werke der Württembergischen Pietisten des 17. und 18. Jahrhunderts. Berlin, New York 1972, 180 f. (Nrn. 1370–1373). Zu Kayser, seiner philadelphischen Gemeinschaft, zeitweisen Nähe zu den Inspirierten und späteren Streitschriftenfehde mit ihnen vgl. Ulf-Michael Schneider: Propheten der Goethezeit. Sprache, Literatur und Wirkung der Inspirierten. Göttingen 1995, 111 (polemi­ sches Gedicht Johann Friedrich Rocks) und 212 (Streitschrift Johann Adam Grubers); Schneider, Der radikale Pietismus im 18. Jahrhundert [s. Anm. 90], 113, 161, 168 sowie Eberhard Fritz: Radi­ kaler Pietismus in Württemberg. Religiöse Ideale im Konflikt mit gesellschaftlichen Realitäten. Epfendorf/Neckar 2003, 53 und 77.

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ischen Sprache in Nordamerika gedruckt werden konnte (wo man wegen eines Privilegs für die britische St.-James-Bibel zuvor ganz von Importen abhängig war). Der aus Wittgenstein nach Pennsylvanien eingewanderte Pio­ nier deutsch-amerikanischer Druckerarbeit hat sie (mit aus Frankfurt bezoge­ nen deutschen Fraktur-Schrifttypen) auf der von ihm selbst zusammengebas­ telten Quartformat-Presse gedruckt, die er von seinen Gesinnungsfreunden aus Berleburg beziehen konnte (wo man das alte Gerät wegen der für die Ber­ leburger Bibel angeschafften Folio-Presse nicht mehr brauchte): BIBLIA, Das ist: Die Heilige Schrift Altes und Neues Testaments [. . .] Mit [. . .] Summarien, auch [. . .] Parllelen [sic!]; Nebst einem Anhang [. . .]. Germantown (Stadtteil von Phil­ adelphia) 1743.95 Sauer verwendet zwar als Grundtext eine hallische LutherRevision, in die er fallweise aber Berleburger Übersetzungesvarianten ein­ baut, und er bedauert im Vorwort, dass ihm Raum und Kraft fehlen, zu noch präziserer Sinnerfassung nach dem Vorbild der Pentapla eine Synopse von „anderer Uebersetzungen Unterschied auf diesen Platz gegen ein ander zu set­ zen [. . .] als: Froschauers / Piscators Horchens / die Berleburger, Zu ge­ schweigen die Jüdisch-Teutsche [. . .]“96 – und auf Wunsch liefert er seine Bibel alternativ mit einem Anhang der Apokryphen, die er der Berleburger Bibel entnimmt.97 So bietet er gleichsam ein Resümee der vereinigten pietisti­ schen Anstrengungen um die Bereitstellung eines den ursprachlichen Offen­ barungen des Heiligen Geistes möglichst präzis entsprechenden deutschen Wortlauts und kennzeichnet deren soziologisch wie geographisch weiträu­ migste Verbreitung. IX. Für die enorme Gemeinschaftsleistung der Berleburger Philadelphierkreise ist vorbereitend eine ganze Serie von speziellen Lexika und Hilfsbüchern sowohl für die Klärung hebräischer Wortbedeutungen und dunkler Stellen als 95 Zu den abenteuerlichen Voraussetzungen dieses ersten amerikanischen Bibeldrucks vgl. meinen Exkurs „Die Berleburger Presse und die Anfänge radikalpietistischer Literatur in Ame­ rika“ in Schrader, Literaturproduktion [s. Anm. 8], 223–227, 236, 252, 475; Überblick zu Sauers Biographie und Bibeldruck bei Konstanze Grutschnig-Kieser: Der „Geistliche Würtz= Kräuter= und Blumen=Garten“ des Christoph Schütz. Ein radikalpietistisches „Universal-Gesang=Buch“. Göt­ tingen 2006, 208. 96 Christoph Sauer: Kurtzer Begriff. Von den Heiligen Schrifften und deren Uebersetzungen. In: Biblia, Das ist: Die Heilige Schrift Altes und Neues Testaments. Germantown 1743, Vorbe­ richt, [I]. 97 Zu Sauer und seiner Bibelausgabe vgl. auch Donald F. Durnbaugh: Christopher Sauer. Penn­ sylvania-German Printer. His Youth in Germany and Later Relationships with Europe. In: The Pennsylvania Magazine of History and Biography 82, 1958, 316–340; zu Herkommen und Jugend 319–322; ders.: Johann Christoph Sauer I. and Maria Christina Sauer. In: The BrEnc 2, 1983, 1147 f. und ders.: Sauer Bibles [und] Sauer Press, ebd., 1149; neuerdings Schrader, Philadel­ phian Hope [s. Anm. 74], 186–190, 193, 198, 203, 206.

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auch für die Auslegung erarbeitet worden. Das gibt Anlass zu einer Erinne­ rung an den enormen Aufschwung – Hand in Hand mit dem pietistischen Übersetzungs- und Revisionsbemühen – der gräzistischen und hebraistischen Grundlagenforschung. Speners und Franckes eigene gelehrte Arbeiten auf die­ sem Gebiet und vor allem ihre akademischen Institutionen, um entsprechende Kenntnisse für die Bibelexegese auszubreiten, sind gut untersucht, kaum aber die entsprechenden Leistungen etwa von Heinrich May und Andreas Kempf­ fer in Gießen.98 Maßgebliche Geltung gewannen Johann Heinrich Michaelis’ 1720 im Halleschen Waisenhaus schon im Titel programmatisch als philologi­ scher Neubeginn ausgelobte Biblia Hebraica ex aliqvot manuscriptis et complvribus impressis codicibvs [. . .] diligenter recensita99 und Johann Albrecht Bengels ebenso philologisch richtungweisendes Griechisches Neues Testament von 1734 mit Nachweis der varianten Überlieferungen. Daran konnten die kommentato­ risch-exegetischen Arbeiten anknüpfen, namentlich Johann David Michaelis’ Neuübersetzung des Alten und des Neuen Testaments mit seinen Anmerkun­ gen für Ungelehrte,100 Bengels Gnomon Novi Testamenti von 1742 und noch 1776 Friedrich Christoph Oetingers Biblisches und Emblematisches Wörterbuch.101 Von den propädeutischen Arbeiten zum Berleburger Bibelwerk sind güns­ tigstenfalls die Verfasser und Buchtitel bekannt, 1719 Christoph Seebach: Aufgeschlossene ACCENTUATIO METRICA [. . .] Der Psalmen Davids / Der Sprüch= Wörter Salomonis / Und Des Buchs Hiob, 1720 Ludwig Christoph Schefer: Scho­ resch Dawar Oder Hebreisches Wörter=Buch, 1724 und, ebenso in Berleburg übersetzt und gedruckt, Robert Gell: REMAINS oder übergebliebene Brocken: das ist Unterschiedene auserlesene Schrifft=Texten des Neuen Testaments, und ferner 1724 Henrich Bernhard Kösters etymologie-spekulatives Handbuch: Schlüssel der [. . .] Hebräisch=Griechisch=Teutschen Harmonie, 1727 Georg Burkhard Rümelin: LEXICON BIBLICUM in quo Omnes [. . .] in Veteri Testamento [. . .] voces, 98 Ihre und die Flut weiterer Neuausgaben der Biblia Hebraica in der Frühzeit des Pietismus sind resümiert bei Gustav Adolf Ludwig Baur: Einleitung zu seiner Edition: Andreas Kempffers Selbstbiographie. Nach der Giessener Handschrift. Leipzig 1880, 3–18. 99 Vgl. Karl Heinrich Rengstorf: Johannn Heinrich Michaelis und seine ‚Biblia Hebraica‘ von 1720. In: Zentren der Aufklärung I: Halle. Aufklärung und Pietismus. Heidelberg 1989, 15–64. 100 Johann David Michaelis: Deutsche Übersetzung des Alten Testaments mit Anmerkungen für Ungelehrte. 13 Bde. Göttingen 1769–1785. 21773; ders.: Übersetzung des Neuen Testaments, 2 Teile. Ebd. 1788–1790; ders.: Anmerkungen für Ungelehrte zur Übersetzung des Neuen Testa­ ments. Ebd. 1790–1792. Nach Anna Ruth Löwenbrück: Johann David Michaelis et les débuts de la critique biblique. In: Le siècle des Lumières et la Bible. Ed. par Yvon Belaval et Dominique Bourel. Paris 1986, 113–128. 101 Zu diesen Arbeiten Grundinformationen (mit Lit.) bei Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 111; Brecht, Die Bedeutung der Bibel [s. Anm. 1], 108–110; Köster, Pietismus und Bibel­ übersetzung [s. Anm. 3], 2399. Das Oetingersche Wörterbuch liegt in einer grundlegend eingeführ­ ten und opulent kommentierten kritischen Neuedition vor, deren Kommentarband mit Aufsätzen zum Thema angereichert ist, Friedrich Christoph Oetinger: Biblisches und emblematisches Wörter­ buch. Hg. v. Gerhard Schäfer [u. a.], Teil I: Text, Teil II: Anmerkungen. Berlin, New York 1999, vgl. auch Pierre Deghaye: La mystique protestante. Oetinger. In: Belaval / Bourel, Le siècle des Lumières et la Bible [s. Anm. 100], 481–509.

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verba [. . .] ac nomina [. . .] recensuntur, schließlich Vorarbeiten für die Kommen­ tierung und Exegese, 1732–1734 von Johann Samuel Carl eine MYSTICA MARCI, eine THEOLOGIA MORALIS [. . .] aus der Evangelischen Historie Lucä, eine THEOCRATIA N. T. in der Apostolischen Haushaltung, schließlich eine Medicina mentis [. . .] aus Marco & Luca und noch 1736–1740 spezielle exegetische Arbei­ ten des Guyon-Popularisators Charles Hector de Marsay zur Genesis und zum Römerbrief, zum Hebräerbrief und zur Apokalypse.102 Solche Anstren­ gungen aus dem radikalen Pietismus bleiben in ihren Textgrundlagen und im Grad ihrer Texttreue, aber auch unterschiedlichen Zielsetzung abzugrenzen von den ursprachlichen Editionen desselben Zeitraums. Um einiges günstiger steht es um die Erforschung der Bibel-Versionen von Zinzendorf, seiner mit eigener Vorrede eröffneten Luther-Revision, der Ebersdorfer Bibel von 1726/27, und der beiden genialisch freien, z. T. mit kärglichen Hilfsmitteln auf hoher See unternommenen Teilübersetzungen oder eher Paraphrasen aus dem Neuen Testament im für die Zeitgenossen befremdlichen Kavalierston 1739 und 1741.103 Als Bibeleditor ist schließlich auch Zinzendorfs schärfster Gegner innerhalb des Pietismus, Johann Philipp Fresenius, hervorgetreten. Seine revidierte Luther-Bibel von 1751 mit einem Anhang von Kirchengesängen, deren 6. Auflage von 1765 die Hausbibel seines Taufkindes Johann Wolfgang Goethe wurde, hat jüngst zwar eine spezielle Untersuchung gefunden, die auf Pro­ gramm und Textspezifika allerdings kaum eingeht.104 Ebenso bleibt die inno­ vatorische Leistung von Bengels erst postum 1753 herausgegebener NT102 Die bibliographischen Angaben, Informationen über die Verfasser, Verleger und Förderer und die Bedeutung für die Übersetzung und Kommentierung der Berleburger Bibel sind ausge­ wiesen (und mittels des Registers leicht zu finden) bei Schrader, Literaturproduktion [s. Anm. 8], die alttestamentlichen Übersetzungshilfen, Studien und Kommentare (mit Lit.) auch vorgestellt bei Ders., Sulamiths verheißene Wiederkehr [s. Anm. 54], insbes. 80 f., zu Schefers Wörterbuch Schoresch Dawar auch Lückel, Ein fast vergessener großer Berleburger [s. Anm. 89], 144 f., 148; die detailliertere Forschung steht aber durchweg noch aus. Ergänzende Informationen in meinem Bei­ trag: Fürstengnade und Lotterie: Modalitäten der Finanzierungen der Berleburger Bibel. In: Pie­ tismus und Ökonomie. Hg. v. Wolfgang Breul [u. a.] (2015, im Druck). 103 Zur Programmatik und (in Abwehr der sofort heftig ausbrechenden Kritik) Apologetik der Abweichungen vom Luther-Text und der oft bis zur Paraphrase freien Neuübersetzungen in den Vorreden schon Quack, Evangelische Bibelvorreden [s. Anm. 5], 283, vgl. Köster, „Mit tiefem Respekt“ [s. Anm. 2], 103–108; Brecht, Die Bedeutung der Bibel [s. Anm. 1], 107 f.; Köster, Pietis­ mus und Bibelübersetzung [s. Anm. 3], 2398 f. – Alle Bibelarbeiten Zinzendorfs und die recht umfängliche ältere Sekundärliteratur sind nachgewiesen bei Dietrich Meyer: Bibliographisches Handbuch zur Zinzendorf-Forschung. Düsseldorf 1987. – Eine ganz neue Grundlage für die historisch-biographische Verortung, die Frage der Mitarbeiter, die Besonderheit der einzelnen Bücher sowie Einflüsse und Kritik bietet demnächst die von Kai Dose kommentierte Neuausgabe im Rahmen der Zinzendorf-Edition, Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Werke, 7/1: Biblische Schriften. Göttingen (voraussichtlich 2014). 104 Henri Plard: La Bible luthérienne de Fresenius. In: Belaval / Bourel, Le Siècle des Lumières [s. Anm. 100], 441–448.

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Übersetzung und dem NT von Philipp Matthäus Hahn, Die heiligen Schriften der guten Botschaft, 1777, im Konzert der pietistischen Bibelbemühungen trotz älterer Vorarbeiten105 noch im Detail zu erforschen und in Stellenwert und Wirkung deutlicher zu ermessen. So bleibt noch viel zu tun, auch um verbreiteten Vorurteilen über den pie­ tistischen Beitrag zur Deutschen Bibel gegründeter begegnen zu können. Dass die radikalen Pietisten kein rechtes Verhältnis zur Bibel gewonnen hätten, insofern ihnen die Offenbarungen ihrer inneren Stimme immer wichtiger gewesen seien als das kodifizierte Wort,106 dürfte schon durch das Ausge­ führte widerlegt sein: Nicht allein ist der Anteil beträchtlich, den die unduld­ samen Kirchenkritiker und Heterodoxen an der zuverlässigen Fundierung der biblischen Botschaft im 18. Jahrhundert gewonnen haben, sie wurden auch viel stärker als andere von der existentiellen Besorgnis umgetrieben, ihnen könnte vom göttlichen Wort durch das Verfehlen einer Nuance etwas viel­ leicht für ihr Heil Bedeutsames entgehen oder missverständlich bleiben. Und zu relativieren ist auch die oft wiederholte Behauptung, da allen diesen Bemühungen die Sprachkraft und Eingängigkeit der Lutherschen Überset­ zung fehle, sei ihnen allen ein nur geringer Erfolg beschieden gewesen, in der Breite des Volkes seien sie kaum heimisch geworden. Selbstverständlich kann man keine der pietistischen Neuübersetzungen an den Auflagenzahlen und der Wirkung der Luther-Bibel messen. Ich hoffe aber, gezeigt zu haben, dass die Luther-Bibel im 18. Jahrhundert selbst schon in ihren erst jetzt unver­ gleichlich riesigen Auflagenzahlen ein Produkt pietistischer Nachsorge, Berei­ nigungsbemühung und Verbreitungsstrategie geworden war – wovon die hinzugetragenen pietistischen Vorreden Kunde gaben. Und: die daneben gestellten oder diesen Grundtext umstellenden Angebote zu einem vertieften Bibelstudium waren eben nicht in Konkurrenz zu diesem durchweg in Ach­ tung und Gebrauch gehaltenen und als Basis und Richtschnur aller neuen Bemühungen genutzten Fundamentalwerk einer Deutschen Bibel gesetzt, vielmehr sollte dieser auch für die katholischen und reformierten Übersetzun­ gen grundlegenden Kirchen- und Hausbibel der Deutschen ein Angebot punktueller Nachbesserung und aufschließender Ergänzung für das Heimstu­ dium und die Konventikelarbeit an die Seite gestellt werden. Neun wieder­ holte Abdrucke wie etwa für das reitzsche Neue Testament sind freilich kein Indiz einer mangelnden Nachfrage und Durchsetzungskraft. Selbst so um­ fängliche und teure Werke wie die acht Folianten der Berleburger Bibel konnten unter Frommen, denen der Erwerb geistlicher Nahrung zum eigenen Seelen­ heil hohe Aufwendungen wert war, erstaunliche Verbreitung finden, bis hin­ ein in sonst lektüreungewohnte Schichten.107 105

Für Bengel und Hahn s. o., Anm. 51 u. 76 bzw. 4 u. 74. So andeutungsweise noch bei Brecht, Die Bedeutung der Bibel [s. Anm. 1], 102, vgl.110 f. 107 Allein auf der Grundlage ausgewerteter Nachlassverzeichnisse wird allerdings eine so weit­ räumige Verbreitung der neuen Bibelausgaben bei Etienne François: Les protestants allemands et la 106

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Ulrich Bräker, der arme Landmann im Toggenburg, hat berichtet, wie er als knapp Dreißigjähriger um 1767 die bei den benachbarten pietistischen Bauern seiner Ostschweizer Talschaft angeschafften Bücher auf der Suche nach Lebensorientierung und Seelenheil mit Eifer durchstudiert hat, darunter zur Gänze auch dieses so opulent kommentierte Bibelwerk: Lange Zeit wendete ich jeden Augenblick, den ich nun immer entbehren – aber eben bald auch manchen, den ich nicht entbehren konnte, auf’s Lesen an; schnappte jedes Buch auf, das mir nur zu erhaschen stuhnd; hatte itzt wirklich 8. Foliobände von der Berlenburger=Bibel vollendet.108

Noch als 52jähriger denkt er in seinem Tagebuch am 13. Februar 1788 an diese Lektüre zurück, kann aber nun, zur Volksaufklärung hingewendet, nicht mehr unterscheiden, ob ihn damals hinter der Sorge um sein Seelenheil vielleicht schon der Wunsch, er könne in einem Buch, das doch die Quintes­ senz aller Weisheit und Wohlfahrt enthalten musste, zu einem besseren Leben finden, zu seinem Lesen motiviert hatte: O wie ich mich in gehürsch und – laborinthe verwickelt – abgezapelt – abgehärmt – und dem tode nahe – wikelte mich endlich loß – suchte von neüem, lebensgenuß wünschte gefehrten – freünde – fieng an bücher zulesen – um die kunst zulehrnen – meines lebens zugeniessen – lase die berlenburgische bibel – Antoinette Burignon – und allerhand mistische schrifften – wurde gantz confus – kratzte mir in den haaren – und wuste weder auß noch an.109 Bible. Diffusion et pratiques. In: Belaval / Bourel, Le Siècle des Lumières [s. Anm. 100], 47–58 wei­ terhin auf allein pietistische (und da überwiegend bürgerliche) Kreise begrenzt gesehen und beson­ ders auf deren abergläubischen Gebrauch durch Däumeln oder Bibelstechen abgehoben. Doch ist diese durch die Fährnisse des dinglichen Aufbewahrens in den Haushalten getrübte Quellenbasis für Aussagen über den im 18. Jahrhundert vielgliedrig und massenhaft anwachsenden Biblizismus (vgl. allein die Auflagenzahlen der Stereotypdruck-Bibeln Anm. 14!) viel zu einseitig und gibt ein absolut verzerrtes Bild. 108 Ulrich Bräker: Lebensgeschichte und Natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tocken­ burg. Hg. v. H. H. Füßli. In: Ders.: Sämtliche Schriften. Bd. 4: Lebensgeschichte und vermischte Schriften. Bearb. v. Claudia Holliger-Wiesmann [u. a.]. München, Bern 2000, 485, vgl. 391 f., vgl. dazu Bd. 5: Kommentar und Register. Bearb. v. Christian Holliger [u. a.]. München, Bern 2000, 797 f. 109 Ulrich Bräker: Tagebuch 1787–1788. In: Ders.: Sämtliche Schriften. Bd. 2: Tagebücher 1779–1788. Bearb. v. Heinz Graber [u. a.]. München, Bern 1998, 653, vgl. dazu Bd. 5: Kommen­ tar [s. Anm. 108], 438 f. – Zu Bräkers pietistischen Lektüren vgl. ferner: Chronik Ulrich Bräker. Auf der Grundlage der Tagebücher 1770–1798. Hg. v. Christian Holliger [u. a.]. Bern, Stuttgart 1985, 318 f., vgl. 21, 68 und 123–126; Schrader, Literaturproduktion [s. Anm. 8], 307–313, 323 f., 511–513 (mit Lit.); ders., Inspirierte Schweizerreisen [s. Anm. 77], 363 f. sowie ders.: Sphären­ sprünge vom Landleben zur Literatur. Von Bräker bis Brandstetter. In: Schreibsucht. Autobiogra­ fische Schriften des Pietisten Ulrich Bräker (1735–1798). Hg. v. Alfred Messerli u. Adolf Muschg. Göttingen 2004, 93–115, hier 94–102. Ein interessantes Analogon zum gemeinsamen Besitz der Berleburger Bibel unter den nachbarschaftlichen Bauern im Toggenburg ist, ebenfalls in ländlicher Schweizer Region, der Fall des „Schärers“ (Lohnarbeiters) Hans Rudolf Bosshardt, der 1795 dieses Bibelwerk „als Gemeinschaftsbesitz mit sieben anderen Teilhabern“ zu eigen hatte. Nachweis: Balz Spörri: Studien zur Sozialgeschichte von Literatur und Leser im Zürcher Oberland des 19. Jahrhunderts. Bern, Frankfurt 1987 , 43–48.

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MARTIN BRECHT

Bibelauslegung bei Friedrich Christoph Oetinger nach seinem Biblischen und Emblematischen Wörterbuch 1969, vor mehr als vierzig Jahren hat die Historische Kommission zur Erforschung des Pietismus das Thema Pietismus und Bibel bereits einmal auf einer Tagung behandeln lassen. Damals war mir das Referat über Johann Albrecht Bengel und der schwäbische Biblizismus übertragen worden.1 Weil dabei auch die Spannungen zwischen pietistischer Bibelauslegung und kritischhistorischer Exegese problematisiert wurden, kam es zu einer lebhaften, nach­ her sogar dokumentierten Diskussion mit einem Vertreter des Pietismus aus Württemberg.2 Heute, in einem meiner vermutlich letzten Vorträge, möchte ich mich dem Gegenstand eher bewundernd als kritisch nähern. Eigentlich einsetzen möchte ich dieses Mal mit einem weiteren gedenken­ den Hinweis. Im April 2012 ist der ehemalige Oberkirchenrat D. Konrad Gottschick im Alter von 98 Jahren gestorben, ehemals einer der Vorsitzenden der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus. Sein Nachfolger in dieser Funktion wurde der ehemalige Archivdirektor D. Dr. Gerhard Schä­ fer (1923–2003), unter anderem der Herausgeber der Kritischen Ausgabe von Friedrich Christoph Oetingers (1702–1782) Biblischem und Emblematischem Wörterbuch (1999).3 Er hatte das nicht ohne weiteres homogene Herausgeber­ team koordiniert und das Erscheinen des Werkes auch gegen Widerstand sogar aus der Pietismusforschung durchgesetzt. Dass sich das Unternehmen trotz Vorliegen eines Reprints des Wörterbuchs4 gerechtfertigt hat, dürfte heute kaum mehr bezweifelt werden. Neben dem Text der beiden Versionen des Wörterbuchs (1759 und 1776) sowie den kompetenten Einführungen in die Sparten von Oetingers Gedankenwelt ist ein griffiger Apparat beigegeben, 1 Martin Brecht: Johann Albrecht Bengel und der schwäbische Biblizismus. In: Pietismus und Bibel. Hg. v. Kurt Aland. Witten 1970, 193–218. 2 Vgl. Hermann Feghelm: Diskussionsbeitrag. In: Pietismus und Bibel [s. Anm. 1], 219–226 und Martin Brecht: Erwiderung. In: Pietismus und Bibel [s. Anm. 1], 227–229. 3 Friedrich Christoph Oetinger: Biblisches und emblematisches Wörterbuch. Hg. v. Gerhard Schä­ fer [u. a.]. Berlin 1999. 4 Friedrich Christoph Oetinger: Biblisches und emblematisches Wörterbuch. Dem Tellerischen Wörterbuch und Anderer falscher Schrifterklärungen entgegen gesezt. Mit einem Vorwort v. Dmitrij Tschižewskij. 2. ND der Ausg. Stuttgart 1776. Hildesheim 1987.

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der zum Verstehen der vielfachen Anspielungen des Autors unbedingt not­ wendig ist. Es liegt also eine respektable Ausgabe des reifen Spätwerks Oetin­ gers vor. Zusammen mit seiner Theologia ex idea vitae – sie wird auch im Wör­ terbuch als einzig mögliches Kompendium empfohlen – und seiner Lehrtafel sowie nunmehr auch seiner Autobiographie sind somit wichtige Hauptwerke Oetingers erschlossen und das in Editionen der Historischen Kommission. 5 Vom Genus her lässt sich das Wörterbuch dem Gnomon Novi Testamenti Ben­ gels (1742)6, also dessen berühmt gewordener präzisen Auslegung des gesam­ ten Neuen Testaments zur Seite stellen, die man mit Gewinn bis heute heran­ ziehen kann. Bengel hatte darin seine große Stärke als Ausleger, die genaue, volle und vor allem treffende Erfassung des biblischen Worts bewiesen, die vorbildlich geworden ist nicht allein für die Theologie, sondern ebenso für Philosophie und Dichtung. Innerhalb der Entwicklung des Pietismus hatten sich Bengels geistige Vitalität und Potenz nach den bei den Repräsentanten in Halle sich bemerkbar machenden Schwächen ebenso unter Beweis gestellt. Steht damit Bengels herausragende Bedeutung als Bibelausleger außer Zwei­ fel, stellt sich die Frage, wie abgesehen von seinem unbestrittenen Beitrag für den spekulativen Pietismus der Rang Oetingers als kreativer Exeget einzu­ schätzen ist. Er gehörte ohne Zweifel zu den herausragenden Repräsentanten der Bengel-Schule und gab dies u. a. im Artikel Rechnen des Wörterbuchs auch ausdrücklich und ganz uneingeschränkt zu erkennen.7 Mit Bengel gemeinsam war ihm eine stupende Vertrautheit mit den Texten der Bibel, die in seinen eigenen Ausführungen ausgewiesen oder häufig auch stillschweigend geradezu omnipräsent sind. Eine Einschätzung des Bibeltheologen setzt neben der Beschäftigung mit Oetingers Bibelauslegungen die mit seinem Wörterbuch der biblischen Begriffe voraus. Dabei müsste es um seine kreative oder auch eigenwillige Erfassung der biblischen Begriffe, Sachverhalte und Zusammen­ hänge, also um seine spezifische Bibelphilologie, gehen. Dazu ist es jedoch m. E. auch nach dem Erscheinen der kritischen Edition nicht in merklichem Ausmaß gekommen. Die Editionen der Pietisten-Korrespondenzen mit ihrem Reichtum an historischen Informationen haben es da leichter. Um den im Wörterbuch liegenden Schatz zu heben, bedarf es eigener Bemühung, konkret des Lesens und (des mehrmaligen) Wiederlesens, verbunden mit entsprechen­ dem Nachdenken. Obwohl ich nicht eben ein Oetinger-Experte bin, besteht meine direkte Absicht darum darin, für eine Beschäftigung und Befassung mit

5 Friedrich Christoph Oetinger: Die Lehrtafel der Prinzessin Antonia. Hg. v. Reinhard Breymeyer u. Friedrich Häussermann. Berlin, New York 1977; Friedrich Christoph Oetinger: Theologia ex idea vitae deducta. Hg. v. Konrad Ohly. Berlin, New York 1979; Friedrich Christoph Oetinger: Genealo­ gie der reellen Gedancken eines Gottes-Gelehrten. Eine Selbstbiographie. Hg. v. Dieter Ising. Leip­ zig 2010. 6 Johann Albrecht Bengel: Gnomon Novi Testamenti. In quo ex nativa verborum vi simplicitas, profunditas, concinnitas, salubritas sensuum coelestium indicator. Tübingen 1742. 7 Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 269 f., hier 269.

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dem Wörterbuch zu werben, indem der spannende Vorgang von dessen Bibel­ rezeption vergegenwärtigt wird. Dafür will ich mich wie schon so oft mit meinen Publikationen der Aufgabe des vorweggehenden Lesens unterziehen. Eine erfolgreiche Aneignung des Werks würde den Rezipienten wohl nicht unberührt lassen. Zusätzlich bietet das Wörterbuch auch allerhand Verstehens­ hilfe für die komplexen Zusammenhänge von Oetingers Theologie, die damit besser verstanden und beurteilt werden kann. Hilfreich dürften einige Hinweise zur historischen Einordnung Oetingers sein. Er wusste sich, wie gesagt, in der Schülerschaft des von ihm als Autorität hoch geachteten Johann Albrecht Bengel, auf den häufig respektvoll verwie­ sen wird. Kein Pfarrer und Student dürfe sein, der sich nicht Bengels apoka­ lyptisches System bekannt mache. Aber derzeit lese man lieber Belletristik anstatt sich von der Johannesoffenbarung betreffen zu lassen.8 Das Wörterbuch wurde darum stark beeinflusst durch die Exegetica Bengels, die sich vor allem mit der Johannesoffenbarung beschäftigten.9 Deren Sprach- und Vorstel­ lungsbestände wurden auch für das Wörterbuch und für die dahinter stehende Konzeption bestimmend. Für eine geschichtlich-eschatologische Ausrichtung war das angemessen, wenn auch die problematischen und auf die Dauer unhaltbaren Konstruktionen Bengels gelegentlich die Ausführungen Oetin­ gers präformierten. Dies gilt auch für die Übernahme von Bengels anderer Speziallehre vom ausgegossenen Blut Christi als Gnadenmittel: „O des grossen Worts! Das lernen wir hier nicht aus.“ Man soll sich dafür mit dem Gemüt in den Tempel und in die Stiftshütte begeben.10 So kann man mit einigem Recht das Wörterbuch als Produkt der Bengel-Schule bezeichnen. Oetinger wusste sich darüber hinaus auch als in der größeren Genealogie des Pietismus stehend. Ganz allgemein, aber prinzipiell wird festgestellt: „Wer nicht Uebung [ge]braucht in der Gottseeligkeit, der siehet die Dinge des neuen Testaments nur obenhin“.11 Spener und Arndt brachte Oetinger iden­ tifizierend in Zusammenhang mit den Verkündigungsengeln in Apk 14.12 Zu diesen Offenbarungsträgern gehörten auch noch Jakob Böhme (1575–1624) und sein Werk, das Oetinger mit seiner Konzeption des Gott-Welt-Prozesses zu pass kam. Böhme wird ausführlich als „Prophet der Schöpfung“ gewürdigt 8

Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 196. Vgl. Johann Albrecht Bengel: Erklärte Offenbarung Johannis und vielmehr Jesu Christi. Aus dem revidirten Grund-Text übersetzet. Durch die prophetischen Zahlen aufgeschlossen. Und Allen, die auf das Werk und Wort des Herrn achten, und dem, was vor der Thür ist, würdiglich entgegen zu kommen begehren, vor Augen geleget. Stuttgardt 1740; Johann Albrecht Bengel: Sech­ zig erbauliche Reden über die Offenbarung Johannis oder vielmehr Jesu Christi. Samt einer Nach­ lese gleichen Inhalts. Beedes also zusammengeflochten, daß es entweder als ein zweyter Teil der Erklärten Offenbarung oder für sich als ein Bekräftigtes Zeugniß der Wahrheit anzusehen ist. Stuttgart 1747. 10 Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 57. 11 Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 41. 12 Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 99. 9

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und entfaltet.13 Parallel zu Böhme ging das Interesse an der ähnlich prozess­ haft-emanativ ausgerichteten christlichen Kabbala mit ihren Abglänzen Got­ tes14 sowie das quasi naturwissenschaftliche an der Alchemie. Auch sie hatte in Oetingers wissenschaftlichem Weltbild ihre Funktion. Aus der Kabbala und Böhme übernahm Oetinger die Lehre von einem Fall bereits vor der Schöp­ fung in seine Theologie, wie der etwas sperrig betitelte Artikel Zu dem Wort „Genugthuung“ ausweist, in dem es um die Satisfaktion für Gott gegen die Vorwürfe des Teufels geht.15 Zur Erläuterung vor allem naturwissenschaftli­ cher Zusammenhänge hat Oetinger, wenn auch nicht unkritisch, zeitgenössi­ sche Spezialisten wie Isaac Newton, Procop Divisch oder Bernhard Nieuwen­ tyt herangezogen.16 Das wirkt sich dann freilich auf die Zeitgebundenheit seines Werkes aus. Angesichts der Fülle unkonventioneller Einflüsse könnte man eine Konfusion des Denkens bei ihrem Träger befürchten, aber gehalten vom Kanon des Bibelworts gelangt Oetinger zumeist zu substantiellen und bedenkenswerten Aussagen. Das Wörterbuch ist „deßwegen da, dass man sehe, mit aller heutigen Wissenschaft komme man nicht dahin, daß man geistliche Vorwürfe (Konzeptionen) mit geistlichen Worten zusammenhält“.17 Mit der aufgeführten geistigen Mitgift kann einem Oetinger schon in seiner Zeit überaus archaisch und rückständig vorkommen. Tatsächlich aber hatte er sich mit dem Wörterbuch wie kaum ein anderer in die aktuelle theologische Auseinandersetzung mit der damaligen Aufklärung eingeschaltet, indem er sein Werk dem 1772 erschienenen Wörterbuch des Neuen Testaments zur Erklä­ rung der christlichen Lehre des Berliner Oberkonsistorialrats Wilhelm Abraham Teller (1734–1804) „und Anderer falschen Schrifterklärungen“ entgegen­ stellte. Er will deshalb sein Wörterbuch geschrieben haben, „um die praecisen Schrift-Begriffe denen aufsteigenden Zweiflen entgegen zu setzen“.18 Teller gilt trotz seiner angesehenen Stellung gelegentlich geradezu als „von der Fin­ sternis verblendet“.19 Oetinger war sichtlich im Bilde über die damalige Berli­ ner und Hallesche Aufklärung sowie über die vorausgegangene Philosophie eines Leibniz oder Wolff und gab dies auch immer wieder zu erkennen. Das Wörterbuch wollte gerade ihnen gegenüber „denen ungewissen Begriffen der meisten Philosophen begegnen“, in dem es der Unterordnung Gottes unter die Notwendigkeit widersprach.20 Das wäre, „wie wann ein Fuhrmann seine Pferde nicht mehr halten kann, sondern muß sie laufen lassen, welches unan­

13 14 15 16

Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 285–290. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 16. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 147 f., hier 147. Vgl. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 35 f., 121, 132 f., 175, 216, 222, 246, 261, 285–287

u. ö. 17 18 19 20

Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 257. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 276. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 278. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 260.

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ständige Begriffe von dem Wohlgefallen des Willens Gottes sind“.21 Auch über die Entwicklungen in den Naturwissenschaften, beispielsweise die Elek­ trizität, wusste Oetinger Bescheid. Allerdings gilt auch die Magia noch für eine Wissenschaft, die freilich auch vom Teufel missbraucht werden kann.22 Es ist ausgesprochen spannend zu beobachten, ob und wie sich Oetinger gegen die damals moderne Theologie zu behaupten vermochte und was er gegen sie vorzubringen hatte. Dabei ging er selbstbewusst und überlegen vor, ohne sich auf bloße Apologetik einschränken zu lassen. Gelegentlich wusste er sogar zu spotten. Die Aufklärungsreligiosität wird dabei mit ihrer Ausdün­ nung und flachen Moralisierung biblischer Vorstellungen, ja mit ihrem ver­ kopften flachen Begriffsdenken vorgeführt. Auf der Strecke blieben dabei bei Teller beispielsweise weithin selbst Sachverhalte wie Rechtfertigung oder Versöhnung. Das Verständnis für die hebräische Sprache und ihre Sinnbilder gehe ihm ab. Unschwer lasse sich erweisen, welche Auslegung den Textsinn auf ihrer Seite hat.23 Der Realist Oetinger behaftet damit freilich auch das Verstehen bei den biblischen Konkretionen. Nicht von ungefähr kommt in diesem Zusammen­ hang auch das Problem der in der Bibel und zumal in der Johannesoffenba­ rung gebrauchten Bilder und damit der Emblematik ins Spiel. Oetinger wünschte sich für die Liebhaber der Wahrheit eine Theologiam emblematicam, „weil Gott seine an sich unbegreifliche Wirkungen meistens in der heiligen Schrift durch Sinnbilder abmahlt“.24 Dabei wird davon ausgegangen, dass die biblischen Sinnbilder einen Seinszusammenhang sui generis repräsentieren, der aber tatsächlich erst durch den biblischen Sprachgebrauch zustande gekom­ men ist. Für Oetinger hingegen gilt in dem abschließenden Abschnitt des Wörterbuchs Von den Quellen der Sinnbilder: „Die ganze irdische Welt ist eine Abbildung der Geister-Welt“.25 Eine nahe liegende Kritik wird zumindest zu vergegenwärtigen haben, wie Gott und sein Bereich vorzustellen sind. Im Artikel Abglanz wird davor gewarnt, die göttlichen Namen zu sehr auf das Menschliche herabzuziehen: „Die Weisheit ist aufs erste keusch. Kannst du dieses nicht erschaffen, / so lege dich viel lieber schlaffen.“26 Zumindest als Denkanstoß können die massiven Auffassungen Oetingers jedenfalls überaus anregend und fruchtbar sein. Sogleich der erste Satz der Vorrede des Wörterbuchs hat es in sich; überdies lässt er etwas von der Redeweise Oetingers erkennen: „Ein Wörterbuch über die heilige Schrift machen, ist ein Geschäft wie Petri Netz flicken.“27 Klar ist, 21 22 23 24 25 26 27

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Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 325. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 228 f. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 8–10. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 393. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 427. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 16. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 3.

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dass ein mühevoller Sachverhalt bezeichnenderweise aus den Evangelien angesprochen ist, aber erst mit Hilfe der biblischen Konkordanz lässt sich eini­ germaßen sicher ausmachen, was gemeint ist. Angespielt wird auf den erfolg­ reichen Fischfang des Petrus auf Jesu Geheiß, bei dem das Netz zerriss (Lk 5,6). Das Wörterbuch steht also vor der Aufgabe der Bewältigung eines über­ aus ertragreichen Unternehmens. Ausgesagt wird das in einem kurzen, hinter­ sinnigen Satz. Trockene, lapidare Aussagen, die auch weit über die vorlie­ gende Problematik hinausgehen können, finden sich immer wieder und lassen sich als ein Stück der obwaltenden Weisheit begreifen. Die lakonische Rede­ weise zielt auf das Nachdenken des Rezipienten ab. Oetinger wusste über den Zweck von Parabeln Bescheid: „Weil viel Worte den Verstand beneblen, so muß man Anfangs bei dem Lehren kurze Denksprüche gebrauchen, sonst, wenn man es zu hoch anfangt, richtet man nichts aus.“28 Der Texter Oetinger lässt sogleich einiges erwarten und signalisiert, dass es aufzumerken gilt. Die Vorliebe für die Knappheit der Aussage findet alsbald ihre Bestätigung, indem Oetinger das Vaterunser mit seinen großen Hauptwörtern als „das kürzeste Wörterbuch“ bezeichnet.29 Da könnte man also gleichsam nachschlagen. Oetinger hält nichts von langatmiger Explikation, sondern wägt das Gewicht des einzelnen Worts. Über die angemessene Anlage seines Werks hatte sich Oetinger bereits anfangs der Vorrede des Kleinen Biblischen Wörterbuchs ausge­ lassen. „Es ist eine sehr gezwungene Sache um ein Biblisches Dictionarium, dann die Heilige Schrift hat die Weise nicht, durch Eintheilungen und Erklä­ rungen die Sachen aufzuklären, sondern durch Facten und Geschichten und durch den Statum der Gemeine.“30 Nicht eine wissenschaftliche Systematik, sondern Berichte und Beschreibungen hat man zu erwarten. Wie die Auswahl der ca. 500 Wörter (Begriffe, Namen und Zeitwörter) erfolgt ist, wird nicht angegeben. Sie ist in den beiden Fassungen des Wörter­ buchs auch nicht identisch und schon gar nicht gleichlautend. Die Differenz zwischen beiden Ausgaben bedarf noch eigener Untersuchung. Für die Rezeption der einzelnen Wörter durch Oetinger dürften sich beim Verglei­ chen noch genauere Entdeckungen machen lassen. Es gibt kurze Artikel von wenigen oder häufiger mehreren Zeilen, die lediglich einen biblischen Zusammenhang oder wenige erklären. Eine ganze Reihe von Artikeln zieht sich aber auch über mehrere Seiten hin, und dabei handelt es sich dann zumeist um zentrale biblische Sachverhalte. In diesen immer noch vergleichs­ weise kurzen Traktaten hat man wichtige Bausteine zur Theologie des reifen Oetinger vor sich, die sich auch ihrerseits gegenseitig noch ergänzen. Somit lassen sich Zusammenhänge erkennen. Das Wörterbuch sollte offensichtlich insgesamt den Inhalt der Bibel einigermaßen abdecken. Dabei wird von einem gemeinsamen Sprachraum des Alten und des Neuen Testaments ausgegangen, 28 29 30

Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 251. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 3. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 5.

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wodurch das Neue Testament in eine bestimmende Tradition gestellt wird, die tatsächlich konsequent zu berücksichtigen sein wird. Die Anlage der Artikel folgt keinem festen Schema. Zumeist werden aber im Titel auch das oder die griechischen und hebräischen Äquivalente, manch­ mal auch die angesprochene(n) Bibelstelle(n) aufgeführt. Es hat den Anschein, als ob die einzelnen Begriffe bei Oetinger alsbald bestimmte biblische Stellen und Zusammenhänge evoziert hätten. Die Assoziationen wirken bisweilen sprunghaft oder wie zufällige Einfälle, aber eigentlich dürften sie ihren Platz in der biblisch bestimmten Denkwelt Oetingers haben. Eine vollständige Auf­ führung aller Textstellen eines Begriffs ist im Wörterbuch nicht angestrebt. Ins­ gesamt ist es bei jedem Artikel spannend zu sehen, wie eingesetzt und was damit angesprochen wird, wie es dann weitergeht oder welche Auswahl erfolgt und auf was die Erläuterung schließlich herauskommt. Man erfährt dabei, wie Oetinger gedacht hat, und das kann über das interessante Erlebnis zu eigener Einsicht führen. Bisweilen wird man auch noch in eine Erörterung mit Oetingers damaligen Gewährsmännern oder Kontrahenten verwickelt. Die Darstellung sieht sich dazu verlockt, viele Rezeptionsgeschichten zu erzählen, aber dazu müsste man die Artikel jeweils Satz für Satz in ihrer Abfolge erörtern und das wäre nun wirklich ein weites Feld. So hat man sich auf den Hinweis zu beschränken, dass es die Offerte zu eigener neuer Erkenntnis gibt und der Leser dadurch eingeladen ist, seine eigenen Erfahrun­ gen und Abenteuer zu machen. Eine solche Aussicht müsste das theologische Leserinteresse eigentlich beflügeln. Auf eine Einschränkung die im Artikel Auslegen der Schrift, aber auch sonst immer wieder gemacht wird, ist vorweg noch hinzuweisen. Gewarnt wird vor eigenen Eintragungen in den geoffen­ barten Text. Die Erfahrung weiß: „Vieles muss man stehen lassen mit Ehr­ furcht.“ Manche Dinge sind einstweilen auch einfach noch nicht erschlossen. „Jede Zeit gibt neue Aufschlüsse“, und das gilt bis in die Endzeit. Immerhin will das Wörterbuch Anleitung geben, „tiefer in die Worte hinein zu sehen“.31 Es soll nun an einer Reihe von Artikeln exemplarisch vorgeführt werden, wie Oetinger verfährt. Wenn Vieles übergangen werden muss, dann heißt das keineswegs, dass die betreffenden Artikel nicht Erhellendes und Erbauendes bieten – das Gegenteil trifft zu, und so kann weiter ausgreifendes Zur-Kennt­ nis-Nehmen nur empfohlen werden. Lediglich die Demonstrationsmöglich­ keiten stellen sich unterschiedlich dar. Das Vorhaben hat freilich seine Gren­ zen, wo, manchmal auch wegen der obwaltenden Komplexität der Ausführungen, der Kommentierungsbedarf zu groß und zu umfangreich wer­ den würde: Beim Angesicht Gottes konzentriert sich Oetinger auf die Formeln des Aaro­ nitischen Segens (Num 6,24) und übergeht die Ex 33,20 berichtete Unan­ schaubarkeit Gottes. Im Alten Testament hat sich Gott in vielerlei Zeichen 31

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Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 43 f.

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erkennen lassen. Im Neuen Testament ist Christus in der Menschheit das Angesicht Gottes, danach sind es die Aufschlüsse seiner Worte an uns. Die Erschließung Gottes ist somit nunmehr im Wort aufgegangen.32 Die Bereitschaft des Evangelii gehört zur geistlichen Waffenrüstung Eph 6, 15. Für Oetinger ist die beständige Aufgabe der Christen gemeint, die unter Anspielung auf 2Tim 4, 2 zur Zeit und zur Unzeit praktiziert werden soll. Frei­ lich mahnt Oetinger Weisheit an: Auf dem Areopag in Athen musste selbst Paulus den Namen Jesu verschweigen (vgl. Act 17, 31).33 Angesichts der Fülle der Belege für Küssen wird konstatiert, dass das zu Zei­ ten Christi gängig war, wie sich selbst an Judas gegenüber Jesus zeigt. Auf den in manchen pfingstlerischen Kreisen neuerdings wieder praktizierten „heili­ gen Kuss“ in den Belegstellen wird nicht weiter Bezug genommen. Oetinger ist bei der Sitte offenbar überhaupt nicht ganz wohl. Er verweist auf Prov 27, 6, wonach viele Küsse zum Hass werden und die Schläge des Liebhabers oft nützlicher seien. Und dann erfolgt ein enigmatischer Ausblick: „Die Zeit des Hohenlieds ist jetzo nicht, sie wird erst kommen, wenn mehr Licht auf die Erde kommt.“34 Oetinger schließt sich also hier wie die Berleburger Bibel der Deu­ tung des Hohelieds nach den sieben Sendschreiben der Johannesoffenbarung an. Dem Artikel Freiheit ist eine halbe Seite eingeräumt. Dabei wird sofort direkt auf den Leser losgegangen: „Je mehr du Warheit des neuen Testaments in dir hast, je freyer bist du.“ Nach Jesus liegt das Erniedrigen und Erhöhen beim reziproken Verhalten des Menschen. Mit seinen Augen kann der Mensch sich dem Licht zuwenden und von der Finsternis abkehren. Er ist nicht festgelegt wie ein Uhrwerk. Die Freiheit ist eine gottgleiche Eigen­ schaft. Sie wird erfahren, wo man sich im Gebet Gott nähert, nicht in philoso­ phierender Indifferenz. Darin besteht das beachtliche Zentrum von Oetingers Freiheitsverständnis. Man wird an seine Devise Deo servire libertas erinnert. Der Sohn Gottes muss von Vorbehalten und Vorurteilen freimachen. Erst an zweiter Stelle wird die Knechtschaft der Sünde aufgeführt. Die Decke, die über den Menschen liegt, wird durch die Bekehrung entfernt. Bezeichnend adaptiert wird 2Kor 3, 17 herangezogen: „Wo der Geist im Wort wirket, das ist Freiheit.“ Gesetzeswerke laufen der Freiheit zuwider. Laut dem Galater­ brief macht die Wahrheit des Evangeliums frei davon.35 Oetinger ist sich bewusst, dass man mit der Auferstehung jenseits des Verste­ hens gerät. Er setzt ein mit den Erörterungen Jesu mit Martha in der Geschichte von der Auferweckung des Lazarus (Joh 11, 1–44). Als Vorausset­ zung für das kreative Wunder wird sachgemäß der Glaube an Jesus herausge­ stellt. Erst jetzt wendet sich Oetinger als einziger weiterer Belegstelle „dem 32 33 34 35

Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 32. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 51. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 209. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 127.

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Meer von Einsichten“ in 1Kor 15 zu. Die Auferstehung wird der „gebähren­ den Kraft Gottes“ zugeschrieben, von wo sie auf Jesus übertragen worden sei. Für das Wie der Auferstehung wird auf die organische Entwicklung des Samenkorns verwiesen. Aus der „groben Hülse“ des Leibs kommt durch Got­ tes Auferstehungskraft der geistliche Leib hervor. Bescheiden wird konsta­ tiert. „Und davon wissen wir sehr wenig.“ Der Exeget Oetinger verweist trotz noch weiter vorangetriebener Überlegungen auch hier wieder auf die Grenzen unseres Verstehens. Dort angekommen hat sich der Glaube an das konkrete Bibelwort zu halten.36 Über den Baum des Lebens (Gen 3, 3) werden anregend allerhand Deutungs­ möglichkeiten zusammengetragen. Aber dann folgt ein energischer Schluss: „In Jesu Christo ist uns der Baum des Lebens nicht nur mystisch, d. i. weiß nicht wie“ [!!] – wie von dem der Mystik an sich geneigten Autor ungewohnt kritisch bemerkt wird –, „sondern wirklich offenbar.“ Wir können Jesu Fleisch und Blut trinken wie die Blumen und Kräuter die Sonne. „Diß ist abermal dem Herrn TELLER allzu sinnlich und vielleicht auch schwerme­ risch.“37 Beim Artikel Besessene lässt Oetinger seinem tiefen Widerspruch gegen Teller den Lauf. Der nehme sich viel heraus, „[s]einen Hass wider alles Sinn­ liche zu äussern“, verdrehe dabei jedoch die Schrift, weil er „das Sinnliche vor Einbildung hält“. Das Wort Bund veranlasst Oetinger, sich mit dem seinerzeit gängigen dog­ matischen Schema vom Bund der Werke und dem der Gnade und damit mit der sog. Bundestheologie auseinanderzusetzen. Teller hatte auch diesen Sach­ verhalt aller Sinnlichkeit entkleiden wollen. Für Oetinger hingegen erweist sich angesichts der Fülle der biblischen Aspekte mit Recht das Bundesschema lediglich partiell als geeignet.38 Was Christus anbetrifft, wird unter Erörterung seiner zahlreichen Titel davor gewarnt, in ihm einseitig lediglich den Irdischen zu sehen. Aber die irdische Kreatur ist bei Christus auch nicht aufgehoben. Oetinger beharrt in diesem Fall wie auch sonst manchmal gut lutherisch auf der Zweinaturenlehre mit der communicatio idiomatum, von der die Berliner Theologen nichts mehr wissen.39 Dreieinigkeit ist zwar kein Schriftwort, aber ohne den Begriff sei die Schrift nicht zu erklären. Jehova lässt sich umfassend auf Schöpfung, Erlösung und Heiligung beziehen. Ein arithmetisches Verständnis wird abgewiesen. Im Übrigen wird an die Grenzen der Einbildungskraft erinnert, zu sehr greift das göttliche Handeln ineinander, obwohl Oetinger Erfahrungen mit den einzel­ nen Personen der Trinität nicht unbekannt sind.40 36 37 38 39 40

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Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 36–40. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 45 f. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 60–65. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 66–69. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 81–83.

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Vom Ehestand heißt es: „Dieser soll aller Ehren werth gehalten werden in allem, wenn schon die thierische Vermischung etwas dieser Ehre nachtheiliges scheint.“ Gott hat seine Fahne über die Ehe geschwungen. Weder die proble­ matische Herkunft Davids von Thamar noch sein ehebrecherisches Verhältnis mit Bathseba ändern daran etwas. Die Herabsetzung der Ehe bei den Gichte­ lianern wird abgewiesen. In der Auferstehung allerdings wird (wieder) weder Mann noch Weib sein. Fazit: „Man kann aber doch frölich in dem Herrn freien, aber nicht nach dem Geist der Welt“.41 Ermahnung wird zu den geistlichen Gaben gerechnet. Die Rede soll dabei „ohne viel Spitzen und Franzen“ ergehen ohne die Verzierung mit „belletri­ stischen Galanterien“. „Ein Apostel der Belletristen seyn, ist ein schlechtes Lob.“42 Gegenüber angeblicher Erscheinung Christi ist Oetinger sehr zurück­ haltend. Zu viele seien wie Swedenborg dadurch betrogen worden.43 Aus den bedenkenswerten Bemerkungen über Freude bei den Christen und Jesus sei lediglich ein Satz hervorgehoben: „Ein Christ solte allezeit frölich seyn, wenn der die Neutestamentliche Herrlichkeit aus dem Tod Christi recht innen hätte.“44 Der den Jüngern zugesprochene Friede Jesu wird kundig und vielseitig als Status mitten im Unfrieden beschrieben.45 Durch das Wort Fülle, Pleroma Gottes vor allem im Epheserbrief ließ sich Oetinger in seinen emanativen Vorstellungen stark anregen. Gott wird erneut als „ewig gebährende Kraft“ gedacht, der zuerst das Wort von Anfang hervor­ bringt sodann den eingeborenen Sohn und das nicht geistlich, sondern leib­ lich, weil Leibhaftigkeit eine Vollkommenheit ist. Die Erfüllung wird dann geradezu naturwissenschaftlich hinausgedacht vom Haupt zu uns, den Glie­ dern.46 Nicht von Ungefähr hat ein Weiser wie Oetinger sichtlich viel über das Wesen der Gedanken nachgedacht. Er vermittelt anschaulich, wie in den unterschiedlichen Sprachen damit umgegangen wird, wie sie aus Schlussfolge­ rungen hervorgehen. Mit den Hebräern wird die physische Hervorbringung unserer Gedanken angenommen. Die Gedanken sollen nicht in selbsterwähl­ ten Einfällen gefasst werden, sondern „mit dem Muster der Worte und Werke Gottes übereinkommen“. Ihre Ordnung ist nach dem Geist Jesu herzustel­ len.47 Hier erfährt man etwas von den Maximen des Denkens des Gottesge­ lehrten Oetinger, was zum Verstehen seiner manchmal auch ungewohnten Denkwege und Darlegungen beitragen kann. Der Vorstellung, dass Eph 4, 8 Christus bei seiner Himmelfahrt das Gefäng­ 41 42 43 44 45 46 47

Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 84. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 108 f. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 111. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 128. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 128 f. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 130–133. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 137 f.

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nis gefangen führt, musste sich Oetinger stellen, denn eine Lufthölle passte nicht zu seinem Weltbild, nach dem die Hölle in der Unterwelt platziert war. Der Ausleger experimentiert mit verschiedenen Lösungen und gesteht auch redlich die Begrenztheit seines Verstehens ein. Mit der Aussage, die Erlösung sei eine Überwindung alles Widrigen, so dass es nicht mehr empor kommen kann, lag er schließlich auch nicht völlig falsch.48 Dass es ein Gefühl des Geistes verbunden mit der Liebe oder dem Frieden gibt, räumt Oetinger gegen den Berliner Spalding ein, obwohl sich das der Beschreibung entzieht. Die Erkenntnis des Verstands erfolge stückweise, die der Liebe eigentlich, heißt es unter sachgemäßer Berufung auf 1Kor 13,12.49 Zu Geheimnis, Mysterium wird sichergestellt, dass es sich nicht um eine unbe­ greifliche, sondern um eine verborgene Sache handle: Wie eine Selbstaussage Oetingers klingt der Satz: „Wahre erleuchtete Lehrer muthen niemal jemand zu, etwas anzunehmen, das dem allgemeinen Menschen-Urtheil [. . .] wider­ spricht.“ Die Johannesoffenbarung habe der Mann Gottes Bengel sehr ver­ stehbar gemacht, aber weitere Aufschlüsse von den Geheimnissen Gottes sind noch zu erwarten. Bezüglich des Geistes und seiner Materialität wird empfoh­ len, man solle nicht decidieren, bis man viele Jahre langmütig und ohne vor­ gefasstes Urteil diese Dinge bedacht habe.50 Am Schluss des Artikels Gemeine, Gemeinschaft wird in historischer (!) Betrachtung darauf hingewiesen, dass Spener und andere viel beigetragen hät­ ten zur Wiederaufrichtung der durch das Antichristentum geschwächten Gemeinschaft. Darauf folgt ein erstaunliches Urteil des alten Oetinger: „Ins­ besondere hat Gott den Grafen Zinzendorf [gest. 1760!] dazu erweckt, und deßwegen soll man sein Leben wohl beherzigen, wie Gott und Jesus mit so grosser Langmuth seine viele Fehler zugedeckt und um der Gemeinschaft wil­ len die ganze Sache durch gefährliche Läufe durchgeführt.“51 Man dürfte nicht fehlgehen mit der Vermutung, dass Oetinger sich mit dieser Bemerkung über den sonst von ihm auch kritisierten Zinzendorf auf das gegebenenfalls auch retouchierende Leben des Grafen Zinzendorf (1772–1775) von August Gottlieb Spangenberg bezieht.52 Im Artikel Kampf bestätigt sich dies: „Die Mährischen Brüder, auch Graf Zinzendorf, mit dem ich lange ein Mitgehülfe gewesen, können euch lehren, dass es bei allem Kampf dennoch sehr mensch­ lich zugehet. Man lese das Leben Zinzendorfs, aber das Menschliche ist sehr verschwiegen.“53 Gerechtigkeit kann nicht mit dem Gesetz übereinkommen, sie wird den Sün­ 48

Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 139 f. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 140 f. 50 Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 141 f. 51 Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 144 f., hier 145. 52 August Gottlieb Spangenberg: Leben des Herrn Nicolaus Ludwig Grafen und Herrn von Zin­ zendorf und Pottendorf. 8 Tle. Barby 1772–1775. 53 Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 199 f., hier 200. 49

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dern durch Christus gnadenhaft zugerechnet. Auf ihn bleiben sie ausgerichtet. Oetinger lehnt Schuldefinitionen ab und hält Sinnbilder für die Übereignung der Gerechtigkeit für angemessener. Die Heiligung hat auch bei den Gerecht­ fertigten weiterzugehen. Selbstbewusst wird das als „orthodoxeste Lehre“ ausgegeben.54 Der Artikel Gesetz stimmt damit völlig überein: „ist durch Mosen gegeben, die Gnade und Warheit ist durch JEsum Christum worden. Nachdrückliche Worte in der Kürze!“ wird lapidar festgestellt. Aber es wird beklagt: „Und diß wird in vielen Dingen unter heutigem Streit der Gelehrten nicht bemerkt. Hielten sie sich an Christum, so wären sie frey vom Gesez.“55 Auch der umfängliche Artikel Rechtfertigung fügt sich hier ein. Es handelt sich dabei um ein Urteil, ein Lossprechen des Richters, der damit der Schuld abhilft.56 Überraschend prinzipiell ist der erste Satz zu Glanz, Doxa: „Diß ist ein Wort, darauf das ganze neue Testament beruht. Inwendig ist es Leben“. Der Glanz ist jedoch in der Sterblichkeit, Leiden und Tod verhüllt, bricht aber unter Bedrängnissen möglicherweise hervor.57 Bei dem Wort Gnade geht Oetinger geradezu der Mund über: Heißt eigentlich Annehmlichkeit, Lieblichkeit, Schönheit und zugleich Freiwillig­ keit, Gutherzigkeit, freie Neigung zu schenken und zu geben, ohne daß einem jemand etwas zuvor gegeben. Die Worte der Schrift sind prägnant, d. i. vielbegrei­ fende Worte, wie die Ebräische Sprache; wer nur auf geometrische Art mit den [!] Wort der Schrift umgehet, da man einen gewissen Theil dieses prägnanten Sinns abschelet, in gewisse Ueberdeutlichkeit stellt und ein ganzes System von Lehr-Sätzen durch richtige Schlüsse heraus spinnt, der hat den rechten Griff, sich selbst eigensin­ nig zu machen gegen der ganzen Warheit.

Daher sei so viel Gezänk entstanden. Oetinger haben es die kombinierten Wendungen wie Herrlichkeit der Gnade angetan. Die Gnade präsentiert „ein Königreich der Liebe in der schönsten Verfassung“.58 Für Oetinger ist Gott vorweg Licht, keinesfalls Moral. Behutsam werden damit die Emanationslehren Böhmes und der Kabbala in Verbindung gebracht. Das Licht seinerseits gilt nicht als geschaffen, sondern als geoffen­ bart. Jedenfalls wird zum Wandel im Licht aufgefordert.59 Herrlichkeit „ist das grosse Wort, worauf das ganze neue Testament hinaus­ lauft“. Aber in ihrer Gänze gehört dazu auch der Tod Jesu womit „der Tod ist verschlungen in die Ueberwindung“.60 Herrschaft ist etwas von Gott gegebenes. Weil die Könige der Erden aber 54 55 56 57 58 59 60

Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 148–151. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 153 f. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 271–274. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 159. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 161 f. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 163–165. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 177 f.

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Christus nicht kennen, werden sie als „Erdverderber“ klassifiziert. Des unge­ achtet sind für Oetinger in reformatorischer Tradition die weltlichen Herren und nicht die Priester der Gemeine zum Schutz gegeben, „ohne diß wird leicht ein Pabstthum“.61 Anfangs des umfassenden Artikels Jesus Christus wird sofort eingeräumt: „Ihn zu erkennen samt dem Vater ist ewiges Leben. Diß kan aber in keinem Wörterbuch erlernt werden“. Am Schluss wird der (aufklärerische) Göttinger Professor Gottfried Less dafür gelobt, was er bis zu Jesu letztem Wort über diesen ausgeführt habe. Höllenfahrt, Auferstehung und Sitzen zur Rechten Gottes habe er jedoch weggelassen. Jesus finde Anerkennung wegen seiner Moral und Tugend. Die Hauptsache, sein Streit mit dem Teufel, sei jedoch weggelassen, damit kopiere Less die Berliner Mode von Jesu zu schreiben. „Er fürchtet sich vor den Journalisten wegen des fanatismi, und er selbst extendirt fanatismum zu weit. Diß alles förchte ich nicht, ob man mich schon den General der Schwärmer nennt.“62 Hier fügt sich an, was Oetinger aktuell und recht anschaulich über Lästerung dachte: Heut zu Tag gibt es viele, die wider des Menschen-Sohn etwas reden. Sie können es gut meinen, aber weil sie nicht keusch seyn und zu frühzeitig über das Nest hinaus wollen, höher fliegen, als sie können und sollen, so verfehlen sie sich sehr [. . .] Wer sich selber zu viel traut und an seinen selbst erdachten Säzen und Erklärungen ein Wohlgefallen hat, der stehet in Gefahr, wider des Menschen Sohn Worte zu reden.63

Das königliche Gesetz der Liebe „ist lauter Freiheit“. Fern von jeglicher liber­ tinärer Tendenz will Oetinger es freilich „gebückt“ betrachtet wissen. Damit ist auch klargestellt, was geboten ist. Am Beispiel wird es klar: „Man soll nicht sagen wie Zinzendorf. Du darfst mäsig und keusch seyn, sondern: Ihr solt heylig seyn.“64 Als wesentliche Voraussetzung für die christliche Lehre werden Selbstver­ leugnung und Nachfolge benannt. Erst dann wird ein einfacher Aufriss der Lehre geboten.65 Das berühmteste Zitat aus dem Wörterbuch sei auch hier nicht übergangen. Es findet sich im Artikel Leib und lautet: „Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes.“ Begründet wird das mit der leibhaften Fülle Gottes in Christus (Kol 2,9) und der Stadt Gottes, die aus dem Himmel herabkommen wird.66 Gottes Offenbaren vollzieht sich leiblich. Sonst wäre Gott ein Nichts, eine Allegorie.67 Oetinger insistiert auf der Leiblichkeit der geistlichen Dinge in der Schrift. Er 61 62 63 64 65 66 67

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Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 178. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 190–194. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 212–215, hier 214. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 204. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 220–222. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 222 f. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 246–248, hier 247.

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geht auch fest von einer leibhaften Präsenz Christi im eschaton aus.68 Die Bil­ der der Johannesoffenbarung dienen großenteils als Beweis für ihre Realität.69 Lediglich partiell werden sie als Sinnbilder aufgefasst.70 Mit einer solchen Per­ spektive stand Oetinger antipodisch zur Aufklärungstheologie wie zur Philo­ sophie. Ihr wird unangemessener Doketismus unterstellt. Die Leibhaftigkeit der Stadt Gottes gehört zur Konkretion christlicher Hoffnung.71 Vom Eingang zum Artikel Leuchten kann man sich durch Oetinger begei­ stern lassen: „Der Spruch 2. Kor 4[, 6] ist prächtig.“ Der Schöpfer-Gott ist es, der in unseren Herzen erschienen ist. Möglicherweise gehört der Spruch aber erst in die Endzeit.72 Zum Lohn wird vermerkt: „Christen halten sich für unnütze Knechte und empfangen alles aus Gnaden, sie wissen, dass sie der Lohn der Arbeit und das Verdienst JEsu seyn.“73 Im Artikel Offenbarung wird Oetinger ganz praktisch: Ein Prediger muss vorweg von Gott gewirkte ausgearbeitete Gedanken haben, sonst gehen sei­ ner Rede Accent und Action ab. „Was nicht von Herzen geht, geht auch nicht zu Herzen. Es ist schön voraus denken, aber es ist gezwungen, sich an eine geschriebene Predigt-Form zu binden. Man muß jetziger Zeit beides wis­ sen zu verbinden.“74 Predigen heißt für Oetinger eigentlich sehr konkret, „das Königreich Gottes in der letzten Zeit verkündigen“. Verstünden die damali­ gen „Belletristen die Schönheit des Evangelii, so würden sie allen Witz anwenden, mit simplen Worten die erhabene Dinge zu verkündigen“.75 Dagegen schließt der Artikel Prophet geheimnisvoll: „Ein Prophet in erhabe­ nem Sinn ist das Aug und der Mund des Reichs. Seelig ist, wer sie kennt. GOtt ist auch darin ein verborgener GOtt.“76 Die Pünctlichkeit gilt Oetinger als „die Tugend wahrer Gesalbten“. Offenbar waren ihre Anforderungen auch ein bemerkenswerter Maßstab für ihn selbst. An vielen Frommen vermisst er die Accuratesse und kann ihnen darum nicht trauen. „Wir sollen praecis wandlen, nicht schlauderig, nicht eilig, nicht oben­ hin, nicht kurzweilig mit leerem Scherz, sondern würdig dem Evangelio.“77 Zum Verfälschen des Wort Gottes wird schon damals bemerkt: „Heut zu Tag, da die Toleranz so hoch steigt, weiß man fast nicht mehr, wen man einen Ver­ führer nennen solle.“78 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78

Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 405. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 419. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 424–426. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 253 f. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 224 f. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 226. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 248. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 255 f., hier 255. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 258. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 259. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 337.

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Hinsichtlich der Versöhnung ist es Oetinger darum zu tun, dass die Span­ nung gegenüber dem Zorn Gottes nicht leichthin aufgehoben wird. Lavater, Spalding und andere ermüden darüber und sagen: Gott seie die Liebe, aber sie vereinigen damit nicht, dass Gottes Zorn brenne bis in die unterste Hölle. Man muß bis in die Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu hineindringen. In der Herr­ lichkeit Gottes ist Liebe und Schärfe des unzugänglichen Lichts, und diß ist das Hauptwerk der Herrlichkeit, dass sie ihre Schärfe, ihre verzehrende Schärfe durch die Menschwerdung in Liebe verwandelt; auf diese Art ist Gott die volle Liebe. Der eine versteht mehr, der andere weniger.79

Am Schluss der Vorrede des Wörterbuchs entschuldigt sich Oetinger, dass er neben den biblischen Bezügen und Zusammenhängen auch viele äußerliche Dinge voraussetzen musste.80 Dabei fällt es in der Tat und heute zumal schwer, Oetinger stets zu folgen. So manches ist innerhalb eines modernen Weltbildes einfach nicht mehr relevant. Beispielsweise verkörpern die sieben Geister (Apk 1, 4; 3, 1; 5, 6) für Oetinger ein ganzes System von göttlichen Kräften, auf die er sich auch immer wieder bezieht und die in seinem Weltbild auch funktionieren, während sie für uns kaum mehr angemessen verifizierbar sind. Im Artikel Philosophie heißt es: „Dies ist der Leibnizschen und Mahome­ dischen Philosophie schnur stracks entgegen. Wer aber recht philosophiert, der kann diese Philosophie nicht annehmen.“ Sie laufe auf eine Bestreitung der Inkarnation hinaus. Oetinger hingegen beruft sich auf Hermes: „Wer GOtt fürchtet, der philosophiert bis aufs Lezte.“81 Teller wollte davon nichts wissen, aber so führe ihn „Satan am Band herum“.82 Lavaters Geringschätzung der Johannesoffenbarung als Wortspiele und Verblümungen wird scharf widersprochen: „Er muß so sagen, sonst fällt sein vorgefaßtes Lehr-Gebäude ganz und er muß vornen anfahen im Wort Gottes“.83 Insgesamt hat der abschließende Rat des Autors durchaus sein Recht, „man muss alles zusammen nehmen, was zur ganzen Analogie der Werke und Worte Gottes gehöret“.84 Recht verstanden geht es dabei niemals nur um Sinn und Bedeutung einzelner Textstellen, sondern um den Zusammenhang des Ganzen. Man kann an Oetingers Unternehmen, seinem so gehaltvollen Text, eine Ahnung davon bekommen, was Theosophie im besten Sinne mei­ nen kann: das Begreifen der Bibel im großen Zusammenhang und wir dabei. Man kann sich anregen lassen, so etwas selbst zu betreiben, und sich auf die vorgeführte Weise selbst in die heilige Schrift versenken. Lohnen könnte sich das auf jeden Fall, und dahin zielt schließlich mein eigenes Unternehmen. Eine Bemerkung zur Einordnung Oetingers in die Auslegungsgeschichte ist 79 80 81 82 83 84

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Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 345 f., hier 346. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 10. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 254. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 34. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 211. Oetinger, Wörterbuch [s. Anm. 3], 10.

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wohl noch angebracht. Als Exeget hat er nicht direkt Schule gemacht. Aber einige der württembergischen Pietisten betrieben doch Bibelauslegung in sei­ nem Sinn und in der gleichen Selbständigkeit weiter. Philipp Matthäus Hahn und sein Umfeld wären da zu nennen. Trotz merklicher Unterschiede wird man auch Michael Hahn und die Beschäftigung mit der Bibelauslegung in sei­ ner Gemeinschaft nennen können. Daneben gab es den konservativen Zweig der Bengel-Schule, erfolgreich repräsentiert zunächst vor allem durch Magnus Friedrich Roos. Beide Traditionen leben ins 19. Jahrhundert fort und werden dort wieder neu aufgenommen und umgeformt. Der Widerstand gegen eine kritische Bibel-Theologie wird noch länger aufrechterhalten und ist auch als schätzenswertes Korrektiv geblieben. Als bleibendes Vorbild sensiblen Bibel­ hörens ragt aber neben Bengel immer noch Oetinger mit seinem Wörterbuch hervor.

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CHRISTINE REENTS

Wie spiegeln sich Orthodoxie, Pietismus und Erweckung in der Zeit zwischen 1688 und 1850 in evangelischen Kinder- und Schulbibeln? *Bestandsaufnahme und theologische Einordnung*0 Erst seit rund dreißig Jahren nimmt die Forschung Kinderbibeln verstärkt in den Blick; das gilt sowohl für die Religionspädagogik, für die Bildungsge­ schichte als auch für Teile der Kinder- und Jugendliteraturforschung1. Da Kinderbibeln in ihrer Vielfalt nicht nach theoretischen Prinzipien gestaltet wurden, sondern dem konkreten Bedarf der Praxis im Haus, in Schule und Kirche entsprechen sollten, ist es kaum möglich, Forschungsergebnisse auf wenige übergeordnete Gesichtspunkte hin zu reduzieren. Schließlich erzählt die Bibel selbst vielschichtig und situationsbezogen. Wie könnte das bei Kin­ derbibeln anders sein? Deshalb werden in diesem Aufsatz Entwicklungen der evangelischen Kinderbibeltradition zwischen 1688 und 1850 kontextuell nachgezeichnet und theologiegeschichtlich eingeordnet.

1. Zur Entstehung von Kinderbibeln Einerseits sind viele Bibeltexte schwer verständlich, andererseits gilt die Bibel als Basisdokument der Christenheit. Aus dieser Spannung sind seit Mar­ tin Luthers Passional (1529) bis heute rund tausend Kinderbibeln entstanden; allein seit der Jahrtausendwende sind es über 200 Titel, heute vielfach evange­ likaler Herkunft. Pietistische Bewegungen entstanden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhun­ * Christoph Melchior und Gerhard Schwinge sei für Beratung und Hilfe bei den Korrekturen gedankt. 1 Eine Ausnahme in der Kinder- und Jugendliteraturforschung ist das Handbuch zur Kinderund Jugendliteratur. Hg. v. Theodor Brüggemann [u. a.]. 6 Bde. Stuttgart 1987–2008. (Im Folgen­ den abgekürzt mit HKJL). – Eine umfangreiche Kinderbibel-Bibliographie findet sich auf einer CD-Rom in Christine Reents u. Christoph Melchior: Die Geschichte der Kinder- und Schulbibel. Evangelisch – katholisch – jüdisch. Göttingen 2011. Hier aus Raumgründen nicht vollständig aus­ geschriebene Titel finden sich auf dieser CD.

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derts als Frömmigkeitsrichtungen, die die Anliegen der Reformation als Ein­ heit von Glauben und Leben intensivierten und bis heute weiterführen. Dem Ideal nach sollte die Bibel das Leben bestimmen, doch war die Bibel bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wegen der unzureichenden Alphabetisierung im Alltag nur wenigen zugänglich. Pietismus und Erweckungsbewegungen sind uneinheitlich, vielfältig und unterschiedlich; einheitliche Kriterien zum Erkennen pietistisch geprägter Kinder- und Schulbibeln sind nicht bekannt. Nach dem Dreißigjährigen Krieg entstanden neue katechetische Kinderbi­ beln wie die von Gesenius (1656) und Hübner (1714); dafür sehe ich zwei Gründe: (1) Eine Suche nach dem Gemeinsam-Christlichen ist nachweisbar, wie ein Epigramm des schlesischen Juristen Friedrich von Logau (1604–1655) belegt: „Luthrisch / Päbstisch vnd Calvinisch/ diese Glauben alle drey / sind verhan­ den; doch ist Zweiffel / wo das Christenthum dann sey.“2 Die Bibel ist die gemeinsame Basis aller Christen, nicht die unterschiedli­ chen Katechismen der Konfessionen. So entstanden gekürzte Lutherbibeln für Hausväter und Hausmütter für Schule und Haus, z. B. von Justus Gesenius (1656), einem lutherischen Generalsuperintendenten, und von Johann Hübner (1714), dem Rektor einer Lateinschule. Aufgrund ihrer anschaulichen Sprache war Luthers Bibelübersetzung im evangelischen Deutschland die Basis für his­ torische Kinderbibeln; das gilt auch für reformierte Territorien. (2) Einige Fürsten, z. B. Herzog Ernst der Fromme von Sachsen-Gotha, begannen, sich intensiv um die Bildung aller Kinder, vor allem um ihre bibli­ sche Bildung, zu kümmern. So erschien in Gotha ein früher, nicht illustrierter Auszug aus der Lutherbibel3 für die Erziehung. 2. Der Begriff „Kinderbibel“ als Sammelbezeichnung Der Begriff „Kinderbibel“ ist ein Sammelbegriff, der sich zuerst auf Luthers Kleinen Katechismus (1529) bezieht, in zweiter Linie auf biblische Spruchbü­ cher, die den Kleinen Katechismus durch dicta probantia belegen sollen (Josua Opitz 1583), außerdem auf ein Buch mit Fragen und Antworten zur Bibli­ schen Geschichte und zu Bibelsprüchen (Johannes Melchior 1688); dieser

2 [Friedrich von Logau:] Salomons von Golaw Deutscher Sinn-Getichte drey Tausend. Andres Tausend, Erstes Hundert. Breslau 1654, 26, 100. 3 Nützlicher Auszug / und Begrieff / der fürnembsten / Biblischen Historien / In Zweyern Theilen zusammen ge-/ tragen / also der Erste der Geschichte des Alten Testaments / und der Andere / den heiligen Lebens-Lauff / Wandel / Thun und / Leiden unseres Herrn Jesu Christi / wie auch seiner lieben Apostel / in eine Harmonie zu-/ sammen gebracht / begreiffet. / Auf son­ derbahre Fürstliche / gnädigste Verordnung / Den Christlichen Haus-Vätern / und anderen zu Nutz her- / aus gegeben. Gotha 1664.

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Titel leitete zur Repetition der Vollbibel an. Unter dem Titel Kleine Kinderbi­ bel gab Johann Georg Hager (1749) ein illustriertes Lehrbuch heraus, in dem sich im ersten Teil Viten von Martin Luther sowie von den Propheten, Evan­ gelisten und Aposteln finden und im zweiten Teil Aufsätze zu historischen, dogmatischen und ethischen Themen. Noch in seinem Instructorium Biblicum (²1719) benutzte der Berliner Pfarrer und Scholarch Joachim Ernst Berger den Begriff „Kinderbibel“ für unter­ schiedliche Gattungen. Seitdem stand zwar der Sammelbegriff „Kinderbibel“ zur Verfügung, doch wurden und werden auf Titelblättern unterschiedliche Begriffe verwandt, z. B. Kleine Bibel (schon seit Widmann 1549), Bibelkern (Beer 1688), Biblische Historien (Gesenius 1656, Hübner 1714, viele Auflagen und Bearbeitungen bis 19024), Spiegel einer Kinder- und Exempel-Bibel guter und böser Menschen (Oetinger, vor 1759)5, in der je ein Satz aus der Bibel zu dem Thema „gute und böse Menschen“ in heilsgeschichtlicher Abfolge zitiert wird. Außerdem findet sich der Begriff „Kinderbibel“ für so unterschiedliche Gattungen wie Bilderbibeln mit Reimversen und für mnemotechnische Kup­ ferstiche zur Bibel. Kurz: eine gültige Definition des Begriffes „Kinderbibel“, die z. B. Bibelauszüge von freien Erzählungen unterscheidet, fehlt. 3. Zur theologischen Einordnung Martin Luther forderte 1520 in seiner Schrift An den christlichen Adel deut­ scher Nation: „Fur allen dingen solt in den hohen und nydern schulen die fur­ nehmst und gemeynist lectio seyn die heylig schrifft“.6 Jeder Christ, ob Junge oder Mädchen, solle mit neun oder zehn Jahren das ganze heilige Evangelium kennen. Nach den kursächsischen Kirchenvisitationen schätzte Luther diese Forderung realistischer ein, denn er schuf im Jahre 1529 die Katechismen und das Passional, die erste illustrierte evangelische Kinder- und Laienbibel. Wäh­ rend der Kleine Katechismus in die Bekenntnisschriften aufgenommen wurde

4 Vgl. Christine Reents: Die Bibel als Schul- und Hausbuch für Kinder. Werkanalyse und Wir­ kungsgeschichte einer frühen Schul- und Kinderbibel im evangelischen Raum. Göttingen 1984, 240–274. 5 Der Titel: Spiegel einer Kinder- und Exempel-Bibel guter und böser Menschen. Darinnen der gantze Catechismus [Martin Luthers] zur nützlichen Wiederhohlung ins Kurtze gezogen ist. O. O. O. J. [nicht nach 1759] (96 S.), ist ein Kapitel aus Friedrich Christoph Oetinger: Historisch Moralischer Vorrath von Catechetischen Unterweisungen. Nach den Sechs Hauptstücken des Catechismi Lutheri, nebst denen Historischen Beschreibungen der Lebens-Läuffe der in Heil. Schrifft Alten und Neuen Testaments vorkommenden Personen. Tübingen 1762. (Digitalisat unter: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB00004E9300000000); Vgl. auch: Martin Weyer-Menkhoff: „Nicht-Verstehen hilft!“. Anmerkungen zu Friedrich Oetingers Pädagogik und Katechetik. In: Beiträge zur Geschichte des Württembergischen Pietismus. Hg. v. Hermann Ehmer u. Udo Sträter. Göttingen 1998, 197–215, bes. 203 ff. 6 WA 6, 461 f ; leider fehlen die Holzschnitte.

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und bis in die 1970er Jahre im Konfirmandenunterricht der lutherischen Kir­ chen memoriert wurde, geriet Luthers Passional Ende des 16. Jahrhunderts in Vergessenheit.7 Theologische Positionen sind in Kinder- und Schulbibeln oft schwer er­ kennbar, da nur wenige ihre Position preisgaben. Zudem übernahm einer vom anderen das, was überzeugte; viele wandelten fremde Vorlagen ab. Sicher ist: die pietistische Katechetik wusste sich der lutherischen oder refor­ mierten Orthodoxie verpflichtet, d. h. Pfarrer und Lehrer benutzten zumeist biblische Spruchbücher; methodisch bevorzugten sie zergliedernde Fragen.

4. Gattungen Ausgehend von einem weit gefassten Begriff der Kinder- und Schulbibel sind vier Hauptgattungen8 zu unterscheiden: Biblische Spruchbücher, Bibli­ sche Historien, Erzählungen frei nach der Bibel und Bilderbibeln. Die Gattun­ gen geben über die Nähe oder Ferne einer Kinderbibel zum biblischen Origi­ nal Auskunft. Innerhalb dieser Gattungen finden sich viele Variationen und Mischformen;9 einige Longseller sollen exemplarisch vorgestellt werden.

5. Beispiele aus der Zeit des älteren Pietismus 5.1 Biblische Spruchbücher als Erbe der Reformation Biblische Spruchbücher geben Sprüche wörtlich auf der Basis des Schrift­ prinzips wieder. Sie entstanden seit der Reformation und erfüllten unter­ schiedliche Funktionen, z. B. bot Veit Dietrich (1548), einer Anregung Luthers folgend, Wochensprüche für jeden Sonntag. Andere Spruchbücher belegten den Katechismus, dienten zum Lernen des Alphabets und des Lesens und sollten die Erziehung unterstützen. Speners Spruchbuch Einfältige Erklä­ rung der Christlichen Lehr (1677)10 sollte das Hauskatechumenat und die Kate­ 7 Vgl. Johann Michael Reu: Quellen zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts in der evangeli­ schen Kirche Deutschlands zwischen 1530 und 1600. II. Teil: Quellen zur Geschichte des bibli­ schen Unterrichts. Gütersloh 1906. ND Hildesheim 1976, XXII–XXIII und 32–41. 8 Bei den Gattungsbezeichnungen handelt es sich um Begriffe aus den Quellen. Vgl. Christine Reents: Art. „Kinderbibel“. In: TRE 18, 1989, 176–182; weiterführend: Reents / Melchior, Geschichte [s. Anm. 1]. 9 Z. B. illustrierte Fragbibeln, Festbücher und Perikopenbücher zum Kirchenjahr, illustrierte und nicht illustrierte Evangelienharmonien, Bilderbücher zu Einzelthemen, Exempelbücher und thematisch gegliederte Titel als Mischung von biblischen mit außerbiblischen Beispielen, Sachbü­ cher, Bibelcomics u. a. m. Vollständigkeit ist nicht realisierbar. 10 Reents / Melchior, Geschichte [s. Anm. 1], 106–108. Speners Spruchbuch wurde in der baye­ rischen Erweckungsbewegung von Johann Konrad Irmischer 1848 (21852) in Auszügen publiziert.

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chismusübungen sonntags nachmittags beleben; es umfasst 1283 Fragen und Antworten für die Kinderlehre, ist aber nicht als Kinder- oder Laienbibel bezeichnet. Insgesamt bahnte sich die Priorität der Bibel vor dem Katechismus an. August Hermann Francke schrieb zur Korrelation von Bibelsprüchen und Katechismus: Weil auch der Catechismus aus der heiligen Schrift genommen, und also der Grund der Seligkeit von einem Christen billig aus der heiligen Schrift selbst erkant werden solle, so habe ich [. . .] nichts dienlicheres befunden, als daß die Kinder bey zeiten angeführet werden, selbst die H. Schrift aufzuschlagen, und dasjenige, was sie aus dem Catechismo gelernet, durch die Sprüche der H. Schrift zu beweisen. So wünsche ich nun, daß alle Eltern [. . .] ein jegliches Kind mit einer bequemen Handbibel verse­ hen möchten.11

Daraus ergibt sich, dass in Halle vor allem Biblische Spruchbücher zu Luthers Kleinem Katechismus und preiswerte Vollbibeln gebraucht wurden. Dazu vier Belege: die Edition billiger Lutherbibeln durch die von Canstein­ sche Bibelanstalt, eine von Karl Richter rekonstruierte Stundentafel der Deutschen Schulen,12 das Fehlen biblischer Historien, z. B. früher Auflagen von Johann Hübner (1714) in der Bibliothek des Waisenhauses13 und Töllners Biblisches Spruchbuch.14 Justin Töllner (1656/Gera–1718/Halle a. d. Saale) war 15 Jahre lutherischer Pfarrer in Panitzsch bei Leipzig / Kursachsen, ab 1697 arbeitete er 21 Jahre als Inspektor des Halleschen Waisenhauses15. Das Motiv des Titelkupfers von der biblischen Erziehung des jungen Timo­ 11 August Hermann Francke: Glauchisches/ Gedenck-Büchlein/ Oder/ Einfältiger Unterricht/ Für die Christliche Gemeinde/ zu/ Glaucha an Halle [. . .]. Leipzig u. Halle/Saale 1693, 175 f. Ähn­ lich: Kurtzer und einfältiger Unterricht [. . .]. Halle/Saale 1702 (nach: Ders.: Schriften über Erzie­ hung und Unterricht. Hg. v. Karl Richter. Bd. 1. Berlin 1871, 51). 12 Schulen machen Geschichte. 300 Jahre Erziehung in den Franckeschen Stiftungen zu Halle. Hg. v. Paul Raabe [u. a.]. Halle/Saale 1997, 17. 13 Britta Klosterberg nennt die Hübner-Auflage Leipzig 1773: Britta Klosterberg: ABC-Büch­ lein und Bilderbibeln. Kinder- und Jugendliteratur in den Franckeschen Stiftungen. Halle/Saale 2000, 13. Außerdem habe ich die Auflage Leipzig 1734 in der UB Halle und in den Franckeschen Stiftungen eingesehen, d. h. erst zwanzig Jahre nach der Erstauflage sind Hübner-Exemplare in Halle nachweisbar, vgl. Reents, Bibel als Schul- und Hausbuch [s. Anm. 1], 242. 14 Justin Töllner: Herrlicher Schatz der Kin-//der Gottes// das ist/ Biblisches// Spruch-Buch// in welchem zu finden// die vornehmsten// Glaubens-, Lehr-, Lebens-// und Trost-Sprüche// wie auch viel// feine bekandte Reim-Gebetlein// auff alle Sonn- und Festtage// Nebenst einem vierfa­ chen nützlichen Register// darunter das Dritte als eine kleine Real-Concor-//dantz kann gebraucht werden// Zu Nutz//Gebrauch und Erbauung so//wol Christlicher Praeceptorum, Schulkinder// Prediger und Studiosorum Theologiae, als auch aller// anderer Christen// wie davon deutliche Nachricht// in der Vorrede zu finden//zusammen getragen von// Justino Töll­ nern.// Halle/Saale [1700], viele Auflagen. 15 AFSt/S L 2, 291.

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Abb. 1: Justin Töllner: Biblisches Spruchbuch. [1700, ohne Titelkupfer] Halle/Saale 5 1705 (© SUB Göttingen 8° Th Th I,432/13(2)).

theus durch seine Mutter und Großmutter (2Tim 1,5) wurde später von Theodor Fliedner16 aufgenommen und findet sich bis heute in pietistischen Kinderbibeln. Inhaltlich erklärt Töllner in seiner Vorrede vom 28. September 1700, dass dieses Spruchbuch ein „Kern aus der großen Bibel“ sei. Die mehr als 1900 Sprüche sind als Pensum für drei Jahre gedacht; sie sind nach dem Kirchenjahr geordnet. Außerdem diente das umfangreiche Buch im Oktav­ format als Sammlung von dicta probantia für den Kursächsischen Katechismus. Die Sprüche sind durch „Reim-Gebetlein“ ergänzt, die vor allem das Sünden­ bewusstsein, die Erlösungssehnsucht, die christliche Gemeinschaft und die eschatologische Hoffnung thematisieren. Vom 16. bis zum 20. Jahrhundert werden biblische Spruchbücher als dicta probantia zum Katechismus gebraucht, in Württemberg sogar bis heute. 5.2 Hübners Longseller, eine bibelnahe Paraphrase (abbreviatio) aus der Orthodoxie im Übergang zur Frühaufklärung Biblische Historien erzählen die biblische Geschichte in Auswahl als gekürzte Textparaphrase in heilsgeschichtlicher Abfolge von der Schöpfung 16

Vgl. Abb. 14 in diesem Aufsatz.

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Abb. 2: Johann Hübner: Zweymahl zwey und funffzig Auserlesene Biblische Historien [. . .]. Titelblatt mit Titelkupfer der Erstauflage 1714 (© SLUB Dresden). Die Bildunter­ schrift lautet: „Johann Hübner / olim Gymnasii Martisburg [= Merseburg], nunc Scho­ lae Hamburg, Rector“.

bis zum Weltende oder bis zur Zeit der Apostel. Vor allem seit Hübners Bibli­ schen Historien sind katechetische Anhänge zur Anwendung beliebt. Hübner (1668/Türchau, Oberlausitz–1731/Hamburg) gestaltete um 1710 in Merseburg eine neue, lebensnahe Auswahlbibel, die er drei Jahre später als Rektor des Hamburger Johanneums in Leipzig drucken ließ. Die Biblischen Historien sind sein einziges katechetisches Werk. Nach seiner Zittauer Latein­ schulzeit bei Christian Weise, dessen amanuensis, d. h. dessen Sekretär er war, studierte er „Weltweißheit“, d. h. Philosophie, in Leipzig vor allem bei dem Historiker Otto Mencke (1644/Oldenburg–1707/Leipzig) und erwarb den Magister. Danach wurde er Rektor der Lateinschule in Merseburg. Hübner verstand sich als „Mann der Mittelstraße“. Ihrem Ursprung nach rechne ich Hübners Biblische Historien nicht dem Pietismus zu, denn er wählte Historien unter dem Aspekt des Realitätsbezuges aus und gestaltete sie rational nach­ vollziehbar. Ihm ging es um eine wohldosierte Auswahl aus der Bibel und um eine planvolle Aneignung durch Memorieren, Fragen und Anwenden. Ein 70

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Beispiel ist die erste „nützliche Lehre“ zur Auferstehung Christi: „Die heili­ gen drey Frauen kamen zum Grabe Jesu, wie die Sonne aufgieng. Sie müssen sich also nicht bis um Glocke neun oder zehne im Bette herum geweltzet haben.“ (NT 48. Historie) Als Lutheraner brauchte Hübner ähnliche methodische Elemente wie pie­ tistische Katecheten: z. B. die Fragemethodik und das Erzählen zu Vorbildern. Ein markanter Unterschied ist, dass Hübner nicht wie der Franckeschüler Johann Jacob Rambach in seiner Schrift Erbauliches Handbüchlein für Kinder von „Jugendsünden“, von der „Schwachheit des Fleisches“, der „Verführung der bösen Welt“, von der „Wiedergeburt und stete[n] Reinigung von den anklebenden Sünden“17 und von dem „armen verfinsterten Verstand“18 sprach. Hübners Historien enden mit der Bekehrung des Paulus, nicht mit einem heilsgeschichtlichen Ausblick auf das himmlische Jerusalem (Apk 21), wie es bibeltreuer Eschatologie z. B. bei Zahn (1831) entspräche. Als Historio­ graph will Hübner auf geschichtlicher Basis bleiben. Wer die Gebete vor dem Bibellesen bei Hübner und Rambach vergleicht, findet bei Hübner weder den Hinweis auf die Inspiration der Heiligen Schrift noch eine Selbstbeschuldi­ gung des kindlichen Beters. Methodisch appellierte Hübner in aristotelischer Manier an Gedächtnis, Verstand und Wille; sie sollten durch Repetitionsfra­ gen, Lehren und „Gottselige Gedancken“ angesprochen werden. Diese Kon­ zeption findet sich in einem Gebet wieder. Hübner 171419 „Herr GOtt himmlischer Vater, ich dein liebes Kind will anietzo dein Wort zur Hand nehmen, und aus demselben ler­ nen, wie ich recht gläuben, Christlich leben und endlich selig sterben soll. [. . .] Schärffe doch mein Gedächtniß, daß ich dein Wort recht fassen und begreiffen könne. Erleuchte doch meinen Verstand, daß ich dich, GOtt [. . .] erkenne!“

Rambach 173520 „Herr GOtt heiliger Geist, durch dessen Trieb und Eingeben die heiligen Männer Gottes geredet und geschrieben, die uns die heiligen Schriften hinterlassen haben, ich nahe itzt zu deinem Wort, dasselbe zu lesen. [. . .] Erleuchte meinen armen ver­ finsterten Verstand, dass ich dein Wort recht verstehe“

In dem Wissen, dass sich sowohl die theologischen als auch die pädagogi­ schen Richtungen überschneiden, sind Hübners Biblische Historien einer ver­ nünftigen Orthodoxie bzw. einem späten pädagogischen Realismus21 im 17 Johann Jacob Rambach: Erbauliches Handbüchlein für Kinder [. . .]. Andere Auflage. Gießen 1734, 33–38 und 69. 18 Johann Jacob Rambach: Erbauliches Handbüchlein [. . .]. O. O. 1735, Teil IV, 146. 19 Johann Hübner: Zweymahl zwey und funffzig Auserlesene Biblische Historien [. . .]. Leipzig 1714, Vorrede (unpag.). 20 Rambach, Handbüchlein [s. Anm. 17], 146. 21 Vgl. Hugo Gotthard Bloth: Das erste biblische Geschichtenbuch. Korrektur oder Auflösung des Religionsunterrichts. In: EU 20, 1965, 137 f.

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Übergang zur Frühaufklärung zuzuordnen. Das entspricht der Beobachtung von Ferdinand Cohrs,22 nach der sich orthodoxe und pietistische Katechese im Grundsatz kaum unterscheiden. Neues beginnt mit der Kritik späterer Aufklärer am unverstandenen Memorieren des Katechismus und der damit verknüpften Vorrangstellung der Bibel bzw. ihrer Bearbeitungen. Etwa zwei Jahrzehnte nach ihrem ersten Erscheinen entdeckte der an der Vollbibel in der Erziehung interessierte hallische Pietismus Hübners Biblische Historien. Das lässt sich anhand der von Rambach vertretenen Didaktik bele­ gen: Noch am 10. Juli 1729 setzt sich Rambach für Steinbarts Spruchbuch zu Luthers Kleinem Katechismus ein; erst in der Hessen-Darmstädtischen Schul­ ordnung (1733)23 will Rambach Kinder sowohl mit Sprüchen und Psalmen als auch mit biblischen Historien nach Hübner bekannt machen. Ihm folgte Steinbart im Züllichauer Waisenhaus, wo Hübners Biblische Historien als Geschichtsbuch gebraucht wurden. Erst der Neupietismus nach 1830 ordnete Hübners Biblische Historien dem Pietismus zu. 5.3 Freie Erzählungen oder biblische Exempel (amplificatio) aus dem Frühpietismus Freie Erzählungen oder biblische Exempel bieten die Geschichten nach einem gegenüber der biblischen Vorlage eigenständigen Erzählkonzept; zumeist sind sie in biblischer Abfolge geordnet. Sie dienten vor allem im Spät­ mittelalter und in der Aufklärung der Moralerziehung, konnten aber auch im konfessionellen Interesse gestaltet sein. Oft sollen freie Erzählungen auf die Verstehensmöglichkeiten von Kindern eingehen, im Unterschied zur bild­ kräftigen, aber schwer verständlichen Sprache der Lutherbibel. Ein erstes Beispiel für eine freie Erzählung aus dem frühen Pietismus ist der Bibel-Kern von Johann Christoph Beer (1638/Nürnberg–1712/ebd.); er legte anonym 365 frei erzählte biblische Geschichten „mit den nöthigsten Glau­ bens- und Lebenslehren“24 für jeden Tag vor. Der Theologe Beer wird dem Mystizismus des Theosophen Friedrich Breckling (1629/Handewitt bei Flensburg–1711/im Haag) zugerechnet, einer frühpietistischen Bewegung. Beer wendet sich an Alte und Junge, „zur andächtigen und auferbaulichen Seelen-Ergötzung“, zu „täglich-fleissiger Lesung“, um „die ganze Bibel / leicht / und ohne sonderliche Mühe / nicht nur allein in den Kopf, sondern auch gar in das Herz“ zu bringen. Beer erzählte alten und jungen „GOtt-ergebenen Christen“ – so das Titel­ blatt – die biblische Geschichte in heilsgeschichtlicher Folge: Das AT wird von der Schöpfung bis zur Geschichte vom Drachen zu Babel in 248 22

Vgl. Ferdinand Cohrs: Art. „Katechismen und Katechismusunterricht“. In: RE3 10, 1901,

142. 23

Vgl. Evangelische Schulordnungen. Hg. v. Reinhold Vormbaum. Gütersloh 1864, 343–360. Johann Christoph Beer: Höchst-nützlicher Bibel-Kern. [. . .]. Nürnberg 1688. – Benutzt wur­ den die Auflagen Nürnberg 1688 (HAB Wolfenbüttel) und Nürnberg 21765 (GNM Nürnberg). 24

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Abb. 3 und 4: Beer, Bibel-Kern [s. Anm. 24], Titelkupfer und Titelblatt (© HAB Wolfenbüttel B 73b.4° Helmstedt).

Abschnitten nacherzählt, das NT in 117 Abschnitten von Angaben zu den vier Evangelisten und der Geburt Johannes des Täufers als des Vorläufers Christi (Lk 1) bis zur Vision vom neuen Jerusalem (Apk 21). Die Briefliteratur des NT fehlt. Jede Geschichte ist als Doppelseite stets gleich gestaltet mit einer aktualisierenden Überschrift, z. B. „Christus ist der wahre Trost gottseeliger Eheleute“ (NT 38 zur Hochzeit zu Kana Joh 2, 1–12). Auf diese folgt ein nar­ rativer Holzschnitt, der zum Einlesen in die Geschichte motiviert. Eine zweite Überschrift fasst den Inhalt des Bibelabschnittes knapp zusammen. Dann folgt eine eigenständige freie Nacherzählung, zum Teil verbunden mit dogmati­ schen Belehrungen und mit eigenen Beobachtungen. Beispielsweise wird die „Unerhörte Weisheit“ des zwölfjährigen Jesus im Tempel als „Lehren / Lesen / Disputiren / Predigen“ (NT 33 zu Lk 2, 41–52) bezeichnet. Dieses Bild Jesus als Lehrer ist vom Topos des prophetischen Lehramtes Christi herzuleiten. Noch lange nach Beers Tod benutzten „einige fromme Schullehrer“ den Bibel-Kern zum täglichen Vorlesen, um „der Jugend die ganze biblische Geschichte binnen einem Jahre, auf eine nützliche und erbauliche Art beyzu­ bringen“. Deshalb legte der Verleger Gabriel Nicolaus Raspe 1765 das Buch neu auf, veränderte einiges, ersetzte die in den Text eingefügten Holzschnitte 73

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durch 52 Kupfer „zur Ermunterung der Jugend“ (Vorbericht [unpag.]) an den zum Text passenden Stellen, die er für einen Aufpreis25 anbot. Einige Bildmo­ tive sind Merians Icones Biblicae (1625–27) nachempfunden.

5.4 Kaum Bilderbibeln und illustrierte Bibeln 5.4.1. Franckes Bedenken gegen Bibelillustrationen Bibelillustrationen sind als eine Form nonverbaler Exegese international und konfessionsübergreifend verständlich. Bis sich der Vierfarbendruck durchsetzte, waren Kinder- und Schulbibeln nur selten illustriert, da Bilder für die meisten zu teuer waren. Bilderbibeln wurden von Wohlhabenden gekauft. In Bilderbibeln hat das Bild Priorität vor dem Text; dieser dient der Bilderklärung. Texte bestehen entweder aus kurzen Bibelzitaten wie in Luthers Passional, aus Reimen,26 aus mehrsprachigen Bildüberschriften oder -unterschriften oder aus Kombinatio­ nen mehrerer Elemente. Oft sind biblische Fundstellen angegeben. Manchmal finden sich die gleichen Bilder in evangelischen und katholischen Bibelausga­ ben, sofern sie von konfessioneller Polemik frei sind. Im Unterschied zur Bil­ derbibel wurden Bilder in illustrierten Bibeln passend in den fortlaufenden Text eingefügt. Warum es im 18. Jahrhundert nur wenige Bilderbibeln für Kinder gebe, fragte der Verleger des Titels Poetischer Bilderschatz (1758) in seinem Vorwort. Zwar wirkten die Werke von Merian, Weigel, Mattsperger, Küsel und ande­ ren Barockkünstlern nach, die sicher auch von Kindern angeschaut wurden, doch fehlten neue Bilderbibeln für Kinder. Das Fehlen könnte mit der Über­ ordnung des Wortes über das Bild zusammenhängen. Wer wollte, konnte sich Bilder der Monath-Offizin in eine Hübner-Ausgabe oder Nachstiche der Biblia ectypa in eine Zürcher Miller-Ausgabe einbinden lassen. Um 1700 wird gefordert, dass biblische Bilder keine historischen Unwahrheiten enthalten dürften. Francke schreibt skeptisch: Zu welchen Ende [= dem Vertrauen auf Gottes Güte] dann etwan bey ihnen etliche Kupffer-Stücke und Figuren, welche denen Kindern anmuthig zu seyn pflegen, auch auff die Lehre der heiligen Schrifft [. . .] fein [. . .] zu gebrauchen wären. (Hierbey ist aber sehr grosse Fürsicht zu gebrauchen, indem sie [die Kupferstiche] selten mit Ver­ stande gemacht, und öffters denen Kindern mehr schaden als Nutzen bringen.) 25 Im Vorbericht vom 1. März 1765 gibt der Verleger Raspe an, das Buch koste einen halben Reichsthaler, mit illuminierten Kupfern 18 gute Groschen. 26 Vgl. Matthäus Merian d. Ä.: Icones Biblicae. Biblische Figuren [. . .]. 4 Teile. Frankfurt/Main 1625–1627. Übrigens ist der reformierte Christ M. Merian zehn Jahre nach dem Erscheinen der Icones Biblicae den Weigelianern zuzurechnen nach Lucas Heinrich Wüthrich: Matthaeus Merian d. Ä. Eine Biographie. Hamburg 2007, 161 ff. Merian schloss sich der reformiert-pietistischen Bil­ derkritik nicht an.

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Später heißt es: Darbey [ist] wohl inacht zunehmen, daß man nicht etwa die Kinder mit erdichteten Dingen oder Umständen auffhalten oder betriegen möge. Man darff der Kindheit keine Phantastische Conceptus [Vorstellungen] eingießen, sie ist ohnedem darzu geneigt. [Es ist zu vermeiden,] aus der göttlichen Wahrheit ein mährlein zu machen.27

Einerseits befürwortet Francke den Einsatz von Kupferstichen, um das Ver­ trauen auf Gottes Liebe visuell zu unterstützen, andererseits bevorzugt er sachkundliche Abbildungen, um falsche Vorstellungen zu vermeiden. Ergän­ zend zur Bibellektüre wurden in Halle reale Anschauungsobjekte bevorzugt, wie ein Modell des Jerusalemer Tempels28 und biblische Landkarten,29 um die „Wahrheit“ der Bibel zu unterstreichen. 5.4.2. Ein Longseller aus dem Erfurter Pietismus: Kratzenstein Aus Erfurt stammt die illustrierte Fragbibel von Kratzenstein30 (1737/38), die in der Bibliothek des Halleschen Waisenhauses nachweisbar31 ist. In diesem relativ groben narrativen Holzschnitt, der das Gedächtnis unter­ stützen soll, sind mehrere Schöpfungstage simultan dargestellt. Eine Diago­ nale strukturiert das Bild: Die rechte obere Hälfte zeigt eine kleine Gottesfi­ gur als Schöpfer der Himmelskörper, der Fische, Vögel und Landtiere; die untere linke Hälfte zeigt den noch leblosen Adam, über ihm eine zweite große Gottesfigur mit Krone und mit einer segnenden und einer redenden Hand, die Adam zum Leben ruft. Eva muss – anders als in Gen 1, 27 – noch fehlen, um einen Widerspruch zur Erschaffung der Frau aus Adams Rippe zu vermei­ 27 August Hermann Francke: Von der Erziehung der Jugend, ehemals abgehandelt in einer Vor­ rede über Fénelons Tractätlein von der Erziehung der Töchter [1702]. In: Ders.: Schriften über Erziehung und Unterricht. Hg. v. Karl Richter. Bd. 1. Berlin 1871, 52 u. 61 f. 28 Vgl. Christoph Semler: Der Tempel Salomonis [. . .]. Halle 1718. In: Lehrer, Lehrerbild und Lehrerbildung. Hg v. Hartmut Wenzel. Halle/Saale 2007, 21 u. 85, Abb. 2.18; Kelly J. Whitmer: Unmittelbare Erkenntnis. Das Modell des Salomonischen Tempels im Waisenhaus zu Halle als Anschauungsobjekt der frühen Aufklärung. In: Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahr­ buch für Bildkritik 7,1, 2009, 92–104. 29 Vgl. Gerhard Ringshausen: Von der Buchillustration zum Unterrichtsmedium. Der Weg des Bildes in die Schule, dargestellt am Beispiel des Religionsunterrichts. Weinheim, Basel 1976, 82– 85. 30 [Christoph Heinrich Kratzenstein:] Kinder= und / Bilder=Bibel./ Oder / Auszug derer Bibli­ schen Historien, / Welche / In auserlesenen Figuren vorgestellt, / Nach einem kurtzen Unterricht von denen Biblischen Büchern in Frag / und Antwort abgefasset, / Mit angefügten erbaulichen Lehren, aus schönen Sprüchen der heiligen / Schrifft wie auch denen geistreichen Gesängen / erläutert werden [. . .]. Der lieben Jugend und denen Einfältigen zum heilsamen Nutzen / Mit einem Register ausgefertiget [. . .]. AT Erfurt 1737; NT Erfurt 1738; Vgl. Ingrid Hruby in: HKJL Bd. II, Sp. 290–306 u. 1484; Bd. III Sp. 1407 f. – Da die Kratzenstein-Auflagen variieren, folge ich der für mich greifbaren letzten, d. h. 5. Auflage Erfurt 1756 (HLB Wuppertal/Bethel). Die erste Auflage 1737/38 wurde in der HAB Wolfenbüttel autopsiert. 31 Klosterberg, ABC-Büchlein [s. Anm. 13], 14, 6.

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Abb. 5: Kratzenstein, Kinder- und Bilderbibel [s. Anm. 30] (© HLB Wuppertal/Bethel).

den. Selbstverständlich steht die Erde im Zentrum; die Frage nach dem helio­ zentrischen Weltbild wird nicht gestellt. Der Zweizeiler unterstreicht die Bildintention: „Die Schöpfung GOttes kan uns weisen / Des Schöpfers Macht und Huld zu preisen.“ Der Magister Christoph Heinrich Kratzenstein (1686/Erfurt–1741/ebd.) arbeitete an der Schule der Erfurter Predigerkirche, einer „Hochburg des Pie­ tismus“.32 Von dem Pfarrer dieser Kirche, Johann Laurentius Pfeiffer (1662/ Thüringshausen–1743/Erfurt)33 stammt die Vorrede.

32 Brief von W. Blaha, Stadtarchiv Erfurt vom 30.08.2005. Vgl. außerdem Johannes Wallmann: Erfurt und der Pietismus im 17. Jahrhundert. In: Erfurt 1742–1992. Stadtgeschichte, Universitäts­ geschichte. Hg. v. Ulrich Weiß. Weimar 1992, 403–422. 33 Vgl. Martin Bauer: Evangelische Theologen in und um Erfurt im 16. bis 18. Jahrhundert. Beiträge zur Personen- und Familiengeschichte Thüringens. Neustadt/Aisch 1992, 32.

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[. . .] weil alle Schrift, und also auch die Biblische Historien, von Gott eingegeben, nütze ist zur Lehre, zur Straffe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit. 2 Tim. 3,16. [. . .] so hat man hohe Ursache, auch denen Zuhörern die Historische Schriften anzupreisen, und sie zu vermahnen: Suchet in diesen Schriften [Anklang an Joh 5,39]. Um dieses aber bey Einfältigen und Kindern zu erleichtern, und ihren Gemüthern von denen Biblischen Geschichten einen desto stärckern Eindruck zu verschaffen; so haben verständige und weise Leute vor gut befunden, die Geschichte durch Bilder zu entwerfen, damit durch die äusserlichen Sinne dieselbe dem Gedächtnisse desto besser eingepräget würden. (Vorrede)

Damit umriss Pfeiffer das Bibelverständnis der lutherischen Orthodoxie und des Pietismus als Glaube an die Verbalinspiration. Anschließend lobte er die biblischen Kupferstiche von Christoph Weigel und die des Zürcher Uni­ versalgelehrten Johann Jakob Scheuchzer,34 beide seien jedoch für Kinder „allzu kostbar“. Im Unterschied zu diesen beiden Werken hätten die von Kratzenstein zusammengestellten Bibelillustrationen „einen geringen Preiß“ (Vorrede); qualitativ sind sie m. E. unbefriedigend. Vermutlich wurden ältere, teils schon abgenutzte Druckstöcke benutzt. Verschiedene Hände waren beteiligt:35 Einige Holzschnitte stammen noch aus der Cranachschule, andere lehnen sich an Christoph Weigels und Zeidlers Kupferstiche an. So erklärt es sich auch, dass die Bauten und das Interieur der Häuser im Stil der Renais­ sance bzw. des Frühbarock dargestellt sind. Kratzenstein kombiniert in seiner Kinder- und Bilderbibel unterschiedliche theologische Zugänge zur Bibel: das lineare Schema der Heilsgeschichte für das AT und das zyklische Schema des Kirchenjahres für Perikopen aus dem NT. Deshalb fehlen eschatologische Texte aus dem Neuen Testament. An­ stelle des Bibeltextes bietet der Verfasser Wiederholungsfragen mit Antwor­ ten, Anwendungen, Gebeten und Zweizeilern als Bildunterschriften zum Memorieren. So entsteht ein eher zufälliger Mix36 auf der Basis der Fragbibel von Jakob Friedrich Reimann (1705, ²1725).37 Die Zweizeiler unter den Bil­ dern erinnern an pietistische Gedanken und enthalten im AT viele christologi­ sche Bezüge: 34 Johann Jacob Scheuchzer: Kupfer-Bibel. In welcher die Physica sacra oder geheiligte NaturWissenschaft derer in Heil. Schrift vorkommenden natürlichen Sachen, deutlich erklärt und bewährt [. . .]. 4 Bde. Augsburg 1731–1735. – Scheuchzer legt ein illustriertes wissenschaftliches Werk im Geiste der Physikotheologie vor, in dem der Luthertext und der Text der Zürcher Bibel synoptisch nebeneinander gedruckt sind. Er will Bibel und Naturwissenschaft in Einklang brin­ gen. Obwohl es sich nicht um eine Kinderbibel handelt, wird das Werk von der BraunschweigLüneburgischen Schulordnung aus dem Jahr 1737 „bey Kindern von Extraction und Vermögen“ empfohlen. Vgl. Ringshausen, Der Weg des Bildes [s. Anm. 29], 90 f. (ohne Angabe des Belegs). 35 Vgl. Ingrid Hruby in: HKJL 2, 303. 36 Vgl. die Inhaltsangabe bei Reents/Melchior, Geschichte [s. Anm. 1], 208. 37 Vgl. Pfeiffers Vorrede und Ingrid Hruby in: HKJL 2, 304. – Jakob Friedrich Reimann (1668/ Gröningen im Bördekreis–1743/Hildesheim) bildete sich als Sohn eines Schulmeisters nach dem Besuch des Gymnasiums autodidaktisch weiter. Er wirkte als Hilfsinspektor der halberstädtischen Schulen, als Pastor in Ermsleben und als Domprediger in Magdeburg, zuletzt als Superintendent und Leiter des Hildesheimer Schulwesens.

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„Des theuren Lämmleins JEsu Blut ist allen heilsam, nütz und gut.“ (N 25 zur Tötung der Erstgeburt Ex 12) „Alle Opfer, die geschehen, Auf den Heyland JEsum gehen.“ (N 32 zur Opfergesetzgebung in Lev) „Zwey Säulen unsre Hertzen zieren, wo Glaub und Liebe sind zu spüren.“ (N 61 zu 1Reg 7,21; die beiden Tempelsäulen symbolisieren die christ­ lichen Tugenden Glaube und Liebe.)

Einige Abbildungen sind der Lutherbibel nachempfunden; dazu ein Beispiel:

Abb. 6: Kratzenstein, Kinder- und Bilderbibel [s. Anm. 30], Bild 167 (© HLB Wupper­ tal/Bethel). Das Gesicht Daniels; Abb. 7: Lutherbibel 1534: Die Weltkarte nach Daniels Traum (© WLB Stuttgart).

Wegen des Schriftverständnisses, der Tendenz zur Verinnerlichung, der Bedeutung vorbildhafter Lebensbeschreibungen und wegen der „Ordnung des Heils“, d. h. einer Laiendogmatik, ist diese Kinder- und Bilderbibel dem Pietismus zuzurechnen. Wer Kratzensteins Werk durcharbeitete, erwarb eine zwar detaillierte, aber verworrene Bibelkenntnis mit einem schon damals ver­ alteten geozentrischen Weltbild (Abb. 6) und mit anthropomorphen Gottesfi­ guren (Abb. 5). 5.4.3. Einzelbeispiel aus der Familie von Zinzendorf Die Skepsis gegen biblische Bilder wurde im Pietismus nicht strikt durchge­ halten; ein Beleg ist ein handgezeichnetes Büchlein38 mit Szenen aus dem 38

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Vgl. Regine Schindler: „Zwischen Himmel und Erde“ – Ein Leitmotiv zur Beurteilung alter

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Abb. 8: Friedrich v. Wattewille: Die Mutter zeigt dem Kind eine Bilder Bibel (ca. 1751 Blatt2. © Unitätsarchiv Herrnhut SBü 28.2)

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Jugendleben der Comtesse Elisabeth von Zinzendorf (1740–1807). Es stammt von Friedrich von Wattewille (1700–1777), einem Jugendfreund des Grafen (1700/Dresden – 1760/Herrnhut), der Elisabeth 1750 bis 1752 in Herrnhut unterrichtete.39 6. Zwischen 1763 und 1840 offiziell keine Schulbibeln in Preußen Zur Charakteristik des Mainstreams eignet sich das Preußische GeneralLandschul-Reglement (1763), das nach orthodox-pietistischer Erziehungstra­ dition forderte, dass in der ersten Vormittagsstunde nach Lied und Gebet ein Stück aus dem Katechismus erklärt, aufgesagt und durch Bibelsprüche bestä­ tigt wird; alle sechs Wochen sollte der Lehrer damit von vorn anfangen. In der zweiten Vormittagsstunde wird das Lesen, Buchstabieren und das A, B, C, vorgenommen. In der ersten halben Stunde lesen die fertigen Lese-Kinder ein und ander Capitel aus dem Neuen Testa­ ment oder der Bibel, bald alle zugleich, bald eine gewisse Anzahl, bald fähret einer oder der andere alleine fort [. . .].

Außerdem konnte monatlich ein Psalm vorgelesen werden. Nachmittags lernten sie wieder ein Stück aus dem Katechismus. Endlich sagt ein jeder Hauffe seinen Wochenspruch her, nemlich die Grossen einen etwas weitläuftigen, die Mittlern einen mittelmäßigen und die Kleinen einen gantz kurtzen. Auf diese Art lernen die Kinder wöchentlich ein Stück aus dem Catechismo und der Christlichen Lehre im Zusammenhang, ingleichen Drey Sprüche, auch monatlich sowol einen Psalm als ein Lied.

Am Sonnabendvormittag wurden Sprüche, Psalmen, Lieder und Biblische Historien wiederholt. Einheitliche Lehrbücher waren: Das Neue Testament, die Hällische oder Berlinische Bibel und das Berlinische Buchstabir- und LeseBuch; jedes Kind sollte sein Buch haben.40 In Preußen werden als Lehrbücher Katechismus, Bibelsprüche ohne Spruchbücher sowie das Neue Testament bzw. die Vollbibel genannt; Bilder­ bibeln oder illustrierte Bibeln fehlen. In diesem Kontext ist auch das mehrfach wiederholte Verbot von Bibelauszügen in Preußen 1814, 1825 und 184041 verständlich. Nicht selten ignorierte die Schulpraxis dieses Verbot. und neuer Kinderbibeln. In: Das Alte Testament in Kinderbibeln. Eine didaktische Herausforde­ rung in Vergangenheit und Gegenwart. Hg. v. Gottfried Adam [u. a.]. Zürich 2003, 36. 39 Mitteilung des Unitätsarchivs Herrnhut vom 17.09.2010. 40 Vgl. Königlich-Preußisches General-Landschul-Reglement wie solches in allen Landen Sr. Königl. Majest. Von Preussen durchgehends zu beobachten. De Dato Berlin, den 12. August, 1763, § 19 und § 20. 41 Reents, Bibel als Schul- und Hausbuch [s. Anm. 4], Anhang IV, 230–235 mit Quellenab­ druck.

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7. Beispiele aus Erweckungsbewegungen 7.1 Spruchbücher ohne Bezug zum Kind Bezüglich der Spruchbücher lässt sich kaum zwischen Luthertum und Erweckungsbewegungen differenzieren. Spruchbücher wurden gelegentlich noch im 19. Jahrhundert als „Bibel im Kleinen“42 oder als „Kinderbibel“43 deklariert; es sind 58 Titel nachgewiesen. Wegen der beherrschenden Stellung des Katechismus sind Spruchbücher oft als dicta probantia zum Katechismus entweder zu Luthers Kleinem Katechismus und/oder zum Heidelberger Katechis­ mus und/oder zu einem Unionskatechismus44 konzipiert. Der Nördlinger Stadtpfarrer Karl Buchrucker schreibt, dass „bestimmte Sätze der Heilslehre [. . .] wörtlich einzuprägen“ sind; für Buchrucker sind es 385 Bibelsprüche.45 Seit dem Jahre 1876 sollen z. B. in Sachsen46 150 Bibelsprüche als „Schatz für das Leben“ gelernt werden, in Preußen sind es 180 Sprüche, in Bayern sind es in der Zeit von 1836 bis 1898 insgesamt 696 und in Württemberg 689 Sprü­ che im Jahre 1839. In diesem Rahmen gab es eine gewisse Freiheit.

42 Carl Adolph Gerhard von Zezschwitz: System der christlich kirchlichen Katechetik. Bd. II/1. Leipzig ²1874, 227. 43 Kleine Kinderbibel oder die christliche Religionslehre in biblischen Sprüchen. Straßburg 3 [um 1840] [Die Schrift ist von der Aufklärung beeinflusst.]; Die alte Straßburger Kinderbibel, das ist die sechs Hauptstücke der christlichen Lehre mit klaren Sprüchen der h. Schrift, von einem Ehrwürdigen Kirchenconvent in Straßburg zum Gebrauch der evangelisch-lutherischen Gemei­ nen verordnet. Neu verlegt mit Ergänzungen und Erläuterungen. Straßburg 1854. Hier liegt ein indirekter Bezug auf den Lutherschüler Johannes Marbach (1521/Lindau–1581/Straßburg) vor; dieser ist Bucers Nachfolger in Straßburg. – NA: Straßburg 1889. 44 Vgl. Carl Eberhardt: Katechismus der christlichen Lehre für die evangelisch-protestantische Kirche. In zwei Abtheilungen. Heidelberg 1852. 45 Karl Buchrucker: Dr. Martin Luther’s kleiner Katechismus mit erklärenden Fragen und Ant­ worten und erläuternden und beweisenden Sprüchen der heiligen Schrift sammt der Augsburgi­ schen Confession. Ein Revisionsvorschlag. Nürnberg ²1868, Vorrede. 46 Sächs. Hauptstaatsarchiv Dresden, Min. für Volksbildung, Akte Nr. 13635 mit der Über­ schrift „Acta der in der Volksschule zu erlernenden Bibelsprüche, Kirchenlieder und Choralmelo­ dien betreffend. 1877–1883.“; [Anonym:] Der religiöse Memorirstoff für die evangelischen Volks­ schulen des Königreichs Sachsen. Im Auftrage des königl. Ministeriums des Cultus und öffentlichen Unterrichts zugleich für den Schulgebrauch herausgegeben. (Bekanntmachung vom 19. September 1877). Ausgabe für Schüler. Dresden 231880.

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7.2 Bibelnahe Paraphrasen – Zwei Klassiker der Erweckung aus dem Süden und Westen: Barth 1832 und Zahn 1832 In den ruhigen Jahren zwischen 1815 und 1848 erschienen über 50 Neu­ bearbeitungen der Bibel47, zumeist für den Schulgebrauch; zehn von ihnen lassen sich eindeutig der Erweckung zuordnen, z. B. die Hübner-Bearbeitung des Cronenberger Pfarrers August Ernst Rauschenbusch (1777/Bünde–1840/ Altena, Westf.), die als „Schwelmer Biblische Historien“48 bezeichnet wird. In dieser Zeit entstand auch das Fehlurteil, der alte Hübner stamme aus dem Pie­ tismus, da der einflussreiche Hallesche Erweckungstheologe Friedrich August Gottreu Tholuck (1799/Breslau–1877/Halle) Hübners Biblische Historien zu den „Jugendschriften, die von Franckes Jüngern [. . .] ausgingen“,49 zählte. Dagegen spricht, dass Hübner kein Franckeschüler war, sondern ein Kommi­ litone während Franckes Leipziger Zeit. Um 1830 erschienen fast zeitgleich zwei Longseller im Geiste der Erwe­ ckung: Barth und Zahn mit ihren bibelnahen Textparaphrasen. Dazu bemerkte der Erlanger Praktische Theologe Carl Adolph Gerhard von Zezschwitz: Das Jahr 1830 kann [. . .] als Eröffnungsjahr der neuen Epoche gelten; denn mit dem erneuerten alten [= Lindner 182850] tritt zugleich der neue Hübner unseres Jahrhun­ derts auf. Fr. L. Zahn ist für unsere Zeit geworden, was Hübner für die seine war. Neben ihm verdienen obenan die Calwer biblischen Geschichten [. . .], genannt zu werden.51

7.2.1 „[N]icht die Bibel ersetzen sondern zu ihr leiten und locken“: Barth 183252 Als evangelisches Gegenstück zu dem katholischen älteren Christoph von Schmid gilt der international verbreitete Longseller von Christian Gottlob Barth (1799/Stuttgart–1862/Calw),53 dessen betont wohlfeile Zweymal zwey 47

Reents, Bibel als Schul- und Hausbuch [s. Anm. 4], 360 f. Reents, Bibel als Schul- und Hausbuch [s. Anm. 4], 131–152. 49 Ueber die Litteratur unserer Jugendschriften in christlicher Beziehung, nebst einem Blick auf die früheren Perioden. In: Litterarischer Anzeiger für christliche Theologie und Wissenschaft überhaupt, Nr. 21 vom 9.4.1832, Sp. 161–166, hier Sp. 162 f. Weitere Belege bei Reents, Bibel als Schul- und Hausbuch [s. Anm. 4], 355. 50 Zu Lindner vgl. Reents, Bibel als Schul- und Hausbuch [s. Anm. 4], 202–204. 51 Carl Adolph Gerhard von Zezschwitz: System der christlich-kirchlichen Katechetik. Bd. 2. Leipzig ²1874, 131. – Der Vf. gibt die Erstauflagen nicht präzise an: Lindners Hübner-Bearbei­ tung erschien zuerst 1828, Zahns Biblische Geschichte zuerst 1831 und Barths Biblische Geschich­ ten 1832. 52 [Christian Gottlob Barth u. Gottlob Ludwig Hochstetter:] Zweymal zwey und fünfzig biblische Geschichten für Schulen und Familien. Mit [100] Abbildungen. Calw 1832; Stuttgart 4651928 mit 45 Bildern von Rudolf Yelin; 4811945 (letzte deutsche Auflage) mit 41 Bildern von Rudolf Yelin. 53 Vgl. Werner Raupp: Christian Gottlob Barth. Studien zu Leben und Werk. Stuttgart 1998; Martin Brecht: Christian Gottlob Barths „Zweimal zweiundfünfzig Biblische Geschichten“ – ein weltweiter Bestseller unter den Schulbüchern der Erweckungsbewegung. In: PuN 11, 1985, 127– 48

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und fünfzig biblische Geschichten für Schulen und Familien von 1832 bis 1945 auf­ gelegt wurden. Das Büchlein wandte sich an Zehn- bis Zwölfjährige und bot knapp das Übliche. Barth begründete als Pfarrer in Möttlingen 1828 den Cal­ wer Verlagsverein; er schuf ein breites jugendliterarisches Œuvre, das zumeist anonym erschien. Sein Biograph und Freund Karl Werner schreibt 1866 in einer populär-erbaulichen Darstellung: Gleichzeitig dachte Barth an ein neues Unternehmen, von dem er sich für das Reich Gottes mit Recht Gutes versprach, und dessen Erfolg die kühnsten Erwartungen weit übertroffen hat. Er war nämlich daran, eine ‚Sammlung biblischer Geschichten für Landschulen mit Abbildungen‘ herauszugeben, die so wohlfeil wäre, daß man sie recht weit verbreiten könnte. Er hoffte dabei auf Unterstützung von England, und wollte in diesem Fall gleich 10.000 Exemplare drucken lassen. Sein neuer Nachbar, Pfr. Hochstetter, hatte die Bearbeitung angefangen, und die ersten Proben gefielen Barth.54

Obwohl Barth seinen Buchtitel an Hübner orientierte, nannte er ihn nicht. Vergleicht man Barths Longseller mit seinem Vorläufer, so fällt auf, dass Hübners dreifache Anhänge an jede Historie fehlen. Allerdings wurden Fra­ gen mit Antworten in der Zeitschrift Jugendblätter55 ergänzt. Beide, Hübner und Barth, bieten bibelnahe Paraphrasen nach der Lutherbibel. Während Hübner sechs Geschichten aus den Apokryphen enthält, fehlen diese bei Barth. Hübner und Barth legen den Schwerpunkt auf ereignisreiche Geschichten; jedoch bietet Barth ohne Angabe der Fundstellen mehr Gleich­ nisse und Logien als Hübner. Beide summieren gelegentlich mehrere Periko­ pen unter einer Ziffer, z. B. „Kindlein gerufen, Männer geprüft“.56 Wie bei Hübner fehlt ein eschatologischer Ausblick. Zusätze erklären gelegentlich Unverständliches. Die für die Aufklärung typischen Merkmale wie die Anrede an Kinder, die moralischen Mahnungen und das „Merke“ sind redu­ ziert. Allerdings wird die Geschichte „Jesus im Knabenalter“ eingeleitet: Nicht wahr, liebe Kinder, nun möchtet ihr auch gern etwas von den Kinderjahren Jesu erzählen hören, wie er sich gegen seine Eltern und Gespielen betragen, wie und was er gelernt und gearbeitet, wie und womit er gespielt habe. Allein davon steht in der Bibel nicht viel.57 138; Klaus Dieter Füller: Erfolgreiche Kinderbuchautoren des Biedermeier. Christoph von Schmid, Leopold Chimani, Gustav Nieritz, Christian Gottlob Barth. Frankfurt/Main 2006; Gottfried Adam: Die Biblischen Geschichten von Christian Gottlob Barth. Eine Annäherung an einen „Weltbestseller“. In: Die Inhalte von Kinderbibeln. Kriterien ihrer Auswahl. Hg. v. Gottfried Adam [u. a.]. Göttingen 2008, 117–144. 54 Karl Werner: Christian Gottlob Barth, Doktor der Theologie, nach seinem Leben und Wir­ ken. Bd. 2. Calw, Stuttgart 1866, 174. 55 Vgl. Tausend biblische Fragen und Antworten aus den Jugendblättern von Dr. Chr. Barth, gesammelt und vermehrt von einem Freund der Kinder. [41863]. Calw u. Stuttgart 1878. 56 Barth, Geschichten [s. Anm. 52], 152 (bezieht sich auf Mk 10,13–25; Lk 19,1–10). 57 Barth, Geschichten [s. Anm. 52], 123.

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Anders als Hübner bietet Barth nur selten Reime. Gelegentlich integriert er seine theologischen Kommentare in den fortlaufenden Text. Eine auffällige Ausnahme ist die Gotteslehre am Anfang des Büchleins; wie Hübner fasst Barth viele mythologische Elemente realhistorisch auf. Eine kleine Beobach­ tung belegt, dass Barth im Vormärz das Feudalsystem mit den patriarchalen Verhältnissen seiner Zeit bejaht: von einem König erwartet er, dass dieser „seines Volkes Vater seyn will“.58 Zur Reichsteilung und zum Nordreich Israel bemerkt Barth: „Von der Zeit an war wenig Heil mehr in Israel. Eine Revolution folgte der andern.“59 Ein Kontrast findet sich in der Geschichte vom Aufstand und Untergang der Rotte Korah (Num 16 und 17); hier wird die Ablehnung der Französischen Revolution biblisch legitimiert, denn die Rotte Korah habe „für die ganze Gemeinde Freiheit und Gleichheit“60 gefor­ dert, deshalb sei sie bestraft worden. So aktualisiert ein württembergischer Untertan im Vormärz biblische Geschichten durch kurze Zusätze. Für ihn ist „Ungehorsam so gut Sünde als Abgötterey oder Zauberey“.61 Über hundert kleine Holzschnitte englischer Herkunft62 von miserabler Qualität sind in den Text eingefügt. Sie zeigen neben bekannten auch neue, realitätsbezogene Motive:

Abb. 9: Barth, Versteinerung als „Überbleibsel“ der „Sündfluth“, 9 (Privatbesitz) Abb. 10: Barth, Davids Harfe, 83 (Privatbesitz).

Palmen, Kamele und Dromedare als orientalisches Kolorit, Bethlehem, „wie es gegenwärtig aussieht“,63 oder eine Henne mit ihren Küken zu dem Logion Jesu: „Jerusalem, Jerusalem, [. . .] wie oft habe ich deine Kinder ver­ sammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt!“ (Mt 23,37–39). 58

Barth, Geschichten [s. Anm. 52], 90 (zu 1 Reg, 12). Barth, Geschichten [s. Anm. 52], 92. 60 Barth, Geschichten [s. Anm. 52], 60. 61 Barth, Geschichten [s. Anm. 52], 74. 62 Heinrich Merz: Art. „Bilderbibel und Bibelbilder“. In: Enzyklopädie des gesammten Erzie­ hungs- und Unterrichtswesens [. . .]. Bd. 1. Gotha ²1876, 694. 63 Barth, Geschichten [s. Anm. 52], 119. 59

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Abb. 11: Barth, Geschichten [s. Anm. 52], 165 (in der 35. Aufl. Calw u. Stuttgart [Pri­ vatbesitz]).

Mit rund drei Millionen Exemplaren, mit Ausgaben für Blinde und für Taubstumme sowie mit 88 Übersetzungen, auch ins Hebräische für jüdische Schulen, gelten Barths biblische Geschichten als das am weitesten verbreitete64 evangelische Buch. 7.2.2 Zahn als „der neue Hübner“65: 1831 und 1832 Zahns Biblische Historien und ihre Bearbeitungen66 waren ein Jahrhundert lang bis in die NS-Zeit verbreitet, vermutlich deshalb gilt dieser Longseller als „der neue Hübner“. Franz Ludwig Zahn (1798/Wasserthalleben, Thür.–1890/Meurs), von der Berliner Erweckung um den Baron Hans Ernst von Kottwitz beeinflusst, wechselte vom Jurastudium zum Theologiestudium in Berlin, vor allem bei August Neander und Tholuck. Vermutlich durch von Kottwitz wurde er mit 64

Vgl. Raupp, Barth [s. Anm. 53], 208–215. Gerhard von Zezschwitz: System der christlich kirchlichen Katechetik. Bd. I/2. Leipzig 2 1872, 131. 66 Franz Ludwig Zahn: Biblische Geschichte [. . .] das ist: Geschichte des Reiches Gottes auf Erden. Meurs 1831; ders.: Biblische Historien nach dem Kirchenjahre geordnet. Meurs, Dresden 1832. 65

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dem Volksschul- und Seminarwesen in Preußen bekannt, nahm 1825 seine Tätigkeit im Lehrerseminar von Weißenfels auf. Damals begann Zahn die Arbeit an der Geschichte des Reich[es] Gottes auf Erden67 bzw. an der Biblische[n] Geschichte. Seit 1827 arbeitete Zahn fünf Jahre als Leiter des privaten flet­ scherschen Lehrerseminars in Dresden, dessen Stifter der zinzendorfschen Brüdergemeine nahe standen, bis er 1832 als Diesterwegs Nachfolger zum Seminardirektor nach Meurs/Niederrh. berufen wurde.68 69 Da die Biblische[n] Historien biblische Geschichte und „Lehren“ in Form von Bibelsprüchen sowie Choralverse vereinigen, entsprechen sie dem Lehrstoff der Volksschule. Im Unterschied zum alten Hübner bietet Zahn ca. 650 Bibelsprüche und Liedverse; dadurch trägt Zahns Biblische Geschichte zur Ablösung der Spruchbücher bei. Außerdem konstruiert er einen Kirchenjahr­ bezug. Nur ein Teil der Erstauflage enthält 40 kleine schwarz-weiße Lithogra­ phien von Ludwig Richter (1803/Dresden–1884/ebd.) und seinem Kreis,70 die an Bibelillustrationen des 16. Jahrhunderts erinnern und Zahn nicht befriedigt haben. Ein Exemplar ohne Bilder kostete 10 Groschen, ein illust­ riertes 16 Groschen, ein Beleg für die These, dass illustrierte Kinderbibeln oft von Wohlhabenden für die häusliche Erziehung gekauft wurden. Auf dem oberen Bild fällt am rechten Rand das Kind im Baum auf, auf dem unteren Bild die beiden Kinder als Identifikationsfiguren, die im Bibeltext fehlen. Das Gemäuer und die Burg sollen zur Enkulturation der Bibel beitragen. 67 Franz Ludwig Zahn: Das Reich Gottes auf Erden. Handbuch zur biblischen- und Kirchenge­ schichte für Lehrer und reifere Schüler, und zum Selbstunterricht. Dresden 1830. – Die teilweise Abhängigkeit von folgendem Werk bleibt zu klären: Wilhelm Harnisch: Die Geschichte des Rei­ ches Gottes auf Erden. Als erbauliches Lehr- und Lesebuch für höhere Volksschulen, Bürgerschu­ len, Berufsschulen, Schullehrerseminarien und Gymnasien sowie für den häuslichen Gebrauch [. . .]. Halle/Saale 1831. 68 Vgl. Reents, Bibel als Schul- und Hausbuch [s. Anm. 4], 204 f. 69 Hans Zahn: Franz Ludwig Zahn. Ein Lebensabriß [. . .]. In: Dem Andenken an Franz Ludwig Zahn, dem Vorkämpfer christlicher Volksbildung. Moers 1948, 51; Peter C. Bloth: Religion in den Schulen Preußens. Der Gegenstand des evangelischen Religionsunterrichts von der Reakti­ onszeit bis zum Nationalsozialismus. Heidelberg 1968, 30–32; Hugo Gotthard Bloth: Der Pädagoge Franz Ludwig Zahn (1798–1890) und seine Amtsenthebung durch Ferdinand Stiehl (1812–1878). In: MEKGR 24, 1975, 163–202; Klaus Goebel: Franz Ludwig Zahn. In: RhLB 7. Hg. v. Bernhard Poll. Köln 1977, 133–150; Rainer Polle: Religionspädagogik und Ethik in Preußen. Münster 1988, 310–356. 70 Ludwig Richter berichtete: „Es währte nicht lange, so waren wir, Berthold, Peschel und ich, zu einer kleinen gemeinsamen Arbeit verbunden. Wir hatten den Direktor des Fletscherschen Seminars, Zahn, kennen gelernt, und da derselbe eben seine Bearbeitung der biblischen Geschich­ ten zum Schulgebrauch herausgeben wollte und für diesen Zweck gern Bilder gehabt hätte, wenn sich solche ohne großen Kostenaufwand herstellen ließen, so waren wir sogleich bereit, da wir es als eine gemeinsame Kompositionsübung betrachteten, auf diese Sache einzugehen. Die kleinen Blätter wurden später von Williard lithographiert.“ (Ludwig Richter: Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Hg. v. Karl Wagner. Leipzig 41982, 172). Ringshausen, Der Weg des Bildes [s. Anm. 29], 171, erwähnt 40 Kupferstiche unbekannter Herkunft.

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Abb. 12: Franz Ludwig Zahn: Biblische Geschichte nebst Denkwürdigkeiten aus der Geschichte der christlichen Kirche. Mit einer Vorrede von Dr. Tholuck. Zwei Theile. Illustriert mit eingehefteten Bildern von Ludwig Richter. Meurs 1831 (© LB Mecklen­ burg-Vorpommern, Schwerin).

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Wegen der Bibelnähe und der Nähe zum Kirchenjahr wurde das Schulbuch oft von Konsistorien empfohlen. Der Text von Zahns Biblische[n] Historien, nach dem Kirchenjahre geordnet ist eine gekürzte Schulbuchfassung seiner ein Jahr älteren Biblische[n] Geschichte nebst Denkwürdigkeiten aus der Geschichte der christlichen Kirche (1831), nur in der ersten Auflage mit einem Vorwort seines Freundes Tholuck versehen: Wer von dem Tage an, wo das Schöpferwort rief: Es werde Licht! alles, was d[ie] H[eilige] Schrift uns erzählt, bis es im letzten prophetischen Buche, welches vom Ende der Welt den Schleier hinwegzieht, heißt: ‚Ich sahe einen neuen Himmel und eine neue Erde‘, überblickt, findet eine zusammenhängende Kette, einen deutlich sich entfaltenden Entwicklungsgang [. . .]. In diesem Sinne soll nun der christliche Religionslehrer biblische Geschichte lehren. (IIIf.)

Damit wandte sich Tholuck gegen die Sammlungen biblischer Einzelge­ schichten, denn die „Geschichte des Reiches Gottes auf Erden“ sei selbst „eine wahrhaftige Kinder-Geschichte“, die er von den „lieblichen Kinder-Erzählun­ gen“ der Aufklärung unterscheide. Deshalb geht es Zahn um den „Offenba­ rungsgang in der heiligen Schrift“ „mit den eigenen Worten der heil[igen] Schrift“71 nach Luthers Motto: „scriptura sui ipsius interpres“.72 Deshalb ersetzt er Hübners dreifachen, frei formulierten Anhang durch Bibelsprüche. Zahns umfangreichere Biblische Geschichte (1831) endet mit einem mehrfa­ chen eschatologischen Ausblick in Choralform und mit einem Abriss der Kir­ chengeschichte von den Christenverfolgungen bis zur Kritik an der Aufklä­ rung als „Zeit des Unglaubens“ und bis zur Gründung der Londoner Bibelgesellschaft (1804). Diese Intention entspricht der neupietistischen Posi­ tion des Verfassers, der auch die Kirchengeschichte in die „Geschichte des Reiches Gottes auf Erden“ einbezog. Im Unterschied zu dieser ausführlichen Konzeption des Titels Biblische Geschichte (1831) beschränken sich die Bibli­ sche[n] Historien, nach dem Kirchenjahre geordnet (1832) auf eine leicht gekürzte Fassung der Bibeltexte;73 nur in einer der Ausgaben sind Liederverse und Sprüche zu finden. Ist Zahn wirklich ein neuer Hübner? Diese Einschätzung von Zezschwitz bezieht sich auf die breite Rezeption, nicht auf die didaktische Gestaltung. Vier Unterschiede zu Hübner fallen auf: Zahns theologische Verwurzelung in der Erweckung mit seiner eschatologischen Ausrichtung, seine viel aus­ führlichere Textparaphrase, die Verknüpfung aller angegebenen Bibeltexte

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Vorrede von A. Tholuck vom 23.05.1831, VI. WA 7, 97, 20–24. 73 Gekürzt sind z. B. Geschlechtsregister, Ismael, Saras Tod und Begräbnis, der Bau der Stifts­ hütte und Ceremonialgesetze. Es finden sich gelegentlich auch Erweiterungen, z. B. beginnt das NT unter den Überschriften „Siehe, ich komme!“ § 1 und „Hosianna, dem Sohne Davids!“ mit messianischen Weissagungen. 72

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mit den Sprüchen des Anhangs zu einem Maximum und schließlich der im Vergleich zu Hübner fehlende Alltagsbezug. In den von dem Regierungs- und Schulrat Alfred Giebe bearbeiteten Düs­ seldorfer Ausgaben (zuletzt 2961916) entfällt die Zuordnung zum Kirchen­ jahr; außerdem wurden 42 Geschichten gestrichen sowie die Bergpredigt ergänzt. Die Lehren und Choralverse entfallen. Die „Bilder aus der Kirchen­ geschichte“ sind bis in das 19. Jahrhundert fortgeschrieben: durch kurze Erzählungen zu Spener, Francke und Zinzendorf, zur Bibelverbreitung und zur inneren und äußeren Mission. Der Bearbeiter behielt Zahns pietistische Sicht der Kirchengeschichte bei. Dieser Klassiker wurde landauf, landab von Synoden74 und Kirchenleitungen empfohlen und in Schulen benutzt.75 7.3 Freie Erzählungen Im 19. Jahrhundert geht die Zahl der freien Erzählungen unter dem Ein­ fluss von Restauration und Erweckung zurück.76 7.4 Neue Bilderbibeln Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Bilderbibeln des Barock unmo­ dern. Während der Hallesche Pietismus und die Aufklärung wegen ihrer Kri­ tik an veralteten Vorstellungen und wegen des Preises kaum neue Bilderbi­ beln schufen, ändert sich das vor allem in der Romantik. Hier entsteht Neues, denn das Interesse einiger Romantiker an biblischen Themen trifft sich mit dem missionarisch-diakonischen Bildungsinteresse der Erweckungsbewegung und mit Pestalozzis Forderung nach Anschauung. Ziel ist, einen lebendigen Glauben durch die Kunst zu unterstützen; ihr wird eine dienende Funktion im Dienste der Verkündigung zugewiesen. So entstehen neue Bilderbibeln und biblische Bilderbücher für Kinder oft nach Motiven der Renaissance, die für besitzende Schichten erschwinglich sind. Hier ist Fliedners Schul-Bilderbi­ 74 In den „Verhandlungen der 3. Rheinischen Provinzial-Synode, gehalten zu Bonn den 21. August bis 4. September 1841, Barmen 1842“ heißt es auf Seite 106 zu „Zahn’s biblischen Histo­ rien nach dem Kirchenjahre geordnet (Meurs 1841)“: „Ein in seiner zweckmäßigen Anordnung und Auswahl, biblischen Darstellung und wegen der treffend eingefügten bibl[ischen] Sprüche und kernhaften Benutzung des evangelischen Liederschatzes vorzügliches Lesebuch. Zu empfeh­ len.“ Dreißig Jahre später ist das „Lernen der bibl[ischen] Geschichte nach Zahn [. . .] fast zu einer Unmöglichkeit geworden“ (Verhandlungen der 15. Rheinischen Provinzial-Synode gehalten zu Neuwied vom 19. Sept. bis zum 6. Octbr 1874. Neuwied 1875, 288). 75 Das Archiv der Ev. Kirche im Rheinland schreibt im Brief vom 17. 04. 2007: „Der Verlag Bagel korrespondierte nach Kriegsende mit der Leitung der Ev. Kirche der Rheinprovinz über den Druck von Religionsbüchern. In einem Schreiben vom 23.11.1946 heißt es, die verkaufte Auflage der ‚Biblischen Geschichte‘, kleine Ausgabe, betrage 45.000 Exemplare. (Quelle 1 OB 002 Nr. 857).“ 76 Vgl. die Tabelle in Reents / Melchior, Geschichte [s. Anm. 1], 647 f.

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Abb. 13: Fliedner: Schul-Bilderbibel [s. Anm. 77]. Titelseite mit Inhaltsverzeichnis. (© UB Düsseldorf Benz)

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bel77 (1843) mit ihrem thematischen Schwerpunkt auf die Kinder der Bibel zu nennen. Der Pfarrer Theodor Fliedner (1800/Eppstein–1864/Kaiserswerth)78 arbei­ tete in der evangelischen Gemeinde Kaiserswerth, die in der Zeit der begin­ nenden Industrialisierung arm war. Schon im Jahre 1825 entwarf er das erste Konzept einer „Neue[n] Bilderbibel für die Jugend“ unter dem Motto: „Las­ set die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Himmelreich“ (Mk 10,14), mit 60 Lithographien aus dem AT und NT. Düs­ seldorfer Kunstschüler79 waren beteiligt, u. a. der Historienmaler Adolf Zim­ mermann (1799/Lodenau, Oberlausitz–1859/Breslau)80, Johann Baptist Son­ derland (1805/Düsseldorf–1878/ebd.) und Otto Mengelberg (1818/Köln– 1890/Düsseldorf), denn die Düsseldorfer Kunstakademie war ein Zentrum nazarenisch-romantischer Kunst. Die Realisierung von Fliedners Plan war schwierig. Ein Prospekt warb für eine „Neue Bilder-Bibel für die Jugend“ mit 64 Bildern: Der große Nutzen bildlicher Darstellung der biblischen Geschichten zum leichteren Verstehen und Behalten derselben für die liebe Jugend ist allgemein anerkannt. [. . .] Indessen hat es bisher immer noch an einer Bilderbibel gefehlt, welche die 3 Eigen­ schaften in sich vereinigte: 1) würdig, 2) zweckmäßig für den Unterricht, und 3) sehr wohlfeil zu seyn. Die hier angezeigte ‚Neue Bilderbibel für die Jugend‘ vereinigt diese 3 Eigenschaften. Sie ist 1) würdig. Denn sie verletzt weder das religiöse, noch das sittliche, noch das Schönheits-Gefühl. Es ist in ihr daher z. B. Gott der Vater nicht körperlich abgebildet, was in vielen Bilderbibeln geschieht [. . .]. Auch dem sittlichen Gefühle ist nichts in den Bildern anstößig, indem Anstand und Schicklichkeit in allen Darstellungen sorgfältig beobachtet worden ist. Das Schönheitsgefühl findet in den Bildern auch seine Befriedigung, da sie nach den besten Musterbildern gezeichnet, und die reichen Hülfsquellen der hiesigen Königl. Kunst-Akademie dazu benutzt worden sind. Diese Bilderbibel ist 2) besonders zweckmäßig für den Unterricht in der biblischen Geschichte eingerichtet [. . .].

Der Verlag Arnz & Comp. in Düsseldorf bot Die neue Bilder-Bibel mit 64 Bildern für 20 Silbergroschen an. Unklar ist, ob dieser Plan schon 1836 reali­ siert wurde;81 wahrscheinlich stammt die Erstauflage in einer auf 30 Bilder 77 Schul-Bilderbibel in 30 Bildern Alten und Neuen Testaments. Hg. zum Besten der Diaco­ nissen-Anstalt zu Kaiserswerth a. R. von Th. Fliedner, Pfarrer daselbst. Düsseldorf [o. J., 1843?]. 78 Vgl. Martin Gerhardt: Theodor Fliedner. Ein Lebensbild. Bd. 1. Düsseldorf-Kaiserswerth 1933, 302 ff. 79 Vgl. Merz, Bilderbibel [s. Anm. 62], 693. 80 Von Zimmermann stammt Der barmherzige Samariter, der sich nicht in der Schul-Bilderbibel findet. 81 Die Datierung der Erstauflage ist ungewiss. Vgl. Gerhardt, Fliedner [s. Anm. 78], 304; Hugo Gotthard Bloth: Das Bild des barmherzigen Samariters. Ein „Elfhundert-Thaler-Blatt“ in Theodor Fliedners Bilderbibel von 1836 bzw. 1842. In: EU 21, 1966, 251 u. 254–258. – Martin Gerhardt und Hugo Gotthard Bloth vermuten, dass eine Erstfassung verloren ging. Denkbar wäre auch, dass die in dem Werbeprospekt der Fa. Arnz 1836 angekündigte Schul-Bilderbibel nicht erschien,

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reduzierten Fassung erst aus dem Jahr 1843. Diese Bilderbibel (2°) besteht aus einer Mappe mit 30 Einzelblättern mit Bildunterschriften, die von Kinder­ gruppen einzeln betrachtet werden sollen. Auf dem illustrierten Titelblatt [o. J.] ist links Moses als Stifter des Alten Bundes mit den Gesetzestafeln und dem siebenarmigen Leuchter zu sehen; als Stifter des Neuen Bundes steht rechts der Auferstandene mit einer Sieges­ fahne, einem Abendmahlskelch und im Hintergrund mit den drei Kreuzen vom Hügel Golgatha. In der unteren Mitte ist die Bundeslade mit dem Che­ rubenthron und der Sühneplatte als Kultgegenstand des nomadischen Israel (Num 10,33; Dtn 10,1–5; Ex 25,10–22 u. ö.) abgebildet. Am mittleren obe­ ren Bildrand ist eine Taube als Symbol des Heiligen Geistes gezeichnet; von ihr gehen Strahlen aus, die den Hintergrund des Buchtitels bilden. Soll mit dieser Lichtsymbolik die Inspiration der Heiligen Schrift veranschaulicht wer­ den? Das Ganze ist von Früchten und floralen Motiven gerahmt; Jesu Dor­ nenkrone und seine Siegesfahne sind in den Rahmen einbezogen. Jedes Bild erzählt detailgetreu eine biblische Geschichte. Die 30 Bilder sind in biblischer Abfolge vom Sündenfall bis zum Ideal der Erziehung in einer christlichen Familie aus neutestamentlicher Zeit angeordnet. Allerdings fehlen wichtige, noch im Prospekt der Fa. Arnz & Comp. geplante Bildtitel, in der Erstauflage; der komplizierte Entstehungsprozess und die angespannte Finanz­ lage werden zu Streichungen geführt haben. Am Schluss findet sich das Bild Timotheus wird in der h[eiligen] Schrift unter­ richtet (2Tim 1,5 und 3,15; Abb. 14); dieses Motiv ist Fliedner als einem Theo­ logen der Erweckung aus zwei Gründen wichtig: als Vorbild für eine sorgfäl­ tige christliche Erziehung im Haus und als Beispiel für die Inspiration der heiligen Schrift. Der kleine Timotheus, später ein Mitarbeiter des Apostels Paulus, liest schon als Kind mit seiner Mutter Eunike und seiner Großmutter Lois hebräi­ sche Schriftrollen nach dem Brief seines Lehrers Paulus: „Weil du von Kind auf die heilige Schrift weißt, kann dich dieselbe unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben an Jesum Christum.“ (2Tim 3,15). Historisch ist das Lesen hebräischer Schriftrollen unwahrscheinlich, da Timotheus Grieche war. Bei dieser Lithographie fehlt noch der englische Untertitel. Da die Bilderunter­ schriften in lateinischer Schrift nicht nur in Deutschland lesbar sein sollten, sondern erst 1843 in reduzierter Form, denn aus den Jahren 1842/43 liegt eine Rechnung der Firma Arnz vor (Fliedner-Archiv Rep II H h 1). Außerdem wird berichtet: „[. . .] der Stahlstich ‚der barmherzige Samariter‘ und die Schul-Bilderbibel in groß Folio in 30 Blättern (12 vom AT und 18 vom NT) haben ebenfalls sehr viel Absatz gefunden, die Schul-Bilderbibel schon in 2500 Exempl.“ Aus: Sechster Jahresbericht über die Diaconissen-Anstalt zu Kaiserswerth am Rhein, vom 1. Januar 1842 bis 1. Januar 1843, 16. – Drei Ausgaben sind im GV 1700–1910. Bd. 130, 249 verzeichnet: Schul-Bilderbibel, in 30 (lith.) Bildern alten und neuen Testaments, hg. Pfarrer Th. Fliedner. Fol. Berlin 1844; [. . .] in 40 (lith.) Bildern. 2 Hefte Fol. Kaiserswerth u. Leipzig 1849; [. . .] in 40 (lith.) Bildern m. d. Zugabe eines Stahlstichs. Fol. Kaiserswerth 1884. Diese sind im Fernleihverkehr nicht zu ermitteln

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Abb. 14: Fliedner: Schul-Bilderbibel [s. Anm. 77]: „Timotheus wird von seiner Mutter in der h[eiligen] Schrift unterrichtet“ (© Fliedner Kulturstiftung Kaiserswerth). Das Bild ist signiert: Arnz & Co in Düsseldorf.

trugen sie seit 1848 [?] zusätzlich englische Untertitel, denn Fliedner pflegte Verbindungen nach Holland, England und in die USA und wünschte, dass die Schulbilderbibel in jedem europäischen Land brauchbar sein sollte. Konfessio­ nelle Spezifika fehlen. 93

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Fliedners Bildermappe hat den ungenannten Schwerpunkt „Kinder der Bibel“ mit: Joseph in der Grube, Abraham will Isaak opfern, die Rettung des kleinen Moses im Körbchen, der winzige David und der Riese Goliat, Elisa und die spottenden Knaben, fünf Bilder zur Kindheitsgeschichte Jesu, der Knabe mit den fünf Broten und zwei Fischen bei der Speisung der Fünftau­ send, der verlorene Sohn kehrt [als Jugendlicher] zurück, Jesus segnet die Kinder, Kinder beim Einzug Jesu in Jerusalem, Timotheus als Knabe mit Mut­ ter und Großmutter. So folgte Fliedner seinem Motto: „Lasset die Kinder zu mir kommen!“ Etwa die Hälfte aller Bilder zeigt Kinder mit der Intention, dass sich die Betrachtenden mit den Kindern der Bibel identifizieren im Blick auf vorbildliches und strafwürdiges Verhalten, denn die Historienmalerei der Nazarener gilt als adäquater Ausdruck moralischer Botschaften. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist vor allem der schwäbische Pfar­ rer Albert Knapp (1842) mit der katholischen Version von Matthäus Corne­ lius Münch (1843/44) zu ergänzen. Außerdem ist zu fragen, ob der Luthera­ ner Julius Schnorr von Carolsfeld mit seiner Bibel in Bildern (1852–1860) biblizistische Züge aufweist wegen Schnorrs Streben nach Vollständigkeit. Ein Beispiel ist seine Ergänzung der vier Raffaelschen Schöpfungsbilder aus den Loggien des Vatikans.82 Außerdem wäre über den Schulbibelstreit zum Ende des 19. Jahrhunderts zu berichten. 8. Bilanz Zusammenfassend ist hervorzuheben, dass der Hallesche Pietismus keine Kinderbibel gestaltete, wohl aber ein Spruchbuch (vgl. Abb. 1). Hübners His­ torien sind der Orthodoxie im Übergang zur Frühaufklärung zuzuordnen. Aus den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts stammen unterschied­ liche Spruchbücher, Kinder-, Schul- und vor allem seit der Romantik auch Bilderbibeln. Ich halte es für kaum möglich, einheitliche Kriterien für die Zuordnung von Kinderbibeln zu pietistischen Positionen zu finden wegen der Vielfalt der Kinderbibeltraditionen und der Unterschiedlichkeit der Ver­ fasser. Zum Schluss sollen fünf Aspekte zur Diskussion gestellt werden. 8.1 Eignung für Kinder? Zur Eignung für Kinder gehören m. E. als Minimum eine gute Lesbarkeit, die Korrelation von Bild und Text sowie Knappheit und Verständlichkeit. Verständlichkeit ist nach meinem Urteil bei den kurzen Texten von Hübner und Barth und bei den erzählenden Bildern in Fliedners Schul-Bilderbibel 82

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Vgl. Reents / Melchior, Geschichte [s. Anm. 1], 335–339.

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und Schnorrs Bibel in Bildern gegeben. Bei Zahn habe ich Zweifel wegen sei­ ner oft ermüdenden Ausführlichkeit und bei den Spruchbüchern wegen der schon bei Jüngeren zu Unrecht vorausgesetzten Abstraktionsfähigkeit: Wel­ ches Kind kann einen Bibelspruch mit einem Katechismussatz in Beziehung setzen? Und seit wann ist eine präzise empirische Beobachtung kindlichen Denkens in überschaubaren Lerngruppen überhaupt möglich? 8.2 Heilsgeschichtlicher Aufbau mit eschatologischem Ausblick? Es ist zu fragen, ob ein Aufbau nach der Bibel von der Schöpfung bis zur Vision des himmlischen Jerusalem ein Kriterium pietistischer Kinderbibeln sein könnte. Ein biblisch-heilsgeschichtlicher Aufriss ist für Hübner, Barth, Zahn und viele andere selbstverständlich; bei Hübner, Kratzenstein, Barth, Fliedner und anderen fehlt ein eschatologischer Ausblick zugunsten anschauli­ cher Erzählungen aus der Apostelgeschichte, d. h. aus der Zeit der Kirche. Der historische Befund ergibt, dass ein eschatologischer Ausblick in vielen Kinderbibeln fehlt. 8.3 Menschenbild Während Hübner die Gottebenbildlichkeit des Menschen mit einem Rat zur Demut verbindet,83 zitieren Barth und Zahn nur den Luthertext (Gen 1,27). Das Sündenbewusstsein wird bei Zahn mehr betont als bei Hübner. Nur ein Beispiel: Die Geschichte von David und Bathseba endet bei Zahn84 mit dem Satz: „David aber lag im Staube, und flehte zum Herrn“ mit den Worten von Ps 51,5: „Meine Sünde ist immer vor mir“, bei Hübner mit der Moral: Ein Ehbruch und ein Mord, das waren die zwey Sünden, / Die David wider Gott auf einmahl hat gethan. / Will man den ersten Grund von beiden Lastern finden, / so kam es in der That auf Davids Augen an. / Drum will ich einen Bund mit meinen Augen machen, / Damit sie nimmermehr sehn nach verbotnen Sachen.85

8.4 Kinder als Identifikationsangebote Schon in der Reformation wurden Listen mit den guten und bösen Kindern der Bibel zur Moralerziehung und als Identifikationsangebote zusammenge­ stellt; der württembergische Pietist Friedrich Christoph Oetinger86 führte die­ 83 84 85 86

Hübner, Historie [s. Anm. 19 und Abb. 2 ], AT, 2. Franz Ludwig Zahn: Biblische Geschichte [s. Anm. 66], § 127. Hübner, Historien [s. Anm. 19], 138. Vgl. Anm. 5.

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sen Impuls weiter. Ludwig Richter87 zeichnete erfundene Kinderfiguren als Identifikationsangebote; später setzte Julius Schnorr von Carolsfeld diesen Trend fort. Schließlich wählte Theodor Fliedner die Kinder der Bibel als Schwerpunkt für seine Bilderbibel.88 Dieses pietistische Erbe wird heute in vielen Kinderbibeln weitergeführt. 8.5 Bild-Text-Relation Ein vierter Gesichtspunkt setzt sich seit der Romantik durch: die ästheti­ sche Gestaltung einer Kinderbibel. Schließlich sagt ein Bild „mehr als tausend Worte“; Bilder prägen sich ein, sie dienen als Motivation, als Orientierungsund Lesehilfe sowie zur ästhetischen Bildung. Darum ist eine durchdachte Bild-Text-Relation bei den erfolgreichen Bilderbibeln89 nachweisbar. Dieses Kriterium wurde und wird vielfach vernachlässigt. Das mag eine Kostenfrage sein, könnte aber auch auf einer Überbewertung einer Theologie des Wortes beruhen. Bis heute ist es eine lohnende Aufgabe, nach der Balance zwischen Kindge­ mäßheit, Schriftgemäßheit sowie nach einer visuell ansprechenden Gestaltung von Bibeln für Kinder im Kontext unserer Gesellschaft zu suchen. Wie spiegeln sich Orthodoxie, Pietismus und Erweckung in der Zeit zwi­ schen 1714 und 1850 in Kinder- und Schulbibeln? Eben ganz verschieden – von Franckes Zurückhaltung, über die billige Vollbibel von Cansteins bis zu Spruchbüchern, freien Erzählungen, bibelna­ hen Paraphrasen und vor allem seit der Erweckung auch wieder Bilderbibeln.

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Vgl. Abb. 12. Vgl. Abb. 13 und 14. 89 Ein Longseller als Beispiel: Julius Schnorr von Carolsfeld: Die Bibel in Bildern. Leipzig 1860. – Schnorr zeichnete, was er in der Bibel las; ich verstehe ihn als lutherischen Biblizisten. 88

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HANS OTTE

Halle, Stuttgart und anderswo. *Zur Bedeutung der Bibelgesellschaften in Deutschland im 19. Jahrhundert*0 2012 konnte die Deutsche Bibelgesellschaft in Stuttgart das 200-jährige Jubiläum der Württembergischen Privilegierten Bibelanstalt begehen, nach­ dem schon kurz zuvor in Halle das 300-jährige Jubiläum der Cansteinschen Bibelanstalt gefeiert worden war, die 1712 die erste Auflage des Neuen Testa­ ments publiziert hatte.1 Es ist zwar ein Zufall, dass die beiden Bibelinstitute fast gleichzeitig ein Jubiläum begehen konnten, dennoch lohnt es sich, darauf aufmerksam zu machen, denn auf unterschiedliche Weise waren sie die zent­ ralen Institutionen für die Bibelverbreitung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Immerhin haben eine Ausstellung in Halle und eine Sonderbrief­ marke sowie eine kleine Festschrift an das Jubiläum in Stuttgart erinnert.2 Aber die Erinnerung an diese Jubiläen blieb beschränkt, sie reichte über den Kreis der Träger der Bibelgesellschaften, Kirchenleitungen und einige hoch engagierte Bibelfreunde kaum hinaus. Das ist bedauerlich, denn die Bibelge­ sellschaften, die an vielen Orten binnen weniger Jahre entstanden, prägten die kirchliche Arbeit im 19. Jahrhundert und trugen zu deren Modernisierung bei. Ihre Gründung war mehr als die Gründung zweier Vereinigungen zur Bibelverbreitung. Die Zurückhaltung gegenüber einer breiteren Würdigung der Bibelgesellschaften erstaunt allerdings nicht, wenn man genereller nach deren Wahrnehmung in der neueren Forschung fragt. In der Geschichtswis­ senschaft, speziell aber in der Kirchengeschichte, finden vor allem Vereine und Verbände aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Interesse,3 etwa die * Überarbeiteter und durch Anmerkungen ergänzter Vortrag aus Anlass des Doppeljubiläums der Bibelgesellschaften am 05.10.2012 in Halle. 1 Vgl. Kurt Aland: Carl Hildebrand von Canstein und die von Cansteinsche Bibelanstalt. Dort­ mund 22010. 2 Einzelheiten der Feiern sind dokumentiert in: https://www.dbg.de/navi/themen/jubilaeum2012.html (eingesehen am 20.01.2014). – Veröffentlicht wurde ferner ein Heft: Festschrift. 200 Jahre Bibelgesellschaft in Württemberg (1812–2012). Stuttgart 2012; außerdem Hermann Ehmer: London, Schwaben, Kamerun. In den vergangenen zweihundert Jahren ist Stuttgart zur Bibel­ hauptstadt aufgestiegen. In: Zeitzeichen 13, 2012, 44–47. 3 Generell vgl. Dietmar von Reeken: Kirchen im Umbruch zur Moderne. Milieubildungspro­ zesse im nordwestdeutschen Protestantismus 1849–1914. Gütersloh 1999. – Kirchliche Vereine

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Gustav-Adolf-Vereine,4 der Evangelische Bund5 sowie die Innere Mission und deren Einrichtungen.6 Im Vergleich damit ist die besondere – weil frühe – Tätigkeit der Bibelgesellschaften und ihre Bedeutung für die Modernisie­ rung der kirchlichen Arbeit kaum gewürdigt worden.7 Den Bibelgesellschaf­ ten als Prototyp einer neuen Form der kirchlichen Arbeit widmet sich der fol­ gende Aufsatz. Schon bei einem oberflächlichen Blick auf die Geschichte der Bibelgesell­ schaften fällt auf, dass sich Bibelgesellschaften im (protestantischen) Deutsch­ land nach der napoleonischen Epoche ganz rasch durchsetzen konnten. Noch bemerkenswerter ist allerdings, dass dies möglich war, ohne Misstrauen der staatlichen und kirchlichen Obrigkeiten zu erzeugen, obwohl die Bibelgesell­ schaften unabhängig von den herkömmlichen kirchlichen Organisationen in der neuen Form eines ‚Vereins‘ gegründet wurden; ihnen konnten Mitglieder verschiedener gesellschaftlicher Gruppen mit unterschiedlichem Christen­ tumsverständnis angehören. Um dieses Phänomen zu erläutern, werden nach einem knappen Überblick über die Voraussetzungen zwei bestimmende Ele­ hat Thomas Nipperdey in seiner grundlegenden Arbeit zum Vereinswesen als Phänomen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschrieben, ihm sind dann viele gefolgt: Thomas Nipperdey: Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. In: Gesell­ schaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte. Göttingen 1976, 174–205. 4 Grundlegend ist noch immer: Hermann Wolfgang Beyer: Die Geschichte des Gustav-AdolfVereins in ihren kirchen- und geistesgeschichtlichen Zusammenhängen. Göttingen 1932. Intensi­ ver beschäftigte sich auch mit dem Schicksal des Göttinger Gustav-Adolf-Vereins vor 1850 Martin Cordes: Freie christliche Aktion als Herausforderung für Kirche und Theologie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Göttingen 1982; dagegen konzentrierte sich Norbert Friedrich: Innere Mission und Gustav-Adolf-Verein – der Verbandsprotestantismus im Vormärz. In: Sozialer Protestantis­ mus im Vormärz. Hg. v. Martin Friedrich [u. a.]. Münster 2001, 57–66, weitgehend auf dessen Verhältnis zur Inneren Mission in der Zeit nach 1848. 5 Armin Müller-Dreier: Konfession in Politik, Gesellschaft und Kultur des Kaiserreichs. Der Evangelische Bund 1886–1914. Gütersloh 1998. 6 Helmut Talazko: Der Central-Ausschuss für Innere Mission. In: Soziale Arbeit in historischer Perspektive. Hg. v. Jochen-Christoph Kaiser. Stuttgart 1998, 278–298; ferner: Jochen-Christoph Kai­ ser: Evangelische Kirche und sozialer Staat. Diakonie im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Volker Hermann. Stuttgart 2008 (mit Nachweis weiterer Veröffentlichungen). – Leider hat die für das frühe christliche Vereinswesen in Preußen einschlägige Arbeit von Christina Rathgeber die grundlegenden Arbeiten von J.-Chr. Kaiser zum Vereinswesen anscheinend nicht zur Kenntnis genommen: Christina Rathgeber: Die „Preußische Hauptbibelgesellschaft“ und der „Hauptverein für christliche Erbauungsschriften in den preußischen Staaten“ (1814–1848). In: Acta Borussica, Neue Folge, 2. Reihe: Preußen als Kulturstaat. Abt. I. Bd. 3/1. Berlin 2012, 84–91. 7 Das ist besonders erstaunlich, weil es eine solide Basis für Untersuchungen über die Bedeu­ tung der Bibelgesellschaften im 19. Jahrhundert existiert: Wilhelm Gundert: Geschichte der deut­ schen Bibelgesellschaften im 19. Jahrhundert. Bielefeld 1987. Auf diese Darstellung wird sich im Folgenden kontinuierlich bezogen, dabei wird auf Einzelnachweise verzichtet. – In seinem Über­ blick über die konfessionellen Verbände nennt Jochen-Christoph Kaiser Bibelgesellschaften als frühe Form kirchlicher Vereinsarbeit, ohne auf Einzelheiten einzugehen: Jochen-Christoph Kaiser: Konfessionelle Verbände im 19. Jahrhundert. Versuch einer Typologie. In: Kirche in Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Hg. v. Helmut Baier. Neustadt 1992, 187–209; Vgl. Aland, Can­ stein [s. Anm. 1].

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mente vorgestellt: der Rückgriff auf die Christentumsgesellschaft als Vereini­ gung besonders engagierter Frommer und die von Robert Pinkerton propa­ gierte Form einer „Bibelgesellschaft“ mit Einbindung der örtlichen Eliten. Die hier erprobte Form eines prinzipiell freien Zusammenschlusses blieb erhalten, als die Bibelgesellschaften dann ‚verkirchlicht‘ wurden, ohne ihren besonderen Status als freie Vereinigung gänzlich aufzugeben. Was die hier gefundene Form einer freien Vereinigung für die Gesellschaft und die kirchli­ che Arbeit am Ende des 19. Jahrhunderts insgesamt bedeutete, soll zum Schluss in der Zusammenfassung diskutiert werden.

1. Voraussetzungen Zahlreiche Bibelgesellschaften wurden in der ‚Sattelzeit‘ nach der Wende zum 19. Jahrhundert gegründet; sie sind auf ihre Weise Ausdruck eines epo­ chalen Wandels. Ein Vergleich der beiden Bibelanstalten macht das deutlich. Die 1710 gegründete Cansteinsche Bibelanstalt war von Anfang an als Dru­ ckerei geplant, mehr Bibeln sollten mit Hilfe des stehenden Letternsatzes günstiger produziert werden;8 dagegen organisierten sich die erweckten Christen 1812 im Haus des Stuttgarter Kaufmanns Lotter auf neuer Grund­ lage zu einer Gesellschaft, um Bibeln besser zu verbreiten. Der beiden Ein­ richtungen gemeinsame Begriff ‚Bibelanstalt‘ suggeriert eine Kontinuität, die nicht existiert. In Halle war als Verlag zunächst angegeben: „zu finden beym Waysen-Hause“; als 1775 in den Bibeln aus Halle auf den Abdruck der Vor­ rede C. H. v. Cansteins verzichtet wurde, wurde als Verlag die „Cansteinsche Bibelanstalt“ genannt.9 Einerseits wurde damit der Gründer und Finanzier der Anstalt geehrt, andererseits wurde so die Trennung vom Waisenhausbetrieb klar markiert und das Missverständnis vermieden, die Cansteinsche Bibeldru­ ckerei wäre ein Privatunternehmen. Die Stuttgarter nutzten die Bezeichnung ‚Anstalt‘ als Werbebegriff, um anzuzeigen, dass der württembergische König der Bibelgesellschaft seines Landes im Dezember 1812 die Rechte einer privi­ legierten Anstalt und damit Portofreiheit verliehen hatte.10 In Halle schien der Absatz der Bibeln angesichts des geringen Preises unproblematisch zu sein, und tatsächlich erreichte der Bibeldruck in Halle hohe Auflagen; dabei sollte die Verteilung der Bibeln grundsätzlich auf den verschiedenen herkömmli­ chen Wegen geschehen. Knapp 100 Jahre später fragten die Gründungsmit­ glieder der Bibelgesellschaften in Stuttgart und anderswo viel genauer, wer 8 Zu Cansteins Ohnmaßgeblicher Vorschlag / Wie GOTTES Wort denen Armen zur Erbauung um einen geringen Preiß in die Hände zu bringen vgl. Peter Schicketanz: Carl Hildebrand von Canstein. Leben und Denken in Quellendarstellungen. Tübingen 2002, 154 ff. 9 Vgl. Schicketanz, Canstein [s. Anm. 8], 147. 10 Vgl. Ehmer, Bibelanstalt [s. Anm. 2], 11–22. – Zum Zusammenhang vgl. auch Ulrich Gäbler: Auferstehungszeit. Erweckungsprediger des 19. Jahrhunderts. München 1991, 161 ff.

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mithelfen könne, Bibeln in jedes Haus zu bringen. Der Hinweis auf das Privi­ leg im Namen deutet es schon an: Im Unterschied zur Cansteinschen Bibelan­ stalt, die als ökonomisches Unternehmen auf einen tendenziell unbegrenzten Markt zielte, wollten die Bibelgesellschaften einen begrenzten Markt erschlie­ ßen, sie beschränkten sich in der Regel auf einen territorial festgelegten Ein­ zugs- und Vertriebsbereich.11 An dieser prinzipiellen territorialen Orientie­ rung zeigt sich die veränderte Situation nach dem Ende des Alten Reichs: Die relative Freizügigkeit, die es dort gegeben hatte, war mit dessen Ende ver­ schwunden, jetzt waren die Territorialgrenzen genauer zu beachten. Operative Basis für die geplante Bibelverbreitung war ein „Committee“,12 es fungierte als zentrales Organ der Bibelgesellschaft. Eine so klar struktu­ rierte Organisationsform hatte es hundert Jahre zuvor noch nicht gegeben; seinerzeit, zur Zeit Franckes und Cansteins, fehlten noch die breiten Erfah­ rungen mit Sozietäten und freien Assoziationen, über die die Gesellschaften um 1800 verfügten. Nun gab es Erfahrungen mit Regeln, etwa zur Wahl von Vorsitzenden (Präsidenten), und es gab differenzierte Funktionsbeschreibun­ gen: für die Direktoren (Geschäftsführer), für korrespondierende und wirkli­ che Mitglieder.13 All dies war hundert Jahre zuvor noch unbekannt oder doch unbestimmt gewesen. Die Unterscheidung zwischen korrespondierenden und wirklichen Mitglie­ dern, die manche Bibelgesellschaften nutzten, verweist auf das akademische Milieu, in dem solche Vereinigungen ursprünglich entstanden waren. Gelehrte Fragen lassen sich gut über große Distanzen im Briefwechsel mit Korrespondenzpartnern klären. Angesichts des Prestiges der Beteiligten und des besonderen Charakters ihrer Fragestellungen hatten die wissenschaftlichen Sozietäten, die sich seit dem 17. Jahrhundert gebildet hatten, schon bald erreicht, dass sie über ihre Arbeit und Arbeitsformen selbst bestimmen konn­ ten. Auf ihre Art waren sie die ersten ‚modernen‘ Vereinigungen, weil sie selbstbestimmt, regelgeleitet und grenzüberschreitend arbeiten konnten. An diesem Modell orientierten sich auch die Bibelgesellschaften. Das war nicht unproblematisch; beispielsweise sind für einen Verein, der – ganz praktisch – Bibeln verbreiten will, korrespondierende Mitglieder nur wenig sinnvoll. Wo korrespondierende Mitglieder nach dem Vorbild akademischer Vereinigun­ gen berufen wurden, verzichteten diese schon bald auf eine Beteiligung an 11 Die ersten von C. F. A. Steinkopf initiierten Gründungen von Bibelgesellschaften in Nürn­ berg und Basel folgten ganz dem Modell der Christentumsgesellschaft, waren also nicht territorial ausgerichtet. Als die Christentumsgesellschaft für die Ansprechpartner nicht mehr der primäre Orientierungspunkt war, wurden die Bibelgesellschaften territorial organisiert. 12 So fasst Steinkopf in seinen Berichten die örtlichen Bibelgesellschaften zusammen; vgl. Karl Friedrich Adolf Steinkopf: Reisebriefe Europa 1812. Hg. v. Ulrich Fick. Stuttgart 1987, 60. 83 u. ö. 13 Vgl. Nipperdey, Verein [s. Anm. 3]; Wolfgang Hartwig: Art. „Verein [. . .]“. In: GGB 6, 1990, 789–829; ders.: Strukturmerkmale und Entwicklungstendenzen des Vereinswesens in Deutschland 1789–1848. In: HZ. Beiheft 9: Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland. Hg. v. Otto Dann. München 1984, 11–50.

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der Arbeit der Gesellschaft – dann schlief die Mitgliedschaft allmählich ein –, oder sie verstanden sich an ihrem Ort als Vertriebsleiter für die Bibelgesell­ schaft.14 Die Endphase der napoleonischen Epoche war für die Gründung von Bibel­ gesellschaften besonders günstig. In den Jahren vor der Wende zum 19. Jahr­ hundert war das viel schwieriger gewesen: Schon seit Jahrzehnten war im 18. Jahrhundert über Sozietäten und Gesellschaften diskutiert worden,15 doch war die Mitgliedschaft dort, wo solche Gesellschaften gegründet wurden, jeweils begrenzt und klar definiert gewesen. In den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts wurden die Sozietäten und Gesellschaften von den Regierungen kritisch beobachtet und waren dann, im Zusammenhang der Debatten über die vermuteten Umtriebe der Jesuiten und Illuminaten, stärker als vorher reg­ lementiert und eingeschränkt worden. Erst mit dem Vordringen Napoleons nach 1799, letztlich in der Nachwirkung der Französischen Revolution, hatte sich der Druck auf solche Vereinigungen wieder gelockert. In vielen Territo­ rien sollte nun analog zu den französischen Reformen auch in Deutschland der soziale und religiöse Wandel gezielt beschleunigt werden; damit wurde es prinzipiell leichter, Gesellschaften und Vereine zu gründen. In dieser Zeit ent­ standen die ersten Bibelgesellschaften, die sich an das Netz der Korrespon­ denzpartner und Freunde der Deutschen Christentumsgesellschaft anschlos­ sen.16 Noch stärker wurde die Gründungswelle von Bibelgesellschaften nach der Niederlage Napoleons, als man sich vom französischen Einfluss abgrenzen wollte. Jetzt war das Angebot der Bibelgesellschaften auch für größere politi­ sche und intellektuelle Gruppen attraktiv; eine Rechristianisierung war das Gebot der Stunde, schließlich konnte man den geschlagenen Napoleon als Erben der Französischen Revolution verstehen, die zeitweise den Untergang der christlichen Religion propagiert hatte. So etwas wollte man für die Zukunft verhindern. Gleichzeitig bedeutete die Verbreitung von Bibeln in der eigenen Sprache einen Appell an das Nationalbewusstsein, das sich im Gegensatz zur ‚Franzosenherrschaft‘ ausbildete; die Bibel erschien vielen als religiöses Bollwerk gegen den Geist und die Sprache der Französischen Revo­ lution. Von dieser Situation profitierten die Gründungsmitglieder von Bibel­ gesellschaften; die neuen Vereinigungen wurden rasch zugelassen und oft genug privilegiert. Allerdings wurden sie dann einige Jahre später doch von den Obrigkeiten mit Argusaugen betrachtet, denn nach 1820 wurden im Zusammenhang der Demagogenverfolgungen und der Karlsbader Beschlüsse 14 Mit Hilfe von korrespondierenden Mitgliedern organisierte Johannes Jaenicke in der (ersten) Berliner Bibelgesellschaft seit 1804 den Vertrieb seiner böhmischen (tschechischen) und polnischen Bibeln; vgl. unten 104 f. Gundert, Geschichte [s. Anm. 7], 65 ff. 15 Vgl. Ulrich Im Hof: Das gesellige Jahrhundert. Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung. München 1982, 105 ff. 16 Vgl. Gundert, Geschichte [s. Anm. 7], 55 ff.

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alle selbst organisierten Vereinigungen misstrauisch registriert.17 Insgesamt hatte sich in der relativ kurzen Zeit zwischen 1800 und 1820 ein Zeitfenster geöffnet, das von den erweckten Freunden planmäßig zur Bibelverbreitung genutzt werden konnte. 2. C. F. A. Steinkopf und der Rückgriff auf die Christentumsgesellschaft Der Hinweis auf die günstigen politischen Rahmenbedingungen darf nicht so verstanden werden, als hätte alles geradewegs auf die Bildung von Bibel­ vereinen hingesteuert. Der Initiator der Bibelbewegung in Deutschland, Carl Friedrich Steinkopf (1773–1859),18 hatte anfangs gar keine besondere Ver­ einsstruktur geplant; die ersten Schritte zur Gründung von Bibelgesellschaf­ ten vollzogen sich im Rahmen der missionarisch-erwecklichen Bemühungen der Deutschen Christentumsgesellschaft.19 So begann die organisierte Bibel­ verbreitung 1799 in Wuppertal im Anschluss an die Förderung der äußeren Mission, für die unter Hinweis auf die Aktivitäten der London Missionary Society unter den Korrespondenten der Deutschen Christentumsgesellschaft geworben worden war. Schon 1802 erweiterte die in Elberfeld gegründete Missionsgesellschaft ihren Tätigkeitsbereich, als sie beschloss, „jährlich nach dem Beispiel der englischen Societät eine Anzahl von Neuen Testamenten und Gesangbüchern aus der Gesellschaftskasse anzuschaffen und den Predi­ gern zur Verteilung unter dürftigen Konfirmanden zuzustellen“.20 Ein direk­ ter Übergang von der Förderung der Mission zur Bibelverbreitung war sel­ ten,21 aber es war stets klar, dass hier ein gemeinsames Feld beackert wurde. 17 Das traf in Preußen zwar nicht die Hauptbibelgesellschaft in Berlin, aber den mit ihr eng verflochtenen Hauptverein für christliche Erbauungsschriften; vgl. Rathgeber, „Preußische Haupt­ bibelgesellschaft“ [s. Anm. 6], 84–91. 18 Vgl. Winfried Eisenblätter: Carl Friedrich Adolph Steinkopf (1773–1859). Vom englischen Einfluß auf kontinentales Christentum zur Zeit der Erweckung. Diss. theol. [masch.]. Zürich 1974; Steinkopf, Reisebriefe [s. Anm. 12]. 19 Vgl. Horst Weigelt: Die Diasporaarbeit der Herrnhuter Brüdergemeine und die Wirksamkeit der Deutschen Christentumsgesellschaft im 19. Jahrhundert. In: Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Ulrich Gäbler. Göttingen 2000, 125 ff. – Zum Zusammenhang mit den antire­ volutionären Bestrebungen und der Reich-Gottes-Vorstellung in der Christentumsgesellschaft vgl. Hartmut Lehmann: The Mobilization of God’s Pious Children in the Era of the French Revo­ lution and beyond. In: PuN 34, 2008, 189–198. 20 Protokoll der Elberfelder Missionsgesellschaft vom 04.01.1802, zit. bei Hans Brückmann: Bibelverbreitung im Rheinland. Köln 1989, 21. 21 Die Nachrichten von der Gründung der London Mission Society war auch andernorts auf ein positives Echo gestoßen, so etwa in den Niederlanden mit der Gründung der Nederlandsche Zendelinggenootschap ter voortplanting en bevordering van het Christendom bijzonder onder de Heidenen in Rotterdam 1797 oder der ostfriesischen Missions-Societät vom Senfkorn (1799) und der Missionsschule von Johannes Jaenicke in Berlin. Vgl. Werner Raupp: „An ihre Brüder jeder Gemeinde in Deutschland, welche unsern Herrn Jesum Christum aufrichtig lieben“. In: JGnKG 90, 1992, 279–286.

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Daran orientierte sich C. F. A. Steinkopf, als er seine Arbeit aufnahm. Er war Sekretär der Christentumsgesellschaft in Basel gewesen und kannte deren ‚reichsweites‘ Netzwerk genau.22 1801 war er als deren Sekretär ausgeschie­ den und hatte mit Zustimmung des engeren Ausschusses eine Berufung als Pastor in London angenommen, nachdem die Berufung auf eine Pfarrstelle bei Linz gescheitert war.23 Von Anfang an beteiligte er sich neben seiner Arbeit im Pfarramt der deutschsprachigen lutherischen Kirche in der Savoy an den frommen Vereinigungen in London, gleich nach seinem Amtsantritt war er der kurz zuvor (1799) gegründeten Religious Tract Society beigetre­ ten. Deren Ziel war die Verbreitung christlicher Literatur aller Art, hier über­ nahm Steinkopf von 1808 bis 1819 das Amt eines „foreign secretary“.24 Als Ergänzung zu ihrer bisherigen Arbeit gründeten die Mitglieder der Religious Tract Society 1804 die British and Foreign Bible Society (BFBS), deren Mit­ glieder sich aus verschiedenen Denominationen (Konfessionen) rekrutierten. Bei der fünf Jahre zuvor gegründeten Religious Tract Society war das anders gewesen; deren führende Mitglieder stimmten in den evangelikalen Grund­ sätzen überein.25 Das ergab sich auch aus der unterschiedlichen Aufgabenstel­ lung: In der Religious Tract Society mussten ständig Diskussionen über die inhaltliche Ausrichtung geführt werden, weil fortwährend über den Wert von Publikationen zu diskutieren war, die neu in den Vertrieb aufzunehmen waren. Für BFBS stand das Vertriebsobjekt fest: Die Bibel als Gottes Wort „without note and comment“ verband alle Beteiligten, unbeschadet ihrer Konfession oder Denomination.26 Damit war der BFBS – wie der Erwe­ ckungsbewegung überhaupt – ein ökumenisches Grundverständnis einge­ schrieben, das erst durch den Streit um die Aufnahme der apokalyptischen Bücher in die Bibeln der BFBS begrenzt wurde.27 Es war dem Drängen Steinkopfs zu verdanken, dass sich die BFBS von Anfang an die Bibelverbreitung auf dem Kontinent zum Ziele gesetzt hatte, der Name als „Foreign Bible Society“ machte das deutlich. Auf der Grün­ dungsversammlung hatte er energisch für eine Perspektive über die Grenzen 22

Vgl. Eisenblätter, Steinkopf [s. Anm. 18], 36 ff. Eisenblätter, Steinkopf [s. Anm. 18], 91 ff. 24 Eisenblätter, Steinkopf [s. Anm. 18], 149. – Ergänzend sei noch auf Steinkopfs Engagement in der (äußeren) Mission hingewiesen. 1802 wurde er „secretary“ der London Missionary Society; er gehörte zu den Initiatoren der Basler Mission und arbeitete auch in der anglikanisch dominier­ ten Church Missionary Society mit. 25 Ähnliche Aufgaben wie die RTS hatte die deutlich ältere Society for Promoting Christian Knowledge, die von Anglikanern dominiert wurde; sie hatte auch in Deutschland einige Mitglie­ der aus dem Führungspersonal von Landeskirchen. 26 Vgl. Gundert, Geschichte [s. Anm. 7], 50 f.; Roger Steer: ‚Without Note or Comment‘. Yesterday, Today, and Tomorrow. In: Sowing the World. The Cultural Impact of the British and Foreign Bible Society (1804–2004). Ed. by Stephen Batalden [et al.]. Sheffield 2004, 63–70. 27 Vgl. Wilhelm Gundert: Die Bibelgesellschaften und die deuterokanonischen Schriften. In: Bibel in der Welt 22, 1989, 121–136; Wayne Detzler: Robert Pinkerton: Principal Agent of the BFBS in the Kingdoms of Germany. In: Sowing the Word [s. Anm. 26], 275–280. 23

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Großbritanniens hinaus geworben und bereitwillig das Amt eines Auslandsse­ kretärs übernommen, um über den Bibelbedarf auf dem Festland zu informie­ ren.28 Gleich nach der Gründung schrieb Steinkopf an seine Bekannten in Deutschland, d. h. an seine Freunde in der Christentumsgesellschaft. So hatte er bei seinen Bekannten auch schon für das Anliegen der Religious Tract Society geworben, nachdem er dort eingetreten war und das Amt des Aus­ landssekretärs übernommen hatte; seiner Anregung folgend, war 1802 sogleich eine Traktatgesellschaft in Basel gegründet worden.29 Auf die Anfrage zur Bibelverbreitung, die Steinkopf dann 1804 versandte, antworte­ ten die Freunde aus Nürnberg als erste, sie gründeten noch im gleichen Jahr in Nürnberg eine „deutsche Bibelgesellschaft“.30 Dem Modell der Christen­ tumsgesellschaft entsprechend, sollte Nürnberg den Vorort bilden, dazu soll­ ten dann Partikulargesellschaften (u. a. Basel) treten. Nürnberg hatte ja eine große Tradition des Bibeldrucks, vor allem die Endter-Bibeln des 17. und 18. Jahrhunderts waren ein großer buchhändlerischer Erfolg gewesen. Aber diese Bibeln, vor allem die sog. Kurfürsten-Bibeln, waren repräsentative Werke und teuer; der hohe Preis, der eine breite Verbreitung der Bibeln verhinderte, war seinerzeit der Hauptgrund für die Gründung der Cansteinschen Bibelan­ stalt in Halle gewesen. Deshalb wollten die Nürnberger sofort eigene preis­ werte Bibeln drucken. Allerdings waren die dann in Nürnberg gedruckten Bibeln qualitativ so schlecht, dass der weitere Druck der Deutschen Bibelge­ sellschaft im Dezember 1805 nach Basel vergeben werden musste.31 Parallel zur Korrespondenz mit seinen Freunden im Süden Deutschlands wandte sich Steinkopf nach Osten. Sein wichtigster Partner war Johannes Jae­ nicke, Pfarrer an der böhmischen Bethlehemskirche in Berlin, ebenfalls Kor­ respondent der Christentumsgesellschaft und Gründer der Berliner Missions­ schule. Jaenicke war sogleich Feuer und Flamme für den Plan einer besseren Bibelverbreitung. So organisierte er zügig den Druck von Bibeln in der „böh­ mischen“ (tschechischen und sorbischen) Sprache der Minderheiten in Preu­ ßen. Dafür erhielt er Geld von der BFBS und gründete in Berlin ein Bibelko­ mitee, um den Bedarf an Bibeln zu ermitteln und deren Verteilung zu organisieren. Gleichzeitig gewann Jaenicke korrespondierende Mitglieder: das waren seine Gewährsleute im östlichen Preußen, in dessen Orten Bibeln in der jeweils benötigten slawischen Sprache fehlten. Während also in Berlin ein Komitee gebildet wurde, wurde in den anderen Orten, etwa in Königs­ berg oder Gumbinnen, darauf verzichtet, hier nahmen Jaenickes Gewährs­ leute die Angelegenheit allein in die Hand. Nur in Berlin war das gesellschaft­

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Vgl. die Beschreibung seiner Arbeit 1812 bei Eisenblätter, Steinkopf [s. Anm. 18], 190. Eisenblätter, Steinkopf [s. Anm. 18], 168 f. 30 Gundert, Geschichte [s. Anm. 7], 55–63; Horst Weigelt: Geschichte des Pietismus in Bayern. Anfänge – Entwicklung – Bedeutung. Göttingen 2001, 322–324. 31 Zum Zusammenhang vgl. Gundert, Geschichte [s. Anm. 7], 60. 29

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liche Leben so differenziert und unübersichtlich, dass von Anfang an eine Organisation mit Präsident, Sekretär und Mitgliedern unumgänglich war. Die frühe und organisatorisch offene Gründungsperiode endete 1806. Seit­ dem erschwerte Napoleons Kampf gegen England die Arbeit der BFBS, weil die Kontinentalsperre eine direkte Kommunikation zwischen England und dem westeuropäischen Festland verhinderte. Erst das Ausscheren Schwedens aus der Koalition gegen England und die Neutralität Dänemarks ermöglichten wieder die Kontaktaufnahme und Einreise, so dass sich Steinkopf 1812 über Schweden und Dänemark nach Deutschland aufmachte. Er wollte das Ausmaß der „Bibelnot“ in Deutschland ermitteln, für die Arbeit der BFBS werben und dort, wo auf einen Bestand gedruckter Bibeln zurückgegriffen werden konnte, für deren Verteilung sorgen. Dafür standen ihm mehr als 2.700 briti­ sche Pfund zur Verfügung, rund 150.000 Taler.32 Steinkopfs erste Aufgabe war die Ermittlung des Bedarfs. Wo er von feh­ lenden Bibeln hörte, half er mit seinem Geld sofort und kaufte Bibeln auf, die er zum Verteilen weitergab. Wo er mehrere vertrauenswürdige Personen traf – wieder nutzte das Netz der Christentumsgesellschaft –, regte er die Grün­ dung eines Bibelkomitees an und versprach später weitere Gelder für den Druck und zum Verteilen von Bibeln zu schenken. Zur Organisationsform solcher Komitees machte er keine Angaben; war der Ort zu klein, empfahl er nur, Verbindungen mit den Bibelkomitees an anderen Orten aufzunehmen.33 Seine Sorglosigkeit in Organisationsfragen erleichterte Steinkopf die Ver­ bindung mit Halle und der Cansteinschen Bibelanstalt, die er auf seiner Rück­ reise aus dem Süden aufsuchte. Zwischen Steinkopf und Georg Christian Knapp (1753–1825), dem Direktor der Franckeschen Stiftungen und der Cansteinschen Bibelanstalt, gab es keine Konkurrenz. Knapp war dankbar, dass Steinkopfs Aktivitäten den Absatz der in Halle gedruckten Bibeln ankur­ belten, der in der vorangegangenen Kriegszeit eingebrochen war. Steinkopf war von der Arbeit in Halle beeindruckt; in seinem Bericht an das Komitee der BFBS wies er darauf hin, dass die Cansteinsche Bibelanstalt seit ihrer Gründung fast drei Millionen Bibeln und Neue Testamente gedruckt habe; für die Gegenwart notierte er, that the Canstein Bibles, cheap as they are in Halle, become proportionally dear when sent to great distances; that they cannot be introduced into several states and

32 Gundert, Geschichte [s. Anm. 7], 103. Zum Umrechnungskurs vgl. Gundert, Geschichte [s. Anm. 7], 401. 33 Steinkopf, Reisebriefe [s. Anm. 12], 87: Über den evangelischen Pfarrer in Oppenheim berichtete er, „whom I presented with a small sum of money for the benefit of such of his poor parishioners as were still destitute of the Bible. He promised in turn his attention to this particular object and to enter into correspondence with the Basle und Strasburg Bible Committees in order to see, whether something of a more general nature might not be done for the German congrega­ tions on the left side of the Rhine“.

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provinces without paying very high duties; and that the ruinous effects of a longprotracted war are such as to disable many of the poor from paying any thing at all.34

Steinkopf übernahm Knapps Argumentation, der sich prinzipiell bereit erklärt hatte, ein Bibel-Komitee zu gründen, um die Verteilung von Bibeln besser zu steuern.35 Am Ende stellte Steinkopf der Cansteinschen Anstalt 50 Pfund (knapp 300 Reichstaler) zur Verfügung und fügte hinzu: „I [. . .] pur­ chased several thousand Canstein Bibles and Testaments for dispersion in dif­ ferent parts of Saxony, Brandenburg and Hanover.“ Insgesamt war Steinkopf an den Organisationsfragen nicht interessiert. Er drängte nicht unbedingt auf die Einrichtung von Bibelgesellschaften. Wichtig war ihm vor allem, dass rasch mit der Arbeit begonnen wurde. Dieser Prag­ matismus hatte den Nachteil, nicht langfristig zu wirken; von Steinkopfs Gründungen aus der Frühzeit haben nur die Stuttgarter „Bibelanstalt“ und die Basler Gesellschaft unmittelbar überlebt; die Bibelkomitees anderer Orte gingen entweder in Neugründungen auf oder ganz unter. Aber diese beiden Gesellschaften hatten durch das Netzwerk der Christentumsgesellschaft am Ort von vornherein eine sehr breite Basis. 3. Robert Pinkerton oder das neue Modell der Bibelgesellschaften Langfristig wirksamer war das konzentrierte Vorgehen der BFBS nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Imperiums. 1815 schickte die BFBS gleich drei Sekretäre nach Deutschland: Steinkopf, Christian Schwabe (1776– 1843) und Dr. Robert Pinkerton (ca. 1780–1859). Am erfolgreichsten war dabei Robert Pinkerton,36 bei dem sich eine neue Methodik beobachten lässt. Als Angestellter der Schottischen Missionsgesellschaft hatte er bei den Tarta­ ren im Süden Russlands missioniert, musste aber diese Arbeit wegen gesund­ heitlicher Probleme aufgeben und hatte 1809 eine Stelle als Hauslehrer in St. Petersburg übernommen. Hier hatte er dann für die Gründung einer russi­ schen Bibelgesellschaft geworben, die 1813 zustande kam. Nach einem Lon­ don-Besuch kehrte er 1814 über Deutschland nach Russland zurück; diese Gelegenheit nutzte er, um für die Bibelverbreitung und speziell für die Grün­ dung von Bibelgesellschaften zu werben. Dabei kamen ihm seine gesellschaft­ lichen Erfahrungen zugute. Pinkerton ging systematisch vor.37 An den Orten, 34

Steinkopf, Reisebriefe [s. Anm. 12], 108. Steinkopf, Reisebriefe [s. Anm. 12], 108: „Dr. Knapp [. . .] expressed a wish, that some bene­ volent persons would unite to purchase a number of Canstein Bibles for gratuitous distribution, offering himself, with some friends, to form a Bible Committee, that it might be done in the most judicious and effectual manner.“ 36 Vgl. Robert Steiner: Robert Pinkerton. Ein Wegbereiter für den Dienst an der Bibel in Deutschland und anderen Ländern Europas. In: Die Bibel in der Welt. Jahrbuch 6, 1963, 151– 175; Wayne Detzler: Robert Pinkerton [s. Anm. 27], 268–285. 37 Zur Systematik Pinkertons vgl. Wayne Detzler [s. Anm. 27], 271. 35

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an denen er eine Bibelgesellschaft gründen wollte, besuchte er zuerst die füh­ renden Geistlichen, um sie für eine Bibelgesellschaft zu gewinnen. Aber nicht sie sollten an die Spitze der zu gründenden Gesellschaft treten, sondern ein einflussreicher Repräsentant des Monarchen, meistens ein Spitzenbeamter. Als Direktoren wurden die führenden Geistlichen eingebunden, dazu kamen auf der Arbeitsebene Sekretäre – Gemeindepfarrer, die die Arbeit des Wer­ bens und Verteilens übernehmen sollten – sowie ein oder zwei Schatzmeister. Typisch für diese Strategie war sein Vorgehen bei der Gründung der hanno­ verschen Bibelgesellschaft,38 in den Organen der Bibelgesellschaft spiegelte sich die hannoversche Hofgesellschaft. Protektor der Bibelgesellschaft war der Generalgouverneur Herzog Adolph Friedrich von Cambridge, ein Sohn des in England residierenden Königs. Präsident war der erste Minister v. d. Decken, die anderen vier Minister – alles natürlich auch Excellenzen – waren Vizepräsidenten; Direktoren waren der Hofmarschall, der Abt von Loccum, der katholische Hildesheimer Bischof, der am Ort durch den katholischen Pfarrer Hannovers vertreten wurde, mehrere Geheim- und Konsistorialräte, der Senior des Geistlichen Ministeriums der Stadt Hannover sowie ein Kauf­ mann.39 Im Verhältnis zu der Leitungsebene war die Arbeitsebene klein. Sek­ retäre waren die beiden Hofkapläne, der reformierte Pastor in Hannover und der Subsenior des Geistlichen Ministeriums; Schatzmeister war der Inhaber der Hahnschen Buchhandlung. Insgesamt ist es erstaunlich, dass ein junger Sprachlehrer so erfolgreich war. In einer ständisch geprägten Gesellschaft war die Kontaktaufnahme mit den ‚Spitzen der Gesellschaft‘ sonst nicht so leicht. In Hannover hatte Pinkerton dafür zunächst einen jüngeren Konsistorialrat angesprochen, der dann die Verbindungen herstellte.40 Andernorts hatte Steinkopf durch einen Brief einen ersten Kontakt hergestellt. In jedem Fall war ein Empfang Pinkertons so rasch möglich, weil er als Angehöriger der siegreichen englischen Freunde und Verbündeten kam. England hatte die Hauptlast im Krieg gegen Napoleon getragen. An die Dankbarkeit gegen England konnte Pinkerton anknüpfen. Im Gründungsbericht der hannoverschen Bibelgesellschaft hieß es: Als noch das hannoversche Volk unter dem Drucke des von Frankreich ausgegange­ nen Despotismus seufzte, hatte bereits die Brittische und ausländische Bibel-Gesell­ schaft zu London auf unser durch langjährige Erpressungen verarmtes Vaterland menschenfreundlich ihr Augenmerk gerichtet [. . .]. Kaum war durch die neu geknüpften Bande des Friedens der freye Verkehr unter den Nationen Europa’s wie­ 38 Landeskirchliches Archiv Hannover, Best. S 3d 239–8: Über die Entstehung, Verfassung und Wirksamkeit der Bibel-Gesellschaft für das Königreich Hannover. Hannover 1815 (Beilage zum Hannoverschen Magazin, 1815, Stück 23). 39 In gleicher Weise ging Pinkerton in Berlin vor; dort wurden – für die Situation in Berlin 1814/15 typisch – mehrere hochrangige Militärs gewonnen, vgl. Rathgeber, „Preußische Hauptbi­ belgesellschaft“ [s. Anm. 6], 60 ff. 40 Vgl. Entstehung, Verfassung und Wirksamkeit [s. Anm. 38].

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der hergestellt, so erschien in Hannover ein sehr achtenswerthes Mitglied der Britti­ schen Bibel-Gesellschaft, Herr Robert Pinkerton, um im Namen derselben seine berathende Mitwirkung und zugleich ein bedeutendes Geschenk von 500 Pfund Sterling zur Gründung einer religiösen Wohlthätigkeits-Anstalt für die Hannover­ schen Staaten anzubieten.41

Der Dreiklang ‚England – Wohltätigkeit – Geldgeschenk‘ taucht immer wieder auf.42 Der Begrifflichkeit merkt man die theologische Orientierung an der Spätaufklärung an, auf der gleichen Reise konnte Pinkerton in Elberfeld sagen: Die ungeheuren Veränderungen und Schicksale des Continents in den letzten zwan­ zig Jahren haben jeden nachdenklichen Mann überzeugt, daß die Gegner des Wortes Gottes Feinde der Menschheit, des Friedens und der allgemeinen Wohlfahrt gewe­ sen, und daß hingegen die Lehren der Bibel jedes häusliche und öffentliche Glück sicher und unumstößlich begründen.43

Die anscheinend selbstverständliche Verbindung von Bibellektüre („Lehren der Bibel“) und allgemeiner Wohlfahrt war die Brücke zu den Rationalisten, die – schon wegen ihres Alters – die leitenden kirchlichen Positionen innehat­ ten. Sie begrüßten die Gründung von Bibelgesellschaften. Typisch für die rationalistische Wahrnehmung war die Werberede des Braunschweiger Gene­ ralsuperintendenten August Hoffmeister, der zunächst die Notwendigkeit der Bibelgesellschaft mit Hinweis auf die strahlende Kraft der Sonne begründete: „So wie von dieser alles Licht ausgeht, wie Tag werden muß, sobald sie erscheint, so verbreitet sich Aufklärung und Bildung, wo die Bibel eingeführt wird.“44 Aber Hoffmeister sah auch Gefahren, dabei nahm er Bezug auf die aktuellen Erfahrungen: So wie es vor einigen Jahren Sitte war, vor dem Bibellesen zu warnen, so ist es jetzt, mit vollem Rechte, wieder Sitte geworden, darauf zu dringen. Unbedingt wollen wir aber das Lesen der Bibel nicht empfehlen; wir wollen sie nicht zum ersten Lese­ buche für die unmündigen Kinder herabwürdigen, sondern nur diejenigen zum Lesen der heiligen Schrift auffordern, welche fähig sind, den Geist Gottes, der sich darin offenbart, zu vernehmen.45 41

Entstehung, Verfassung und Wirksamkeit [s. Anm. 38]. Neben der Rede in Hannover finden sich die gleichen Elemente in Pinkertons Rede am 13./ 14.07.1814 in Elberfeld (Brückmann, Bibelverbreitung [s. Anm. 20], 29), und in Berlin; vgl. Peter Maser: Hans Ernst von Kottwitz. Studien zur Erweckungsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts in Schlesien und Berlin. Göttingen 1990, 161 f. 43 Rede Pinkertons. In: Jahresbericht der Bergischen Bibelgesellschaft, 17–24; zit. n. Brück­ mann, Bibelverbreitung [s. Anm. 20], 29. 44 Hoffmeister im Braunschweigischen Magazin 30.03.1826, Sp. 203, zit. n. Eberhard Herdie­ ckerhoff: Der Braunschweiger Kampf um Evangelisation im 19. Jahrhundert. Göttingen 1968, 55. 45 Herdieckerhoff, Braunschweiger Kampf [s. Anm. 44], 55. 42

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Einerseits nahm Hoffmeister das neue religiöse Interesse wahr, das später als Erweckungsbewegung bezeichnet wurde, andererseits musste er doch – der aufklärerischen Pädagogik verpflichtet – vor zu früher Lektüre warnen. Für die Angehörigen seiner Generation war die Bibelgesellschaft ein aufkläre­ risches Projekt, deshalb gehörte die Warnung vor unbedachter Lektüre dazu. Wie anders hörte sich die Bezugnahme auf die aktuellen Erfahrungen bei Steinkopf an: Gleichwie in den neuesten großen Ereignissen der Zeit der Beweis liegt, dass der alte Gott noch lebe und die Welt regiere, und Alles zu dem Glauben an Ihn zurückkehren mußte, so kann man auch dem, der nun nachfrägt: Was Bibelgesellschaft ist? erwi­ dern: sie ist der Fingerzeig Gottes, dass alle Welt voll werden soll der Erkenntnis des Herrn.46

Hier klingt an, was die Erweckungsbewegung kennzeichnete: der unmit­ telbare Gottesbezug, ein ökumenisch angelegter Missionsgedanke und der eschatologische Ausblick.47 In der ersten Zeit nach dem Ende der napoleoni­ schen Zeit konnte noch beides in einer Gesellschaft nebeneinander bestehen: das aufgeklärte Christentumsverständnis und der erweckliche Anspruch. Letztlich war die Gründung der vielen Bibelgesellschaften binnen weniger Jahre nur möglich durch die Zusammenarbeit von Aufklärern und Erweck­ ten; beide Gruppen, die sich schon bald kirchenpolitisch zu unterschiedlichen Lagern rechnen sollten, konnten sich in den Bibelgesellschaften gemeinsam engagieren. 4. Zur Struktur der ersten Bibelgesellschaften Der neue strategische Ansatz, das ‚top down‘, prägte die deutsche Bibelge­ sellschaft langfristig. Fünf Punkte seien genannt: Erstens, jede Bibelgesellschaft arbeitete für ein klar definiertes Gebiet. Durch die Einbindung führender Beamter war die Orientierung an den staatlichen Grenzen naheliegend; es kam hinzu, dass diese Grenzen gleichzeitig die Kirchengrenzen waren. Damit war das Problem der Zollfrage gelöst, auf das Georg Christian Knapp in Halle hingewiesen hatte. Für die Cansteinsche Anstalt war der Vertrieb ihrer Bibeln außerhalb Preußens schwierig; gab es eine Bibelgesellschaft im Lande, konnte 46 Lippisches Intelligenzblatt 1816; zit. bei Udo Smidt: Die Lippische Bibelgesellschaft im Strom der Geschichte. In: Die Bibel in der Welt. Jahrbuch 9, 1966, 80–93, hier 87. 47 In der Frühzeit gehörte auch die Ökumene zwischen den Konfessionen zum Kennzeichen der Bibelgesellschaften. Über seine Gründung in Hannover schrieb Pinkerton: „In Hanover, as in Petersburg, I saw the Lutheran, Calvinistic, and Catholic Clergy join hands to promote the good cause: and some of these persons assured me, after the Meeting, that though they had been tea­ chers of the same religion in this city for many years, yet they had never had an opportunity of speaking to each other. Oh! What a blessed plan, which is capable of bringing together the long divided parts of the Christian church.“ (Eleventh Report of the BFBS, London 1815, appendix, p. 3, zit. bei Wayne Detzler [s. Anm. 27], 272)

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sie mit ihren Beziehungen dafür sorgen, dass die Bibeln zollfrei ins Land kamen.48 Die territoriale Bindung schuf zweitens ein Problem: Gab es in einem Terri­ torium mehrere Bibelgesellschaften, musste deren Verhältnis zueinander geklärt werden. Es lag nahe, dass sich regionale Bibelgesellschaften an die Bibelgesellschaft in der Hauptstadt anschlossen, die am leichtesten die „Nähe zum Thron“ fand und Hof- und Regierungsbeamte in ihre Reihen aufneh­ men konnte. So bot sich eine Differenzierung in Haupt- und Tochtergesell­ schaften an. Bei einer solchen Differenzierung konnten sich gerade in den Tochtergesellschaften auch Mitglieder beteiligen, die man in der repräsentati­ ven Hauptgesellschaft nicht so gern sah.49 Dabei fiel den Tochtergesellschaf­ ten vor allem die Aufgabe zu, Gelder zu sammeln, also für die gute Sache zu werben. Dafür war Öffentlichkeitsarbeit mit Rechtfertigung der geleisteten Arbeit nötig. Hier entstand eine ganz neue Form kirchlicher Publizistik; in dieser Form – als Rechtfertigungs- und Werbeschrift („Berichte“) – hatte es solche Veröffentlichungen im kirchlichen Rahmen vorher noch nicht gege­ ben.50 Wo aber Tochtergesellschaften vor der repräsentativen Muttergesellschaft gegründet worden waren, konnte das Verhältnis schwierig werden, so etwa in Preußen. In Berlin gab es die von Johannes Jaenicke gegründete Bibelgesell­ schaft schon seit 1805, sie hatte allerdings nur die frommen Kreise erreicht.51 So war durch Pinkerton eine neue Bibelgesellschaft gegründet worden. Um dafür das nötige Personal – „Persönlichkeiten“ – zu gewinnen, wurde Baron Hans Ernst v. Kottwitz eingespannt.52 Er war einerseits eine Zentralfigur der preußischen Erweckungsbewegung, andererseits hatte er die nötigen Verbin­ dungen zum Hof und den hohen Beamten, die eher durch die Aufklärung geprägt waren. Mit diesen Leuten wurde dann die preußische Hauptbibelan­ stalt gegründet, Jaenicke verzichtete auf eine repräsentative Rolle in der neuen Bibelgesellschaft, seine ältere Gesellschaft, die sich nach dem Muster 48 Die territoriale Orientierung hatte den Nachteil, dass man sich rasch um eine Genehmigung der Kirchenleitung oder Regierung bemühen musste, wenn man ihr nicht selbst angehörte. So hatte der Osnabrücker Konsistorialrat Mertens, der Korrespondent der Christentumsgesellschaft war, bei dem Hofmarschall von Blomberg in Detmold angefragt, ob sich dort eine Bibelgesell­ schaft bilden wolle; durch Vermittlung der Osnabrücker Bibelgesellschaft könne sie als Partikular­ gesellschaft der BFBS agieren. Die Antwort auf diese Anfrage erforderte nicht bloß eine Rück­ frage beim Konsistorium, sondern – entscheidend – die Genehmigung der Fürstin Pauline (Vgl. Smidt, Bibelgesellschaft [s. Anm. 46], 81 f.). 49 Die Gliederung in Haupt- und Tochtergesellschaften gab es auch bei der BFBS. Sie war sogar die Grundlage für deren Erfolg, denn für das Spendensammeln hatte sie zahlreiche örtliche Tochtergesellschaften, die unterschiedliche Formen des Sammelns nutzten, u. a. die aus der Mis­ sionsbewegung bekannten „Flower festivals“. 50 Im Landeskirchlichen Archiv Hannover sind die ältesten Stücke in der Sammlung kirchli­ cher Druckschriften die Berichte der Hannoverschen Bibelgesellschaft. 51 Vgl. Gundert, Geschichte [s. Anm. 7], 64 f. 52 Vgl. Maser, Kottwitz [s. Anm. 42], 160–164.

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der Christentumsgesellschaft als „Partikulargesellschaft der BFBS“ verstanden hatte, ging in der „Hauptbibelgesellschaft“ auf. Andere Bibelgesellschaften im neuen großen Preußen, etwa die Bergische Bibelgesellschaft in Elberfeld, brauchten dafür länger, bis sie sich der Preußischen Hauptbibelgesellschaft in Berlin unterordneten.53 In anderen Staaten, die nicht so gut wie Preußen organisiert waren, etwa die Königreiche Hannover und Sachsen, blieben die regionalen Bibelgesellschaften selbständig. Hier kam es zu einem lange Zeit ungeklärten Nebeneinander mehrerer Bibelgesellschaften. Drittens konnten durch die Struktur des ‚top down‘ und durch das Einbin­ den der Honoratioren die Schwierigkeiten bei der Zensur und den Postge­ bühren gelöst werden. Nicht umsonst hieß die Württembergische Gesellschaft ja „Privilegierte Bibelgesellschaft“. Wie wichtig das war, zeigte sich am Bei­ spiel Bayerns. Hier war es ganz schwierig, eine Genehmigung für die Arbeit der Bibelgesellschaft zu erhalten. Im zunehmend ultramontanen Bayern war man grundsätzlich gegenüber einer aus Franken kommenden protestantischen Bibelgesellschaft skeptisch; umso wichtiger wäre es gewesen, dass das Ober­ konsistorium in München die Gründung befürwortete. Als 1816 in Ansbach eine Bibelgesellschaft gegründet wurde, erhielt diese keine Genehmigung, weil die Theologen des Oberkonsistoriums zunächst nicht informiert worden waren. So kam es erst 1824 zur Gründung eines bayerischen Central-BibelVereins, nachdem sich Lord Elgin, der als bekannter Griechenlandkenner Zutritt zum Kronprinzen und dem königlichen Hof hatte, für die Bibelgesell­ schaft eingesetzt hatte.54 Bemerkenswert ist viertens, dass einerseits von staatlicher Seite darauf ver­ zichtet wurde, die Vereinstätigkeit der Zensur zu unterwerfen,55 dass aber andererseits die Vereine eine zu enge Anlehnung an die staatlichen Organe selbst vermieden. Geradezu klassisch formulierte dies die Direktion der Preu­ ßischen Hauptbibelgesellschaft 1816: Die Bibelgesellschaften bestehen und gedeihen nur dadurch, daß der Staat sich jeder Einmischung in ihr Verfahren, soweit es im allgemeinen genehmigt und im einzelnen gesetzmäßig ist, enthält und sie selbst die Einwirkung des Staats, welche nur zu leicht den Schein einer Beschränkung des freien guten Willens annimmt, nie verlangen.56 53 Die selbstbewussten Rheinländer akzeptierten die Unterordnung der Bergischen Bibelge­ sellschaft unter die etwas später gegründete Preußische Hauptbibelanstalt in Berlin nur mit Mühe. 1836 teilte der Vorstand der Bergischen Bibelgesellschaft der Hauptbibelanstalt in Berlin mit, dass die eigene Gesellschaft, „weil etwas früher entstanden, de facto keine Tochtergesellschaft von ihr sei“, und noch 1914 ließ der Vorsitzende der Bergischen Bibelgesellschaft „der hochverehrten bald mitjubilierenden Festgenossin [sc. der Hauptbibelgesellschaft] sagen: sie wolle ihr lieber allezeit treue Schwesterliebe widmen als ihre unnatürliche Tochter sein“ (zit. n. Brückmann, Bibelverbrei­ tung [s. Anm. 20], 54). 54 Vgl. Gundert, Geschichte [s. Anm. 7], 159–165. 55 Das ist ein Unterschied zu den Traktatgesellschaften; vgl. Cordes, Freie christliche Aktion [s. Anm. 4], 33 f.; Rathgeber, „Preußische Hauptbibelgesellschaft“ [s. Anm. 6], 82 ff. 56 Zit. n. Rathgeber, „Preußische Hauptbibelgesellschaft“ [s. Anm. 6], 63.

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Diese relative Freiheit der Bibelgesellschaften war möglich, weil die füh­ renden Personen das Vertrauen der staatlichen Behörden besaßen, waren sie ja oftmals selber dort tätig. Den begrenzten Raum der Staatskirche hatte man mit dieser Vereinsfreiheit verlassen, sie konnte gleichsam eingeübt werden, bis sie dann nach 1848 allen religiösen Vereinen gewährt werden konnte. Fünftens: Das ökumenische Grundverständnis der Erweckten und die Orientierung an den Ländern und Landesgrenzen ermöglichte in der Früh­ phase der Bibelgesellschaften die Einbindung der katholischen Christen. Ein gemeinsames Bildungsverständnis verband auch evangelische und katholische Honoratioren, so dass – etwa in Preußen und Hannover – die katholischen Bischöfe in den Kreis der repräsentativen leitenden Persönlichkeiten der Bibelgesellschaften aufgenommen werden konnten. Dabei blieb aber das Ver­ hältnis zu den Katholiken prekär. Selbstverständlich wollte man alle Christen für die „Bibelsache“ gewinnen, obwohl Papst Pius VII. schon 1816 vor den Bibelgesellschaften gewarnt hatte.57 Als der Berliner systematische Theologe Philipp Marheineke 1817 im Überschwang des Reformationsjubiläums in einem Einladungsprogramm der Preußischen Bibelgesellschaft die Lutherbibel als Ausdruck der von Jesus Christus intendierten Freiheit feierte und für sie als „deutsche Bibel“ warb, bot sich für den katholischen Bischof von Ermland eine elegante Möglichkeit zum Rückzug von der Bibelgesellschaft.58 Es nützte nichts, dass sich Marheineke, der Gründungsmitglied war, aus dem Vorstand der Gesellschaft zurückzog; er hatte die in der Bibelgesellschaft gewünschte Harmonie zwischen den (erweckten) Christen gestört.59 Deshalb hatten die Begründer der Bibelgesellschaften die Katholiken an der Bibelverbreitung beteiligen wollen. Hier gab es ein gemeinsames von der Aufklärung geprägtes Christentumsverständnis, außerdem hatten die Erfahrungen der kirchenfeind­ lichen napoleonischen Zeit die Kirchen zusammengeführt. Die größeren Staa­ ten in Deutschland waren bikonfessionell geworden, mit der Verabschiedung der Deutschen Bundesakte hatten Katholiken und Protestanten prinzipiell die gleichen politischen Rechte. So ließ sich die gemeinsame Mitgliedschaft in

57 Vgl. Johannes Altenberend: Leander van Eß und die katholische Bibelbewegung. In: JWKG 97, 2002, 105–136, hier 127 ff.; ders.: Bibelanstalt, Bibelbund oder Bibelgesellschaft? Bibelverbrei­ tung und Vereinsgründung in der katholischen Kirche zwischen 1805 und 1830. In: Weltmission und religiöse Organisationen. Hg. v. Artur Bogner [u. a.]. Würzburg 2004, 249–284, hier 275 ff. 58 Vgl. Gundert, Geschichte [s. Anm. 7], 167 f. – Steinkopf hatte bei seiner ersten Reise die Katholiken nicht miteinbezogen. Damals hatte er sich ganz am Kreis der Mitglieder der Christen­ tumsgesellschaft und der BFBS orientiert; beide kannten keine Beteiligung der Katholiken an repräsentativer Stelle; in England erfolgte die Katholikenemanzipation ja erst 1829. 59 Noch stärker, ja konstitutiv war dieser auf Harmonie angelegte christliche Grundkonsens für die Evangelische Allianz. Allerdings blieben die meisten deutschen Bibelgesellschaften der 1846 gegründeten Evangelischen Allianz gegenüber zurückhaltend, sie orientierten sich dabei an der Haltung der Landeskirchen. Vgl. Gerhard Lindemann: Für Frömmigkeit in Freiheit. Die Geschichte der Evangelischen Allianz im Zeitalter des Liberalismus (1846–1879). Berlin 2011.

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der Bibelgesellschaft als Möglichkeit zur konfessionellen Integration inner­ halb des jeweiligen Landes nutzen; die Mitgliedschaft leitender Geistlicher in den Bibelgesellschaften konnte als Zeichen der Integrationswilligkeit verstan­ den werden. Sachlich kam hinzu, dass Leander van Eß inzwischen das Neue Testament als katholische Bibelübersetzung veröffentlicht hatte, so dass die Bibelgesellschaften beim Vertrieb von Bibeln an Katholiken nicht auf die Lutherbibel angewiesen waren.60 Insgesamt bedeuteten die Bibelgesellschaften einen erheblichen Modernisie­ rungsschub für die kirchliche Arbeit. Theologen und Laien waren hier gleich­ berechtigt, Laien konnten sich in ganz neuer Form beteiligen; bis dahin war ein besonderer Rang – sei es als Standesherr, sei es als Presbyter – nötig gewe­ sen, um in der kirchlichen Arbeit Verantwortung zu übernehmen, das wurde nun anders.61 Auch wenn die Führungspositionen in der Bibelgesellschaft wei­ terhin von gesellschaftlich führenden Personen wahrgenommen wurden, so deutete sich mit der prinzipiellen Gleichberechtigung der Mitglieder die Auf­ lösung der ständischen Gesellschaft an. Die Bibelgesellschaften standen am Beginn der kirchlichen Arbeit, die sich in Vereinen organisierte; möglich war dies durch das Zusammenwirken von Rationalisten, die meist der älteren Generation angehörten und kirchenleitende Positionen innehatten, und erweckten Christen, die aktivistisch nach neuen Formen der kirchlichen Arbeit fragten. 5. Die Finanzfrage oder die Anlehnung an die Landeskirche Die Methode des ‚Top down‘, die zu so raschem Erfolg geführt hatte, hatte den Nachteil, dass eine Bibelgesellschaft leicht zu einer Armee von Hauptleu­ ten ohne Soldaten werden konnte. Gehörten den Leitungsorganen vor allem Personen an, die wohl einen gesellschaftlich herausgehobenen Rang, aber kaum Interesse an der Sache hatten, konnte die Arbeit sehr schwierig wer­ den,62 vor allem, wenn es neben der repräsentativen Hauptgesellschaft keine 60

Vgl. Altenberend, Leander van Eß [s. Anm. 56], 118 ff. Bis dahin hatte sich die kirchliche Mitarbeit der Laien ja auf Patrone und die Mitglieder in den Presbyterien bzw. den Kirchenräten zur Vermögensverwaltung beschränkt. Als Patrone oder Kirchenvorsteher gehörten sie regelmäßig den vermögenden Ständen an. 62 Der Festprediger der Bergischen Bibelgesellschaft kritisierte diese Methode schon 1839 auf dem Jahresfest: „Es regte sich wirklich schon ein Rühmen [. . .] auf Fleischesarm; durch die frühe­ ren Berichte der Gesellschaft läuft unverkennbar diese Ader. Man zählt es gerne auf, wieviel Prin­ zen des königlichen Hauses, wieviel Minister und Parlamentsmitglieder, wieviel Barone und Gra­ fen, wieviel Bischöfe und Generalsuperintendenten, [. . .] wieviele Notabeln der Stadt zur Bibelgesellschaft gehörten“; diese Beobachtung konfrontierte der Redner mit 1Kor 1,26: „Sehet an, liebe Brüder, eure Berufung: nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Gewaltige, nicht viele Edle sind berufen.“ (Jahresbericht 1839, 19; zit. bei Brückmann, Bibelverbreitung [s. Anm. 20], 29) 61

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Tochtergesellschaften mit intensiverem Engagement für die praktische Arbeit gab. Das wurde sichtbar, als sich die BFBS aus der finanziellen Unterstützung der deutschen Bibelgesellschaften zurückzog. Auslöser war der sog. Apokryphenstreit seit 1824. Basis des Streits war die Lehre von der Verbalinspiration und daraus folgend die puritanisch-refor­ mierte Ablehnung der Apokryphen. Nach dem Tod von John Owen, dem Repräsentanten der Anglikaner im Vorstand der BFBS, war der Einfluss der strengen Calvinisten, vor allem der schottischen Tochtergesellschaften gestie­ gen. Diese waren auf Grund der Auseinandersetzungen innerhalb der Church of Scotland besonders empfindlich und wenig kompromissbereit. Sie waren aber beim Sammeln von Spenden für die BFBS besonders erfolgreich. Nun wollten sie ihre Forderung durchsetzen, dass keine ‚unreinen‘ Bibeln verbrei­ tet würden. Als Verfechter einer strikten Verbalinspirationslehre fürchteten sie, dass sich mit den Apokryphen Menschenwort unter das Wort Gottes mische. Deshalb sollten die Bibeln keine Apokryphen enthalten. 1826 fasste die BFBS den Beschluss, nur noch Ausgaben ohne Apokryphen zu finanzie­ ren; im Streit mit den deutschen Bibelgesellschaften verschärfte die BFBS ihre Position dahin, dass sie Bibelgesellschaften von der Förderung ausschloss, die auf eigene Faust Bibeln mit Apokryphen vertrieben. In der Folge trennten sich die meisten deutschen Bibelgesellschaften von der BFBS, da sie auf die Apokryphen nicht verzichten wollten. Nur wenige Bibelgesellschaften, meist mit reformierter Tradition, scherten aus diesem deutschen Konsens aus: die Bibelgesellschaften in Neuwied und Herrnhut, Köln, Wesel, Hanau und Nürnberg. Die Bergische Bibelgesellschaft teilte sich sogar: Als die Mehrheit beschloss, künftig nur noch Bibeln ohne Apokryphen zu verbreiten, gründete die Minderheit eine neue – Wuppertaler – Bibelgesellschaft, die Bibeln mit Apokryphen vertrieb. Die größeren Bibelgesellschaften wie die Württember­ gische, die Hannoversche und die Preußische Hauptbibelgesellschaft, vor allem auch die Cansteinsche Bibelanstalt lehnten gekürzte Bibeln ab. Damit erhielten sie keine Gelder und Bibelspenden aus England und mussten sich ganz auf die eigenen Füße stellen. Dies gelang bemerkenswert rasch. Die meisten Bibelgesellschaften erwiesen sich als lebensfähig,63 auch wenn sie ihre Arbeit, vor allem die kostenlose Verteilung von Bibeln, einschränken muss­ ten. Dafür waren sie nun auf die stärkere Unterstützung durch die Kirchenlei­ tungen angewiesen. C. F. A. Steinkopf hatte sich im Apokryphenstreit für seine deutschen Freunde eingesetzt und hatte sich von der BFBS weitgehend zurückgezogen, als die Mehrheit der Mitglieder in der BFBS in der Apokryphenfrage für einen harten Kurs votierte. An seiner Stelle wurde nun Robert Pinkerton 63 Eine Ausnahme war die 1815 gegründete Ostfriesische Bibelgesellschaft, die 1831 einging. Eine neue Bibelgesellschaft in Aurich wurde 1835/38 gegründet. Vgl. Menno Smid: Ostfriesische Kirchengeschichte. Pewsum 1974, 520; „Das feste Wort der Wahrheit“. 150 Jahre Ostfriesische Bibelgesellschaft 1838–1988. Aurich 1988.

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zum Auslandssekretär für Deutschland berufen. Er trat mit Überzeugung für Bibeln ohne Apokryphen ein. Unterstützt vom rührigen Sekretär der Frank­ furter Bibelgesellschaft, Johann Daniel Claus, baute Pinkerton in Frankfurt einen Bibelvertrieb mit mehreren Agenturen in Deutschland auf. Die BFBS vertrieb ihre Bibeln ohne Apokryphen durch Kolporteure („Bibelboten“) und über den Buchhandel. Zeitweise arbeiteten elf Kolporteure für die BFBS, allerdings wurden sie vornehmlich in katholischen Gebieten eingesetzt. Damit entstand eine bis zum Ersten Weltkrieg andauernde Konkurrenz zwischen der BFBS und den Bibelgesellschaften. Die Bibelgesellschaften gerieten in eine ‚Sandwich-Position‘: Auf der einen Seite war da die BFBS mit ihrem besonders preiswerten Bibelangebot, mit deren Vertrieb man konkurrieren wollte. Darauf konzentrierten die meisten Bibelgesellschaften ihre Aktivitäten. Auf der anderen Seite aber standen fromme, erweckte Christen, die von ihrer Gesellschaft mehr als den Vertrieb von Bibeln erwarteten, sie erwarteten zusätzlich missionarische Impulse. In den ersten Jahren hatten die Bibelgesellschaften beides vereinen können, eine im weitesten Sinne volksmissionarische Arbeit und das Verteilen der Bibeln. Als jedoch die Möglichkeiten zunahmen, Vereine für kirchliche Zwecke zu gründen, entstanden neben den Bibelgesellschaften zahlreiche andere christli­ che Vereine und Gesellschaften. Mit der zunehmenden Differenzierung der volksmissionarischen und missionarischen Arbeit konnten die Bibelgesell­ schaften solche Aktivitäten reduzieren und sich auf ihr Kerngeschäft konzent­ rierten: Druck und Vertrieb von Bibeln. Damit provozierten sie aber die Kri­ tik der missionarisch gesonnenen Christen, die von Johann Hinrich Wichern in seiner „Stegreifrede“ 1848 sehr deutlich formuliert wurde: Was von ihnen [den Bibelgesellschaften] zum Besten der Kirche getan worden, näm­ lich die bisherige Verbreitung von Bibeln, wird jeder aufs dankbarste anerkennen, aber jeder, der den Zustand der Kirche kennt, wird auch zweierlei in ihrer Wirksam­ keit vermissen: einmal, dass die Verbreitung der Schrift nicht noch weiter und nicht in mehr lebendiger, das Herz des Volkes erfassender Weise geschehen, und zweitens, dass von diesen Stellen aus bisher nichts versucht worden ist, um im Volk die Lesung, überhaupt den richtigen Gebrauch und das Verständnis der Schriften zu eröffnen.64

Diese Forderung überforderte viele Bibelgesellschaften, zumal viele der hoch engagierten – erweckten – Christen sich anderen aktiveren christlichen Vereinen angeschlossen hatten und als aktive Mitglieder fehlten. In der Folge rückten die Bibelgesellschaften noch näher an die Landeskirchen und deren Verwaltungsspitzen heran. An vielen Orten erhielten sie jetzt – nicht zuletzt aufgrund ihrer Nähe zu den kirchlichen Verwaltungen – die Einnahmen aus bestimmten Kollekten zugewiesen, vor allem die ertragreichen Kollekten am Reformationstag. 64 Johann Hinrich Wichern: Sämtliche Werke. Bd. 1: Die Kirche und ihr soziales Handeln. Grundsätzliches und Allgemeines. Hg. v. Peter Meinhold. Hamburg 1962, 214.

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6. Die Fürsorge für die Lutherbibel Nach dem rasanten Beginn und dem Klärungsprozess im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts standen Zuständigkeiten und Aufgaben der Bibelgesell­ schaften fest. Es hatte sich eine Aufteilung analog zu den Landeskirchen durchgesetzt. Mit dem Aufkommen weiterer Vereine, die missionarischvolksmissionarische Aktivitäten pflegten, hatte sich das Tätigkeitsfeld der Bibelgesellschaften an vielen Orten verengt. Auch wenn sie gelegentlich ver­ suchten, durch zusätzliche Aktivitäten für eine intensivere Lektüre und Anwendung des Gelesenen bei den Bibellesern zu sorgen und dadurch auch den Geldfluss zu steigern, so wurden sie doch weithin zu Organisationen zum Geldsammeln, zum Bibelverteilen und teilweise auch zum Bibeldruck.65 Die Bibelgesellschaften zeigten sich aber noch an einer anderen Stelle bereit, Verantwortung zu übernehmen, die über das schlichte Verteilen von Bibeln hinausging: Sie beteiligten sich an der Revision des Textes der Luther­ bibel. Es war seit dem späten 17. Jahrhundert klar, dass der Luthertext immer wieder zu überprüfen und ggf. anzupassen war. Für diese Aufgabe hatte die Cansteinsche Bibelanstalt einen besonders guten Ruf. Denn von Anfang an hatten ihre Herausgeber und Redakteure versucht, den besten Luthertext zu verbreiten: Zuerst war es die Stader Bibel von Johannes Diecmann gewesen, die als revidierte Lutherbibel der Cansteinschen Bibelausgabe als Vorlage gedient hatte,66 aber auch später verbesserten die Redakteure der Halleschen Anstalt ihre Bibelausgaben immer wieder sorgfältig, so dass deren Drucke für das 18. Jahrhundert den maßgeblichen Text boten. Eine philologische Großtat war dann die siebenbändige Veröffentlichung der Lutherbibel von 1545 in einer kritischen Ausgabe, die zwischen 1850 und 1855 erschien.67 Hier ging es nicht mehr um einen Luthertext für die Gegenwart, sondern um eine philolo­ gisch verantwortete Ausgabe des Luthertexts, dessen Geschichte man nun nachvollziehen konnte. Einen solchen nach philologischen Grundsätzen historisch orientierten Text zu verbreiten, konnte aber nicht das primäre Interesse der Bibelgesell­ schaften sein. Gerade wenn sie bibelmissionarisch arbeiteten, mussten sie sich um die Verständlichkeit des biblischen Textes sorgen. Damit erhielt die Frage 65 Neben der Cansteinschen Bibelanstalt, die vor allem den Bedarf der Preußischen Hauptbi­ belgesellschaft mit den Tochtergesellschaften deckte, war die Stuttgarter Priv. Bibelanstalt im Bibeldruck am erfolgreichsten; zeitweilig erteilten aber auch kleinere Bibelgesellschaften eigen­ ständig Druckaufträge für neue Bibelausgaben. 66 Zu Diecmanns Bibel, die erstmals 1678 erschien, vgl. Helmut Roscher: Johannes Diecmann als lutherischer Generalsuperintendent der Herzogtümer Bremen und Verden. In: JGnKG 2006, 105–121, hier 111 f.; zu den redaktionellen Arbeiten Franckes am Luthertext vgl. Beate Köster: Die erste Bibelausgabe des Halleschen Pietismus. Eine Untersuchung zur Vor- und Frühgeschichte der Cansteinschen Bibelanstalt. In: PuN 5, 1979, 105–163, hier 135. 67 Hg. vom Bibliothekar Heinrich Bindseil und Franckes Ururenkel Hermann Agathon Nie­ meyer als Direktor der Cansteinschen Bibelanstalt.

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der Bibelrevision eine neue Qualität: Deutlicher als bisher musste zwischen dem originären Luthertext und einem Text für das gegenwärtige Sprachemp­ finden unterschieden werden. Das war das Interesse der Bibelgesellschaften, die zur gleichen Zeit die Diskussion eröffneten, ob und wie sie über die Kir­ chen- und Landesgrenzen hinweg zusammenarbeiten könnten. Damit beteili­ gen sie sich an einer Grundströmung des Protestantismus in dieser Zeit. Seit 1848 drängten führende Protestanten – Theologen und Laien – auf eine bes­ sere Zusammenarbeit, möglichst sogar auf einen Zusammenschluss der evan­ gelischen Kirchen in Deutschland. Für die Öffentlichkeit hatte diese Entwick­ lung mit dem ersten Kirchentag 1848 in Wittenberg begonnen, es folgte 1852 der Zusammenschluss der „Kirchenregierungen“ zur Eisenacher Kirchenkon­ ferenz und 1856 die Konferenz der Bibelgesellschaften. Schon 1854 hatten sich die Vorsitzenden der Bibelgesellschaften zu einem Treffen verabredet; sie waren so sehr in die kirchlichen Leitungsgremien eingebunden, dass es für sie am bequemsten war, wenn sie sich unmittelbar vor dem Beginn der Eisena­ cher Konferenz trafen.68 Thema des Treffens war die Revision der Lutherbi­ bel. Ausgangspunkt war der Antrag einer badischen Bezirkssynode beim Evangelischen Oberkirchenrat in Karlsruhe gewesen, er möge bei der Eisena­ cher Konferenz eine Revision der Lutherbibel anregen. Der badische Ober­ kirchenrat hatte den Antrag zunächst abgewiesen, dennoch war ein wirkliches Problem angesprochen, weil die Bibelgesellschaften Lutherbibeln mit unter­ schiedlichem Text vertrieben. Der Hamburger Senior Carl Mönckeberg, Vorstand der Hamburg-Altonaischen Bibelgesellschaft, hatte in einem Grund­ satzpapier darauf aufmerksam gemacht, dass 11 unterschiedliche Fassungen des Luthertexts im Umlauf waren.69 Damit war die Diskussion nicht mehr zu umgehen, schon 1857 traf sich die Konferenz der Bibelgesellschaften erneut. Jetzt wurden Nägel mit Köpfen gemacht; es wurde festgelegt, dass sich die Bibelgesellschaften zu einer Revision „vereinen“ sollten und bis zum Abschluss dieser Arbeit auf eine eigene Revision verzichteten. Grundlage der gemeinsamen Revision sollte die 1839 zuletzt revidierte Ausgabe der Cans­ teinschen Lutherbibel sein, die Bibelanstalt in Halle sollte auch die Geschäfts­ führung der Revisionsarbeit übernehmen. Auf der Konferenz waren nicht alle Bibelgesellschaften vertreten, so wurde sehr sorgfältig begründet, warum der Cansteinschen Bibelanstalt diese Aufgabe übertragen wurde: Sie

68 Friedrich Düsterdieck: Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung. Zur Verständigung der Kirchengemeinen [!]. Hannover 1882, 8 f. – Oberkonsistorialrat Düsterdieck war Vorsitzen­ der der Revisionskommission für das Alte Testament; er gab den ersten Bericht über den Abschluss der Arbeiten. 69 Carl Mönckeberg: Beiträge zur würdigen Herstellung des Textes der Lutherischen Bibelüber­ setzung. Hamburg 1855; sechs Jahre später publizierte er: Vorschläge zur Revision von Dr. Mar­ tin Luthers Bibelübersetzung. Halle/Saale 1861; kurz darauf erschien von Rudolf Stier: Der deut­ schen Bibel Berichtigung. Mit Bezug auf die von Herrn Prediger C. Mönckeberg herausgegebenen Vorschläge derselben. Bielefeld 1861.

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hat seit bald 150 Jahren so treu für die Verbreitung von Gottes Wort gesorgt, dass sie einen Anspruch auf unsere Pietät hat. Von den Cansteinschen Bibelausgaben ist schon die 541. Auflage erschienen, auch jetzt noch verbreitet schwerlich eine andere Bibelanstalt so viele Exemplare als sie [. . .]. Überdies ist die Haller Universität die Erbin der Wittenberger, und die Wittenberger theologische Fakultät hat lange Zeit das Vorrecht gehabt, die Aufsicht über die Bibelausgaben zu führen. Bei der Can­ steinschen Bibelanstalt findet sich keine Vorliebe für einen bestimmten Text [. . .]. Und da die Cansteinsche Bibelanstalt von Anfang an eine gesunde Kritik angewandt hat, so wird sie auch den Wünschen der Bibelgesellschaften gewiss gern entgegen­ kommen und die Revision des Bibeltextes mit der größten Genauigkeit und Umsicht durchführen.70

Um möglichst alle Bibelanstalten, auch diejenigen, die nicht zur Konferenz 1857 gekommen waren, für die Revision zu gewinnen, wurden auf der nächs­ ten Konferenz der Bibelgesellschaften vorsichtige Regeln für die Revision verabredet: Luthers Satzbau sollte nicht verändert werden, auch in der Recht­ schreibung sollte „mit der größten Behutsamkeit“ vorgegangen werden und einzelne veraltete Wörter sollten in einem eigenen Verzeichnis erklärt werden; unbezweifelbar fehlerhaft übersetzte Stellen sollten erhalten bleiben, zusätz­ lich sollte aber eine korrekte Übersetzung geliefert werden, die „in Perlschrift“ unter den jeweiligen Vers zu setzen war.71 Auch wenn dieses konservative Vorgehen heute kaum noch als ausreichend erscheint, so war es damals doch geradezu revolutionär, sollte es doch für alle Bibelgesellschaften gelten und prinzipielle Abweichungen vom Luthertext bieten. Tatsächlich signalisierten einige Bibelgesellschaften sehr rasch ihre Skepsis gegenüber der Revision, andere meinten, eine Bibelrevision könne nur von autorisierten „Kirchenre­ gierungen“ durchgeführt werden. In dieser Situation wandte sich Gustav Kra­ mer, der Direktor der Cansteinschen Bibelanstalt, an den Evangelischen Ober­ kirchenrat (EOK) in Berlin. Er bat, die Eisenacher Konferenz einzuschalten, um bei den Kirchenleitungen einen Konsens in dieser Frage zu erreichen. Die Eisenacher Konferenz war – wie erwähnt – 1852 auf freiwilliger Basis als „Konferenz von Abgesandten der obersten Kirchenbehörden (Kirchenre­ gierungen)“ gegründet worden; ihre Existenzberechtigung war lange Zeit umstritten, schließlich überschritt sie das Landeskirchenprinzip, das die Orga­ nisation des deutschen Protestantismus seit der Reformation geprägt hatte.72 In dieser offenen Situation bot sich die Diskussion über die Revision der Lutherbibel als Thema für die Konferenz an: Diese Bibel war das entschei­ dende gemeinsame Band der deutschen evangelischen Kirchen, eine Diskus­ 70 Zit. n. Oskar Söhngen: Festrede. In: Die bleibende Bedeutung des Pietismus. Zur 250-Jahr­ feier der von Cansteinschen Bibelanstalt. Hg. v. dems. Witten, Berlin 1960, 20. 71 Zu den Grundsätzen der Konferenz von 1858 vgl. Gundert, Geschichte [s. Anm. 7], 225 f. 72 Vgl. Friedrich Wilhelm Graf: Eisenacher Konferenz (Lit.). In: RGG4 3, 2003, 1179 f. – Zu den Themen der Konferenz vgl. Joachim Rogge: Die Eisenacher Konferenzen. In: Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union. Bd. 2. Hg. v. Joachim Rogge u. Gerhard Ruhbach. Leipzig 1994, 52–55.

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sion darüber, die zu einem gemeinsamen Beschluss führte, legitimierte gera­ dezu die Existenz der Konferenz. So wurde die Frage der Bibelrevision das wichtigste Thema auf der Eisenacher Konferenz 1863. Am Ende setzte sich ein Verfahrensvorschlag des hannoverschen Delegierten Ludwig Brüel durch; er hatte vorgeschlagen: Wie die vorhandene Übersetzung nicht unter formeller Autorität der Kirche entstan­ den sei, so würde auch die Revision nicht direct von der [Eisenacher] Conferenz oder von den Kirchenregierungen in die Hand zu nehmen, sondern nur indirekt – durch Darbietung der Mittel und Muße zu den erforderlichen Arbeiten für geeignete Män­ ner – zu fördern sein.73

Dementsprechend beschloss die Konferenz, dass sie „für zweckdienlich und ihrer Stellung zu dem Unternehmen angemessen erachte, auf eine einheitliche Gestaltung des Luthertextes in lediglich fördernder Weise hinzuwirken“. Damit war deutlich, dass auch die Kirchenleitungen einen einheitlichen Luthertext wünschten, gleichzeitig verzichtete die Eisenacher Konferenz aber darauf, sich an der inhaltlichen Diskussion um die Revision der Lutherbibel zu beteiligen, die Bibelgesellschaften waren nun wieder zuständig. Auf der Arbeitsebene war es zunächst nicht leicht, mit der Arbeit zu begin­ nen; nach Vorschlägen der Bibelgesellschaften benannten die größeren Lan­ deskirchen Mitglieder der Revisionskommissionen. Über die Fortschritte der Arbeit informierte die Direktion der Cansteinschen Anstalt den Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin, der wiederum die Eisenacher Kirchenkonferenz informierte, gleichzeitig erhielten die Bibelgesellschaften Berichte. Die kom­ plexe Struktur des deutschen Protestantismus wurde hier sichtbar. Nach Beendigung der Revisionsarbeit erschien 1883 in Halle die sog. Probebibel, die im Titelblatt gleich den Auftraggeber nannte: „Erster Abdruck der im Auftrag der Eisenacher deutschen evangelischen Kirchenkonferenz revidier­ ten Bibel“. In den dazu erschienenen Berichten wurde darauf hingewiesen, dass nach einigen Jahren eine „Superrevision“ der revidierten Bibelausgabe stattfinden solle.74 Insgesamt fand aber die neue Bibelausgabe weithin Zustim­ mung; 1890 konnte in einer Abschlusskonferenz in Halle, die wiederum von den Bibelgesellschaften beschickt wurde, der endgültige Bibeltext festgestellt werden, der 1892 erstmals und 1912 dann zum zweiten Mal als eine „im Auf­ trage der deutschen evangelischen Kirchenkonferenz durchgesehene Aus­ gabe“ erschien. Überblickt man dieses Verfahren, wird sofort deutlich: Die Bibeln der Cansteinschen Bibelanstalt boten die Grundlage für die Revisionsarbeit, deren Ausgaben lagen den Beratungen zugrunde.75 Aber bei einer Weichenstellung 73 Allgemeines Kirchenblatt für das Evangelische Deutschland, 1863, 248, zit. n. Düsterdieck, Die Revision [s. Anm. 68], 12. – Dort auch das Votum von Ludwig Brüel. 74 Düsterdieck, Die Revision [s. Anm. 68], 19 f. 75 Vgl. die Würdigung bei Adolf Kamphausen: Die berichtigte Lutherbibel. Rektoratsrede mit Anmerkungen. Berlin 1894, 12 f.; Düsterdieck, Die Revision [s. Anm. 68], 19 f. u. 32.

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kam doch die Württembergische Bibelanstalt wieder ins Spiel. Denn in den Text der revidierten Lutherbibel wurden die sog. Kernstellen aus den Stutt­ garter Bibelausgaben übernommen. Auch die Markierung der Kernstellen, also die Hervorhebung von Bibelstellen durch Fettdruck, hat ihre Geschichte, sie verbindet sich mit einzelnen Bibelausgaben. Durch die Auswahl der Kern­ stellen lassen die Bearbeiter ihr Verständnis des Luthertextes, ja der Bibellek­ türe überhaupt erkennen. Für Luther waren die fett gedruckten Stellen Lese­ hinweise, eine kleine Hermeneutik des Bibeltexts.76 August Hermann Francke nahm bei seiner Revision des Bibeltexts auf Luthers fett gedruckte Stellen wenig Rücksicht, er wollte durch die Markierungen den Leser direkt anreden, damit er Gottes Wort, wie es ihm bei der Lektüre entgegentrat, auf sich unmittelbar anwenden konnte.77 Diese Tendenz wurde durch die Bibelausga­ ben im Umkreis des schwäbischen Pietismus noch verstärkt, zunächst in der Bibelausgabe von Johann Reinhard Hedinger, dann in den ihm folgenden Bibeln. Den Endpunkt bot die Bibelausgabe von zwei Basler Theologen, Bat­ tier und Gernler, die 1838 in Reutlingen und Stuttgart noch einmal nachge­ druckt wurde.78 Der hohe Anteil an fett gedruckten Kernstellen ließ die Bibel als Spruchbuch erscheinen, die Material für die in pietistischen Kreisen belieb­ ten Ziehkästlein bot, dazu Belegstellen des Katechismus sowie Lebensweishei­ ten eines frommen Christen. Offensichtlich leuchtete dieses Konzept den Revisoren der Lutherbibel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, so dass sie die Kernstellen in die Ausgaben der Lutherbibel von 1871 und 1892 übernahmen.79 Von dort wanderten sie in die Bibelausgaben des 20. Jahrhun­ derts ein. Letztlich war die Lutherbibel, die am Ende des 19. Jahrhunderts ent­ stand, ein Kooperationsprojekt, bei dem Halle und Stuttgart zusammenwirk­ ten: Die Cansteinschen Ausgaben waren die Grundlage für die Konstitution des Textes, die Ausgaben, die von der Württembergischen Privilegierten Bibelgesellschaft vertrieben wurden, waren die Basis für die Markierung der Kernstellen. 76 Vgl. Hartmut Hövelmann: Kernstellen der Lutherbibel. Eine Anleitung zum Schriftverständ­ nis. Bielefeld 1989, 64 ff.; ders.: Die Markierung von Kernstellen in der Lutherbibel. In: „Was Christum treibet“. Martin Luther und seine Bibelübersetzung. Hg. v. Siegfried Meurer. Stuttgart 1996, 70–88. 77 Hövelmann, Kernstellen [s. Anm. 76], 164 f. u. 178; vgl. ders., Markierung [s. Anm. 76], 77: „An die Stelle der Vorreden Luthers tritt schließlich eine erbauliche Vorrede Franckes, die sich nicht mehr darauf richtet, woraufhin die Schrift zu befragen ist, sondern wie sich der Bibelleser zu disponieren hat, um die Schrift sachgemäß zu befragen. An die Stelle einer Sachanleitung zum Schriftverstehen tritt ein Florilegium applikationsfähiger, gebrauchsfertiger, zeit- und kontextlos verständlicher Sprüche.“ 78 Hövelmann, Kernstellen [s. Anm. 76], 182 f. 79 Hövelmann, Kernstellen [s. Anm. 76], 252: „Wenn man weiß, daß die Kernstellen-Auswahl in die Hände der Stuttgarter Bibelanstalt gelegt war, ist die Rückbesinnung auf die Tendenz der Hedingerschen Richtung und des Basler Biblizismus gar nicht so überraschend. Der beigezogene Tübinger Systematiker Robert Benjamin Kübel war der letzte akademische Vertreter des schwä­ bischen Biblizismus im Sinne [. . .] seines Lehrers Johann Tobias Beck [. . .].“

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7. Fazit Wird die Arbeit der Bibelgesellschaften im 19. Jahrhundert ignoriert, wird ein wichtiges Element dieser Epoche übersehen. Die Bibelgesellschaften haben auf ihre Weise darauf gedrungen, die Bibel als Volksbuch lebendig zu erhal­ ten, dem sollte die Revision der Lutherbibel dienen.80 Das ist ihr nicht zu unterschätzendes Verdienst. Jenseits ihrer Kernkompetenz besaßen die Bibel­ gesellschaften im frühen 19. Jahrhundert eine Vorreiterrolle für die ‚freie‘ kirchliche Arbeit: Sie eröffneten der Kirche und den Kirchengemeinden den Weg zu neuen Arbeitsformen in Gruppen und Vereinen. Vermutlich hätte sich die Sammlung von Gemeindegliedern in solchen Vereinigungen, in denen der örtliche Pfarrer nicht von vornherein dominierte, als legitime kirchliche Arbeitsform langfristig auch ohne die Bibelgesellschaften durchge­ setzt. Aber Gottesdienste, Unterricht und Einzelseelsorge, also die herkömm­ lichen Formen der kirchlichen Arbeit, hatten eine jahrhundertalte Tradition, dagegen musste sich die Arbeit mit besonderen Gruppen und in Vereinen mühevoll durchsetzen.81 Hier wirkten die Bibelgesellschaften als Vorreiter, von vornherein gesellschaftlich akzeptiert. Dieser Erfolg der Bibelgesellschaf­ ten wurde möglich durch die Koalition von Rationalisten, die zunächst noch die führenden Positionen in den Kirchenleitungen besaßen, und – meist jün­ geren – Theologen, die von der Erweckung geprägt waren und für neue For­ men kirchlicher Arbeit warben. Beide Seiten stimmten darin überein, dass die Konzentration auf Schule und Unterricht als herkömmlicher Form der Bibel­ verbreitung nicht ausreichte – die einen aufgrund ihres kulturell unterfütter­ ten Bildungsinteresses, die anderen aufgrund des erwecklichen Missions­ wunschs. Insgesamt wies die Organisationsform der Bibelgesellschaften über den kirchlichen Kontext hinaus, denn sie machten gesamtgesellschaftlich die neue Art populär, sich in Vereinen mit festgelegten Rollen (Präsident, Sekre­ tär) ohne weitere obrigkeitliche Vorgaben zusammenzuschließen. Die Zusammenarbeit von Erweckten und Rationalisten, die den Bibelge­

80 Noch einmal sei auf die Arbeit von Wilhelm Gundert [s. Anm. 7] hingewiesen: Hier werden Daten zur Bibelverbreitung (Auflagenhöhe: 173 ff.; Kolportage: 230 ff.) sowie zu besonderen Veranstaltungsformen (Feste: 181 ff.) und zu neuen Verstehenshilfen (Biblischer Wegweiser: 210 f.) gegeben. Die Versuche, durch Veranstaltungen und Bibelkommentare zusätzliche Hilfen zur individuellen Bibelrezeption zu liefern, blieben punktuell; sie wurden später der Inneren Mis­ sion (Volksmission) überlassen. – Eine besondere und erfolgreiche Form der Verstehenshilfe war der Fettdruck biblischer Kernstellen. Im Unterschied zu Hartmut Hövelmann [s. Anm. 76] meine ich, dass die Übernahme der pietistisch geprägten Auswahl von Kernstellen in die Ausgaben der revidierten Lutherbibel einem ursprünglichen Anliegen der Bibelgesellschaften entsprach, denn die Kernstellen sind eine gute Form, sich die Bibel anzueignen – das zeigt im Übrigen auch die bis heute ungebrochene Hochschätzung der Herrnhuter Losungen. 81 Das betonen zu Recht Hans Walter Krumwiede: Die Unionswirkung der freien evangelischen Vereine und Werke als soziales Phänomen des 19. Jahrhunderts. In: Um evangelische Einheit. Hg. v. Karl Herbert. Herborn 1967, 147–184 und Martin Cordes [s. Anm. 4], 15 ff.

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sellschaften anfangs ihre besondere Durchschlagkraft gewährt hatte, endete in den vierziger Jahren, als die Bibelgesellschaften durch den Rückgriff auf die kirchlichen Finanzen kirchlicher wurden. An vielen Orten zogen sich die Rationalisten aus der Bibelarbeit zurück, die Spannungen zwischen den Rationalisten und den Erweckten, die nun in die Kirchenleitungen kamen, wurden zu groß.82 Dafür wuchs ihr Einfluss in den Kirchenleitungen, das zeigt sich besonders an dem Verhältnis der Bibelgesellschaften zur Eisenacher Konferenz. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte der deutsche Pro­ testantismus noch keine handlungsfähige Struktur über die Grenzen der ein­ zelnen Landeskirchen hinaus besessen; deshalb hatten die Bibelgesellschaften in den 20er und 30er Jahren den Streit um die Aufnahme der Apokryphen ohne Beteiligung der Kirchenleitungen ausfechten müssen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gab es dann mit der Eisenacher Konferenz ein erstes Leitungsorgan, das für den deutschen Protestantismus, besser: für die evange­ lischen Landeskirchen insgesamt, sprechen konnte. Mit ihrer Empfehlung an die Bibelgesellschaften konnte die Eisenacher Konferenz die Verwendung des neu revidierten Textes durchsetzen. Seitdem wiesen die Lutherbibeln auf die Eisenacher Konferenz hin. Damit trugen sie den offiziellen Namen der Deut­ schen Evangelischen Kirchenkonferenz in all die Häuser, in die die (neuen) Lutherbibeln kamen: Die Landeskirchen und damit der deutsche Protestantis­ mus präsentierten sich hier als handlungsfähige Einheit. Nicht lautstark und programmatisch, aber effektiv leisteten die Bibelgesellschaften im 19. Jahr­ hundert ihren Beitrag zur Einigung und Modernisierung des deutschen Pro­ testantismus: Zunächst durch ihre neue Organisationsform als ‚freie‘ Gesell­ schaft (Verein), dann aber auch durch ihr Engagement für die Grundlage der evangelischen Kirche: die Lutherbibel in einer gemeinsam revidierten Fas­ sung.

82 Die Gründe für den Zusammenbruch der bisherigen Zusammenarbeit in den Bibelgesell­ schaften können hier nicht genauer untersucht werden; in jedem Fall ist das Vordringen der histo­ rischen Bibelkritik zu nennen, gegen die sich die Erweckten stemmten, die aber für die Rationalis­ ten unverzichtbar war; hier wurde der Streit um die „Lichtfreunde“ zur Grenzscheide. Es kam die von den erweckten Theologen mehrheitlich bejahte reaktionäre Wendung der Innenpolitik in den meisten deutschen Staaten hinzu; sie wurde von vielen Rationalisten kritisch verfolgt, zumal diese in den größeren deutschen Staaten auch disziplinarisch verfolgt wurden. Angesichts der scharfen (kirchen-)politischen Differenzen war das kulturell unterfütterte Interesse an der Bibel­ verbreitung als verbindende Kraft zu schwach.

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ELKE AXMACHER

Johann Arndts Himmelfahrtspredigt nach Johannes Tauler Für Hans-Henrik Krummacher in Dankbarkeit In Johann Arndts voluminöser Postilla1 (= AP) finden sich zum Fest der Him­ melfahrt Christi vier Predigten über unterschiedliche biblische Texte, die einen Bezug zu diesem Fest haben. Die vierte Predigt ist eine Auslegung des Textes „Psal.LXVIII, 19. Eph.IV, 8. Du bist auffgefahren in die Höhe / und hast das Gefängnüß gefangen geführet / und hast Gaben empfangen für die Menschen.“ Der erste Teil der zweiteiligen Predigt steht unter der Über­ schrift: „Von den vier Gefängnüssen“, der zweite wiederholt fast wörtlich den letzten Satz des Textes: „Und hat Gaben empfangen für die Menschen“ (AP 782–784). Die ausdrucksvolle metaphorische Rede von den gefangen geführten Gefängnissen bleibt im Gedächtnis. Stößt man dann in der von Arndt 1621, kurz vor seinem Tod, herausgegebenen Taulerpostille2 (= TP) auf die zweite von fünf Himmelfahrtspredigten, die dasselbe Schriftwort aus Ps 68,19 bzw. Eph 4,8 auslegt und in der Einleitung von „fünfferley Gefängnis­ sen“ spricht, die Christus „gefangen geführet“ hat, so liegt es nahe, die Bezie­ hung der beiden Texte zueinander zu prüfen. Und da erweist es sich schon auf den ersten Blick, dass die zweite Taulerpredigt „am Auffahrts=Tage“ die Vorlage für Arndts vierte Himmelfahrtspredigt gewesen ist. Dass diese Bezie­ hung bisher nicht entdeckt oder jedenfalls nicht ausgewertet worden ist, muss erstaunen.3 Dies umso mehr, als Arndts Tauler-Rezeption im Zentrum des Problems steht, das die Arndtforschung bis heute umtreibt: Arndts Verhältnis zur Mystik.4 Die Kritik an der bedeutenden Stellung, die Arndt dem Domini­ kanermönch Tauler einräumt, gipfelt in der Behauptung des entschiedenen Arndt-Gegners Lucas Osiander, Arndts Wahres Christentum sollte „billig viel­ 1 Johann Arndt: Postilla, das ist: Geistreiche Erklärung der Evangelischen Texte/ durchs gantze Jahr/ auff alle Sonn= und Hohe= und andere Fest= und Apostel=tage [. . .]. Frankfurt/Main 1693 (im Folgenden AP). 2 Des hocherleuchteten und theuren Lehrers D. Joh. Tauleri Predigten/ Auff alle Sonn= und Feyertage durchs gantze Jahr. Frankfurt/Main, Leipzig 1703 (im Folgenden TP). 3 Anetsberger [s. Anm. 6], 347, behauptet sogar, es fänden sich in den vier Himmelfahrtspredig­ ten Arndts in AP „keine Spuren, dass Arndt Tauler als Vorlage benutzt haben könnte“. 4 Kontrovers z. B. in zahlreichen Arbeiten zum Thema von Hans Schneider und Wolfgang Sommer.

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mehr Taulerthumb heißen“.5 Die Verteidiger Arndts und Verfechter seiner Rechtgläubigkeit haben dagegen stets – wie auch er selbst – betont, dass er mystische Gedanken und Schriften nur unter dem Vorbehalt und der Voraus­ setzung von Lehre und Bekenntnis des Luthertums eingeführt habe und dass er dabei mystischen Spitzenaussagen etwa von der Vergottung des Menschen in der unio cum deo die Spitze gerade abgebrochen habe. Die Frage nach Arndts Verhältnis zur Mystik wurde und wird meistens anhand seines bekanntesten Werkes, der Vier Bücher vom Wahren Christentum erörtert, in dem er reichlich Gebrauch macht von mystischen Texten, mit und auch ohne namentlichen Nachweis der Autoren. Legt man dagegen der Untersuchung den anderen, weitaus umfangreicheren Teil seines Werkes, die Predigtbände, zugrunde, so ergibt sich ein ganz anderes Bild. Wer Arndt einen Mystiker nennt, hat seine Predigten nicht gelesen – diese Erfahrung gewinnt man aus der Lektüre der Predigten. Der Zwiespalt, in dem die Arndtforschung angesichts dieser doppelten Plausibilität steckt, wird exem­ plarisch auf hohem wissenschaftlichem Niveau dokumentiert – und befestigt? – von zwei 2001 fast gleichzeitig erschienenen Dissertationen, die schon von den Titeln her ein grundverschiedenes Arndtverständnis erkennen lassen: Tröstende Lehre – Verborgene Weisheit.6 Der hier anzuzeigende Quellenfund ist ein ganz kurzer Text; er scheint in den annähernd 1.500 Seiten der Arndtschen Postilla fast unterzugehen. Von der zweiten Himmelfahrtspredigt in der TP ist gerade eben die Hälfte von Arndt in seine Predigt übernommen oder nicht einmal voll übernommen worden. Denn den zweiten Teil dieser Predigt, eine Betrachtung über das Alter, das der Mensch haben muss, um das „himmlische“ oder „göttliche“ Leben zu erreichen, ersetzt Arndt durch eine der Überschrift entsprechende Besinnung auf die „Gaben“, die Christus durch seine Himmelfahrt für die Menschen empfangen hat. Auch in dem ersten Teil über die Gefängnisse stammt nicht alles wörtlich von Tauler. Das zeigt bereits der Unterschied zwischen den vier Gefängnissen bei Arndt und den „fünfferley“ bei Tauler. Und schließlich hat Arndt auch innerhalb der einzelnen Abschnitte über die (bei ihm) vier Gefangenschaften nicht unerhebliche Änderungen vorgenom­ 5 Lucas Osiander: Theologisches Bedencken/ Vnd Christliche Treuhertzige Erinnerung/ wel­ cher Gestalt Johann Arndten genandtes Wahres Christenthumb/ nach Anleitung deß H. Worts Gottes/ vnd der reinen Evangelischen Lehr und Bekandtnüssen anzusehen vnd zu achten seye. Tübingen 1623, zit. n. Johann Amseln Steiger: Johann Arndts „Wahres Christentum“, Lucas Osian­ ders Kritik und Heinrich Varemins’ Arnolt-Apologie. In: Frömmigkeit oder Theologie. Johann Arnoldt und die „Vier Bücher vom wahren Christentum“. Hg. v. Hans Otte u. Hans Schneider. Göttingen 2007, 263–291, hier 266 f. 6 Werner Anetsberger: Tröstende Lehre. Die Theologie Johann Arndts in seinen Predigtwerken. München 2001; Hermann Geyer: Verborgene Weisheit. Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Programm einer spiritualistisch-hermetischen Theologie. Göttingen 2001. – Zum Stand der Arndt-Forschung und zu ihren vielschichtigen Aspekten vgl. das einleitende Kapitel (13–63) bei Anetsberger: „Johann Arndt in der Forschungsgeschichte“.

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men. Was bleibt da, mag man fragen, was von der Taulerpredigt als einer Quelle zu sprechen erlaubt? Viel, wie mir scheint. Wir haben es mit einem ungewöhnlichen Untersuchungsgegenstand zu tun, nämlich mit einem Mystikertext in einem Predigtwerk Arndts. Und diesen Text hat er so bear­ beitet, wie es seine Intention verlangte und wie es seiner Gewohnheit ent­ sprach. Wir können ihm gleichsam über die Schultern schauen und seinen Umgang mit den Mystikertexten studieren. Dabei geht es in diesen Ausfüh­ rungen zu den Gefängnissen, „in die Menschen [. . .] schwer verstrickt seynd und gefangen liegen / welche aber Christus der HErr allzumal hinweg führet und nimmt / wenn er in uns seine Auffahrt hält“ (TP 632), um zentrale Aussa­ gen zur christlichen Erlösungslehre, nicht etwa um marginale bildhafte Aus­ schmückungen. Arndt will also mit dem bearbeiteten Tauler-Text sein Ver­ ständnis der Himmelfahrt Christi zum Ausdruck bringen. Dasselbe gilt für Tauler, wie die eben zitierte Erklärung belegt. Seine Deutung der fünf Gefängnisse und ihrer Überwindung ist nun zunächst nach dem Text der TP darzustellen und anschließend jeweils nach der AP.7 Die Beschreibung des natürlichen menschlichen Lebens als Gefangenschaft ist eine für Taulers Anthropologie sehr nahe liegende Metapher, zumal sie mit dem korrespondierenden Bild von der Befreiung sowohl dem ausgeprägten Sündenbewusstsein als auch dem optimistischen Glauben an den Heilsweg Raum bietet.8 Die Metapher von der Gefangenschaft des Menschen benutzt Tauler zur Deutung aller Hindernisse, die der Mensch auf seinem Weg zu Gott als seinem Ursprung und damit zu sich selbst überwinden muss. Es geht also um die Himmelfahrt des Menschen oder – wie Tauler sagt – um die Auf­ fahrt Christi im Menschen. Gefangen ist der Mensch durch die Liebe, aller­ dings eine fehlgeleitete. Tauler nennt in einer keineswegs zufälligen Reihen­ folge fünf Weisen dieser Liebe, „Liebe zu den Creaturen / Liebe seiner selbst / Liebe der Vernunfft / der geistlichen Innigkeit / und des eigenen Willens“ (TP 632 f.). Es gilt eine entschiedene Abkehr zu vollziehen von den äußeren Dingen, eine Abkehr aber auch des Menschen von sich selbst und von allem in ihm, was sich und wenn es sich an Gottes Stelle setzen will, wie die Ver­ nunft, auf die sich der Mensch versteift, das Gefühl (die geistliche Innigkeit), wenn er sich daran hängt, und vor allem der eigene Wille. So wie hier aufge­ 7 Sachlich ist von der TP auszugehen, obwohl diese fünf Jahre nach AP erschienen ist. Aus­ gangspunkt der hier angestellten Untersuchung ist TP, also Tauler in Arndts Übersetzung, die so genau ist wie angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit überhaupt möglich (vgl. Arndts Vor­ rede an den christlichen Leser, )( )(3r). Grundlage seiner Übertragung ist der Basler Taulerdruck von 1521/22 (= BT). Dieser Druck wurde als Digitalisat der Staatsbibliothek München (Signatur: 2 P.lat. 1452 SB München) eingesehen, wird hier aber nur selten herangezogen. Wahrscheinlich ist in diese Übertragung schon einiges von Arndts Tauler-Verständnis eingeflossen. Umso aufschluss­ reicher sind dann aber die dennoch unverkennbaren Differenzen zwischen der Übersetzung der Predigt Taulers und ihrer Bearbeitung durch Arndt. 8 Vgl. Otto Langer: Christliche Mystik im Mittelalter. Mystik und Rationalisierung – Stationen eines Konflikts. Darmstadt 2004, 285–292.

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zählt, sind die Abhängigkeiten auf dem Weg der Reinigung (Läuterung), der via purgativa, zu besiegen und gänzlich zu beherrschen. Zum Verständnis des Bruchs mit allem, was von Gott trennt, wird das Motiv von Gefangenschaft und Befreiung ausgeführt. Das Ziel allerdings ist für Tauler die unio mystica, die völlige Rückkehr des Menschen in seinen Ursprung, Gott. Die Frage ist, wie Arndt dieses Motiv und dieses Ziel behandelt. 1. Die Liebe der Creaturen Diese Liebe richtet sich besonders auf die Menschen, die zu lieben „wegen der Gleichheit, so die Menschen mit und untereinander haben“, jedem „sehr gemäß ist“. Das Gemäße als das Natürliche ist jedoch keineswegs das Ange­ messene, wenn auch das Allgemeine. „Was aber für ein Schade dahero komme und entstehe / ist nicht wohl auszusprechen.“ Wer darunter leidet und davon im Gewissen geängstigt ist, zeigt damit, dass er nicht von Gott verlassen ist, der ihn „von allen äußerlichen Dingen ab- und zu sich ziehen will“. – Außer­ ordentlich heftig geht der Prediger mit den Menschen ins Gericht, die völlig sicher und unangefochten in ihrer Kreaturliebe leben und durch eine äußer­ lich religiöse Lebensweise andere nötigen, dass man sie „nur auff ihrer Weise lasse / beydes Gott und der Welt zugleich zu dienen und zu gefallen“. Sie hal­ ten „sich selbst für gerecht / und werden für der Welt auch also angesehen und gehalten.“ Um solche Leute steht es „gar sorglich oder gefährlich [. . .] / dieweil der böse Feind eben dadurch in ihrer Gefängniß sie begehret auffzu­ halten“ (TP 633). Der Prediger kann „einem solchen Menschen“ nur sagen, es wäre besser, „daß er so fern nicht betete / weil er wider sich selbst bittet“. Und das Fazit lautet, dass er, „wenn er in solcher Sicherheit also fortfähret / und bis ans Ende verharret / des Teuffels Gefangener immer und ewig bleiben muß“ (TP 634). Dass die Liebe der Kreaturen von der ewigen Verdammnis bedroht ist, wird verständlich, wenn man diese Liebe als das Begehren des Menschen erkennt, die Kreatur „außerhalb Gott“, in der Beschränkung auf das Natürliche zu lieben. Es ist der ‚autonome‘ Mensch, der hier skizziert wird: der Mensch, den die naturgegebene Gleichheit mit anderen Menschen zur Gleichheit von Gottes- und Weltdienst führt, der darum völlig sicher und mit sich selbst einig in der Welt lebt, keinen Zwiespalt zwischen Gott und Kreatur sieht und darum auch keine Notwendigkeit, sich von „allen äußerli­ chen Dingen ab- und zu sich“ (Gott) ziehen zu lassen; nicht der atheistische Rebell, sondern der in den allgemeinen Vollzügen „frei und sicher“ Lebende, den kein „Unwille bey sich selbst“ irritiert – eine erstaunlich modern wir­ kende Auffassung von der menschlichen Autonomie „außerhalb Gott“. Wie sieht Arndt diese Gefangenschaft des Menschen in der Kreaturliebe? Wie nimmt er auf, was Tauler ihm vorgibt? Die beiden einleitenden Sätze geben bereits einen Hinweis auf stilistische Unterschiede. 126

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TP: Es werden / ihr Geliebten / fünfferley Gefängnuß gefunden / darinn die Men­ schen allhier auff Erden und in dieser Zeit schwer verstrickt seynd und gefangen lie­ gen, welche aber Christus der Herr allzumal hinweg führet und nimmt / wenn er in uns seine Auffahrt hält. AP: Es sind viererley Gefängnuß / damit die Menschen schwerlich gefangen werden / und des Menschen Seele verhindert / mit Ihm geistlich auffzufahren.

Arndt schreibt schlichter, vermeidet Doppelausdrücke und greift dem ‚Erfolg‘ der Himmelfahrt nicht vor, sondern bleibt bei der Wirkung der Gefangenschaft stehen (TP ist hier dem mittelhochdeutschen Originaltext näher.) Vor allem aber ersetzt Arndt das Bild von der Auffahrt, die Christus ‚in uns hält‘ durch das gebräuchlichere ‚mit Ihm geistlich auffahren‘. Es wird sich zeigen, dass damit schon eine bedeutsame Weichenstellung für die Frage nach der Mystikrezeption vollzogen ist. Auch argumentativ vereinfacht Arndt die Beschreibung der Gefangenschaft in der Kreaturliebe. Tauler beschreibt ihre verschiedenen Weisen und diffe­ renziert die Menschen je nach ihrer Reaktion auf die Erkenntnis der Gefan­ genschaft. Arndt geht auf beide Aspekte nicht ein. Kreaturliebe ist unvermeid­ lich, und sie ist Sünde: Nun ist es nicht wol möglich einem Menschen, der in der Welt ist / daß er gar solte ohne Liebe deß Zeitlichen seyn. Darumb / wer ein gottfürchtiger Mensch ist / erken­ net diß wol / daß es Sünde ist / daß er die Creaturen lieb hat: Dann der Mensch sollte nichts lieb haben dann GOTT allein / von gantzem Hertzen / von gantzer Seele / und von allen Kräfften: und seinen Nechsten als sich selbst: Nun liebet der Mensch Gott nicht von gantzem Hertzen / wann er die Creatur liebet. Darum hält ihn nun die Creatur gefangen mit ihrer Liebe / als in einem Gefängnüß: Und kan also nicht mit gantzem Hertzen und Seele Christo nachfahren in den Himmel / und das erken­ net er wol daß das Sünde sey. (AP 782)

Arndt deutet die Sünde der Kreaturliebe als Verstoß gegen ein Bibelwort von höchster Autorität: gegen das Doppelgebot der Liebe. Innerhalb dieses Gedankens wird jeder Schritt klar bezeichnet: Nun – Darum – Dann (=denn) – nun – wenn – also. Das existentiell Beunruhigende der Behauptungen wird entschärft durch die vertrauten normativen Ausführungen, die das schwer Verstehbare in Vertrauen weckende rationale und emotionale Zusammen­ hänge bringen. Dasselbe Verfahren wendet Arndt gleich noch einmal an, wenn er die Weltliebe als Geldsucht konkretisiert und dafür Sprüche aus den Weisheitsbüchern des Alten Testaments zitiert: „Wer Geld lieb hat, wird Geldes nimmer satt.“ (Koh 5,9) So bekommen seine Erläuterungen zur Krea­ turliebe etwas Moralisierendes, bis sie zum Taulertext zurückkehren und wie dieser den sicheren Menschen die ewige Verdammnis in Aussicht stellen. Aber dann fügt Arndt noch ein biblisches Diktum an, das nicht fehlen darf, wenn es für Lehre und Leben um die Überwindung der Kreaturliebe geht: 1Joh 2,15– 17: „Habt nicht lieb die Welt / noch was in der Welt ist. / So jemand die Welt 127

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lieb hat / in dem ist die Liebe deß Vaters nicht. Alles was in der Welt ist / nemlich deß Fleisches Lust / und der Augen Lust / und hoffärtiges Leben / ist nicht vom Vatter / sondern von der Welt / und die Welt vergehet mit ihrer Lust.“ Was zwischen diesen beiden Bibelstellen – dem Gebot, Gott allein zu lieben und: die Welt nicht zu lieben – gesagt wird, ist schon durch die bekannte Sprache in die vertrauten Bahnen der kirchlichen Lehre eingeholt. Um deren Wiederholung zur Umsetzung ins Leben geht es Arndt, dem die­ nen die Vereinfachungen und die Anbindung an die Bibel.

2. Die Liebe zu sich selbst TP: In das Gefängnis der Selbstliebe geraten viele, wenn sie von der Liebe zu den Kreaturen frei geworden sind. Sie halten so viel von sich, „daß ein Wunder ist“. Sie suchen in allen Dingen nur ihren Nutzen; auch in dem, was „um Gottes willen geschiehet“, suchen sie allein das Ihre. TP fragt mit dem taulerschen Hauptbegriff des Grundes, was „sich denn bey solchen Leuten endlich finden“ werde, „wenn es dermaleins auff den Grund kommen und also offenbahr werden solle, daß ihre Heiligkeit [. . .] im Grunde falsch und zumal nichts gewesen sey“. Wenn die Ansprüche solcher Menschen nicht erfüllt werden, sind sie „keine Menschen mehr / sondern rasende Hunde und reißende Wölfe“ (TP 634 f.). AP: Arndt erweitert die Aufzählung der Untugenden der Selbstliebe, so dass jeder versteht, welche Verhaltensweisen dazu gehören, und er beschreibt auch – wiederum mit Hilfe eines Bibelworts – die richtige Haltung: Selbst­ verleugnung, Hassen des eigenen Lebens. Das greift er am Ende dieses Abschnitts noch einmal auf, jetzt mit der Absicht, Christus als Befreier von solcher Eigenliebe und als Exempel vor Augen zu stellen, dem der Mensch nachfolgen soll: „Lernet von mir / ich bin sanfftmüthig / von Hertzen demü­ thig“ (AP 782). Deutlich ist bei Arndts Bearbeitung des taulerschen Textes wieder seine Absicht, die Ausführungen an der bekannten Norm, der Bibel und ihrer Autorität auszurichten, und sein Bedürfnis, Christus als moralisches Vorbild in der Predigt zur Geltung zu bringen. Die ethisch akzentuierte Christologie dieses Abschnitts trägt hier in Bearbeitung und Erweiterungen besonders deutlich die Handschrift Arndts.

3. Die Liebe der Vernunft TP: Viele Menschen sind von der Vernunft gefangen, weil die Vernunft Ansehen und Ehre verspricht. Aber so missbraucht man sie. Die bloße Gelehr­ samkeit, das kluge Redenkönnen über die Schrift, ohne daraus zu leben, ist eine schwere Gefangenschaft. Zentrales Thema des Abschnitts ist der Ver­ 128

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gleich des natürlichen Lichts der Vernunft mit dem göttlichen Licht. Jenes ist gegen dieses dunkler als ein Wachslicht gegen das klare Sonnenlicht. Den Unterschied erkennt man an ihrer Wirkung: Das natürliche Licht der Ver­ nunft scheint nur nach außen und bewirkt Hoffart, Selbstgefälligkeit und Ruhmsucht, das göttliche Licht verweist den Menschen nur auf das Innerliche und bewirkt die Erkenntnis seiner eigenen Nichtigkeit; es „drücket den Men­ schen zu Grunde“ und „trachtet stets nach dem innerlichen Grunde / daraus es kommen ist /dahin es auch mit aller Krafft wieder eilet: und in Summa / wer diß Licht erlanget / dessen gantzes Leben kehret sich zu der innersten Wurtzel / daher es ist entsprungen / und bemühet sich hefftig dahin auch wie­ der zu gelangen“ (TP 636). Nach der Unterscheidung derer, die mit ihrer Vernunft die Schrift nur obenhin lesen, und derer, die ihr Leben danach aus­ richten, schließt der Abschnitt mit dem Schriftwort: „Der Buchstabe tötet / der Geist aber machet lebendig“ (TP 637). AP: Arndt hat in diesem Abschnitt mehr geändert als in den beiden ersten, obwohl (oder weil?) hier der mystische Gehalt bisher am deutlichsten zum Ausdruck kommt: Die Rede von dem göttlichen Licht, das den Menschen in den Grund, zu seinen Wurzeln führt und sein Leben mit aller Kraft dahin zurückkehren lässt, ist bei Arndt nicht am Ende hervorgehoben, sondern bei­ läufig in der Mitte platziert. Der ganze Abschnitt weist schon durch die ein­ schränkende Benennung des Gefängnisses eine engere Thematik auf: „Das dritte Gefängnüß ist des Menschen Vernunfft in Gottes Sachen.“ Mit Gottes Sachen ist hier der Umgang mit der Heiligen Schrift gemeint. Mit der (natür­ lichen) Vernunft kommt es nur zum Lesen der Schrift und zum klugen Reden von ihr, nicht zum Leben nach ihr. Das ist „ein Gefängnis des Teuffels / nach der Vernunfft leben / und nicht nach Gottes Wort und nach dem Geist Gottes leben. Solche Leute können mit Christo nicht gen Himmel fahren, sondern fahren in den Abgrund“ (AP 783). Das alles sagt Tauler auch, aber er charak­ terisiert darüber hinaus das Leben des Menschen, der sich in rechter oder fal­ scher Weise „der Vernunfft ergiebt“, Arndt benutzt Taulers Vernunftkritik, um seine Parole „Lehre oder Leben“ in Bezug auf die Heilige Schrift abzu­ wandeln in „Lesen oder Leben“. Dafür lässt er sich die mystische Mitte des Taulertextes in seiner Postilla entgehen, nutzt auch nicht die Gelegenheit, eines seiner liebsten Schriftworte (vom Buchstaben und vom Geist) einzufü­ gen. Im Übrigen verwendet er auch hier wieder den mystikfernen Ausdruck „mit Christo [. . .] gen Himmel fahren“. Es hat fast den Anschein, als meide er bewusst oder schwäche ab alles, was ihm als mystische Rede ausgelegt werden könnte. Diese Vermutung drängt sich erst recht auf, wenn Arndt den ganzen nächsten Abschnitt von der „Liebe zur geistlichen Innigkeit“ einfach über­ geht. Um welche Gefangenschaft handelt es sich dabei für Tauler?

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4. Die Liebe zur geistlichen Innigkeit (Süßigkeit) Das vierte Gefängnis, das sich nur in TP findet, war auch für Tauler bereits ein Problem für die religiöse Existenz. Nach seiner sensiblen Beschreibung tritt es auf, wenn der Mensch sich den tiefen geistlichen Erfahrungen „zuviel unordentlich ergiebet“, wenn er sich an die eigentlich ja gute Süßigkeit des Geistes ‚hängt‘ und seine „Wollust“ darin sucht. Alle Begriffe, mit denen die geistlichen Erfahrungen charakterisiert werden, sind hier negativ getönt: ‚zuviel nachhängen‘, ‚allzu hefftig und begierig nach ihr [der Süßigkeit] trach­ ten und daran hangen bleiben‘. Der Missbrauch besteht darin, dass die Wir­ kung Gottes an die Stelle Gottes rückt und statt seiner geliebt wird. Solche geistliche Genusssucht („Wollust“) bedeutet, dass der Mensch immer noch auch der Natur zugehört. Der Prägnanz und Leidenschaft der folgenden Aus­ führungen merkt man an, welche Bedeutung Tauler dieser Problematik der religiösen Existenz beimisst, wie klar er dieses Grundproblem seiner Mystik durchdacht hat: Wenn der Mensch / dem solche Süßigkeit entgangen / bey sich selbst unruhig / wüst / und ungedultig wird / also daß er GOtt so treulich und mit so freudigem Gemüth nicht dienen kan / wie zuvor / als er solches noch empfunden / so ist es gewiß / und mag daraus sicherlich geschlossen werden / daß mehr gedachte Süßigkeit nicht gut und Göttlich sey gewesen. (TP 637)

Das Verlangen nach tiefer religiöser Erfahrung wird zum Gefängnis, wenn ihre Süßigkeit zur Genusssucht wird und die Liebe zur Wollust, die sich selbst will und die aus der Natur statt aus Gott kommt. Diese klugen und von gro­ ßer Vertrautheit mit den geistlichen Gefahren zeugenden Ausführungen müs­ sen Arndt bekannt gewesen sein. Was hat ihn bewogen, diese ja auch als War­ nung vor religiöser Überspannung zu lesenden Gedanken aus der Liste der Gefängnisse zu streichen, diese Warnungen damit unberücksichtigt zu lassen? Eine Antwort soll aus dem Rückblick auf die Tendenzen der Bearbeitung der Taulerpredigt durch Arndt zum Abschluss dieser vergleichenden Studie versucht werden. 5. Die Liebe des eigenen Willens TP: Zeugten Taulers Ausführungen über den Missbrauch und die Gefahren des mystischen Erlebens von der Ambivalenz dieser religiösen Haltung, so steht hinter den Äußerungen zur Abkehr vom eigenen Willen eine uneinge­ schränkt positive, ja begeisterte und eindeutige Bejahung. Hier ist Tauler ganz bei seiner Sache: der Forderung nach der Demut, der Gelassenheit, der Selbst­ aufgabe und der Vereinigung mit Gott. Wenn Gott ihm den eigenen Willen gäbe mit dem Versprechen, dass er sich von allem Übel befreien und in allen Tugenden Vollkommenheit erlangen könnte, er würde sich bedenken und 130

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sagen: „Ach lieber Herr / ich begehre nicht / daß meine Gnade / Gabe / oder Wille einen Fortgang haben soll / sondern was und wie du wilt / also nehme ichs von dir und aus deiner Hand an. Soll es aber dein Wille nicht seyn / wohlan / so will ichs nach deinem Willen auch gern entbehren.“9 Tauler kommt in diesem Abschnitt ans Ziel seiner Predigt über die Gefangenschaften des Menschen, die Christus aufgehoben hat, indem er „in uns seine Auffahrt hält“ (TP 632). Die Gefängnisse sind leer, ihre Insassen entweder in die ewige Finsternis oder in das göttliche Licht überstellt, und jetzt kann Tauler sich einen persönlichen Ausruf, der alle getroffenen Unterscheidungen umfasst, nicht versagen: „Deswegen achte ich einen recht gelassenen und demüthigen Menschen / der so viel äußerliche gute Wercke und ansehnliche Heiligkeit an sich nicht hat oder mercken läst / viel höher und besser / als einen mit seinen Wercken und äußerlichen Sinn=­ Bildnissen hochtrabenden Menschen / der sich selbst und seinem eigenen Willen noch nicht abgesaget hat.“ (TP 638 f.)

AP: Es scheint, als hätte Arndt von diesem Abschnitt nur die einleitenden Worte gelesen: „Die vierdte [fünffte] Gefängnuß /ist der eigene Wille“, und er ergänzt sie nicht wie Tauler durch eindringliche Erläuterungen zum Übel des eigenen Willens. Seine Erweiterung der Überschrift zielt vielmehr auf den eschatologischen Ausblick, für den er diesen Abschnitt verwendet: (Der eigene Wille) „der hält uns auch gefangen / wenn Christus unser Hertz / Sinn und Gemüth nicht mit sich führt in das himmlische Wesen.“ Des Menschen Himmelfahrt geschieht, wenn er „Herz, Sinn und Gemüt“ in die Ewigkeit richtet. Von der Auffahrt Christi in uns ist auch hier nicht die Rede. Wer sei­ nen Willen aufgibt, ist den Engeln gleich, die nur den Willen Gottes erfüllen. „Rechte / wahre / geistliche Christen [. . .] seufftzen Tag und Nacht zu Gott“, dass er seinen Willen in ihnen erfüllen möge und sie selbst „Gottes Werck­ zeug seyn“ möchten. Die Erneuerung der Herzen und die Auffahrt mit Chris­ tus in die Herrlichkeit wird mit mehreren Bibelstellen bekräftigt. Mit einer Anleihe an die mystische Sprache wird die bei Arndt sonst ungebräuchliche futurische Eschatologie etwas näher an dieses Leben herangerückt: Von der himmlischen Herrlichkeit „kann der Mensch / dessen Gemüthe mit Christo im Himmel ist / auch in dieser Welt ein kleines Füncklein empfinden / und diß kleine Füncklein / wie klein es auch ist / übertrifft aller Welt Freude / und aller Creaturen Lust“ (AP 783). Das Seelenfünklein ist bei Tauler „jene 9 Das erinnert an Lessings bekannte Duplik I (1778), in der er das Geschenk des irrtumsfreien Wahrheitsbesitzes, wenn Gott es ihm anböte, ausschlägt und Gott um die Gabe der lebenslangen Wahrheitssuche mit der Möglichkeit, sich zu irren, bitten würde. „Vater, gib! Die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein.“ (Gotthold Ephraim Lessing: Duplik I. In: Ders.: Werke. Bd. 10: Theologische Streitschriften. Stuttgart 1874, 19.) Zwar liegen Welten zwischen dem Mystiker, der in Demut und Selbstverleugnung seine Vollkommenheit findet, und dem aufgeklärten Wahr­ heitssucher. Aber gemeinsam ist ihnen die Einsicht, dass menschliches Leben in der Bescheidung vor dem Absoluten in den ihm angemessenen Stand gelangt.

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Stelle im Menschen, an der dieser sich Gott zu verbinden und mit ihm eins zu werden vermag“, oder auch „jenes Etwas im Menschen, das nach Gott geartet ist und zur Einheit mit ihm befähigt“.10 Der Mensch, der den mystischen Weg (via mystica) zu Ende gegangen ist, kommt bei und in Gott an. So hat Tauler in diesem kurzen Predigtteil den ganzen dreifachen Weg vom Auf­ bruch zu Gott mit der Abkehr von den Dingen (via purgativa), der Absage an die Vernunft zur Gewinnung des göttlichen Lichts (via illuminativa) und die Preisgabe des eigenen Willens als Voraussetzung der Einigung (via unitiva, via mystica) im Negativen und im Positiven skizziert. Bei Arndt findet man diese innere Systematik nicht. Sein letztes Wort im Abschnitt über den eigenen Willen bezeichnet das Seelenfünklein in einer Tauler wenig entsprechenden Bedeutung als Vorschmack der himmlischen Herrlichkeit, ordnet den Abschnitt also ein in die traditionelle Eschatologie. Sein Weg führt in diesem ersten Predigtteil von der Buße (erste und zweite Gefangenschaft) über die Erleuchtung (dritte Gefangenschaft) zu den letzten Dingen (vierte Gefangen­ schaft). Das bedeutet die Einholung der Mystik in die kirchliche und theologi­ sche ‚Normalität‘. Noch einmal also die Frage nach den Gründen von Arndts Veränderungen an der Taulerpredigt. Warum hat Arndt das vierte Gefängnis übergangen? Hat er es nicht belegt gefunden, ist es für ihn leer? Oder hat er die Rede von einem Sich-Verlieren an die Süßigkeit der Gotteserfahrung als eine Verun­ glimpfung der Mystik empfunden? Und warum hat er Taulers emphatische Rede von der Preisgabe des eigenen Willens durch konventionelle eschatolo­ gische Redensarten ersetzt? Versuch einer Antwort Eine immanente, also die Beobachtungen aus diesem Textvergleich auswer­ tende Deutung könnte so aussehen: Dass Arndt eine Himmelfahrtspredigt des Mystikers Tauler als Vorlage für eine eigene Predigt zu diesem Fest wählt, ist nicht schwer zu erklären. Die Taulerpredigt lässt die Himmelfahrt in aus­ drucksstarker Metaphorik als existentiellen Vorgang der Errettung des Men­ schen aus der Verhaftung in Sünde und aus seinem Verlorensein verstehen. Dabei ist die Auffahrt als inneres Geschehen der Gefangenenbefreiung ebenso bildhaft überzeugend wie die Darstellung der Situation des Menschen als Gefangenschaft. Darin stimmt Arndt mit Tauler überein; das hat ihm Taulers Predigt als Vorlage empfohlen. Überblicken wir nun aber alle Abweichungen Arndts von Tauler, so ver­ mindert sich der Eindruck der Gemeinsamkeit nicht unerheblich. – Was die Himmelfahrt bedeutet, das nennt Tauler die Auffahrt Christi in uns, Arndt spricht stets von der geistlichen Himmelfahrt mit Christus bzw. von Herz und Gemüt, die bei oder mit Christus im Himmel sind. Die Chri­ 10

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Louise Gnädinger: Johannes Tauler. Lebenswelt und mystische Lehre. München 1993,157.

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stusbezeichnung ist bei Arndt nicht mystisch („in“) ausgesagt, sondern in der kirchlich gebräuchlichen geistlichen Sprache („mit“). – Das Seelenfünklein, bei Tauler der Ort des Einsseins mit Gott, erscheint bei Arndt als Vorausgabe der himmlischen Herrlichkeit, die dem Menschen schon auf Erden zuteil werden kann, wenn er im Gemüte mit Christus im Himmel ist. Arndt setzt eine eschatologische Vorstellung voraus – Den Eigenwillen aufgeben heißt bei Tauler, sich ganz und gar Gottes Wil­ len unterwerfen; mit ihm eins werden. Arndt versteht darunter den Beginn der Ewigkeit, an dem der Mensch mit Herz und Gemüt teil hat und für dessen irdischen Vollzug das Seelenfünklein die Kraft gibt. – Weltliebe, Selbstliebe, Vernunftliebe und eigener Wille halten den Men­ schen fest gefangen. Innerhalb dieses mit Tauler gemeinsamen Metaphern­ komplexes bringt Arndt gegenüber Tauler Gedanken einer ethisch bestimmten Christologie und einer futurischen Eschatologie zum Aus­ druck. Und er übergeht alle Lehren, die mit der reformatorischen Lehre unvereinbar waren wie die Rede vom Seelenfünklein als dem Vermögen im Menschen, das Gott gleich und der Erlösung fähig ist, die neben der jetzi­ gen Befreiung aus Gefängnissen eine künftige Vollendung der Himmel­ fahrt kennt. Die genannten Punkte signalisieren Distanz gegenüber den mystischen Ele­ menten in Taulers Predigt. Sie betreffen vorwiegend die Stellung zum Wort Gottes, deretwegen Arndt ja viel Kritik ertragen musste. Der Textvergleich belegt Arndts Absicht, diese Anstöße konsequent zu meiden. Nicht geklärt ist damit aber das Auslassen des Abschnitts über die Liebe zur geistlichen Süßigkeit. Widerruft Arndt damit nicht die Anknüpfung an die Mystik überhaupt? Das hieße aber, Arndt einen unsinnigen Selbstwiderspruch zuzutrauen. Er hat mystische Texte kritisch bearbeitet, aber nicht verworfen. Und seine Rezeption auch dieser mystischen Predigt zielt darauf ab, den Lesern eine intensive Gotteserfahrung zu ermöglichen. Die kann er bei den Lesern seiner Predigten nicht voraussetzen. Wo aber die Süßigkeit dieser Erfahrung nicht bekannt ist, ist die Warnung vor ihrem Missbrauch überflüs­ sig oder sogar schädlich. Die Rücksicht auf seine Leser und die Absicht, die Frömmigkeit durch Mystik zu befördern, ließen Arndt in der Predigt die Mittel verwenden, die als Abschwächung der mystischen Tendenzen der Vorlage wirken. Wir stehen damit vor dem Paradox, dass Arndt, wie hier mehrfach festzustellen war, die Mystik (als Mystik) schwächen musste, um sie (als Frömmigkeitsimpuls) zur Geltung zu bringen. Nicht erst in den Jahrzehnten nach Arndts Tod wurden seine Schriften kirchlich ‚eingemeindet‘, sondern er selbst war es, der diesen Prozess in Gang gesetzt hat.

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ULRIKE KUMMER

„Gold von Mitternacht“ – Zu Leben und Werk des Arztpietisten Johann Philipp Maul (1662–1727) Johann Philipp Maul gilt in der alchemiehistorischen Forschung als Vertre­ ter eines chymischen Christentums. Sein Hauptwerk, die Medicina theologica1 (Wesel 1709), steht in der Tradition theoalchemischer Schriften, vergleichbar dem Buch der Heiligen Dreifaltigkeit (1415–1419), dem Amphitheatrum sapientiae aeternae (Kleinfassung 1595/Vollfassung 1609) von Heinrich Khunrath und dem Opus mago-cabbalisticum (1708–1721) von Georg von Welling. Doch in maßgeblichen Lexika findet sich heute kaum eine Spur des Mediziners, und der einschlägigen Pietismusforschung scheint sein Wirken im Zusammenhang mit Ernst Christoph Hochmann von Hochenau2 (1669/70–1721) unbekannt. Mauls Schriften wurden gerade in pietistischen Kreisen geschätzt, und er wirkte nachweislich auf einen ihrer prominentesten Vertreter im 18. Jahrhun­ dert: auf Friedrich Christoph Oetinger.

1 Mauls Medicina theologica wird erwähnt in: Hermann Kopp: Die Alchemie in älterer und neue­ rer Zeit. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte. 2 Tle. ND der Ausgabe Heidelberg 1886. Hildesheim 1971, 391; Art. „Maulius, Johann Philippus“. In: John Ferguson: Bibliotheca chemica. 2 Bde. Glas­ gow 1906, Bd. 2, 83; Joachim Telle: Art. „Alchemie II“. In: TRE 2, 1978, 199–227, hier 210. Vgl. zudem: Oswald Croll: Alchemomedizinische Briefe 1585–1597. Hg. u. übers. v. Wilhelm Kühlmann u. Joachim Telle. Stuttgart 1998, 15 f.; Petra Jungmayr: Georg von Welling (1655–1727). Studien zu Leben und Werk. Stuttgart 1990, 31 f.; Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Hg. v. Wilhelm Kühlmann u. Joachim Telle. Bd. 2. Tübingen 2004, 670; Joachim Telle: Art. „Khunrath, Heinrich“. In: Dictionary of Gnosis and Western Esote­ ricism 2, 2005, 662 f., hier 662; ders.: Jakob Böhme unter deutschen Alchemikern der frühen Neu­ zeit. In: Offenbarung und Episteme. Zur europäischen Wirkung Jakob Böhmes im 17. und 18. Jahrhundert. Hg. v. Wilhelm Kühlmann u. Friedrich Vollhardt. Berlin 2012, 165–182, hier 177. 2 Vgl. Hans Schneider: Art. „Hochmann von Hochenau, Ernst Christoph“. In: TRE 15, 1986, 421–423. In der einschlägigen Studie zu Hochmann von Heinz Renkewitz konnte der Arzt, der sich an der „literarischen Fehde in Wesel 1710–1712“ beteiligte, nicht identifiziert werden; vgl. Heinz Renkewitz: Hochmann von Hochenau (1670–1721). Quellenstudien zur Geschichte des Pie­ tismus. Witten 1969, 315. Dass es sich unzweifelhaft um Johann Philipp Maul handelt, belegt Abschnitt 2.4. der vorliegenden Studie.

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1. Zur Biographie Maul wurde im Jahr 1662 im hessischen St. Goar3 als viertes von zehn Kin­ dern des Hospitalverwalters und Barbiers Hans Heinrich Maul (1629–1688) und seiner Frau Barbara Wolf (1632–1699) geboren. Von den fünf Söhnen und fünf Töchtern starben vier bereits im Säuglingsalter. Sein Vater gehörte 1685 dem Rat der Stadt St. Goar an. Die Brüder Johann Lorenz und Luther Daniel bekleideten städtische Ämter.4 In Hessen-Rheinfels regierte seit 1649 Landgraf Ernst (1623–1693),5 ein Sohn aus der zweiten Ehe des Moritz von Hessen-Kassel. Die Landeshoheit war Ernsts Halbbruder Wilhelm V. von Hessen-Kassel vorbehalten. Nachdem in St. Goar im Jahr 1527 im Zuge der Reformation der lutherische Glaube eingeführt worden war, entstand mit der Konversion Ernsts vom Calvinismus zum Katholizismus in den Jahren 1652/ 53 eine katholische Gemeinde. Maul gehörte wie seine Eltern der in den Jah­ ren 1648/49 gegründeten reformierten Gemeinde des Orts an. Maul nahm vor 1682 das Studium der Medizin in Heidelberg6 auf. Erhalten haben sich zwei unter Vorsitz von Georg Franck von Franckenau7 abgehal­ tene Übungsdissertationen8 aus den Jahren 16829 und 1683.10 Franck, der seit 1672 eine Professur an der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg bekleidete, erwarb sich „besondere Verdienste in der Anlage eines botanischen

3 Familienbuch der ev[angelisch] luth[erischen] Kirchengemeinde St. Goar 1650–1836. Bear­ beitet von Franz-Josef Karbach u. Michael Frauenberger. Plaidt 2008, 321 f. – Im vorliegenden Fami­ lienbuch wurden die reformierten Kirchenbücher von 1650 bis 1836 ausgewertet. Die Kirchenbü­ cher der lutherischen Gemeinde vor 1704 haben sich nicht erhalten. 4 Familienbuch [s. Anm. 3], 578. 5 Vgl. Gustav Könnecke: Art. „Ernst, Landgraf von Hessen-Rheinfels“. In: ADB 6, 1877, 284– 286; Hellmuth Gensicke: NDB 4, 1959, 611 f. – Ernst stand mit Philipp Jakob Spener und Gottfried Wilhelm Leibniz im Briefwechsel. 6 Die Einschreibung Mauls lässt sich nicht nachweisen, da die Matrikel der Universität Heidel­ berg aus den Jahren 1663 bis 1704 verloren sind; vgl. Manfred Komorowski: Heidelberger Inaugu­ raldissertationen und Promotionen des 17. Jahrhunderts. In: Bilder – Daten – Promotionen. Stu­ dien zum Promotionswesen an deutschen Universitäten der frühen Neuzeit. Hg. v. Rainer A. Müller. Stuttgart 2007, 319–377, hier 321. 7 Vgl. August Hirsch: Art. „Franck von Franckenau, Georg“. In: ADB 7, 1877, 219; Axel Bauer: Georg Franck von Franckenau. Repräsentant einer empirischen Heilkunde im Zeitalter des Barock. In: Semper Apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386– 1986. FS in sechs Bänden. Bd. 1. Mittelalter und Frühe Neuzeit 1386–1803. Hg. v. Wilhelm Doerr in Zusammenarbeit mit Otto Haxel [u. a.]. Berlin [u. a.] 1985, 440–462. 8 Zur Unterscheidung der Inaugural-Dissertation von der Übungsdissertation vgl. Hanspeter Marti: Dissertationen und Promotionen an frühneuzeitlichen Universitäten des deutschen Sprach­ raums. Versuch eines skizzenhaften Überblicks. In: Promotionen und Promotionswesen an deut­ schen Hochschulen der Frühmoderne. Hg. v. Rainer A. Müller. Köln 2001, 1–20, hier 4 f. 9 Johann Philipp Maul: Agonismata Physico-Medica. Heidelberg 1682 [UB Tübingen, Sign. Ka I 600–3173]. 10 Johann Philipp Maul: Agonismata Physico-Medica. Heidelberg 1683 [UB Tübingen, Sign. Ka I 600–3184].

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Gartens“.11 „In der Erklärung des Wesens der Krankheiten“ soll er „der che­ miatrischen Schule nahe [gestanden haben]“.12 Ein chemisches Laboratorium für Medizinstudenten, „so chimiam liben“,13 wurde freilich erst im Jahr 1686 eingerichtet. Im Werk Francks lässt sich beispielhaft beobachten, wie Medizi­ ner des Barock versuchten, empirisch gewonnenes Wissen in das Gebäude der traditionellen Humoralmedizin unter Beibehaltung der tradierten Termini zu integrieren.14 Maul setzte 1685 sein Medizinstudium an der Universität Leiden15 fort und promovierte 1686 bei Wolferd Senguerd (1646–1724)16 mit der Inauguraldis­ sertation De abortu17 zum Doktor der Medizin. Nach Beendigung des Studiums beabsichtigte Maul, in die Kurpfalz zurückzukehren, die er in der Medicina theologica als „gelobtes Land“18 bezeich­ net. Um als Arzt in der Pfalz praktizieren zu dürfen, soll er dem „Consilium medicum“ in Heidelberg den Traktat De dysenteria maligna19 vorgelegt haben. 11 Vgl. Eberhard Stübler: Geschichte der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg 1386–1925. Heidelberg 1926, 90. 12 Vgl. Stübler, Geschichte [s. Anm. 11], 91. 13 Vgl. Stübler, Geschichte [s. Anm. 11], 83. 14 Vgl. Bauer, Franck [s. Anm. 7], 448–459. 15 Die Immatrikulation erfolgte am 05.06.1686; vgl. Album Studiosorum Academiae Lug­ duno-Batavae MDLXXV-MDCCCLXXV. Den Haag 1875, 676. 16 Art. „Senguerd, Wolfgang“. In: GVUL 37, 1742, 58; AGL 4, 1751, 505. Kein Eintrag im Dictionary of Scientific Biography, jedoch erwähnt in: Gerhard Wiesenfeldt: Leerer Raum in Minervas Haus. Experimentelle Naturlehre an der Universität Leiden 1675–1715. Amsterdam 2002, 82–96. 17 Johann Philipp Maul: De abortu. Leiden 1686 [Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar, Sign. 35, 3:28]. 18 Johann Philipp Maul: [Zahabh mizzaphon]/ Sive/ Medicina Theologica, Chymico/ Irenica, & Christiano-Cabbalistica,/ Vorgestellt in der Ersten Continuation/ Curioser und Erbaulicher Gespräche/ Vom/ GOLD von MITTER-/ NACHT/ Oder Von der Höchsten Medicin/ Darinnen gezeiget wird/ Wie diselbe in der Heiligen Schrifft/ nach dem Grundtext/ zu finden; Und daß die Vergleichung der Geistlichen/ und Leiblichen Höchsten Medicin/ die rechte CABBALA der Alten/ oder ware CHIMIE seye; Auch daß nach diser erkanten Einhelligkeit/ die Entscheidung der Theologischen Controversien/ insonderheit die würckliche Einigkeit der beyden Evangeli­ schen Religionen/ un-/partheyisch zu ersehen sey. Wesel 1709 [Exempl. Staatsbibliothek Berlin, Sign. 8 Ebd. 132–2 B; Exempl. Stadtarchiv und wissenschaftliche Stadtbibliothek Soest, Sign. 5 J 14.7], 1099. – Das in Leder gebundene Berliner Exemplar mit Goldschnitt besitzt die Prägung „FR“. – Die Titelangabe in Volker Fritz Brüning: Bibliographie der alchemistischen Literatur. Bd. 2: Die alchemistischen Druckwerke von bis [!] 1691 bis 1783. München 2006, 133 f., Nr. 3344 enthält zahlreiche Übertragungsfehler. Er gibt zudem an, es handle sich „vermutlich“ um die erste Auflage der Medicina theologica; vgl. ebd., 134. 19 Erwähnt in: Art. „Maul, Johann Philipp“. In: Johann Dietrich von Steinen: Westphälische Geschichte. Tl. 4, Lemgo 1760, 211–213, hier 212. Der Artikel erschien im Abschnitt „Historie der Stadt und Amts Lünen“ unter „Gelehrte Leute“. Johann Dietrich von Steinen (1699–1759) (vgl. GVUL 39, 1744, 1660 f.; ADB 35, 1893, 699 f.) stammte aus der Grafschaft Mark, wirkte dort als Prediger und Erzieher und soll den Herrnhutern nahe gestanden haben, vgl. Geschichte des Pietismus. Bd. 2: Der Pietismus im 18. Jahrhundert. Hg. v. Martin Brecht. Göttingen 1995, 365). – Ein Nachweis des Traktats misslang. Die Akten des kurpfälzischen „Collegium medicum“

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„Consilia medica“ waren frühe Medizinalbehörden, die der Stadt oder dem Territorialfürsten unterstanden. In Medizinalordnungen wurden die Bestim­ mungen des „Consilium medicum“ festgelegt. Die kurpfälzischen Medizinal­ ordnungen gehen auf das Jahr 1571 zurück,20 lassen sich aber für das ausge­ hende 17. Jahrhundert aufgrund der massiven Zerstörungen im Pfälzischen Erbfolgekrieg wohl nicht mehr nachweisen.21 Der Medizinalordnung des Mannheimer „Consilium medicum“ von 1775 ist zu entnehmen, dass es „jedem Medicus [. . .] bei Strafe verboten [war] zu practicieren“, wenn er sich nicht „beim Consilium medicum angemeldet und sich dort einem Examen unterzogen hatte“.22 Im Jahr 1688 soll Maul beim „markgräflich-brandenburgischen Hofapothe­ ker“23 in der Apothekenwissenschaft ausgebildet worden sein. In Frage kommt der in Padua geborene Hieronymus de Venne,24 der bei seinem Onkel Cornelius de Venne in Regensburg die Apothekerkunst erlernt hatte. In Bay­ reuth war er von 1672 bis 1680 der Inhaber der Mohren-Apotheke, von 1680 an war er 1. Apotheker der Adler-Apotheke. Am 19. Mai 1679 wurde er von Markgraf Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth (1644–1712) zum Hofapotheker privilegiert. Der Markgraf kaufte zunächst die Apotheke de Vennes auf, um die Offizin im Schloss unterbringen zu lassen. Aufgrund feh­ lender Räumlichkeiten im Schloss gab er die Apotheke an de Venne zurück und verfügte, dass neben der Adler-Apotheke de Vennes keine zweite Apo­ theke betrieben werden durfte. De Venne wurde vom bürgerlichen Wachen und von Steuern befreit. Ferner wurde er verpflichtet, eine abgesonderte Pest­ apotheke in einem vom Bürgermeister und Rat ausgewählten Gewölbe einzu­ richten und mit einem Provisor zu versehen.25 Nach de Vennes Tod im Jahr 1688 führte seine Witwe die Apotheke weiter. Der lutherische Markgraf Christian Ernst war an Alchemie interessiert und beschäftigte in den Jahren 1677 bis 1686 den Freiherrn Christian Wilhelm Krohnemann, dessen betrü­ gerische Absichten 1686 entlarvt wurden.26 Christian Ernst nahm nach der Aufhebung des Edikts von Nantes reformierte Flüchtlinge in Erlangen, Bay­ gingen wahrscheinlich im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1693 verloren (Mitteilung von Günther Ber­ ger, Stadtarchiv Heidelberg, vom 21.02.2012). 20 Vgl. Otto Kissel: Beitrag zur Geschichte des Gesundheitswesens in der Kurpfalz im 18. und 19. Jahrhundert. Aglaterhausen 1973, 5. 21 Im Universitätsarchiv Heidelberg befinden sich keine Medizinalordnungen des ausgehenden 17. Jahrhunderts (Mitteilung von Sabrina Zinke vom 24.02.2012). Im Generallandesarchiv Karls­ ruhe lassen sich Medizinalordnungen erst ab etwa 1710 nachweisen (Mitteilung von Gabriele Wüst vom 27.02.2012). 22 Vgl. Stübler, Geschichte [s. Anm. 11], 130. 23 So von Steinen, Westphälische Geschichte [s. Anm. 19], 212. 24 Vgl. Horst Fischer: Die Apothekenanfänge in Bayreuth bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts und die Entwicklung des Apothekenrechts in der Markgrafschaft bis um 1800. In: Archiv für Geschichte von Oberfranken, 57/58, 1978, 187–271, hier 209 f. 25 Fischer, Apothekenanfänge [s. Anm. 24], 216. 26 Kopp, Alchemie [s. Anm. 1], Tl. 1, 185.

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reuth, Neustadt a. d. Aisch, Wilhelmsdorf und Ipsheim-Hoheneck auf.27 Als zweiten Hofprediger stellte er den dem spenerschen Pietismus nahe stehenden Johann Heinrich Hassel (1640–1706) an, der 1691 Bayreuth verlassen musste, weil er sich gegen die orthodoxen Kräfte am Hof nicht behaupten konnte.28 Maul könnte sich aber ebenso beim von 1670 bis 1703 tätigen Hof- und Leibapotheker in Ansbach, Johann Burkhard Vogtherr, dem ältesten Sohn des Ansbacher Bürgermeisters und Landschaftsadjunkten Burkhard Vogtherr, aufgehalten haben.29 In Brandenburg-Ansbach herrschten 1688 die Obervor­ münder des späteren Markgrafen Georg Friedrich d. J., Kurfürst Wilhelm von Brandenburg und Markgraf Friedrich Magnus von Baden-Durlach. Die Lan­ desregierung für den unmündigen Kronprinzen führte das Geheimratskolle­ gium.30 Auch in Brandenburg-Ansbach wurden reformierte Flüchtlinge aus Frankreich aufgenommen und in Schwabach und Stein angesiedelt.31 Eine reguläre Ausbildung zum Apotheker scheint Maul 1688 nicht absol­ viert zu haben, denn die Lehre dauerte im Allgemeinen vier bis sechs Jahre.32 Die Ausbildung erfolgte im 18. und frühen 19. Jahrhundert handwerklich und der angehende Apotheker hatte traditionell die Stufen Lehrling und Geselle zu durchlaufen.33 Maul könnte freilich bereits während seines Stu­ diums der Medizin Vorkenntnisse im Fach „Materia medica“34 erworben und chemische Laboratoriumskurse35 besucht haben. Mauls Vorhaben, sich in der Pfalz anzusiedeln, scheiterte an den Wirren des Pfälzischen Erbfolgekriegs. Von Steinen gibt an, Maul habe sich in Oppenheim niedergelassen. Als der Ort im Jahr 1689 völlig zerstört wurde, konnte dieser „nichts als 2 Röcke, 2 Hemder und 2 Bücher retten“.36 Im Jahr 1690 ließ sich der Mediziner „als ein frembdling“37 in Lünen38 in der Grafschaft Mark in Brandenburg-Preußen nieder und eröffnete eine Apo­ 27 Vgl. August Ebrand: Christian Ernst von Brandenburg-Baireuth. Die Aufnahme reformierter Flüchtlingsgemeinden in ein lutherisches Land 1686–1712. Gütersloh 1885, 33 f. 28 Vgl. Geschichte des Pietismus [s. Anm. 19], 299. 29 Vgl. Friedrich Vogtherr: Geschichte der Stadt Ansbach. Ansbach 1927, 3. 30 Vgl. Günther Schuhmann: Die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach. Eine Bilddokumenta­ tion zur Geschichte der Hohenzollern in Franken. Ansbach 1980, 173. 31 Ebrand, Christian Ernst [s. Anm. 27], 75 f. 32 Fischer, Apothekenanfänge [s. Anm. 24], 230. 33 Über den Apothekerberuf im 17. Jahrhundert informiert: Geschichte der Pharmazie. Hg. v. Christoph Friedrich u. Wolf-Dieter Müller-Jahncke. Bd. 2: Von der frühen Neuzeit bis zur Gegen­ wart. Eschborn 2005, 408–415, hier 409. 34 Kenntnisse in Botanik könnte Maul insbesondere bei Georg Franck von Franckenau in Hei­ delberg erworben haben; vgl. Stübler, Geschichte [s. Anm. 11], 91. 35 An der Universität Leiden war bereits am 16. 05. 1669 ein chemisches Laboratorium einge­ richtet worden; vgl. Wiesenfeldt, Leerer Raum [s. Anm. 16], 193. 36 Zit. n. Art. „Maul, Johann Philipp“ in: von Steinen, Westphälische Geschichte [s. Anm. 19], 211. Ob Maul in der Folge für kurze Zeit als Feldarzt in der Armee Kaiser Leopolds I. wirkte, wie von Steinen behauptet, ließ sich nicht nachweisen. 37 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 4, 1099. 38 Vgl. Wingolf Lehnemann u. Adolf Reiß: Kleine Geschichte der Stadt Lünen. Lünen 1992, 22.

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theke.39 Am 6. Mai 1690 heiratete er in St. Goar Maria Magdalena Rübin (Rüben), die Tochter eines „vornehmen Kauf- und Handelsmannes in Trar­ bach“.40 Maul wird im Traueintrag als „Landmedic[us] der Ritterschaft und Practicus Ordinarius der Lünen-Mark Brandenburg“ bezeichnet.41 In den reformierten Kirchenbüchern der Stadt Lünen42 lassen sich lediglich zwei Kin­ der Mauls sicher nachweisen, die beiden Töchter Johanna Constantia (getauft am 26.02.1693) und Christiana Concordia (getauft am 14.11.1695). Er spricht in der Medicina theologica von vier Söhnen und drei Töchtern43 und druckt ein Trauergedicht44 ab, das er anlässlich des Todes von Christiana Concordia am 19. Januar 1701 verfasst hatte. Überdies teilt Maul mit, dass er seine Kinder „unpartheyisch in der Einigkeit“45 erzogen habe, da seine Frau lutherisch gewesen sei, er dagegen reformiert.46 Möglicherweise ließ er einige seiner Kinder in der lutherischen Gemeinde taufen.47 Johann Philipp Mauls erste Ehefrau starb am 2. Mai 1712.48 Am 9. Oktober 1715 heiratete er in der lutherischen Gemeinde Margarethe Elisabeth von der Spyck. Aus dem Traueintrag geht hervor, dass Maul zu diesem Zeitpunkt Bürgermeister in Lünen war.49 Ein Enkel Mauls, Johannes Constantin (getauft am 13.09.1732), war als Apotheker und Diakon in Lünen tätig.50 Sein Vater war mit großer Wahr­ scheinlichkeit der Arzt Matthias Gottlob Maul,51 der im Jahr 1727 die Apo­ theke seines Vaters übernahm. Von 1755 an führte sie Johann Constantin Maul bis ins Jahr 1774 weiter.52 Im Jahr 1706 erlangte der etwa zwei Stunden von Lünen entfernt gelegene Schwelmer Sauerbrunnen,53 den zuvor nur einige wenige kannten, erstmals 39 Im Stadtarchiv Lünen befindet sich eine Festschrift zum 300-jährigen Jubiläum der AdlerApotheke Dr. H. Thiemann (1690–1990) (Mappe 204). Demnach befand sich die 1690 von Johann Philipp Maul eröffnete Apotheke – das älteste Unternehmen der Stadt – über drei Genera­ tionen bis 1774 im Besitz der Familie Maul. Die Barockeinrichtung aus dem Gründungsjahr war im Jahr 1990 noch immer erhalten. 40 Familienbuch [s. Anm. 3], 322. 41 Vgl. ebd. 42 Mitteilung von Johann Melzer, Landeskirchliches Archiv Bielefeld, vom 19.03.2012. 43 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 4, 1103. 44 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 4, 1100–1103. 45 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 4, 1103. 46 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 4, 1104. 47 Ein Nachweis ist nicht möglich, da sich die lutherischen Kirchenbücher vor 1704 nicht erhalten haben, vgl. Anm. 3. 48 Mitteilung von Johann Melzer vom 19.03.2012. 49 Mitteilung von Johann Melzer vom 7.2.2012. 50 Mitteilung von Johann Melzer vom 10.04.2012. 51 In den reformierten Kirchenbüchern von Lünen findet sich sein nicht datierter Traueintrag. Ein Taufeintrag fehlt. Freundliche Mitteilung von Eva Holtkamp vom 22.02.2012. 52 Vgl. die Festschrift der Adler-Apotheke [s. Anm. 39]. 53 Im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in Münster befindet sich im Aktenband Kleve-Märk­ ische Regierung, Landessachen Nr. 899, ein Aktenbündel über den Schwelmer Sauerbrunnen

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einige Aufmerksamkeit. Johann Philipp Maul und der Schwelmer Arzt Engel­ bert Hölterhoff traten beide 1706 mit einer Schrift über den Schwelmer Sauerbrunnen an die Öffentlichkeit. Maul verfasste als erster die Acidulae Schwelmenses54 (Dortmund und Schwelm 1706), kurz darauf erschien Hölter­ hoffs Kurzter Unterricht von dem [. . .] nahe bey der Stadt Schwelm [. . .] erfundenen Medicinal-Brunnen55 (Dortmund 1706). Bereits am 10. August 1706 hatte der Schwelmer Arzt Caspar Frowein ein Schreiben an Friedrich I. von Preußen (1657–1713)56 mit der Bitte gerichtet, einen Brunnenmeister und einen Brun­ nenarzt anzustellen.57 Der spätere Brunnendirektor Caspar Frowein wurde erster Brunnenarzt in Schwelm, seine Nachfolge trat Johann Philipp Maul an.58 Die Aufgabe des Brunnenarztes bestand darin, in den Sommermonaten59 die Brunnengäste zu beraten und Brunnenkuren durchzuführen. Mauls Stelle als Brunnenarzt wurde erst einige Jahre nach seinem Tod 1727 neu besetzt. Sein Nachfolger Johann Heinrich Schütte (1694–1774)60 trat die Stelle im Jahr 1731 an, legte sie aber später nieder, weil sie sich als zu beschwerlich erwies.61 (1706–1788), der Auskunft gibt über den Betrieb des Gesundbrunnens, über den Bau eines Brun­ nenhauses und über die Anstellung und Besoldung der Brunnenmeister und -ärzte (Mitteilung von Frau Schnorbus vom 02.07.2012). – Die Akten wurden ausgewertet in: Emil Dösseler: Die Wirtschaft der Grafschaft Mark unter Brandenburg-Preußen 1609–1806. Beiträge zur Geschichte des Medizinalwesens in der Grafschaft Mark und im märkisch-lippischen Kondominium Lipp­ stadt. Altena 1961. 54 Vgl. Johannis Philippus Maullius: Acidulae Schwelmenses/ Oder/ Beschreibung des Neuen/ Schwelmer Sau-/er-Brunnens./ Mit nützlichen Anmerckungen versehen/ und zum erstenmahl vorgestellet [. . .]. Dortmund bey der Witwen Rühls/ Schwelm bey [H]er[rn] Heinrich Caspar Kauß 1706 [Exempl. Stadtarchiv und Wissenschaftliche Stadtbibliothek Soest; Sign. 5 J 14.7 (1 an)]. 55 Die Schrift wird nicht nur in Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], 211 ff., erwähnt, son­ dern auch in: Johann Heinrich Schütte: Neue Beschreibung/ Des/ Schwelmer/ Gesund-brunnens,/ Worinnen/ Desselben eigentliche Historie, eine/ Natur-gemässe Untersuchung des/ wahren Mineralischen Gehalts, die/ Würckung mit besonderen Curen,/ nebst Anweisung zum nützlichen Ge-/brauch im Trincken und Baden, und/ Warnung für dessen schädlichen Miß-/brauch enthalten ist. Soest, Iserlohn 1733 [Exempl. UB Göttingen, Sign. 8 Bal. II, 7955], 39 f. – Die hölterhoffsche Brunnenschrift ließ sich nicht nachweisen. 56 Art. „Friedrich I. von Preußen“. In: ADB 7, 1878, 627–635. 57 Vgl. den Abdruck der „remonstration“ Froweins in den von Karl Sudhoff redigierten Histori­ sche[n] Studien und Skizzen zu Naturwissenschaft, Industrie und Medizin am Niederrhein. Düsseldorf 1898, 121*–123*. 58 Maul bezeichnet sich erstmals in der Schrift Praxis Schwelmenses Annus secundus. Berlin 1708 als „Königlich Preußischer Brunnenmedicus“. Dagegen gibt Dösseler, Wirtschaft [s. Anm. 53], 188, an, Maul habe die Stelle erst 1710 angetreten. – Brüning behauptet in der Bibliographie der alchemistischen Literatur (Bd. 2, München 2006, 134) fälschlich, Maul sei zuerst Leibarzt (!) Fried­ richs I. von Preußen gewesen und später Arzt (!) in Schwelm. 59 Schütte, Neue Beschreibung [s. Anm. 55], 47, 206, teilt mit, er habe sich 1732 von Juni bis September, später von Juli bis September in Schwelm als Brunnenarzt aufgehalten. 60 Vgl. Art. „Schütte, Johann Heinrich“. In: Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker (1884–1888, Neubearbeitung 1929–1934), im Folgenden: Biogra­ phisches Lexikon Ärzte 5, 1934, 152. – Schütte entdeckte 1741 eine Mineralquelle in Kleve. 61 Schütte, Neue Beschreibung [s. Anm. 55], 46.

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Nähere Verbindungen unterhielt Maul nachweislich zu Mitgliedern des freiherrlichen Geschlechts von der Recke, einem alten westfälischen Adelsge­ schlecht, denn er berichtet in Acidulae Schwelmenses,62 dass ihm die Freiherren Johann Recke63 (1640–1710), Freiherr zu Cleff, und Gert von der Recke,64 Herr auf Berge, Scheppen und Witten (1670–1747), Brunnenwasser zur Untersuchung überbracht hatten. In der Medicina theologica erwähnt Maul die Schriften des David Gsell (1674–1725),65 des „Prediger[s] zur Reck“ in der „Graffschaft Mark“ und „Libhaber[s] der alten Theologischen Cabbala“.66 Mauls Ausführungen verraten eine gute Kenntnis des Gsellschen Werks.67 Gsell gehörte der reformierten Kirche an68 und war 1689 von Diederich von der Recke (1655–1717), Herr zu Camen, zum Prediger berufen worden. Bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatten die Prediger zu Camen auf der Burg Reck „besondere Betstunden“ eingerichtet. Freiherr Diederich von der Reck (1612–1661) hatte 1649 eine Hauspredigerstelle für die Burg Reck gestiftet.69 Johann Philipp Maul beteiligte sich in den Jahren 1711 und 1712 an der Weseler Debatte um Ernst Christian Hochmann von Hochenau. In zwei ano­ nym veröffentlichten theologischen Traktaten bot er Angriffen der Weseler Orthodoxie die Stirn und verteidigte „Chymie“, „Pietismus“ und „Freigeiste­ rei“. Im Jahr 1723 taucht sein Name noch einmal in einem Schriftstück der Stadt Lünen auf, das er als einer von drei Ratsherren unterzeichnete.70 Maul starb im November 1727.71 2. Zum Werk 2.1. Schriften zum Schwelmer Sauerbrunnen In Acidulae Schwelmenses berichtet Johann Philipp Maul vom Bekanntwer­ den des Schwelmer Mineralbrunnens72 im Sommer 1706: 62

Maul, Acidulae Schwelmenses [s. Anm. 54], 19. Vgl. Geschichte der Herren von der Recke. Hg. v. Constantin von der Recke-Volmerstein u. Otto von der Recke. Breslau 1878, 42. 64 Recke [s. Anm. 63], 21 f. 65 Vgl. Otto Gsell: David Gsell 1674–1725. Ein St. Galler als Pfarrherr zu Reck in Westfalen zu Beginn des 18. Jahrhunderts. In: St. Galler Kultur und Geschichte 11, 1981, 347–367. 66 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 4, 1074. 67 Vgl. zu David Gsells Werk Gsell, David Gsell [s. Anm. 65], 356–362. Die Schriften Gsells befinden sich heute in der Kantonsbibliothek (Vadiana) St. Gallen. 68 Vgl. Gsell, David Gsell [s. Anm. 65], 352. 69 Vgl. Gsell, David Gsell [s. Anm. 65], 354. 70 Schriftverkehr [. . .] zur Erhebung des Wegegeldes durch die Stadt Lünen [Abschrift]. In: Stadtarchiv Lünen, Haus Schwansbell, Akte 683. 71 Vgl. das Kirchenbuch der reformierten Gemeinde in Lünen; Mitteilung von Johann Melzer vom 7.02.2012. 72 Über das Badewesen unterrichten: Gerhard Baader: Art. „Badewesen“. In: LMA 1, 1980, 1340 f.; Alfred Martin: Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Nebst einem Beitrag zur 63

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Es ist dieser Brunne vorhin nur ein fliessend Bächlein in einem sümpffigen Erdreich gewesen / und ist bekant / daß schon vor 30. Jahren einige Leute darauß haben zu trincken pflegen. Als aber diesen Sommer Anno Christi 1706. einige verständige Männer im Spatzieren gehen / etliche mahl darauß getruncken / und seinem kräffti­ gen Geschmack nachgedacht / auch nachdem ein und ander kränckliche Cachecticus darauß getruncken und Besserung befunden / ist der Zulauff unzehlicher menge Leu­ the im Julio und Augusto also groß geworden / dass zu verwundern ist. Alle Men­ schen sprachen von dem neuen Brunnen.73

Die Schrift widmete Maul dem der reformierten Kirche angehörenden Friedrich I. von Preußen,74 der nachweislich an Alchemie interessiert war.75 Maul präsentiert sich als erfahrener Chymiker, der „wol 20 Saurbrunnen / sonderlich in der Graffschafft Catzenelnbogen / probirt [habe]“.76 Das Schwelmer Sauerbrunnenwasser vergleicht er mit dem in Tönisstein, Schwal­ bach, Ems und Pyrmont.77 Seine Ausführungen verraten Kenntnis einschlägi­ ger Brunnenschriften, z. B. von Johann Daniel Horst (1616–1685)78 und Lud­ wig von Hörnick (1600–1667).79 Mauls Analyse ergibt, dass das Schwelmer Wasser „Vitriol, Eisen / Alaun / Salpeter / Saltz / Ocker / Bolum, Röthelstein

Geschichte der deutschen Wasserheilkunde mit 159 Abbildungen nach alten Holzschnitten und Kupferstichen. Jena 1906; Vladimir Křižek: Kulturgeschichte des Heilbades. Stuttgart 1990. – Mauls Brunnenschriften werden erwähnt in: Johann Matthias Groß: Bibliotheca hydrographica cum Lexico hydrologia. Nürnberg [u. a.] 1729, 19, 45; Carl August Hoffmann: Systematische Übersicht und Darstellung der Resultate von 242 chemischen Untersuchungen mineralischer Wasser von Gesundbrunnen und Bädern [. . .] Nebst Anzeige aller über diese Heilwasser erschie­ nen Schriften. Berlin 1815, 378. – Im Jahr 1882 versiegte das Wasser der Schwelmer Heilquelle. Der Badebetrieb fand bis 1886 statt, „doch musste man das Wasser per Karre vom Brunnen ins Badehaus schaffen, was sich auf die Dauer als zu beschwerlich erwies“, vgl. Sudhoff, Historische Studien [s. Anm. 57], 127*. 73 Vgl. Maul, Acidulae Schwelmenses [s. Anm. 54], 19. 74 Vgl. Maul, Acidulae Schwelmenses [s. Anm. 54], Widmung (unpag.) – Die Widmung, der ein vermutlich von Maul verfasstes Lobgedicht auf Preußen beigegeben wurde, ist datiert auf Lünen, den 15. 10. 1706. 75 Zu Friedrichs I. naturwissenschaftlichen und alchemischen Interessen vgl. die Literatur in: Gabriele Jochums: Bibliographie Friedrich III./I. Schrifttum von 1657 bis 2008. Berlin 2009, 44 f. – Johann Conrad Dippel und Graf Caetano hielten sich am Hof Friedrichs I. auf. Überdies versuchte Friedrich Johann Friedrich Böttger gewaltsam in seine Dienste zwingen; vgl. Kopp, Alchemie [s. Anm. 1], Tl. 1, 130, 135 f. 76 Vgl. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 15. 77 Vgl. Maul, Acidulae Schwelmenses [s. Anm. 54], 14 f. 78 Vgl. Maul, Acidulae Schwelmenses [s. Anm. 54], 55. – Vgl. Art. „Horst, Johann Daniel“. In: Biographisches Lexikon Ärzte 3, 1931, 304 f. Vgl. überdies: Horsts Brunnenschriften in: Groß, Bibliotheca hydrographica [s. Anm. 72], 15. Horst beschrieb die Heilquellen von Ems, Tönisstein, Schwalbach und Selters. 79 Vgl. ebd. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 132. – Vgl. Art. „Hörnigk, Ludwig von“. In: Biographisches Lexikon Ärzte 3, 1931, 251 f. Vgl. zudem: Hörnigks Schrift über den Sauerbrunnen in Langen-Schwalbach in: Groß, Bibliotheca Hydrographica [s. Anm. 72], 15.

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/ und Amiant“ enthalte, insbesondere aber „Gold- und Silber-Spiritum“.80 Das achte Kapitel handelt De Spiritu Aureo.81 Maul unterrichtet über „Nutz und Würckung des Schwelmer Brunnens“, der dazu verhelfe das Geblüt zu reinigen / die Däuung des Magens zu befordern / den Schleim zuver­ theilen / allerley Verstopffungen der Glieder / Nerven und Geäder zueröffnen / scor­ butische / zähe / saltzige / auch Galliche verdorbene Feuchtigkeiten zuverbessern / schwartz und schwer melancholisch Geblüht zu verdünnern und zu reinigen / auch das allzuflüssige scharffe und wallende Geblüht zu milderen / innerliche Glieder / als Magen / Miltz / Nieren / Lung und Leber / zu reinigen und zu stärcken / wie auch das Gehirn / Mutter und Lebens-Geister von Unreinigkeit / Schärffe und Flüssen zu reinigen und zu besänfftigen.82

Es folgen Ratschläge zum „rechten Gebrauch“83 des Wassers verbunden mit der Empfehlung, bestimmte Pillen,84 Pulver und „Träncklein“85 einzu­ nehmen und Warnungen vor „Mißbrauch“.86 Im letzten Kapitel gibt Maul Hinweise zum „Baden“.87 Ein Aenigma Mineralogicum88 und zwei Brunnenlie­ der89 beschließen die Schrift. Im Jahr 1707 erschienen zwei weitere Maulsche Brunnenschriften, der

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Vgl. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 30. Vgl. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 31–39. – Maul beruft sich auf den Spruch vom „Gold von Mitternacht“ (Hi 37,22), auf ein Diktum aus der Tabula smaragdina des Hermes Trismegistos und auf die paracelsische Tria prima Mercurius, Sulphur und Sal, vgl. Groß, Biblio­ theca Hydrographica [s. Anm. 72], 36 f. 82 Vgl. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 39–68. 83 Vgl. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 68–80. 84 Vgl. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 70. Empfohlen werden „laxirende MagenPillen“ und „Purgir-Pillen“. In manchen Fällen empfiehlt Maul den Aderlass (77 f.). 85 Vgl. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 69, 77. 86 Vgl. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 87–121. – Maul verbindet seine Warnun­ gen mit einem historischen Exkurs, in dem er die „weltberühmten Chymicis“ Albertus Magnus, Roger Bacon, (Ps.-)Thomas von Aquin, Arnaldus de Villanova und Raymundus Lullus lobt, deren Stammväter Hermes Trismegistos und Abraham gewesen seien. Gepriesen werden überdies die Erfindung des Schießpulvers, des Buchdrucks und die Erkenntnisse des Paracelsus, „der die Chy­ mie etwas offenbahrlicher auß den Winckeln in die Welt kommen machte“ (98 f.). Ein fingirtes Lehrgespräch zwischen Hippokrates und Reuchlin (107–114) verweist auf den Zusammenhang von Chymie und Theologie. 87 Vgl. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 121–146. 88 Vgl. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 147–153. – Das Aenigma Mineralogicum,/ Oder/ Poetisch-Chymische Zeit-Be-/schreibung wann dieser Neue Brun-/nen auffgekommen angemerckt durch/ jetzige vornehmste Welt-Geschichten stammt offenbar von Maul, der das Lehrgedicht mit 26 Anmerkungen versehen hat. In Anmerkung d (151) begegnet erneut ein Rekurs auf Hi 37,22, ein Spruch, „der sonst in sich pur Chymisch ist“. In Anmerkung t (152) kündigt Maul eine Schrift an, in der er Begriffe aus Gen 2,10–14 in „Gründlicher Vergleichung Theologischer Streit-Fragen auß der Natur der Chymie“ erklären wolle. 89 Vgl. Maul, Aciduale Schwelmenses [s. Anm. 54], 153–156, 156–159. 81

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Kurtze Unterricht von denen Mineralien des Schwelmer Saur-Brunnens90 und die Praxis Schwelmensis.91 In der Praxis werden 31 Fälle beschrieben, bei denen die Patienten durch Trink- oder Bäderkuren Besserung erfuhren. Behandelt wur­ den eingeschränkte Beweglichkeit,92 „schwacher Magen“,93 Hautkrankhei­ ten,94 „Symbtomatibus Hypochondriacis“95 und andere Leiden. Die 1708 erschienene Praxis Schwelmensis Annus Secundus96 berichtet von weiteren 24 Fällen, in denen das Brunnenwasser Patienten geholfen haben soll. Mauls Brunnenschrift Acidulae Schwelmenses blieb nicht unumstritten. Engelbert Hölterhoff soll bemängelt haben, dass Maul „unsern Brunnen beynahe pro Panacaea ausg[ebe].“97 Mauls Nachfolger Johann Heinrich Schütte stellte die Analyse des Brunnenwassers im Jahr 1733 in seiner Neue[n] Beschreibung des Schwelmer Sauerbrunnens infrage. Rückblickend schildert Schütte, dass bereits im Jahr 1706 ein Streit um die Inhaltsstoffe des Brunnens entbrannt sei. Es liessen sich verschiedene auswärtige und benachbarte Medici das Wasser bringen, distillirten und raucheten es ab, praecipiirten es, und fanden nur ein Vitriolum martis in einer Eisen-Erde, mit einem bitterlichen Saltze, nicht aber die geringste Spuhr von Alaun, Salpeter, Saltze, Amiant, Gold- und Silber-Spiritu.98

Die Auseinandersetzungen hätten dazu geführt, dass manche Ärzte vom Gebrauch des Brunnenwassers gänzlich abrieten und nach 1715 der Brunnen kaum noch besucht worden sei. 90 Johannis Philippus Maulius: Kurtzer Unterricht/ Von denen Mineralien des/ Schwelmer/ Saur-Brunnens/ Und wie solcher rechtmässig und/ fruchtbarlich zu gebrau-/chen? Im Jahr 1707. Gedruckt zu Dortmund bey der Witwe Rühls [Exempl. Stadtarchiv und wissenschaftliche Stadt­ bibliothek Soest, Sign. 2 an: 5 J 14.7]. 91 Johannis Philippus Maulius: Praxis Schwelmensis/ Oder/ Erzehlung etlicher vor-/ nehmer Casuum und Kranck-/heiten/ Welche zu Anfang als der/ Schwelmer/ Saur-Brunne [!] in Kund­ schafft gekommen/ Anno 1706. und 1707./ Durch Gebrauch selbigen Was-/sers vermittelst Gött­ liches Se-/gens genesen seynd. Dortmund bey der Witwe Rühls [1707]. [Exempl. Stadtarchiv und wissenschaftliche Stadtbibliothek Soest, Sign. 5 an: 5 C 8.21]. – Die Bibliographie der alche­ mistischen Literatur von Brüning gibt fälschlich an, es gebe eine zweite Ausgabe, die 1708 in Berlin erschienen sei (Bd. 2, 2006, 134). Brüning verwechselt schlicht die Praxis Schwelmensis mit Mauls Praxis Schwelmensis Annus Secundus [s. Anm. 96], zwei inhaltlich völlig unterschiedliche Schriften. Überdies ist in der Praxis Schwelmensis an keiner Stelle von „Wunderheilung“ die Rede (Brüning, ebd.). 92 Vgl. Maul, Praxis Schwelmensis [s. Anm. 91], z. B. Nr. IV, Nr. XIII, Nr. XV, Nr. XVIII. 93 Vgl. Maul, Praxis Schwelmensis [s. Anm. 91], Nr. XVI, Nr. XVII. 94 Vgl. Maul, Praxis Schwelmensis [s. Anm. 91], Nr. XXVIII. 95 Vgl. Maul, Praxis Schwelmensis [s. Anm. 91], Nr. VI, Nr. VIII. 96 Johannis Philippus Maulius: Praxis Schwelmensis/ Annus Secundus,/ Oder/ Zweitenmalige Erzehlung etli-/cher vornehmer Casuum und/ Kranckheiten/ welche beym Gebrauch/ Des/ Schwelmer/ Saur-Brunnens/ Anno 1708./ Vermittelst Göttliches Segens curi-/ret sind. Berlin in der Dorotheen Stadt. Gedruckt bey Johann Wessel [1708] [Exempl. Stadtarchiv und wissenschaft­ liche Stadtbibliothek Soest, Sign. 3 an: 5 J 14.7]. 97 Vgl. Schütte, Neue Beschreibung [s. Anm. 55], 41. 98 Vgl. Schütte, Neue Beschreibung [s. Anm. 55], 42.

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Schüttes nach Profilierung strebende Darstellung muss vor dem Hinter­ grund bewertet werden, dass eine befriedigende qualitative und quantitative chemische Analyse von Mineralwässern erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhun­ derts möglich wurde.99 Verdienst Mauls bleibt es, dass er als Verfasser der ers­ ten Schwelmer Brunnenschriften maßgeblich zum Bekanntwerden des Sauer­ brunnens beitrug. In seinem Hauptwerk, der Medicina theologica, wies er die Einwände Hölterhoffs entschieden zurück.100 2.2. Medicina theologica In der Praxis Schwelmensis wurde ein Werk angekündigt, das nicht nur „medice“, sondern „theologice & chymice“101 vom Schwelmer Sauerbrunnen handeln werde. Maul verwirklichte das Vorhaben mit der Drucklegung der Medicina theologica.102 Die Friedrich I. von Preußen gewidmete, 1709 in Wesel erschienene Schrift umfasst vier Teile auf mehr als 1.000 Seiten.103 Die Vorrede handelt zunächst allgemein von den Ursachen der Krankhei­ ten. Es gelte, die nach dem Sündenfall entstandene „Verderbnuß“104 „geistlich und leiblich“105 zu verbessern. Unter einer „höchsten Medizin“ versteht Maul den von den ‚Alten‘ als „Chymische Cabbala“ bezeichneten Zusammenhang von „Schrifft“ und „Natur“ oder „der gesunden Vernunfft“ und der „Offen­ barung der Gnaden“.106 Maul unterscheidet eine die geistliche Natur heilende 99

Vgl. Křižek, Kulturgeschichte [s. Anm. 72], 118–124, hier 120. Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 2, 213 ff. 101 Vgl. Maul, Praxis Schwelmensis [s. Anm. 91], Vorrede (unpag.). 102 Vgl. Maul, Medicina Theologica [s. Anm. 18]. 103 Die Ausgabe von 1713 unterscheidet sich von der Ausgabe 1709 inhaltlich allein dadurch, dass die Vorrede weggelassen wurde. Der Text wurde nicht neu gesetzt (Blattgröße: 10,5 × 17 cm). Bei der Ausgabe von 1714 handelt es sich um eine Titelausgabe der Ausgabe 1709 (identische Blattgröße: 9,2 × 15 cm). Das zweiseitige Titelblatt der Ausgabe 1714 wurde neu entworfen. Zudem gab Maul der Ausgabe 1714 ein Kupferblatt mit einer „Erklärung“ bei, das der Ausgabe 1709 fehlt. Der Ausgabe 1714 wurde das Titelblatt von 1709 als letztes Blatt beigebunden, es ist beidseitig bedruckt. Der Satzspiegel aller drei Ausgaben ist identisch (8 × 12,5 cm). Brüning erkennt in der Bibliographie der alchemistischen Literatur (Bd. 2, 133 f., Nr. 3344, 158 f., Nr. 3483, 166, Nr. 3523) nicht, dass es sich bezüglich des Textbestandes um identische Ausgaben und bei der Ausgabe Gotha 1714 um eine Titelausgabe der Ausgabe 1709 handelt. Das dieser Ausgabe beige­ gebene Kupferblatt, Aufbauteil eines Bild-Gedichts (vgl. die Edition im Anhang der vorliegenden Studie) bezeichnet er fälschlich als „Frontispiz“ (!). Der Gothaer Buchhändler Jacob Mevius fir­ miert als „Jacob Mevio“ (!); vgl. ebd., 166. Überdies behauptet er: „Im Appendix (!) [der Ausgabe 1713] [. . .] befindet sich Wesels (!) ‚Prodromus Jobi chymici‘“; vgl. ebd., 159. Die Titelangaben der Ausgaben 1713 und 1714 bei Brüning enthalten zahlreiche Übertragungsfehler. Die Angabe, das Titelblatt der Ausgabe 1709 sei der Ausgabe 1713 „angehängt worden“, ist falsch, vgl. ebd., 134. Zu Jacob Mevius und seinen Erben, vgl. Drucke Gothaer Verleger 1750–1850. Bestandsver­ zeichnis. Bearb. v. Otto Küttler u. Irmgard Preuß. Landesbibliothek Gotha 1965, 9. 104 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Vorrede (unpag.). 105 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], ebd. 106 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], ebd. – Verwandtes Gedankengut von der 100

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„höchste Medicin der Selen“ von einer den Leib kurierenden „höchsten Medi­ cin der Chymie“.107 Maul gesteht zu, dass die chymische Deutung der Bibel, „so einem / der dessen ungewonet ist / frembd / oder gar etwa als ein Mißbrauch vorkommen möchte“, ja dass das, „was wir allhir von dem Chymischen Typo der Schrifft sagen / vielleicht am ersten und meisten einigen frembd möchte vorkom­ men.“108 Theoalchemisches Gedankengut finde sich indes in den Commentarii in Jobum et Salomonis proverbia (Amsterdam 1651) von Johann Mercerus und bei Sebastianus Schmidius,109 der Hiob für einen „Besitzer des geheimen Eli­ xirs“110 gehalten habe. Die „Quint Essentz [. . .] der Theologiae Chymicae“ sei die „innerliche und warhafftige Gleichheit des so genannten Religions-Wesens“.111 Streitigkeiten in der Theologie führt Maul auf die „Theologiae Systematice Polemicae“ zurück, in der „der ware Safft / oder Chymus des Christenthumbs nicht so sehr [. . .] intendiret und gesucht werde“.112 In diesem Zusammenhang kommt Maul auf Jacob Böhme, den „wundersame[n] Author unserer Zeiten“ zu spre­ chen, der „ohne Erkantnuß der Chymie“ nicht verstanden werden könne und gelehrt habe, dass „die Chymie [von] Religions-Streit [befreye]“.113 Maul unterscheidet die „gemeine Chymie“, die sich mit der Zubereitung von Arzneien befasse von der „höchsten Medicin“ der „erleuchteten Adepti.“ Zu Vertretern der ersteren114 zählt er Friedrich Hoffmann (1660–1742),115 Michael Ettmüller (1644–1683),116 Daniel Kerckring (1640–1693),117 Johann Schröder (1600–1664),118 Daniel Ludovici (1625–1680)119 und Johann Zwel(f)Religion der zwei Lichter, dem „Licht der Natur“ und dem „Licht der Gnade“ findet sich in der Basilica Chymica (1609) von Oswald Croll, vgl. Carlos Gilly: „Theophrastia Sancta“. Der Paracelsis­ mus als Religion im Streit mit den offiziellen Kirchen. In: Analecta Paracelsica. Studien zum Nachleben Theophrast von Hohenheims im deutschen Kulturgebiet der frühen Neuzeit. Hg. v. Joachim Telle. Stuttgart 1994, 425–488, hier 449 f. 107 Vgl. Gilly, Theophrastia [s. Anm. 106]. 108 Vgl. Gilly, Theophrastia [s. Anm. 106]. 109 Schmidius wird zitiert nach: Johann Ludwig Hannemann: Ovum hermetico-paracelsico-tris­ megistum. Frankfurt 1694. Vgl. Art. „Hannemann, Johann Ludwig“. In: Biographisches Lexikon Ärzte 3, 1931, 52 f. 110 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Vorrede (unpag.). 111 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], ebd. 112 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], ebd. 113 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], ebd. 114 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], ebd. 115 Vgl. Art. „Hoffmann, Friedrich“. In: Biographisches Lexikon Ärzte 3, 1931, 256–259. 116 Vgl. Art. „Ettmüller, Michael“. In: Biographisches Lexikon Ärzte 2, 1930, 443 f. 117 Maul verweist auf Theodor [!] Kerckrings Anmerckungen über Basilii Valentini TriumphWagen des Antimonii. Nürnberg 1724; vgl. Joachim Telle: Art. „Basilius Valentinus“. In: Killy-Lite­ raturlexikon 1, 2008, 348–350. Vgl. überdies: Art. „Kerckring, Theodorus“. In: Biographisches Lexikon Ärzte 3, 1931, 505 f. 118 Vgl. Art. „Schröder, Johann“. In: Biographisches Lexikon Ärzte 5, 1934, 140. 119 Vgl. Art. „Ludwig (Ludovicus), Daniel“. In: Biographisches Lexikon Ärzte 3, 1931, 859.

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fer (1618–1668).120 Der Vitulus aureus (Amsterdam 1667) von Johann Fried­ rich Helvetius,121 ein Werk, das Auszüge aus den Schriften von Johann Baptist van Helmont, Paracelsus, Michael Sendivogius und Heinrich Khunrath ent­ hält, und die Schriften Georg Wolfgang Wedels122 dagegen unterrichteten über eine „höchste Medizin“, die „mit den Regeln der gantzen Medicin / mit der gesunden Vernunfft / und mit der H[eiligen] Schrifft [überein­ komme]“.123 Den Hauptteil der Medicina theologica fasst Maul in die Form eines erbauli­ chen Gesprächs am Schwelmer Sauerbrunnen zwischen einem Theologen, einem Philosophen, einem Chemiker und einem Mediziner. Die Beteiligten zeigen sich überzeugt, dass eine „Verknüpfung und Zusammenhang aller Wissenschaften“ bestehe,124 zu dem gerade die „Chymia cabbalistica“125 Zu­ gang verschaffe. Die Chymie diene als „Schlüssel“, „die Verborgenheiten der Natur / mit der Schrifft übereinkommender Weise auf einen Schöpffer und Erlöser zielend / zu eröffnen.“126 Da Geistliches und Leibliches in einer von Gott geschaffenen „genaue[n] Verwandschafft, analogie und Gleichheit“ stünden, gebe „eines dem andern grosses Licht“.127 Dem hebräischen Bibeltext kommt dabei einige Bedeutung zu,128 denn gerade das Hebräische sei in „[sei­ ner] Natur ganz chymisch und Theologisch zugleich“.129 Die Redner, die zuweilen von Fragen oder Einwürfen Umstehender unter­ brochen werden, berufen sich vornehmlich auf die Bibel,130 auf alchemische 120

Vgl. Art. „Zwelfer, Johann“. In: Biographisches Lexikon Ärzte 5, 1934, 1055 f. Vgl. Art. „Helvetius, Johann Friedrich“. In: AGL 2, 1750, 1477; Art. „Helvetius, Johann Friedrich“. In: Biographisches Lexikon Ärzte 1, 1929, 154; Martha Baldwin: Art. „Helvetius, Johann Friedrich“. In: Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft. Hg. v. Claus Priesner u. Karin Figala. München 1998, 171 f. 122 Wedel (1645–1721) verfasste eine Introductio in Alchimiam (Jena 1706). Vgl. Art. „Wedel, Georg Wolfgang“. In: Dictionary of Scientific Biography 14, 1976, 212 f.; W. Pagel: Art. „Wedel, Georg Wolfgang“. In: Biographisches Lexikon Ärzte 5, 1934, 875; Art. „Wedel, Georg Wolf­ gang“. In: Herbert Jaumann: Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Bio-bibliogra­ phisches Repertorium. Berlin 2004, 698. 123 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Vorrede (unpag). 124 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 1, 15. 125 Zur „bloß ornamentale[n] Einsetzung des Namens der Kabbala“ in Texten mit primär alchemischem Inhalt bei Khunrath, Welling und in Mauls Medicina theologica, vgl. Andreas Kilcher: Cabbala chymica. Knorrs spekulative Verbindung von Kabbala und Alchemie. In: MorgenGlantz. Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft 13, 2003, 97–119, hier 116 f. 126 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 2, 317. 127 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 1, 37. 128 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 2, 328. 129 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 1, 56. – Maul gibt in der Vorrede der Medicina theologica [s. Anm. 18] an, er habe „vor etlichen Jaren/ auß Libe zur Heiligen Sprache“ den Versuch unternommen, „das Hebräische gleichsam von selbst zu lernen“. 130 Gott wird als der „erste Chymicus in Erschaffung der Welt“ betrachtet (Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 1, 95), Mose und Hiob gelten als „große Chymici“, Lucas als einer der „Medici“, Salomon, David und Johannes als „hohe Cabbalisten“ und Ezechiel, Johannes und Daniel als „Hieroglyphici-Historici-Chymici“ (Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 3, 121

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Autoritäten von der Antike bis ins 18. Jahrhundert131 und auf Theologen wie z. B. Martin Luther, Johannes Reuchlin, Johannes Tauler, Johannes Coccejus, Gottfried Arnold und August Hermann Francke. Johann Arndt wird aus­ drücklich als „Theologus und Chymicus“132 bezeichnet. Zitiert werden zudem das im 17. Jahrhundert gebräuchliche, von Lazarus Zetzner herausge­ gebene alchemische Kompendium Theatrum chemicum (EA Strassburg 1602) und das Sammelwerk Ars aurifera (Basel 1572).133 Die Werke Symbola aureae mensae duodecim nationum (Frankfurt 1617) und Arcana arcanissima hoc est hiero­ glyphica aegytiorum-graeca (O. O., O J. [London 1614]) des „vortrefflichen Adeptus“134 Michael Maier135 genießen besondere Wertschätzung. Die an den Universitäten gelehrten „Menschlichen Heydnisch-Philosophi­ sche[n] Schul-Terminis“ erfahren als „erdichtete Philosophie“, die nichts „Wesentliches oder reales“136 enthalte, Missbilligung. Gelehrtheit, die nicht „durch den Chymischen-Himmlischen Safft des Geistes grün gehalten wird“,137 steht unter Berufung auf „Luther und andere, sonderlich die Chy­ mici und die Rosen-Creutzerische Welt-Correcteurs“138 infrage. Es fällt auf, dass Descartes als ein Philosoph gepriesen wird, der „die Wahr­ heit Gottes auß der Natur gegen alle Atheisten unumbstößlich bewiesen [habe]“.139 Johannes von Leunenschloß140 habe von Descartes berichtet, dass 395). Das „Gold von Mitternacht“ (Hi 37,22) steht für die „höchste Medizin“ (Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 3, 535). Der „Stein [. . .] Christum“ wird dem „unbehauenen Stein der Chymie“ analogisiert (Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 3, 803). Eine ganze Reihe von Bibelstellen aus dem Alten und NeuenTestament erfahren eine chymische Deutung, z. B. Gen 3,24, Hi 42,14, Jer 15,12, Ps 11,6, 1Kor 3,13, Mk 9,50, Lk 21,33 etc. 131 Eine gewisse Rolle spielt eine aus den Texten Homers, Ovids und Vergils abgeleitete Mythoalchemie (Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 3, 622 f. u. ö.). Kabbalistische Texte, wie z. B. das Buch Sohar oder das Buch Pardes werden chymisch gedeutet (Maul, Medicina theolo­ gica [s. Anm. 18], Tl. 2, 250, 877, 907). Das zitierte „Büchlein“ des Paracelsus, das darüber Aus­ kunft gebe, wie man „Teuffel durch Metalla bannen solle“, gehört zu den ps.-paracelsischen, magischen Schriften (Maul, Medicina theologica [Anm. 18], Tl. 3, S. 843), vgl. Karl Sudhoff: Ver­ such einer Kritik der Echtheit der Paracelsischen Schriften. Tl. 2 (Handschriften). Berlin 1899, 675–682. Ebenfalls ps.-paracelsisch ist das in Maul, Medicina theologica [Anm. 18], Tl. 3, 843 genannte Werk De spiritibus planetarum (Basel 1571), vgl. Karl Sudhoff: Bibliographia Paracelsica. Berlin 1894, 224–226, Nr. 134*. 132 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 2, 229. 133 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 2, 252. 134 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 3, 700, 822. 135 Vgl. Joachim Telle: Art. „Maier, Michael“. In: Killy-Literaturlexikon7, 2010, 620–623. 136 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 3, 534. 137 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 3, 562. 138 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 3, 563. – Die Rosenkreutzer werden in der Medicina theologica an anderer Stelle als „Collegium Chymicorum“ bezeichnet (Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 2, 354 f.). 139 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 1, 50. 140 Johannes Leunenschloß (1620–1690) war Professor der Medizin und der Philosophie in Heidelberg; vgl. Universitätsgeschichte Heidelberg. In: Friedrich Überweg: Grundriß der Geschichte der Philosophie. Völlig neu bearb. u. hg. v. Helmut Holzhey u. Wilhelm Schmidt-Bigge­

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er „keinen vertrauten Laboranten“ finden konnte, „der ihm die Chymische[n] Principia recht demonstrier[e]“.141 Descartes Naturlehre wäre ungleich voll­ kommener gewesen, hätte er die Unterstützung eines Chymicus gehabt.142 Die Cartesianer gingen daher mit ihrer Kritik an den „Chymicos“ entschieden zu weit.143

2.3. Prodromus Jobi chymici Der Prodromus Jobi chymici144 erschien erstmals 1709 zusammen mit der Medicina theologica. In der Vorrede spricht Maul von einem „Summarischen Entwurff“ des 28. Kapitels des Hiobbuches, das „schon von Mehren Chy­ misch zu seyn erkant worden“ sei. Gleichzeitig kündigt er an, dass ein umfas­ senderes Werk zum „Chymischen Hiob“ folgen werde. Maul stützt sich im Hauptteil des Prodromus vornehmlich auf den Text der Vulgata und die Lutherbibel. Zur Interpretation einzelner Begriffe zieht er den hebräischen145 und griechischen Text heran. Maul legt einzelne Verse des 28. Kapitels des Hiobbuches aus.146 Der Prodromus enthält zahlreiche Querver­ weise auf andere Bibelstellen und auf alchemische Werke, z. B. auf den in der Cabbala denudata des Christian Knorr von Rosenroth abgedruckten Traktat Aesh mezzareph147 und auf die Turba philosophorum.148 Als Autoritäten werden mann unter Mitarb. v. Vilem Mudroch. Basel 2001, 407, 409. Kein Artikel in einschlägigen Nach­ schlagewerken. 141 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 2, 324. 142 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 1, 43, 50. 143 Vgl. Maul, Medicina theologica [s. Anm. 18], Tl. 2, 325. Es war keineswegs ungewöhnlich, dass sich Hermetiker auf Descartes beriefen, vgl. Stephan Meier-Oeser: Hermetisch-platonische Naturphilosophie (Einleitung). In: Überweg, Grundriß [s. Anm. 140], 7–18, hier 12. 144 Vgl. Johannis Philippus Maullius: Prodromus Jobi chymici. (O. O. 1708 [!]). Das Werk erschien erstmals im Jahr 1709 mit der Medicina theologica (1155–1264), enthalten ist der Prodromus zudem in der Ausgabe der Medicina theologica von 1713 und in der Titelausgabe von 1714. – In der Vorrede formuliert Maul die Forderung, „so wol vor uns selbst/ als vor die Rempublicam Litera­ riam, daß dergleichen etwas gründliches von gnug Erfarnen an Tag käme“ (1157). 145 Maul benutzt zur Auslegung des hebräischen Textes den Thesaurus grammaticus linguae sanc­ tae Hebraeae (Basel 1651) von Johannes Buxtorf und das Lexicon et commentarius sermonis hebraici et chaldaici veteris testamenti (Amstelodami 1669) von Johannes Coccejus. 146 So lautet die Erklärung zu Hi 28,1: „Erstlich sagt er daß dem Chymischen Silber ein Auß­ gang sey / nemlich (wir müssen bey Chymischen Sachen Chymisch reden / der Verfolg wirds einem jeden / der attent ist / mehr erklären /) wie der schönen Rebecca / da sie vom Camel / und wie der Achsa / da sie vom Esel fil; darnach auch ein Ort dem (Chymischen) Golde. Dann die Cabbala lehret ins gemein / wie in dem Buch Tikkunim stehet / daß die Tephereth der Ort seye; Und Rabbi Mose sagt / daß die Crone der Ort der gantzen Welt seye; welches gar eine hohe Rede ist! Dise / sagt Hiob / nemlich gold und Silber / werden sie schmeltzen / quod fit per Divisionem; und werden sie zusammen schmeltzen quod fit per Conjunctionem“ (Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1160 f.). 147 Vgl. Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1162. 148 Vgl. Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1216.

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Autoren wie Hermes Trismegistos, Michael Maier149 und Olaus Borch150 angeführt. Der Bibelinterpretation dienen auch mythoalchemisch gedeutete Texte von Homer, Vergil und Ovid.151 Kabbalistische Texte, wie z. B. der Sohar oder das Buch Tikkunim152 werden chemisch gedeutet. Maul zitiert aus dem Lexicon medicum graeco-latinum von Jacob Pankratius Bruno.153 Mehrfach kommt er wie in seinen übrigen Schriften auf „unser Gold von Mitternacht“ (Hi 37,22) zu sprechen.154 Das Werk schließt mit allgemeinen Bemerkungen zur „Chymie [. . .], son­ derlich wie sie mit den Lehren des Worts Gottes [übereinkomme]“.155 Maul bedauert, dass diese an den Universitäten kaum gelehrt werde, da „sich die meisten [. . .] mit vorbeygehung der gesunden Philosophie / so gleich auffs Predigtamt / Rechtsgelehrtheit / oder Arzneykunst legen“.156 Gleichzeitig gibt er der Hoffnung Ausdruck, dass „zur Erweiterung des Reichs Christi auff Erden“ dem chymischen Christentum „der Weg gebanet“ und es „weiter in Flor und in Auffnam [. . .] gebracht“ werde.157 2.4. Theologische Schriften Mauls theologische Schriften stehen in engem Zusammenhang mit dem seit dem 17. Jahrhundert beobachtbaren wachsenden Einfluss des Pietismus auf die reformierte Kirche am Niederrhein.158 Einige Bedeutung kommt dabei dem von Maul mehrfach zitierten reformierten Theologen Johannes Coccejus zu, dem „niederländischen Spener“.159 Im Zentrum des coccejanischen Werks steht die Bibelauslegung,160 die von Maul freilich ins Chymische gewendet wird.

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Vgl. Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1204; vgl. Telle, Maier [s. Anm. 135]. Vgl. P. M. Rattansi: Art. „Borrichius, Olaus“. In: Dictionary of Scientific Biography 2, 1970, 317 f. Maul verweist auf De ortu et progressu chemiae dissertatio (Kopenhagen 1668) und auf Hermetis, Aegyptiorum et chemicorum sapientia ab Hermanni Conringii animadversionibus vindicata (Kopenhagen 1674), vgl. Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1201. 151 Vgl. Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1202 f. 152 Vgl. Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1160, 1206. 153 Vgl. Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1216. 154 Vgl. Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1158, 1195, 1227, 1255. 155 Vgl. Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1254. 156 Vgl. Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1254 f. 157 Vgl. Maul, Prodromus [s. Anm. 144], 1255. 158 Vgl. Heiner Faulenbach: Die Anfänge des Pietismus bei den Reformierten in Deutschland. In: PuN 4, 1977/78, 190–234, hier 233. 159 Vgl. Faulenbach, Anfänge [s. Anm. 158], 196. – Die Bezeichnung prägte August Tholuck. 160 Vgl. Heiner Faulenbach: Art. „Coccejus, Johannes“. In: TRE 8, 1981, 132–140. 150

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2.4.1. Friedens-Warheit Die 1711 anonym veröffentlichte Friedens-Warheit161 mischt sich in eine länger andauernde Debatte um die Aufenthalte Ernst Christoph Hochmanns von Hochenau in Düsseldorf und Wesel. Es entstand in den Jahren 1710 bis 1712 ein Pamphletenstreit, an dem sich Vertreter des reformierten Weseler Konsistoriums, Johann Conrad Dippel und Johann Philipp Maul beteilig­ ten.162 Maul beruft sich in der Friedens-Warheit nicht nur auf die Bibel und auf Autoren wie Gottfried Arnold,163 Jakob Böhme164 oder Henry More,165 son­ dern auch auf „uhr-alte Chymici“,166 „Alchymisten“167 und die Atalanta fugiens168 von Michael Maier. Dem Vorwurf, Hochmann und andere „Mystici“ bedienten sich „Alchymistische[r] Lufft- und Rätzel-Wörter“ begegnet Maul mit dem Hinweis, dass die chymischen Schriften einen „dop­ pelten Nutzen“ eintrügen. Sie dienten einerseits der Erkenntnis der Natur und damit der Heilung des Leibes, andererseits aber auch der Gesundheit der Seele „durch Christum / als den rechten Stein des Heils“.169 Da es sich bei der Chymia freilich um eine „gantze disciplin“ handle, benötige man „Zeit und Gewonheit“, um sich mit den Begriffen vertraut zu machen.170 Maul richtet sich gegen einen „eingebildeten Wahn-Glauben“, der „bloß im Kopf / und nicht zugleich im Hertzen [. . .] bestehe.“171 Die Bibel belehre

161 Vgl. Friedens-Warheit/ Das ist/ Christliche/ Gedancken/ Uber eine/ Unter dem Namen/ Des Reformirten MINISTERII/ zu Wesel/ Wider/ H[err]n Ernst Christoph Hochmann/ Anno 1710. außgegangene Schrifft/ Genant/ Abgenöthigte Antwort/ [etc.]/ Auffgesetzt von einem/ Liebhaber der Warheit und des Friedens./ Mit einem Anhang von/ Sonderbaren Friedens-Fragen. Franckfurt und Leipzig 1711 [Exempl. Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. 4 Polem. 1305 r]. – Vgl. Art. „Maul, Johann Friedrich“. In: von Steinen, Westphälische Geschichte [s. Anm. 19], 213. 162 Vgl. „Streitschriften Hochmann betreffend“. In: Renkewitz, Hochmann von Hochenau [s. Anm. 2, 427–429]. Renkewitz mutmaßte, dass die Friedens-Warheit von dem Klever Arzt Johann Overbeck, der mit August Hermann Francke im Briefwechsel stand und Verbindungen zu Gott­ fried Arnold unterhielt, verfasst worden sei. Overbeck kommt als Verfasser indes nicht infrage, denn er starb bereits im Jahr 1702; vgl. Ewald Tohold: Geschichte des Medizinalwesens in Kleve von Beginn der ersten Nachrichten bis 1800. Emsdetten 1937, 5. Überdies entging Renkewitz, dass Hochmanns Schreiben an das Weseler Konsistorium aus dem Jahr 1710 im Jahr 1712 unter dem Titel Wohl-gegründete liebreiche Ermahnungs- und respective Defensions-Schrifft (O. O. 1712) [Exempl. Staatsbibliothek Berlin, Sign. Cs 16400] in Druck gelangte. 163 Vgl. Maul, Friedens-Warheit [s. Anm. 161], 48, 50. Zitiert wird aus Gottfried Arnolds Historie und Beschreibung der Mystischen Theologie und der Unpartheiische[n] Kirchen- und Ketzerhistorie. 164 Vgl. Maul, Friedens-Warheit [s. Anm. 161], 54. 165 Vgl. Maul, Friedens-Warheit [s. Anm. 161], 61. 166 Vgl. Maul, Friedens-Warheit [s. Anm. 161], 29. 167 Vgl. Maul, Friedens-Warheit [s. Anm. 161], 47. 168 Vgl. Maul, Friedens-Warheit [s. Anm. 161], 34. 169 Vgl. Maul, Friedens-Warheit [s. Anm. 161], 55. 170 Vgl. Maul, Friedens-Warheit [s. Anm. 161], 57. 171 Vgl. Maul, Friedens-Warheit [s. Anm. 161], 56.

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nicht „Logice“, sondern „nach Sinn-reicher Art Chymice“172 über die Natur und den Menschen. Maul kommt in diesem Zusammenhang wie in anderen Schriften auf das Buch Hiob zu sprechen und auf den Spruch vom „Gold von Mitternacht“ (Hi 37,22).173 2.4.2 Ewige Warheit des Friedens Im Jahr 1712 begegnet Johann Philipp Maul mit der Ewigen Warheit des Friedens174 Clemens Philipp Scheurmanns Zeitige[m] Bericht (O. O. 1712). Er verteidigt in dieser Schrift ausdrücklich nicht nur die Friedens-Warheit, son­ dern auch die pseudonym erschienene Freywillige Replic (Frankfurt und Leip­ zig 1711) Johann Conrad Dippels. Maul tritt für ein „innerliche[s] wahre[s] Christenthum“ ein, dessen Anhän­ ger als „Pietisten“, „Geisttreiber“, „Enthusiasten“175 und „Freigeister“176 beschimpft würden, und wehrt sich gegen einen bloßen Vernunftglauben, der „keine rechte Theologische oder Christliche Warheit beybringen [könne]“.177 Die „vornehmste Orthodoxie“ bestehe darin, dass „Christus in das Fleisch kommen seye“.178 Dies sei der Sinn der ganzen Heiligen Schrift und also der „nervus der Seeligkeit“.179 Entschieden weist er zugleich den Vorwurf zurück, er, der Autor der Friedens-Warheit, sei ein „Liebhaber [. . .] des Flei­ sches“.180 Maul verzichtet auf nähere Ausführungen zu Chymie und Cabbala und gebraucht stattdessen den Begriff „Theologia Mystica“.181 Gleichwohl verweist er auf die Friedens-Warheit, die „von den theure[n] Geheimnüssen [lehre], als welche allein die Seeligkeit bringen“.182 Maul beruft sich neben Johannes Coccejus und Valentin Löscher183 auf

172

Vgl. Maul, Friedens-Warheit [s. Anm. 161], 58. Vgl. Maul, Friedens-Warheit [s. Anm. 161], 56. 174 Vgl. Ewige/ Warheit des Friedens/ Zu behertzigen vorgestellet/ An allerley Menschen denen ihre Seeligkeit kein Schertz ist/ Aus Anlaß eines Buchs/ Zeitiger Bericht/ genannt/ Zu res­ pective Erklärung und Rettung/ Der/ In etlichen Tractätlein dieser Zeit/ in specie in der/ Frie­ dens-Warheit und Replic,/ vorkommenden Materien/ Von dem Autore der Friedens-Warheit. O. O. 1712 [Exempl. Stadtarchiv und wissenschaftliche Stadtbibliothek Soest, Sign. 25 in Nn 10.2.]. Die Schrift wird erwähnt in: von Steinen, Westphälische Geschichte [s. Anm. 19], 213. 175 Vgl. Maul, Ewige Wahrheit [s. Anm. 174], 7. 176 Vgl. Maul, Ewige Wahrheit [s. Anm. 174], 34. 177 Vgl. Maul, Ewige Wahrheit [s. Anm. 174], 27. 178 Vgl. Maul, Ewige Wahrheit [s. Anm. 174], 21 f. 179 Vgl. Maul, Ewige Wahrheit [s. Anm. 174], 21. 180 Vgl. Maul, Ewige Wahrheit [s. Anm. 174], 47. – Der Vorwurf, „fleischlich gesinnt“ zu sein, treffe dagegen auf Eva von Buttlar zu, die er zu den „falschen Pietisten / und öffentlichen Sün­ der[n] und Zöllner[n]“ rechnet und als „Fleischtreiberin“ bezeichnet, vgl. Maul, Ewige Wahrheit [s. Anm. 174], 45. 181 Vgl. Maul, Ewige Wahrheit [s. Anm. 174], 20, 21, 48 u. ö. 182 Vgl. Maul, Ewige Wahrheit [s. Anm. 174], 20. 183 Vgl. Maul, Ewige Wahrheit [s. Anm. 174], 48. 173

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Johann Conrad Dippels Wegweiser zum verlohrnen Licht und Recht, eine Schrift, die gegen Eva von Buttlar gerichtet sei.184

3. Zur Rezeption Mauls Name bleibt mit der bis ins 19. Jahrhundert reichenden Geschichte des Schwelmer Sauerbrunnens eng verbunden. In pietistischen Kreisen wur­ den die Medicina theologica und der Prodromus Jobi chymici nachweislich rezi­ piert.185 Im 20. Jahrhundert wirkte Maul auf den Schriftsteller Alexander von Bernus. Im Probierstein186 pries Hermann Fictuld Maul als einen „hochgelehrte[n] Mann“, der „einen scharffen Geist gehabt, beydes in der Theologie und Alchi­ mie“. Die „primam materiam lapidis philosophorum“ habe Maul zu bereiten gewusst, „in der Praxi“ aber „an den Stein-Klippen Schiffbruch gelitten“. Da sein „Tractat von Gold von Mitternacht“ einige „sonderbahre Passagen“ ent­ halte, verdiene er gleichwohl die Aufnahme unter die „wahren und ächten Adeptorum“. Friedrich Christoph Oetingers alchemisch geprägte „Philosophia sacra“187 zeigt einige Verwandtschaft mit der Maulschen „Cabbala chymica“. Es ver­ wundert wenig, dass Oetinger in einem Brief an Friedrich Castell aus dem Jahr 1748 die „universalité“ der Maulschen Medicina theologica lobte. Die darin enthaltenen Einsichten hoffte er „durch einen neuen Aufschluß für diese Zeit“ sogar noch übertreffen zu können. Johann Arndt und Jacob Böhme gelten Maul und Oetinger als „Adepten“.188 Maulii universalité in seinem Gold von Mitternacht ist schön: aber doch wird sie durch einen neuen Aufschluß für diese Zeit, und durch den Engel des ewigen Evan­ 184

Vgl. Maul, Ewige Wahrheit [s. Anm. 174], 45. Das gänzlich ungesicherte Urteil von Allison Coudert, die maulsche Medicina theologica von 1713 (!) sei „among the most widely read works of spiritual alchemy“ (Dictionary of Gnosis and Western Esotericism 1, 2005, 47) bedarf freilich der Korrektur. 186 Vgl. Hermann Fictuld: Des Längst gewünschten und versprochenen Chymisch-Philosophi­ schen Probier-Steins Erste Classe, In welcher der wahren und ächten Adeptorum und anderer würdig erfundenen Schrifften Nach ihrem innerlichen Gehalt und Werth vorgestellt und entdeckt worden. Dresden 31784, 106 f., Nr. 102. 187 Zum Forschungsstand vgl. Ulrike Kummer: Autobiographie und Pietismus. Friedrich Chri­ stoph Oetingers „Genealogie der reellen Gedancken eines Gottes-Gelehrten“. Untersuchungen und Edition. Frankfurt/Main 2010, 15–26. 188 Zur „Adeptisierung“ Johann Arndts im 17. Jahrhundert vgl. Joachim Telle: Johann Arndt – ein alchemischer Lehrdichter? Bemerkungen zu Alexander von Suchtens „De lapide philosopho­ rum“ (1572). In: Strenae Nataliciae. Neulateinische Studien. Wilhelm Kühlmann zum 60. Geburtstag. Hg. v. Hermann Wiegand. Heidelberg 2006, 231–246. Zur „Zwangsrekrutierung“ Böhmes unter die Alchemiker der frühen Neuzeit vgl. Joachim Telle: Jakob Böhme unter deut­ schen Alchemikern der frühen Neuzeit. In: Offenbarung und Episteme [s. Anm. 1], 169–174. 185

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gelii mehr determinirt. Von 1621, und um diese Zeit ist Arnd, Böhm und die ganze Schaar der Adepten in Gang gekommen.189

In der 1789 erschienenen, vom bekannten Jobsiade-Dichter Kortum190 ver­ fassten Schrift Karl Arnold Kortum [. . .] verteidiget die Alchimie191 kommt der Autor auf Alchemiker zu sprechen, die die Bibel als chymisches Werk begrei­ fen und „behaupten, dass Hiob ein Adept gewesen sei“.192 Kortum gesteht zu, dass das Buch Hiob verschiedene Stellen enthalte, die von Hiobs „mehr als gemeinen chimischen Känntnis zeugen“. Diejenigen, die über die „chymische Wissenschaft Hiobs“ mehr zu erfahren suchen, verweist er auf Johann Philipp Mauls Prodromus Jobi chymici. Alexander von Bernus (1880–1965),193 der Verbindungen zum Kreis um Stefan George und zu zahlreichen anderen Schriftstellern seiner Zeit unter­ hielt, stellte alchemische Experimente an und befasste sich mit der Herstellung „spagyrischer Medikamente“.194 In seiner Sammlung alchemischer Schriften befanden sich zwei Exemplare der Maulschen Medicina theologica.195 Es ist bekannt, dass Bernus „manche Alchemica [. . .] in Dichtungen verarbeitet[e]“, z. B. Johann Grasses Großer und kleiner Bauer oder die Aurea Catena Homeri.196 Im Gedicht Gold um Mitternacht197 ließ er sich von Gedankengut aus der Medi­ cina theologica anregen.198 189 Friedrich Christoph Oetinger. Leben und Briefe. Hg. v. Karl Christian Eberhard Ehmann. Stuttgart 1859, 569 f. 190 Karl Arnold Kortum (1745–1824) gründete 1796 eine „Hermetische Gesellschaft“ und stand dem Kreis um Gerhard Tersteegen nahe; vgl. Dietrich Blaufuß: Art. „Pietism“. In: Dictionary of Gnosis and Western Esotericism 2, 2005, 955–960, hier 959. Vgl. zudem: Peter Heßelmann: Art. „Kortum, Karl Arnold“. In: Killy-Literaturlexikon 6, 2009, 657 f. 191 Karl Arnold Kortum, der Arzneiwissenschaft Doctor und Arzt in Bochum, Verteidiget die Alchimie gegen die Einwürfe einiger neuen Schriftsteller, besonders des Herrn Wieglebs. Duis­ burg 1789 [Exempl. Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. Bibl. Sud. 1042]. 192 Vgl. Kortum, Alchemie [s. Anm. 191], 46. 193 Vgl. F. Raepke/ Joachim Telle: Art. „Bernus, Alexander von“. In: Killy-Literaturlexikon 1, 2008, 496; Joachim Telle: Art. „Bernus, Alexander von“. In: Stefan George und sein Kreis. Ein Handbuch. Hg. v. Achim Aurnhammer [u. a.]. Bd. 3. Berlin [u. a.] 2012, 1274–1278. 194 Bernus᾿ alchemische Sachschrift Alchymie und Heilkunst (Stuttgart 1936) wurde mehrfach wiederaufgelegt und ins Französische, Spanische und Italienische übersetzt; vgl. Telle, Bernus [s. Anm. 193], 1277. 195 Den Erstdruck von 1709 besaß Alexander von Bernus nicht. Es handelt sich bei den beiden Exemplaren um die zweite Auflage der Medicina theologica von 1713 und die 1714 in Gotha bei Jacob Mevius erschienene Titelausgabe der Ausgabe 1709. Die Bände werden aufgeführt in: Die Alchemiebibliothek Alexander von Bernus in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Katalog der Drucke und Handschriften. Hg. v. Annelies Stöckinger und Joachim Telle. Wiesbaden 1997, 169, Nr. 327, Nr. 328. – Brünings Angaben zur zweibändigen Ausgabe 1713 der Sammlung Bernus sind bezüglich Signaturen und Seitenzahlen grob falsch, vgl. Brüning, Bibliographie [s. Anm. 18], 158. 196 Vgl. Alchemiebibliothek [s. Anm. 195], 20. 197 Vgl. Alexander von Bernus: Gold um Mitternacht. Die Gedichte in Auswahl 1902 bis 1947. Nürnberg 1948, 3. 198 Bernus gebraucht Wendungen wie „Gold von Ophir“ (Z. 1), „Tinktur des Himmels“ (Z.

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4. Zusammenfassung Johann Philipp Maul trat erstmals zwischen 1706 und 1708 mit medizi­ nischen Schriften zum Schwelmer Sauerbrunnen an die Öffentlichkeit. Im Jahr 1709 legte er die Medicina theologica und den Prodromus Jobi chymici vor. In den Jahren 1711 und 1712 veröffentlichte Maul anonym zwei theologische Traktate zur Debatte um Ernst Christoph Hochmann von Hochenau. Sein Werk steht in einer bislang erst in Ansätzen untersuchten theoalchemischen Tradition, in der Bibel und Natur analogisch aufeinander bezogen werden. Erste Zeugnisse entstanden im Spätmittelalter, schärfere Konturen gewann die Tradition im Frühparacelsismus199 und unter Anhängern Jakob Böhmes. Die innige Verbindung von Theologie und Alchemie versprach die Überwin­ dung konfessioneller Streitigkeiten und die Einheit aller, in der Epoche der Aufklärung von manchem als „zerrissen“200 wahrgenommenen Wissenschaf­ ten. Die maulsche Medicina theologica wirkte auf Hermann Fictuld, Friedrich Christoph Oetinger und Alexander von Bernus, der Prodromus Jobi chymici wurde von Karl Arnold Kortum rezipiert.

6), „Engel-Elixir“ (Z. 6), „Sonnensohn“ (Z. 7) und spricht vom „Tiefste[n] der Geheimnisse/ des Sohnes“ (Z.13 f.), der in einem unbekannten Augenblick kommen werde „wie ein Dieb bei Nacht“ (Z. 12). 199 Vgl. Corpus Paracelsisticum [s. Anm. 1], Bd. 2, 32, 669 f., 961. 200 Friedrich Christoph Oetinger hielt den „zerrissenen Wissenschaften“ seiner Zeit das Wissen der „Priester alten und [. . .] neuen Testaments“ entgegen; vgl. ders.: Biblisches und emblemati­ sches Wörterbuch. Hg. v. Gerhard Schäfer. Tl. 1. Berlin, New York 1999, 256.

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5. Edition 5.1. Bild-Gedicht

[Kupfer-Blatt 1 u. 2]. In: Johann Philipp Maul: Gründliche Beschreibung/ des höchsten Kleinods der Welt/ [. . .]. Gotha, Jacob Mevius 1714. [Exempl. Badische Landesbiblio­ thek Karlsruhe, Sign. 87 B 76411], nicht paginiert.

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Erklärung des Kupffer-Blats.

5

[1]

Schau / lieber Christ / schau an das Creutz auf beyden Seiten! Aus schwartzer Mitternacht kanst du das Gold erbeuten.

[2]

Schwartz (1) must du gehn einher / schwartz muß dein Auge sehen / Pontani Schwefel-Feur (2) im Feuer (3) leer bestehen:

[3]

So kommt aus Mittags-Licht Fontina Bernhardina, (4) Und edles Glaubens-Gold rufft: HOD (5) Gloria Trina!

[4]

Ja Warlich! Schrecklich ists / ZAPHÒNS (6) Gebürg durchdringen! Doch kans nicht anders seyn / wann dirs soll Mensch (7) gelingen!

[5]

Saltz / (8) Schwefel (9) Dampff (10) und Hitz / die must du überwinden / In tiefster Demuth-Sitz (11) kanst du den Schatz erfinden.

[6]

GOTT selbst im dunckeln wohnt! (12) ein Feur geht vor Ihm her / (13) Im Wetter (14) mit JOB (15) redt / Im Dunckeln wohnet Er! (16)

10

(1)

In der Schrifft so offt Zalmâvath, oder Schatten des Todes genannt; verglichen mit Job. 28.

4. (2) Mit dem Safftgrünen Brombeer-Busch in Sinai, brennend und nicht verbrennend / corre­ spondirende. (3) Allerley Widerwärtigkeit und Anfechtung bedeutend. (4) Mit der Cabbalisten Rachamim oder wässerigen Lebens-Huld und Böhmens Freudenreich übereinkommende. (5) Ist das Wort / so in unserem Text stehet / heisset: Lob / Ehr / Majestät / kömmt auch mit der Freudenreich in der Cabbala überein. (6) Zaphòn, daher (wie der Text Job. 37. v. 22. sagt Gold kommt / [!] heist Mitternacht und verborgene Schätze / so in harten und unansehnlichen Steingebürgen liegen. (7) Enosch Job. 28. v.4. ein Armer / Dal und schwartz zerfallener Mensch / der gleichwohl das Wasser / ja also Himmel und Erd bewegen kan! ibid. (8) Sonderlich das Steinsaltz / daß es nicht knastere P. [!] 5.58 v.10) und sich entzünde / im Zorn / Ungedult / Ubereilung (9) Daß er zwar den Geist fliessend-brünstig mache / aber nicht in eiteler Lust verbrenne (10) Daß der stinckende natürliche trockene Sünden-Dampff / oder Rauch / gedämpfet und Supprimiret / und hingegen in ein gesundes dämpfendes Wasserbad / Ignis voporosus, und Fontina Bernhardina, oder Ignis Nubium genant / und gleich immerwährendes Buß- und Glau­ bens-Feuer verwandelt werde. (11) Durch den Tartarum, nachdessen in ein Saltz-Erdfigirung / von denen Philosophis ange­ deutet / so daß es allewege heisset: Habt Saltz (nehmlich der Weißheit / so in Demuth bestehet) bey euch. (12) 1. Reg. 8. v.12. Ps. 97. v.2. Ps. 18. v.6.12. (13) Ps. 97. v.3 (14) Job. 38. v. 1 & 40. v. 1. it[em] Job. 37. v. 21. (15) HIOB ist eine wahrhafftige geschichtliche Abbildung der unter die Versuchungen verfallen und zuerlösenden Welt/ und der Chymischen Materie / samt derselben Operationen, welche sie

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15

20

[7]

Drum scheu das Schrecklich (17) nicht / die Majestät wird gleißen / Und ihren Gottes-Glantz im duncklen Creutz erweisen.

[8]

Man geht von lincker Hand (18) gen Zion (19) immerfort/ Zum Centro der Natur / da leucht des Creutzes Ort.

[9]

So ist das Creutz nun hell / die Sonn ist aufgegangen / Das Creutz im Freuden-Reich stillt alles dein Verlangen.

[10] Gold kommt aus Mitternacht (20) zu Lob dem großen Gott / Der bringt aus Staube Gold /(21) Das Leben (22) aus dem Todt.

durchgehen muß / sonderlich in der Schwärtze ihrer Prüfung und Aufflösung / aus welcher sie / nachdem sie bestanden / hervor gehet wie das Gold. Job. 23. v.10. (16) 2. Chron. 6. v.1. (17) Dann es ist eine (wegen der conservirten und vermehrten geistlichen oder Mercurialischen Grundfeuchtigkeit [)] gläntzende Schwärtze. (18) Die lincke bedeut in der Cabbala Mitternacht oder den Ort des Gerichts / wo das schwartze Creutz auffrecht stehet; Also Himmel an / über der Christen-Welt / auf Golgotha; welches Creutz durch Galgal, oder Umweltzung zur rechten oder Mittag / deprimiret / praecipitiret / ver­ schlungen in Gold figiret / und also in Freudenreich / oder venus der Weißheit / verwandelt wird. (19) Zion; Gleichwie Christus aus Galilaea (der Stadt Jerusalem gegen Mitternacht liegend / und von dem Ursprung / wo Golgatha und Galgal, herkommend) seine Reise und Lehre nach Zion geführet / bey dem Meer Cinnereth (in der Cabbala die Grüne / nemlich den innerlichen gefärbten vitriol des Landes selbsten / vorstellende) oder Genezareth her / langs dem Jordan / wel­ cher / die adjungirte Zeichen bedeutende / durchs Saltz-Meer unter der Erden Cabbalisticè ins Rothe Meer läufft / und also conciliiret [!] und vor Brand bewahrt / das Lufft-Wasser oder den güldenen Regen erwecket. (20) Ist Creutz / Demuth/ Erniedrigung / Umkehrung / Wiedergeburt; Ich gehe schwartz / sagt David Ps. 38. v.7. Grundtext (nemlich in der Busse den gantzen Tag / nemlich meines Lebens; kommt sonderlich auf die Schmeltzung und Creutzigung des alten Adams an / welche weil sie eine wahre Zerschmeltzung ist / (Ps. 22. v.15. Job. 10. v.10. Ezech. 12. v.21. Mal. 3. v.3. Ps. 97. v.5. Ps. 147. v.18. Ps. 66. v.10. und dergleichen viel / sonderlich nach dem Grundtext überall wegen der guten Grundfeuchtigkeit mit der Liebe durchflossen ist / ohne welche wahre Solution oder Schmeltzung in Busse und Liebe / warlich das gantze Christenthum nur lauter Heu­ cheley und Ketzerey ist. (21) 4. Esdr. c.8. v.2. Job.28. v.6. Also nach der Bedeutung aus dem Staub der Zermalmung oder Zerknirschung / welcher zwar / nach der Vorstellung bey Esra, einig gnug ist / aber doch so nöthig daß ohne ihn alles andere vorgegebene Glaubens-Gold nur Sophistisch oder gemahltes Werck der Einbildung ist. Der wahre Glaube muß ungefärbet seyn / 1. Tim. 1. v.5. und 2. Tim. 1. v.5. (22) In vita vegetabili, animali & rationali, und also in allen dreyen Betrachtungen der menschli­ chen Seelen / als: 1) Nephesh, (Wachsen der Empfindlichkeit des Hertzens / ) 2) Ruach (Bewe­ gung der Lebens-Geister in den Affecten / sonderlich der Liebe/ in welcher der Actus des Glau­ bens seine wahre Hypostasin oder Wesenheit hat. Gal. 5. v.5. Hebr. 11.v. [!] ) und 3) Neschamah (vornünfftiger Ausübung) bestehende.

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5.2 Editorische Notiz Die Wiedergabe des Textes erfolgte diplomatisch-zeichengetreu. Abbrevia­ turen wurden stillschweigend aufgelöst. Der doppelte Bindestrich wurde als einfacher wiedergegeben, die Wiedergabe diakritischer Zeichen normalisiert. Die Interpunktion blieb unangetastet. Der Zeilenfall des Gedichts folgt nicht der Vorlage, sondern der Text wurde metrumgemäß eingerichtet. Schriftart­ wechsel wurden nicht wiedergegeben. Zwischen den einzelnen Strophen wurden Leerzeichen eingeführt. 5.3 Kommentar S. 156: [Bild]: Der zweiteilige Kupferstich zeigt auf der linken, mit „Mit­ ternacht. CHAOS“ überschriebenen Seite ein Rund mit einer Sonne, auf dem oben ein schwarzes Kreuz platziert ist. Es ist von chemischen Zeichen in einer dekorativ anmutenden Anordnung umgeben. Der Buchstabe P. könnte für den in der „Erklärung“ genannten Alchemiker „Pontanus“ stehen. Die rechte, mit „Mittag. GOLD“ überschriebene Seite zeigt ein weißes Rund auf einem Kreuz mit einem kreisförmigen Zentrum, auf das aus dunklen Wolken Regen fällt. Die Buchstaben F. B. stehen wohl für die in der „Erklärung“ genannte „Fontina Bernhardina“. S. 157, Z. 3: Marginale a] Zalmâvath] Zu Zalmaveth: Totenwelt, wörtlich: Todesschatten, vgl. z. B. Ps 23,4. Job. 28, 4] Es bricht ein solcher Bach erfür / das die drumb wonen / den weg daselbs verlieren / Vnd fellt wider / vnd scheusst da hin von den Leuten. Hi 28,4. Z. 4: Pontani] Johann Pontanus (Brückner) stammte aus einer Familie von Bergwerksunternehmern, die ihr Einkommen aus Anteilen an einem Kupfer­ bergwerk bezog. Im Jahr 1552 wurde Pontanus Professor der Medizin und Physik in Königsberg, gleich darauf Professor der Medizin in Jena. Zudem wirkte er als Leibarzt bei den landesherrlichen Familien in Gotha und Wei­ mar. Pontanus starb 1572 auf einer Reise nach Wien. Sein Werk Methodum componendi Theriacam & praeparandi Ambram factitiam erschien angehängt an Johann Wittichs Consilia, Observationes Atque Epistolae Medicae (Lipsiae 1604; vgl. Art. „Pontanus, Johann“. In: AGL 3, 1751, 1688; Thomas Anselmino: Medizin und Pharmazie am Hofe Herzog Albrechts von Preußen (1490– 1568). Heidelberg 2003, 157. Schwefel-Feur] Johannes Pontanus wurde eine Epistola, in qua de lapide, quem philosophorum vocant, agitur zugeschrieben, die spätestens 1582 in Druck ging. Dort heißt es: „Nunc opportet elicere proprietates nostri ignis [. . .] Mineralia est, aequalis est, continuus est, non vaporat nisi nimium excitetur, de sulphure participat, [. . .].“ (In: [Ps.-]Paracelsus [Hg. v. Bernard Gilles Penot]. Centum quindecim curationes experime[n]taque. [Lyon] 1582, 68–72, hier 70 [Exempl. BSB München, Sign.: Bibl. Sud. 1415]; vgl. zu B. G. Penot: Corpus 159

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Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutsch­ land. Hg. v. Wilhelm Kühlmann. Bd. 1. Tübingen 2001, 378. – Die Epistola wurde häufig wiederaufgelegt und erfuhr europaweite Verbreitung. In Krei­ sen neuzeitlicher Esoteriker genießt die Schrift bis heute Ansehen; vgl. Fergu­ son [s. Anm. 1], Bd. 2, 1906, 212 f.; Anselmino, Medizin [s. o.], 157. Unzutref­ fend ist die Angabe bei Brüning [s. Anm. 18], Bd. 1, 2004, 188, dass Pontanus’ Epistola erstmals 1614 in Druck gelangte. Marginalie b] Brombeer-Busch [. . .] brennend und nicht verbrennend] Vgl. Ex 3,2. Z. 5: Fontina Bernhardina] In 4. Teil der Bernardus Trevisanus zugeschriebe­ nen Schrift De chemia (entstanden im 15. Jh.) tritt in einer parabolischen Erzäh­ lung ein „König“ (Gold) auf, der mit „Fontina“ (Mercurius) eine chymische Hochzeit eingeht. Dieses Werk belehrt über die reine Quecksilbertheorie, die besagt, dass arkanes Quecksilber (doppelter Mercurius) mit ‚Gold‘ Metalle zu wandeln vermag. Während die Schriften des Bernardus Trevisanus im Werk des Paracelsus keine Rolle spielen, traten Paracelsisten wie Gerhard Dorn, Joachim Tancke oder Michael Toxites als Herausgeber von B. T. zugeschrie­ benen Werken hervor. Vgl. Joachim Telle: Art. „Bernardus Trevisanus“. In: Killy-Literaturlexikon 1, 2008, 477; Corpus Paracelsisticum. Hg. v. Wilhelm Kühlmann u. Joachim Telle. Bd. 2. Tübingen 2004, 283. Marginalie d] der Cabbalisten Rachamim] Zu Rachamîm: Erbarmen, Barmher­ zigkeit (von Rêchem-Gebärmutter); vgl. z. B. Gen 43,14. –‚Rachamîm‘/ ‚Tiferet‘ bezeichnen die sechste Sefirah; vgl. Art. „Sephirot“. In: HWP 9, 1995, 681–684. Lebens-Huld] Zu ‚Huld‘: gnädige, geneigte Gesinnung. In: DWb 10, 1886– 1891. Böhmens Freudenreich] Himmel; vgl. z. B. in Jacob Böhmes Morgen-Röte im Aufgangk. Hg. v. Ferdinand van Ingen. Frankfurt/Main 2009, 82, 929. Z. 6: HOD] Zu Hod: Herrlichkeit, z. B. Ps. 21, 6. –‚Hod‘ bezeichnet die achte Sefirah; vgl. Art. „Sephirot“. In: HWP 9, 1995, hier 683. Z. 7: Zaphòns] Zu Zaphôn: Mitternacht; auch: Norden; vgl. z. B. Jer 1,14. Das in der Lutherbibel gebrauchte „Mitternacht“ diente als Bezeichnung für „Norden“. Marginalie f] Job. 37. v. 22] Von mitternacht kompt gold / zu lob fur dem schrecklichen Gott. Hi 37,22. Z. 8: Marginalie g] Enosch] Zu Enôsch: Mensch; vgl. z. B. Ps 8,5. Dal] Zu Dal: arm, Armer; vgl. z. B. Ps 82, 3. Z. 9: Marginalie h] Steinsaltz] Gemeint ist wohl Bergsalz (oder gegrabenes Salz) im Unterschied zum Meer- oder Küchensalz. Vgl. Art. „Steinsaltz, Edel­ gesteinsaltz, steinichtes Saltz, Bergsaltz, gegrabenes Saltz“. In: GVUL 39, 1744, 1727 und Art. „Steinsalz“. In: DWb 18, 2147–2149. knastere] Zu knastern: knistern, rasseln, prasseln; auch: zanken, zornig sein. In: DWb 11, 1359–1360. P. [!] 5.58 v. 10] Denn in jrem Munde ist nichts gewisses / Jr inwendiges ist hertzeleid / Jr rachen ist ein offens grab / Mit jren zungen heucheln sie. Ps 5,10. 160

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Ehe ewre Dornen reiff werden am Dornstrauche / Wird sie dein zorn so frisch wegreissen. Ps 58,10. Marginalie k] Ignis voporosus [. . .] Ignis Nubium] dämpfendes Wasserbad. Z. 10: Marginalie l] Tartarum] Zu Tartarum oder Tartarus: Weinstein; vgl. Art. „Weinstein“. In: GVnL 54,1747, 931–955. Z. 11: Marginalie m] 1. Reg. 8. v. 12] DA sprach Salomo / Der HERR hat geredt / er wolle im tunckel wonen. 1Reg 8,12. Ps. 97. v. 2] Wolcken vnd Tunckel ist vmb jn her / Gerechtigkeit vnd Gericht ist seines Stuels festung. Ps 97,2. Ps. 18. v. 6.12] Denn es vmbfiengen mich des Todes bande / Vnd die beche Belial erschreckten mich. Ps 18,6. Sein Gezelt vmb jn her war finster / vnd schwartze dicke wolcken / Darin er verborgen war. Ps 18,12. Marginalie n] Ps. 97. v. 3] Fewr gehet fur jm her / Vnd zündet an vmb her seine Feinde. Ps 97,3. Z. 12: Marginalie o] Job. 38. v. 1] Vnd der HERR antwortet Hiob aus einem wetter / vnd sprach. Hi 38,1. Job. 37. v. 21] Jtzt sihet man das Liecht nicht / das in den wolcken helle leucht / Wenn aber der wind webd / so wirds klar. Hi 37,21. Marginalie p] Job. 23. v. 10] ER aber kennet meinen weg wol / Er versuche mich / so wil ich erfunden werden / wie das gold. Hi 23,1. Marginalie q] 2. Chron. 6. v. 1] Da sprach Salomo / Der HERR hat geredt zu wonen im tunckel. 2 Chr 6,1. Z. 15: Marginalie s] Galgal] Zu Galgâl: Rad; vgl. z. B. Ps 82,3. praecipitiret] Zu präcipitieren: ausfällen, ausflocken. venus] Mercurius; vgl. Lexikon alchemistisch-pharmazeutischer Symbole. Hg. v. Wolfgang Schneider. Weinheim 1962, 122. Die Wendung „Venus der Weisheit“ bezeichnet hier den „Lapis philosophorum“. Marginalie t] Cinnereth] Zu Kinnêret: See Genezareth; vgl. z. B. Num 34,11. conciliiret [!]] Zu concilieren: ausgleichen. Z. 19: Marginalie u] Ps. 38. v. 7] Ich gehe krum vnd seer gebücket / Den gantzen tag gehe ich trawrig. Ps 38,7. Ps. 22. v. 15] Ich bin ausgeschütt wie wasser / Alle meine Gebeine haben sich zurtrennet / mein Hertz ist in meinem Leibe / wie zerschmoltzen Wachs. Ps 22,15. Job. 10. v. 10] Hastu mich nicht wie Milch gemolcken / vnd wie Kese lassen gerinnen? Hi 10,10. Ezech. 12. v. 21] Wohl zu korrigieren in Ez 22,22: Wie das silber zer­ schmeltzet im ofen / So solt jr auch drinnen zerschmeltzen / Vnd erfaren / das ich der HERR meinen grim vber euch ausgeschüttet habe. Mal. 3. v. 3] Er wird sitzen vnd schmeltzen / vnd das Silber reinigen. Mal 3,3. Ps. 97. v. 5] Berge zuschmeltzen wie wachs fur dem HERRN / Fur dem Herrscher des gantzen Erdboden. Ps 97,5. 161

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Ps. 147. v. 18] Er spricht / so zeschmeltzet es / Er lesst seinen Wind wehen / so thawets auff. Ps 147,18. Ps. 66. v. 10] DEnn Gott du hast vns versucht / Vnd geleutert / wie das Sil­ ber geleutert wird. Ps 66,10. Z. 20: Marginalie x] 4. Esdr. c. 8. v. 2] Gleich, wenn du die Erde fragtest, sie dir sagen würde, daß sie sehr viel Erde gebe, daraus irrdene Gefäß werden, ein wenig Staubs aber, darauß Gold wird. Job. 28. v. 6] Man findet Saphir an etlichen örtern / vnd Erdenklösse da gold ist. Hi 28,6. Tim. 1. v. 5] Denn die Heubtsumma des gebotes ist / Liebe von reinem hertzen / vnd von gutem gewissen / vnd von vngeferbtem glauben. 1Tim. 1,5. 2. Tim. 1. v. 5] Vnd erinnere mich des vngeferbeten glaubens in dir / wel­ cher zuuor gewonet hat in deiner Grosmutter Lorde / vnd in deiner Mutter Eunike / Bin aber gewis / das auch in dir. 2Tim 1,5. Marginalie z] Nephesh] Zu Nêphesh: Seele, Lebewesen, vgl. z. B. Gen 1,20. Ruach] Zu Rûach: Luft, Wind; vgl. z. B. Gen 1, 20; auch: Geist, Lebens­ geist; vgl. z. B. Gen 6,17. Gal. 5. v. 5] Wir aber warten im Geist / durch den glauben / der Gerechtig­ keit der man hoffen mus. Gal. 5,5. Hebr. 11. v. [!]] Bedeutung unklar. Neschamah] Zu Neschamâ: Atem, Seele, Lebewesen; vgl. z. B. Gen 2,7; Ps 150,6. Die Begriffe Nêphesh, Ruach und Neschamâ sind Synonyme für die Seele oder den Lebenshauch.

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ANDREW KLOES

The Committee for the Relief of Distress in Germany. A Case Study of Cooperation and Solidarity between British Evangelicals and German Pietists during the Napoleonic Era 1. Introduction During the quarter-century between the storming of the Bastille in 1789 and the Battle of Waterloo in 1815 a unique coalescence of military, political, and ecological disasters befell the German people, which resulted in wide­ spread suffering, the degree and extent of which had not been experienced in Germany since the Thirty Years’ War. Indeed, in his 2007 study, David A. Bell describes these decades as witnessing “the first total war” in the modern world, estimating that between these years, nearly five million European sol­ diers and civilians perished in the French Revolutionary and Napoleonic Wars.1 In an article that appeared in Pietismus und Neuzeit in 2008, The Mobili­ zation of God’s Pious Children in the Era of the French Revolution and Beyond, Hart­ mut Lehmann discussed how the aforementioned political and military events chronologically coincided with a period in the history of European Christia­ nity in which certain Protestants in German-speaking Europe and Britain began to partner together in new endeavours to spread the Christian message in Europe and in other parts of the world, principally, through the new mis­ sionary, religious tract, and Bible societies. Lehmann referred to those Ger­ man Protestants who founded these new organisations in a number of ways: “born-again Christians,” “Pietists,” as those who perceived themselves as “God’s true children” and “God’s loyal children,” and as those who admired the tradition of Spener and Francke and wished to emulate their works in a new century.2 David Bebbington has referred those British Protestants who were involved in the same activities as “Evangelicals.”3 1 David A. Bell: The First Total War: Napoleon’s Europe and the Birth of Modern Warfare. London 2007, 7. 2 Hartmut Lehmann: The Mobilization of God’s Pious Children in the Era of the French Revo­ lution and Beyond. In: PuN 34, 2008, 189–191. 3 David Bebbington: Evangelicalism in Modern Britain: A History from the 1730s to the 1980s. London 2003, 66–68.

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In this essay, I will argue that providing material assistance to those in Ger­ many who had been harmed by consequences of the Napoleonic Wars was another goal towards which such Protestants in Britain and German-speaking Europe cooperatively mobilized. I will examine how the members of an inter­ national Protestant religious network comprised of British Evangelicals and German Pietists that had come into existence during the 1790s began to coop­ erate in new ways in 1805 to alleviate the sufferings caused by war through an analysis of the work of the London-based Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany and Other Parts of the Continent (here­ after referred to as the Committee). During two periods of activity, from 1805 to 1808 and from 1814 to 1815, the Committee raised and disbursed approximately £240,000 to Protestants, Catholics, and Jews in over 250 cities, towns, and villages in Baden, Bavaria, Bohemia, Hannover, Hessen, Holstein, Lusatia, Mecklenburg, Oldenburg, Pomerania, Prussia, the Rhineland, Saxony, Silesia, Thuringia, and Württem­ berg, who had been made destitute during the course of the wars of the Third, Fourth, and Sixth Coalitions.4 Remarking on the significance of this aid, Fried­ rich Wilhelm III of Prussia wrote in a spring 1814 letter of thanks to the Committee: With particular satisfaction I have observed that my Dominions have obtained a donation of 19,200£ which has been granted by the Committee for the Relief of the Distressed in Germany, and other parts of the Continent. The more important this aid has been at a time when the War left no means wherewith to relieve the evils which it produced, the more I feel myself bound to present my thanks to the Com­ mittee.5

To attempt to put this amount of money in some historical context, we may note that out of a total British population of 10,900,000 in 1800 there were only 660,000 individuals who paid income tax on earnings of at least £60 per annum.6 Alternatively, based on the currency conversions used by a recently published University College London study on the compensation 4 The Committee for the Relief of Distress in Germany and Other Parts of the Continent: Instructions to the Continental Committees, Issued by the Westminster and London Committees, For the Dis­ tribution of 100,000l. granted by the Imperial Parliament of Great Britain, and also of the Private Subscriptions, for the Relief of the Sufferers by the late War in Germany, The Making of the Modern World Part I: Goldsmiths’-Kress Library of Economic Literature, 1450–1850, document number: 21056, (London, 1815), 5–11. 5 Sixth Report. In: Reports of the Committees Formed in London in the Year 1814, for the Relief of the Unparalleled Distresses in Germany, and Other Parts of the Continent, Occasioned by the War, which Terminated in the Treaty of Paris, 31st March, 1814, The Making of the Mod­ ern World Part I: Goldsmiths’-Kress Library of Economic Literature, 1450–1850, document number: 21034, (London, 1814), 11. 6 Michael Anderson: British Population History: From the Black Death to the Present Day. New York 1996, 211; T. V. Jackson: British Incomes Circa 1800. In: EcHR 52, 1999, 265.

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that the British government paid to British slave-owners as part of the 1833 emancipation, we may estimate that the Committee raised and disbursed an amount equivalent to at least £179 million in today’s (2013) money.7 To be sure, this sum of money was not raised exclusively by contributions from British Evangelical Protestants. In addition to those donations that were given by other Protestants, whom we cannot describe as Evangelicals, such as those gifts that were given by members of the Society of Friends and Unitarians, as well as those given by two London synagogues, the Bank of England, the East India Company, other businesses, and other philanthropic and humanitarian individuals, £100,000 was given directly to the Committee by Parliament.8 However, as I will argue below, the initial motivation to collect funds on behalf of those in Germany who had been ruined by these wars was religious in nature and had been born out of a particular shared sense of transnational Protestant religious solidarity that had developed between British Evangeli­ cals and German Pietists through their partnerships in several evangelistic endeavors in Europe and around the world. I describe the nature of this reli­ gious solidarity as “transnational” and not as “international” in order to emphasise how these particular Protestants’ imagination of their religious identity transcended and superseded conceptualizations of identity that are based on national belonging, such that these British Evangelicals and German Pietists were able to perceive each other primarily as members of the one peo­ ple of God who only happened to live in Britain and Germany. Furthermore, the Committee initially utilized the British Evangelical network to publicize their aims and disseminate information about those being assisted by the donations that they received, and initially depended entirely upon their con­ tacts with German Pietists to see that the funds that they had raised actually reached their intended recipients. As the relief work of the Committee pro­ gressed, it expanded significantly to include parties outside these networks. In the later phase of its operation that began in 1814, those who were neither Evangelicals nor Pietists became involved alongside Evangelicals and Pietists in organising and administering financial assistance to those whose lands and goods had been pillaged by the armies of the era. However, it was the Com­ mittee’s unique religious origins and motivations that had brought it into being. Thus the work of the Committee and its German partners furnishes an

7 Sanchez Manning: Britain’s colonial shame: Slave-owners given huge payouts after abolition. In: The Independent, 24 February 2013, accessed 27 February 2013, http://www.independent.­ co.uk/news/uk/home-news/britains-colonial-shame-slaveowners-given-huge-payouts-afterabolition-8508358.html?printService=print. 8 The Committee for the Relief of Distress in Germany and Other Parts of the Continent: Proceedings of the Committee Formed Jan. 1814, For Relieving the Distress in Germany and Subscriptions, The Making of the Modern World Part I: Goldsmiths’-Kress Library of Economic Literature, 1450–1850, document number: 21083.3, (London, 1814), 3.

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example of the mobilization of “God’s pious children” for aims that were not primarily evangelistic in nature. 2. Research questions posed by Hartmut Lehmann In developing these points, I hope to address a series of questions that Har­ mut Lehmann has posed in a recent (2010) essay on the state of Pietism research, one which is published in the collection of his essays entitled, Reli­ giöse Erweckung in gottferner Zeit: Studien zur Pietismusforschung.9 Lehmann here comments: As far as I know, in the Pietism research of the past few decades [. . .] both the role of religious networks and the role of communication among those who considered themselves to be God’s loyal children, have not been studied extensively and care­ fully enough.10

Next, referring to the third volume in the Geschichte des Pietismus series, Lehmann remarks that, in addition to several chapters on the German Awa­ kening and subsequent nineteenth-century German Pietism: [W]e find chapters on Evangelicalism and Réveil in Great Britain, French Switzer­ land, France, and the Netherlands, another chapter on revival movements in Scandi­ navia and East Central Europe, and a long chapter on Evangelicalism and Funda­ mentalism in North America. This is impressive indeed. But what is sorely missing are chapters on the contacts between all of these groups, chapters in which, for exam­ ple, the following questions would be answered: which texts were shipped to other countries, translated and printed in other languages in the course of the nineteenth and twentieth centuries? How many religious leaders travelled back and forth, and whom did they meet? I suspect that we have to reckon with a religious book-market number thousands of books and millions of tracts before the end of the nineteenthcentury, and with several thousand, if not a hundred thousand, travelling mission­ aries and religious agents in that period. But who read what? Who visited whom? Which networks expanded in which period of time, and what made them especially attractive?11

In the following, I aim to contribute to this research agenda by concentrat­ ing upon several nodes of the transnational religious network that came into being between British Evangelicals and German Pietists around the time of the turn of the eighteenth to the nineteenth century, the coalescence of which was merely the next logical and natural step in the development of certain transdenominational religious movements in these respective Protestant populations. In order to better understand the nature of the suffering in Ger­ 9

Hartmut Lehmann: Religiöse Erweckung in gottferner Zeit. Göttingen 2010, 144–153. Lehmann, Erweckung [see note 9], 152. 11 Lehmann, Erweckung [see note 9], 153. 10

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man-speaking Europe that British Evangelicals sought to alleviate, I will turn to a discussion of its causes. However, I must first make one important caveat regarding the usage of the term “Pietist” as a label of religious identity for certain German-speaking Protestants in the late-eighteenth and early nine­ teenth centuries. Historiographically, Pietism has been a difficult concept to define, particu­ larly, in regards to the appropriateness or the precision of its use in reference to religious reform and revival movements in the history of German Protes­ tantism subsequent to those that occurred in the later seventeenth century and the early eighteenth century. This conceptual problem becomes further compounded when one introduces a comparative dimension into one’s analy­ sis, such as how to conceive of similar Protestant individuals and organisations from other linguistic-cultural contexts beyond German-speaking Europe. As Ulrich Gäbler commented in an essay that he contributed to Der Pietismus in seiner europäischen und außereuropäischen Ausstrahlung: Ich gebe im folgenden einige Hinweise zur Entwicklung ähnlich gelagerter Strömun­ gen in den Vereinigten Staaten, in Schottland und in Frankreich. Ich nenne sie der Einfachheit halber “pietistische” Bewegungen, der Problematik des Begriffs bin ich mir durchaus bewußt, doch habe ich keinen besseren übergreifenden Ausdruck gefunden.12

Of course, one reason that Gäbler and other scholars have found it undesir­ able or cumbersome to speak of “British Pietism” or “German Evangelical­ ism” is the resulting imprecision and loss of nuance that occurs when religious identity labels that are original to one linguistic-cultural context are applied, necessarily imperfectly, to another. Be these limitations as they may, following the arguments advanced in suc­ cessive generations of scholarship by Walter Wendland, Erich Beyreuther, and Hartmut Lehmann, one must not overlook how there were substantial commonalities between the proponents of the ‘Evangelical revival’ in Britain and the ‘Erweckungsbewegung’ in Germany and that such Protestants also perceived strong affinities with each other.13 Indeed, early nineteenth century scholars such as the Göttingen University professor of theology Carl Frie­ drich Stäudlin and the Halle University professor of theologian August Tho­ luck asserted that there existed an even broader range of theological congrui­ 12 Ulrich Gäbler: Die Frage nach der Kirche in „pietistischen“ Bewegung des 19. Jahrhunderts. In: Der Pietismus in seiner europäischen und außereuropäischen Ausstrahlung. Hg. v. Johannes Wallmannn u. Pentti Laasonen. Helsinki 1992, 145. 13 Walter Wendland: Art. „Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert“. In: RGG1 2, 1928, 295; Erich Beyreuther: Die Erweckungsbewegung. Göttingen 1977, 1; Hartmut Lehmann: Erwe­ ckungsbewegung as Religious Experience or Historiographical Construct: The Case of Ludwig Hofacker. In: Pietism, Revivalism, and Modernity, 1650–1850. Ed. by Fred von Lieburg and Daniel Lindmark. Newcastle-upon-Tyne 2008, 284.

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ties between post-Reformation Protestant revival movements in Britain and Germany. According to Stäudlin in his 1819 ecclesiastical history of Britain: John Wesley felt and wanted essentially the same thing that Johann Valentin Andreä, Spener, and Zinzendorf longed for and desired in Germany. None of them wanted to alter the foundational doctrines or the polities of their established churches, but wanted to direct their churches back to seeing that true religion was a matter of the heart and of the soul. They wished to wake up and nourish the interior and exterior spiritual life of their churches through active obedience.14

According to Tholuck in his 1834 biography of George Whitefield: There was a rich pouring out of the Spirit in Britain in the days of Wesley and of Whitefield that gushed forth over all the English-speaking peoples, a work of the Spirit that has brought forth fruit in the lives of millions in Britain and America [. . .] It is with the greatest inner conviction that I say that for all intents and purposes Methodism was no less than a work of God in English-speaking lands than was the Pietism of Spener and Francke in Germany, and that the clergy in our Protestant Church can gain immeasurably much through a more exact knowledge of the Methodists.15

For the purposes of this paper, Pietism in German-speaking Europe and Evangelicalism in Britain will be regarded as two nationally contextualised instances of Protestants’ desires to see religious revival occur in their respec­ tive societies and religious reform in their churches in the period under con­ sideration. 3. The Causes of Distress in Germany 3.1 Military Causes While the Prussian Army under the command of General Field Marshall Prince Karl Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel, a brother-in-law to King George III of Great Britain and Ireland, had been able to successful put down the September-October 1787 republican rising in Amsterdam against the Dutch Stadtholder Willem V, five years later, even with Austrian support, it was unable to similarly snuff out the French Revolution, its march on Paris rebuked and transformed into a headline eastern retreat by a stubborn French defensive stand at the Battle of Valmy on 20 September 1792.16 When pressed by a disheartened encampment of German soldiers in the evening after the 14 Carl Friedrich Stäudlin: Allgemeine Kirchengeschichte von Grossbritannien. Bd. 2. Göttingen 1819, 316. 15 August Tholuck: Leben Georg Whitefields. Leipzig 1834, iv–vi. 16 Jonathan I. Israel: The Dutch Republic: Its Rise, Greatness, and Fall, 1477–1806. New York 1995, 1113–1115.

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battle for his thoughts concerning this victory of an enthusiastic citizen army against those conscripted ones that were typical of the anciem regime, Johann Wolfgang von Goethe, who had been present that day in Eastern France as part of the personal retinue of Grand Duke Karl August of Weimar, remar­ ked, “today a new epoch in world history has begun and you can say that you were here,” or so he later claimed in his autobiography.17 The unfolding of this epoch proved to be exceedingly violent as first French Republican and then later imperial Napoleonic Armies crossed the Rhine to spread the Revolution and its reforms to the rest of Europe. In the ensuing years, the series of comprehensive military victories that French forces scored against Austria, Prussia, and the middle-sized powers of the socalled “Third Germany,”18 initiated a chain of events, from the Congress of Rastatt in 1798, to the Declaration of the Extraordinary Imperial Reichstag of 1803, that culminated in the dissolution of the Holy Roman Empire of the German Nation, the political framework that had governed German-speaking Europe for over a thousand years.19 Two months after Franz II of Austria for­ mally abdicated the imperial crown in August 1806, Napoleon swept away the last major vestige of the ancien regime in Germany when he totally defeated the once vaunted Prussian Army of Frederick the Great at the Battle of Jena in October 1806. Eleven months after Napoleon had been in Vienna, he was in Berlin. 3.2 Ecological Causes Coinciding with these major changes to the geopolitical landscape of Cen­ tral Europe were literal changes in the weather that were equally significant, if not much more so, to the daily lives of most people. Forensic climatology has concluded that unusually high levels of global volcanic activity during the early years of the nineteenth century increased the percentage of particulates in the upper atmosphere to a such a degree that significantly less amounts of sunlight reached the earth, making the years between 1805 and 1820 the cold­ est in European history during the so-called Little Ice Age of 1300 to 1850.20 One scholar has gone so far as to describe the years 1816 to 1819 as “the last

17 Johann Wolfgang von Goethe: Kampagne in Frankreich. In: Ders.: Werke. Hamburger Aus­ gabe. Hg. v. Erich Trunz. Bd. 10. Hamburg 1948, 235. 18 The members of Third Germany are generally defined as Baden, Bavaria, Hanover, Hessen, Oldenburg, Nassau, Saxony, and Württemberg. Lawrence J. Flockerzie: State-Building and Nation-Building in the “Third Germany”: Saxony after the Congress of Vienna. In: Central European History 24, 1991, 268. 19 Brendan Simms: The Struggle for Mastery in Germany, 1779–1850. London 1998, 64. 20 H. H. Lamb: Climate, History and the Modern World. London 1995, 246–249; Brian Fagan: The Little Ice Age: How Climate Made History, 1300–1850. New York 2000, 170.

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great subsistence crisis in the Western world,” the climax of a series of famines caused by this episode of climatological chaos.21 3.3 Political and Demographic Causes In order to properly appreciate the work of the Committee and the occa­ sions out of which such tremendous need for outside assistance arose, it is imperative that one recognize just now rural and politically fragmented a society that German-speaking Europe was at this time. As Brendan Simms has noted, in the year 1780, the Holy Roman Empire was constituted by 1,800 politically autonomous territorial entities, each of which had the constitu­ tional status of a Reichsstand, meaning that the local ruler, whether that be a knight, count, abbot, bishop, city council, duke, grand duke, prince, or king, had only the emperor himself as their immediate sovereign, without any intermediary figures interposed between them.22 By 1820, after a flurry of opportunistic annexations by France, Austria, Prussia, and the middle-sized German states, these 1,800 Reichsstände had been folded into one of the 43 sta­ tes of the Empire’s political successor, the German Confederation. According to figures provided by the Deutsches Historisches Museum in Berlin and the Institut für Europäische Geschichte in Mainz, altogether, these states had an aggregate population of 34,687,201 at this time.23 Prussia was geographically the largest and most populous member of the Confederation and its 1817 census reported a total population of 10,536,571, of whom, 2,895,818 (27.5%) lived in one of 1,021 “cities.”24 However, of these urban settlements, there were only 29 that had more than 10,000 inha­ bitants and only 5 in which more than 50,000 dwelled: Danzig (52,821), Cologne (54,938), Königsberg (63,239), Breslau (76,813), and Berlin (188,485).25 From these records we may calculate that 92% of the Prussian population lived in cities, towns, or villages with less than 10,000 inhabitants. Beyond the Hohenzollern domains, where the population density was 41.2 persons/square kilometre, the German demographic picture was not consider­ ably different; 7.4% of the inhabitants of the German Confederation lived in a territory more rural than Prussia (28.5–40.1 persons/square kilometre), 41.4% lived in a territory only slightly more populated (41.9–49.7). Only 20.0% of the population lived in one that was 20–100% more densely settled 21

John D. Post: The Last Great Subsistence Crisis in the Western World. London 1977. Simms, The Struggle for Mastery in Germany [see note 19], 9. 23 Deutscher Bund, Deutsches Historisches Museum and Institut für Europäische Geschichte Mainz, accessed 2 July 2012, http://hgisg-mirror.dhm.de/mapbender22/frames/index.php? &gui_id=dhm-09. 24 Johann Gottfried Hoffmann: Uebersicht der Bodenfläche und Bevölkerung des preussischen Staats: Aus den für das Jahr 1817 ämtlich eingezogen Nachrichten. Berlin 1819, 47. 25 Hoffmann, Uebersicht [see note 24], 39, 41, and 46. 22

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than Prussia (51.59–82.8), and less than one-percent of the population – the inhabitants of the four Free Cities of Bremen, Frankfurt, Hamburg, and Lübeck – lived in significantly more densely populated conditions.26 Exclud­ ing Vienna, the combined 1819 population of the 25 largest cities in the Ger­ man Confederation was 1,250,000 – barely equal to that of London.27 An awareness of this type of population distribution is particularly important for understanding how vulnerable local populations were to large armies on mili­ tary campaign and how even their mere transient presence could create severe hardships for the residents of the territories through which they passed. In both of these ways, large numbers of civilians came to experience the depriva­ tions of war. I shall now turn to a discussion of the origins of religious part­ nerships between likeminded German and British Protestants, which is essen­ tial for understanding how these connections were later used by the members of the Committee and its German partners. 4. The Forging of the British Evangelical-German Pietist Network 4.1 The Evangelical Magazine, the London Missionary Society, and The Missionary Magazine Great Britain in the 1790s and early 1800s witnessed the proliferation of a number of similarly spirited, new Protestant religious organizations: the mis­ sionary societies, the Bible societies, the religious tract societies, and the reli­ gious periodical magazines that chronicled their activities, whose appearances marked a new phase in the transdenominational religious renewal movement in Great Britain that is known as Evangelicalism. Whereas before the advent of these new extra-ecclesiastical societies the possible expressions for indivi­ dual British Protestants’ communal religious identity were almost wholly lim­ ited to their church membership in either one of the established Churches, old dissenting groups, or one of the Methodist connections, these new societies helped to create, in Peter L. Berger’s sociological terminology, the “plausibil­ ity structures” of Evangelicalism as a trans-Protestant religious movement. By this I am referring to how these societies gave the variegated Protestants who joined them a sense of affinity, solidarity, and imagined community with other generally likeminded Protestants, with whom they previously had had no formal institutional bonds.28 26 Deutscher Bund, Deutsches Historisches Museum and Institut für Europäische Geschichte Mainz, accessed 2 July 2012, http://hgisg-mirror.dhm.de/mapbender22/frames/index.php? &gui_id=dhm-09. 27 J. H. Clapham: Europe After the Great Wars, 1816 and 1920. In: The Economic Journal 30, 1920, 426; Leonard Schwarz: London, 1700–1840. In: The Cambridge Urban History of Britain: 1540-1840. Ed. by Peter Clark. Cambridge 2000, 650. 28 Peter L. Berger and Thomas Luckman: The Social Construction of Reality: A Treatise in the Sociology of Knowledge. New York 1967.

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For example, in 1793 a group of 24 Anglican priests and dissenting minis­ ters joined together in London to begin publishing The Evangelical Magazine. In explaining their reasons for undertaking this collaboration, the editors observed how periodicals had obtained a “high degree of importance in the republic of letters,” and that therefore, it would be “criminal supineness, or total indifference to the best interests of society, if the servants of Christ were to neglect the use of those means which circumstances have rendered favora­ ble for the propagation of evangelical sentiments.”29 As it was announced on every edition’s title page, the profits of the sales of the Evangelical Magazine were “applied to the relief of the widows of gospel ministers of different denominations.” The September 1794 edition of the Evangelical Magazine fur­ nished the platform for the anonymously issued appeal “from an evangelical dissenter” that led to the formation of the London Missionary Society (LMS) one year later on 22 September 1795.30 Support for this society came from throughout England, Wales, Scotland, and Ireland and the ecumenical spirit at the weeklong founding conference was such that one participant was moved to describe it as “a new Pentecost.”31 Another remarked that the gathering of 200 LMS supporters was, “the funeral of bigotry,” in that what had made the conference so “unspeakably delightful was the visible union of ministers and Christians of all denominations; who for the first time, forget­ ting their party prejudices and partialities, assembled in the same place, sang the same hymns, united in the same prayers, and felt themselves one in Christ.”32 The following year, the Missionary Magazine appeared in Edinburgh, a publication whose editors announced that it was “neither the property nor the production of any Missionary Society,” but one which was “devoted to the object which all such Societies profess to have in view [. . .] the propaga­ tion of the Gospel of Jesus Christ.”33 Stating their intentions to record “the progress of Christianity, being made by the exertions of religious communi­ ties, which are exceedingly unlike each other,” the editors explained that this magazine would “gladly acknowledge all who translate the Holy Scriptures into the native languages of those among whom they preach,” thereby ali­ gning themselves against “the spirit of party,” in favor of “friends of simple revealed truth.”34 Beyond their warm religious sentiments, these new societies and publications created very tangible networks, ones which were quite effec­

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Preface. In: Evangelical Magazine 1, 1793, 1sq. Address to Evangelical Dissenters. In: Evangelical Magazine 2, 1794, 378–380. 31 Missionary Society. In: Evangelical Magazine 3, 1795, 425. 32 Missionary Society [see note 31], ibid. 33 Preface. In: Missionary Magazine, a Periodical Monthly Publication intended as a Reposi­ tory of Discussion and Intelligence respecting the Progress of the Gospel throughout the World 1, 1796, i. 34 Preface [see note 33], ii. 30

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tive at disseminating information and raising funds, as their annually publis­ hed organizational reports clearly demonstrate. 4.2 The German Christianity Society and its Collections for the Lovers of Truth and Godliness A highly significant moment for this newly reinvigorated Evangelical reli­ gious movement in Great Britain came in the late 1790s when British Evange­ licals established contacts with likeminded Protestants in German-speaking Europe, who, since its founding in Basel in 1780, had been joining themselves together to form the similarly pan-Protestant, Christianity Society (CS – Christentumsgesellschaft), under the leadership of the Lutheran pastor Johann August Urlsperger.35 Urlsperger had completed his own university studies at Halle in 1753 and in 1775 he received an honorary doctorate from the theo­ logy faculty at Tübingen for his defense of the ancient Nicene doctrine of the Trinity as a Biblical idea, for which in the history of theology he has been cre­ dited with introducing the distinction between the economic Trinity (Offen­ barungsdreyeinigkeit) and the essential Trinity (Wesensdreyeinigkeit).36 In the late1770s, Urlsperger began to develop his vision for a new ecumenical and inter­ national Protestant religious society, one that would be dedicated to “promo­ ting, vindicating, and reviving Christianity in its fundamental purity in knowledge and practice.”37 During the 16-months between August 1779 and November 1780, Urlsperger traveled throughout Bavaria, the Rhineland, the Low Countries, Hannover, and Prussia in search of like-minded Christians to join him in this undertaking.38 On 11 April 1780 Urlsperger addressed, in English, a gathering of the Society for Promoting Christian Knowledge in London to inform them “that sincere and intelligent Christians in different parts of the world, desirous of defending, and spreading the Gospel of Jesus Christ, by means chiefly adapted to the present time” had formed for these purposes. Urlsperger explained to 35 Horst Weigelt: Johann August Urlsperger und die Anfänge der Christentumsgesellschaft. In: PuN 7, 1981, 52–56. 36 Thomas K. Kuhn: Art. „Johann August Urlsperger“. In: BBKL 12, 1997, 940–943; Georg Christian Knapp: Vorlesungen über die christliche Glaubenslehre nach dem Lehrbegriff der evan­ gelischen Kirche. Bd. 1. Halle 1827, 259–260; Wolfhart Pannenberg: Systematische Theologie. Bd. 1. Göttingen 1988, 317. 37 Johann August Urlsperger: An Address to All Sincere promoters of the Kingdom of God, Resident in England, concerning the Establishment of an association for promoting, vindicating, and reviving Christianity in its fundamental purity in knowledge and practice. London 1780, 8sq. See also Johann August Urlsperger: Etwas zum Nachdenken und zur Ermunterung für Freunde des Reiches Gottes. In: Die Christentumsgesellschaft in der Zeit der Aufklärung und der beginnenden Erweckung: Texte aus Briefen, Protokollen und Publikationen. Hg. v. Ernst Stähelin. Basel 1970, 97–99. 38 Die Christentumsgesellschaft [see note 37], 7.

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his auditors how recent developments in European religious life necessitated a new level of concerted action on the part of those who would “build, enlarge and protect the invisible temple of God.”39 Elaborating on the subject of “the state of religion and erudition in Germany” Urlsperger declared that “Socian­ ism, Arianism and Freethinking prevail in many provinces,” a state of affairs which had resulted in the “decay of true learning and important knowledge throughout Germany” and caused “the greatest confusion and the decline of the sciences and Christianity.”40 Despite his serious concerns regarding the “great multitude of those who deviate in, and swerve from sound doctrine, and pure morals,” Urlsperger was encouraged by the fact that that there “yet remain many that strictly adhere to both.”41 Urlsperger then related how the purpose of his proposed society was to achieve three interrelated goals: (1) “to establish a salutary intercourse between sincere Christians;” (2) to “promote and cultivate among them practical Christianity;” and (3) to “then invite everyone without compulsion to participate in these blessings.”42 One of the ways Urlsperger intended to accomplish these goals was through the publication of “edifying and pleasing works and treatises” which “are free from party spirits” and “thereby show the right complexion of sound Christianity.”43 In 1786 the CS began publishing a monthly religious periodical, Collections for the Lovers of Christian Truth and Godliness (Sammlungen für Liebhaber christlicher Wahrheit und Gottseligkeit), which in its tone and con­ tent was highly similar to the Evangelical Magazine and the Missionary Maga­ zine and quickly accumulated subscribers from the Black Forrest to the Baltic Coast, thereby linking together in its readership what the former professor of church history at the University of Erlangen Erich Beyreuther characterized as “the fourth generation of pietism.”44 Its first installment declared how it was “the duty of every Christian to promote pure doctrine and true godliness in the districts in which he lived,” and enjoined the members of its audience to pray that these might be spread “throughout the entire world so that through Jesus Christ, God the Father would be more widely and more zea­ lously revered.”45 While the ministers of the German Lutheran, German Reformed, and the Dutch Reformed churches in London joined many of their coreligionists on the continent in becoming members of the CS, as Eamon Duffy has noted, the SPCK’s response to Urlsperger’s overtures was quite cool; their members, who, except for a few foreign chaplains attached

39 40 41 42 43 44 45

iii–v.

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Urlsperger, An Address [see note 37], 10. Urlsperger, An Address [see note 37], 19. Urlsperger, An Address [see note 37], 19. Urlsperger, An Address [see note 37], 9. Urlsperger, An Address [see note 37], 9. Erich Beyreuther: Geschichte des Pietismus. Stuttgart 1978, 331–346. Vorrede. In: Sammlungen für Liebhaber christlicher Wahrheit und Gottseligkeit 1, 1786,

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to the Court of St. James, belonged exclusively to the Church of England, showed no interest in either supporting or becoming involved with this new, foreign, extra-ecclesial society.46 4.3 German Partnerships with the London Missionary Society News of the founding of the LMS reached Germany through various chan­ nels. Upon reading about the society’s founding in a Hamburg newspaper, Baron August von Schirnding wrote a letter to the society’s board of directors to express his support for their evangelistic endeavors at a time when, “the first principles of Christianity are attacked, disfigured, or renounced, accord­ ing to men’s caprice” and “the characteristic doctrines of Protestantism are decried as irrational, and their defenders treated with contempt and ridi­ cule.”47 According to this Saxon noblemen and devout member of the Mora­ vian Brethren (Unitas Fratrum), just as “Luther, the great reformer, amidst a thousand perils, rising superior to the fear of men confessed, and faithfully defended the doctrines of Christianity,” so too in his day it was incumbent upon among those who adhered to “the pure religion of the Augsburg Con­ fession to preserve it against the artful and violent attacks of its enemies.”48 Schirnding’s Jeremiad climaxed with the rhetorical question, “Has not God sent strong delusions [2 Thessalonians 2:11] even into our pulpits, where men, affecting to be wise above what is written, have changed the truth of God into a lie [Romans 1:25]?”49 Perceiving himself to be living through such evil days, Schirnding rejoiced at the seemingly providential opportunities to ally himself with like-minded Protestants in Britain. Schirnding’s letter was subsequently published in 1796 in The Evangelical Magazine and The Missionary Magazine, and republished in 1798 in New Hampshire as part of a series of “circular letters to the ministers and churches of every Christian denomina­ tion,” which were designed to promote “the revival of religion and the advancement of Christ’s Kingdom on Earth.”50 In 1798 Schirnding was made a member of the LMS’ board of directors and two years later he financed the creation in Berlin of the first Protestant mis­ sionary training institute in the world, which began classes on 1 February 46 Eamon Duffy: The Society for Promoting Christian Knowledge and Europe. In: PuN 7, 1981, 28. 47 August von Schirnding: An Address to the British Nation. In: The Missionary Magazine 1, 1796, 112sq. 48 Schirnding, An Address [see note 47], 114sq. 49 Schirnding, An Address [see note 47], 115. 50 Circular Letters, Containing, an Invitation to the Ministers and Churches of every Christian Denomination in the United States, to unite in their Endeavours to carry into Execution the “Humble Attempt” of President Edwards, to promote explicit agreement and visible Union of God’s People, in Extraordinary Prayer, for the revival of religion and advancement of Christ’s Kingdom on Earth. Concord, NH 1798, 24–32.

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1800.51 As early as 1799 the LMS reports speak highly favorably of their Ger­ man partners, remarking We have to rejoice in the zealous efforts of our co-director, the honored Baron Van Skirnding [!], who labors so abundantly to spread the Gospel in Germany, by the same methods we have adopted at home [. . .] None are known to be men of more patient perseverance and excellent spirit, than our German brethren; and those trained to self-denial and activity under the baron’s eye, are likely to prove as able and useful missionaries as our own.52

When he experienced an unexpected series of reversals in his personal for­ tunes that scuttled his grand plans to establish missionary stations in presentday Hawaii and British Columbia, the LMS and CS stepped in to supply funds so that this institute, whose graduates were commissioned to minister abroad by the LMS, the Church Missionary Society, and the Dutch Missionary Society, might be able to continue to remain open.53 The missionary institute was operated by Schirnding’s fellow Moravian and CS member, Johannes Jaenicke, the pastor of the Brethren’s Berlin con­ gregation, who would later become one of the most vocal critics of Friedrich Schleiermacher. The intimation of Jaenicke’s remarks in a derisive pun that he played upon Schleiermacher’s name during a 15 June 1817 sermon in which he prayed for God to remove the “veils that cover the eyes of all veil-makers [2 Corinthians 3sq.],” was that Schleiermacher, who famously described him­ self as “a Moravian of a higher order,” did not, in fact, know the Gospel at all, and was those who were spiritually “perishing.”54 Such was the religious opi­ nion, in regards to Schleiermacher’s plans to modernise and regenerate Ger­ man Protestantism, of the man to whom young men from Bavaria, Bohemia, East Prussia, Hanover, Holstein, Pomerania, Thuringia, and the Germancommunity in present-day Estonia were coming for missionary training, before subsequently being sent out to present-day China, India, Indonesia, Jerusalem, Sierra Leone, South Africa, Tunisia, and Sri Lanka.55 A second and arguably more significant publicization of the LMS in Ger­ many came about through Peter Mortimer, an English-born member of the 51 Wilhelm Oehler: Frühzeit und Blüte der deutschen evangelischen Mission, 1706–1885. Baden-Baden 1949, 115sq. 52 London Missionary Society: Four sermons preached at the fifth general meeting of the Missio­ nary Society, to which are added, the report of the directors, the proceedings of the meeting and a list of the subscribers. London 1799, xiv–xv. 53 J. Orin Oliphant: A Project for Christian Mission on the Northwest Coast of America, 1798. In: The Pacific Northwest Quarterly 36, 1945, 107; Oehler, Frühzeit und Blüte [see note 51], 116; Karl Friedrich Ledderhose: Johann Jaenicke, der evangelisch-lutherische Prediger an der böhmi­ schen- oder Bethlehems-Kirche zu Berlin, nach seinem Leben und Wirken dargestellt. Berlin 1863, 105sq. 54 Ernst Ludwig von Gerlach: Aufzeichnungen aus seinem Leben und Wirken, 1795–1877. Bd. 1. Hg. v. Jakob von Gerlach. Schwerin 1906, 103. 55 Ledderhose, Jaenicke [see note 53], 105–130.

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Moravians then living in Saxony.56 After obtaining a copy of the LMS’s publi­ cation that described its founding and included the sermons that were preached on this occasion, Mortimer informed those in attendance at the 42nd annual Herrnhut Preachers’ Conference (Predigerkonferenz) in 1796 of these recent developments in Great Britain.57 The proceedings of this gathering were widely read by sympathetic pietistic Protestants in Germany, Switzer­ land, Holland, Denmark, Sweden, Norway, Estonia, Hungary, and Roma­ nia.58 Furthermore, in 1797 Mortimer published a complete German transla­ tion of the Society’s initial publication, one which was read by members of the leadership of the CS, who subsequently contacted their counterparts in the LMS.59 It was the boldness of the LMS’s plans to send evangelists to areas of the world where Christianity was not practiced that attracted the attention of the CS.60 Following the initial correspondence exchanged between the exe­ cutive committees of the LMS and the CS between February and November 1798, the CS began to regularly solicit its members for financial contributions to support the work of the LMS, whose own reports from 1799 gratefully acknowledge the sums of money received from Basel, Zürich, and Frank­ furt.61 From 1798 onwards, the director of the CS was also always made a codirector of the LMS.

4.4 Carl Friedrich Adolf Steinkopf: The principle bridge between German Pietism and British Evangelicalism These British Evangelical and German Pietist networks more fully con­ verged when the secretary of the CS from 1795 to 1801, Carl Friedrich Adolf Steinkopf, who had lived in Evangelische Stift in Tübingen and studied theol­ ogy there with the future philosophers Georg Wilhelm Friedrich Hegel and Friedrich Wilhelm Joseph Schelling and the Romantic poet Friedrich 56 The Music of the Moravian Church in America. Ed. by Nola Reed Knouse. Rochester, NY 2008, 279. 57 Hellmut Reichel: Die Anfänge der Herrnhuter Predigerkonferenz. In: UnFr 17, 1985, 12. 58 Missionary Communications from Germany and America. In: Evangelical Magazine 4, 1796, 544sq. 59 Peter Mortimer: Die Missions-Societät in England: Geschichte ihres Ursprungs und ihrer ers­ ten Unternehmungen. Barby 1797; Karl Friedrich Adolf Steinkopf: Der Engere Ausschuß der Gesell­ schaft zur Beförderung christlicher Wahrheit und Gottseligkeit an die Direktoren der englischen Missions-Gesellschaft. In: Die Christentumsgesellschaft in der Zeit der Aufklärung und der begin­ nenden Erweckung [see note 37], 405–409. 60 An Introductory Memorial Respecting the Formation of the Missionary Society. In: Ser­ mons Preached in London at the Formation of the Missionary Society, September 22, 23, 24, 1795. London 1795, iv. 61 The Report of the Directors to the Members of the Missionary Society. In: Four Sermons Preached at the Fifth General Meeting of the Missionary Society, May 8, 9, 10, 1799. London 1799, xiv.

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Hölderlin, accepted a call in 1801 to pastor St. Mary’s Lutheran Church in London, which had ministered to the German émigré community in the Eng­ lish capital since 1694.62 Throughout the 59 years that he served this congre­ gation, 1801–59, preaching regularly up until the week that he died, Stein­ kopf made important leadership contributions to the broader Evangelical movement in Great Britain, from his involvement in the founding of the Brit­ ish and Foreign Bible Society in 1804 to his active participation in the Evan­ gelical Alliance from its founding in 1846.63 Upon his death, the president of the latter organization, Sir Culling Eardley, eulogized Steinkopf as, “A Lutheran clergymen, who loved all who love the Lord Jesus and seek to promote His glorious kingdom [. . .] [and who] was the instrument of diffusing over the Con­ tinent of Europe, perhaps more widely than any other individual, a more correct knowledge of the Christianity of England.”64

Throughout the French Revolutionary and Napoleonic era, British Evan­ gelicals and German Pietists spoke grimly about the future of Christianity in Europe. In an allusion to Revelation 2, Steinkopf wondered in 1799 if, because of the “great increase of apostasy,” Christ would not soon remove “the candlestick of the Gospel from what has been hitherto called Christian Europe.”65 The desire to forestall such an outcome and re-Christianize Europe was the motivation behind the foundation of the Religious Tract Society (RTS) in 1799 and the British and Foreign Bible Society (BFBS) in 1804, both of which eagerly courted opportunities to expand their activities to the conti­ nent, where they were warmly welcomed by German Pietists. One example of this may be seen in Steinkopf’s translation of a lengthy 27 February 1803 letter, that Johann Heinrich Jung wrote to the directors of the RTS, and which was subsequently published in the Evangelical Magazine.66 Jung was a man of myriad talents and exceedingly diverse interests. During his life he was well known as an eye surgeon who had performed most of his 2000 cataract surgeries free of charge; as a professor of economics and finance at the Universities of Kaiserslautern, Heidelberg, and Marburg; as a literary companion of Goethe, who so highly esteemed his works that he published Jung’s memoirs without his permission; and as the author of a numerous pie­ tistic devotional writings.67 Commenting on the latest missionary and revival 62 63 64 65

Karl Rennstich: Art. “Karl Friedrich Adolf Steinkopf”. In: BBKL 10, 1995, 1306–1309. Death of the Rev. Dr. Steinkopff. In: The Standard, 30 May 1859, 6. Meetings and Transactions. In: Evangelical Christendom 13, 1859, 219. Karl Friedrich Adolf Steinkopf: Foreign Correspondence. In: Missionary Magazine 4, 1799,

101. 66 Translation of a Letter from Professor Young in Marburg. In: Evangelical Magazine 11, 1803, 503–506. 67 G. Propach: Die Welt des Auges bei Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817). In: Klini­ sche Monatsblätter für Augenheilkunde 187, 1985, 147–150; F. Ernest Stoeffler: German Pietism During the Eighteenth Century. Leiden 1973, 256sq.; Max Geiger: Aufklärung und Erweckung:

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news, which he almost certainly had read in the January 1803 instalment of the CS’s Collections that reported on these areas, Jung exclaimed, “Blessed be the Lord, who causes his vivifying Spirit to move round the globe, from Ken­ tucky to Tahiti, and from Greenland to the Cape of Good Hope! And praised be his name, that, in many places, he raises up men who exert themselves with zeal and fidelity in the cause of the kingdom of God, and unite together for his service!”68 Indeed, by this time, regular news of English, Scottish, Dutch, and Moravian missionary societies’ activities, the so-called Nachrichten aus dem Reich Gottes, had become a regular feature of the Collections, and in some months, constituted as much as one-third of the journal’s space.69 However much reading such dispatches had pleased his religious sensibilities, Jung’s thoughts lost all their joy when they turned to the spiritual condition of his homeland. Jung believed that more active cooperation with British Evangeli­ cals was essential for the realization of the religious reforms that he desired to see in Germany. Germany is the principal seat of Christendom. Here the greatest Christian Prince resides; here it is that the chief parties, both in philosophy and religion, arose; and here, on the other hand, is likewise the chief seat of Infidelity and Apostasy from Christ. You would scarcely believe to what lengths people have proceeded. In the Prussian and Saxon states, they preach boldly from the pulpits, that to worship Christ is idolatry; and that the redemption of sinners, by his sufferings and death, is nothing but old superstition. Dreadful indeed! Here and there a minister is still to be met with who preaches the truth; but their number decreases more and more; and the apostasy so plainly foretold by the apostle Paul rushes in like a torrent, breaking through all banks [2 Thessalonians 3:3–12]; but God will protect his little flock, and will deliver and preserve us. Here, in Germany, the beast will soon arise out of the earth, and make common cause with the Man of Sin (the beast out of the bottomless pit) [Revelation 13]. May the Lord help us that we may be found faithful, boldly tes­ tifying of the truth, and patiently enduring unto death, that so we may obtain the crown of life! It would, doubtless, be a great advantage if true Christians, in England and Germany, would join hand-in-hand and labor in fellowship; and if the German Tracts for edification were extensively circulated in England, and the English Tracts in Germany; by this means, our prayers, in behalf of each other, would be more extended and more effectual, and the work of God be powerfully promoted.70 Beiträge zur Erforschung Johann Heinrich Jung-Stillings und der Erweckungstheologie. Zürich 1963, 13–38. 68 Verschiedene Missionsnachrichten und Merkwürdigkeiten, Antwortschreiben der Direkto­ ren der Engl. Missions-Gesellschaft auf den Brief des Engern Ausschusses der deutschen Gesell­ schaft in Basel, vom 20sten Jul. 1802, and Auszug eines Schreibens von Seiner Hochehrwürden, Herrn G. Baxter, erstem Lehrer der Washington hohen Schule in Amerika, vom 1sten Jenner 1802. In: Sammlungen für Liebhaber christlicher Wahrheit und Gottseligkeit 18, 1803, x, 10, 12; Translation of a Letter from Professor Young in Marburg, 503. 69 Wilhelm Schlatter: Geschichte der Basler Mission, 1815–1915. Bd. 1. Basel 1916, 12. 70 Translation of a Letter from Professor Young in Marburg. In: Schlatter, Geschichte der Bas­ ler Mission, 1815–1915 [see note 69], 505sq.

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The ability of British Evangelicals to communicate and cooperate with Ger­ man Pietists, like Jung, depended largely, if not entirely, upon Steinkopf’s comprehensive Continental contacts. By 1802 the CS had “several thousand members and affectionate friends” in over one hundred cities and towns, most of which were in Germany or Switzerland, as well as several in Denmark, France, the Netherlands, and Sweden, while agents of the society were at work translating and distributing its literature in Austria, Bohemia, Hungary, Poland, and the United States.71 Several years after moving to London and settling in his new parish, Steinkopf reassumed secretarial duties, serving as the foreign secretary to the BFBS from 1804 until 1826 and as foreign secre­ tary to the RTS from 1808 to 1819. Since the year of its founding, the BFBS was in regular contact with CS members such as Jaenicke in Berlin, Johann Tobias Kiessling in Nuremberg, and Johann Friedrich Oberlin in Alsace-Lorraine.72 In 1806, Jaenicke announced in his Address to the Christians in the Prussian States, his desire to form a Bible Society in Prussia, whose purpose would be to print and freely distribute German, Polish, and Czech-language Bibles to the poor of that kingdom, one which would be modeled after the BFBS and the German Bible Society that Steinkopf had helped to found in Nuremberg in 1804. Steinkopf translated Jaenicke’s appeal for funds for publication in the BFBS’ annual report, in which the latter credited British evangelicals with the creation of this new type of extra-ecclesiastical society that he sought to emulate. In the powerful kingdom of Great Britain, a society has been formed, consisting of Christians of all ranks and religious denominations, for the laudable purpose of pro­ pagating the word of God to the utmost of their power by cheap distribution among the poor. No fire burns upon the altar of the Lord, without spreading its flames. This fire has also extended its flames. The zeal of Christians in England has also infused itself into the hearts of Christians in Germany.73

In 1812, the BFBS commissioned Steinkopf to make a thorough tour of the continent in order to inquire as to the prevailing spiritual conditions of its inhabitants, particularly, the availability of Bibles. From June to December, Steinkopf visited Sweden, Denmark, Germany, and Switzerland, travelling through, among other towns, Gothenburg, Copenhagen, Hamburg, Hann­ over, Göttingen, Erfurt, Frankfurt, Darmstadt, Stuttgart, Tübingen, Zürich, Schaffhausen, Basel, Karlsruhe, Erlangen, Leipzig, Dresden, Herrnhut, Halle, Braunschweig, Schleswig, and Flensburg. In a 9 December 1812 letter written 71 Account of the Basil Missionary Society. In: The Missionary Magazine 7, 1802, 295–299; Steinkopf, Der Engere Ausschuß der Gesellschaft zur Beförderung christlicher Wahrheit und Gott­ seligkeit an die Direktoren der englischen Missions-Gesellschaft. In: Account of the Basil Mission­ ary Society [see note 71], 407sq. 72 Reports of the British and Foreign Bible Society. Vol. 1: For the Years 1805–1810, Inclu­ sive. London n.d, 29sq., 34, 40sq. 73 British and Foreign Bible Society [see note 72], 90.

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to his fellow directors of the BFBS upon his arrival back in London, Steinkopf remarked he “could not sufficiently bless God’s sacred name for having privi­ leged me to minister the bread of life to so many hungry souls, to put that blessed book, the Bible, in to the hands of thousands of poor in various coun­ tries and languages, to encourage the Bible Societies and Bible Committees already established, to add others to their number, and to return laden with the benedictions of the Gospel of peace.”74 By 31 December 1814, there were Bible Societies in 40 continental European cities: 16 in Germany, 6 in Swit­ zerland, 4 in Sweden, 2 each in the Netherlands, Russia, Ukraine, and Esto­ nia, and 1 each in Denmark, Finland, Hungary, Latvia, Lithuania, and Nor­ way.75 Each of these was either receiving funding from the BFBS or had been modeled after it. Also by this time, the British Society had purchased or pub­ lished 95,000 Bibles and 104,000 New Testaments in 24 continental European languages.76 In Steinkopf’s eyes, these areas of cooperation were a visible sign of “the delightful bond of union which subsists between British and Conti­ nental Christians.”77 5. The Founding of the Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany and its first period of activity, November 1805–November 1808 The background information of the preceding sections helps to place into proper historical context, the 23 October 1805 letter that Jung wrote to Steinkopf, in which Jung described some of the hardships that many were then experiencing in Germany and appealed to Steinkopf to organize aid on their behalf in the United Kingdom. But six weeks ago the Emperor Napoleon was at Boulogne; and now he is in the heart of Bavaria at the head of 150,000 men; and the Austrian army is either killed, taken prisoner, or dispersed. How will this end! The whole of Germany and the northern nations are in arms [. . .] Last summer there was such a scarcity in several parts of Saxony, Lusatia, Silesia, Bohemia, Austria, and other neighbouring pro­ vinces, that many baked bran for bread, and used grass for vegetables; some people even went to the those places where the dead horses were thrown, and fed upon their flesh! Now, in addition to the usual population of the country, there are 150,000 men coming from the west, and more than 100,000 from the east, who must also be fed; and in the northern parts the harvest has again been very scanty. My very heart 74 Karl Friedrich Adolf Steinkopf: Letter XVII. In: Letters Relative to a Tour on the Continent Undertaken at the Request of the Committee of the British and Foreign Bible Society in the Year 1812. Burlington, NJ 1815, 110. 75 Bible Societies established in Foreign Parts, encouraged by pecuniary aid from the British and Foreign Bible Society, or by its example. – Also Editions of the Scriptures printed, or print­ ing, by them, in various Languages and Dialects, aided by Donations from the Same Society In: The Eleventh Report of the British and Foreign Bible Society. London 1815, 510–512. 76 Bible Societies established in Foreign Parts [see note 75], 510–512, 514. 77 Steinkopf, Letters [see note 74], v.

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bleeds at the sight of this universal distress. Oh that some relief might be afforded us! And perhaps our hopes of receiving some assistance from England may not be disap­ pointed.78

That same month, Steinkopf also received letters of a similar nature from Nuremberg and Stuttgart, which moved him to undertake efforts to raise the British public’s awareness of this difficult state of affairs in Germany. One month later, the Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Ger­ many was formed at a 22 November 1805 meeting in London. Of the 27 members who officially constituted this committee, 23 were lay, upper-middle class businessmen and professionals, and four were ministers of German Protestant congregations in London; 17 of the 27 members of the Committee were also committee members of the BFBS.79 According to the first published report of the Committee, these individuals decided that November evening to advance an unspecified amount of money, presumably from their own personal resources, to several of Steinkopf’s contacts on the continent, so they might be able to immediately begin to provide some suc­ cour to those in desperate circumstances, with the expectation that a public appeal would enable them to recoup this initial outlay. Steinkopf’s transla­ tions of the stream of plaintive German correspondence that he was receiving appeared soon thereafter in the December 1805 editions of the Evangelical Magazine,80 the Christian Observer,81 which was the official organ of the Church of England, as well as in the January 1806 edition of the Missionary Magazine.82 Reminding the readers of these publications of the widespread intercessory prayer meetings that German Pietists had held on Britain’s behalf 78 Distress in Germany!! Copies of letter relative to the Sufferings of the People in Germany. In: Evangelical Magazine 13, 1805, 569sq. 79 Members of the Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany and Other Parts of the Continent (* indicates committee membership in British and Foreign Bible Society): *William Alers, Esq.; *Wilson Birkbeck, Esq.; *Mr. Joseph Butterworth; Richard Chester, Esq.; George Hammond, Esq.; Joseph Hardcastle, Esq. Committee Treasurer; *John D. Hose, Esq.; *Robert Howard, Esq.; Rev. W. Kueper; *Richard Lea, Esq.; *Alexander Maitland, Esq.; *Ambrose Martin, Esq.; George Meyer, Esq.; Mr. Robert Middleton; *Samuel Mills, Esq.; *Joseph Reyner, Esq. Committee Treasurer; *Herman Schroeder, Esq.; Rev. C. Schwabe; Rev. George Segelken; Henry Siffken, Esq.; Alexander Shirreff, Esq.; *Joseph Smith, Esq.; *Rev. Karl Friedrich Adolf Steinkopf; *Robert Steven, Esq.; *Christopher Sundius, Esq.; *Thomas Wilson, Esq.; *George Wolff, Esq. The Committee for the Relief of Distress in Germany and Other Parts of the Continent: First Report of the Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany, and Other Parts of the Continent. London 1806, 4 (Moravian Church Archives, Bethlehem, Pennsylvania, Pamphlet 711); British and Foreign Bible Society. In: Reports of the British and Foreign Bible Society [see note 72], 8. 80 Distress in Germany!! Copies of letter relative to the Sufferings of the People in Germany [see note 78], 569sq.; First Report of the Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany [see note 79], 4. 81 Continental Intelligence. In: The Christian Observer 4, 1805, 706sq. 82 Distress in Germany. Copies of letter relative to the Sufferings of the People in Germany. In: Missionary Magazine 11, 1806, 32–36.

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when a French invasion seemed imminent in 1803, Steinkopf prefaced these letters with his hopes British Christians would now likewise reciprocate and then give financially according to their ability to do so. The level of the response to this request for aid was highly impressive. The Committee’s first public report appeared two months later on 22 January 1806 and included a list of those whose contributions had been received by this time. These records indicate that the Committee had received £6,052 12s 1d from 1,129 individual donors; of these, 181 had given less than one pound, 281 between one and two pounds, 164 between two and three pounds, 243 between three and six pounds, 137 between six and eleven pounds, 97 between eleven and twenty-five pounds, 17 between twenty-five and forty pounds, and 9 between forty and one-hundred pounds. Additionally, these records report that there were a total of 105 special collections taken in churches in the 64 cities, regions, towns, and villages that are listed in Appen­ dix A, which in aggregate yielded another £4,829 0s 2d. Ensuing official reports of the Committee and articles in the aforemen­ tioned religious periodicals recorded the overwhelming gratitude with which Germans received these funds and, as the news of this munificence spread, their pages filled with additional tales of woe and appeals for further aid. Regrettably, from a historian’s perspective, in order to protect the secrecy of the channels through which the aid flowed, the Committee generally did not publish the names of Steinkopf’s correspondents, however, in certain cases it is possible to deduce whom they most likely were. In one of the first replies received from Germany, dated 6 December 1805, a German pastor wrote: Your letter of 22nd of November 1805 had an astonishing effect on us all. The deter­ mination of English philantropists to relieve those who are suffering all the calamities of war, we justly ascribe to a very gracious interposition of Divine Providence, and are fully convinced, that what they now sow, they shall more abundantly reap at the day of the great harvest, when all the blessings now implored for them shall richly descend upon them. We were forcibly struck with this passage [2 Corinthians 9:8–9] ‘God is able to make all grace abound towards you, that ye always having sufficiency in all things, may abound to every good work, as it is written, He hath dispersed abroad, he hath given to the poor; his righteousness remaineth forever [emphasis in original].’ O how great is our God and Saviour towards those who were on the very brink of destruction!83

Another missive, also dated 6 December 1805, arrived in London from Tobias Kiessling, who combined his merchant business with the distribution of Bibles in Austria.84 83 First Report of the Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany [see note 79], 2. 84 Friedrich Wilhelm Budemann: Johann Tobias Kiessling, nach seinem Leben und Wirken darge­ stellt. Nördlingen 1855, 108–111.

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I cannot express the excess of my joy, when I received your letter of the 22nd of November, in which I read with astonishment, that One Hundred Pounds sterling, have been assigned to our distribution among those Austrians, and others, who have been plunged by the war into poverty, want and distress. I felt like Peter at the mira­ culous draught of fishes, and was so overcome by the view of this providential assis­ tance, that I could not help exclaiming, “Lord depart from me, I am a sinful man!” [John 21:1–14] [. . .] As soon as I had received the £100, I placed it in the hands of Rev. Mr. X, till we can obtain from different ministers and magistrates the best information respecting those families and individuals who have suffered most severely. We will pay a due regard to good and pious people, but wherever we meet with great distress, we shall think it our duty to administer relief. There will be soon a meeting of a committee, at which the matter will be more fully considered.85

A 3 January 1806 letter from Erfurt enumerated some of the problems then prevalent in Saxony. You know how much our manufactures had already suffered during the last war, and that a great number of workmen are deprived of their subsistence. This distress has of late been constantly increasing, so that all commerce is at a stand. Since the last fairs of Frankfurt and Leipzig, the manufacturers have been obliged to discharge their remaining workmen and now their families are abandoned to hunger and des­ pair [. . .] Much has been added to this distress by the late bad harvest. In the hilly parts of the country all the potatoes were spoiled by the frost [. . .] What these poor people are to do when the little store of corn is consumed, or all delivered to the military magazines, nobody knows; without hope they are abandoned to perish by hunger [. . .] We now often hear of persons who have put an end to their lives. One man, a father of six children, has swallowed poison and another, the father of five, has hanged himself.86

A 4 January 1806 letter from a minister in Loccum, Hannover described how this town faced virtual agricultural ruin because of how the French, Prussian, Russian, Swedish and British Armies that had passed through its borders on campaign had requisitioned nearly all of its horses, most of which, if they were returned at all, came back crippled and unfit for farm work.87 Two weeks later, a letter arrived from the Mayor of Hannover that lamented how for: Nearly thirty-two months we have now sighed under the burden of hostile, neutral, and friendly troops quartered upon us, whereby the physical strength of our country (which in itself is not rich) has been exhausted. But the most formidable enemy, which now threatens us, is Famine, as the last harvest has quite failed; potatoes, vege­ 85 First Report of the Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany [see note 79], 2. 86 Second Report of the Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany, London 1807, 1. 87 Second Report [see note 86], 1.

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tables, and fruits are now nearly consumed. May God have mercy upon us and help us.88

Similarly, an 8 January 1806 letter from Memmingen, near Munich, reported how, When the Austrians first arrived here, in endeavouring to fortify the city, they ruined many hundred acres of rich garden ground. Many families, which supported themselves by cultivating hops, lost their all. When the French came, our misery increased. For four days no house had less than six soldiers quartered upon them, most had from sixteen to twenty, and many even from fifty to sixty. Had they been satisfied with what our poor citizens could afford, it would have been tolerable, but I shall never forget their cruelty. Having an officer quartered upon me, I used to hear the cries and lamentations of the poor, whom these barbarians had driven from their own houses, because they were unable to supply them with delicacies for the gratifi­ cation of their palate.89

One 19 January 1806 letter from Baden recounts how a recipient of a note for £300 had been able to exchange this locally for 3,234 florins and 58 kreu­ zers. This correspondence then details, rather more personally than the others, how among those this grant benefitted was a young silversmith in Sinsheim, near Karlsruhe, whose shop was completely looted during the French occupa­ tion.90 A professor of history and belles-lettres from Lüneburg supplied a very tho­ rough accounting of their circumstances in a 19 January 1806 letter. Upon a total pre-war population of 11,000, there had been quartered a cumulative total of 80,000 men and 14,000 horses from May 1803 to December 1805 as the French and Coalition Armies transited North Central Germany. The costs of provisioning these foreign troops, combined with the attendant economic collapse ran into the millions of thalers and bankrupted the town; one-fourth of the population was said to have been “completely ruined,” having nothing left of their property and become forced to subsist as day labourers. From his perspective, More dreadful than all this, is the moral corruption and the diseases, that have been brought into our country by the war. Infidelity, illicit intercourse of the sexes, with all its dreadful consequences, contempt of the most sacred obligations are the melan­ choly bequests left to us. They are spread, and have taken deep root among the higher and lower classes, and show, even now, symptoms, which must blight for many generations the noblest hopes of humanity.91 88 89 90 91

Second Report [see note 86], 2. Second Report [see note 86], 2. Second Report [see note 86], 3. Second Report [see note 86], 3sq.

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On 20 January 1806, Rev. Christian Ignatius Latrobe, an English member of the Moravians of Huguenot ancestry, who had studied at their theological college at Niesky in Saxony and then introduced the liturgical music of Mozart and Haydn to Great Britain,92 received a letter from Herrnhut that told of the “great distress” then prevailing in Upper Lusatia and Bohemia to such a degree that the malnutrition, starvation, and unemployment in these areas had reached levels beyond which the Brethren could address with their local resources. Latrobe forwarded their request for assistance to the Commit­ tee who then agreed to begin sending aid directly to Herrnhut so that the Moravians might be able to begin distributing it throughout their own sizable network.93 Many other letters from Germany bearing a similar tone could be included here, but the sufficiently representative nature of the aforemen­ tioned, combined with the constraints of space, force us to move forward. In response to letters such as these, the British public continued to donate to the Committee throughout 1806, 1807, and 1808. Reports published in the Evangelical Magazine note that by August 1806 a total of £17,779 10s 4d had been received, a figure which rose to over £21,000 by September 1807, and to £24,283 11s 10d by the Committee’s third anniversary in November 1808, when it decided to close its accounts.94 For a number of reasons, British charity turned at this time away from Germany and towards Swedish Finland, where the residents were grappling with the hardships of a Russian invasion. After aiding the Swedes in 1809, the Committee remained dormant from 1810 until January 1814, when news of the Battle of Leipzig, to this time the largest battle in European history, in addition to the news of the decision of the general in command of the French Army then besieged by Coalition for­ ces in Hamburg to expel the civilian population of the city, some 50,000 inha­ bitants, in the middle of winter, deeply moved British Christians and promp­ ted them to renew their interest in Germans’ welfare with great alacrity.95

92 Rachel Cowgill: ‘Hence, base intruder, hence’. Rejection and Assimilation in the Early Eng­ lish Reception of Mozart’s Requiem. In: Europe, Empire, and Spectacle in Nineteenth-Century British Music. Ed. by idem and Julian Rushton. Burlington, VT 2006, 10. 93 First Report of the Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany [see note 79], 3. 94 Distressed Germans. In: Evangelical Magazine 14, 1806, 377; Distress in Germany. In: Evangelical Magazine 15, 1807, 426; Swedish Finland. In: Evangelical Magazine 16, 1808, 494. 95 First Report. In: Reports of the Committees Formed in London in the Year 1814, for the Relief of the Unparalleled Distresses in Germany, and Other Parts of the Continent, Occasioned by the War, which Terminated in the Treaty of Paris, 31st March, 1814. In: The Making of the Modern World. Part I: Goldsmiths’-Kress Library of Economic Literature, 1450–1850. Docu­ ment number: 21034, (London 1814), 1.

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6. The Revival of the Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany and its second period of activity, January 1814 to April 1815 When the Committee was revived in January 1814, its composition, both in the number and social status of its members, was considerably different from what it had been in November 1805. The Committee was now com­ prised of 69 members and had His Royal Highness, Prince Augustus Freder­ ick, the sixth son of King George III of the House of Hanover and his Queen, Charlotte of Mecklenburg-Strelitz, as its patron. Other notable names gracing the Committee’s membership role include Nicholas Vansittart, the Chancellor of the Exchequer, several prominent figures of the so-called Evangelical Clap­ ham Sect, Zachary Macaulay, Henry Thornton (MP for Hull), and William Wilberforce (MP for Bramber in Sussex), as well as Rudolf Ackermann, the wealthy German book-publisher, who helped to introduce gas-lighting in London.96 Altogether, the Committee had eight MPs, one member of the House of Lords, seven ministers, and 53 other lay members; 13 of the 27 founding members of the 1805 Committee had also served on the 1814 Com­ mittee and only 17 of the 69 members of 1814 Committee also had a leader­ ship role in the BFBS. Steinkopf and Latrobe continued to facilitate the exchange of correspondence between the Committee with the members of the CS and the Moravians and connect those collecting financial assistance in Britain with those able to trustworthily disburse it in Germany.97 In the February 1814 edition of the Evangelical Magazine the Committee announced the resumption of its solicitation for aid on Germany’s behalf, crying out that the distress was far worse than it had ever been. Never has the cry of the distressed Germans for help been so urgent, their appeal to British benevolence so pressing, as at the present moment. Who could read the reports of the dreadful conflicts which have taken place in Germany, during the last eventful year, of the many sanguinary battles fought in Silesia, Lusatia, Bohemia, Saxony, Brandenburg and other parts, and peruse the melancholy details of suffer­ ings, almost unexampled in the annals of history, without the most lively emotions? Who could hear of so many thousands of families barbarously driven from Hamburg, in the midst of a severe winter; of so many villages burnt, cities pillaged, whole prin­ cipalities desolated, and not glow with ardent desire to assist in relieving distress so multifarious and extensive?98

Later that month, on 20 February 1814, Henry George Watkins preached a sermon on 2 Corinthians 8–9 in St. Swithin’s Church in the City of London, in which this Anglican priest likened the relationship between the British and 96

First Report [see note 95], 10–12; John R. Davis: The Victorians and Germany. Bern 2007,

198. 97 98

First Report [see note 95], 14; Third Report, 5; Fourth Report, 18; Fifth Report, 8. Distress in Germany. In: Evangelical Magazine 22, 1814, 51.

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German Protestant Churches to the one of spiritual indebtedness and conco­ mitant temporal obligation that the Apostle Paul had asserted existed between the earliest churches in Corinth and Jerusalem.99 Indeed, just as Steinkopf had done in the initial appeals for donations that he published in December 1805 and January 1806 in the British Evangelical periodicals, Watkins noted how: [German Protestants] had watched with deep solicitude the lowering clouds, which have often been ready to burst over this island. They have prayed for us in secret, when they dared not to assist us in any other way: and their prayers have concen­ trated with our own at the throne of grace, in the ears of the Lord of Sabaoth – Prayers for our preservation laid up for fifteen years in the bosom of God, which, it has daily become more manifest, he has graciously heard, and will mercifully answer.100

In light of such intercessions, Watkins claimed that it was now incumbent upon British Protestants to financially aid their former intercessors. Watkins extolled his listeners with rapturous philo-Germanic rhetoric, which he embellished with numerous Biblical allusions: Germany may be said to be peculiarly connected with us. From that country has emanated great political and religious blessings [. . .] Germany took the lead in the glorious march of the Reformation. The inhabitants of that land bore the burden of the heat of the day; our own ancestors had little comparatively to do, but to follow, and gather up the spoils [. . .] The tree of religious light, and religious liberty – that tree of life to millions, was first planted in the soil of Germany, and watered with the blood of her martyrs; its branches have shot forth over all lands, and its leaves are everywhere healing the nations [. . .] Be it also considered, that Germany, more than any other Protestant nation, has provided active AGENTS, to civilize the pagan world, by the best of all means – the ministration of the gospel of Jesus Christ. Money to a large amount has been collected from our abundance, for the godlike object of evangelizing our fellow men, sitting the darkness of the shadow of death [. . .] but who from among ourselves, has willingly offered his personal comfort, and put his life to hazard, in going forth to the help of Lord, against the mighty legions of the Pagan world. It is in Germany, almost exclusively, that men have been found, who counted not their lives dear unto themselves, so that they might become acceptable instruments in the hand of God to “turn people from darkness to light, and from the power of Satan to God:” so that they might be helpful in “accomplishing the number of God’s elect, and hastening his kingdom.”101

Watkins further praised the “apostolic ministry” of the Halle missionary to the Tamil people in southern India, Christian Friedrich Schwartz (1726– 1798) and the “apostolic ministry” of Steinkopf in distributing Bibles in Ger­ 99 Henry George Watkins: “Distress in Germany”. A Sermon Preached in the Church of the United Parishes of St. Swithin, and St. Mary Bothaw, Cannon Street, on Sunday, February 20, 1814. London 1814, 5–9. 100 Watkins, “Distress in Germany” [see note 99], 12sq. 101 Watkins, “Distress in Germany” [see note 99], 9–11.

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many.102 He concluded that because of the “interest we have had in the prayers of pious Germans,” British Protestants ought to give towards the Committee’s appeal, and that, thereby, “[German Protesants] will then have proof, that while we are solicitous for their spiritual welfare, we intimately connect it with our anxiety for their temporal comfort.”103 Watkins’ sermon was dedicated to Henry Thornton (MP) in his capacity as treasurer of the Committee and was printed and widely sold throughout Great Britain as a means to raise awareness of the situation in Germany and to collect funds for the Committee’s work. Another source of aid for those affected by the sufferings of war was orga­ nised by the wives of Steinkopf and Latrobe, who along with the Countess Augusta Caroline Sophie Reuß zu Ebersdorf (the grandmother of Queen Vic­ toria), and nineteen other women formed the Ladies’ Philanthropic Association, which appealed to women in particular to donate towards the work of the Committee.104 This group then entered into correspondence with an associa­ tion of women with the same goals in Germany that was led by Friedericka, Countess von Reichenbach-Goschütz, “directress of the Orphan House at Grünberg,” Augusta von Thummel, “directress of the Orphan House at Pirna,” Louise von Schönberg, “directress of the Orphan House, at Dresden,” and Johanna Augusta Ultmann, “directress of the Orphan House at Dippol­ diswalda.”105 In a published letter appearing under the title, To the Ladies of England from the Ladies of Germany, the later described how they believed that God was providentially providing them with the resources necessary to care for the children in their respective charges as God motivated individuals in Germany and Britain to obey “our Saviour’s injunction,” to receive little children in his name (Mark 9:36–37).106 The response to these appeals was tremendous. While the London Times did not publish any appeals or information regarding the work of the 1805 to 1808 Committee, it regularly tracked the progress of 1814 to 1815 Commit­ tee, publishing the following figures regarding the total amount of its donati­ ons after announcing the recommencement of its work on 25 January 1814. 2 February 1814 15 February 1814 21 February 1814 25 March 1814 21 July 1814 28 July 1814

102 103 104 105 106

£6,322 £19,917 £26,359 £51,681 £101,257 £101,478

7s 0s 7s 14s 10s 12s

6d 0d 0d 6d 9d 0d

Watkins, “Distress in Germany” [see note 99], 11, 22. Watkins, “Distress in Germany” [see note 99], 23. Fifth Report [see note 95], 2. Sixth Report [see note 95], 8. Sixth Report [see note 95], 8.

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18 October 1814 19 December 1814 13 February 1815

£112,090 £112,968 £113,263

10s 14s 16s

10d 8d 1d

The Committee provided instructions regarding how the funds which they raised were to be managed and disbursed. As a condition of accepting their assistance, they stipulated that, “A Committee of Distribution is immediately to be formed, consisting of magistrates, clergymen, merchants, and such other persons as are most generally respected for their knowledge, discretion, and integrity.”107 Furthermore, the Committee insisted that genuine need be the only criterion used in determining who would be the beneficiaries of their munificence: The London Committee, considering themselves responsible to the Public, whose almoners they are, wish to lay particular stress on a fair, equitable and impartial dis­ tribution of this bounty; and as persons of different ranks and religious denomina­ tions in Great Britain, have been the contributors, they anxiously wish that the most distressed, without regard to any religious community, whether Christians or Jews, Protestants or Catholics, may receive their due proportion in the distribution.108

The 6 May 1814 report that the London Committee received from the Altona Distribution Committee states that such wishes were kept, noting that to this time they had been able to extend assistance to 16,134 individuals, of whom, 82% were “Christian poor” (13,196 persons) and 18% were “Jewish Poor” (2,938 persons).109 German Pietists continued to be involved in disbursing the aid gathered by the Committee, even as the Committee employed no specific religious test for who could be part of a Committee of Distribution and the increased scope of the Committee’s activities from 1805 to after 1814 resulted in the partici­ pating of individuals for whom there is little or no evidence of their having been Pietists. For example, August Hermann Niemeyer and Georg Christian Knapp, both professors of theology at the University of Halle as well as direc­ tors of the Canstein Bible Institute and the Orphan House, wrote to Steinkopf to ask for aid in order to continue to care for the children in their charge and expressed gratitude for the £300 that they received in a 12 April 1814 let­ ter.110 In a 26 May 1814 letter, they further described how: Our present situation is most distressing, from which nothing but the generosity of humane and the pious can extricate us. The farmers of the estates which belong to the Orphan House are so completely ruined by the constant march and quartering of 107 108 109 110

190

Sixth Report [see note 95], 17. Sixth Report [see note 95], 18. Fifth Report [see note 95], 11. Fourth Report [see note 95], 18.

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troops that they could not pay their rent last year, nor will they be able to do it in the present. Very many parents are become so impoverished by the war, that they cannot pay, and yet we are unwilling to send back their children. Our buildings have sustained considerable injury from 3000 wounded soldiers, whom a sense of duty and compassion constrained us to receive immediately after the Battle of Leipzig, and whom we nursed with tender attention [. . .] Yet we indulge the firm confidence that the very same God, in whose name Francke began this work, will not confound that faith of its founder, which faith he has left to us his successors for his inheritance. Still the Providence of God makes use of men as instruments, and therefore we confi­ dently apply to such as God as blessed with temporal prosperity.111

The Moravian Bishop Christian Gottlieb Hueffel similarly thanked the Committee in his 7 April 1814 letter, in which he accounted for how £3500 that had been entrusted to Herrnhut for further distribution had been meted out, as did Gottfried Menken, the prominent minister in Bremen, on behalf of the Distribution Committee there, and as did Friedrich Perthes, one of the co-founders of the Hamburg-Altona Bible Society, on behalf of the Distribu­ tion Committee there.112 In April 1814, a second Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany was founded in Westminster and its illustrious members included the Archbishops of Canterbury and York, the Bishops of London, Exeter, Sal­ isbury, Ely, Chester, three Lords, ten Members of the House of Commons, and nine others. These well-connected individuals lobbied Parliament and in September 1814 obtained a £100,000 grant for German relief, for the disbur­ sement of which they instructed the London Committee to develop plans.113 By the time the two Committees closed their accounts in April 1815, they had sent a total of nearly £215,000 to 246 regional population centres in Ger­ many; localities in Saxony received 16% of this aid, Hamburg 12%, Branden­ burg 11%, Hannover 11%, Thuringia 11%, Silesia 10%, Leipzig 8%, Lusatia 8%, and the final 13% went to a number of other German territories including Bavaria, Hesse, Holstein, Mecklenburg, Oldenburg, and Pomerania. The spe­ cific allotments listed in Appendix B reflect how the Committees’ members’ had a special concern for the thousands of children who had been orphaned by the war. The first two columns account for how the funds raised by the London Committee’s appeals were apportioned and the latter two how the funds granted directly by Parliament were allotted.

111

Fifth Report [see note 95], 8. Fourth Report [see note 95], 7sq.; Sixth Report, 12, 14. 113 Reports of the Committees Formed in London in the Year 1814, for the Relief of the Unparalleled Distresses in Germany [see note 95], 85; Instructions to the Continental Commit­ tees, Issued by the Westminster and London Committees [see note 85], 1. 112

191

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7. Conclusions In its attempts to address historiographical questions raised by Hartmut Lehmann concerning religious networks and communications between like­ minded European Protestants in different national contexts, this essay has demonstrated how the original desires of the members of the German Chris­ tianity Society and the Moravian Brethren to partner with the London Mis­ sionary Society, the Religious Tract Society, and the British and Foreign Bible Society in their various evangelistic endeavours created connections that were later utilized for a different purpose: the distribution of financial assis­ tance to those in German-speaking Europe who had been devastated by the wars of the Napoleonic Era. This episode of early nineteenth-century, reli­ giously motivated , Anglo-German solidarity displays how, in Lehmann’s words, those in these countries “who considered themselves to be God’s loyal children,” felt strong affinities towards those who belonged to the other national group, with whom they perceived themselves to have essentially the same religious beliefs and concerns. These affinities extended beyond their mutual interest in partnering to spread the Christian message as they both understood it to be and included social concern for the physical needs and well-being of the impoverished inhabitants of Germany. Without the ability of British Evangelicals to raise funds on their behalf and German Pietists’ abil­ ity to see that such funds were appropriately distributed to those in dire cir­ cumstances, the amelioration of such needs could not have occurred as it did. This research has also shown how popularly pitched religious periodicals in the United Kingdom and Germany fostered this sense of common religious identity through the reports that disseminated accounts of the new religious activities being pioneered in these countries. Appendix A: Initial collections received by the London Committee, November 1805– January 1806114 London (22 collections) Dublin (5 collections) York Liverpool (5 collections) Glasgow (3 collections)

£1,117 £442 £424 £319 £229

17s 10s 9s 8s 3s

10d 7d 0d 9d 7d

114 The Committee for the Relief of Distress in Germany and Other Parts of the Continent: First Report of the Committee for Relieving the Distressed Inhabitants of Germany, and Other Parts of the Continent. London 1806, 4 (Moravian Church Archives, Bethlehem, Pennsylvania, Pam­ phlet 711).

192

Pietismus_und_Neuzeit_Band_40-2014_27297 / Seite 193 / 11.11.2014

Durham (3 collections) Birmingham (4 collections) Hull Reading (3 collections) Southampton, Hampshire Poole, Dorset Manchester (2 collections) Chatham, Kent Falmouth, Cornwall Colchester Rotherham, Yorkshire Uxbridge Plymouth Tewkesbury, Gloucestershire Shrewsbury, Shropshire (2 collections) London Sheffield Paisley, Renfrewshire Nottingham Maidenhead, Berkshire Gloucestershire (2 collections) Huddersfield High Wycomb, Buckinghampshire Watford Bridport, Dorset Darwen, Lancashire Cleveland, Yorkshire Rodborough, Gloucestershire Wilmont Bristol Fakenham, Norfolk Kettering, Northamptonshire Tunbridge, Kent Melksham, Wiltshire Newcastle Richmond Welford, Northamptonshire Wellingborough, Northamptonshire Brompton,Kent Bungay, Suffolk Dorchester Henley, Suffolk Sligo, Connacht Leicester Derbyshire Sandwich, Kent Usk, Monmouthshire

£219 £205 £154 £128 £124 £117 £115 £80 £71 £70 £53 £53 £52 £45 £43 £41 £41 £40 £39 £34 £32 £32 £30 £30 £27 £25 £20 £20 £20 £18 £18 £17 £17 £16 £16 £16 £15 £14 £13 £13 £13 £13 £13 £11 £10 £10 £9

13s 2s 0s 0s 11s 8s 12s 0s 1s 0s 8s 12s 6s 11s 5s 17s 1s 1s 5s 9s 13s 16s 9s 4s 0s 0s 3s 0s 9s 18s 11s 13s 6s 5s 12s 2s 0s 8s 0s 10s 12s 8s 18s 0s 0s 0s 1s

6d 2d 7d 0d 6d 0d 11d 0d 0d 0d 0d 0d 6d 0d 3d 0d 0d 0d 0d 6d 0d 5d 4d 1d 0d 0d 0d 0d 2d 0d 0d 2d 0d 0d 8d 0d 0d 0d 0d 8d 6d 6d 9d 0d 0d 0d 0d

193

Pietismus_und_Neuzeit_Band_40-2014_27297 / Seite 194 / 11.11.2014

Debenham, Suffolk Tring, Hertfordshire Upton Warwickshire Essex Macclesfield Knutsford, Cheshire Peppard, Oxfordshire Kibworth, Leicestershire Norwich Somerton, Somerset Bicester, Oxfordshire

£8 £8 £8 £8 £6 £6 £5 £4 £3 £3 £3 £2

0s 10s 11s 0s 14s 0s 0s 15s 15s 10s 5s 0s

3d 8d 6d 0d 6d 0d 0d 4d 0d 0d 0d 0d

Appendix B: Allocations of donations (£) made by the London and Westminster Com­ mittees, 1814–15115

Hanover Electorate of Hanover in general Duchy of Lauenberg in general Ratzeburg and vicinity Moellen and vicinity Lauenburg town and vicinity Schwarzenbeck bailiwick Neuhaus bailiwick Land Hadeln Principality of Laneburg in gen­ eral Gifhorn and vicinity Zelle and vicinity Hitzacker and vicinity Dannenberg and vicinity

London Commit­ tee General

London Commit­ tee Orphans

Parlia­ mentary Grant General

Parlia­ mentary Grant Orphans

7200 3500 500 0 0 0 0 0 0

1200 1000 200 0 0 0 0 0 0

12200 2000 400 400 200 200 150 100 50

1000 1000 0 0 0 0 0 0 0

800 0 300 0 0

0 0 0 0 0

300 50 250 50 100

0 0 0 0 0

115 The Committee for the Relief of Distress in Germany and Other Parts of the Continent: Instructions to the Continental Committees, Issued by the Westminster and London Committees, For the Dis­ tribution of 100,000l. granted by the Imperial Parliament of Great Britain, and also of the Private Subscriptions, for the Relief of the Sufferers by the late War in Germany. In: The Making of the Modern World. Part I: Goldsmiths’-Kress Library of Economic Literature, 1450–1850. Docu­ ment number: 21056. London 1815, 5–11.

194

Pietismus_und_Neuzeit_Band_40-2014_27297 / Seite 195 / 11.11.2014

Luechau and vicinity Bleckede and vicinity Luneburg city and vicinity Winsen and vicinity Bardewieck and vicinity Hitfeld and vicinity Haarburg and 32 villages Elbe flood victims Duchy of Bremen in General Altes Land Buxtehude and vicinity Kloster Zeven and vicinity Bremerlehe and vicinity Lilienthal and vicinity The Colonists in the marshy Districts Stade and vicinity Rothenburg and vicinity County of Hoya Duchy of Verden County of Diepholtz Ennbeck city and vicinity The Harz district in general Hameln and vicinity Munden and vicinity Principality of Osnabruck Principality of Hildesheim Frankfort and vicinity Hamburgh and Vicinity Altona Hamburgh Lubeck Bremen Vierlanden Bergedorf Ruetzbuettel and Cuxhaven Moorfleth and Allemoehe Blankenese in Holstein Eimsbuettel and vicinity Billwerder Ham and Horn, St. George and vicinity

London Commit­ tee General

London Commit­ tee Orphans

Parlia­ mentary Grant General

Parlia­ mentary Grant Orphans

0 100 0 0 0 0 1000 0 500 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

50 100 450 50 50 50 2500 500 500 100 100 50 50 100

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 500

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

400 300 100 200 200 100 100 500 350 50 500 500 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

15300 7200 4000 1000 1200 200 200 500 400 100 200 300

1300 1300 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

8000 0 5800 0 0 0 200 100 400 0 400 200

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0

0

500

0

195

Pietismus_und_Neuzeit_Band_40-2014_27297 / Seite 196 / 11.11.2014

London Commit­ tee General

London Commit­ tee Orphans

Parlia­ mentary Grant General

Parlia­ mentary Grant Orphans

0

0

400

0

Circle of Leipzig District Leipzig field of battle, 63 villages Markranstaedt and vicinity Colditz and vicinity Lausigk and vicinity District Delitzsch and vicinity Dueben and vicinity Mensdorf and vicinity Eulenberg and vicinity Grimma and vicinity Pegau and vicinity Rochlitz and vicinity Fisbach, Hartha, and Schmiedefeld Wuertzen and vicinity Merseburg and vicinity Lutzen and field of battle Schkeuditz and vicinity Whole circle of Leipzig Rev. Mr. Zahn

9868

680

5250

50

7100 150 75 75 100 300 80 150 100 150 75 150 333 100 800 120 0 10

600 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 80 0

2500 100 100 100 100 200 50 100 0 400 400 100 100 400 600 0 0 0

50 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

Lusatia Bautzen and vicinity Harthau, Goldbach and vicinity Koenigsbrueck and vicinity Hoyerswerda and vicinity Uhyst and vicinity Weissenberg and vicinity Berstadt and vicinity Marglissa and vicinity Goerlitz and vicinity Rothenburg and vicinity Sohra Muscau and vicinity Jahmen and vicinity Wehrau and vicinity Waldau and vicinity Lauban and vicinity Reichenbach and vicinity Herrenhuth and vicinity Niesky, Kleinwelke, and vicinity

6800 2700 0 75 0 0 75 0 0 2500 0 0 0 0 0 0 300 75 150 300

660 330 0 0 0 0 0 0 0 330 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

9100 800 100 300 300 100 300 100 100 500 100 50 700 100 500 200 200 150 100 150

500 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

Hamburger Berg

196

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London Commit­ tee General

London Commit­ tee Orphans

Parlia­ mentary Grant General

Parlia­ mentary Grant Orphans

150 0 300 0 75 0 0 0 0 100 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

300 800 400 100 450 200 100 100 100 400 300 1000

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 500

Prussia Halle and vicinity Berlin and vicinity Stetting and neighbourhood Stargard and vicinity Magdeburg and villages Custrin and neighbourhood Wesel and Buederich Duchy of Halberstadt Thorn and villages Gross Beeren Prussia and Brandenburg in Ge­ neral

12200 700 3500 1500 300 2500 500 700 500 1000 1000

2000 1000 1000 0 0 0 0 0 0 0 0

6000 500 1000 200 300 600 500 300 500 600 500

2000 500 400 100 100 300 100 200 100 200 0

0

0

1000

0

Circle of Erzgebirge, Saxony Altenberga and vicinity Frauenstein and vicinity Freiberg and vicinity Lauterstein and vicinity Zoblitz and vicinity Nossen and vicinity Wolkenstein and vicinity Marienberg and vicinity Chemnitz and vicinity Schneeberg and vicinity Johanngeordgenstadt and vicinity Annaberg and vicinity Wiesenthal and vicinity Stollberg Penig and vicinity

2525 200 75 625 0 100 75 0 150 200 350 0 500 200 0 50

830 0 0 500 0 0 0 0 100 0 150 0 0 0 0 0

2125 100 75 300 500 0 300 300 100 0 0 200 0 0 200 50

500 0 0 500 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

Berthelsdorf and Gutta Zittau and vicinity Luckau and vicinity Calau and vicinity Spremberg and vicinity Luebben and vicinity Gueben and vicinity Pforter and vicinity Sorau and vicinity Lobau and vicinity Pulsnitz and vicinity Lusatia in general

197

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London Commit­ tee General

London Commit­ tee Orphans

Parlia­ mentary Grant General

Parlia­ mentary Grant Orphans

0

80

0

0

Circle of Meissen, Saxony Dresden and vicinity Wilsdruf Dippoldiswalda and vicinity Hohenstein and Lochmen Neustadt and vicinity Sonnenstein Stolpen and vicinity Bischoffwerda and vicinity Meissen and vicinity Pirna and vicinity Berggeissuebel and vicinity Meckersbach Muehlberg and vicinity Grossenhayn and vicinity Oschatz and vicinity Torgau and vicinity Watermen and Bargemen Circle of Meissen in general Rev. Mr. Freyda, Bauda Saxony in general

8511 400 150 75 25 250 100 350 1200 1000 2875 75 65 50 75 166 1000 650 0 5 0

1950 0 0 0 0 0 0 0 0 300 900 0 0 0 0 0 0 0 750 0 0

8875 2000 50 100 75 100 0 150 800 500 1000 100 150 50 50 0 500 250 1000 0 2000

1600 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1600 0 0

Silesia Silesia in General Breslau and vicinity Glogau and villages Loewenberg Jauer and vicinity Liegnitz and vicinity Hainau and vicinity Bunzlau, with 60 villages Siegersdorff and Oberwalden Gnadenburg and vicinity Goldberg and vicinity Lakn and vicinity Naunburg and vicinity Villages about Greiffenberg Beuten and vicinity Lueben and vicinity Neumarck and vicinity Barchwitz and vicinity

8600 2950 2000 500 500 400 400 0 250 250 400 750 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

9700 1300 500 500 500 500 500 500 800 200 300 500 200 200 300 200 200 400 400

1500 1500 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

Lower Erzgebirge

198

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London Commit­ tee General

London Commit­ tee Orphans

Parlia­ mentary Grant General

Parlia­ mentary Grant Orphans

200 0 0 0 0

0 0 0 0 0

200 200 100 200 1000

0 0 0 0 0

Circle of Lower Thuringia Naumburg and vicinity Eckartsberga and vicinity Freibrug and vicinity Pforta and vicinity Weissenfels and vicinity Zeitz and vicinity Frauenpriesnitz Gross-Jena Auerstaedt and Wallroda, Lower Circle of Thuringia Clettstedt and Grumbach

2400 700 850 0 150 650 0 50 0 0 0 0

100 0 50 0 0 0 0 0 0 0 50 0

3000 400 100 600 150 150 300 200 400 400 0 300

400 400 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

Upper Thuringia (13 locations) Erfurth and vicinity Schwartzburg and vicinity Duchy of Gotha Altenburg Duchy of Weimar Eisenach and ten destroyed vil­ lages Teneburg, near Gotha Gotha, town and vicinity Bailiwick of Leineberg Saalfeld Acken, in the duchy of Magde­ burg Dantzig and vicinity Darmstadt Bailiwicks

5700 3000 150 850 0 200

600 600 0 0 0 0

9500 2500 150 400 500 1500

850 200 0 100 100 150

1000 0 0 0 200

0 0 0 0 0

1000 200 300 500 200

200 0 0 0 50

0 0 300

0 0 0

250 2000 0

50 0 0

Circle of Wittenberg Wittenberg and vicinity University of Wittenberg Zahna and vicinity Baruth and vicinity Juterbogk and vicinity Dennewitz and field of battle

3495 1900 300 200 0 120 300

280 0 0 0 0 0 0

2650 500 0 300 400 250 500

500 500 0 0 0 0 0

Netz and Wartebruch Randten and Primkenau Koeben and vicinity Hirschberg Silesia in General

199

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London Commit­ tee General

London Commit­ tee Orphans

Parlia­ mentary Grant General

Parlia­ mentary Grant Orphans

Belzig District Schweinitz and vicinity Jessen and vicinity Seyda and vicinity Seehausen and vicinity Kemberg and vicinity Whole circle of Wittenberg

500 0 75 0 0 100 0

0 200 0 0 0 0 80

0 200 100 200 100 100 0

0 0 0 0 0 0 0

Vogtland (5 locations) District Plauen and vicinity Reichenbach and vicinity Principality of Graitz Schleitz and vicinity Gera

350 0 50 0 300 0

0 0 0 0 0 0

2700 200 200 800 500 1000

100 50 50 0 0 0

11450 1700

1550 0

9400 200

1550 100

500 0 1000

0 0 0

800 250 250

0 100 100

1000 500 500 200 500 600 500 200 400 100 200 100

0 0 0 0 0 250 0 0 0 0 0 0

1500 0 0 300 300 400 0 300 400 0 800 0

100 0 0 100 100 200 0 100 0 0 100 0

700 0 0

300 0 0

0 500 300

0 100 50

0

0

500

50

0

0

250

150

Various Principalities, Towns, and Districts Hanau Wuertzburg, northern parts espe­ cially Butlar and vicinity Fulda and vicinity Anhalt, Dessau, and three Princi­ palities Stralsund, Swedish Pomerania Nuremberg Ratisbon Heiligenstadt in Eichsfeld Homburg on the Hoehe, in Hesse Duchy of Oldenburg County of Barby Hocheim and Kostheim Erlangen, in Franconia Vacha and vicinity Grabau, the military hospitals At-large distributions by Dr. Schwabe Wetzlar and vicinity Kehl and vicinity Principality of Ysenburg, near Frankfurt Lower duchy of Nassau, Limburg, and Elz

200

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Lippe Detmold Neuwied and vicinity Mecklenburg, Strelitz and Schwerin Gelnhausen and vicinity Holstein Niederstaellen, near Nuremburg Leun, in the principality of Solms Usingen Aschaffenburg principality Mentz Ichterhausen and Wachsenburg

London Commit­ tee General

London Commit­ tee Orphans

Parlia­ mentary Grant General

Parlia­ mentary Grant Orphans

0 0

0 0

500 350

0 0

1200 0 500 200 100 100 350 0 300

0 0 0 0 0 50 450 500 0

800 200 500 0 0 0 0 0 0

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BRIGITTE KLOSTERBERG

Francke-Portal. Werkstattbericht über ein DFG-Projekt am Studienzentrum August Hermann Francke Im Jahr des Francke-Jubiläums 2013, dem 350. Geburtstag August Her­ mann Franckes,1 startete am Studienzentrum August Hermann Francke ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Programm „Förderung herausragender Forschungsbibliotheken“ gefördertes Projekt mit dem Titel „Francke-Portal. Aufbau einer internetgestützten Rechercheplattform zu August Hermann Francke, seinen gedruckten und ungedruckten Schriften“. Der Online-Gang des Portals ist im Juni 2014 erfolgt.2 Das Projekt hat zum Ziel, eine modulare Rechercheplattform zu ausge­ wählten Werken August Hermann Franckes auf der Website des Studienzent­ rums sukzessive aufzubauen. Dabei sollen elektronische Datensammlungen und Kataloge sowie Editionen, die in den letzten Jahren im Studienzentrum und im Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg in Verbindung mit den Franckeschen Stiftungen (IZP) erarbeitet worden sind, auf einer Portaloberfläche unter Maßgabe des Open Content zusammengeführt und systematisch um Digitali­ sate der verzeichneten gedruckten und ungedruckten Quellen angereichert werden. Zur Realisierung des zunächst auf zwei Jahre begrenzten Projekts arbeiten die Franckeschen Stiftungen mit der Firma semantics aus Aachen zusammen, die die erforderliche Software Visual Library in das Projekt einbringt. Aus Pro­ jektmitteln werden ein wissenschaftlicher Mitarbeiter und zwei studentische Hilfskräfte finanziert. In das Projekt fließen auch Mittel des Landes SachsenAnhalt ein, die ein Jahr lang für eine wissenschaftliche Hilfskraftstelle zur Verfügung standen, um die Titel der Privatbibliothek August Hermann und 1 Das Francke-Jubiläum wurde mit zahlreichen Veranstaltungen in den Franckeschen Stiftun­ gen gefeiert. So widmete sich die Jahresausstellung dem Stiftungsgründer und erschienen neue Publikationen über August Hermann Francke, u. a. Die Welt verändern. August Hermann Fran­ cke – Ein Lebenswerk um 1700. Katalog zur Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen vom 24. März bis 21. Juli 2013. Hg. v. Holger Zaunstöck [u. a.]. Halle 2013; Helmut Obst: August Her­ mann Francke und sein Werk. Halle 2013. 2 URL: http://digital.francke-halle.de

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Gotthilf August Franckes (1696–1769) anhand des Auktionskatalogs von 1770, den Reinhard Breymayer in der UB München entdeckt und auf dem ersten Pietismuskongress 2001 vorgestellt hat,3 zu rekonstruieren und in eine Datenbank zu katalogisieren. Die Kataloge, Datenbanken und sonstigen Vorarbeiten, die für das Projekt zur Verfügung standen, sind beträchtlich: Von den Druckschriften August Hermann Franckes sind etwa 1.700 Titel bibliographisch erfasst und in einer von Paul Raabe (1927–2013) und Almut Pfeiffer erarbeiteten Publikation zugänglich;4 ein Teil seiner Predigten und Schriften liegt in der Reihe Texte zur Geschichte des Pietismus, herausgegeben von der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus, in edierter Form vor;5 seine Briefe, die im Archiv der Franckeschen Stiftungen, in der Staatsbibliothek zu Berlin und in der Forschungsbibliothek Gotha überliefert sind, sind im Rahmen diverser, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützter Projekte im Stu­ dienzentrum formal und inhaltlich erschlossen worden;6 die aktuelle Literatur zu Francke und dem hallischen Pietismus wird regelmäßig in dem Periodikum Pietismus und Neuzeit, das vom Interdisziplinären Zentrum für Pietismusfor­ schung redaktionell betreut wird, angezeigt; die im Archiv der Franckeschen Stiftungen überlieferten Tagebücher Franckes von 1714 bis 1719 sind fast vollständig im Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung in den 1990er Jahren von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Carola Wessel (1964– 2004) transkribiert worden; die Tagebücher von 1721 bis 1726 liegen in von Schülern des Pietismusforschers Kurt Aland (1915–1994) gefertigten Typo­ skripten im Archiv der Franckeschen Stiftungen vor. Auf der Grundlage dieser Vorarbeiten wurden für die Veröffentlichung im Francke-Portal Quellenund Datenbestände ausgewählt, die in sieben Teilbereichen oder Modulen angeordnet und miteinander vernetzt werden: 1. Porträts 2. Tagebücher 3. Bibliographie der Schriften 3 Reinhard Breymayer: Zum Schicksal der Privatbibliothek August Hermann Franckes. Über den wiedergefundenen Auktionskatalog der Privatbibliothek seines Sohnes Gotthilf August Francke. Ein Xenion zum I. Internationalen Kongress für Pietismusforschung Halle (Saale), 28. August bis 1. September 2001. 3., verb. Aufl., Tübingen 2002. S. in diesem Band den Beitrag von Christoph Schmitt-Maaß. 4 August Hermann Francke 1663–1727. Bibliographie seiner Schriften. Bearb. v. Paul Raabe u. Almut Pfeiffer. Tübingen 2001. 5 Vgl. Anm. 12–13. 6 Es handelt sich um folgende drei DFG-Projekte: Erstellung eines Repertoriums für den Fran­ cke-Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin. Laufzeit: 01.01.2000–31.12.2001; Einzelblattver­ zeichnung der Archivbestände aus der Dänisch-Halleschen Mission in Halle und Leipzig. Laufzeit: 01.01.2003–31.10.2005; Pietistische Kommunikationsnetzwerke. Erschließung der pietistischen Korrespondenz im Hauptarchiv der Franckeschen Stiftungen und in der Universitäts- und For­ schungsbibliothek Erfurt/Gotha, Forschungsbibliothek Gotha. Laufzeit: 01.09.2008–31.12.2012.

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4. Edierte Schriften, Predigten und Briefe 5. Epistolar 6. Sekundärliteratur 7. Franckes Privatbibliothek Das Francke-Portal basiert auf einem gemeinsamen Datenbestand, der Nut­ zern einen homogenen und standardisierten Zugriff auf die unterschiedlichen Materialien und Nachweise in den einzelnen Modulen ermöglicht. Auf dem Eingangsbildschirm befindet sich deshalb sowohl eine Suchoption (neben der „freien Suche“ die „Detailsuche“), die modulübergreifend ist, als auch der Zugang zu den einzelnen Modulen mit jeweils separaten Rechercheoptionen. Recherchehilfen bieten darüber hinaus automatisch erzeugte Indices, soge­ nannte Listen und Clouds, sowie Facetten, die die Rechercheergebnisse weiter filtern und untergliedern, nach denen die Objekte bzw. die bibliographischen Daten abgelegt wurden. Die Metadaten sind jeweils individuell auf die in den Modulen verzeichneten Objekte bzw. Dokumenttypen – Porträts, Bücher, Aufsätze, Briefe – abgestimmt. Bei der Katalogisierung der Bücher und Auf­ sätze wurden die gängigen bibliothekarischen, bei der Verzeichnung der Briefe die archivarischen Standards eingehalten. Eine Sonderstellung nehmen die Porträts ein, zu denen sowohl graphische Porträts als auch Gemälde zäh­ len, die sich einer klaren Sammlungszuordnung entziehen. In den Francke­ schen Stiftungen werden die Gemälde der musealen Sammlung zugerechnet, während die graphischen Porträts als Sondersammlung der Bibliothek geführt werden.7 Die Porträts aus den Sammlungen der Franckeschen Stiftungen wurden in den Katalog des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds (GBV) katalo­ gisiert, von dort in das Portal migriert und mit den digitalisierten Images zusammengeführt. Bis zum Ende der Projektlaufzeit sollen zusätzlich Porträts aus auswärtigen Einrichtungen ermittelt und ebenfalls im Francke-Portal nachgewiesen werden. Die bibliothekarischen Komponenten des Portals (Module 3, 4, 6, 7) werden im Folgenden einzeln vorgestellt: Bibliographie der Schriften Franckes (Modul 3) Die gedruckte Bibliographie der Druckschriften Franckes von Raabe/Pfeif­ fer liegt im Studienzentrum in elektronischer Form als Allegro-Datenbank vor und wurde von dem Archivar Jürgen Gröschl, der im Projekt für den Daten­ import zuständig ist, in das Francke-Portal migriert. Es ist die Aufgabe von Anke Mies, der Diplombibliothekarin am Studienzentrum, die Bibliographie um weitere Daten anzureichern: Zum einen um die Nachweise fremdsprachi­ ger Veröffentlichungen der Schriften Franckes, die von Raabe/Pfeiffer nicht 7 Zu den graphischen Porträts vgl. Rhea Matschke: „Du fragst wen stellet doch dis schöne Kup­ fer für . . .“ Die Porträtsammlung der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen. Halle 2003. Vgl. den Porträtkatalog. URN: http://192.124.243.55/cgi-bin/boet.pl [letzter Zugriff: 12.05.2014].

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ermittelt worden sind, zum anderen um Referenzangaben auf digital zugäng­ liche Schriften Franckes, vor allem aus den Verzeichnissen der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. und 18. Jahrhunderts (VD 17/VD 18). Darüber hinaus wurde im Projektverlauf ein repräsentatives Corpus von Pri­ märquellen aus dem Bestand der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen von einem Dienstleister digitalisiert und online zugänglich gemacht. Für dieses Corpus wurden 155 Drucke mit einem Gesamtumfang von etwa 46.000 Sei­ ten nach folgenden Kriterien ausgewählt: 1.) Drucke, die sich als Alleinbesitz in der Bibliothek der Franckeschen Stif­ tungen befinden; 2.) Drucke, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch längerfristig nicht von den VD-Projekten digitalisiert werden; 3.) Drucke in fremden Sprachen (außer Latein). Da in der Bibliographie von Raabe/Pfeiffer enthaltene Werke, insbesondere in den Predigtsammlungen Franckes, eine eigenständige Titelaufnahme erhal­ ten haben, erhöht sich der Nachweis der digital präsentierten Schriften Fran­ ckes auf 605 Werke [Stand: 20. 10. 2014]. Rechnet man die Titelaufnahmen hinzu, in die Links auf digital zugängliche Schriften eingefügt werden konn­ ten, dann liegen derzeit nahezu 50% der Schriften Franckes in digitaler Form vor.8 Durch die Strukturdatenerfassung der digitalisierten Werke werden die Inhaltsverzeichnisse der Drucke detailliert abgebildet. Beispielsweise wurden 91 enthaltene Werke in Franckes Sonn- und Festtagspredigten von 17409 struk­ turell erfasst und ermöglichen den Nutzern, genau diejenige Predigt auszu­ wählen und digital angezeigt zu bekommen, die sie interessiert. Bei der Recherche nach digital vorliegenden Werken konnten noch zusätzlich 125 Titel, Druckvarianten der Schriften Franckes sowie Titel, die in der Biblio­ graphie von Raabe/Pfeiffer nicht nachgewiesen sind, ermittelt werden. Ein besonderer Fund stellt dabei das nach heutigem Kenntnisstand erste gedruckte Werk Franckes dar. Galt bis jetzt seine Dissertation De grammatica hebraica von 168510 als sein Erstlingswerk, darf nun ein Gelegenheitsgedicht anlässlich der Hochzeit seines Bruders David Balthasar Francke (1652–1697) von 1680 als das erste, freilich sehr bescheidene Druckwerk Franckes gelten, das im Bestand der Forschungsbibliothek Gotha vorhanden ist.11 8 Es wurden ausschließlich Links auf digitale Schriften gelegt, die eine URN (Uniform Resource Name) oder PURL (Persistent Uniform Resource Locator) aufweisen und damit als per­ sistent gelten. 9 August Hermann Francke: Sonn- und Festtagspredigten. 3. Aufl. Halle: Waisenhaus, 1740. Raabe/Pfeiffer D 8.3. 10 August Hermann Francke: Dissertatio philologica de grammatica hebraica. Leipzig: Fleischer, [1685]. Raabe/Pfeiffer B 1.1. 11 August Hermann Francke: Als Der Edle / Groß=Achtbare und Hochgelahrte Herr David Bal­ thasar Francke / J. U. Dd[us] und Fürstl. Sächß. wolbestalter Hof=Advocatus auf Friedenstein /

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Edierte Schriften, Predigten und Briefe Franckes (Modul 4) Die edierten Schriften, Predigten und Briefe Franckes stellen einen Auszug einiger weniger Titelaufnahmen aus der Bibliographie von Raabe/Pfeiffer dar. In diesem kleinen Teilbereich sind kritische Editionen digitalisiert ver­ sammelt, darunter die in der Reihe Texte zur Geschichte des Pietismus von der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus herausgegebenen Streitschriften und Predigten Franckes sowie der Canstein-Francke-Brief­ wechsel.12 Der Verlag de Gruyter hat die Lizenzrechte für den ersten Band der hermeneutischen Schriften13 nicht freigegeben, da in Kürze der zweite Hermeneutik-Band, herausgegeben von Christian Soboth, erscheinen wird. Hinzu kommen der Große Aufsatz in einer Ausgabe von 1962 aus dem Akade­ mie-Verlag14 und der Spener-Francke-Briefwechsel aus dem Verlag Mohr Sie­ beck.15 Der deutliche Mehrwert gegenüber der Printausgabe besteht darin, dass die gescannten Texte mit einem automatischen Optical Character Recog­ nition-Programm bearbeitet wurden und damit eine Volltextsuche in den Texten erfolgen kann. Sekundärliteratur (Modul 6) Im Rahmen der Projektlaufzeit ist eine Datenbank mit Forschungsliteratur zu Leben und Werk von August Hermann Francke und des hallischen Pietis­ mus, die in der jährlichen Bibliographie der Zeitschrift Pietismus und Neuzeit, Jg. 1 (1974)–Jg. 39 (2013), angezeigt wird, in das Portal eingepflegt worden. Unter dem „Werk“ Franckes werden dabei nicht nur seine Schriften und sein zeitgenössisches Tun adressiert, sondern auch die von ihm gegründeten Glau­ mit der auch Edlen / Groß=Ehr und Tugend=begabten Jgfr. Sidonien Sibyllen / Des Weiland Wol=Edlen / Vesten und Hochgelahrten Herrn Christoph Döblers / Erb=Herrn auf Casal und Jetsch / weitberühmten Jcti Fürstl. Sächs. Mörseburg. Consistorial-Assessoris und Ober=Amts=­ Advocati zu Lübben / auch Landschafts=Bestalten in der Nieder=Lausitz / Nachgelassenen jüng­ sten Jungfer Tochter / am 20. Juli, Anno 1680. in Gotha seine Heyrath vollzog / übersandte dieses vom Kiel / Zu Bezeugung seiner Brüderlichen Ergebenheit und hertzlichen Freude / Augustus Hermannus Francke, S. S. Theol. Stud. GOTHA / Gedruckt bey Christoph Reyhern. Gotha, Reyher. 1680. [4] S. 4°. Gotha, Forschungsbibliothek: P 8° 02317 (90.). URN: nbn:de:urmelfae86362-c716–4497–8c95-ccbc8690d9e02 [letzter Zugriff: 12.05.2014]. Anke Mies sei für den Hinweis gedankt. 12 August Hermann Francke: Streitschriften. Hg. v. Erhard Peschke. Berlin [u. a.] 1981; August Hermann Francke: Predigten 1. Hg. v. Erhard Peschke. Berlin [u. a.] 1987; August Hermann Francke: Predigten 2. Hg. v. Erhard Peschke. Berlin [u. a.] 1989; Der Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins mit August Hermann Francke. Hg. v. Peter Schicketanz. Berlin [u. a.] 1972. 13 August Hermann Francke: Schriften zur biblischen Hermeneutik 1. Hg. v. Erhard Peschke. Zum Druck befördert v. Udo Sträter u. Christian Soboth. Berlin [u. a.], 2003. 14 August Hermann Franckes Schrift über eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts. Der grosse Aufsatz. Mit einer quellenkundlichen Einführung hg. v. Otto Podczeck. Berlin 1962. 15 Philipp Jakob Spener: Briefwechsel mit August Hermann Francke 1689–1704. Hg. v. Johannes Wallmann u. Udo Sträter in Zusammenarbeit mit Veronika Albrecht-Birkner. Tübingen 2006.

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chaschen Anstalten, die heutigen Franckeschen Stiftungen. In einer geplanten Ausbaustufe des Projekts sollen noch etwa 1.500 Titel, die in der in den 1990er Jahren im Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung erarbei­ teten, aber bis jetzt nicht publizierten Bibliographie der Literatur zu August Her­ mann Francke, zur Geschichte der Franckeschen Stiftungen und zum hallischen Pietis­ mus (bis 1760) verzeichnet sind, manuell nach bibliothekarischen Regeln in die bestehende Datenbank katalogisiert werden, die zur Nachnutzung im Francke-Portal zur Verfügung gestellt werden soll. Diese Bibliographie weist ältere Publikationen und Forschungsarbeiten des Gesamtzeitraums von 1800 bis 1996 nach. Franckes Privatbibliothek (Modul 7) Die Bücher, die Gotthilf August Francke genutzt hat, wurden ein Jahr nach seinem Tod, 1770, in einer Auktion „in Orphanotropheo Glauchensi“ verstei­ gert. Der Auktionskatalog ist nach heutigem Kenntnisstand nur in einem Exemplar aus der Universitätsbibliothek München überliefert.16 Reinhard Breymayer, der den Auktionskatalog entdeckte, legt überzeugend dar, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Gotthilf August Francke die Privatbibliothek seines Vaters übernommen und um weitere Titel ausgebaut hat.17 Dafür spricht, dass die Mehrzahl der Titel aus dem Zeitraum von 1690 bis 1730 datieren. Die im Auktionskatalog aufgeführten Titel wurden nahezu vollstän­ dig rekonstruiert, nach bibliothekarischen Regeln in eine Datenbank katalo­ gisiert und in das Francke-Portal transferiert. Für die Anzeige der 3.345 Titel­ aufnahmen im Francke-Portal wurde für dieses Modul ein eigenständiges Kategorienschema entwickelt, das die Besonderheiten der Ausgangsquelle abbildet: Die Titelaufnahme beginnt mit den Kategorien „Titel im Auktions­ katalog“ und „Sachgruppe im Auktionskatalog“ und wird dann mit den übli­ chen Kategorien für die Anzeige der (rekonstruierten) Titel fortgesetzt. Die vier Sachgruppen, in die der Auktionskatalog unterteilt ist – Libri Theologici (2.556 Titel), Libri Peregrinis Idiomatis (445 Titel), Libri Omissi (153 Titel), Rohe Sachen (191 Titel) –, werden unter der Überschrift „Inhalt“ in einer „Facette“ im Francke-Portal angezeigt. Aus der nach „Sprachen“ generierten Facette geht hervor, dass neben deutschsprachigen und lateinischen Titeln Werke in 27 Sprachen, darunter slawische, orientalische und asiatische Spra­ chen, in der Privatbibliothek vorhanden waren. Im Rahmen der Projektlauf­ zeit konnten zwar die Titel rekonstruiert, aber aus zeitlichen Gründen nicht ermittelt werden, ob die Exemplare aus dem Besitz Franckes noch in heute

16 Catalogus libros continens ex vario artium disciplinarumque genere selectos potissimum theologicos quibus B. D. Gotth. Aug. Franckius [. . .] dum viveret usus est qui D. XXIV. Sept. MDCCLXX. in Orphanotropheo Glauchensi plus licitantibus divendentur. Halle: Hundt, 1770. München, Universitätsbibliothek: 8 H. lit. 232. 17 Breymayer, Zum Schicksal der Privatbibliothek August Hermann Franckes [s. Anm. 3], pas­ sim u. Schmitt-Maaß [s. Anm. 3].

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zugänglichen Bibliotheken vorhanden sind. Hinweise auf solche Exemplare nimmt das Studienzentrum gerne entgegen. Zu den archivarischen Komponenten des Portals zählen die Briefe und Tagebücher Franckes. Epistolar Franckes (Modul 5) Das Epistolar umfasst ein recherchefähiges Textcorpus von derzeit 2.092 Briefen aus dem Archiv der Franckeschen Stiftungen (1.873 Briefe), dem sog. Francke-Nachlass der Staatsbibliothek zu Berlin (196 Briefe) und der For­ schungsbibliothek Gotha (23 Briefe), die in den letzten Jahren im Rahmen von kooperativen DFG-Projekten im Studienzentrum formal und inhaltlich mit Regesten und normierten Schlagwörtern vollständig erschlossen worden sind.18 Die schon vorhandenen Verzeichnungsdaten wurden aus der „Daten­ bank zu den Einzelhandschriften in den historischen Archivabteilungen“19 in das Francke-Portal importiert und mit den Images, die in der Fotowerkstatt des Studienzentrums erzeugt wurden, verknüpft. Die für dieses Modul auf die Gattung Brief zugeschnittene Detailsuche ermöglicht eine gezielte Anfrage nach „Adressaten“ und „genannten Personen“ sowie den normierten Schlagwörtern. Ein zusätzliches Suchinstrument stellen die in das Modul integrierten „Kalender“ dar, die über die Funktion „Listen“ aufgerufen wer­ den können. Der jeweilige Jahreskalender zeigt an, zu welchen Tagesdaten Briefe vorhanden sind. Eine weitere Stärke der Software Visual Library besteht darin, dass die in den einzelnen Modulen abgelegten Informationen wechselseitig „verlinkt“ werden können. Beispielsweise befindet sich unter der Titelaufnahme des Briefes von August Hermann Francke an Philipp Jakob Spener, ausgestellt in Leipzig am 21.08.1689, der Hinweis „Zur Edition“. Klickt der Nutzer auf diesen Hinweis, gelangt er zu dem edierten Brief aus dem Spener-Francke-Briefwechsel, der in Modul 4 digitalisiert vorliegt. Umgekehrt befindet sich unter der Titelaufnahme des Briefes in Modul 4 ein Hinweis „Zur Handschrift“, der wiederum auf die Titelaufnahme und das digitalisierte Image des Briefes in Modul 5 zurückführt.20 Um ein möglichst vollständiges Corpus der überlieferten Briefe Franckes zu erstellen, wurden über 200 Archive und Bibliotheken angeschrieben. In einer künftigen Ausbaustufe des Francke-Portals sollen die an anderen Stand­ orten ermittelten Briefe Franckes formal und inhaltlich erschlossen und im Francke-Portal bereitgestellt werden. Als das Portal auf dem IV. Internationa­ len Kongress für Pietismusforschung 2013 in Halle vorgestellt wurde, wurde im Plenum die Frage gestellt, ob das Francke-Portal zu einer virtuellen For­ schungsumgebung ausgebaut werden könnte. Um diese Option zu testen, soll 18

s. Anm. 6. URL: http://192.124.243.55/cgi-bin/gkdb.pl [letzter Zugriff: 12.05.2014]. 20 Brief von August Hermann Francke an Philipp Jakob Spener. Leipzig. 21.08.1689. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen. AFSt/H D 66 Bl. 10; abgedruckt in: Spener, Briefwechsel mit August Hermann Francke [s. Anm. 15], Brief Nr. 1, 3 f. 19

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in einer Fortsetzung des Projekts, sofern diese von der Deutschen Forschungs­ gemeinschaft genehmigt wird, eine interaktive Komponente in das Portal ein­ gefügt und ausgewählten Wissenschaftlern die Möglichkeit eingeräumt wer­ den, Transkriptionen von Briefen Franckes in das Portal einzustellen, die nachfolgend von dem Projektbearbeiter korrigiert und für die Veröffentli­ chung freigegeben werden sollen. Für diesen Fall sollen die transkribierten Texte synoptisch neben den digitalisierten Images der Briefe angezeigt wer­ den, wie es für die Tagebücher Franckes bereits im Portal realisiert wird. Tagebücher (Modul 2) Einen Kernbestandteil des Francke-Portals stellen die insgesamt dreizehn im Archiv der Franckeschen Stiftungen überlieferten Tagebücher Franckes von 1714 bis 1726 in einem Gesamtumfang von 5.759 Seiten dar, die eine hervorragende Quelle darstellen, um nicht nur den Arbeitsablauf Franckes und sein Verständnis von der „Auskauffung der Zeit“,21 der für den Pietismus typischen Zeitökonomie, sondern auch die Organisations- und Verwaltungs­ strukturen der Glauchaschen Anstalten, ihre Verbindung mit der Universität in Halle und ihre nationale und internationale Vernetzung zu erforschen und mit anderen Quellen zu vergleichen. Die Tagebücher haben den Charakter klassischer Notiztagebücher, auch Fakten- oder Notatenjournale genannt,22 in die die Termine Franckes Tag für Tag, zum Teil Stunde für Stunde akribisch aufgelistet und nach „Betreff“ durchnummeriert sind. Ihr Grundtenor ist daher geschäftsmäßig, was knappe persönliche Bemerkungen aber nicht aus­ schließt. Informationen über ein- und ausgehende Briefe und Besuche neh­ men den größten Teil der Überlieferung ein, so dass das personelle Netzwerk, in das Francke eingebunden war, gut rekonstruiert werden kann; schätzungs­ weise werden durchschnittlich fünf bis sechs Personen und etwa zehn Briefe pro Seite genannt. Franckes Tätigkeit als Professor spiegeln beispielsweise Termine von Vorlesungen, Fakultätssitzungen, Sprechstunden, Prüfungen, als Pastor von Predigten, Bet- und Singestunden, als Direktor von Konferen­ 21 August Hermann Francke: Der rechte Gebrauch der Zeit / So fern dieselbe gut, und so fern sie böse ist, aus 2. Cor. 6,2 und Eph. 5,6 vorgestellet [. . .]. Predigt gehalten am 4. Jan. 1713 im Way­ senhaus. Halle/Saale, 1713; wiederabgedruckt mit einem Nachwort v. Carmela Keller. Halle 2008. 22 Das war die im 18. Jahrhundert „übliche“ Form des Tagebuchs. Vgl. dazu den Artikel „Tagebuch“ in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste [. . .]. Hg. v. [Johann Heinrich Zedler]. Bd. 41. Leipzig und Halle: Zedler, 1744, 1474 f. Darüber hinaus entwickelt sich, insbesondere durch den Pietismus, eine Form autobiographischen Schreibens, in der primär innere Vorgänge der schreibenden Person im Mittelpunkt stehen. Von Francke selbst ist sein handschriftlicher Lebenslauf mit dem berühmten Lüneburger Bekehrungserlebnis überlie­ fert. Da dieser Lebenslauf in einer gut zugänglichen modernen textkritischen Edition vorliegt, ist es nicht geplant, den handschriftlichen Text im Francke-Portal zu veröffentlichen. Vgl. Lebens­ läufe August Hermann Franckes. Hg. v. Markus Matthias. Leipzig 1999. Es ist die Zweitauflage des Textes in Planung. Die Herausgeber und der Verlag haben zugestimmt, dass die Zweitauflage drei Jahre nach ihrem Erscheinen digital im Francke-Portal unter Modul 4 veröffentlicht werden kann.

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zen, der Aufnahme und Entlassung von Schülern, von Prüfungen oder Quit­ tierungen von Spenden wider. Die Tagebücher Franckes stellen mithin eine sehr dichte und informative serielle Quelle dar, die bereits Kurt Aland 1955 zum Kernbestand der Überlieferung des Halleschen Pietismus zählte und in einen Editionsplan aufnahm, der bis heute der Umsetzung harrt.23 Da die Tagebücher Franckes auch nicht im Editionsplan der historisch-kritischen Francke-Ausgabe vorgesehen sind, boten sie sich für eine Online-Bereitstel­ lung im Francke-Portal an. Davon unbenommen ist die Planung des Interdis­ ziplinären Zentrums für Pietismusforschung, das erste überlieferte Tagebuch Franckes von 1714 in der Reihe Hallesche Quellenpublikationen und Repertorien im Verlag der Franckeschen Stiftungen als textkritische Edition zu veröffent­ lichen und damit zugleich auf die umfangreiche geplante Internetpräsentation der gesamten Tagebücher zu verweisen.24 Die 13 Tagebücher aus dem Archiv der Franckeschen Stiftungen umfassen den Zeitraum vom 13. Januar 1714 bis zum 31. August 1726.25 Von den Jour­ nalen 1714, 1715 und 1726 sind nur Fragmente vorhanden. Ausgenommen das Tagebuch von 1715 in Oktav, liegen alle übrigen Tagebücher im histori­ schen Kanzlei- bzw. Folioformat als Blattsammlungen vor. Gebunden war ursprünglich nur das Tagebuch von 1714. Die Seiten sind vorder- und rück­ seitig beschrieben und teilweise mittels beschrifteter Umschläge aus gefalteten Papierbögen monatsweise strukturiert. Während die Journale von 1714 und 1715 aus ganzseitigem Fließtext bestehen, findet sich bei allen anderen Zwei­ spaltigkeit mit überwiegend linken, aber auch rechten Randbemerkungen. Ausgenommen davon ist das zweispaltige Journal von 1718 mit Fließtext in der rechten Spalte, das aber keine Marginalien aufweist. Die Randbemerkun­ gen bestehen aus unterstrichenen, stichwort- bzw. schlüsselbegriffsartigen Zusammenfassungen von Sinneinheiten des Fließtextes unter häufiger Ver­ wendung von Abkürzungen. Der Fließtext selbst, fast immer in der rechten Spalte, wurde zudem tagesweise und häufig unter Angabe von Uhrzeiten ereignischronologisch durchnummeriert. Auch hier finden sich zahlreiche Unterstreichungen, vorrangig von Namen. Einen integralen Bestandteil der Tagebücher bilden Reiseberichte. Sie unterscheiden sich in ihrem geschäftsmäßigen Duktus nicht von der laufenden Berichterstattung. Herausragendes Beispiel dafür ist das Tagebuch der „Reise

23 Kurt Aland: Die Annales Hallenses ecclesiastici. Das älteste Denkmal der Geschichtsschrei­ bung des Halleschen Pietismus. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ges.-Sprachw. Reihe 4, 1955, 375–402; wiederabgedruckt in Kirchenge­ schichtliche Entwürfe. Alte Kirche. Reformation und Luthertum. Pietismus und Erweckungsbe­ wegung. Gütersloh 1960, 580–649. 24 August Hermann Francke: Tagebuch 1714. Hg. v. Veronika Albrecht-Birkner u. Udo Sträter in Zus.arb. mit Carola Wessel u. Viktoria Franke. Halle 2014. 25 Ich danke für die Beschreibung der Tagebücher Franckes dem Projektmitarbeiter Dr. Karsten Hommel für sachdienliche Hinweise.

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ins Reich“ vom 30. August 1717 bis zum 2. April 1718.26 Als dessen Schreiber können neben Francke selbst seine Reisebegleiter Georg Heinrich Neubauer (1666–1725), Johann Ulrich Christian Köppen (1694–1763) und Gotthilf August Francke27 verifiziert werden. Insgesamt hat Francke die Tagebücher, die auf Deutsch mit Einschüben in lateinischer und und sehr seltenen in grie­ chischer Sprache verfasst sind, nur zum Teil selbst niedergeschrieben. Er über­ ließ auch seinen engen Mitarbeitern und Vertrauten, wie beispielsweise Hein­ rich Julius Elers (1667–1728) oder Georg Friedrich Weise (1696–1781), die Niederschrift. Von Johann Heinrich Callenberg (1694–1760) sind Auszüge aus dem Tagebuch angefertigt worden.28 Im Rahmen des Projekts wurden alle Tagebücher in der Fotowerkstatt des Studienzentrums digitalisiert, mit den Titelaufnahme im Francke-Portal ver­ knüpft und nach Jahren, Monaten und Tagen gemäß den Originalvorlagen strukturiert. Die Nutzer können also gezielt nach diesen Strukturdaten Tage­ buchseiten aufrufen. Der Projektmitarbeiter hatte die Aufgabe, die Tage­ bücher bzw. Teile von Tagebüchern, die noch nicht transkribiert vorlagen – das gesamte Tagebuch von 1720 und Teile der Tagebücher von 1716, 1717, 1718, 1719 und 1724 – zu transkribieren und sämtliche Tagebücher, von denen bereits Abschriften vorlagen, zu kollationieren.29 Dabei stellte sich heraus, dass die Textabgleichung einen unerwartet hohen Arbeitsaufwand mit sich brachte. Grund dafür ist die Web-bedingte Notwendigkeit der manuellen Textformatierung in der „Markdown-Syntax“, die von Visual Library in die „Extensible HyperText Markup Language“ (XHTML) umgewandelt wird. Die Gestaltung des transkribierten Textes erfolgt adäquat der Quellenvorlage ausschließlich unter Verwendung von Steuerzeichen und Steuerbefehlen. Dies ist notwendig, um den Text in einem normierten Standard sowohl hinsicht­ lich der inhaltlichen Informationen als auch der äußerlichen Textgestaltung bereitzustellen, der eine Migration in andere Systeme ohne Informationsver­ lust und damit eine Systemunabhängigkeit gewährleistet. Neben den Digitali­ 26 Derzeit entsteht eine Doktorarbeit zu Franckes Reise ins Reich von Holger Trauzettel, die von Prof. Dr. Andreas Pečar, Lehrstuhlinhaber für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Mar­ tin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, und von Prof. Dr. Veronika Albrecht-Birkner, Lehr­ stuhlinhaberin für Evangelische Theologie / Forschungsstelle für Reformierte Theologie und Pie­ tismusforschung an der Universität Siegen, betreut wird. 27 „Herr Neubauer, Mr. Francke und Köppen haben am heut- u. gestrigen Tage am Diario, Corrigirung und Abschreiben der Predigten gearbeitet.“ In: August Hermann Francke: Tagebuch von 1717. Eintrag vom 24.09.1717, 81. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen: AFSt/H A 170 : 1. „Der Papa corrigierte vormittag [. . .]“. In: August Hermann Francke: Tagebuch von 1718. Eintrag vom 18.03.1718, 34. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen: AFSt/H A 171 : 1. 28 Das Tagebuch von 1715 (Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen: AFSt/H A 185 : 160) besteht aus Auszügen des nicht mehr vorhandenen Originaltagebuchs, die Callenberg selbst sowie ein oder mehrere Schreiber angefertigt haben. Von Callenberg stammt jeweils die Datierung des Eintrags im Seitenkopf und die „Quellenangabe“, meist in der Form „Fr. Diar. 1715. d. 30. Jan.“. Ich danke Dr. Jürgen Gröschl für diesen Hinweis. 29 Die Transkriptionsregeln sind im Francke-Portal hinterlegt.

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saten und Transkripten beinhaltet die Bereitstellung der Tagebücher auch deren „Verlinkung“, zunächst als Pilotprojekt, im Rahmen der Module des Francke-Portals. Das betrifft die etwa 2.300 in den Tagebüchern erwähnten Druckschriften Franckes. Diese Schriften werden mit ihren vollständigen Titelaufnahmen und vorliegenden Digitalisaten in der Francke-Bibliographie (Modul 3) verknüpft. In gleicher Weise wird mit den im Tagebuch erwähnten Briefen, die im „Epistolar“ (Modul 5) erfasst sind, oder mit den an Francke versandten Büchern, die in seiner Privatbibliothek vorhanden sind (Modul 7), verfahren. Die Tagebücher können im Francke-Portal wahlweise sowohl einzeln als digitale Images oder transkribierte Texte, als auch synoptisch angezeigt wer­ den, so dass die Nutzer die Originalhandschriften und die transkribierten Texte unmittelbar miteinander vergleichen können. Eine Volltextsuche in den transkribierten Texten ist durch die Eingabe von einem Stichwort oder mehreren Stichwörtern sowohl über alle Tagebücher oder ein einzelnes Tage­ buch möglich. Das Resultat einer solchen Recherche ist zunächst die Anzeige des Suchergebnisses für alle Tagebücher bzw. das ausgewählte Tagebuch. Die Nutzer können dann durch eine weitere monats- und tageweise strukturierte Übersicht mit verkürzter Texteinbindung gezielt die sie interessierenden Textstellen aufrufen. Da die Tagebücher eine serielle Quelle sind und die Randnotizen, die „Betreffs“, als standardisiert bezeichnet werden können, kann eine solche Stichwortsuche bereits zu brauchbaren, die Forschung unter­ stützenden Ergebnissen führen. Die konzeptionelle Perspektive in der Online-Bereitstellung der Tagebü­ cher liegt in der neuartigen Erschließung durch komplexe Verlinkung. In einer Ausbaustufe des Portals sollen die in den Tagebüchern von Francke bezeichneten Beilagen digitalisiert und mit den entsprechenden Seiten im Tagebuch verknüpft werden. Prinzipiell sind auch externe Verknüpfungen, beispielsweise auf Titelaufnahmen in Online-Katalogen, möglich, so dass immer mehr Informationen mit den Tagebüchern „verlinkt“ werden könn­ ten. Hier bestehen aber auch deutliche Grenzen des Erschließungsprojekts, weil für diese Tätigkeiten nur in begrenztem Umfang Projektmittel innerhalb eines Programms zur Förderung von Forschungsbibliotheken beantragt wer­ den können. Sowohl die Tagebücher als auch die Quellen in anderen Modu­ len des Portals könnten noch genauer und detaillierter erschlossen werden. Beispielsweise wäre es ein Desiderat, intellektuell erstellte Indices den Tage­ büchern hinzuzufügen. Dieses Desiderat und weitere Desiderate, die aus dem Kreis der wissenschaftlichen Nutzer an das Studienzentrum herangetragen werden, sollten gemeinsam diskutiert und dann ausgelotet werden, ob das Portal Ausgangspunkt für weitergehende wissenschaftliche Projekte sein könnte. Das Studienzentrum steht als Ansprechpartner für Kooperationspro­ jekte gerne zur Verfügung. Es hatte sich zum Ziel gesetzt, eine Recherche­ plattform zu Franckes gedruckten und ungedruckten Schriften aufzubauen. Der Aufbau dieser Rechercheplattform ist von der DFG gefördert worden. 212

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Damit ist aber dieses Projekt nicht beendet. Es versteht sich als „work in pro­ gress“, und deshalb sei am Schluss ausdrücklich gesagt, dass wir auf Ihre Mit­ hilfe angewiesen sind: Wenn Sie Fehler bibliographischer oder editorischer Art entdecken oder wenn Sie Titel aufspüren, die im Portal nicht angezeigt sind, dann teilen Sie das bitte im Studienzentrum mit! Sollten Sie darüber hinaus Interesse an einem weiteren Ausbau des Francke-Portals bekunden, würde es uns freuen.

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CHRISTOPH SCHMITT-MAASS

Die Privatbibliothek von August Hermann und Gotthilf August Francke Anfang Oktober 1727, keine vier Monate nach dem Tod seines Vaters August Hermann Francke (1663–1727), absolvierte der neuernannte Kondi­ rektor des Waisenhauses, sein Sohn Gotthilf August (1696–1769), einen Antrittsbesuch bei Friedrich Wilhelm I. von Preußen (1688–1740). G. A. Franckes Tagebuch hält penibel die Gespräche mit dem König fest und notiert unter dem 3. Oktober 1727: „Der König fragte auch nach des sel. Papa Bib­ liothek, und meinete, warum wir sie nicht aufs Waisenhaus gäben, verkauften und Geld dafür nähmen!“ Darauf habe Francke erwidert, „[d]aß sie nicht so considerabel, und wir sie gern zum Andenken behalten wollten.“1 Beim Tod Gotthilf August Franckes im Jahr 1769 hatten die Erben jedoch keine Vorbe­ halte mehr und ließen die Bibliothek am 24. September 1770 in Halle verstei­ gern.2 Seitdem ist diese wohl wichtigste Pietistenbibliothek verschollen. 2001 entdeckte Reinhard Breymayer jedoch das bislang einzig erhaltene Exemplar des Auktionskatalogs der Privatbibliothek Gotthilf August Franckes in der Universitätsbibliothek München (Abb. 1). Dass es sich dabei im Wesentlichen um die Privatbibliothek August Hermann (und weniger Gotthilf August) Fra­ nckes handelt, erweist die auf dem Catalogus basierende datenbankgestützte Rekonstruktion der Bibliotheca Franckiana, deren Ergebnisse im Folgenden dargelegt werden.

1 Zit. n. Gustav Kramer: Neue Beiträge zur Geschichte August Hermann Franckes. Halle 1875, 163. 2 Primär wohl G. A. Franckes zweite Ehefrau, Eva Wilhelmine Francke, geb. von Gersdorf (1710–1793), vgl. Reinhard Breymayer: Zum Schicksal der Privatbibliothek August Hermann Fra­ nckes. Über den wiedergefundenen Auktionskatalog der Privatbibliothek seines Sohnes Gotthilf August Francke. Tübingen 22001, 11.

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Abb. 1: Titelblatt und erste Seite des „Catalogus“

Von 2007 bis 2011 wurden im Rahmen eines von der Deutschen For­ schungsgemeinschaft geförderten Projekts „Rekonstruktion, Katalogisierung und Provenienzverzeichnung von Pietistenbibliotheken“ am Studienzentrum August Hermann Francke die Titel von sieben größeren pietistischen Privat­ bibliotheken und einigen kleineren Sammlungen auf der Grundlage der im Archiv der Franckeschen Stiftungen überlieferten Kataloge und Inventare rekonstruiert und mit Angabe der Provenienz in den überregional zugängli­ chen Online-Katalog des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds katalogisiert.3 Die Rekonstruktion von A. H. Franckes Privatbibliothek schließt hieran an. Im Rahmen eines 15monatigen, vom Land Sachsen-Anhalt finanzierten Pro­ jektes „Die Privatbibliothek August Hermann Franckes. Ihre Rekonstruktion auf der Grundlage des Auktionskatalogs von 1770“ am Studienzentrum August Hermann Franckes wurde eine über das Francke-Portal frei zugängli­ 3 Vgl. Brigitte Klosterberg: Zur Rekonstruktion frühneuzeitlicher Privatbibliotheken in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 67, 2012, 107–124.

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che Datenbank aufgebaut,4 die die im Auktionskatalog verzeichneten Titel validiert und Standorte für erhaltene Exemplare der jeweiligen Buchausgabe nachweist; die Recherche nach Buchexemplaren aus dem Besitz Franckes war nicht Bestandteil dieses Projektes und wird zukünftig zu leisten sein. In die­ sem Portal ist die Datenbank des Francke-Katalogs gezielt ansteuerbar; dort kann entweder übergreifend in der Freitextsuche oder innerhalb der üblichen bibliothekarischen Kategorien (Titel, Autor/Beteiligte, Drucker/Verleger, Ort und Jahr) nach Titeln recherchiert werden. Im Rahmen dieser Rekonstruktion konnten statistisch auswertbare Daten generiert werden, die die Privatbibliothek Franckes deutlicher konturieren; darüber hinaus können Aussagen zu Aufbau und Anordnung der Bücher getroffen werden. Eine separate Auswertung dieser Daten ist auch deshalb zwingend notwendig, da die vom Francke-Portal automatisch generierten sta­ tistischen Angaben nicht immer der tatsächlichen inhaltlichen Zusammenset­ zung gerecht werden (z. B. bei mehreren oder fiktiven Verlagsorten u. ä.). Wir werden zunächst (1.) den Aufbau des Auktionskatalogs von 1770 und der Bibliothek Franckes erläutern, anschließend (2.) eine quantitative und qualita­ tive Auswertung der Privatbibliothek A. H. Franckes vornehmen, ehe wir schließlich (3.) ein vorläufiges Fazit ziehen und mögliche weitere Perspekti­ ven für die zukünftige Forschungsarbeit benennen. 1. Aufbau des Auktionskatalogs von 1770 Der Catalogus erfasst die Bücher nach der Buchgröße. Die Auktionslose sind unterteilt in vier Kategorien: Libri (zur vereinfachten Systematisierung in der Datenbank als ‚Libri theologici‘ geführt), Libri peregrini idiomatis, Rohe Sachen und Libri omissi (Abb. 2). Innerhalb dieser Kategorien erfolgt die Ver­ zeichnung nach Buchformaten (folio, quarto, octavo und duodecimo). Die Rubrizierung kann – den Gepflogenheiten der Auktionskataloge des 18. Jahr­ hunderts entsprechend – keine systematische Relevanz beanspruchen: Unter den „Libri“ (also „Libri theologici“) finden sich v. a. lateinische, aber auch weitere fremdsprachige Titel (vornehmlich, aber nicht ausschließlich theolo­ gischen Inhalts); unter den „Libri peregrini idiomatis“ finden sich auch theo­ logische Titel etc.

4 Seit 01. 03. 2013 läuft ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt „Francke-Portal. Aufbau einer internetgestützten Rechercheplattform zu August Hermann Fran­ cke, seinen gedruckten und ungedruckten Schriften“ am Studienzentrum August Hermann Fran­ cke, vgl. http://digital.francke-halle.de/

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Bezeichnung im Catalogus

Ordnungsnummern im Catalogus

Seitenzahlen des Catalogus

Libri Libri Libri Libri Libri

Nr. 1–250 Nr. 1–593 Nr. 1–1043 Nr. 1–344

S. 1–11 S. 11–58 S. 58–133 S. 133–161

Nr. 1–28 Nr. 29–73 Nr. 74–319 Nr. 320–474

S. 162–163 S. 163–166 S. 166–183 S. 183–194

Nr. 1–2 Nr. 3–41 Nr. 42–157 Nr. 158–177

S. 195 S. 195–197 S. 197–207 S. 207–208

Nr. 1–25 Nr. 26–67

S. 209–210 S. 211–214

in folio in quarto in octavo in duodecimo peregrini idiomatis in folio in quarto in octavo in duodecimo Rohe Sachen in folio in quarto in octavo in duodecimo Libri omissi in folio in quarto Abb. 2: Gliederung des Catalogus

Innerhalb der ersten Ordnungskategorie, der nicht genauer spezifizierten Gruppe Libri, findet sich keine über das Buchformat hinausgehende Feinsor­ tierung. Anhand des größten Buchbestandes, der Libri [theologici] in octavo, lässt sich jedoch ein zumindest rudimentäres Ordnungssystem beobachten, das aber nicht stringent durchgehalten ist (Abb. 3). 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

Bibeln (inkl. Übersetzungen, Teil-Übersetzungen, Evangelienharmonien) Einführungen in biblische Schriften Einführungen in das Theologie-Studium Erbauungsliteratur Streitschriften Theologische Traktate und Kommentare Predigtsammlungen und Gelegenheitsschrifttum Theologische Dissertationen

Abb. 3: Rekonstruierte Binnengliederung der Libri [theologici] in octavo

In Übereinstimmung mit anderen zeitgenössischen Auktionskatalogen, die feinsortiert sind, nehmen Bibelausgaben eine exponierte Stellung ein; die Relevanz der propädeutischen Schriften (vor der Erbauungs- oder Kontro­ versliteratur) erklärt sich mutmaßlich aus A. H. Franckes Lehrtätigkeit. Even­ 217

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tuell lässt sich dieses rudimentäre Ordnungssystem durch die Aufstellung der Bücher im Wohnhaus G. A. Franckes erklären;5 ebenso gut könnten sie jedoch der Verlagerung und Aufstellung am Auktionsort, dem Geschäftshaus des Auktionators Johann Friedrich Werner (ca. 1730–1794),6 geschuldet sein.7 Die Rekonstruktion der Büchertitel des Catalogus bereitet (neben den zeit­ typischen Druckfehlern) einige generelle Probleme: Obwohl die bibliographi­ schen Angaben in den meisten Fällen hinreichend präzise sind, um den genannten Titel eindeutig zu identifizieren, sind sie gelegentlich – v. a. was die Angabe von Druckort und -jahr betrifft – nur annähernd zuverlässig; Dubletten stehen häufig nicht beieinander, sondern finden sich v. a. in den beiden letzten (nachgelieferten) Kategorien (Rohe Sachen/Libri omissi). Außer­ dem werden mehrbändige Werke teils unter einer Losnummer zusammenge­ fasst, teils in mehrere Losnummern aufgeteilt. Darüber hinaus ist nicht immer klar, ob eine Losnummer einem gebundenen Buch entspricht, also Sammel­ bindungen vorliegen. V. a. im Falle von Dissertations-, Predigt- und Gelegen­ heitsschriften erfolgt die Verzeichnung häufig nur summarisch, etwa als „ein Fascicel theol. Disputt., 27 Stück“ oder „Predigten, von Freylinghausen, Majus, Spener u. a., 23 Stück“.

2. Quantitative und qualitative Auswertung Die Titel wurden aus Zeitgründen primär auf der Grundlage der im Inter­ net abrufbaren bibliothekarischen Datenbanken – Gemeinsamer Bibliotheks­ verbund (GBV), Karlsruher Virtueller Katalog (KVK), die Verzeichnisse deutschsprachiger Drucke des 16. bis 18. Jahrhunderts (VD 16, VD 17, VD 18) – rekonstruiert. In allen Fällen, in denen sich der Titel nicht nachweisen ließ, wurden zusätzlich die zeitgenössischen Gelehrtenlexika sowie die zeitgenössi­ schen Buchhandelskataloge (etwa Theophil Georgis Allgemeines Europäisches Bücher=Lexicon etc.) konsultiert. Die Quote der auf diesem Weg zumindest in Ansätzen rekonstruierbaren Buchtitel liegt (unter Ausschluss der nicht sinn­ voll rekonstruierbaren Titel, also der nicht näher bezeichneten Sammelbin­ dungen der Gelegenheitsschriften, der Dissertations- und Predigtsammlun­ gen) bei 96,8 Prozent. Wir möchten nun zunächst versuchen, den Catalogus und damit die Privat­ bibliothek von August Hermann und Gotthilf August Francke statistisch zu 5 Breymayer, Privatbibliothek [s. Anm. 2], 11, vermutet den Waisenhausinspektor und Privat­ sekretär G. A. Franckes, Sebastian Andreas Fabricius (1716–1790), als Verfasser des Catalogus. 6 Breymayer, Privatbibliothek [s. Anm. 2], 12. 7 Hans Dieter Gebauer (Bücherauktionen in Deutschland im 17. Jahrhundert. Bonn 1987, 76 ff.) stellt fest, dass die Einteilung der Auktionskataloge nach Buchformaten die gängige Praxis gewe­ sen sei. Nähere Hinweise könnte der Vergleich mit anderen von Werner versteigerten Bibliothe­ ken und den hierzu angelegten Auktionskatalogen im Stadtarchiv Halle erbringen.

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konturieren; die statistischen Daten bieten Indizien zu den Besitzverhältnis­ sen. Insgesamt kamen bei der Auktion 3.046 Lose zur Versteigerung (Abb. 4). Die Zahl der in ihnen enthaltenen Buchbände ist aber weit höher und beläuft sich auf 3.784 Bände. In diesen waren 6.105 Buchtitel enthalten, mutmaßlich sogar an die 8.000 Titel, wenn man die ungenauen Angaben bei den Gelegen­ heitsschriften, den Dissertations- und Predigtsammlungen bedenkt. Bezogen auf die Gesamtzahl der Titel machen die Rarissima – also Bücher, die entwe­ der gar nicht oder nur mit ein bis zwei Exemplaren nachweisbar sind – zwölf Prozent aus.

Lose Buchbände Buchtitel Gesamtanteil nicht rekonstruierbarer Titel davon aufgrund unzureichender Angaben Titel nicht zuordbar davon Auflage nicht exakt zuordbar davon nicht ermittelbar davon kein existierendes Exemplar ermittelbar Anteil Rarissima

Summe

Anteil in %

3046 3784 6105 1247 1124

100 114,0 112,0

1166 1142 1115 1732

111,1 110,7 110,2 112,0

Abb. 4: Summe Lose, Bände, Titel

Diese bibliographischen Ungenauigkeiten des Catalogus spiegeln auch die ver­ schiedenen Arten des Bucheinbandes wider, die im Catalogus angegeben sind. Auch wenn es möglich (und im Falle der ungebundenen Rohen Sachen wahr­ scheinlich) ist, dass die zur Auktion gelangten Bücher innerhalb der letzten drei Jahrhunderte neu gebunden wurden, so liefert die Einbandkategorie doch entscheidende Hinweise, die es zukünftig erleichtern wird, physisch vorhan­ dene Bücher anderer Bibliotheken als mutmaßliche Exemplare aus Franckes Privatbibliothek zu identifizieren. Die Kategorie der Bucheinbände zeichnet aber auch ein Bild vom materiellen Wert der Bücher und lässt die Bibliothek gleichsam vor dem inneren Auge des Betrachters wieder auferstehen (Abb. 5). Nur für knapp die Hälfte der zur Auktion gelangten Bücher sind Angaben zur Bindung erhalten. Unter den gebundenen Büchern dominieren die einfa­ chen Pappbänden (zu 52 Prozent), so dass die Privatbibliothek beider Francke folglich relativ schmucklos war. Die Franzbände, z. T. vergoldet, nehmen mit 30 Prozent unter den gebundenen Büchern den zweiten Rang ein und dürf­ ten auch optisch das Bild von Franckes Privatbibliothek bereichert haben. Auch Ganzleder- und Pergamentbände befanden sich in Franckes Bibliothek, sie machen aber nur knapp sechs bzw. knapp ein Prozent des Gesamtbestandes aus.

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Einbandart Pappband Franzband [davon vergoldet Halber Pappband Englischer Band [davon vergoldet Corduanband [davon vergoldet Schweinslederband Halbfranzband Pergamentband [davon vergoldet Kalbslederband [davon vergoldet Lederband [davon vergoldet Hornband Juchtenband [davon vergoldet

Summe

Anteil in %

608] 353] 126] 157] 157] 116] 137] 135] 114] 111] 119] 112] 118] 116] 116] 113] 112] 112] 111]

52,2 30,3 14,9 14,9 13,2 11,2 10,9 10,8 10,7 10,5 10,2 10,2

Abb. 5: Verteilung Bucheinbände

Insgesamt entfällt die Mehrzahl der rekonstruierbaren Titel mit fast 70 Pro­ zent auf theologische Fachliteratur, was wenig verwundern dürfte (Abb. 6). Fachgebiet Theologie Geschichte Medizin Philologie Lexika, Hilfswissenschaften Pädagogik Schöne Literatur Philosophie Naturwissenschaften Jura Verhaltensliteratur Rhetorik Sonstiges

Summe Titel

Anteil in %

2213 1207 1114 1103 1175 1161 1161 1161 1134 1124 1121 1111 1204

69,4 16,5 13,6 13,2 12,4 11,9 11,9 11,9 11,0 10,8 10,7 10,3 16,4

Abb. 6: Fachgebiete

Die übrigen Gebiete – Geschichte, Medizin, Philologie etc. – schlagen mit jeweils etwa sieben, vier und drei Prozent zu Buche, weitere Disziplinen – 220

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wie Jura oder Rhetorik – nehmen noch weniger Raum ein. Verschwindend gering – aber immer noch höher als im Falle der Naturwissenschaften – ist erwartungsgemäß der Anteil der schönen Literatur am Catalogus (1,9 %), bei der der Anteil geistlicher Lyrik überwiegt (auch wenn Francke Homers Epen und die Komödien Plautus’ ebenso besaß wie die geistlichen und weltlichen Gedichte von Martin Opitz (1597–1639), Andreas Gryphius (1616–1646), Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz (1654–1699) und Johann Rist (1607– 1667)). Betrachtet man das Fachgebiet Theologie etwas genauer (Abb. 7), so rech­ net das Gros der Titel zur Gattung der exegetischen Kommentarliteratur (29,3 %), gefolgt von der Erbauungsliteratur (17,8 %), den theologischen Traktaten (13,8 %) und der Kontroversliteratur (13,0 %). Gegenüber den Bibelausgaben mit einem hohen Anteil von Psalter-Übersetzungen (7,8 %) fällt die Predigtliteratur (5,2 %) merklich ab. Theologische Gattungen Theologische Kommentare Erbauungsliteratur Theologische Traktate Theologische Streitschriften Bibelausgaben Predigten u. Predigtsammlungen Katechismen Theologische Dissertationen Gesangbücher Theologische Einführungen Homiletik Gebetbücher Heiligenviten

Summe Titel

Anteil in %

649 395 305 288 172 116 181 172 163 159 116 119 116

29,3 17,8 13,8 13,0 17,8 15,2 13,7 13,3 12,8 12,7 10,7 10,3 10,3

Abb. 7: Theologische Gattungen

Zu den Besonderheiten der Privatbibliothek Franckes zählt die hohe Anzahl an Ausgaben, Übersetzungen und Kommentaren zum Hohelied, außerdem enthält die Bibliothek einen in Kontinentaleuropa unikalen Bestand englischer Erbauungsliteratur8 wie auch von Schriften Cotton Mathers.9 Für die übrigen Fachgebiete neben der Theologie seien kurz einige signifi­ kante Merkmale festgehalten, die die Francke-Privatbibliothek gegenüber

8 Udo Sträter: Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbau­ ungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert. Tübingen 1987. 9 Wolfgang Splitter: August Hermann Franckes Briefwechsel mit Cotton Mather. In: Freiheit, Fortschritt und Verheißung. Blickwechsel zwischen Europa und Nordamerika seit der frühen Neuzeit. Hg. v. Claus Veltmann [u. a.]. Halle 2011, 61–69.

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anderen zeitgenössischen (pietistischen) Gelehrtenbibliotheken klarer kontu­ rieren: – Das Fachgebiet Geschichte wird zu 30 Prozent von Chroniken, zumeist kirchengeschichtlichen Inhalts, zu 29 Prozent von Berichten, darunter zahlreiche Missionsberichte u. ä., und zu 21 Prozent von Biographien geprägt. Neben Biographien zu antiken Persönlichkeiten dominieren Biographien zu religiös wirksamen Gestalten, etwa Martin Luthers (1483–1546) oder Johannes a Lascos (1499–1560). – Das Fachgebiet Philologie wird zu 46 Prozent von Grammatiken und 34 Prozent von Wörterbüchern dominiert, hingegen machen die philologi­ schen, meist den biblischen Sprachen gewidmeten Dissertationen nur 17 Prozent aus. – Etwa 54 Prozent des Fachgebiets Pädagogik ist von pädagogischen Trak­ taten geprägt, z. B. von John Locke (1632–1704) oder François Fénelon (1651–1715). – Im Fachgebiet der schönen Literatur überwiegt die (v. a. geistliche) Lyrik zu 51 Prozent, gefolgt von Fürstenspiegeln (12%) und Epen (5%). – Das Fachgebiet der ‚Naturwissenschaften‘ versammelt Titel, die den Bereichen der Geographie (41 %), der Chemie (12 %), der Astronomie (9 %), der Botanik (9 %) sowie der Physik, Geologie und Mathematik (jeweils 6 %) zugehören. Mit jeweils drei Prozent schlagen Meteorologie, Geometrie und Anatomie zu Buche. – In der Kategorie „Sonstiges“ finden sich schließlich zu 31 Prozent Gele­ genheitsschriften (von denen die Predigtschriften bereits abgezogen sind), 23 Prozent Briefsammlungen (darunter die Plinius-Briefe und Erasmus von Rotterdams Colloquia familiaria) und 14 Prozent unter­ schiedliche Periodika (darunter auch die Acta eruditorum). Dass die Theologie die im Catalogus am häufigsten vertretene Disziplin ist, erhellt auch eine Bilanzierung der meist vertretenen Autoren (Abb. 8), die von Philipp Jakob Spener (1635–1705; 58 Titel) angeführt wird, gefolgt von A. H. Francke (mit 46 Titeln)10 und Martin Luther (mit 45 Titeln; zum Ver­ gleich: Philipp Melanchthon [1497–1560], ist mit nur sechs Titeln vertreten). Unter den nicht-deutschsprachigen Autoren ist Cotton Mather (1663–1728) der meist vertretene Autor mit 25 Titeln, gefolgt von Pietro Matteo Petrucci (1636–1701) mit acht Titeln und John Bunyan (1626–1688) mit sechs Titeln.

10 G. A. Francke ist hingegen – gemäß seiner im Vergleich zum Vater geringen literarischen Produktivität wenig überraschend (G. A. Francke trat v. a. als Herausgeber der indischen und nordamerikanischen Missionsberichte hervor, jedoch nicht mit eigenen Erbauungsschriften oder theologischem Schriftgut) – mit nur einem Titel als Autor und mit zehn Titeln als Herausgeber vertreten.

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Autor Philipp Jakob Spener (1635–1705) August Hermann Francke (1663–1727) Martin Luther (1483–1546) Joachim Lange (1670–1744) Sebastian Schmidt (1617–1696) Cotton Mather (1663–1728) Johann Jakob Rambach (1693–1735) Johann Arndt (1555–1621) Joachim Justus Breithaupt (1658–1732) Siegmund Jakob Baumgarten (1706–1757) Johann Friedrich Bertram (1699–1741) Johann Heinrich Majus (1653–1719) Johann Samuel Carl (1667–1757) Johann Anastasius Freylinghausen (1670–1739) Johann Franz Buddeus (1667–1729) Johann Caspar Schade (1666–1698) Johann Hübner (1668–1731) Johann Salomo Semler (1725–1791)

Summe Verfassertitel 58 46 45 39 30 25 25 18 17 15 14 14 13 13 12 11 10 10

Abb. 8: Meist genannte Autoren

Sprachlich dominieren die deutschsprachigen Publikationen geringfügig vor den altsprachlichen (also der Gesamtheit der hebräischen, altgriechischen und lateinischen Titel) Publikationen mit 46 gegenüber 39 Prozent (Abb. 9). Die neuen Sprachen machen zusammen nur rund 14 Prozent aus und werden von englisch- und französischsprachigen Publikationen dominiert, wobei die dritt­ häufigst vertretene Sprache Niederländisch ist.

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Sprache

Summe Titel

Anteil in %

1631 1238 1244 1135 1164 1156 1142 1120 1119 1116 1114 1114 1114 1121

46,3 35,2 16,9 13,8 11,8 11,6 11,2 10,6 10,3 10,2 10,1 10,1 10,1 10,6

1122 1111 1113

10,6 10,3 10,1

Deutsch Latein Englisch Französisch Hebräisch Altgriechisch Niederländisch Italienisch Russisch Spanisch Dänisch Neugriechisch Portugiesisch Übrige semitische Sprachen Dravidische Sprachen (Tamil, Telugu, Kannada, Malayalam) Übrige slawische Sprachen Finno-ugrische Sprachen Abb. 9: Verteilung Sprachen

Die Druck- und Verlagsorte geben Aufschluss über die Internationalität von Franckes Privatbibliothek, zeugen aber auch von der Dominanz der Druck­ orte, die im Alten Reich lagen (Abb. 10). Druck-/Verlagsorte international Altes Reich Niederlande Großbritannien Schweiz Frankreich Nordamerika Dänemark Italien Indien Sonstige (v. a. slawische Sprachen)

Summe Titel

Prozentualer Anteil

2179 242 218 197 181 130 124 116 115 117

75,1 18,3 17,5 13,3 12,8 11,0 10,8 10,5 10,2 10,2

Abb. 10: Druck- und Verlagsorte international

Während unter den ausländischen Druck- und Verlagsorten London (6,7 %), Amsterdam (4,5 %)11 und Basel (1,7 %) überwiegen, ist die Verlagsproduktion 11 Zu bedenken ist, dass Amsterdam häufig als fingierter Druckort, besonders bei mystischem Schrifttum, angegeben wurde.

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im Alten Reich (Abb. 11) von den Verlagsorten Halle, Leipzig sowie Frank­ furt an der Oder und Frankfurt am Main geprägt, wobei die lokalen Druck­ orte Halle und Leipzig mit zusammen fast 55 Prozent deutlich dominieren.12 Druck-/Verlagsorte im Alten Reich

Summe Titel

Prozentualer Anteil

487 408 133 132 181 179 166 153 148 146 138 129 129

29,9 25,0 18,2 18,1 14,9 14,8 14,1 13,3 12,9 12,8 12,3 11,8 11,8

Halle Leipzig Frankfurt/O. Frankfurt a. M. Jena Wittenberg Berlin Hamburg Nürnberg Köln Straßburg Helmstedt Lüneburg Abb. 11: Druck- und Verlagsorte im Alten Reich

Die Bibliothek umfasste auch Wiegendrucke. Der älteste Druck datiert von 1488, es handelt sich um die Summa angelica de casibus conscientiae des Angelus Carletus (1410–1495), die in Nürnberg bei Anton Koberger d. Ä. (1440– 1513) verlegt wurde.13 Noch aus dem Todesjahr von Gotthilf August Francke datieren fünf Titel, darunter Heinrich von Bünaus (1697–1762) Betrachtungen über die Religion und ihren itzigen Verfall, die in Leipzig bei Ulrich Christian Saalbach (gest. 1791) erschienen – möglicherweise handelt es sich auch um postume Zugaben der Erben. Welche Bücher stammen aus dem Besitz von August Hermann, welche aus dem von Gotthilf August Francke? Nimmt man das Todesjahr des Vaters 1727 als terminus ante quem, so sind 74,5 Prozent der Titel vor 1727 publiziert worden (Abb. 12).

12 Der Anteil der Drucke, die in Frankfurt/Main erschienen, ist u. a. auf die breit vertretene Spener-Literatur zurückzuführen. Die Wittenberger Drucke beinhalten zum größten Teil Schrif­ ten Luthers und seines Umfeldes. 13 Bei dem zweiten Wiegendruck handelt es sich um Robert Holcots Schrift Super libros sapien­ tie (Hagenau: Gran, 1494).

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Druckjahre

Summe Titel

Anteil in %

1488–1500 1501–1550 1551–1600 1601–1650 1651–1700 1701–1727 1728–1769

1112 1171 1113 1172 1682 1015 1706

10,1 12,6 14,1 16,2 24,7 36,8 25,6

Abb. 12: Druckjahre

Differenzierter lässt sich dieser Befund durch einen exponentiellen Wachs­ tumsgraph darstellen (Abb. 13): dieser zeigt deutlich, dass der Anteil jener Bücher, deren Druckjahr nach 1727 datiert, deutlich geringer ist; darüber hinaus zeigt er, dass das Gros der erworbenen Bücher in den Jahren zwischen 1651 und 1701 sowie noch einmal zwischen 1701 und 1727 gedruckt wurde. Sicherlich ist es nicht auszuschließen, dass auch Buchbestände des FranckeSohnes, die dieser bereits vor 1727 erworben hat, in der gemeinsamen Biblio­ thek aufgingen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der Catalogus pri­ mär die Privatbibliothek A. H. Franckes repräsentiert, und nur nachgeordnet die seines Sohnes:

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1200

Summe Titel

1000 800 600 400 200

1728-1770

1701-1727

1651-1700

1601-1650

1551-1600

1501-1550

1450-1500

0

Druckjahre

#abb16/ Abb. 13: Druckjahre (Wachstumsgraph)

Zu bedenken ist jedoch, dass eventuell in Franckes Privatbibliothek auch Teile der Bibliothek von A. H. Franckes Vater Johann (1626–1670) integriert sind; zudem listet der Catalogus 13 Bibliotheks- und elf Auktionskataloge auf, an deren Versteigerung sich A. H. und G. A. Francke wohl beteiligt haben dürften, u. a. die Bibliothek von Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz (1654–1699, versteigert 1700), Johann Benedikt Carpzov (1639–1699, verst. 1700), Gottfried Vockerodt (1665–1727, verst. 1728), Joachim Justus Breit­ haupt (1658–1732, verst. 1732), Christian Thomasius’ (1655–1728, verst. 1739), Gottfried Balthasar Scharff (1676–1744, verst. 1746) und Lorenz Mos­ heim (1694–1755, verst. 1756). Weitere Entnahmen und Hinzufügungen durch die Erben, vor allem direkt nach den Todesfällen 1727 und 1769, müs­ sen bedacht werden; darüber hinaus werden ‚anstößige‘ Bücher – sollte Francke solche überhaupt besessen haben – nicht verauktioniert worden sein.14 Daraus dürften sich auch gelegentliche Lücken in der Loszählung erklä­ ren. 14

Breymayer, Privatbibliothek [s. Anm. 2], 13.

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3. Fazit und weitere Perspektiven Zusammenfassend lässt sich also konstatieren, dass es sich bei der zur Ver­ steigerung gelangten Bibliothek mutmaßlich primär um die Privatbibliothek August Hermann Franckes und weniger um die seines Sohnes Gotthilf August handelt. Diese stellt sich als Gebrauchsbibliothek dar, deren Bestände sich größtenteils aus regionalen Druckerzeugnissen des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts zusammensetzen. Im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Pie­ tistenbibliotheken,15 etwa jener Friedrich Brecklings (1629–1711, 925 Titel),16 Andreas Achilles’ (1656–1721, 1.430 Titel), Justus Lüders’ (um 1656–1708, 5.289 Titel), Paul Antons (1661–1730, 5.883 Titel), Gottfried Arnolds (1666– 1714, 1.072 Titel),17 Johann Friedrich Ruopps (1672–1708, 573 Titel)18 oder Heinrich Mildes (1676–1739, 1.015 Titel)19 ist die Bibliotheca Franckiana als umfangreich anzusehen; einzig die umfangreiche Bibliothek Carl Hildebrands von Canstein (1667–1719) ist mit 11.091 Titeln deutlich größer.20 Aber auch den Vergleich mit den zeitgenössischen Gelehrtenbibliotheken braucht die Bibliotheca Franckiana nicht scheuen: Sie ist deutlich größer als die Privatbiblio­ thek Samuel von Pufendorfs (1632–1694, 2.000 Titel)21 und fast ebenso groß wie die Privatbibliothek von Jacob (1622–1684), Christian (1655–1728) und Gottfried Thomasius (1660–1746), die 8.766 Titel22 zählt. Die relativ hohe Zahl fremdsprachiger Publikationen im Genre der Erbauungsliteratur, v. a. von englischen, französischen und italienischen Autoren, gibt Hinweise auf 15

Alle Daten nach Klosterberg, Rekonstruktion [s. Anm. 3], 118. Friedrich Breckling (1629–1711). Prediger, „Wahrheitszeuge“ und Vermittler des Pietismus im niederländischen Exil. Hg. v. Brigitte Klosterberg u. Guido Naschert. Bearb. v. Mirjam-Juliane Pohl. Halle 2011, bes. 103–151; dort auch weiterführende Literatur. 17 Reinhard Breymayer: Die Bibliothek Gottfried Arnolds (1666–1714), des Verfassers der „Unpartheyischen Kirchen- und Ketzerhistorie“. Erste Bemerkungen zu einem unbekannten Katalog seines Buchbesitzes. In: Linguistica Biblica 39, 1976, 86–132, hier 89. 18 Michaela Scheibe: Rekonstruktion einer Pietistenbibliothek. Der Büchernachlass des Johann Friedrich Ruopp in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen. Tübingen 2005, 20. 19 Brigitte Klosterberg u. Svetlana Mengel: Odno iz starejšich slavjanskich sobranij v Zapadnoj Evrope, ego ėlektronnaja obrabotka i prezentacija: Slavica v biblioteke i archive Fonda Avgusta Germanna Franke v Galle [Eine der ältesten slavischen Sammlungen in Europa, ihre Erschließung und Präsentation: Die Slavica in Bibliothek und Archiv der Stiftungen August Hermann Franckes in Halle]. In: Slov’jan’ski Obriï. Zbirnyk naukovvch prac’ 7, 2013, 51–67. 20 Brigitte Klosterberg u. Anke Fiebiger: Die Privatbibliothek Carl Hildebrand von Cansteins. In: „Aus Gottes Wort und eigener Erfahrung gezeiget“. Erfahrung – Glauben, Erkennen und Han­ deln im Pietismus. Beiträge zum III. Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2009. Hg. v. Christian Soboth u. Udo Sträter. Halle 2012, 681–693. 21 Fiametta Palladini: La Biblioteca di Samuael Pufendorf. Catalogo dall’asta di Berlin del set­ tembre 1697. Wiesbaden 1999. 22 Vgl. dazu Raabes Bewertung der Thomasius-Bibliothek als ‚durchschnittlich‘ hinsichtlich der Zahl und Auswahl der Bände, vgl. Paul Raabe: Christian Thomasius in Wolfenbüttel. In: Christian Thomasius. 1655–1728. Interpretationen zu Werk und Wirkung. [. . .]. Hg. v. Werner Schneiders. Hamburg 1989, 59–71, hier 59. 16

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Vorbilder und Quellen, auf die A. H. Francke zur Abfassung seiner eigenen Schriften zurückgegriffen haben könnte. Zukünftige Forschungen könnten diese Beeinflussung von Franckes Denken und Handeln bearbeiten.23 Dass die deutschsprachigen vor den lateinischen Publikationen überwiegen, gehört zu den eher unerwarteten Entdeckungen, nicht so sehr mit Blick auf die zeitge­ nössischen Privatbibliotheken als mit Blick auf die Privatbibliothek eines Theologen und Philologen.24 Abschließend möchten wir noch Perspektiven für weitere Arbeiten an der Francke-Bibliothek entwickeln: 1. Zur Ermittlung der noch physisch vorhandenen Exemplare aus Franckes Besitz kann von den Rarissima ausgegangen werden, also von jenen Büchern, von denen weltweit nur noch ein Exemplar oder zwei bis drei Exemplare über die im Internet abrufbaren Datenbanken ermittelbar sind. Bei diesen Exemplaren ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie aus Franckes Privatbibliothek stammen, relativ hoch, zumal in den Fällen, in denen eine heute besitzende Bibliothek mehrere Rarissima aufzuweisen hat. Zur genaueren Ermittlung der tatsächlichen Zahl von Rarissima müssen einerseits die dem Versteige­ rungsort Halle räumlich nahegelegenen Bibliotheken und ihre Kataloge kon­ sultiert werden; andererseits verdichten sich Hinweise auf den Verbleib der Bibliotheca Franckiana. Die Recherche in den Online-Katalogen ergab, dass Titel, die auch in der Francke-Privatbibliothek verzeichnet sind, gehäuft in fünf Bibliotheken stehen, die um 1770 entstanden sind bzw. erweitert wurden (Abb. 14). Das betrifft (1.) die heute zur Staatsbibliothek zu Berlin gehörige Sammlung des Diplomaten Heinrich Friedrich von Diez (1750–1817), (2.) die heute noch existierende fürstliche Büchersammlung des Grafen Heinrich XI. Reuß in Greiz (1722–1800), (3.) die Bibliothek der Georg-August-Universität Göttingen; (4.) die ehemalige Universitätsbibliothek von Bützow, heute im Bestand der Universitätsbibliothek Rostock,25 sowie (5.) die Universitätsbi­ bliothek München, aus der ja auch der Catalogus stammt.26 Spezifiziert wird dieses Bild, wenn man die Häufung nach Rarissima eruiert: dann verschiebt

23

Einen ersten kursorischen Ansatz hierzu bietet Breymayer, Privatbibliothek [s. Anm. 2]. Zur Sprachverteilung in den Gelehrten- und Pietistenbibliotheken vgl. Klosterberg, Rekon­ struktion [s. Anm. 3], 119. Vgl. beispielhaft Johann Friedrich Ruopps Bibliotheksnachlass, der zu 42 % (bei Francke: zu 46 %) aus deutschen, zu 45 % (bei Francke: zu 39 %) aus altsprachlichen Publikationen besteht, vgl. Scheibe, Rekonstruktion [s. Anm. 18], 23. 25 Die zahlreichen Exemplare aus der Universitätsbibliothek Rostock entstammen mutmaßlich den Beständen der Universität Bützow, die 1760 bis 1789 bestand und eine pietistische Neugrün­ dung gegen die lutherisch-orthodoxe Universität Rostock war. Eventuell hat sich der Bützower Bibliothekar Oluf Gerhard Tychsen (1734–1815) für den Erwerb von Teilen der Francke-Biblio­ thek in Bützow eingesetzt. 26 Ausweislich alter Buchstempel stammt der „Catalogus“ jedoch aus der Universitätsbiblio­ thek Ingolstadt, die 1800 nach Landshut und 1826 nach München verlegt wurde, wo sie heute den Altbestand der dortigen Universitätsbibliothek stellt, vgl. Breymayer, Privatbibliothek [s. Anm. 2], 8. 24

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sich die Gewichtung zugunsten der Bestände in den Bibliotheken Halles, zugunsten der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, gefolgt von den Bibliotheken in Göttingen, Wolfenbüttel, Berlin, Dresden, Rostock und München. An diesen Bibliotheken wäre also eine zukünftige Recherche nach Buchexemplaren, die eventuell in Franckes Privatbibliothek standen, sinn­ voll. Bibliothek Gesamtsumme Rarissima davon in Halle (BFSt/ULB Halle/Marienbib.) befindlich davon in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart davon in der Niedersächsischen Staats- und Universitäts­ bibliothek Göttingen davon in der Herzog-August Bibliothek Wolfenbüttel davon in der Staatbibliothek Berlin davon in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden davon in der Universitätsbibliothek Rostock davon in der Universitätsbibliothek München davon in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek Weimar davon sonstige (weniger als zehn Rarissima)

Summe

Anteil in %

732 187 133 130

100,1 111,9 114,5 114,1

121 120 118

112,9 112,7 112,5

115 114 110

112,0 111,9 111,4 166,1

Abb. 14 Verteilung von Rarissima

Der Catalogus verzeichnet darüber hinaus mehrere durchschossene Exemplare, die eventuell handschriftliche Kommentare Franckes enthalten. Auf der Grundlage der Datenbank werden die erhaltenen Buchexemplare zukünftig auf diese Marginalien hin zu überprüfen sein; eventuell sind auf diese Weise noch Handexemplare A. H. Franckes ermittelbar. 2. Der Nachweis von Erwerbungen für die Privatbibliothek ist durch Ver­ knüpfung mit Franckes Briefen und Tagebüchern in der Datenbank des Fran­ cke-Portals möglich, das beide Medien digital aufbereitet und auch Buchs­ chenkungen und Widmungen verzeichnet. Daher ist eine Verknüpfung der entsprechenden Einträge mit eventuell im Catalogus genannten Titeln sinn­ voll. Dadurch lässt sich – über den Nachweis von Einflüssen anderer Autoren auf das Werk A. H. Franckes hinaus – pietistische Netzwerkbildung doku­ mentieren und die Frage beantworten, ob es sich bei der Privatbibliothek der Franckes ggf. um eine „Freundschaftsbibliothek“ mit repräsentativem Anspruch handelt. Darüber hinaus verlinkt die im Francke-Portal abrufbare Datenbank des Catalogus bereits jetzt alle im VD 16–18 verfügbaren Digitali­ sate, so dass ein direkter Textzugriff am Bildschirm möglich ist. Um die dem Catalogus eigene Ordnung besser verstehen zu können, wird zukünftig im Rahmen des Francke-Portals auch ein Digitalisat des Catalogus bereitgestellt werden. 230

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3. Durch Vergleich mit anderen pietistischen Privatbibliotheken könnte die inhaltliche Erschließung der Francke-Bibliothek wie auch das Profil der pie­ tistischen Bibliotheken insgesamt präziser konturiert werden. Gleichzeitig ist die datenbankgestützte Rekonstruktion einer im 18. Jahrhundert verauktio­ nierten Privatbibliothek ein (wie wir meinen: erfolgreicher) Pionierversuch, an den anzuschließen wäre, etwa durch die Rekonstruktion der gleichfalls verauktionierten Privatbibliothek Philipp Jakob Speners.27 Gotthilf August Francke hatte eine Auktion der väterlichen Bibliothek noch nicht in Betracht gezogen. 1709 – die Waisenhausbibliothek war noch im Aufbau – warb sein Vater in den Wahrhafften und umständlichen Nachrichten von dem Waysen=Hause: „Einige haben Bücher geerbet / und an statt daß sie solche hätten verkauffen mögen / haben sie dieselbigen dem Waysen=Hause vereh­ ret / damit auch weniger Anfang gemachet worden zu einer Bibliothec für die im Waysen=Hause Studirende.“28 Dass Gotthilf August nicht diesen Empfeh­ lungen seines Vaters folgte und dass seine Erben die Privatbibliothek 1770 schließlich veräußerten, trägt mit dazu bei, dass die wohl wichtigste Pietisten­ bibliothek mühsam rekonstruiert werden muss.

27 Reinhard Breymayer: Der „Vater des deutschen Pietismus“ und seine Bücher: Zur Privatbi­ bliothek Philipp Jakob Speners. In: Bibliothecae selectae da Cusano a Leopardi. Hg. v. Eugenio Canone. Florenz 1993, 299–331. 28 August Hermann Francke: Seegens=volle Fußstapfen [. . .].Halle 31709, 54.

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REZENSIONEN

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Eruditio – Confessio – Pietas. Kontinuität und Wandel in der lutherischen Konfessionskultur am Ende des 17. Jahrhunderts. Das Beispiel Johann Benedikt Carpzovs (1639–1699). Hg. v. Stefan Michel u. Andres Straßberger. Leipzig: Evangelische Verlagsgesellschaft 2009 (Leucorea-Studien, 12). – 436 S. Mit diesem ansehnlichen Sammelband aus dem Jahre 2009 liegt im Wesent­ lichen der Ertrag eines Anfang März 2007 im unweit von Leipzig gelegenen Großbothen abgehaltenen interdisziplinären Arbeitsgesprächs vor. Im Fokus steht mit Johann Benedikt Carpzov II. (1639–1699) ein maßgeblicher Vertre­ ter der lutherischen Spätorthodoxie, der – neben seinen in Ämtern der Uni­ versität Leipzig und deren Theologischer Fakultät (mehrfaches Rektorat und Dekanat) sowie als Kirchenmann erworbenen Meriten – vor allem als Haupt­ widersacher August Hermann Franckes während der Leipziger Pietistischen Unruhen bekannt geworden, jedoch seitens der Forschung bis zu diesem Band weitgehend unbehelligt geblieben war. Diesem Desiderat abgeholfen zu haben darf schon an dieser Stelle als unstrittiges Verdienst der vorliegenden Publikation festgehalten werden. Allerdings beschränken sich die Herausge­ ber nicht auf eine ausschließliche Betrachtung des Protagonisten, sondern wollen Leben, Werk und Wirkung desselbigen nutzen, um „pars pro toto [. . .], das von der älteren Forschung gepflegte Klischee einer im Elfenbein­ turm theologischer Gelehrsamkeit gefangenen Spätorthodoxie [. . .], die den Pietismus in ‚orthodoxer Verketzerungssucht‘ blindwütig bekämpfte [. . .] und hinsichtlich ihrer Glaubenspraxis in einem Spinnengeflecht absurder homiletischer Methodenreiterei gefangen war [. . .], einer überfälligen [. . .] Revision zu unterziehen“. (16 f.) Vor allem aber wird – unter Berufung auf die Überlegungen Thomas Kaufmanns – die Aufgabe der kirchengeschichtli­ chen Epochenbegriffe „Orthodoxie“, „Pietismus“ und „Aufklärung“ propa­ giert und stattdessen das Konzept der „lutherischen Konfessionskultur“ herangezogen, um die Erforschung der Orthodoxie voranzutreiben und für interdisziplinäres Arbeiten zu öffnen. Mittels Inanspruchnahme des cultural turn der Geistes- und Kulturwissenschaften auch für die Kirchengeschichts­ schreibung sowie unter Berücksichtigung des Stichworts der „anthropologi­ schen Wende“ in der sich interdisziplinär auffächernden Pietismusforschung verschreiben sich die Herausgeber der Erprobung eines „kulturgeschichtlich perspektivierten Forschungszugriffs“. (15) Anhand der drei Kategorien Erudi­ tio, Confessio und Pietas sollen „wichtige ‚Sehepunkte‘ zur frömmigkeits-, theologie- und kirchengeschichtlichen Interpretation“ Johann Benedikt Carp­ zovs benannt und als Ausgangspunkt für weitere Forschungen etabliert wer­ den. (18) Nach dieser Einleitung unternimmt Andres Straßberger anhand der Katego­ rientrias Eruditio – Confessio – Pietas auf 41 Seiten einen ausführlichen Streif­ zug durch Leben und Werk Carpzovs, an dessen Ende ein weitaus differen­ ziertes Bild des spätorthodoxen Kirchenmannes gezeichnet ist. 235

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Der nachfolgende, mit „Eruditio – Kulturen der Gelehrsamkeit“ über­ schriebene Teil des Bandes umfasst fünf Beiträge, welche die Beschreibung des zeitgenössischen Umfelds zum Thema haben. Den Auftakt macht der Aufsatz des 2007 verstorbenen Leipziger Kirchenhistorikers Günter Warten­ berg, der die weitverzweigte Familie Carpzovs als „mitteldeutsche Gelehrten­ familie in der Frühen Neuzeit“ porträtiert. Vom Ende des Reformationsjahr­ hunderts bis Anfang des 19. Jahrhunderts hatte diese herausragende Theologen und Juristen hervorgebracht, die als Professoren u. a. an den Universitäten Wittenberg, Leipzig und Jena die geistige Entwicklung Mitteldeutschlands wesentlich mitgeprägt haben. Detlef Döring verortet anschließend in seinem Beitrag die Leipziger Universität innerhalb der wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklungen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Obgleich diese zeit­ genössisch zu den frequentiertesten Einrichtungen ihrer Art in Deutschland zählte, hafte ihr doch der negative Ruf als „Zentrum der lutherischen Ortho­ doxie“ an, mit welchem die Begriffe „Beharrung und Innovationsfeindlich­ keit“ verbunden wurden (74). Trotz des Verweises auf die „klägliche For­ schungslage“, welche die Rekonstruktion eines umfassenden Bildes der Universität hindere, versucht sich der Vf. an einer Skizzierung des Standes der Wissenschaften in Leipzig, die er maßgeblich anhand der Acta eruditorum, der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift Deutschlands, vornimmt. Die Theo­ logische Fakultät zur Zeit Carpzovs steht im Mittelpunkt des Beitrages von Andreas Gößner, der zum einen die personellen Rahmenbedingungen und zum anderen das Arbeitsprofil der Leipziger Theologen nachzeichnet. Neben der Schilderung interner und externer Konfliktfelder der Fakultät erfolgt hier auch eine Würdigung des Predigttalents Carpzovs, dessen Charakterisierung und Einordnung in den Kreis der Fakultätskollegen. Dietrich Blaufuß über­ schreibt seinen gehaltvollen Aufsatz zum 36 Jahre währenden Briefwechsel zwischen Carpzov und dem Augsburger Theologen Gottlieb Spizel (1639– 1691) treffend mit „Korrespondierende Orthodoxie“. Gemäß der Devise, wonach ihre Briefwechsel – wenn sie auch „theologischer Höhenflüge“ ent­ behren – auch orthodoxe Theologen als Menschen erkennen lassen (111), werden im Rahmen einer kursorischen Darstellung teils persönliche Details des Schriftverkehrs zwischen beiden Vertretern der Orthodoxie aufgeführt. Zum Abschluss bietet der Vf. in einem Anhang ein aufschlussreiches Ver­ zeichnis der Korrespondenten Spizels. Den Ausgangspunkt der darauffolgen­ den Betrachtungen des Mitherausgebers Stefan Michel bilden die hebraistischen Studien an der Leipziger Universität am Ausgang des 17. Jahrhunderts. Anhand des akademischen Werdegangs des „Alttestamentlers“ Carpzov wird dessen hebraistische Sozialisation (u. a. Studien bei Johannes Buxtorf d. J. in Basel und Johann Heinrich Hottinger in Heidelberg) nachvollzogen und auf die umfangreiche Betätigung als Herausgeber judaistischer Werke hingewie­ sen. Trotz intensivster hebraistischer Studien Carpzovs bescheinigt ihm der Vf. letztlich ein doch den Konventionen der Zeit entsprechendes Bild vom Judentum. 236

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Das Kapitel „Confessio – Orthodoxie, Pietismus und Aufklärung im Widerstreit“ gruppiert weitere fünf Aufsätze, die v. a. mit Carpzovs entschie­ dener Orientierung zum lutherischen Bekenntnis beschäftigen. Den Auftakt macht dabei ein Beitrag Sascha Müllers, der sich Carpzovs Auseinandersetzung mit Richard Simon (1638–1710), einem katholischen Alttestamentler des aus­ gehenden 17. Jahrhunderts, zuwendet. Anhand der differierenden Ansichten der Protagonisten lassen sich dabei die sich weiter verfestigende konfessionelle Spaltung und deren polemische Verfestigung dokumentieren. Es folgen zwei Aufsätze, die das Verhältnis dieses orthodoxen Kirchenmannes zu den „pieti­ stischen Häuptern“ Spener und Francke in den Blick nehmen und damit für die Pietismusforschung von besonderem Interesse sein dürften. Ernst Koch charakterisiert die Beziehung zwischen Carpzov und Spener als „erbitterte Gegnerschaft“, obwohl beide den Wunsch nach einer Reform des kirchlichen Lebens geteilt hätten. (162) Der basale Bruch erfolgte wohl im Zuge der Untersuchung der Leipziger Pietistischen Unruhen vom Frühjahr 1690 re­ spektive der konträr entgegengesetzten Bewertung der Geschehnisse sowie der im gleichen Zeitraum erscheinenden Programmschrift Speners zur Umge­ staltung des Theologiestudiums. Im Zuge der publizistischen Auseinanderset­ zung treten markante Unterschiede zwischen beiden Theologen hervor, wobei der Vf. besonders auf Speners Abneigung gegen Polemik hinweist. Als ein Ergebnis der Streitschriftenkontroverse zwischen Carpzov und August Hermann Francke konstatiert Susanne Schuster nicht nur eine Schärfung der Grenzziehung zwischen lutherischer Orthodoxie und Pietismus, sondern viel­ mehr ab Ende 1691 eine als „Mauerbau“ bezeichnete zweite Phase inhaltlicher Abgrenzung, der „Befestigung der Grenze“. (184) Dabei entzündete sich der Zwist an der Frage nach Orthodoxie und Orthopraxie, also dem Verhältnis von Glauben und guten Werken bzw. christlichem Leben. Während Francke nicht zuletzt aufgrund einer fehlenden Definition des Pietismus seitens der Gegner den Sektenvorwurf zu widerlegen suchte, diente Carpzov die feh­ lende Öffentlichkeit der pietistischen Konventikel als Beweis für deren sektie­ rerischen Charakter (192). Ferner wird auf die zentrale Rolle des Letzteren beim Definitionsversuch des Pietismus mittels Betonung einer „falschen Eschatologie“, des Chiliasmus, durch Vertreter der lutherischen Orthodoxie hingewiesen. Im seinem zweiten Beitrag betrachtet Stefan Michel die Lehrund Liederpredigten, welche Carpzov als geeignetes Mittel im Kampf gegen den Pietismus angesehen habe. Neben dem hymnisch-pädagogischen und dem katechetischen wird hier das apologetische Anliegen des orthodoxen Kirchen­ mannes deutlich, denn aufgrund der Bekanntheit in der Gemeinde und ihres in kompakter Form transportierten Inhalts boten sich Kirchenlieder geradezu als Medien der Auseinandersetzung an (221).1 Mit der Darstellung des seit 1 Erinnert sei an die protestantische Praxis im Zuge der Durchsetzung der Reformation, sich alternativer Texte zu bekannten Kirchenliedern zu bedienen, um Differenzen zum katholischen Verständnis christlicher Glaubensinhalte aufzuzeigen und zu popularisieren. Vgl. dazu u. a. Inge

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Mitte der 1680er Jahre sukzessive gewachsenen konflikthaften Verhältnisses zwischen der Leipziger Orthodoxie und Christian Thomasius beschließt Mar­ kus Matthias dieses Kapitel. Am Beispiel der vor nach 1690 heftig diskutierten Frage nach Religions- und Gewissensfreiheit skizziert der Vf. die Konfliktli­ nien, die sich zwischen Vertretern der Frühaufklärung sowie der Naturrechts­ lehre und orthodoxen Theologen wie Carpzov auftaten und benennt die Gründe für die Niederlage der theologischen Partei, die er sowohl in einer inhaltlichen Schwäche der eigenen Position, aber auch an fehlendem „publizi­ stischen Geschick“ festmacht (247). Das abschließende dritte Kapitel eröffnet mit Albrecht Beutel ein dezidierter Kenner sowohl der Reformationsgeschichte als auch der theologischen Auf­ klärung. Sein Aufsatz behandelt die Predigtlehre Johann Benedikt Carpzovs I. (1607–1657) sowie deren Kontinuierung durch den Sohn, für welche der Vf. eine erstaunliche Wesensverwandtschaft zwischen Vater und Sohn konsta­ tiert, die beide eine „auf pietas verpflichtete und verpflichtende Homiletik“ vertreten hätten (257). Die überwiegend negative Beurteilung durch die Nachwelt sei hingegen somit überwiegend der Langlebigkeit überlieferter Urteile und deren unreflektierter Perpetuierung durch die Mehrzahl der For­ scher und nicht primär inhaltlichen Unzulänglichkeiten geschuldet. Auf den sich daran anschließenden 53 Seiten nimmt Mitherausgeber Andres Straßberger einen in seinem ersten Beitrag eingeführten Aspekt auf und beschreibt die homiletische Relevanz der Kategorie memoria in der lutherischen Orthodoxie sowie die Kritik durch Pietismus und Frühaufklärung. Der Literaturwissen­ schaftler Joachim Jacob stellt dagegen Carpzovs Außerlesene Tugendsprüche aus dem Jahr 1685 in den Mittelpunkt seiner Ausführungen und verortet damit den Stellenwert biblischer Weisheitsliteratur in dessen Werk. Dabei wird deutlich, dass Carpzovs Rezeption der biblischen Spruchweisheiten „unver­ kennbar von einem neuzeitlichen Anspruch auf intellektualistische Durch­ dringung, Begründung und Genauigkeit geprägt“ ist (326) und der Autor der Leserschaft seiner Tugendsprüche ein hohes Niveau in der individuellen Aus­ einandersetzung mit dem biblischen Text „zumutet und zutraut“ (324). Die abschließenden zwei Aufsätze legen ihr Augenmerk auf die literarische Gat­ tung der Leichenpredigten des 17. Jahrhunderts. Zunächst bietet die Germani­ stin Katrin Löffler einen literaturgeschichtlichen Vergleich zwischen Valerius Herberger (1562–1627) und Carpzov, die beide gewaltige Konvolute, näm­ lich jeweils nicht weniger als sieben Bände mit derartigen Trauerschriften, hinterlassen haben. Die Vf.n vermag aber markante Unterschiede aufzuzei­ gen: Im Gegensatz zu Herberger habe Carpzov sehr viel längere und mit Bibelzitaten durchsetzte Predigten für eine sehr viel homogenere Klientel Mager: Lied und Reformation. Beobachtungen zur reformatorischen Singbewegung in norddeut­ schen Städten. In: Wolfenbütteler Forschungen 31, 1986, 25–38 sowie Wilhelm H. Neuser: Die Reformation als Singbewegung in Westfalen. In: ‚Alles ist euer, ihr aber seid Christi‘. FS Dietrich Meyer. Hg. v. Rudolf Mohr. Bonn 2000, 237–244.

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verfasst und für den Druck von dessen Predigtsammlung v. a. allem „das Ehrengedächtnis mit seiner memorialen Funktion die maßgebliche Rolle“ gespielt habe (348). Michael Beyer betrachtet mit den Außerlesenen Trost- und Leichensprüchen (1684/1700) ausschließlich die siebenbändige Sammlung der Leichenpredigten Johann Benedikt Carpzovs, welche er hinsichtlich ihrer Architektur, d. h. von Widmungen und Vorworten bis hin zu den Registern analysiert. Zudem werden die Trauerschriften des Protagonisten als „thema­ tisch orientierte, personenbezogene Auslegungen des gemeinsamen Glaubens“ (375) charakterisiert und Carpzov mit seiner performativen Textauslegung in der lutherischen Tradition verortet. Der Vf. gliedert seinem Aufsatz ein umfangreiches Verzeichnis der carpzovschen Leichenpredigten sowie ein dazugehöriges Register an. Beschlossen wird der Aufsatzband von einem editorischen Anhang, in wel­ chem die durch Susanne Schuster besorgte Bearbeitung des Pfingstprogramms auf das Jahr 1691 als Quelle zugänglich gemacht wird. Verfasser desselbigen war der im Wintersemester 1690/91 amtierende Dekan der Theologischen Fakul­ tät Johann Benedikt Carpzov, der dieses Rektoratsprogramm als Vertreter des Rektors niederschrieb. Eine kurze Einleitung führt in den Kontext der Entstehung dieser Schrift ein, macht Angaben zu Textgestalt und -wiedergabe und verweist auf das Potential sowohl einer eingehenderen Beschäftigung mit den Rektoratsprogrammen der Universität Leipzig sowie der vollständigen Edition des carpzovschen Œvres. Der nachfolgend edierte Text des Pfingstpro­ gramms umfasst 15 Seiten und bietet eine vollständige Übersetzung aus dem lateinischen Original. Der Gesamteindruck des Bandes ist positiv, die inhaltliche Konzeption schlüs­ sig und die Qualität der versammelten Beiträge erscheint – v. a. durch deren enorme Quellensättigung – durchgehend hoch. Einige in der Erforschung von lutherischer Orthodoxie und Konfessionskultur bestehende Desiderata vermag die vorliegende Publikation umfassend zu beseitigen und darüber hinaus v. a. der Pietismus- und Orthodoxieforschung neue Impulse zu geben; gerade für die Frage nach den Kategorien und ihren Bezügen aufeinander ist die Beforschung der maßgeblichen Akteure und der von ihnen vertretenen inhaltlichen Positionen weiterhin unerlässlich.2 Verdienstvoll ist auch der hier umgesetzte Versuch einer interdisziplinären Aufstellung dieser Forschungsbe­ mühungen; lediglich das beschränkte Spektrum der wissenschaftlichen Prove­ nienz der Beiträger trübt hier das Bild: Zu den zahlenmäßig dominierenden Vertretern der Kirchengeschichte gesellen sich hier wenige Literaturwissen­ schaftler und Historiker, während Vertreter der historisch interessierten Kul­ turwissenschaft oder in diesem Metier arbeitende Religionswissenschaftler 2 Dafür sei stellvertretend verwiesen auf die grundsätzlichen Überlegungen von Johannes Wall­ mann: Pietismus und Orthodoxie. Überlegungen und Fragen zur Pietismusforschung. In: Ders.: Pietismus-Studien. Gesammelte Aufsätze II, Tübingen 2008, 1–19.

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fehlen. Dies ist natürlich nicht den Herausgebern anlasten, dennoch muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass damit nicht die gesamte Breite der rezenten Pietismusforschung abgebildet ist. Zudem sei auf zwei weitere Wermutstropfen hingewiesen: Manche Teile des Bandes machen ihn zu einer Publikation für Spezialisten; gerade die umfänglichen Beiträge Andres Straß­ bergers zur Homiletik des ausgehenden 17. Jahrhunderts sind für NichtTheologen schwer zugänglich und wären in einer gesonderten Publikation vermutlich besser zur Geltung gekommen. Ferner muss für die von den Ver­ fassern angestrebte Berücksichtigung des cultural turn Nachholbedarf ange­ zeigt werden, da sich die Umsetzung auf rein kulturgeschichtliche Aspekte beschränkt und auf kulturwissenschaftlich gesättigte Zugänge verzichtet.3 Allerdings handelt es sich hierbei um ein weitverbreitetes Problem, dessen sich neben der Theologie v. a. die kirchenhistorische Disziplin bewusst ist und deren Vertreter aus der kritischen Auseinandersetzung mit dieser Herausfor­ derung erste praktische Umsetzungsvorschläge gemacht haben.4 Nichtsdestotrotz mindern diese Umstände den Ertrag und die interdiszipli­ näre Anschlussfähigkeit nur unwesentlich, da die positiven Aspekte bei wei­ tem überwiegen. Mit diesem Sammelband wird eine Lücke zwischen den Pro­ tagonisten der Spätorthodoxie (Löscher, Cyprian, Neumeister) geschlossen5 und damit eine Voraussetzung für die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung der spannenden Ära um 1700 geschaffen. Dies macht die vorliegende Publika­ tion sowohl für Spezialisten als auch für Einsteiger in die Materie mit Sicher­ heit zu einer lohnenden Lektüre. Daniel Eißner

Leipzig

3 Zum allgemeinen Verhältnis vgl. Hans G. Ulrich: Kirchengeschichte und Kulturgeschichte. In: KZG 22, 2009, 1, 243–271. 4 Für eine angemessene Integration des cultural turn identifiziert werden dabei z. B. ein deutlich erweiterter Quellenbegriff, „der in den ästhetischen Bereich hineinreicht und die Texthermeneu­ tik um die Bildhermeneutik bereichert“ sowie die Einbeziehung der Alltagsgeschichte als unver­ zichtbarer Ergänzung zur Institutionengeschichte. Vgl. dazu Mariano Delgado: Religion und Kul­ tur – Kirchengeschichtliche Überlegungen zum ‚cultural turn‘. In: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte 99, 2005, 403–416. 5 Klaus Petzoldt: Der unterlegene Sieger. Valentin Ernst Löscher im absolutistischen Sachsen, Leipzig 2001; Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) zwischen Orthodoxie, Pietismus und Aufklä­ rung. Vorträge des Internationalen Kolloquiums vom 14. bis 16. September 1995 in der For­ schungs- und Landesbibliothek Gotha Schloß Friedenstein. Hg. v. Ernst Koch u. Johannes Wall­ mann. Gotha 1996; Johannes Wallmann: Erdmann Neumeister – der letzte orthodoxe Gegner des Pietismus. In: Ders.: Pietismus-Studien. Gesammelte Aufsätze II. Tübingen 2008, 202–210.

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Piety and Modernity. Ed. by Anders Jarlert. Leuven: Leuven University Press 2012 (The Dynamics of Religious Reform in Northern Europe, 1780–1920, 3). – 335 S. Vorzustellen und zu würdigen ist der dritte Band eines ambitiösen, ein­ drucksvollen, über mehrere Jahre hindurch verfolgten historiographischen Projekts, das von Historikern aus Großbritannien, den Niederlanden, Belgien und den skandinavischen Ländern initiiert und erfolgreich abgeschlossen wurde. Der erste, von Keith Robbins herausgegebene Band behandelte Politi­ cal and Legal Perspectives, der zweite, von Paula Yates und Joris van Eijnatten herausgegebene Band The Churches. Im dritten Band, für den Anders Jarlert aus Lund verantwortlich war, werden unter dem Titel Piety and Modernity jene Themen behandelt, die für die Pietismusforschung von besonderem Interesse sind: Religiöse Traktate, Erbauungsschriften, christlich orientierte Zeitungen und Zeitschriften, fromme Lieder, Fragen der Liturgie, der Bibelübersetzung und Bibelverbreitung, Pilgerreisen, auch die Innere Mission. Anders Jarlert ist es gelungen, für alle Kapitel vorzüglich ausgewiesene Spe­ zialisten zu gewinnen: Für die Abschnitte über Großbritannien und Irland Mary Heimann, Hugh McLeod und Janice Holmes, für den Abschnitt über die Niederlande Tine van Osselaer, Peter Jan Magry und Fred van Lieburg sowie für die Teile über die skandinavischen Länder Johs. Enggaard Stidsen und Ingunn Folkestad Breistein. Den Abschnitt über Schweden hat Jarlert selbst geschrieben, ebenso den Teil über das protestantische Deutschland, während er für den Teil über das katholische Deutschland Bernhard Schneider aus Trier gewinnen konnte. In seiner Einleitung skizziert Jarlert die großen Linien. „Piety“ soll nicht mit Pietismus verwechselt werden, schreibt er. Behandelt werden vielmehr die unterschiedlichen Formen von Frömmigkeitspraxis in den bereits genann­ ten Ländern, darunter selbstverständlich auch jene Frömmigkeit, für deren Charakterisierung seit langem der Begriff Pietismus verwendet wird. Für Jar­ lerts Fragestellung ist entscheidend, wie sich die verschiedenen Frömmigkeits­ formen im „langen 19. Jahrhundert“, das heißt in der Phase von der Französi­ schen Revolution bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs, veränderten. Welchen Einfluss hatte die Politik (Piety and Politics), welchen speziell der Nationalis­ mus (Pious Nationalism), welchen die Aufklärung (Pious Enlightenment), wel­ chen Literatur und Philosophie (Piety and Romanticism)? Wie ist die Bedeutung der Herrnhuter und der Evangelikalen zu charakterisieren (Moravian and Evangelical Inspiration)? Welche Rolle spielten die neuen Medien und Kommu­ nikationsmöglichkeiten, welche die von Nation zu Nation verschiedenen Mentalitäten (Communications and Mentalities), welche Fragen des Geschlechts (Gender Aspects on Pious Language), welche die neuen Formen der Assoziation (Associational Activity), welche Minderheiten (Minorities and the Reform of Piety), welche schließlich Kinder (The Instrumentalisation of Children in Piety)? Diese Stichworte verdeutlichen, wie umfassend Jarlert den Prozess der Modernisie­ 241

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rung begreift, und wie weit der Kontext ist, in dem das wechselseitige Ver­ hältnis von „Piety and Modernity“ seiner Meinung nach erfasst und interpre­ tiert werden muss. Jarlerts instruktive Stichworte zeigen zugleich, wie sehr eine Lektüre des vorliegenden Bandes den Horizont auch der Pietismusfor­ scher erweitern kann. Der besondere Reiz des Bandes liegt außerdem in dem, was ich eine dop­ pelte Komparatistik nennen möchte: Zunächst der Vergleich zwischen den Frömmigkeitsformen in den verschiedenen hier behandelten Ländern und dann der Vergleich zwischen den Frömmigkeitsformen der großen, im Europa des 19. Jahrhunderts fest etablierten Konfessionen in diesen Ländern, im Falle von Deutschland also zwischen Katholizismus und Protestantismus. Zu jedem Abschnitt gehört eine sorgfältig zusammengestellte Bibliographie. Interessante, kaum bekannte, aber aufschlussreiche Bilder ergänzen die Texte. Nun mag man darüber streiten, warum in dem vorliegenden Band das katholische und das evangelische Deutschland zu „Northern Europe“ gehö­ ren, nicht aber die baltischen Länder und Finnland, warum die Niederlande und nicht auch Belgien, warum das katholische Bayern, aber nicht Frankreich, etwa die traditionell katholische Bretagne. Ebenso könnte man fragen, warum Jarlert die besonderen Frömmigkeitsformen in den Freikirchen nicht durch eigene Bearbeiter würdigen ließ. Mir scheint, dass solche Einwände den Wert der vorliegenden Studie aber nicht wesentlich beeinträchtigen. Denn Kompa­ ratistik ist ein schwieriges Geschäft. Sie setzt ein breites Wissen voraus, das im vorliegenden Fall mehrere religiös-kirchliche Kulturen und deren Traditio­ nen umfasst. Nur wenigen Historikern, auch nur wenigen Kirchenhistori­ kern, ist ein solch weiter Horizont eigen. Anders Jarlert gehört in diese beson­ dere Kategorie. So vermittelt der von ihm edierte und zum Teil selbst geschriebene Band wichtige Einsichten, auch wenn viele Aspekte nur als exemplarische Analysen verstanden werden dürfen. Nicht zuletzt ist bemer­ kenswert, wie es Jarlert gelungen ist, auf 30 Seiten die wesentlichen Elemente evangelischer Frömmigkeit in Deutschland im 19. Jahrhundert zu erfassen und zu beschreiben. Hartmut Lehmann

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Konzepte des Hermetismus in der Literatur der Frühen Neuzeit. Hg. v. Peter André Alt u. Volkhard Wels. Göttingen: V&R Unipress 2010 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, 8). – 440 S.; Abb. I Dass die in den letzten Jahren entstandene und akademisch mancherorts verankerte Esoterikforschung eine fruchtbringende Horizonterweiterung für eine Kulturgeschichte erbracht hat, die die engeren Fachgrenzen über­ schreitet, ist in einer ganzen Reihe von jüngsten Publikationen dokumen­ tiert worden.1 Dass die Debatte um die Konzeptualisierung von Esoterik bei weitem nicht zum Abschluss gekommen ist, sondern mitunter kombat­ tant geführt wird,2 erscheint als nachvollziehbarer Theoriestreit, der mit dem Start innovativer Forschungsperspektiven natürlicherweise zusammen­ hängt. Der vorliegende Band ist Ergebnis einer 2009 in Wolfenbüttel abge­ haltenen Tagung, die Perspektiven und Ergebnisse der Berliner DFG-For­ schergruppe „Topik und Tradition“ dokumentiert hat. Seine Konzeption zeigt einerseits, wie weit die Diskussionen – hier vor allem unter literatur­ wissenschaftlicher und philosophiegeschichtlicher Perspektive – fortgeschrit­ ten sind. Sie zeigt andererseits, welche produktiven Ergebnisse die Esoterik­ forschung bereits erbracht hat und welche Aufgaben und Chancen für eine erneuerte Frühneuzeit- und Neuzeitforschung künftig noch bevorstehen und erwartet werden können. Denn zunächst ist zu notieren, dass die Herausgeber innerhalb der Esoterikforschung eine kritische Distanz zu den bisher vorgetragenen Esoterikentwürfen einnehmen, sich dabei aber nicht nur auf das bloß begriffsgeschichtliche Argument zurückziehen, „Esoterik“ besitze als Erfindung des 19. Jahrhunderts keine in die Frühe Neuzeit zurückreichende „historische Legitimität“ (11). Dem phänomenologischen Entwurf von Antoine Faivre, der mit ideengeschichtlich nur schwer abgrenzbaren und historisch im Einzelfall kaum verifizierbaren Denkformen arbeitet, wird nicht gefolgt, weil er in der Tat keine Binnendifferenzierungen zulässt und die Unterschiede der subsumierten Strömungen aufhebt (8). Auch der Bestimmung der Esoterik als nichtchristliche Religiosität durch Monika Neugebauer-Wölk wird nicht gefolgt (9). In dieser Frage wird keine endgül­ tige Position bezogen, allerdings wird auch nicht den Anregungen nachgegan­ gen, Esoterik nicht als übergeschichtliche religiöse und soziale Bewegung zu fassen, sondern die im 19. Jahrhundert bestehenden esoterischen Netzwerke

1 Vgl. zuletzt: Aufklärung und Esoterik. Wege in die Moderne. Hg. v. Monika NeugebauerWölk [u. a.]. Berlin, Boston 2013 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung, 50). 2 Vgl. zum Überblick über die neuesten Ansätze der Esoterik- und Aufklärungsforschung: Monika Neugebauer-Wölk und Markus Meumann: Aufklärung – Esoterik – Moderne. Konzeptio­ nelle Überlegungen zur Einführung. In: Aufklärung und Esoterik [s. Anm. 1] 1–33.

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diachron zurückzuverfolgen, um die modernen Rezeptionsbehauptungen nachvollziehbar zu machen.3 Die Konzeption des Bandes beschränkt sich demgegenüber ausdrücklich auf einen Bestandteil dessen, was in den verschiedenen esoterikgeschichtlichen Entwürfen als komplexes Phänomen zu konstruieren versucht wird: den Her­ metismus. Das ist eine am historischen Material überwiegend klar nachprüf­ bare Entscheidung, sofern es sich um Selbst- oder Fremdbezeichnungen und vor allem um Rezeptionsvorgänge handelt, die mit dem Corpus Hermeticum und seiner Pseudepigraphie (Law 23) zusammenhängen. Dass frühneuzeitli­ che, zwischen Orthodoxien und Heterodoxien changierende Theosophen, Kabbalisten, (Natur-) Magier, Astrologen oder Neuplatoniker und Anhänger einer Prisca Theologia vielfältige Überschneidungsmengen mit den Hermeti­ kern besitzen, wird auf diese Weise ohne Konsequenzen stehen gelassen, obwohl es gute Gründe gibt, auch die Differenzen zu betonen (so Theison 373 f.). Die Aufgabe einer historisch – und historiographisch – angemessenen Bezeichnung dessen, was vielfach als „Esoterik“ firmiert, bleibt durch die aus­ drückliche, allerdings plausible Beschränkung auf einen einzigen Rezeptions­ zusammenhang außen vor. Damit ist diese eher auf den Horizont einer euro­ päischen und überkonfessionellen Religionsgeschichte abzielende Aufgabe, die nach meinem Dafürhalten die traditionellen Denominationen interdiszi­ plinärer Erforschung neuzeitlicher und frühneuzeitlicher Kulturgeschichte überschreitet und an manchen Stellen auch gar nicht erst in Angriff genom­ men wird, allerdings nicht vom Tisch – trotz der ‚sicheren Seite‘, auf der sich der Rückzug auf die ja weite, mit diesem Band sichtbar gemachte frühneu­ zeitliche Hermes-Rezeption befindet. Im Gegensatz zu dem für die Esoterik von Faivre und seinen Schülern entworfenen Denkformen-Modell, das mit Recht auf Widerspruch gestoßen ist, sind streng aus dem Text des Corpus Hermeticum in der von Ficino übersetzten Gestalt herausgearbeitete Aspekte auf den ersten Blick schon nachvollziehbar (Häfner 138). Was darüber hinaus­ gehend Hermetismus sei, wird ebenfalls konzeptionell zur Disposition gestellt. Die auf André-Jean Festugière zurückgehende, von Thomas Leinkauf geteilte und beispielsweise von dem Jan Assmann-Schüler Florian Ebeling modifiziert fortgesetzte Unterscheidung zwischen einem alchemisch-paracel­ sischen und einem mit dem Namen Ficinos verbundenen philosophischen Hermetismus wird von Herausgebern und Autoren zurückgewiesen, da sie eher dem Selbstverständnis von Philosophen des 19. Jahrhunderts (und bis heute) zu entsprechen scheint als den Hermetikern der Frühen Neuzeit (12 f., Law 24, Gilly 100). 3 Vgl. Michael Bergunder: Was ist Esoterik? Religionswissenschaftliche Überlegungen zum Gegenstand der Esoterikforschung. In: Aufklärung und Esoterik. Rezeption – Integration – Kon­ frontation. Hg. v. Monika Neugebauer-Wölk u. Andre Rudolph. Tübingen 2008, 477–507 = Ders.: What is Esotericism? Cultural Studies Approaches and the Problems of Definition in Religious Studies’. In: Method and Theory in the Study of Religion 22, 2010, 9–36.

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Zudem, so die hier allerdings strategisch erscheinende Feststellung, bliebe der Hermetismus ein recht isoliertes Phänomen der Sachbuchliteratur, wenn man ihn auf die Rezeption des Corpus Hermeticum, ja selbst auf Paracelsismus und Alchemie begrenzen würde (Theison 373). Nicht zuletzt deshalb ist der poetologische Hermetismus besonders seit den Forschungen Hans-Georg Kempers Thema der Literatur- und Philosophiegeschichte. Theoretische und praktische Aspekte des Hermetismus lassen sich schon für Ficino (12 f.) und dann in seinem Gefolge kaum auseinanderhalten. Von den unter dem For­ schungsbegriff „Esoterisches Corpus“ zusammengefassten Strömungen wer­ den demnach Hermetismus, Alchemie und Paracelsismus in einem besonderen Zusammenhang, aber eben auch als trennbar betrachtet.4 Schließlich betont insbesondere der Herausgeber Volkhard Wels, dass ange­ sichts ihrer Vielfalt und Konstruiertheit von einer einheitlichen hermetischen Tradition gar nicht gesprochen werden könne. Die These Jan Assmanns, die Behauptung einer höheren Vernunft unter Berufung auf eine Offenbarung sei gemeinsamer Nenner des gesamten Hermetismus, wird schon durch die Her­ metiker und ihre Adepten selbst widerlegt (Wels 187), deren Hermes-Ein­ schreibungen ohne höheres Wissen, die Behauptung einer ältesten Religion und andere vermeintlich einheitliche Denkformen auskommen. Assmanns These, die erstaunlicherweise vielen gedächtniskulturellen Entwürfen kaum diskutiert unterlegt wird, erscheint dadurch selbst als esoterische Annahme, die übergeschichtliche „Wesen“ jenseits literarisch-rezeptioneller Transport­ wege als geschichtslenkend annimmt und auf diese Weise eine esoterische Vorannahme zum theoretischen Fundament der Hermetismus- oder Esoterik­ forschung zu machen versucht. In diesem Zusammenhang ist übrigens zu ergänzen, dass Marsilio Ficino und damit die Frühe Neuzeit durchweg als Ini­ tialzündung des Hermetismus angesehen werden (25 f.). Das ist gegenüber manchen Vermutungen zu notieren, die unter anderem im Anschluss an Ass­ mann davon ausgehen, der Hermetismus repräsentiere originär die ägyptische Religiosität – trotz der nachchristlichen Entstehung des Corpus Hermeticum. Der frühneuzeitliche Hermetismus ist von seiner „Gründung“ im christlichen Referenzrahmen durch Ficino gar nicht zu trennen (28). Folgende theoretische Anregungen für die Frühneuzeitforschung, nicht nur unter esoterikgeschichtlicher Perspektive, möchte ich noch besonders herausheben. Welches Verhältnis der Hermetismus zum Christentum hat bzw. ob über­ haupt ein solches Verhältnis behauptet werden kann, ist nach wie vor eine nicht einheitlich beantwortete Frage. Folgt man dem Konzept Kempers, dass nämlich Hermetik und christlich-konfessionelle Konzepte sich grundsätzlich widersprechen (421), dann kann nicht die Konsequenz vermieden werden,

4 Vgl. Monika Neugebauer-Wölk: Art. „Esoterisches Corpus“. In: Enzyklopädie der Neuzeit 3, 2006, 552–554.

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bestimmte, im jeweiligen Kontext als orthodox geltende, konfessionelle Christentümer zu Repräsentationen des Christentums über ihren eigenen Zeitrahmen zu erheben. Dann würden polemische, von „orthodoxer“ Seite aufgebrachte Vorwürfe der Häresie, des Spinozismus oder des Atheismus noch im Nachhinein für berechtigt erklärt. Zeitgenössische Überschneidun­ gen, akkommodierende Aneignungen und Einschreibungen hermetischer Literaturen in schillernde christliche Konzepte müssten übergangen und gleichsam post res berichtigt werden, ob nun als irreführend oder als illegitim grenzüberschreitend. Die Beobachtung, dass Christentum und Hermetismus nicht starre Gebilde sind, sondern man von heterodoxen, hermetisch tingier­ ten Theologien resp. Naturphilosophien sprechen sollte (14, Eusterschulte 236), weist in anderer Richtung auf die Interdependenzen, wechselseitigen Modifikationen und Rezeptionen, die die eigenen Lehrsysteme verändern. Dass Orthodoxien nicht den Auseinandersetzungen mit neuen Strömungen vorausgehen, sondern deren Ergebnis sind (14), ist eine weitere Einsicht, die eine neu perspektivierte Blickrichtung freilegt: Erst die Ränder schaffen Zentren, und die Zentren hegemonialer oder institutionell abgesicherter oder akzeptierter Autoritäten sind nicht ohne die konkreten Abgrenzungen beschreibbar. Weiter ist festzuhalten, dass die Historiographie der Häresien selbst Ursprungsmythen gesetzt hat, die kaum als historiographischer Sehe-Punkt für Geschichtstheorien übernommen werden können, sondern in ihrer Kon­ struiertheit selbst lediglich als Gegenstand historisch-kritischer Arbeit taugen. Gerade Ehregott Daniel Colbergs Erfindung des Hermetismus als Häresiarch aller protestantismusfeindlichen Strömungen (15) ist ein solches Beispiel, das aber in manchen heutigen historiographischen Texturen subkutan nach wie vor wie ein Referenzrahmen für dasjenige fungiert, was für christlich, deviant oder eben nicht mehr christlich zu halten sei. Davon sind auch die Herausge­ ber im Falle Jakob Thomasius’ selbst nicht ganz frei, obwohl Thomasius Arndt und Spener durchaus begrüßt hat (16), die eine von Zeitgenossen ange­ griffene und im Falle Arndts klar hermetisch-theosophisch geprägte christli­ che Naturphilosophie vertreten haben (Wels 169). Wie Hermetismus als pole­ misches Argument gebraucht wurde, zeigen mehrere Beiträge anhand des nur in gewisser Weise antihermetischen Alchemikers Andreas Libavius, der mit dem Hermetismusverdacht die Rosenkreuzer zu treffen suchte und dabei zugleich seine eigene Alchemie verteidigte (Gilly 73, Wels 184). Er lag damit auf einer Ebene mit offenen Anhängern des Hermetismus wie Johann Ludwig Hannemann, aber auch mit solchen Lutheranern, die selbst eine Traditionsli­ nie Hermes – Paracelsus – Böhme – Rosenkreuzer schufen, um auf diese Weise Heterodoxien zu kreieren (Gilly 76, 97, 104). Dies trifft auch auf Michael Maier und Jean Jacques Boissard zu, die die hermetischen Schriften und die alchemische Praxis vor superstitiösen Vorwürfen in Schutz nahmen, zugleich ihren Offenbarungscharakter bestritten, sie als christliches Derivat präsentierten und auf eben diese Weise nachhaltig vor konfessionellen Angrif­ 246

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fen verteidigten (Wels 175 f., 183 f., 186). Diese Autoren können als moder­ nisierende, aufklärerische Hermetiker des frühen 17. Jahrhunderts gelten. Solche Einsichten sind nur zu gewinnen, wenn von starren Zuschreibungen abgesehen wird und zeitgenössische Abgrenzungen auch in ihrer Performati­ vität betrachtet werden, der nicht starre, sondern veränderliche Gebäude vorausgehen. Dies könnte man an dem von Kemper bestechend geschilderten Beispiel der Liebeslyrik Catharina von Greiffenbergs beobachten, die die lutherische, für das Abendmahlsverständnis entwickelte Lehre von der Ubi­ quität der göttlichen und (durch die communicatio idiomatum) auch der mensch­ lichen Natur Christi dazu benutzt, um eine Art christozentrisch eingefange­ nen Pantheismus zu konstruieren: Christus ist als das „Hen kai pan“ in den Abendmahlselementen, in der Liebe zwischen Brautleuten, in der Natur, im Gesang und in der Sprache (Kemper 412–421). Was ist an dieser christologi­ schen Überschreibung pantheistischer Gott-Natur-Mensch-Konzepte, die an Malebranches Vision en Dieu erinnert, originär hermetisch und was originär „christisch“? Das Wechselspiel zwischen Heterodoxien und Orthodoxien kann übrigens treffend auch in den Debatten darüber beobachtet werden, was erlaubte und was unerlaubte Magie sei, kurz: in den Exkulpationen von Anhängern der magia naturalis wie Athanasius Kircher (Eusterschulte 266 f.), die sich noch im zweiten Jahrhundert nach Pico della Mirandola und Ficino gegenüber Vor­ würfen wehren, sie würden womöglich doch im Pakt mit Dämonen stehen.5 Hermetisches, mit anderen Elementen des „Esoterischen Corpus“ konno­ tiertes Literaturgut ist frühzeitig in moderne Wissenskonzepte eingegangen, hat sie mitgestaltet und ist dabei selbst modernisiert worden. Als Illustration und wichtige Ergänzung zu den von Martin Mulsow vor einigen Jahren dokumentierten Folgen der Datierung Casaubons6 können die Befunde gelten (18, 20, Häfner 136, 143, 147), dass die Dignität des Corpus Hermeticum wegen seiner vermeintlich vormosaischen Entstehung und als Zeugnis einer entspre­ chenden Offenbarung nicht erst durch Isaac Casaubon erschüttert, sondern schon seit dem 16. Jahrhundert in Frage gestellt, bestritten und auch ridiküli­ siert und parodiert worden ist. Mit dieser Enthüllung ist aber kein plötzliches Desinteresse, sondern eine verästelte Weiterwirkung des Hermetismus über das 17. Jahrhundert anzunehmen. Dies zeigen die Beiträge des Bandes nach­ drücklich. Sie belegen überdies, dass der älteren These von Frances A. Yates, der Hermetismus sei in erster Linie für den Paradigmenwechsel zur modernen

5 Zum Streit um die Magien um 1500 und dessen Auswirkungen auf die frühe reformatorische Bewegung vgl. jetzt: Friedemann Stengel: Reformation, Renaissance und Hermetismus. Kontexte und Schnittstellen der frühen reformatorischen Bewegung. In: ARG 104, 2013, 35–81. 6 Martin Mulsow: Das Ende des Hermetismus: historische Kritik und neue Naturphilosophie in der Spätrenaissance; Dokumentation und Analyse der Debatte um die Datierung der hermetischen Schriften von Genebrard bis Casaubon (1567–1614). Tübingen 2002.

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Naturwissenschaft verantwortlich, nicht mehr Folge geleistet werden kann (18). Ebenso deutlich wird allerdings, dass den alchemisch-hermetisch-para­ celsischen Anstößen, ja selbst der transmutatorischen Alchemie dennoch wei­ terhin ein unübersehbares Gewicht für die Genese moderner Naturphiloso­ phien und experimentierender Wissenschaften zugesprochen werden muss. Zu vermerken ist ferner die auch von anderen Autoren7 gemachte Beobach­ tung, dass sich die modernen Naturwissenschaften nicht einfach nur der Befreiung von Theologie und Scholastik verdanken, sondern diese Trennung jedenfalls nicht für die Frühe Neuzeit anzusetzen ist (18 f., Eusterschulte anhand von Francis Bacon 228–231). II Der Beitrag von Esteban Law (23–70) geht den hermetischen Traditionen in der alchemischen Literatur nach und liefert im ersten Teil eine überaus gründ­ liche Analyse des Hermetismus Ficinos, den er nicht als eine von Antike bis Neuzeit verlaufende Geistesbewegung, sondern als Konstruktion Ficinos dar­ stellt, die von seiner Übersetzung nicht zu trennen ist. Dies geschieht anders in dem alchemiegeschichtlichen Teil, dem ein Corpus Alchemisticum zugrunde gelegt wird, das Quellen seit der Spätantike umfasst, bevor im 17. Jahrhundert in Paracelsistenkreisen eine „hermetische Legitimationslegende“ (59) entwor­ fen wird, die die Alchemie über die Figur Hermes zur göttlichen Offenbarung erklärt. Die Rezeptionen des hier generierten „Alchemo-Paracelsismus“ (60) werden über englische Metallurgen wie Robert Bostoke, John Webster und Thomas Vaughan bis in die Royal Society verfolgt (63–65). Athanasius Kircher erscheint hier als Modernisierer, denn Kircher hat sich nicht nur von der transmutatorischen Alchemie getrennt und nur noch die metallurgische Alchemie anerkannt (67 f.), er hat auch die adamitische Ursprungslegende der Alchemie als Legende abgetan – gegen zeitgenössischen, auf den HermesLegenden beharrenden Widerspruch (68). Mit Carlos Gilly hat ein langjähriger Hermetismus-Experte untersucht, wie aus dem ägyptischen Hermes in den frühneuzeitlichen Debatten der „Trisme­ gistus Germanus“ Paracelsus geworden ist (71–131.) Die von Gegnern und Anhängern gleichermaßen konstruierte Rückführung des Paracelsismus und der böhmistischen Theosophie auf Hermes fällt hier in den Blick. Besonders sei notiert, dass Gilly neue Informationen zu dem berühmten Arbatel (1575) liefert (81–84), denn diese anonyme, skandalumwitterte und heftig angegrif­ fene Schrift entsteht in Basel zu der Zeit, als Johann Arndt dort seine hermeti­ sche Prägung erhielt (126–129). An Autoren wie Gerhard Dorn (und dem Arbatel) kann überdies gezeigt werden, wie Kabbala, Hermetismus und Para­ 7 The Science of Nature in the Seventeenth Century. Patterns of Change in Early Modern Natural Philosophy. Ed. by Peter R. Anstey and John A. Schuster. Dordrecht 2005.

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celsismus bis zur Ununterscheidbarkeit zusammengeschrieben worden sind, beispielsweise unter dem Stichwort der Mosaischen Physik (85, 88, 106, 114). Samuel Siderocrates (115–121), Valentin Weigel (123–127), Johann Arndt (126–129) und Heinrich Khunrath (129–131) werden als herausragende Rezi­ pienten dieses hermetisch-paracelsischen Syndroms dargestellt. Dass Weigel ein Zitat aus den umstrittenen 900 Thesen von Pico della Mirandola als von Paracelsus stammend ausgab (125), soll hier als Beispiel für die anspruchsvolle Spurensuche in häresieverdächtigen Quellen ebenso genannt werden wie eine nur im Manuskript erhaltene Rede Arndts, die wie der junge Arndt insgesamt nicht lutherische, sondern hermetische Einflüsse verrät (127 f.). Zuweilen wird nicht ganz klar, ob die Menge des von Gilly ausgebreiteten Materials nach solchen Transformationen von Lehrsystemen untersucht worden ist, die lediglich durch ihre Bezeichnungen identifiziert worden sind. Inhaltliche Konkretisierungen, welche Segmente welcher Lehren hier adaptiert und ver­ schoben worden seien, hätte man sich zusätzlich zu dem ohne Zweifel erbrachten Beleg der Bedeutung des Themas Hermetismus gewünscht. Ralph Häfner nimmt sich des um 1593 entstandenen Colloquium heptaplomeres Jean Bodins an (133–147), in dem sich bereits Zweifel an der Echtheit und Autorschaft des Corpus Hermeticum niedergeschlagen haben – trotz der im 15. und 16. Jahrhundert anhaltenden Faszination, dass sich die älteste Weisheit arkan erhalten habe (142). Als älteste Religion erscheint schon bei Bodin die dem Menschen naturgesetzlich eingepflanzte „natürliche Religion“ (145) – wie übrigens bereits in Thomas Morus’ Utopia – ein Anlass, die bisher kaum hinterfragten Narrative über den Ursprung des Deismus einmal auf den (her­ metischen) Prüfstand zu stellen. Bodins Konstruktion einer natürlichen Reli­ gion trotz der gleichzeitigen Parodierung des Corpus Hermeticum (147) zeigt, wie dessen Stellenwert verschoben wurde, obwohl seine Authentizität nicht mehr als Autoritätsargument galt. Der Mitherausgeber Volkhard Wels liefert eine ausführliche Untersuchung der Atalanta fugiens von Michael Maier, die zeitlich parallel (1617/18) zu Casaubon entstanden und in ihrer Kombination aus Bild, Text und Musik ein einzigartiges, bis ins 20. Jahrhundert hinein präsentes Werk ist. Doch Maiers Werk steht zugleich für die bemerkenswerte Umformung des hermetischen Schrifttums innerhalb einer aristotelischen und lutherischen Orthodoxie. Offenbarungsanspruch und magische Elemente werden aus ihm herausge­ schnitten, um es zu verteidigen (175, 183 f.). Nicht magische Anverwandlun­ gen sind Maiers Interesse, sondern die Anregung der Vernunft zur Beförde­ rung der an der Natur entzündeten Frömmigkeit durch ein „alchemisches Andachtsbuch“ (164), das den alchemischen Überbau partiell abgelegt hat. Wer sich um 1620 auf Hermes beruft, ist weder heterodox noch häretisch, denn Hermes muss nicht die Stiftung einer Religion assoziieren; es kann dabei bleiben, dass er als „Gründungsheros der Alchemie“ gilt (186). Diesen Ertrag gewinnt Wels unter ausdrücklicher Zurückweisung der von Assmann behaupteten Einheitlichkeit der hermetischen Tradition (187). Mit der Ent­ 249

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mystifizierung des Hermes durch Maier wird aber nicht zugleich auch der Mythos der ältesten Wahrheit eliminiert. Das beweist dessen bemerkenswerte Deutung der antiken Mythologien als naturphilosophische Allegorie, die das literarische Gewand anziehen musste, damit die Antike ihre naturphilosophi­ schen Geheimnisse verbergen und dadurch zugleich transportieren konnte. Ob mit der Literarisierung oder Ästhetisierung sämtliche epistemologischen Ansprüche in den hermetischen Rezeptionen aufgegeben und in Fiktionen transformiert worden sind (193), bleibt nach meiner Ansicht eine noch offene Frage. Solchen Transformationen geht Rosmarie Zeller in ihrer Auslegung von Thomas Rappolts Jäger-Lust nach, die sie als alchemischen Text in hermeti­ scher Sprache betrachtet (195–212). Auch hier werden die von Gott stammen­ den Geheimnisse sprachlich durch Metaphern, besonders aus dem Bereich der Sexualität, chiffriert. Die Jagd wird in eine seit Cusanus anhaltende Tradition eingeordnet, deren Übertragung auf die Suche nach der prima materia beson­ ders originell erscheint (295). Dieser Urstoff erscheint in der Jäger-Lust in Gestalt einer Nymphe als luftiges Wesen, deren Gefangennahme als Konden­ sationsvorgang gedeutet wird. Die Wissenschafts- und Philosophiehistorikerin Anne Eusterschulte (212– 257) stellt am Beispiel Athanasius Kirchers, seines Schülers Kaspar Schott und Francis Bacons eine vielbeachtete Verbindung frühneuzeitlicher Naturfor­ schung, Naturphilosophie und Theologie vor, deren Spuren über das 17. Jahr­ hundert hinaus, nicht nur in den Magnetismusdebatten des 18. Jahrhunderts, verfolgt werden können. Bei den von Eusterschulte untersuchten Autoren gerät paradoxales Wissen mit seinen wissenschaftsmethodischen, literatur­ theoretischen und eruditiven Implikationen in den Blick (219). Die Grenze reiner Poetologie wird in den Bereich epistemologischer Dimensionen ver­ schoben. Wissenschaft, magia naturalis, vollzieht die Versteckspiele der Natur nach; die Wortspiele sind Hinweise auf tiefere Bedeutungen hinter dem, was nur als Spiel erscheint (225 f.) und als wiederzuerlangendes Wissen Gegen­ stand wissenschaftlicher Arbeit ist (231). Das Naturspielkonzept erscheint als „methodisch-epistemologisches Strukturprinzip“, das dem zeitgenössischen Wissenschaftsdiskurs ebenso korrespondiert wie der (vermeintlich) spieleri­ schen Naturproduktivität, dem Spieldiskurs und den ludischen Textstrategien im 16. und 17. Jahrhundert (234–237). Die im ludischen Verfahren entdeck­ ten Einsichten bringen aber nichts Neues ans Licht, sondern sind – in der her­ metischen Tradition – „Ent-Deckungen“ eines ursprünglichen, vermeintlich ägyptischen, für Kircher in Wirklichkeit jedoch hebräischen Wissens (240), das einer ursprünglichen Ordnung entstammt. Kircher hat aus dieser Primor­ dialordnung auch seine Musiktheorie und seine divine Mathematik abgeleitet; Hermes ist ihm „postdiluviale[r] Instaurator der Musik“, die die Seele zu Gott erheben soll (244–252). Eine bemerkenswerte Konsequenzen dieses kircher­ schen Ludismus besteht in der Annahme, dass die ludische, göttliche Gestal­ tungskraft sich in Mineralien, Gesteinen, ja sogar in Fossilien niedergeschla­ 250

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gen hat, die nicht als Versteinerungen ehemals lebender Wesen betrachtet werden, sondern als Produkte göttlich-natürlichen Spiels. Die Kircher-Exper­ tin Eusterschulte beschreibt dies als „symbolische, konjekturale Investigation universalen Wissens“ (255) – trotz der Ambivalenz von Faszination und Skep­ sis, die Kirchers Bücher hervorgerufen haben (257). Der kürzlich überraschend verstorbene Joachim Telle stellt das lange Zeit vorgetragene und nicht selten selbst esoterische Diktum auf den Prüfstand, dass dem elisabethanischen Magus John Dee ein tiefgreifender literarische Ein­ fluss insbesondere auf die deutsche alchemisch-paracelsische Literatur zu bescheinigen sei (259–296). In einer großen Breite literarischer Referenzen aus dem 16. bis 20. Jahrhundert untersucht Telle diese zwischen Gustav Mey­ rink, Georg Cantor, Frances Yates und Umberto Eco bis in moderne Romane vertretene These eines deeschen Einflusses insbesondere auf die Rosenkreuzer – mit dem Ergebnis, dass sich bis auf winzige Splitter hier so gut wie nichts findet und lediglich Hinweise auf Dees Monas hieroglyphica und weitere Spu­ ren bei Autoren wie Gerhard Dorn, Kircher, Libavius oder Khunrath auszu­ machen sind. Das ist die magere Bilanz einer großen These, auch wenn nicht immer deutlich ist, ob die geprüfte Literatur nach namentlichen Erwähnun­ gen oder inhaltlichen (möglichen) Rezeptionen untersucht worden ist. Denn Dee, der eine mit Wissensvermittlung verbundene göttliche Offenbarung und Engelsgespräche behauptet hatte, offenbar deshalb bei dem Habsburger Alchemisten-Kaiser Rudolf II. abgeblitzt (265–267) und seit dem 17. Jahr­ hundert literarischen Ridikülisierungen ausgesetzt gewesen ist (293), war auf­ grund dieser übersinnlichen Konnotationen nicht ohne weiteres wie ein ande­ rer Autor zitierbar und autoritätsfähig. Ist es denkbar, dass Dee-Rezeptionen unterhalb namentlicher Referenzen noch zu überprüfen wären, ohne in das Genre von Romanen abzugleiten? Ohne weiteres lassen sich solche DeeErfindungen allerdings auch in wissenschaftlichen Reihen finden.8 Eine forschungsgeschichtliche Lücke schließt Kristine Hannak für das frühe 16. Jahrhundert mit ihrer Studie über Sebastian Francks Übersetzung des Corpus Hermeticum in der Tradition mittelalterlicher Logosmystik (297–321), denn Martin Mulsow9 hatte noch vor ein paar Jahren nur vermutet, dass Franck einer der ersten Übersetzer des Corpus Hermeticum in der lateinischen Ausgabe von Ficino gewesen sei. Hannak verwendet allerdings nicht diese handschriftlich in Augsburg vorhandene Übersetzung, sondern nur die in publizierten Schrif­ ten Francks enthaltenen Passagen. Deutlich wird, dass Franck Hermes, den er für einen Zeitgenossen Abrahams hielt, als Argument gegen Luthers Anspruch auf eine exklusive sola-scriptura-Hermeneutik benutzte. Es darf allerdings gefragt werden, ob Francks Konzept des inneren, anthropologisch, 8 Vgl. Friedemann Stengel: Rezension zu Marsha Keith Schuchard: Emanuel Swedenborg. Secret Agent on Earth and in Heaven. Jacobites, Jews, and Freemasons in Early Modern Sweden. Leiden, Boston 2012 (The Northern World, 55): In: Journal of Northern Studies 7, 1, 2013, 113–129. 9 Vgl. Mulsow, Ende [s. Anm. 7], 7.

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nicht ausschließlich biblisch abgesicherten Wortes sich in der Referenz auf die mittelalterliche Mystik vor allem Johann Taulers erschöpft – das wäre jeden­ falls die Vermutung Hannaks. Zweifellos gehört Tauler zu den viel verwen­ deten Autoritäten gerade auch des jüngeren Luther, und es gehört zu den immer wieder wiederholten Narrativen, dass es die Lektüre mittelalterlicher Mystiker gewesen sei, die den reformatorischen und deviant-reformatori­ schen Widerstand gegen Scholastik und Romanismus hervorgerufen hätte. Dies mag künftig gerade auf die Frage hin untersucht werden, inwieweit der außerbiblische Offenbarungsanspruch und das kryptochristliche hermetische Zeugnis lediglich durch einen Rückgriff auf sakrosankte und weniger als Ficino und Pico angreifbare mittelalterliche Autoren abgesichert worden ist. Anzeichen10 lassen sich bei Müntzer finden, der der klarste – und Franck bekannte – zeitgenössische Gegner des lutherischen Schriftprinzips war und sich eben auf das innere Wort berief – wiewohl ihm seine Wittenberger Geg­ ner stets die Behauptung außerordentlicher Offenbarungen unterstellten. Diese Quelle wäre für Francks Hermetismus ebenso in Betracht zu ziehen gewesen wie Karlstadt, Erasmus und natürlich Luther selbst, den Franck zwar bekämpfte, aber zugleich unentwegt zitierte. Eine solche Erweiterung der Rezeptionsbasis beträfe auch Hannaks Hinweis darauf, dass Franck „nous“ mit „Gemüt“ übersetzt und darin ein Bezug auf Meister Eckarts Seelenfünk­ lein zu sehen sei, der darin ein Summarium aller Begriffe für den innersten Seelenteil erblicke (305). Der Ausdruck „Gemüt“ jedoch ist Massenbegriff auch bei Luther, und die modifizierte neuplatonisch-hermetische Anthropolo­ gie ist auch bei Erasmus, nicht nur im Enchiridion militis christiani, zentral. Um der These einer merkwürdig antiquierten oder anachronistischen Rezeption unverdächtiger mittelalterlicher Quellen nicht auf den Leim zu gehen: Wären nicht auch Francks unmittelbare Zeitgenossen in Betracht zu ziehen? Dann würde vielleicht ein anderes Licht auf Francks Religionstoleranz fallen, die auf der Basis der Lehre vom inneren Wort in Türken, Zwinglianern, Täufern und Lutheranern Brüder erblickt, weil das Wort Gottes als ubiquitärer und überzeitlicher Geist keine Differenzierung zwischen Christen und Heiden vornimmt (314, 319). Dies jedoch ist eine wesentliche Konsequenz der seit Cusanus (De pace fidei) in neuplatonisch-hermetischen und kabbalistischen Literaturen vertretenen Auffassung einer allen Gottesverehrungen (religiones) gemeinsamen prisca theologia. Sie ist auch das entscheidende Grundmotiv der umstrittenen 900 Thesen Picos, die zwar in Francks Tagen unveröffentlicht waren, aber in Gestalt ihrer Apologia in Picos Opera omnia (Straßburg 1504) vorlagen. Womöglich sind verborgene und aus kirchenpolitischen Gründen verdeckte hermetische Rezeptionen tiefer in den reformatorischen Bewegun­ gen vorgenommen worden, als bislang angenommen. Gegenüber den von Antoine Faivre für die Esoterik in Anschlag gebrachten 10

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Vgl. Stengel, Reformation [s. Anm. 6], 65–68.

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Denkformen11 macht Dietmar Till die Sprachlichkeit als charakteristischen Denkstil des Hermetismus aus, die sich bereits im Corpus Hermeticum finde (323–333). Die Sprachfähigkeit des Menschen, von Pico in der 19. Conclusio mit magischer Kraft ausgestattet und in Analogie zum schöpferischen Sprech­ akt betrachtet, ist nicht nur anthropologisches Alleinstellungsmerkmal, son­ dern auch Erweis performativer Kraft. Gotteserkenntnis ist nur außerhalb des Sprachbereichs möglich, denn Sprache ist eine anthropologische Konstante (325 f.). Diese geradezu postmoderne Theorie performativer Sprechakte ist am ausführlichsten in Agrippa von Nettesheims De occulta philosophia darge­ stellt; der Kabbala-Forscher Andreas Kilcher hat sie als renaissancetypische Verschmelzung neuplatonischer und kabbalistischer Elemente herausgearbei­ tet. Damit ist auf die eingangs genannten Probleme zurückgewiesen, den Her­ metismus innerhalb des „Esoterischen Corpus“ zu isolieren und zugleich die Zurückschreibung eines modernen Begriffs (Esoterik) zu vermeiden, um nicht unzutreffende Einebnungen zu produzieren. Von einem zentralen hermetischen Prinzip geht auch Peter-André Alt in sei­ ner Untersuchung über die hermetischen Grundlagen frühneuzeitlicher Poe­ tologie aus (335–371). Das Motiv der Imagination als Fundament poetologi­ scher Konzeptionen wird auf Ficinos Enthusiasmusbegriff zurückgeführt, der eine natürliche besondere Gemeinschaft zwischen Gott und Autor zugrunde legt – nicht durch ekstatische Entrückungserlebnisse, sondern durch den Topos der Gottähnlichkeit des Menschen (338–340, 348). Voraussetzung für diese erweiterte Enthusiasmustheorie sei die Abwendung von einem strikten Aristotelismus gewesen (334). Den (abgestuften) Zusammenhang zwischen dichterischer und schöpferischer Ordnung zeigt Alt unter anderem an George Puttenham, Philipp Sidney, Thomas Traherne, Sigmund von Birken und Martin Opitz auf. Beruft sich etwa von Birken noch klar auf den theologi­ schen Ursprung der Dichtkunst, so verschwinden – nicht zuletzt unter Casau­ bons Einfluss – bei Opitz gleichermaßen biblische wie hermetische Rückbin­ dungen, an deren Stelle antike Autoren treten (359–361). Inwieweit Niklas Luhmanns Deutung der Imagination als selbstveranlasste Wahrnehmungssi­ mulation (351) die hermeneutischen Kompetenzen historisch-kritischer For­ schung überschreitet, sei dahingestellt. Nicht einleuchten will mir aber die von Luhmanns Kulturbegriff abgeleitete und an marxistische Spiegelungsmu­ ster zwischen „Sein“ und „Bewusstsein“ erinnernde Sicht von Kultur als einem „‚Doppel‘ geltender Ordnung“ (366); die diskursinternen Interdepen­ denzen zwischen Ordnungen und Kulturen werden damit zerschnitten. Dass mit der poetologischen Duplizierung von Wirklichkeit Gottes Schöpfung wiederholt werde und der Rekurs auf die hermetische Logostheologie häreti­ sche Konturen in sich trage, weil sie die Ubiquität aufhebe und die Vormacht­ stellung Gottes als Schöpfer [etwa durch ihre Wiederholbarkeit? Anm. d. Vf.] 11

Im Text werden merkwürdigerweise nur fünf statt sechs genannt.

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in Frage stelle, erscheint daher ebenfalls als eine nur schwer nachvollziehbare Konsequenz. Schon der Blick auf Physikotheologien könnte das zeigen. Inwiefern die Anbindung hermetischer Poetologie an Schöpfungstheologie eine gegenüber Ubiquität und Schöpfungstheologie gleichsam prinzipiell kri­ tische und vielleicht sogar auflösende Stoßrichtung besitzen soll, will mir nicht einleuchten. Schließlich könnte diese Konnotation ja durchaus umge­ kehrt, nämlich als christliche und hermetische Nostrifizierung der Poesie betrachtet werden. Auch Philipp Theison verbindet Hermetismus und Säkularisierung in seiner Studie über die hermetische Liebeskonzeption miteinander (373–392), und auch er erkennt als zentrales Merkmal die hermetische Sprache gegenüber kabbalistischen und neuplatonischen Konzepten: nämlich dass der Logos ein kosmologisch-nachgeordnetes Moment und das „psychische Kontinuum“ der Schöpfung an den Logos in seiner strikten Vernünftigkeit und Sprachlichkeit gebunden sei (374 f.). Der hermetische Logos besitzt einerseits absolute Deu­ tungshoheit für die Welt, aber eben auch für den Körper, der allerdings alogi­ schen Gesetzen gehorcht. Dieser Hiatus wird durch Liebe überwunden (375), die in mikro- makrokosmischer Analogie ebenso kosmisch wie zwischen­ menschlich wirkt und sich auch in der Zusammenschau von christlicher Theologie und Naturerkenntnis zeigt. Diese Verbindung wird anhand von Arndt, Newton, der Naturforschung der Royal Society und vor allem Chri­ stian Thomasius sichtbar gemacht, der in seiner Sittenlehre die Seelen- und Willensvereinigung bei der vernünftigen Liebe nicht ohne sexuelle Vereini­ gung sehen wollte (384). Theison zeigt auf, dass hinter dieser Sicht Thoma­ sius’ ein androgyner Schöpfungsbegriff und Geistvorstellungen lagen, die die klassischen Geist- und Materiebegriffe überschreiten (384 f.), und er ergänzt die hermetisch affizierte erotische Lyrik des „vielleicht radikalsten Sinnlich­ keits-Apologeten“ Christian von Hoffmannswaldau (385). Körper- und Geistgrenzen transzendierende Vorstellungen von psychischer Materie und materialisierter Geistigkeit schließen die Beseelung der – eben nicht rein materiellen – Natur mit ein; sie wird etwa von von Hoffmannswaldau in sexuell aufgeladener paracelsistischer Semantik im Penetrationsvokabular dar­ gebracht. Den Abschluss des Bandes bildet Hans-Georg Kemper, der sich in seiner Untersuchung über den hermetisch-poetischen Liebeszauber mit dem Weg von der „mystischen Jeßus-wollust“ zur Passion der Liebesehe und damit wie Theison mit der hermetischen Liebesthematik befasst (393–432). Auch Kem­ per übernimmt eine These Niklas Luhmanns, dass nämlich die Liebe ein Effekt kultureller Sozialisierung und zugleich auf der Basis der höfischen und literarischen Liebessemantik entstanden sei (397). Allerdings verschiebt Kem­ per Luhmanns Fokus aus der Romantik in die Barockmystik: In Hermetik und christlicher Mystik, in der geistigen Poesie und der Liebesehe mit Chri­ stus werden die Wurzeln für die Transformation des modernen Liebeskon­ zepts erblickt (399). Ficinos hermetischer Liebeskonnex auf makro- und 254

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mikrokosmischer Ebene wird hier erneut am Werken und Wirken gesehen. Friedrich von Spee, Catharina von Greiffenberg und die böhmistische Sophi­ enmystik bei Gottfried Arnold und Samuel Gotthold Lange gelten als Bei­ spiele für die Transformation eines als Christusliebe sublimierten hermetischmagischen Topos in die Forderung der Liebe als einzig legitimem Grund der Partnerwahl. Hier werden die Ehen noch im Himmel geschlossen; in offen­ sichtlicher Adaption der prästabilierten Harmonie hat Gott selbst für Lange die bestmöglichen Partner in der bestmöglichen Welt füreinander bestimmt (424). Die besonders starke Aufladung des ‚himmlischen‘, dabei aber weder hermetischen, androgynen noch christologischen Ehekonzepts bei Emanuel Swedenborg hätte auf dem Weg zur Romantik noch berücksichtigt werden können, zumal es hier klar rezipiert worden ist, offenbar besonders auch in seiner nichtchristlichen Nuancierung.12 Noch Novalis erblickt in der Gelieb­ ten die „Abbreviatur des Universums“ – für Kemper Nachhall des „Pan-Chri­ stismus“ der makro- mikrokosmischen Liebesmystik der hermetischen Poesie (426, 429), während bei Goethe zwar die Gestalt Christi, die bei Greiffenberg und Novalis den pantheistischen Kosmos liebend übergreift, verschwindet. Doch mit dem Verschwinden Christi verschwindet bei Goethe nicht der Her­ metismus; er hinterlässt bei ihm eine spinozistisch aufgefasste, lebendige Welt (429). Damit ist wohl die Grenze zum 19. Jahrhundert überschritten, nicht jedoch die Rezeptionsgeschichte des Hermetismus, dessen Gewicht für die (früh-) neuzeitliche Kulturgeschichte die Beiträge dieses Bandes eindrücklich und mit Gewinn für alle historisch arbeitenden Disziplinen klar gemacht hat. Friedemann Stengel

Halle/Heidelberg

Geschichtsbewusstsein und Zukunftserwartung in Pietismus und Erwe­ ckungsbewegung. Hg. v. Wolfgang Breul u. Jan Carsten Schnurr. Göttingen [u. a.]: Vandenhoeck & Ruprecht 2013 (AGP, 59). – 378 S.; Ill. Der vorzustellende Berichtsband einer Tagung von 2011 enthält drei Sek­ tionen, nämlich neben den im Titel genannten Thematiken eine dritte über „Geschichtsverläufe und Lebensläufe“. Die Beiträge stammen von bereits durch entsprechende monographische Untersuchungen ausgewiesenen Histo­ rikern. In einem einleitenden Beitrag resümiert und exemplifiziert Hartmut Leh­ mann die Bedeutung kulturwissenschaftlicher Forschungsansätze für die Pie­ 12 Vgl. dazu einstweilen: Friedemann Stengel: Aufklärung bis zum Himmel. Emanuel Sweden­ borg im Kontext der Theologie und Philosophie des 18. Jahrhunderts. Tübingen 2011, 300–306.

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tismusforschung (13–26). Im Ergebnis stellt er fest, dass die Pietismusfor­ schung vereinzelt kulturwissenschaftliche Betrachtungsweisen kennt, ohne doch immer die spezifische kulturwissenschaftliche Fachsprache zu gebrau­ chen. Inwiefern Geschichtsbewusstsein und Zukunftserwartung aber spezi­ fisch kulturgeschichtliche Themen sind, wie es das Vorwort (11) meint, ist mir auch nach der Lektüre der Beiträge nicht deutlich. Die Frage nach der Geschichte ist ja schon immer ein theologisches Thema. Zu einem kulturwis­ senschaftlichen (statt eines ideen- oder theologiegeschichtlichen) würde es erst durch die Einbeziehung der Frage nach Wechselbeziehungen zwischen Theo­ logie und allgemeinen Standards der Wahrnehmung, des Denkens und Han­ delns. Wolf-Friedrich Schäufele behandelt Geschichtsbewusstsein und Geschichtsschrei­ bung um 1700 (29–55) durch die breite Einbeziehung mittelalterlicher, reforma­ torischer und frühaufklärerischer (Kirchen-)Geschichtsschreibung. Seine sou­ veräne Präsentation der wichtigen Stationen dieser geisteswissenschaftlichen Entwicklung lädt zu Nachfragen ein: Teilen der prämillenaristische und der postmillenaristische Chiliasmus (der Petersens bzw. Speners) im Grunde das­ selbe Geschichtsbewusstsein (43) und haben beide gleichermaßen dazu beige­ tragen, „einen qualitativ wie quantitativ bedeutsamen innergeschichtlichen Zukunftshorizont zu eröffnen“ (43)? Oder zeigt der unterschiedliche inner­ weltliche Aktivismus der Vertreter beider Richtungen, dass die einen in der Tat mit einem Ende der Geschichte rechnen, gefolgt von einem Zwischenzu­ stand ausgleichender Gerechtigkeit, die anderen aber an eine Perfektionierung der Gesellschaft unter den Bedingungen der Geschichte glauben? Anders gefragt: Rechnet man „lebenswirklich“ mit dem Ende der Geschichte, wenn man davon ausgeht, dass die Welt als solche noch über tausend Jahre besteht? Möglicherweise besteht gerade beim Geschichtsbewusstsein ein deutlicher Hiatus zwischen theoretischer Geschichtsbetrachtung und lebensweltlicher Geschichtserfahrung. – Im Blick auf den allgemeinen Zukunftsoptimismus wäre es interessant, den gemeinsamen Erfahrungshorizont zu beschreiben, der Spener zur Hoffnung besserer Zeiten (42 f.) und Charles Perrault zur Relati­ vierung der poetischen Vorbildlichkeit der Antike (45) bewegt hatte. In Heike Krauter-Dierolfs resümierendem Beitrag (Hoffnung künftiger besse­ rer Zeiten. Die Eschatologie Philipp Jakob Speners im Horizont der zeitgenössischen lutherischen Theologie, 56–68) erscheint mir ihre Auffassung, Speners Hoffnung besserer Zeiten sei „dezidiert ekklesiologisch qualifiziert“ (58; vgl. ähnlich 81), historisch als eine Engführung, weil Spener mit „Kirche“ m. E. die Chri­ stenheit meinte. (Es handelt sich ja auch nicht um einen Glaubensartikel.) Mit der Engführung verpasst man jedenfalls die Chance, die pietistische Zukunfts­ erwartung in der Breite der Kulturgeschichte zu verorten. Ähnliches gilt für Speners (und anderer) Erwartung eines (theologischen) Erkenntnisfortschrittes (60). Wird damit wirklich ein unhistorischer orthodoxer Wahrheitsbegriff in Frage gestellt oder ein surplus an religiöser Erfahrung postuliert im Sinne einer „offenen Zukunft“? Warum scheut man sich davor, bei dem Spener der 256

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Neunzigerjahre bereits Spuren dieser „offenen Zukunft“ zu finden, wenn in demselben Band der Beginn der „offenen Zukunft“ um 1700 vordatiert wird (s. u.)? Eine rein theologiegeschichtliche Darstellung von Speners Ansichten verstellt m. E. den Blick für die Neuartigkeit seines Denkens, vor allem die Spannung zwischen seinem Lebensgefühl und der traditionellen Theologie, der er sich verpflichtet weiß. Eine ähnliche, den Theologen sicher zierende Zurückhaltung finde ich in Wolfgang Breuls Beitrag über August Hermann Franckes Konzept einer Generalre­ form (69–83). Wenn man den Maßstab nur hoch genug ansetzt, muss man dem Pietismus sicher den Erfolg einer „umfassenden Erneuerung der Christenheit“ (82) absprechen. Aber führt es nicht zu einer historischen Marginalisierung, wenn man den Erfolg des Pietismus exemplarisch am Gebäudekomplex der Franckeschen Stiftungen festmacht statt an der Bedeutung des Pietismus als Erscheinung des 18. und 19. Jahrhunderts? Vielleicht interpretiert man auch in Francke ein zu großes Sendungsbewusstsein hinein, wenn man sein tradi­ tionelles Providenzverständnis, das er am Erfolg seiner Anstalten exemplifi­ ziert, als (gescheiterte) „gewagte geschichtstheologische Spekulation“ (79) auffasst. An sich ist die Vorstellung, dass Gott dort wirksam ist, wo Gutes geschieht (vgl. Jak 1,17), eine selbstverständliche Vorstellung, die im Falle Franckes noch von dem Bewusstsein bestärkt wird, ein gottgefälliges Leben zu führen. Die Beiträge von Jonathan Strom (Krisenbewusstsein und Zukunftserwartung bei Friedrich Breckling, 84–102) und Douglas H. Shantz (Radical Pietist Eschatol­ ogy as a Complex Phenomenon. Differing Chiliasctic Views in Jakob Böhme, J. W. Petersen, and Conrad Bröske, 103–114) widmen sich Vertretern des theologisch bislang weniger erforschten Radikalpietismus. Beide Beiträge zeigen die Notwendigkeit, diese Randerscheinungen eingehend zu studieren, um ein schärferes Bild von den chiliastischen Vorstellungen der Zeit zu erhalten. So erscheint mir Breckling ebenso wie Petersen trotz seiner scharfen Kirchen­ kritik als Vertreter des alten Geschichtsbewusstseins. Stroms Bezeichnung von Breckling als Anhänger eines antikonfessionellen Luthertums (100 f.) bedürfte noch genauerer Explikation. Shantz’ These (114) der Abhängigkeit des petersenschen Chiliasmus von dem englischen Böhmismus („Philadel­ phians“) müsste ebenfalls noch belegt werden. Im Übrigen wäre – bei aller Bescheidenheit – zu wünschen, dass in einem Aufsatz (und Buch), in dem der Chiliasmus von Petersen und Spener thematisiert wird, auch explizit die frühere Forschung zu Petersen (und Spener) als Diskussionsbeitrag zu Worte kommt. Claudia Dreses Beitrag (Der ‚Faden‘ der Geschichte. Zur Evaluation der Ver­ gangenheit durch den Hallischen Pietismus, 115–128) will zeigen, dass „‚Geschichtsschreibung‘ im Halleschen Pietismus gleichzeitig auch immer ‚Geschichtsdeutung‘ und somit (Re-) Konstruktion von Vergangenheit, Modulation von Erinnerung und Auslegung eigener Erfahrung ist“ (115). Auch dieses Thema erforderte sicher noch eine genauere und umfassendere 257

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Sicht auf die Dinge. Die von ihr zur Profilierung hallischer Geschichtsschrei­ bung gemachten Voraussetzungen sind mir nicht immer plausibel. Dietrich Meyer vergleicht die Chiliastische Hoffnung und eschatologische Erwartung der Brüdergemeinde und der Mission bei Zinzendorf und Spangenberg (129–140), wobei besonders Zinzendorfs Mitte des 18. Jahrhunderts am stärk­ sten zu beobachtender Chiliasmus hervorgehoben wird, der – weniger aktivi­ stisch als in Halle – das Leben der philadelphischen und weltweit wirksamen Brüdergemeine als modellhaftes Vorbild des himmlischen Jerusalems propa­ giert. Die Brüdergemeine wird damit – auf anziehende Weise – gleichsam zum Ort des erfahrenen und selbst gelebten Reiches Gottes unter den Bedin­ gungen des ‚Kreuzreiches‘, schön dokumentiert in zwei ebenfalls hier abge­ druckten „Erstlingsbildern“. Am gewichtigsten erscheint mir der Beitrag von Daniel Fulda (Wann begann die ‚offene Zukunft‘? Ein Versuch, die Koselleck’sche Fixierung auf die ‚Sattelzeit‘ zu lösen, 141–172) und seine Auseinandersetzung mit Reinhart Kosellecks These vom veränderten Geschichtsbewusstsein, exemplarisch festgemacht an seiner These von der Entdeckung der „offenen Zukunft“ in der 2. Hälfte oder im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Fulda plädiert für einen länger andauern­ den Übergang von der alteuropäischen zur modernen Geschichtsauffassung und sieht Belege für ein Denken der „offenen Zukunft“ bereits um 1700 – ohne freilich – dem Pietismus in diesem Prozess eine gewichtige Rolle (vgl. 166–168) zuzumessen. Man muss ja dem Pietismus nicht gleich eine innovato­ rische, ursächliche Funktion zuschreiben. Es wäre schon interessant genug zu wissen, ob der Pietismus auch in diesen Prozess prominent hineingehört und darum auch aus diesem Prozess heraus zu verstehen ist. Anders gesagt: So sehr theoretisch (biblisch) der Weltgeschichte ein Ende gesetzt ist, so sehr sind doch die Wohlstandserwartungen durch eine umfassende Reform, die Welt­ mission, der Fall Babels und die Bekehrung der Juden tatsächlich unerhörte, neue Ereignisse, die zwar (irgendwie) verheißen waren, deren tatsächliche, in der Zukunft zu erwartende und nun beginnende praktische Umsetzung aber niemand auf der Rechnung hatte. Der Versuch von Fulda hinterlässt bei mir einen ambivalenten Eindruck. Zum einen ist es historisch immer wichtig, neben epochalen Unterscheidun­ gen wie derjenigen von „Alteuropa“ und der „Moderne“ in der „Sattelzeit“ des späten 18. Jahrhunderts auf Übergangsphänomene hinzuweisen. Und das tut Fulda, indem er für die verschiedenen, von Koselleck herausgestellten Begriffe Belege bereits ab 1700 findet. Zum anderen scheint mir aber für Kosellecks Argumentation gerade die (nicht suggerierte, sondern postulierte) „hohe Konsonanz der verschiedenen Elemente“ in der sog. Sattelzeit aus­ schlaggebend zu sein, um von einem neuen Geschichtsbewusstsein zu spre­ chen (147; vgl. 152!). Was heißt es zum Beispiel, wenn um 1700 Autoren über den möglichen Fortschritt räsonieren oder Bürger nach dem Vorbild der „politischen Klugheit“ (149 ff.) mit zukünftigen Situationen zu rechnen ler­ nen, wenn sie dabei doch letztlich vom Lauf der Welt ausgehen. Ist die „unsi­ 258

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chere Zukunft“ des Einzelnen (153) dasselbe wie die von Koselleck beschrie­ bene „offene Zukunft“? Der von Fulda für eine neue, zukunftsoffene Geschichtsschreibung zitierte Syllogismus (156) des Nicolaus Hieronymus Gundling (1661–1729) belegt m. E. gerade Kosellecks Datierung der Sattelzeit auf das späte 18. Jahrhundert. Wenn man nämlich die Historie als allgemeine Regel („major“) auffasst, auf die man die Gegenwart („minor“) beziehen muss, um die Zukunft („conclusio“) zu konjekturieren, dann erscheint mir das als das alte Bild von der Geschichte als magistra vitae. Manfred Jakubowski-Tiessen vergleicht Zeit- und Zukunftsdeutungen in Kri­ senzeiten in Pietismus und Erweckungsbewegung (175–191) anhand von der Reak­ tion auf die Sturmfluten von 1717 und 1825. Es ist festzustellen, dass solche als „global“ wahrgenommenen Katastrophen in Pietismus und Erweckungs­ bewegung die traditionelle Vorstellung vom Strafhandeln Gottes aktuell wer­ den ließen. Damit dürfte zusammenhängen, dass solche überpersönlichen Katastrophen auch als Vorzeichen des Jüngsten Tages gedeutet werden konn­ ten, ohne deshalb sogleich eine Naherwartung zu haben. Auch Spener konnte ja seine Hoffnung besserer Zeiten durchaus mit einem auf den Jüngsten Tag hinweisenden Gerichtshandeln verbinden. Ulrich Muhlack ordnet die Brüder Leopold und Heinrich Ranke im Spannungs­ feld von evangelischer Erweckung und historischem Denken (192–220) ein. Dazu beschreibt er zunächst auf mitunter packende Weise den Lebensweg der bei­ den Brüder und ihr Verhältnis zueinander, die u. a. daher ihre Faszination erhalten, dass der eine zu einem hervorragenden Vertreter des wissenschaftli­ chen Historismus, der andere ein erweckter Theologe wurde. An dem Bei­ spiel der beiden persönlich weiterhin verbundenen Brüder lassen sich schön die Interferenzen zwischen Historismus und Erweckungsbewegung beobach­ ten. Jan Carsten Schnurr („Das predigt uns diese Geschichte laut“. Geschichtsbewusst­ sein und Geschichtsschreibung der Erweckungsbewegung im deutschen Vormärz; 221– 234) stellt eine Predigt über Geschichte (Reformation) von Ludwig Hofacker vor und gibt eine Übersicht über Geschichtswerke der Erweckungsbewegung. Der Duktus seiner Ausführungen und sein Schlussstatement („Dass sich die Erweckungsprediger im Vormärz um Geschichte bemühten, kann man ihnen nicht absprechen“, 234) erwecken den Eindruck, als sei die Beschäftigung mit Geschichte für die Erweckungsbewegung gleichsam eine notwendige Pflicht. Nach meinem Eindruck basiert hingegen die ganze Erweckungsbewegung (s. den Beitrag von Muhlack) auf einer spezifischen Form des geschichtlichen Denkens, das selbst zur Leitwissenschaft des 19. Jahrhunderts avancierte. Zu denken gibt Schnurrs These, dass sich „der Glaube der Erweckten an eine durch Gott gegebene Kontinuität in der Geschichte [. . .] einem konsequenten Historismus entgegen“ stelle – „auch wenn man das Geschichtsbewusstsein des Historismus“ teile (232). Ich kann in den präsentierten Texten nur ein gleichsam zyklisches Geschichtsbewusstsein erkennen, das sich der „offenen Zukunft“ entgegenstemmt (vgl. 231: „Vollendung des Reiches Gottes“). Es 259

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geht immer um „die alte Wahrheit“ (230), um „zu allen Zeiten dieselben Regierungsgrundsätze“ Gottes (232), darum, dass „der alte Gott noch lebt“ (Ernst Moritz Arndt; vgl. 225: „daß Jehovah Gott ist“). Auffallend sind ja die Vergleiche der eigenen Gegenwart mit Situationen der Bibel (meist des Alten Testamentes) („wie in den Tagen . . ., so heute“), wobei das Selbstverständnis der Erweckungsbewegung sich gerade an den Vorbildern der Errettung der Gläubigen aus der Bedrängnis (vgl. 225: „Zeit der Entscheidung“) entfaltete (234). Michael Kannenberg („. . .aber das Grübeln habe ich seitdem aufgegeben“ Indivi­ dualisierung und Spiritualisierung der Zukunftserwartungen am Beispiel des württem­ bergischen Millenaristen Johann Jakob Friedrich, 235–243) gibt eine Skizze des Pfarrers Friedrich und spitzt sie zu auf dessen veränderte Eschatologie. Für die aus dem Titel sich ergebende These ist m. E. die Quellenbasis aber noch zu schmal. Judith Becker (Zukunftserwartungen und Missionsimpetus bei Missionsgesellschaf­ ten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, 244–270) berichtet aus ihrer Arbeit als Leiterin einer kultur- und missionsgeschichtlichen Nachwuchsforscher­ gruppe in Mainz. Sie vergleicht die Geschichtsbilder und Zukunftserwartun­ gen der Missionsgesellschaften (insbesondere die sog. Barmer Richter-Bibel) und der Missionare (vor Ort). Ihr Ergebnis, dass die Unterschiede nur „mini­ mal“ seien (268), erstaunt auf Grund der institutionellen Verflechtung nicht, verdient aber festgehalten zu werden. Zu weiteren Überlegungen lädt der Satz aus der Richter-Bibel ein, wonach die Erforschung des Reiches Gottes „die wahre Philosophie der Geschichte der Menschheit“ sei (250). Darin zeigt sich m. E. erneut, dass es in der Erweckungsbewegung um mehr geht als um bestimmte Zukunftserwartungen, es geht um eine ganz neue Theologie der Geschichte und um einen neuen Begriff von Geschichte als Ort göttlicher Offenbarung und Gegenstand theologischer Reflexion. Fred van Lieburg betrachtet Erinnerung, Erweckung und Erwartung im nieder­ ländischen Protestantismus 1813–1848 (271–288), indem er zunächst überblicks­ artig auf die wichtigsten Daten der Geschichte des niederländischen Prote­ stantismus (Réveil und Afscheiding) eingeht, um dann einzelne, für ihr Geschichtsverständnis besondere Gestalten neu vorzustellen. Seinem Wunsch nach einem weiteren „Austausch von Pietismus- und Erweckungsforschung“ (288) kann man nur – gerade bei dieser Thematik – unterschreiben. Lucian Hölscher (Die Nähe des Endes: Pietistische und säkulare Zukunftsent­ würfe in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, 289–299) analysiert das pietistische Geschichtsdenken des 19. Jahrhunderts und zeigt auf, wie sehr auch säkulare Zukunftsentwürfe des 19. Jahrhunderts von religiösen Substraten zehrten (298). Die letzten drei Beiträge fallen etwas aus dem thematischen Rahmen. Hans-Jürgen Schrader (Kanonische neue Heilige. Sammelbiographien des Pietismus und der Erweckungsbewegung, 303–338) gibt eine gewohnt kenntnisreiche Übersicht zum Thema und plädiert neben einer exemplarischen Interpreta­ 260

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tion der sich wandelnden biographischen Bilder für eine umfassende Erschlie­ ßung der weitverzweigten Biographiensammlungen zum Zwecke biogra­ phisch-historischer und literarisch-mentalitätsgeschichtlicher Forschung. Christine Lost („Die Brüdergemeine ist meine eigentliche Heimat . . .“. Zukunfts­ erwartung und Lebensweg in Herrnhuter Lebensläufen, 339–350) gibt eine exem­ plifizierende Zusammenfassung ihrer Monographie von 2007. Shirley Brückner (Die Providenz im Zettelkasten. Divinatorische Lospraktiken in der pietistischen Frömmigkeit, 351–366) beschließt den Band mit einer erneuten Beschäftigung mit der Gattung der biblischen „Schatzkästlein“. Dabei erscheint mir die wiederholt von ihr verwendete Bezeichnung des Gebrauchs solcher zufällig „gezogener“ Bibelsprüche als „magisch“, „mantisch“ oder „divinatorisch“ (also im Sinne der Vorhersage oder der Einsicht in Gottes Willen) als überzogen. Man muss diese Praktik sehen vor dem Hintergrund von 2Tim 3,16 (vgl. das Zitat auf 361). Obwohl es sicher auch Entscheidungs­ orakel gab, wird man den meist verbreiteten Gebrauch doch schlicht in der (naiven, auf die eigene Lebenspraxis bezogene) Betrachtung von Bibelworten sehen, wie sie seit Speners Collegia pietatis für den Pietismus kennzeichnend ist. Wenn man schon keine unmittelbaren Offenbarungen haben darf, dann muss man Gott wenigstens die Möglichkeit geben, auf mittelbare Weise den Einzelnen anzusprechen. Markus Matthias

Amsterdam

Gegen den Strom. Der radikale Pietismus im schweizerischen und interna­ tionalen Beziehungsfeld. Hg. v. J. Jürgen Seidel. Zürich: dreamis Verlag 2012. – 298 S. Schwärmer, Fanatiker, Separatisten – so einige der zeitgenössischen pejora­ tiven Bezeichnungen, mit denen die Kreise entschiedener Christinnen und Christen im 17. und 18. Jahrhundert versehen wurden, denen eine Tagung an der Universität Zürich im Juni 2008 gewidmet war. Im Brennpunkt standen Radikalpietistinnen und Radikalpietisten in der Schweiz und die Erforschung ihres weit gespannten Beziehungsnetzes. Dass die erwähnten und auch heute noch in Verwendung stehenden abwertenden Bezeichnungen einer Sichtweise weichen müssen, die den persönlichen Mut und die Eigenständigkeit der zur Diskussion stehenden Frauen und Männer herausstreicht und ihnen dadurch späte Gerechtigkeit widerfahren lässt, scheint stillschweigend vorausgesetzt worden zu sein. So ist auch die Titelwahl zu verstehen, denn mit dem Aus­ druck „gegen den Strom“ werden die positiv konnotierten Eigenschaften 261

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individueller Mündigkeit, Freiheit und Unabhängigkeit der radikalen Pietis­ tinnen und Pietisten akzentuiert. Die Subversivität ihrer Staats- und Kirchen­ kritik und die ihr oft auf dem Fuß folgenden einschneidenden persönlichen Konsequenzen werden vor dem Hintergrund des Mainstreams jener, die eben gemächlich und angepasst mit dem Strom schwimmen, abgehoben und gewürdigt. Ein konziser und den aktuellen Forschungsstand souverän wiedergebender Überblick über „die Frühzeit des radikalen Pietismus in der Schweiz (bis ca. 1750)“ von Rudolf Dellsperger, dem es überzeugend gelingt, die früher vor­ herrschende Betrachtungsweise des radikalen Pietismus als zweite, nämlich reaktive Phase einer insgesamt vier Phasen umfassenden Frühzeit mit jener neueren Perspektive einer stets vorhandenen, „durchlaufende[n] Strömung“ im schweizerischen Pietismus abzulösen, leitet den Reigen der Tagungsvor­ träge ein. Diesem Überblick folgen zehn verschiedene entweder mehr biogra­ fisch oder stärker lokalhistorisch gewichtende Beiträge, deren Titel und Auto­ ren/Autorinnen kurz und der Reihenfolge entsprechend genannt werden sollen: Chiliasten und mystische Spiritualisten des 17. Jahrhunderts in Zürich (Urs B. Leu), Friedrich Christoph Oetinger und Johann Caspar Lavater – zwei radikale ‚Liebhaber Jesu‘ im brieflichen Gespräch (Peter Opitz), Utopie, göttliche Weisheit und Universität an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert (Hanspeter Marti), Ein Dokument zur Frühgeschichte des Zürcher Pietismus. Johann Heinrich Schwei­ zers Ursachen und Gründe (1698) (Hans Schneider), Juliane von Krüdener (1764–1824) und die Schweiz (Christine Nöthiger-Strahm), Der apokalyptische Bußprediger und Heiler Johann Jakob Welsch (1761–1828) mit seinem Anhängerkreis in Bern (Christine Stuber), Margaretha Peter (1794–1823) von Wildensbuch. Oberhaupt einer Sekte im Zürcher Weinland (Jolanda Cécile Schärli), Verbundene Brüder – Schweizer Reformierte im lutherischen Kursachen zur Gründungszeit Herrnhuts (Thilo Daniel), Schweizerisch-württembergische Verbindungen im radika­ len Pietismus. Indizien für frühe kulturelle Beziehungen zwischen beiden Ländern? (Eberhard Fritz), und Franz Wirz (1667–1725). Pfarrer an der St. Laurenzen oder Stadtkirche zu Winterthur – „vielfach angefochten vom Pietismo“ (Michael Bau­ mann). Da sich der Herausgeber des Tagungsbandes einem weiten Pietismus­ begriff verpflichtet weiss, fügt er dem Band auch noch eigene Beobachtungen zum radikalen Pietismus in der Schweiz im 19./20. Jahrhundert am Schluss hinzu. „Separation, Heterodoxie und Eschatologie“ werden von dem Herausgeber als die drei grundlegenden Charakteristika des radikalen Pietismus bezeichnet, wobei der Beitrag von Peter Opitz zeigt, dass diese Kennzeichen nicht stets alle vorhanden sein müssen, um dem radikalen Pietismus zugerechnet zu wer­ den. Noch grundlegender für ein vertieftes Verständnis des radikalen Pietis­ mus dürfte die von Rudolf Dellsperger als „Einheit der vielfältigen pietisti­ schen Bewegung“ bezeichnete „ursprüngliche, individuelle religiöse Erfahrung“ sein (20). Auch Seidel rekurriert auf das „breite Spektrum religiö­ ser Erfahrungen“, das den radikalen Pietisten „eigen“ sei (21 mit Anm. 5). Nach der Lektüre des Bandes und der Zurkenntnisnahme der erfreulichen 262

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Menge an neu gewonnenem historischem Faktenwissen sind es v. a. folgende zwei wissenschaftstheoretische Fragen, die beschäftigen: 1. Inwiefern stellt sich für die Kirchengeschichte als primär von Theologin­ nen und Theologen ausgeübte Disziplin die Aufgabe, sich stärker als bisher mit dem „state of the art“ der allgemeinen Geschichtswissenschaft zu befassen, und das heisst, sich auch vermehrt mit dem Stand gegenwärtiger Methoden­ diskussionen der historischen Forschung insbesondere angesichts der Erfor­ schung eines solch komplexen Phänomens wie des radikalen Pietismus ausei­ nanderzusetzen? 2. Inwiefern verweist die Betonung der Relevanz religiöser Erfahrung für das Verständnis des radikalen Pietismus auf die Notwendigkeit eines multi­ perspektivischen Zuganges? So sind es etwa die – im 20. Jahrhundert von der Theologie dominierte – Religionspsychologie und nun auch die vergleichs­ weise junge historische Emotionsforschung, die sich definitionsgemäß mit religiösem Erleben und Verhalten befassen. Erste, jedoch noch eher ungelenke Ansätze, die eigene innerfachliche Sichtweise durch Einbeziehung weiterer Disziplinen zu überschreiten, finden sich ganz am Schluss des Bandes: Andeu­ tungsweise, aber leider in Unkenntnis der breiten religionspsychologischen Forschungsliteratur, wird auf krankmachende Aspekte von Religiosität und auf „Missbrauch der Religion“ kurz rekurriert, wobei es Versuche und Ansätze zur Psychopathologisierung und zu einer Psychopathologie des Pie­ tismus schon im 18. und im 19. Jahrhundert gegeben hat. Kritik am Heraus­ geber richtet sich auf den kaum mehr zeitgemäßen Versuch, einem so vielfäl­ tigen Phänomen wie dem radikalen Pietismus – insbesondere wenn man einem weiten Pietismusbegriff anhängt – rein innerfachlich gerecht werden zu wollen. Diese in den üblichen Bahnen verlaufende klassische kirchenhisto­ rische – ja, stromlinienförmige – Enge hätte man im 21. Jahrhundert von einer reflektierten interdisziplinären Offenheit überwunden gewünscht. Isabelle Noth

Bern

Andreas Bähr: Furcht und Furchtlosigkeit. Göttliche Gewalt und Selbstkon­ stitution im 17. Jahrhundert. Göttingen: V&R unipress 2013 (Berliner Mit­ telalter- und Frühneuzeitforschung, 14). – 660 S. Andreas Bähr ist in seiner Berliner Habilitationsschrift in dreifacher Hin­ sicht in wissenschaftliches Neuland vorgestoßen: Erstens behandelt er auf umfassende Weise eine Thematik, die in der bisherigen Forschung vergleichs­ weise wenig Interesse gefunden hat. Auch die einschlägigen, viel zitierten Studien von Jean Delumeau widmen sich dem Thema „Angst“ nur auf eine eher summarische Weise. Zweitens geht er in methodischer Hinsicht neue Wege. Zentrale Passagen seiner Arbeit betreffen semantische Fragen, die von 263

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vielen Historikern in der Regel vernachlässigt werden. Drittens hat er zahlrei­ che, bisher kaum bekannte Quellen ausgewertet, so vor allem die von Kaspar von Greyerz und Benigna von Krusenstjern erst in den letzten Jahrzehnten erschlossenen Ego-Dokumente. Seine Einsichten und Ergebnisse legt Bähr in umfangreichen Kapiteln dar. In der Einleitung geht es ihm darum, „die Paradigmen und problemgeschicht­ lichen Hintergründe“ des Themas „Furcht“ kritisch zu bewerten. Insbeson­ dere diskutiert er die Rolle von „Furcht und Religion“ als Themen der Auf­ klärung und der Psychoanalyse sowie in der bisherigen Geschichtsschreibung. Das Spannungsverhältnis von „Gottes Macht und Gottes Furcht“, das er im ersten Kapitel erläutert, entfaltet er an einer Reihe von Beispielen. Die Ansicht der Theologen gehört dazu ebenso wie diejenige der politischen Theoretiker, die Furcht des Söldners ebenso wie jene feiger Kommandanten sowie, nicht zu unterschätzen, „die Macht der Furchtlosigkeit“. Zu den „Natur-Gewalten“, denen er sich im nächsten Kapitel widmet, gehören Ungewitter ebenso wie die Pest, Seuchen wie die „Ungarische Krankheit“ ebenso wie die Melancholie, wobei diese diversen Gefahren, so Bähr, häufig imaginiert wurden, aber auch als reale Bedrohung auftraten. Zu der „Gewalt der anderen“, die er im folgenden Kapitel behandelt, gehören nicht nur die verschiedenen Formen der Folter, sondern vor allem der Krieg, und zwar nicht nur der Dreißigjährige Krieg, sondern auch die Kriege gegen Türken und Tartaren. In einem eindrucksvollen Abschnitt analysiert Bähr die literari­ schen Kriegsbeschreibungen. Von besonderem Interesse ist schließlich Bährs letztes Kapitel. Hier interpretiert er die für Zeitgenossen typischen Formen der „Furcht vor dem Traum“ und die diversen „geträumten Schrecken“. Diese Ausführungen veranlassen ihn, zusammenfassend von einer „Kultur des Traums im ‚martialischen Saeculum‘“ zu sprechen. Wo liegen die Grenzen dieser eindrucksvollen Arbeit? Zum einen sei die Anmerkung erlaubt, dass Bährs semantische Analysen darunter leiden, dass er die Bedeutung der Dialekte im deutschen Sprachraum des 17. Jahrhunderts nicht genügend berücksichtigt. Von der Schweiz bis zur Nordsee, von Öster­ reich und Schlesien bis ins Rheinland: Überall wurde damals ohne Scheu Dia­ lekt gesprochen, wurden häufig regional vorkommende Formulierungen auch im schriftlichen Ausdruck verwendet. Zwar ist richtig, dass die diversen Autoren, deren Arbeiten er auswertet, bemüht waren, sich in der Schriftspra­ che zu äußern. Gerade bei so sensiblen Themen wie Furcht und Angst bezie­ hungsweise der Bewältigung von Furcht und Angst käme es aber darauf an, mögliche Dialektdifferenzen auszuloten und, wenn angebracht, zu berück­ sichtigen. Mein zweiter Einwand ist vielleicht noch grundsätzlicherer Natur. Was mir fehlt, ist eine umsichtige politische, soziale, kulturelle und religiöse Kon­ textualisierung der verschiedenen Quellenstücke, die er auswertet. Von den 1570er Jahren bis ins frühe 18. Jahrhundert litten, wie wir inzwischen auf­ grund vieler Forschungen wissen, alle Menschen in Mitteleuropa unter dem 264

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dreifachen Joch von Hunger, Seuchen und Krieg. Eine Krise folgte auf die andere. Bis ins letzte Viertel des 16. Jahrhunderts war die Bevölkerung gewachsen. Lange vor Beginn des Dreißigjährigen Kriegs stagnierte sie, danach ging sie zurück, in einigen Regionen des Alten Reichs auf eine gera­ dezu dramatische Weise. Krankheit und Tod bestimmten das tagtägliche Leben. Nicht mehr die Hoffnung regierte, sondern allenthalben die Angst – und zwar speziell die Angst, der Tod könnte einen ereilen, ehe man des ewi­ gen Heils gewiss war. Umso mehr waren viele Menschen bestrebt, Wege zu finden, die sicherstellten, dass sie am Tage des Jüngsten Gerichts Gottes Urteilsspruch nicht unvorbereitet treffen würde. In den pietistischen Konven­ tikeln gelang es, die Angst vor dem Tod in die Hoffnung auf ein seliges Ster­ ben zu transformieren und auf diese Weise einen Weg vom „irdischen Jam­ mertal“ hin zum „himmlischen Freudensaal“ zu zeigen. Ich hätte mir gewünscht, Bähr hätte versucht, seine Ergebnisse in diesem größeren Rahmen zu interpretieren. Themen der Pietismusforschung und Personen, die in der Pietismusfor­ schung eine Rolle spielen, kommen bei Bähr nur am Rande vor, auch der „radikale Pietismus“ nicht, dessen Vertreter von der Frage nach Gottes Willen und dem Schicksal der Menschen auf besondere Weise umgetrieben und zu eigenwilligen Schlussfolgerungen gezwungen wurden. Mir scheint, dass Bährs Studien durchaus gewonnen hätten, wenn er auch auf diese Aspekte einge­ gangen wäre. Trotzdem wäre es falsch, wenn Pietismusforscher sich nicht mit seiner Arbeit beschäftigen würden. Im Gegenteil: Wer diese über 600 sorgfäl­ tig recherchierten, klug argumentierenden Seiten durchackert, dem erschließt sich eine neue Sicht des so komplexen Zeitalters zwischen Reformation und Aufklärung. Hartmut Lehmann

Kiel

Dietrich Blaufuß: Korrespondierender Pietismus. Ausgewählte Beiträge. Hg. v. Wolfgang Sommer u. Gerhard Philipp Wolf. Leipzig: EVA 2003. – 493 S. Mit vorliegendem Band wird eine repräsentative Auswahl von Studien dar­ geboten, die in einer Zeitspanne von etwa 25 Jahren die intensive wissen­ schaftliche Arbeit Dietrich Blaufuß’ in der Pietismus-Forschung dokumentie­ ren. Der knappe Umriss seiner Karriere in der Einleitung der beiden Herausgeber, sowie der Anhang, der die chronologisch angeordneten „Veröf­ fentlichungen 1966–2004“ umfasst, lassen seine Präsenz in den Forschungs­ einrichtungen (v. a. als ordentliches Mitglied der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus) sichtbar werden und den Umfang wie die Bedeutung seiner Leistung als Autor, Herausgeber und Rezensent ermessen, 265

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sowohl im Bereich der Pietismus-Forschung – an erster Stelle die Editionsar­ beit an der ersten großen von Erich Beyreuther begonnenen Reprint-Ausgabe der Werke von Philipp Jakob Spener, sowie das langjährige Mitwirken an der Pietismus-Bibliographie im Jahrbuch Pietismus und Neuzeit (1974–1990) – als auch im Bereich der kirchengeschichtlichen Forschung, speziell der Bayri­ schen Kirchengeschichte. Das Buch kann thematisch nach mehreren Schwerpunkten angeordnet wer­ den. Ein erster Komplex kreist um die Leistung Speners – die „Wegkreu­ zung“ mit Spener ist ohnehin eine Konstante von Dietrich Blaufuß’ For­ schungsarbeit, schon seit der Zeit seiner Doktorarbeit, die die umfangreiche Korrespondenz zwischen Spener und dem Augsburger Theologen Gottlieb Spizel auswertet. Diese eingehende Beschäftigung mit Briefen bestimmt auch weiterhin den besonderen Blickwinkel, unter dem Themen und Probleme gewählt und behandelt werden. Mit den ersten Beiträgen, die sich auch sehr gut zum Einstieg in den Bereich der Pietismus-Forschung eignen, werden Hauptakzente von Speners Denken und die Hauptbereiche seines Wirkens dargestellt: das Reformprogramm der Pia Desideria, die Weltverantwortung („Frömmigkeit für die Stadt“), das Theologiestudium und die Universitätsbil­ dung anhand von Speners Predigt zur Eröffnung der Universität Halle („Pflantzgarten des Glaubens und dessen Früchten“). In diesem Zusammen­ hang wird bei Spener größere Luther-Nähe und Treue zur Reformation bezeugt, als generell vom Pietismus angenommen. So wird hier kein Bruch mit der Tradition gesehen, sondern ein „Bild der Reformation im Pietismus“ – so der Titel der Studie zur Beziehung zwischen Spener und Veit Ludwig von Seckendorff –, mit einem bestimmten Luther-Verständnis (gestützt auf die Vorrede zum Römerbrief, die Rede vom Allgemeinen Priestertum und das Lob von mystischen Schriftstellern, etwa Tauler und der Theologia deutsch): Hiermit wird behauptet, dass „‚Reformation‘ bei Spener nicht zum distanziert historischen Gegenstand verkommen“ konnte, sondern „ein erhebliches Stück verpflichtend-verbindlicher Vorgabe für die Gestaltung von Kirche, für die Praxis von Frömmigkeit, für das Verständnis von Theologie und für das Ver­ hältnis zur Welt gewesen ist“. (84 f.) Neben solchen Studien, bei denen die Bewegung des Pietismus „aus ihrem Zentrum heraus“ bewertet wird, mit besonderem Nachdruck auf ihrer kir­ chengeschichtlichen Dimension, geht der Verfasser auf Fälle ein, die zur Kon­ textualisierung und Perspektivierung von Speners Wirken beitragen und einem weiteren thematischen Schwerpunkt zuzuordnen sind, nämlich dem „Wandel zwischen den Konfessionen“. Das Thema der Bekehrung wird hier an mehreren Einzelfällen dargelegt: so die misslungene Konversion des Münchner Kurfürstlichen Advokaten Ertls zum Luthertum (1680), die schließlich an materiellen Hindernissen und finanziell-beruflichen Schwierig­ keiten scheiterte; die Bekehrung des Augsburger Lehrers Johann Crophius, Verfasser eines ausgewogenen Berichts vom Pietismus, als „Weg von einem vor­ 266

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mahls eyfrigen Lutheraner und Pietisten“ zum Katholizismus („‚Pietismus catholicans‘?“); die Radikalisierung der religiösen Erfahrung vom Vater zum Sohn: während sich die Bekehrung Melchior Adam Pastorius’ vom Katholi­ zismus zum Luthertum noch im Rahmen der etablierten Kirche abspielt – immerhin lassen Anleihen bei der Mystik auf eine Lockerung der kirchli­ chen Bindung schließen –, so geht der Sohn Franz Daniel einen Schritt weiter, wohl unter dem Einfluss des radikalen Pietismus, und zieht in die Neue Welt nach Pennsylvania aus (1683). Die Vielfalt der individuellen Situationen wie die Verschiedenheit der Diskurse und der Bedingungszusammenhänge (kirch­ liche Bindungen, berufliche Erwägungen, innere Überzeugungen, persönliche Beziehungen) lassen ein differenziertes Bild von den damals möglichen reli­ giösen Grundhaltungen und Beweggründen zum Übertritt entstehen. Dabei wird die Frage nach Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen Pietismus und Katholizismus aufgeworfen, und insbesondere auf Speners Verhältnis zum Katholizismus näher eingegangen. Speners Grundhaltung wird als eine solche charakterisiert, die keine Toleranz gegenüber dem Katholizismus zulässt, was sich zu der Zeit der Unionsversuche merkwürdig ausnimmt. „Spener ist nicht ‚Kind seiner Zeit‘ bei der unnachgiebigen Qualifizierung der römisch-katholischen Kirche als ‚antichristliches Babel‘“ (106). Selbst vor dem Hintergrund der Gegenreformation und der Rekatholisierung ganzer Gebiete (wie Straßburg 1680) lässt sich Speners kompromisslose Haltung nicht so sehr durch äußere Faktoren erklären als vielmehr durch die prinzipielle Unnach­ giebigkeit in Sachen der wahren göttlichen Lehre. Damit wird die Bedeutung der konfessionellen Grenzen, der theologischen Kontroverse und der discor­ dia-Momente in einem geistesgeschichtlichen Kontext vergegenwärtigt, wo man meinen möchte, dass mit dem Pietismus ein Zeitalter der Toleranz mit Zurückstellung der theologischen Kontroversen zugunsten der gelebten Pra­ xis pietatis anbreche. Kontroversen – über den besonderen Fall der Auseinandersetzung mit dem Katholizismus hinweg – können zur Präzisierung von Grundpositionen oder Klärung der Fronten, ja überhaupt zur Schärfung des theologischen Profils des Pietismus (wie übrigens einer jeden Kirche, bzw. Bewegung) beitragen. Genauso bieten auch herausragende Figuren, zu Vorläufern oder Kontrastfi­ guren erklärt, Anhaltspunkte zur Einordnung in kirchenkritische oder kir­ chenbejahende Traditionen. An der Rezeption von Jan Hus (Zwischen Kir­ chenkritik und Kirchenmodell) und Comenius (Comenius Antipietista?) wird dies exemplarisch vor Augen geführt. Hier wird nicht nach hypothetischen, ohne­ hin schwer belegbaren „Einflüssen“ gesucht – diese wenig ergiebige Herange­ hensweise, die meistens auf Holzwege führt, soll der viel solideren „Spurensi­ cherung“ weichen: Erst dann zeichnen sich Bahnen der Rezeption ab, mit exakter Bestimmung von Berührungspunkten, und ebenso exakter Feststel­ lung der Punkte, an denen sich die Wege scheiden. So bei der Bezugnahme auf Comenius, wo der Verfasser zeigt, wie bestimmte Motive des Comenius (das Unum necessarium, die Beziehung von scientia zur conscientia) bei Spener in 267

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der Konstitutionsphase des Pietismus Anklang finden, und etwa den Brief­ wechsel mit Korrespondenten wie Spizel oder Ahasver Fritsch durchziehen können, ohne dass diese Berührungspunkte über die Differenzen in religiösen Belangen (Duldung der Sozinianer, Chiliasmus) hinwegtäuschen können. Die Untersuchung des Jan-Hus-Bildes, wie es sich zwischen Gottfried Arnold und Zinzendorf über Rieger wandelt, zeigt drei Momente der Rezeption, von der schärfsten Kirchenkritik zum Horizont der Einigung, in einer Entwicklung, die von der allmählichen Entschärfung der Polemik mit dem Katholizismus im Kontext der heraufziehenden Aufklärung zeugt. Auch Randfiguren, speziell Figuren im Umkreis des radikalen Spiritualis­ mus (wie Friedrich Breckling), werden herangezogen, weil sie nichtsdestowe­ niger für den Entstehungs- oder Bedingungszusammenhang des Pietismus bedeutend sind, insofern sie auch einen Einblick in die Dynamik der Bewe­ gung gewähren können. Auch da soll nicht voreilig auf oberflächliche Ähn­ lichkeiten oder Parallelen hingewiesen werden, sondern nachvollziehbar gemacht werden, wie und unter welchen Bedingungen Nähe und Sympathie, bzw. Misstrauen oder Zurückhaltung möglich sind. Erst recht lässt sich hier die Bedeutung von Speners Rolle in ihrem vollen Umfang ermessen: als Briefpartner und Ratgeber, ja als Vermittler überhaupt arbeitet er an der Lei­ tung und Kanalisierung von spirituellen Kräften, die er zugleich zur offenen Manifestation verhilft und in den Dienst der lutherischen Kirche einzubinden trachtet. Leszek Kolakowski hatte in seiner Studie über das konfessionslose Christentum des 17. Jahrhunderts dieses Paradoxon in Speners Wirken ver­ merkt, das er als „dialektische Falle“ bezeichnete. Mit dem Titel „Korrespondierender Pietismus“ wird von Anfang an der Nach­ druck auf einen Schwerpunkt von Dietrich Blaufuß’ Forschungsarbeit und Quellenedition im Bereiche der Pietismus-Forschung gelegt, und zwar sowohl in Hinsicht auf die Textkorpora, nämlich die Briefsammlungen, als auch auf die methodologischen Ansätze, die mit der Art dieser Kommunikati­ onsform zusammenhängen. Sehr viele der hier zusammengestellten Beiträge sind in der Tat der Auswertung von Briefsammlungen verpflichtet, mit einem besonderen Augenmerk auf die spezifischen Bedingungen und Zwänge, die sich aus der sorgfältigen Analyse der jeweiligen Kontexte des brieflichen Aus­ tausches ergeben: In einer Stadt wie Augsburg kann sich der Theologe Spizel nicht ohne äußerste Vorsicht zum Katholizismus äußern, was ungarische Exulanten nur befremden kann, die als Opfer der Gegenreformation mit Spi­ zels Beistand rechnen dürften; aus den ausführlichen Nachrichten von der Königlich Großbritannischen Kolonie Salzburger Emigranten in Amerika werden in der deutschen Fassung nur solche Extrakte herausdestilliert, die mit der Propaganda für das Ackerwerk Gottes in Amerika verträglich sind, was auf „Selbstzensur“ (237) des Herausgebers Samuel Urlsperger schließen lässt, wie aus der Gegenüberstellung von Übersetzung und englischem Original erhellt. Nicht nur wird mit solchen Studien Zugang zu mehr oder weniger 268

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bekannten Quellensammlungen gegeben, sondern es wird auch zum Umgang mit diesen Quellen methodologische Anleitung gegeben. Dank jahrzehntelanger Arbeit wurden imposante Korpora von Briefsamm­ lungen erschlossen und dem Leser zugänglich gemacht. Mit diesen neuen ergiebigen Quellen hat sich auch das Bild des Pietismus entwickelt und verän­ dert, auch differenziert. Es tritt nunmehr der Kommunikationsraum des Pietis­ mus in den Vordergrund, es werden soziale, politische und überhaupt kultu­ relle Zusammenhänge, Austausche und Interaktionen stärker berücksichtigt, was schließlich zur Erfassung eines solchen Phänomens wie des Pietismus ebenso wichtig ist wie die Untersuchung von programmatischen und erbauli­ chen Schriften oder die systematischen Darstellungen einzelner Autoren, zumal Korrespondenzen zur Kontextualisierung und Perspektivierung der Quellentexte des Pietismus einen ausschlaggebenden Beitrag leisten. Dass bei der Edition solcher umfassender Korrespondenzen Grundfragen der Editions­ politik aufgeworfen wurden, dass auch gegensätzliche Konzepte miteinander konkurrieren konnten, davon zeugt der Beitrag, in dem Dietrich Blaufuß Überlegungen zum spenerschen Briefkorpus anstellt, und vom Standpunkte des Herausgebers sein Verständnis vom Briefwechsel im Hinblick auf Werkund Quellenedition zu klären bemüht ist. Dieses rückblickende Moment (dazu gehört auch die Skizzierung der Haupttendenzen in der Pietismus-For­ schung nach 1945) darf jedoch nicht den Blick verstellen für die aktuelle Resonanz von Dietrich Blaufuß’ Studien, die heute im Lichte der neuesten Forschungen zu den „réseaux de correspondance“ – siehe u. a. den Sammelband Réseaux de correspondance à l’âge classique (XVIe–XVIIIe siècle), hg. von PierreYves Beaurepaire, Jens Häseler und Antony McKenna – mit großem Gewinn gelesen werden können. Anne Lagny

Lyon

Thomas Töpfer: Die „Freyheit“ der Kinder. Territoriale Politik, Schule und Bildungsvermittlung in der vormodernen Stadtgesellschaft. Das Kurfür­ stentum und Königreich Sachsen 1600–1815. Stuttgart: Franz Steiner Ver­ lag 2012 (Contubernium, 78). – 482 Seiten; Abb., Tab. Thomas Töpfer bietet mit seiner Dissertation nicht nur einen differenzier­ ten Beitrag zur Geschichte des kursächsischen Schulwesens in der frühen Neuzeit, sondern zeigt auch, wie sich bildungshistorische Quellen verschiede­ ner Provenienz innerhalb eines breiten perspektivischen und methodischen Spektrums deuten und verstehen lassen. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt dabei auf der Frage nach dem spannungsreichen Verhältnis landesherrlicher Normierungsversuche und den lokalen Umständen des Schulwesens. Der Autor folgt zum einen einem verwaltungs- oder verfassungsgeschichtlichen 269

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Ansatz zur Verortung der normativen Quellen in der landesherrlichen sowie -ständischen Rechtspolitik (Kap. I–II). Zum anderen untersucht er die Ver­ hältnisse auf der Ebene der Schulwirklichkeit v. a. unter sozial- und kulturge­ schichtlichen Fragestellungen (Kap. III–V). Konfessions- und frömmigkeits­ historische Aspekte, wie beispielsweise der weitreichende Einfluss des schlesischen Abtes Johann Ignaz von Felbiger (1724–1788) oder die im Halle­ schen Pietismus wurzelnden Motive Peter von Hohenthals (1694–1763) für Schulneugründungen und -reformen in Kursachsen, finden dabei ebenso Berücksichtigung wie die bildungshistorischen Strömungen der Aufklärung. Dem zuletzt genannten Peter von Hohenthal widmet der Autor ein eigenes Teilkapitel (Kap. II.4), welches unter biographischen und ideengeschichtli­ chen Vorzeichen neben Hohenthals pietistischem Hintergrund auch dessen schulpraktische und publizistische Initiativen hervorhebt. Letztere ordnet Töpfer dem größeren Spektrum volksaufklärerischer Bemühungen im 18. Jahrhundert zu. Im Schlusskapitel der Arbeit (Kap. VI) stellt er darüber hinaus den kursächsischen Schulentwicklungen die Verhältnisse mehrerer Reichster­ ritorien, darunter insbesondere Brandenburg-Preußen, Österreich, Bayern und Württemberg, in vergleichender Weise gegenüber und kann am Ende konstatieren, dass v. a. der Einfluss der Akteure auf lokaler Ebene in Kursach­ sen, anders als in den übrigen Reichsgebieten, während des 18. und 19. Jahr­ hunderts zur Reform des Schulwesens beigetragen hat. Eingebettet in diesen auf verschiedene und z. T. verschränkte bildungsge­ schichtliche Bereiche fokussierenden Rahmen ist die Auswertung des norma­ tiven wie auch deskriptiven archivalischen Quellenmaterials, die Töpfer für das kursächsische Territorium vorgenommen hat. Er sichtete sowohl die aus dem 16. bis Anfang des 19. Jahrhunderts stammenden Akten der sächsischen Staats- und Stadtarchive, darunter v. a. Leipzig und Dresden sowie Zittau, Chemnitz und Bautzen, als auch die Akten der Superintendentur Leipzig und die Peter von Hohenthal betreffenden Aufzeichnungen im Archiv der Fran­ ckeschen Stiftungen zu Halle sowie im Unitätsarchiv Herrnhut. Illustriert wird die Arbeit durch insgesamt 13 Abbildungen. Die neun bei­ gefügten Tabellen veranschaulichen zudem das statistische Zahlenmaterial zu Schulen und Schülern besonders in Leipzig. Am Ende finden sich schließlich ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Orts- und Per­ sonenregister. In der Einleitung, die Problemstellung, Forschungsstand, Methode und Quellenlage knapp und präzise umreißt, macht der Autor bereits deutlich, dass die Untersuchung nicht nur die Maßnahmen zur Verbesserung des Schul­ wesens, sondern auch die sozialen Bedingungen der Bildungsvermittlung in Kursachsen aufzeigen und Interdependenzen herstellen will. Methodische Relevanz erhalten dabei besonders die von Wolfgang Neugebauer seit den 1980er Jahren angestoßene Problematisierung des Verhältnisses von normati­ ven Vorgaben der Landesobrigkeit und der Schulwirklichkeit sowie die damit verbundenen Fragen nach dem sozialen Ort von Schule in der Gesellschaft 270

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und dem Verhältnis von öffentlich-verordneter und privat-gewerblicher Bil­ dung.1 Die in der neueren Forschungsdiskussion neben den Schulen auch stär­ ker berücksichtigten außerschulischen Instanzen, wie die Familien der Schüler und die geistlichen Aufsichtsorgane, betrachtet Töpfer als wesentliche Impulsgeber bei der inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung beson­ ders des weit verbreiteten privat-gewerblichen, aber auch des öffentlichen Schulzweiges. So bestimmten die Eltern beispielsweise in einigen Leipziger Privatschulen nicht nur über die Unterrichtsinhalte, sondern auch über die Schulbesuchszeiten ihrer Kinder (273, 275). Hingegen erwiesen sich Geistli­ che und Adlige oftmals als Initiatoren von Reformmaßnahmen in öffentlichen wie auch privaten Schulen und wirkten wie etwa Peter von Hohenthal, der seit 1763 Vizepräsident des Oberkonsistoriums in Dresden war, bei der Popu­ larisierung und Verbreitung (volks-)aufklärerischer Ideen mit. Indem Töpfer zu diesen die lokale Praxis betreffenden Quellenbefunden immer wieder die obrigkeitlichen Normierungsversuche in Beziehung setzt, zeigt er, dass die landesherrlichen Gesetzgebungen nicht unabhängig getroffen wurden, son­ dern angeregt durch die Kooperation mit den lokalen Eliten auf die konkreten Bedingungen der Schulen reagierten. Zudem gibt der Autor zahlreiche Bei­ spiele dafür, dass es für die Erneuerung des Schulwesens im Verlauf des 18. Jahrhunderts nicht notwendig der landesherrlichen Maßnahmen bedurfte, sondern die örtlichen Eliten selbstständig wirksame Reformen einleiteten. Eine der beiden zentralen Fragestellungen der Arbeit lautet dann auch, welche Einflüsse die Landesherrschaft angesichts dieses lokalen Selbstbewusstseins und der relativ autonomen Stellung einiger Landesteile, wie sie beispielsweise die Oberlausitz besaß, auf die normative Verfassung des Schulwesens und die sozialen Bedingungen ausüben konnte. Eng damit verbunden ist der zweite Fragehorizont, in dem sich der Autor der Untersuchung der konkreten struk­ turellen Bedingungen der Bildungsvermittlung in Kursachsen zuwendet, wobei er aufgrund der günstigen Quellenlage v. a. die Situation der Städte Leipzig und Dresden analysiert. Im Besonderen untersucht er dabei den bisher kaum erforschten Bildungszweig des „Winkelschulwesens“, wodurch sich auch der Titel der Arbeit erklärt, denn die Aufnahme in eine Winkelschule bedeutete für die Kinder wie für deren Eltern zugleich die Befreiung von dem normierenden Druck des öffentlichen Schulwesens und insbesondere von den kirchlichen Examina. Der Autor widmet sich den beiden Hauptfragestellungen innerhalb von fünf Zeitabschnitten, welche er zwischen der Herausbildung des landesherrli­ chen Kirchen- und Schulregiments im 16./17. Jahrhundert und den restaurati­ ven Revisionsbemühungen der kursächsischen Landesregierung um 1800 ver­ ortet (vgl. 19). Im Einzelnen behandelt er erstens die zunächst im Zuge der

1 Vgl. Wolfgang Neugebauer: Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in BrandenburgPreussen. Berlin, New York 1985.

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Reformation Kursachsens durch Kirchen- und Schulordnungen normierten Schulverhältnisse, wie sie bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges bestan­ den haben (Kap. I.1). Das landesherrliche Instrument der Visitation wertet Töpfer dabei als weit weniger effektiv als bisher angenommen wurde, waren die damit betrauten lokalen Amtsträger doch häufig angesichts der Größe der Gebiete und der verschiedenen Bedingungslagen vor Ort mit der Ausführung überfordert. Landesherrlich kontrollierte Reformen ließen sich daher ledig­ lich in den direkt dem Landesherren unterstehenden Fürstenschulen und Uni­ versitäten durchsetzen, nicht aber in den Dorf- und Stadtschulen, in denen der Großteil der Schüler Kursachsens Unterricht erhielt. Den zweiten Untersuchungsabschnitt grenzt der Autor auf die Zeit des Wiederaufbaus des Schulwesens nach dem Dreißigjährigen Krieg bis ca. 1700 ein (Kap. I.2 und I.3) und hält fest, dass die entscheidenden Schritte zur Erneuerung nicht von der kursächsischen Landesregierung, sondern vielmehr von den lokalen weltlichen und geistlichen Eliten unternommen wurden, welche bis 1670 den Wiederaufbau des Schulwesens initiierten und anschlie­ ßend für Reformen sorgten. In der Sekundogenitur Sachsen-Zeitz beispiels­ weise war es der mit den Gothaer Schulreformen vertraute Kanzler Veit Lud­ wig von Seckendorff (1626–1692), der mit Hilfe von Visitationen 1667 sowohl neue Lehrbücher als auch einen verbesserten und an den lokalen Bedürfnissen ausgerichteten Unterricht einführen konnte. An diesem sowie an zahlreichen weiteren lokalen Fällen zeigt der Autor eindrücklich, wie das frühneuzeitliche Visitationswesen in einem differenzierteren Maß in den loka­ len Wirkungskontext eingeordnet werden kann, als dies in der vom Konfes­ sionalisierungsparadigma beinflussten kirchen- und bildungshistorischen For­ schung bisher geschehen ist (62). Zwar wurden die schulnormierenden Bestimmungen von den Landesherren erlassen, der Erfolg der Visitationen hing allerdings v. a. von den handelnden Personen vor Ort ab. Töpfer veran­ schaulicht dies exemplarisch, indem er z. B. die Haltung der lokalen Visita­ tionskommissionen gegenüber dem Winkelschulwesen problematisiert. In einigen Fällen bewerteten die Kommissionen die privat-gewerblich betriebe­ nen Winkelschulen positiv, sahen sie doch in ihnen aufgrund der starken Nachfrage der Eltern nach deren Bildungsangeboten im Schreiben, Rechnen und in der Realienkunde eine notwendige Ergänzung zum öffentlich betrie­ benen Schulwesen. Visitationskommissionen in anderen Landesteilen hinge­ gen wollten die öffentlichen Schulen stärker unterstützen und die Winkel­ schulen weiterhin verbieten lassen. Dass es sich bei den Winkelschulen nicht allein um illegale Schulformen, sondern um ein breites Spektrum privat-gewerblicher oder auch halböffentli­ cher Bildungseinrichtungen mit oder ohne Konzessionierung handelte, legt der Autor ausführlich in Kapitel IV der Arbeit anhand zahlreicher Quellenbe­ funde dar. Schwerpunktmäßig untersucht er dabei die im 18. Jahrhundert einsetzende Konzessionierungspraxis: Da die Winkelschulen im 17. und besonders im 18. Jahrhundert so stark von Schülerinnen und Schülern fre­ 272

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quentiert wurden, dass die öffentlichen Schulen deutliche Rückgänge der Schülerzahlen zu verzeichnen hatten, entschieden sich einige städtische Obrigkeiten für die Einführung von Konzessionierungsverfahren. Mit dieser Maßnahme wollten sie auf die starke Nachfrage nach privat-gewerblicher Bil­ dung reagieren und zugleich die Winkelschulmeister unter ihre Kontrolle bringen. Töpfer zeichnet in mehreren Mikrostudien zu Leipzig und Dresden anschaulich wie quellenorientiert nach, welche Kooperations- und Konfliktsi­ tuationen sich während der Konzessionierungsverfahren aus der Gemengelage von privaten Interessen der Eltern und Schulmeister sowie den Initiativen der weltlichen und geistlichen Aufsichtsinstanzen ergaben. In diesem Zusammen­ hang demonstriert er auch den bereichernden Ertrag, den sozialgeschichtliche Untersuchungen zu den lokalen Schulverhältnissen für die moderne Bil­ dungsforschung leisten können, sieht er doch die Ursachen für die sich durch die Verbreitung der Winkelschulen fortsetzende Ausdifferenzierung des Schulwesens im 17. und 18. Jahrhundert v. a. in den sozialen, gewerblichen und ökonomischen Strukturen der Städte und Städtelandschaften begründet. Zwischen den urbanisierten Regionen und den agrarisch geprägten Städten Kursachsens kann er zudem ein Entwicklungsgefälle konstatieren, welches auch Auswirkungen auf das Schulwesen zeigte. So kam es insbesondere in einigen hoch entwickelten Regionen im 18. Jahrhundert – wie beispielsweise in Leipzig – zu einem deutlichen Anstieg konzessionierter Winkelschulen. In seiner Argumentation weist Töpfer zudem auf die bemerkenswerten Über­ schneidungen von Maßnahmen zur Armenfürsorge für die um 1700 in den größeren Städten stark angewachsenen ärmeren Bevölkerungsteile und den Veränderungen im Schulwesen hin (217). Im dritten zeitlichen Untersuchungsabschnitt der Arbeit (Kap. II.1) thema­ tisiert der Autor die landesherrlichen Versuche der Reform des kursächsi­ schen Katechismusunterrichts an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert und die damit eng verbundene Entstehungsgeschichte des Dresdner Katechis­ mus. Dieser Katechismus, zunächst allein für die Stadt Dresden konzipiert, wurde später auf Initiative des Superintendenten Valentin Ernst Löscher (1673–1749) in die landesherrliche Gesetzgebung mit aufgenommen und 1724 in einer Instruktion sämtlichen kursächsischen Schulen empfohlen. Dass sich Löscher als bekannter Vertreter der Spätorthodoxie ausgerechnet der Verbreitung des pietistisch anmutenden Dresdner Katechismus widmete und auch sonst eine Reform des Religionsunterrichts anregte, welche Parallelen zu den Reformvorschlägen der Pietisten zeigte, wertet der Autor zurecht als Bestätigung der bereits 1971 von Martin Greschat aufgestellten Forderung, nicht nur die Gegensätze zwischen pietistischen Reformen und orthodoxem Beharrungsstreben, sondern vielmehr auch die fließenden Übergänge zwi­ schen beiden Strömungen in den Blick zu nehmen (85).2 2 Vgl. Martin Greschat: Zwischen Tradition und neuem Anfang. Valentin Ernst Löscher und der Ausgang der lutherischen Orthodoxie. Witten 1971, 9 f.

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Die vierte Entwicklungsphase kurz nach dem Siebenjährigen Krieg (Kap. II.2) wie auch die fünfte in der Zeit um 1800 (Kap. V) verortet der Autor im Zeichen der landesherrlichen Revisions- und Vereinheitlichungsbe­ mühungen. Anstelle der zuvor durch die lokalen Obrigkeiten zugelassenen und geförderten Winkelschulen sollten nun landesweite einheitliche Unter­ richtspläne sowie die Errichtung von Bürgerschulen und Lehrerseminaren das öffentliche Schulwesen prägen. Diese Maßnahmen weisen bereits auf die nach 1815 eingeleitete Restaurationspolitik und die Verstaatlichung des Schulwe­ sens in Sachsen hin. Wenn insgesamt auch einige definitorische Fragen wie etwa zu den Begrif­ fen „pietistische Bildung/Erziehung“, „Volksaufklärung“ oder „Bürger­ schule“ präziser hätten beantwortet werden können, zeichnet sich die Arbeit sowohl durch eine umfangreiche Quellenbasis sowie durch ihren multiper­ spektivisch methodischen Zugriff aus und kann als ein gelungenes Beispiel moderner Bildungshistoriographie bezeichnet werden. Mit ihr bietet der Autor einen v. a. in sozialgeschichtlicher Hinsicht wertvollen Beitrag zur Dis­ kussion um das frühneuzeitliche Elementarschulwesen wie auch im Besonde­ ren zur Erforschung des Verhältnisses von öffentlicher und privat-gewerbli­ cher städtischer Bildungsvermittlung in Kursachsen. Zugleich kontrastiert er den für Kursachsen nachgewiesenen starken Einfluss lokaler Umstände auf Schulen und Schulreformen mit den Ergebnissen der die obrigkeitliche Per­ spektive betonenden älteren Forschung. Die zahlreichen im Verlauf der Argu­ mentation erwähnten Beispielfälle eröffnen zudem aufschlussreiche Einblicke in die wenig untersuchte kursächsische Schulpraxis. Angesichts der Fokussie­ rung auf Leipzig und Dresden besteht allerdings weiterer Bedarf an Forschun­ gen, die sich der Bildungssituation in den übrigen Landesteilen widmen. Reinhardt Würkert

Greifswald

Friedemann Stengel: Aufklärung bis zum Himmel. Emanuel Swedenborg im Kontext der Theologie und Philosophie des 18. Jahrhunderts. Tübingen: Mohr Siebeck 2011 (Beiträge zur historischen Theologie, 161). – 802 S. Spätestens seit Kants Träumen eines Geistersehers (1766) waren die Theologie und Geisterlehre Emanuel Swedenborgs in das intellektuelle Gespräch der philosophischen Aufklärung eingebracht worden, dies mit einer Tendenz, die es vielen Beobachtern (bis heute) nahe legte, Swedenborg zu pathologisieren, ihn als Schwärmer und Phantasten ins Abseits zu stellen. Das vorliegende monumentale Werk von Stengel hält sich mit Recht von modernen psycho­ analytischen Spekulationen fern, zielt vielmehr darauf ab, Werdegang, Schrif­ ten, Denkfiguren und Systembildungen Swedenborgs in ihren historischen Zusammenhängen zu untersuchen. So gelingt eine ungeheuer aufschlussrei­ 274

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che, weit ausgreifende und dabei konzeptionell erfreulich transparente Gesamtdarstellung, welche die verschiedenen Lebens- und Werkphasen diffe­ renziert wie auch verknüpft, die theologischen Anschauungen Swedenborgs im Detail auch mit ihren Anregungen und Quellen analysiert, zuletzt in wei­ ten Bögen die wichtigsten Rezeptionslinien des 18. Jahrhunderts mit gebote­ ner Sorgfalt nachzieht. In der biographischen Einführung (Kap. 1) fällt helles Licht auf Swedenborgs mathematische und naturwissenschaftliche Studien, seine angesehene Tätig­ keit als Bergwerksassessor und die von ihm publizierten Arbeiten zur Minera­ logie, dann, in Verlagerung der Interessen, zur anatomischen Physiologie. Indem Stengel (in Kap. 2) sehr genau auf dieses Schriftenmassiv (zwischen 1716 und 1745) eingeht, kann er unter anderem nachweisen, wie sich kosmo­ logische und kosmogonische Fragen (auch in der späten Nachfolge der bibli­ schen Physica sacra) mit Fragen der genetischen Naturprinzipien, vor allem aber mit dem Frageknäuel des commercium corporis et animae bzw. mentis ver­ knüpften und Probleme der Geister- und Seelenlehre (dazu Swedenborgs Oeconomia regni animalis, 1740/41) im einem weiten Spannungsraum von pla­ tonisierenden, hermetistischen, vitalistischen und physiologischen Theorieele­ menten bedacht wurden. Hier wie auch sonst setzt sich Stengel jeweils im Anschluss an die Behandlung von Swedenborgs Werken sehr eingehend und quellennah mit deren zeitgenössischer Rezeption auseinander, so dass der Leser sehr genau mit dem wissenschaftlichen Diskurs- und Problemfeld ver­ traut gemacht wird, auf dem sich Swedenborg und dessen Rezensenten bewegten. Dass sich die hier nachgezeichneten Kompromisse zwischen einer offen oder latent materialistischen und einer betont spiritualistischen Anthro­ pologie in ihren Wirkungen bis hin zu Justinus Kerner und zum Mesmerimus des frühen 19. Jahrhunderts verfolgen lassen, wird einleuchtend ausgeführt (so im Ausblick 164–170: „Vom fluidum spirituosum über den Mesmerismus zur Seherin von Prevorst“). Johann Heinrich Jung-Stillings Theorie der Geisterkunde wird von Stengel merkwürdi­ gerweise nur an einer Stelle mit Hinweis auf die Ausgabe von 1808 erwähnt. Das Buch enthält ein größeres Swedenborg-Kapitel und ist greifbar in einer Neuedition (Nördlingen 1987), hier zu Swedenborg §§ 115–118, S. 109–114 mit dem Bericht über das Gespräch eines mit Jung-Stilling befreundeten Eberfelder Kaufmanns mit Swedenborg in Amsterdam. Vorher schon hatte Jung-Stilling erscheinen lassen: Sce­ nen aus dem Geisterreich. 3 Bde. Frankfurt/M. 1795–1801, ein christliches Gegenstück zu Wielands Übersetzung der Totengespräche des Lukian. Dazu schrieb er an Gottlieb Konrad Pfeffel (10.12.1806): „Meine Vorstellung vom Geisterreich, so wie Sie sie in den Scenen finden, sind Erfahrungs-Resultate, und nicht Dichtung. Was Sweden­ borg, und unzählige andere, vom Geisterreich gesehen und gehört haben, und worin sie alle überein stimmen, das hab ich heraus gehoben und daraus ein Ganzes gemacht. Die Lektion aber, und die geschichtliche Darstellung der Engel und abgeschiedenen Seelen sind freilich Dichtung, so wie ich mir den Zustand der Seelen nach dem Tod

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denke.“ (Zit. n. Wilhelm Kühlmann: Zwischen Aufklärung und Erweckung. Die Kor­ respondenz zwischen Gottlieb Konrad Pfeffel und Johann Heinrich Jung-Stilling. In: Literatur und Kultur im deutschen Südwesten zwischen Renaissance und Aufklä­ rung. [. . .] Hg. v. dems. Amsterdam, Atlanta, GA 1993 (Chloe, 22), 445–475, hier 466; in diesem Band auch eine materialreiche Studie von Reinhard Breymayer, die zu Stengels fundierter Bibliographie und seinen rezeptionshistorischen Ausblicken zu ergänzen wäre (329–371): ‚Elias Artista‘. Johann Daniel Müller aus Wissenbach/Nas­ sau, ein kritischer Verehrer Swedenborgs, und seine Wirkung auf die schwäbischen Pietisten F. C. Oetinger und P. M. Hahn. Übrigens gehörte auch der berühmte Reformpfarrer im elsässischen Steintal, Johann Friedrich Oberlin (1740–1826), zu den Lesern Swedenborgs. Zugänge zur Swedenborg-Rezeption in theosophischen Zirkeln am Oberrhein bietet Jules Keller: Le théosoph alsacien Frederic Rodolphe Saltzmann und les milieus spirituelles de son temps. Bern 1985.

Die Mitte der vierziger Jahre einsetzende „visionäre Wende Swedenborgs“ und die Eckpunkte seiner sich entwickelnden komplexen Theologie, die auf der Basis biblischer Studien und persönlicher ‚Offenbarungen‘ über Himmel, Geisterwelt und Hölle in anonym erscheinenden Werken nach und nach lite­ rarische Gestalt annahmen, zulaufend schließlich auf die Dogmatik der Vera christiana religio (1771), werden im dritten Großkapitel vorgestellt. Stengel wählt hierzu das hilfreiche Verfahren einer topologisch-dogmatischen Ana­ lyse, bei der jeweils auch die Abweichungen von der Lehrdoktrin des etablier­ ten Luthertums und anderer reformationshistorischer Formationen zur Sprache kommen. Der informatorische Reichtum dieser detaillierten Erörte­ rungen kann hier nur angedeutet werden: zum Beispiel im Blick auf Sweden­ borgs unitarischen Widerstand gegen die nicänische Trinitätslehre und seine Vorstellung einer creatio continua als „dauerhaftem göttlichem influxus“. Anthropologisch bevorzugt Swedenborg eine Triade von anima, mens und cor­ pus, in deren Zentrum der amor regnans des Willens stehen sollte (243). Abge­ tan werden zentrale Dogmen sowohl des Luthertums (Rechtfertigungs- und Imputationslehre) wie auch des Calvinismus (Prädestinationstheologie). In Fragen der Eschatologie schließt sich Swedenborg nicht der im 18. Jahrhun­ dert vielerorts revitalisierten Doktrin der apokatastasis panton an. In der post­ mortalen Seele entdeckt er die „eigentliche Person des Menschen“ (274) innerhalb eines universalen „mundus spiritualis“. Von hier aus lässt sich der Bogen schlagen zu Swedenborgs visionär gegrün­ deter Theorie einer Geisterwelt (dazu Kap. 3.4), die, so wird klar, mit einer außerordentlichen rationalistischen Systematisierungsenergie entworfen wird: in der genauen Topographie, die das Ganze des Universums zwischen Him­ mel und Hölle (im Anschluss an die früheren anatomischen Studien) im Bild eines „maximus Homo“ erfasst und dabei zum Beispiel etablierte Vorstellun­ gen der Hölle dergestalt transformiert, dass nicht Strafandrohungen vollzogen werden, sondern die Hölle als hierarchisch penibel gegliederte Sphäre jener erscheint, die ihren Lastern und antigöttlichen Phantasien als Ergebnis depra­ 276

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vierter humaner Freiheit auf Dauer verhaftet bleiben. Hier finden sich nicht nur die Repräsentanten aller möglichen moralischen Verfehlungen wie der eines unsozialen Egoismus wieder, sondern auch (quasi in einem infernali­ schen Tableau der geistigen Pluralisierung ) die „Naturalisten, Materialisten, Tritheisten, Prädestinatianer, Pantheisten und Gottesleugner“ (317). Rationa­ listisch durchdacht und zugleich ebenso phantastisch (Geister-Theologie als Modus von science fiction?) wie konsequent von einem aktuellen Problemkreis inspiriert erscheint auch Swedenborgs detailliert explizierte Vorstellung eines auf imaginären Planetenreisen möglichen Kontakts mit extraterrestrischen Geistern. Der Literaturwissenschaftler fragt sich bisweilen, ob deutlicher noch als bei Stengel sichtbar die swedenborgschen Phantasien auch von genuin poe­ tischen Werken mitbeeinflusst waren (einiges zum Beispiel zur Literatur über die stellaren Himmelsbewohner auf Seite 423 f.). Kannte Swedenborg die Höllenwelt Dantes und die des 17. Jahrhunderts? Die von Stengel im Einzelnen dargelegten Positionen und akribisch entfalte­ ten Weltbild-Elemente Swedenborgs werden im Folgendem (Kap. 4) auf ihre zu erschließenden Quellen, Anregungen und besonders auf ihre diskursiven Kontexte im weiten Umkreis vor allem der jüngeren Philosophie und Natur­ kunde hin untersucht. Basis dafür ist eine genaue Analyse eines Schlüsseldo­ kuments, des Codex 36 im Archiv der Akademie der Wissenschaften in Stockholm. Auf 276 Folioseiten hat Swedenborg hier in Art eines Exzerpier­ buches seine Lesefrüchte aus der antiken und modernen Literatur zusammen­ getragen, so dass sich vier sorgfältig differenzierte Werkgruppen herausschä­ len (341–343): zeitlich sich erstreckend von Aristoteles und einem eigenwillig interpretierten Augustinus über die Neuplatoniker bis hin zu aktuellen Grö­ ßen wie Leibniz, Wolff, Malebranche und manchen Cartesianern. Was hier in der Entschlüsselung der Leselisten und Notate Swedenborgs geleistet und in den Ergebnissen, wo möglich im Abgleich mit älteren Thesen, diskutiert wird (z. B. zur Nähe und Distanz zu neokabbalistischen Vorstellungen im Anschluss an die Arbeiten von Bernd Roling, 408–414), präsentiert sich als Grundlagenforschung ersten Ranges. Erst so wird die epochale Rückbindung vieler Eigenheiten des swedenborgschen Denkens auf seinem Weg zur visio­ nären „Wende“ bahnbrechend erhellt, mit dem überzeugend resümierenden Befund (403): „Nicht nur im Beharren auf Empirie befand sich Swedenborg mitten im Konzert seiner aufklärerischen Zeitgenossen, er verstand sich auf dem brisanten Themenfeld des Verhältnisses zwischen Glaube und Vernunft selbst als radikaler Aufklärer, auch wenn er diesen Anspruch durch okkulte Jenseitsschau einzulösen meinte, ohne jedoch das[!] Primat der Vernunft dabei zu unterminieren.“ Das letzte Großkapitel stellt eigentlich ein Buch im Buch dar, konzentriert auf eine denkgeschichtliche, zugleich textnah-exegetische Anamnese der zeit­ genössischen Swedenborg-Rezeption, in der sich, von vielen heute weniger 277

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bekannten Autoren abgesehen, drei Schwerpunkte herausbilden. Gefragt wird zunächst nach der sehr kritischen Aufnahme der Arcana coelestia vor allem bei dem Leipziger Philologen und Professor Johann August Ernesti, also im Umkreis des orthodox tingierten Wolffianismus, sodann, in Hinwendung zu Zentren vor allem des theosophischen württembergischen Pietismus, nach den zahlreichen offenen oder latenten Swedenborg-Anknüpfungen im Œuvre Friedrich Christoph Oetingers (506–635). Flankiert von diversen Äußerungen unter anderem von Bengel, Hahn und Lavater tritt Oetinger hier als Korre­ spondenzpartner und intimer Kenner, zuletzt auch als harscher Kritiker des schwedischen ‚Geistersehers‘ ins Licht. Zum Schluss, vor einem letzten rezep­ tionshistorischen Ausblick, wird erneut das Kapitel Swedenborg-Kant aufge­ schlagen. Stengel gelingt es hier, jenseits der offenkundigen Diskrepanzen mancherlei Spuren ausfindig zu machen oder zumindest als diskutabel heraus­ zustellen, in denen die Swedenborg-Lektüre bei Kant weiterwirkte. Insgesamt gesehen, haben wir es bei Stengels Buch mit einer imponierenden Forschungs- und Darstellungsleistung zu tun, getragen von Mut und langem Atem, von unvergleichlicher Text- und Sachkenntnis, geprägt von einer kla­ ren Diktion und leserfreundlichen Übersichtlichkeit, bisherige Untersuchun­ gen innovativ mit weitem Horizont weiterführend und doch die ältere Litera­ tur immer wieder in fairer Diskussion einbeziehend. Weit über das Thema der Theologie Swedenborgs hinaus darf diese Habilitationsschrift als eine der wichtigsten historiographischen Neuerscheinungen zur Geisteswelt des 18. Jahrhunderts gelten. Wilhelm Kühlmann

Heidelberg

Uta Wiggermann: Woellner und das Religionsedikt. Kirchenpolitik und kirchliche Wirklichkeit im Preußen des späten 18. Jahrhunderts. Tübingen: Mohr Siebeck 2010 (Beiträge zur historischen Theologie, 150). – XIX, 640 S. Das preußische Religionsedikt vom 9. Juli 1788 und sein Autor Johann Christoph Woellner sind aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder Gegenstände historischer Arbeiten geworden. Je nach Hintergrund und Standpunkt der Autoren waren dies Beiträge zur preußischen Geschichte, zur Kirchengeschichte oder zur Aufklärungsforschung. Ungeachtet seiner im Ergebnis überschaubaren kirchenpolitischen Folgen besitzt das Religionsedikt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die preußische Geschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts und wird so in immer neuen Zusammenhängen zum Thema. Die 2008 an der Universität Münster eingereichte, von Albrecht Beutel betreute Dissertation der Theologin Uta Wiggermann reiht sich inso­ 278

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fern in eine lange Reihe unterschiedlicher Studien ein, hebt sich in ihrem umfassenden biografischen Zugriff jedoch deutlich von den vorangegangenen Arbeiten ab. Die Schrift beruht in erster Linie auf umfangreichen Quellenbeständen aus dem Preußischen Geheimen Staatsarchiv – neben dem Nachlass Woellners selbst sind dies insbesondere Unterlagen Friedrich Wilhelms II., dem Woell­ ner diente, sowie Akten des Geheimen Rats und der Kultus- und Justizbehör­ den. Diese Akten wertet die Autorin sorgfältig und detailliert aus und lässt sie, vor allem in den Fußnoten, auch selbst ausführlich zu Wort kommen. Forschungsliteratur zieht sie hingegen erklärtermaßen eher sparsam zu Rate. Ihr Ziel einer „vorurteilsfreien“ Darstellung der Persönlichkeit des Protago­ nisten will sie also in erster Linie durch Unmittelbarkeit zu den Quellen errei­ chen, während eine Zuordnung zu einer Forschungstradition oder eine defi­ nierte interpretatorische Perspektive weniger erwünscht scheinen. Da ist es nur konsequent, auf einen breiteren Überblick über die Forschungsliteratur zu Woellner und zu den im Buch angesprochenen Themen zu verzichten und nur in groben Zügen wenige Beispiele herauszugreifen. Dass selbst der sowohl zeitlich als auch sachlich unvermeidliche Bezug zu Aufklärung und Religionskritik nicht weiter erörtert wird, erweist sich allerdings im Verlauf der Studie immer wieder als problematisch – der Leser wird für den Kontext pauschal auf Albrecht Beutels Überblicksdarstellung von 2006 verwiesen, wo er dann wohl nachschlagen muss, wenn ihm Begriffe wie „Neologie“ unkom­ mentiert im Text begegnen. In der Darstellung der Biografie verfährt die Autorin systematisch, indem sie der Persönlichkeit Woellners unterschiedliche sachliche Facetten abge­ winnt und diese jeweils mit einer eigenen Chronologie darstellt – so unter­ scheidet sie etwa den „Ökonomen“ Woellner von seinem Interesse an der auf­ klärerischen Mittwochsgesellschaft. Der Gewinn dieses Verfahrens liegt offensichtlich darin, dass über längere Zeiträume hinweg inhaltliche Kohären­ zen sichtbar werden, die in der bloßen Chronologie verdeckt blieben. Darin liegt aber auch zugleich die Problematik solchen Vorgehens: Sachliche Über­ schneidungen und chronologische Gleichzeitigkeiten sind schwerer zu erken­ nen, und manche Entwicklungen werden aus ihrem Zusammenhang gerissen – oder diese Zusammenhänge werden stichwortartig aufgerufen, aber erst später erklärt. So spricht Wiggermann im Kapitel über Woellner als „Land­ wirt und Ökonom“ unvermittelt „die alte rosenkreuzerische Verbindung zum Monarchen“ an, obwohl dieses Thema erst im Folgekapitel eingeführt wird und dementsprechend hier nur in der aus der älteren Literatur hinrei­ chend bekannten insinuierenden Weise verstanden werden kann. Diese „Ver­ bindung“ begegnet im Weiteren als rhetorische Figur noch öfter, sie ist aber immer nur ein Mittel, mit dem Woellner seine Ziele zu erreichen sucht, ohne dass dies inhaltlich näher erhellt würde. Damit ist eine auffallende, sicherlich bewusst in Kauf genommene Proble­ matik des Werks angesprochen: Die weithin bekannte Zugehörigkeit Woell­ 279

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ners zum Orden der Gold- und Rosenkreuzer, und auch seine Karriere in der Freimaurerei handelt Wiggermann auf gerade einmal vier Seiten ab, die zudem überwiegend aus Fußnoten bestehen. Nun kann man durchaus mit Recht darauf hinweisen, dass die Geheimbund-Thematik die Einschätzung Woellners und seiner Rolle in der preußischen Politik in der älteren Literatur über die Maßen dominiert habe. Womöglich ist auch die Bedeutung der Gold- und Rosenkreuzer für die Entwicklung der preußischen Religionspoli­ tik und die Entstehung des Religionsedikts überschätzt worden, und ver­ schwörungstheoretische Interpretationen der Aufnahme des Kronprinzen Friedrich Wilhelm in den Orden sind leicht zu widerlegen. Darum aber dieses Kapitel in der Biografie Woellners gleich zur schon quantitativ nebensächli­ chen Episode zu erklären, geht seinerseits wieder an der Sache vorbei. Hier zeigt sich, dass der erklärte weitgehende Verzicht auf Forschungsliteratur gerade bei einem so komplexen Thema in die Irre führen muss: Weder wer­ den die Freimaurer verständlich erklärt und historisch kontextualisiert – obwohl erst dadurch nachvollziehbar werden könnte, warum sowohl Fried­ rich II. als auch Woellner Logenmitglieder waren – noch geht die Beschrei­ bung der Gold- und Rosenkreuzer über die triviale Feststellung hinaus, sie hätten nur dem gesellschaftlichen Erfolg ihrer Mitglieder gedient. Die alche­ mistischen und magischen Praktiken des Ordens sind in dieser Sicht nur noch „Wunderdinge“, an die der Kronprinz geglaubt habe, weshalb es leicht gefal­ len sei, ihn in den Orden hineinzuziehen und für dessen angebliche politische Interessen zu instrumentalisieren. Alle Details, teils aus erstmals eingesehenen Archivalien entnommen, bleiben in die Anmerkungen ausgelagert, neuere Literatur wird nicht verwendet. Der Bedeutung, die Woellner seinen masoni­ schen Aktivitäten beigemessen haben mag und die ihn über Jahrzehnte an die Logen band, wird dieses Vorgehen wohl kaum gerecht, und der Verzicht auf diese Thematik schränkt die Verständnismöglichkeiten für manche Aspekte der Biografie wie auch des Religionsedikts nicht unwesentlich ein. Was hier offensichtlich zutage tritt, liegt in der Anlage der Arbeit begrün­ det: Die sorgfältige und detaillierte Auswertung enormer Quellenbestände ist gepaart mit wenig Bezug zu Arbeiten anderer Autoren, was insgesamt zu einer stark an den Zeitgenossen orientierten Perspektive auf die historischen Entwicklungen und damit letztlich auf die Biografie Woellners führt. Die Quellen sollen selbst sprechen und so in rankescher Manier erzählen, „wie es eigentlich gewesen ist“. Dies geht einher mit der Aneignung der Quellenspra­ che in Stil und Vokabular und auch mit stellenweise wenig kritischer Ver­ wendung der Quellen, deren Inhalt eben nicht immer so unmittelbar zur Nachwelt spricht, wie es scheinen mag. Gleichwohl: Die schiere Fülle der ausgewerteten Quellen und die zahlrei­ chen präsentierten Details sind nicht nur in ihrer Menge beeindruckend, son­ dern sie zeichnen ein ungewöhnlich facettenreiches Bild einer historischen Epoche wie auch einer historischen Persönlichkeit, die dem Leser auf diese Weise geradezu lebendig vor Augen tritt. Das Sich-Hineinversetzen in die 280

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Lebens- und Gedankenwelt des späten 18. Jahrhunderts gelingt so in erstaun­ lichem Maße, und die Lesbarkeit profitiert durchaus von der sprachlichen Anverwandlung der Autorin an ihren Gegenstand. Der weitere Aufbau der Arbeit verfolgt zunächst den Werdegang Woell­ ners bis zu seiner Ernennung zum Chef des Geistlichen Departements nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms II. und nimmt dabei neben der preußischen Kirchenverwaltung auch die inhaltlichen Vorarbeiten zum Reli­ gionsedikt in den Blick, die Woellner für den Kronprinzen entwarf. Dem zeitlich weitgehend parallel entstandenen Allgemeinen Landrecht widmet Wiggermann ein eigenes Kapitel, um den „Rechtshorizont“ zu erhellen, vor dem das Religionsedikt erlassen wurde und die nachfolgenden Konflikte stattfanden. Sodann folgt das Religionsedikt selbst, zunächst im Wortlaut und noch einmal in ausführlichen Erläuterungen, aber auch als Ereignisge­ schichte zwischen Erlass und ersten Reaktionen. Die folgenden Auseinander­ setzungen zwischen dem Geistlichen Departement und dem gegen die Bestimmungen des Edikts opponierenden Oberkonsistorium bilden den Hin­ tergrund für die Darstellung der Maßnahmen, mit denen das Edikt durchge­ setzt werden sollte. Die Arbeit der Examinationskommissionen, die in den Folgejahren der Durchsetzung dienten, etwa durch Prüfung der PredigerKandidaten oder durch Visitationen in Provinzen und an Universitäten, nimmt dabei sehr viel Raum in der Darstellung ein. Das ergänzende Zensur­ edikt betrachtet Wiggermann vor allem aus der Sicht der zensierten Schriften und Autoren; überhaupt kontrastiert sie die Biografie Woellners mit zahlrei­ chen biografischen Skizzen Anderer wie Carl Friedrich Bahrdt oder ihres Amtes enthobener Prediger und erlaubt dem Leser damit gelegentlich einen Perspektivwechsel, wenn auch in erster Linie aus Untersuchungsakten und insofern weitgehend von administrativer Seite. Sind diese Darstellungen dem Religionsedikt und seinen Auswirkungen gewidmet, so tritt die Biografie Woellners hier streckenweise hinter die reli­ gionspolitischen Konflikte zurück. Erst am chronologischen Ende der Biogra­ fie kommen beide Gegenstandsbereiche wieder zusammen: Mit dem Tod Friedrich Wilhelms II. endet nicht nur Woellners politische Karriere – er wird kurz nach Amtsantritt Friedrich Wilhelms III. entlassen – sondern auch die Wirksamkeit des Religionsedikts, indem die Examinationskommissionen auf­ gelöst werden und damit das Edikt faktisch nicht mehr durchgesetzt wurde. Die Studie schließt ebenso faktisch mit Woellners Tod, auf eine Schlussbe­ trachtung zu Woellners Persönlichkeit und deren zeitgenössischer und histo­ rischer Beurteilung verzichtet die Autorin ebenso wie auf ein Fazit zur histo­ rischen und systematischen Kontextualisierung des Religionsedikts. Insgesamt entfaltet Wiggermann mit ihrer quellengesättigten Arbeit ein religionshistorisches Panorama, das den Leser über vielfältige, teils bislang unbekannte Zusammenhänge detailliert informiert und ihm reiches Material für eigene Fragestellungen an die Hand gibt. Das Buch liest sich mit Gewinn und verlebendigt seinen Gegenstand in ungewöhnlich wirkungsvoller Weise. 281

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Mit der Breite der gebotenen Informationen und der Tiefe ihrer Auswertung und Aufbereitung kann sie durchaus eine maßgebliche Referenz für weitere, an aktuellen Tendenzen der historisch arbeitenden Disziplinen orientierte Forschungen sowohl zur Person und dem Umfeld Woellners und Friedrich Wilhelms II. als auch zur preußischen Religionspolitik werden. Renko Geffarth

Halle

Kim Apel: Predigten in der Literatur. Homiletische Erkundungen bei Karl Philipp Moritz. Tübingen: Mohr Siebeck 2009 (Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart, 7). – 565 S. Die komplexen Wechselbeziehungen von Religion und Literatur an der Epochenschwelle um 1800 kommen in den letzten Jahrzehnten mit erneuter Brisanz ins Visier kulturwissenschaftlich orientierter Studien. Man denke etwa an Bernd Auerochs’ Standardwerk Zur Entstehung der Kunstreligion (Göt­ tingen 2006) oder Daniel Weidners großangelegte Habilitationsschrift Bibel und Literatur um 1800 (München 2011) sowie an eine Reihe von Sammelbän­ den, in denen literaturwissenschaftliche und theologische Perspektive zusam­ mengeführt werden. Einen Überblick über diese Sammelbände, die verschie­ dene methodische Zugänge erproben, gewährt der unlängst erschienene Band von Andrea Polaschegg und Daniel Weidner Das Buch in den Büchern. Wechsel­ wirkungen von Bibel und Literatur (München 2012). Bei all dieser Reflexion zum Verhältnis von Bibel, Religion und Literatur rückt auch das Verhältnis von Predigt und Literatur bzw. das Thema Predigt in der Literatur immer wieder in den Blick der Forschung, wenngleich systematische Arbeiten bis­ lang fehlen. Zu den wenigen Ausnahmen gehören auf der Seite der Literatur­ wissenschaft die ältere, aber immer noch aktuelle Studie Ursula Naumanns Predigende Poesie. Zur Bedeutung von Predigt, geistlicher Rede und Predigertum für das Werk Jean Pauls (Nürnberg 1976) und Nicholas Sauls viel beachtetes Buch „Prediger aus der neuen romantischen Clique“. Zur Interaktion von Romantik und Homiletik um 1800 (Würzburg 1999), die sich mit diversen Formen der predi­ genden Rede um 1800 befassen, sowie – auf dem Gebiet der Theologie – Jan Bauke-Rueggs umfassende Studie Theologische Poetik und literarische Theologie? Systematisch-theologische Streifzüge (2004, Bd. II), die ein hermeneutisches Kon­ zept für theologische Lektüre und Interpretation der Gegenwartsliteratur ent­ faltet und auch an der Redeform der Predigt vorführt. Eigens zu erwähnen ist die kirchengeschichtliche Studie Andres Straßbergers Johann Christoph Gott­ sched und die „philosophische“ Predigt. Studien zur aufklärerischen Transformation der protestantischen Homiletik im Spannungsfeld von Theologie, Philosophie, Rhetorik und Politik (Tübingen 2010), die am Beispiel der Entwicklung und Rezeption 282

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der Predigttheorie Gottscheds die unterschiedlichen Facetten der Transforma­ tion der Homiletik im Aufklärungszeitalter nachzeichnet. Die im Fach Praktische Theologie der Theologischen Fakultät der Univer­ sität Basel von Kim Apel vorgelegte Dissertation Predigten in der Literatur. Homiletische Erkundungen bei Karl Philipp Moritz knüpft weitgehend an die genannten Forschungslinien, in methodischer Hinsicht insbesondere an die Arbeit Bauke-Rueggs, an. Anders als die genannten literaturwissenschaftli­ chen Studien widmet sie sich allerdings nicht dem ‚predigthaften Sprechen‘ als solchem, sondern der Predigt im engeren Sinne des Wortes, verstanden als die ‚kirchliche Kanzelrede‘ (7), mit der im Medium der Literatur vielfältig gespielt wird. Dabei versteht der Vf. seine Untersuchung „sowohl als eine theologisch-homiletische als auch eine literaturwissenschaftliche Arbeit“ (23), verfolgt also einen ausreichend riskanten Ansatz, der auf beiden Seiten zu fruchtbaren Erkenntnissen führen kann. Den Gegenstand der umfangreichen Studie Kim Apels zu den Predigten in der Literatur bilden zwei Romane des Schriftstellers Karl Philipp Moritz (1756–93): Anton Reiser und Andreas Hartknopfs Predigerjahre. Am Beispiel die­ ser Romane des späten 18. Jahrhunderts soll herausgearbeitet werden, inwie­ fern der literarische Umgang mit der kirchlichen Predigt zu neuen Erkennt­ nissen im Bereich der Homiletik führen kann: „Die These, die im Verlauf dieser Untersuchung Plausibilität gewinnen soll, lautet nun, dass die künstle­ rische Beschäftigung der Literatur mit der kirchlichen Praxis der Predigt homiletisch relevant ist, dass aus ihr homiletisch gelernt werden kann.“ (25) Mit dieser Zielsetzung schreibt sich die Untersuchung gut in die Reihe „Prak­ tische Theologie in Geschichte und Gegenwart“ beim Mohr Siebeck-Verlag ein, die eine Plattform für Arbeiten bietet, welche die historisch-systematische Untersuchungsperspektive mit praktisch-theologischer Reflexion verbinden. Apels interdisziplinärer und praxisbezogener Ansatz erscheint auch insofern aufschlussreich, als hier ein evangelischer Theologe – von theologisch-homi­ letischem Interesse geleitet – die literarische Wahrnehmung der kirchlichen Predigt in der Literatur betrachtet. Die Studie besteht aus drei Teilen: A. Predigten in der Literatur – Grundlegung (I–V), B. Homiletische Erkundungen bei Karl Philipp Moritz (VI–IX) und C. Pre­ digten in der Literatur – Erkenntnisse (X–XII). Im ersten Teil werden die theore­ tisch-begrifflichen Grundlagen der Untersuchung skizziert, wobei allgemei­ nen literaturwissenschaftlichen und erzähltheoretischen Fragen besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet wird. Das langatmige Referieren des Grundlagen­ wissens, wie z. B. die Konzentration auf die Frage, „was Literatur überhaupt ist und wie sie zu interpretieren ist“ (29), kann dadurch gerechtfertigt werden, dass sich die Studie nicht primär an Literaturwissenschaftler, sondern in erster Linie an evangelische Theologen und Prediger richtet. Dem Verfasser liegt also viel daran, zu verdeutlichen, dass sich „die Kunstform Literatur auf inspi­ rierend andere Weise mit der kirchlichen Predigt auseinandersetzt als die homiletische Wissenschaft“. (1) Als sinnvoll erweist sich im ersten Teil die 283

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exemplarische Zusammenstellung deutschsprachiger literarischer Texte, in denen von Predigten erzählt wird. Bedauerlicherweise werden die disparaten Werke, welche die Zeitspanne zwischen Aufklärung und Gegenwart umfas­ sen, vom Vf. nicht weiter besprochen, geschweige denn systematisiert, son­ dern lediglich nach einem erzähltechnischen Kriterium in Gruppen gegliedert. Durch die bloße Auflistung kann nur bedingt ein Eindruck über die Vielfalt literarischer Gestaltungsmöglichkeit der Redeform der Predigt in der deutschsprachigen Literatur vermittelt werden (11–22). Diese Unterlassung ist umso bedauerlicher, als der Haupttitel der Studie Predigten in der Literatur einen solchen systematischen Überblick, wenn auch nur ansatzweise, erwar­ ten lässt. Der zentrale und umfangreichste zweite Teil („Homiletische Erkundungen bei Karl Philipp Moritz“) bietet eine sorgfältige Analyse aller erzählten Pre­ digten in den beiden Romanen Karl Philipp Moritz’. Den eigentlichen Erkun­ dungen werden Überlegungen zur Rolle der Predigt im Zeitalter der Aufklä­ rung (B.VI) sowie biographische Informationen zum Leben und Wirken des Schriftstellers vorausgeschickt. Berücksichtigt werden überdies drei von Moritz selbst gehaltene Predigten (B.VII). In den minutiösen Romananalysen wird tatsächlich der theologische mit dem literaturwissenschaftlichen Textzu­ gang verbunden. Die erzählten Predigten werden zum einen mit der geläufi­ gen erzähltheoretischen Begrifflichkeit (Martinez/Scheffel) und unter Einbe­ ziehung der umfangreichen Moritz-Forschung untersucht, zum anderen theologie- und predigtgeschichtlich eingeordnet, wobei der Vf. auch ander­ weitig – etwa bei der Rekonstruktion der breiteren religiösen und frömmig­ keitsgeschichtlichen Kontexte – sein theologisches Wissen unter Beweis stellt. Diese zweischrittige Verfahrensweise kommt bei der Analyse von Anton Rei­ ser besonders gut zum Tragen. Zunächst wird die formale Gestaltung der Pre­ digterzählungen analysiert, dann eine Interpretation unter homiletischen Gesichtspunkten durchgeführt. Als Raster kommt dabei das Modell des ‚homiletischen Dreiecks‘ zur Anwendung, das dem Vf. erlaubt, sich „im Ein­ zelnen dem Prediger und seinem Predigen, dem Predigthörer und seinem Hören sowie der Sache der erzählten Predigt“ (169) zuzuwenden. Dieses Vor­ gehen ermöglicht es, die kommunikativen Strukturen der Produktion und Rezeption von kirchlichen Predigten in den Romanen Moritz’ zu rekonstru­ ieren: Neben einer ausführlichen Befragung der Predigten in Bezug auf The­ men und Thesen werden auch nichtverbale Ausdrucksformen wie Situation, Rahmenbedingungen, Empfindungen sowie die Personen des Predigers und des Predigthörers beachtet. Dass sich die am Anton Reiser gewonnenen Beob­ achtungen und Erkenntnisse auf das Zeitalter der Spätaufklärung verallgemei­ nern lassen, wird dadurch untermauert, dass auch ausgewählte nichtfiktionale Predigten vergleichend herangezogen werden, z. B. die historischen Predigten des Braunschweiger Pastors Johann Ludwig Paulmann, die Moritz in den Pre­ digten des fiktiven Pastors P. – wie Apel plausibel macht – literarisch verar­ beitet (VIII. 2.9). 284

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Komplexer gestalten sich die Analysen der Predigterzählungen aus Andreas Hartknopfs Predigerjahren, wird in diesem Roman doch aufgrund zahlreicher intratextueller und allegorischer Bezüge auch das episch-mimetische Erzählen weitgehend aufgelöst (vgl. 314). Die meiste Aufmerksamkeit wird der erzähl­ ten Antrittspredigt des Protagonisten Hartknopf zuteil, in der sich – wie Apel detailliert ausarbeitet – diverse theologische, sprachphilosophische, moralphi­ losophische und ästhetische Diskurse überlagern. Um die Rolle der Antritts­ predigt für den ganzen Roman herausarbeiten zu können, analysiert der Vf. nicht nur die narrative Struktur der Predigterzählung, sondern berücksichtigt auch Moritz’ eigene ästhetiktheoretische Überlegungen, insbesondere das Konzept des in sich vollendeten schönen Kunstwerks. Gezeigt wird, dass sich das Konzept der Erzählung des Andreas Hartknopf auf der Handlungsebene im Konzept der Predigten des Protagonisten widerspiegelt (343); genauer gesagt, „dass sich das Anliegen der Erzählung, ein neues, verlebendigtes allegorisches Sprechen zu versuchen, im Anliegen des Predigers abbildet“. (356) Eine wei­ tere, auch literaturwissenschaftlich relevante Erkenntnis bezieht sich auf die im Hinblick auf Moritz’ Ästhetik häufig verwendete Säkularisierungsthese, die in den Textanalysen relativiert wird. Durch eine gründliche Rekonstruk­ tion der in der Antrittspredigt verhandelten Diskurse konnte bestätigt wer­ den, dass die theologischen, homiletischen und pastoraltheologischen Frage­ stellungen, welche „an der Oberfläche“ der Predigterzählung thematisiert werden, zwar eine Brechung erfahren, aber keineswegs verschwinden. Der Übergang von der Kanzelpredigt zur Kunstpredigt sei nicht so eindeutig, wie ein Teil der Moritz-Forschung es vielleicht haben wollte, da sich in den Pre­ digtszenen der sprachphilosophische Diskurs von den biblischen und theolo­ gischen Diskursen letztlich nicht trennen lässt (355). Im zweiten Teil seiner Beschäftigung mit dem Hartknopf-Roman konzentriert sich Apel – genauso wie im Falle des Anton Reiser – auf die homiletischen Aspekte der erzählten Predigten: den Predigthörer und die Predigt-Rezeption sowie den Prediger und sein Predigen (XI.2 und XI.3). Er hält fest, dass es sich auch in diesem Roman um genuin homiletische Themen handelt, wie etwa Hartknopfs Amtsverständnis als Prediger, die Relation von Gotteswort und Menschen­ wort in der Predigt, das Problem der Natürlichkeit und Künstlichkeit auf der Kanzel oder die Frage nach dem Gelingen des Predigtgeschehens (424). Alles in allem kommt gerade in den Kapiteln zu Andreas Hartknopf (IX und XI) die doppelte Kompetenz des Verfassers gut zum Vorschein. Diese Analysen sind sowohl literaturwissenschaftlich gut fundiert als auch in homiletischer Hin­ sicht aufschlussreich. Im dritten Teil des Buches, der sich nochmals auf die Wechselwirkungen zwischen dem literarischen und dem homiletischen Diskurs um 1800 bezieht, wird der Versuch unternommen, das komplexe Anregungspotential der besprochenen literarischen Predigterzählungen Moritz’ für die Homiletik pro­ duktiv zu machen (443). In Moritz’ Erzählungen werden nämlich – so ein Schlussergebnis – immer wieder Perspektiven eröffnet, die auch in der moder­ 285

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nen Homiletik in den Blick kommen bzw. neu entdeckt werden. So werden abschließend die aus den Analysen gewonnenen homiletischen Beobachtungen mit der neueren homiletischen Forschung – insbesondere mit einer performa­ tiven (Andrea Bieler), somatischen (Andreas Thiele) und dramaturgischen Homiletik (Martin Nicol) – in ein Gespräch gebracht. Abschließend werden die Ergebnisse der homiletischen Erkundungsgänge durch das Werk Moritz’ mit der heutigen Wirklichkeit der Predigt in Beziehung gesetzt, wodurch die evangelischen Theologen als die Zielgruppe noch einmal explizit angespro­ chen werden. Durch die Lektüre fiktionaler Erzählungen von Predigten kann die eigene Praxis der Predigt verändert werden: „Der lesende Prediger kann sich das Halten von Predigten erlesen.“ (498) Steht der Erkenntniswert der Literatur für die Lebenspraxis seit je außer Zweifel, so kann auch der literari­ sche Umgang mit der kirchlichen Predigt für die Wahrnehmung und Gestal­ tung des Predigens in der Gegenwart sicherlich produktiv gemacht werden. Eine Studie, die sich so eingehend mit dem Thema Predigt bei K. Ph. Moritz beschäftigt und zugleich nach der Literarisierung dieser Redeform in zeitgenössischen Romanen fragt, ist überaus begrüßenswert. Die Konzentra­ tion auf einen Einzelaspekt, nämlich den literarischen Umgang mit der Kan­ zelrede, bringt interessante Erkenntnisse im Hinblick auf Moritz’ Romane und überhaupt die künstlerische Wahrnehmung der Predigt in der Literatur um 1800. Auch der Fokus auf den einen Autor kann schließlich gerechtfertigt werden, präsentiert Moritz’ Romanwerk doch ein außerordentlich breites Repertoire an Darstellungsmöglichkeiten der Predigt in fiktionalen Werken. Auch wenn man an Apels interdisziplinärem Projekt einiges kritisieren kann, etwa den weitschweifigen, redundanten Stil, der die Lektüre (besonders im A und B. VII) mitunter erschwert, so sind hier vor allem seine Stärken hervor­ zuheben. Die vom homiletischen Interesse geleitete Lektüre der Romane gestattet dem Verfasser, der profunde Kenntnisse auf dem Gebiet der Prakti­ schen Theologie besitzt, nicht nur einen geschärften Blick auf Moritz’ Pre­ digt-Vielfalt, sondern auch auf dessen Erzählkunst und Ästhetik. Damit erreicht die Studie auch ein Ziel, das sie sich nicht explizit gesetzt hat. Sie kann nämlich als theologisch-homiletischer Kommentar zu den literarischen Predigterzählungen in den Romanen Moritz’ gelesen werden, der auch für Literaturwissenschaftler aufschlussreich ist. Jadwiga Kita-Huber

Kraków

Reformation, Pietismus, Spiritualität. Beiträge zur siebenbürgisch-sächsi­ schen Kirchengeschichte. Unter Mitarbeit von Bernhard Heigl u. Thomas Şindilariu hg. v. Ulrich A. Wien. Köln [u. a.]: Böhlau 2011 (Siebenbürgisches Archiv. Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde. Dritte Folge, 41). – VIII, 316 S. 286

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Mit dem zu erörternden Band liegt eine Auswahl aus zwei Festschriften zu Ehren des siebenbürgisch-sächsischen Historikers Friedrich Müller-Langen­ thal (1884–1969) vor, der zwischen 1945 und 1969 auch die Bischofswürde trug. Die Aufsätze zu seinem 70. und 80. Geburtstag (1954 und 1964) blieben damals in Maschinenschrift. Aus diesem mehrbändigen Material, das die For­ schungs- und Interessengebiete des Jubilars umfasst, wählte Ulrich A. Wien, Theologe und Historiker, Schriften für den vorliegenden Band aus. Der Herausgeber ist Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde und gleichzeitig Mitherausgeber der Reihen „Studia Transsilva­ nica“ und „Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens“, er wirkt also aktiv bei der Tätigkeit jener Gesellschaften und Reihen mit, die von Siebenbürger Sachsen in Deutschland gegründet worden sind, um die wissenschaftliche Bearbeitung der Vergangenheit dieser Ethnie zu organisieren und zu veröf­ fentlichen. Die genannten Reihen und das Siebenbürgische Archiv, in dessen Reihe dieser Band erschien, existieren zwar in Deutschland, es gibt aber auch unter den in Rumänien gebliebenen Siebenbürger Sachsen Intellektuelle, die den Nachlass der seit 800 Jahren in Siebenbürgen (seit 1918 Rumänien) leben­ den Sachsen bewahren, betreuen, Quellen publizieren und selbständige Werke verfassen. Bernhard Heigl und Thomas Şindilariu trugen seitens der Siebenbürger zum Band bei. Der Band enthält zwölf Aufsätze aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen von den Anfängen im Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Mehr als die Hälfte der Autoren ist nicht mehr am Leben. Wie bei den Festschriften üblich, handelt es sich bei der Auswahl um eine thematische Vielfalt. Mögli­ cherweise kann dies auch als repräsentatives Muster der in Maschinenschrift gebliebenen Bände betrachtet werden, der Herausgeber hatte aber ein anderes Anliegen. Seine Absicht war, von den fast ein halbes Jahrhundert alten Schrif­ ten Aufsätze zu veröffentlichen, die heute einen wissenschaftlichen Wert besitzen und Themen behandeln, die seither nicht oder nur marginal bearbei­ tet worden sind. Reformation und Pietismus, die auch im Titel hervorgehoben wurden, werden lediglich in vier Studien thematisiert. Der Klausenburger Professor für Kirchengeschichte Ludwig Binder (1914–1989) verfasste einen umfangrei­ chen Aufsatz mit dem Titel Theologie und Bekenntnis auf Synoden der evang.sächsischen Kirche 1545–1578. Binders einschlägige Bücher und Aufsätze wer­ den im Zusammenhang mit der siebenbürgischen Reformationsgeschichte auch heute noch viel zitiert. Diese Schrift wird ebenfalls in den Diskurs über die Reformation in Siebenbürgen integriert (erschienen als: Die frühesten Synoden der evangelischen Kirche in Siebenbürgen. In: Geschichtswirklich­ keit und Glaubensbewährung. Hg. v. Franklin Clark Fry. Stuttgart 1967, 220– 244). Die große Quellenkenntnis und die individuelle Sichtweise des Autors sind ein Garant dafür, dass auch auf dieses Werk nicht verzichtet werden kann. Ein kleines Beispiel auf den Seiten 87 bis 90: In diesem Exkurs schlägt Binder neue Aspekte bei der Untersuchung des Konflikts mit den Szekler 287

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Häretikern vor, die die Unsterblichkeit der Seele leugneten. Er zweifelt daran, dass es sich dabei um die sächsische Synode von 1575 (oder überhaupt um eine Synode!) handelt. Heute sind wir in der Lage, Binders Studie den digitalisierten Protokollen der Synodalverhandlungen – bearbeitet aus den Bestanden des Hermannstädter Archivs im Siebenbürgen Institut – gegen­ überzustellen. – Klaus Wagners Aufsatz Katechismuspredigten des Johannes Buda­ ker ist eine Quellenveröffentlichung. Die Texte wurden vom Bistritzer Pfar­ rer Johannes Budaker aufgezeichnet, und es sind aller Wahrscheinlichkeit nach seine Predigten aus der Zeit zwischen 1560 und 1580. Die Edition der Texte ist von besonderer Bedeutung, weil sonst keine gedruckten Predigten von Siebenbürger Sachsen aus dem 16. Jahrhundert bekannt sind. Auch was die handschriftlich überlieferten Predigtsammlungen betrifft, ist bislang außer der von Budaker nur die von Damasus Dürr aus den Jahren 1550 bis 1580 bekannt. Dieser Aufsatz ist in typographischer Hinsicht nicht angemessen unterteilt, die Beschreibung des behandelten Bandes und die Titelgebung der Predigten stehen nicht immer im Einklang mit den Titeln der Textedition; die einzelnen Predigten sind schwierig auseinanderzuhalten. – Der Medi­ ascher Pfarrer Dietmar Plajer stellt in seinem Aufsatz Die Engellehre bei Markus Fronius die Angelologie bzw. Teufelslehre des Kronstädter Stadtpfarrers Mar­ kus Fronius (1659–1713) vor. Der hervorragende Theologe seiner Zeit reflektierte, als gemäßigter Orthodoxer, auch auf die pietistische Bewegung, in Plajers Darstellung wird aber darauf – logischerweise – nicht eingegangen. Der Verfasser bezieht drei Manuskripte von Fronius in seine Untersuchung ein, zwei theologische Zusammenfassungen (Theologia bzw. Deutsche Theologie) und einen Predigtband. Die angeführten Beispiele stammen größtenteils aus Letzterem. Nach der Auslegung der einschlägigen Bibelstellen werden Fall­ beispiele beschrieben, die die Existenz und das „Wirken“ von guten und bösen Geistern illustrieren, die gleichfalls die vom Volksglauben beeinflussten Auffassung des bedeutenden siebenbürgischen Theologen sowie seine enorme Belesenheit dokumentieren. Ein Teil der für die Engels- und Teufelslehre ste­ henden Geschichten hat offenbar lokale Bezüge, es sind „Anekdoten“, wäh­ rend andere mit Sicherheit literarischer Provenienz sind, obwohl Fronius nicht immer seine Quellen angibt. (Des öfteren zitiert er das Nürnbergische Geist- und Lehrreiches neu vermehrte Handbuch oder Georg Philipp Harsdörffers Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mordgeschichte.) – Gerhard Binders Studie Bürgerlicher Pietismus zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Zum Tagebuch des Simon Christophori analysiert anhand der im Titel genannten Quelle das Verhältnis des Kronstädter Marktrichters zu Kirche, Gemeinde und Frömmigkeit. Das Attribut „bürgerlich“ verweist in diesem Fall nicht nur auf den gesellschaftli­ chen Status des Tagebuchautors mit juristischer Ausbildung, sondern auch auf sein Laientum. Dass er mit der pietistischen Bewegung einverstanden war, bezeugen nur einige Momente im Tagebuch: anerkennende Worte über Spe­ ner; Briefwechsel mit den aus Halle gekommenen pietistischen Professoren Christoph Nicolaus Voigt und Johann Baptist Habermann, die 1712/13 in 288

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Hermannstadt tätig waren. Seitdem wissen wir aus einem Brief, der im Francke-Nachlass in Berlin aufbewahrt wird und von uns publiziert worden ist, dass über den durch Voigt abgewickelten Halleschen Bücherexport hinaus Francke 1711 von „Simon Christoph vulgo Gaitzer“ um Neue Testamente im Wert von 3.000 Taler gebeten wird und dass die Bücher dem Sachsenco­ mes Andreas Teutsch nach Hermannstadt geschickt werden sollen. Die Personen- und Ortsregister sind korrekt zusammengestellt, es fehlt aber ein Abkürzungsverzeichnis. Für diejenigen, die sich nicht von Berufs wegen mit der Geschichte Siebenbürgens befassen, sind die Namen der Insti­ tutionen nicht zu entschlüsseln: AHG = Archiv der Honterusgemeinde (vor kaum 10 Jahren noch: Archiv der Schwarzen Kirche), Kronstadt (rum. Bra­ şov); STAH = Staatsarchiv Hermannstadt; ZAEKR = Zentralarchiv Evangeli­ scher Kirche A. B. in Rumänien, Hermannstadt (rum. Sibiu). Ähnlich sieht es auch bei der Fachliteratur aus: Ub. Bd. 1.-Bd. 4. = Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. Begr. v. Franz Zimmermann. Bd. 1–4. Hermannstadt 1892–1937. Die Online-Präsentation ist zugänglich unter „e-Transylvanica“ auf den Seiten des Siebenbürgen-Instituts. Wenn ich mich nicht täusche, wird kein einziges Mal – vielleicht gerade wegen der kon­ sequenten Redaktionsarbeit – der Titel der 1843 gegründeten Zeitschrift der Siebenbürger Sachsen aufgeschlüsselt: Archiv N. F. = Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde. Neue Folge. Bei der Mehrheit der Aufsätze handelt es sich um die Darstellung und Erör­ terung einer Quelle. Manchmal muss festgestellt werden, dass die Reflexion auf die einschlägige Fachliteratur fehlt. Selbstverständlich sind wir uns über die Schwierigkeiten der Forschung in den Ostblockländern in den 1950er und 1960er Jahren im Klaren: Wir kennen die Hindernisse, die den Zugang zu Primär- oder Sekundärwerken unmöglich machten. Dies erklärt auch gewis­ sermaßen die fehlende Reflexion, trotzdem hätte man – streng innerhalb der Staatsgrenzen, ja sogar der Region bleibend – auf parallele Quellen verweisen oder frühere Forschungergebnisse miteinbeziehen können. Nichtsdestotrotz sind diese Aufsätze geeignet, auf einzelne wichtige Quellen oder Quellenty­ pen aufmerksam zu machen und zu weiteren Untersuchungen zu motivieren. Der Band ist also nicht nur eine Art „historische Wiedergutmachung“, son­ dern eine Sammlung, die Forschungsthemen mit Anspruch auf Aktualität exponiert. Zsuzsa Font

HUN-Szeged

Udo Schemmel: Laien in lutherischen Kirchenordnungen. Die unterschiedli­ chen Entwicklungen ihres Beeinflussungspotentials auf Gemeindebelange im 18. Jahrhundert in Pennsylvania im Vergleich zu Kirchenordnungen des 289

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Landesherrlichen Kirchenregimentes – dargestellt an der Genese der Kir­ chenordnung der St. Michaelis-Gemeinde in Philadelphia, Pennsylvania. Würzburg: Ergon Verlag 2012 (Bibliotheca Academica. Soziologie, 9). – 272 S.; graph. Darst. Der Verf. untersucht in seiner zu besprechenden Dissertation, „wie es dazu kam, dass Heinrich Melchior Mühlenberg“, ein lutherischer Pfarrer, der 1742 von Hallenser Pietisten in das nordamerikanische Pennsylvania geschickt worden war, dort „eine Kirchenordnung erstellte, die für Laien viel weiterge­ hende Mitwirkungsrechte festschrieb, als er sie im Rahmen des Landesherrli­ chen Kirchenregimentes während seines Werdeganges im Reich kennenge­ lernt und auf deren Grundlage er gewirkt hatte“ (16 u. 202). Tatsächlich ist es gerechtfertigt, diese Ordnung, die in der Forschung als ein „Meilenstein“ (198) charakterisiert wird, in den Mittelpunkt einer eigenen Untersuchung zu stellen. Sie unterscheidet sich nämlich von anderen lutherischen Kirchenord­ nungen im zeitgenössischen Nordamerika dadurch, dass sie sich von den Organisationsformen des Luthertums in Deutschland gelöst hat, um den Ver­ hältnissen in Pennsylvania bestmöglich Rechnung zu tragen (14). Damit gewinnt sie an organisatorischer Eigenständigkeit und bildet als „Bruchstelle“ (199) gegenüber den lutherischen Kirchenstrukturen in Deutschland das Gründungsdokument der eigenständigen lutherischen Kirche in Nordame­ rika, als deren Patriarch Mühlenberg gilt. Dieser Bruch war die logische Folge dessen, dass sich die Existenzbedingun­ gen für Glaubensgemeinschaften in Nordamerika diametral von denen in Deutschland unterschieden, wie auch der Vf. deutlich skizziert (46–52 für Deutschland, 114–117 für Pennsylvania): So war z. B. die lutherische Kirche hierzulande in das landesherrliche Kirchenregiment eingebunden und damit privilegierte Staatskirche. In den nordamerikanischen Kolonien hingegen besteht eine religiöse Pluralität bei gleichzeitiger strikter Trennung von Staat und Kirche. Diese Regelung entsprach zwar den Bedürfnissen etwa der Puri­ taner oder Quäker, die ob ihres Glaubens in ihrer alten Heimat verfolgt gewe­ sen und deshalb in die Neue Welt ausgewandert waren, erwies sich aber als problematisch für die vom landesherrlichen Kirchenregiment konditionierten deutschen Lutheraner. In Pennsylvania, im 18. Jahrhundert Hauptsiedlungs­ gebiet deutscher Einwanderer, angekommen, mussten sie sich ohne Anbin­ dung an eine schützende weltliche Obrigkeit zu Gemeinden auf Freiwilligen­ basis zusammenschließen. Dies verweist einmal mehr darauf, dass gerade für Migranten eigene religiöse Gemeinschaften einen wichtigen hotspot bilden. In ihren neuen Gemeinden sahen sich die Lutheraner erstmals gezwungen, eigenverantwortlich für alle Belange ihres religiösen Lebens einzutreten. Der Spannungsbogen reicht von der Bestallung des Pfarrers – der nun nicht mehr als Vertreter einer Obrigkeit anzusehen ist und der deshalb verschiedene Dis­ ziplinierungsmaßnahmen, etwa die „Kirchenzucht“, nur begrenzt ausüben konnte (202) – bis hin zum Erwerb und Unterhalt der Kirchengebäude. Aus 290

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diesen Pflichten erwuchs den Laien eine starke Stellung in der Gemeinde. Diese von der Forschung wiederholt thematisierte Situation musste sich zwangsläufig in einer erfolgreichen – sprich: in der Gemeinde akzeptierten und darum dauerhaften – Kirchenordnung wie der der St. MichaelisGemeinde Philadelphia 1762 widerspiegeln. Damit ist dem Vf. zuzustimmen, wenn er Mühlenbergs Engagement für diese Ordnung als Beispiel dafür ansieht, wie „die protestantische Kirche sich durch Anpassung an geänderte Bedürfnisse ihrer Gemeindemitglieder und an gewandelte äußere Bedingun­ gen durchaus neuen Herausforderungen erfolgreich zu stellen vermag“ (15). Mit seinem Untersuchungsgegenstand knüpft Schemmel einerseits an Untersuchungen an, in deren Mittelpunkt entweder das Wirken Mühlenbergs und jener Pastoren steht, die gleich ihm bis 1787 von den Halleschen Pietisten nach Nordamerika geschickt worden waren, oder die nach der Bedeutung fra­ gen, welche die deutschen Siedler als größte nichtenglische Einwanderer­ gruppe im zeitgenössischen Nordamerika besaßen. Damit stellt er andererseits Anschluss her an Themenstellungen der transatlantischen Geschichte, der Migrationsgeschichte, der Netzwerkforschung, der Akkulturationsgeschichte und zu Untersuchungen, die nach der Rolle fragen, die die Religion als iden­ titätsstiftender Faktor in diesem Kontext einnimmt, sowie schließlich zu Fra­ gestellungen der Hallenser Pietismusforschung, die nicht zuletzt im Ergebnis des Mühlenberg-Jubiläums 2011 dieses Thema verstärkt für sich entdeckt. Im Sinne des angestrebten Vergleichs, der im sperrigen Untertitel der Arbeit anklingt, wählte der Vf. eine chronologisch-geographische Gliede­ rung: Seine Dissertation besteht aus zwei, mit jeweils rund 100 Seiten etwa gleichgroßen Hauptteilen (die Zweiteilung explizit genannt Seite 16, wobei sie sich nicht im Inhaltsverzeichnis widerspiegelt): Im ersten Teil (Kapitel 2– 6), der den in der Einleitung mit den Eckdaten 1742 und 1762 definierten Untersuchungszeitraum (13, 16) erheblich ausweitet, legt der Vf. den Fokus auf die Situation im frühneuzeitlichen Deutschland. Dabei skizziert er die Entwicklungslinien der „Kirche im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ (Kap. 2, 33–52) ebenso, wie die Bedeutung und Genese der „Kir­ chenordnung im Luthertum“ (Kap. 3, 53–64). Zudem verweist er auf die untergeordnete Stellung der „Laien in der Kirche“ (Kap. 4, 65–72), die in der Gemeinde Dienst als Kantor, Organist, Lektor (68) leisten konnten. Lediglich als „Kastenvorsteher“ konnte ein Laie örtlich neben dem Pfarrer eine größere Bedeutung erlangen (69 f.). Im Anschluss an diese strukturellen Untersuchun­ gen liefert der Vf. einen Kurzabriss der Geschichte des Halleschen „Pietismus“ (Kap. 5, 73–92) und fragt hiervon ausgehend nach den Prägungen, die „Hein­ rich Melchior Mühlenberg“ (Kap. 6, 93–108) in der Alten Welt während sei­ ner Ausbildung und seiner beruflichen Laufbahn, die ihn u. a. nach Halle geführt hatte, erhielt. Der zweiten Hauptteil, der den eigentlichen Untersuchungszeitraum 1742 bis 1762 umfasst, ist konsequent auf Mühlenbergs Wirken in Pennsylvania ausgerichtet: Einem einführenden Kapitel „Religion und Kirche in Pennsyl­ 291

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vania“ (Kap. 7, 109–118) folgen Abhandlungen zu den „Entwicklungen der Gemeindeordnungen vor Mühlenbergs Ankunft“ (Kap. 8, 119–138), zu „Mühlenbergs Anfänge[n] in Pennsylvania“ (Kap. 9, 139–170), wobei der Vf. auch kurz jene Kirchenordnungen erwähnt, die der Pastor und seine ebenfalls aus Halle nach Pennsylvania geschickten Kollegen Brunnholtz und Hand­ schuh im Laufe der 1750er Jahre mit unterschiedlichem Erfolg etablierten (155–161). Im abschließenden Kapitel widmet sich der Vf. dem „Streit in der Gemeinde Philadelphia“ (Kap. 10, 171–200), dessen Schlichtung sich in Müh­ lenbergs Kirchenordnung dokumentiert. Im ersten Teil dieses Teilkapitels rekonstruiert Schemmel den in der Gemeinde ausgebrochenen Konflikt und geht damit insofern über die Forschungsliteratur hinaus, als er ausführlicher als zuvor Kurt Aland in der Einleitung des zweiten Bandes der MühlenbergKorrespondenz den Verlauf dieser Auseinandersetzung rekonstruiert.1 Dabei zeigt der Vf., wie sehr es vor allem „Mühlenbergs Fähigkeiten und seiner auf seiner seelsorgerischen Tätigkeit in Pennsylvania basierenden Glaubwürdig­ keit zuzuschreiben [ist], dass er die bestehenden Gegensätze der Parteien in diesem Konflikt durch großen persönlichen Einsatz, Einigungswillen und eine geschickte Verhandlungsführung in Anerkennung der lokalen Gegebenheiten zu einem gebilligten Ergebnis führte“ (199). Im zweiten Teil des abschließenden Kapitels resümiert der Vf. in enger Anlehnung an die Studie von Christian Otto Kraushaar sowie an Rudolf Schomerus’ juristische Dissertation den Aufbau der Kirchenordnung.2 In dem Zusammenhang geht er zwar darauf ein, welche Aufgaben die Laien etwa als Vorsteher und Älteste im Kirchenrat (190–197) wahrnehmen konnten, ein Vergleich mit den älteren, in Kapitel 8 erwähnten Kirchenordnungen unter­ bleibt jedoch. Positiv anzumerken ist dagegen, dass der Vf. den Aufbau der Kirchenordnung, Funktionsweisen der Gremien und Wahlmodi sowie wei­ tere komplizierte Sachverhalte in einigen sehr hilfreichen Anlagen visualisiert, die den schmalen Band beschließen. Dabei zeigt er sogar, dass im Text nicht/ kaum thematisierte Kirchenordnungen (Calvin, Genf, 1541; a Lasco, London 1550; Amsterdam, 1591 oder St. Mary of Savoy in London, 1693) die Kir­ chenordnung von 1762 direkt oder indirekt beeinflusst haben (228). Warum allerdings eine beigefügte Zeitleiste im Jahr 1753 endet (205) und eine zweite Zeitleiste zum Kirchenstreit in Philadelphia erst 1760 einsetzt (207 f.), obgleich die Streitigkeiten bereits in den 1750er Jahren wurzelten (16), lässt sich nur erschließen. Ein Register fehlt leider. Solche Ungereimtheiten sind ärgerlich, schwerwiegender sind Schwächen 1 Die Korrespondenz Heinrich Melchior Mühlenbergs. Aus der Anfangszeit des deutschen Luthertums in Nordamerika. Hg. V. Kurt Aland. Bd. 1–6. Berlin, New York 1986–2002, hier Bd. 2, XXV–XXXIV. 2 Christian Otto Kraushaar: Verfassungsformen der Lutherischen Kirche Amerikas. Gütersloh 1911, 16–26 (einschließlich Abdruck); Rudolf Schomerus: Die verfassungsrechtliche Entwicklung der lutherischen Kirche in Nordamerika von 1638 bis 1792. Göttingen 1965, 16–26, 115–124.

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innerhalb des Argumentationsgangs, die sich durch den gesamten Band ziehen und den Gesamteindruck trüben. Das fängt mit der Fragestellung an, die zwi­ schen zwei Polen changiert: Sie zielt einerseits auf die Stellung der Laien in unterschiedlichen Kirchenordnungen, andererseits auf einen Prozess, nämlich auf das „Wie“ des Wirkens Mühlenbergs. Hier wäre eine schärfere kategoriale Ausdifferenzierung notwendig gewesen. So hätte z. B. stärker danach gefragt werden können, mit welchen Mechanismen der Regelung und Akzeptanzge­ nerierung die Kirchenordnungen die Gemeinde nach außen und innen stabil hielten, ein geregeltes Gemeindeleben ermöglichten und dabei die einander widerstreitenden Interessen verschiedener Laiengruppen und des Pfarrers aus­ glichen. Um Mühlenbergs Leistung pointierter zu würdigen, wäre zudem ein Vergleich mit jenen zeitgenössischen lutherischen Kirchenordnungen, an deren Entstehung die „Hallenser“ Theologen keinen Anteil hatten (etwa St. Matthäus-Gemeinde in New York, 1784), wünschenswert gewesen. Eine solche Ausdifferenzierung hätte es ermöglicht, die auf Seite 13 ange­ kündigten Vergleichskriterien explizit zu benennen und anschließend auf Genese und Inhalt der lutherischen Kirchenordnungen im Alten Reich und in der Neuen Welt als Vergleichsmaßstab anzulegen. So aber ist der erste Teil der Arbeit, der mit seiner Darstellung der Kirchenordnungen im Landesherr­ lichen Kirchenregiment eigentlich als Vergleichsebene für die Argumentation im zweiten Teil dienen soll, in seinen Aussagen nicht konsequent auf diesen hin ausgerichtet. Ein expliziter Vergleich fehlt, was zur Folge hat, dass die beiden Hauptteile nicht sehr eng miteinander verzahnt sind. Ähnliche argumentative Schwächen lassen sich auch im Detail beobachten. Oftmals gibt der Vf. Fakten und Wertungen aus der Literatur wieder, ohne sie jedoch genügend im Sinne einer spezifischen Fragestellung zu kontextuali­ sieren, zu gewichten und argumentativ zuzuspitzen: Wozu wird etwa die „territorialstaatliche Verfestigung der Reformation“ anhand der Reichstage 1521, 1526 und 1529 (38) angerissen? Wozu dient z. B. die Information, dass auf einer Synode im amerikanischen Lancaster der aus Halle gekommene Katechet Schaum zum Pfarrer ordiniert wurde (163)? Welche Funktion erfüllt der kurze Rekurs auf Zinzendorfs Aufenthalt in Pennsylvania (135 f.), wenn die Bedeutung dessen nicht hinterfragt wird, dass dieser Pietist und zugleich Intimfeind der Hallenser ebenfalls versuchte, eine Kirche in Nord­ amerika aufzubauen? Ebenso erstaunt mitunter die Gewichtung der aufge­ zählten Fakten: So referiert der Vf. z. B. über eine Seite hinweg Allgemein­ plätze wie die Ursprünge des Kurfürstenkollegiums oder die Bedeutung der Goldene Bulle (34 f.), widmet aber zentralen Vergleichsmomenten, wie z. B. dem Einflusspotential von Laien in Kirchenordnungen des Landesherrlichen Kirchenregiments nur ein Teilkapitel von lediglich gut zwei Seiten (68–70). Letztlich führen diese Mängel bei der argumentativen Linie und das weitge­ hende Fehlen an eigenen Wertungen dazu, dass die Arbeit einen ambivalenten Eindruck hinterlässt. Einerseits bildet die Darstellung der Streitigkeiten in Philadelphia eine gute Ergänzung zu den in der Dissertation von Thomas 293

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Müller analysierten Gemeindestreitigkeiten, die in Raritan, Lancaster und Germantown und damit in Mühlenbergs Tätigkeitsfeld ausgebrochen waren, andererseits bestätigt der Vf., indem er sogar in der Analyse der Kirchenord­ nung fast ausschließlich auf die Wertungen der jüngeren Forschungsliteratur setzt (etwa 187 f.), lediglich deren Ergebnisse.3 Doch gerade deshalb vermag seine Untersuchung, die nur bedingt über die bisherige Forschung hinaus­ reicht, nur partiell zu überzeugen. Wolfgang Flügel

Magdeburg

Jan Carsten Schnurr: Weltreiche und Wahrheitszeugen. Geschichtsbilder der protestantischen Erweckungsbewegung in Deutschland 1815–1848. Göt­ tingen: V&R 2011 (AGP, 57). – 464 S. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um den kühnen Versuch, die unterschiedlichsten historischen Darstellungen der Erweckungsbewegung des Vormärz zu erfassen, im Überblick darzustellen und daraus das Geschichtsbild (der Vf. sagt richtiger: die Geschichtsbilder) der Erweckungsbewegung zu erheben. Zu diesem Ziel gliedert sich die Arbeit in drei Teile: 1. Überblick über die Literatur der erwecklichen Historiographie, 2. Detailanalyse des Werkes von Christian Gottlob Barth: Die allgemeine Weltgeschichte nach bibli­ schen Grundsätzen (1837) und 3. Erhebung der Geschichtsbilder der Erwe­ ckungsbewegung. So übersichtlich und verständlich wie diese Gliederung ist auch die Ausführung der drei Hauptteile. Die Präsentation der historischen Darstellungen im ersten Teil erfasst Weltund Nationalgeschichten, Kirchen- und Missionsgeschichten, Biographien, historisch-philologische Verteidigungen der Bibel und theoretische Schriften zur erwecklichen Historiographie. Leuchtet es unmittelbar ein, dass bei dieser Thematik so wichtige Werke wie Heinrich Leo: Lehrbuch der Universalge­ schichte (6 Bände 1835–1844) oder Nicolai Frederik Severin Grundtvig: Ueber­ sicht der Welt-Chronik vornämlich des Lutherischen Zeitraums (dänisch 1835, deutsch 1837, 500 S.) oder des Erlangers Johann Christian Konrad von Hof­ mann: Lehrbuch der Weltgeschichte für Gymnasien (1839, 2 Bände) behandelt werden, so zeugt es von der Umsicht des Vf.s, dass er sich nicht nur auf die einschlägigen historischen Darstellungen und Biographien beschränkt, son­ dern auch die Antworten erweckter Theologen auf die Bibelkritik von Ferdi­ nand Christian Baur oder David Friedrich Strauß einschließt. Er beschränkt 3 Thomas J. Müller: Kirche zwischen zwei Welten. Die Obrigkeitsproblematik bei Heinrich Melchior Mühlenberg und die Kirchengründung der deutschen Lutheraner in Pennsylvania (Transatlantische Historische Studien. Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Washington, DC, 2), Stuttgart 1994, 104–156.

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sich dabei auf die Auseinandersetzung um die Urgeschichte, das Buch Daniel und die Evangelien. In gleicher Weise setzt er sich mit den Anfängen des Historismus und der Reaktion der erweckten Historiographen in Zustim­ mung und Ablehnung auseinander. Dabei untersucht er den Topos der Geschichte als magistra vitae, der in der Erweckung nicht im einzelnen Beispiel, sondern in der geschichtlichen Gesamtschau und ihrer pädagogischen Anwen­ dung auf die Persönlichkeitsbildung des Lesers gesehen wird. Schnurr behan­ delt die Thematik in dem Kapitel „Geschichtspredigt“ und bietet aufschluss­ reiche Hinweise zur Semantik und Metaphorik erwecklicher Geschichts­ schreibung (164–178). „Nicht der Topos von der historia magistra an sich, sondern seine christlich-erweckliche Interpretation und Verwendung ist das Proprium der Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung.“ (164) In einem weiteren Abschnitt (178–182) zeigt der Autor die Nähe zu einer romantischen Geschichtsbetrachtung (Organismusgedanke, Aufklärungskritik, Konservati­ vismus, Wertschätzung des Subjektiven und Individuellen) und die Abgren­ zung ihr gegenüber (gegen ein zyklisches Geschichtsmodell, Mittelaltervereh­ rung, ersatzreligiöse ästhetische Begeisterung, Verhaftung im Subjektiven) sowie die Kritik an Hegels Geschichtsdenken auf. Zwar diene diese Ge­ schichtsschreibung vornehmlich dem innerkirchlichen Gebrauch, insbeson­ dere für die Konfirmandenarbeit und die Seminare der Inneren und Äußeren Mission, aber über die Schulverwaltungen und die Volksschullehrer gelangte sie auch darüber hinaus in eine weitere Öffentlichkeit. Freilich sei es bezeich­ nend, dass unter den erwecklichen Autoren keine bedeutenderen wissen­ schaftlichen Historiker gewesen seien. Im zweiten Teil geht der Autor dem Inhalt der Allgemeinen Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen von Barth nach, um an ihr die typischen Inhalte und Deutungsmuster dieser 373 Seiten umfassenden populären Universalge­ schichte aufzuweisen, die „den Plan Gottes in der Geschichte der Menschheit nachzuweisen“ sucht (200). Der Vf. skizziert hier zunächst die lebensge­ schichtliche Verankerung des Werkes und einige ihrer fundamentalen Kenn­ zeichen, wie den radikalen ethischen Dualismus von Gut und Böse, der an Gottes Gerichtshandeln in der Geschichte verdeutlicht wird. Christi Mensch­ werdung gilt Barth als der Schlüssel der Weltgeschichte. „Alles, was vorange­ gangen, muß Vorbereitung auf diese Tat Gottes, alles, was nachfolgt, muss Entwicklung derselben seyn.“ (215) Im Grunde wird die Bibel zum Deu­ tungsmuster der Geschichte: „Wer die Bibel versteht, der versteht auch die Geschichte.“ (216) Bei der Analyse des Barthschen Werkes folgt der Vf. nicht dem Geschichtsverlauf, also der Darstellung von Barth, sondern beschränkt sich auf ausgewählte Themen wie: „National gefärbter Eurozentrismus“, „Konservativ-christliche politische Ordnungsvorstellungen“, „Gesellschaftsund Gegenwartsanalysen“ (Sicht von Pauperismus und industrieller Revolu­ tion). Man könnte denken, dass der Württemberger Barth sich stark von Ben­ gels apokalyptischer Schriftdeutung beeinflussen lässt, das ist aber nicht der Fall, auch wenn die Vier-Weltreiche-Lehre des Danielbuches für die Zeit vor 295

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Christus und die Apokalypse danach zum Verständnis der Geschichte (Wie­ derherstellung des Staates Israel, Auftreten des Antichrists, Verfallsidee) die­ nen. Der dritte Teil zieht aus dem Gesagten die Konsequenzen und entfaltet auf der Basis des erhobenen Quellenmaterials einige Schwerpunkte unter den bei­ den Themen: „Fortschreitende Entwicklung des göttlichen Erziehungsplanes“ und „Geschichte als Identitätsspenderin“. Hier findet man im ersten Teil die erstaunlich positive Sicht der klassischen Antike, insbesondere der Rolle von Sokrates, hier entfaltet der Autor das erweckliche Verständnis des Reiches Gottes im Gegenüber zu den Weltreichen, das paulinische Religionsverständ­ nis anhand von Rom 1,18–32, die Rolle Israels und der Juden und die Unter­ scheidung von „Geschichtsvölkern“ und geschichtslosen Völkern. Im zweiten Teil untersucht Schnurr zunächst den Patriotismus der Geschichtsschreiber, für die einzelstaatlicher und deutscher Nationalismus gleichwertig nebenei­ nander stehen. Vorrangig gehe es ihnen um das Christentum, so dass gilt: „Nationalismus und Internationalismus gehen Hand in Hand“ (309). Die Denkfigur der „Chosen People“ in Parallele zur Erwählung Israels tauche im Vormärz nicht auf, aber immerhin könne Johann Daniel von Braunschweig Europa als „neues Bundesvolk“ bezeichnen (313). Die heilsgeschichtliche Sicht der Erweckten halte aber grundsätzlich an der Erwählung Israels als irdi­ sches Bundesvolk fest. Unter den deutschen Ländern trage Württemberg die Krone, da es zehn Prozent aller evangelischen Missionare stelle. International gesehen erkenne man in England und Deutschland die führenden Nationen, während man Frankreich als dem Land der Aufklärung und Revolutionäre kritisch gegenüberstehe. In politischer Hinsicht schätze man mit Friedrich Julius Stahl die Form der Monarchie oder den „fürsorglichen christlichen Fürsten“ (Gustav-Adolf von Schweden, Herzog Christoph von Württem­ berg, Ernst den Frommen), lehne aber die parlamentarisch-repräsentative Ver­ fassung als mögliche Bedrohung ab. Schnurr skizziert die grundlegende Rolle von Reformation und Pietismus als Vorgängerbewegungen der Erweckung und die Frontstellung gegen Katholizismus und Aufklärung, wobei es aber durchaus Ausnahmen gibt und etwa der Missionar Bonifatius oder die heilige Elisabeth als Glaubenszeugen, der Jansenismus oder der Kreis um Bischof Johann Michael Sailer als Ideenge­ ber für die Erweckung anerkannt werden. Auch in der Ablehnung der Auf­ klärung nimmt man Gestalten wie Johann Heinrich Pestalozzi oder Friedrich Schleiermacher aus. Prägend für die erweckliche Geschichtsschreibung ist die Erfahrung der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege, der mit den Befreiungskriegen und der Heiligen Allianz die positive Bewegung einer Rechristianisierung Europas gegenübersteht. Doch werde die eigene Zeit durchaus ambivalent als eine Zeit der Beschleunigung gesehen und dem „gefühlten Modernitätsvorsprung“ stehen neue, radikal nicht-christliche Bewegungen wie der Linkshegelianismus und die Religionskritik gegenüber (374). Das prononcierte Geschichtsbewusstsein der Erweckungsbewegung 296

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unterstreiche letztlich die „Bedeutung des Geschichtsdenkens für die Mentali­ tätsgeschichte des Vormärz“ (390). Das Buch gibt einen vorzüglichen Einblick in ein weites Feld historischer Forschung, und der Vf. hütet sich mit Erfolg gegen ein zu pauschales einseiti­ ges Urteil, indem er ein differenziertes Bild entwirft, das die Mannigfaltigkeit der Anschauungen zur Sprache bringt. Es ist ihm gelungen, eine klare und verständliche Überschau über eine breite Literatur zu geben, die in einem rei­ chen Quellen- und Literaturverzeichnis aufgelistet wird. Dass der Autor eine gewisse Vorliebe für den schwäbischen Pietismus hat, scheint immer wieder durch, gibt dem Werk aber Farbe und Konturen. Freilich hätte eine Darstel­ lung etwa aus ostdeutscher Perspektive (die schlesische Erweckungsbewegung wird gar nicht erwähnt) das Auseinandertreten der Erweckung in eine konfes­ sionelle und eine kirchlich-irenische Linie stärker betont und gelegentlich andere Akzente gesetzt. 1830 trennt sich der erweckte Johann Gottfried Scheibel von der Landeskirche, weil sie Martin Luther preisgebe, und begrün­ det eine selbstständige Freikirche. Gern hätte man eine ausführlichere Ausein­ andersetzung mit dem Geschichtsbild des Pietismus über Johann Albrecht Bengel hinaus gelesen (Gottfried Arnold, Johann Franz Buddeus, Georg Kon­ rad Rieger, Nikolaus Ludwig von Zinzendorf u. a.). Doch erscheint mir das gezeichnete Bild zutreffend und ist in seinem abwägenden umsichtigen Urteil sehr ansprechend. Das Buch legt eine Schneise in eine bisher wissenschaftlich wenig aufgearbeitete Literatur und kann verdeutlichen, wie spannend eine Beschäftigung mit dem Geschichtsdenken und den erwecklichen Theologen des Vormärz ist. Dietrich Meyer

Herrnhut

Veronika Jüttemann: Im Glauben vereint. Männer und Frauen im protestan­ tischen Milieu Ostwestfalens 1845–1918. Köln [u. a.]: Böhlau 2008 (L’Homme Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft, 16). – 483 S., graph. Darst. Die vorliegende Untersuchung fragt nach den „komplexen Wechselwir­ kungen“ von Religion, Geschlecht und Lebenswelt (10; 408). Sie ist angelegt als Regionalstudie, weist mit ihrem methodischen Ansatz wie auch mit ihren Forschungserträgen aber deutlich und innovativ über sich hinaus auf über­ greifende religions- und geschlechtergeschichtliche Fragestellungen. So hin­ terfragt die Vf.in kritisch die These einer Feminisierung der Religion1 im 19. 1 Im Rahmen ihres kulturgeschichtlichen Forschungsansatzes verhandelt Jüttemann den (erwecklich geprägten) Protestantismus ihres Untersuchungskontextes unter dem Oberbegriff „Religion“.

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Jahrhundert und revidiert diese anhand umfangreicher Quellenstudien sehr überzeugend. Differenziert analysiert sie die lebensweltliche Dimension von Religion und Frömmigkeit und arbeitet die prägenden Konzepte von Weib­ lichkeit und Männlichkeit heraus. Die Einleitung legt in eingängiger Weise Gegenstand und Methodik der Untersuchung dar und verortet sie im Kontext relevanter Forschungen. Die Frage nach den „geschlechtsspezifischen Dimensionen des Religiösen“ (10) einerseits und der „religiöse[n] Prägung der Geschlechterbilder und -rollen“ (ebd.) andererseits wird in der vorliegenden Arbeit umfassender als bisher the­ matisiert, indem zu ihrer Klärung die lebensweltliche Verankerung der Reli­ gion in den Blick genommen wird. Die Exemplarität des westfälischen Protes­ tantismus für Einfluss und Reichweite des „konservativen Kulturluthertums“2 wird nachvollziehbar hergeleitet und erweist sich deutlich im Verlauf der Dar­ stellung, zusätzlich begünstigt durch die große Vielfalt an Quellen, die zu Rate gezogen werden. Besonders hervorzuheben ist die subtile Analyse von Selbst­ zeugnissen ostwestfälischer Protestantinnen und Protestanten (welche die Heterogenität des Milieus widerspiegeln). Die methodischen Leitkonzepte (Milieu, Aneignung, soziales Geschlecht) erweisen sich als in hohem Maße erkenntnisfördernd. Der in der Einleitung entwickelte Forschungsansatz wird in der Darstellung transparent und effektiv umgesetzt: In Bezug auf die geschlechtsspezifischen Dimensionen des Religionssystems wird in einem ersten Hauptabschnitt beschrieben, in welcher Weise und mit welchen Grundzügen sich im 19. Jahr­ hundert ein protestantisches Milieu in Ostwestfalen herausbildete und konso­ lidierte. Weiterhin werden hier zwei Berufsgruppen genauer in den Blick genommen (Pfarrer und Diakonisse), die für die Milieubildung wie auch die Gestaltung von Geschlechterbildern und -rollen eine prägende Rolle spielten. Der zweite Hauptabschnitt untersucht, in welchem Maße und in welcher Weise der geschlechtsspezifische Alltag der Gläubigen wie auch ihre Vorstel­ lungen von Weiblichkeit und Männlichkeit religiös durchdrungen waren. Mit „Ehe und Familie“ sowie „Arbeit und sozialer Ordnung“ werden dafür zwei zentrale Lebensbereiche der westfälischen Protestantinnen und Protes­ tanten analysiert. In jedem der fünf Teilabschnitte werden zunächst Milieustandards und deren Gestaltungsprozesse innerhalb des Milieus erschlossen, danach die geschlechtsspezifischen Aspekte dieser Grundprinzipien herausgearbeitet. Abschließend werden die untersuchten Selbstzeugnisse dahingehend ausge­ wertet, in welchem Maße und in welcher Weise sich die individuellen Gläubi­ gen die Standards des protestantischen Milieus aneigneten. 2 Hier nimmt die Vf.in einen von Friedrich Wilhelm Graf geprägten Begriff auf, den dieser für eine Richtung protestantischer Theologie im deutschen Kaiserreich geprägt hat.

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Konsequenter als bisherige Forschungen arbeitet die Vf.in die beiderseitigen Wechselwirkungen zwischen Religion und Lebenswelt im untersuchten Kon­ text heraus. Überzeugend stellt sie dar, wie einerseits christlicher Glaube, der Anspruch auf das gesamte Leben der Menschen erhebt, ein genuines Interesse an der Definition und Gestaltung von Geschlechterrollen hat und wie ande­ rerseits geschlechterspezifische Funktionszuweisungen den Alltag der Men­ schen strukturierten. Deutlich wird hergeleitet, wie Standards des protestanti­ schen Milieus in Wechselwirkung religiöser und lebensweltlich verankerter Geschlechtervorstellungen entstanden und welch zentrale Rolle der Familie als Milieuinstitution zukommt. Jüttemann zeigt auf, wie die ländliche Lebens­ welt besonders anknüpfungsfähig für die von der Erweckungsbewegung geprägten Milieustandards war (z. B. asketische Tugenden), sodass sich in wei­ ten Teilen Ostwestfalens ein stabiles Milieu herausbildete, dessen Standards sich gegenüber veränderten gesellschaftlichen Bedingungen wie auch indivi­ duellen Lebenslagen einerseits als anpassungsfähig, andererseits auch als sinn­ stiftend und vergewissernd erwiesen und deshalb weitgehend ihre Deutungs­ macht bewahrten. Daneben erschließt die Autorin präzise die Grenzen des protestantischen Milieus z. B. gegenüber der Arbeiterschaft, die sie wesentlich durch die fehlende Verzahnung des Milieus mit Lebenswelt und Vorstellun­ gen bzw. Bedürfnissen der ArbeiterInnen bedingt sieht. In Bezug auf die geschlechterspezifische Fragestellung hinterfragt Jütte­ mann die bereits genannte These einer Feminisierung der Religion im 19. Jahrhundert und arbeitet heraus, dass es im Zuge der Ausgestaltung des pro­ testantischen Milieus nicht zur Dominanz eines Geschlechts in Kirchlichkeit und Frömmigkeit kam. Stattdessen zeigt sie sehr luzide auf, wie es zu einer vertieften Differenzierung von Geschlechterbildern und -rollen kam (418), wobei Frauen- und Männerbilder in hohem Maße komplementär zueinander verstanden wurden. Mit den Begriffen „Hauspriester-Väter“ und „mütterli­ che Gehilfinnen“ (278 u. ö.) beschreibt sie treffend Kernstandards, die inner­ halb des Milieus und im Laufe des Untersuchungszeitraums eine Vielzahl schichten- und situationsspezifischer Leitbilder ermöglichten. Die Handlungs­ spielräume von Frauen wurden durch diese Milieustandards zwar erweitert, indem diese z. B. Betätigung von Frauen in herkömmlich männlich konno­ tierten Bereichen einräumten (z. B. berufliche Tätigkeit, Kindererziehung), allerdings in letzter Konsequenz immer unter männlicher Oberhoheit. So wurden, trotz und mit der Ausweitung von weiblichen Gestaltungsräumen, sowohl die Hierarchie der Geschlechter als auch die Mehrfachbelastung von Frauen stabilisiert bzw. legitimiert. Angesichts dieser Untersuchungsergebnisse kennzeichnet Jüttemann das Verhältnis des westfälischen Protestantismus zur Moderne treffend als ein ambivalentes: Neben dem aktiven Eingehen auf die Zeitsituation, z. B. in der Anpassung überkommener Standards, in der Modernisierung kirchlichen Lebens und auch in den Beiträgen zur Entwicklung des modernen Sozialsys­ tems, vertrat das protestantische Milieu kontinuierlich ein konservatives 299

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Gesellschaftsmodell und schrieb dem (hierarchischen) Geschlechterverhältnis in gesteigertem Maße eine strukturierende Funktion innerhalb einer ent­ sprechenden sozialen Ordnung zu. Das Buch von Veronika Jüttemann leistet einen innovativen Beitrag zur Erforschung des 19. Jahrhunderts, in besonderem Maße zur historischen Geschlechterforschung und auch zur Erforschung der Erweckungsbewegung. Neben der Aufmerksamkeit für die lebensweltliche Dimension von Religion erweist sich die integrative Analyse von Männlichkeits- und Weiblichkeits­ vorstellungen als innovativer Forschungsansatz. Die Vf.in zeichnet ein facet­ tenreiches und quellenfundiertes Bild des ostwestfälischen protestantischen Milieus in geschlechtergeschichtlicher Perspektive, das sich nicht auf Aussa­ gen von Entscheidungsträgern beschränkt, sondern anhand der Selbstzeug­ nisse auch „eigenwillige Aneignungen“ der Milieustandards (20 u. ö.) durch die Gläubigen erschließt. Außerdem werden die Rahmenbedingungen der Milieubildung wie auch Prozesse der Konsolidierung oder Transformierung von Milieustandards diffizil beschrieben. In dieser an Informationen reichen Untersuchung wird die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes in beeindruckender Weise erfasst und struk­ turiert erschlossen. Die Interpretationen Jüttemanns sind sachlich fundiert, differenziert und sehr sensibel für die Quellen in ihrem Aussagegehalt. Von Grundtendenzen abweichende Phänomene werden aufmerksam dokumen­ tiert und nach Möglichkeit in das Gesamturteil einbezogen. An manchen Stel­ len hätte eine stärkere Strukturierung und Gewichtung der Analyseergebnisse innerhalb der einzelnen Kapitel die Darstellung leichter lesbar gemacht. Ins­ gesamt zeichnet sich die Arbeit jedoch durch eine hohe inhaltliche und methodische Kohärenz aus. Claudia Neumann

Halle a. d. Saale

Magnus Friedrich Roos – Ein Württembergertheologe und Schweden. Hg. v. Anders Jarlert. Lund: Lunds universitets kyrkohistoriska arkiv 2011 (Bibliotheca Historico-Ecclesiastica Lundensis, 51). – 104 S. Im Frühjahr 2009 fand in Lund das sechste Hilding Pleijel-Symposium statt. Das Thema lautete: „Der württembergische Theologe Magnus Friedrich Roos und Schweden“. Vor allem im 19. Jahrhundert gewann der württem­ bergische Pietist Magnus Friedrich Roos (1727–1803) mit seinen Schriften großen Einfluss in Schweden. Dies ist vor allem auch auf Henric Schartau (1757–1825) zurückzuführen, den er als Anhänger gewann. In den kirchli­ chen Erweckungsbewegungen, die im Südwesten von Schweden in Schartaus Gefolge entstanden, wurde Roos zu einer zentralen Gestalt. Die Bücher von 300

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Roos waren von der Wärme und Intensität des Pietismus geprägt, zugleich zeichneten sich seine Texte durch dogmatische Klarheit aus. Mit diesen Qua­ litäten lässt sich Roos’ große Beliebtheit zumindest teilweise erklären. Dass der Einfluss von Roos in Schweden größer als in Deutschland war und länger anhielt, ist bemerkenswert. Diese Tatsache rechtfertigt, dass die vorliegende, hauptsächlich schwedische Anthologie auf Deutsch veröffentlicht wurde. Die Anthologie ist deshalb so wertvoll, weil das hierin entstehende Gesamt­ bild mehr als die Summe der Einzelbeiträge ist. Im Folgenden möchte ich die­ sen größeren Zusammenhang, der sich aus den einzelnen Beiträgen ergibt, kurz skizzieren. Anstatt in Zeitungspolemiken gegen die neue Aufklärung zu argumentieren, wählte Roos eine andere Strategie. Er konzentrierte sich auf den Druck handlicher Büchlein, die sich bequem in der Tasche tragen ließen. Hartmut Lehmann macht deutlich, dass Roos sich ganz bewusst an ein einfa­ ches, frommes Publikum wandte. Roos wird damit zu einer Schlüsselgestalt einer alternativen Öffentlichkeit, die aus frommen Lesern besteht. Diese Öffentlichkeit ist vereinfacht gesagt eine Parallele zur Öffentlichkeit der Auf­ klärung. Hakon Långström erörtert in seinem Artikel Beispiele, die zeigen, inwiefern die Gruppe der „Roosleser“ bis in die Gegenwart in Schweden überlebt hat. Ebenso wie Lehmann arbeitet auch Oloph Bexell heraus, inwie­ weit das gedruckte Wort den Schlüssel zu einer Frömmigkeitskultur bildete. Er analysiert, wie der Verein „Pro Fide et Christianismo“ die Herausgabe von Roos Schriften in Schweden gefördert hat – auch außerhalb der kirchlichen Erweckungsbewegungen in Süd-und Westschweden. Die Anthologie schließt mit einer interessanten Begebenheit, die der schwedische Erzbischof Nathan Söderblom berichtet: Nach dem Tod des Schriftstellers August Strindberg hat er auf dessen Nachttisch ein Exemplar von Roos’ Christlichem Hausbuch mit deutlichen Gebrauchsspuren gefunden. Anders Jarlert präsentiert deutschen Lesern zum ersten Mal seinen bahnbre­ chenden Archivfund: ein bisher unentdeckter Brief vom 11. Januar 1792, den Roos an den Kaufmann und Vermieter Jonas Kjellberg auf Stortorp geschrie­ ben hat. In Schweden gilt Kjellberg als Pionier von Roos’ Schriften. Der Brief ist vollständig wiedergegeben und mit einem detaillierten Kommentar von Jarlert versehen. Der Brief untermauert das Bild von Roos als Vorkämpfer eines frommen Lesepublikums. Zudem belegt er, dass Roos seinen grössten Einfluss in Schweden hatte. Bengt Hägglund präsentiert die dogmatische Methode von Magnus Friedrich Roos und vergleicht diese mit der älteren, sogenannten Loci-Methode. Bei der Loci-Methode wurde der Glaube in Bezug auf die Lehre und ihre Standorte in einem logisch zusammenhängen­ den Ganzen präsentiert. Die Loci-Methode wurde ausgehend von Melanch­ thon entwickelt. In Schweden gewann sie durch ein Lehrbuch des württem­ bergischen Theologen Matthias Hafenreffer Einfluss. Laut Hägglund gehörte Roos jedoch einer neuen Zeit an, in der die Loci-Methode als altmodisch galt. Roos versuchte stattdessen, die Theologie einer neuen Zeit zu formulieren. An die Stelle der bisherigen theologischen Konzeptionen und philosophischen 301

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Rahmen tritt die biblische Sprache. Hägglunds Artikel leistet einen wichtigen Beitrag zu einem Gesamtbild von Roos als Schriftsteller des Volkes. Die Anthologie enthält auch einen längeren Artikel von Priscilla A. Hay­ den-Roy. Hier wird beschrieben, wie Friedrich Hölderlin in jungen Jahren von Magnus Friedrich Roos beeinflusst wurde. Der Artikel kritisiert und ver­ anschaulicht, wie die Literaturwissenschaft die theologische Kategorie „Würt­ tembergischer Pietismus“ häufig zu vereinfacht verwendet hat. Hayden-Roy präsentiert ein differenziertes, von Gegensätzen geprägtes Bild des württem­ bergischen Pietismus. Es ist allerdings anzumerken, dass der Text trotz seiner Qualitäten nicht wirklich unter das Gesamtthema „Roos und Schweden“ fällt. Da das Buch für ein internationales Publikum gedacht ist, wäre eine Seite mit kurzen Präsentationen der Autoren eine willkommene Ergänzung. Hier sei zumindest genannt, dass der Herausgeber Anders Jarlert Professor für Kir­ chengeschichte an der Universität Lund ist. Auch das Plädoyer von Hakon Långström für eine Neuübersetzung von Roos’ Christlichen Hausandachten ins Schwedische mag deutschen Lesern etwas entlegen vorkommen. Die Anthologie regt Überlegungen zum theologischen Erbe und zur Regionalität an. Der Pietismus in Württemberg hatte seine ganz eigene Aus­ prägung. In der Einleitung von Hermann Ehmer werden die Lebensgeschichte von Magnus Friedrich Roos und die württembergische Kirche zueinander in Beziehung gesetzt. Für die künftige Forschung wäre es auch interessant, die Besonderheiten der Regionen in Schweden, in denen Roos in erster Linie rezipiert wurde, zu analysieren. Der schartauische Pietismus in Schweden und der württembergische Pietismus haben jeweils die Legitimität der Kirche von innen heraus verstärkt. Auch wenn zwischen Westschweden und Württem­ berg große Unterschiede bestehen, wäre es interessant zu untersuchen, wes­ halb Roos als Theologe gerade in diesen beiden geografischen Regionen Ein­ fluss gewinnen konnte. Für ein Symposium über Hilding Pleijel, den großen Professor in Kirchen­ geschichte, ist das Thema „Roos in Schweden“ eine hervorragende Wahl. Eines der wichtigen Verdienste Pleijels bestand darin, große Zeiträume über­ blicken zu können. Dieser Sammelband bietet einen Schlüssel zum Verständ­ nis einer entscheidenden Übergangsgestalt in der schwedischen Kirchenge­ schichte. Urban Claesson

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Uppsala

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BIBLIOGRAPHIE

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CHRISTIAN SOBOTH UND OLIVER SEIDE

Pietismus-Bibliographie unter Mitarbeit von: Brigitte Klosterberg (Halle/Saale) und Claudia Mai (Herrnhut) Anschrift für Bibliographie- und Rezensionsteil des Jahrbuchs: Prof. Dr. Udo Sträter, c/o Interdisziplinäres Zentrum für Pietismusforschung der Mar­ tin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Franckeplatz 1, Haus 24, 06110 Halle a. d. Saale

Gliederung der Bibliographie: I. Allgemeines I.01 I.02 I.03

Bibliographien, Forschungsberichte Sammelwerke, Festschriften Gesamtdarstellungen, Gesamtwürdigungen

II. Vorgeschichte, begleitende Strömungen III. Deutschland III.01 III.02 III.03 III.04 III.05 III.06 III.07 III.08 III.09 III.10 III.11

Frömmigkeitsbewegung seit Johann Arndt Philipp Jakob Spener August Hermann Francke und der hallische Pietismus Radikaler Pietismus Reformierter Pietismus Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine Württembergischer Pietismus Regionalgeschichte Orthodoxie und Aufklärung in ihren Beziehungen zum Pietismus Übergang zur Erweckungsbewegung Strömungen und Entwicklungen nach 1830

IV. Andere Länder IV.01 IV.02 IV.03 IV.04 IV.05 IV.06 IV.07

England und Schottland Niederlande Schweiz Skandinavien Nordamerika Östliches Mitteleuropa, Osteuropa, Südosteuropa Sonstige

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V. Übergreifende Themen V.01 V.02 V.03 V.04 V.05 V.06 V.07 V.08 V.09

Theologie und Frömmigkeit Sozial- und Staatslehre, Pädagogik Ökumene, Mission und Diakonie Philosophie, Literatur, Kunst, Architektur und Musik Medizin, Naturwissenschaften und Psychologie Ökonomie, Industrialisierung Buch-, Bibliotheks- und Verlagsgeschichte, Medien und Kommunikation Gender Geschichtsbewusstsein und -konstruktion

Es gelten die Abkürzungen des Abkürzungsverzeichnisses der TRE. Im Folgenden bedeutet: ABQ AGP AHR AKG ARG ARPs ASKG ASNS ASSR BHTh BLT BPfKG BSHPF BSHST BWKG ChH ChM CrSt CScR CTQ CV DeP DNR DtPfrBl EMKG.M EnglSt ERT ETR EvQ EvTh FBPG FiHi

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American Baptist Quarterly Arbeiten zur Geschichte des Pietismus American Historical Review Arbeiten zur Kirchengeschichte Archiv für Reformationsgeschichte Archiv für Religionspsychologie Archiv für schlesische Kirchengeschichte Archiv für das Studium der neueren Sprachen Archives de sciences sociales des religions Beiträge zur historischen Theologie Brethren life and thought Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme Français Basler und Berner Studien zur historischen und systematischen Theologie Blätter für Württembergische Kirchengeschichte Church history Churchman Cristianesimo nella storia Christian scholar’s review Concordia Theological Quarterly Communio viatorum Doctrina et Pietas Documentatieblad Nadere Reformatie Deutsches Pfarrerblatt Evangelisch-methodistische Kirche Geschichte. Monographien English studies Evangelical review of theology Études théologiques et religieuses The Evangelical quarterly Evangelische Theologie Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte Fides et historia

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Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie Geschichte und Gesellschaft Glaube und Lernen Herbergen der Christenheit Historisches Jahrbuch Harvard theological review Homiletisch-liturgisches Korrespondenzblatt Historische Studien Historical Social Research/Historische Sozialforschung Hervormde teologiese studies Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte Journal of ecclesiastical history Journal of ecumenical Studies Jahrbuch für evangelikale Theologie Journal of the Evangelical Theological Society Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung Journal of literature and theology Journal of religious history Jahrbuch für schlesische Kirchengeschichte Jahrbuch für westfälische Kirchengeschichte Kyrkohistorisk årsskrift Kleine Texte des Pietismus Kerygma und Dogma Lutherische Kirche in der Welt Lutherische Beiträge Lutherische Theologie und Kirche Lutheran Quarterly Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes The Mennonite quarterly review Methodist history Mennonitische Geschichtsblätter Missiology Modern theology Mélanges de science religieuse Musik und Kirche Missionswissenschaftliche Forschungen Nederlands archief voor kerkgeschiedenis The New England Quarterly. A Historical Review of New England Life and Letters Neue Zeitschrift für Musik Ökumenische Existenz in Berlin-Brandenburg Ons geestelijk erf One in Christ. A catholic ecumenical review

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Paedagogica historica Positions Luthériennes Pietismus und Neuzeit Pietist and Wesleyan studies Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger Mission Quaderni storici Quaker History Reformatio Restoration quarterly Review and expositor Religion in Geschichte und Gegenwart Revue d’histoire ecclésiastique Revue d’histoire et de philosophie religieuses Revue de l’histoire des religions Reformierte Kirchenzeitung Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte Rivista di storia e letteratura religiosa The Sixteenth century journal Studien zur deutschen Landeskirchengeschichte Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte Theologische Beiträge Theologie für die Praxis Theologische Literaturzeitung Theologische Rundschau Theologische Revue Theologia reformata Theologische Zeitung Toronto journal of theology Theologische Realenzyklopädie Trinity studies. Trinity Evangelical Divinity School Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst des Trierer Landes . . . Bei­ heft Trierer theologische Zeitschrift Tyndale bulletin Unitas Fratrum Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte Wereld en Zending Westminster Theological Journal Wesleyan Theological Journal Wort und Dienst. Jahrbuch der Kirchlichen Hochschule Bethel Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift für Kirchengeschichte

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ZMiss ZNThG ZPT ZRGG ZSKG ZSRG.K ZThK Zwing. ZWLG

Zeitschrift für Mission Zeitschrift für neuere Theologiegeschichte Zeitschrift für Pädagogik und Theologie Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung Zeitschrift für Theologie und Kirche Zwingliana. Zürich Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte

I. Allgemeines I.01 Bibliographien, Forschungsberichte 1. Lehmann, Hartmut: Anmerkungen zur Frage der Deutungshoheit in Sachen Pie­ tismus: Offener Brief an Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Johannes Wallmann. In: PuN 39 [s. Nr. 21], 14–18. 2. Soboth, Christian u. Hans Goldenbaum: Pietismus-Bibliographie. In: PuN 39 [s. Nr. 21], 359–384.

I.02 Sammelwerke, Festschriften 3. Akten des XII. Internationalen Germanistenkongresses Warschau 2010. Vielheit und Einheit der Germanistik weltweit. Aufgaben der Erforschung der Mittleren Deutschen Literatur bzw. der Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Bd. 8. Hg. v. Franciszek Grucza. Frankfurt/Main [u. a.]: Lang 2012. – 353 S. – [enth. Nr. 183] 4. Bausteine zu einer Geschichte des weiblichen Sprachgebrauchs X. Texte – Zeug­ nisse des produktiven Sprachhandelns von Frauen in privaten, halböffentlichen und öffentlichen Diskursen vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Hg. v. Gisela Brandt. Stuttgart: Heinz 2012. – 241 S. – [enth. Nr. 166] 5. Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. FS Hanspeter Marti. Hg. v. Rei­ mund Sdzuj [u. a.]. Wien [u. a.]: Böhlau 2012. – 758 S. – [enth. Nr. 57, 177] 6. Die „Vita“ als Vermittlerin von Wissenschaft und Werk. Form- und funktions­ analytische Untersuchungen zu frühneuzeitlichen Biographien von Gelehrten, Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstlern. Hg. v. Karl Enenkel u. Claus Zit­ tel. Berlin: LIT 2013. – 376 S. – [enth. Nr. 73] 7. Epoche und Projekt. Perspektiven der Aufklärungsforschung. Hg. v. Stefanie Stockhorst. Göttingen: Wallstein Verl. 2013. – 325 S. – [enth. Nr. 105] 8. Evangelium und Erfahrung: 125 Jahre Gemeinschaftsbewegung. Hg. v. Frank Lüdke u. Norbert Schmidt. Berlin u. Münster: LIT-Verl. 2014. – 201 S. – [enth. Nr. 110 f. 114, 117 f. 191, 223] 9. Familientraditionen und Familienkulturen. Theoretische Konzeptionen, histori­ sche und aktuelle Analysen. Hg. v. Meike Sophia Baader [u. a.]. Wiesbaden: Springer VS 2013. – 283 S. – [enth. Nr. 168]

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10. Frühneuzeitliche Bibliotheken als Zentren des europäischen Kulturtransfers. Hg. v. Claudia Brinker-von der Heyde. Stuttgart: Hirzel 2014. – 281 S. – [enth. Nr. 225] 11. Geistliche Begleitung in evangelischer Perspektive: Modelle und Personen der Kirchengeschichte. Hg. v. Dorothea Greiner. Leipzig: Evang. Verl.-Anst. 2013. – 388 S. – [enth. Nr. 78, 91] 12. Geschichte und Wirkung des Heidelberger Katechismus. Vorträge der 9. Interna­ tionalen Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus. Hg. v. Matthias Freudenberg [u. a.]. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2013. – 252 S. – [enth. Nr. 76] 13. Gestalten des Deismus in Europa. Günter Gawlick zum 80. Geburtstag. Hg. v. Winfried Schröder. Wiesbaden: Harrassowitz 2013. – 291 S. – [enth. Nr. 216] 14. Glaube und Vernunft. Studien zur Kirchen- und Theologiegeschichte des späten 18. Jahrhunderts. Hg. v. Albrecht Beutel [u. a.]. Leipzig: Evang. Verl.-Anst. 2014. – 330 S. – [enth. Nr. 178, 222] 15. Goldenes Zeitalter und Jahrhundert der Aufklärung. Kulturtransfer zwischen den Niederlanden und dem mitteldeutschen Raum im 17. und 18. Jahrhundert. Hg. v. Erdmut Jost u. Holger Zaunstöck. Halle/Saale: Mitteldt. Verl. 2012. – 176 S. – [enth. Nr. 71, 101] 16. Gutes Leben und guter Tod von der Spätantike bis zur Gegenwart. Ein philoso­ phisch-ethischer Diskurs über die Jahrhunderte hinweg. Hg. v. Albrecht Classen. Berlin [u. a.]: De Gruyter 2012. – 470 S. – [enth. Nr. 53] 17. Kriminelle – Freidenker – Alchemisten: Räume des Untergrunds in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Martin Mulsow. Köln [u. a.]: Böhlau 2014. – 670 S. – [enth. Nr. 37, 161] 18. Lyra. Studien zur Theorie und Geschichte der Lyrik vom 16. bis zum 19. Jahr­ hundert. Hg. v. Hans-Henrik Krummacher. Berlin [u. a.]: De Gruyter 2013. – 570 S. – [enth. Nr. 214] 19. Literatur der Frühen Neuzeit und ihre kulturellen Kontexte. Bochumer Ringvor­ lesung im Sommersemester 2011. Hg. v. Andreas Beck. Frankfurt/Main [u. a.]: Lang 2012. – 259 S. – [enth. Nr. 187] 20. Musik in neuzeitlichen Konfessionskulturen (16. bis 19. Jahrhundert). Räume – Medien – Funktionen. Hg. v. Michael Fischer. Ostfildern: Thorbecke 2014. – 295 S. – [enth. Nr. 194] 21. Pietismus und Neuzeit. Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus. Bd. 39. Im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus. Hg. v. Udo Sträter [u. a.]. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. – 400 S. – [enth. Nr. 1 f., 59, 84, 86, 94, 104, 145, 162, 186, 226, 232] 22. Singen, Beten, Musizieren. Theologische Grundlagen der Kirchenmusik in Nordund Mitteldeutschland zwischen Reformation und Pietismus (1530–1750). Hg. v. Jochen M. Arnold [u. a.]. Göttingen: V&R unipress 2014. – 252 S. – [enth. Nr. 202, 206, 209, 217] 23. Sprachen des Glaubens. Philosophische und theologische Perspektiven. Hg. v. Martin Fritz. Stuttgart: Kohlhammer 2013. – 195 S. – [enth. Nr. 199] 24. The Myth of the Reformation. Hg. v. Peter Opitz. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. – 382 S. – [enth. Nr. 44, 48] 25. Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten (1470 – 1525/30). Hg. v. Joa­ chim Emig [u. a.]. Köln [u. a.]: Böhlau 2013. – 482 S. – [enth. Nr. 100]

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26. An introduction to Jacob Boehme. Four centuries of thought and reception. Hg. v. Ariel Hessayon. New York [u. a.]: Routledge 2014. – 315 S. – [enth. Nr. 49 f.] 27. Gotha macht Schule. Bildung von Luther bis Francke. Katalog zur Ausstellung der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha in Zusammenarbeit mit der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha vom 28. April bis 4. August 2013. Hg. v. Sascha Salatowsky. Gotha: Univ. Erfurt 2013. – 213 S. – [enth. Nr. 169, 171, 174, 176] 28. Scharfsinn und Frömmigkeit. Zum Werk von Catharina Regina von Greiffenberg (1633–1694). Hg. v. Gesa Dane. Frankfurt/Main [u. a.]: Lang-Ed. 2013. – 218 S. – [enth. Nr. 213] 29. Hamburgische Kirchengeschichte in Aufsätzen. Teil 4: Das 19. Jahrhundert. Hg. v. Inge Mager. Hamburg: Hamburg Univ. Press 2013. – 633 S. – [enth. Nr. 230] 30. Wilhelm Löhe: Theology and History – Theologie und Geschichte. Loehe Theo­ logical Conference III Fort Wayne in July 26th–30th 2011 of the International Loehe Society. Hg. v. Dietrich Blaufuß. Nürnberg: Verein für bayerische Kir­ chengeschichte 2014. – 349 S. – [enth. Nr. 106, 120–126, 158 ff., 179, 196] 31. Friedrich Nicolai im Kontext der kritischen Kultur der Aufklärung. Hg. v. Stefa­ nie Stockhorst. Göttingen: V&R unipress 2013. – 368 S. – [enth. Nr. 218] 32. Christian Palmer und die Praktische Theologie. Hg. v. Volker Drehsen [u. a.]. Jena: Garamond Verl. 2013. – 267 S. – [enth. Nr. 204] 33. Geschichte Pommerns im Überblick. Hg. v. Joachim Wächter. Greifswald: Sardel­ lus Verl.-Gesellschaft 2014. – 144 S. – [enth. Nr. 97] 34. Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium. Hg. v. Markus Bertsch. München: Hirmer 2013. – 379 S. – [enth. Nr. 220] 35. Christian Gotthilf Salzmann interdisziplinär. Seine Werke und Wirkungen in Theologie, Pädagogik, Religionspädagogik und Kulturgeschichte. Hg. v. Rainer Lachmann. Jena: Garamond 2013. – 309 S. – [enth. Nr. 170]

I.03 Gesamtdarstellungen, Gesamtwürdigungen 36. Andersen, Carl: Geschichte des Christentums. Bd. 4: Konfessionelles Zeitalter – Pietismus – Aufklärung. Stuttgart [u. a.]: Kohlhammer 2014. – 390 S. 37. Eißner, Daniel: Der Pietismus: eine imagined community im Untergrund? In: Kri­ minelle – Freidenker – Alchemisten [s. Nr. 17], 81–97. 38. Grabner-Haider, Anton [u. a.]: Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Von 1500 bis 1800. Göttingen [u. a.]: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. – 287 S. 39. Shantz, Douglas H.: An introduction to German pietism. Protestant renewal at the dawn of modern Europe. Baltimore: Johns Hopkins Univ. Press 2013. – XVIII, 490 S. 40. Sommer, Wolfgang: Frömmigkeit und Weltoffenheit im deutschen Luthertum. Leipzig: Evang. Verl.-Anst. 2013. – 426 S. 41. Taatz-Jacobi, Marianne: Erwünschte Harmonie. Die Gründung der FriedrichsUniversität Halle als Instrument brandenburg-preußischer Konfessionspolitik. Motive, Verfahren, Mythos (1680–1713). Berlin [u. a.]: Walter de Gruyter 2014. – 344 S. 42. Wels, Volkhard: Manifestationen des Geistes. Frömmigkeit, Spiritualismus und Dichtung in der Frühen Neuzeit. Göttingen: V&R unipress 2014. – 403 S.

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43. Dwyer, Phillip G.: The Rise of Prussia 1700–1830. Hoboken: Taylor and Francis 2014. – Online-Ressource, 570 S.

II. Vorgeschichte 44. Archilla, Aurelio A. Garcia: Non multos: Patterns of Conversion or State Spon­ sorship? Correlations of the Reformation with Early Christianity and Contempo­ rary Evangelical Conversionism. In: The Myth of the Reformation [s. Nr. 24], 124–138. 45. Harwood, Larry D.: Denuded devotion to Christ. The ascetic piety of Protestant true religion in the Reformation. Cambridge: James Clarke & Co 2013. – xxiii, 146 S. 46. Heal, Bridget: „Zum Andenken und zur Ehre Gottes“: Kunst und Frömmigkeit im frühneuzeitlichen Luthertum. In: ARG 104, 2013, 185–210. 47. Leppin, Volker: Die Reformation. Darmstadt: WBG 2013. – VII, 136 S. 48. van der Pol, Frank: „Reformation“ and „Reformers“, a 17th-Century Approach. In: The Myth of the Reformation [s. Nr. 24], 137–149. 49. Janz, Bruce B.: Conclusion: why Boehme matters today. In: An introduction to Jacob Boehme [s. Nr. 26], 279–293. 50. Martin, Lucinda: Jacob Boehme and the anthropology of German pietism. In: An introduction to Jacob Boehme [s. Nr. 26], 120–141. 51. Haykin, Michael A. G.: To the Ends of the Earth. Calvin’s Missional Vision and Legacy. Wheaton: Crossway 2014. – Online-Ressource, 197 S. 52. Studien zur Sprache, zum Werk und zu den wissenschaftlichen Positionen des Paracelsus. Hg. v. Internationale Paracelsus-Gesellschaft. Salzburg: Selbstverl. der Internat. Paracelsus-Ges. 2014. – 100 S. 53. Weeks, Andrew: Das gute Leben in einstürzenden Welten. Paracelsus, Valentin Weigel und Jakob Böhme. In: Gutes Leben und guter Tod [s. Nr. 16], 137–155. 54. Weigel, Valentin: Sämtliche Schriften. Bd. 5: Vom wahren seligmachenden Glau­ ben, Daß das Wort Gottes in allen Menschen sei, Wie der Glaube aus dem Gehör komme und andere Schriften. Hg. v. Horst Pfefferl. Stuttgart, Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2013. – XXXII, 136 S. 55. Weigel, Valentin: Sämtliche Schriften. Bd. 6: Handschriftliche Predigtensamm­ lung (Unvollständige Teilpostille). Hg. v. Horst Pfefferl. Stuttgart, Bad Cann­ statt: Frommann-Holzboog 2013. – XXXII, 260 S. 56. Žemla, Martin: Valentin Weigel. Mystik, paracelsián, theosof 16. století. Praha: Vyšehrad 2013. – 493 S.

III. Deutschland III.01 Philipp Jakob Spener 57. Blaufuß, Dietrich: Philipp Jacob Spener – Elias Veiel. Ein Postskriptum. In: Dich­ tung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur [s. Nr. 5], 147–155.

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58. Spener, Philipp Jakob: Briefe aus der Dresdner Zeit. 1686–1691. Bd. 3: 1689. Hg. v. Udo Sträter [u. a.]. Tübingen: Mohr Siebeck 2013. – XXXVI, 662 S. 59. Vom Orde, Klaus: Ein unveröffentlichter Traktat Philipp Jakob Speners: „Von der Unwürdigen Communion“ aus dem Jahr 1681. In: PuN 39 [s. Nr. 21], 193– 240.

III.02 August Hermann Francke und der hallische Pietismus 60. Jäger, Cornelia: Vom Hortus Medicus zur modernen Umweltbildung. Die Geschichte der Schulgärten in den Franckeschen Stiftungen. Halle: Franckesche Stiftungen zu Halle 2013. – 109 S. 61. Breul, Wolfgang: „Wie man eine Hand umwendet“. August Hermann Francke: Theologe, Schulgründer, Fundraiser, Missionar. In: Zeitzeichen 14, 2013, 3, 49– 52. 62. Gewissheit. Vision. Francke von heute aus gesehen. Katalog anlässlich der Interna­ tionalen Kunstausstellung der Franckeschen Stiftungen vom 22.09.2013 bis 23.03.2014. Hg. v. Peter Lang u. Moritz Götze. Halle/Saale: Verl. d. Francke­ schen Stiftungen 2013. – 104 S. 63. Ellsel, Reinhard: August Hermann Francke. Sein Leben und Wirken. Marburg: Francke 2013. – 92 S. 64. Francke, August Hermann: Schriften zur Biblischen Hermeneutik II. Hg v. Chri­ stian Soboth. Berlin u. New York: De Gruyter 2014 (im Druck). – 700 S. 65. Obst, Helmut; Francke, August Hermann: Einfältiger Unterricht wie man die Heilige Schrift zu seiner wahren Erbauung lesen solle. Halle/Saale: Verl. der Fran­ ckeschen Stiftungen 2013. – 7 S. 66. Ders.: „Er vertrauete Gott“. Francke-Predigten und Ansprachen 2003 bis 2013. Halle/Saale: Verl. der Franckeschen Stiftungen zu Halle 2013. – 141 S. 67. Ders.: August Hermann Francke und sein Werk. Festgabe anlässlich des Jubiläums­ programms zum 350. Geburtstag August Hermann Franckes „Vision und Gewiss­ heit“. Halle/Saale: Verl. der Franckeschen Stiftungen 2013. – 239 S. 68. Stein, Armin: August Hermann Francke. Zeit- und Lebensbild aus der Periode des deutschen Pietismus. Halle/Saale: Projekte-Verl. Cornelius 2013. – XII, 356 S. 69. Ebert, Berthold: August Hermann Franckes „Erziehung und Unterricht der Jugend“. In: Manuskripte, Thesen, Informationen 31, 2013, 32–47. 70. Kosch, Stephan: Franckes Erben: unterwegs im Bildungskosmos der Schulstadt. In: Zeitzeichen 14, 2013, 3, 53–58. 71. Sträter, Udo: Interessierter Beobachter oder Agent in eigener Sache? August Her­ mann Franckes Hollandreise 1705. In: Goldenes Zeitalter und Jahrhundert der Aufklärung [s. Nr. 15], 62–77. 72. Paul, Matthias: Johann Anastasius Freylinghausen als Theologe des hallischen Pie­ tismus. Halle/Saale: Verl. der Franckeschen Stiftungen 2014. – X, 512 S. 73. Suitner, Riccarda: Der Krieg der Biographen. Zu den ersten literarischen Darstel­ lungen der Leben von Christian Thomasius und August Hermann Francke. In: Die „Vita“ als Vermittlerin von Wissenschaft und Werk [s. Nr. 6], 295–327. 74. Jetter-Staib, Christina: Halle, England und das Reich Gottes weltweit – Friedrich Michael Ziegenhagen (1694–1776 ). Hallescher Pietist und Londoner Hofprediger. Halle/Saale: Verl. der Franckeschen Stiftungen Halle 2013. – IX, 501 S.

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III.03 Radikaler Pietismus 75. Wollenweber, Andreas: Quellenanalyse. Der radikale Pietismus anhand biogra­ phischer Darstellungen der Johanna Eleonora Petersen. [s. l.]: GRIN Verlag, 2014. – Online Ressource, 23 S.

III.04 Reformierter Pietismus 76. Yoder, Peter James: Reformierter Pietismus und Mission. Friedrich Adolph Lam­ pes Ausführungen zur Beziehung von Kirche und „Heidentum“ in seinen Erklä­ rungen zum Heidelberger Katechismus. In: Geschichte und Wirkung des Heidel­ berger Katechismus [s. Nr. 12], 141–156. 77. Benrath, Gustav Adolf: Die Freundschaft zwischen Gerhard Tersteegen und dem Mennoniten Arnold Goyen in Krefeld (1738–1762). In: Mennonitische Geschichtsblätter 70, 2013, 77–96. 78. Ludewig, Hansgünter: Geistliche Begleitung bei Gerhard Tersteegen. In: Geistliche Begleitung in evangelischer Perspektive [s. Nr. 11], 176–198. 79. Reschika, Richard: Ich will ins Meer der Liebe mich versenken. Die Mystik Ger­ hard Tersteegens für heute. München: Claudius 2013. – 269 S.

III.05 Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine 80. Lebensbilder aus der Brüdergemeine Hg. v. Dietrich Meyer. Herrnhut: Herrnhu­ ter Verl. 2007. – 309 S. 81. Cranz, David: Kurze, zuverlässige Nachricht von der Brüder Unität: das Zeremo­ nienbüchlein (1757). Hg. v. Rudolf Dellsperger. Herrnhut: Herrnhuter Verl. 2014. – 108 S. 82. Bannert, Lutz u. Daniel Geißler: Adel und Herrnhuter Pietismus. In: Adlige Lebenswelten in Sachsen. Kommentierte Bild- und Schriftquellen. Hg. v. Martina Schattkowsky. Köln [u. a.]: Böhlau 2013, 335–344. 83. Motel, Hans-Beat: „Mama, mein Herz geht kaputt“. Das Schicksal der Herrnhuter Missionskinder. Herrnhut: Comenius-Buchhandlung 2013. – 184 S. 84. Waczkat, Andreas: „Ei wie so selig schläfest du“. Herrnhuter Musik und Erinne­ rungskultur nach Zinzendorfs Tod. In: PuN 39 [s. Nr. 21], 19–26. 85. Briefe aus Labrador: die Johann Traugott und Catharina Vollprecht an ihre Tochter Emma schrieben 1854 – 1868. Hg. v. Hartmut Beck. Karlsruhe: ChBeck 2013. – 128 S. 86. Kemper, Hans-Georg: Zinzendorf – klassisch: „Herrnhut“ als „Lerngut“ in Goe­ thes Wilhelm Meisters Lehrjahre. In: PuN 39 [s. Nr. 21], 27–46. 87. Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von: Missionarisch-Katechetische Schriften und Reden. Bd. 2. Hg. v. Dietrich Meyer. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. 88. Kaiser, Tobias: Zinzendorfs Schriftverständnis in seinem theologiegeschichtlichen Kontext. Herrnhut: Herrnhuter Verl. 2013. – 442 S.

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III.06 Württembergischer Pietismus 89. Lambinet, Julien: Les principes de la méthode exégétique de J. A. Bengel (1687– 1752), piétiste du Württemberg. In: Ephemerides theologicae Lovanienses 89, 2013, 4, 253–278. 90. Blumhardt, Johann Christoph: Krankheit und Heilung an Leib und Seele. Auszüge aus Briefen, Tagebüchern und Schriften. Hg. v. Dieter Ising. Leipzig: Evangeli­ sche Verlagsanstalt 2014. – 300 S. 91. Knodt, Gerhard: Johann Christoph und Christoph Friedrich Blumhardt. Geistliche Begleitung in Bad Boll. In: Geistliche Begleitung in evangelischer Perspektive [s. Nr. 11] 256–266.

III.07 Regionalgeschichte 92. Fiedler, Frank u. Uwe Fiedler: Petermann, Georg. Pietistischer Pfarrer in Berlin, der Lausitz und Dresden. In: Lebensbilder aus der Oberlausitz: 58 Biografien aus Bautzen, Bischofswerda und Umgebung. Hg. v. dens. Norderstedt: Books on Demand 2013, 180–183. 93. Wieden, Brage bei der: Pietismus und Genealogie. Überlegungen zu Joachim Jus­ tus Breithaupts Dransfelder Ahnenforschung. In: Aus dem Süden des Nordens. Studien zur niedersächsischen Landesgeschichte für Peter Aufgebauer zum 65. Geburtstag. Bielefeld: Verl. für Regionalgeschichte 2013, 11–22. 94. Strom, Jonathan: Pietism and conversion in Dargun. In: PuN 39 [s. Nr. 21], 150– 192. 95. Windhorst, Christof: Gottreich Ehrenhold Hartog (1738–1816). Ein westfälischer Prediger zwischen Pietismus und Erweckung. In: JWKG 109, 2013, 309–345. 96. Plasger, Georg u. Ulrich Weiß: Pietistische Anfänge um 1700 in Nassau-Siegen. Laudationes und Vortrag anlässlich der Ehrenpromotion von Ulrich Weiß am 11. Mai 2011, Auditorium Maximum Universität Siegen. Siegen: Univ.-Verl 2013. – 49 S. 97. Metz, Brigitte: Der Weg der Pommerschen Kirche von Pietismus und Erweckungs­ bewegung zur Bekennenden Kirche. In: Geschichte Pommerns [s. Nr. 33], 99– 110. 98. Adlige Lebenswelten in Sachsen: kommentierte Bild- und Schriftquellen. Hg. v Martina Schattkowsky. Köln [u. a.]: Böhlau 2013. – 505 S. 99. Górska, Liliana: Samuel Schelwig als Gegener pietistischer Tendenzen im Danzig des 17./18. Jahrhunderts. In: Westpreußen-Jahrbuch 64, 2014, 57–66. 100. Michel, Stefan: Ein religiöses Zentrum des Vogtlandes im Wandel: institutionelle, sozial- und frömmigkeitsgeschichtliche Aspekte der Vorreformation in Weida. In: Vor- und Frühreformation [s. Nr. 25], 233–250.

III.08 Orthodoxie und Aufklärung in ihren Beziehungen zum Pietismus 101. Eijnatten, Joris van: The turning of the tide: German-Dutch intellectual influen­ ces at the interface of Pietism and Enlightenment. In: Goldenes Zeitalter und Jahr­ hundert der Aufklärung [s. Nr. 15], 128–139.

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102. Hannak, Kristine: „Geist=reiche Critik“. Hermetik, Mystik und das Werden der Aufklärung in spiritualistischer Literatur der Frühen Neuzeit. Berlin: De Gruyter 2013. – xii, 557 S. 103. Schrader, Hans-Jürgen: Feindliche Geschwister? Der Pietismus als Widersacher und Weggefährte der Aufklärung. Sachverhalte und Forschungslage. In: Epoche und Projekt [s. Nr. 7], 91–130. 104. Wallmann, Johannes: Theologiestudent, Kürassier, Waisenhauspräzeptor, Feld­ prediger und Zivilpfarrer. Der seltsame Lebenslauf des Johann Hermann Blume. In: PuN 39 [s. Nr. 21], 277–297. 105. Moore, Edward: An Outline of the History of Christian Thought Since Kant. Lanham: Start Publishing LLC 2013. – Online-Ressource, 300 S. 106. Blaufuß, Dietrich: Wilhelm Löhe und aufklärerische „Zeitbewegungen“. In: Wil­ helm Löhe: Theology and History [s. Nr. 30], 105–133. 107. Chalmel, Loïc: Oberlin. Ein Pfarrer der Aufklärung. Potsdam: Verein Oberlinhaus [u. a.] 2012. – 275 S.

III.9 Erweckungsbewegung 108. Jung-Stilling, Heinrich: Wir christlichen Pharisäer und frommen Spießer. Hg. v. Ernst Modersohn [u. a.]. Lüdenscheid: Edel 2013. – 56 S. 109. Merk, Gerhard: Jung-Stilling. Ein Umriß seines Lebens. Siegen: Jung-Stilling-Ges. 2013. – 211 S.

III.10 Strömungen und Entwicklungen nach 1830 110. Lehmann, Hartmut: Die evangelische Gemeinschaftsbewegung im kirchenpoliti­ schen Raum. In: Evangelium und Erfahrung [s. Nr. 8], 65–80. 111. Schnurr, Jan Carsten: Zeiterfahrung und Zeitkritik auf pietistischen Glaubens­ konferenzen der 1960er bis 1980er Jahre am Beispiel der Ludwig-Hofacker-Kon­ ferenz. In: Evangelium und Erfahrung [s. Nr. 8], 143–176. 112. Schwinge, Gerhard: „Flegeljahre“ der badischen evangelischen Kirche? Spätratio­ nalistische und spätpietistische Pfarrer über den Zustand der Kirche. Auseinander­ setzungen in Zeitungen und Streitschriften der Jahre 1843 bis 1850. Heidelberg [u. a.]: Verl. Regionalkultur 2013. – 95 S. 113. Stoltzfus, Duane C. S.: Pacifists in chains: the persecution of Hutterites during the Great War. Baltimore: Johns Hopkins University Press 2013. – xxi, 268 S. 114. vom Orde, Klaus: Wie pietistisch ist die Gemeinschaftsbewegung? In: Evange­ lium und Erfahrung [s. Nr. 8], 111–142. 115. Bolt, John: A Theological Analysis of Herman Bavinck’s Two Essays on the Imita­ tio Christi. Between Pietism and Modernism. Lewiston: The Edwin Mellen Press 2013. – Online-Ressource, 482 S. 116. Eppler, Wilhelm: Vom Nationalismus in die Apokalypse: die theologische Krise des kaisertreuen pietistischen Theologen Theodor Böhmerle während des ersten Weltkriegs. In: BWKG 113, 2013, 275–288. 117. Dietz, Thorsten: Glaube und Gewissheit: Variationen einer pietistischen Schlüs­ selfrage bei Theodor Christlieb, Theodor Jellinghaus und Karl Heim. In: Evange­ lium und Erfahrung [s. Nr. 8], 81–110.

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118. Brandl, Bernd: Der Einfluss der internationalen evangelischen Missions- und Evangelisationsbewegung auf die Gründungsphase des Gnadauer Verbandes. In: Evangelium und Erfahrung [s. Nr. 8], 35–64. 119. Deuschle, Matthias A.: Ernst Wilhelm Hengstenberg. Ein Beitrag zur Erforschung des kirchlichen Konservatismus im Preussen des 19. Jahrhunderts. Tübingen: Mohr Siebeck 2013. – xii, 658 S. 120. Blaufuß, Dietrich: Wilhelm-Löhe-Archiv. Eine historische Quellensammlung. In: Wilhelm Löhe: Theology and History [s. Nr. 30], 277–285. 121. Chung, Paul S.: Confession and Mission. Contextualizing Wilhelm Loehe. In: Wilhelm Löhe: Theology and History [s. Nr. 30], 53–73. 122. Corzine, Jacob: Loehe as an example of 19th Century Lutheran Chiliasm. In: Wil­ helm Löhe: Theology and History [s. Nr. 30], 87–105. 123. Nessan, Craig L.: Wilhelm Loehe in Deindörfer’s History of the Iowa Synod. In: Wilhelm Löhe: Theology and History [s. Nr. 30], 73–87. 124. Pless, John T.: Wilhelm Löhe als seelsorgerlicher Theologe. In: Wilhelm Löhe: Theology and History [s. Nr. 30], 255–277. 125. Schlichting, Wolfhart: Theorie und Praxis in Kirche und Amt. Löhes Briefwechsel mit Johann Caspar Heinrich Wedemann 1849–1850. In: Wilhelm Löhe: Theo­ logy and History [s. Nr. 30], 133–157. 126. Stephenson, John R.: Wilhelm Löhe, An Ecumenical Lutheran? From Nein through Jein to a Qualified Ja. In: Wilhelm Löhe: Theology and History [s. Nr. 30], 24–37.

IV. Andere Länder IV.01 England und Schottland 127. Whiteman, Darrell L.: World mission in the Wesleyan spirit. Franklin, TN: Seed­ bed Pub. 2014. – xviii, 358 S. 128. Wesley, John: Über allem die Liebe. Ein Brevier. Hg. v. Gotthart Falk [u. a.]. Göt­ tingen: Edition Ruprecht 2013. – Online-Ressource, 465 S.

IV.02 Niederlande 129. Eredics, Péter: Onderzoek naar Nederlandstalige theologische boeken in Hon­ gaarse vertaling (1600–1800). In: DNR 38, 2014, 1, 56–66. 130. Mouthaan, J. N.: Ecclesia semper reformanda – modern of premodern? Een besprekingsartikel. In: DNR 38, 2014, 1, 86–90. 131. op ’t Hof, W. J.: Hoe dachten oude schrijvers over . . . begrafenisrituelen? In: DNR 37, 2013, 2, 180–187. 132. van den Brink, G. A.: „Schade aan de leer van vrije genade“. De bestrijding van de antinomiaanse opvattingen over de rechtvaardiging door de Westminster Assembly (1643–1652). In: DNR 37, 2013, 2, 106–121. 133. Venemans, Dick: De functie van prenten in piëtistische liederenbundels. In: DNR 38, 2014, 1, 46–56.

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134. van den Hoven, C. H.: Johannes Costius (Jan Kost), een twistzieke tegenstander van Jacobus Koelman. De verbanning van Jacobus Koelman uit Zeeland en de spotschriften van Jan Kost. In: DNR 37, 2013, 2, 133–156. 135. op ’t Hof, W. J.: Het boekenbezit van een stichtelijk auteur te Haarlem in de tweede helft van de zeventiende eeuw. De boedelinventaris van Mattheüs du Bois (?-1695). In: DNR 37, 2013, 2, 156–180. 136. Tippe, K.: „Goede gaven, geleertheijd en godtvrugtigheijd“. Theodorus Noort­ bergh (1635–1681), voetiaan in Staphorst en Stavoren. In: DNR 37, 2013, 2, 121– 133. 137. Baarssen, D.: Enkele opmerkingen over de receptie van de geschriften van John Owen (1616–1683) door Alexander Comrie (1706–1774). In: DNR 38, 2014, 1, 27–46. 138. Krop, H. A.: Voetius’ programma van de Nadere Reformatie in de ogen van Mar­ tinus Schoock. In: DNR 38, 2014, 1, 2–27. 139. Grinwis, T.: Piëtistisch erfgoed. Ds. G. Udemans en de stad Goedereede. In: DNR 38, 2014, 1, 72–86. 140. Wijk, B. Van: Bijzondere vond in Brabantse archieven. Verslag van een zoektocht naar biografische gegevens over de predikant Franciscus Nicolai de Wael (1594– 1670). In: DNR 38, 2014, 1, 66–72. 141. Baarssen, D.: Een polemiek over de rechtvaardiging? Een theologische vergelij­ king van Theodorus van der Groe (1705–1784) en Alexander Comrie (1706–1774). In: DNR 37, 2013, 2, 97–106.

IV.03 Schweiz 142. Europa in der Schweiz. Grenzüberschreitender Kulturaustausch im 18. Jahrhun­ dert. Hg. v. Heidi Eisenhut. Göttingen: Wallstein 2013. – 336 S. 143. Schärli, Jolanda Cécile: Auffällige Religiosität. Gebetsheilungen, Besessenheits­ fälle und schwärmerische Sekten in katholischen und reformierten Gegenden der Schweiz. Hamburg: Diplomica Verlag 2012. – 387 S. 144. Konrad, Dagmar: Missionsbräute. Pietistinnen des 19. Jahrhunderts in der Basler Mission. Münster [u. a.]: Waxmann 2013. – 497 S. 145. Bütikofer, Kaspar: Michael Zingg (1599–1676). Ein Wegbereiter des Zürcher Pie­ tismus? In: PuN 39 [s. Nr. 21], 117–149.

IV.04 Skandinavien 146. Beyer, Jürgen: Pietist tracts in swedish, printed at Reval/Talinn in the early eigh­ teenth century: background and bibliographical career. In: Ajalooline ajakiri 147, 2014, 1, 115–135. 147. Erling, Maria: Danish Lutheran pietists and the Cherokee. In: LuthQ 27, 2013, 4, 421–438. 148. Nielsen, Erik Axel: H. A. Brorson: pietisme, meditation, erotik. Kopenhagen, DK: Gyldendal 2013. – 494 S.

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IV.05 Nordamerika 149. Becker, Rainald: Nordamerika aus süddeutscher Perspektive. Die Neue Welt in der gelehrten Kommunikation des 18. Jahrhunderts. Stuttgart: Franz Steiner Ver­ lag 2013. – 426 S. 150. Bente, Friedrich: American Lutheranism Vol 1. Lanham: Start Publishing LLC 2013. – Online-Ressource, 304 S. 151. Capps, Donald: Young Clergy. A Biographical-Developmental Study. Hoboken: Taylor and Francis 2014. – Online-Ressource, 271 S. 152. Smith, Samuel C.: A cautious enthusiasm. Mystical piety and evangelicalism in colonial South Carolina. Columbia, SC: University of South Carolina Press 2013. – XII, 259 S. 153. Railton, Nicholas: James Craig (1818–1899). Judenmissionar – Evangelist – Gemeindegründer. Husum: Matthiesen 2013. – 320 S. 154. Bezzant, Rhys S.: Jonathan Edwards and the church. Oxford [u. a.]: Oxford Uni­ versity Press 2014. – 329 S. 155. Edwards, Jonathan: Writings from the Great Awakening. Hg. v. Philip F. Gura. New York, NY: The Library of America 2013. – 801 S. 156. Stievermann, Jan: Faithful translations: new discoveries on the German Pietist reception of Jonathan Edwards. In: ChH 83, 2014, 2, 324–366. 157. Tan, Seng-Kong: Fullness Received and Returned. Trinity and Participation in Jonathan Edwards. Lanham: Fortress Press 2014. – 455 S. 158. Lohrmann, Martin: Wilhelm Löhe and the Ministerium of Pennsylvania. Löhe’s Reception among Contemporaries in the Eastern United States. In: Wilhelm Löhe: Theology and History [s. Nr. 30], 157–169. 159. Naumann, Cheryl D.: Assessing Löhe’s Influence on the North American Luthe­ ran Deaconess Movement. In: Wilhelm Löhe: Theology and History [s. Nr. 30], 169–189. 160. Schattauer, Thomas H.: Löhe’s “Agende” in America. In: Wilhelm Löhe: Theo­ logy and History [s. Nr. 30], 189–205.

IV.06 Sonstige 161. Laborie, Lionel: Spreading the seed: toward a French millenarian network in pie­ tist Germany? In: Kriminelle – Freidenker – Alchemisten [s. Nr. 17], 99–117. 162. Olsthoorn, Thea: „Wir haben keine Ohren.“ Kommunikationsprobleme und Missionsverständnisse bei der Verbreitung und Rezeption des Christentums in Grönland und Labrador im 18. Jahrhundert. In: PuN 39 [s. Nr. 21], 47–85.

V. Übergreifende Themen V.01 Theologie und Frömmigkeit 163. Hulse, Erroll: One in a Thousand. The Calling and work of a Pastor. Darlington: Evangelical Press 2014. – 277 S.

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164. Schönberger, Dennis: Gemeinschaft mit Christus. Eine komparative Untersu­ chung der Heiligungskonzeptionen Johannes Calvins, John Wesleys und Karl Barths. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2014. – xi, 430 S. 165. Koch, Traugott: Die „Passion-Betrachtungen“ der Catharina Regina von Greif­ fenberg im Rahmen ihres Lebenslaufes und ihrer Frömmigkeit. Göttingen [u. a.]: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. – 205 S. 166. Pfefferkorn, Oliver: Die Andachtstexte Catharina Regina von Greiffenbergs als Zeugnisse privater Frömmigkeit. In: Geschichte des weiblichen Sprachgebrauchs [s. Nr. 4], 31–48. 167. Fischer, Ole: Macht und Ohnmacht des frommen Mannes. Religion und Männ­ lichkeit in der Biographie Adam Struensees (1708–1791). Halle/Saale: Mitteldeut­ scher Verlag 2014. – 432 S.

V.02 Sozial- und Staatslehre, Pädagogik und Erziehung 168. Fischer, Ole: Pietismus und Aufklärung in Familienkonstellationen. In: Familien­ traditionen und Familienkulturen [s. Nr. 9], 163–191. 169. Gehrt, Daniel: Die Anfänge des protestantischen Bildungssystems in Gotha. In: Gotha macht Schule [s. Nr. 27], 11–18. 170. Kuhn, Thomas K.: Philanthropismus und Erweckungsbewegung. In: Christian Gotthilf Salzmann interdisziplinär [s. Nr. 35], 87–126. 171. Rieger, Miriam: Eine pietistische Ausbildungsstätte? Der Streit um das Gymna­ sium Illustre um 1700. In: Gotha macht Schule [s. Nr. 27], 89–95. 172. Schellenberg, Andreas: Pietismus und Pädagogik. Analysen anhand ausgewählter neuzeitlicher Quellen. Hamburg: Bachelor Master Publishing 2013. – 47 S. 173. Winkel, Carmen: Im Netz des Königs. Netzwerke und Patronage in der preußi­ schen Armee 1713 – 1786. Paderborn [u. a.]: Schöningh 2013. – 364 S. 174. August Hermann Francke: Bildung für alle. In: Gotha macht Schule [s. Nr. 27], 168–189. 175. Wallmann, Johannes: Friedrich der Große und die preußische Militärkirche. In: ZThK 111, 2014, 2, 148–178. 176. Strauch, Solveig: Religionsunterricht an den Schulen des Herzogtums Gotha im 17. Jahrhundert. In: Gotha macht Schule [s. Nr. 27], 55–59. 177. Zegowitz, Bernd: Pietismus light – Abraham Kyburz’ Lehrgedicht Theologia natu­ ralis et experimenta (1754). In: Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur [s. Nr. 5], 182–196. 178. Thiele, Michael: Der pietistische Schulmeister, der aufgeklärte Hofmeister? Lenz und Brecht schreiben Schule. In: Glaube und Vernunft [s. Nr. 14], 77–96. 179. Kothmann, Thomas: Wilhelm Löhe als Erzieher, Religionslehrer und Katechet. In: Wilhelm Löhe: Theology and History [s. Nr. 30], 205–255. 180. Oberlin, Johann-Friedrich: Briefwechsel und zusätzliche Texte. Correspondance et textes complémentaires. Bd. 1. Hg. v. Gustave Koch. Herzberg: Bautz 2013. – 390 S. 181. Oberlin, Johann-Friedrich: Briefwechsel und zusätzliche Texte. Correspondance et textes complémentaires. Bd. 2. Hg. v. Gustave Koch. Herzberg: Bautz 2014. – 408 S.

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182. Klepper, Jochen: Der Soldatenkönig und die Stillen im Lande. Begegnungen Friedrich Wilhelms I. mit August Hermann Francke, Gotthilf August Francke, Johann Anastasius Freylinghausen, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Halle/ Saale: Projekte-Verlag Cornelius 2013. – 177 S.

V.03 Ökumene, Mission und Diakonie 183. Becker-Cantarino, Barbara: Pietisten – Brieftexte und Migration. In: Vielheit und Einheit [s. Nr. 3], 95–98. 184. Fogleman, Aaron Spencer: Two troubled souls. An eighteenth-century couple’s spiritual journey in the Atlantic world. Chapel Hill, NC: The University of North Carolina Press 2013. – 336 S. 185. Liebau, Heike: Cultural encounters in India. The local co-workers of the Tran­ quebar mission, 18th to 19th centuries. New Delhi: Orient Blackswan 2013. – VIII, 558 S. 186. Ruhland, Thomas: „Ein paar Jahr muß Tranquebar und Coromandel wol Serieus das Object seyn“. Südasien als pietistisches Konkurrenzfeld. In: PuN 39 [s. Nr. 21], 86–116. 187. Trepp, Anne-Charlott: „Daher entsteht so viel naturhistorisches Unheil“. Wis­ sens- und Kulturtransfer zwischen Indien und Europa: die Halleschen Missionsbe­ richte. In: Literatur der frühen Neuzeit [s. Nr. 19], 229–255. 188. Whitmer, Kelly Joan: What’s in a name? Place, peoples and plants in the DanishHalle mission, c. 1710–1740. In: Annals of Science 70, 2013, 3, 337–356. 189. Hindu-Christian epistolary self-disclosures. „Malabarian Correspondence“ bet­ ween German Pietist missionaries and South Indian Hindus (1712 – 1714). Hg. v. Daniel Jeyaraj u. Richard F.Young. Wiesbaden: Harrassowitz 2013. – XVI, 349 S. 190. Cranz, David: Historie der Böhmischen Emigration. Eine historisch-kritische Edi­ tion. Hg. v. Matthias Noller. Wiesbaden: Harrassowitz 2013. – XLV, 285 S. 191. Lüdke, Frank: Evangelisation und Diakonie bei Theodor Christlieb. In: Evange­ lium und Erfahrung [s. Nr. 8], 189–196. 192. Dancke, Johann Heinrich: Die Tagebücher Johann Heinrich Danckes aus Behnesse 1770 – 1772. Hg. v. Martin Tamcke. Würzburg: Ergon-Verl 2013. – 92 S. 193. Schirmer, Jonathan: Der hallesche Pietismus um A. H. Francke und die Weltmis­ sion: Missionstheologie und Missionszusammenarbeit am Beispiel der DänischEnglisch-Halleschen Tranquebarmission. [s. l.]: GRIN Verlag, 2014. – Online Ressource, 26 S. 194. Grutschnig-Kieser, Konstanze: Carmen, inspiriertes Singen und Gesangbuch. Lie­ der im Kontext der Herrnhuter Brüdergemeinde. In: Musik in neuzeitlichen Kon­ fessionskulturen [s. Nr. 20], 151–164. 195. Sommer, Debora: Eine baltisch-adlige Missionarin bewegt Europa. Barbara Juliane v. Krüdener, geb. v. Vietinghoff gen. Scheel (1764–1824). Göttingen: Van­ denhoeck & Ruprecht 2013. – 726 S. 196. Schulz, Klaus Detlev: Wilhelm Löhe’s Missiological Perspective. In: Wilhelm Löhe: Theology and History [s. Nr. 30], 37–53.

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V.04 Philosophie, Literatur, Kunst, Architektur und Musik 197. Batzke, Alexander: Die Angst vor dem Ende. Pietistischer Chiliasmus. [s. l.]: GRIN Verlag 2013. – Online Ressource, 23 S. 198. Eikelboom, Arie: Hymnologie. Enkele niet-piëtistische dichters uit de eerste helft van de achttiende eeuw in Duitsland en de opkomst van het rationalisme. [Den Haag]: Huize Schuyt 2014. – 364 S. 199. Fritz, Martin: Erbauung durch Poesie. Die Anfänge einer Ästhetik der religiösen Sprache in Pietismus und Aufklärung. In: Sprachen des Glaubens [s. Nr. 23], 93– 116. 200. Henkys, Jürgen: Dichtung, Bibel und Gesangbuch. Hymnologische Beiträge in dritter Folge. Göttingen [u. a.]: Vandenhoeck Ruprecht 2013. – 308 S. 201. Ingalls, Monique [u. a.]: Christian congregational music. Performance, identity and experience. Farnham [u. a.]: Ashgate Publishing Limited 2013. – xii, 228 S. 202. Miersemann, Wolfgang u. McMullen, Dianne M.: „Ungeistliche“ und „leichtsin­ nige“ Weisen? Zur Eigenart „Hallensischer Melodien“ anhand ausgewählter Bei­ spiele. In: Singen, Beten, Musizieren [s. Nr. 22], 210–231. 203. Ojakangas, Mika: The voice of conscience. A political genealogy of Western ethi­ cal experience. New York, NY [u. a.]: Bloomsbury 2013. – VIII, 253 S. 204. Scharfe, Martin: Die Lüste der Augen: Pietismus, Leib, Sinnlichkeit, Kunst. In: Christian Palmer und die Praktische Theologie [s. Nr. 32], 183–215. 205. Telle, Joachim: Alchemie und Poesie. Deutsche Alchemikerdichtungen des 15. bis 17. Jahrhunderts. Untersuchungen und Texte. 2 Bde. Berlin: De Gruyter 2013. – 1079 S. 206. Otte, Hans: Schmuck und Ordnung: Liturgie und Kirchenmusik bei Caspar Cal­ vör. In: Singen, Beten, Musizieren [s. Nr. 22], 181–209. 207. Strunk, Reiner: Matthias Claudius. Der Wandsbecker Bote. Stuttgart: Calwer 2014. – 200 S. 208. Freylinghausen, Johann Anastasius: Geistreiches Gesangbuch. Edition und Kom­ mentar. Teil 3: Apparat. Hg. v. Dianne Marie McMullen u. Wolfgang Mierse­ mann. Berlin u. Boston: Verl. der Franckeschen Stiftungen Halle bei De Gruyter 2013. – 646 S. 209. Bunners, Christian: Lutherische Orthodoxie und Pietismus im Streit um die Kir­ chenmusik: dargestellt an der Kontroverse zwischen Christian Gerber und Georg Motz um 1700. In: Singen, Beten, Musizieren [s. Nr. 22], 161–180. 210. Kemper, Hans-Georg: Bildung zur Gottähnlichkeit. Transformationen pietisti­ scher und hermetischer Religiosität zur klassischen Kunst-Religion in Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. In: Goethe-Jahrbuch 130, 2013, 75–92. 211. Kodjio Nenguié, Pierre: Zur poetischen Inszenierung der Nord-Süd-Frömmig­ keit in Goethes „Der Gott und die Bajadere“ (1797). In: Revista de filología ale­ mana 21, 2013, 27–51. 212. Schrader, Hans-Jürgen: Schöne Seelen – prophetische Genies – Herzenssprache: Goethes pietistische Konnexe. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts N. F., 2014, 207–249. 213. Becker-Cantarino, Barbara: Frömmigkeit und Konversion. Zum Werk von Catharina Regina von Greiffenberg. In: Scharfsinn und Frömmigkeit [s. Nr. 28], 13–39.

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214. Krummacher, Hans-Henrik: Andreas Gryphius und Johann Arndt: zum Verständ­ nis der „Sonn- und Feiertags-Sonette“. In: Lyra [s. Nr. 18], 419–438. 215. Britton, Joseph Harp: Abraham Heschel and the phenomenon of piety. London [u. a.]: Bloomsbury 2013. – XIV, 308 S. 216. Kreimendahl, Lothar: Pietistisches Erbe und deistische Einsichten beim jungen Kant: zur Einschätzung der Frühschriften im Spannungsfeld von Theismus und Materialismus. In: Gestalten des Deismus [s. Nr. 13], 137–159. 217. Poetzsch, Ute: Erdmann Neumeisters Musikanschauung: berühmte Virtuosen und ein „unvergleichlicher Componist“. In: Singen, Beten, Musizieren [s. Nr. 22], 233–248. 218. Hannak, Kristine: „Heilige Thorheiten“ – Pietismus und Satire in Nicolais „Sebaldus Nothanker“ (1773 – 76). In: Friedrich Nicolai im Kontext [s. Nr. 31], 253–273. 219. Heigel, Julian: „Vergnügen und Erbauung“. Johann Jacob Rambachs Kantaten­ texte und ihre Vertonungen. Halle/Saale: Verlag der Franckeschen Stiftungen 2014. – X, 346 S. 220. Pütz, Saskia: Philipp Otto Runge zwischen Aufklärungstheologie und Erwek­ kungsbewegung. In: Kosmos Runge [s. Nr. 34], 229–237.

V.05 Medizin, Naturwissenschaften und Psychologie 221. Wilson, Renate: Die Halleschen Waisenhausmedikamente und die „Höchst nöthige Erkenntnis“ im amerikanischen Kolonialstaat Georgia. In: Francke Blät­ ter 2014, 1, 87–97.

V.06 Ökonomie, Industrialisierung 222. Spankeren, Malte van: Die Krise der Franckeschen Stiftungen. In: Glaube und Vernunft [s. Nr. 14], 47–56. 223. Mehl, Christoph: Glauben und Handeln in der Industrie: der christliche Unter­ nehmer Ernest Mehl (1836–1912). In: Evangelium und Erfahrung [s. Nr. 8], 177– 188.

V.07 Buch-, Bibliotheks- und Verlagsgeschichte, Medien und Kommunikation 224. Heehs, Peter: Writing the self. Diaries, memoirs, and the history of the self. New York: Bloomsbury Academic 2013. – vii, 296 S. 225. Klosterberg, Brigitte: Bibliotheken in der Bibliothek: Wissenstransfer durch pie­ tistische Privatbibliotheken in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen. In: Frühneuzeitliche Bibliotheken [s. Nr. 10] 199–214. 226. Lieburg, Fred van: Direkte Gotteserfahrung, Pietismus und Bibliomantie. In: PuN 39 [s. Nr. 21], 298–314. 227. Martin, Lucinda: The „Language of Canaan“. Pietism’s esoteric sociolect. In: ARIES 12, 2012, 237–253.

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V.08 Gender 228. Geschlechtlichkeit und Ehe im Pietismus. Hg. v. Wolfgang Breul u. Stefania Sal­ vadori. Leipzig: Evang. Verl.-Anst. 2014. – 239 S. 229. Roeber, Anthony Gregg: Hopes for better spouses. Protestant marriage and church renewal in early modern Europe, India, and North America. Grand Rapids, MI [u. a.]: Eerdmans 2013. – XXVIII, 289 S. 230. Mager, Inge: Weibliche Theologie im Horizont der Hamburger Erweckung. Amalie Sieveking (1794–1859) und Elise Averdieck (1808–1907). In: Hamburgi­ sche Kirchengeschichte [s. Nr. 29], 339–376.

V.09 Geschichtsbewusstsein und -konstruktion 231. Aland, Kurt: Die Annales Hallenses ecclesiastis: Das älteste Denkmal der Geschichtsschreibung des Halleschen Pietismus. In: Francke Blätter 2013, 1, 21– 30 u. 2, 56–61. 232. Stengel, Friedemann: Schrift, Ereignis, Kontingenz: zur Historizität der Bibelher­ meneutik im 18. Jahrhundert. In: PuN 39 [s. Nr. 21], 241–276.

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Personenregister Die gerade gesetzten Seitenzahlen verweisen auf den Haupttext, die kursiv gesetzten auf die Anmerkungen, die Nr.-Angaben auf die Bibliographie. Achilles, Andreas 228 Ackermann, Rudolf 187 Adolph Friedrich Herzog von Cambridge 107 Agrippa von Nettesheim 253 Aland, Kurt 203, 210, 292; Nr. 231 Albertus Magnus 143 Alt, Peter-André 253 Andersen, Carl Nr. 36 Andreä, Johann Valentin 168 Anton, Paul 34 Apel, Kim 283–285 Archilla, Aurelio A. Garcia Nr. 44 Aristoteles 277 Arnaldus de Villanova 143 Arndt, Ernst Moritz 260 Arndt, Johann 11, 14, 18–25, 28, 36, 50, 123–133, 148, 153, 246, 248 f., 254; Nr. 214 Arnold, Gottfried 148, 151, 255, 268, 297 Arnold, Jochen M. Nr. 22 Assmann, Jan 244 f., 249 Athias, Josef 38 Auerochs, Bernd 282 Aufgebauer, Peter Nr. 93 August Herzog zu Braunschweig-Lüneburg 20 Augusta Caroline Sophie Gräfin Reuß zu Ebersdorf 189 Augustinus 277 Averdieck, Elise Nr. 230 Baader, Meike-Sophia Nr. 9 Baarssen, D. Nr. 137, 141 Bacon, Francis 248, 250 Bacon, Roger 143

Bähr, Andreas 263–265 Bahrdt, Carl Friedrich 281 Bannert, Lutz Nr. 82 Barth, Christian Gottlob 82–85, 94 f., 294 f. Barth, Karl Nr. 164 Battier, Jean 120 Batzke, Alexander Nr. 197 Bauke-Rueggs, Jan 282 Baumann, Michael 262 Baumgarten, Siegmund Jacob 35 Baur, Ferdinand Christian 294 Bavinck, Herman Nr. 115 Bebbington, David 163 Beck, Andreas Nr. 19 Beck, Hartmut Nr. 85 Beck, Johann Tobias 120 Becker, Judith 260 Becker, Rainald Nr. 149 Becker-Cantarino Nr. 183, 213 Beer, Johann Christoph 66, 72 f. Bell, David A. 163 Bengel, Johann Albrecht 11, 15, 27 f., 35, 44 f., 48–50, 58, 63, 278, 295, 297; Nr. 89 Benrath, Gustav Adolf Nr. 77 Bente, Friedrich Nr. 150 Berger, Joachim Ernst 66 Berger, Peter L. 171 Bernus, Alexander von 153–155 Bertsch, Markus Nr. 34 Beutel, Albrecht Nr. 14 Bexell, Oloph 301 Beyer, Jürgen Nr. 146 Beyreuther, Erich 167, 174, 266 Bezzant, Rhys S. Nr. 154 Binder Gerhard 288

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Binder, Ludwig 287 f. Birken, Sigmund von 253 Blaufuß, Dietrich 236, 265 f., 269; Nr. 30, 57, 106, 120 Bloth, Hugo Gotthard 91 Blume, Johann Hermann Nr. 104 Blumhardt, Christoph Friedrich Nr. 91 Blumhardt, Johann Christoph Nr. 90 f. Böhme, Jakob 42, 50 f., 59, 146, 151, 153, 155, 157, 160, 246, 257; Nr. 26, 49 f., 53 Böhmerle, Theodor Nr. 116 Boissard, Jean Jacques 246 Bolt, John Nr. 115 Bonaventura de Launoy 31 Borch, Olaus 150 Bosshardt, Hans Rudolf 47 Bostoke, Robert 248 Böttger, Johann Friedrich 142 Bourignon, Antoinette 41 Bräker, Ulrich 47 Brandl, Bernd Nr. 118 Brandt, Gisela Nr. 4 Braunschweig, Johann Daniel von 296 Brecht, Bertolt Nr. 178 Brecht, Martin 10, 19 f. Breckling, Friedrich 72, 228, 257, 268 Breistein, Ingunn Folkestad 241 Breithaupt, Joachim Justus 227; Nr. 93 Breler, Melchior 19 ff. Breul, Wolfgang 257; Nr. 61, 228 Breymayer, Reinhard 5, 203, 207, 214, 276 Brinker-von der Heyde, Claudia Nr. 10 Britton, Joseph Harp Nr. 215 Brorson, H. A. Nr. 148 Brückner, Shirley 261 Brüel, Ludwig 119 Brunnholtz, Peter 292 Bruno, Jacob Pankratius 150 Bucer, Martin 81 Buchrucker, Karl 81 Budaker, Johannes 288 Buddeus, Johann Franz 297 Bugenhagen, Johannes 23 Bünau, Heinrich von 225 Bunners, Christian Nr. 209 Bunyan, John 222 Bütikofer, Kaspar Nr. 145 Buttlar, Eva von 152, 153 Buxtorf d. J., Johannes 236

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Caetano, Domenico Manuel 142 Callenberg, Johann Heinrich 211 Calvin, Johannes 292; Nr. 51, 164 Calvör, Caspar Nr. 206 Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von 221, 227 Canstein, Carl Hildebrand von 15–18, 38, 96, 99 f., 228 Cantor, Georg 251 Capps, Donald Nr. 151 Carl, Johann Samuel 45 Carletus, Angelus 225 Carpzov, Johann Benedikt 227, 235–237, 239 Carpzov, Johann Benedikt I. 238 Casaubon, Isaac 247, 249, 253 Casimir Graf zu Sayn-Wittgenstein-Berle­ burg 40, 41 Castell, Friedrich 153 Charles Herzog de Marsay 45 Charlotte Königin von England und Irland 187 Christian Ernst Markgraf von Branden­ burg-Bayreuth 137 Christlieb, Theodor Nr. 117, Nr. 191 Christoph Herzog von Württemberg 296 Christoph, Simon (alias Gaitzer) 289 Chung, Paul S. Nr. 121 Classen, Albrecht Nr. 16 Claudius, Matthias Nr. 207 Claus, Johann Daniel 115 Coccejus, Johannes 31, 148, 150, 152 Cohrs, Ferdinand 72 Colberg, Ehregott Daniel 246 Comenius, Johann Amos 267 Comrie, Alexander Nr. 137, 141 Corzine, Jacob Nr. 122 Costius, Johannes Nr. 134 Coudert, Allison 153 Craig, James Nr. 153 Cranz, David Nr. 81, 190 Crophius, Johann 266 Cyprian, Ernst Salomon 240 Dame, Gesa Nr. 28 Damm, Christian Tobias 27 Dancke, Johann Heinrich Nr. 192 Daniel, Thilo 262 Dante Alighieri 277 de Wal, Franciscus Nicolai Nr. 140

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Decken, Friedrich von der 107 Dee, John 251 Dellsperger, Rudolf 262; Nr. 81 Descartes, René 148 f. Deuschle, Matthias A. Nr. 119 Diec(k)mann, Johannes 20, 116 Diederich von der Recke, Herr zu Camen 141 Diesterweg, Adolph 86 Dietrich, Veit 67 Dietz, Thorsten Nr. 117 Diez, Heinrich Friedrich von 229 Dippel, Johann Conrad 142, 151–153 Divisch, Procop 51 Dorn, Gerhard 160 Dorothee Elisabeth Gräfin zur Lippe-Brake 24 Drehsen, Volker Nr. 32 Drese, Claudia 257 Du Bois, Mattheüs, Nr. 135 Dürr, Damasus 288 Düsterdieck, Friedrich 117 Dwyer, Phillip G. Nr. 43 Eardley, Culling 178 Ebeling, Florian 244 Ebert, Berthold Nr. 69 Eco, Umberto 251 Edwards, Jonathan Nr. 154–157 Ehmer, Hermann 302 Eijnatten, Joris van 241; Nr. 101 Eikelboom, Arie Nr. 198 Eisenhut, Heidi Nr. 142 Eißner, Daniel Nr. 37 Elers, Heinrich Julius 15, 24 f., 211 Ellsel, Reinhard Nr. 63 Emig, Joachim Nr. 25 Enekel, Karl Nr. 6 Eppler, Wilhelm Nr. 116 Erasmus von Rotterdam 222, 252 Eredicz, Péter Nr. 129 Erling, Maria Nr. 147 Ernesti, Johann August 278 Ernst der Fromme Herzog von SachsenGotha 65 Ernst Landgraf von Hessen-Rheinfels 135 Eß, Leander van 113 Ettmüller, Michael 146 Eusterschulte, Anne 250 f.

Fabricius, Sebastian Andreas 218 Faivre, Antoine 243, 252 Falk, Gotthart Nr. 128 Felbiger, Ignaz von 270 Fénelon, François 222 Festugière, André-Jean 244 Ficino, Marsilio 244 f., 247 f., 251–254 Fictuld, Hermann 153, 155 Fiedler, Frank Nr. 92 Fiedler, Uwe Nr. 92 Fischer, Johann 11, 19 f. Fischer, Michael Nr. 20 Fischer, Ole Nr. 167 f. Fliedner, Theodor 69, 89, 91–96 Fogleman, Aaron Spencer Nr. 184 Franck von Franckenau, Georg 135, 138 Franck, Sebastian 251 f. Francke, August Hermann 11, 12 f., 15–18, 20, 23–25, 29, 30, 37 f., 44, 68, 74 f., 82, 89, 96, 100, 120, 148, 151, 163, 168, 191, 202–212, 214–219, 221 f., 224, 226–230, 235, 237, 257, 289; Nr. 27, 61–71, 73, 174, 182, 193 Francke, David Balthasar 205 Francke, Gotthilf August 203, 207, 214, 218 f., 222, 225–228, 231; Nr. 182 Franz II. Kaiser von Österreich 169 Fresenius, Johann Philipp 45 Freudenberg, Matthias Nr. 12 Freylinghausen, Johann Anastasius 218; Nr. 72, 182, 208 Friedericka Gräfin von ReichenbachGoschütz 189 Friedrich I. König in Preußen 140 f., 145 Friedrich II. König von Preußen 169, 280; Nr. 175 Friedrich Magnus Markgraf von BadenDurlach 138 Friedrich Wilhelm I. König in Preußen 214; Nr. 182 Friedrich Wilhelm II. König von Preußen 279–282 Friedrich Wilhelm III. König von Preußen 164, 281 Fritsch, Ahasver 268 Fritz, Martin Nr. 23, 199 Fronius, Markus 288 Froschauer, Christoph 23, 43 Frowein, Caspar 140 Fulda, Daniel 258 f.

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Gäbler, Ulrich 167 Gehrt, Daniel Nr. 169 Geißler, Daniel Nr. 82 Gell, Robert 31, 44 Georg Friedrich d. J. Markgraf von Bran­ denburg-Ansbach 138 Georg III. König von England und Irland 168 Georg IV. August Friedrich (Sohn Georgs III.) 187 George, Stefan 154 Gerber, Christian Nr. 209 Gerhardt, Martin 91 Gernler, Lukas 120 Gert von der Recke Herr auf Berge, Schep­ pen und Witten 141 Gesenius, Justus 65 f. Gichtel, Johann Georg 34, 37 Giebe, Alfred 89 Gilly, Carlos 248 f. Glassen, Salomon 11 Glüsing, Johann Otto 30, 37 Goethe, Johann Wolfgang von 45, 169, 178, 255; Nr. 86, 210–212 Goeze, Johann Melchior 35 Goldenbaum, Hans Nr. 2 Górska, Liliana Nr. 99 Gottschick, Konrad 48 Götze, Moritz Nr. 62 Goyen, Arnold Nr. 77 Grabner-Haider, Anton Nr. 38 Graf, Friedrich Wilhelm 298 Greiffenberg, Catharina Regina von 247, 255; Nr. 28, 165 f., 213 Greiner, Dorothea Nr. 11 Greyerz, Kaspar von 264 Grinwis, T. Nr. 139 Gröschl, Jürgen 204 Gruber, Johann Adam 42 Grucza, Franciszek Nr. 3 Grutschnig-Kieser, Konstanze Nr. 194 Gryphius, Andreas 221; Nr. 214 Gsell, David 141 Gundling, Nicolaus Hieronymus 259 Gura, Philip F. Nr. 155 Gustav Adolf König von Schweden 296 Guyon, Jeanne Marie 41, 45 Habermann, Johann Baptist 288 Hafenreffer, Matthias 301

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Häfner, Ralph 249 Hager, Johann Georg 66 Hägglund, Bengt 301 f. Hahn, Michael 63 Hahn, Philipp Matthäus 11, 34, 45, 63, 276, 278 Handschuh, Johann Friedrich 292 Hannak, Kristine 251 f.; Nr. 102, 218 Hannemann, Johann Ludwig 246 Harsdörffer, Georg Philipp 288 Hartog, Gottreich Ehrenhold Nr. 95 Harwood, Larry D. Nr. 45 Hassel, Johann Heinrich 138 Haug, Johann Friedrich 40, 42 Hayden-Roy, Priscilla A. 302 Haydn, Joseph 186 Haykin, Michael A. G. Nr. 51 Heal, Bridget Nr. 46 Hedinger, Johann Reinhard 12 f., 36 f., 120 Hedwig Sophie Gräfin zur Lippe-Brake 24 Heehs, Peter Nr. 224 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 177, 295 Heigel, Julian Nr. 219 Heigl, Bernhard 287 Heim, Karl Nr. 117 Heimann, Mary 241 Heinrich XI. Graf Reuß 229 Helmont, Johann Baptist van 147 Helvetius, Johann Friedrich 147 Hengstenberg, Ernst Wilhelm Nr. 119 Henkys, Jürgen Nr. 200 Herberger, Valerius 238 Hermes Trismegistos 62, 143, 150, 244– 246, 248–251 Herrnschmidt, Johann Daniel 37 Heschel, Abraham Nr. 215 Hessayon, Ariel Nr. 26 Heumann, Christoph August 27 Hiller von Gertringen, Julia 24 Hiller, Matthäus 37 Hippokrates 143 Hochmann von Hochenau, Ernst Christoph 134, 141, 151, 155 Hochstetter, Gottlob Ludwig 83 Hoffmann, Friedrich 146 Hoffmeister, August 108 Hofmannswaldau, Christian von 254 Hohenthal, Peter von 270 f. Holcot, Robert 225 Hölderlin, Friedrich 177 f., 302

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Holmes, Janice 241 Hölscher, Lucian 260 Hölterhoff, Engelbert 140, 144 f. Homer 27, 148, 150, 221 Horch, Johann Heinrich 11, 39, 40, 43 Hörnick, Ludwig von 142 Horst, Johann Daniel 142 Hottinger, Johann Heinrich 236 Hübner, Johann 65 f., 68–72, 74, 82–86, 88 f., 94 f., 223 Hüffel, Christian Gottlieb 191 Hulse, Errol Nr. 163 Hus, Jan 267 f. Ingalls, Monique Nr. 201 Irmischer, Johann Konrad 67 Ising, Dieter Nr. 90 Jaenicke, Johannes 101 f., 104, 110, 176, 180 Jäger, Cornelia Nr. 60 Jakubowski-Tiessen, Manfred 259 Janz, Bruce B. Nr. 49 Jarlert, Andres 241 f., 301 f. Jellinghaus, Theodor Nr. 117 Jetta-Staib, Christina Nr. 74 Jeyaraj, Daniel Nr. 189 Johann Recke Freiherr zu Cleff 141 Jost, Erdmut Nr. 15 Junckherrot, Johann Jakob 11, 35 Jung-Stilling, Johann Heinrich 178–181, 275; Nr. 108 f. Kaiser, Jochen-Christoph 98 Kaiser, Tobias Nr. 88 Kannenberg, Michael 260 Kant, Immanuel 274, 278; Nr. 105, 216 Karl August Herzog von Sachsen-WeimarEisenach 169 Karl Ferdinand Prinz von BraunschweigWolfenbüttel 168 Karlstadt, Andreas 252 Kayser, Johann 42 Kemper, Hans-Georg 245, 247, 254 f.; Nr. 86, 210 Kempfer, Andreas 44 Kerckring, Daniel 146 Kerner, Justinus 275 Khunrath, Heinrich 134, 147, 251 Kiessling, Johann Tobias 180, 183 Kilcher, Andreas 253 Kircher, Athanasius 247 f., 250 f.

Kjellberg, Jonas 301 Klemm, Johann Christian 37 Klepper, Jochen Nr. 182 Klosterberg, Brigitte 68; Nr. 225 Knapp, Albert 94 Knapp, Georg Christian 105 f., 109, 190 Knodt, Gerhard Nr. 91 Knorr von Rosenroth, Christian 147, 149 Koberger d. Ä., Anton 225 Koch, Gustave Nr. 180, 181 Koch, Traugott Nr. 165 Kodjio Nenguié, Pierre Nr. 211 Koelman, Jacobus Nr. 134 Konrad, Dagmar Nr. 144 Köppen, Johann Ulrich Christian 211 Kortum, Karl Arnold 154 f. Kosch, Stephan Nr. 70 Koselleck, Reinhard 258 f. Köster, Beate 11, 15, 24, 27, 36 f., 42 Kothmann, Thomas Nr. 179 Kottwitz, Hans Ernst von 85, 110 Kramer, Gustav 118 Kratzenstein, Christoph Heinrich 75–78, 95 Kraushaar, Christian Otto 292 Krauter-Dierolf, Heike 256 Kreimendahl, Lothar Nr. 216 Krohnemann, Christian Wilhelm 137 Krop, H. A. Nr. 138 Krüdener, Barbara Juliane von Nr. 195 Krummacher, Hans-Henrik Nr. 18, 214 Krusenstjern, Benigna von 264 Kübel, Robert Benjamin 120 Kuhn, Thomas K. Nr. 170 Küsel, Matthäus 74 Küsel, Melchior 74 Kyburz, Abraham Nr. 177 Laborie, Lionel Nr. 161 Lachmann, Rainer Nr. 35 Lambinet, Julien Nr. 89 Lampe, Friedrich Adolph Nr. 76 Lang, Peter Nr. 62 Lange, Joachim 12 f., 223 Lange, Samuel Gotthold 255 Långström, Hakon 301 Lasco, Johannes a 222, 292 Latrobe, Christian Ignatius 186 f., 189 Lavater, Johann Kaspar 62, 262, 278 Law, Esteban 248 Leade, Jane 41

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Lehmann, Hartmut 163, 166 f., 192, 255, 301; Nr. 1, 110 Leibniz, Gottfried Wilhelm 51, 135, 277 Leinkauf, Thomas 244 Lenz, Jakob Michael Reinhold Nr. 178 Leopold I. (HRR) 138 Leppin, Volker Nr. 47 Less, Gottfried 60 Lessing, Gotthold Ephraim 131 Leu, Urs B. 262 Leunenschloß, Johannes von 148 Libavius, Andreas 246, 251 Liebau, Heike Nr. 185 Lieburg, Fred van 241, 260; Nr. 226 Lindner, Andreas 82 Locke, John 222 Logau, Friedrich von 65 Löhe, Wilhelm Nr. 30, 106, 120–126, 158– 160, 179, 196 Lohrmann, Martin Nr. 158 Löscher, Valentin Ernst 36, 37, 152, 240, 273 Lost, Christine 261 Lüders, Justus 228 Ludewig, Hansgünter Nr. 78 Lüdke, Frank Nr. 8, 191 Ludovoci, Daniel 146 Luhmann, Niklas 253 f. Lullus, Raymundus 143 Luther, Martin 10–15, 17, 18, 20, 21–23, 25 f., 30, 32, 35 f., 38, 42, 64–68, 88, 118, 120, 135, 148, 175, 222 f., 251 f., 297; Nr. 27 Macaulay, Zachary 187 Mager, Inge Nr. 29, 230 Magry, Peter Jan 241 Maier, Michael 148, 150 f., 246, 249 f. Malebranche, Nicolas 247, 277 Marbach, Johannes 81 Marheineke, Philipp 112 Marti, Hanspeter 262; Nr. 5 Martin, Lucinda Nr. 50, 227 Mather, Cotton 221–223 Mattsperger, Melchior 74 Maul, Christina Concordia 139 Maul, Hans Heinrich 135 Maul, Johann Lorenz 135 Maul, Johann Philipp 134–155 Maul, Johanna Constantia 139

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Maul, Johannes Constantin 139 Maul, Luther Daniel 135 May, Heinrich 44 Mayer, Johann Friedrich 13 McLeod, Hugh 241 McMullen, Dianne M. Nr. 202, 208 Mehl, Christoph Nr. 223 Mehl, Ernest Nr. 223 Meister Eckart 252 Melanchthon, Philipp 222, 301 Melchior, Christoph 64 Melchior, Johannes 65 Mencke, Otto 70 Mengelberg, Otto 91 Menken, Gottfried 191 Mercerus, Johann 146 Merian, Matthäus 74 Merk, Gerhard Nr. 109 Metz, Brigitte Nr. 97 Meyer, Dietrich 258; Nr. 80, 87 Meyer, Heinrich Wilhelm 24 Meyrink, Gustav 251 Michaelis, Johann Heinrich 44 Michel, Stefan Nr. 100 Miersemann, Wolfgang Nr. 202, 208 Mies, Anke 204 Milde, Heinrich 228 Modersohn, Ernst Nr. 108 Möller, Christian 27 Mönckeberg, Carl 117 Moore, Edward Nr. 105 More, Henry 151 Moritz Landgraf von Hessen-Kassel 135 Moritz, Karl Philipp 283–286 Mortimer, Peter 176 f. Morus, Thomas 249 Mosheim, Lorenz 227 Motel, Hans-Beat Nr. 83 Motz, Georg Nr. 209 Mouthaan, J. N. Nr. 130 Mozart, Wolfgang Amadeus 186 Muhlack, Ulrich 259 Mühlenberg, Heinrich Melchior 290–294 Müller, Sascha 237 Müller, Thomas 293 Müller-Langenthal, Friedrich 287 Mulsow, Martin 247, 251; Nr. 17 Münch, Matthäus Cornelius 94 Müntzer, Thomas 252

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Napoleon 101, 105, 107, 169, 181 Naumann, Cheryl D. Nr. 159 Naumann, Ursula 282 Neander, August 85 Nessan, Craig L. Nr. 123 Neubauer, Georg Heinrich 211 Neumeister, Erdmann 11, 12,15, 18, 36, 240; Nr. 217 Newton, Isaac 51, 254 Nicolai, Friedrich Nr. 31, 218 Nielsen, Erik Axel Nr. 148 Niemeyer, August Hermann 190 Nieuwentyt, Bernhard 51 Nikolaus von Kues 250, 252 Nipperdey, Thomas 98 Noller, Matthias Nr. 190 Noortbergh, Theodorus Nr. 136 Nöthiger-Strahm, Christine 262 Novalis 255 Oberlin, Johann Friedrich 180, 276; Nr. 107, 180 f. Obst, Helmut Nr. 65–67 Oetinger, Friedrich Christoph 15, 44, 48– 63, 66, 95, 134, 153, 155, 262, 276, 278 Ojakangas, Mika Nr. 203 Olsthoorn, Thea Nr. 162 op ’t Hof, Willem J. Nr. 131, 135 Opitz, Josua 65 Opitz, Martin 221, 253 Opitz, Peter 262; Nr. 24 Osiander, Lukas 123 Osselaer, Tine van 241 Otte, Hans Nr. 206 Overbeck, Johann 151 Ovid 148, 150 Owen, John 114; Nr. 137 Palmer, Christian Nr. 32 Paracelcus 143, 147, 148, 160, 246, 248, 249; Nr. 52 f. Pastorius, Franz Daniel 267 Pastorius, Melchior Adam 267 Paul, Matthias Nr. 72 Pauline Fürstin zur Lippe 110 Paulmann, Johann Ludwig 284 Perrault, Charles 256 Perthes, Friedrich 191 Pestalozzi, Johann Heinrich 89, 296 Petermann, Georg Nr. 92

Petersen, Johann Wilhelm 256 f. Petersen, Johanna Eleonora 41, 256; Nr. 75 Petrucci, Pietro Matteo 222 Pfaff, Christoph Matthäus 37k Pfefferkorn, Oliver Nr. 166 Pfefferl, Horst Nr. 54 f. Pfeiffer, Almut 203–206 Pfeiffer, Johann Laurentius 76 f. Pico della Mirandola 247, 249, 252 f. Pinkerton, Robert 99, 106–110, 114 f. Piscator, Johannes 21, 34, 38, 43 Pius VII. 112 Plajer, Dietmar 288 Plasger, Georg Nr. 96 Plautus 221 Pleijel, Hilding 300, 302 Pless, John T. Nr. 124 Plinius 222 Poetzsch, Ute Nr. 217 Polaschegg, Andrea 282 Pontanus, Johann 159 f. Pretten, Johann 23 f., 25 Pufendorf, Samuel von 228 Puttenham, George 253 Quandt, Johann Jakob 27 Raabe, Paul 203–206 Railton, Nicholas Nr. 153 Rambach, Johann Jacob 71 f.; Nr. 219 Ranke, Heinrich 259 Ranke, Leopold 259 Rappolt, Thomas 250 Raspe, Gabriel Nicolaus 73 Rathgeber, Christina 98 Rauschenbusch, August Ernst 82 Reimann, Jakob Friedrich 77 Reitz, Johann Henrich 11, 12, 22, 28, 31– 34, 35, 37–39 Reschika, Richard Nr. 79 Reuchlin, Johannes 143, 148 Richter, Karl 68 Richter, Ludwig 86, 96, 260 Rieger, Georg Konrad 268, 297 Rieger, Miriam Nr. 171 Rist, Johann 221 Robbins, Keith 241 Roeber, Anthony Gregg Nr. 229 Roos, Magnus Friedrich 37, 63, 300–302 Rübin, Maria Magdalena 139

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Rudolf II. (HRR) 251 Ruhland, Thomas Nr. 186 Rümelin, Georg Burckhardt 44 Runge, Philipp Otto Nr. 34 Ruopp, Johann Friedrich 228 Saalbach, Ulrich Christian 225 Sailer, Johann Michael 296 Salatowski, Sascha Nr. 27 Salvadori, Stefania Nr. 228 Salzmann, Christian Gotthilf Nr. 35, 170 Saubert d. J., Johann 21, 30 Saul, Nicolas 282 Schäfer, Gerhard 10, 48 Schäffer, Henrich Christian 35 Schalmel, Loïc Nr. 107 Scharfe, Martin Nr. 204 Scharff, Gottfried Balthasar 227 Schärli, Jolanda Cécile 262; Nr. 143 Schartau, Henric 300 Schattauer, Thomas H. Nr. 160 Schattkowski, Martina Nr. 82, 98 Schäufele, Wolf-Friedrich 256 Schaum, Johann Helfrich 293 Schefer, Ludwig Christof 39 f., 44 Scheibel, Johann Gottfried 297 Scheits, Matthias 20 Schellenberg, Andreas Nr. 172 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 177 Schelwig, Samuel Nr. 99 Scheuchzer, Johann Jakob 77 Scheurmann, Clemens Philipp 152 Schirmer, Jonathan Nr. 193 Schirnding, August von 175 f. Schleiermacher, Friedrich 176, 296 Schlichting, Wolfhart Nr. 125 Schmid, Christoph von 82 Schmidius, Sebastian 146 Schmidt, Norbert Nr. 8 Schneider, Bernhard 241 Schneider, Hans 262 Schnorr von Carolsfeld, Julius 94–96 Schnurr, Jan Carsten 295, 296; Nr. 111 Schomerus, Rudolf 292 Schönberg, Louise von 189 Schönberger, Dennis Nr. 164 Schoock, Martinus Nr. 138 Schott, Kaspar 250 Schrader, Hans-Jürgen 260; Nr. 103, 212 Schröder, Jacob 12 f.

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Schröder, Johann 146 Schröder, Winfried Nr. 13 Schulz, Klaus Detlev Nr. 196 Schütte, Johann Heinrich 140, 144 f. Schwabe, Christian 106, 182 Schwinge, Gerhard Nr. 112 Sdzuj, Reimund Nr. 5 Seckendorff, Veit Ludwig von 266, 272 Seebach, Christoph 44 Seidel, J. Jürgen 262 Sendivogius, Michael 147 Senguerd, Wolferd 136 Shantz, Douglas H. 257; Nr. 39 Sideralto, d. i. Johann Georg Hocheisen 12 Siderocrates, Samuel 249 Sidney, Philipp 253 Sieveking, Amalie Nr. 230 Simon, Richard 237 Şindilariu, Thomas 287 Smith, Samuel C. Nr. 152 Soboth, Christian 206; Nr. 2, 64 Söderblom, Nathan 301 Sokrates 296 Sommer, Debora Nr. 195 Sommer, Wolfgang Nr. 40 Sonderland, Johann Baptist 91 Spalding, Johann Joachim 58, 62 Spangenberg, August Gottlieb 58, 258 Spankeren, Malte van Nr. 222 Spee, Friedrich von 255 Spener, Philipp Jakob 15, 17–20, 23 f., 27, 29, 30, 44, 50, 58, 67, 89, 135, 150, 163, 168, 206, 208, 218, 222, 231, 237, 246, 256 f., 259, 261, 266–269, 288; Nr. 57– 59 Spizel, Gottlieb 236, 266, 268 Spyck, Margarethe Elisabeth von der 139 Stahl, Friedrich Julius 296 Stäudlin, Carl Friedrich 167 f. Stein, Armin Nr. 68 Steinbart, Johann Christian 72 Steinen, Johann Dietrich von 136, 138 Steinkopf, Carl (Karl) Friedrich A. 100, 102–107, 109, 112, 114, 177 f., 180–183, 187–190 Stengel, Friedemann 274–278; Nr. 232 Stephenson, John R. Nr. 126 Stern, Heinrich 19–21, 23 Stern, Johann 19–21, 23 Stidsen, Johannes Engaard 241

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Stievermann, Jan Nr. 156 Stockhorst, Stefanie Nr. 7, 31 Stoltzfus, Duane C. S. Nr. 113 Storr, Gottlob Christian 37 Straßberger, Andres 235, 238, 240, 282 Sträter, Udo Nr. 21, 58, 71 Strauch, Solveig Nr. 176 Strauß, David Friedrich 294 Strindberg, August 301 Strom, Jonathan 257; Nr. 94 Struensee, Adam Nr. 167 Strunk, Reiner Nr. 207 Stuber, Christine 262 Suitner, Riccarda Nr. 73 Swedenborg, Emanuel 57, 255, 274–278 Taatz-Jacobi, Marianne Nr. 41 Tamcke, Martin Nr. 192 Tan, Seng-Kong Nr. 157 Tancke, Joachim 160 Tauler, Johannes 123–133, 148, 252, 266 Telle, Joachim 251; Nr. 205 Teller, Wilhelm Abraham 51 f., 56, 62 Tersteegen, Gerhard 154; Nr. 77–79 Teutsch, Andreas 289 Theison, Philipp 254 Thiele, Michael Nr. 178 Tholuck, Friedrich August Gottreu 82, 85, 88, 150, 167, 168 Thomas Bruce, 7. Lord von Elgin 111 Thomas von Aquin 143 Thomasius, Christian 227 f., 238, 254; Nr. 73 Thomasius, Gottfried 228 Thomasius, Jacob 228, 246 Thornton, Henry 187, 189 Thummel, Augusta von 189 Till, Dietmar 253 Tippe, K. Nr. 136 Töllner, Justin 68 f. Töpfer, Thomas 269–273 Toxites, Michael 160 Traherne, Thomas 253 Trepp, Anne-Charlott Nr. 187 Trevisanus, Bernardus 160 Triller, Caspar Ernst 12, 33, 35 Tychsen, Oluf Gerhard 229 Udemans, G. Nr. 139 Ultmann, Johanna Augusta 189

Urlsperger, Johann August 17 f., 268 van den Brink, G. A. Nr. 132 van den Hoven, C. H. Nr. 134 van der Groe, Theodorus Nr. 141 van der Pol, Frank Nr. 48 Vansittart, Nicholas 187 Vaughan, Thomas 248 Veiel, Elias Nr. 57 Venemans, Dick Nr. 133 Venne, Cornelius de 137 Venne, Hieronymus de 137 Vergil 148, 150 Victoria Königin von England und Irland 189 Vockerodt, Gottfried 227 Voetius, Gisbert Nr. 138 Vogtherr, Johann Burkhard 138 Voigt, Christoph Nicolaus 288 f. Vollprecht, Catharina Nr. 85 Vollprecht, Emma Nr. 85 Vollprecht, Johann Traugott Nr. 85 vom Orde, Klaus Nr. 59, 114 Wächter, Joachim Nr. 33 Waczkat, Andreas Nr. 84 Wagner, Klaus 288 Waldtreich, Hans Jürg 20 Wallmann, Johannes Nr. 1, 104, 175 Watkins, Henry George 187 f. Wattewille, Friedrich von 80 Webster, John 248 Wedel, Georg Wolfgang 147 Wedemann, Johann Caspar Heinrich Nr. 125 Weeks, Andrew Nr. 53 Weidner, Daniel 282 Weigel, Christoph 74, 77 Weigel, Valentin 249; Nr. 53–56 Weise, Christian 70 Weise, Georg Friedrich 211 Weiß, Ulrich Nr. 96 Welling, Georg von 134 Wels, Volkhard 245, 249; Nr. 42 Wendland, Walter 167 Werner, Johann Friedrich 218 Werner, Karl 83 Wesley, John 168; Nr. 127 f., 164 Wessel, Carola 203 Whitefield, George 168

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Whiteman, Darrell L. Nr. 127 Whitmer, Kelly Joanne Nr. 188 Wichern, Johann Hinrich 115 Widmann, Thomas 66 Wieden, Brage bei der Nr. 93 Wien, Ulrich A. 287 Wiggermann, Uta 278–281 Wijk, B. Nr. 140 Wilberforce, William 187 Wilhelm Kurfürst von Brandenburg 138 Wilhelm V. (Oranien) 168 Wilhelm V. Landgraf von Hessen-Kassel 135 Wilson, Renate Nr. 221 Winckler, Johann 11, 20, 25 Windhorst, Christof Nr. 95 Winkel, Carmen Nr. 173 Witzenhaus, Josel 30, 37, 38 f. Woellner, Johann Christoph 278–282 Wolf, Barbara 135 Wolff, Christian 51, 277 Wollenweber, Andreas Nr. 75 Yates, Frances A. 247, 251

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Yates, Paula 241 Yoder, Peter James Nr. 76 Young, Richard F. Nr. 189 Zahn, Franz Ludwig 71, 82, 85 f., 88 f., 95 Zaunstöck, Holger Nr. 15 Zegowitz, Bernd Nr. 177 Zeidler, Ignaz 77 Zeller, Rosemarie 250 Zeltner, Gustav Georg 12 Žemler, Martin Nr. 56 Zetzner, Lazarus 148 Zezschwitz, Carl Adolph Gerhard von 82, 88 Ziegenhagen, Friedrich Michael Nr. 74 Zimmermann, Adolf 91 Zingg, Michael Nr. 145 Zinzendorf, Elisabeth von 80 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig 11, 15, 34, 45, 58, 60, 78, 89, 168, 258, 268, 293, 297; Nr. 84, 86–88, 182 Zittel, Claus Nr. 6 Zunner, Johann David 19 Zwel(f)fer, Johann 146 f.

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Ortsregister Die gerade gesetzten Seitenzahlen verweisen auf den Haupttext, die kursiv gesetzten auf die Anmerkungen, die Nr.-Angaben auf die Bibliographie. Altena 82 Altona 38 Amsterdam 33, 168, 224, 275 Ansbach 111, 138 Augsburg 251, 268 Bad Boll Nr. 91 Baden 185 Basel 100, 103 f., 173, 177, 180, 224, 230, 248 Bautzen 270; Nr. 92 Bayreuth 137 f. Behnesse Nr. 192 Berleburg 11, 43 f. Berlin Nr. 92 Bramber 187 Braunschweig 180 Bremen 171, 191 Bremen-Verden 20 Breslau 82, 91, 170 Büdingen 32 Bünde 82 Bützow 229 Calw 82 Chemnitz 270 Danzig 170; Nr. 98 f. Dargun Nr. 93 Darmstadt 180 Detmold 110 Dippoldiswalda 189 Dresden 80, 86, 180, 189, 230, 270 f. 273 f.; Nr. 58, 92 Düsseldorf 91, 151 Eisenach 117

Elberfeld 102,108, 111 Ems 142 Eppstein 91 Erfurt 20, 75 f., 184 Erlangen 32, 137, 174, 180 Ermsleben 77 Flensburg 72, 180 Frankfurt a. d. Oder 225 Frankfurt a. M. 43, 115, 171, 177, 180, 184 Genf 292 Gera 68 Germantown 43, 294 Gießen 44 Glaucha 20 Goslar 19 Göteburg 180 Gotha Nr. 27, 169, 176 Göttingen 167, 180, 229 f. Greifswald 13 Greiz 229 Gröningen 77 Großbothen 235 Grünberg 189 Gumbinnen 104 Haarlem Nr. 135 Halberstadt 77 Halle 11, 49, 68 Hamburg 38, 70; Nr. 29, 230 Hanau 104 Handewitt 72 Hannover 108 Heidelberg 135 Helmstedt 21 Herborn 39

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Hermannstadt 289 Herrnhut 80; Nr. 86 Hildesheim 77 Hitzacker 11, 19 Hull 187 Ilfeld 33 Ipsheim-Hoheneck 138 Jena 159, 169, 236 Kaiserslautern 178 Kaiserswerth 91 Karlsruhe 117, 180, 185 Köln 91, 114 Königsberg 104, 159, 170 Kopenhagen 180 Krefeld Nr. 77 Lancaster 293 f. Leiden 136, 138 Leipzig 68, 70, 82, 180, 184, 186, 191, 208, 225, 235–239, 270 f., 273 f. Lemgo 24 f. Lindau 81 Linz 103 Lippe 11 Loccum 107, 184 Lodenau 91 London 103, 106 f., 164 f., 171–178, 180– 183, 187, 224 Lübeck 171 Lüneburg 185 Lünen 138 f., 141 Magdeburg 77 Mainz 170, 260 Mannheim 137 Marburg 178 Memmingen 185 Merseburg 70 Meurs 85 f. München 111, 185, 203, 207, 229 f. Neustadt a. d. Aisch 138 Neuwied 114 Niesky 186 Nürnberg 72, 100, 104, 114, 180, 182, 225 Offenbach 35 Oldenburg 70, 164, 169, 191

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Oppenheim 105, 138 Padua 137 Panitzsch 68 Paris 168 Philadelphia 290 f., 293 Pirna 189 Pyrmont 24, 142 Raritan 294 Regensburg 137 Reutlingen 120 Reval / Talinn Nr. 146 Rostock 229 f. Rotterdam 102 Schaffhausen 180 Schiffbek 38 Schleswig 180 Schleusingen 23 Schwabach 138 Schwalbach 142 Schwelm 139–147, 153, 155 Selters 142 Sinsheim 185 St. Gallen 141 St. Goar 135, 139 St. Petersburg 106, 109 Staphorst Nr. 136 Stein 138 Stockholm 277 Straßburg 17, 81 Stuttgart 42, 82, 97–99, 120, 180, 182, 230 Thüringshausen 76 Thurnau 32 Tönisstein 142 Trarbach 139 Tübingen 173, 177, 180 Türchau 70 Wandsbek 37 f. Wasserthalleben 85 Weimar 159 Weißenfels 12, 86 Wesel 104, 134, 145, 151 Wien 159 Wilhelmsdorf 138 Witten 141 Wittenberg 117 Wittgenstein 43

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Wolfenbüttel 230, 243 Wuppertal 102

Züllichau 72 Zürich 177, 180, 261 f.; Nr. 145

Zittau 270

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