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German Pages [192] Year 1983
M. Jakubowski-Tiessen Der frühe Pietismus in Schleswig-Holstein
ARBEITEN ZUR GESCHICHTE DES PIETISMUS IM AUFTRAG DER
HISTORISCHEN KOMMISSION Z U R E R F O R S C H U N G DES PIETISMUS
HERAUSGEGEBEN VON
K. ALAND, E. PESCHKE UND M. SCHMIDT
BAND 19
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
DER FRÜHE PIETISMUS IN SCHLESWIG-HOLSTEIN ENTSTEHUNG, ENTWICKLUNG UND STRUKTUR
VON
MANFRED JAKUBOWSKI-TIESSEN
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
IN M E M O R I A M Christian und Ingeburg Bockhoff
ClP-Kurztitelaujhahme
der Deutschen
Bibliothek
Jakubowski-Tiessen, Manfied: D e r f r ü h e Pietismus in Schleswig-Holstein: Entstehung, E n t w i c k l u n g u. Struktur / v o n M a n f r e d Jakubowski-Tiessen. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1983. (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus; Bd. 19) I S B N 3-525-55802-3 NE: GT
© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1983. - Printed in G e r m a n y . Alle Rechte vorbehalten. O h n e ausdrückliche Genehm i g u n g des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf f o t o - oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesetzt aus B e m b o auf Linotron 202 System 3 (Linotype). Satz und Druck: Guide-Druck G m b H , Tübingen. Bindearbeit: H u b e r t & Co, Göttingen.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sonderforschungsbereich 17 (Skandinavien- und Ostseeraumforschung) an der Christian-Albrechts-Universität Kiel fertiggestellt und im Sommersemester 1982 von der Philosophischen Fakultät als Dissertation angenommen. Ganz herzlich danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hartmut Lehmann, der meine Arbeit von Anfang an mit großem Interesse begleitete und mich nicht nur mit fachlichem Rat, sondern auch in menschlicher Hinsicht stets verständnisvoll unterstützte. Der Deutschen Forschungsgesellschaft und der Kieler Universität danke ich für die materielle Unterstützung, die mir bei meiner Arbeit gewährt wurde. Danken möchte ich an dieser Stelle auch der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die mich während meines Studiums und der ersten Arbeitsphase an dieser Dissertation forderte. Zu bedanken habe ich mich ferner bei den Mitarbeitern der Archive und Bibliotheken, die mir mit Auskünften und der Überlassung von Archivalien und Literatur geholfen haben. Namentlich erwähnen möchte ich Herrn Jürgen Storz, den Leiter des Archivs der Franckeschen Stiftungen in Halle, der mir mündliche wie auch schriftliche Auskünfte stets bereitwillig gewährte. Der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus danke ich dafür, daß sie diese Arbeit in ihre Schriftenreihe aufgenommen hat. Last, not least danke ich meiner Frau, die mir in meiner Arbeit viel Verständnis entgegenbrachte und mir beim Lesen der Korrekturen half. Kiel, im November 1982
ManfredJakubowski-Tiessen
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Inhalt Vorwort
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Einleitung
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I.
II.
Die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den Herzogtümern und deren Bedeutung für die Entstehung und Verbreitung des frühen Pietismus
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Die Entfaltung des Pietismus in den Herzogtümern. Formen der Aufnahme und Vermittlung pietistischer Ideen
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III. Soziale Träger des frühen Pietismus in Schleswig-Holstein . . . .
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IV. Innere und äußere Struktur des frühen schleswig-holsteinischen Pietismus
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V.
Der radikale Pietismus in Schleswig-Holstein zu Beginn des 18. Jahrhunderts
121
VI. Die politische Bedeutung und die politische Einstellung der frühen Pietisten in Schleswig-Holstein
157
Abkürzungen
168
Ungedruckte Quellen
169
Literaturverzeichnis
171
Personenregister
181
Ortsregister
186
6
Einleitung Es mag vor allem an der unübersichtlichen Quellenlage liegen, daß eine Gesamtdarstellung des frühen Pietismus in Schleswig-Holstein bisher nicht geschrieben wurde. Zwar wurden in einigen Aufsätzen Einzelaspekte des Pietismus untersucht und auch örtlich begrenzte Darstellungen des Pietismus veröffentlicht, aber ein Gesamtbild des frühen schleswig-holsteinischen Pietismus läßt sich daraus nicht gewinnen. Noch 1962 meinte Hejselbjerg Paulsen, daß sich die Geschichte der pietistischen Bewegung im Herzogtum Schleswig rein quellenmäßig schwer schreiben lasse. Die Bewegung hätte weder archivalische noch gedruckte Quellen von großem historischen Wert hinterlassen. Deshalb könne die pietistische Erwekkungsbewegung und ihre Ausbreitung von den recht wenigen und verstreuten und oft späten Quellen, die zur Verfügung stünden, kaum erschöpfend geschildert werden. N u r über die Verhältnisse in einigen der von der Erweckung berührten Gemeinden könnte etwas mehr als reine Allgemeinheiten gesagt werden 1 . Wie sich bei meinen Nachforschungen zeigte, ist die Quellenlage zum frühen Pietismus in Schleswig-Holstein jedoch besser als die Aussage von Hejselbjerg Paulsen vermuten läßt. Zwar liegt am meisten Material über die pietistische Bewegung jener Orte vor, in denen es zu Auseinandersetzungen zwischen dem neuaufkommenden Pietismus und der lutherischen Orthodoxie kam, weil die Streitigkeiten oft zu Untersuchungen durch die vorgesetzten Behörden führten und somit vieles aktenkundig wurde. Aber auch aus dem übrigen ermittelten Quellenmaterial, worunter die Briefe der Pietisten einen herausragenden Stellenwert haben, lassen sich zahlreiche Erkenntnisse über den frühen Pietismus gewinnen. Auch sagen die schon bekannten Quellen einiges mehr aus, als in den vorwiegend kontroverstheologisch orientierten Abhandlungen bisher dargelegt wurde. Gewiß, gern hätten wir mehr und vor allem genauere Daten über die Pietisten in einzelnen Gemeinden und über deren persönliche Verhältnisse gehabt, auch über die Mentalität einzelner Pietisten muß vieles mangels aussagefähiger Quellen im dunkeln bleiben. Dennoch war die Quellenlage doch so gut, daß Grundzüge des frühen Pietismus in Schleswig-Holstein durchaus dargestellt werden konnten. Auf die Darstellung der theologischen Kontroversen zwischen der lutherischen Orthodoxie und dem frühen Pietismus in Schleswig-Holstein wurde in der vorliegenden Arbeit weitgehend verzichtet. Hauptgegenstand der Untersuchung ist die Entstehung, Entfaltung und besondere regionale Entwicklung der pietistischen Bewegung in den Herzogtümern. Dabei soll am Beispiel Schleswig-Holsteins auch ein Beitrag zur Frühgeschichte des allgemeinen deutschen Pietismus geleistet werden. 1
Hans Hejselbjerg Paulsen, Senderjysk Psalmesang 1717-1740, S. 188
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Schleswig-Holstein war zur Zeit des frühen Pietismus ein recht uneinheitliches politisches Gebilde. Das Herzogtum Schleswig war dänisches Lehen, das Herzogtum Holstein gehörte staatsrechtlich zum Deutschen Reich. Darüber hinaus hatten die Landesteilungen von 1544, 1564 und 1582 zu einer Zergliederung Schleswig-Holsteins gefuhrt. Den Hauptteil teilten sich der dänische König und der gottorfische Herzog, die auch beide die wichtigsten Träger des politischen Geschehens in den Herzogtümern waren. Z u m königlichen Anteil der Herzogtümer gehörten die Ämter Hadersleben, Flensburg, Rendsburg, Segeberg, Steinburg, die Landschaft Süderdithmarschen sowie das Törninglehn. Das Herzogtum Sonderburg hatte der dänische König nach dem Konkurs von 1665 eingezogen. Unter der Herrschaft des gottorfischen Herzogs standen die Ämter Apenrade, Tondern, Lügumkloster, Husum, Schwabstedt, Gottorf, Hütten, Tremsbüttel und Steinhorst sowie die Landschaften Nordstrand, Eiderstedt, Norderdithmarschen und Fehmarn. 1713 besetzte der dänische König jedoch den gottorfischen Anteil des Herzogtums Schleswig, den er 1721 dann ganz der dänischen Krone unterstellte, so daß der gottorfische Herzerzog nur noch seine holsteinischen Gebiete besaß. Die Gebiete des königlichen und des herzoglichen Anteiles bildeten für sich jeweils kein territoriales Ganzes, sondern lagen so verstreut, daß einem königlichen Gebietsteil jeweils ein herzoglicher folgte, die Aufteilung des Landes zwischen König und Herzog also einer Art ungleichmäßigen Zebrastreifens glich. Neben den herzoglichen und den königlichen Anteilen der Herzogtümer gab es einen gemeinsam regierten Anteil; das waren die Gebiete der adligen Klöster und der Ritterschaft. Jährlich zu Michaelis wechselten sich der dänische König und der gottorfische Herzog in der Führung der gemeinschaftlichen Regierung ab. Außerdem existierten noch die Gebiete der „abgeteilten Herrschaften": die Herzogtümer Norburg, Aerö, Glücksburg und Plön sowie die Ämter Ahrensbök und Reinfeld. Die „abgeteilten Herren" waren an der gemeinschaftlichen Regierung nicht beteiligt, übten aber in ihren Gebieten landesherrliche Rechte aus. Noch bunter wurde die Karte Schleswig-Holsteins durch weitere eigenständige Territorien: das säkularisierte Bistum Lübeck, die Herrschaft Pinneberg, die seit 1640 der dänischen Krone unterstand, und die seit 1650 bestehende Reichsgrafschaft Rantzau. Im Herzogtum Schleswig lagen auch noch einige dänische Enklaven, die Lohharde und Mögeltondern sowie die Insel A m r u m und jeweils ein Teil der Inseln Rom, Sylt und Föhr. Die äußere Struktur der Kirche in Schleswig-Holstein entsprach der politischen Struktur des Landes. Die Leitung der Kirchenbehörde im königlichen und herzoglichen Gebiet lag jeweils in den Händen des königlichen und des herzoglichen Generalsuperintendenten, die beide auch, dem Wechsel in der gemeinschaftlichen Regierung entsprechend, abwechselnd die Visitation in den Adelskirchen durchführten. Ein eigenes Kirchenregiment übten die „abgeteilten Herren" aus sowie das Bistum Lübeck und die 8
Reichsgrafschaft Rantzau. Das königliche Generalsuperintendentamt wurde vielejahre lang von entschiedenen Gegnern des Pietismus verwaltet; 1684—1709 von Josua Schwartz, 1709-1721 von Theodor Dassow und 1721-1724 von Thomas Clausen. Die herzoglichen Generalsuperintendenten begegneten dagegen dem Pietismus mit Sympathie, zuerst Caspar Hermann Sandhagen (1689-1697) und dann Hinrich Muhlius, der bis zum Jahre 1733 im Amt blieb; seit 1713 bestand sein Amtsbereich allerdings nur noch aus dem kleinen gottorfischen Anteil des Herzogtums Holstein. Auch im Fürstbistum Lübeck war die Kirchenleitung zeitweilig in der Hand von Pietisten. Der bekannte radikale Pietist Johann Wilhelm Petersen war von 1678-1688 Superintendent dieses Landes; von 1713-1726 wurde dieses Amt von dem halleschen Pietisten David Ebersbach ausgeübt. Die vorliegende Arbeit untersucht den schleswig-holsteinischen Pietismus von seinen Anfängen bis zum Ende des dritten Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts. Es mag zunächst erstaunen, daß der schleswig-holsteinische Pietismus in dieser Phase noch als „früher Pietismus" bezeichnet werden kann. Im Gegensatz zur Entwicklung in anderen deutschen Territorien verbreitete sich der Pietismus in den Herzogtümern jedoch nur sehr zögernd, so daß er erst in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts an Kraft gewann. Die Blütezeit des dänischen und schleswig-holsteinischen Pietismus begann dann mit dem Regierungsantritt des pietistischen Königs Christian VI. i m j a h r e 1730, zu einer Zeit also, als der Pietismus in anderen Ländern schon auf dem Rückzug war und vielerorts schon die Aufklärung an Einfluß gewann.
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I. Die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den Herzogtümern und deren Bedeutung für die Entstehung und Verbreitung des frühen Pietismus Wie im übrigen Deutschland, so wurde auch in den Herzogtümern Schleswig und Holstein die Hoffnung nicht erfüllt, daß mit dem Ende des 30jährigen Krieges auch Not und Elend ein Ende nehmen würden. Die Schwedenkriege der Jahre 1657-60, besonders der sogenannte Polackenkrieg, brachten sogar noch viel größeres Unheil über die Herzogtümer 1 . Durchziehende Truppen verwüsteten Städte und Dörfer; Kriegssteuern und Brandschatzungen wurden erhoben und die Bewohner mit Einquartierungen belästigt. Eine Hungersnot plagte das Land und Tausende starben an den Seuchen. Die Folge war, daß viele Bauernstellen verödeten und in den Städten das wirtschaftliche Leben zusammenbrach. Besonders schwer wurde Flensburg, die größte Stadt der Herzogtümer, betroffen; ein Drittel der Häuser wurde zerstört, fast alle Schiffe der Bürgerschaft gingen verloren und die Warenlager wurden von den einquartierten Soldaten geplündert. Während der dreijährigen Kriegszeit waren in Flensburg dreizehnmal Schätzungen ausgeschrieben worden, die sich auf 44369 Mark Lübsch und 12 1/2 Schillinge beliefen; die Schulden der Stadt waren auf die enorme Summe von 200000 Mark Lübsch angestiegen. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang des Landes verwilderten auch die Sitten der Bewohner und deren Moral sank beträchtlich. Friedrich Breckling 2 , der in diesen Jahren seinem Schwager Olaus Moller in Flensburg in der Seelsorge half, sah schon das Apokalyptische Zeitalter anbrechen. In einem Brief an den Gießener Professor Johann Heinrich May erinnerte er sich dieser Jahre in maßloser Übertreibung: Viele Millionen seien an Hunger und Pest 1
Z u m folgenden siehe Danmarks historie, Bd. 7 (Svend Ellerhaj) Kopenhagen 19772, S. 461 ff; Erik Aarup, Danmarks Historie, Bd. 3 (Kopenhagen 1932) S. 193fF; Paul von Heedemann-Heespen, Die Herzogtümer Schleswig-Holstein und die Neuzeit (Kiel 1926) S. 260 ff; Erich Hoffmann, „Flensburg von der Reformation bis zum Ende des Nordischen Krieges 1721", in: Flensburg, Geschichte einer Grenzstadt = Schriften der Gesellschaft f. Flensburger Stadtgeschichte, Nr. 17 (Flensburg 1966) S. 119f; Volker von Arnim, Krisen und Konjunkturen der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein vom 16. bis zum 18. Jahrhundert = QuFGSH 35 (Neumünster 1957) S. 55. 2 Z u Breckling siehe vor allem: DBL 3 , II, S. 508f (Bjarn Komerup); ThRE, VII, S. 150ff (Dietrich Blaufuß); L. J. Moltesen, Frederik Brekling, et Bidrag til Pietismens Udviklings Historie (Kopenhagen 1893); Ernst Feddersen, Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 2 = SSHKG, I, Bd. 19 (Kiel 1938) S. 339ff; Den Danske Kirkes Historie, ed. Hai Koch og Bjern Komerup, Bd. 4 (Kopenhagen 1959) S. 338ff; Erich Hoffmann, „Stephan Klotz", SSHKG, II, Bd. 34/35 (1978/79) S. 50ff.
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gestorben, man habe dreißig Meilen gehen können, ohne jemanden zu treffen; Hunde und Wölfe hätten sich ans Menschenfleisch gewöhnt; Eltern hätten ihre Kinder und Kinder ihre Eltern gegessen, und die Polen hätten 1400 Wagen voller junger Mädchen aus dem Land entfuhrt, um sie an die Tataren zu verkaufen 3 . Es dauerte einige Jahrzehnte, bis sich die Herzogtümer von den verheerenden Folgen der Schwedenkriege erholt hatten 4 . Der wirtschaftliche Aufschwung wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wesentlich dadurch beeinträchtigt, daß die Auseinandersetzungen zwischen dem dänischen König und dem gottorfischen Herzog weitergingen. Vor allem die Sequestration des gottorfischen Anteils von Schleswig durch den dänischen König in den Jahren 1676-79 und die „Reunion" desselben Gebietes in den Jahren 1684-89 brachten den Herzogtümern erneut Besetzung, Truppendurchzüge und Kontributionen. Der Lindholmer Pastor Johann Breckling berichtete seinem Bruder Friedrich um 1680, daß er in der „5jährigen Kriegespressur" des Schonschen Krieges unruiniert geblieben wäre, „da alle Landleute hart mitgenommen, wie auch die Prediger nicht vergeßen im Zusteuern mit stück und reiterperden, mit einquartirungslager, mit steten durchzügen an den Heerstraßen, davon die arme Leute ganz erschöpfft, die abgelegerne marschleute proviant anbringen müssen, und doch mit raub und stehlen sie uns undanckbahr belohneten, mir auch 2 schöne junge perde deß nachts auß meinem stall gestohlen." 5 Nach der „Reunion" des gottorfischen Teils vom Herzogtum Schleswig 1684 ließ der König herzogliche Amtsleute durch königliche ersetzen; Ritterschaft, Städte, Geistlichkeit und Bauern mußten dem neuen Souverän den Eid leisten, was besonders bei vielen Geistlichen zu ernsthaften Gewissenskonflikten führte 6 . Für die Landwirtschaft in Schleswig und Holstein brachten die 1660er bis 90er Jahre „die schwerste Krise", „die sie in dem 16., 17. und 18. Jahrhundert durchmachtc." 7 Weil die Bevölkerungszahl erheblich gesunken und der Lebensstandard nur noch auf das Notwendigste ausgerichtet war, zugleich auf dem Getreidemarkt polnisches und russisches Getreide in großen Mengen erschien, sank die Nachfrage nach einheimischen landwirtschaftlichen Produkten und folglich fielen die Preise für Getreide in der Zeit von 1665-1690 rapide. Besonders schwer waren die Bauernhufen betroffen, wovon seit dem Schwedenkrieg noch viele öde 3
Moltesen, S. 39. Z u m folgenden siehe Hermann Kellenbenz, „Die Herzogtümer vom Kopenhagener Frieden bis zur Wiedervereinigung Schleswigs 1660-1721", in: Geschichte Schleswig-Holsteins, hg. von Olaf Klose, Bd. 5 (Neumünster 1960). 5 Forschungsbibl. Gotha, Chart. A 413, Bl. 164; vgl. Theodor Wotschke, „Urkunden zur Geschichte des Pietismus in der Nordmark", SSHKG, II, Bd. 9 (1935) S. 466. 6 Reimer Hansen, „Die Gewissensnot der Geistlichkeit im herzoglichen Teile Schleswigs 1684f.", SSHKG, II, Bd. 3, Heft 3 (1905) S. 300-318. 7 Von Arnim, S. 58. 4
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lagen und nur schwer neue Besitzer fanden. Aber auch auf den Gütern wurde in den Jahren der Depression der Konkurs „zur Alltäglichkeit" 8 ; die Ursache dafür waren nicht allein die durch den Krieg bedingten Schulden, sondern zum Teil auch der aufwendige, ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten übersteigende Lebensstil der Adligen. Die schlechte wirtschaftliche Lage der Güter hatte auch unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der Geistlichen in diesen Gegenden. Wie im Visitationsbericht des Propsts Trogillus Arnkiel vom Jahre 1687 berichtet wird, beklagten sich Prediger an verschiedenen Orten darüber, daß die zu ihrem Unterhalt gewidmeten Legata und die ihnen daraus jährlich gewährten Salaria ausfielen, so daß sie über kurz oder lang ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten könnten. „Die Ursach deßen ist", wie Arnkiel schrieb, „weil die güter, da diese Legata stehen, in Schulden gerathen, und die eheste Creditores alles an sich ziehen. Also gehets auch zu mit denen in solchen verschuldeten gütern stehende Kirchen Capitalien, darüber die Kirchen und Kirchendiener noth leiden. " 9 In den anderen Wirtschaftszweigen sah es in dieser Periode nicht besser aus. Die Pflugzahl mehrerer Städte mußte herabgesetzt werden, da das Wirtschaftsleben so ruiniert war, daß sie die Kontributionen in der alten Höhe nicht mehr aufbringen konnten. Zwar blieben die Herzogtümer in den dreißig Jahren von 1660 bis 1690 von großen kriegerischen Auseinandersetzungen verschont, aber die Angst vor neuen Kriegsunruhen war doch allenthalben vorhanden. Am 27. August 1687 sah sich die Deutsche Kanzlei in Kopenhagen sogar genötigt, den königlichen Statthalter in den Herzogtümern, Graf Detlev zu Rantzau, und den Landdrosten zu Pinneberg, Konrad Biermann von Ehrenschild, anzuweisen, daß sie die Untertanen durch die lokalen Beamten ermahnen lassen sollten, sich von Gerüchten über bevorstehende Kriegsunruhen nicht irre machen zu lassen und das Flüchten wie auch die Fortschaffung ihrer Habseligkeiten nach Hamburg und in andere Städte bei Strafe zu unterlassen 10 . Die Flucht einiger Adliger mit ihrem Vermögen in befestigte Städte bewirkte auf dem Kieler Umschlag des Jahres 1689 eine solche „Consternation", daß viele aus Angst vor einem bevorstehenden Krieg ihr Geld lieber für eventuelle Notfälle behielten als es zinsträchtig anzulegen. „Es ist allhier bei den Vornehmsten ein solcher Lärmen, als wenn der Feind schon im Lande stünde," schrieb der Traventhaler Amtsverwalter an seinen Herrn, den Amtmann von Künigham 1 1 . Nach dem Altonaer Vergleich vom 20. Juni 1689 kehrte eine kurze Zeit des Friedens und der wirtschaftlichen Erholung in den Herzogtümern ein; doch der Nordische Krieg (1700-1721) stellte alles Erreichte wieder in 8
Heedemann-Heespen, S. 443. LAS, Abt. 7, Nr. 2063. 10 RAK, T.K.I.A., B 12. 11 Friedrich Horn, „Kriegsunruhen am Ende des 17. Jahrhunderts", Heimatkundliches Jahrbuch f. den Kreis Segeberg 16 (1970) S. 94. 9
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Frage 12 . Erneut hatte das Land unter Truppendurchzügen zu leiden; vor allem wurden die Landschaften Stapelholm und Eiderstedt und die Gegend um Husum durch den Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogen. Ein besonders grauenvolles Ereignis, das weithin Angst und Schrecken verbreitete, war die Zerstörung Altonas durch den schwedischen General Magnus Steenbock im Januar 1713. Im selben Jahr besetzte der dänische König den gottorfischen Anteil des Herzogtums Schleswig, den er 1721 dann ganz der dänischen Krone unterstellte. Erschwert wurde die ohnehin schon schlechte Lage durch die in den Jahren 1711-1713 im Lande grassierende Pestepidemie sowie durch eine Viehseuche und eine in Husum und Friedrichstadt im Jahre 1713 auftretende „contagieuse" Krankheit. Zu allem Unglück richteten auch noch große Sturmfluten am Weihnachtsabend des Jahres 1717 und am 25. Februar 1718 beträchtlichen Schaden an der Westküste an. Welches Ausmaß Not und Elend im Lande angenommen hatten und wie aufmerksam und genau dieses von den Pietisten wahrgenommen wurde, davon zeugen die Schilderungen zweier Pietisten aus dem zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts. Der erst im November 1712 als Rektor der Husumer Lateinschule introduzierte hallesche Pietist Johann Nikolaus Rudloff 1 3 berichtete in einem Brief vom Mai 1713 aus Husum, daß die „Kriegstroublen" immer schwerer und beschwerlicher würden, „daß es scheinet, Gott wolle unser gar lachen in diesem unserm Unglück und den garaus mit uns machen: in dem nun auch eine Seuche unter dem Vieh der gestalt eingerißen, daß fast nichts mehr übrig und die pferde von den Soldaten weg genommen werden. Keine frucht ist mehr im lande, alß was hinein gebracht wird, kein acker wird beseet, und was beseet ist, fressen der Soldaten pferde ab, eben dieses geschiehet auch auff den wiesen, da gedencke der geliebte bruder, was für eine Ernte wir werden zu hoffen haben. Zudem liegt es hier allenthalben voll toder aeser, welche einen ungemeinen Gestanck bey herannahenden warmen wetter erregen, aus welchen zweyen datis nothwendig hungersnoth und Pestilentz folgen muß. Ach wie iämmerlich seufftzen die armen leute über dis große Elend, so sie erdulden und ausstehen müssen. Die Sachsen hausen hier sehr schlimm und vor Gott unverantwortentlich, gott gebe ihnen ihre unbarmhertzigkeit zu erkennen, daß ihnen nicht vergolten werde, wie sie thun, und ihnen gemessen werde mit dem Maaß der greulichen Unbarmhertzig12
Siehe Kellenbenz. Zu Rudloff siehe Johann Melchior Krafft, Ein zweyfaches Zwey=Hundert=Jähriges Jubel=Gedächtnis (Hamburg 1723) S. 339f; Matrikel der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg, hg. v. Fritz Juntke (Halle 1960) S. 370; Kurt Aland, Kirchengeschichtliche Entwürfe (Berlin 1960) S. 637; Ernst Möller, Geschichte des Hermann-Tast-Gymnasiums in H u s u m nebst Lehrer= und Schüler=Verzeichnissen (Husum 1927) S. 56; ders., Schüler und Lehrer der Husumer Gelehrtenschule von 1449-1852 = QuF zur Familiengeschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 4 (Neumünster 1939) S. 77. 13
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keit, damit sie messen," und er fuhr fort, „Mein lieber bruder ad speciem darff ich nicht gehen, es ist das Elend nicht genug zu beschreiben. Hiernechst haben wir das fleckfieber allhie in ziemlichem Grad, davon viel leute sterben, sonderlich aber die aus dem Eyderstädtischen hier her geflüchtet sind." 14 . Rudioff vergaß in dem Brief an den „lieben Bruder" nicht, auf seinen besonderen Gnadenstand vor Gott hinzuweisen, der ihn, man darf wohl hinzufugen: als Pietisten, bisher von aller Not bewahrte. „Bey diesem allen aber so kläglichen Zustande unserer fast versunckenen lande genieß ich von meines himmlischen Vaters hände so viel gutes, daß ich nur beklage nicht danckbar genug seyn zu können, und ihn, den lieben Vater in Christo Jesu inniglich dafür zu preißen. Eine große wohlthat meines lieben Vaters ist es, daß ich noch biß auff diesen Tag nicht gleich andern bin verengt worden, sondern habe noch alle nacht in einem bette ruhig liegen können. Eine große unverdiente gnade meines vaters ist es, der mich alle tage speiset und träncket, auch meine kleider mich zu bedecken und meine bücher bewahrete, daß ich den lieben und barmhertzigen Gott nicht genug zu dancken weiß, dabey giebet Er der herr herr mir so viel, daß ich den Tisch befehlen kan." Erst hier in der Not habe ihn Gott seine Liebe schmecken lassen. Aus dem Briefjohann Melchior Kraffts 1 5 an Johann Georg von Holstein 16 vom 5. März 1719 erfahren wir, daß sich die Situation im Lande auch sechs Jahre später nicht geändert hatte. „Es ist unbeschreiblich, was für eine Noht, winseln, heulen, kummer, schreyen zu Gott im gantzen land, und gleichwol gehet die Exekution immer fort. Ich für mich, sehe nun auf Gott, der mit Sünden erzürnet, und wir uns also unter deßen schweren Zorn und gerichte gestürtzet haben. Gleichwol ist es was hartes, wenn ich die Instrumenta auch modos procedendi betrachte." 17 Auch an anderer Stelle beklagte Krafft die katastrophalen Verhältnisse seiner Zeit, denen Christen mit Intensivierung des Glaubens und Rückbesinnung auf christliche Werte begegnen sollten: „Ja wohl auch in Gedult bey diesen schweren und elenden Zeiten, da GOtt bey denen gehabten Krieges=Lauffen, dreymahligen bey uns, und der gantzen Gegend der Marsch=Länder und so vielen Insuln, erlittenen entsetzlich gewesenen Wassers=Fluhten und Überschwemmungen, auch andern schweren Umständen und harten Gerichten GOttes, auf Seiten unser aller zwar gar wohl, und ein weit mehrers verdienet, fast das gantze Land und alle Einwohner in solchen 14
AFSt, C 813: 42. Z u Krafft siehe die Autobiographie in Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 209-227 und 271-275; ferner Cimb. lit., II, S. 431 ff; DBL 2 , XIII, S. 203 (Bjern Kornerup); Carsten Erich Carstens, „Mag. J. M. Krafft", Kirchen- und Schulblatt Nr. 45 (1888) S. 179f; eine Charakteristik von Krafft in Theodor Wotschke, „Pfarrer Günthers Kollektenreise durch Dänemark und Schleswig-Holstein, 1723 und 24", SSHKG, II, Bd. 9, Heft 3 (1932) S. 331 f. 16 Zu Holstein siehe S. 117. 17 KBK, Ledreb. 455, 14, 2°. 15
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K u m m e r und bedrängten Zustand gerahten lassen, daß, wie dem Allwissenden bekandt, und ich auch selbst aus vieler Erfahrung gelernet, die Eltern denen Kindern, ein Bruder und Schwester dem andern, auch ein Jonathan keinem David nicht mehr in dieser Stadt helffen, ihn retten und beystehen kan; dabey dann wohl recht nöhtig ist, sich im Glauben, in der Hoffnung, im Gebet und Gedult zu stärcken." 1 8 Die Zeit, in der sich der Pietismus in Schleswig-Holstein verbreitete, war also eine Zeit politischer und kriegerischer Auseinandersetzungen und des damit verbundenen wirtschaftlichen und sittlichen Verfalls. Daß die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse des 17. und frühen 18. Jahrhunderts eine wichtige Voraussetzung fiir die Entstehung und Entfaltung des Pietismus darstellten, steht wohl außer Zweifel. Die Frage ist nur, aufweiche Art und Weise diese Kräfte zusammenhingen. Klaus Deppermann hat die Vermutung geäußert, daß „der Verfall der Zünfte und das Aufkommen der Manufakturen in einem Teil des Kleinbürgertums die Sehnsucht nach einer geistigen und seelischen Gemeinschaft geweckt hat, welche losgelöst war von den alten Standes- und Berufsbindungen" 1 9 . Damit könnte nach Deppermann „eine soziale Voraussetzung für die Geburt des pietistischen Konventikels gegeben sein". Dieser Faktor sei aber „lediglich als beschleunigendes, nicht als auslösendes Moment anzusehen" 2 0 . Hartmut Lehmann führt diesen Gedanken weiter, indem er einen anderen sozialpsychologischen Aspekt einbezieht: Die pietistischen Konventikel hätten dem sich u m sein Seelenheil ängstigenden Menschen einen Raum geboten, in dem „seine Ängste ernstgenommen und verstanden wurden" und in dem „zugleich der Versuch gemacht wurde, neue Hoffnungen gegen die Angst zu setzen" 2 1 . Hier wird also ein unmittelbarer Zusammenhang gesehen zwischen der Entstehung des pietistischen Konventikelwesens und den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, die wiederum Ursache der Existenzbedrohung und der daraus resultierenden Angst der Menschen im 17. Jahrhundert waren. Diesen Zusammenhang betont Lehmann auch in seinem Buch „ D a s Zeitalter des Absolutismus", in dem er die Entstehung des Pietismus, ähnlich wie die des Qietismus, Jansenismus und Puritanismus, einerseits als eine Reaktion auf „Auswüchse der barock-absolutistischen Hofkultur" und andererseits auf die „dogmatisch verhärteten, ethisch insensibel gewordenen und durch zu viel Macht korrumpierten Staatskirchen" ansieht 22 . Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 35. Klaus Deppermann, Der hallesche Pietismus und der Preußische Staat unter Friedrich III. (I.) (Göttingen 1961) S. 11. 2 0 Ebenda. 2 1 Hartmut Lehmann, .„Absonderung' und .Gemeinschaft' im frühen Pietismus. Allgemeinhistorische und sozialpsychologische Überlegungen zur Entstehung und Entwicklung des Pietismus", Pietismus und Neuzeit, J G P 4 (1977/78) S. 68. 2 2 Stuttgart 1980 ( = Christentum und Gesellschaft, B d . 9) S. 33. 18
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Ferner zeigt er auf, daß die „Krise des 17. Jahrhunderts" verschiedene Entwicklungen im religiösen Bereich verursachte und bestärkte: Eine neue Frömmigkeit, die in der großen Nachfrage nach Trost- und Erbauungsschriften ihren Niederschlag fand, sowie das starke Interesse für eschatologische Gedanken. Die pietistische Bewegung, die diese neuen Formen der Religiosität in sich aufnahm und dadurch zu einer Alternative zur herrschenden lutherischen Orthodoxie wurde, war somit auch eine Reaktion auf die „Krise des 17. Jahrhunderts". Weniger sozialpsychologische als individualpsychologische Aspekte hat Martin Scharfe im Auge, wenn er auf die Frage, weshalb jemand Pietist wird, mit der Kurzformel antwortet: „Leidensdruck, also Christum suchen, also Pietist werden." 2 3 Was der Pietismus „anbot und anbietet", sei „Lebenshilfe", und das heißt nach Scharfe: „Die Individuen werden moralisch und kulturell stabilisiert, indem sie die Wirklichkeit und ihre Wahrnehmung strukturieren; und dieser Strukturierungsprozeß ist geradezu ein Konstruktionsprozeß, weil sich die, die da zusammen ausgerichtet werden, ihre eigene Welt der Wahrnehmung und der Realität schaffen - eine neue, zweite Welt gewissermaßen." 2 4 Auch wenn Scharfe sich in seinem Buch hauptsächlich am württembergischen Pietismus des 19. Jahrhunderts orientiert, so kann nicht bestritten werden, daß auch schon der frühe Pietismus sich eine „eigene Welt der Wahrnehmung und der Realität" schuf. Sie war wesentlich durch eine eschatologische Weltsicht bestimmt, nach der Naturkatastrophen, Krieg und politische Veränderungen nicht nur als Strafgerichte Gottes, sondern auch als Mitteilungen Gottes, als Zeichen der baldigen Wiederkunft Christi galten 2S . Das trifft auch für die frühen Pietisten Schleswig-Holsteins zu. Krieg, Sturmfluten, Not und Elend sahen sie wie viele andere Christen der damaligen Zeit als Strafgerichte Gottes an, die über das Land gekommen waren, um die Menschen für ihre Sünden zu strafen und sie zur Umkehr zu bewegen 26 . Exemplarisch für ein solches Zeitverständnis war die Stellungnahme des pietistischen Geistlichen Peter Clasen 27 aus Rodenäs zu dem großen Brand in Kopenhagen: „Was sollen wir aber hirvon sagen. Wollen wir Solches der Unvorsichtigkeit der menschen, oder der gewalt der winde 23
Martin Scharfe, Die Religion des Volkes. Kleine Kultur und Sozialgeschichte des Pietismus (Gütersloh 1980) S. 27 f. 24 Scharfe, S. 28. 25 Vgl. Lehmann, Das Zeitalter des Absolutismus, S. 89, 124 ff. 26 Vgl. Breckling, Veritatis Triumphus, Contra Pseudolutheranos & eorum Antesignanum D. Stephanum Klotzium (1660), passim; AFSt, C 205: 10, Ludwig Ottens an A. H. Francke, Kahleby, 7. Januar 1715; KBK, Ledreb. 455, 20, 2°, Paul Stricker an J. G. von Holstein, Schleswig 4. März 1718. 27 Zu Clasen siehe Otto Fr. Arends, Gejstligheden i Slesvig og Holsten, I (Kopenhagen 1932) S. 47; Emst Michelsen, „Zwei Briefe aus der Zeit des nordischen Krieges", Z S H G 25 (1895) S. 237-252; Johannes Pedersen, „Fra'en genforeningsfest' i Tender 1721", Dansk teol. Tidsskrift, 3. Aarg. (1940) S. 194 ff.
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etc zuschreiben? O! nein, wir müßen auf das erste principium gehen, auf Gott, von dem alles kommt, glück und Unglück . . . Wollen wir nach der Ursache fragen, warum der HErr das thut und geschehen last. So ist wol keine andere anzugeben als die Sünde." 2 8 Solange die Landesbewohner Gottes Strafgerichte nicht erkannten, schien für die Pietisten keine Besserung der Verhältnisse möglich zu sein; solange die Menschen von ihren Sünden nicht abließen und Buße taten, war in ihren Augen alle Hoffnung auf Besserung vergebens. „Die mächtige Hand Gottes schlägt dies Land mit mancherlei Plage auf allen Seiten, und es fühlet es nicht," schrieb J. S. Beyer aus Schleswig an Francke, im Gegenteil: es „höret die Pracht und das Schmausen nicht auf." 2 9 Auch Johann Joachim Arends 30 äußerte sich ähnlich: „Die Krieges Unruhe währet hie im Lande noch und wird schwerer, sonderlich nach dem Tönning rasiret, doch siehet man unter den Leuten wenig Besserung." 3 1 Je länger aber die als „Strafgerichte Gottes" gedeutete N o t anhielt, desto tiefer sank die Moral, desto mehr verwilderten die Sitten, desto mehr Klagen über Unzucht und Diebstähle wurden laut, desto größer wurde die Angst vor der Zukunft und desto eindringlicher wurden auch die Bußpredigten der Pietisten. Nicht alle Pietisten wollten sich dem Zorn Gottes unterwerfen und besserer Zeiten harren. Der Generalsuperintendent Hinrich Muhlius 32 , nach dem Sturz seines Anverwandten, des Ministers Magnus von Wedderkop, in der Gunst des Fürsten gefallen und in seinem neuen Domizil in Kiel unter dänischen Besatzungssoldaten leidend, dachte gar daran, weil ein Ende des Krieges nicht abzusehen war, zukünftig seiner Amtsstellung „nur einigermaßen conforme Offerten" nicht abzulehnen; und er bat den Leipziger Professor und Schwager Speners Adam Rechenberg, bei „etwa vorfallenden dergleichen Fällen" auf ihn zu reflektieren 33 . Der Husumer Hauptpa26
KBK, Ledreb. 4 2 9 " , 2°, P. Clasen an Johann Wilhelm Schröder, Rodenäs, 19. November
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AFSt, F 14, Bl. 405; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 496. Zu Arends siehe Cimb. lit., I, S. 21; Arends, Gejstligheden, I, S. 21; F. Witt, „Übersicht über die Gemeinden, Pastoren und Küster der Propstei Tondern aus dem Jahre 1721", SSHKG, II, Bd. 5, Heft 4 (1913) S. 459; Thomas Otto Achelis, „Von der Gewissensnot der Geistlichkeit im herzoglichen Teile Schleswigs im Anfang des 18. Jahrhunderts", Der Schleswig-Holsteiner, 13. Jg. (1932) S. 312f; Wotschke, Urkunden, S. 487f. 31 AFSt, A 166: 1, J. J. Arends an A. H. Francke, Tondern, 1. Juni 1714. 32 Z u Muhlius siehe Johann Otto Thieß, Gelehrtengeschichte der Universität Kiel, Bd. 1 (Kiel 1800) S. 124ff; Carsten Erich Carstens, „Die Generalsuperintendenten der ev.-luth. Kirche in Schleswig-Holstein von der Reformation bis auf die Gegenwart", ZSHG 19 (1889) S. 29ff; Feddersen, S. 220ff; Johanne Skovgaard, „Slesvig Bispedomme 948-1791", in: Slesvigs delte Bispedomme (Kopenhagen 1949) S. 82ff; W. Bülck, Geschichte des Studiums der praktischen Theologie an der Universität Kiel = SSHKG, I, Bd. 11 (Kiel 1921) S. 19ff. 33 Universitätsbibl. Leipzig, 0339 (248/49); vgl. Wotschke, Urkunden, S. 489 f. Nach dem Fall Wedderkops rechnete man mit einer Absetzung des Generalsuperintendenten Muhlius, siehe Forschungsbibl. Gotha, Chart. B 198, Bl. 1, J. J. Arends an F. Breckling, Hamburg, 9. Dezember 1710: „Des Superint. Muhiii remotion soll festgestellet seyn u. zweiffeit man gar, 30
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stor J o h a n n Melchior K r a f f t dagegen sah die Möglichkeit, das Strafgericht Gottes d u r c h menschliches Z u t u n zu mildern, i n d e m er in einem Brief an den dänischen Staatsminister J o h a n n G e o r g v o n Holstein, einem einflußreichen Pietisten a m H o f e zu K o p e n h a g e n , daran erinnerte, daß in K a m mersachen „nicht alles allein mit der V e m u n f f t m ö c h t e wollen überspannet u n d übersehen w e r d e n , da es dann heißet z u m voraus, so lang w i r d der Krieg n o c h w o l w e h r e n , so u n d so viel uns n o c h ausgeschrieben u n d m i t aller rigeur ausgepreßet w e r d e n ; da hingegen, w o m a n es i m glauben wollte auf gottes Barmhertzigkeit a n k o m m e n laßen, gelindigkeit ausüben an den a r m e n unterthanen, u n d nicht alles bis aufs Blut aussaugen; so bin g e w i ß , g o t t w e r d e desto eher zur R u h u n d zu einem gesegneten Frieden helffen, da v o n aber v e m u n f f t u n d fleischliche Weisheit nichts w e i s . " 3 4 I m übrigen sei er versichert, daß es „gelinder hergehen w ü r d e " , w e n n es in Holsteins V e r m ö g e n stünde. D a nach Ansicht der Pietisten die Strafgerichte Gottes ihre U r s a c h e i m s ü n d h a f t e n Leben der Christen, v o r allem aber in den M ä n g e l n des geistlichen Standes hatten, richtete sich ihre Kritik nicht gegen die politischen u n d gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern gegen die Kirche u n d deren v o r n e h m s t e n Repräsentanten, die Geistlichen. Als Spener in seinen „Pia Desideria" 1675 die Verderbtheit des geistlichen Standes beklagte, sprach er vielen u m die Kirche besorgten Geistlichen seiner Zeit aus d e m Herzen. Viele Prediger w ü r d e n das w a h r e C h r i s t e n t u m nicht kennen, schrieb Spener, u n d „das erste practische principium deß C h r i s t e n t h u m s / die verläugnung sein selbs" hätten sie „niemals mit ernst v o r g e n o m m e n " , wie es sich an i h r e m „weit geist in fleischeslust / augenlust / u n d h o f f ä r t i g e m leben" zeige 3 5 . A u ß e r d e m mangele es vielen Predigern a m rechten Glauben; was sie f ü r ihren Glauben hielten, sei nichts als eine menschliche Einbild u n g . Sie hätten die rechte Lehre zwar erfaßt, aber sie seien v o m w a h r e n h i m m l i s c h e n Licht u n d Leben des Glaubens weit entfernt. Deshalb b e d ü r f e der geistliche Stand dringend einer R e f o r m a t i o n , v o n der Spener sich eine Besserung des gesamten christlichen Lebens versprach. Speners Kritik an der Geistlichkeit u n d seine Vorschläge zur R e f o r m fanden auch in den H e r z o g t ü m e r n Schleswig u n d Holstein Beifall, u n d schon bald strebten auch hier i m Lande Geistliche danach, Speners Ideen zu verwirklichen. D e r Kieler Theologieprofessor Christian K o r t h o l t , der das P r o g r a m m des Pietismus in vielen P u n k t e n guthieß, selbst aber kein Pietist ob er seine profession behalten wird. Wer General-Supint. alsden werden ist nicht gewiß. Einige reden von H. Reimaro, andere von Prof. Krakewitz zu Rostock." 34 KBK, Ledreb. 455, 14, 2°, J. M. Krafft a n j . G. von Holstein, Husum, 5. März 1719. 35 Philipp Jakob Spener, Pia Desideria, hg. von Kurt Aland, 3. durchgesehene Aufl. = Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen, 170 (Berlin 1964) S. 16f; vgl. Kurt Aland, Spener-Studien, AKG 28 = JBrKG 36/37 (Berlin 1943) S. 24ff; Dietrich Blaufuß, Reichsstadt und Pietismus = Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, Bd. 53 (Neustadt a. d. Aisch 1977) S. 119 ff.
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wurde 3 6 , trat kurz nach dem Erscheinen der „Pia Desideria" mit einer eigenen Reformschrift an die Öffentlichkeit. In seiner unter dem Pseudonym Theophilus Sincerus veröffentlichten Schrift „Wolgemeinter V o r schlag / Wie etwa die Sache anzugreiffen stünde / da man dem in denen Evangelischen Kirchen bißher eingerissenem ärgerlichen Leben und Wandel vermittelst Göttlicher Verleihung abzuhelffen mit Ernst resolviren wolte" (Frankfurt 1676) unterstrich er, daß „in unsern protestirenden Kirchen (jedoch an einem Orte mehr als an andern)" „ein grosser Mangel" sei. „Und warlich / so lange diesem Übel nicht abgeholffen und gesteuret wird / so lange / sag ich / es darbey bleibet / daß mit untüchtigen und ärgerlichen Predigern Städt und Land besetzet werden / ist es vergebens / an einige Kirchen=Besserung oder Enderung deß bey uns / leider! so tieff eingerissenen gottlosen Lebens und Wandels zu gedencken" 3 7 . Wenn das Predigtamt denen anvertraut würde, welche vom wahren Christentum und den Amtsverrichtungen eines rechtschaffenen Seelsorgers nichts verstünden, wie Kortholt weiter ausführte, „sondern überdiß in der eitelen W e l t = L u s t ersoffen sind / in G e l d t = und Ehr-Geitz / in Zancksucht / Fressen / Sauffen / und andern der gleichen groben Sünden und Lastern biß über die Ohren stecken / was für ein herzliches Christenthum stehet da zu erwarten: Wie schön wird es wol klingen / wann dergleichen Leute bey ihrer Gemeine anstimmen Sölten: Folget mir / lieben Brüder / und sehet auff die / die also wandeln / wie ihr uns habt zum Fürbilde!" 3 8 Wie in den anderen protestantischen Ländern, so wurde auch in den Herzogtümern aber nicht erst in der Nachfolge Speners Kritik am geistlichen Stand laut. Schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte die durch den mystischen Spiritualismus geprägte Eiderstedterin Anna Ovena Hoyers in ihren Gedichten beißende Kritik an der Amtsführung und der moralischen Qualität der Geistlichen geäußert 3 9 . Auch der Nortorfer Geistliche Paul Egard, den Johannes Moller als Cimbriae nostrae Arndius bezeichnete und dessen Werke von keinem Geringeren als Philipp J a k o b Spener neu herausgegeben wurden, klagte in seinem 1623 erschienenen Buch „Mundus immundus, das ist: Das falsche Christenthumb der weit" über Eigennutz, Ehrgeiz, Eitelkeit und Fleischeslust vieler Prediger 4 0 . 3 6 Zu Kortholt siehe vor allem Wilhelm Halfmann, Christian Kortholt = SSHKG, I, Heft 17 (Kiel 1930); Erhard Peschke, „Die Theologie Christian Kortholts", Theol. Literaturzeitung X C V I (1971) Sp. 641-654; ders., Bekehrung und Reform = AGP, Bd. 15 (Bielefeld 1977) S. 41-64. 3 7 Theophilus Sincerus ( = Christian Kortholt), Wolgemeinter Vorschlag / Wie etwa die Sache anzugreiffen stünde / da man dem in denen Evangelischen Kirchen bißher eingerissenem ärgerlichen Leben und Wandel vermittelst Göttlicher Verleihung abzuhelffen mit Ernst resolviren wolte. (Frankfurt/M. 1676) S. 65. 3 8 Kortholt, Wolgemeinter Vorschlag, S. 67. 3 9 Feddersen, S. 423ff; zur Biographie von Anna Ovena Hoyers siehe SHBL, 3, S. 156ff (Dieter Lohmeier). 4 0 Vgl. Feddersen, S. 427f.
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Friedrich Breckling, sowohl geprägt von der neuen Frömmigkeit eines Johann Arndt wie auch vom mystischen Spiritualismus, war es schließlich, der die Kritik an der Amtsführung und dem Leben der Geistlichkeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts fortsetzte 41 . Für Breckling, der in Hamburg Joachim Betkes „Antichristentum" kennen und schätzen gelernt hatte, bestand kein Zweifel daran, daß der Krieg mit seinen verheerenden Folgen als ein Strafgericht Gottes anzusehen sei, das seine Ursache vor allem in den Mißständen des geistlichen Standes habe. Aus diesem Grund übersandte er dem Flensburger Konsistorium 1659 eine Schrift, in der er dazu aufforderte, die Mißstände in der Geistlichkeit abzuschaffen. „So befinde ich endlich / daß nach dessen vnfehlbahren Schluß vnd Gottes von Himmel eigenem gezeugniß in vns / wir Prediger allerseits die vornemste vnd meiste vrsach dieser schrecklichen Gerichte Gottes über vns Lutherischen sein", schrieb er 1659 in seinem Brief an das Flensburger Konsistorium 42 . Wenn die Gerichte Gottes etwas gelindert werden sollten, so müsse die Besserung bei den Predigern und Lehrern, in den Schulen und auf den Universitäten beginnen. Obwohl Brecklings Kritik sehr scharf war und sie den Verhältnissen in den Herzogtümern nicht in vollem Maße Rechnung trug, wurde sie dennoch von vielen Geistlichen, besonders im südlichen Teil des Herzogtums Schleswig übernommen; die von Breckling aufgezeigten Mißstände wurden als ein Teil jenes düsteren Bildes angesehen, das sich ihnen durch die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage darbot. Auffallend ist die Ähnlichkeit, die zwischen der Schrift Brecklings an das Flensburger Konsistorium, 1660 in der erweiterten Fassung unter dem Titel „Speculum seu Lapis Lydius" herausgekommen, und den „Pia Desideria" Philipp Jakob Speners besteht. In beiden Schriften wird versucht, wenn auch in sehr unterschiedlichem Ton und mit verschiedenen Akzenten, eine Antwort zu geben auf Not und Elend der Zeit; bei beiden ist die Voraussetzung für die Besserung der allgemeinen Lebensverhältnisse die Abschaffung der Mißstände im geistlichen Stand. Deutlicher allerdings als bei Spener besteht bei Breckling ein Zusammenhang zwischen den Kriegsunruhen seiner Zeit und seinem Auftreten als „Bußrufer der Kirche" 43 . Die von Spener und Kortholt in moderater und von Breckling in scharfer Form vorgezeichnete Kritik an der Geistlichkeit wurde in den Herzogtümern von den frühen Pietisten aufgenommen und fortgeführt. 1701 beklagte Johann Melchior Krafft, damals Compastor in Süderstapel, daß in „den heutigen elenden Zeiten unsers Christenthums" die Liebe in fast allen Herzen erstorben sei, weil das Leben der meisten Leute nur darauf gerichtet sei, vor der Welt an Ansehen zu gewinnen; deshalb versuche man 41 42 43
Vgl. A n m . 2 des I. Kap. Breckling, Veritatis T r i u m p h u s , C,. Vgl. Erich H o f f m a n n , Stephan Klotz, S. 54.
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alles zu unterdrücken oder zu besudeln, was am Nächsten rühmenswert sei. Solches Verderben sei aber nicht nur beim weltlichen Stand festzustellen, sondern es sei „auch mit blutigen Thränen zu beweinen / daß dergleichen nicht weniger im geistlichen Stand im Schwang gehet" 44 . Derselbe Geistliche äußerte in einem kurz nach dem Ende des Nordischen Krieges geschriebenen Brief, daß er die Verderbtheit des Lehrstandes als das schlimmste Übel ansehe, trotz der großen Not, in der das Land stecke 45 . Den königlichen Generalsuperintendenten Thomas Clausen hielt Krafft auch nicht für den Mann, der geeignet schien, die Mißstände in der Geistlichkeit abzuschaffen. Der radikale Pietist Otto Lorentzen Strandiger 46 fragte in seiner Schrift „Heilsahme Warheit": „Woher kommt, daß noch heutigen Tages die Potentaten, Königreiche, Länder und Völcker in so schlechtem Vertrauen mit einander stehen, grossen theils auch gar blutige Kriege unter sich und mit den Türcken fuhren, Millionen Menschen massacriret, und vom grausamen Geschütz, Schwerdt, Hunger, Kälte, rothe Ruhr, Pestilentz jämmerlich getödtet werden, auch darunter viele Fürsten, Grafen, Baronen und Edel=Leute, offt mitten in ihren Sünden Lauff, u m k o m m e n (andere Straffen und Plagen mehr itzo zu geschweigen)." 4 7 „Es k o m m t gewißlich aller dieser Greuel und grausame Straffen GOttes her", wie er feststellte, „vomemlich von den Sünden und Heucheley vieler Hochgelahrten, und der Clerisey." 48 Neben den allgemeinen Klagen über die Verderbtheit des geistlichen Standes wurden auch immer wieder Klagen über einzelne Prediger und einzelne Mißstände in der Geistlichkeit unter den Pietisten laut. Wenn z. B. Johann Joachim Arends 1714 in einem Brief an Francke zwei „ärgerliche historien von Predigern" mitteilte, die leider nicht rar seien, wie er noch hinzufugte, so geschah dieses nicht unbedingt, um neue Klatschgeschichten zu berichten, sondern damit beabsichtigte er auch, anhand der einzelnen Beispiele auf die Mängel in der gesamten Priesterschaft aufmerksam zu machen 49 . Kritik an den Predigerberufungen hatte schon Breckling in seiner 44 Krato (= Johann Melchior Krafft), Die Gerettete Unschuld Zweyer Hoch=Fürstl. General-Superintendenten in den H e r z o g t ü m e r n Schleßwig-Holstein (Schleswig 1701) Vorrede. 45 KBK, Ledreb. 455, 14, 2°; J. M. Krafft a n j . G. von Holstein, Husum, 13. September 1721. 46 Z u Strandiger siehe H. N. A. Jensen und A. L. J. Michelsen, Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, IV (Kiel 1879) S. 179f; Feddersen, S. 375ff; Johannes Pedersen, Fra Brydningen mellem Orthodoksi og Pietisme, I = Teologiske Studier, Nr. 7 (Kopenhagen 1945) S. 23ff, 97ff und II = Teologiske Studier, Nr. 9 (Kopenhagen 1948) S. 36ff; Hans Friedrich Petersen, „Der Pietismus in Flensburg", Schriften der Gesellschaft f. Flensburger Stadtgeschichte 16 (1963) S. 15ff; Manfred Jakubowski, „Otto Lorentzen Strandigers Weg in den Separatismus", SSHKG, II, Bd. 37 (1981), S. 155-171. 47 ( o . O . 1717) S. 56f. 48 Ebenda. 49 AFSt, A 166: 1; J. J. Arends an A. H. Francke, Tondern, 1. Januar 1714.
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Schrift „Veritatis Triumphus" geäußert so . Diese Thematik behandelte auch der in Holstein im Exil lebende, ehemalige Archidiakon an der St. Marienkirche zu Köslin Johannes Block in seiner 1686 erschienenen Schrift „Untergehendes Luthertumb", die in sehr scharfen Worten die Art der damaligen Predigerberufungen brandmarkte: „Es ist leider aus dem Predig = A m b t e eine Mercatenterey/Zoll=Bude und Weiber Jahr=Marckt unter den Lutheranern geworden / daß viele Priester Wittwen und Töchter dabey sich brüsten und trotzen / die Pfarr= oder der Prediger=Dienst sey ihr Leibgeding / Eigenthumb / und E r b = G u t h / man müste die Witwe heyrathen oder des Ambts quit gehen / und werden dannenhero unter Tausenden kaum Einer oder der Andere rechtmeßig beruffen nach Christi Befehl und Einsetzung." 5 1 Trotz der im 17. Jahrhundert herrschenden Mißbräuche bei den Predigerberufungen war Blocks Kritik aber überzogen und seine Schärfe wohl auch darin begründet, daß es ihm in den fiinfjahren seines Exilaufenthaltes in Holstein nicht gelungen war, erneut in ein Predigtamt berufen zu werden 52 . Allerdings fand doch auch der gemäßigte Pietist Generalsuperintendent Hinrich Muhlius kritische Worte über die üblichen Predigerberufungen. Er beklagte die überall einreißenden Intrigen und den Gebrauch unredlicher Mittel bei Predigerwahlen. Viele versuchten „in das A m m t durch viele unordentliche Neben=Wege und unzuläßige practiquen einzudringen." 53 „Welches dann", wie er schrieb, „ein satsames Zeugnis ist / daß man in dem Ammt mehr das seinige / als was Christi ist / suche / mehr auf Eigennutz und Genuß / Ehr / Wollust und dergleichen / als auf Gottes Sache / und der armen Seelen Wolfahrt sehe. " 5 4 Auch über die Amtsführung der Geistlichen wurde von seiten der Pietisten Klage erhoben. In einem Rundschreiben aus dem Jahre 1722 z. B. ermahnte der Propst in Tondern Samuel Reimarus 55 auf Weisung des Amtmannes Johann Georg von Holstein die Confratres, daß sie sich bei allen öffentlichen Handlungen und vor allem vor dem Altar und dem Taufstein wie Prediger kleiden und aufführen sollten 56 . Am 17. September 1726 teilte Reimarus in einem 50 Breckling bemängelt darin, daß „mit den vocationibus zu solchem heiligen Ampt nach wie vor so liederlich" umgegangen würde. B6. 51 Johannes Block, Untergehendes Lutherthumb in ihren meisten Predigern / wegen der durch Lauffen und Freundschafft / durch Kauffen und Patronschafft / durch Einfreyen und Schwägerschafft / ärgerlich angenommenen Prediger (Hamburg 1686) S. 6. 52 Block, S. 4. 53 Hinrich Muhlius, Erörterung Verschiedener jetziger Zeit erregten Materien, In Dreyen Ordinations=Reden kürtzlich abgehandelt (Schleswig 1705) S. 106f. 54 Muhlius, Erörterung, S. 107. 55 Zu Reimarus siehe vor allem H. Hejselbjerg Paulsen, Sanderjysk Psalmesang 1717-1740 = Skrifter, udg. af Historisk Samfund for Scnderjylland Nr. 27 (1962) S. 92ff; selbstgeschriebener Lebenslauf von Reimarus abgedruckt in Johann Hinrich Fehse, Versuch einer Nachricht von den evangelischen Predigern in dem Nordertheil Dithmarschens (Flensburg 1769) S. 288 ff; ferner Wotschke, Pfarrer Günthers Kollektenreise, S. 329; Feddersen, S. 355. 56 LAAa, Tender provstearkiv, nr. 223; S. Reimarus an Confratres, Tondern, 16. September 1722.
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anderen Rundschreiben seinen Predigern der Propstei mit, daß an manchen Orten Klage über eine mangelhafte Krankenbetreuung durch die Geistlichen geführt werde. Dieses Versäumnis habe er „circulanter" kund tun wollen, „damit die Schuldigen sich vor Gott Schemen und beßern mögen, und man nicht genötiget werde hinkünfftiglich individualiter diesen und jehnen anzusprechen." 57 Die Pietisten in den Herzogtümern kritisierten aber nicht allein die moralische Qualität und die Amtsführung der Geistlichen, sondern beklagten auch das unchristliche Leben der Landesbewohner, welches ebenfalls eine Ursache für die Strafgerichte Gottes sei. Die Prediger, „die mit der Büß und treuesten arbeit das Epicurische Leben" angriffen, empfänden „den offenen Rachen des höllischen Wulffes", wie Johann Breckling um die Mitte des Jahres 1680 an seinen Bruder Friedrich schrieb 58 . Gegen den Wort- und Scheinglauben wandte sich Friedrich Petri 59 mit einem „Sendschreiben von den Mängeln der lutherischen Kirche", das er 1682 an die Prediger der Nordergoesharde versandte 60 . Auch der Flensburger Geistliche Thomas Lund 6 1 klagte in seinem Buch „Das geistliche Königreich auff Erden" darüber, daß viele Heuchler und Scheinheilige gefunden würden, die sich für gute Christen hielten, weil sie getaufft seien, sich zur Kirche bekennen und sich Christen nennen würden. In der Stunde der Anfechtung würde sich dann aber herausstellen, wie er meinte, daß sie nichts als „Krieger der Füllerey" und „Helden zu sauffen" seien, die keine Gewissensbisse hätten, ihre Nächsten zu übervorteilen 62 . Die gleichen Sorgen hatte Johann Melchior Krafft, wenn er dazu aufforderte, besonders fleißig gegen das opus operatum zu eifern, weil viele zwar äußerlich alles in der Kirche mitmachten, wie beten, singen, zur Beichte und zum Abendmahl gehen, um nicht als Atheisten angesehen zu werden, dabei aber „in allen Schlam der Sünden biß über die Ohren ungescheuet stecken" blieben 63 . Daß es nicht ausschließlich Pietisten waren, die sich über die mangelnde Frömmigkeit der Landesbewohner sorgten, zeigte ein Schreiben des Propstes und sämtlicher Prediger Norderdithmarschens von 1685 an den Fürsten, worin sie feststellten, „daß das rechte wahre Christenthum unter den
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LAAa, Tonder provstearkiv, nr. 223. Forschungsbibl. Gotha, Chart. A 413, Bl. 165; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 468. 59 Z u Petri siehe Cimb. lit., I, S. 486; Gottfried Arnold, KuKh, IV, S. 769f; Jensen/ Michelsen, IV, S. 172ff; Wotschke, Urkunden, S. 474ff; Feddersen, S. 354f; H. F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. 10. 60 Abgedruckt in: Krato (= J. M. Krafft), Die Gerettete Unschuld, S. 32ff. 61 Zu Lund siehe Cimb. lit, I, S. 369; Arends, Gejstligheden, II, S. 42; Arnold, KuKh, IV, S. 772; Wotschke, Urkunden, S. 469ff; Feddersen, S. 354. 62 Thomas Lund, Das Geistliche Königreich auff Erden (Plön 1691) S. 418 f. 63 Johann Melchior Krafft, Wahrer Historischer Bericht Von denen Schleßwig-Holsteinischen Kirchen=Streitigkeiten und Spaltungen (Schleswig 1705) Vorrede. 58
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heutigen Christen fast gar verloschen, da die meisten nichts mehr als den Schein eines Gottseligen Wesens haben." 6 4 „Sicherheit und alle Sünden" nähmen im Lande überhand, teilte Petri Friedrich Breckling am 10. Juni 1694 mit, und es sei zu befürchten, daß „uns die grassierenden strafen trefen, wo wir nicht in allen Stenden mit wahrer büße und deßen rechten Glaubens Früchten dem erzürneten Gott entgegen gehen." 6 5 Und der Schleswiger Geistliche Paul Stricker 66 klagte: „Hier geschehen fast Nacht Nachtlich Einbrüche und Diebstalle vor, hier höret man nichts als von Hurerey und Unzucht, aber man höret wenig von Eifer und Gerechtigkeit." 67 Auch über das lasterhafte Leben der Soldaten, Exzesse bei der Beerdigung, die Entheiligung des Sonntags und übermäßige Kleiderpracht wurde geklagt 68 . Die Nachrichten über Unzucht, Sauferei, Schlägerei, Diebstähle und andere Laster, wie sie hier und da immer wieder auftauchten, bestätigten das pietistische Bild vom verfallenden Christentum. Wie die Israeliten bald der Herausfuhrung aus Ägypten zu gedenken und zu danken vergaßen, schrieb Krafft, so sei auch die Herausfuhrung aus dem „geistlich-genannten Egypten, d. h. aus dem Papsttum bei vielen wieder vergessen worden"; denn betrachte er „den grossen Hauffen, und vergleiche dessen Zustand, Thun und Lassen mit GOttes klarem Wort, denen wahren Lehr=Erkenntnissen unserer Kirchen, und sonderlich auch mit der eigentlichen Art und Bewandniß des Neuen Bundes unter JEsu Christo, und wie dessen Geist alles desto herrlicher mit seinen Gnaden=Gaben erleuchten, heiligen, trösten, regieren und treiben soll; so kommet mich nichts denn Furcht, Angst und Schröcken an." 6 9 Es wäre sicherlich falsch, die von den Pietisten geäußerte Kritik am geistlichen Stand und am Kirchenvolk kritiklos zu übernehmen und zu verallgemeinern. Gewiß, es gab in den Jahrzehnten um 1700 auch in Schleswig-Holstein Prediger, die sich lieber den Freuden des Barockzeitalters hingaben, als ihr schweres Amt mit der dazu notwendigen Redlichkeit zu fuhren. Es liegt aber in der Natur der Sache, daß die vielen Geistlichen, die ihr Amt in der Stille ordentlich ausführten, viel seltener ins Licht der Öffentlichkeit und des allgemeinen Interesses rückten als diejenigen, welche durch einen unchristlichen Lebenswandel oder eine liederliche Amtsführung von sich Reden machten, wodurch dann allzu leicht ein falsches Bild von der Geistlichkeit entstehen konnte. Ähnliches gilt auch bei der Beurteilung des Kirchenvolkes. Dazu kommt, daß im Pietismus religiöse 64
LAS, Abt. 7, Nr. 4932. Forschungsbibl. Gotha, Chart. A 310, S. 51; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 474. 66 Zu Stricker siehe Cimb. lit., I, S. 667; Arends, Gejstligheden, II, S. 293; H. F. Petersen, „De s0nderjyske Vajsenhuse", S0A 1962, S. 53f. 67 KBK, Ledreb. 455, 20, 2°; Paul Stricker an J. G. von Holstein, Schleswig, 4. März 1718. 68 LAAa, T0nder provstearkiv, nr. 223; J. J. Arends an S. Reimarus, Risum, 24. Juni 1725 und 21. April 1721; KBK, Ledreb. 4 2 9 " , 2°; P. Clasen an J. W. Schröder, Rodenäs, 19. November 1728. 69 Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 31. 65
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und sittliche Ideale galten, die das Bild vom verfallenen Christentum nur noch verstärkten und dadurch erst recht jede Kritik am Vorhandenen berechtigt erscheinen ließen. Jedoch ist nicht zu bestreiten, daß gerade die langen Kriegsperioden des 17. und frühen 18. Jahrhunderts in den Herzogtümern zu einem allgemeinen Verfall der gesellschaftlichen Normen führten und daß dieses nicht allein von den Pietisten beklagt wurde 7 0 . Allerdings richteten die Pietisten mehr als andere Christen ihr Augenmerk auf den „Schaden Josephs", wie sie die Mißstände im Christentum oft zu bezeichnen pflegten; und dies aus drei Gründen: Diese Mißstände boten ihnen zum einen eine ihrer Ansicht nach plausible Erklärung für die Strafgerichte Gottes, also für Krieg, Not und Elend. Z u m anderen rechtfertigten die Mißstände im Christentum die von den Pietisten eifrig betriebenen Reformen im kirchlichen Bereich. Und drittens gilt es zu berücksichtigen, daß die Pietisten den religiösen und sittlichen Verfall im Christentum wie auch Kriege, Sturmfluten, Brände, Pestepidemien und andere Notlagen als „Zeichen der Zeit" ansahen, die das nahe Ende der Welt und eine Errettung von allem irdischen Leiden signalisierten und die deshalb besonders genau beobachtet werden mußten. Eschatologische Gedanken, die wie keine anderen theologischen Erwägungen dazu geeignet schienen, den durch Not und Elend gesunkenen Lebensmut der Menschen neu zu beleben, ihnen die Angst vor der Zukunft zu nehmen und eine „neue Sinnorientierung" zu geben 71 , fanden auch im frühen Pietismus der Herzogtümer Zuspruch und Verbreitung. Gott möge bewirken, schrieb schon Breckling 1660 mit dem Hinweis auf l.Joh. 2., „daß wir doch diese grewliche Zeiten recht prüfen / erkennen / auß dem erkandten Sodom außgehen / nach dem Hertzenswillen anfangen und zunehmen / uns bessern / gar ein neues und anders pflügen / uns den vielen Antichristen in dieser letzten Stunde widersetzen. " 7 2 Ein Jahr später betonte Breckling, daß man an „allen Ortern und Enden sehen / hören / greiffen und fühlen" könne, „daß es die letzte Zeiten seyn / da fast alles erfüllet was die Schrifft davon zuvor geweissaget / und so viel Zeichen und Wunder an allen Creaturen und Elementen täglich über und unter uns geschehen" 73 . 70 Trogillus Arnkiel z. B. berichtete in seinem Visitationsbericht von 1687: „Was vor zwei Jahren von der abscheulichen Entheiligung des Sabbaths, von dem elenden Zustand der Schulen, von der nachlaßung der Kirchendisziplin und offenbahre Buße ist referiret, habe diesmahl bei der Visitation eben also vorgefungen. Wo brachium seculare nicht ist, da gilt keine Vermahnung noch Warnung." (LAS Abt. 7, Nr. 2063). 71 Hartmut Lehmann, Absonderung und Gemeinschaft, S. 66; vgl. Martin Greschat, „Die .Hoffnung besserer Zeiten' für die Kirche", in: ders. (Hg.), Zur neueren Pietismusforschung (Darmstadt 1977) S. 135 f. 72 Friedrich Breckling, S P E C U L U M Seu Lapis Lydius Pastorum (Amsterdam 1660) Vorrede. Ausfuhrlich stellte Breckling seine chiliastische Lehre in der 1663 erschienenen Schrift „Das Geheimniß des Reichs von der Monarchi Christi auff Erden" dar. 73 Friedrich Breckling, C H R I S T U S cum suis Prophetis & Apostolis redivivus. G O T T E S W O R T / Welches G O T T dieser gegenwärtigen Welt in allen Ständen / Secten und Oertern
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Auch in seinen Briefen ermahnte er seine Freunde und Verwandten in dem Herzogtum Schleswig immer wieder, sich mit der Apokalypse zu beschäftigen, die flir ihn die Grundlage für die „Hoffnung besserer Zeiten" war 7 4 . Über die Verbreitung eschatologischen Denkens im frühen Pietismus berichtete auch der Pietistengegner Generalsuperintendent Josua Schwartz in seinem Bericht über die Generalkirchenvisitation von 1691, in dem er feststellte, daß unter den Pietisten „auch die meisten, wo nicht alle, mit dem in der Kirchen vor vielen seculis verdampfen Chiliasmo von einem 1000 Jährigen sichtbaren Reiche Christi vorm Jüngsten tage behafftet, in welchem reiche, lauter vollkommene heiligkeit und gerechtigkeit in der Welt seyn werde." 7 5 U m die Verbreitung chiliastischer Lehrmeinungen zu unterbinden, wurde noch im selben Jahr auf der Synode ein entsprechender Beschluß gefaßt 76 . Am 27. Februar 1695 teilte Josua Schwartz dem König erneut mit, „daß der so genandte grobe Ketzerische Chiliasmus eben hie in Holstein, durch Doctor Petersen entstanden von nicht gemeinen leuten, beyfall gehabt, undt vielleicht auch annoch hat, die Prediger auch, sonderlich auff dem Lande sich des D. Speners Schrifften, da mit er seinen so genandten Subtilen Chiliasmum insinuirt, bedienen, viel Studiosi auch, von dem Fürstlichen General Superintendent Sandhagen, der gleichfals diesen subtilen offenbahrlich beydes Schrifft- undt mundlich lehret, sich sonderlich informiren laßen." 7 7 Wie groß der Einfluß Johann Wilhelm Petersens, der von 1678-1688 das Amt des Superintendenten in Eutin innehatte, in Holstein tatsächlich war, ist ungewiß 7 8 . Petersen jedenfalls betonte in seiner „Lebens-Beschreibung", daß es nur wenige Personen gab, mit denen er sich in der Residenz und auf dem Lande „erbauen" konnte 79 . Im Adel scheint er einige Anhänger gehabt zu haben, namentlich erwähnt er aber nur die Adligen Christian von Rantzau und Graf von Brockdorff 8 0 . Einen gleichgesinnten Freund fand er selbst redet / und von seinen Zeugen / ohne Furcht und Ansehung der Person / hart wil geredet haben. Sampt der endlichen Ankündigung des Rach-tages und Gerichts an diese heutige Welt / ob sie darin noch ihre Häupter auffrichten / diese gegenwärtige Zeiten / Urtheil und Gerichte in acht nehmen / und mit den Kindern Gottes auß diesem anbrennenden Sodom und Babel / zu ihrer eigenen Erlösung außgehen wolten. (1661) S. 3. 74 Vgl. Wotschke, Urkunden, S. 471 ff, 483, 485. 75 LAS, Abt. 19, Nr. 642. 76 Samuel Christoph Burchardi, Ueber Synoden, besonders über die im 17"" und 18"" Jahrhundert gehaltenen Schleswig=Holsteinischen, Königlichen Antheils, aus handschriftlichen Nachrichten (Oldenburg 1837) S. 40. 77 RAK, Kobenhavns Universitet, 31-03-01. 78 Zu Petersen siehe vor allem Johann Wilhelm Petersen, Lebens=Beschreibung, 2. Ed. ( o . O . 1719); Albrecht Ritsehl, Geschichte des Pietismus, Bd. 2 (Bonn 1884) S. 225ff; Walter Nordmann, „Die Eschatologie des Ehepaares Petersen, ihre Entwicklung und Auflösung", Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt 26 (1930) S. 83-108 und 27 (1931) S. 1-19; Feddersen, S. 352 f. 79 J. W. Petersen, Lebens=Beschreibung, S. 59. 80 J. W. Petersen, Lebens=Beschreibung, S. 82.
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in dem Giekauer Geistlichen Johann Christoph Linekogel 81 . Den Rektor von Oldesloe Johannes Kemler beförderte Petersen in Eutin zum Diakon 82 ; auch gewann er ihn als Teilhaber der „Frankfurter Compagnie", die Land in Pennsylvania besaß, das sie Gleichgesinnten zur Besiedlung zur Verfügung stellte 83 . Bekannt ist außerdem, daß die beiden Geistlichen Petrus Lackmann 84 , später Pastor in Oldenburg/Holstein, undjohännes Steinhammer 8 5 , später Pastor in Friedrichstadt, das Ehepaar Petersen in Niederdodeleben besuchten. Größeren Einfluß darf man dem fürstlichen Generalsuperintendenten Caspar Hermann Sandhagen 86 zusprechen, der mit seinen chiliastischen Ansichten den Anlaß zur ersten literarischen Auseinandersetzung zwischen den Generalsuperintendenten der Herzogtümer gab. Sandhagen sandte nämlich im Mai 1696 seinen Predigern zum Bußtag eine Auslegung des 7. Kapitels des Propheten Micha, in der er von der „Hoffnung besserer Zeiten" und einer noch bevorstehenden Judenbekehrung schrieb. Der königliche Generalsuperintendent Schwartz meinte gegen diesen subtilen Chiliasmus öffentlich vorgehen zu müssen, weil er der lutherischen Lehre widerspreche, und brachte deshalb seine Schrift „Gründliche Widerlegung einer durchgehends dem Chiliasmo dienenden Außlegung des Siebenden Capittels Michae" heraus. Sandhagen konnte sich nicht mehr verteidigen, da er bald darauf starb. Der Streit über die Lehre von der „Hoffnung besserer Zeiten", bzw. über den Chiliasmus wurde aber noch einige Jahre fortgesetzt. Hauptkontrahenten dieses Streits blieben die Generalsuperintendenten: Josua Schwartz als Vertreter der lutherischen Orthodoxie und Hinrich Muhlius, der Nachfolger Sandhagens, als Vertreter des Pietismus 87 . An dieser öffentlichen Kontroverse zeigte sich, welch hohen Stellenwert die Lehre von der „Hoffnung besserer Zeiten" um 1700 hatte. 81 J. W. Petersen, Lebens=Beschreibung, S. 60. Zu Linekogel siehe Cimb. lit., II, S. 480; Burchardi, Ueber Synoden, S. 61 f; Jensen/Michelsen, IV., S. 174f; Feddersen, S. 353, 361 f. 82 J. W. Petersen, Lebens=Beschreibung, S. 58. Kemler war von 1683-1697 Diakon in Eutin, siehe Walter Körber, (Hg.), Kirchen in Vicelins Land. Eine Eutinische Kirchenkunde (Eutin 1977) S. 289. 83 Oswald Seidensticker, Bilder aus der Deutsch-pennsylvanischen Geschichte (New York 1885) S. 31 f; Julius Friedrich Sachse, The German Pietists of Provincial Pennsylvania 1694-1708 (Philadelphia 1895) S. 167 f. 84 Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 215. Zu Lackmann siehe Cimb. lit., I, S. 322; Arends, Gejstligheden, II, S. 5; Carsten Erich Carstens, „Die geistlichen Liederdichter SchleswigHolsteins", Z S H G 16 (1886) S. 317f; Wotschke, „Der märkische Freundeskreis Brecklings", Jahrbuch f. Brandenburgische Kirchengeschichte, 25. Jg. (1930) S. 215 A 139; Aland, SpenerStudien, S. 152. 85 KBK, N K S 396°, 8°, Stammbuch von Johannes Steinhammer. Zu Steinhammer siehe Arends, Gejstligheden, II, S. 285. 86 Zu Sandhagen siehe Cimb. lit., II, S. 751 ff; A D B 30, S. 355f;DBL 2 , 20, S. 559f;Johann. Georg Bertram, Das Evangelische Lüneburg Oder R E F O R M A T I O N S - U n d Kirchen=Historie Der Alt=berühmten Stadt Lüneburg (Braunschweig 1719) S. 236ff; C. E. Carstens, Die Generalsuperintendenten, S. 27ff; Feddersen, S. 212ff; Skovgaard, S. 81 f. 87 Siehe Feddersen, S. 359 ff.
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Die von Sandhagen und Muhlius vertretene „Hoffnung besserer Zeiten", die auf einer Linie lag mit der Spenerschen Eschatologie, stellte der Not und den Plagen der Zeit den Trost einer sich schon in der Gegenwart abzeichnenden Besserung der Zeiten gegenüber. „Und je mehr Satan in den letzten Zeiten noch wüten wird / je grössere Hoffnung fasse ich", schrieb Muhlius, „daß Zunehmen in der Göttlichen Erkänntnis werde mehr und mehr offenbahret / und diejenige Mängel nach und nach ersetzet werden / die so viel tapfere und rechtgläubige Theologi, nicht allein in ihren piis desideriis und gravaminibus, sondern auch in andern Schrifften klüglich und wolbedächtlich angegeben." 88 Im Gegensatz zu der lutherischen Lehre von den letzten Dingen, die ein Ende der Welt und der Geschichte ankündigt und dem Menschen in dem apokalyptischen Geschehen nur eine passive Rolle einräumt, redete die pietistische Eschatologie von einem endzeitlichen Handeln Gottes in der Geschichte, in das der einzelne Christ einbezogen ist und das zu besseren Zeiten auf Erden fuhren werde 8 9 . Die „Hoffnung besserer Zeiten" bzw. der Chiliasmus war „die entscheidende theologische Differenz zwischen Orthodoxie und Pietismus", so Johannes Wallmann, und „das theologisch Neue, das der Spenersche Pietismus in die lutherische Kirche" einbrachte 90 . Dementsprechend zeigte die Auseinandersetzung zwischen den Generalsuperintendenten der Herzogtümer, daß für Schwartz der Kampf gegen den Chiliasmus mit dem Kampf gegen den Pietismus identisch war. Schwartz betonte, daß der Pietismus den Chiliasmus als einen Zweck in sich begreife, was bedeute, daß der Glauben und das Leben der Pietisten vor allem auf die baldige Errichtung des Tausendjährigen Reiches gerichtet seien 91 . Für Schwartz war die chiliastische Eschatologie somit ein konstitutives Element des Pietismus.
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Muhlius, Erörterung, S. 32. Vgl. Martin Greschat, Zwischen Tradition und neuem Anfang, V. E. Löscher und der Ausgang der lutherischen Orthodoxie = Untersuchungen zur Kirchengeschichte 5 (Witten 1971) S. 208-219; Wiederdruck unter dem Titel „Die .Hoffnung besserer Zeiten' fur die Kirche", in: ders. (Hg.), Zur neueren Pietismusforschung (Darmstadt 1977) S. 224-239, bes. S. 237 f. 90 Johannes Wallmann, „Reformation, Orthodoxie, Pietismus", Jahrbuch d. Gesellschaft f. niedersächsische Kirchengeschichte 70 (1972) S. 198. 91 Josua Schwartz, Chiliastische Vorspiele (Flensburg 1705) S. 406. 89
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II. Die Entfaltung des Pietismus in den Herzogtümern. Formen der Aufnahme und Vermittlung pietistischer Ideen Das Eindringen und die Entfaltung des Pietismus in den Herzogtümern wird häufig mit Metaphern beschrieben: als eine von Norddeutschland durch die Herzogtümer „hinaufsteigende Welle" 1 , als ein „starker Strom gegen die Kirchen des Nordens" 2 oder als eine „Strömung von Süden" 3 . Hamburg wird als das „Haupteinfallstor" des Pietismus nach Norden bezeichnet 4 ; auch von Lübeck soll die pietistische Bewegung auf die Herzogtümer übergegriffen haben 5 . Durch diese Metaphern wird ein ungenaues Bild vom Eindringen und von der Verbreitung des Pietismus in Schleswig und Holstein vermittelt und zugleich die Schwierigkeit deutlich gemacht, die Entfaltung von Frömmigkeitsbewegungen adäquat zu beschreiben. Schon die Vorstellung, daß zuerst der Süden und von dort ausgehend allmählich der Norden der Herzogtümer von der pietistischen Bewegung erreicht wurde, läßt sich nicht aufrechterhalten; denn der Pietismus fand zunächst ohnehin nur vereinzelt, in wenigen Orten und Gegenden Anhänger, und im Norden mindestens genauso früh wie im Süden. Die Verbreitung des Pietismus in Schleswig-Holstein war ein komplexes Geschehen, das über viele Träger und in vielen Formen vor sich ging-
Briefe Schon aus der Quantität der überlieferten Briefe des Pietismus läßt sich ersehen, daß die Briefliteratur für den Pietismus eine besonders große Bedeutung hatte; man denke nur an die umfangreiche Briefsammlung im Archiv der Franckeschen Stiftungen 6 und an die Briefe Speners, die zum Teil noch zu seinen Lebzeiten in mehreren Bänden im Druck erschienen 7 . Die veröffentlichten Briefe Speners, von ihm selbst „Theologische BedenPedersen, Fra Brydningen, I, S. 13. Den Danske Kirkes Historie, V, S. 20. 3 Pedersen, Fra Brydningen, I, S. 15. 4 Feddersen, S. 349. 5 Feddersen, S. 350. 6 Vgl. Jürgen Storz, „Archiv der Franckeschen Stiftungen", Zentralblatt für Bibliothekswesen (1957) S. 3 7 - 3 9 ; Franz Zimmermann, „Die Hauptbibliothek der Franckeschen Stiftungen zu Halle an der Saale", Das Antiquariat X V I I (1966) S. 2 1 7 - 2 2 0 . 7 Philipp Jakob Spener, Theologische Bedenken, 1 . - 4 . Teil (Halle 1 7 0 0 - 1 7 0 2 ) ; außerdem ders., Letzte Theologische Bedenken (Halle 1711) und Consilia etjudicia theoiogica latina, 1 . - 3 . Teil (Frankfurt/M. 1709). 1
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ken" genannt, sind vor allem Antworten auf theologische, kirchliche und theologisch-praktische Fragen, die nicht nur aus der Geistlichkeit, sondern aus allen Ständen an ihn herangetragen wurden 8 . Persönliches findet sich in den Briefen selten; Spener redigierte die Briefe vor der Drucklegung sorgfältig und strich alles heraus, was auf den Adressaten und den konkreten Anlaß der Anfrage schließen ließ. Aber auch in den handschriftlich überlieferten Briefen werden nur selten persönliche Dinge angesprochen, eine Ausnahme bildeten, wie K. Aland zeigt, die Briefe an Frau Anna Elisabeth Kißner, eine Frankfurter Freundin Speners 9 . Obwohl Speners Briefe, die mit der ihm eigenen Vorsicht und Genauigkeit formuliert wurden, u m den Gegnern möglichst jede Gelegenheit zur Kritik zu nehmen, jeweils einen konkreten Anlaß hatten, waren sie für das 17. und 18. Jahrhundert, zumindest aber für die Pietisten jener Zeit „so etwas wie ein geistliches Orakel", „ein Ratgeber in allen Fragen und Nöten des Lebens" 1 0 . Indem Spener aber mit seinen Briefen als Ratgeber wirkte, trug er zugleich, und das auch bewußt, zur Verbreitung und Festigung seiner Ideen bei. Spener knüpfte jedoch auch von sich aus Briefwechsel mit Geistlichen und Gelehrten an, um sich mit ihnen über die Zustände in der evangelischen Kirche auszutauschen 11 . Wie auch immer die Korrespondenz Speners zustande gekommen sein mag, sie hatte einen nicht geringen Anteil an der Verbreitung des frühen Pietismus. Über Speners Beziehungen nach Schleswig-Holstein ist wenig bekannt. Unter den uns bekannten Spenerkorrespondenten finden wir nur wenige Schleswig-Holsteiner, davon waren mehrere keine Anhänger des Pietismus wie der Apenrader Propst Trogillus Arnkiel 1 2 , der Kieler Professor der Naturkunde Johann Ludwig Hannemann 1 3 und der Schleswiger Rektor Daniel Hartnack 1 4 ; selbst ein entschiedener Gegner des Pietismus wie der 8 Vgl. Georg Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes, 2. Aufl., II (Frankfurt/M. 1968) S. 155f. 9 Aland, Kirchengeschichtliche Entwürfe, S. 523-542, bes. 533ff. 1 0 Aland, Kirchengeschichtliche Entwürfe, S. 532. 1 1 Vgl. Blaufuß, Reichsstadt und Pietismus, S. 98, 126. 1 2 Siehe Spener, T h B , IV, S. 255ff; vgl. Dietrich Blaufuß, Spener-Arbeiten. Quellenstudien und Untersuchungen zu Philipp J a c o b Spener und zur frühen Wirkung des lutherischen Pietismus = Europäische Hochschulschriften, Reihe X X I I , Bd. 46 (Bern und Frankfurt/M. 1975) S. 235; zu Arnkiel siehe C i m b . lit., I, S. 22; N D B , 1, S. 375f; S H B L , 2, S. 42f; D B L 3 , 1, S. 294f; Jensen/Michelsen, IV, S. 80, 113ff; Carsten Erich Carstens, „Propst Magister Trogillus Arnkiel", Kirchen- und Schulbl., Nr. 48 (1889) S. 191 f; Emil Hansen, Geschichte der Konfirmation in Schleswig-Holstein = S S H K G , I, Heft 6 (1911) bes. S. 161; Feddersen, S. 206f, 499, 503ff, 506f; J . Hvidfeldt und P. Kr. Iversen, Aabenraa B y s Historie, Bd. 1 = Skrifter, udg. af Hist. Samfund for Sonderjylland, Nr. 25 (1961) S. 196ff. 1 3 Siehe Blaufuß, Spener-Arbeiten, S. 81; zu Hannemann siehe Carl Rodenberg/Volquart Pauls, Die Anfänge der Christian-Albrechts Universität Kiel = Q U F G S H 31 (Neumünster 1955) S. 378-386. 1 4 Siehe Blaufuß, Spener-Arbeiten, S. 139; zu Hartnack siehe Cimb. lit., II, S. 298ff; Jensen/Michelsen, IV, S. 153; Arends, Gejstligheden, I, S. 326f.
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königliche Generalsuperintendent Theodor Dassow stand mit Spener im Briefwechsel 15 . Dagegen dürfen wir die folgenden schleswig-holsteinischen Spenerkorrespondenten wohl zu seinen Anhängern zählen: den Propst von Eiderstedt und späteren Generalsuperintendenten von Oldenburg-Delmenhorst, Nikolaus Alard 16 , den gottorfischen Generalsuperintendenten Caspar Hermann Sandhagen 17 und den Viöler Diakon Friedrich Petri 18 ; vielleicht zählen zu diesem Kreis auch die Spenerkorrespondenten Johann Burkhard May 1 9 , Professor der Beredsamkeit und der Geschichte in Kiel und ein Bruder des bekannten Gießener Pietisten Johann Heinrich May, und Matthias Wasmuth 2 0 , Professor der Theologie in Kiel. Speners wichtigster Korrespondent in den Herzogtümern war ohne Zweifel der Kieler Theologieprofessor Christian Kortholt, dem er die Vorrede zur Neuausgabe von Johann Arndts Postille mit der Bitte um Stellungnahme zusandte 21 . Wie bereits erwähnt, veröffentlichte Kortholt als Antwort auf dieses Reformprogramm seinen „Wolgemeinten Vorschlag". Obwohl Spenerbriefe an Kortholt erst für die Zeit nach 1676 ermittelt werden konnten, scheint es wahrscheinlich, daß die Freundschaft und somit auch ein Briefwechsel zwischen den beiden Theologen schon vor dem Erscheinen der „Pia Desideria" bestand; sonst wäre Speners Äußerung in den „Pia Desideria" mißverständlich, wo Kortholt als „mein in dem HErrn viel=geehrter Freund" bezeichnet wird 22 . Hieran schließt sich dann die von Aland zu Recht gestellte Frage an, inwieweit Spener in seinem Reformprogramm auch von den Männern abhängig war, auf die er sich in den „Pia Desideria" beruft, und dazu gehörte Kortholt 2 3 . Die Untersuchung einer solchen Abhängigkeit stieße im Falle Kortholt auf immense Schwierigkeiten, da die dazu notwendigen Quellen bisher nicht aufgefunden wurden. 15 Siehe Blaufuß, Spener-Arbeiten, S. 78; zu Dassow siehe vor allem Cimb. lit., I, S. 127 ff; Feddersen, S. 223f, 383ff; Skovgaard, S. 99ff. Als Dassow noch Professor in Wittenberg war, urteilte Spener sehr positiv über ihn, siehe Spener, LThB, III, S. 347. 16 Siehe Spener, ThB, 1, S. 179ff; freundlicher Hinweis von Dietrich Blaufuß; zu Alard siehe Aage Dahl, Ejdersted Provstis Prxstehistorie, I, S. 14; Arends, I, S. 6; Cimb. lit., I, S. 10; R. Hansen, Die Gewissensnot, S. 303, 310ff. 17 Siehe Spener, ThB, IV, S. 638; ders., Cons. etjudicia, 3, S. 170 und LThB, I, S. 275; zu Sandhagen siehe Anm. 86 Kap. I. 18 Siehe Jensen/Michelsen, IV, S. 172; zu Petri siehe Anm. 59 Kap. I. 19 Siehe Blaufuß, Spener-Arbeiten, S. 86; zu May siehe Rodenberg/Pauls, S. 328-331; 333-337. 20 Siehe Blaufuß, Spener-Arbeiten, S. 97; zu Wasmuth siehe Rodenberg/Pauls, bes. S. 204-208, 230, 232-234, 313-320, 361-363; vgl. auch J. W. Petersen, Lebens=Beschreibung, S. 83. 21 Johannes Wallmann, „Postillenvorrede und Pia Desideria Philipp Jakob Speners. Einige Bemerkungen zu Veranlassung, Verbreitung und Druck der Programmschrift des lutherischen Pietismus", in: Der Pietismus in Gestalten und Wirkungen, Festschrift f. Martin Schmidt (Bielefeld 1975) S. 472. 22 Spener, Pia Desideria, S. 13. 23 Aland, Spener-Studien, S. 55.
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Für die späteren Jahre liegen einige Briefe und Teildrucke von Briefen an Kortholt vor, in denen Spener über Vorschläge zur Verbesserung des akademischen Lebens und zur Förderung der katechetischen Arbeit berichtet, Themen, die Kortholt und Spener auch schon in ihren Reformschriften behandelt hatten. Ausführlich unterrichtet wurde Kortholt außerdem über August Hermann Francke und seine Streitigkeiten in Leipzig 2 4 . Kortholt gehörte auch zu jenen fünf Theologen, die Spener 1686 um Rat fragte, ob er die Berufung als Oberhofprediger an den kurfürstlich-sächsischen H o f in Dresden annehmen solle, wozu Kortholt ihm riet 25 . Für den frühen Pietismus in Schleswig-Holstein war die Korrespondenz zwischen Kortholt und Spener nicht unbedeutend; hier waren zwei Männer in Verbindung getreten, die zunächst ein ähnliches Anliegen hatten, nämlich die Mißstände in der Kirche zu beheben. Wenn Kortholt auch kein Pietist wurde, weil er die mystisch-spiritualistischen und eschatologischen Gedanken des Pietismus ablehnte, so trug er doch dazu bei, die von Spener in seinen „Pia Desideria" aufgezeigten Vorschläge zur Verbesserung des kirchlichen Lebens bekannt zu machen. Allerdings zeigte schon die als Antwort auf Speners „Pia Desideria" veröffentlichte Reformschrift Kortholts die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Theologen. Im Gegensatz zum späteren Pietismus verstand Kortholt die „Pia Desideria" keineswegs als eine Programmschrift, sondern als einen Diskussionsbeitrag zur Frage, wie die Mißstände in der Kirche abgeschafft werden könnten. Diesem Spenerschen Beitrag setzte Kortholt seine Schrift zur Seite, u m die Diskussion weiter zu bringen. Deshalb betonte Kortholt auch in dem „Wolgemeinten Vorschlag", daß jene richtig handelten, „welche ihre Gedancken nicht allein mit Ernst auff solch hochwichtiges Werck richten / sondern auch dieselbe zu Papier bringen / und dergestalt andern communiciren; Damit die deßfals vorgeschlagene Mittel desto reifflicher erwogen / und nach Befinden approbiret, verbessert / oder auch / warumb und wie weit sie keine statt finden können / bescheidentlich angezeiget werden möge. U n d wil demnach auch Ich / wie mir diese Sache vorkomme / und welcher Gestalt solch heylsames Werck meinem wenigem Bedüncken nach / auffs fuglichste anzugreiffen seyn möchte / zwar kürtzlich und einfältig / jedoch aber darbey auffrichtig und offenhertzig im Namen GOttes anzeig e n . " 2 6 Auffallend ist aber, daß Kortholt in seiner Schrift auf die zwei wesentlichen Elemente des Pietismus, die Spener in den „Pia Desideria" darlegte, gar nicht einging: die „Hoffnung besserer Zeiten" und die K o n ventikel. Kortholts Schrift hatte somit vor allem zwei Intentionen: Sie 2 4 Siehe die Briefe Speners an Kortholt aus den Jahren 1680-1692 in der U B Kiel ( S H 406, A 4) und in Speners Consilia III, S. 144f, 219f, 240ff, 276ff, 364f, 7 3 0 f und T h B , 3, S. 679ff; vgl. Dietrich Blaufuß, „Gottlieb Spizels Gutachten zu Ph. J . Speners Berufung nach Dresden (1686)", Zeitschrift f. bayerische Kirchengeschichte 40 (1971) S. 100. 2 5 AFSt, C 145: 9; vgl. Blaufuß, Spizels Gutachten, S. 108. 2 6 Kortholt, Wolgemeinter Vorschlag, S. 9.
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sollte Speners Vorschläge zur Verbesserung des kirchlichen Lebens in den Punkten präzisieren, in denen beide einer Meinung waren, wie die N o t wendigkeit einer Intensivierung der religiösen Erziehung durch Eltern, Lehrer und Prediger, die Betonung der Praxis Pietatis im Christentum, die Reform des Theologiestudiums und die Verbesserung der Predigten. Dagegen wollte Kortholt an den Inhalten lutherischer Lehre und an der Organisationsform der Kirche unverändert festhalten, weshalb weder die pietistische Eschatologie noch die Konventikel von ihm gutgeheißen wurden. Kortholts Schrift stellte also nicht so sehr die Praktizierbarkeit des Spenerschen Programms in Frage, sondern setzte aus theologischen Gründen andere Akzente. Z u jenen bekannten Pietisten, die durch eine umfangreiche Korrespondenz für ihre Ideen warben, gehörte auch Friedrich Breckling. Die Bedeutung Brecklings für den frühen Pietismus ist bisher nicht hinlänglich untersucht worden; die Ermittlung und Auswertung seines Briefwechsels könnte darüber neue Aufschlüsse geben. „Es ist durchaus möglich", so Martin Schmidt, „daß seine [Brecklings] überaus fleißige Schriftstellerei und Briefstellerei eine ganz entscheidende Bedeutung für die Verbreitung des mystisch-spiritualistischen Gedankengutes in Norddeutschland besaß und für den Zusammenhalt der Zerstreuten sorgte." 2 7 . Zu seinem Heimatland Schleswig-Holstein unterhielt Breckling jedenfalls sein ganzes Leben lang Verbindungen; mit Verwandten und Freunden aus den Herzogtümern stand er in regem Briefwechsel 2 8 . Allerdings sind die Briefe Brecklings nicht überliefert; es gibt nur einige Antwortschreiben an ihn aus den Jahren 1680-1710 2 9 . Es darf aber als sicher gelten, daß seine Korrespondenz in die Herzogtümer sehr umfassend war. Gar keine Briefe sind z . B . aus dem Briefwechsel mit Andreas Hoyer, einem Vetter Brecklings, überliefert, von dem Breckling in seinem „Katalog der Wahrheitszeugen" schrieb, daß er ihm mit Rat und Tat in seinem Exil beigestanden habe 3 0 . Die Briefe an Breckling geben uns darüber Aufschluß, welche Fragen und Themen zwischen den Briefpartnern behandelt wurden. Auffallend ist, daß Breckling seine Adressaten immer wieder zur Beschäftigung mit der Apokalypse ermahnte. „Gleichwie mein hochgeehrter Herr, also hat auch gedachter Herr Sandhagen Apocalypsin Johannis fleißigst zu lesen vnd zu betrachten mich angemahnet," schrieb der Flensburger Geistliche T h o m a s Lund 1691 an Breckling, „vnd habe zu dem Ende mir von den Unsrigen an die Hand geschaffet Hoe, Gerhardum, Kromayer, auch den Brigtemannum, der mir in vielen Dingen sehr wol gefält, vnd den Ich alle 2 7 Martin Schmidt, „ D e r Pietismus in Nordwestdeutschland", Jahrbuch d. Gesellschaft f. niedersächs. Kirchengeschichte 70 (1972) S. 154. 2 8 Vgl. Moltesen, S. 118; Wotschke, Urkunden, S. 455. 2 9 Forschungsbibl. Gotha, Chart. A, 310; A 413; B 198; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 466 ff, 482ff. 3 0 Arnold, K u K h , IV, S. 772.
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tage höher achte, absonderlich darumb, weil Er die Ordnung der Zeiten, wie Selbige auf einander folgen, so accurat in acht nimbt, vnd nicht das eine in das ander wirfft. " 3 1 Damit auch die Gemeinde über die Offenbarung des Johannes aufgeklärt würde, machte Breckling Lund sogar den Vorschlag, die Offenbarung in den Donnerstagspredigten zu behandeln. „Solches aber, wie gern Ich wolte, muß Ich noch in etwas lassen anstehen, weil Ich damit nicht wol einen Anfang machen kan, ehe Ich gründliche Wissenschafft dieses buchs von Anfang zu Ende habe, damit Ich nicht etwas ungewisses meinen Zuhörern vorbringen möge: Denn wie bekand, so sind über jegliches Caput quot capita tot sensus." 32 Aus diesem Grunde hielt es Lund für wünschenswert, daß Breckling, „dem Gott ein Pfund mehr alß vielen andern anvertrauet", eine Abhandlung über die Apokalypse verfasse; denn dadurch würde er „ein groß nützlich Werck thuen" 3 3 . Auch in einem Brief an den Flensburger Geistlichen Franz Möller wies Breckling auf die Beschäftigung mit der Apokalypse hin 34 . „Was Mein Herr Oheimb von dem studio Apocalyptico-Prophetico schreibet", antwortete Möller, „verwerfe ich nicht, der ich nicht vielmehr lust haben solte, in demselben mich etwas beßer zu üben, maßen ich nicht leugnen kan, das viele tiefe Geheimnisse darin liegen, die noch an der Kirche Gottes zu erfüllen." 35 Wenn Breckling wieder einmal schreibe, möchte er seine Meinung über die Apokalypse mitteilen. Das von Breckling empfohlene Buch über die Apokalypse von dem Essener Bürgermeister Theodor Matthias Beckmann wolle er sich beschaffen und sich dann etwas gründlicher, „doch ohne allem praeiudicio", mit der Apokalypse befassen 36 . Zu ergänzen bleibt, daß auch der Flensburger Diakon Johann Ocksen, späterer Bischof von Aarhus und eine der führenden Gestalten des dänischen Pietismus, ebenfalls von Breckling zum Studium der Apokalypse und der Propheten ermuntert wurde, wie aus seinem Brief an Breckling vom 6. Juli 1705 zu ersehen ist 37 . Breckling versuchte also Verwandte und Freunde in der Heimat in seinen
31 Forschungsbibl. Gotha, Chart. B 198, Bl. 276; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 471. Siehe auch Anm. 61 Kap. I. 32 Forschungsbibl. Gotha, Chart. B 198, Bl. 276; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 472. 33 Ebenda. 34 Z u Möller siehe Cimb. lit., 1. S. 425; Olaus Hinrich Moller, Historische Nachricht von der St. Johanniskirche in Flensburg und den Diaconis, die seit 200 Jahren bis hieher derselben vorgestanden (Flensburg 1763) S. 22ff; Wotschke, Urkunden, S. 482f; ders., Pfarrer Günthers Kollektenreise, S. 328; Feddersen, S. 354, 385 f; H. F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. 19. 35 Forschungsbibl. Gotha, Chart. A 310, S. 91; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 483. 36 Beckmann redete in seiner 1704 veröffentlichten Schrift von unmittelbar bevorstehenden besseren Zeiten. Vgl. Wotschke, „Friedrich Brecklings niederrheinischer Freundeskreis", Monatsheft f. rheinische Kirchengeschichte 21 (1927) S. 12ff, 20. 37 Forschungsbibl. Gotha, Chart. A 310, S. 89; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 484ff. Ocksen war von 1694-1707 Diakon in Flensburg; über seine Flensburger Zeit siehe H. F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. 13ff.
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Briefen für eschatologische Fragen zu motivieren, die bei ihm mit zunehmendem Alter einen immer größeren Raum in seinem Denken einnahmen. Der Einfluß Brecklings auf die frühen Pietisten in den Herzogtümern darf nicht zu gering angesehen werden; Breckling genoß ein hohes Ansehen bei seinen Landsleuten, wie die Briefe an ihn zeigen. Sie begegneten ihm mit Ehrfurcht und Hochachtung und nahmen seinen Rat gerne an. Diese Wertschätzung Brecklings ging teilweise noch auf sein kurzes Wirken in Flensburg während der Schwedenkriege 1657-1660 zurück. Als Gehilfe seines Schwagers, des Diakons an St. Nikolai Olaus Moller, hatte sich Breckling damals unter schwierigen Bedingungen um die Flensburger Gemeinden verdient gemacht und dadurch die Zuneigung der Flensburger Bürger gewonnen 3 8 . Thomas Lund, den Breckling in seinen „Katalog der Wahrheitszeugen" aufnahm, kannte Breckling noch aus dieser Zeit 3 9 . „Ich habe die Ehre gehabt", schrieb Lund 1689 an Breckling, „meinen hochgeehrten Herrn in der Schwedischen Kriegeszeit hieselbst zu kennen vnd öffters seinen Predigten zuzuhören, da Er vom Seligen D. Clotz die Auffwartung über sich genommen hatte, wiewol Er mich nicht gekant, alß der Ich damahls nur 16 oder 17 Jahr alt war. Weiß mich aber wol zu besinnen, wes rechtschaffenen Eiffers Er damahls schon seine Predigten verrichtet, vnd sehe Ich, daß nach der Zeit Er nicht auffhöre mit großem Ernste die heutige Welt zu ermahnen vnd zu warnen. " 4 0 Wie man Breckling und sein Wirken in der Heimat beurteilte, darüber gibt eine Äußerung Franz Möllers, eines Neffen Brecklings, Aufschluß: Er hoffe, schrieb er Breckling, daß sie in den Artikeln de fide et bonis operibus in respectu ad justitiam et salutem, de verbo interno et externo und de ministerio ecclesiae übereinstimmen werden; wie sein Vater und seine Mutter ihm oft berichtet hätten, würde Breckling „nur den Mißbrauch und nicht die Sache selbst" verwerfen und „sich a cultu publico ecclesiae" nicht gänzlich absondern 4 1 . Eine neue Phase des brieflichen Verkehrs im Pietismus begann mit der Herausbildung Halles zum Zentrum der pietistischen Bewegung; jetzt entwickelte sich ein reger Briefwechsel zwischen der zweiten Generation der Pietisten in den einzelnen Territorien des Reiches und den fuhrenden Pietisten in Halle. Häufigster und wichtigster Ansprechpartner in Halle war August Hermann Francke, daneben wurde aber auch mit anderen Mitgliedern der neugegründeten Universität und Mitarbeitern an den Franckeschen Anstalten korrespondiert. Auch von den schleswig-holsteinischen Pietisten wurde Halle bald als Zentrum des Pietismus anerkannt; Anfang des 18. Jahrhunderts entstand ein ausführlicher Briefwechsel mit Francke, als weiterer Briefpartner trat Joachim Lange in Erscheinung. Die Verbindung zu Francke wurde aus ganz verschiedenen Gründen gesucht: 38 39 40 41
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Feddersen, S. 341; E. Hoffmann, Stephan Klotz, S. 51. Siehe Anm. 61 Kap. I. Forschungsbibl. Gotha, Chart. B 198, Bl. 275; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 469. Forschungsbibl. Gotha, Chart. A 310, S. 91; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 483.
O f t waren Anfragen nach Büchern aus der Waisenhausbuchhandlung oder nach Medizin aus der dortigen Apotheke der erste Anlaß zum Schreiben; auch Bitten um Stellungnahme zu Fragen des privaten und öffentlichen Lebens wurden häufig an ihn gerichtet; oft war es auch nur das Verlangen, überhaupt mit Francke zu korrespondieren, was einzelne Pietisten zur Feder greifen ließ, wobei Rekommendationsschreiben und Neujahrsschreiben willkommene Anlässe waren. Der Brief des Geistlichen Ludwig Ottens 4 2 aus Kahleby an Francke drückte dieses Verlangen nach Verbindung mit Halle aus: „An Ihro HochEhrwürden zu schreiben, und dadurch dieselbe in Ihrem wichtigen und vielfältigen ampts Verrichtungen zu perturbiren, würde ich mir die freiheit nicht nehmen, wann nicht der itzige informator meiner Kinder mir die hoffnung gemacht, daß solches Ihro HochEhrwürden nicht unangenehm seyn würde. Dies aber hat mich umso vielmehr auffgemuntert, je länger ich schon verlangen getragen mit einem so theuren Mann einiger maßen in Bekandschafft zu gerathen, deßen erbauliche schrifften nicht nur vorlängst schon eine große Hochachtung für demselben in meinem Hertzen erwecket, sondern davon ich noch fast täglich so wohl zu Außrichtung meines ampts als meinem eigenem Christenthum grosen nutzen empfinde." Nachdem Ottens dann seinen Neujahrsgruß ausgesprochen hatte, betonte er noch, daß er sich wohl nicht mehr die Hoffnung machen dürfe, „Ihro HochEhrwürden nach meinem Verlangen in diesem Leben zu meiner Erbauung und stärckung im guten zu sehen, zu sprechen, und zu hören, aber sodann könte ich mir noch das glück für meine Kinder versprechen." 43 Es waren aber nicht nur die in verschiedenen Ländern lebenden Pietisten, die eine Verbindung mit Halle anstrebten, auch Francke selbst war an einem Briefwechsel mit den wichtigsten Pietisten außerhalb Halles interessiert. Wie im politischen Leben damals ein ausgedehntes Berichterstatterwesen organisiert wurde, um über das politische Geschehen auf dem Laufenden zu sein 44 , so war Francke bemüht, überall Berichterstatter zu haben, die über den Fortgang des Pietismus, den Aufbau des Reiches Gottes auf Erden, wie er es nannte, berichten sollten. In solchen Berichten wurden sowohl die Namen der Anhänger und Sympathisanten des Pietismus als auch die der Gegner mitgeteilt; wegen der Repressionen, welchen die Pietisten an vielen Orten ausgesetzt waren, war es gerade für Francke wichtig zu wissen, wer Freund und wer Feind war, wem er sich anvertrauen konnte und bei wem Vorsicht geboten war. Außerdem eröffnete sich Francke dadurch die Möglichkeit, sich einzelnen Sympathisanten brieflich zuzuwenden und sie ganz fiir den Pietismus zu gewinnen 45 . 42 43 44 45
Siehe Arends, Gejstligheden, II, S. 128. AFSt, A 188a: 189; L u d w i g O t t e n s an A. H . Francke, Kahleby, 7. J a n u a r 1715. Vgl. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes, II, S. 112. Aufschlußreich ist ein Brief N i k o l a u s Dalls an A. H. Francke v o m 1. J a n u a r 1714, in d e m
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Francke hoffte, in dem Tonderner Johann Joachim Arends einen solchen Berichterstatter gefunden zu haben. Nachdem Arends sich schon 1709 von Tondern aus 46 und dann in zwei Schreiben im Mai 1712 und im Januar 1714 47 aus Leipzig an Francke gewandt hatte, besuchte er in der ersten Hälfte des Jahres 1714 Halle und lernte dort Francke persönlich kennen 48 . Bei diesem Aufenthalt in Halle wurde Arends von Francke ausdrücklich ermutigt, ihm „dan und wan" Briefe zu senden 49 . Bemerkenswert ist, daß Francke dabei auch einen Vorschlag machte, wie die Briefe abgefaßt werden sollten: Auf einem Zettel sollten nur die Neuigkeiten und das, was keiner Antwort bedürfe, stehen, auf einem zweiten Zettel aber die Dinge, worauf eine Antwort Franckes erwartet würde. Vermutlich sollte diese Zweiteilung zur Übersichtlichkeit und Vereinfachung des Briefwechsels beitragen. Arends gliederte seinen ersten Brief nach dem Besuch in Halle genau nach dem von Francke vorgeschlagenen Schema. Nachdem Arends 1714 sein Pfarramt in Risum übernommen hatte, ruhte der Briefwechsel mit Francke zunächst einige Jahre. Das mag darin begründet gewesen sein, daß Arends sich erst in sein neues Amt einarbeiten mußte und daher wenig Zeit zum Schreiben fand. Es waren aber inzwischen auch einige schleswig-holsteinische Theologiestudenten aus Halle in die Heimat zurückgekehrt und dort in Pfarrämter berufen worden, so daß Arends jetzt die Möglichkeit hatte, sich mit gleichgesinnten Kollegen in näheren und weiteren Nachbargemeinden zu beraten 50 ; außerdem konnte er sich mit erbaulichen Fragen jederzeit an den Propst Samuel Reimarus wenden, der ebenfalls Pietist war und mit dem er bald eng zusammenarbeitete 51 . Arends war also auf den Ratschlag Franckes nicht mehr unbedingt angewiesen. Über die Arbeit Franckes und seiner Helfer wurde er zudem gelegentlich durch den Haderslebener Nikolaus Dali unterrichtet, der seit dem 1. Mai 1715 in Halle Theologie studierte 52 . In dem Teil „Einige Nouvellen und Sachen, die keiner Antwort bedürfer sehr ausfuhrlich über potentielle Anhänger des Pietismus berichtet. (Staatsbibl. Preussischer Kulturbesitz, Nachlaß Francke, Kapsel 1, Mappe 3). 46 Das geht aus seinem Brief an A. H. Francke vom 10. Mai 1712 hervor (AFSt, F 10: Bl. 298); siehe zu Arends Anm. 30 Kap. I. 47 AFSt, F 10: Bl. 298/299 und A 166: 1. 48 AFSt, A 166: 2 und A 166: 1. 49 AFSt, A 166: 1. 50 Arends betonte in seinem Brief an Francke vom 1. Juni 1714, daß im Lande „hin u. wieder gutgesinnete Leute vertheilet, die was gutes schaffen, auch wol angeführte Landes Kinder gibt, davon viel gutes zu hoffen, unter welchen sonderl. Mr. Raupach, Mr. Tychsen, Mr. Duncker, Mr. Thomsen, der itzt auf Alsen u. neul. hie gewesen, auch die neulich aus Hall gekommene Mr. Fries, Mr. Bruhn u. H. Zoega, mit welchen allen ich theils mündl. theils schrifftl. conferire u. mich ergetze". (AFSt, A 166: 1). 51 Von der guten Zusammenarbeit zwischen Arends und Reimarus zeugen die zwischen 1707 und 1727 gewechselten Briefe. (LAAa, T0nder provstearkiv, nr. 223). Z u Reimarus siehe Anm. 55 Kap. I. 52 AFSt, A 166: 4 ; J . J. Arends an A. H. Francke, Risum, 31. März 1718.
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fen" berichtete Arends am 1. Juni 1714 zunächst über einige Personen aus Magdeburg und Helmstedt, die er auf seiner Durchreise kennengelernt hatte; dann erzählte er von einem an die deutsche Gemeinde zu Bergen in Norwegen berufenen Prediger namens Rieseman, der falsche Gerüchte über Francke und die halleschen Anstalten in die Welt setze. Daran schließt sich ein Bericht über die Kieler Universität an: „Prof. Felden zu Kiel, der neulich auch Pastor geworden, treibt das gute mit zimlichem Ernst, und fleissiger als Herr D. Muhlius, sonst aber ist es auf der Kielischen Universität zimlich schlecht bestellet. Der junge Prof. Franck thut nichts sonderliches." Der Jurist D. Schöpfer sei wieder nach Rostock gegangen, die beiden anderen Juristen, Amthor und Vogt, seien Thomasianer. Königsmann, der der beste und fleißigste magister legens gewesen sei, habe die Vokation zum Rektorat in Osnabrück angenommen. Es folgen darauf die Namen von einigen Geistlichen, die, wie Arends es bezeichnete, „feine Leute" seien, was wohl heißen soll, daß sie dem Pietismus nahestanden: Paul Stricker in Schleswig, Hinrich Brummer in Haddeby, die zwei Hofprediger Francesco Enno Friccius und Philipp Conrad Reimarus, Propst Andreas Hoyer, Franz Möller und Arend Fischer in Flensburg und Johann Melchior Krafft in Husum. Danach wird über die Gegner des Pietismus in den Herzogtümern berichtet, über den Generalsuperintendenten Theodor Dassow und den Flensburger Geistlichen Hinrich Braker. Zwei Professoren aus Kopenhagen finden Erwähnung: Prof. Steenbuch sei ein frommer Mann, auch Sören Lintrup „last sich gut an". Arends stellte schließlich auch noch seinen Gönner und Freund, den Propst Samuel Reimarus in Tondern, heraus: Er sei ein sehr begabter und frommer Mann, der Speners Schriften sehr liebe, die aber auch sonst „durchgehends im Lande" sehr beliebt seien. Z u m Abschluß teilte er zwei „ärgerliche historien von Predigern" mit. Die eine handelt von dem Diakon Johannes Hammerich in Hattstedt, der im Streit einen Mann erschlug, weil er mit dem gezahlten Beichtgeld nicht zufrieden war. Auch in der anderen geht es um einen Streit zwischen zwei Predigern über nicht gezahlte Beichtgelder 53 . Auch spätere Briefe von Arends an Francke enthalten immer Nachrichten über den Zustand der Kirche in den Herzogtümern und den Fortgang des gemeinsamen Werks. Von besonderem Interesse mußten für Francke Mitteilungen über einflußreiche, dem Pietismus nahestehende Personen am Hofe in Kopenhagen sein; nur sie konnten den halleschen Pietismus nicht nur schützen, sondern auch fördern. Am 17. August 1714 berichtete Arends, daß sie so glücklich seien, einen „so gnädigen und frommen Ambtmann an Seiner Excellentz den Herrn Geheim Raht von Holsten" zu haben 54 . Johann Georg von Holstein, der zu den einflußreichsten Pietisten am dänischen Hofe gehörte, war dänischer Staatsminister und seit 1713 zugleich Amtmann des Amtes Tondern 5 5 . Vier Jahre später hielt Arends es 53
AFSt, A 166: 1.
54
AFSt, A 166: 3.
55
Z u Holstein siehe 117.
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der Mitteilung wert, daß der Justizrat Johann Wilhelm Schröder eine erbauliche Predigt von dem wahren lebendigen Glauben gehalten habe, worin er „unter anderm die Kaltsinnigkeit und das laulichte Wesen" vieler Prediger angriff 56 . Zugleich teilte Arends mit, daß der dänische König ein Edikt ausgehen ließ, das sich gegen diejenigen richte, die das Missionswerk in Trankebar verunglimpften 5 7 . Arends war aber nicht der einzige Korrespondent Franckes, der über die Verhältnisse in den Herzogtümern berichtete. Ausführlich schrieb ihm z. B. auch der ehemalige hallesche Student Sören Wedel aus Döstrup in der Lohharde 1722 über den Widerstand der lutherischen Orthodoxie gegen die Pietisten und über seine Arbeit in der Gemeinde 58 . Wedel, seit 1722 Adjunkt seines Vaters, beklagte, daß so viele Geistliche anfingen, „vor den falschen Propheten" zu warnen, „die aus Halle kommen" 5 9 . „Von den Gelehrten wollen wenige der Wahrheit beipflichten, etliche aber, ob sie uns gleich nicht gesehen noch gesprochen haben, geben doch zu erkennen, daß sie es mit uns halten, desgleichen auch manche von den gemeinen Leuten. Hier in Döstrup hat sich das Wort Gottes ziemlich ausgebreitet, auch kräftig erwiesen. Es sind, seitdem ich nach Hause gekommen, bei 50 Neue Testamente in dieser Gemeinde ausgeliefert worden, und können wir jetzo fast deren so viel nicht bekommen, als verlangt werden. Weil ich aber um Ostern wohl nach Kopenhagen reisen werde, so wollen wir auf unsere eigenen Unkosten einige drucken lassen, solchen Mangel zu heben. Alle Sonntage des Nachmittags habe ich und mein Bruder in den Dörfern die Jugend katechisiert, wovon die Leute nach ihrem eigenen Geständnis den größten Nutzen haben. Sie sind auch im Dorfe Laurup soweit gekommen, daß sämtliche Einwohner alle Abend eine Stunde zusammengehen, worin sie ein oder zwei Lieder singen, die aus dem hallischen Gesangbuche ins Dänische übersetzt sind. Danach lieset einer von den Mannsleuten ein Kapitel ausJoh. Arndts Büchern vom wahren Christentume, darauffallen sie auf ihre Knie und betet einer oder zwei von ihnen aus dem Herzen, singen nochmals ein Lied, dann gehen sie wieder nach Hause. Einmal in der Woche besuchen wir ein jedes Dorf, gehen in die Häuser, wo sie es des Sonntags vorher verlangt haben. Sie besprechen ihren Seelenzustand mit uns und nennen ihre Zweifel. Darauf singen wir ein oder zwei Lieder, tun auch bisweilen ein Gebet. Dieses leuchtet der Welt sehr in die Augen, und entstehen darüber sehr große Lästerungen." 60 Francke erwartete von seinen Schülern und ehemaligen Mitarbietern 56
AFSt, A 166: 4. Z u Schröder siehe DBL 2 , 21, S. 373 f. Vgl. RAK, T.K.I.A., B 5, Verordnung vom 8. Februar 1718; Den Danske Kirkes Historie, V, S. 54. 58 Z u Wedel siehe vor allem Elle Jensen, „Den nordvestslesvigske Pietisme", SoA (1953) S. 33. 59 Wotschke, Urkunden, S. 496. 60 Wotschke, Urkunden, S. 497. 57
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solche Berichte über ihre Arbeit für das Reich Gottes. Das Aufhören der Korrespondenz galt als Abkehr von den Zielen des Pietismus. Das wurde deutlich, als Abraham Kall 6 1 , der einst in Halle studiert hatte und dort auch Mitglied des collegium orientale gewesen war, nach seiner Berufung an die St. Marienkirche in Flensburg 1721 mehrere Jahre nichts von sich hören ließ. Francke deutete dieses Schweigen als ein Zeichen der geistigen Entfremdung 6 2 . Nachdem Kall dieses zu Ohren gekommen war, schrieb er sofort an Francke und erklärte sein langes Schweigen: „Ich gestehe meine Art, oder Unart, daß es mir schwer werde ohne gegebene Veranlaßung die Freyheit zu nehmen, Männer von vielen Geschäfften mit Brieffen, da sie deren sonst genug kriegen, zu beschweren." 6 3 Er fühle sich aber weiterhin Francke und den halleschen Theologen verbunden. Die Berichte über den Fortgang des Pietismus waren aber nur der eine Teil der Korrespondenz mit Francke; der für die Pietisten in den Herzogtümern wichtigere Teil waren die Bitten um Rat und Trost, der Teil also, den Arends in seinem am 1. Juni 1714 an Francke geschriebenen Brief unter der Uberschrift „Einige dinge, darauf bey Gelegenheit und nach dero c o m m o dité mir eine kurtze Antwort ausbitte" zusammenfaßte 6 4 . Francke, aber auch Joachim Lange, wurde zu den unterschiedlichsten Fragen um Stellungnahme gebeten. Leider sind ihre Antwortschreiben nicht erhalten, so daß wir zwar die Probleme und Fragen kennen, die die Pietisten in den Herzogtümern bewegten, aber in der Regel nicht wissen, welcher Rat ihnen in den einzelnen Fällen aus Halle zuteil wurde. Einige Beispiele seien im folgenden genannt: A m 7. März 1705 wandte sich Otto Lorentzen Strandiger an Francke und die gesamte Fakultät zu Halle, weil er wissen wollte, wie er sich hinsichtlich der von ihm verlangten Unterzeichnung eines Reverses verhalten sollte 65 . Strandiger war 1703 von Hinrich Braker in Flensburg beim Generalsuperintendenten Josua Schwartz denunziert worden, weil er pietistische Thesen gepredigt und pietistische Literatur verbreitet habe. Bevor er sein Amt wieder antreten durfte, sollte er sich schriftlich verpflichten, sich fernerhin aller anstößigen, verdächtigen und irrigen Reden zu enthalten und allen pietistischen Neuerungen und chiliastischen Schwärmereien abzusagen 6 6 . Die Antwort Franckes und der theologischen Fakultät ist nicht bekannt; Strandiger weigerte sich jedenfalls, den Revers zu unterschreiben und blieb deshalb weiterhin von einem Amt 6 1 Z u Kall siehe C i m b . Iit., I, S. 290; Josias Lorck, Beyträge zu der neuesten Kirchengeschichte, Bd. 1, Stück 3 (Kopenhagen und Leipzig 1756-1758) S. 438-453; Thieß, I, S. 208ff; Feddersen, S. 224; H . F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. 26. 6 2 AFSt, D 111, S. 1085-1088; A. Kall an A. H. Francke, Flensburg, 5. Juli 1724. 6 3 Ebenda. 6 4 AFSt, A 166:1. 6 5 Staatsbibl. Preussischer Kulturbesitz, Nachlaß Francke, Kapsel 20; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 476 f. 6 6 Feddersen, S. 378; Pedersen, Fra Brydningen, I, S. 29; vgl. J a k u b o w s k i , S. 166f.
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in seiner Landeskirche ausgeschlossen. Als der dänische König während der Besetzung des herzoglichen Anteils zur Zeit des Nordischen Krieges einen Dank- und Bettag ausschrieb, waren sich viele Prediger unsicher, wie sie sich verhalten sollten; wieder wurde Francke befragt 67 . O f t wurde in theologisch-praktischen Fragen Rat aus Halle eingeholt. Arends wünschte von Francke „eine kleine Erläuterung" zur Frage der Privatbeichte und -absolution 68 ; zum selben Thema sandte Johann Bolten am 18. März 1716 einige Quaestiones an Lange mit der Bitte um Stellungnahme, weil, wie er betonte, „mir der Beicht-Stuel in den 8 Jahren, da ich durch Gottes Gnade im Predigt Amte gewesen, ein rechter Angst= und Marter-Stuel gewesen, und mir nun solche Angst durch einige unartige Beicht Kinder, die keine Ermahnung annehmen wollen, sondern offenbahre Sünden in öffentlicher Gesellschaft von 12 a 14 Persohnen begangen simpliciter et praefracte leugnen, und sich mit den greulichsten Fluchen und injurieusen retorsionibus retten wollen, die auch dahero zu absolviren mir das größeste Gewißen mache, üm ein großes vermehret wird." 6 9 Die Antwort Langes vom 27. März 1716 bedeutete für Bolten einen „nicht geringen Trost, welcher Trost sich nach gehends um ein großes vermehret hat", nachdem er sich Langes „Antibarbarum" ausgeliehen und gelesen hatte 70 . „Ich versichere", schrieb Bolten, „daß, wie ich die Materie de re Exomologetica lese, ich offtmahls nicht gewust, ob ich auch meinen äugen trauen sollte, und ob meine Verwunderung, oder meine freude über unsern fast durchgehenden consensum größer wäre." 7 1 Ein anderes Mal wurde Francke gefragt, ob ein conjugium consobrinorum, die Heirat von Vetter und Cousine, „in Gottes wort verbohten, folglich sündlich und ärgerlich" sei 72 . Mehrere junge pietistische Geistliche wollten wissen, wie sich ein Prediger auf Hochzeitsfeiern am besten verhalten solle, „da er selbige nebst dem Trincken, Music und Tantzen nicht gänzlich aufzuheben, auch nicht allezeit wegzubleiben vermag." 7 3 Welchen weitreichenden Einfluß Francke auf die Pietisten hatte, zeigt auch die Tatsache, daß einzelne sehr private Probleme an ihn herantrugen. „Es sind einige", schrieb z.B. Arends, „die meiner Leibes-Constitution zuträglich, auch wegen der Pflege und anderer Umstände dienlich halten, daß ich mit der Zeit heyrathe, andere aber wollen es, weil ich schwächlich, und wegen Wichtigkeit des Amts wieder-
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AFSt, A 166: 1; J. J. Arends an A. H. Francke, Tondern, 1. Juni 1714. AFSt, A 166: 1. Z u r Frage der Privatbeichte im Pietismus siehe Aland, Kirchengeschichtliche Entwürfe, S. 497 ff; Helmut Obst, Der Berliner Beichtstuhlstreit. Die Kritik des Pietismus an der Beichtpraxis der lutherischen Orthodoxie = AGP 11 (Witten 1972). 69 AFSt, A 188a: 213. Zu Bolten siehe Carsten Erich Carstens, „Die Familie Bolten". Kirchen- und Schulblatt, Nr. 15 (1888); Arends, Gejstligheden, I, S. 63. 70 AFSt, A 188a: 210. 71 Ebenda. 72 AFSt, F 10: Bl. 298/299. 73 AFSt, A 166: 1. 68
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rahten." 7 4 „In diesem Zweiffel" möchte er von Francke gern „etwas näher determiniret werden". Arends Entscheidung fiel zugunsten der Ehe, die am 11. September 1716 vollzogen wurde 7 5 . Über Francke wurden auch Verbindungen zu anderen Pietisten gesucht. Als Arends 1712 für einige Zeit in Leipzig wohnte, fragte er bei Francke an, ob er nicht einige Leute in Leipzig wüßte, mit denen er zu seiner „erbauung vertraulich conversiren könte." 7 6 Da sich das Handeln der Pietisten in den Herzogtümern zu Beginn des 18. Jahrhunderts an Francke und seinen Mitarbeitern in Halle orientierte, verfolgten sie alles mit großem Interesse, was in Halle passierte. Die Erfolge der halleschen Pietisten, vor allem die Nachrichten über den Ausbau der Franckeschen Anstalten, beflügelten auch die Arbeit der Pietisten in den Herzogtümern; dagegen führten Gerüchte, die das Werk der Pietisten in Halle herabsetzten oder Francke in Mißkredit brachten, leicht zur Verunsicherung in den pietistischen Kreisen. Deshalb ist es verständlich, wenn Johann Melchior Krafft in einem Brief an Lange vom 4. Mai 1718 darum bat, „bald einige gewiße Nachricht" über Francke zu bekommen; seit einigen Wochen seien „viele seltsame Zeitungen in dieser Gegend" über ihn bekannt geworden 7 7 . Ein Gerücht besage, Francke sei katholisch geworden und ins Kloster gegangen; ein anderes, der König von Preußen hätte ihn aus seinem Dienst entlassen. Von dem dänischen Graf Schack von Schackenburg hatte Krafft schließlich erfahren, daß Francke nach Paris gereist wäre, um am Corpus doctrinae Ecclesiae Gallicanae mitzuhelfen 78 . Unbestreitbar haben die Briefe Speners, Brecklings, Franckes und anderer hallescher Pietisten wesentlich zur Verbreitung und Stärkung des frühen Pietismus in den Herzogtümern beigetragen 79 ; außer der persönlichen Bekanntschaft gab es keine Form der Kommunikation, die so unmittelbar und personenbezogen für die pietistischen Ideen zu werben vermochte. Für die im Lande verstreut wohnenden Pietisten hatte die Korrespondenz mit den „Vätern" des Pietismus eine doppelte Funktion: Sie gab ihnen zum einen die Möglichkeit, sich mit ihren Problemen und Fragen direkt an die von ihnen akzeptierten Autoritäten des Pietismus zu wenden; dadurch wurde ihnen in schwierigen Entscheidungen der Weg gewiesen, und zugleich konnten sie sich für ihre Entscheidungen auf namhafte Autoritäten berufen. Daß ihnen daran sehr gelegen war, betonte Krafft in einem Brief: „Wie oft habe bishero gewünschet Ihnen zu Halle näher gewesen zu seyn, um Ihrer Hochlöblichen Theologischen Fakultet Raht: u: gutachten mich zu bedienen." 8 0 Z u m anderen wurden die frühen Pietisten durch die Briefe in ihrem Eintreten für die „Wahrheit" bestärkt; der briefliche Kontakt zu Gleichgesinnten gab ihnen das Gefühl, in ihrem 74 76 78 80
AFSt, A 166: 3. AFSt, F 10: Bl. 298/299. Ebenda. AFSt, A 188a: 173.
75 77 79
Arends, Gejstligheden, I, S. 21. AFSt, A 188a: 242. Vgl. Steinhausen, II, S. 156.
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Kampf gegen die böse Welt und in ihrem Wirken flir das Reich Gottes nicht allein zu stehen, sondern Teil einer immer größer werdenden Bewegung zu sein. Literatur
Johann Melchior Krafft teilte in seiner Schrift „Ein Zweyfaches Z w e y = H u n d e r t j ä h r i g e s Jubelgedächtnis" über Petrus Richardi 81 , den ältesten Sohn des Husumer Pastors gleichen Namens, folgende Geschichte mit: Nach seinem Studium in Wittenberg und einer Anstellung als Informator in Hamburg sei Richardi Hofmeister auf einem adeligen Hof in Holstein geworden; seine Aufgabe habe vor allem darin bestanden, daß er die Dame des Hofes, die „von GOtt mit schwerer Leibes=Schwachheit bis an ihr seeliges Ende zu ihrem ewigen Heil in Gnaden war heimgesuchet" worden, „in ihrem Cabinett mit Theologischen Materien erbauen und unterhalten solte. Weil nun ein gewisser gottseliger Theologus aus Copenhagen solcher krancken Person mit Zuschreiben ernstlich gerathen, daß sie fiir allem auch nebst der Bibel ja fleißig sich des seel. Hn. D. Speners geistreiche und so erbauliche Schrifften solte vorlesen lassen, und dann dieselbe solchem treuen Rath so gleich folgete, und mit dessen Evangelischen Glaubens= Trost durch den Hn. Petrum Richardi den Anfang machen ließ; So gesegnete G O T T solche Arbeit an beyden reichlich, dergestalt, daß Hr. Richardi sich die Glaubens=Lehre, Lebens=Pflichten und andere anschaffte, sie fleißig läse, und nach GOttes Wort, auch unsern Symbolischen Glaubens=Büchern genau prüfete, und überzeuget ward: Spener sey ein rechter GOttes=Mann, rechtlehriger Evangelisch=Lutherischer Theologus, und ein grosses Werckzeug GOttes zu vieler Menschen Seeligkeit. Wie er dann auch sich eines frommen Lebens befließ, seine wider D. Spenern gehegete Vorurtheile öfters bekandte, und von Hertzen alle Wahrheit zur Gottseeligkeit vertheidigte. " 8 2 Diese von Krafft mitgeteilte Episode ist ein Beispiel für eine weitere Form der Aufnahme pietistischer Gedanken, welche ebenso wie die pietistische Korrespondenz für die Verbreitung des frühen Pietismus von großer Bedeutung war: Die Rezeption pietistischer Literatur. Speners „Pia Desideria" wurden, wie erwähnt, durch Christian Kortholt schon früh in den Herzogtümern bekannt; es ist anzunehmen, daß Kortholt seinen Studenten auch andere Schriften Speners empfahl. August Hermann Francke lernte jedenfalls während seiner Kieler Studienzeit den Namen Spener im Hause Kortholt schätzen 83 . Auch die anderen Korrespondenten 81
Zu Richardi siehe Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 283ff; Arends, Gejstligheden, II, S. 199. Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 285. 63 p e t e r Schicketanz, Carl Hildebrand von Cansteins Beziehungen zu Philipp Jacob Spener = AGP 1 (Witten 1967) S. 21; vgl. Hans Leube, Orthodoxie und Pietismus = AGP 13 (Bielefeld 1975) S. 175; über Franckes Aufenthalt in Kiel siehe Gustav Kramer, August Hermann Francke, I (Halle 1880) S. 12f. 82
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Speners im Lande werden zur Verbreitung Spenerscher Schriften beigetragen haben 84 . Als der Propst und die Prediger Norderdithmarschens 1685 in einem Schreiben an den Herzog zu Gottorf den Vorschlag machten, an jedem Sonntagnachmittag ein Katechismus-Examen in allen Gemeinden durchzuführen, damit die Unwissenheit in christlichen Fragen behoben würde, fugten sie dem Schreiben einige Urteile berühmter Theologen über den Nutzen des Katechisierens bei 85 : Außer Christian Kortholt, Justus Gesenius, Heinrich Müller, Christian Scriver, Wolfgang Franz, Martin Luther, Joseph Hall und Johann Brunnemann wurde von ihnen auch ausdrücklich Spener genannt, dessen „Pia Desideria" zitiert wurden. Die Gründe, die nach Spener für die Einrichtung von Konventikeln sprechen, wurden hier zur Begründung der Katechismus-Examen angeführt 86 . Der königliche Generalsuperintendent Josua Schwartz beklagte in einem Schreiben vom 27. Februar 1695 an den dänischen König, die Prediger, besonders die auf dem Lande, bedienten sich der Schriften Speners 87 . Es ist anzunehmen, daß Speners Schriften in den 1680er Jahren auch in Flensburg bekannt wurden; sonst wäre es kaum erklärlich, weshalb der Quintus des Flensburger Gymnasiums, Hinrich Braker, der später einer der schärfsten Gegner des Pietismus in den Herzogtümern wurde, 1692 auf Anraten des Flensburger Bürgers Hilmar von Lutten und des Söruper Pastors Johannes Hollander den Schuldienst aufgab und zu Spener nach Berlin ging, wo er ein Jahr im Hause Speners wohnte 8 8 . In Flensburg und Umgebung wurden Speners Schriften möglicherweise auch durch Friedrich Breckling bekannt gemacht, der seit seinem Fortgang 1660 in ständigem Briefwechsel mit Freunden und Verwandten in der Heimat stand; jedenfalls pflegte Breckling in seinen Briefen Hinweise auf Schriften zu geben, die ihm geeignet schienen, der „Wahrheit" zum Durchbruch zu verhelfen. Auch durch die Versendung seiner eigenen Schriften versuchte er, seine Landsleute für die „Wahrheit" zu gewinnen. „Und sage demnach für unterschiedene, zu unterschiedenen Zeiten übersante Traktätlein fleißigsten Danck, mit herzlichem Wunsch, daß Gott ihm fernere Gnade und Erleuchtung zur Ehre Gottes und seiner Nebenchristen Erbauung schenken und verleihen wolle," schrieb Thomas Lund 1689 an Breckling 89 . Am 6. Juli 1705 bedankte sich Johannes Ocksen bei Breckling: „Ich habe deßen geEhrtestes vom 5. Mai nebst beigehenden Schrifften wohl empfangen und erkenne mit Danck und schuldiger Gegenliebe die mir darin erzeugte Liebe und Güte." 9 0 Der Buchkatalog Johann Bartholo84 85 86 87 88 89 90
Siehe S. 31 f. LAS, Abt. 7, Nr. 4932. Ebenda. RAK, Kobenhavns Universitet, 31-03-01. Vgl. Jensen/Michelsen, IV, S. 178 f; H. F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. 12. Forschungsbibl. Gotha, Chart. B 198, Bl. 275; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 469. Forschungsbibl. Gotha, Chart. A 310, Bl. 89; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 484.
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maus Bluhmes, der von 1707-1728 Pastor zu Boren in Angeln war und 1729 deutscher Hofprediger in Kopenhagen wurde, enthält neben Werken Speners (über 40) und Franckes (über 20) auch 20 Schriften Brecklings 9 1 . Auch in Briefen des frühen 18. Jahrhunderts finden sich häufig Hinweise, daß die Schriften Speners in den Herzogtümern sehr geschätzt wurden. Johann Hieronymus von Petkum schrieb z . B . an Johann Georg von Holstein am 16. April 1705: „Wobey es mir nicht wenig erfreulich ist, daß Mein hochgeneigter Gönner die jenige werckzeuge göttlicher Gnade Arndtium und Spenerum nicht verachtet, die mir so manches licht gegeb e n . " 9 2 Der königliche dänische Zollverwalter P. Thomsen aus Wewelsfleth beabsichtigte sogar, ein Buch drucken zu lassen, das eine Auslese der Schriften Speners und Johann Arndts sein sollte; das Buch sollte dem Hausstand dienen, „der eben nicht im Vermögen, viele gute Bücher sich anzuschaffen" 9 3 . Speners Schriften scheinen auch noch nach seinem T o d e im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, eine ziemlich große Verbreitung gefunden zu haben; Hinrich Brummer betonte beispielsweise 1715, daß „in diesem Lande viele sind, die Sie gleichfals hoch estimieren, und zu ihrer Erbauung fleißig durchlesen" 9 4 und auch Johann Joachim Arends schrieb 1714, die Schriften Speners seien „durchgehends im Lande" sehr beliebt 9 5 . Wesentlichen Anteil an der Verbreitung pietistischer Literatur hatte im 18. Jahrhundert die Buchhandlung des Waisenhauses in Halle, die zugleich eine der ökonomisch am besten florierenden Institutionen der Franckeschen Anstalten war. Das sorgfältig ausgewählte Sortiment an Büchern und die niedrigen Preise machten den Kauf in der Waisenhausbuchhandlung für den pietistischen Leserkreis sehr attraktiv. Der Buchhandel lief so gut, daß schon 1702 eine Filiale in Berlin eröffnet werden konnte, es folgten Niederlassungen in Leipzig und Frankfurt am Main 9 6 . Die Einrichtung der Waisenhausbuchhandlung, die so etwas wie eine Zentralstelle für pietistische Literatur war, erleichterte besonders den fernab von den großen Buchhandelsmetropolen lebenden schleswig-holsteinischen Pietisten die Beschaffung von Büchern pietistischer Provenienz, seien es wissenschaftliche Werke, Lehrbücher, Erbauungs- oder Trostschriften. In Anfragen nach Katalogen kam das Interesse an dem Buchangebot der halleschen
5 1 C A T A L O G U S L I B R O R U M B. J O H . B A R T H O L O M A E I B L U H M E Primi in Aula Regia Pastoris, & Generalis Ecclesiarum Inspectoris, qui Publica Auctionis lege Hafniae in aedibus Pastoris aulici in Platea Stormgade d. 11. Mart. & Sequ. 1754 divendentur. H A F NIAE. 9 2 K B K , Ledreb. 455, 18, 2°. 9 3 AFSt, A 171: 103. 9 4 AFSt, C 615: 2; vgl. AFSt, C 615: 1. 9 5 AFSt, A 166: 1. 9 6 Vgl. Wolf Oschlies, Die Arbeits- und Berufspädagogik August Hermann Franckes = A G P 6 (Witten 1969) S. 26 ff.
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Buchhandlung zum Ausdruck 9 7 . Bestellung und Versand der Bücher aus Halle liefen oft auf denselben Wegen und über dieselben Personen wie die pietistische Korrespondenz. Wünschte man Bücher aus der Buchhandlung, so wandte man sich oft direkt an Francke oder auch an Joachim Lange, die die Bestellungen dann an die Buchhandlung weiterleiteten 98 . Als Johann Joachim Arends sich nach einem Aufenthalt in Halle 1714 auf die Rückreise in seine Heimat machte, gab Francke ihm mehrere Buchpakete mit, die er unterwegs an verschiedenen Orten abliefern sollte. „Ihr mit gegebene Paquete sind an allen ohrten, als zu Braunschweig an die fr. Müllerin, nebst dem was vor H. Pauli und H. Schilling darin gewesen, zu Wolffenbüttel an den H. Ziegenhirt, zu Lübeck an H. Haake, zu Kiel an Mr. Tychsen und zu H u s u m an H. Rudlof wol bestellet", meldete Arends Francke am 1. Juni 1714". Die schleswig-holsteinischen Pietisten wurden jedoch nicht nur auf Bestellung mit Büchern versorgt, Francke und Lange legten ihren Briefen mitunter auch von sich aus Schriften bei. So bedankte sich F. N . von Söhlenthal aus Glückstadt am 5. Januar 1706 für einen Brief Franckes v o m 13. Dezember des vorigen Jahres wie auch für die beiliegenden Bußpredigten und einen kleinen französischen Traktat Pierre Poirets. „Werde auch nicht ermangeln", wie Söhlenthal schrieb, „mir solcher Bücher mit plaisir zu bedienen, wie ich den auch schon einige von dessen schrifften habe und zum öfftern mit Vergnügen darin gelesen" 1 0 0 . Die Buchgeschenke Franckes sollten wohl auch eine Danksagung für die von Söhlenthal dem Waisenhaus gespendeten 50 Reichstaler sein 1 0 1 . Mit der Übersendung einer Schrift brachte sich Francke bei dem Haddebyer Geistlichen Hinrich Brummer wieder in Erinnerung 1 0 2 . „Dero liebes Angedencken, welches ohne dem bey mir in allem Segen ist, haben Ewer Hochwürden durch das liebe Büchlein, welches Sie einem hieselbst wohnenden Herrn Regiments Quartier Meister Monsieur Meding an mich mit gegeben, erneuern wollen, wofür hertzlich verbunden bin," schrieb Brummer an Francke, wobei er zugleich beteuerte, daß er das Traktätlein durchgelesen und darin Erbauung gefunden hätte 1 0 3 . Johann Melchior Krafft, der wegen seiner Arbeit an einer Bibelhistorie mit mehreren Gelehrten in Korrespondenz stand, bedankte sich am 26. März 1716 bei Joachim Lange für übersandte Disputationen 1 0 4 . Welche Auswirkungen die Lektüre der in der Buchhandlung des Waisen9 7 AFSt, F 10: Bl. 299; J. J. Arends an A. H. Francke, 10. Mai 1712; AFSt, C 615: 3; H. Brummer an A. H. Francke, 5. August 1715 und 4. November 1717. 9 8 AFSt, C 615: 1 und 2; A 166: 3; C 205: 10; A 188a: 189; AFSt, A 188a: 213. 9 9 AFSt, A 166: 1. 1 0 0 AFSt, C 825: 23. 1 0 1 Ebenda. 1 0 2 Zu Brummer siehe Arends, Gejstligheden, I, S. 93; Wotschke, Urkunden, S. 494, 496 ff; Federsen, S. 355. 1 0 3 AFSt, C 615: 3. 1 0 4 AFSt, A 188a: 214.
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hauses zu Halle vertriebenen Bücher haben konnte, zeigt auch folgendes Beispiel: Maria Christina Lorck hatte die Berichte von den Franckeschen Anstalten 105 gelesen und war dabei auf den Gedanken gekommen, auch in Flensburg eine ähnliche Einrichtung zu schaffen. Gemeinsam mit ihrem Stiefvater, dem Kaufmann Christian Thomsen, und ihrem Onkel, Jess Lorentzen Lorck, verwirklichte sie den Plan, so daß am 28. Mai 1725 in Flensburg ein Waisenhaus eingeweiht werden konnte 106 . Eine mit dem Buchladen eng verbundene Einrichtung war die von Carl Hildebrand von Canstein gegründete Bibelanstalt 107 . Sie sollte dazu dienen, das Volk mit möglichst billigen Bibeln zu versorgen. Damit versuchte die Bibelanstalt ein genuin pietistisches Anliegen zu erfüllen; Spener hatte nämlich als ersten Punkt seiner in den „Pia Desideria" aufgezählten Verbesserungsvorschläge genannt: „Daß man dahin bedacht wäre / das Wort GOttes reichlicher unter uns zu bringen" 108 , und hinzugesetzt: „Je reichlicher also das Wort unter uns wohnen wird / je mehr werden wir glaubens und dessen früchte zuwegen bringen. " 1 0 9 Die Texte, die in den Predigten im Laufe des Jahres mitgeteilt würden, seien, wie Spener ferner betonte, nur ein geringer Teil der Bibel. Es sei deshalb notwendig, daß die Leute neben den Predigten auch auf andere Weise die Heilige Schrift, besonders das Neue Testament, kennen lernten. Ein Hausvater sollte täglich in der Bibel lesen oder, falls er nicht lesen könne, sich von anderen daraus vorlesen lassen. Außerdem wäre es ratsam, daß die biblischen Bücher nacheinander ohne weitere Erklärung oder höchstens mit kurzen Zusammenfassungen in der öffentlichen Gemeinde vorgelesen würden. Dazu schlug Spener öffentliche Versammlungen neben dem Gottesdienst vor, in denen unter Anleitung eines Priesters biblische Texte gelesen und besprochen werden. Wie es ein Anliegen der Reformation gewesen sei, die Leute wieder mit dem Wort Gottes bekannt zu machen, „auch solches das kräfftigste mittel gewesen / dadurch GOtt sein werck gesegnet / also wird auch eben dieses das vornehmste mittel seyn / da die Kirche wieder bedarff in bessern Stand zu kommen / daß der eckel der Schrifft / so bey vielen ist / oder die 105 Es wird wohl die Schrift „Segens-volle Fußstapfen des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen GOttes Zur Beschämung des Unglaubens und Stärckung des Glaubens entdecket durch eine wahrhaffte und umständliche Nachricht von dem WaysenHause und übrigen Anstalten zu Glaucha vor Halle" gewesen sein. 106 H. F. Petersen, „De Sonderjyske Vajsenhuse", S0A (1962) S. 60ff; ders., Der Pietismus in Flensburg, S. 22ff. 107 Siehe dazu Oschlies, S. 30 ff; Kurt Aland, „Bibel und Bibeltext bei August Hermann Francke und Johann Albrecht Bengel", in: Pietismus und Bibel, hg. von K. Aland = AGP 9 (Witten 1970) S. 91 f; ders., „Der Hallesche Pietismus und die Bibel" und Oskar Söhngen, „Festrede zur 250-Jahrfeier der von Cansteinschen Bibelanstalt in Bielefeld am 22. Mai 1960", beides in: Die bleibende Bedeutung des Pietismus, hg. von O. Söhngen (Witten und Berlin 1960). 108 Spener, Pia Desideria, S. 53. 109 Spener, Pia Desideria, S. 54.
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nachlässigkeit in derselben zu studiren / abgethan / und hingegen hertzlicher eiffer zu derselben erwecket w e r d e . " 1 1 0 Es ist bemerkenswert, welchen Erfolg die Cansteinsche Bibelanstalt von Anfang an hatte. Die Auflagenzahlen erreichten für damalige Verhältnisse enorme Höhen. D a die Bibeln sehr billig waren, konnten sich auch ärmere Leute diese kaufen. Billig waren die Bibeln, weil ein neues Druckverfahren verwendet wurde. Sie wurden nämlich im stehenden Satz gedruckt, d. h. einmal gesetzte Typen blieben für den Nachdruck stehen 1 1 1 . Der erste Druck des Neuen Testaments im Jahre 1712 war in wenigen Wochen vergriffen, bis zum Jahre 1719 wurden 80000 vollständige Bibeln und 100000 Neue Testamente verbreitet 1 1 2 . Die imponierenden Auflagenzahlen waren ein Zeichen dafür, wie eifrig sich die pietistischen Prediger bemühten, in ihren Gemeinden die Bibeln unters Volk zu bringen. Auch mehrere Geistliche aus den Herzogtümern bestellten Bibeln und Neue Testamente aus der Bibelanstalt. 1714 fragte Johann Joachim Arends Francke, ob er „von den dort gedruckten Bibeln und N T eine Anzahl Exemplarien, etwa 50, erhandeln könne, die gern in meiner Gemeine distribuiren wolle." 1 1 3 Dieselbe Anfrage richtete auch der Kahlebyer Geistliche Ludwig Ottens an Francke, ohne jedoch eine Stückzahl zu nennen 1 1 4 . Im Herbst 1715 hatte Johann Bolten aus Horst bereits 40 Exemplare der großen Bibeln bekommen, am 18. März 1716 bestellte er 100 Exemplare von den kleinen 1 1 5 . Daniel Henricus Hollander aus Sörup richtete 1715 an Joachim Lange die Bitte, ihm „zur Erlangung einer gewißen Anzahl Ihrer Bibeln und Neuen Testamenten behülfflich seyn" zu wollen 1 1 6 . „Denn da von dem lieben Gott einer ziemlich zahlreichen Land=Gemeine alß Prediger und Pastor vorgesetzet bin, und nach dem Exempel, so zu Berlin und Halle gesehen und gehöret, und nach meiner obliegenden hohen Amptspflicht auß meinem wenigen Vermögen mich beflißen habe, sowohl in Kirche und Schulen bey den S o n t a g = und wöchentlichen Examinibus, die wir hie Gott lob! haben, alß auch in Sonderheit bey der privat information der confirmandorum, alte und j u n g e zu dem lieben worte Gottes und in die Bibel anzuführen; hat dießes Gott sey danck! soweit gefruchtet, daß viele schon die Bibel oder wenigstens das Neue Testament angeschaffet haben, die mehreste aber auß Armuth und Dürfftigkeit darzu nicht gelangen können. So bald aber ihnen der große Seegen, welchen der barmhertzige und getreue Gott an Ihrem lieben orte durch die christlichen Veranstaltungen des Herrn Baron von 110 111 112
Spener, Pia Desideria, S. 58; vgl. Aland, Bibel und Bibeltext, S. 89 f. Oschlies, S. 30 f. Aland, Bibel und Bibeltext, S. 91; vgl. Aland, Der Hallesche Pietismus und die Bibel,
S. 36. 113 1,4 115 116
AFSt, AFSt, AFSt, AFSt,
A C A A
166: 3. 205: 10. 188a: 213. 188a: 189; zu Hollander siehe Arends, Gejstligheden, 1, S. 357.
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Canstein (welchen der allerhöchste Gott dafür zeitlich und ewig gesegnen wollen) gegeben, bekandt gemacht, haben meine liebe Zuhörer wie auch einige gute Freunde auß benachbahrten Gemeinen, nebst mir, dieße 100 Reichsthaler zusammen gebracht, und mich ersuchet von dießen neuen Bibeln 165. Exemplarien der größern, und 45. Exemplarien der kleineren Art, unter welchen letztern 2. Exemplarien auff Schreib=papier verlanget werden, wie auch 237 Neue Testamente mit dem Psalter jedes á 2 Groschen ihnen zuverschreiben." 117 Auch der Haddebyer Geistliche Hinrich Brummer wandte sich 1715 an Francke, um „vor das erste 50 Exemplarien von den vollständigen Bibeln, und 100 Exemplarien von den Neuen Testamenten mit und ohne Psalter" zu bestellen 118 . Brummer betonte, daß es von seinem Amtsantritt an seine einzige Sorge sei, wie er seine Gemeinde „möge reich machen in aller Lehre und Erkäntnüß, und zwar vornehmlich durch unabläßiges catechisiren", dazu habe ihn besonders Caspar Hermann Sandhagen angeführt, von dem er sowohl öffentlich als auch privat habe lernen können 1 1 9 . „Weil aber alle Arbeit umsonst", wie er ferner schrieb, „wonicht die Zuhörer mit eigenen Augen sehen, so ließe der Seelige Mann diesen Landen zum Besten ein Neu Testament, das Er zwar nur biß ad Acta brachte, und sein Tod die weitere Ausfuhrung hinderte, drucken, welches Ich endlich vollenzöge 120 . Davon sind die Exemplaria schon alle vergriffen, und leyder nach seinem Seeligen Tode um dergleichen nützliche Arbeiten sich Niemand bekümmert, so muß ein redlicher Prediger, dem seyn Ampt noch ein Ernst ist, nach anderwertige Hülffe sich umsehen." Vor einigen Jahren hätte er zwar 50 Exemplare in 4° mit einer Vorrede Seligmanns besorgt 121 , die unter der Gemeinde verteilt wurden, aber durch den Einfall der Russen und Sachsen seien sie zum Teil verlorengegangen. N u n müsse er wieder sehen, wie dieser Schaden ersetzt werden möge. Brummer bekam zwar die Zusage, die 100 Exemplare des Neuen Testaments mit und ohne Psalter geliefert zu bekommen, auf die Zustellung der 50 vollständigen Bibeln mußte er aber vorerst verzichten 122 . Er bat in einem weiteren Schreiben, daß ihm zumindest 6 Exemplare der vollständigen Bibeln geliefert werden möchten. „Denn ich habe einer gewißen Geheimen Räthin /: die eine recht fromme und Gott seelige Seele ist:/ von der Ahrt Bibeln ouverture gethan, auch auf dero Begehren einige Exemplaria vor ihr 117
Ebenda. AFSt, C 615: 1. 119 Ebenda. 120 Es handelte sich um das unter Sandhagens Namen erschienene Buch: D. Mart. Lutheri Teutsches Testament (Schleswig 1700); siehe P. M. Mitchell, A Bibliography of 17th Century German Imprints in Denmark and the Dutchies of Schleswig-Holstein, II (Lawrence 1969) S. 695. 121 Gottlob Friedrich Seligmann (1654-1707), 1682 Archidiakon in Rostock, 1686 Archidiakon an St. Nikolai in Leipzig, 1699 Pastor an St. Thomas dort, 1700 Prof der Theologie, 1707 kursächsischer Oberhofprediger in Dresden. 122 AFSt, C 615: 2. 118
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Gesinde versprechen müßen, wenn ich davon bekommen würde. Wie ich nun von dem Herrn Professor die Nachricht erhielte, daß keine zu bekommen, läßet Sie nicht nach bey allen Gelegenheiten mich zu plagen, ihr einige Exemplaria zu procuriren, weil die Zeit biß zu der künfftigen Auflage gar zu lange hin wäre. Also trage Ewer Hochwürden diese christliche Sorge über, gebunden oder ungebunden, Sie mit bey zu legen." 1 2 3 In demselben Schreiben erhöhte Brummer auch die vorherige Bestellung, indem er nun 100 Neue Testamente ohne und 50 mit dem Psalter forderte, „mit welcher Anzahl unter meinen Zuhörern zimlich weit zu reichen gedencke." Die Bibeln in dem größeren Format gefielen ihm auch sehr gut wegen der reinen und leserlichen Schrift, „weil aber selbige nicht so bequem sind bey sich zu tragen, in dem einige Dorfschafften über eine starcke Meile zur Kirchen haben, so will vor dis mahl damit es anstehen laßen." 1 2 4 Brummer gehörte zu jenen Geistlichen, die die Arbeit der Bibelanstalt nicht nur mit Beifall begleiteten, sondern auch Kritik übten. Am 4. November 1717 meldete er Francke, daß die Auflage der Bibeln sowohl in 8° als auch in 12° „sehr vitieus" sei 125 . Er habe „schon über 50. sphalmata angetroffen", die er sich beim Lesen notierte. „Man wolle", wie er mahnte, „von deren fleiß und Sorge vor die Bibeln nicht nachlassen, denn Ich befinde, daß der letzte Abdruck von den Bibeln in 12 das nicht praestiret, wies verheißen." Auch in einem späteren Brief vom 6. Oktober 1721 bat er Francke, daß er dem Inspektor des Bibelwerkes, Johann Heinrich Grischow, berichten möge, „daß die 8. Auflage von der 8"v Bibel, noch lange nicht so sauber sey, als man gehoffet." 1 2 6 Er habe schon „eine ziemliche Menge sphalmata typographica angemercket", die er, wenn er seine „cursiorias lectiones absolviret", Herrn Grischow zustellen werde, um diese in einer neuen Auflage zu verbessern. Es sei noch einmal betont, daß die enorme Verbreitung von Bibeln durch die Pietisten das äußere Zeichen einer allgemeinen Rückbesinnung auf die Bibel war, die wieder zur wichtigsten Grundlage des christlichen Glaubens wurde. Mit welchem Eifer sich auch die pietistischen Prediger in den Herzogtümern bemühten, ihre Gemeinden mit Bibeln zu versorgen, zeigen die oben genannten Beispiele. Geistliche wie Caspar Hermann Sandhagen und Hinrich Brummer versuchten diesem Grundanliegen des Pietismus schon vor Gründung der Cansteinschen Bibelanstalt Rechnung zu tragen. Allerdings wurde eine ausreichende Versorgung der Gemeinden mit Bibeln erst durch die Gründung der Cansteinschen Bibelanstalt ermöglicht, weil sie Bibeln in großen Auflagen drucken und, was genauso wichtig war, zu niedrigen Preisen verkaufen konnte. Wie sich zeigte, 123 124 125 126
Ebenda. Ebenda. AFSt, C 615: 3. AFSt, A 144: S. 913-916.
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überstieg die Nachfrage das Angebot bei weitem, so daß immer wieder neue Auflagen notwendig waren 127 . Hatte die lutherische Orthodoxie gegen die Verbreitung der Bibeln in den Gemeinden nichts einzuwenden, so war sie aber doch bestrebt, die Verbreitung pietistischer Literatur zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Der Generalsuperintendent Josua Schwartz warnte wiederholt vor den Pietisten und ihren Schriften, ohne aber konkrete Maßnahmen gegen deren Verbreitung zu ergreifen. Wie sich an dem Streit zwischen den Flensburger Geistlichen Hinrich Braker und Otto Lorentzen Strandiger zeigt, galt die Empfehlung und Verbreitung pietistischer Literatur als anklagenswerter Tatbestand, der in diesem Fall nicht zum Verbot dieser Schriften, sondern zu einer disziplinarischen Maßnahme gegen den Rezipienten und Distribuenten führte 1 2 8 . Am 7. Oktober 1711 schlug der Generalsuperintendent Theodor Dassow dem König anläßlich des Streites zwischen Johann Andreas Göbel und Franz Möller vor, er möge dem Flensburger Konsistorium befehlen, „keine verdächtige(n) pietistische(n) autores oder Bücher, so von reinen Theologis längst refutiret sind", zu loben, zu empfehlen, zu verteidigen und zu lesen 129 . „Weil den auch die Flensburger ohne censur des General Superintendenten allerhand tractätlein drucken laßen, darin viel bedenckliches enthalten, alß das die Wiedergebuhrt eine lebendige undt kräfftige herstellung des verlohrnen Ebenbildes sey, item daß die Kinder nur den saamen des Glaubens, oder ein füncklein haben, item daß ein gottloser prediger nur mitt natürlichen kräfften die Glaubens articul faße etc. alß ersuchet der Synodus Euer Königliche Majestät allerunterthänigst, sie geruhe die Constitutionem Rensburgensem d. 24. Octobr. Anno 1646 undt die Glückstadiensem Christiani 5. d. 17. Mart. Anno 1681, alß in welchen enthalten ist, daß nichts ohne Censur des General Superintendenten getruckt werden soll, allergnädigst zu removiren, damit denen Neuerungen in der Lehre desto kräfftiger gesteuret werden könne." 1 3 0 Die Maßnahmen des Generalsuperintendenten Dassow richteten sich nicht allein gegen die Verbreitung pietistischer Literatur aus anderen Ländern, sondern auch gegen im Lande gedruckte pietistische Schriften. Am 19. März 1712 übersandte Dassow dem König die „Layen=Bibel" des Flensburgers Peter Petersen mit der Bitte, die Vorrede zu konfiszieren und einige Stellen umdrucken zu lassen; in der Vorrede würde den „reinen Academien wiedersprochen, und der verworffene Spener, der durch alle articul der Augspurgischen Confession geirret, hoch gepriesen", ebenfalls
127 128 129 130
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Vgl. Söhngen, Festrede, S. 12. Feddersen, S. 377; Jakubowski, S. 165f. RAK, T.K.I.A., B 14 XVI; vgl. RAK, Kobenhavns Universitet, 31-03-02. Ebenda.
würde des „gottlosen" John Lockes Traktat von der Kinderzucht zitiert 131 . Auch in dem Werk selbst fänden sich Irrungen genug. Dassow übersandte außerdem zwei andere Schriften, die ebenfalls konfisziert werden sollten: „Die Hertzstärckenden Erquick=Stunden" des Nürnbergers Wolfgang Dominicus Beer, die schon 1676 unter dem Titel „Christliche Gedanken über etliche Sprüche der Bibel" in 3 Teilen herausgekommen waren, und „Die Erschröckliche Finsterniß". In der „Finsternis" würde, wie Dassow schrieb, das Christenthum „auff Pietistisch durchgezogen" und in den „Erquickstunden" zur Absonderung von der Kirche und zur geistlichen Zusammenkunft in den Häusern geraten 132 . Dassow bat darum, daß den Buchdruckern der Druck derartiger Bücher verboten würde 1 3 3 . Am 2. April 1712 teilte er in einem weiteren Schreiben mit, daß er in der „Layen=Bibel" noch weitere irrige Stellen gefunden hätte und daß das ganze Werk konfisziert werden müsse 134 . Die Deutsche Kanzlei holte in dieser Angelegenheit ein Gutachten von der Theologischen Fakultät der Universität zu Kopenhagen ein. Das am 25. August 1712 erstellte Gutachten schlug vor, die „Erquickstunden" zu konfiszieren, weil sie zur Separation vom öffentlichen Gottesdienst und zur heimlichen Zusammenkunft und Kommunion in den Häusern ermuntere. So weit gehe die „Finsternis" nicht, die nur das verderbte Christentum, wie die Professoren weiter ausführten, „wiewohl hie und da mit seltzamen expressiones" „auffs schärfste" kritisiere. Die Fakultät wußte aber nicht, ob dieses Buch auch zu konfiszieren sei; „denn daß dieses durchziehen auff Pietistisch geschehen, müste erst aus Pietistischen Irrthümern dieses Buchs erwiesen werden, welche Irrthümer wir drin nicht gefunden". Sodann betonte die Fakultät, daß die „Layen=Bibel" von Dassow zwar „in beiden suppliquen am hefftigsten angeklagt" werde, die Konfiskation dieses Buches aber „ganz unbillig" sei; es müßten nur auf drei Seiten einige Stellen umgedruckt werden. „Doch möchten wir wohl allerunterthänigst wünschen, daß es nicht einem jeden Candidato Ministerio, oder gar Prediger frey stünde dergleichen Catechismos, unter was titul er auch wäre, heraus zu geben. Weil solches beydes wegen der großen vielheit dieser Bücher unnöthig, und zudem leicht zu Unruhe und Streitigkeit Anlaß giebet, und das dazu erfoderte Talent sich nicht bey allen findet", so das Gutachten der Theologischen Fakultät 135 . „Der gefährliche Zustand itziger Zeit" mache es aber nötig, in den Herzogtümern und im Königreich zukünftig den Druck theologischer Schriften ohne Zensur des Generalsuperintendenten zu verbieten 136 . Den Buchhändlern sollte auch der 131 R A K , K0benhavns gen, II, S. 30ff. 132 RAK, Kobenhavns 133 Ebenda. 134 RAK, Kobenhavns 135 RAK, Kobenhavns 136 Ebenda.
Universitet, 31-03-02; z u m folgenden vgl. Pedersen, Fra B r y d n i n Universitet, 31-03-02. Universitet, 31-03-02; vgl. Pedersen, Fra B r y d n i n g e n , II, S. 32. Universitet, 31-03-02.
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Verkauf verworfener Bücher verboten werden. Die königliche Resolution vom 23. September 1712 schloß sich dem Bedenken der Theologischen Fakultät an 137 ; zusätzlich erließ die Regierungskanzlei zu Glückstadt am 4. Oktober 1712 eine Verordnung, die auch die weitergehenden Empfehlungen der Professoren aufnahm und bestimmte, daß keine geistlichen Bücher ohne Zensur und Approbation des Generalsuperindenten gedruckt, eingeführt und verkauft werden dürften 1 3 8 . Einige Jahre später meinte der königliche Generalsuperintendent Theodor Dassow, wieder gegen eine Schrift vorgehen zu müssen. Nachdem Johann Melchior Krafft 1714 seinen „Prodromus Historiae Versionis Germanicae Bibliorum" herausgebracht hatte, beschloß Dassow, diese Schrift verbrennen zu lassen 139 . Der Grund dafür: Krafft verteidigte in seiner Schrift Spener und zeigte auch auf, wie unsachlich die Gegner mit Spener und dessen Schriften verfahren; außerdem ging Krafft noch einmal auf die Streitigkeiten zwischen dem königlichen Generalsuperintendenten Schwartz und seine gottorfischen Kollegen Sandhagen und Muhlius ein, wobei er die Darstellung dieses Streites in den „Unschuldigen Nachrichten" Valentin Ernst Löschers kritisierte. Dassow bekam allerdings keine Approbation seines Beschlusses aus Kopenhagen, so daß die Verbrennung der Schrift unterblieb. „Denn nicht nur der Herr Geheim Rath Holsten daselbst", wie der Kahlebyer Pastor Ludwig Ottens an A. H. Francke schrieb, „sondern auch Ihro Königliche Majestät Herr Bruder und princessin Schwester grose Freunde sind von dem seeligen Herrn D. Spener und seinen geistreichen Büchern, sogar daß der vorgedachte fromme Politicus Herr Hollste bey seiner anwesenh^it in Schleßwig noch neulich gegen den Herrn Stricker Haupt Pastorn am T h u m gedacht, Er woltc dem Herrn Dassovio bey gelegenheit wegen dieser Materie einreden, und sein unrechtmäßiges Verfahren verweisen." 1 4 0 Auch der folgende Fall zeigt, aufweiche Art und Weise versucht wurde, die Verbreitung pietistischer Literatur zu unterbinden: Am 13. März 1717 wurde dem Magistrat der Stadt Flensburg mitgeteilt, daß der Hamburger Buchhändler Samuel Heyl in den Herzogtümern Schleswig und Holstein „verschiedene sowohl gegen unsere hohe Persohn und Regierung, alß auch wieder den reinen wahren Glauben, abgefaßete öffentlich gedruckte schändliche und Gottlose Schmäh- und ketzerische Schriften" öffentlich verkaufe und solche Schriften auch nach Jütland einführen wolle 141 . Der Magistrat solle sofort alle verdächtigen Schriften sowohl in dem Buchladen als auch in den Privathäusern konfiszieren und verbieten und den Buchhändler Heyl, sobald er mit derartigen Schriften in die Stadt kommen 137 138 139 140 141
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LAS, Abt. 19, Nr. 620; vgl. RAK, T.K.I.A., B 12. LAS, Abt. 19, Nr. 703. AFSt, C 205: 10; L. Ottens an A. H. Francke, Kahleby, 7. Januar 1715. Ebenda. RAK, T.K.I.A., B 12.
sollte, ausweisen und den Verkauf bei schwerer Strafe verbieten, ihn aber im Falle der Zuwiderhandlung in Arrest nehmen und dann neue Order einholen. Obwohl der Magistrat der Stadt Flensburg bei der Suche nach verdächtigen Büchern wenig Erfolg hatte 142 , wurde am 24. April 1717 an das Obergericht Gottorf, die Regierungskanzlei zu Glückstadt, das Altonaer Appellationsgericht sowie an die Regierungen zu Stralsund und zu Oldenburg der Befehl erteilt, daß dem Hamburger Buchhändler Samuel Heyl in allen dänischen Landen der Buchhandel zu verbieten sei 143 . Als Anlaß für dieses Verbot wurde angegeben, daß Heyl „allerhand gedruckte injurieuse und Calumnieuse Schwedische Chartequen und Schafften" verbreitet hätte, „worinnen zum theil so wenig Unser alß auch anderer Unserer hohen alliirter häupter allemahl mit geziemender Veneration gedacht wird. " 1 4 4 Von verdächtigen religiösen Schriften war in dem Verbot überhaupt nicht mehr die Rede. Die „rationes Politicae" sollen der Grund für das Verkaufsverbot Heyls in den dänischen Landen sein, äußerte Johann Melchior Krafft in einem am 1. Juli 1717 an den dänischen Staatsminister Johann Georg von Holstein geschriebenen Brief skeptisch, „wann aber Ihro Excellentz wißen sollten, was ich weise, wer nemlich die wichtigsten Scripta gegen Serenissimum, das Ministerium Gottorpiense etc.: verleget und befördert, so würde vielleicht der gleichen über den Heyl nicht ergangen seyn. In deßen bin mit dem Mann sehr intressiret wegen meiner Bibel-Historie, als deren Verleger Er ist, gleich wie auch bishero des Prodromi, woran meine leibliche wolfahrt meisten theils hanget, in dem alle mittel in die codices und Bibliothec nach meiner armuth von jehero gestecket, da nun der Mann solchergestalt gehindert wird, und sehr darunter leyden müßen; wann ich inzwischen gedencke, wie verhast bis hero meine Arbeit, sonderlich auch der Prodromus wegen unsers seeligen Herrn D. Speners theologie bey Herrn Licent. Dassovio, dem Herrn Pastor Brackern und ihren Anhängern ist, da sie auch getrachtet, sich sehr boshaftig wider mich und meine wenige Arbeit, wie Land kündig, in der wircklichen that erweisen zu können; so laße es dahin gestellt seyn, da Herr Heyl meine Sache sonderlich im Land distrahiret, und viele liebhaber gefunden, ob nicht die ketzermacherey meistentheils daran per indirectum schuld seye, daß meinetwegen dem buchfiihrer Heyl die Handlung verbothen worden. Bitte demnach unterthänig, doch, wann Heyl seine preces und rationes wird einschicken, mit zu deß besten helffen zu cooperiren. Man bekomt ja sonst kein rechtschaffenes buch mehr im gantzen land zu sehen, weil die übrigen nichts denn Postillen und fast verlegene Sachen zu Kauff bringen, da bey unsere Schul auch mit uns beraubet seye ihres
142
RAK, T.K.I.A., B 69 IV; Schreiben des Flensburger Magistrats an den König, 20. März
1717. 143 144
RAK, T.K.I.A., B 12. Ebenda.
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commercii literarii." 145 Krafft vermutete also, daß das Handelsverbot für Samuel Heyl weniger politische als kirchenpolitische Gründe hatte. Heyl war schließlich der Verleger von Kraffts 1714 erschienener Schrift „Prodromus" gewesen. N u n läßt sich nicht mehr feststellen, ob eine der Ursachen für die Denunziation Heyls bei der dänischen Regierung die Verbreitung der Schriften Kraffts war; auf jeden Fall wurde, wie Krafft beklagte, der Kauf „rechtschaffener" Bücher durch das Verbot erschwert. Der Brief Kraffts trug möglicherweise dazu bei, das Verkaufsverbot für Heyl am 20. Mai 1719 aufzuheben und ihm wieder zu erlauben, in den Städten der Herzogtümer und Jütlands, mit Ausnahme der Stadt Flensburg, in welcher Balthasar Otto Bosseck das Privileg des Buchhandels hatte, den Verkauf von Büchern wieder aufzunehmen 1 4 6 . Heyl verpflichtete sich zugleich, sich künftig vorzusehen und keine „odieuse(n) chartequen oder ketzerische(n) Schrifften noch verbothene(n) Bücher" einzuführen 147 . Im Sommer 1723 meldete der Generalsuperintendent Thomas Clausen nach Kopenhagen, daß der Husumer Hauptpastor Johann Melchior Krafft in Hamburg eine Schrift drucken lasse, in der „viele wohlverdiente verstorbene Theologi, besonders unser gewesener Consistorial-Raht, und General-Superintendens, weyland Doctor Josua Schwartz sehr schlecht tractiret und sonst viele Dinge vorgebracht seyn sollen, welche nicht anders dann neuen Streit, Verwirrung und Uneinigkeit in den Schleswig Holsteinischen Kirchen verursachen könten" 1 4 8 . Daraufhin erging am 31. Juli 1723 an das Obergericht zu Gottorf der Befehl, dem Husumer Pastor Krafft „ernst und nachdrücklich sub poena Remotionis ab officio und anderer willkührlichen Straffen die Ausfertigung obangeregter Schrifft" zu verbieten und ihn anzuweisen, nichts drucken zu lassen, bevor es vom Generalsuperintendenten zensiert und approbiert worden sei 149 . Nachdem Krafft der Königliche Befehl am 11. August bekannt geworden war, wandte er sich mit einem ausfuhrlichen Schreiben am 14. August direkt an den König. Er habe die Denunziation „mit der aller empfindlichsten Betrübnis leyder!" vernehmen müssen; er müsse aber bezeugen, wie Krafft fortfuhr, „daß der Referend sich an Gott, der Warheit, und der Liebe, gröblich versündiget; und daß Ich solche widrige Anklage nicht anders anzusehen habe, als eine bittere Frucht wider Ihro Königliche Majestät Hohe Gnade, da Sie mich wider meine Pasquillanten allergnädigst zuschützen geruhen wollen, und daß dahero entweder in Hamburg selbst solche Klage wider mich müßte seyn aufgesetzt worden, oder daß doch wenigstens von dahero das Amt und Auctorität eines andern, sey misbrauchet, und selbigem solche errichtete Dienge, 145
KBK, Ledreb. 455, 14, 2°. RAK, T.K.I.A., B 5. 147 Ebenda. 148 RAK, T.K.I.A., B 12; siehe auch KBK, Ledreb. 455, fol., Kraffts Schreiben an den dänischen König vom 14. August 1723. 149 RAK, T.K.I.A., B 12. 146
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als seyn es Warheiten zugeschrieben worden. " 1 5 0 Krafft bezog sich auf einen Vorfall, der erst einige Wochen zurück lag: Zu Pfingsten 1723 war in Husum durch einen Hamburger Buchhändler eine anonyme Schrift mit dem Titel „Umständliche Nachricht" verbreitet worden, die sich gegen den wegen sozinianischer Lehre suspendierten Tönninger Pastor Johann Georg Cuntius richtete 151 ; darin wurde Krafft als ein berüchtigter Schwärmer bezeichnet, „der der Drache gewesen, welcher dem Thier zu Tönningen seine Krafft gegeben; der auch selbst offter mahls Krafft-waßer zur nöhten habe, wen Er mit seinem Fanatischen Zeug in den Quarck gefallen" 152 . Krafft hatte sich darüber beim König beschwert und erreicht, daß im August 1723 auf königlichen Befehl auf der Kanzel der Stadtkirche zu Husum öffentlich eine Ehrenerklärung für ihn verlesen wurde 1 5 3 . Als Autoren dieser gegen Cuntius gerichteten Schrift nannte Krafft den Professor Sebastian Edzard und den Hamburger Geistlichen Erdmann Neumeister 154 ; diese beiden waren nach seiner Meinung auch die Urheber der Denunziation, die der Generalsuperintendent Clausen dann an den König weitergab 155 . In seinem Schreiben an den König gab Krafft zwar zu, daß er eine Schrift in Hamburg drucken lasse, aber sie würde in keiner Weise den von Clausen genannten Inhalt haben 156 . Vielmehr handelte es sich um die noch heute für die schleswig-holsteinische Geschichtsforschung unentbehrliche Schrift: „Ein Zweyfaches Zwey=Hundert=Jähriges Jubel=Gedächtnis, Deren das Erste In einer am Fest=Tage Allerheiligen 1722. gehaltenen Predigt vorstellet die Reformation, so durch GOttes Segen 1522, zu allererst in diesen Hertzogthümern, Schleßwig, und Holstein, von Hermanno Tasten, in dieser Stadt Husum angefangen worden; Das andere aber Eine völlige Historie des von dem sei. Luthero verdeutschten und 1522. zwey mahl zu Wittenberg gedruckten N. Testaments. Dem beygefliget ist I. Eine Z w e y = H u n d e r t j ä h r i g e Husumische Kirchen= und Schul=Historie, II. Eine ausfuhrliche Lebens = Beschreibung des weyland Gottseligen General150
KBK, Ledreb. 455, fol. Zu Cuntius siehe Arends, Gejstligheden, I, S. 184; Archiv f. Staats- u. Kirchengeschichte der Herzogthümer, V (1843) S. 591 ff; Wotschke, Urkunden, S. 465f; ders., Pfarrer Günthers Kollektenreise, S. 334 f. 152 KBK, Ledreb., 455, fol.; Schreiben Kraffts an den dänischen König vom 2. Juni 1723. 153 Stadtarchiv Husum, 2103; RAK, T.K.I.A., B 12; vgl. Wotschke, Pfarrer Günthers Kollektenreise, S. 335. 154 In einem Brief an V. E. Löscher schrieb Erdmann Neumeister aus Hamburg: „Der wunderliche Contius zu Tönning hat sententiam remotionis erhalten, und ist diese nach Kopenhagen zu königlicher Ratifikation geschickt. Der bekannte Krafft zu Husum und noch einer solchen Gelichters zu Friedrichstadt haben den elenden Mann zu ihrem Werkzeuge gebrauchet, und diese dürften vielleicht auch gebührend angesehen werden." Siehe Wotschke, Urkunden, S. 466. 155 KBK, Ledreb. 455, 14, 2°;J. M. Krafft a n j . G. von Holstein, Husum, 23. August 1723. 156 RAK, Ledreb. 455, fol. 151
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Superintendenten, Hn M. Jacobi Fabricii, Senioris, als des andern Reformatoris des zu seiner Zeit von D. Philippo Caesare sehr angefochtenen Kirchen=Zustandes, und wie das gantze Ministerium damahls die Libros Symbolicos aufs neue wieder unterschrieben. Alles aus und mit seinen Beweisthümern, Briefen und meist noch nie gedruckten Documenten ans Licht gebracht. Von M. Johanne Melchiore Krafften Past. Prim. wie auch Kirchen= und Schulen=Inspectore. H A M B U R G , Verlegts Johann Wolffgang Fickweiler, Buchhändler im Dohm, Im Jahr 1723". Wie auch schon aus dem Titel zu ersehen ist, ist diese Schrift Kraffts alles andere als eine Pasquille. Krafft wies in seinem Schreiben an den König ferner darauf hin, daß er die Schrift vom Generalsuperintendcnten nicht mehr prüfen lassen könne, da sie bereits im Druck sei. Er habe auch nicht gewußt, daß der König eine Zensur anordnen würde, zumal „ein jeder im Land sonderlich in Schleßwig" drucken lasse, was er wolle. Die ersten gebundenen Exemplare seiner Schrift, die er für den König auf besonderem Papier drucken lasse, wolle er sofort nach Kopenhagen einsenden, wo die Theologische Fakultät die Schrift prüfen könne 1 5 7 . Eine Abschrift des Schreibens sandte Krafft am 23. August 1723 an den Geheimrat Johann Georg von Holstein. In einem beigefugten Brief bat Krafft um dessen Patrocinium, „weil aus allem erhellet, wie der Herr General-Superintendent mit mir gedencke eben den Process vorzunehmen, wie mit Monsieur Cuntio, nehmlich mich um Amt und Ehr, ja auch aus dem Land zu bringen; wie Er sich deßen dann selbst soll haben verlauten laßen." 1 5 8 Und Krafft schrieb ferner: „O! mi Deus, in quae nos reservasti tempora; wird der allmächtige Gott den mann nicht steuren, so ist kein ehrlicher prediger eine Stund sicher, was denen boshafftigen pasquillanten in Hamburg an mir hauptsächlich zu wider ist, ist, daß ein Freund der warheit und des seeligen D. Speners bin, von welchem ein und das andere Arcanum zu deßen defension, so bishero unbekant gewesen, in meiner Historie von Lutheri N T und dieser Stadt=, Kirchen= und Schulen=Historie, mit bey gebracht, So die Hamburger aber und Herr D. C[lausen] nicht vertragen können. Ich bedaure bey allem nichts so sehr, als daß nun mehro durch solche Hamburger, die dem Herrn General-Superintendenten alles angeben und zuschreiben, dieses gantze Land in Kirchen und Schulen Sachen soll regieret werden; deßen sich Gott erbarmen wolle. Ich glaube aber, es sey jetzo die Zeit des Leidens, bis Ihro Königliche Majestät dieses alles zu seiner Zeit allergnädigst remediren werden. Ihro Excellentz spreche doch um gottes willen mit Ihro Hoch-gräfliche Excellentz dem Herrn Gros-Cantzler, daß doch Professor Edzard und Neumeister aus Hamburg
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Ebenda. KBK, Ledreb. 455, 14, 2°; J. M. Krafft a n j . G. von Holstein, Husum, 23. August 1723.
so nicht per Latus des Herrn D. C[lausen] uns arme Prediger . . . plagen und ängstigen mögen." 1 5 9 Tatsächlich glaubte Erdmann Neumeister, Clausen sei der Mann, der den Einfluß des Pietismus in den Herzogtümern allmählich verringern könnte. „Wenn Gott H. D. Clausen leben läßt, so hoffe ich, daß in dem königlichen Holstein der Pietismus vollends des Landes verwiesen werden soll", schrieb Neumeister an den Dresdner Generalsuperintendenten Valentin Ernst Löscher, den letzten bedeutenden Vertreter der lutherischen Orthodoxie in Deutschland 160 . Der Wunsch Neumeisters erfüllte sich jedoch nicht, da Clausen schon im April 1724 starb und damit die Epoche der lutherischen Orthodoxie auch im königlich regierten Teil der Herzogtümer Schleswig und Holstein zu Ende ging. Lehrer
Da „die Weltverwandlung durch Menschen Verwandlung" nach Martin Schmidt „das eigentliche Ziel des Pietismus" war 161 , wurde der Erziehungsgedanke vom Pietismus „zu dem schlechthin beherrschenden Thema kirchlichen Handelns erhoben." 1 6 2 Schon Spener machte in den „Pia Desideria" Reformvorschläge zur besseren Erziehung des Predigernachwuchses 163 ; Francke erweiterte diese Pläne, indem er ein umfassendes Erziehungsprogramm aufstellte, das bei der Erziehung der Kinder begann und in letzter Konsequenz die Erziehung des ganzen Menschengeschlechts anstrebte 164 . Franckes Ansicht, daß die „böse Aufferziehung der Jugend" eine Quelle des Verderbens sei 165 , fand im Pietismus allgemeine Anerkennung; deshalb war die pietistische Erziehung darauf angelegt, den Kindern von frühestem Alter an nicht nur Bildung zu vermitteln, sondern sie vor allem zu einem gottseligen Lebenswandel zu erziehen. „Es sind aber die Kinder / wie ein Acker / wenn derselbe nicht zu rechter Zeit mit Sorgfalt und Mühe beschicket wird / so kan er auch nicht zu rechter Zeit Früchte tragen. Dahin zielet der Geist=reiche D. Arndius: Wenn ein Ackers= Mann / spricht er / die Zeit versäumet daß er nicht zu rechter Zeit säet / oder pflantzet / so kan er auch nichtes tüchtiges einerndten: Also / wenn du
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Ebenda. Vgl. KBK, Thott, 1228, 4°; Krafft a n j . A. Fabricius, 9. 10. 1721. Wotschke, Pfarrer Günthers Kollektenreise, S. 340 A 1. 161 Martin Schmidt, Pietismus = Urban T B Reihe 80, Bd. 145 (Stuttgart 1972) S. 76; vgl. ders., Wiedergeburt und neuer Mensch = AGP 2 (Witten 1969) S. 281 A 147. 162 Schmidt, Pietismus, S. 72; vgl. ders., Wiedergeburt und neuer Mensch, S. 205. 163 S. 67 ff. 164 Siehe August Hermann Franckes Schrift über eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesen als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts. Der Große Aufsatz. Hg. von Otto Podczek (Berlin 1962); vgl. Carl Hinrichs, Preußentum und Pietismus (Göttingen 1971) S. 52 ff. 165 Francke, Der Große Aufsatz, S. 76. 160
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die Jugend der Kinder versäumest / was wirst du von ihnen einerndten?" 166 So schrieb der Flensburger Peter Petersen in der „Layen=Bibel" und fuhr fort: „Die Zeit muß demnach bey Erziehung der Kinder=Zucht sorgfältig in Acht genommen werden. Denn / so lang ein Bäumlein jung und zart ist / kan man selbiges nach seinem Belieben lencken und beugen; wenn es aber mit den Jahren stärcker wird / kan mans schwerlich / ja endlich gar nicht mehr beugen. Die Kinderlein sind auch dem zarten Wachse gleich / dem man leicht eindrücken kan / was man will. Drucket man nun bald GOttes Ebenbild in derselben Seelen: So wird mans so viel gewisser und reiner finden / so viel reiner sie noch von weltlicher Üppigkeit sind / und so vielweniger sie dem in ihnen wirckenden Heil. Geiste vorsetzlich widerstreben können. Wenn aber in der zarten Kindheit das Bild der Welt / und die Larve des Satans durch Hofart und Üppigkeit erst eingepräget wird: So gehets hernach sehr schwer daher / wenn ein Informator oder Beicht=Vater hernach bey zugenommenen Jahren selbiges wiederum ausreuten / und das Bild des gecreutzigten JESU an dessen Statt einprägen soll. Alles demnach / so wol zeitliche / als ewige Wol der Kinder dependiret von ihrer Christlichen und rechtmäßigen Erziehung." 1 6 7 Da es um die Wende des 17. zum 18. Jahrhundert in den Herzogtümern sowohl an pietistischen Lehrern als auch an Schulen mangelte, in denen die Kinder in pietistischem Sinne erzogen wurden, sandten einige Pietisten ihre Kinder auf das Pädagogium der Franckeschen Stiftungen: 1698 Andreas Buchholtz 1 6 8 aus Handewitt und Michael Holst 1 6 9 aus Flensburg, 1703 Andreas Hoyer 1 7 0 aus Flensburg, 1705Johannes Georg Nissen 1 7 1 aus Flensburg, 1706 Friedrich Paulsen 172 aus Sonderburg und Andreas Hoyer 1 7 3 aus Karlum; außerdem besuchte Johannes Tielbähr aus Eckernförde die Schule zu Halle 174 . Für die Pietisten in Flensburg bedeutete es einen Fortschritt, daß im Jahre 1701 der Pietist Johannes Moller, berühmt als Verfasser der „Cimbria literata", Rektor der Lateinschule in Flensburg wurde und somit eine für die Ausbildung der bürgerlichen Jugend wichtige Institution von einem Pietisten geleitet wurde 1 7 5 . Es verwundert deshalb nicht, daß der Pietistengegner Hinrich Braker den Rektor Moller „als einen gefährlichen Jugendlehrer" beim Generalsuperintendenten Dassow denunzierte; aller166 p e t e r Petersen, Die Layen=Bibel (Flensburg 1711) Widmung. 167
Ebenda. Juntke, S. 56; Matrikel der schleswigschen Studenten von 1517-1740, Bd. 1, hg. von Thomas Otto Achelis (Kopenhagen 1966) Nr. 4176. 169 Juntke, S. 233; Achelis, Matrikel, Nr. 4177. 170 Juntke, S. 231; Achelis, Matrikel, Nr. 4356. 171 Juntke, S. 315; Achelis, Matrikel, Nr. 4485. 172 Juntke, S. 326; Achelis, Matrikel, Nr. 4487. 173 Juntke, S. 232; Achelis, Matrikel, Nr. 4445. 174 Achelis, Matrikel, Nr. 4417. i7s Ygi Alfred Peters, „Aus der Geschichte der Schule", in: Altes Gymnasium Flensburg. Eine Festschrift (Flensburg 1966) S. 35-43. 168
60
dings scheiterte der Versuch, ihn wegen pietistischer Irrlehren auch vor die Synode zu zitieren 176 . Damit die Einstellung pietistischer Lehrer verhindert würde, forderte Braker, daß auch die Lehrer an den gelehrten Schulen vor ihrer Vokation und Introduktion auf ihren Glauben geprüft und auf die Symbolischen Bücher verpflichtet werden sollten 177 . Nachdem Halle zum Zentrum des Pietismus und die Franckeschen Stiftungen zum Vorbild für alle pietistischen Einrichtungen geworden waren, lag für die Pietisten nichts näher, als sich an Francke und seine Mitarbeiter zu wenden, wenn man tüchtige Lehrer suchte. Francke bekam dadurch eine wichtige „Maklerfunktion", die er aber gerne übernahm, weil die Vermittlung pietistischer Lehrer seinem Ziel einer weltweiten Reform diente 178 . Die Pietisten aus den Herzogtümern bemühten sich ebenfalls um Lehrer aus Halle. In Husum wurde 1712 der hallesche Pietist Johann Nikolaus Rudioff, bisher Lehrer am Paedagogium Regium, zum Rektor der Lateinschule berufen 179 . Auch adlige und bürgerliche Familien, deren Kinder nicht auf öffentliche Schulen, sondern durch einen Informator oder Hofmeister unterrichtet werden sollten, wandten sich - oft durch Mittelsmänner - an Francke mit der Bitte, ihnen einen in Halle ausgebildeten Lehrer zu vermitteln. „Ich werde hie öfters um gute Subjecta zu conditionen und Informationen angesprochen", schrieb Johann Joachim Arends am 1. Juni 1714 an Francke, „mögte gern wissen, ob man damit auf Erfodern von dort aus könte versorget werden." 1 8 0 Ludwig Ottens betonte in einem Brief an Francke: Er habe schon lange gewünscht, daß seine Kinder „nach der in Ihrem Waysenhause und Pädagogio Regio eingeführten Methode möchten informiret werden. Weil mich aber so wohl die Entlegenheit des orts alß mich ihre Jugend annoch verhindert hat Sie nach ihren ort zu schicken, so habe vorerst den Entschluß gefast daher im Nahmen Gottes einen Studiosum kommen zu laßen, der daselbst informiret und also die Methode gefaßet, bin auch gottlob so glücklich gewesen, daß ich an dem lieben Herrn Treitman nun solch subjectum bekommen; damit ich zufrieden seyn kann. Gott erhalte ihn nur bey guter gesundheit, und gesegne seinen fleiß, so zweifle ich nicht, es werden so wohl meine Kinder von Seiner information alß auch mein ganzes hauß von Seiner unverfälschten Gottesfurcht gut haben. Solte aber gott mit der Zeit Ihm allhie eine Thür zum Heiligen predigampt auffthun, oder Seine gelegenheit nicht seyn länger in hiesigen Ländern und bey mir zu bleiben, so habe ich im Nahmen Gottes resolviret die beyden ältesten Söhne, wenn gott mir und ihnen leben 176
Burchardi, S. 74. Burchardi, S. 73. 178 Vgl. Ludwig Fertig, Die Hofmeister (Stuttgart 1979) S. 60; Oschlies, S. 41 f. 179 Z u Rudioff siehe Anm. 13 Kap. I. 180 AFSt, A 166: 1. In der Vorrede der „Layen=Bibel" betonte Peter Petersen: „Doch es ist eben nicht so leicht / einen rechtschaffenen / geschickten und erfahrnen Informatorem zu bekommen / als die leichtgesinneten Menschen sich einbilden." 177
61
und gesundheit giebet, nach ihren ort zu senden, damit sie daselbst entweder in dem Waysen-hauße oder Paedagogio Regio, wie Ihro HochEhrwürden es so dann vor gut befinden möchten zu der Furcht Gottes und dem Studiren weiter könten angefuhret, und ad studia Académica habilitiret werden." 1 8 1 Johannes Treitmann, der auf Empfehlung Franckes zur Familie Ottens nach Kahleby kam, stammte aus Leutschau (Levca/CSSR) und wurde am 31. August 1713 als Theologiestudent in Halle immatrikuliert 182 . Die beiden Söhne des Pastors Ottens begannen das Studium nicht in Halle, sondern in Jena: Joachim Georg am 4. Mai 1719 183 und der jüngere Johann Adolph am 9. Oktober 1721, letzterer studierte später jedoch auch in Halle (imm. 23. Juli 1727) 184 . Als die Söhne des Pastors Ottens auf die Universität gingen, übernahm Treitmann die Information der beiden Söhne des Generalmajors Zacharias von W o l f f u n d des Kammerrats von Preusser, „die Er in pietate so wol, als in humanioribus so gesetzet, daß Sie nach ihrem Alter keine größere profectus haben thun können: dazu dergestalt ihre Hertzen durch seine recht Christliche assiduite an sich gezogen, daß die lieben Kinder über den Verlust ihres so liebsten Hoff Meisters sehr empfindlich sind, daß einer von Eisen und Stein müste seyn, dem solches nicht jammern müste." 1 8 5 Treitmann war nämlich auf inständiges Verlangen seiner Mutter in seine Heimat zurückgekehrt 186 . Deshalb bat Hinrich Brummer Francke am 20. Mai 1723 im Namen der Eltern Wolff und Preusser, ihnen einen neuen Hofmeister aus dem Waisenhaus oder dem Paedagogium Regium zu senden, der „diejenige qualitas möchte haben, die Sie an Monsieur Treitman verspühret. " 1 8 7 Zwar hätte man im Lande genug Gelegenheit, Hofmeister zu bekommen, „die Gelehrsamkeit, Erfahrenheit und capacite genug haben", „allein Sie verlangen einen privat Informatorem, der die Kinder immer unter seiner Auffsicht habe, und durch gute Exempel mit Lehr und Leben möge anführen." 1 8 8 Francke teilte zunächst mit, daß er keinen Hofmeister empfehlen könne 189 , schließlich aber vermittelte er einen halleschen Studenten namens Faber 190 . Der Generalmajor Wolff und der Kammerrat Preusser waren mit Franckes Vorschlag sofort einverstanden, „weil Sie auf des Herrn Professoris Wahl lediglich ankommen laßen, nicht zweiffeinde Sie werden mit Monsieur Fabro eben so wol sehn, als Sie mit Monsieur Treutman sind zu rechte gekommen." 1 9 1 Faber 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191
62
AFSt, C 205: 10. Juntke, S. 455. Achelis, Matrikel, Nr. 4871. Achelis, Matrikel, Nr. 4959. AFSt, C. 615: 4; Hinrich Brummer an A. H. Francke, 20. Mai 1723. Ebenda. Ebenda. Ebenda. AFSt, C 615: 5; H. Brummer an A. H. Francke, 14. Juni 1723. AFSt, C 615: 6; H. Brummer an A. H. Francke, 21. Juni 1723. Ebenda.
mußte die Söhne der beiden Adligen, Jacob Friedrich von Preusser und Georg Christian von Wolff, anscheinend an ihren Studienort Kiel begleiten, wo beide am 4. Oktober 1723 im Alter von 12 und 14 Jahren immatrikuliert wurden; später setzten beide das Studium in Halle fort (imm. 18. April 1730) 192 . Es bleibt nachzutragen, daß nicht alle pietistischen Hofmeister oder Informatoren in Halle ausgebildet worden waren; der Autor der „Layen=Bibel", Peter Petersen, hatte zum Beispiel in Kiel studiert, war in Schleswig und anschließend bei den Kindern des Amtsverwalters Johann Gottfried Meley und des Amtmannes Ulrich Adolph von Holsten Informator gewesen 193 . Seine Erziehung im Sinne des Pietismus scheint Früchte getragen zu haben; der einzige Sohn des Amtsverwalters Meley, Otto Friedrich, begann 1717 das Studium der Rechte in Halle 194 . Die Qualitäten Petersens als Lehrer pries auch sein Vorgänger, der spätere Propst zu Flensburg, Christian Ernst Lundius mit überschwenglichen Worten: „Der zarte Kinder weiß auf solche Art zu speisen / Daß auch ein starcker Christ geschickte Nahrung findt / Der kan mit gutem Recht gedoppelt Lehrer heissen / Weil Kind und Vater Ihm zugleich verbunden sind." 1 9 5 Die Entfaltung des Pietismus bekam ohne Zweifel durch die Tätigkeit der pietistischen Lehrer neue Impulse. Nicht immer wird das Wirken pietistischer Lehrer aber so erfolgreich und folgenreich gewesen sein wie bei dem dänischen König Christian VI., der durch seine Erzieher, den Oberhofmeister Johann Georg von Holstein und den Informator Johann Wilhelm Schröder, schon frühzeitig für den Pietismus gewonnen wurde und der später das ganze Königreich mit pietistischen Beratern und nach pietistischen Grundsätzen zu regieren versuchte 196 . Jedoch auch das Wirken der pietistischen Hofmeister in den adligen Familien und der pietistischen Lehrer und Rektoren an den Lateinschulen ist nicht zu unterschätzen, wenn es auch sehr schwierig ist, ihren Anteil an der Verbreitung des Pietismus im einzelnen zu erfassen und zu beschreiben. Studium
in Halle
Zu den besonderen Voraussetzungen, die Halle zum Zentrum des Pietismus werden ließen, gehörte die Gründung der Universität: „Sie besaß noch keine Prägung und konnte durch energische Männer sofort im pietistischen Sinne gestaltet werden und wirken." 1 9 7 Diese pietistische Prägung war es 192
Achelis, Matrikel, Nr. 5021 und Nr. 5022; Juntke, S. 339 und S. 489. Vgl. die Widmung in seiner „Layen=Bibel". 194 Juntke, S. 291; Achelis, Matrikel, Nr. 4815. 195 p e t e r Petersen, Die Layen=Bibel, Vorrede. 196 Vgl. L. Koch, Kong Christian den Sjettes Historie (Kopenhagen 1886); H. L. M0ller, Kong Kristian den Sjette og Grcv Kristian Ernst af Stolberg-Wernigerode (Kopenhagen 197 1886). Schmidt, Pietismus, S. 69. 193
63
dann, die die Universität bald weithin bekannt machte. Aus allen Teilen Deutschlands sandten pietistische Eltern ihre Söhne zum Studium nach Halle, u m sie nicht nur wissenschaftlich ausbilden, sondern auch zu einem gottseligen Lebenswandel erziehen zu lassen. Gewiß, nicht alle Studenten kehrten als Pietisten aus Halle zurück, aber es darf doch angenommen werden, daß die meisten der Theologiestudenten Anhänger der pietistischen Bewegung wurden. Jedenfalls erweist dies das spätere Wirken von vielen von ihnen. Seit ihrer Gründung wurde die Universität zu Halle von Studenten aus den Herzogtümern besucht. Bis zu Franckes T o d am 8. Juni 1727 belief sich die Zahl der in Halle immatrikulierten, schleswig-holsteinischen Studenten aller Fakultäten auf 274 1 9 8 . „Fast zehnmal mehr SchleswigHolsteiner haben", wie Achelis schreibt, „zu Füßen A. H. Franckes als Martin Luthers gesessen." 1 9 9 Die Gesamtzahl der schleswig-holsteinischen Theologiestudenten in Halle, errechnet aus der „Matrikel der Schleswigschen Studenten 1517-1864" 2 0 0 und aus der „Matrikel der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg 1 (1690-1730) " 2 0 1 , beträgt für die Zeit von 1694-1730 allerdings nur 82 Studenten. Berücksichtigt wurden dabei alle Studenten, die in der Matrikel als Theologiestudenten geführt werden; hinzugenommen wurden außerdem jene, deren Studienrichtung in der Matrikel nicht angegeben ist, die aber später als Geistliche wirkten. Maßstab für die in der Tabelle genannten Jahresangaben ist jeweils der Studienbeginn in Halle, vorherige Studienaufenthalte an anderen Universitäten bleiben unberücksichtigt. Für ungefähr die Hälfte der in Halle studierenden schleswig-holsteinischen Theologiestudenten war Halle auch der erste Studienort. In der Zeitspanne von 1694—1708 kam ein großer Teil der schleswigschen Theologiestudenten in Halle aus der Stadt und dem A m t Flensburg (15 = ca. 40%). Aus der Stadt und dem A m t Tondern stammten in derselben Zeitspanne 6 ( = 19%), von der Insel Alsen, die in die Herzogtümer N o r b u r g und Sonderburg geteilt war, 5 Theologiestudenten - das ist für die Zeitspanne von 14 Jahren ein auffallend hoher Anteil. Aus dem Herzogtum Glücksburg und der Landschaft Eiderstedt kamen j e 2 und j e 1 aus Apenrade, Lügumkloster, Eckernförde, dem A m t Gottorf und dem A m t Husum, bei zweien fehlt eine genaue Ortsangabe. Zwischen der Zahl der Theologiestudenten aus königlichem und gottorfischem Gebiet besteht nur eine geringe Differenz (15:13). Für die Jahre 1709-1712 nennt die Matrikel keinen Theologiestudenten aus dem Herzogtum Schleswig. Die Ursache dafür dürfte die in den Jahren 1709-1711 in Norddeutschland grassierende Pest gewesen sein, die schließ198 199 200 201
64
Achelis, Von der Gewissensnot, S. 312. Ebenda. H g . von T h o m a s O t t o Achelis. H g . von Fritz Juntke.
genaue Herkunft unbekannt
Lohharde
Alsen
Hzgt. Glücksburg
Kahleby
Amt Gottorf
Friedrichstadt
Eiderstedt
Lügumkloster
Eckern forde
Husum
Apenrade
Amt Husum ohne die Stadt
2
Tondern
1
Amt Tondern ohne die Stadt
Flensburg
1694
Amt Flensburg ohne die Stadt
Amt Hadersleben
D i e schleswigschen Theologiestudenten in Halle
3
1695
-
1
1696
1
1
1697 1698
1
1
1699 1700
2
1701
1
2
1
1 1
1
3
2
1
5 1
2
1702 1703
1
1
1
1
2 2
1
5
1
1704 1705
1
1
1
1
1 2
1
1706
5 -
1707
1
1708
1
1
1
4
1
3
1709
-
1710
-
1711
-
1712
-
1713
1
1
1
1
4
1714 1715
-
2
1
1716 1717
1
1
1719
3
2
1
1720
1
1
1
1718
1721
3
1 1
4
1
2
1
2
1 2
1
1
4
1722
-
1723
-
1
1724
1
1725
-
1726
-
1727
2
1
1
1728
4
1
1
1729/30
-
5
10
11
4
7
1
1
1
2
2
2
2
2
1
9
2
2
2
66
65
1696
1
1
1703
1
1 1
1705 1706
1 1
1709
1
1 1
1
1716 1718
1 1
1707
1
1
1
1721
1
1
1726
2
1727
1
1
1
1728 1729
genaue Herkunft unbekannt
Grömitz
Altona
Barmstedt
Altenkrempe
Lunden
Neumünster
Kiel
Rendsburg
St. Margarethen
Krempe
Wilster
Die holsteinischen Theologiestudenten in Halle
1
1
1 1
1730 2
1
1
1
2
1
1
1
1
3
1
1 1
16
lieh auch die Herzogtümer erreichte. In den Jahren 1713-1730 kamen die meisten schleswigschen Theologiestudenten an der Universität Halle wiederum aus der Stadt und dem Amt Flensburg (6). Aus dem Amt Hadersleben und aus der Stadt und dem Amt Tondern stammten jeweils 5 Theologiestudenten und aus der benachbarten, aber zum dänischen Königreich gehörenden Lohharde 2 Studenten. 4 Theologiestudenten stammten von der Insel Alsen, 2 aus Friedrichstadt und jeweils 1 aus Husum, Lügumkloster, Eckernförde sowie aus dem zum St. Johanniskloster in Schleswig gehörenden O r t Kahleby und dem Amt Gottorf. Die Anzahl der Studenten aus gottorfischem und königlichem Gebiet war in dieser Zeitspanne gleich groß (11:11). Mit 4 Studenten ist der Anteil von der Insel Alsen wieder relativ hoch. Aus Holstein kamen bis 1709 lediglich 7 Theologiestudenten nach Halle, wovon je einer aus Wilster, Krempe, Kiel, Neumünster, Lunden und aus Barmstedt stammte, bei einem fehlt die genaue Ortsangabe. Für die Jahre 1710-1715 wird kein holsteinischer Theologiestudent in der Matrikel geführt. In den Jahren 1716, 1718 und 1721 studierte wieder je ein Holsteiner in Halle Theologie. Auch in der Zeit von 1722-1725 finden wir keinen Theologiestudenten aus Holstein in Halle. Erst 1726 begannen wieder 2
66
Studenten aus Altona, in Halle Theologie zu studieren. Jeweils 1 Student aus Holstein studierte dann in den Jahren 1727, 1728, 1729 und 1730 dort. Die holsteinischen Studenten, die nach 1713 ihr Studium in Halle begannen, kamen aus den Orten Rendsburg, St. Margarethen, Altenkrempe, Altona, Kiel, Wilster und Grömitz. Die Tabellen zeigen ferner, daß die weitaus meisten schleswig-holsteinischen Theologiestudenten in Halle aus jenen Städten und Regionen stammten, in denen der frühe Pietismus auch die stärksten Wurzeln geschlagen hatte, nämlich im mittleren Teil des Herzogtums Schleswig zwischen Tondern und Flensburg und auf der Insel Alsen. Die Schwäche der pietistischen Bewegung in Holstein zu Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts spiegelt sich auch im geringen Anteil an holsteinischen Theologiestudenten wider. In der gesamten Periode von 1694 bis 1721 standen den 60 Studenten aus dem Herzogtum Schleswig (einschließlich der Lohharde) lediglich 10 aus Holstein gegenüber. Erst nach dem Ende des Nordischen Krieges veränderte sich dieses Verhältnis; in der Zeit von 1722 bis 1730 war der Anteil der Theologiestudenten aus Schleswig und Holstein gleich groß, nämlich jeweils 6 Studenten. Viele der schleswig-holsteinischen Theologiestudenten in Halle kehrten nach ihrem Studium in die Heimat zurück, um dort eine Anstellung zu finden. Besonders in den Jahren nach 1710 wurden viele hallesche Studenten in den Herzogtümern in Pfarrämter berufen: 1711 Michael Holst in Q u e m 2 0 2 und Hans Hinrichsen in Adelby 2 0 3 ,17 1 2 Christoph Andreae Bruhn in Jordkirch 2 0 4 und Andreas Buchholtz in Jevenstedt 205 , 17 1 4 Johannes Brandt in Hagenberg auf Alsen 206 und Jacob Friedrich Meisterlin in Breklum 2 0 7 , 17 1 6Johannes Tychsen in Humptrup 2 0 8 , 1717 Philipp Hinrich Lund in Düppel 2 0 9 und Johann Georg Nissen in Solt 210 , 1718 Andreas Hoyer in DrelsdorP 1 1 , 1721 Abraham Kall in Flensburg 212 , 1722 Adamjantzen in Olderup 2 1 3 , 1723 Sören Wedel in Döstrup in der Lohharde 214 , Andreas Albert Rhode in Eichede 215 ,1724 Nicolaus Brandt in Eken auf Alsen 216 ,1725 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216
Arends, Arends, Arends, Arends, Arends, Arends, Arends, Arends, Arends, Arends, Arends, Arends, Arends, Arends, Arends,
Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden, Gejstligheden,
I, S. 361; Achelis, Matrikel, Nr. 4177. I, S. 345; Achelis, Matrikel, Nr. 4198. I, S. 95; Achelis, Matrikel, Nr. 4005. I, S. 104; Achelis, Matrikel, Nr. 4176. I, S. 81; Achelis, Matrikel, Nr. 4235. II, S. 67; Achelis, Matrikel, Nr. 4424. II, S. 327; Achelis, Matrikel, Nr. 4481. II, S. 41; Achelis, Matrikel, Nr. 4344. II, S. 115; Achelis, Matrikel, Nr. 4485. I, S. 365; Achelis, Matrikel, Nr. 4356. I, S. 116; Achelis, Matrikel, Nr. 3970. I, S. 391; Achelis, Matrikel, Nr. 4722. II, S. 353; Achelis, Matrikel, Nr. 4593. II, S. 206;Juntke, S. 362. I, S. 827; Achelis, Matrikel, Nr. 4755.
67
Friedrich Christoph Bruhn in Rinkenis 217 und Wilhardus Hoyer in Karlum 2 1 8 , 1728 Peter Hensler in Kaltenkirchen 219 , Peter Cramer an die St. Johanniskirche auf Föhr 220 , Ehrenfried Matthias Hamerich in Oldesloe 221 und Hinrich Johann Statius Masius in St. Margarethen 222 , 1729 Friedrich Hensler in Oldenswort 2 2 3 und 1730 Johannes Boetius in Risum 2 2 4 sowie Johann Adolph Ottens in Segeberg 225 . O b alle diese Geistlichen auch im Sinne des Pietismus gewirkt haben, ist nicht in jedem Fall bekannt; viele von ihnen versuchten jedenfalls in ihren Gemeinden zu verwirklichen, was sie in Halle gesehen und gehört hatten. Es muß aber auch betont werden, daß eine ganze Reihe pietistischer Geistlicher in den Herzogtümern nicht in Halle oder ausschließlich in Halle, sondern in Jena studiert hatte, wo sie den berühmten Professor Franz Buddeus hörten, der zwar selbst kein Pietist war, aber in vielen Punkten mit dem Programm des Pietismus übereinstimmte. Die Vertreter der lutherischen Orthodoxie sahen mit Mißfallen, welch starke Ausstrahlung die hallesche Universität in den Herzogtümern hatte; sie befürchteten vor allem, daß die pietistische Bewegung bei Rückkehr der halleschen Studenten in die Herzogtümer neuen Aufschwung erhalte. Schon 1691, vor Gründung der halleschen Universität, war auf Betreiben des Generalsuperintendenten Josua Schwartz ein Synodalbeschluß gefaßt worden, der die Geistlichen ermahnte, auf die Theologiestudenten, die Kinder unterrichten und Prediger werden wollten, zu achten und sich zu erkundigen, welchen Lehrern und Büchern sie in ihrem Studium vornehmlich folgten. Die angehenden Theologiestudenten sollten sich vor Studienbeginn bei dem Generalsuperintendenten oder Propst melden, damit sie ermahnt würden, verdächtige Universitäten und Lehrer zu meiden und „ein Testimonium orthodoxiae et vitae von unverdächtigen orthodoxen Theologen mitzubringen." 2 2 6 Als der Nachfolger des Generalsuperintendenten Schwartz, Theodor Dassow, 1711 anläßlich des Streites zwischen Pietisten und Orthodoxen in Flensburg in einem Brief an den König darauf hinwies, daß einige Flensburger gegen den Synodalbeschluß von 1691 die Kinder zum Studieren nach Halle senden würden, wie es sogar der Propst Andreas Hoyer getan hätte, wurde auf Vorschlag der Theologischen Fakultät der Kopenhagener Universität in der königlichen Verordnung vom 4. Oktober 1712 auch ein Passus eingefügt, der bestimmte, daß 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226
68
Arends, Gejstligheden, Arends, Gejstligheden, Arends, Geistligheden, Arends, Gejstligheden, Arends, Gejstligheden, Arends, Gejstligheden, Arends, Gejstligheden, Arends, Gejstligheden, Arends, Gejstligheden, Burchardi, S. 40f.
I, S. 96; Achelis, Matrikel, Nr. 4536. I, S. 368; Achelis, Matrikel, Nr. 4910. I, S. 347; Achelis, Matrikel, Nr. 4859. 1, S. 169; Achelis, Matrikel, Nr. 4866. I, S. 310;Juntke, S. 198. II, S. 49; Juntke, S. 282. I, S. 347; Achelis, Matrikel, Nr. 4956. I, S. 72; Achelis, Matrikel, Nr. 4798. II, S. 128; Achelis, Matrikel, Nr. 4959.
keiner, der eine geistliche Beförderung anstrebe, auf einer „der Pietisterey bekandtlich zugethane Universität" studiert haben sollte 227 . Gegen die Diskriminierung der halleschen Universität wurde bald von Halle aus protestiert. August Hermann Francke wehrte sich in einem Schreiben an den dänischen Staatsminister Johann Georg von Holstein dagegen, daß die Professoren aus Halle „von einigen so wol in Dennemarck, als Holstein verdächtig" gemacht würden, als lehrten sie nicht der Augsburgischen Konfession gemäß 228 . „Weil nun dergleichen auch Ewer Excellentz ja wol gar Seiner Königlichen Majestät imprimiret werden könte; falls man unserer Unschuld wegen nicht sattsam informiret wäre", fuhr Francke in dem Brief fort, „so nehme die Freyheit Ewer Excellentz hiemit vor Gott zu versichern, daß in den 22. Jahren, so ich hie bin, weder ich noch meine übrigen Herren Collegen Theologischer Facultät dem Sinn der Augsburgischen Confession in irgend einigen Puncten zu wider gelehret haben. Viel mehr kan ich ohne eiteln Ruhm melden, daß hier über die Libros Symbolicos dermaßen fleißig gelesen, und darauf gewiesen werde als vieleicht auf irgend einer andern Lutherischen Universitaet geschehen mag . . . Und da man gleicher gestalt uns eines Fanaticismi und daß wir zu keiner rechten Realitaet im Christenthum anwiesen, beschuldigen wollen; So habe Ewer Excellentz inliegende Beantwortung dreyer Fragen, welche sich der König von Schweden zu obgemeldter Zeit gantz vorlesen lassen und nichts dagegen gesaget hat, unterthänig communiciren wollen. Weltlich gesinnete Theologi", fügte Francke hinzu, „lassen inzwischen nicht nach, das Studium verae pietatis zu allerley nichtigen Vorwandt verdächtig zu machen: Wovon Ewer Excellentz nach dero Weisheit die eigentliche Ursachen gar wohl einsehen. Habe dieses alles zu dem Ende vorstellen sollen, damit Ewer Excellentz unserer Unschuld wegen versichert seyn und gelegentlich auch bey Seiner Königlichen Majestät /: falls deroselben etwas widriges möchte beygebracht werden wollen:/ uns mit dero gnädigen Fürsprach hochgeneigt vertreten mögen." 2 2 9 Im folgenden Jahr versuchte Francke dann gezielt gegen die Verordnung von 1712 vorzugehen, indem er den Freiherrn Carl Hildebrand von Canstein einschaltete. U m möglichst gut informiert vorgehen zu können, hat Canstein Francke am 5. Oktober 1715 geschrieben, ob es nicht möglich sei, „einige vollkommene nachricht von den verboten so in holstein wegen der Universität ergangen, zu haben, ja wo man solches selbst habhafft würde, wäre Es so viel beßer, ich wolte dann nicht allein den Herrn von holsten sprechen, sondern auch durch den Herrn von N. [Natzmer] machen, daß unser konig mit dem von dannemarck davon spreche und ihn bewegete, selbige zu cessiren, welches eine stattliche sache wäre." 2 3 0 Es ist 227 228 229 230
LAS, Abt. 19, Nr. 703. KBK, Ledreb. 389', fol. Ebenda. Peter Schicketanz (Hg.), Der Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins mit August
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nicht bekannt, wie erfolgreich die Bemühungen aus Halle um die Aufhebung der Verordnung waren. Wie aber schon gezeigt wurde, hatte die Bestimmung von 1712 nicht die gewünschte Wirkung: Auch nach dem Erlaß von 1712 studierten schleswig-holsteinische Studenten aus dem königlichen Teil der Herzogtümer in Halle, und auch nach diesem Zeitpunkt wurden hallesche Theologiestudenten im königlichen Teil ins Pfarramt berufen. Reisen
Auf den im 17. und 18. Jahrhundert üblichen Bildungsreisen, die meistens durch Deutschland und die Niederlande, mitunter aber auch nach Frankreich und England führten, ergab sich für schleswig-holsteinische Studenten eine weitere Möglichkeit, mit pietistischen Ideen bekannt zu werden. Nachdem Friedrich Breckling nach Holland ins Exil gegangen war, nutzten schleswig-holsteinische Studenten ihren Aufenthalt in Holland oft auch zum Besuch bei Breckling in Zwolle, dann in Amsterdam und zuletzt im Haag. In Deutschland war es vor allem die durch die Franckeschen Stiftungen weithin bekannt gewordene Stadt Halle, die nach 1700 zum Besuchsprogramm schleswig-holsteinischer Studenten gehörte. Der spätere Friedrichstädter Pastor Johannes Steinhammer brach nach seinem Studium in Kiel im Jahre 1696 zu einer Bildungsreise nach Holland und England auf. Auf dieser Reise besuchte er Friedrich Breckling im Haag; er traf auch mit dem Mystiker und Anhänger der Antoinette Bourignon, Pierre Poiret, zusammen 231 . Auf einer zweiten Reise im Jahre 1704 lernte er viele der bekannten Pietisten Deutschlands kennen: In Halle August Hermann Francke, Joachim Justus Breithaupt, Johann Heinrich Michaelis und Johann Anastasius Freylinghausen, in Berlin Joachim Lange, in Leipzig Adam Rechenberg, den Schwiegersohn Philipp Jakob Speners, und in Hamburg Johannes Winckler 232 . Er besuchte auch den radikalen Pietisten Johann Wilhelm Petersen und dessen Frau Johanna Eleonora in Niederdodeleben bei Magdeburg. Ostern 1712 ging Johann Joachim Arends, der spätere Risumer Pastor, als Hofmeister mit dem Sohn des Tonderner Landschreibers Christian Bahr auf die Universität in Leipzig. Auf der Reise dorthin besuchte Arends Gottfried Arnold in Perleberg und den gebürtigen Flensburger Abraham Kall in Charlottenburg 2 3 3 . Die Rückreise im Jahre 1714 führte über Halle, Hermann Francke = Texte zur Geschichte des Pietismus Abt. III, Bd. 1 (Berlin - N e w York 1972) S. 722. 1715 traten sowohl Natzmer als auch Canstein mit Holstein ins Gespräch, siehe Erich Beyreuther, August Hermann Francke und die Anfänge der ökumenischen Bewegung (Leipzig 1957) S. 229. 231 KBK, N K S 396", 8°; Stammbuch von Johannes Steinhammer. 232 Ebenda. 233 AFSt, F 10, Bl. 298; J. J. Arends an A. H. Francke, Leipzig, 10. Mai 1712.
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wo er sich Anfang März aufhielt und die Bekanntschaft August Hermann Franckes machte 234 . Einige Jahre vorher, 1706/1707, als Arends sich als Reisebegleiter junger Adliger in Holland aufhielt, suchte er den alten Friedrich Breckling im Haag auf. In einem Brief an den Tonderner Propst Samuel Reimarus berichtete er, daß Breckling „derselbe alte sey, der zu Handewitt gestanden" hätte und „von dem königlichen Superintendenten Klotz und seinem Anhang vertrieben" worden sei. „Er wohnet nebst seiner tochter als Wittwer einsahm in seinem hauße, hat grose correspondentz nach Halle, mit D. Majo und vielen andern, seine facultates ingenii und seine leibeskräffte sind bey seinem über die 70 jähr gehenden alter annoch sehr vigoreus und solte man nach dem äusserlichen fast schliessen, daß er noch lange leben werde. Weil er durch der Königin Mariae und nachmahls 1702 durch des Königs Williams tod die pensiones, so er von diesen beyden hohen häuptern gehabt, verlohren, so lebet er itzund fast bloß von guter Leute gaben, die ihm gesandt und gebracht werden. Er weiß in re literaria, Historia Ecclesiastica et imprimis Belgica trefliche nachricht zu geben, und hat auch schöne Manuscripta. Er ist scharf orthodox in Lutheranismo, ausser den punct de chiliasmo, conversione Judaeorum &, redet aber sehr moderat und ist ietzo sanffter als er vorhin gewesen. Der gute Mann meritiret, daß man ihn aestimire und gutes thue." 2 3 5 Arends positiver Bericht über Breckling blieb nicht ohne Wirkung auf Reimarus. Schon 1708 führte Reimarus eine Sammlung zugunsten Brecklings durch 236 . Auch Arends bemühte sich später, Breckling eine finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Am 9. Dezember 1710 teilte er Breckling aus Hamburg mit, daß ihm einige Freunde versprochen hätten, „mit dem ersten vor den Herrn Brecling was zu senden" 237 . Breckling wurde in seinem holländischen Exil auch von anderen Schleswig-Holsteinern besucht, so von einem Sohn des Propsts Johannes Lysius aus Flensburg und von dem späteren Pastor zu Eggebeck, Olaus Moller 238 . Auch die Söhne des Flensburger Bürgermeisters Heinrich Jacobi, Heinrich und Johannes, kehrten auf ihrer Reise durch Holland bei Breckling ein 239 .
234 AFSt, A 166:1;J.J. Arends an A. H. Francke, Tondern, l.Juni 1714 und AFSt, A 166:2; J. J. Arends an A. H. Francke, Leipzig, 15. Januar 1714. 235 LAAa, Tander provstearkiv, nr. 223. 236 Moltesen, S. 119. 237 Forschungsbibl. Gotha, Chart. B 198, Bl. 1-2. 238 Jensen/Michelsen, IV, S. 24. 239 Arnold, KuKh, IV, S. 770; zu Heinrich und Johannes Jacobi vgl. Achelis, Matrikel, Nr. 2951 und Nr. 2952.
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Personalpolitik Ein wesentlicher Teil ihrer Kirchenpolitik war für die Pietisten Personalpolitik, durch die sie das Werk Gottes auf Erden zu fördern suchten 240 . Dabei schienen göttliche Providenz und geschickte Personalpolitik ihrer Ansicht nach in keinem Widerspruch zu stehen. Auch in SchleswigHolstein bemühten sich die Pietisten, wo immer möglich, durch die Berufung von Gleichgesinnten ihren Einfluß zu verstärken und damit dem „wahren Christentum" zum Durchbruch zu verhelfen. Als der Magistrat und die Bürgerschaft der Stadt Husum anläßlich der Wahl eines Nachfolgers für den verstorbenen Archidiakon Giese in Streit gerieten, sah sich der gottorfische Administrator Christian August genötigt, von seinem oberbischöflichen Recht Gebrauch zu machen und seinerseits einen Geistlichen zu berufen 241 . Der fürstliche Generalsuperintendent Hinrich Muhlius nutzte die Gunst der Stunde, indem er seinen Einfluß dahin geltend machte, daß das Husumer Archidiakonat mit einem Mann seines Vertrauens besetzt wurde. Berufen wurde der Pastor in Sandesneben, Johann Melchior Krafft, der sich die Förderung und Freundschaft des fürstlichen Generalsuperintendenten dadurch erworben hatte, daß er mit zwei Schriften zu Gunsten Muhlius' in den Streit der Generalsuperintendenten eingegriffen und sich somit als ein Parteigänger der pietistischen Bewegung erwiesen hatte 242 . „Ich dancke GOtt", schrieb Muhlius am 10. Februar 1709 an Johann Melchior Krafft, „daß ich noch Gehör gefunden und andere sonst so hoch recommendirte auf einmahl vergessen worden, bey welchen ich eben zur Erreichung des heylsamen Wercks keinen so grossen Nutzen vermuhten könte. Ich zweifele nun nicht, mein wehrtester Freund werde folgen, und meine redliche Intention secundiren. GOtt ist es, der ihn rufft, und das in Ihm gelegte Pfund bey einer grössern ansehnlichem Gemeine will angewandt haben, da Er in einer Woche Ihm mehr Nutzen schaffen kan, als bey seiner itzigen Verwaltung in vielen Monahten. Mit Fleisch und Blut, weiß ich, geht er in Vocations-Sachen nicht zu Raht, sonst könte ich ihm solche Argumenta an die Hand geben, die Seine Resolution nach meinem Willen und Wunsch zu incliniren suffisent genug seyn würden. Indessen ist Er seinem HErrn treu, so gehe Er, wohin Er Ihn fordert, und lasse Ihn denn weiter rahten. Wils GOtt, wollen wir beyde in dem Schleswigischen was Gutes stifften." 243 Krafft nahm die Berufung als Archidiakon in Husum wohl auch in der Hoffnung an, bald die Nachfolge des bereits 81jährigen Hauptpastors Simon Rechelius antreten zu können, was auch drei Jahre später nach der Resignation des alten Rechelius tatsächlich geschah 244 . 35 240
Vgl. Blaufuß, Reichsstadt und Pietismus, S. 147. Z u m folgenden Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 221. 242 Feddersen, S. 362 f, 368. 243 Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 565 f. 244 Vgl. Arends, Gejstligheden, I, S. 165; Aage Dahl, Husum Provstis Praestehistorie (Odense 1971) S. 15f. 241
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Jahre lang hat Krafft dann das kirchliche Leben in Husum maßgeblich bestimmt. Während der Amtszeit des fürstlichen Generalsuperintendenten Muhlius kamen auch andere Pietisten in wichtige kirchliche Ämter. Im Jahre 1703 wurde der gottorfische Hofprediger Samuel Reimarus, ein Pietist Spenerscher Prägung, als Propst der Propstei Tondern berufen 245 . Nach dem Tode des Theologieprofessors Christoph Franck 1704 bemühte Muhlius sich, den bekannten Pietisten, Professor Johann Heinrich May aus Gießen, an die Kieler Universität zu holen, was allerdings scheiterte, weil May von seinem Landesherrn nicht freigegeben wurde 2 4 6 . Die Pietisten hatten gehofft, mit der Berufung von May ihren Einfluß an der Universität Kiel zu verstärken und die Universität zum Mittelpunkt der pietistischen Bewegung im Lande machen zu können. Auf Initiative Muhlius' wurde dann sein Schwager Albert zum Felde, seit 1704 Compastor in Tönning und auch ein Anhänger des Pietismus, auf Francks Lehrstuhl berufen 247 . Im königlich regierten Teil der Herzogtümer versuchten die orthodoxen Generalsuperintendenten bis in die 20er Jahre des 18. Jahrhunderts die Berufung von pietistischen Geistlichen zu verhindern. Als der spätere Königsberger Professor Heinrich Lysius nach dem Tode seines Vaters in seine Heimatstadt Flensburg zurückkehrte und dort eine Anstellung suchte, verweigerte der Generalsuperintendent Josua Schwartz ihm diese, „weil Er", wie Schwartz schrieb, „nach einem kurtz vorher geführten sehr ruchlosen Leben sich zur Chiliastischen Pietisterey begeben hatte / und durch keine Überführung / Unterricht und Vermahnung davon abbringen lassen wollte." 2 4 8 Schwartz holte auch ein Judicium des Hamburger Pietistengegners Johann Friedrich Mayer ein, das ihn in seinem Vorgehen bestärkte: „Wer nicht mit Gottes Wort und unsern Libris Symbolicis reden will / irrige und gefährliche dunckele Phrases gebrauchet / wodurch die Kirche kan verwirret werden / die auch eine Collusion mit gegenwärtigen Ketzern andeuten / den kan man ohne expresse Absage solcher Irrthümer und sichere Versicherung / daß keine recidiv folge / nicht auf die Cantzel mit gutem Gewissen lassen." 249 Die Deutsche Kanzlei zu Kopenhagen verwies die Sache an die Theologische Fakultät der Kopenhagener Universität, die nach gründlicher Examinierung des Theologiestudenten Lysius am 15. Oktober 1695 ihr Gutachten verfaßte. Die Theologieprofessoren kamen zu dem Urteil, daß Lysius zwar in einer Predigt „einige incommodas loquendi formulas gebraucht" habe, daß seine Ansichten in quaestione de necessitate bonorum operum jedoch in allen Stücken orthodox seien. 245
Vgl. Anm. 55 Kap. I. Wotschke, Urkunden, S. 457 f; Feddersen, S. 353. 247 Zu Albert zum Felde siehe Thieß, 1, S. 247 ff; Bülck, Geschichte des Studiums der prakt. Theologie, S. 26ff. 248 Schwartz, Chiliastische Vorspiele, S. 434. 249 Schwartz, Chiliastische Vorspiele, S. 434f. 246
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Ferner betonten sie, daß er den Chiliasmus niemals vertreten hätte, lediglich an die Hoffnung besserer Zeiten glaube. Nachdem sie ihm aber nachgewiesen hätten, daß die Hoffnung besserer Zeiten in der Bibel nicht begründet sei, habe er sich eines Besseren belehren lassen und versprochen, künftig auch in dieser Frage der Kirche und den Symbolischen Büchern „mit mund und Hertzen beyzupflichten und gantz conform zu lehren." Er habe sich auch ihrer Meinung angeschlossen, daß es besser sei, mit Lehr und Leben sich zu bemühen, daß die Zeiten besser werden, als daß wir durch die Hoffnung besserer Zeiten „einige sicher machen", uns selbst durch eiteln Wahn betrügen und die Chiliasten in ihrem Irrtum bestärken. Lysius' Stellungnahme zu den übrigen Punkten gäbe keinen Anlaß, an seiner Orthodoxie zu zweifeln. So könnten sie „nach gutem Gewissen nicht anders thun, alß ihn nunmehro über die vorhin angeführte puncten ein plenum et illimitatum orthodoxiae Testimonium zu ertheilen. " 2 S 0 Nach seiner Rückkehr aus Kopenhagen strebte Lysius aber kein geistliches Amt an, so daß ihm ein weiterer Konflikt mit dem Generalsuperintendenten Schwartz erspart blieb. Da seine Mutter inzwischen gestorben war, sah er sich genötigt, den Beruf eines Kaufmanns zu ergreifen, um fiir seine Geschwister zu sorgen 251 . Später nahm er jedoch den geistlichen Beruf wieder auf, allerdings außerhalb Schleswig-Holsteins; 1702 wurde er schließlich Professor der Theologie zu Königsberg und später auch Aufseher der litauischen Gemeinden 252 . Als der Pastor Johannes Holst erkrankte und Anfang des Jahres 1707 die Patrone und Ältesten der St. Nikolaikirche in Flensburg um einen Adjunkten bat, sahen die Pietisten darin die Chance, ihren Einfluß zu vergrößern, indem sie den Diakon von der St. Johanniskirche Franz Möller als Adjunkt vorschlugen und als dessen Nachfolger den Sohn von Johannes Holst, Michael Holst, der das Pädagogium der Franckeschen Stiftungen besucht und in Halle studiert hatte 253 . Dem Pietistengegner Hinrich Braker, der selbst Ambitionen auf das Hauptpastorat hatte und der in der Wahl Franz Möllers zum Adjunkten eine Vorentscheidung für die spätere Pastorennachfolge sah, gelang es jedoch, sich mit Hilfe des Generalsuperintendenten Schwartz und des Bürgermeisters Valentiner gegen die personalpolitischen Vorstellungen der Pietisten durchzusetzen. Gewählt wurde schließlich der Hamburger Michael Geerkens; Franz Möller mußte sein Amt als Diakon an der St. Johanniskirche weiterführen, Michael Holst aber blieb eine Anstellung in seiner Heimatstadt verwehrt. 250
RAK, T.K.I.A., B 147; vgl. RAK, Kabenhavns Universitet, 31-03-01. „Lebens=Beschreibung D. H E N R I C I LYSII", in: A C T A BORUSSIA ECCLESIASTICA, CIVILIA, LITERARIA, III, 1 (Königsberg und Leipzig 1732) S. 53ff; vgl. Jensen/ Michelsen, IV, S. 171; Feddersen, S. 357). 252 A D B XIX, S. 742; Arnoldt, Prediger in Ostpreußen (1777) I, S. 14, 60. 253 Zur Adjunktenwahl in Flensburg siehe Stadtarchiv Flensburg, A 521; vgl. H. F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. 19. 251
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Im Jahre 1720 versuchte Hinrich Braker, jetzt mit Unterstützung des Generalsuperintendenten Theodor Dassow, wiederum die Besetzung einer Flensburger Pfarrstelle mit einem Pietisten zu verhindern. Die Gemeinde St. Marien hatte den gebürtigen Flensburger Abraham Kall, der seit 1709 Pastor in Charlottenburg bei Berlin war, ohne sein Wissen zum Diakon erwählt 254 . Kall hatte in Halle studiert, war dort auch Mitglied des Collegium Orientale und Mitarbeiter an der halleschen hebräischen Bibel gewesen. N u n befürchtete Braker, daß die pietistische Partei in Flensburg durch die Berufung Kalls noch weiter gestärkt würde 2 5 5 . Der Generalsuperintendent Dassow bat deshalb den König, die Wahl in „inhibiren"; es seien bessere Leute zu bekommen 2 5 6 . Kall sei ein „Erzpietist", „weil er keinen reinen Theologum jemahls gehöret und weder nach Leipzig, weder nach Wittenberg, weder nach Rostock, ob er gleich darzu vermahnet worden, hat reisen wollen, sondern sich allein in Halle hat auffgehalten und den Pietistischen D. Breithaupt, insonderheit den Erzpietisten Francken in seinem collegio Orientali Theologio 4. Jahr und länger gehöret und seine fanatische principia gefaßet. " 2 5 7 Der Versuch, die Berufung Kalls zu verhindern, scheiterte; die Zeiten hatten sich auch im königlich regierten Landesteil allmählich zugunsten der Pietisten geändert, da sie inzwischen von Kopenhagen aus immer mehr Unterstützung bekamen. Welche Bedeutung die Förderung des schleswig-holsteinischen Pietismus durch einflußreiche Pietisten am Hofe zu Kopenhagen hatte, zeigt das folgende Beispiel: Nachdem der dänische König Friedrich IV. den gottorfischen Teil des Herzogtums Schleswig mit dem königlichen vereinigt und seiner Herrschaft unterstellt hatte, setzte er 1713 den dänischen Staatsministerjohann Georg von Holstein, einen engagierten Pietisten, als Amtmann des Amtes Tondern ein. Zwischen Holstein und dem ebenfalls pietistischen Propst zu Tondern, Samuel Reimarus, entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die sich in besonderem Maße auf die Besetzung von vakanten Predigerstellen auswirkte, da beide gemeinsam das Präsentationsrecht im Amte Tondern ausübten. Holstein und Reimarus waren bemüht, nur solche Geistliche als Kandidaten aufzustellen, die ihren Vorstellungen von einem rechtschaffenen Prediger entsprachen 258 . In einem Schreiben vom 11. Juni 1722 an Reimarus betonte Holstein, daß er bei der Kandidatenaufstellung nicht auf die Herkunft der Personen sehe, „sondern eintzig und allein 254
Vgl. Anm. 61 Kap. II. RAK, T.K.I.A., B 6 VII; Hinrich Braker an den dänischen König, Flensburg, 18. Dezember 1720. 256 RAK, T.K.I.A., B 69 IV; Theodor Dassow an den dänischen König, Rendsburg, 25. Dezember 1720. 257 Ebenda. 258 A m 8. März 1706 schrieb Levin Coldewey an J. G. von Holstein: „Den nachdem Gott ihn laßen des Königs hertz finden, ach so beweisen Sie sich ihrem Gott darinnen die allerbeste treue, daß die pfarrsteilen nicht mehr mit so rohen leuten bestellet werden, dan daher kömt alles verderben . . ." (KBK, Ledreb. 455, 2,2°). 255
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die Ehre Gottes und des Nechsten Erbauung zum endzweck habe; als werde ich wie vorhin alleine, also nun mit Ihnen de concert mich dahin bearbeiten, daß wir fromme und untadelhafte Prediger in Lehr, und Leben im Ambte bekommen mögen. " 2 S 9 U m den Propst bei seinen „löblichen und christlichen Vorhaben mit allen Fleiß" zu unterstützen und „das Gute mit Nachdruck zu befordern", wollte Holstein sich „der Mitbesetzung der Predigerdienste im Ambte nicht entziehen." 2 6 0 Er habe sich „in Gottes Nahmen resolviret", schrieb Holstein, nach bestem Wissen und Gewissen „dazu zu cooperiren, damit solche Leute im Ambte bestellet möchten werden, dadurch die Gemeine Gottes in Lehr, und Leben erbauet würde, woll wißend, was ein gutes oder böses exempel bey solchen Leuten vor Eindruck zu machen p f l e g e . " 2 6 1 Der Amtmann und der Propst gingen bei der Aufstellung der Kandidaten sehr gewissenhaft vor 2 6 2 . A u f Rekommendationen, die die Kandidaten vorlegen konnten, legte Holstein keinen großen Wert; er verwies die Kandidaten immer zuerst an den Propst Reimarus, damit dieser sie kennen lernen und prüfen konnte 2 6 3 . Nach der Begutachtung der Kandidaten teilte Reimarus Holstein sein Urteil mit, das zur entscheidenden Grundlage dafür wurde, ob ein Theologiestudent oder Geistlicher zur Wahl aufgestellt wurde 2 6 4 . Mitunter wurden auch Zeugnisse über den Lebenswandel der Kandidaten bei dritten Personen eingeholt 2 6 5 . Kandidaten, die den Anforderungen des Propstes und des Amtmanns nicht genügten, hatten keine Chance, zu einer Predigerwahl im Amte Tondern aufgestellt zu werden. Als z . B . 1721 die Stelle des Hauptpastors zu Niebüll wieder zu besetzen war, lehnte Holstein eine Kandidatur des dortigen Diakons Friese ab, „da Er so träge und sorgloß sich bey seinem Diaconat aufgeführet." 2 6 6 Holstein wandte sich auch gegen familiäre Sukzessionen im Predigtamt 2 6 7 , wie sie auch in Schleswig-Holstein im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch häufig vorkamen 2 6 8 . Die im Amt Tondern übliche Predigerwahl, in der die Gemeinde aus drei ihnen präsentierten Kandidaten L A A a , Tonder provstearkiv, nr. 224. L A A a , Tonder provstearkiv, nr. 224; J . G. von Holstein an S. Reimarus, 11. Juli 1722. 2 6 1 Ebenda. 2 6 2 A m 27. Januar 1725 schrieb J . J. Arends an S. Reimarus, er verdenke es Holstein gar nicht, daß er bei der Besetzung der Predigerstellen „so behutsam und scrupuleus" verfahre, denn darin könne man gar nicht sorgfältig genug sein. (LAAa, Tonder provstearkiv, nr. 223). 2 6 3 L A A a , T 0 n d e r provstearkiv, nr. 224; J . G. von Holstein an S. Reimarus, 25. April 1722. 2 6 4 L A A a , Tonder provstearkiv, N r . 224; J . G. von Holstein an S. Reimarus, 11. Juni 1722. 2 6 5 L A A a , Tonder provstearkiv, nr. 224; J . G. von Holstein an S. Reimarus, 11. Juli 1722. 2 6 6 L A A a , Tonder provstearkiv, nr. 224; J . G. von Holstein an S. Reimarus, 29. Januar 1726 und 19. N o v e m b e r 1726. 1721 betonte Reimarus, der Pastor in Niebüll sei „ein ehrlicher Mann, griffe sich der Diaconus bey seinen jungen Jahren etwaß besser an, so were es guht". (Witt, Übersicht über die Gemeinden, S. 458f.). 2 6 7 L A A a , Tonder provstearkiv, nr. 224; J . G. von Holstein an S. Reimarus, 14. Dezember 1723. 2 6 8 Vgl. Feddersen, S. 248. 259 260
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einen erwählte, wollte Holstein aufjeden Fall beibehalten 269 . Problematisch wären diese Wahlen jedoch, wie Holstein ausführte, wenn die Predigersöhne in ihren Heimatgemeinden als Kandidaten aufgestellt würden, „weil die Gemeine solche beständig allen andern, auch öfters geschicktem subjectis vorziehet, wordurch alle Frembde gleichsahm ausgeschloßen würden, auch die Wahl solchergestalt illudiret würde." 2 7 0 Außerdem bestünde die Schwierigkeit, daß „tüchtige und brafe Candidati sich nicht leicht mit des verstorbenen Predigers Söhnen an dem selbigen Ohrte aufstellen laßen, weil Sie sicherlich solchen nachgesetzet werden." 2 7 1 Deshalb versuchte Holstein, die Aufstellung von Predigersöhnen zur Wahl in ihren Heimatgemeinden möglichst zu verhindern. Als sich die Gemeinde Süderlügum 1721 weigerte, aus den ihnen präsentierten Kandidaten einen zu erwählen, weil sie „mit aller Gewalt" des letzten Pastors Sohn haben wollte, befahl Holstein ihnen, unverzüglich die Wahl nachzuholen; sollte sich die Gemeinde aber „fernerhin obstinat" verhalten, müsse er es dem König melden. Er befürchte, daß ihnen dann nicht nur ein Prediger ohne Wahl vorgesetzt werde, sondern die Gemeinde auch für alle Zeit ihr Wahlrecht verlieren werde 272 . Wenn Holstein sich auch grundsätzlich dagegen aussprach, daß die Söhne den Vätern im Predigtamt folgen, so bedeutete es nicht, daß er die Anstellung von Predigersöhnen im Amte Tondern überhaupt ablehnte. Predigersöhne, die „geschickt und tüchtig" seien, wolle er, wie er 1725 schrieb, „vor andern auf die Wahl" stellen, aber nicht in ihren Heimatorten 2 7 3 . Solange es im Amt Tondern tüchtige Kandidaten gäbe, könne er, wie er am 9. November 1726 betonte, auch nicht einsehen, warum man „frembde, am wenigsten aber schon im Ambte stehende mit aufstellen" solle 274 . Holstein blieb allerdings seinen Prinzipien nicht immer treu. Zur Wahl in Buhrkall im Jahre 1726 vereinbarten Reimarus und er, den dortigen Predigersohn Andreas Christian Ambders, der, wie Holstein schrieb, „noch Anstand leidet" 275 , zur Wahl mit aufzustellen. Holstein bat Reimarus jedoch, bei der Wahl in Buhrkall persönlich anwesend zu sein, weil die 269
LAAa, T o n d e r provstearkiv, nr. 224; J. G. von Holstein an S. Reimarus, 29. D e z e m b e r
1722. LAAa, T0nder provstearkiv, nr. 224; J. G. von Holstein an S. Reimarus, 21. Mai 1726; vgl. auch Brief Holsteins an Reimarus v o m 24. M ä r z 1725. 271 LAAa, T o n d e r provstearkiv, nr. 224; J. G. von Holstein an S. Reimarus, 29. J a n u a r 1725. 272 LAAa, T0nder provstearkiv, nr. 224; J. G. von Holstein an S. Reimarus, 18. Februar 1721; vgl. Witt, Ü b e r s i c h t über die Gemeinden, S. 457. 273 LAAa, T0nder provstearkiv, nr. 224; J. G. v o n Holstein an S. Reimarus, 24. M ä r z 1725; vgl. auch Brief Holsteins an Reimarus v o m 21. Mai 1726. 274 LAAa, T o n d e r provstearkiv, nr. 224; J. G. von Holstein an S. Reimarus, 9. N o v e m b e r 1726. 275 LAAa, T o n d e r provstearkiv, nr. 224; J. G. von Holstein an S. Reimarus, 3. D e z e m b e r 1726. 270
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Gemeinde zu den besten und größten Gemeinden im Amte gehöre und er durch seine Anwesenheit „allen etwan zu besorgenden intrigues" vorbeugen könne 2 7 6 . Zugleich sollte Reimarus die Gemeinde daraufhinweisen, daß die Wahl, auch wenn des verstorbenen Predigers Sohn mit aufgestellt wurde, „dem ungeachtet eine freye Wahl bliebe und ein jeder nach seinem besten Wißen und Gewißen stimmen müße." 2 7 7 Alle diese Bemühungen hatten nicht zuletzt auch langfristige Wirkungen: Die von Reimarus und Holstein praktizierte Kandidatenaufstellung führte nicht nur dazu, daß der Pietismus im Amt Tondern bald zu einer starken Bewegung wurde, sondern daß sich in dieser Gegend eine Kontinuität der pietistischen Tradition von den 1720er Jahren bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ergab.
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Ebenda. Ebenda.
III. Soziale Träger des frühen Pietismus in Schleswig-Holstein Bis heute gibt es in der Pietismusforschung kein klares Bild darüber, wer denn vorwiegend die sozialen Träger des Pietismus waren. Lange Zeit galt Ritschis Meinung als maßgebend, daß der kirchliche Pietismus seine Anhänger in den höheren Gesellschaftsklassen, im Adel, im Beamtentum und in der Geistlichkeit hatte, während sich dem Separatismus vor allem die Handwerker und die ländliche Bevölkerung anschlössen 1 . Diese Ansicht findet sich auch bei Ernst Troeltsch wieder, der den kirchlichen Pietismus für eine Sache der Theologen und des Adels hielt, die Träger des Separatismus aber vorwiegend in den Mittel- und Unterschichten ansiedelt 2 . Entschieden widersprochen hat dieser These Theodor Wotschke in seinem Aufsatz „Der hallesche Pietismus und das niedere Volk": „Nein, was Ritsehl für seine These an Gründen anführt, hält nicht Stich und die Prüfung des Tatbestandes, soweit dies möglich ist, ergibt ihr Gegenteil. Auch dem niederen Volk gegenüber hat die pietistische Predigt ihre Wirkung gezeigt, Bekehrungen armer, einfacher Leute waren nicht seltene Ausnahmen." 3 In einem Vortrag vor der Historischen Gesellschaft in Frankfurt 1957 betonte auch Kurt Aland, daß kein Stand v o m kirchlichen Pietismus unberührt geblieben sei: „Die Verwurzelung im hohen und höchsten Adel ist ebenso für ihn charakteristisch wie die in den Kreisen der Einfachsten und Ärmsten." 4 In seiner Abhandlung „Der Pietismus und die soziale Frage" hat Aland seine These wiederholt und näher ausgeführt 5 . Mit Recht spricht er hier auch davon, daß der Kirchenhistoriker den Pietismus nur als Einheit sehen kann; neben dem kirchlichen Pietismus, den Spener und Francke repräsentierten, stünden die verschiedenen separatistischen Bewegungen, die aus Betrachtungen über die Sozialstruktur des Pietismus nicht ausgeschlossen werden dürften, sie gäben vielmehr notwendige Ergänzungen und Korrekturen 6 . Aland greift den Hinweis von Hans Leube auf 7 , daß die Zahl der Handwerker unter den Wortführern des Separatismus auffallend groß sei, und nennt als Beispiele den Goldschmied Heinrich Katzenstein aus Quedlinburg, den Perückenmacher Johannes Tennhardt aus Nürnberg, den Sporergesellen Johann Georg Rosenbach aus Heilbronn, den Schmied Christoph Tostieben aus Bölitz bei Leipzig, den Ritsehl, II, S. 499 f. Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (Tübingen 1912) S. 831. 3 Theol. Studien und Kritiken, 105. J g . (1933) S. 362. 4 Kirchengeschichtliche Entwürfe, S. 529. 5 In: Kurt Aland (Hg.), Pietismus und moderne Welt = A G P 12 (Witten 1974) S. 121 ff. 6 Aland, Der Pietismus und die soziale Frage, S. 125. 7 Vgl. Leube, Orthodoxie und Pietismus, S. 118. 1
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Sattler Johann Friedrich Rock aus Schwaben, den Weingärtner Kummer mit seiner Tochter Marie Gottliebin in Kleebronn und den Bandwirker Gerhard Tersteegen in Mülheim 8 . Die Zusammensetzung des ersten Frankfurter Konventikels hat Johannes Wallmann untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die Urzelle des Frankfurter Kollegiums „eine ebenso gelehrte wie vornehme Gesellschaft gewesen" sei, ein „reiner Akademikerkreis", in dem am Anfang Angehörige des Frankfurter Patriziats „eine dominierende Rolle gespielt haben" 9 . Die Sozialstruktur des Kreises änderte sich jedoch bald, schon Ende 1670 bestand er aus „docti" und „indocti" und 1677 gehörten zum Kreis, wie Spener schrieb, „ohne unterscheid allerley standes und alters leute / gelehrte und ungelehrte / edle und unedle / Studiosi Theologiae / Juristen / Medici / Kaufleut / Handwercksleut / ledige Leute." 10 Nach Hartmut Lehmann spricht nichts dagegen, die Angaben über die soziale Herkunft der ersten Anhänger Speners zu verallgemeinern. „Denn erklärt man den Pietismus als eine Reaktion auf Kriegsnot, absolutistische Kirchenpolitik und barocke Verschwendungssucht, dann deutet vieles darauf hin, daß er sich zuerst im oberen städtischen Bürgertum ausbreitete. Das waren jene Gruppen, die gut genug unterrichtet waren, um die Zeitereignisse zu kennen, und gebildet genug, um sie auch zu deuten. Es waren diejenigen Kreise, die von den neuen innenpolitischen Entwicklungen am meisten zu furchten hatten." 1 1 Später stießen auch Leute aus der mittleren und unteren bürgerlichen Schicht zum Pietismus sowie Adlige, die in der Regel nur kleine Herrschaften besaßen. Fraglich sei jedoch, ob sich viele arme Personen in den Konventikeln einfanden, da sie meistens nur „das Objekt pietistischer Caritas" waren 12 . Friedrich Wilhelm Kantzenbach betont in seinem 1976 erschienenen Buch „Christentum in der Gesellschaft", daß „das Bürgertum einiger Städte unter Führung von Akademikern, vor allem Theologen, dann immer mehr unter starker prozentualer Anteilnahme des Handwerkerstandes" mit dem Pietismus sympathisierte 13 . Die Stimmfuhrer der Konventikel, „auch bei den ausgesprochenen Separatisten", waren nach Kantzenbach „nur in den allerseitensten Fällen kleine Handwerker". „Es redeten mehrheitlich Pastoren, Theologiekandidaten, angesehene Bürger." 1 4 Eine umfassende, gründliche Untersuchung zur Sozialstruktur des Pietismus liegt derzeit noch nicht vor. Über die soziale Herkunft der
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Aland, Der Pietismus und die soziale Frage, S. 124. Johannes Wallmann, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus = Beiträge zur Historischen Theologie 42 (Tübingen 1970) S. 262. 10 Wallmann, Spener, S. 277; Spenerzitat nach Wallmann, ebenda. 11 Hartmut Lehmann, „Der Pietismus im Alten Reich", H Z 214 (1972) S. 83 f. 12 Hartmut Lehmann, Der Pietismus im Alten Reich, S. 84. 13 Bd. 2, S. 204. 14 Ebenda. 9
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schleswig-holsteinischen Pietisten wurde bisher überhaupt noch nicht gearbeitet. Bevor die Sozialstruktur des frühen schleswig-holsteinischen Pietismus behandelt werden kann, gilt es, noch einen Blick auf die soziale Herkunft der frühen Pietisten in den beiden großen, an der südlichen Peripherie der Herzogtümer liegenden Städte Lübeck und Hamburg zu werfen. In Lübeck gab es im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts eine pietistische Laienbewegung, die sich in Konventikeln traf und an den Chiliasmus glaubte 1 5 . Anfang der 1690er Jahre fanden die erbaulichen Versammlungen im Hause des Malers Heinrich Schwartz und dessen Frau Adelheid Sybille, der Jugendfreundin Franckes, statt. Da diese Konventikel von den städtischen Behörden genau beobachtet wurden, ist der Personenkreis dieser Versammlung bekannt. In dem Haus in der Hundestraße trafen sich der Student Gebhard Levin Semler, der Lehrer im Hause Schwartz und später Pastor in Groß-Mangelsdorf bei Magdeburg war, der Maler Heinrich Berckau, seine Frau, drei Kinder und eine Magd, der Schneidergeselle Johann Justus Bluhme aus Hamburg, Julius Franz Pfeiffer, der Neffe des Superintendenten, Catharina Meyer, eine Arbeitsfrau aus dem v. WickedeArmenhaus in der Glockengießerstraße, Catharina Maaß, ihre Schwester Lucia Paschen und Maria Rosina Gloxin. Geleitet wurden die Konventikel von dem Arzt J . S. Hattenbach und dem Kaufmann Johann Jauert. Der Kreis setzte sich also sowohl aus Leuten des gehobenen und mittleren Bürgertums als auch aus Leuten der unteren sozialen Schicht zusammen; Frauen und Männer waren etwa gleich stark vertreten. Die erbaulichen Versammlungen in Lübeck, die von keinem Theologen, sondern von einem Arzt und einem Kaufmann geleitet wurden, sind dem radikalen Pietismus zuzurechnen. In Hamburg dagegen gehörten die kirchlichen Pietisten, wie Hermann Ringleben feststellt, „vorwiegend dem gehobenen bzw. dem Großbürgert u m " an 1 6 . Die Anlehnung des kirchlichen Pietismus an das Großbürgertum hatte dem Pietistengegner Johann Friedrich Mayer den willkommenen Anlaß geboten, „eine geradezu klassenkämpferische N o t e " in die zwischen Pietismus und Orthodoxie beginnenden Auseinandersetzungen zu tragen, indem er seine „armen rechtgläubigen Jacobiten", wie er die Mitglieder der St. Jacobi Gemeinde nannte, „in eine Art Kreuzzugsstimmung" gegen die Anhänger Horbs, „die fetten Horbianer", versetzte 17 . Anders sah es allerdings mit der Herkunft der Separatisten in Hamburg aus. Als auf Initiative des Seniors der Hamburger Geistlichen eine Untersuchung des privaten 1 5 T h e o d o r Schulze, „ D i e Anfange des Pietismus in Lübeck", Mitteilungen des Vereins f. Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 10 (1901/1902) S. 105 f. 1 6 Hermann Rückleben, Die Niederwerfung der hamburgischen Ratsgewalt. Kirchliche B e w e g u n g e n und bürgerliche Unruhen im ausgehenden 17. Jahrhundert. = Beiträge zur Geschichte H a m b u r g s , Bd. 2 (Hamburg 1970) S. 346. 1 7 Rückleben, S. 346 f.
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Konventikelwesens in Hamburg eingeleitet wurde mit dem Ziel, solche gänzlich zu beseitigen, konnten elf Konventikelteilnehmer namentlich ermittelt werden: Ein Schuhflicker, ein Knopfmacher, ein Schopenbrauer, ein Schulmeister, ein Arbeitsmann, ein Schneider, ein Höker, ein Meckler, ein Bierbrauer und ein Brauer 18 . Die dem separatistischen Flügel des Pietismus angehörenden Männer sind eindeutig „den niederen sozialen Bevölkerungsschichten" zuzurechnen 19 . Wäre ihre soziale Herkunft für den Separatismus in Hamburg repräsentativ, so bestätigte sich in diesem Fall die These Ritschis, daß der kirchliche Pietismus seine Anhänger in den oberen und der Separatismus seine Anhänger vor allem in den unteren sozialen Gesellschaftsschichten hatte. Was aber die Herzogtümer betrifft, so waren hier die ersten Pietisten Anhänger Friedrich Brecklings, der, wie Wotschke schreibt, wie kein anderer Spener und Francke „vorgearbeitet" habe 20 . Diese ersten Pietisten waren hauptsächlich Geistliche, die alteingesessenen Pastorenfamilien angehörten und vielfach untereinander verwandt waren. Sie waren teilweise schon durch die Schriften Johann Arndts mit der neuen Frömmigkeit bekannt geworden, wie sie dann im Pietismus ihre Fortsetzung fand. Verbunden waren die aus eingesessenen Pastorenfamilien stammenden und noch zur Generation Brecklings gehörenden Geistlichen in ihrem Widerstand gegen die von dem königlichen Generalsuperintendenten Stephan Klotz betriebene Besetzung von Pfarrämtern mit landfremden Geistlichen 21 . Breckling warf Klotz vor, daß unter seinem Kirchenregiment Mitglieder alteingesessener Pastorenfamilien kaum noch Aussicht hätten, ins Pfarramt berufen zu werden 2 2 . Zu diesen Geistlichen gehörte auch Marcus Esmarch, von dem Breckling in seinem „Katalog der Wahrheitszeugen" berichtete, daß er ein Gelübde zu Gott getan hätte, „die verkehrte händel in beruffung der Prediger / durch D. Klotzen in Holstein begangen / zu beschreiben und offenbaren / von welchem Voto ihn der Fürstliche Superintendens und Consistorium absolvirt, da sie ihn in ihrem Fürstenthum beruffen haben." 2 3 Einer alten Pastorenfamilie entstammte auch Andreas Hoyer, ein Vetter Brecklings, von dem Breckling schrieb, er habe mit ihm in der Wahrheit übereingestimmt und ihm im Exil mit Rat und Tat beigestanden 24 . Zu den Geistlichen, die durch Breckling mit pietistischen Gedanken bekannt wurden, gehörte ferner sein Schwager, der Flensburger Geistliche Olaus Moller 25 , dessen Söhne Franz 26 undjohannes 2 7 18
19 Rückleben, S. 87f. Rückleben, S. 216. Wotschke, Urkunden, S. 454. 21 Vgl. H. Hejselbjerg Paulsen, „Fra Skolebaenk til Praestestol", in: Slesvigs delte Bisped o m m e (Kopenhagen 1949) S. 153f; Erich Hoffmann, Stephan Klotz, S. 45. 22 23 Breckling, Veritatis Triumphus. Arnold, KuKh, IV, S. 770. 24 25 Arnold, KuKh, IV, S. 772. Arnold, KuKh, IV, S. 769. 26 Z u Franz Möller vgl. Anm. 34 Kap. II. 27 Siehe H. F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. lOf und Anm. 175 Kap. II. 20
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später zur pietistischen Partei in Flensburg zählten. Auch der in Flensburg 1636 geborene Geistliche Johannes Hollander aus Sörup darf dem Kreis derer zugerechnet werden, die ihre ersten pietistischen Anregungen durch Breckling bekamen 28 . Bekannt als ein Anhänger Brecklings ist ferner der Viöler Diakon Friedrich Petri, ebenfalls ein Vetter Brecklings 29 . In Verbindung zu Breckling standen schließlich auch noch die Flensburger Geistlichen Thomas Lund 3 0 und Johann Ocksen 31 , der im Kreis der uns bekannten Brecklingkorrespondenten aus den Herzogtümern der einzige gebürtige Däne war. Vor 1700 gab es neben Breckling jedoch auch andere Theologen, die zur Verbreitung pietistischer Ideen in der schleswig-holsteinischen Geistlichkeit beitrugen. Einige Geistliche, die in Kiel studierten, lernten, wie erwähnt, durch den Theologieprofessor Christian Kortholt die Ideen Speners kennen und schätzen 32 . Gering war dagegen in den Herzogtümern der Einfluß Johann Wilhelm Petersens, der von 1678-88 Superintendent in Eutin war 3 3 . Einige pietistische Geistliche der Herzogtümer waren Schüler Caspar Hermann Sandhagens, der 1689 bis 1697 Generalsuperintendent des gottorfischen Anteils der Herzogtümer war. Der Flensburger Geistliche Hinrich Braker war vor seiner Abkehr vom Pietismus „oft mit Ihm umbgegangen" und berief sich damals in einigen eschatologischen Lehrsätzen auf ihn 34 . Unter Anleitung Sandhagens widmete sich der Husumer Diakon Petrus Richardi den biblischen Studien 35 . Auch der Kahlebyer Pastor Ludwig Ottens lernte in Exegesi und studio biblico viel von Sandhagen 36 , wie auch der Pastor Hinrich Brummer in Haddeby 3 7 . Auch nach 1700 war der Pietismus in Schleswig-Holstein vorwiegend eine Pastorenbewegung, der jetzt allerdings auch viele landfremde Geistliche angehörten. Im fürstlichen Teil der Herzogtümer führte der in Bremen geborene Generalsuperintendent Hinrich Muhlius ein pietistenfreundliches Kirchenregiment 38 . In Husum wirkte der aus Wetzlar stammende Pietist Johann Melchior Krafft als Hauptpastor und Schulinspektor 39 und in der Propstei Tondern der in Stolzenburg in Pommern geborene Propst Samuel Reimarus 40 . Nachfolger des Propsts Reimarus wurde der in Hamburg 28 Z u Hollander siehe C i m b . lit., I, S. 256; Arends, Gejstligheden, I, S. 357; Jensen/ Michelsen, IV, S. 178; H . F. Petersen, D e r Pietismus in Flensburg, S. 12. 29 Vgl. A n m . 59 Kap. I. 30 Vgl. A n m . 61 Kap. I. 31 Vgl. A n m . 37 Kap. II. 32 Siehe S. 44. 33 Siehe S. 27 f. 34 Josua Schwartz, Gründliche Wiederlegung (Glückstadt 1697) S. 189; vgl. S. 150, 154 f. 35 Krafft, J u b e l = G e d ä c h t n i s , S. 285. 36 AFSt, C 205: 10; L. O t t e n s an A. H . Francke, Kahleby, 7. Januar 1715. 37 AFSt, C 615: 1; H . B r u m m e r an A. H . Francke, Schleswig, 5. August 1715. 38 Vgl. A n m . 32 Kap. I. 39 Vgl. A n m . 15 Kap. I. 40 Vgl. A n m . 55 Kap. I.
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geborene Pietist Johann Hermann Schräder 41 . Zu den landfremden pietistischen Geistlichen in den Herzogtümern gehörten ferner Johann Hieronymus von Petkum, Michael Geerkens, Heinrich Plütschau und Paul Mercatus. Petkum stammte aus Hamburg, hatte aber in Kopenhagen studiert und dort auch als Prinzenerzieher eine Anstellung gehabt 42 . Michael Geerkens war ebenfalls gebürtiger Hamburger 4 3 ; Plütschau bekam nach seiner Rückkehr aus Trankebar das Pastorat in Beidenfleth 44 ; Paul Mercatus war Pommer, wurde dänischer Feldprediger und anschließend Diakon am D o m zu Schleswig 45 . Neben diesen Geistlichen gehörten aber auch nach 1700 eine ganze Anzahl geborener Schleswig-Holsteiner zu der pietistischen Bewegung, von denen, wie erwähnt, viele in Halle studiert hatten. Im Vergleich zur Geistlichkeit sind uns für die zwei Jahrzehnte vor und nach 1700 nur wenige Bürger und Beamten als Anhänger des Pietismus in den Herzogtümern namentlich bekannt. Diese Bürger und Beamten stammten vor allem aus den Städten Flensburg, Husum und Tondern. In Husum wurde der Ratsherr Joachim Jovers von pietistischen Ideen ergriffen. Jovers, der 1634 in Geverstorf im Stift Bremen geboren wurde, war als junger Kaufmann nach Husum übergesiedelt, wo er 1665 Hedwig Christiane, die Tochter des Kaufmanns Christian Petersen heiratete und 1681 in den Ratsstand erwählt wurde 4 6 . Über den 1708 verstorbenen Jovers erfahren wir Näheres aus Kraffts „Jubelfeyer": Er sei ein „Stadt-kundiger gantz Exemplarischer gottseeliger Mann", „ein grosser Verehrer GOttes und besonderer Liebhaber seines Worts, sonderlich aber auch des Prophetischen Buchs der geheimen Offenbarung JEsu Christi, und der richtigen Zeit= Rechnung gewesen." 4 7 Das Interesse für die Offenbarung des Johannes verband ihn mit dem Husumer Diakon Petrus Richardi, einem Schüler Sandhagens, der von Krafft als ein „Liebhaber des Studii Apokalyptici" 48 und als „ein rechter Freund der Wahrheit" bezeichnet wurde 4 9 . Jovers nutzte viele Jahre lang seine freien Stunden ausschließlich zum Lesen und 41
Zu Schräder siehe DBL 2 , 21, S. 350f; ADB, 32, S. 431 f; Johannes Joachim Arends, Wolbelohnte Treue, Leichenpredigt für J. H. Schräder (1737); Carsten Erich Carstens, Die Stadt Tondern (Tondern 1861) S. 127ff; Jonas Brodersen, Fra gamle Dage (Kopenhagen 1912) S. 261 ff; Den Danske Kirkes Historie V, S. 99f. 42 Z u Petkum siehe Cimb. lit., I, S. 485; Arends, Gejstligheden, II, S. 153; Feddersen, S. 370, 374; Pedersen, Fra Brydningen, I, S. 78 f, 82. 43 Zu Geerkens siehe Arends, Gejstligheden, I, S. 279; Wotschke, Pfarrer Günthers Kollektenreise, S. 328; H. F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. 26; Feddersen, S. 386. 44 Zu Plütschau siehe vor allem Arno Lehmann, Es begann in Tranquebar (Berlin 1955) und Wilhelm Germann, Ziegenbalg und Plütschau. Die Gründungsjahre der Trankebarschen Mission, I. u. II (1865 u. 1868). 45 Zu Mercatus siehe Arends, Gejstligheden, II, S. 66; Feddersen, S. 355; H. F. Petersen, De sonderjyske Vajsenhuse, S. 53 ff. 46 Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 286 f. 47 Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 286. 48 Ebenda. 49 Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 285.
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Erforschen der Heiligen Schrift, wobei er sich besonders mit einer Chronologie der Heilsgeschichte beschäftigte. Von seiner intensiven Bibelarbeit zeugen drei von Krafft erwähnte Manuskripte, die ursprünglich für den Druck vorgesehen waren. Das erste hieß „Compendium Chronolgicum. Das ist: Kurtzer, jedoch deutlicher Unterricht der Zeit, von Erschaffung der Welt an, bis auf die Gebührt unsers HErrn und Heilandes JEsu Christi, welche Zeit denn meistentheils aus H. Göttlicher Schrifft erwiesen und dargethan wird; Alles fürnehmlich zur Ehre GOttes, und dem aufrichtigen Leser zum besten aufgesetzet, von Joachim Jovers." Hierin versuchte Jovers zu beweisen, daß von Adam bis zur Geburt Jesu 3946 1/2 Jahre vergangen seien; Jesus Christus also nach der Väter Zeit im Jahr 3946 geboren sei und zwar in der Nacht zwischen dem 13. und 14. Juni. In seiner zweiten Schrift „Eine Erklärung über die Geheimnisse des Propheten Danielis, und zwar über das siebende, achte, neundte, auch zum Theil eilfte und zwölfte Capitel. Was die Christliche Kirche unter den beyden Orient= und Occidentalischen Anti= Christen, nach Danielis Weissagung, zum Theil empfunden, und noch bis ans Ende zu gewarten habe" errechnete er den Untergang des okzidentalischen Antichrists, des Papsttums, für das Jahr 1860; den Untergang des orientalischen Antichrists setzte er etwas später an. Danach würde das Evangelium in der ganzen Welt gepredigt und Heiden und Juden bekehrt werden. In seinem sehr umfangreichen dritten Werk „Kurtze und einfältige Anweisung in die geheime Offenbarung St. Johannis des Theologi" teilte er den Inhalt der Offenbarung in 7 Alter der christlichen Kirche ein, deren ganzer Zeitlauf sich nach seiner Meinung auf 21 Secula, also 2100 Jahre erstreckte, wonach dann das Ende der Welt kommen solle. Im 18. Jahrhundert werde nach Jovers die Kirche „ziemlich, doch noch gnädig gezüchtiget werden"; ein Königreich werde sich gegen das andere auflehnen, Pest und teure Zeiten werden kommen und die Sicherheit bei den meisten der evangelischen Christen überhand nehmen, so daß die Kirche auch im 19. Jahrhundert durch den orientalischen und okzidentalischen Antichristen „gar erbärmlich" geängstigt werde. Im 20. Jahrhundert werde es aber besser werden, da das Evangelium in der ganzen Welt geprediget und der Teufel für tausend Jahre gebunden sein werde. Im 21. Jahrhundert werde der Teufel wieder für einige Zeit los sein und die Menschen würden deshalb große Trübsal und Not erleiden müssen, bis Gott die Feinde der Kirche vernichten und der Welt und der Kirche ein Ende machen werde s o . Auch wenn sich Jovers in seinen biblischen Studien besonders mit eschatologischen Fragen beschäftigte, so gehörte er dennoch nicht zu jenen Pietisten, die bereits in eschatologischer Spannung lebten, da er ein nahe bevorstehendes Weltende nicht annahm. Besonderers Aufsehen erregte er durch einen Vorfall, der sich im Jahre 1700 ereignet haben soll. Während 50
Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 290.
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der Belagerung Tönnings soll Jovers im Gebet durch „eine gantz laute und deutliche Stimme" mitgeteilt worden sein, wie lange diese Belagerung noch dauern würde, eine Prophezeiung, die sich dann auch noch erfüllt haben soll 51 . Daran sei aber desto weniger zu zweifeln, wie Krafft betonte, „als er ein Kind der Wahrheit, und aus dem G O T T der Wahrheit wiedergebohren war, und er solches auch so fort alle denen Seinigen, auch dem gantzen Ministerio, ehe es erfüllet worden, angezeiget." 52 Zu den Husumer Bürgern, die in enger Beziehung zum Pietismus standen, gehörte auch der Stadtsekretär Augustus Giese, der von 1620 bis 1697 lebte 53 . Giese studierte in Rostock, Königsberg und Helmstedt. In Helmstedt, wo er im Hause seines Lehrers, des Juristen Hermann Conring wohnte, lernte er auch den Theologen Georg Calixt kennen. 1644 kehrte Giese nach Husum zurück und übernahm dort als Nachfolger seines Vaters das Amt des Stadtsekretärs und Fürstlichen Gerichtssekretärs; 1653 wurde er Ratsherr und Richter. Zu seinen Freunden zählte er den Kieler Theologieprofessor Christian Kortholt, der auch zu seiner Schrift „Spiegel des heutigen Christenthums" eine Vorrede schrieb, in der er betonte, daß Giese „mit allerhand schönen Gaben" ausgerüstet sei und „jederzeit dahin mit allem Ernst gestrebet habe / wie nach angeführter Apostolischen Ermahnung und Aufmunterung / Er besagte wackere qualiteten in der Liebe / und also zum Nutz und Erbauung deß Nechsten anwenden mogte." Gut befreundet war Giese auch mit dem Diakon Friedrich Petri aus Viöl, der sich 1694 auf der Synode zu Rendsburg „falscher brecklingscher Lehre wegen" verantworten mußte 5 4 . Nachdem Petri im Herbst 1660 von seinem Studium in Leipzig, Helmstedt und Franeker in seine Heimatstadt Husum zurückgekehrt war, ermahnte ihn keiner „so eiferig und so instendig" „zu dem Studio Bíblico, wahrer Gottesfurcht / und des Herrn Lutheri Schrifften", wie Giese es tat 55 . Die Freundschaft bestand auch nach der Berufung Petris zum Adjunkten in Viöl 1664 fort; in den folgenden Jahrzehnten bis zu seinem Tode im Jahr 1695 pflegte Petri seine Aufenthalte in Husum stets auch zu einem Besuch seines Freundes Giese zu nutzen. Bei seinem letzten Besuch bei Giese 1694 ermunterte Petri ihn, die Traktate, die er noch „unter Händen", zu vollenden und zum Druck zu geben 56 . Aber Gieses körperlicher Zustand ließ solches nicht mehr zu, da er seit einem halben Jahr durch einen Schlaganfall halbseitig gelähmt war. Vier seiner Traktate 51
Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 288. Ebenda. 53 Zu Giese siehe SHBL, 5, S. 94ff (Dieter Lohmeier); Cimb. lit., I, S. 209f; Arnold, KuKh, IV, S. 772; Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 195 und 255 ff. 54 Augusti Giesen . . . Vier Tractaten (Plön 1711) Vorrede § 5; Arnold, KuKh, IV, S. 769; Forschungsbibl. Gotha, Chart. A 310, S. 51, F. Petri an F. Breckling, 10. Juni 1694; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 475f. ss Augusti Giesen . . . Vier Tractaten, Vorrede § 5; Forschungsbibl. Gotha, Chart. A 310, S. 51; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 475. 56 Forschungsbibl. Gotha, Chart. A 310, S. 51; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 475. 52
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wurden dann erst 14 Jähre nach seinem Tode, 1711, von seinen Erben herausgegeben 57 . Durch Petri wurde Giese auch mit den Gedanken Friedrich Brecklings bekannt; direkte Beziehungen zu Breckling hatte Giese aber wohl nicht. In einem Brief vom 10. Juni 1694 übermittelte Petri einen Gruß Gieses an Breckling 58 . Inwieweit Giese Gedanken Brecklings übernommen und durch ihn Anregungen erfahren hat, läßt sich nicht mehr klären. In seinem „Katalog der Wahrheitszeugen" stellte Breckling Giese als einen Mann dar, der ähnliche Ziele wie er selbst verfolgte 59 . Breckling sah Gieses Engagement für die Armen sogar als Fortsetzung dessen an, was er begonnen hatte: wie sein eigenes Wirken, so hätte aber auch Gieses Wirken Widersacher auf den Plan gerufen, die schließlich dessen Demission erwirkten. Auch in einigen Schriften Gieses sah Breckling Themen angesprochen, die seinen eigenen nahestanden, vor allem in den nachgelassenen Manuskripten, die sich, wie er schrieb, gegen die falschen „Bauchpriester" wenden, „welche er vom hohen altar herab in locum peccatorum hinabsetzet." 6 0 Breckling projizierte aber ein Bild Gieses, das so nicht ganz der Wirklichkeit entsprach. Darauf wiesen auch die Nachkommen Gieses hin in dem Vorwort zu den „Vier Tractaten". Es werde dem Leser im „Katalog der Wahrheitszeugen" eine Sache vorgestellt, wie sie meinten, „die sich so nicht zugetragen / ob schon Dinge darin sind / die nicht zu leugnen stehen / aber doch keine Verbindlichkeit mit einander haben." 6 1 Sie zeigten dann auf, welche Fakten richtig und welche falsch sind, verzichteten aber darauf, den Bericht im ganzen richtig zu stellen. Vor allem lassen sie die Leser über die wahren Ursachen von Gieses Amtsenthebung im dunkeln, die entgegen der Behauptung Brecklings in keinem Zusammenhang mit dem Projekt der Armenfursorge stand. Die Ursachen dafür lagen wohl vielmehr in den jahrelangen Spannungen, die zwischen Giese und dem geistlichen Ministerium der Stadt, insbesondere aber dem Hauptpastor Martin Holmer bestanden. Die Differenzen wurden wohl vor allem dadurch hervorgerufen, daß Giese ein sehr weitgefaßtes Verständnis vom geistlichen Priestertum aller Gläubigen hatte und deshalb auch zu theologischen und kirchlichen Fragen Stellung bezog, was für die Geistlichen nicht immer bequem gewesen sein dürfte 62 . Nachdem ein Streit zwischen dem Magistrat mit Giese als Ratsältestem einerseits und dem Hauptpastor Holmer andererseits schon geschlichtet schien, gelang es Homer noch durch Intrigen und Verleumdungen den Husumer Magistrat und die
57 58 59 60 61 62
Vgl. Anm. 54 Kap. III. Forschungsbibl. Gotha, Chart. A 310, S. 51; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 475. Arnold, KuKh, IV, S. 772. Ebenda. Augusti Giesen . . . Vier Tractaten, Vorrede § 3. Siehe dazu LAS, Abt. 7, Nr. 5634.
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Gottorfer Regierung so zu entzweien, daß sowohl Giese als auch die beiden Bürgermeister 1681 ihrer Ämter enthoben wurden. Giese wird als ein asketisch lebender Mensch beschrieben, der den Branntwein und den Tabak mied und Karten und Brettspiele ablehnte; er liebte die Aufrichtigkeit, war dem Geiz feind und haßte unnütze Gespräche 63 . In seinen letzten zwanzig Lebensjahren beschäftigte er sich vor allem mit theologischen Fragen, wobei die Bibel sein „Haupt Compendium und Systema" war 6 4 . Nach Gieses Vorstellungen sollte die Bibel wieder einzige Richtschnur des Glaubens werden. Die orthodoxe Predigt mit ihren gelehrten Zitaten lehnte er ab und setzte sich für eine volkstümliche Predigtweise ein. Die Predigt solle sich an den Menschen richten, schrieb er, „nicht in soweit / als er mit Künsten und Wissenschaften in= und auswendig wil incrustieret sein / oder den Kützel mit diesem und jenem gebüsset wissen / sondern als er durch das Wort GOttes und durch die Sacramenten zur Sehligkeit / je einfeltiger je besser / sol angeführet werden: Und daß es ein und dasselbe Wort und dasselbe pharmacum und dasselbe lumen sey / das einem Gelehrten und einem Ungelehrten / zu wissen / wo dieser ein vernünfftiger Mensch und ein Christ ist / und sensum communem hat / dazu conduciren sol." 65 Im Gegensatz zu vielen Pietisten lehnte Giese die Schriften Jakob Böhmes ab, da sie nach seiner Ansicht an vielen Stellen nicht mit dem Wort Gottes übereinstimmen; ein Theologe solle sie deshalb verwerfen und die Leute davor warnen 6 6 . Auch der chiliastischen Lehre soll Giese nach Aussage seiner Kinder nicht beigepflichtet haben, da er sie für unbegründet hielt 67 . Allerdings lebte doch auch er in dem Bewußtsein, daß die letzten Zeiten angebrochen waren. „Ja wir kommen mir vor", schrieb er, „als ein Haufen Übelthäter / die eben itzt sollen abgethan werden / und doch noch die Weile nehmen / der eine um sein Haußtach / daß es ihm nicht in die Stube triefe / der ander um seine Gesundheit / daß er nichts zu hartes und zu regendes esse / der dritte um sein neues Paar Schuh / daß ihm die mit guten starcken Sohlen wol undergeleget werden / ein vierter auch wol um seine Nativitet / zu wissen wie alt / und unter welcher Constellation er gebohren sey / bekümmert zu seyn. Nemlich es sind die letzten Zeiten / da wir wissen / daß der Richter bald einbrechen und allem / was hierunden / ein Ende machen wird / und da er selber von verkündet hat / daß er viele für sich hin im Bauen und im Pflantzen und in den Studiis dieses zeitlichen Lebens / wenige aber in dem uno necessario occupiret / und seiner Ankunfft desfals entgegen sehend antreffen werde / so daß es ihn gleichsam solte wunder nehmen / wenn bey aller solcher Sicherheit / und deren 63 64 65 66 67
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KBK, Gl. kgl. S. 3026, 4°, Bl. 1/2 (G. Volquartz, Einige Lebensläufe). Ebenda. Augusti Giesen . . . Vier Tractaten, S. 151. Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 264; vgl. Augusti Giesen . . . Vier Tractaten, Vorrede § 5. Augusti Giesen . . . Vier Tractaten, Vorrede § 5.
mitfolgenden anomia jemand werde glauben und sehlig werden." Ja, es sei schon die Stunde der Mitternacht, da man rufen werde: „Der Breutigam k o m t " 6 8 . V o r dem Ende der Welt werde aber das Evangelium noch überall gepredigt, so daß „bey allem dem Unglauben der heutigen allerletzten verstockten Zeiten / das Licht gleichwol oben überhin / so hell noch als jemahlen scheinen / und der Nähme Christi in aller Welt / zum wenigstens in so weit bekant seyn muß / als nunmehr keine Sprache schier seyn sol / da die heilige göttliche Schrifft nicht in übergesetzet und die Lehre von Christo in gelesen und gehöret, und wenn es ein Ernst ist / könte verkündet w e r d e n . " 6 9 Anläßlich der Hamburger Streitigkeiten zwischen Pietisten und O r t h o doxen verfaßte Giese ein „Einfältiges Judicium von den so geheissenen Collegiis Pietatis". Darin wurde ausgeführt, daß Konventikel „in einer wohlbestalten Kirchen nicht absolut nothwendig wären. " 7 0 In einer anderen Schrift, einem Sendschreiben, beklagte Giese, daß das allgemeine Priestertum aller Christen, wie es die Bibel und die Schriften Luthers vorschrieben, nicht in ausreichendem Maße verwirklicht werde 7 1 . Besonderen Eifer entfaltete Giese aber auf sozialem Gebiet, in erster Linie bemühte er sich um die Verbesserung der Armenpflege. U m 1676 versuchte Giese, das Armenproblem zu lösen, indem er den Armen die Möglichkeit zum Arbeiten gab und sie Flachs spinnen ließ, ein Projekt, das allerdings aus wirtschaftlichen Gründen scheiterte 7 2 . Später behandelte Giese das Problem der Armenfursorge theoretisch in dem 1687 erschienenen Buch „Spiegel des heutigen Christenthums". Er betonte darin die Notwendigkeit einer geordneten Armenfursorge; denn „wer gedarbet hat / der darbet noch / und wer gestern von Hunger und Blosse gezahnklappert hat / der thut heute noch so / und in dem Er so thut / samlen wir Andere und sind wolgemuth / bauen / lassen machen / kleiden und tractieren Uns / und wenn von der Liebe und Barmherzigkeit wird geprediget / so schmatzen Wir für Andacht und für Wolgefallen an Uns selbsten / als die Wirs mit unsern elenden B r o d = b i s s e n vor den Thüren / und mit dem Dreyling in den Klingbeutel vollwol ausgerichtet / und wenn G O t t mit Uns rechnet / weiß nicht was noch zum besten h a b e n . " 7 3 Gott habe aber die Welt „für den einen Menschen so wol als den andern erschaffen"; Reichtum, Ehre, Weisheit, Stärke und Gesundheit habe er nicht so mannigfaltig und ungleich ausgeteilt, damit die Menschen es nach ihrem Gutdünken gebrauchen und sich darin wohlgefal68 69 70 71
Augusti Giesen . . . Vier Tractaten, S. 108. Augusti Giesen . . . Vier Tractaten, S. 114f. Krafft, J u b e l = G e d ä c h t n i s , S. 263. Ebenda.
1 2 Augustus Giese, Spiegel des heutigen Christenthums (Schleswig 1699) S. 256 (Die erste Auflage dieses B u c h e s erschien 1687 in Hamburg); vgl. Augusti Giesen . . . Vier Tractaten, Vorrede § 3. 73
Giese, Spiegel des heutigen Christenthums, S. 5.
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len, sondern damit sie neben ihrer „eigenen Nothdurfft / auch dem Nechsten damit in der Liebe dienen / den Armen mittheilen / den Kranken pflegen / die Betrübten trösten / die Verlassenen aufnehmen / die Einfeltigen belehren / die Geringen schonen / und der Schwachen Gebrechlichkeit tragen sollen." 74 Nichts auf der Welt sei für den Menschen natürlicher, „als daß er möge leben oder zu leben haben"; zum Leben aber brauche man Speise, Kleidung und Herberge, und wenn man krank und verlassen sei, benötige man „Labsal und Wartung" 7 5 . Keine Sünde komme mehr vor Augen, „als die Verachtung der Armut / Außrede und Entschuldigung findet. " 7 6 Dabei sei von allen guten Werken keines leichter als das Geben. In dem Maße, in dem jemand von der Erkenntnis Gottes eingenommen werde, führte Giese weiter aus, lege er auch „das Studium rei servandae & augendae" ab, „und darauf weiter das eine nach dem andern / so lang / bis Er endlich sich selbsten verleugnet / und von allem was Er ist / in= und an sich hat / nichtes mehr wißen wil." 7 7 Ein unwiedergeborener Mensch, der noch in der alten Schlangenhaut stecke, könne nichts „reines und dem guten GOtt wolgefelliges" tun 78 . „Ein anders ist es", wie er schrieb, „mit den Werken der Wiedergebohrnen / nicht daß die etwas verdienen / oder die Gnade Gottes damit zu erlangen / contribuieren konten: Nein / den das alles hat Christus schon außgerichtet / und daß Ers gethan hat / das leßet Er Uns predigen / exhibieret es Uns in der Taufe / und in dem Wir Ihm darin / durch Wurkung des heiligen Geistes / die Ehre tuhn und trauen Ihm / und eigenen es / was Christus erworben hat / Uns zu / so ist den unserseits solcher Glaube das Mittel / da Wir einzig und allein / ohne die Werke damit inzumengen / gerecht durch und sehlig werden; Sondern daß ein solcher / der bey G O T T schon in Gnaden / und durch deßen guten Geist zu allem guten erneuet ist / alles das mehr und nicht weiniger / gerne und mit Willen tuht / was man durch die höchste Strenge einem andern abzwingen / abdonnern oder abblizen mogte." 7 9 Durch die Wiedergeburt werde man ein ganz anderer Mensch, der „entzündet von dem Feuer der Liebe Gottes / ultro und von selbsten tuht / wozu das Gesetz nu nicht lenger sein Treiber / sondern sein freundlicher sorgfeltiger Handleiter" sei 80 . Ausfuhrlich schilderte Giese, wie er sich die Armeniürsorge vorstelle 81 : Zunächst müsse man ein Register über die Armen anlegen, aus dem man deren Zahl und die Bedürftigkeit der einzelnen entnehmen könne. Ausmustern solle man dann diejenigen, die ihre Kost hätten, Tagelöhner seien oder „da und dort 74 75 76 77 78 79 80 81
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Giese, Spiegel Giese, Spiegel Ebenda. Giese, Spiegel Giese, Spiegel Giese, Spiegel Giese, Spiegel Giese, Spiegel
des heutigen Christenthums, S. 27 f. des heutigen Christenthums, S. 144. des des des des des
heutigen heutigen heutigen heutigen heutigen
Christenthums, Christenthums, Christenthums, Christenthums, Christenthums,
S. S. S. S. S.
148. 153. 154. 158. 237ff.
dienen" könnten und die von anderen Orten erst kürzlich in die Stadt gekommen seien. Nachdem das getan sei, müsse man einen Überschlag machen, wieviel zur Versorgung der so unterschiedlich Bedürftigen erfordert werde und wo man es hernehmen wolle. Die Mittel müßten abgesehen von den vorhandenen Stiftungen - aus Gaben derjenigen kommen, die es übrig haben. „Das allerbeste Mittel beides für das fromde und für das gesunde inheimische Bettelvolk wehre wol / wen die hohe Herschaften sich / von den andern ihren höhern Regierungsgescheften / so weit herunder liessen / und edicierten nicht allein ernstlich / sondern ließen auch würcklich und mit einem Nachtruk beschaffen / daß ein jedes Kirchspiel muste seine eigene Armen fuden / und daß Sie gewiße manufactures für die / die es von gesunden Leuten auf das Betlen legten / bevorderten und anrichten ließen / da man solche auf abweisen / oder Sie hetten Werkheuser / da man die wehligen starcken Landstreicher / auch wieder ihren Willen / hin nötigen konte." 8 2 „Und da hette man den Vortheil von / daß die Inheimischen etliche der Almosen bey der Arbeit desto weiniger bedorfen / und die Fromden / wen Sie hören / daß Sie arbeiten sollen / ein Nachdenken bekommen würden / so heufig nicht mehr auf solchen Orth zuzulaufen." 8 3 Giese errechnete, daß er in seiner Heimatstadt Husum für die Versorgung von 120 Armen pro Woche 120 Reichstaler benötigen würde 8 4 . Der größte Teil davon müsse durch einen gewissen wöchentlichen Betrag aus der Bürgerschaft aufgebracht werden, der sich nach dem zu zahlenden Schoßgeld richten müsse; dazu seien noch freiwillige Gaben notwendig, die von den Predigern, Schulmeistern und Beamten gegeben werden sollten 85 . Giese wollte den Einwand nicht gelten lassen, daß es nicht die richtige Zeit sei, sich um die Bettler zu kümmern, da der Magistrat und die Bürgerschaft in diesen elenden und betrübten Zeiten andere, wichtigere Aufgaben und Ausgaben hätten 86 . Giese fragte, ob die Armenfürsorge etwas Notwendiges sei und von Gott gefordert werde, oder ob es „Dinge von Plaisir" seien. „Ob man (als dieses zwar nicht geschieht) die Kirche vergulden / oder das Rathaus versilbern solle? O b sich wol schicke zu dieser Zeit / seine Heuser so und so umzumustern / zu mobilieren und mit Schildereien zu behengen / sich und die Seinen mit solcher und solcher Kleidung hervor zu tuhn / die und die Gestereien und gelagen zu multiplicieren / zu verlengen und zu verbreiten / ja zuweilen auch wol zu betantzen / die Hochzeiten so und so außzurichten / so und mit solcher resonanz einher zu fahren / comoedien zu agieren / zu verstaten / zu besuchen / ja / wan keine Comoedianten so bald da sind / zu thun was Ich ietzund nicht melden mag. Sind es diese / so sage Ich Nein / und bekenne Ihnen / daß die 82 83 84 85 86
Giese, Spiegel Ebenda. Giese, Spiegel Giese, Spiegel Giese, Spiegel
des heutigen Christenthums, S. 255. des heutigen Christenthums, S. 273 f. des heutigen Christenthums, S. 275. des heutigen Christenthums, S. 287.
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Zeiten nicht darnach sind / und Wer anders sagen / und solchen Dingen / als die Zeiten nu sind / das Wort reden wolte / muste eine Stirn haben / herter als kein Stahl ist." 8 7 Schon ein Jahr nach Erscheinen von Gieses „Spiegel des heutigen Christenthums" lobte Friedrich Breckling in einem Brief an den Augsburger Geistlichen Gottlieb Spizel die Schrift als „ein feines buch", das „auß groß(er) experientz geschrieben" sei 88 . Und am 12. August 1689 schrieb Breckling an Spizel, daß August Giese mit seiner Schrift „die hoffertige(n) Phariseer herunter vom hohen altar in loco peccatorum" setze 89 . Ganz ausführlich gingen die beiden Nürnberger Geistlichen Conrad und Johann Conrad Feuerlein in ihrem 1699 erschienenen Buch „Die Schuldige Liebe u. Barmhertzigkeit in milder Versorgung der Armen" auf Gieses Schrift ein. Giese schreibe, wie sie meinten, „von der Armen-Anstalt und GassenBettels Abstellung" und „in specie auch vom reichen Mann / so gründlich / kräftig / wolgewürtzt / und schmackhaft / als ich in vieler Zeit etwas gelesen / und nur wünschen mochte / daß es Jedermann / zumal der Zeit / hier auch lesen / und zu Hertzen nehmen wolte. " 9 0 Es sei Geist und Leben in seinem ganzen Buch, das „gewaltig ins Gewissen" leuchte 91 . Gieses Buch, das erst auf der Messe des Jahres 1698 nach Nürnberg kam 9 2 , wurde „in ziemlicher Anzahl verschrieben", so daß einige Exemplare, wie die Feuerleins berichteten, „bald hier ankommen dörfften." 9 3 Auch Paul Mercatus, Diakon am D o m zu Schleswig, der sich in seiner Stadt in ganz hervorragender Weise für Arme und Waisen einsetzte, mag manche Anregung aus Gieses Schrift bekommen haben, auf jeden Fall war ihm die Schrift bekannt 94 . Zu den ersten Pietisten in Flensburg gehörte der Ratsherr und Besitzer der Kupfermühle an der Krusau, Hilmar von Lutten 95 . Lutten, der von 1636 bis 1700 lebte, war „ein frommer Mann und fleißiger Liebhaber und Leser
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Giese, Spiegel des heutigen Christenthums, S. 258 f. Dietrich Blaufuß, „Beziehungen Friedrich Brecklings nach Süddeutschland", Z K G 87 (1976) S. 269. 89 Blaufuß, Beziehungen, S. 272. 90 Conrad und Johann Conrad Feuerlein, Die Schuldige Liebe und Barmherzigkeit in milder Vorsorge der Armen (Nürnberg 1699) S. 51. 91 Feuerlein, S. 60. 92 Feuerlein, S. 51. 93 Feuerlein, S. 101. 94 Paul Mercatus, Kurtze Nachricht Von der Gelegenheit / Anfang / und gesegneten Fortgang Der Schleswigschen Waysen=Anstalt (1723) S. 4. 95 Z u Lutten siehe Olaus Hinrich Moller, Historische Nachricht von der Kirche zu St. Johannis in Flensburg, wie auch von den Pastoribus, die vor und nach der Reformation seit 300 Jahren derselben vorgestanden (Flensburg 1762) S. 61; Jensen/Michelsen, IV, S. 178; H. F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. 11 f; Aage Bonde o g j o h a n Hvidtfeldt, Personalhistoriske oplysninger om Borgmestre, rädmend, byfogeder og byskrivere i Flensborg 1550-1848 = Skrifter, udg. af Historisk Samfund for Sonderjylland 22 (1961) S. 46. 88
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der Arndschen und Spenerischen Schriften" 96 . Auf Anraten von Luttens und des Söruper Pastors Johannes Hollander gab der Quintus der Flensburger Lateinschule, Hinrich Braker, 1692 seinen Schuldienst auf und ging zu Spener nach Berlin, in dessen Haus er dann ein Jahr lang wohnte. Möglicherweise hat dieser Vorfall dazu beigetragen, daß Lutten von einigen Flensburger Geistlichen bei dem Generalsuperintendenten Josua Schwartz als Anhänger des Pietismus angezeigt wurde. Schwartz zitierte Lutten daraufhin vor die Rendsburger Synode, auf der er jedoch als „ein illiteratus und rechtschaffen frommer Mann" für unschuldig erklärt wurde 9 7 . Tatkräftige Unterstützung in ihrem Kampf gegen die lutherische Orthodoxie bekamen die Flensburger Pietisten von dem Kanzleirat und Amtsverwalter Johann Gottfried Meley 98 . Als der Streit zwischen dem pietistischen Pastor Franz Möller und dem Magister Johann Andreas Goebel 1711 im Flensburger Konsistorium verhandelt wurde, ergriff Meley sehr entschieden Partei für Möller 99 . Er warf Goebel vor, „närrisch" gehandelt zu haben, als er in seiner Pfingstpredigt so scharf gegen Fanatiker, Schwärmer und Pietisten gepredigt habe 100 . Man müsse mit dem bracchio seculari hinter ihm her und ihm dergleichen „Lärmen" abgewöhnen, meinte Meley und fragte ihn ferner, was er überhaupt in Flensburg mache, er solle wegziehen; hier seien keine Pietisten. Außerdem sagte Meley in der Hitze der Auseinandersetzung, daß Goebel sein Lebtag „zu der hohen Gelehrtheit D. Speners nicht kommen" würde 1 0 1 . In seinem Brief an den Generalsuperintendenten Dassow vom 15. August 1711 wies Goebel daraufhin, daß Meley ein „intimer Freund" des Propsts Andreas Hoyer und der Beichtsohn seines Widersachers Franz Möller sei; daher sei es „fast kein Wunder", daß Meley ihm „e diametro contrair" gewesen sei 102 . Braker stellte am 21. September 1711 fest: „Das Konsistorium verläßt sich auf den Cantzeley Raht Meley und der sich auf den Herrn Amtmann, und wo sie so obtenieren, hat der Pietismus hieselbst gewonnen." 1 0 3 Während die Streitsache zwischen Goebel und Möller noch bei der Deutschen Kanzlei in Kopenhagen anhängig war, reichte der Generalsuperintendent Dassow wiederum Klagen ein, die die Verbreitung von drei verdächtigen Büchern betrafen 104 . Eines dieser Bücher war die 1711 in Flensburg gedruckte „Layen=Bibel" von Peter Petersen. Gerade 96
O. H. Moller, Hist. Nachricht (1762) S. 61. Ebenda. 98 Vgl. Jonathan Smith, Slesvigske Amtsforvaltere, Studier og Personalhistorie vedr. Oppeberselsvassenet i Hertugdommet Slesvig indtil 1864 (Kopenhagen 1954) S. 117. 99 Siehe Feddersen, S. 385 ff. 100 LAS, Abt. 19, Nr. 620, J. A. Goebel an Th. Dassow, 15. August 1711; vgl. Feddersen, S. 386. 101 Ebenda. 102 LAS, Abt. 19, Nr. 620. 103 LAS, Abt. 19, Nr. 620, H. Braker an Th. Dassow. 104 Siehe S. 52 f. 97
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die Konfiskation dieser Schrift, die nach Dassows Ansicht „eine schändliche Vorrede" und „viele Irrungen" enthalte 105 , lag ihm besonders am Herzen, obgleich sie nach dem Urteil der Theologischen Fakultät zu Kopenhagen das am wenigsten verdächtige Buch war 1 0 6 . Lediglich auf drei Seiten sollten zur Vermeidung von Mißverständnissen einige Sätze umgedruckt werden. Der besondere Eifer, den Dassow gegenüber dieser Schrift entwickelte, mag seine Ursache auch darin gehabt haben, daß Petersen zu jener Zeit Informator im Hause des Amtsverwalters Meley war 1 0 7 . Hätte sich Dassow mit seiner Forderung nach Konfiskation der „Layen=Bibel" beim König durchgesetzt, so wäre nicht nur Petersen, sondern auch Meley als dessen Arbeitgeber verdächtig geworden. Gute Beziehungen scheint Meley auch zu dem Pietisten Hinrich Brummer, Pastor in Haddeby bei Schleswig, gehabt zu haben, der Meley als „mein vertrauter Freund" bezeichnete 108 . In einem Brief vom 4. November 1717 bat Brummer August Hermann Francke 109 , auf denjungen Meley, der seit dem 4. Oktober 1717 als Student der Rechte in Halle immatrikuliert war 1 1 0 , ein Auge zu werfen und ihn zu einem christlichen Lebenswandel zu ermuntern. Nachdem der dänische Staatsminister Johann Georg von Holstein vom Tode Meleys erfahren hatte, schrieb er an den Tonderner Propst Samuel Reimarus: „Ich habe dero wertes vom 20 december wol erhalten und bin demselben verbunden vor die nachrichten von des seeligen Herrn Justicerahts Meley todt, welcher mir wegen seines christlichen Gemühts und vernünfftigen betrags, wie auch viel jährigen Kundschafft sehr empfindtlig gewesen." 1 1 1 Als es im Jahre 1707 anläßlich der Wahl eines Adjunkten für den erkrankten Pastor an der St. Nikolaikirche in Flensburg, Johannes Holst, zu einem Streit kam, wurde die pietistische Partei von dem Hausvogt Hinrich Lüders unterstützt 112 . In mehreren Schreiben an den dänischen König setzte er sich dafür ein, daß der Pietist Franz Möller als Adjunkt berufen werden möge 1 1 3 . Schon vorher, u m 1700, hatte Lüders den späteren Separatisten Otto Lorentzen Strandiger als Informator seiner Kinder ange105 RAK, T.K.I.A., B 4, Protocollum consilii vom Januar 1712; vgl. RAK, Kcbenhavns Universitet, 31-03-02, Th. Dassow an den dän. König, 19. März 1712 und 2. April 1712. 106 RAK, Kobenhavns Universitet, 31-03-02, Gutachten der Theol. Fakultät vom 25. August 1712. Dort heißt es: „Die Layen-Bibel wird von dem Herrn GS in beiden suppliquen am hefftigsten angeklagt." 107 Siehe P. Petersen, Layen=Bibel, Widmung, a 4. 108 AFSt, C 615: 3; H. Brummer an A. H. Francke, 4. November 1717. 109 Ebenda. 110 Achelis, Matrikel, Nr. 4815;Juntke, S. 291. 111 LAAa, Tonder provstearkiv, nr. 224; Brief vom 14. Januar 1719. 112 Zur Adjunktenwahl in Flensburg siehe: Stadtarchiv Flensburg A 521; vgl. H. F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. 19. Zu Lüders siehe J. Smith, Slesvigske Amtsforvaltere, S. 178 f. 113 Stadtarchiv Flensburg, A 521.
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stellt 1 1 4 . Strandiger scheint mit seinen pietistischen Ansichten im Hause Lüders anfangs Resonanz gefunden zu haben. Erst als er nach seinem Besuch bei dem Sektierer Gerd Lange die Separation v o m öffentlichen Gottesdienst guthieß und die Schriftmäßigkeit der Kindertaufe in Frage stellte, fiel er auch bei Lüders in Ungnade. Darüber erfahren wir aus einem Bericht des Bürgermeisters Jürgen Valentiner vom 16. August 1706: Strandiger sei bei Lüders gewesen, hätte ihm von Gerd Lange einen Gruß bestellt und dabei erzählt, daß Lange „in einem seeligen und gewünschten Stande" lebe. Der Hausvogt Lüders aber hätte geantwortet, wie er so reden könne, Lange gehe doch nicht zur Kirche und zum Abendmahl und hätte sein Kind nicht taufen lassen, worauf Strandiger geantwortet habe, er wäre dennoch in einem seeligen Stande. Darauf sei Lüders unwillig geworden und hätte gesagt, daß man auf solche Art nur Taufe und Kirche abschaffen wolle, und wenn Strandiger so gesonnen sei, wolle er mit ihm nichts mehr zu tun haben 1 1 5 . Später scheint sich Lüders v o m Pietismus ganz abgekehrt zu haben; denn 1722 nahm er seine Kinder von der Lateinschule herunter, u m sie von dem Pietistengegner Hinrich Braker unterrichten zu lassen 1 1 6 . Z u m Bürgertum Flensburgs gehörten auch die Gründer des nach halleschem Vorbild errichteten Waisenhauses: Maria Christina Lorck, ihr Stiefvater, der Kaufmann Christian Thomsen, und ihr Onkel, der Ratsverwandte Jess Lorenzen Lorck 1 1 7 . Vor allem Lorck, der von 1683 bis 1690 in Diensten bei Hilmar von Lutten war und 1702 dessen Tochter Brigitte in zweiter Ehe heiratete, setzte sich für die organisatorische und ökonomische Verwirklichung des Waisenhausprojektes ein 1 1 8 . Gefördert wurde das Projekt auch von dem Bürgermeister der St. Mariengemeinde, Hans Clausen 1 1 9 , der zur selben Zeit zusammen mit Lorck die Einrichtung eines Arbeitshauses plante, um den Armen die Möglichkeit zum Arbeiten zu geben 1 2 0 . Clausen darf man ebenfalls als einen Pietisten hallescher Prägung ansehen 1 2 1 . Abraham Kall teilte August Hermann Francke mit, daß Clausen ein Mann sei, „der recht wohl gesinnet ist, das gute von Hertzen liebet, auch geschickt, munter, klug, unverdroßen ist, was gutes zu befodern" 1 2 2 . Er könne aber nicht alles verwirklichen, was er gerne Wolle, und sein 114
R A K , T . K . I . A . , B 138; Strandiger an das Flensburger Konsistorium, Flensburg, 7. Juni
1701. R A K , T . K . I . A . , B 138. S t U B H H , sup. ep. 114,414, H. Braker a n j . Ch. Wolf, 14. September 1722. 1 1 7 Zur Waisenhausgründung in Flensburg siehe H. F. Petersen, D e sanderjyske Vajsenhuse, S. 60 ff; ders., Der Pietismus in Flensburg, S. 22 ff. 1 1 8 Andreas Lorck Schierning, Die Chronik der Familie Lorck = Schriften d. Gesellschaft f. Flensburger Stadtgeschichte 7 (1949) S. 76 f. 1 1 9 Hans Clausen war von 1721-1742 Bürgermeister im Norderteil der Stadt Flensburg. 1 2 0 Christian Voigt, „Waisenhaus und Schäferhaus", Schriften d. Gesellschaft f. Flensburger Stadtgeschichte 16 (1963) S. 38f; H. F. Petersen, D e s0nderjyske Vajsenhuse, S. 63. 1 2 1 Vgl. Wotschke, Pfarrer Günthers Kollektenreise, S. 327. 1 2 2 AFSt, D 111, S. 1085ff; Brief v o m 5. Juli 1724. 115
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Kollege, der Bürgermeister im Südteil der Stadt, sei wegen seines Alters „unvermögend". Auch in Tondern waren es pietistische Bürger, die sich für die Verbesserung des Sozialwesens einsetzten. Der Kaufmann Peter Struck, der sich von kleinsten Anfängen zu einem ansehnlichen Vermögen emporgearbeitet hatte, leitete in den Jahren 1703 bis 1709 den Ausbau des Hospitals 123 ; auf seine Initiative wurde 1709 auch das Armenwesen der Stadt Tondern völlig neu geordnet. Das Betteln wurde verboten; die Armen, die bisher bettelten, sollten künftig durch freiwillige Beiträge der Bürger unterhalten werden. Am 15. Juli 1709 gingen Bürgermeister und Rat, Propst Reimarus, Stadtsekretär Richter und Peter Struck von Haus zu Haus, um die Bürger für einen freiwilligen wöchentlichen Beitrag zur neuerrichteten Armenkasse zu gewinnen. Insgesamt verpflichteten sich die Bürger, wöchentlich 43 Mark und 1 1 / 2 Schillinge sowie 11 Brote zu geben. Diese Gaben wurden an jedem Sonnabendnachmittag um 14 Uhr in Anwesenheit von Struck oder einem anderen Ratsherrn, dem Pröpsten und einem Bürger aus jedem der vier Stadtquartiere an die Armen verteilt. Wie es sich zeigen sollte, gaben jedoch die reichen Bürger der Stadt nicht regelmäßig genug, um das Armenproblem zu lösen und die Bettelei abzuschaffen. Die wöchentliche Sammlung der freiwilligen Beiträge hörte schließlich 1711 auf; die Armenkasse mußte nun wieder auf die Einnahmen aus dem Opferstock in der Kirche und auf die Spenden, die bei Begräbnissen und Hochzeiten gesammelt wurden, zurückgreifen 124 . Als Peter Struck 1713 starb, hinterließ er eine testamentarische Anordnung für die Einrichtung eines Waisenhauses in Tondern und für die Unterweisung von Armenkindern. Es ist wahrscheinlich, daß dabei die Franckeschen Stiftungen in Halle als Vorbild dienten. Das Strucksche Testament blieb jedoch jahrelang ungeöffnet in Händen seines Schwiegersohnes, des gottorfischen Kammerdieners Johann Adolph Roepstorff; vielleicht hatte er eine gewisse Ahnung von den Bestimmungen, die ihm wohl unerwünscht waren. Zwar hielt sich in Tondern das Gerücht von einer Struckschen Stiftung, aber niemand griff die Sache auf. Erst nach dem großen Brand in Tondern 1725, der ein Fünftel der Stadt vernichtete, darunter auch einen Hauptteil des Hospitals, gingen der Amtmann Johann Georg von Holstein und der damalige Propst Samuel Reimarus dem Gerücht nach. Im Jahre 1730 gelang es schließlich, das Original des Testaments von Roepstorff zu erhalten. Dem unermüdlichen Einsatz des 1727 als Nachfolger des verstorbenen Reimarus berufenen Propsts Johann Hermann Schräder war es dann zu verdanken, daß das Strucksche Testa-
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Ludwig Andresen, 200 Jahre Waisenhaus in Tondern (Tondern 1935) S. 11. Lars N . Henningsen, Fattigvacsenet i de sonderjyske Kobstseder 1736-1841 (Aabenraa 1978) S. 28 f; L. Andresen, Waisenhaus, S. 11 f. 124
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ment endlich realisiert wurde, so daß 1735 ein Waisenhaus fiir acht Kinder in Tondern eingeweiht werden konnte 1 2 5 . Inzwischen, im Jahr 1728, hatte der Tonderner Kaufmann Jens Matzen bei dem Magistrat und der Regierung beantragt, ihm die Konzession zum Bau eines Waisenhauses und einer Kleiderfabrik zu erteilen, in der er Arme beschäftigen wollte 126 . Matzen war vorher mit dem Schul- und Speisemeister des Flensburger Waisenhauses, Andreas Jakob Henneberg, in Verbindung getreten, um sich bei ihm über die Einrichtung eines Waisenhauses zu erkundigen. Der Rat der Stadt Tondern lehnte jedoch Matzens Pläne ab und nannte sie „alles güldne Berge in der Luft", man habe in Tondern eine Spitzenfabrik, fugte er hinzu, in der die Armen, wenn sie Lust zum Arbeiten hätten, ihren Unterhalt verdienen könnten 1 2 7 . Aus allen diesen Nachrichten ergibt sich, daß es für die Entfaltung und Stabilisierung des Pietismus in Tondern bedeutsam war, daß in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts nicht nur der Propst Reimarus, sondern auch einflußreiche Bürger zu seinen Anhängern zählten, darunter auch Lorenz Tychsen, von 1708 bis 1732 Bürgermeister 128 . Tychsen, dessen Sohn Johann Stephan in Halle Theologie studierte 129 , hatte sicher auch großen Anteil an den Maßnahmen zur Milderung der Not der Armen in der Stadt. Der Amtmann Johann Georg von Holstein, der zugleich auch Stadtpräsident in Tondern war, versprach dem Propst Reimarus in einem Brief vom Jahre 1726, daß er, wenn „der alte Bürgermeister Tychsen" sterben sollte, für „die tüchtige Wiederbesetzung" des Bürgermeisteramtes sorgen wolle 130 . Aus der Stadt Schleswig ist uns der Ratsherr Johann Jürgen Arrebo (Arboe) bekannt, der dem Diakon am Dom, Paul Mercatus, ein eifriger Helfer bei der Neugestaltung der Armenfursorge und bei der Errichtung des 1719 eröffneten Waisenhauses war 131 . Ein königlich dänischer Zollverwalter namens Thomsen wandte sich 1718 von Wewelsfleth aus an August Hermannn Francke in der Hoffnung, mit ihm in Briefwechsel treten zu können 1 3 2 . Ergänzend sei noch hinzugefugt, daß auch die Rektoren der Lateinschulen in Flensburg und Husum, Johannes Moller und Johann Nikolaus Rudioff, Pietisten waren 1 3 3 . Z u m Kreis der Pietisten in Husum 125
H. F. Petersen, De sanderjyske Vajsenhuse, S. 78ff; L. Andresen, Waisenhaus, S. 12ff. H. F. Petersen, De s0nderjyske Vajsenhuse, S. 81; L. Andresen, Waisenhaus, S. 22. 127 L. Andresen, Waisenhaus, S. 22. 128 Wotschke, Pfarrer Günthers Kollektenreise, S. 329; vgl. Ludwig Andresen, Bürger- und Einwohnerbuch der Stadt Tondern bis 1869 (Kiel 1937) S. 119. 129 Achelis, Matrikel, Nr. 4441;Juntke, S. 451. 130 LAAa, T0nder provstearkiv, nr. 224. 131 Mercatus, Kurtze Nachricht, S. 11; Heinrich Philippsen, Alt=Schleswig. Zeitbilder und Denkwürdigkeiten (Schleswig 1928) S. 194; H. F. Petersen, De sanderjyske Vajsenhuse, S. 59. 132 AFSt, A 171: 103; vgl. Anm. 93 Kap. II. 133 Vgl. Anm. 175 Kap. II und Anm. 13 Kap. I. 126
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gehörte schließlich noch der Küster an der Klosterkirche und Armenschulmeister Andreas Jakob Henneberg, der später Schul- und Speisemeister am Flensburger Waisenhaus wurde 1 3 4 . N u r sehr wenige Nachrichten liegen uns über Anhänger des frühen Pietismus im Adel der Herzogtümer vor. Johann Wilhelm Petersen, von 1678-88 Superintendent in Eutin, berichtete in seiner Lebensbeschreibung, er habe sich in Kiel im Hause Christians von Rantzau aufgehalten, der ihm, wie auch der Graf von Brockdorff, „viel gutes gethan" hätte 1 3 5 . Der Haddebyer Geistliche Hinrich Brummer nannte den Generalmajor Zacharias von Wolff und den Kammerrat von Preusser seine „Hertzens Kern Freunde", die beide „wahrhafftig Gott kennen und fürchten." 1 3 6 Nachdem der pietistische Hofmeister Treitman die Erziehung und Unterrichtung der Söhne Wolffs und Preussers aufgegeben hatte, bemühten sich die Eltern, durch Vermittlung Brummers erneut einen Hofmeister aus Halle zu bekommen 1 3 7 . Wenn Tholuck behauptet, daß im Jahre 1694 „unter dem Schutze des Ministers Wedderkop" die pietistische Phase im Gottorfischen einsetzte 1 3 8 , so ist dies nicht ganz von der Hand zu weisen; denn Magnus von Wedderkop, der in verwandtschaftlichem Verhältnis zum Generalsuperintendenten Hinrich Muhlius stand, scheint dessen pietistenfreundliches Kirchenregiment gestützt zu haben. Dieses zeigte sich, als Wedderkop und Muhlius, die seit 1706 gemeinsam das A m t des Visitators und Inspektors der Kieler Universität ausübten, 1707 das v o m pietistischen Geist geprägte „Reglement zur Auffnahm der Studien" erließen 139 . Ohne Zweifel schätzte Muhlius Wedderkop „nicht allein als einen so nahen Anverwandten, sondern auch als einen rechtschaffenen Liebhaber der Gottseligkeit" 1 4 0 . Nach seinem Sturz und der vierjährigen Festungshaft in Tönning suchte der alte Wedderkop den Kontakt zu August Hermann Francke; ein Brief an Francke v o m 20. April 1717 ist erhalten, in dem Wedderkop folgendes ausführte: „Ich bin sehr erfreut über Dero beliebigest zuschreiben, und darin bezeigete affection von der Zeit da zum Kiel die ehre gehabt Sie zu kennen, habe sonderbahre Zufalle erleben müßen bald böse bald gute, entlig hat der Große Gott mich auß der großen trübsahl errettet und meiner feinde zuschanden gemachet. Zwar freue ich mich nicht über ihr Unglück, haße sie auch nicht, weil sie mich haßen; allein da sie Gott nicht achten, so haße ich sie deßwegen, und wünsche daß sie sich bekehren und seelig werden. Wegen daßjenige so noch hinterstellig bitte den Großen Gott, daß 134 Ygi H. F. Petersen, „Andreas Jacob Henneberg - en losgaenger indenfor den sydslesvigske pietisme", S 0 M 37 (1961) S. 89-99. 1 3 5 J. W. Petersen, Lebens=Beschreibung, S. 82. 1 3 6 AFSt, C 615: 4; H. Brummer an A. H. Francke, Schleswig, 20. Mai 1723. 1 3 7 Siehe S. 62. 1 3 8 F. A. G. Tholuck, Das kirchliche Leben des 17. Jahrhunderts, I (Berlin 1861) S. 179. 1 3 9 Rodenberg/Pauls, S. 213. 1 4 0 Universitätsbibl. Leipzig, 0339 (244); H. Muhlius an A. Rechenberg, 11. März 1714; vgl. Wotschke, Urkunden, S. 492.
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Er recht wolle schaffen denen die unrecht leiden. Daß Mein Hochgeehrter Herr nebst Herrn Graff Reuß auff erhaltung meineß schreibenß dem waltenden Gott meine sache billig vorgetragen, dafür bin ich hochlig verbunden, ersuche hochstgedachten Herrn Graffen, deßen liebe zu seinem Gott und nechsten ich darauß erkenne, meine gehorsahme empfehlung zu machen, der ich mich ihrer beiderseitß Christlichen vorbitte bei Gott empfehle und stetst in Christlicher liebe und auffrichtigkeit verharre." 1 4 1 Keine Hinweise haben wir auf Anhänger des frühen schleswig-holsteinischen Pietismus in den unteren sozialen Schichten der Städte. Dagegen gibt es einige Nachrichten über Anhänger des Pietismus in bäuerlichen Kreisen. Friedrich Petri aus Viöl habe, wie Breckling berichtete, „mit hülffe einiger von GOtt durch meine schrifften und Verfolgungen erweckter und hochbegabter bauren / die Wahrheit / so weit er konte / ausgebreitet" 142 . Die Bauern hätten auch nach Petris Tod 1695 „noch fest im glauben" gestanden und des Generalsuperintendenten Josua Schwartz Drohungen nicht geachtet. Ausführlich berichtete der ehemalige hallesche Student Sören Wedel in einem Brief an Francke über seine Arbeit in der Gemeinde Döstrup, in der „sich das Wort Gottes ziemlich ausgebreitet" habe 143 . In dem zur Gemeinde gehörenden Dorf Laurup seien sie in ihrer Gemeindearbeit sogar so weit gekommen, daß sämtliche Einwohner jeden Abend zu einer Erbauungsstunde zusammenkämen. Das bedeutet, daß alle sozialen Schichten des Dorfes sich zu den Erbauungsstunden zusammenfanden, neben den Bauern auch die Tagelöhner und das Gesinde. Eine ähnliche soziale Struktur dürfte auch die auf Enewald Ewald zurückgehende pietistische Bewegung in Hoist und Umgebung gehabt haben 144 . Nachdem Ewald von seinem Studium in sein Elternhaus zurückgekehrt war, half er einige Jahre seinem Vater in der Gemeindearbeit. In dieser Zeit versuchte er zu verwirklichen, was er in Halle und Jena gesehen und gehört hatte. Durch seine erbaulichen Predigten, seine Katechisationen und seine Konventikelarbeit löste er in der Gemeinde eine Erweckungsbewegung aus, die bald auch auf die umliegenden Dörfer übergriff. In der Gemeinde Rinkenis waren um 1730 besonders die reichen Bauern die Gegner des pietistischen Pastors Friedrich Christoph Bruhn, während sich die „kleinen Leute" in seinen Erbauungsstunden trafen 14S . Bei der Betrachtung der sozialen Struktur des Pietismus in SchleswigHolstein haben wir bisher den radikalen Pietismus unberücksichtigt gelas141
AFSt, A 170: 34. Arnold, KuKh, IV, S. 769 f. 143 Siehe S. 40. 144 Über Ewalds Wirken in Nordschleswig siehe vor allem Hans Hejselbjerg Paulsen, „Enewald Ewald fra H 0 j s t " , S0M 1953, S. 161 ff; ders., Sanderjysk Psalmesang, S. 175ff; F. E. Jensen, Den nordvestslesvigske Pietisme, S. 30ff; Den Danske Kirkes Historie, V, S. 71 f; Brodersen, S. 354 f. 145 Hejselbjerg Paulsen, Sonderjysk Psalmesang, S. 205. 142
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sen, für den besonders die zwei religiösen Freistätten Altona und Friedrichstadt große Bedeutung besaßen. Viele bekannte Separatisten nahmen für längere oder kürzere Zeit Aufenthalt in diesen Städten und versuchten von dort aus ihre Lehre auch im Umland zu propagieren. Sind wir über das Wirken der einzelnen Separatisten in Schleswig-Holstein nur sehr ungenau unterrichtet, so wissen wir noch weniger über die soziale Struktur ihrer Anhängerschaft 1 4 6 . U m 1700 erregte eine separatistische Bewegung im holsteinischen Raum Aufsehen, deren Leiter der sich in Altona aufhaltende ehemalige Pastor Johann Michaelis war. Die Anhänger dieser Bewegung waren vor allem Holländereipächter. Außer den bekannten Separatisten Johann Konrad Dippel, Johann Otto Glüsing, Samuel Zinck und Otto Lorentzen Strandiger kennen wir noch folgende radikale Pietisten, die in Schleswig-Holstein wirkten: den Tabakspinner Georg Müller, den Theologiestudenten Georg Dietrich Alberti, den Schuster Hans Christoph Lüdemann, den Fischer Bartelt Jürgen Petersen, den Glaser Gerhard Grevenkrug, den Schneider Caspar Bäsch, den späteren Ratsverwandten Gerd von Rinteln und den Schiffer Johann Wilmsen aus Friedrichstadt sowie den Schneider Andreas Jacob Henneberg und seinen Bruder, den Theologiestudenten Georg Henneberg. Außerdem gehörten in Friedrichstadt 1725 der Schreiber Boye, ein Schneider und ein Färber, deren Namen aber nicht bekannt sind, zu den Anhängern des Gichtelianers Johann Otto Glüsing. Für kurze Zeit hielten sich auch der Nürnberger Perückenmacher Johann Tennhardt, der Schuhmacher Johann Maximilian Daut, der Sporergeselle Johann Georg Rosenbach und die beiden abgesetzten Geistlichen Christian Anton Römeling und Victor Christoph Tuchtfeld in Altona auf. Betrachten wir die soziale Struktur des frühen Pietismus in SchleswigHolstein insgesamt, so läßt sich folgendes konstatieren: Vor 1700 waren die Anhänger des Pietismus vorwiegend Geistliche, die sowohl in den Städten als auch auf dem Lande wirkten; dazu kamen einzelne Anhänger aus dem gehobenen Bürgertum der schleswigschen Städte. Keinen nennenswerten Einfluß hatte der Pietismus in jenen Jahren im schleswig-holsteinischen Adel. Nach 1700 wurde die soziale Basis des Pietismus in Schleswig-Holstein breiter. Zwar waren nach wie vor hauptsächlich Geistliche die Träger der pietistischen Bewegung, jetzt allerdings vor allem junge Theologen, von denen viele in Halle studiert hatten. Aber auch in den Städten gewann der Pietismus, der sich nach 1700 immer mehr an August Hermann Francke und seinen Stiftungen in Halle orientierte, zusehends Anhänger im gehobenen Bürgertum. Diese Bürger beteiligten sich mit großem Einsatz an der Schaffung sozialer Einrichtungen. Auch in der höheren Beamtenschaft finden wir einige Anhänger des Pietismus. Im schleswig-holsteinischen Adel blieb der Einfluß des Pietismus auch in den ersten drei Jahrzehnten des 146
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Z u m radikalen Pietismus siehe Kapitel V.
18. Jahrhunderts gering; allerdings wurden die Pietisten in SchleswigHolstein von bedeutenden Adligen am dänischen Hof in Kopenhagen unterstützt. Der frühe kirchliche Pietismus konnte, so weit wir wissen, in den unteren sozialen Schichten der schleswig-holsteinischen Städte keine Anhänger gewinnen. Hier waren „die kleinen Leute" vor allem die Zielgruppe pietistischen Wirkens. Dagegen scheint er in einigen Landgemeinden zwischen Tondern und Flensburg in der zweiten und dritten Dekade des 18. Jahrhunderts Anhänger in allen Schichten gehabt zu haben; die fuhrenden Köpfe der pietistischen Bewegung waren aber auch hier Geistliche. Das Auftreten von radikalen Pietisten und die Bildung separatistischer Gruppen nahm in Schleswig-Holstein nach 1700, besonders nach 1710 zu. In diesen Kreisen dominierten Laien, die zumeist dem unteren Bürgertum angehörten. Setzt man diese Ergebnisse in Beziehung zu den am Anfang des Kapitels genannten Thesen zur Sozialstruktur des Pietismus, so läßt sich feststellen, daß keine der in der neueren Pietismusliteratur vertretenen Thesen die soziale Struktur des frühen schleswig-holsteinischen Pietismus voll erfaßt. Zeitliche und regionale Unterschiede erschweren zudem eine den gesamten Untersuchungszeitraum umfassende Generalisierung. War der schleswig-holsteinische Pietismus in der frühesten Phase vor allem eine Land wie Stadt gleichermaßen erfassende Pastorenbewegung, so ging die Entwicklung in den ländlichen und städtischen Gemeinden später auseinander.
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IV. Innere und äußere Struktur des frühen schleswig-holsteinischen Pietismus In der neueren Literatur zum Pietismus hat sich die Ansicht durchgesetzt, daß die Konventikel und die Eschatologie in Form des Chiliasmus, die in der lutherischen Orthodoxie nicht nachgewiesen werden können, zwei konstitutive Elemente des Pietismus sind 1 . Daß die eschatologischen Ideen im frühen Pietismus der Herzogtümer einen wichtigen Stellenwert hatten, wurde bereits im ersten Kapitel dargelegt 2 . An dieser Stelle gilt es nun, auf die Bedeutung der Konventikel im frühen schleswig-holsteinischen Pietismus einzugehen. Aus der Zeit vor 1700 wissen wir nur von einem Konventikel. Nach seiner Rückkehr von einem einjährigen Aufenthalt bei Spener in Berlin begann Hinrich Braker in Flensburg erbauliche Versammlungen zu halten 3 . Diese Versammlungen bestanden jedoch nur kurze Zeit; schon bald wurde Braker vom Generalsuperintendenten Schwartz von seinem „Irrweg" abgebracht und fiir die lutherische Orthodoxie zurückgewonnen. Die nächste Nachricht über ein Konventikel stammt aus dem Jahre 1706. Nach einem Besuch bei dem Sektierer Gerdt Lange hielt Strandiger in Flensburg im Hause Berbaums Konventikel 4 . Bei Strandiger hielt sich damals auch der Sohn eines Färbers aus Tondern auf, dessen Mutter verdächtigt wurde, in ihrem Haus erbauliche Versammlungen abzuhalten 5 . Beide Konventikel dürften eine separatistische Tendenz gehabt haben. Für die Zeit des von Breckling und Spener geprägten Pietismus in SchleswigHolstein liegen keine weiteren Nachrichten über Konventikel vor. Erst mit dem Eindringen des halleschen Pietismus, seit etwa 1710, bekamen Konventikelbildungen in einigen Regionen Schleswig-Holsteins Bedeutung. Nachdem Enewald Ewald 1718 von seinem Studium ins Elternhaus in Hoist zurückgekehrt war, begann er in der Gemeinde erbauliche Versammlungen einzuführen, gegen die bald von einem uns nicht namentlich bekannten Prediger beim Propst Samuel Reimarus prote-
1 Wallmann, Spener, S. 355; ders., Reformation, Orthodoxie, Pietismus, S. 196; Hartmut Lehmann, Absonderung und Gemeinschaft, S. 74; ders., Das Zeitalter des Absolutismus, S. 89. 2 Siehe S. 26 ff. 3 Jensen/Michelsen, IV, S. 178; H. F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. 13; zu Braker siehe ferner Cimb. lit., I, S. 63; Feddersen, S. 357 f, 376. 4 RAK, T.K.I.A., B 138; Jürgen Valentiners Bericht vom 16. August 1706 und das Schreiben des Magistrats in Flensburg an das dortige Konsistorium vom 20. August 1706. Vgl. auch Anm. 46 Kap. I. 5 RAK, T.K.I.A., B 138; Bericht Jürgen Valentiners vom 16. August 1706 und Bericht Hinrich Brakers vom 17. August 1706.
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stiert wurde 6 . Der Propst wandte sich an den Vater Enewald Ewalds, um zu erkunden, was es eigentlich mit diesen Versammlungen auf sich habe. Am 7. Oktober 1718 schrieb daraufhin Nikolaus Ewald an den Propst: „Dero HochEhrwürden verlangen auff Bericht eines Predigers, von einem vermeinten besondern Gottesdienst, so mein Sohn mit Catechisiren hält, zulängliche nachricht. Diesem zur schuldigen und gehorsahmen folge muß berichten, daß da mein Sohn neulich zu Haus angelanget, er kurtz darauf des Sontags nachmittag hinunter gieng zu meiner Frau Schwieger Mutter und Ihr Jungfer Tochter, und hielt einige unterredung mit Ihnen aus Gottes wort. Das gefiel Ihnen so wol, daß Sie bähten er mögte alle Sontag zu Ihnen kommen, das that er auch gerne, meine Liebste und Kinder gingen mit, Sie fingen an erst einen gesang mit einander zu singen; darauf erklährete er ihnen etwa einen geistreichen Spruch auf eine viertel stunde, welche erklährung Sie mit einem gebeht und gesang beschlossen, und darauff kamen sie nach Haus. Wie solches einige in der nachbahrschafft höreten, die einige anreitzung bei sich spüreten, den Sabbath besser als bis dato geschehen zu feiren, kahmen Sie von freien stücken auch dahin, begehreten dabei zu sein, und mit zuzuhören, welches Sie Ihnen nicht abschlagen könten oder wolten. Da das gerücht hievon weiter ausbrach, versamleten sich nachgeende alzeit mehr von denen, die Lust dazu hatten, also daß Sie in ihrem Hause keinen räum mehr hatten, verlangten also solch ihr Christliches unternehmen in der Kirchen, wo besser räum war, auszuüben, welches ich ihnen nicht wissen abzuschlagen. So viel lieber weil ich versichert war, daß alles auff die Ehre Gottes und erbauung der Seelen angesehen war, und nichts daselbst gehandelt ward, als was Gottes reine und heilige wort im munde hat, und thut man nichts anders als singet erst einen geistreichen gesang, darauf erklähret er ihnen etwas aus dem Catechismo und moralisirt kurtzlich darüber stehend im Beichtstuhl, beschliesset also selbige erklährung mit einem kurtzen gebeht und gesang, und also gehen Sie wieder auseinander, ich habe auch selbst solcher versamlung dann und wann beygewohnet und nichts ungebührliches oder unrichtiges dabei verspüret, habe mich vielmehr hertzlich darüber gefreuet, das einige Seelen gefunden worden, die Lust und Belieben tragen Gottes wort und willen anzuhören, wolte Gott, das Sie solches mehr und mehr mögten zu Besserung ihres Lebens bei und in ihnen wircken lassen. Diese ist also kurtzlich die wahre Beschaffenheit und nachricht hievon. Möchte also wol wissen, quibus verbis, quo animo et qua intentione der prediger solches Ihr HochEhrwürden vorgebracht, weil es unruhe veruhrsachen können, wie Ihr HochEhrwürden melden, welches ich nicht begreiffen kan, bis ich einige information darüber von Ihr HochEhrwürden empfangen werde, welche Sie geruhen mir zu fernerem überlegen und reiflichen nachdencken Hejselbjerg Paulsen, S0nderjysk Psalmesang, S. 180f; F. E. Jensen, Den nordvestslesvigske Pietisme, S. 31; vgl. auch Anm. 144 Kap. III. 6
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fodersahmst hochgeneigt mitzutheilen, der ich unter schuldigster empfehlung verharre. Ihr HochEhrwürden meines Hochgünstigen Herrn Praepositi zu gebeht und dienstwilliger diener Nicolaus Ewald. P.S. Sölten Ihr HochEhrwürden, wie ich nicht hoffe, zweiflen, ob mein Sohn reiner Lehre sei, ist er so willig als Schuldig sich deroselben zu sistiren und sich examiniren zu lassen, vale." 7 Trotz dieser Darlegungen verbot Propst Reimarus Enewald Ewald, seine Versammlungen in der Kirche zu halten. Diesem Verbot scheint sich Ewald gefugt zu haben 8 ; er hielt jedoch weiterhin Konventikel, aber nicht in Schule und Kirche, sondern in privatem Rahmen 9 . Ewalds Wirksamkeit beschränkte sich auch nicht auf die Gemeinde Hoist, vielmehr wurden in den Nachbargemeinden Lügumkloster, Rapstedt, Bedstedt und Buhrkall die von ihm verbreiteten pietistischen Ideen ebenfalls aufgenommen, so daß eine die Gemeindegrenzen überschreitende Erweckungsbewegung entstand. Diese Erweckungsbewegung, die eine separatistische Tendenz aufwies, konnte sich viele Jahre neben dem von Geistlichen wie Samuel Reimarus und Johann Joachim Arends vertretenen kirchlichen Pietismus halten. Ihre Fortsetzung fand sie in der Herrnhuter Bewegung der 1740er Jahre. Auch aus anderen Gemeinden liegen für die Zeit nach 1710 Nachrichten über Konventikel vor: Im Jahr 1722 berichtete, wie erwähnt, der mit Ewald befreundete Geistliche Sören Wedel aus Döstrup in der Lohharde in einem Schreiben an August Hermann Francke von erbaulichen Zusammenkünften in dem zur Gemeinde Döstrup gehörenden Dorf Laurup 10 . In Husum soll um das Jahr 1714 der Armenschulmeister Andreas Jakob Henneberg, der spätere Flensburger Waisenhausvater, auf der Neustadt Konventikel gehalten haben 11 . 1721 behauptete Johann Melchior Krafft allerdings, daß er von Konventikeln in Husum nichts wüßte 1 2 . Henneberg stand anfangs separatistischen Kreisen nahe, scheint sich aber später dem 7 LAAa, Tonder provstearkiv, nr. 223; vgl. Hejselbjerg Paulsen, Sonderjysk Psalmesang, S. 181 f. 8 LAAa, T0nder provstearkiv, nr. 223; N. Ewald an S. Reimarus, 21. September 1719. 9 Hejselbjerg Paulsen, S0nderjysk Psalmegesang, S. 182. Reimarus teilte 1721 folgendes über die Gemeinde Hoist mit: „Pastor Nicolaus Ewald. Der Pastor ist nicht dum. Ein Küster ist hier nicht, der Pastor genießet auch die Küster-Revenuen und ist in allem alhie ein sonderbahrer Zustand, das ich nicht in der Kürtze außfuhren kan. Indessen syndt die Schulen einige Jahre sehr wol versehen gewest. Der Gottesdienst ist denisch." (Witt, Übersicht über die Gemeinden, S. 456). 10 Wotschke, Urkunden, S. 497. Vgl. Anm. 59 Kap. II. 11 LAS, Abt. 18, Nr. 72; „Specifikation dessen, was angehend den berüchtigten Andr. Jac. Henneberg vernommen". 12 LAS, Abt. 18, Nr. 72; J. M. Kraffts Gravamina wider A. J. Hollander.
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gemäßigten Pietismus seines Gönners Krafft angeschlossen zu haben. Am 22. Juli 1727 klagte der Pastor aus Nieblum auf Föhr, Jakob Lyra, daß ein Monsieur Jürgensen, der Praeceptor beim Landvogt sei, schon vor einigen Wochen sich unterstanden hätte, „öffentliche Behtstunden zu halten, auch ungefodert Krancke zu besuchen." 13 Da die Betstunden von Woche zu Woche besser besucht würden und deshalb künftig viele Verdrießlichkeiten zu befürchten seien, habe er solches dem Propst Reimarus melden und um dessen Ratschlag bitten wollen. Der Amtmann C. A. von Massow verbot auf eine Klage des Pastors Roost vom 17. September 1727 bei 10 Reichstalern Strafe oder Leibesstrafe die heimlichen Versammlungen in Lügumkloster, die ihren Ursprung wohl in der von Enewald Ewald ausgelösten Erweckungsbewegung hatten 14 . Im Herbst des folgenden Jahres hielt der Propst Johann Hermann Schräder, der erst im März 1728 sein Amt angetreten hatte, in Lügumkloster eine Kirchenvisitation ab, bei der er mit dem Pastor Roost scharf ins Gericht ging und mit den Erweckten persönlich verhandelte. Entgegen dem Verbot des Amtmanns billigte Schräder die Konventikel; sie sollten aber nicht mehr nachts stattfinden und es sollten auch keine Leute aus anderen Gemeinden zugelassen werden. Schräders positive Einstellung zu den Konventikeln verwundert nicht; denn er selbst hielt jeden Sonntagnachmittag in seinem Haus in Tondern erbauliche Versammlungen 1 5 . U m 1730 entstanden auch noch Konventikel in den Gemeinden Bedstedt und Rinkenis 16 . Zusammenfassend ist also zu konstatieren, daß es bis ins zweite Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts im kirchlichen Pietismus der Herzogtümer kaum Konventikel gab 17 . Deshalb spielten die Konventikel, die in anderen Ländern des Alten Reiches oft erst Maßnahmen gegen die Pietisten hervorriefen, in den Auseinandersetzungen zwischen den königlichen Generalsuperintendenten Schwartz und Dassow und den frühen Pietisten in Schleswig-Holstein auch keine Rolle. Erst mit Enewald Ewalds Wirksamkeit in Hoist begann sich eine neue Phase des Pietismus in Schleswig-Holstein abzuzeichnen. In den zwanziger und in den dreißiger Jahren wurden in Schleswig-Holstein, vor allem aber in der Gegend zwischen Tondern und Flensburg, Konventikelbildungen häufiger. Von dieser Zeit an wurden die Konventikel oft auch der Anlaß zum Streit zwischen den Orthodoxen und den Traditionalisten auf der einen Seite und den Pietisten auf der anderen Seite. Wegen wiederholter Klagen über Konventikel, vor allem solche mit 13
LAAa, T o n d e r provstearkiv, nr. 223. L. Andresen, Waisenhaus, S. 24, 66. 15 C. E. Carstens, Die Stadt T o n d e r n , S. 127; vgl. A n m . 41 Kap. III. 16 Hejselbjerg Paulsen, Sonderjysk Psalmesang, S. 199 ff, 205. 17 Es m u ß betont werden, daß bei diesem Urteil separatistische Konventikel in Altona u n d Friedrichstadt unberücksichtigt blieben. In diesen Städten hielten sich seit d e m E n d e des 17. J a h r h u n d e r t s verschiedene radikale Pietisten auf, die auch dort ihre A n h ä n g e r in K o n v e n tikeln sammelten. Siehe dazu das Kapitel über den radikalen Pietismus. 14
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separatistischer Tendenz, wurde 1741 schließlich die königliche „Verordnung, in wie weit die Haltung geistlicher Versammlungen ausser dem öffentlichen Gottesdienst zugelassen, oder untersagt seyn solle", erlassen. Den Geistlichen wurde darin erlaubt, in ihren Häusern erbauliche Versammlungen zu halten; Versammlungen in Privathäusern durften aber nur dann gehalten werden, wenn sich nur wenige Personen eines Geschlechts bei T a g e mit Wissen des Geistlichen trafen. U m zu klären, weshalb Konventikelbildungen im frühen schleswigholsteinischen Pietismus bis 1715 nur selten vorkommen, ist zunächst zu fragen, ob der Einfluß Friedrich Brecklings, der, wie erwähnt, einer der „Väter" des frühen Pietismus in Schleswig-Holstein war, diese Sonderentwicklung begünstigte. Aus der Literatur über Breckling wissen wir, daß er sich grundsätzlich gegen Absonderungen von der Kirche wandte 1 8 . Zwar sei die sichtbare Kirche nach Brecklings Meinung als Babel anzusehen, von der man sich trennen müsse, aber nicht in der Weise, daß man neue Gemeinschaften gründe, weil diese nur ein neues Babel würden. Von Babel ausgehen, heißt nach Breckling nichts anderes, als sich wieder ganz Gott hingeben. Die wahre Kirche sei dagegen auf Erden unsichtbar, sie werde erst im Tausendjährigen Reich offenbar werden. Auch den pietistischen Konventikelbildungen maß Breckling keine große Bedeutung bei. Er meinte pietistische Kreise, wenn er schrieb: „Wenn sie aus Tieren Menschen gemacht haben durch ihre menschlichen Katechisationen, Privatzusammenkünfte, Collegia und Predigten, so meinen sie, daß sie es wunderwohl ausgerichtet und große Christen gemacht, und durch solche samt ihren menschlichen Schriften die ganze Welt reformieren wollen, da es nur ein neuer Lappen auf ein alt Kleid und eine falsche Tünche ist, damit sie eine hangende Wand übertünchen und die Töchter der alten Babelshuren aufs neue auffschmincken wollen." 1 9 In einem Brief schrieb Breckling ferner, er habe mit Betrübnis gelesen, daß Spener „als ein Zentrum sich in sein eigen Zirkel beschließet und allein seine Freunde, die Pietisten, mit in seinen Zirkel nimmt, die alle Bedingungen an sich haben, die er ihnen vorschreibt", und Breckling fuhr fort: „Wo sollen denn die anderen hin? Wo sollen die Propheten und Apostel hin? Wo soll die universalis et invisibilis ecclesia bleiben, die Spener am wenigsten kennt und in seinen partikularen Zirkel nicht einschließt? Sondern da er am meisten wider eine neue Sekte streitet, doch unwissend eine neue Sekte macht von D . Speners Freunden wie Carthesius und Coccejus von ihren Freunden? Wollen die Pietisten dahin und eine neue Sekte machen, so können wir gewissenshal-
1 8 Z u m folgenden siehe Moltesen, S. 129; F. Fritz, „Konventikel in Württemberg von der Reformation bis zum Edikt von 1743", Blätter f. württembergische Kirchengeschichte 49 (1949) S. 148 ff. 1 9 Zitiert nach Fritz, S. 149.
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ber ihnen nicht zufallen." 20 Breckling war zwar ein typischer Vertreter des mystischen Spiritualismus, glaubte sich aber selbst am besten in der kirchlichen Gemeinschaft verwirklichen zu können. Seine Warnungen vor jeder Art von Separatismus und seine reservierte Haltung gegenüber den pietistischen Konventikelbildungen dürften ihre Wirkung bei seinen schleswig-holsteinischen Anhängern gehabt haben. Auch der für die Entwicklung des frühen Pietismus in SchleswigHolstein nicht unwichtige Theologieprofessor Christian Kortholt, der bedeutendste Spenerkorrespondent in den Herzogtümern, ging, wie erwähnt, in seinem als Reaktion auf die „Pia Desideria" geschriebenen „Wolgemeinten Vorschlag" auf die von Spener vorgeschlagenen Collegia Pietatis gar nicht ein, so daß die Konventikelbildung auch von dieser Seite nicht gefördert wurde 2 1 . Die negative Einstellung zu Konventikeln spiegelt sich auch in Äußerungen einzelner schleswig-holsteinischer Pietisten wider. In seiner anläßlich der Hamburger Streitigkeiten zwischen Pietisten und Orthodoxen verfaßten Schrift „Einfältiges Judicum von den so geheissenen Collegiis Pietatis", führte der Husumer Stadtsekretär Augustus Giese aus, daß Konventikel „in einer wolbestalten Kirchen nicht absolut nothwendig wären" 2 2 . Leider ist diese Schrift verlorengegangen, so daß wir die Argumentation Gieses nicht näher kennen. In seinem Buch „Das geistliche Königreich auff Erden" bemängelte der Flensburger Geistliche Thomas Lund, daß an den Orten, „woselbst das Wort Gottes reichlich in aller Weißheit wohnet / heimliche Zusammenkünfte halten / und Win ekel=Predigten anstellen / zu großer Unordnung und allerley Unwesen Anlaß gebe / oder zum wenigsten einiges Verdacht bey andern erwecke / da wir auch den falschen Schein zu meiden schuldig sind." 2 3 Johann Melchior Krafft schrieb in seiner 1705 erschienenen Schrift „Wahrer Historischer Bericht von denen SchleswigHolsteinischen Kirchen=Streitigkeiten und Spaltungen", daß die vonjosua Schwartz als Pietisten angeklagten schleswig-holsteinischen Geistlichen es nicht billigten, wenn einzelne sich von der evangelischen Kirche, dem öffentlichen Gottesdienst und dem Gebrauch der Sakramente absonderten und heimliche Konventikel unter sich hielten 24 . Außerdem mag das frühe, präventive Verbot von Konventikeln, das 1691 auf Initiative des Generalsuperintendenten Schwartz von der Synode beschlossen wurde, seine Wirkung gehabt haben 25 . Auch das am 2. Oktober 1706 vom dänischen König für Kopenhagen erlassene Konventikelverbot hatte Signalwirkung über die Hauptstadt Dänemarks hinaus 26 . Dadurch wurde in Dänemark nicht nur frühzeitig eine Trennlinie zwischen separati20 Wotschke, „Der märkische Freundeskreis Brecklings", Jb. f. Brandenburgische Kirchengeschichte 24. Jg. (1929) S. 171 f. 21 22 Siehe auch S. 33. Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 263. 23 24 S. 888 . S. 115. 25 26 Burchardi, S. 37, 40. Vgl. Den Danske Kirkes Historie, V, S. 34.
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stischem und kirchlichem Pietismus gezogen, sondern auch die für den Pietismus in einigen Ländern konstitutive Einrichtung der Konventikel als ein Charakteristikum des Separatismus eingestuft. Schließlich blieb es auf die Entwicklung des frühen schleswig-holsteinischen Pietismus nicht ohne Einfluß, daß die sozialen Träger dieser Bewegung vor allem Geistliche waren. Solange der Pietismus in den Gemeinden keine Resonanz fand, bestand auch keine Notwendigkeit für die Einrichtung von Konventikeln. Erst dort, wo der Pietismus von einer oppositionellen Theologenbewegung zu einer auch die Laien erfassenden Frömmigkeitsbewegung wurde, konnten Konventikel ihren Platz haben. Eine solche Entwicklung begann in Schleswig-Holstein aber eigentlich erst nach 1720. Die sich wandelnde Einstellung der schleswig-holsteinischen Pietisten zu Konventikeln läßt sich am Vorgehen der beiden pietistischen Pröpste von Tondern, Reimarus und Schräder, aufzeigen. Während Reimarus den Hoister Pastorensohn Enewald Ewald das Abhalten erbaulicher Versammlungen in der Kirche verbot, um jede Verwirrung in der Gemeinde zu verhindern, setzte sich sein Nachfolger Schräder schon bald nach seinem Amtsantritt für die Konventikelbesucher in Lügumkloster ein. Da im frühen Pietismus in Schleswig-Holstein Konventikel anfangs kaum und später nur sporadisch vorkamen, stellt sich die Frage, ob es irgendeine andere Form des Zusammenhalts zwischen den einzelnen Pietisten im Lande und ob es einen Ersatz für die direkte pietistische Kommunikation in den Konventikeln gab. Wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde, war der frühe schleswig-holsteinische Pietismus anfangs eine fast reine Pastorenbewegung; auch nach dem Eindringen in weitere Bevölkerungskreise blieb er immer noch von Geistlichen dominiert, so daß die Frage nach Organisationsstruktur und Kommunikationsformen des frühen Pietismus in Schleswig-Holstein vor allem eine Frage nach dem Verhältnis der pietistischen Geistlichen zueinander ist. Darüber erfahren wir aus den Quellen aber nur wenig. Briefe schleswig-holsteinischer Pietisten an Gleichgesinnte im Lande liegen kaum vor. N u r aus verstreuten Hinweisen in den Quellen und in der Literatur können wir uns ein Bild von den Beziehungen der schleswig-holsteinischen Pietisten untereinander machen. Daß die Pietisten in Schleswig-Holstein wußten, wo ihre Gesinnungsfreunde im Lande saßen, davon zeugen ein Brief johann Joachim Arends an August Hermann Francke, in dem er einige Pietisten aus dem Herzogtum Schleswig aufzählt 27 , und eine Aussage Andreas Jakob Hennebergs, daß er in der Gegend von Husum nur drei redliche Prediger kenne, nämlich Johann Melchior Krafft in Husum, Franz Krohn in St. Annen und Johannes Steinhammer in Friedrichstadt 28 . Auch wenn der Klixbüller Pastor Niko27
AFSt, A 166: 1. LAS, Abt. 18, Nr. 72; „Specifikation dessen, was angehend den berüchtigten Andr. Jac. Henneberg vernommen". Zu Krohn siehe Arends, Gejstligheden, I, S. 174; Fehse, Versuch einer Nachricht, S. 568ff; siehe ferner Anm. 15 Kap. I und Anm. 85 Kap. I. 28
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laus Hoyer, der Bruder des Flensburger Propsts Andreas Hoyer, dem Tonderner Propst Reimarus Grüße von Franz Krohn, Johann Melchior Krafft und Hinrich Brummer aus Haddeby übermittelte, so bedeutete es zumindest, daß diese Geistlichen sich kannten 29 . Den Friedrichstädter Pastor Johannes Steinhammer bezeichnete Krafft als seinen „Freund" 30 . U m 1720 hielt sich der Flensburger Pietist Peter Cramer, der spätere Pastor an der St. Johanniskirche auf Föhr, bei Krafft in Husum auf 31 . Aus dem Stammbuch Johannes Steinhammers ist zu ersehen, mit welchen Pietisten in Schleswig-Holstein er Kontakt hatte 32 : Im Mai 1696 trug sich Hinrich Muhlius 3 3 ein, in Halle im August 1704 David Ebersbach 34 , der spätere Superintendent in Eutin („Seinen in vielen Versuchungen beständigen, Christlichen Freunde schreibt dieses zum Andencken nebst beygefugten wünsch göttlicher Vergeltung vor alle ehemalige Liebesbezeugungen M. David Ebersbach."). Am 10. Juli 1699 schrieb Franz Krohn 3 5 folgenden Spruch ins Stammbuch: „Laß es hageln, laß es schneien, laß die Wolcken feuer speien, laß es gehen, wie es geht. Gottes Furcht behält zu Lohne die gewünschte Freuden Krohne Die stets unverwelcklich steht. Auß liebe und zu Ehren habe dieses wenige meinem alten Academisch Freunde Herrn Steinhammer schreiben wollen." Weitere Eintragungen finden sich von Ludwig Ottens 3 6 , Pastor zu Kahleby, vom September 1700, von Abraham Kall 37 vom August 1704 und von Samuel Reimarus 38 vom September 1700. Auch das Stammbuch Abraham Kalls enthält einige Eintragungen schleswig-holsteinischer Pietisten, die er während seines Studiums in Halle kennenlernte 39 : Heinrich Lysius 40 , Johannes Tychsen 41 , Johannes Brandt von Alsen 42 , Henning Gether 43 , DavidEbersbach 4 4 undJohannesSteinhammer 4 s . 29 LAAa. Tender provstearkiv nr. 223; N. Hoyer an S. Reimarus, Klixbüll, 29. Mai 1723. Zu Hoyer siehe Arends, Gejstligheden, I, S. 367; zu Brummer vgl. Anm. 102 Kap. II. 30 Johann Melchior Krafft, Wol=gemeinte Anmerckungen über das in denen Unschuldigen Nachrichten Befindliche Bedencken / Eines / nicht genanten / Vornehmen Theologi. Von der Zu Stuttgart 1704. gedruckten Bibel ( o . O . 1708) S. 124. 31 LAS, Abt. 18, Nr. 72; Kraffts Gravamina wider A. J. Hollander. Zu Cramer siehe Arends, Gejstligheden, I, S. 169; juntke, S. 99; Wotschke, Pfarrer Günthers Kollektenreise, S. 323, 327, 329; H. F. Petersen, De senderjyske Vajsenhuse, S. 95. 32 KBK, NKS 396°, 8°. 33 Vgl. Anm. 32 Kap. 1. 34 Zu Ebersbach siehe Cimb. lit., II, S. 175; Arends, Gejstligheden, I, S. 212; Wotschke, Pfarrer Günthers Kollektenreise, S. 344; ders., Urkunden, S. 481 f. 35 Vgl. Anm. 28 Kap. IV. 36 Vgl. Anm. 42 Kap. II. 37 Vgl. Anm. 61 Kap. II. 38 Vgl. Anm. 55 Kap. I. 39 KBK, NKS 379k. 8°. 40 Siehe auch S. 73 f. 41 Zu Tychsen siehe Arends, Gejstligheden, II, S. 327; Brodersen, Fra Gamle Dage, S. 429; Witt, Übersicht über die Gemeinden, S. 457; Wotschke, Urkunden, S. 493 A 2. 42 Zu Brandt siehe Arends, Gejstligheden, I, S. 81; Juntke, S. 48; Achelis, Matrikel, Nr. 4235.
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Dazu kommt, daß viele der ehemaligen halleschen Theologiestudenten auch nach ihrer Rückkehr in die Herzogtümer miteinander in Verbindung blieben. „Wir haben Ursach Gott zu dancken," schrieb Arends an Francke, „daß hie im Lande hin und wieder gut gesinnete Leute vertheilet, die was gutes schaffen, auch wol angeführte Landes-Kinder gibt, davon viel gutes zu hoffen, unter welchen sonderlich Mr. Raupach, Mr. Tychsen, Mr. Duncker, Mr. Thomsen, der itzt auf Alsen und neulich hie gewesen, auch die neulich aus Hall gekommene Mr. Fries, Mr. Bruhn und Herr Zoega, mit welchen allen ich theils mündlich theils schrifftlich conferire und mich ergetze." 46 Besonders in der Propstei Tondern hielten die Pietisten stets Verbindung zueinander, einerseits durch direkte Konsultationen, andererseits aber auch über den Propst Reimarus 47 . Besonders eng war die Zusammenarbeit zwischen Reimarus und dem Risumer Pastor Johann Joachim Arends, wie sie sich in den von 1707 bis 1727 überlieferten Briefen Arends an Reimarus dokumentiert 4 8 . Daß die Pietisten in Husum in enger Beziehung zueinander standen, zeigt sich unter anderem darin, daß sie gegenseitig Taufpaten ihrer Kinder waren 4 9 . Bei Johann Melchior Kraffts Tochter Chris tina Barbara war einer der Taufpaten die Frau des verstorbenen Bürgermeisters Peter Ipsen, der gemeinsam mit Krafft die Anstellung des Pietisten Andreas Jakob Henneberg als Küster der Klosterkirche und Armenschulmeister durchsetzte 50 . Die Tochter des Bürgermeisters Ipsen wurde die Frau des aus Halle berufenen Husumer Rektors Johann Nikolaus Rudioff 5 1 . Sie war Taufpate bei Kraffts Tochter Christina Elisabeth. Als Taufpate der Tochter Louise wirkte die Frau des Pietisten Hinrich Brummer aus Haddeby, Anna Catharina Brummer 5 2 . Einer der Taufpaten der ältesten Tochter Rudioffs, Christina Maria, war Johann Melchior Krafft, einer der Taufpaten Petrus Rudioffs war Kraffts Frau, Catharina Margaretha, die auch Taufpate bei Hennebergs Tochter Margaretha Catharina war. Ein weiterer Taufpate der Tochter Hennebergs war Catharina Maria Rudioff, die Frau des Rektors. 43
Zu Gether siehe Achelis, Matrikel, Nr. 4269; Juntke, S. 173. Vgl. Anm. 34 Kap. IV. 45 Vgl. Anm. 85 Kap. I. 46 AFSt, A 166: 1. Beurteilungen von Reimarus über Johs. Tychsen und Johs. Thomsen siehe Witt, Ubersicht über die Gemeinden, S. 457 und 459. 47 Vgl. die Briefe an Reimarus im LAAa, Tender Provstearkiv, nr. 223. 48 LAAa, Tonder provstearkiv, nr. 223. 1721 schrieb Reimarus über Arends: Er sei „ein gelehrt Manchen, dabey from, conversabel und besitzet eine schöne Bibliothec, so Er in Hollandt und Engellandt gesamlet, hat den Cammer Junker Massow dahin gefiihret. Ist in Genealogicis sehr erfahren, in seinem Ampte nach seinen Kräfften recht fleißig, hat auch einen guhten Küster." (Witt, Übersicht über die Gemeinden, S. 459). 49 Z u m folgenden siehe das Taufregister der Kirche zu Husum. 50 Siehe S. 140 f. 51 Vgl. Anm. 13 Kap. I. 52 Vgl. Anm. 102 Kap. II. 44
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Es darf angenommen werden, daß auch die Flensburger Pietisten sich in theologischen, seelsorgerischen und erbaulichen Fragen besprachen. Ein enger Zusammenhalt zwischen ihnen zeigte sich in den Auseinandersetzungen mit den königlichen Generalsuperintendenten und Hinrich Braker 53 . Braker sah die Pietisten in Flensburg als eine Partei an, die er „pietistisch gesinnter Haufe" und „Flensburgische Camarilla" nannte 54 . Jedoch bestand die Einheit der Flensburger Pietisten nicht immer. Als Strandiger zu radikal wurde, trennten sich die kirchlich gesinnten Pietisten von ihm. Aber auch unter den kirchlichen Pietisten herrschte nicht zu aller Zeit Eintracht. Das wird deutlich in einem Brief Abraham Kalls an Francke. Kall, der 1720 gegen den Widerstand des königlichen Generalsuperintendenten Dassow und Brakers als Diakon der St. Marienkirche zu Flensburg berufen wurde, beklagte sich über seinen Kollegen, den Hauptpastor an der St. Marienkirche und Propst der Propstei Flensburg Franz Möller. „Eins finde ich hier," schrieb er, „welches ich am wenigsten vermuhtet hätte, nemlich einen Collegam Herrn Möller, der mir ungemein schwer fället. Er ist ein Mann der die Wahrheit erkennet, auch dieselbe mit Eifer prediget, dabey aber solche Gemühts-Kranckheiten hat, die er selbst nicht erkennet, dadurch viel gutes gehindert wird. Er ist hitzig praecipitant, über die maßen argwöhnisch, und wenn es nicht allzu kläglich lautete zu sagen, neidisch, daraus Er sich offt gar zu sehr vergehet. Daher verderbe ich es mit Ihm, ich mag es anfangen, und ihm ausweichen wie ich immer kan. Er stehet in den Gedancken, ich predige fast immer wieder ihn, ziehe die Gemühter von Ihnen an mich, strebe nach vielen Beicht kindern, deren er doch fast 3 mal so viel, als ich habe, ungeachtet ich Gott zum Zeugen habe, daß alles imputirte meinem Sinne eußerst zu wieder, und ich mich äußerst befleißige auch nicht einen Schatten deßen von mir zu geben. Er legt mirs oft sehr nahe publice / deßen ich Ihn leicht durch sein eigen Geständniß gegen andere überfuhren konnte / und privatim, und doch schweige ich stille und thue, als wenn ich nichts sähe, oder hörte. Ich habe es gewaget, und ihn wehmütig gebeten in brüderlicher harmonie mit mir zu leben, und allen Argwohn abzulegen, mit dem Verspruch, meiner Seits nimmer auch nur mit einer Mine Ihn vorsetzlich zubeleidigen, sondern von Hertzen zu trachten Gott und Ihm in redlicher Führung meines Amts gefällig, und treu zu seyn; allein je mehr ich mich demühtige und nachgebe, je ärger wird es. Ich könte sehr viele Special-Proben von unserm Elend anführen, wenn es nicht für unziemlich hielte, da mit beschwerlich zu seyn, Kläglich ist es, daß die Gemeine es mehr als zu sehr einsiehet, wie es gehe, und schlaget der liebe Mann die Meiste Frucht seines Amts darnieder. Ich weiß schier kein ander Mittel mehr, als beten, schweigen, dulden. " s s Auch mit den Grün53 54 55
Vgl. Feddersen, S. 384 ff. H. F. Petersen, Der Pietismus in Flensburg, S. 19. AFSt, D 111: S. 1085-88.
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dem und Förderern des Flensburger Waisenhauses stand Möller, der das Waisenhaus anfangs selbst unterstützte, bald in keinem guten Einvernehmen mehr. Anlaß für diese Disharmonie zwischen Möller und den Waisenhausleuten war folgendes 56 : Eine regelmäßige Klingelbeutelsammlung für in der Türkei gefangene Deutsche war durch deren Befreiung überflüssig geworden. N u n wollte der Magistrat, daß der für jene Gefangene gedachte Klingelbeutel so lange für das Waisenhaus verwendet werden sollte, bis er für andere Zwecke dringender benötigt würde. Dagegen protestierte Propst Möller heftig. Da Möller aus Krankheitsgründen bei der Abhaltung der Kirchenrechnung in der Norderkirche Flensburgs nicht anwesend sein konnte, wurde dort der Antrag des Magistrats genehmigt. Bei der entsprechenden Sitzung in der Süderkirche war Möller aber dabei und versuchte den Antrag des Magistrats zu verhindern; er konnte sich jedoch gegen den Bürgermeister Hoe nicht durchsetzen. Möller empfand das Engagement des Magistrats als einen Eingriff in seinen Amtsbereich. Sein Ärger über den Magistrat war so groß, daß er seine regelmäßig an das Waisenhaus entrichteten Zahlungen einstellte und den Predigern verbot, das Waisenhaus zu besuchen. Es scheint, daß Möllers Temperament etwas hitzig sei und sich nicht leicht besänftigen lasse, schrieb Andreas Jakob Henneberg an den dänischen Etatsrat Johann Wilhelm Schröder und fuhr fort: „Es spahret sonst der gute Herr Thomsen nichts Ihn zu besänftigen, und wann Er zu ihm kommt und vom Waysenhause reden will, entweder Er schweiget stille, oder reist sich von Ihm. Daß man also kein Mittel vor der Hand siehet, damit man zu seiner besänfftigung was beytragen könte." 5 7 Als Henneberg, der Speise- und Schulmeister des Waisenhauses, an einem Sonntag bei Möller war, begann dieser über die Klingelbeutelsache zu reden und Henneberg zu beschuldigen, daß er in Briefen an den Etatsrat Johann Wilhelm Schröder gegen ihn geschrieben hätte. „Ich begegnete ihm mit großer Sanfftmuht, worzu mir gott gnade gab, "schrieb Henneberg, „und beantwortete was ich nöthig fand mit Ernst und Nachdrücklich aber in Liebe und großer Sanfftmuht, bath daß Er vor Ewer Hoch Edlen ein und sämtlichen Vorstehern des Waysenhauses andere gedancken hegen wolte, wir liebten Ihn alle hertzlich und wünschten nun daß Er uns geneigt werden und gegen uns gesinnet seyn wie wir gegen Ihn gesinnet wären, embrassirte Ihn mit großer Freymüthigkeit. Wodurch denn das feuer bey Ihm dergestalt gelöschet wurde, daß, da ich weg gehen wolte, Er mich nöthigte bey Ihm zu bleiben; da Er mich dann mit einem glaß Wein beehrete und in großem Vergnügen bey ihm blieb bis am späten abend, Er 56
KBK, Ledreb. 499, 4°; A. J. Henneberg an J. W. Schröder, Flensburg, 15. Dezember
1726. 57
1726.
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KBK, Ledreb. 430 22 , fol; A. J. Henneberg a n j . W. Schröder, Flensburg, 27. Dezember
auch alle Assistence versprach, welches Er auch kurtz darauf in der Taht erwiese, indem Er, das versprochen geld welches Er wöchentlich zu geben versprochen aber in 1 1/2 Jahren nicht bezahlet, auch zum öftern gesagt, daß Ers nicht geben wolte, auf einmahl 52 ß bey Herrn Thomsen einsandte. auch gegen demselben gesagt: daß ihn mein Zuspruch so wohl gefallen, daß Er wünschte, ich möchte öffters zu ihm kommen." 5 8 Henneberg bat Johann Wilhelm Schröder, er möchte ihn mit einem Schreiben an den Propst Möller „secundiren". Auch wenn Möller durch sein Gespräch mit Henneberg wieder eine positive Einstellung zum Waisenhaus fand, so blieb sein Verhältnis zum Magistrat dennoch weiterhin gespannt. Am 30. Juli 1727 berichtete Henneberg an J. W. Schröder, Propst Möller hätte eine Klage gegen den Rat eingegeben. „Nun kan man leicht gedencken", schrieb Henneberg, „daß ein theil dem andern nichts schencken wird, welches doch alles in der Güte, durch liebreiches Vorstellen, freundliches Nachgeben, geduldiges Außhalten und sonderlich hertzliches Gebet, wie Ewer HochEdlen sehr Christlich melden, könte gehoben werden. Ja ich bin vor Gott versichert, würden die gradus fleißig exerciret, so würden die Richtere und Advocaten wenig zu thun haben. Ach! hätten wir unsers heylandes Sinn, von dem wir uns alle rühmen, wir würden solcher Lehre uns mehr befleißigen. Aber leider so unbekandt Christus ist, so unbekant ist auch seine Lehre. Es ist aber noch mehr zu verwundern, daß solche nicht anzutreffen bey denen die sich Administratores oder Haußhalter derer nennen. So viel ich nach der Wahrheit erkundet habe, so wird solches gegen den Herrn Praepositum von denen erwiesen, gegen welche Ers erweisen solte, seinem Ammte gemäß, die sich gerne mit ihm setzen und in Liebe mit ihm leben wollen. Aber es scheinet, daß der Liebe Mann unter großen Versuchungen stehet, welche ihm an der Sanfftmuth hindern und von der wahren Liebe abhalten, in dem Er alle Kleinigkeiten hevor suchet, welche Er weggethan und abgeschaffet wißen will, welches denn veruhrsachet, daß sein Gemüth immer in Unruhe gehalten wird. Ja so viel ich höre, daß kein einiger von denen übrigen Herren Predigern mit seinem Betragen zufrieden ist und mit ihm einstimmet, allein weil sie sich für ihm fürchten, so laßen sie ihn so machen. Er suchet Sachen hervor, worüber so lange die Stadt mag gestanden haben, kein Disput gewesen, oder wenigstens bey Menschen Gedencken kein Streit gewesen oder entstanden, und wann ihm solches gesagt wird, so berufft Er sich auf sein Eyd. Und wenn ich meine Gedancken darüber entdecken soll, so deucht mir, daß Er sich suche dadurch einen Weg zu bahnen, dereins zu einem höhern Amte zu gelangen." 5 9 Es mag dahin gestellt bleiben, ob Möller tatsächlich nach höheren Ämtern strebte. Wie aber die brieflichen Äußerungen zeigen, war er fiir die 58 59
KBK, Ledreb. 430 22 , fol; A. J. Henneberg a n j . W. Schröder, Flensburg, 23. Juli 1727. KBK, Ledreb. 430 22 , fol; A. J. Henneberg a n j . W. Schröder, Flensburg, 30. Juli 1727.
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Flensburger Geistlichen ein schwieriger Vorgesetzter und ein wenig umgänglicher Kollege. Möller, der einst selbst im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen den orthodoxen Geistlichen und den Pietisten in Flensburg gestanden hatte, wurde jetzt seinerseits zum Widersacher pietistischer Bestrebungen. Der Fall Möller sollte jedoch nicht überbewertet werden, denn sieht man von den Unstimmigkeiten zwischen Möller und den anderen Flensburger Pietisten ab, so bleibt doch festzustellen, daß die frühen schleswig-holsteinischen Pietisten sich als eine Bruderschaft empfanden, als „Brüder in der Wahrheit", wie sie es oft nannten, die Breckling, Spener und Francke als die „Väter" des Pietismus ansahen, pietistische Literatur schätzten und gemeinsam an die Hoffnung besserer Zeiten glaubten. Die frühen schleswig-holsteinischen Pietisten konsultierten sich auch in theologischen und kirchlich-praktischen Fragen, was durch die relativ geringen Entfernungen zwischen ihren Wohnsitzen begünstigt wurde. Im Gegensatz zum Pietismus in anderen Ländern entwickelte sich in den Herzogtümern Schleswig und Holstein aber kein richtiges Zentrum der pietistischen Bewegung, was sicher auch an der politischen Zersplitterung des Landes lag. Die schleswig-holsteinischen Pietisten hatten zwar gehofft, durch die Berufung des bekannten Pietisten, des Gießener Professors Johann Heinrich May, an die Kieler Universität ihren Einfluß dort zu verstärken und die Universität zum Mittelpunkt des Pietismus im Lande zu machen. Aber die Berufung Mays scheiterte, weil sein Landesherr ihn nicht freigab 60 . Stattdessen wurde dann auf Wunsch des Generalsuperintendenten Muhlius sein Schwager Albert zum Felde berufen, der auch Pietist war, jedoch nicht das Format hatte, die Theologische Fakultät zum Zentrum der pietistischen Bewegung im Lande zu machen 61 . Wer pietistisch gesinnt war oder den Pietismus kennenlernen wollte, ging nach 1700 nicht auf die Kieler Universität, sondenvdirekt nach Halle. Zu den Besonderheiten des schleswig-holsteinischen Pietismus gehörte ferner, daß es keinen von allen Pietisten anerkannten Führer gab. In den theologischen Streitereien zwischen der Orthodoxie und dem Pietismus vertrat der fürstliche Generalsuperintendent Muhlius immer wieder den Standpunkt des Pietismus und wurde dadurch zum wichtigsten theologischen Kontrahenten der königlichen Generalsuperintendenten Schwartz und Dassow 6 2 . Muhlius wurde jedoch durch dieses Engagement noch nicht zum Führer der Pietisten im Lande, dazu war er nach Ansicht anderer Pietisten in Lebensstil und Habitus zu sehr ein Kind des Barockzeitalters. Für den schleswig-holsteinischen Pietismus war Muhlius auch als akademischer Lehrer von geringer Bedeutung. Sein Professorenamt, das er neben seiner Tätigkeit als Generalsuperintendent innehatte, verwaltete er 60 61 62
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Wotschke, Urkunden, S. 457 ff. Vgl. Anm. 247 Kap. II. Vgl. Anm. 32 Kap. I.
recht lustlos, so daß sogar Kollegen darüber klagten 6 3 . Auch nach seiner Übersiedlung von Schleswig nach Kiel 1712, w o er, wie man ihm von der fürstlichen Regierung nahelegte, sein akademisches A m t besser verwalten sollte, scheint er sich mit keinem besonderen Fleiß seinem Lehramt gewidmet zu haben. 1714 berichtete nämlich Johann Joachim Arends an Francke, daß Professor zum Felde „das gute mit ziemlichem Ernst, und fleissiger als Herr D. Muhlius" treibe 6 4 . Allerdings förderte Muhlius die pietistische B e w e g u n g in seinem A m t als Generalsuperintendent. D u r c h seine A m t s f ü h r u n g , für die er die M a x i m e wählte: in necessariis Unitas, in non necessariis Libertas, in omnibus Prudentia & Caritas 6 5 , konnte Muhlius im fürstlichen Teil der H e r z o g t ü m e r Streitigkeiten zwischen der O r t h o d o x i e und dem Pietismus weitgehend verhindern. Nach 1713 blieb Muhlius' Einfluß jedoch auf den herzoglichen Teil Holsteins beschränkt, in dem er noch zwanzig Jahre sein A m t als Generalsuperintendent ausübte. Für die weitere Entwicklung des Pietismus in Schleswig-Holstein spielte er in diesen Jahren aber keine entscheidende Rolle mehr. Für die Entfaltung des Pietismus in Schleswig-Holstein war es nach 1700 von größerer Bedeutung, daß mehrere Propsteien von pietistischen P r ö p sten verwaltet wurden. Gemeinsam mit dem A m t m a n n übte der Propst das regionale Kirchenregiment aus, nahm Visitationen im A m t e vor und präsentierte Kandidaten zur Predigerwahl. Die P r ü f u n g von Geistlichen, Küstern und Schulmeistern war dagegen in der Regel alleinige Aufgabe des Propsts. Im allgemeinen konnten die Pröpste in ihren Amtsbezirken nach ihren eigenen Gutdünken schalten und walten, da die A m t m ä n n e r sich nur selten u m die kirchlichen Angelegenheiten k ü m m e r t e n . Ein pietistischer Propst konnte also durchaus fordernd auf die Entwicklung des Pietismus in seinem Amtsbezirk einwirken. Entsprechend ist festzustellen, daß in den Ä m t e r n Schleswig-Holsteins, in denen sich der Propst mit Entschiedenheit für den Pietisnxu& einsetzte, er auch zu einer Art regionaler Führer der pietistischen B e w e g u n g wurde. Das gilt für Andreas Hoyer, der 1709 bis 1724 Propst in Flensburg war 6 6 , für den Kirchen- und Schulinspektor Johann Melchior Krafft 6 7 in H u s u m und für die Pröpste Samuel Reimarus und Johann H e r m a n n Schräder in Tondern 6 8 . Diese vier Pröpste vertraten mit Geschick die Interessen der Pietisten gegenüber den vorgesetzten Behörden und setzten sich mit Eifer für die Ziele des Pietismus in ihren Propsteien ein. Allerdings hatten sie innerhalb der pietistischen B e w e g u n g 63
R o d e n b e r g / P a u l s , S. 210 f; Bülck, Geschichte des S t u d i u m s der prakt. Theologie, S. 20 f. AFSt, A 166: 1. 65 Muhlius, E r ö r t e r u n g , Vorrede; K B K , N K S 396", 8°. 66 Z u H o y e r siehe C i m b . lit., I, S. 365; O . H. Moller, Historische Nachricht (1762) S. 49 ff; Jensen/Michelsen, IV, S. 136f; Feddersen, S. 354, 384f. 67 Vgl. A n m . 15 Kap. I. 68 Vgl. A n m . 55 Kap. I u n d A n m . 41 Kap. III. 64
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keine absolute Führerrolle inne; in vielen Fragen wandten sich die schleswig-holsteinischen Pietisten weiterhin an die Autoritäten in Halle, an denen sie sich vor allem orientierten. In fast jeder Region Schleswig-Holsteins, in der sich der Pietismus ausbreiten konnte, gab es einen Pietisten, der Verbindung nach Halle hatte. In der Propstei Tondern war es der Risumer Pastor Johann Joachim Arends 6 9 ; er stand im Briefwechsel mit August Hermann Francke. Im Raum Schleswig war der Haddebyer Geistliche Hinrich Brummer der Verbindungsmann nach Halle 7 0 . Johann Melchior Krafft aus Husum korrespondierte jahrelang mit dem halleschen Professor Joachim Lange 7 1 . Von direkten Kontakten aus Flensburg nach Halle wissen wir wenig. Es ist anzunehmen, daß die Flensburger Theologiestudenten in Halle als Mittelsmänner zwischen den Flensburger und den halleschen Pietisten dienten. Sowohl die Söhne des Propsts Johannes Lysius als auch der Sohn seines Nachfolgers Andreas Hoyer studierten in Halle. Heinrich und Johannes Lysius gingen 1694 zum Studium nach Halle 7 2 ; Andreas Hoyer, der Sohn des Propsts gleichen Namens, besuchte ab 1703 das Pädagogium der Franckeschen Stiftungen und studierte ab 1705 Theologie in Halle 7 3 . Auf dem Pädagogium zu Halle hielt sich seit 1698 auch Michael Holst auf, der Sohn des Flensburger Diakons Johannes Holst; auch er studierte anschließend in Halle 7 4 . Außerdem studierten folgende Flensburger in Halle Theologie: Abraham Kall (seit 1700) 7S , Joachim Schwenck (seit 1703) 76 , Andreas Reyher (seit 1717) 77 , Peter Cramer (seit 1719) 7 8 und Johannes Andreas Hoeck (seit 1727) 79 . N u r von Abraham Kall, der 1720 nach Flensburg zurückkehrte, wissen wir, daß er von Flensburg aus mit Francke korrespondierte 8 0 . Seit der zweiten Dekade des 18. Jahrhunderts wurde es für die Entwicklung des Pietismus in Schleswig-Holstein immer wichtiger, welche Entwicklung der Pietismus am Hofe in Kopenhagen nahm. Die Frau des seit 1699 regierenden dänischen Königs Friedrich IV., die Mecklenburger Prinzessin Louise, die schon in ihrem Elternhaus den Pietismus kennengelernt hatte, öffnete diesem am Hofe zu Kopenhagen die Türen. Auch die Geschwister des Königs, Karl und Sophie Hedwig, zeigten Sympathien für 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80
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Vgl. Anm. 30 Kap. I. Vgl. Anm. 102 Kap. II. Vgl. Anm. 15 Kap. I. Juntke, S. 269. Juntke, S. 231. Juntke, S. 233. Juntke, S. 64. Juntke, S. 413. Juntke, S. 350. Juntke, S. 99. Juntke, S. 228. Vgl. AFSt, D 111: S. 1085-88.
den Pietismus. Zu den Anhängern des Pietismus am Hofe gehörten ferner die Familien Carl Adolph von Plessen und Johann Georg von Holstein, der Informator des Kronprinzen Christian, Johann Wilhelm Schröder, die Hofmeisterin der Prinzessin, Frau Schmidtberg, und die Frau des Geheimrats Brandt 8 1 . Besonders in Holstein fanden die frühen schleswig-holsteinischen Pietisten einen Fürsprecher am Hofe. Holstein, der 1662 auf Möllenhagen in Mecklenburg geboren wurde, studierte in Rostock Jura 82 . Nach einer Studienreise durch Frankreich, England und Holland wurde er 1688 auf Vermittlung seines Schwiegervaters, des dänischen Kammerherren Christian Bülow, Kammerjunker bei Prinz Karl, dem jüngsten Sohn Christians V. 1696 wurde er Landdrost im Ammerland und ein Jahr später zugleich Oberlanddrost in Oldenburg und Delmenhorst. In dieser Zeit lernte er die Ideen des Pietismus kennen, die dann etwa seit dem Jahre 1704 sein Leben entscheidend prägten. 1706 kehrte er nach Kopenhagen zurück, wo er - wahrscheinlich auf Wunsch der Königin Louise, mit der er die Sympathien für den Pietismus teilte Hofmeister des sechsjährigen Kronprinzen Christian wurde. Gemeinsam mit dem Informator Johann Wilhelm Schröder bemühte er sich, den Kronprinzen in pietistischem Sinne zu erziehen. Daß ihre Erziehung erfolgreich war, zeigte dann die Regierungszeit Christians VI. Neben dieser Hofmeistertätigkeit übte Holstein auch noch das Amt eines Deputierten im Finanzkollegium aus. 1712 wurde er schließlich Geheimrat und im gleichen Jahr auch Mitglied des Conseils. Während der Kriegsjahre 1712 bis 1720 war er einer der einflußreichsten Ratgeber des Königs Friedrich IV. Ein zusätzliches Amt, das Holstein aus voller Überzeugung antrat und mit großem Eifer führte, war die Leitung des 1714 neueingerichteten Missionskollegiums, das die 1705 in Trankebar begonnene Mission fordern und alle die Mission betreffenden Angelegenheiten regeln sollte. In dieser Funktion kam er in nähere Verbindung zu August Hermann Francke in Halle, der die dänische Mission durch die Vermittlung geeigneter Missionare unterstützte 83 . Für die schleswig-holsteinischen Pietisten wurde Holstein der wichtigste Ansprechpartner am Hofe zu Kopenhagen; dank seiner hohen Ämter konnte er sich auf vielerlei Weise für die schleswig-holsteinischen Pietisten einsetzen. Nicht wenige schleswig-holsteinische Pietisten wandten sich deshalb mit Anfragen und Bitten, aber auch mit Empfehlungen an ihn. Einige Beispiele mögen das verdeutlichen: Nachdem Johann Melchior Krafft im Jahre 1714 seine Schrift „Prodromus" herausgebracht hatte, beschloß der Generalsuperintendent Dassow diese Schrift verbrennen zu 81
Vgl. Den Danske Kirkes Historie, V, S. 25; Pedersen, Fra Brydningen, I, S. 55. Zu Holstein siehe DBL 3 , 6, S. 520 ff; Johannes Pedersen, „Billeder af to af Kong Christian VI.s Opdragere", Personalhistorisk Tidskrift, R. 12, Bd. 68 (1947) S. 43ff. 83 Vgl. auch Beyreuther, A. H. Francke und die Anfänge der ökumenischen Bewegung, S. 228 ff. 82
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lassen, weil darin Spener verteidigt und die Gegner Speners heftig kritisiert wurden. Holstein war es wohl zu verdanken, daß die von dem Generalsuperintendenten Dassow beabsichtigte Verbrennung der Schrift in Kopenhagen keine Zustimmung fand 8 4 . Einige Jahre später suchte Krafft die Unterstützung Holsteins in seinem Streit mit dem orthodoxen Generalsuperintendenten Thomas Clausen, der die Rechte des Husumer Hauptpastors und Schulinspektors einzuschränken versuchte. Entgegen den seit der Reformation in Husum bestehenden Privilegien, nach denen allein dem Hauptpastor die Visitation und Inspektion der Kirchen und Schulen in H u s u m zukam, wollte Clausen bei der Generalvisitation des Jahres 1721 auch H u s u m einbeziehen 85 . 1723 wollte der Generalsuperintendent Clausen, wie erwähnt, die Herausgabe von Kraffts Schrift „Zweyfaches Z w e y = H u n d e r t = J ä h r i g e s J u bel = Gedächtnis" verbieten lassen, weil er fälschlicherweise vermutete, daß in dem Werk gegen den verstorbenen Generalsuperintendenten Josua Schwartz, den entschiedenen Pietistengegner, geschrieben würde und auch sonst Themen behandelt würden, die erneut Streit und Uneinigkeit in den Kirchen der Herzogtümer hervorrufen könnten 8 6 . Auch in dieser Angelegenheit wandte sich Krafft an Holstein, dem er die Abschrift einer an den dänischen König gerichteten Supplik zusandte mit der Bitte, dafür Sorge zu tragen, daß sie v o m Obergericht in Gottorf möglichst schnell an das Geheime Conseil gesandt würde. Außerdem bat Krafft, daß er doch nicht ungehört verdammt werden möge, falls etwa, wie er sich ausdrückte, „der Herr General-Superintendent mir auf einmahl gedächte das Netz über den K o p f zu bringen" 8 7 . Die Auseinandersetzungen mit dem Generalsuperintendenten Thomas Clausen fanden jedoch bald ein Ende, da Clausen schon im April 1724 verstarb. Auch andere pietistische Geistliche wandten sich mit der Bitte u m Hilfe an Holstein. So bemühte sich z. B. der Pastor am D o m zu Schleswig, Paul Stricker, 1713 bei Holstein um eine Herabsetzung der Abgaben der Kirchen- und Schulbedienten an der Domkirche und u m eine Einschränkung der Einquartierungen 8 8 . Ein anderes Mal bat Stricker, Holstein m ö g e sich dafür einsetzen, daß einem kranken Pastor, einem Mann von sehr großen studiis und gutem Leben und Wandel, dessen Sohn sukzessieren könne 8 9 . Paul Mercatus, Diakon am D o m zu Schleswig, schrieb an Holstein, u m durch ihn eine bessere finanzielle Förderung der neugegründeten WaisenAFSt, C 205: 10; L. Ottens an A. H. Francke, Kahleby, 7. Januar 1715. K B K , Ledreb. 455, 14, 2°; J. M. Krafft a n j . G. von Holstein, Husum, 21. August 1721 und 13. September 1721. 8 6 Siehe S. 56 f. 8 7 K B K , Ledreb. 455, 14, 2°; J. M. Krafft a n j . G. von Holstein, Husum, 21. August 1723. 8 8 K B K , Ledreb. 455, 20, 2°; P. Stricker a n j . G. von Holstein, Schleswig, 11. November 1713 und 27. März 1715. 8 9 K B K , Ledreb. 455, 20, 2°; P. Stricker a n j . G. von Holstein, Schleswig, 4. März 1718. 84
85
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anstalten zu erreichen 90 . Wie schon erwähnt, wurde Holstein auch eingeschaltet, als es darum ging, gegen die am 4. Oktober 1712 für die Herzogtümer erlassene königliche Verordnung vorzugehen, die besagte, daß keiner, der einen geistlichen Beruf anstrebe, auf einer dem Pietismus zugetanen Universität studiert haben sollte 91 . Die erwähnten Beispiele zeigen, welche Bedeutung Holstein als Protektor und Förderer der schleswig-holsteinischen Pietisten hatte. Doch einen besonders großen Einfluß übte er auf die weitere Entwicklung des Pietismus im Amte Tondern aus, das seit der Besetzung des gottorfischen Anteils am Herzogtum Schleswig unter dänischer Verwaltung stand. Holstein selbst war seit 1713 Amtmann des Amtes Tondern. Zwischen ihm und dem ebenfalls pietistischen Propst Samuel Reimarus entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die sich für den Pietismus im Amte Tondern als sehr förderlich erwies. Daß sich diese Zusammenarbeit in besonderem Maße bei der Besetzung von vakanten Predigerstellen auswirkte, wurde schon gezeigt 92 . Weil die übrigen Geschäfte Holsteins einen Aufenthalt im Amt Tondern nur selten zuließen, versuchten er und Reimarus auf brieflichem Wege alle sie gemeinsam betreffenden Angelegenheiten zu klären. Wie eng und vertraut sie dabei zusammenarbeiteten, zeigt die folgende Äußerung Holsteins in einem Brief an Reimarus vom 10. April 1725: Es würde ihm lieb sein, schrieb er, „wenn es sich diesen Sommer so schicken wolte, daß ins Ambte kommen und mit Ewer HochEhrwürden mich unterreden könte, jedoch können dieselbe alle Zeit mit gewöhnlicher Offenhertzigkeit und Vertraulichkeit an mich schreiben und versichert leben, daß alle Vorsorge getragen wird, daß Ihnen hieraus nicht der geringste Verdruß entstehen soll, wie denn auch alles unter uns bleibet, und ihre Briefe, so bald sie beantwortet sind, verbrandt werden." 9 3 Ein anderes Mal schrieb Holstein an Reimarus: „Haben Ewer HochEhrwürden des brachii secularis nöhtig: So können dieselbe Sich von mir aller beyhülffe gewärtigen, und wird der Herr Cantzelley Raht Müller in allen erforderlichen die hülfliche Hand biehten. Ist ein solches nicht zureichlich: So will auch woll ein Rescript aus der Teutschen Cantzelley auswürcken, damit alle Sachen in ihrer Ordnung gehalten werden." 9 4 Dem genannten Möller, der Amtsinspektor im Amte Tondern war, hatte Holstein bei dessen Amtsantritt geraten, mit dem Propst Reimarus in guter Harmonie zu leben und die Kirchenangelegenheiten mit ihm zusammen „auffs beste" zu fördern, wobei Holstein noch hinzufügte, daß er selbst seit seiner 90
KBK, Ledreb. 455, 18, 2°; P. Mercatus an J. G. von Holstein, Schleswig, 26. November
1721. 91 92 93 94
Siehe S. 68 f. Siehe S. 75 f. LAAa, T0nder provstearkiv, nr. 224. LAAa, Tonder provstearkiv, nr. 224; Brief vom 26. Februar 1726.
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Kindheit ein Freund aller rechtschaffenen Prediger gewesen sei und auch stets zu bleiben gedächte 95 . Auch bei der Verbesserung des Schulwesens im Amte Tondern gab Holstein dem Propst tatkräftige Unterstützung. Am 3. Februar 1722 schrieb Holstein an Reimarus: „Und wie ich vom gantzen Hertzen willig werde beytreten zu allem dem, was mir der Herr Probst, zu Vermehrung des wahren Christenthums wird vortragen, So will ich dero Gedancken erwarten, über das was mir dieselbe von beßerer Einrichtung und Bestellung der Schulen zum voraus eröfnet, damit wir zuforderst sehen, was von uns selbsten, ohne weitern sich Höhern Ohrts zu melden wird geschehen können. Wenn aber auch dieses nöhtig, so will, wenn wir uns zuvor darüber vereinbahret, es auch dorten vortragen, damit Mein Hochgeehrter Herr Probst in diesem so loblichem Vorsatze gestärcket, und dadurch im Stande gesetzet seyn, des Herrn Werck mit Nachdruck zu treiben." 96 Die gemeinsamen Bemühungen um Reformen auf schulischem Gebiet waren nicht ohne Erfolg, so daß das Schulwesen im Amt Tondern damals so etwas wie ein Vorbild für andere Gegenden geworden zu sein scheint 97 . Gemeinsam hatten Reimarus und Holstein auch die Planung für das Waisenhaus in Tondern begonnen, dessen Gründung dann aber erst durch den Propst Johann Hermann Schräder verwirklicht wurde 9 8 . Schräder, der einer der bedeutendsten Pietisten in Schleswig-Holstein war, war auf ausdrücklichen Wunsch Holsteins zum Nachfolger des Propsts Reimarus berufen worden 9 9 . Die Pietisten im Amt Tondern wußten bald, welche Vorteile sie durch die Besetzung der Amtmannsstelle mit Holstein hatten. Schon 1714 berichtete Arends an August Hermann Francke: „Unsere Krieges pressuren dauren hie noch im Lande, wir sind aber hie glücklich, daß wir einen so gnädigen und frommen Ambtmann an Seiner Excellentz dem Herrn Geheim Raht von Holsten hier haben, welchen Gott zu des Landes Besten samt allen Redlichen erhalten wolle." 1 0 0 .
95
LAAa, Tender provstearkiv, nr. 224; J. G. von Holstein an S. Reimarus, 7. April 1724. LAAa, Tender provstearkiv, nr. 224. 97 Hans Hejselbjerg Paulsen, „Oplysningstiden i Hertugdemmerne", S0A 1933, S. 93. 98 H. F. Petersen, De senderjyske Vajsenhuse, S. 82ff; L. Andresen, Waisenhaus, S. 22ff. 99 L. Andresen, Waisenhaus, S. 22. 100 AFSt, A 166: 3. 96
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V. Der radikale Pietismus in Schleswig-Holstein zu Beginn des 18. Jahrhunderts Neben dem kirchlichen Pietismus behaupteten sich in Scheswig-Holstein stets auch radikalpietistische Bewegungen, die aus fast allen Teilen Deutschlands ihren Weg in die Herzogtümer fanden. Das Eindringen des radikalen Pietismus in die Herzogtümer wurde dadurch begünstigt, daß die religiösen Freistätten Altona und Friedrichstadt zahlreichen Separatisten und religiösen Individualisten Asyl boten. Schon zu jener Zeit, als Spener in Frankfurt seine ersten Konventikel hielt, ließen sich in SchleswigHolstein mehrere namhafte Separatisten nieder. Von 1671 bis 1676 versuchte Antoinette Bourignon ihre Ideen im Herzogtum Schleswig zu verbreiten, besonders in den Städten Flensburg, Schleswig und Husum. Jean de Labadie, in dessen Gefolge sich auch Anna Maria Schurmann, Pierre Yvon und Pierre de Lignon befanden, kam 1672 nach Altona, wo er bis zu seinem Tode am 13. Februar 1674 wohnte. Seine Anhänger verließen Altona zwei Jahre später. Zur selben Zeit von 1673-1675 hielt sich auch der bekannte mystische Spiritualist Christian Hoburg dort auf. Nach 1700 wurden die Herzogtümer, vor allem aber die Städte Altona und Friedrichstadt, dann für viele radikale Pietisten, die aus ihren Heimatländern und Heimatorten ausgewiesen oder durch kirchliche und staatliche Behörden verfolgt worden waren, zum vorübergehenden oder auch ständigen Aufenthaltsort. Im Jahre 1684 suchte der abgesetzte Kösliner Archidiakon Johannes Block Zuflucht in Schleswig 1 . Block war am 27. August 1632 als Sohn eines Schusters in Hildesheim geboren worden, studierte seit 1652 in Leipzig, wurde Famulus des Theologieprofessors Johannes Hülsemann und erwarb 1655 die Magisterwürde. 1665 wurde er zum Archidiakon in Köslin berufen, 1683 jedoch abgesetzt, weil er zu scharfe Kritik am Leben und der Amtsführung der Geistlichen übte 2 . Anschließend war er drei Monate als Schiffsprediger auf der nach Rußland fahrenden Hamburger Kaufmannsflotte tätig. Die nächsten Jahre verbrachte er als Privatgelehrter in Schleswig. Wegen seiner 1686 in Hamburg erschienenen Schrift „Untergang des Lutherischen Priesterthums", in der er vor allem die Art und Weise der damaligen Predigerberufungen aufs schärfste kritisierte, geriet er in Streit mit dem königlichen Generalsuperintendenten Josua Schwartz und 1 Arnold, KuKh, IV, S. 763; Cimb. lit., II, S. 64;Jöcher, I, Sp. 1133f; Ernst Müller, Die Evangelischen Geistlichen Pommerns (Stettin 1912) S. 138. Das bei Müller angegebene Sterbedatum ist falsch. 2 Vgl. Theodor Wotschke, „Der Pietismus in Pommern", Blätter f. Kirchengeschichte Pommerns 2 (1929) S. 44.
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kam sogar in Arrest 3 . Nach diesem Vorfall zog Block 1692 als Feldprediger mit dänischen Truppen nach Ungarn, wo er bald darauf starb. Wie wir aus einem Brief Friedrich Brecklings erfahren, hatte Block einige Zeit vorher Verbindung zu Breckling gesucht und um die Hand seiner Tochter angehalten. Breckling und seine Frau hatten aber weder einwilligen noch ihn abweisen, sondern Gottes Ratschlag erwarten wollen, „ob ers mit Gott wagen und also durch Gottes Leitung von selbst zu uns kommen würde" 4 . Das hätte dann das Zeichen Gottes sein sollen. In den 1690er Jahren erregte ein anderer amtsenthobener Geistlicher in Schleswig-Holstein Aufsehen. Es war der 1638 in Wittenberg geborene Johann Michaelis, der in Leipzig und Wittenberg studierte, darauf Rektor zu Golse in der Niederlausitz und 1670 Pastor zu Ahlsdorf bei Herzberg wurde 5 . Sein A m t in Ahlsdorf mußte er schon 1675 wieder aufgeben, weil er sich durch scharfe Kritik am Zustand der lutherischen Kirche sowie am geistlichen und weltlichen Stand in Gegensatz zur Kirchenleitung brachte 6 . Nach zweijährigem Aufenthalt in Jüterbog wurde er zum Pastor injänikkendorf berufen; doch auch dieses Amt mußte er 1682 niederlegen, da er von seinen eigenwilligen Ansichten und seiner Kritik an der lutherischen Kirche nicht lassen wollte. Daraufhielt er sich an verschiedenen Orten auf; in Lauban und Dresden war er als Lehrer tätig. Kurz nach Speners Amtsantritt als Oberhofprediger in Dresden im Sommer 1686 wandte sich Michaelis an ihn, zunächst schriftlich und dann persönlich. Er habe mit Michaelis über vieles geredet, schrieb Spener, und ihn in unterschiedlichen Sachen „tractabel" gefunden 7 . Er hätte ihm auch gesagt, daß er sich „so viel leiden nicht selber zuziehen hätte dörffen / und doch dabey ein gutes gewissen behalten können" 8 . „Nach der zeit" war Michaelis aber nicht mehr zu ihm gekommen, so daß Spener auch keine weitere Möglichkeit hatte, mäßigend auf ihn einzuwirken 9 . Jedoch schon wenig später, mußte Spener sich von Amts wegen mit ihm beschäftigen. Michaelis war vor das Dresdner Konsistorium geladen worden, weil er in einer Schrift scharfe Kritik an der lutherischen Kirche geübt hatte 10 . Er soll 3 Friedrich Breckling äußerte sich 1688 über Blocks Schrift: „Scheinet aber gar hart und rauh geschrieben zu seyn. Doch Gott wil auch mit spöttlichen Lippen zu diesem volck reden und wunderbar mit ihnen u m b g e h e n . " Zitiert bei Blaufuß, Beziehungen F. Brecklings, S. 269 f. 4 Wotschke, Urkunden, S. 455 A 1. 5 Z u Michaelis siehe Jöcher, III, Sp. 513; A D B , 21, S. 673f; Arnold, K u K h , III, S. 150; Johann Adrian Bolten, Historische Kirchen=Nachrichten von der Stadt Altona, II (1791) S. 79ff; Jensen/Michelsen, IV, S. 185; Ritsehl, II, S. 128, 204, 241, 307, 543; Wotschke, Urkunden, S. 455 f; Feddersen, S. 350 f. 6 Vgl. Johann Michaelis, Apostolischer G l a u b e n s = G r u n d (o. O . , o. D.). 7 Spener, L T h B , III, S. 314 und 422. 8 Spener, L T h B , III, S. 314. 9 Ebenda. 1 0 Spener, L T h B , III, S. 422 f; Michaelis gab in Dresden eine Schrift unter dem Titel Lutherus redivivus heraus. Es handelte sich jedoch nicht um das später unter demselben Titel
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die lutherische Kirche damals nach eigener Aussage als „die dritte Sekte in Babel" bezeichnet haben, die genauso sektiererisch und mangelhaft sei wie die katholische und die reformierte Kirche 1 1 . Im Konsistorium wurden Stimmen laut, die eine strenge Bestrafung von Michaelis forderten. O b w o h l auch Spener Michaelis' Ansichten mißbilligte, meinte er doch, mit Härte in diesem Fall nichts ausrichten zu können. Er rettete ihn deshalb, wie er sich ausdrückte, „vermittels auch anderer vornehmer personen" „aus der ihm obgeschwebten gefahr" und versuchte, ihn in Gesprächen „zur sanftmuth zu gewinnen" 1 2 . „Die ursach aber / w a r u m mir unmöglich ist / hart gegen den mann zu seyn / bestehet darinnen", wie Spener am 17. August 1687 schrieb, „weil ich / so viel ich erkennen konte / ein redliches hertz und eiffer vor die Wahrheit bey ihm fand." 1 3 . Er sähe Michaelis an „als einen der da er wahrhafftig erstlich einen heiligen eiffer aus G O t t gefaßt / besorglich in dem anfang da er darin entbrant / niemand gehabt / der ihm in gründlicher remonstration und bescheidener sanfftm u t h / ohne die man mit solchen leuten nichts ausrichtet / in dem rechten weg erhalten hätte / dahero in dem eiffer mehr excediret / durch die drüber zugestandene leiden nur mehr gestärcket und hefftiger / endlich durch die offtere übergiessung der galle dahin gebracht worden / daß solche hefftigkeit n u n m e h r bey ihm fast zur natur worden / daher er nicht zu ändern / es geschehe denn durch lange gedult und sanfftmuth / daß man ihn allgemach g e w i n n e . " 1 4 Spener gelang es jedoch nicht, Michaelis von seinem sektiererischen Weg abzubringen. Michaelis, der sich selbst „Zeuge der Wahrheit" nannte, setzte seine Kritik an den kirchlichen Verhältnissen fort; es gelang ihm sogar, auf Gottfried Arnold, der 1689-1693 in Dresden lebte, Einfluß zu nehmen, so daß dieser auf die lutherische Kirche „Babels Grablied" dichtete 1 5 . 1689 verließ Michaelis Dresden, 1690 hielt er in Stockholm eine Wahlpredigt und 1691 k a m er dann nach Altona, w o er bis zu seinem Lebensende seinen Wohnsitz hatte 1 6 . Allerdings m u ß er sich zwischenzeitlich auch für längere Zeit in Berlin aufgehalten habe, w o er Johann Caspar Schade in seinem Beichtstuhlstreit unterstützte 1 7 . Michaelis übte auf Schade zum Leidwesen Speners großen Einfluß aus 1 8 . Er könne versichern, schrieb erschienene, g r ö ß e r e Werk; vgl. Wotschke, „ U r k u n d e n zur Geschichte des Pietismus in Schlesien", J a h r b u c h des Vereins f. Schlesische Kirchengeschichte 22 (1931) S. 105 f A 7. 11 S t U B H H , sup. ep. 4° 15, 190; J. Michaelis an J. H . M a y , 22. Mai 1707. 12 Spener, L T h B , III, S. 423. 13 Spener, L T h B , III, S. 314. 14 Spener, L T h B , III, S. 314f. ls Wotschke, U r k u n d e n , S. 455. Die letzten Strophen des Grabliedes sind bei Ritsehl, II, S. 321 f abgedruckt; vgl. auch Erich Beyreuther, Geschichte des Pietismus, S. 322. 16 S t U B H H , sup. ep. 4° 15, 180 u n d 4° 15, 186; J. Michaelis a n j . H. M a y , 24. N o v e m b e r 1697 u n d 24. April 1701; vgl. Wotschke, U r k u n d e n , S. 455. 17 Z u m Berliner Beichtstuhlstreit siehe O b s t . 18 O b s t , S. 23. Das Sterbejahr von Michaelis ist hier irrtümlich mit 1704 angegeben worden.
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Spener, daß er „nicht das geringste gute" wüßte, das Michaelis in Berlin ausgerichtet hätte 19 . Michaelis mag das Wachstum des Guten bei einigen Seelen „durch beybringung gleichartiger bitterkeit mehr gehindert als gefordert haben", betonte Spener ferner, er befürchte auch, daß Michaelis' Einfluß auf Schade „dasjenige verursacht / daß dem lieben mann sein ohne das beängstetes hertz noch mehr beschweret / und der feur=eifer bey ihm in stärckere flamme gebracht / wir aber dadurch desto eher seiner beraubet worden" 2 0 . Als Michaelis in Berlin wegen seiner 1695 veröffentlichten Schrift „Lutherus Redivivus" mit Maßnahmen gegen sich rechnen mußte, verließ er die Stadt und kehrte wieder nach Altona zurück 21 . Seitdem Michaelis sich in Altona niedergelassen hatte, versuchte er von dort aus, seine Ideen auch im holsteinischen Hinterland zu propagieren. Es gelang ihm, besonders unter den Holländern auf den großen Gütern Holsteins zahlreiche Anhänger zu finden. Unter dem Vorsitz von Michaelis fand eine große Versammlung seiner Anhänger in der Nähe von Preetz statt 22 . Möglicherweise stand diese Versammlung im Zusammenhang mit seiner Absicht, in Holstein eine philadelphische Gemeinde anzulegen 23 . Auf der Rendsburger Synode des Jahres 1703 wurde gegen einen Anhänger von Michaelis verhandelt. Es war der Holländereipächter Abraham Fock auf Schulenburg bei Oldesloe, der sich seit acht Jahren vom Gottesdienst ferngehalten und auf die Bemühungen des Gemeindepastors, ihn für die Kirchengemeinschaft zurückzugewinnen, mit der Übersendung einer Schrift von Michaelis geantwortete hatte 24 . Auch in Hamburg fand Michaelis einige Anhänger. 1703 berichtete er, daß er in Hamburg an zwei Orten Collegia Musica „Gott zu Ehren" eingerichtet hätte 25 . An den Versammlungen nähmen Erwachsene und Kinder beiderlei Geschlechts teil, insgesamt 15 Personen, die alle 14 Tage zusammenkämen und „den Herrn loben auff Vocal= und Instrumental =Music, daß es in ganz Hamburg" erschalle 26 . Die Musik, die er „nicht zur Welt= oder fleisches=lust", sondern zur Ehre Gottes mache, würden die Lästerer als „Quäcker Music" bezeichnen 27 . 19
Spener, LThB, III, S. 424. Ebenda. 21 StUB H H , sup. ep. 4° 15, 190; J. Michaelis a n j . H. May, 22. Mai 1707; vgl. Wotschke, „Pietistisches aus Ostfriesland und Niedersachsen", Zeitschrift d. Gesellschaft f. niedersächsische Kirchengeschichte 40. Jg. (1935) S. 204 A 23; Spener, LThB, III, S. 424. 22 Burchardi, S. 64; vgl. Jensen/Michelsen, IV, S. 184f; Feddersen, S. 351. 23 Feddersen, S. 351. 24 Burchardi, S. 64; vgl. Jensen/Michelsen, IV, S. 185; Feddersen, S. 351. 25 StUB H H , sup. ep. 4° 15, 188; J. Michaelis an J. H. May, 14. Januar 1703. 26 Ebenda. 27 Ebenda. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß auch Johann Otto Glüsing seine Anhänger bei ihren Zusammenkünften mitunter durch kleine Konzerte unterhielt, „wobei er selber auf der Viola da Gamba musiziert hat und seine beiden Töchter, die auch dazu sangen, auf dem Klavier gespielt haben". Siehe Hans Haupt, „Der Altonaer Sektierer Johann Otto Glüsing und sein Prozeß von 1725/26", SSHKG, II, Bd. 11 (1952) S. 149. 20
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Über seine Tätigkeit in Altona sagte Michaelis folgendes: „Seinen von Menschen verworfenen Knecht hat Gott zu seinem Konzipisten und Schreiber in seiner geheimen Kanzlei angenommen. Sitze also in seinem Kabinett und schreibe auf, was er durch den Geist der Wahrheit mir in die Feder diktiert. Dafür gibt er mir einen ehrlichen und christlichen Unterhalt, daß ich von der Babelchristen Gnade nicht leben darf, ihnen nicht heucheln oder schmarutzen, niemanden beschweren, nicht umher in den Häusern betteln brauche. Ich sitze in der Stille, tue, was da ist meines Herrn Wille, dafür gibt er mir aus Gnaden Hülle und Fülle und lenkt der Regenten Herzen, daß, obwohl etliche gesinnt sind, mich fortzujagen, doch bis dahin geschützt werde." 2 8 . Ganz anders klang es dagegen in einem Brief an den Gießener Professor Johann Heinrich May aus dem Jahre 1697: Äußerlich lebe er in höchstem Elend, Verlassenheit, Spott und Not, heißt es dort, „niemand und nichts nütze, sitze breitß 6. Jahr alhier, niemand begehret mich, trage mich und meine arbeit allen an, werde aber alß ein Narr von allen außgelacht, verdiene keinen heller zu mein und der meinigen Leibes unterhalt, werde noch darzu von meinem eigenen Weibe (wie Hiob und Tobith) alle tage gekräncket, darumb, daß ich nicht bin ein Pfaff in Babel geblieben, und sie gleich mir muß noth und spott leiden" 29 . Ein anderes Mal schrieb Michaelis, daß er wie „ein Abraham unter denen Cananitern und Loth unter denen Sodomitern" lebe 30 . Michaelis fühlte sich in Altona bald nicht mehr wohl, da er nicht „mit frieden auff der Straße, ja in freyem felde gehen" könne; die Kinder würden ihn verfolgen und anschreien: „Du alter Quäcker lebest du noch! Dich wolte ich lieber im felde todt schlagen!" 31 Michaelis wurde nämlich nicht nur wegen seiner eigenwilligen Lehren und Schriften zum Gespött der Leute, sondern auch durch sein Äußeres fiel er überall auf, weil er einen außergewöhnlich langen Bart trug 3 2 . Im Sommer 1706 reiste er zu den Holländern in Mecklenburg und Holstein, „alß meinen alten bekandten", um zu erkunden, ob er die letzten Lebensjahre bei ihnen zubringen könne 33 . Er fand jedoch keinen geeigneten Ort und kehrte somit wieder nach Altona zurück, wo er die letzten Lebensjahre gemeinsam mit seiner kranken Tochter in Abgeschiedenheit von der übrigen Bevölkerung lebte. „Mein 28
Wotschke, Urkunden, S. 456; ders., Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 190. StUB H H , sup. ep. 4° 15, 180; J. Michaelis a n j . H. May, 24. November 1697; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 193. 30 StUB H H , sup. ep. 4° 15, 190;J. Michaelis a n j . H. May, 22. Mai 1707; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 203 A 23. 31 StUB H H , sup. ep. 4° 15, 196;J. Michaelis a n j . H. May, 1. Mai 1712; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 201. Auch 1707 klagte Michaelis schon, daß er nicht „mit frieden auf den Straßen gehen" könne. (StUB H H , sup. ep. 4° 15, 190). 32 StUB H H , sup. ep. 4° 15, 196; J. Michaelis a n j . H. May, 1. Mai 1712; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 201. 33 StUB H H , sup. ep. 4° 15, 190;J. Michaelis a n j . H. May, 22. Mai 1707; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 203 A 23; ders., Urkunden, S. 456. 29
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Drucker ist der einige Mann, der noch bißweilen in 3-4 wochen zu mir k o m m t und mir relation thut, wie Pietisten und Impietisten in Hamburg ihn fragen: lebet der alte lästerer, der alte Michel noch?" 34 Da Michaelis in Altona keine Arbeit bekam und seine schriftstellerische Tätigkeit nur wenig Geld abwarf, war er auf die Spenden von Freunden angewiesen. 1707 klagte er, daß die „Handreicher", die ihm „aus fernen Orten die 14Jahr lang von ihren Mitteln freywillig gesand", teils gestorben seien, teils „satt zu senden" 35 . Hamburg und Altona gäben nichts, würden ihn nur öffentlich als einen Quäker schelten und lästern 36 . Kleine Geldbeträge wurden ihm dann und wann von dem bekannten Pietisten, dem Professor Johann Heinrich May in Gießen, zugesandt, 37 mit dem Michaelis viele Jahre lang im Briefwechsel stand. Die Spenden halfen zwar, seine Not zu lindern, beheben konnten sie sie nicht. So starb Michaelis 1718 arm und einsam als 80jähriger. Nach Ritsehl war Johann Michaelis „trotz alles Schimpfens auf Babel gut lutherisch" 38 . Philipp Jakob Spener meinte dagegen: „Er praetendirt den geist Lutheri / aber ich finde nicht das geringste in ihm / das mit Luthero / den ich durch GOttes gnade ohne rühm zu melden zimlich kenne / übereinstimmete / als daß ers ihm in heftigkeit und harten Worten nachthun will: aber wie diejenige / die etwas einen andern nachmachen und affectiren / gemeiniglich noch weiter gehen / also überschreitet er auch jene schrancken; in dem wir vieles / was aus Lutheri feder in solchem eifer geflossen / vielmehr zu entschuldigen und zu bedecken / als zu loben und in der nachfolge mehr aufzudecken haben." 3 9 In der Tat kann man Michaelis kaum als guten Lutheraner bezeichnen, auch wenn er sich selbst in maßloser Überschätzung der eigenen Fähigkeiten gerne mit Luther verglich. Zwar hat er Luthers Bibelübersetzung allen anderen vorgezogen 40 und sich auch intensiv mit den Werken Luthers beschäftigt 41 , aber gleichzeitig lehnte er doch jede menschliche Autorität in Glaubensfragen ab und ließ als einzige Richtschnur des Glaubens nur die Bibel gelten. „Die Bibel ist das 34 S t U B H H , sup. ep. 4° 15, 196; J. Michaelis a n j . H . M a y , 1. Mai 1712; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 201. 35 S t U B H H , sup. ep. 4° 15, 190; J. Michaelis a n j . H. M a y , 22. Mai 1707; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 203 A 23; ders., U r k u n d e n , S. 456 A 1. 36 A u c h 1712 klagte Michaelis, daß in Altona kein M e n s c h sei, der i h m in seiner N o t einen Heller reiche. ( S t U B H H , sup. ep. 4° 15, 196). 37 S t U B H H , sup. ep. 4° 15, 190, 196 und 200; J. Michaelis a n j . H . May, 22. Mai 1707, 1. Mai 1712 u n d 10. August 1717. 38 Ritsehl, II, S. 128f. 39 Spener, L T h B , III, S. 423. 40 Siehe Gründlicher Bericht / Wie des T h e u r e n G O T T e s = M a n n e s L U T H E R I Teutsche Bibel N a c h d e m Verstände u n d Sinn des Geistes G O t t e s die Beste sey f ü r allen andern. Allen Rabinen / D o l m e t s c h e r n / G r u n d = T e x t e s Suchern / u n d B i b e l = E r k l ä r e r n fiirgeleget / zu einem Z e u g n ü ß über Sie / D u r c h Einen treuen Folger L U T H E R I , J O H A N N M I C H A E L N , zeugen der Warheit J E s u CHristi. A n n o 1700. 41 S t U B H H , sup. ep. 4° 15, 188; J. Michaelis a n j . H . M a y , 14. Januar 1703.
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Buch / der Apostel. Warheits = Geist dein Lehrer und Präceptor / damit fragst du nichts nach Menschen / sie mögen heissen und gleissen wie herrlich / gelehrt und heilig sie wollen / sie mögen heissen Papst/ Luther / Calvinus / sie mögen heissen David Joris / Caspar Schwenckfeld / Böhme oder Menno / Barcklai oder Hoburg. Nichts fragt ein solcher GOtt gelehrter Christ nach Taulerum oder Weigelium / nichts gilt bey ihm Arndt / Sonthomb / Thomas de Kempis / Scriver / Spener / und wäre er noch so andächtig / heilig und fromm; allein die Heil. Schrift ist sein Eigenthum / sein einiges Buch / und der Geist der Warheit sein Prediger und Lehrer. Der Geist der Liebe sein Leiter / daß er es mit denen in Liebe meinet / die eben den Geist der Warheit zum Lehrer haben / den er hat. Er wil keines andern Lehrer seyn / will auch keinen andern fiir seinen Lehrer erkennen." 4 2 Nach Michaelis gibt es drei Hauptsekten: die katholische, die reformierte und die lutherische Kirche, deren Mitglieder er „Philippisten" nannte, weil der Name Luthers ihnen nicht zustehe. Aus den beiden letzten Kirchen seien die Schwärmer hervorgegangen, z. B. die Pietisten, Mennoniten, Quäker und Sozinianer. Die wahre reine Religion leide aber keine Sekten und Schwärmer. „Die rechten Brüder und Glieder Christi" hätten mit den Sekten und Schwärmern, die zusammen die „Babylonische Hure" seien, keine Gemeinschaft. Sie bildeten eine unsichtbare Gemeinde, die auch dann bestehen bleibe, wenn der Teufel noch so wüte. Wer die wahren Christen aber seien, könne kein Mensch sagen, nur Christus kenne sie. Man könne sie öffentlich nicht sehen; sie säßen im Verborgenen, machten „keinen Schwerm und Alarm", wie die Pietisten, Mennoniten und Quäker es täten, sondern verhielten sich still, bis Christus „den niedergefahrnen Engel" sende und „einen Christlichen DAVID und Fürsten" erwecken werde", erst dann würden sie offenbar werden. 4 3 Solle es zum rechten seligen Stande kommen, so müsse, wie Michaelis ausführte, „diese jetzt stehende Babel = Gemeine mit allen ihren Secten / Rotten / Schwermern / Hohen Schulen / Fladder=Geistern / sammt Thier und falschen Propheten / gäntzlich zerstöhret und ausgerottet werden / der Satan gebunden und im Abgrund verriegelt / und eine gantz reine Apostolische Gemeine von CHristo auffgerichtet werden / welche kein ander Wort lehre / höre / glaube / darnach lebe und thue / als wie es CHRISTUS in der Bibel buchstäblich verfassen und auffzeichnen lassen." 44 Scharfe Kritik übte Michaelis an dem Zustand der drei Stände. „Regen42
J o h a n n Michaelis, Die 604. Medidation, o. O . , o. D. J o h a n n Michaelis, Die wahre und falsche R E L I G I O N , wie solche N a c h ihren Secten u n d S c h w ä r m e r n sich selbsten scheidet / u n d darüber einer den andern hasset u n d neidet. D o c h also: D a ß JEsus C h r i s t u s G O t t e s Sohn unter solchen G e s c h w ü r m dennoch rein erhält Die W a h r e R E L I G I O N ( o . O . 1694). Dieser Beschreibung der „wahren C h r i s t e n " entsprach Michaelis' Leben durchaus nicht. 44 J o h a n n Michaelis, Die 603. Meditation, o . O . , o. D. 43
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ten= und Pfaffenstand" hätten das „Christenland" verdorben 45 . Im geistlichen Stand seien „die grossen Doctores und Magistri nostri eximii, Superintendenten und dergleichen / die flirnehmsten Heuchler"; sie hätten Gott „mit allen heiligen Engeln in ihren Studier= Stuben / in ihren Köpffen und Büchern" und wüßten nicht, daß „nichts weniger darinnen als G O T T " 4 6 . Im „Regenten= Stande" gäbe es auch viele Heuchler, „die mit ihrem äußerlich=scheinenden Kirchen=gehen / Abendmahl=nehmen / Sittsamkeit / Phariseischen Almosen / grossen Gebetbüchern / und dergleichen Heuchel=Kappen vor denen Leuten prangen / und als lebendige Heiligen gläntzen" 47 . Auch die Mitglieder des dritten Standes, die „Fressen / Sauffen / Judenspieß / Kleider=Pracht / Hoffarth und andere Laster" zu ihrem täglichen Handwerk machten, meinen, „den grossen G O T T mit aller seiner Güte bey sich" zu haben 48 . Es verwundert nicht, daß Michaelis wegen seiner scharfen Kritik, besonders an den weltlichen Obrigkeiten und an der Geistlichkeit, überall Verfolgungen ausgesetzt war und 30mal „für ihro Christliche und Weltliche Rathhäuser und unter diesen 4 mahl auffß leben oder ewige gefängnüß" gestanden hat, wie er selbst mitteilte 49 . Hatte Michaelis auch wiederholt Kontakt zu Pietisten geknüpft, so ist er dennoch selbst kein Pietist geworden. An Spener tadelte er, wie Christian Mauritius an den Professor May in Gießen schrieb, daß „seine Methode zu sachte sei", ihm fehle der „Eifer" 50 . In seinen Augen gingen die Pietisten in ihrem Handeln zu viele Kompromisse ein. Vor allem bemängelte er, daß sie sich mit den weltlichen Mächten so gut arrangierten. Die Pietisten seien, wie er schrieb, „Ertz=Heuchler und Anbeter des Monarchen=Thieres und seiner Hohen und Gewaltigen / veneriren und respectiren solches Thier und seine Grandes, über die massen / krauen solchen die Ohren / ob sie wol im Hertzen wissen / daß es vom Drachen ist. Fragt man sie / warum sie denen Königen / Fürsten / und ihren Gewaltigen also heucheln / da sie ein anders im Hertzen hätten? so sprechen sie / wir thun es um CHristi willen / daß wir unter dero gewaltigen Schutz / Christo können stifften grössern Nutz . . . " s l Wie Gottfried Arnold den Kaiser Konstantin 45
S T U B H H , sup. ep. 4° 15, 180; J. Michaelis a n j . H. May, 24. November 1697. Johann Michaelis, Der Babylonische Huren=Christ / Verfuhrt durch seines Vaters List / sucht G O T T / w o Er nicht zu finden ist. Das ist: Teuffelische Verblendung der heutigen Christenheit / nach allen ihren Secten und Ständen / daß sie bey so klarem Licht des Göttlichen Worts die Seligkeit suchen / wie und w o sie nicht zu finden ist. Zu einem Zeugnüs über Sie. Benebenst einem Kurtzen Unterricht / Wie die wahre Kirche zur Babel=Hure worden / und bißher so sehr vom Reich CHristi gefehlet und irrig gelehret worden, (o. O., o . D . ) S. 39. 47 Michaelis, Babylonischer Huren=Christ, S. 39f. 48 Michaelis, Babylonischer Huren=Christ, S. 40. 49 StUB H H , sup. ep. 4° 15, 180; J. Michaelis a n j . H. May, 24. November 1697; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 191 f. 50 Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 191. 51 Johann Michaelis, Schrifftmäßige und Aus eigener Erfahrung erlangter Beweiß und Grund / daß Phariseer / Heuchler und Pietisten CHristo in seinem Weinberge die allerschäd46
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als Heuchler darstelle, so müsse man nach Michaelis auch die Pietisten Heuchler nennen, „weil sie auff einer Seiten wollen CHristo beystehen / auff der andern Seiten aber lassen sie die Babel=Christen / das Thier und seinen falschen Propheten / in guten Frieden stehen / ja was noch ärger / stehen selbst in Babels=Diensten / das Thier ist ihr Schutz=Herr / und sie sind des Thieres falsche Propheten / Frosch=Geister und Kröten." 5 2 Er habe viel mit den Pietisten zu tun gehabt und wisse, wie Michaelis betonte, „wie sich mit gequälet / meinen Apostolischen Warheits=Geist gelästert / ihn einen Prophetischen Stürmer=Geist / Mosis Hörner Geist / u.s.f. genant / und furgewand / CHristi und der Apostel N.Test. Geist hätte eitel Sanfftmuth und Liebe" 53 . Da er den „Pietisten-Schalck" kennengelernt habe, habe er „den Eiver des HErrn" als einen Harnisch angezogen und sei damit „auf den Pietisten Schaffspeltz" losgegangen, wodurch er sich den Haß der Pietisten zugezogen habe 54 Der einzige bekannte radikale Pietist, der aus Schleswig-Holstein stammte und dort auch wirkte, war der gebürtige Flensburger Otto Lorentzen Strandiger 55 . Nach dem Studium in Königsberg wurde er 1677 Adjunkt und später Nachfolger des Pastors Johannes Boysen in Odenbüll auf Nordstrand. Die politischen, sozialen und kirchlichen Verhältnisse, in denen Strandiger als junger Geistlicher arbeiten mußte, waren außerordentlich schwierig. Nach der großen Sturmflut des Jahres 1634 war nur ein Teil der Insel Alt-Nordstrand erhalten geblieben. U m das restliche Land vor den Fluten zu sichern, war es dringend notwendig, neue Deiche zu errichten. Da die überlebenden Nordstrander nicht in der Lage waren, kostspielige Deichbauprojekte zu finanzieren, holte sich der gottorfische Herzog Friedrich III. 1652 finanzkräftige Unternehmer aus den Niederlanden. Diese Niederländer, die der römisch-katholischen Kirche angehörten, wurden als die neuen Besitzer Nordstrands mit weitgehenden Rechten ausgestattet. Die protestantischen Alteinwohner wurden dagegen fast rechtlos, „ihr Verhältnis zu den neuen Herren des Landes kam der Leibeigenschaft nahe" 56 . So war es kein Wunder, daß zwischen den katholischen Herren und den protestantischen Alteinwohnern jahrzehntelang Spannungen bestanden. Zusätzliche Schwierigkeiten ergaben sich dadurch, daß lichsten Füchse seyn / und also vielmehr zu hassen und zu meiden / als die groben Säue und Babel=Christen / und daß der weisse Teuffei viel ärger ist als der schwarze / Allen und Jeden Zur Warnung / denen Heuchlern und Schein=Christen aber Z u m Zeugnis über Sie / mitgetheilet Zur Christlichen Fastnacht / In diesem Jahr und zu der Zeit / Da die , Pietisten heimlich , I_T-O I_ / ^ T^ N < , * Sau=Christen öffentlich > h a l t e n l h r e F r a ß n a c h t ( ° - 0 . , o . D . ) § 4. 52 Johann Michaelis, Die 1347. Meditation, o . O . , o . D . 53 Michaelis, Schrifftmäßige und aus eigener Erfahrung erlangter Beweiß und Grund, § 3. 54 Michaelis, Schrifftmäßige und aus eigener Erfahrung erlangter Beweiß und Grund, § 4. 55 Zu Strandiger vgl. Anm. 46 Kap. I. 56 Fr. Müller und O. Fischer, Das Wasserwesen an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste, 2. Teil. Die Inseln. 3. Folge: Nordstrand (Berlin 1936) S. 27.
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sowohl der Pastor als auch der Küster der lutherischen Gemeinde dem Patronat der katholischen Herren unterstanden. Immer wieder versuchten die katholischen Herren, auf das Leben der lutherischen Gemeinde Einfluß zu nehmen. 1657 erging ein Mandat an den Inspektor von Nordstrand, darauf zu achten, daß der katholische Geistliche seine Schmähungen gegen die evangelische Religion unterlasse 57 . Als Strandiger sein A m t auf Nordstrand antrat, hatte sich die Situation nicht grundlegend geändert. Strandiger war jedoch nicht der Mann, der sich widerspruchslos den Verhältnissen anpaßte. Vielmehr machte er sich in sozialen wie kirchlichen Fragen zum Anwalt seiner armen Gemeinde. Wichtigstes Anliegen in seinem Odenbüller A m t war ihm die Erhaltung der reinen lutherischen Lehre, die er durch die Nähe der Katholiken bedroht sah. Unermüdlich kämpfte er auch gegen die Bevormundung der lutherischen Gemeinde durch die katholischen Herren, die, wie er beklagte, die jura patronatus über die lutherische Kirche „notorie und beweißlich" gebrochen und „vielfältig wieder die Octroi und wieder andere Hochfürstliche Mandata gehandelt" hätten 58 . So waren Auseinandersetzungen zwischen dem selbstbewußten und energischen Odenbüller Geistlichen und den Herren der Insel unvermeidlich. In mehreren Eingaben an den Generalsuperintendenten und die gottorfische Regierung beschwerte Strandiger sich über die katholischen Herren und reichte auch eine Liste von „Religions Gravamina contra R o m a n o s = C a t h o l i c o s " ein. Jedoch fand er weder bei der höchsten Kirchenbehörde noch bei der fürstlichen Regierung die erhoffte Unterstützung. Der Regierung ging es vornehmlich darum, die Ruhe auf der Insel wiederherzustellen, und das konnte nach ihrer Ansicht am besten durch eine Translokation des unbequemen Geistlichen erreicht werden. Eine Gelegenheit dazu sollte sich schließlich bieten. Als Strandiger 1698 einen Schmied, den er wegen mehrerer sittlicher Vergehen v o m Abendmahl ausgeschlossen hatte, auf fürstlichen Befehl wieder zum Abendmahl zulassen sollte, weigerte er sich, dem Befehl Folge zu leisten. Diesen Ungehorsam nahm die Gottorfer Regierung zum Anlaß, ihn von seinem Odenbüller Amt zu suspendieren. Nach mehreren Suppliken Strandigers an den Herzog wurde die Suspension schließlich unter der Bedingung aufgehoben, daß Strandiger 14 T a g e vor Ostern sein Amt in Odenbüll aufgebe und die Translokation in eine andere Gemeinde annehme. Kurz darauf wurde ihm die Vokation nach Sahms im A m t Trittau übersandt. Strandiger lehnte die Versetzung nach Sahms jedoch ab, weil die Annahme dieser Vokation „in einen fern zwischen Lübeck und Hamburg entlegenen geringen dienst" einer Strafversetzung gleichkam. Nach persönlicher Vorsprache bei dem Geheimrat Magnus von Wedderkop wurde ihm zugesagt, bei der nächsten Vakanz in 57 58
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Fritz K o r f f , Nordstrand (Flensburg 1968) S. 252. Zitiert nach J a k u b o w s k i .
einem Ort in der Nähe Husums berufen zu werden. Da er aber bis zu dem Termin, an dem er sein Odenbüller Amt niederlegen sollte, noch keine Vokation in eine andere Gemeinde bekommen hatte, bat er, noch in Odenbüll bleiben zu können. Dieser Bitte wurde aber nicht stattgegeben. Als Strandiger dann trotz dreimaliger Aufforderung sein Odenbüller Pfarrhaus nicht räumte, wurde er am 14. April 1698 zwangsweise aus dem Pastorat entfernt. Nach seiner Vertreibung von Nordstrand kehrte Strandiger in seine Vaterstadt Flensburg zurück, wo er die schlecht dotierte Stelle eines Vesper- und Armenpredigers annahm. In Flensburg sah Strandiger sich wegen seines Bekenntnisses zum Pietismus bald scharfen Angriffen ausgesetzt. Schon 1701 kam es deshalb zu einer Anklage gegen ihn beim Flensburger Konsistorium. Ankläger war der Prediger Hinrich Braker, der einst selbst Anhänger Speners gewesen war, nach seiner Abkehr vom Pietismus aber einer der eifrigsten Bekämpfer desselben in SchleswigHolstein wurde. Da Strandiger sich nach langem Überlegen schriftlich verpflichtete, sich künftig, wie es hieß, aller anstößigen Reden zu enthalten, kam es zu einer gütlichen Einigung zwischen Braker und ihm. Der Friede war aber nicht von langer Dauer. Bereits 1703 folgte eine weitere Denunziation Brakers, der Strandiger vorwarf, pietistische Thesen gepredigt und pietistische Literatur verbreitet zu haben. Diese Denunziation führte zur Suspension Strandigers vom Amt des Vesper- und Armenpredigers. Obwohl Strandiger sich Anfang 1704 nach Kopenhagen aufmachte, um dort durch persönliche Vorsprache bei den königlichen Behörden die Aufhebung der Suspension zu erreichen, gelang ihm dieses nicht. Die Aufhebung der Suspension scheiterte letztlich aber daran, daß er sich nicht noch einmal schriftlich verpflichten wollte, sich künftig aller irrigen Reden zu enthalten und allen pietistischen Neuerungen abzusagen. 1706 brachte sich Strandiger schließlich in unüberbrückbare Gegnerschaft zu seiner Kirche. Nach einem Besuch bei dem Separatisten Gerdt Lange in Hamburg, einem gebürtigen Flensburger, der die Kindertaufe ablehnte und sich von der Kirche losgesagt hatte, stellte auch Strandiger die Schriftmäßigkeit der Kindertaufe in Frage und befürwortete außerdem die Separation vom seiner Ansicht nach verderbten öffentlichen Gottesdienst 59 . Vor allem die geäußerten Zweifel an der Schriftmäßigkeit der Kindertaufe bewirkten, daß jetzt auch die Flensburger Pietisten ihm ihre bisher gewährte Unterstützung in den Auseinandersetzungen mit den orthodoxen Geistlichen aufkündigten. Bevor die Verhandlung gegen ihn vor dem Flensburger Konsistorium beendet war, begab er sich mit Frau und Kind nach Friedrichstadt, wo er sich dann zu den Mennoniten hielt, ohne aber zu 59 Während seines Aufenthaltes in Hamburg lernte Strandiger vermutlich auch den Separatisten Johann Michaelis kennen, den er später mit kleinen Geldbeträgen unterstützte. Siehe Wotschke, Urkunden, S. 456.
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ihnen überzutreten. Nach dem Tode seiner Frau kehrte Strandiger nach Flensburg zurück. Die Geistlichen wollten aber einen Separatisten in der Stadt nicht dulden und erwirkten am 19. Februar 1716 ein königliches Edikt, das Strandiger aus der evangelisch-lutherischen Kirche ausstieß und ihn aus allen dänischen Landen verwies. Er ließ sich daraufhin in der Nähe Hamburgs nieder, w o er am 23. April 1724 starb. Strandigers Weg in den Separatismus wurde von mehreren Faktoren bestimmt. Wichtige Voraussetzung war die von ihm zeitlebens als ungerecht empfundene „Vertreibung" aus der Gemeinde zu Odenbüll auf Nordstrand. Die Erfahrung, daß er in seinen Bemühungen um die Erhaltung der reinen lutherischen Lehre, in seinem K a m p f gegen den Verfall der Sitten in seiner Gemeinde und in seinem Widerstand gegen die Übergriffe der Katholiken weder die Unterstützung der lutherischen Landesobrigkeit noch der lutherischen Kirchenleitung fand, erschütterte sein Vertrauen zum Landesfürsten als summus episcopus und zur offiziellen Kirche. Als er dann auch noch in seinem Flensburger Amt den Denunziationen Hinrich Brakers und den Verfolgungen des Generalsuperintendenten Josua Schwartz ausgesetzt war, die nun erneut zu seiner Suspension führten, war der Weg in den Separatismus vorgezeichnet. Dazu kam, daß ihm durch den Pietismus jene Ideen vermittelt worden waren, durch die fromme Christen sich ermuntert fühlten, in letzter Konsequenz ihrer Kritik an dem Zustand der Kirche die Separation von dieser und die Sammlung der Frommen in eigenen Gemeinden gutzuheißen und zu vollziehen. Z u den bekannteren religiösen Einzelgängern, die sich in SchleswigHolstein aufhielten, gehörte Johann Konrad Dippel, der 1714 nach Altona kam 6 0 . Aus zwei Gründen mochte sich ihm diese Stadt als Aufenthaltsort angeboten haben: Hier konnte er für sich das Privileg der freien Religionsausübung und der Gewissensfreiheit beanspruchen. Außerdem durfte er mit der Protektion des Altonaer Oberpräsidenten Christian Detlev von Reventlow rechnen, einem alten Freund und Gönner, auf dessen Fürsprache hin er 1707 mit dem Titel eines Königlich Dänischen Kanzleirats ausgezeichnet worden war. Möglicherweise kam Dippel, der besonders wegen seiner alchimistischen Kenntnisse geschätzt wurde 6 1 , sogar auf Einladung Reventlows nach Altona. Den Kampf, den Dippel bisher mit spitzer Feder gegen die lutherische Orthodoxie geführt hatte, setzte er auch in Altona fort. Unter dem Namen Cordatus Libertinus griff er mit seiner Schrift „Unparteiische Gedanken" in den Streit zwischen dem orthodoxen königlichen Generalsuperintendenten Theodor Dassow und dessen fürstlichen Kollegen, dem Pietisten Hinrich Muhlius, ein. In dieser Schrift kritisierte er die nach seiner Meinung in Agonie liegende, schleswig6 0 Ü b e r Dippels Aufenthalt in Schleswig-Holstein siehe Walter Rustmeier, „Johann Conrad Dippel in Schleswig-Holstein", S S H K G , II, Bd. 14 (1956) S. 36ff; Bd. 15 (1957) S. 91 ff; B d . 16 (1958) S. 147ff; Bd. 17 (1959/60) S. 69ff; dort auch weitere Literaturhinweise. 6 1 Vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 206; ders., Urkunden, S. 463 A 3.
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holsteinische Orthodoxie aufs schärfste, verteidigte den von Dassow angegriffenen Spener und setzte sich auch für den des Landes verwiesenen Separatisten Otto Lorentzen Strandiger ein. Dassow antwortete 1720 mit einer Gegenschrift, in der er die Unsterblichkeit der Orthodoxie betonte; die Orthodoxie sei nämlich nichts anderes als die ewig gültige Lehre der Heiligen Schrift 6 2 . Inzwischen hatte sich für Dippel eine weitere Gelegenheit geboten, die Praktiken der Orthodoxie aufs Korn zu nehmen. Als 1718 der Rellinger Pastor Georg Christian Fleischer zum Hauptpastor in Altona und Propst der Propstei Pinneberg berufen wurde 6 3 , hielt er es für eine seiner wichtigsten Aufgaben, zunächst gegen den seiner Ansicht nach überhand nehmenden Separatismus in Altona vorzugehen. A m 16. August 1718 ließ er deshalb die ungetauften Kinder des Separatisten Gerhard Grevenberg, eines Glasers, durch die Stadtdiener, den „Kuhlengräber" und zwei Hebammen zwangsweise zur Kirche führen, um sie dort gegen den Willen des Vaters zu taufen 6 4 . Den Vater, der sich schon seit Jahren von der lutherischen Kirche zurückgezogen hatte, ohne sich einer anderen Glaubensgemeinschaft anzuschließen, forderte er auf, Stadt und Land zu meiden, sofern er nicht innerhalb von vier Wochen zur lutherischen Kirche zurückkehren würde. Die Maßnahme des Propsts rief in weiten Kreisen der Stadt helle Empörung hervor, zum einen, weil viele die Zwangsvollstreckung der Taufe nicht gutheißen konnten, zum anderen, weil das Vorgehen Fleischers einen Verstoß gegen die der Stadt gewährten Privilegien darstellte. Schon bald kursierten mehrere kleine Schmähschriften gegen Propst Fleischer in der Stadt. Auch Dippel gab in einer kleinen anonymen Schrift seiner Empörung Ausdruck und richtete gleichzeitig scharfe Angriffe gegen Fleischer und dessen staatliche Gehilfen 6 5 . Selbst Oberpräsident Reventlow, in dessen Abwesenheit der Vorfall geschah, mißbilligte das Vorgehen des Propsts; er bat in einem Schreiben an den König, den Propst „in die Schrancken seines Beruffs zu verweißen, daß Er wieder die Privilegia der Stadt nichts ferner unternehmen, sondern hierin und in dergleichen 6 2 D i e Schrift D a s s o w s erschien 1720 in F l e n s b u r g unter d e m Titel O r t h o d o x i a i m m o r t a l i s . V g l . R u s t m e i e r (1956) S. 3 9 f f ; Feddersen, S. 389. 6 3 V g l . A r e n d s , G e j s t l i g h e d e n , I, S. 251; B o l t e n , I, S. 67 ff und II, S. 1 0 f f . 6 4 R A K : K o b e n h a v n s U n i v e r s i t e t , 31-03-03; v g l . Pedersen, Fra B r y d n i n g e n , II, S. 5 9 f f ; R u s t m e i e r (1957) S. 9 3 f ; B o l t e n , II, S. 10. 6 5 Johann Konrad Dippel, G l ü c k w u n s c h e n d e r Z u r u f f A n die W ü r d i g e u n d a n d ä c h t i g e G e r i c h t s = D i e n e r der Stadt Altona, N a c h d e m dieselbe o h n l ä n g s t in denen passirten e x s e s s i v heissen H u n d s = T a g e n dieses 1718. J a h r e s , V o m j e t z i g e n H r n . P r o b s t e n und dann d e m g e w e s e n e n Vice-Praesidenten e r w ä h n t e r Stadt, H r n . L a n g = R e u t h e r , ordentlich zu M i t = G e hülffen an den heiligen S a c r a m e n t e n sind installiret w o r d e n , U n d D e n E r s t e n T a u f f = A c t u m den 16. A u g u s t i A n z w e y e n den Eltern mit G e w a l t e n t z o g e n e n K i n d e r n e x e c u t i v e verrichten helffen. In voller H o f f n u n g , A u c h bald unter die S a c r a m e n t s = D i e n e r mit a u f f g e n o m m e n zu w e r d e n , A u s g e s c h ü t t e t u n d g e s u n g e n V o n d e m S c h a r f f = Richter e r w e h n t e r Stadt. Titel zitiert nach B o l t e n , II, S. 11 A 3.
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fällen, so die jura Majestatis und das forum Civile mit betreffen, so wol bey meiner Gegenwart als in meinem abwesen mein gutachten erst vernehme, ehe Er zum Wercke schreitet" 6 6 . Auch die Theologische Fakultät der Universität in Kopenhagen kam in ihrem auf Anforderung des Königs erstellten Gutachten zu dem Schluß, daß der Propst Fleischer seine B e f u g nisse überschritten habe und ernstlich zurechtzuweisen sei 67 . Der König folgte diesen Beurteilungen und ordnete am 8. Oktober 1718 an, daß Reventlow den Propst vor sich fordern, ihm sein unrechtes Vorgehen deutlich machen und ihn ermahnen solle, künftig von solchen Maßnahmen abzusehen 6 8 . Reventlow müsse aber auch darauf achten, daß die fremden Religionsgemeinschaften nicht versuchten, Lutheraner zum Übertritt in ihre Gemeinschaften zu bewegen; Leute, die von der lutherischen Kirche „zu der irrigen Lehre" abfielen, sollten in Altona nicht geduldet werden. Außerdem solle Reventlow dafür Sorge tragen, daß die Schmähschriften gegen Fleischer durch den Scharfrichter öffentlich verbrannt würden. Obwohl Fleischer, der mit dem Ausgang der Sache nicht zufrieden war, in einem Schreiben an den König um eine nähere Abgrenzung der den Altonaer Einwohnern gewährten Freiheiten bat, blieb es bei den geltenden Bestimmungen 6 9 . Dippels Angriffe gegen die lutherische Orthodoxie in Schleswig-Holstein lösten keine kirchlichen und staatlichen Maßnahmen gegen ihn aus. Dagegen sollte seine Kritik am öffentlichen Rechtswesen in Altona und Pinneberg schlimme Folgen für ihn haben 7 0 . Anfangs hatte Dippel nur die rechtlichen Angelegenheiten von zwei Hamburger Bürgern vertreten wollen; sein Exkurs auf das Gebiet der Rechtspflege geriet aber immer mehr zu einer allgemeinen Kritik des öffentlichen Rechtswesens. Besonders verhängnisvoll wurde es für Dippel, daß er auch gegen seinen Gönner Reventlow und vor allem gegen dessen Frau schwere Beschuldigungen richtete. U m den drohenden staatlichen Maßnahmen zu entgehen, begab Dippel sich von Altona nach Hamburg. Jedoch lieferte der Hamburger Magistrat ihn auf Ersuchen der dänischen Behörden aus, so daß Dippel im September 1719 der v o m König festgesetzten Strafe zugeführt werden konnte. Der Titel des Kanzleirats wurde ihm abgenommen, seine gegen den Grafen und die Gräfin Reventlow gerichteten Schriften wurden öffentlich durch den Scharfrichter verbrannt und er selbst „geschloßen und 6 6 R A K , K0benhavns Universitet, 31-03-03; Reventlow an den dänischen König, Altona 9. September 1718. 6 7 R A K , K0benhavns Universitet, 31-03-03; Gutachten v o m 6. Oktober 1718; vgl. Pedersen, Fra Brydningen, II, S. 60. 6 8 R A K , T . K . I . A . , B 12; vgl. Pedersen, Fra Brydningen, II, S. 60. 6 9 R A K , Kobenhavns Universitet, 31-03-03; Erklärung der theologischen Fakultät v o m 7. März 1719; R A K , T . K . I . A . , B 12; der dän. König an Reventlow, Kopenhagen, 20. Mai 1719 und 27. April 1720; der dän. K ö n i g an die Regierungskanzlei zu Glückstadt, Kopenhagen, 30. Dezember 1719. Vgl. Pedersen, Fra Brydningen, II, S. 60ff. 7 0 Siehe Rustmeier (1957) S. 95 ff.
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wohlverwahrlich" über Kopenhagen auf die Insel Bornholm gebracht, u m dort eine lebenslängliche Gefängnisstrafe anzutreten 71 . A u f Fürsprache einflußreicher Personen wurde Dippel aber nach siebenjähriger Haft wieder freigelassen. Nach einem längeren Aufenthalt in Schweden kehrte er über Kopenhagen nach Deutschland zurück. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in Berleburg im Wittgensteiner Land, wo er am 25. April 1734 starb. In Altona hielten sich nach 1700 auch andere mehr oder weniger bekannte Separatisten auf, deren Aufenthalt dort jedoch oft nur von kurzer Dauer war. Zu diesen radikalen Pietisten gehörten z . B . der Nürnberger Perückenmacher Johann Tennhardt, der Schuhmacher Johann Maximilian Daut, die beiden abgesetzten Geistlichen Christian Anton Römeling aus Harburg und Victor Christoph Tuchtfeld aus Dössel bei Halle, der Fischer Bartelt Jürgen Petersen aus Moisburg im Lüneburgischen und der Sporergeselle Johann Georg Rosenbach aus Heilbronn 7 2 . Im Jahre 1708 kam auch die in ganz Deutschland verfolgte Eva Margaretha von Buttlar mit ihren letzten Anhängern nach Altona, w o sie aber auf die Ausbreitung ihrer skandalösen Lehre verzichtete und bald Anschluß an die gutbürgerlichen Kreise der Stadt fand 7 3 . Im Jahre 1714 hielt sich der „Fanatiker" Hans Christoph Lüdemann, ein gelernter Schuster aus Harburg, in den Amtern Trittau und Tremsbüttel auf. Lüdemann gab in den Jahren 1713 und 1714 einige Schriften heraus, in denen er den öffentlichen Gottesdienst und die Kindertaufe verwarf und auch mystische und quietistische Gedanken äußerte 74 . Besonders seine 1713 erschienene Schrift „Hell erschallende Donner-Posaune v o m Untergange der babylonischen Monarchie aus dem Geiste der Weissagung" fand in dem von Krieg und Pest geplagten Holstein interessierte Leser. Lüdemann führte in dieser Schrift aus, daß das Jahr 1713 der Anfang der N o t sei, 1717 aber die Macht Babels zerstört und 1718 Zion schließlich in Frieden leben werde 7 5 . Vor allem in Sahms im A m t Trittau, später auch in Bargteheide im A m t Tremsbüttel, konnte er einige Anhänger gewinnen, so daß in den Gemeinden „Ärgernis und Verwirrung" entstanden und die Pastoren sich gezwungen sahen, dieses dem Generalsuperintendenten Theodor Dassow zu melden 7 6 . Der Pastor in Sahms, Johann Joachim Laurentius, wandte sich am 23. Februar 1714 an den Generalsuperintendenten, damit dieser Maßnahmen gegen Lüdemann einleite, der, wie er schrieb, „unter allen VerächRustmeiter (1957) S. 111. Bolten, II, S. 55f, 94ff; Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 217 A 48. 7 3 Bolten, II, S. 51 ff; Wotschke, Urkunden, S. 464; S H B L , I, S. 97 f. 7 4 Vgl. J . G . Walch, Historische und Theologische Einleitung in die Religions=Streitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirchen, II, S. 845 f und V, S. 1057 f. 7 5 Vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 205; ders., Urkunden, S. 465. 7 6 R A K , T . K . I . A . , B 12; deutsche Kanzlei an die Amtmänner von Perckentin und von Wedderkop, 28. März 1716. 71 72
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tern des Christenthums der Verfluchteste kann genennet werden, zumahlen Er nicht allein die 3 Haupt Religionen verwirft und schmähet, sondern sich auch zu keinen andern Seckten bekennen will" 7 7 . Wegen seiner irrigen Ansichten und Schandschriften sei Lüdemann auch schon aus der Stadt Harburg, den Orten Geesthacht und Nüsse und dem ganzen lübeckischen Territorium verwiesen worden. Auch im Herzogtum Lauenburg sei eine fürstliche Ordre ausgestellt worden, nach der Lüdemann, wenn man seiner habhaft würde, sofort festzunehmen sei. Anfang 1714 reichte der hannoversche Legationsrat von Püchler beim dänischen König ein Gesuch ein, den sich in Sahms aufhaltenden Lüdemann festnehmen zu lassen und an die hannoversche Obrigkeit in Harburg auszuliefern 78 . Begründet wurde der Auslieferungsantrag damit, daß Lüdemann den Harburger Generalsuperintendenten Heinrich Ludolph Benthem in mehreren Schriften aufs schärfste angegriffen habe 79 . Eine dieser Schriften war die 1713 erschienene „Widerlegung der fünf Hirten-Briefe" 80 . Am 24. April 1714 erging darauf von der Deutschen Kanzlei in Kopenhagen der Befehl an den Amtmann Claus Hartwig von Perckentin in Trittau, Lüdemann sofort zu arretieren, falls er sich noch in Sahms aufhalten sollte, und ihn nach Harburg auszuliefern 81 . Ein gleichlautender Befehl wurde am 13. November 1714 auch dem Oberpräsidenten in Altona zugesandt 82 . Den Ort Sahms hatte Lüdemann zu dieser Zeit schon wieder verlassen. Jedoch hielt er sich nach wie vor in der dortigen Gegend auf, so daß am 28. März 1716 ein königliches Schreiben an die Amtmänner zu Trittau und Tremsbüttel, Claus Hartwig von Perckentin und Gottfried Wedderkop, gesandt wurde, in dem sie aufgefordert wurden, nach Lüdemann und seinem Begleiter namens Zeuner zu forschen 83 . Erneut wurde befohlen, Lüdemann gefangenzunehmen und nach Harburg auszuliefern; Zeuner aber solle auf ewig des Landes verwiesen, und sofern er es wieder betreten sollte, für vogelfrei erklärt werden. Die beiden „Fanatiker" scheinen aber das Land
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L A S , Abt. 19, Nr. 703. R A K , T . K . I . A . , B 12; Deutsche Kanzlei an den A m t m a n n von Perckentin, 24. April
1714. 7 9 Zu Benthem siehe Rudolf Steinmetz, „Die Generalsuperintendenten von Harburg", Zeitschrift d. Gesellschaft f. niedersächsische Kirchengeschichte 36 (1931) S. 1 9 0 f f . 8 0 Der vollständige Titel dieser Schrift: Widerlegung der fünf Hirten-Briefe, in welchen der Herr General=Superintendens zu Harrburg, Herr Ludolph Benthem ohnlängst in seiner gedruckten Schrift die verirreten Schaafe (seiner Einbildung nach) in Harrburg wieder zu seiner Heerde rufet: er ziehet in selbigen Briefen einen Schaaf-Peltz an, und hat das Ansehen gleich der Sonnen; welcher aber unter dem Bilde der Historie des grossen Goliaths und kleinen Davids mit den fünf glatten Steinen aus dem klaren Bache des göttlichen Wortes nicht allein glücklich erleget, sondern auch sein Schaaf-Peltz ausgezogen und seine rechte Gestalt gezeiget wird. 8 1 R A K , T . K . I . A . , B 12. 8 2 Ebenda. 8 3 Ebenda.
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verlassen zu haben, bevor staatliche Maßnahmen gegen sie ergriffen werden konnten. In Friedrichstadt finden wir Ende des 17. Jahrhunderts den Separatisten Jürgen (Georg) Müller, einen Tobakspinner, der in Hamburg mit dem geistlichen Ministerium in Streit geriet. Erster Anlaß des Streites waren die öffentlichen Konventikel, die Müller nach eigener Aussage vom Jahr 1686 seit sieben Jahren hielt 84 . Außerdem hatte Müller etwa 50 Exemplare von Friedrich Brecklings Schrift „Aeternum Evangelium" unter die Leute gebracht; teils hatte er sie verkauft, teils aber auch verschenkt 85 . Der Fall Jürgen Müller erledigte sich für das geistliche Ministerium zunächst dadurch, daß Müller die öffentlichen Konventikel einstellte. Einige Jahre später griff Müller zugunsten des Hamburger Geistlichen Johann Hinrich Horb in dessen Auseinandersetzungen mit der orthodoxen Geistlichkeit ein 86 . Nach der Ausweisung Horbs gab Müller am 8. Februar 1694 eine Schrift heraus, in der er „seiner Empörung über das unchristliche Treiben des Ministeriums Luft" machte 87 . Auf Anklage der Geistlichkeit wurde er daraufhin vier Tage später inhaftiert und später sogar der Stadt verwiesen. Anfang des Jahres 1698 hielt er sich in Ottensen auf. „Georg Müller, der zu Ottensen über Altona auf einem Dorfe, so auch holsteinisch, haben wir gleichfalls im Exil gesprochen. Er steht in gutem Zustande", berichtete Georg Heinrich Brückner am 26. März 1698 an A. H. Francke 88 . Im Jahre 1700 war Müller in Friedrichstadt. Als Daniel Falkner 1700 von Catharina Elisabeth Schütz, der Witwe vonJacob van der Walle, eine Schenkung über 4.000 acres in Pennsylvanien erhielt, wurde in der Schenkungsurkunde u. a. festgelegt, daß Georg Müller aus Friedrichstadt Teilhaber der Schenkung sein solle, falls er gewillt sei, mit seiner Familie nach Pennsylvanien auszuwandern 89 . Wie wir aus einem Brief Heinrich Bernhard Costers an Friedrich Breckling erfahren, wanderte Müller noch 1700 „mit fast 200 Familien aus Friedrichstadt und Holstein" nach Pennsylvanien aus 90 . Zu jenen radikalen Pietisten, die in Schleswig-Holstein ein kurzes Gastspiel gaben, gehörte der 1651 in Dresden geborene Samuel Zinck. „Er hat lang studiret / und viel gelesen / aber wie es leuten gehet / die confus im köpf sind I . . . I nutzen ihm seine studia wenig / wo sie ihm nicht gar schaden", urteilte Spener über ihn 91 . Zinck hat sich gegen die Kindertaufe geäußert, die Wiederbringung aller Dinge gelehrt und außerdem den 84
Rückleben, S. 84. Ebenda. 86 Arnold, K u K h , IV, S. 776. 87 Rückleben, S. 215 A 362. 88 Wotschke, „ D e r Pietismus in T h ü r i n g e n " , Thüringisch-Sächs. Zeitschrift f. Geschichte u. Kunst, Bd. 18 (1929) S. 8. 89 Sachse, S. 307. 90 Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 215 A 46. 91 Aland, Spener-Studien, S. 188: Spener, L T h B , III, S. 410. 85
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L i e b e s k o m m u n i s m u s , die Gemeinschaft aller Güter, propagiert, weil sie die Freiheit bedeute, nach der sich alle Menschen sehnten 9 2 . In der H o f f nung, in ein wohlhabendes und von Gewissenszwängen freies Land zu k o m m e n , wanderte er kurz v o r 1700 nach Pennsylvanien aus, kehrte aber nach einem zweijährigen Aufenthalt wieder zurück 9 3 . 1703 bemühte er sich, die Z u l a s s u n g zu einer Pfarrstelle in B r a n d e n b u r g zu b e k o m m e n . Spener, der aus diesem G r u n d e u m ein Gutachten über ihn gebeten wurde, hielt ihn aber für ungeeignet, ein Predigtamt auszuüben 9 4 . S o blieb ihm ein solches verwehrt. Zinck setzte sein Dasein als „Evangelischer P i l g r i m " fort, der „stets geschuhet" war, „den Stab in Händen/ und das Bündlein a u f f d e m R ü c k e n " hatte 9 5 . Er fühlte sich in dieser Welt als ein „ G a s t und F r e m b d ling", der keine „bleibende S t a d t " hat 9 6 . Dementsprechend war er auch stets auf Wanderschaft. Im S o m m e r 1710 k a m er nach Friedrichstadt, w o er bei Andreas J a k o b Henneberg in der Princeß = Straße wohnte, zwischenzeitlich auch bei d e m Schuhmacher Jeremias Brüderlein a m Mittelburgwall Q u a r tier n a h m 9 7 . An die N o r d s e e k ü s t e war Zinck g e k o m m e n , weil er den Plan verfolgte, Deutschland erneut zu verlassen. Ziel seiner Reise sollte dieses M a l Westindien sein, eventuell aber auch wieder A m e r i k a 9 8 . Anscheinend ließ er seinen Plan aber fallen. Seit M ä r z 1711 betätigte er sich nämlich in Friedrichstadt als Lehrer armer K i n d e r 9 9 . V o n dort aus korrespondierte er mit Heinrich Julius Elers, d e m Leiter der Buchdruckerei des halleschen
Wotschke, Urkunden, S. 457; Walch, II, S. 844. Aland, Spener-Studien, S. 188; Spener, L T h B , III, S. 410. Vielleicht spielt die 1701 erschienene Schrift von Johann Michaelis auf Samuel Zinck an: Wahrhafftiger Bericht Des In derer Schwärmer und gute T a g e Wehler Hertzen Fest=stehenden gelobten Landes P E N N S Y L V A N I E N in A M E R I C A , Ein Land / darinnen Zucker und Holtz wachset; abgefasset von Z w e y e n gelahrten Männern / als treuen und wahrhafftigen Zeugen / Deren Der erste / von obgedachter Einbildung / der andere / von Gewissens-Bedrängung / hinein gejaget worden / Jener / sich betrogen gesehen / bald wieder nach Teutschland k o m m e n ; Dieser / nachdem er 2. Jahr drinnen gewesen / und sein Gewissen unruhig blieben wieder heraus eilen müssen. Allen denen mit gleicher phantastischen Schwärmer=Einbildung besessenen Geistern zur Warnung mitgetheilet Im Jahr / da Babels Gefängnis in Pensylvanien noch hefftiger als in Deutschland war / Wie aus diesem Bericht kund und offenbar, (o. O . 1701). 92
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9 4 Gutachten v o m 29. Juli 1703, abgedruckt bei Aland, Spener-Studien, S. 187f; vgl. Spener, L T h B , III, S. 410. 9 5 Samuel Zinck, N a c h Schuldiger Liebes=Pflicht / Freundlicher Abschied / D e m Deutschl a n d ( o . O . 1710). 9 6 Ebenda. 9 7 Staatsbibl. Preuß. Kulturbesitz, Nachl. Francke, Kaps. 23; S. Zinck a n j . Elers, Friedrichstadt, 4. A u g u s t 1710, 20. April 1711 und 29. Juni 1711; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 217. 9 8 Zinck, Freundlicher Abschied; Staatsbibl. Preuß. Kulturbesitz, Nachl. Francke, Kaps. 23; S. Zinck a n j . Elers, Friedrichstadt, 4. August 1710; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 215f. 9 9 Staatsbibl. Preuß. Kulturbesitz, Nachl. Francke, Kaps. 23; S. Zinck a n j . Elers, Friedrichstadt, 20. April 1711 und 29. Juni 1711; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 218.
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Waisenhauses, „der ihm seit den T a g e n ihrer gemeinsamen E r w e c k u n g Z u n e i g u n g bewahrt hatte" und ihn i m m e r wieder mit Geldbeträgen unterstützte 1 0 0 . Wie lange er in Friedrichstadt blieb, wissen wir nicht. 1716 hielt er sich schließlich in D e s s a u auf und 1717 bei Groß-Schönebeck in der N ä h e des Werbellinsees 1 0 1 . Vielleicht hat sich sein Wunsch, an diesem O r t „schlaffen zu gehen", erfüllt 1 0 2 . N a c h 1700 tauchten auch die Gebrüder G e o r g und Andreas J a k o b Henneberg in Friedrichstadt auf. Sie stammten aus Alfeld bei Hildesheim und waren die Söhne des Quartiermeisters J o h a n n H e n n e b e r g 1 0 3 . G e o r g Henneberg w u r d e nach d e m S t u d i u m der T h e o l o g i e Hauslehrer in H a n n o ver; dort schloß er sich d e m Kreis u m Ernst Christoph H o c h m a n n von Hochenau an. Im J a n u a r 1703 w u r d e er z u s a m m e n mit H o c h m a n n und J o h a n n Carl Philipp aus Stadt und Land Hannover ausgewiesen 1 0 4 . N o c h i m selben J a h r k a m Henneberg nach B r e m e n , w o er bei d e m reformierten Apotheker T i s s o t als Hauslehrer angestellt w u r d e 1 0 5 . D o c h auch in B r e m e n wurden die kirchlichen und städtischen Behörden bald auf Henneberg a u f m e r k s a m . U r s a c h e dafür waren die Konventikel, die er i m H a u s e des Apothekers T i s s o t hielt. In der Verhandlung vor dem Rat der Stadt stritt Henneberg ab, Konventikel zu halten; er gab lediglich zu, i m H a u s e Tissots im kleinen Kreis über religiöse T h e m e n zu sprechen. Diese Unterhaltungen fänden aber eher zufällig bei Besuchen von Freunden statt. Es lag natürlich in Hennebergs Interesse, die Konventikel so herunterzuspielen. D e r Verdacht gegen ihn w u r d e dadurch j e d o c h nicht ausgeräumt. Schon bald bot sich den B r e m e r Behörden ein anderer Anlaß, gegen G e o r g 1 0 0 Wotschke, Urkunden, S. 457; siehe die Briefe von Zinck an Elers in der Staatsbibl. Preuß. Kulturbesitz, Nachl. Francke, Kaps. 23. Interessant ist, daß Zinck in einem Brief an Elers relativ ausfuhrlich über eine Schrift von Johann Michaelis berichtet, und zwar über die Schrift „Aaron Mit seinem K a l b e s = G o t t / bringt Israel in Schand und Spott / j a in den gerechten Z o r n bey G O T T ! Besage des X X X I I Capitels des II. Buchs Mosis Denen Israeliten Neuen Testaments und ihren Kalbes=Priestern zu seiner Erinnerung furgestellet / U n d Die Paraphrasis des C X . Psalms zugleich mitgetheilet / Aus der K o r n = und K e r n = B i b e l des Geistes der Wahrheit v o m Könige der Wahrheit Durch Einen seiner geringsten Concepisten. Gedruckt im Jahr / da Babels Fall sehr nahe w a r . " Siehe Zincks Brief v o m 4. August 1710. 1 0 1 Staatsbibl. Preuß. Kulturbesitz, Nachl. Francke, Kaps. 23; Briefe von Zinck an Elers von Michaelis 1716 und v o m 7. Januar 1717. 1 0 2 Staatsbibl. Preuß. Kulturbesitz, Nachl. Francke, Kaps. 23; S. Zinck an J . Elers, 7.Janaur 1717. 103 H. F. Petersen, A. J . Henneberg, S. 89; nach Gottfried Mai, Die niederdeutsche R e f o r m b e w e g u n g . U r s p r ü n g e und Verlauf des Pietismus in Bremen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts = Hospitium Ecclesiae. Forschungen zur Bremischen Kirchengeschichte, Bd. 12 (1979) S. 197 stammte Georg Henneberg aus Osterode am Harz. 1 0 4 Heinz Renkewitz, Hochmann von Hochenau. Quellenstudien zur Geschichte des Pietismus = A G P 5 (Witten 1969) S. 180; dort wird statt Georg Henneberg fälschlicherweise ein Georg Heimberg genannt. Vgl. auch L A S , Abt. 18, Nr. 72; Allerunterthänigste Relation angehend Andreas J a c o b Henneberg und seine Lehre, abseiten A. J . Hollander. 1 0 5 Ü b e r Georg Hennebergs Aufenthalt in Bremen siehe Mai, S. 197 ff.
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Henneberg vorzugehen: Henneberg, der inzwischen das Bremer Bürgerrecht besaß, hatte in den Konventikeln die Tochter des 1704 verstorbenen Pastors an der Kirche Unser Lieben Frauen, Hermann Gerbade, kennengelernt und sich mit ihr verlobt. Als er im August 1705 die kirchliche Trauung beantragte, wurde ihm diese v o m Ministerium jedoch verweigert. Er reichte daraufhin beim Rat eine Beschwerde ein. Eine aus Mitgliedern des Ministeriums und des Rats gebildete Untersuchungskommission sollte den Fall klären. Trotz monatelanger Verhandlungen konnte Georg Henneberg die Einwilligung zur kirchlichen Trauung nicht erwirken; das lag wohl nicht zuletzt daran, daß er zweimal das geforderte Gutachten, Anhänger der reinen lutherischen Lehre zu sein, nicht beibringen konnte oder wollte. Schließlich entschloß er sich, mit seiner Braut aus Bremen zu fliehen. Er ging nach Friedrichstadt, wo er ohne Schwierigkeiten die kirchliche Trauung erlangte 1 0 6 . In Friedrichstadt führte Georg Henneberg dann ungefähr fünf Jahre lang im Auftrag des pietistischen Pastors Johannes Steinhammer die lutherische Schule und predigte auch „mehr als 100 mal" in der lutherischen Kirche 1 0 7 . Seine kirchlichen Aufgaben hielten ihn nicht davon ab, auch an diesem Ort private Konventikel einzurichten; jedoch erregten sie hier, wo es allerlei Sekten und Schwärmer gab, kein besonderes Aufsehen 1 0 8 . Wie lange er in Friedrichstadt wohnen blieb, ist ungewiß. 1713 versuchte er jedenfalls, nach Bremen zurückzukehren und dort sein ehemals erworbenes Bürgerrecht wieder in Anspruch zu nehmen. Der Rat der Stadt lehnte aber ab 1 0 9 . Georg Hennebergs Bruder Andreas Jakob kam einige Jahre später nach Friedrichstadt 1 1 0 . Er war gelernter Schneider, hatte aber in Holzhausen im Fürstentum Waldeck und in Wernigerode den Beruf eines Lehrers ausgeübt 1 1 1 . In Holzhausen soll sich Andreas Jakob Henneberg des Fanatismus verdächtig gemacht haben 1 1 2 . O b er aus diesem Grunde seinen dortigen Dienst quittieren mußte, ist nicht sicher. Von Wernigerode folgte er etwa 1707 seinem Bruder Georg nach Friedrichstadt 113 , wo beide Brüder schon bald gemeinsam mit dem berüchtigten Schwärmer Alberti erbauliche Versammlungen hielten 114 . U m 1713 holte der pietistische Hauptpastor Vgl. Kirchenprotokoll der ev.-luth. Gemeinde in Friedrichstadt, S. 145. L A S , Abt. 18, N r . 72; Hollanders Bericht, den Streit mit Krafft betr., Lit. D ; vgl. Wotschke, Pietistisches aus Ostfriesland (1935) S. 217 A 48. 1 0 8 L A S , Abt. 18, N r . 72; Allerunterthänigste Relation angehend A. J . Henneberg. 1 0 9 Mai, S. 203. 1 1 0 L A S , Abt. 18, N r . 72; Bericht Hollanders, den Streit mit Krafft betr., Lit. D . 1 1 1 L A S , Abt. 18, N r . 72; Bericht Hollanders, den Streit mit Krafft betr., Lit. C und D , sowie Allerunterthänigste Relation angehend A. J . Henneberg. Vgl. H. F. Petersen, A. J . Henneberg, S. 89f. 1 1 2 Ebenda. 1 1 3 Hennebergs Tochter Christina Elisabeth wurde 1708 in Friedrichstadt geboren, siehe H. F. Petersen, A. J . Henneberg, S. 90. 1 1 4 L A S , Abt. 18, N r . 72; Allerunterthänigste Relation angehend A. J . Henneberg; vgl. H. F. Petersen, A. J . Henneberg, S. 93. 106
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Johann Melchior Krafft mit Billigung des Bürgermeisters Ipsen Andreas Jakob Henneberg als Armenschulmeister und Küster der Klosterkirche nach Husum. Obwohl Henneberg auch in Husum bald irriger Lehre verdächtigt wurde, kam es zunächst zu keiner öffentlichen Anklage gegen ihn. Erst der 1715 berufene, streng orthodoxe Archidiakon Adolph Josias Hollander zeigte Henneberg am 18. März 1720 bei den vorgesetzten Behörden an 115 . Henneberg wurde daraufhin vor das Oberkonsistorium zitiert und verhört. Da er sich aber „gantz nach der Herren Willen" erklärte, wurde er mit der Ermahnung entlassen, sich künftig zu hüten, „daß er weder mit Worten noch wercken zum verdacht gelegenheit gäbe" 116 . Hollander fand sich mit diesem Ausgang der Sache jedoch nicht ab. Er recherchierte nach weiteren Klagepunkten gegen Henneberg und richtete schließlich ein Jahr später eine „Specifikation dessen, was angehend den berüchtigten Andr. Jac. Henneberg vernommen, und hiermit zu entlastung meines gewißens will denunciret haben" 1 1 7 ein. Eine weitere Untersuchung fand jedoch nicht statt, da Henneberg Husum „mit Sack und Pack" verlassen hatte, wahrscheinlich um sich der Anklage zu entziehen; es hieß auch, daß er nicht wiederkommen würde 1 1 8 . Als er aber doch bald darauf nach Husum zurückkehrte und dort auch seine alten Funktionen als Armenschulmeister und Küster wieder übernahm, sah sich Hollander genötigt, die gegen Henneberg gesammelten Klagepunkte am 24. Juli 1721 erneut zu melden. Er bat den Generalsuperintendenten auch zu prüfen, ob „ein solcher Mensch" als Schulmeister und Küster in der Kirche geduldet werden könne 1 1 9 . Hollander beschuldigte Henneberg u. a. folgender Vergehen 120 : In Anlehnung an Jakob Böhme und den Friedrichstädter Pastor Johannes Steinhammer habe Henneberg die Androgynitätslehre vertreten, nach der Adam aus sich selbst das menschliche Geschlecht hätte fortpflanzen können. Nach Hennebergs Ansicht sei Jesus nicht so groß gewesen wie Gott; denn Jesus selbst sage: Der Vater ist größer als ich (Johs. 14,28). Ferner behaupte er: Allein auf Christi Verdienst könne man nicht selig sterben, man müsse auch durch heilige Werke selig werden. Das Symbolum Athanasii sei nicht schriftmäßig; auch halte er die Kindertaufe nicht für notwendig. Im Abendmahl sei Christus den Bußfertigen mit seinem Leib und Blut allein zugegen, die Unbußfertigen aber würden nur Brot essen und Wein trinken. Erleuchtet und bekehrt werden könne man 115 LAS, Abt. 18, Nr. 72; Bericht Hollanders, den Streit mit Krafft betr., Lit. C; vgl. Stadtarchiv Husum, 1708. 116 LAS, Abt. 18, Nr. 72; Bericht Hollanders, den Streit mit Krafft betr. 117 LAS, Abt. 18, Nr. 72. 118 LAS, Abt. 18, Nr. 72; Brief Hollanders an den Generalsuperintendenten vom 24. Juli 1721. 119 Ebenda. 120 LAS, Abt. 18, Nr. 72; Specifikation dessen, was angehend den berüchtigten Andr. Jac. Henneberg vernommen.
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auch ohne Gottes Wort durch Offenbarungen. Für gute Christen sei es nicht unbedingt nötig, zur Kirche zu gehen. Luthers Übersetzung der Bibel sei nicht recht nach dem Sinn des Geistes, es gäbe jetzt andere Übersetzungen, die dem Sinn des Geistes weit näher kämen. Den Kindern in der Schule bringe Henneberg den kleinen Katechismus Luthers nicht bei. Maximilian Daut, den Verfasser der „Donner-Posaune", vergleiche er mit dem Propheten Jesaja. Die Quäker zähle er zu den besten religiösen Gruppen, auch Davidjoriten verteidige er. Die Universitäten aber seien vom Teufel, aus ihnen kämen nur lauter teuflische Wesen. Alle Prediger, so weit er sie in hiesiger Gegend kenne, seien nicht redlich, ausgenommen Johann Melchior Krafft in Husum, Johannes Steinhammer in Friedrichstadt und Franz Krohn in St. Annen. Verdächtig mache sich Henneberg außerdem durch das Däumeln und das Ziehen von Losen. In der Neustadt Husums hätte er auch Konventikel gehalten. Er pflege außerdem Umgang mit verschiedenen „Fanatici". U m die Jahreswende 1716/1717 hätte er sogar für zwei Nächte die Inspirierten von Schwarzenau in der Grafschaft Sayn-Wittgenstein beherbergt. Z u m letzten Vorwurf ist folgendes zu sagen: Inspirierte aus Schwarzenau waren Ende 1716 tatsächlich nach Friedrichstadt gekommen; von dort besuchten sie für einige Tage Husum, bevor sie über Schleswig und Eutin nach Lübeck weiterzogen 121 . Zwei dieser Inspirierten sind uns auch namentlich bekannt, es waren Friedrich Balthasar Fritz, gebürtig aus Wetzlar, und Johann Carl Gleim, der 1726 nach Pennsylvanien auswanderte 122 . Gleim behauptete, göttliche Einsprechungen zu haben; seine düsteren Prophezeiungen erregten in dem von Not und Elend ohnehin schon geplagten Schleswig-Holstein großes Aufsehen. Die Türken würden, wie er vorhersagte, im Sommer 1717 die kaiserliche Armee bei Belgrad vernichtend schlagen; der König Karl XII. von Schweden würde bis Michaelis 1717 ganz Norwegen erobern, von dort nach Seeland gehen, über Fünen, Jütland, Schleswig und Holstein bis nach Hamburg vorstoßen und dabei das ganze Land von Kopenhagen bis Hamburg „öde und wüst machen" 1 2 3 . Während ihres Aufenthalts in Schleswig sollen die Inspirierten den D o m als Hurentempel und den Pastor als Hurenwirt bezeichnet haben 124 . Johann Melchior Krafft, der in Husum mit den Inspirierten Gleim und Fritz zusammentraf, versuchte die beiden von der Unredlichkeit und Gottlosigkeit ihres Tuns zu überzeugen; außerdem sah er sich genötigt, die 121
Z u m folgenden siehe Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 271 ff; über die Inspirierten in Schwarzenau siehe Victor Pless, Die Separatisten und Inspirierten im Wittgensteiner Land und Zinzendorfs Tätigkeit unter ihnen im Jahre 1730, Diss. theol. (Münster 1921) bes. S. 60f und 69 f. 122 Seidensticker, S. 178; vgl. Pless, S. 66. 123 Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 272. 124 LAS, Abt. 18, Nr. 72; Speciiikation dessen, was angehend den berüchtigten Andr. Jac. Henneberg vernommen.
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P r o p h e z e i u n g e n d e m herzoglichen Generalsuperintendenten Hinrich M u h lius, d e m Kieler Theologieprofessor Albert z u m Felde, d e m Stader G e n e ralsuperintendenten J o h a n n D i e c k m a n n u n d d e m dänischen Staatsminister J o h a n n G e o r g v o n Holstein mitzuteilen 1 2 5 . A n Holstein schrieb K r a f f t u. a.: „Ich hatte nemlich d e m Vermeintlich inspirierten hart w i d e r s p r o c h e n , u n d ihr wesen nach gottes w o r t als falsch u n d verfuhrisch gehalten; unter andern a n f ü h r e n d , daß da sie in denen paroxismis so entsetzliche Z e r z e r r u n g e n u n d gewalthige a u s d e h n u n g e n derer glieder ausstehen m ü ß e n , da der k o p f f auf die Seite wie u m g e d r e h e t , die äugen j ä m m e r l i c h verkehret, die Z u n g e dick aufgeschwollen, die brüst wie zerbro(chen) durch eine sehr außerordentliche u n d den leib wie zerbrechen wollende K r a f f t beweget, u n d der gantze M e n s c h in die h ö h e von der E r d e n s c h w e b e n d gehoben w ü r d e , solches v o m heyligen geist der P r o p h e z e y u n g nicht sein könte, weil dergleichen v o n keinem P r o p h e t e n u n d M a n n e gottes nirgends in der Schrifft gelesen w ü r d e , w o b e y gott, der seine knechte auch nach allen g l i e d m a ß e n des leibes liebt, n i m m e r so hanthieret; item daß, u m b ü ß e zu predigen, w i r gar keiner außerordentlichen o f f e n b a h r u n g v o n n ö t h e n hätten, weil dazu die heylige Schrifft v o l l k o m m e n genug wäre, u n d nichts m e h r k ö n t e gesaget w e r d e n , als was gott in seinem W o r t zu solchem zweck g e o f f e n b a h r t hätte, i t e m daß o h n e lästerung v o n Ihnen nicht k ö n t e gesaget w e r d e n , wie ihro E i n - u n d Aussprachen d e m geschriebenen w o r t gottes m ü s t e n gantz gleich geachtet w e r d e n , da Petrus dis letztere auch so gern der u n m i t t e l b a r e n S t i m m e gottes v o m h i m m e l in ansehung unser vorziehe (ßeßcuötEQOv xöv Xöyo\ 2Pet 1,19) so bekannt ist, item wie auf diese weise der A t h e i s m u s aufs gewaltigste w ü r d e fortgepflantzet u n d die göttlichkeit der heiligen Schrifft zernichtet, als sollten auch solche aussagungen z u m kayser u n d Rege Sueciae kentzeichen seyn, daß alles w a h r w ü r d e w e r d e n , was sie sagten" 1 2 6 . Die Inspirierten hätten sich, wie K r a f f t h i n z u f ü g t e , besonders d u r c h die Weissagungen D a u t s e i n n e h m e n lassen, die sie noch alle f ü r w a h r hielten, o b w o h l sie sich schon als Lügen erwiesen hätten. K o m m e n w i r zurück auf Andreas J a k o b H e n n e b e r g . - T r o t z der massiven V o r w ü r f e seitens Hollanders k a m es zu keiner V e r h a n d l u n g gegen H e n n e b e r g . D a f ü r w a r e n sicher m e h r e r e Faktoren ausschlaggebend: V o n g r o ß e r B e d e u t u n g w a r es, daß der H a u p t p a s t o r u n d Inspektor der H u s u m e r Schulen, J o h a n n Melchior Krafft, sich schützend v o r H e n n e b e r g stellte 1 2 7 . Es ist ü b e r h a u p t erstaunlich, daß Krafft, der j e d e schwärmerische u n d separatistische Variante des Pietismus ablehnte, sich mit H e n n e b e r g einen M a n n als A r m e n s c h u l m e i s t e r u n d Küster nach H u s u m holte, der 125
Krafft, Jubel=Gedächtnis, S. 272. KBK, Ledreb. 455, 2°, 14; Brief vom 1. Juli 1717. 127 Hollander schrieb an den Generalsuperintendenten am 24. Juli 1721, daß seines „wißens und gewißens" Henneberg „nicht änderst anszusehen als ein crassus und inveteratus fanaticus, und dennoch vom H. Mag: [Krafft] gesuchet wird als ein Schulmeister der Jugend und Vorsänger im Clooster aus aller macht manuteniret zu werden." (LAS, Abt. 18, Nr. 72). 126
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nicht in allen Fragen mit der offiziellen Lehre der lutherischen Kirche übereinstimmte und zudem noch Kontakte zu separatistischen Kreisen hatte. Dieses Beispiel zeigt, daß es zwischen kirchlichem und radikalem Pietismus durchaus Beziehungen gab und daß die Grenzen zwischen beiden Richtungen keineswegs immer klar zu ziehen sind. Wie es scheint, löste sich Henneberg in der Folgezeit aber von den separatistischen Kreisen und schloß sich schließlich dem kirchlichen Pietismus seines Gönners Krafft an. Daß ein Verfahren gegen Henneberg von der obersten Kirchenleitung nicht eingeleitet wurde, mag außerdem auf den Einfluß des dänischen Staatsministers Johann Georg von Holstein zurückzuführen sein, der sich für alle Pietisten in den königlichen Teilen der Herzogtümer einsetzte. In einem am 13. September 1721, also knapp zwei Monate nach Hollanders Denunziation, geschriebenen Brief an Holstein empfahl Krafft den Schulmeister Henneberg als tüchtigen Erzieher für ein nicht näher bezeichnetes Waisenhaus 128 . Gemeint war sicher das Flensburger Waisenhaus, das von einigen Flensburger Bürgern damals gerade geplant wurde. Schon am 14. Januar 1722 steht nämlich im Protokoll des Flensburger Waisenhauses, daß man Henneberg nach Flensburg kommen ließ, um mit ihm die Planung des Waisenhauses zu besprechen 129 . Nach der Einweihung des Flensburger Waisenhauses am 28. Mai 1725 übernahm Henneberg das Amt des Schulund Speisemeisters; in dieser Funktion hat er sich um den weiteren Ausbau des Waisenhauses große Verdienste erworben 1 3 0 . U m 1710 trat ein als fanaticus bezeichneter Mann namens Alberti in Friedrichstadt und Schleswig auf und fand dort in kurzer Zeit zahlreiche Anhänger. Wahrscheinlich handelte es sich um den aus Spandau stammenden Theologiestudenten Georg Dietrich Alberti, der am 5. Oktober 1697 in Halle immatrikuliert wurde und dort im Hause des Professors Breithaupt wohnte 1 3 1 . Nach dem Studium unterstützte er ein Jahr lang den Spandauer Inspektor Zacharias Matthiae in seinem Amt. Anschließend ging er wieder nach Halle, wo August Hermann Francke ihn zum Ephorus seines Waisenhauses machte. 1702 bewarb Alberti sich um die neugeschaffene Predigerstelle am Spinnhaus in Spandau. Der Direktor des Spinnhauses und auch Philipp Jakob Spener setzten sich für Alberti ein. Spener schrieb in einem Gutachten über ihn: „Die studia sind einer beforderung würdig, wie auch bey ihm eine redliche intention ist, Gott mit lehr und leben treulich zu dienen: daher ich mich versichere, daß es an himmlischem sogen ihm nicht manglen werde, den dabey hertzlich anwünsche." 1 3 2 Trotzdem wurde nicht Alberti, sondern seinem Mitbewerber Ulrici die Stelle übertragen. Sollte dieser Georg Dietrich Alberti mit dem „Fanatiker" 128 129 130 131 132
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KBK, Ledreb. 455, 2°, 14; vgl. H. F. Petersen, A. J. Henneberg, S. 94. Stadtarchiv Flensburg, A 800, S. 51; vgl. H. F. Petersen, A. J. Henneberg, S. 94. Siehe H. F. Petersen, A. J. Henneberg, S. 94ff. Aland, Spener-Studien, S. 76, 184f;Juntke, S. 3. Aland, Spener-Studien, S. 185.
Alberti identisch sein 133 , so muß er kurz vor 1710 nach Friedrichstadt gekommen sein, wo er sich den Quäkern angeschlossen haben soll 134 . In den Quellen wird er selbst aber nie als Quäker bezeichnet, obwohl seine Anhänger einmal Quäker genannt werden. Diese Aussage ist allerdings zweideutig, da der Name Quäker oft auch als Schimpfwort für Separatisten allgemein verwendet wurde 1 3 5 . Sicher ist jedoch, daß Alberti in Friedrichstadt gemeinsam mit den Brüdern Andreas Jakob und Georg Henneberg Konventikel hielt 136 . Der Kreis, den sie um sich versammelten, darf wohl dem radikalen Pietismus zugerechnet werden. Alberti scheint aber schon bald eigene Wege gegangen zu sein und eine eigene Anhängerschaft gefunden zu haben. Ende 1710 oder Anfang 1711 dehnte er seine Aktivitäten über die Grenze der religiösen Freistatt Friedrichstadt aus; er hielt sich längere Zeit in der Stadt Schleswig auf, wo er schon nach wenigen Wochen „einen ziemlich großen Anhang" bekam 137 . Die Schleswiger Geistlichen sahen diese Entwicklung mit großem Mißfallen. Sie warnten ihre Gemeinden öffentlich vor Alberti und setzten sich auf der Kanzel mit seinen Lehrsätzen auseinander. Besonders der Pastor am Dom, Paul Stricker, und der Hofprediger Francesco Enno Friccius bemühten sich, dem Treiben Albertis Einhalt zu gebieten. Schließlich wurde eine Kommission eingesetzt, die die Aktivitäten Albertis genauer untersuchen sollte 138 . Alberti wurde aufgefordert, sein Glaubensbekenntnis schriftlich einzureichen. Der Generalsuperintendent Hinrich Muhlius, der auf Befehl der Regierung über Albertis Bekenntnis ein Gutachten anfertigte, hielt dieses fiir eine in spöttischer und spitzer Schreibart verfaßte Schrift, „in welcher die gehörige / sonst gerühmte / Apostolische Sanfftmuth / Bescheidenheit und Gravität keines Weges anzutreffen" sei 139 . Die ganze 133 Dali der „Fanatiker" Alberti in Spandau Prediger war, geht aus einem Brief Petrus Richardis a n j . Ch. Wolf, Husum, 10. Juli 1711, hervor (StUB H H , sup. ep. 119, 48). Jensen/ Michelsen, IV, S. 178 teilen mit, daß er sich im halleschen Waisenhaus aufgehalten hat. Beide Informationen sprechen dafür, daß Georg Dietrich Alberti mit den „Fanatiker" Alberti identisch ist. 134 Jensen/Michelsen, IV, S. 178. 135 LAS, Abt. 18, Nr. 72; AUerunterthänigste Relation angehend A. J. Henneberg. Nach Auskunft des Friedrichstädter Stadtarchivars Karl Michelson hat 1708/1709 ein „Albertos" eine Wohnung von den Quäkern gemietet. Es ist anzunehmen, daß dieser „Albertos" der „Fanatiker" Alberti war. Vielleicht hat man aus der Tatsache, daß Alberti eine Quäkerwohnung mietete, den Schluß gezogen, er selbst müsse auch Quäker sein. 136 LAS, Abt. 18, Nr. 72; Specifikation dessen, was angehend den berüchtigten Andr. Jac. Henneberg. Etwa 2Jahre wohnte Alberti in dem Haus von Andreas Jakob Henneberg. (LAS, Abt. 18, Nr. 72). 137 S t U B H H , sup. ep. 119, 481; Petrus Richardi a n j . Ch. Wolf, Husum, 10. Juli 1711. 138 Jensen/Michelsen, IV, S. 178. 139 Hinrich Muhlius, Gnädigst erfordertes Bedencken / In Sachen des Hochfiirstl. Herrn Ober=Sachwalters / Wieder den angegebenen ALBERTI. Mit angefugtem pflichtmäßigen V O T O , in: ders., Die Nach dem Fürbild ihres Haupts und Heylandes geschmähete / und wieder einige Lästerungen verthädigte Evangelische Lutherische Kirche (Schleswig 1711) S. 102.
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Abfassung der Schrift sei „höchstärgerlich und sündlich / indem der Mann mit Sünden gegen Glauben und Liebe auf so unchristliche und vermessene Weise sich schwer verschuldet" 140 . Aus Muhlius' Gutachten können wir auch einige der Lehrsätze entnehmen, die Alberti in seinem den Behörden übergebenen Bekenntnis vertrat. Er verwarf die lutherische Kirche, weil sie „an den todten Elementen / äusserlichen Figuren und Bildern des vermeinten GOttes=Dienstes / elenden Ceremonien und dürfftigen Satzungen der Menschen" hänge 141 . Von der christlichen Religion sei nichts mehr übrig als ein Geschrei der Priester: „Tempel Tempel / Kirche Kirche / Beichtstuhl Beichtstuhl / Tauff und Nachtmahl / todte Bilder / faule Götzen" statt des lebendigen Gottes 142 . Die wahre Religion in der Welt sei die, „welche im Neuen Bunde in ihrem rechten Nahmen nach der heiligen Schrift genennet werden kan: Christus in uns"; daher müsse die wahre Kirche allein aus dem heiligen Leben und aus der gemeinschaftlichen Liebestätigkeit beurteilt werden 1 4 3 . Die Symbolischen Bücher lehnte Alberti ab; darin sei „das Gute mit dem Bösen verdorben / und die geistliche Lehren mit mancherley Sätzen / Articuln und Meinungen auch vermenget worden" 1 4 4 . Den Predigern mangele es am Heiligen Geist 145 . Sie verträten weder die reine Lehre noch predigten sie das göttliche Wort. Jahraus, jahrein würden so viele Predigten gehalten, sonntags und in der Woche, und dennoch seien die Prediger geizig und die Kirchgänger blieben, wie sie seien, „gottlos ohne alle Bekehrung oder Sinnes Aenderung" 1 4 6 . Das liege nur daran, daß in der lutherischen Kirche „das Wort GOttes nicht mehr recht und rein gelehret und geprediget werde" 1 4 7 . Alberti wandte sich auch gegen die in der Kirche übliche Taufpraxis. Es sei keine einzige Spur darin wahrzunehmen, die der Einsetzung Christi ähnlich sehe, sondern vielmehr sei „statt der essentialen Tauffe Christi nur ein blosses abgöttisches Ceremonial=Wesen mit Teufel austreiben und zauberischen Beschwerungen", „ein pures Opus operatum" übriggeblieben 148 . Die Taufe sei „aller Krafft und göttlichen Würckung" beraubt, „weil 1.) der Täuffer nicht allemahl erfoderter Massen mit denen zur Tauffe gehörigen Kräfften des Geistes J.C. ausgerüstet / noch bey GOtt selber in Gnaden" stehe und 2.) „in dem Täuffling weder die Ausflüsse des Geistes sich äussern" noch „die wahre Wiedergebuhrt und Veränderung des Sinnes sich zeige" 149 . Auch den Gebrauch des Abendmahls kritisierte Alberti. Die Kraft dieses Sakraments 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149
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Ebenda. Muhlius, Ebenda. Muhlius, Muhlius, Ebenda. Muhlius, Ebenda. Muhlius, Ebenda.
Verthädigte Ev.-Luth. Kirche, S. 103. Verthädigte Ev.-Luth. Kirche, S. 105. Verthädigte Ev.-Luth. Kirche, S. 108. Verthädigte Ev.-Luth. Kirche, S. 110. Verthädigte Ev.-Luth. Kirche, S. 113.
hänge „allein von der Heiligkeit und Würdigkeit der Prediger und C o m municanten" 1 5 0 ab. N u r die wahren Glieder und Nachfolger Christi könnten damit „privilegiret" sein. Eine von der Kirche abweichende Ansicht vertrat Alberti auch in der Lehre vom geistlichen Priestertum. Seiner Ansicht nach hat jeder Christ die Freiheit, „auch ausser sich ereignendem Nothfall / öffentlich zu predigen / und die Sacramenta zu verreichen" 151 . Seinem Bekenntnis fügte Alberti als Anhang noch zwei Wundergeschichten bei: In Spandau hätte er einst mit solchem Nachdruck auf der Kanzel „gedonnert", daß eine Glocke davon geborsten wäre. Ein anderes Mal hätte er mit solcher Inbrunst für „einen armen Sünder" gebetet, als dieser zum Gericht gefuhrt wurde, daß dem „Sünder" davon die Ketten von den Armen gefallen wären. Auf eine Anfrage der Schleswiger Geistlichen in Spandau, ob diese Mirakel auch der Wahrheit entsprächen, bekamen sie zur Antwort: Eine Glocke wäre zwar geborsten, aber lange bevor Alberti gepredigt hätte; es sei auch wahr, daß „dem armen Sünder" die Ketten abgefallen wären, die Ursache dafür sei aber darin zu sehen, daß der Scharfrichter dem „Sünder", bevor er zum Gericht geführt worden sei, die Ketten losgemacht hätte; auf dem Weg zum Gericht hätte der „Sünder" beim Beten die Hände so tief sinken lassen, daß dadurch die Ketten niederfielen. Es sei also eine ganz natürliche Angelegenheit und kein Mirakel gewesen 152 . Da Alberti in seinem Bekenntnis in elementaren Fragen von der Lehre der lutherischen Kirche abwich, war es nur eine Frage der Zeit, wann die fürstlichen Behörden gegen ihn vorgehen würden. In seinem am 4. März 1711 verfaßten Gutachten schlug der Generalsuperintendent Muhlius vor, daß Alberti „als ein ärgerlicher / verführerischer Mensch" aus den Herzogtümern ausgewiesen werden müsse 153 . Es gäbe auch keine „Landes=Fürstliche Herrschaftliche Vergünstigung / daß dergleichen höchstnachtheilige Unternehmungen in Friedrichstadt / woselbst er sich sonst häußlich niedergelassen / frey und ungehindert geduldet werden können" 1 5 4 . Seine Anhänger in Friedrichstadt und Schleswig müßten aber „auf geziemende Art fordersamst in der Stille" ermahnt und unterrichtet werden; es sei nämlich nicht ratsam, „so lange solche Irrungen unter Wenigen und Einfältigen" seien, „daß dieselbe gleich publice mit einer particulieren Angelegenheit rege gemacht" würden 1 5 5 . Sollten seine Anhänger aber trotz Ermahnung und Unterrichtung „bey ihrem Irrwahn hartnäckig verbleiben", so sollten sie dem Oberkonsistorium angezeigt werden, das dann
150 151 152 153 154 155
Muhlius, Verthädigte Ev.-Luth. Muhlius, Verthädigte Ev.-Luth. StUB H H , sup. ep. 119, 481; P. Muhlius, Verthädigte Ev.-Luth. Ebenda. Muhlius, Verthädigte Ev.-Luth.
Kirche, S. 118f. Kirche, S. 123. Richardi a n j . Ch. Wolf, Husum, 10. Juli 1711. Kirche, S. 130f. Kirche, S. 131.
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weitere Maßnahmen beschließen könne 1 5 6 . Es ist daraufhin ein fürstliches Mandat herausgekommen, wonach Alberti Schleswig sofort und die Herzogtümer innerhalb von sechs Wochen verlassen sollte 157 . Alberti ging mit einem Teil seiner Anhänger zunächst nach Friedrichstadt zurück. Als er sich aber nach Ablauf der sechs Wochen immer noch in Friedrichstadt aufhielt, traf am 6. Juli 1711 ein fürstliches Schreiben beim Friedrichstädter Bürgermeister ein, in dem der Fürst seinen Ärger darüber aussprach, „daß der Schwärmer Alberti sich noch in Friedrichstadt befinde, obwohl er schon ausgewiesen" sei 158 . Innerhalb von drei Tagen solle Alberti das Land verlassen, wenn er es nicht tue, solle er gefangen genommen werden. Alberti soll daraufhin nach Holland gegangen sein und dort als Medicus gearbeitet haben 1 5 9 . Seine Anhänger in Friedrichstadt schlössen sich später Johann O t t o Glüsing an, einem Anhänger Johann Georg Gichteis 160 . Das Auftreten Albertis in Schleswig war auch der unmittelbare Anlaß der am 22. Juni 1711 erlassenen, herzoglichen „Verordnung / Wieder die hin und wieder sich befindende SECTARIOS, auch von frembden Orten einschleichende F A N A T I C O S " . Der erste Teil dieser Verordnung wandte sich gegen die Separatisten und ihre falschen Lehrsätze, im zweiten Teil wurde dagegen beschrieben, „wie sonsten die Erkäntniß der Wahrheit zur Gottseeligkeit bey denen Gemeinen befordert werden soll". Die vermutlich von Muhlius selbst formulierte Verordnung hatte also eine doppelte Zielsetzung: Sie wandte sich sowohl gegen die Separatisten und deren Lehrsätze als auch gegen die Mängel in der lutherischen Kirche. Nicht dem kirchlichen Pietismus, sondern dem Separatismus sollte dadurch Einhalt geboten werden. Die Wirkung des Edikts war jedoch von vornherein begrenzt: Solange die Städte Altona und Friedrichstadt den Separatisten Asyl bieten konnten, war es für die kirchlichen Behörden der Herzogtümer unmöglich, den Separatismus erfolgreich zu bekämpfen. Nach seiner Ausweisung aus den dänischen Ländern Ende des Jahres 1706 ging auch Johann Georg Glüsing zunächst nach Friedrichstadt 161 . Glüsing, der aus Altenesch bei Delmenhorst stammte und in Jena Theologie studiert hatte, kam 1705 als Hauslehrer nach Kopenhagen, w o er schon bald gemeinsam mit dem deutschen Studenten Christoph Eberhard die Leitung der 1704 von Strandiger und den Bürgern Sams0e und Svane gegründeten, pietistischen Konventikel übernahm. Daß Glüsing schon zu dieser Zeit ein Vertreter des radikalen Pietismus war, davon zeugt seine 156
Ebenda. Vgl. StUB H H , sup. ep. 119, 481; P. Richardi an J. Ch. Wolf, Husum, 10. Juli 1711. 158 Ferdinand Pont, Friedrichstadt an der Eider, II (Erlangen 1921) S. 165. 159 RAK, Overkonsistoriet for Hertugdßmmet Slesvig, 1. I., O k e r und Tiedtke an den Generalsuperitendenten Thomas Clausen, Friedrichstadt, 12. Dezember 1721. 160 Ebenda. 161 Zu Glüsing siehe ADB, 9, S. 258ff; N D B , 6, S. 472f; SHBL, 1, S. 149f; DBL 3 , 5, S. 226; Haupt, Der Altonaer Sektierer J. O. Glüsing, S. 136ff. 157
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1706 unter dem Pseudonym Tranquillus veröffentlichte, satirische Schrift mit dem Titel „Lebensbeschreibung des falschen Apostels Homiletici", in der er in scharfen Worten die orthodoxe Geistlichkeit angreift. Besonders die beiden Geistlichen an der deutschen Petrikirche fühlten sich durch diese Schrift beleidigt. Als am Hofe auch noch bekannt wurde, daß in den Konventikeln radikalpietistische und kirchenfeindliche Schriften gelesen wurden, z.B. „Lutherus ante Lutheranismum", sah sich der Hofprediger Lütkens gezwungen, diese Vorgänge dem König zu melden, der daraufhin am 2. Oktober 1706 eine Verordnung erließ, die die Konventikel verbot. Glüsing hielt sich zu diesem Zeitpunkt schon in Christiania in Norwegen auf, wo er eine Hauslehrerstelle bei dem Generalmajor Hausmann angetreten hatte. Dort veranstaltete er wieder Konventikel und verbreitete auch pietistische Schriften, so daß der Stiftspropst Jacob Lodberg auf ihn aufmerksam wurde und eine Untersuchung gegen in einleitete, die schließlich am 11. Dezember 1706 zu seiner Ausweisung führte. Über Friedrichstadt ging Glüsing nach Hamburg. War Glüsing bisher radikaler Pietist gewesen, so wurde er nun ein eifriger Anhänger Johann Georg Gichteis und bald das Haupt der Engelsbrüder, wie sich die Gichtelianer nannten, in H a m burg und Schleswig-Holstein. Als Glüsing 1708 wegen seiner sektiererischen Tätigkeit Schwierigkeiten mit dem geistlichen Ministerium in Hamburg bekam, zog er nach Altona, wo er bis zur Zerstörung der Stadt im Jahre 1713 blieb. Anschließend wandte er sich wieder nach Hamburg und lebte dort bis 1725. Das geistliche Ministerium in Hamburg wurde erneut auf Glüsing aufmerksam, als bekannt wurde, daß die dänische Obrigkeit gegen seine Anhänger in Friedrichstadt vorging. Nun wurde auch in Hamburg eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet. Der darauf folgende Prozeß endete am 6. Februar 1726 mit der Ausweisung Glüsings, der wieder nach Altona ging, wo er bis zu seinem Tod am 2. August 1727 blieb. In Friedrichstadt untersuchte seit dem Sommer 1724 eine vom König eingesetzte Kommission den Status Religionis et Sectarum 162 . Mitglieder dieser Kommission waren der Eiderstedter Amtmann Baron von Gersdorff, der Husumer Kanzleirat und Amtsinspektor Johann Friedrich Jessen, der Tonderner Propst Samuel Reimarus und der Husumer Hauptpastor Johann Melchior Krafft. Einer der Gründe für die Einsetzung dieser Kommission war das Wirken Glüsings und seiner Anhänger in Friedrichstadt. Schon am 12. Dezember 1721 hatten die beiden Friedrichstädter Geistlichen Joachim Friedrich Tietke und Wilhelm Oker, auf dessen Beschwerde die Untersuchung der kirchlichen und religiösen Verhältnisse in Friedrichstadt vorgenommen wurde, dem Generalsuperintendenten Thomas Clausen geklagt, daß Glüsing verschiedenen Leuten in der Stadt 162
Karl Michelson, „Die . G r o ß e R E L I G I O N S - C O M M I S S I O N ' in Friedrichstadt", Mitteilungsblatt d. Gesellschaft f. Friedrichstädter Stadtgeschichte 8 (1975) S. 57ff.
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Gichteis „Theosophische Sendschreiben" bekannt gemacht habe 163 . Auch hätte er einige dazu bewegen können, sich von der Kirchengemeinschaft zu trennen und ihn, „wie vor Zeiten viele in der Römischen Kirchen den Michael Molinos, zu Ihrem gewißens-Führer anzunehmen" 164 . Wahrscheinlich hatte Glüsing schon 1707 erste Beziehungen zu Friedrichstädtern geknüpft, mit denen er seitdem in regelmäßiger Korrespondenz stand und die er auch jährlich einmal besuchte. Diese Anhänger blieben ihm anscheinend auch treu, als er sich vom radikalen Pietisten zum Gichtelianer entwickelte 165 . Bei einem späteren Besuch im Sommer 1721 gelang es Glüsing außerdem, einige Anhänger Albertis für sich zu gewinnen, so daß seine Jünger „die gestalt einer kleinen gemeinde" bekamen. Nach Olter und Tietke hätten sie auch viele heimliche Anhänger, „die aus gewißen absichten Sich noch nicht völlig für Sie erklären" wollten 166 . 1725 soll sich die Anhängerschaft Glüsings in Friedrichstadt jedoch nur aus sechs Familien zusammengesetzt haben, aus vier lutherischen, einer remonstrantischen und einer mennonitischen Familie 167 . Schon bevor die Mitglieder dieser Familien sich Glüsing anschlössen, hatten sie sich von der Kirchengemeinschaft separiert und ihre Erbauung in den Schriften Böhmes und Gichteis gesucht 168 . Einige der Anhänger Glüsings in Friedrichstadt sind uns namentlich bekannt: Dirck Jürgensen, die Gebrüder Stüven, der Schreiber Boye und Claus Rutenstein sowie ein Schneider und ein Färber 169 . Rutenstein war wohl das Haupt der Engelsbrüder in Friedrichstadt; denn wiederholt werden die Anhänger Glüsings auch als „Rutensteinsche Bande" bezeichnet 170 . Beziehungen unterhielt Rutenstein auch zu dem Husumer Armenschulmeister Andreas Jakob Henneberg. Niemand anderes als Henneberg habe „den Rutenstein verführet, denn er bey den schlimsten wettern und wegen von Friedrichstadt hier herüber zu ihm gekommen", berichtete der Husumer Archidiakon Hollander 171 . Das auf den Untersuchungsergebnissen der Kommission basierende 163
RAK, Overkonsistoriet for Hertugdommet Slesvig 1. I. Ebenda. 165 Haupt, S. 155. 166 RAK, Overkonsistoriet for Hertugdommet Slesvig 1. I., Olter und Tietke an den Generalsuperintendenten Clausen, Friedrichstadt, 12. Dezember 1721. 167 StUB H H , sup. ep. 116, 331; Extrakt eines Briefes aus Friedrichstadt; vgl. Michelson, S. 67. 168 Ebenda. 169 LAAa, Tonder provstearkiv, nr. 223; J. W. Olter an S. Reimarus, Friedrichstadt, 5. Juli 1725. 170 Michelson, S. 69; LAAa, T0nder provstearkiv, nr. 223; J. W. Olter an S. Reimarus, Friedrichstadt, 5. Juli 1725. 171 LAS, Abt. 18, Nr. 72; Specifikation dessen, was angehend den berüchtigten Andr. Jac. Henneberg. In der Replik Hollanders auf Kraffts Widerlegung vom 14. Mai 1722 heißt es auch: Krafft wisse, „daß Ruhtenstein von uns ausgegangen und fast alle Secten durchgekrochen". 164
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Urteil vom 5. Juni 1725 traf die Engelsbrüder in Friedrichstadt hart 172 . Glüsing, der seinen Wohnsitz damals in Hamburg hatte, wurde der Aufenthalt in den dänischen Landen verboten. Seinen Anhängern in Friedrichstadt wurde untersagt, mit ihm zu korrespondieren, auch mußten sie seine Bücher und Briefe ausliefern. Außerdem wurde ihnen auferlegt, sich aus Gottes Wort Unterricht erteilen zu lassen, andernfalls müßten sie das Land verlassen. Offensichtlich hatte sich auch schon die Religionskommission bemüht, die Anhänger Glüsings für die kirchliche Gemeinschaft zurückzugewinnen; denn „die letzte gegenwarth und bemühung der Commission" sei, wie Olter schrieb, nicht ohne Frucht gewesen, weil ihm „dadurch der weg zu beßerem eingang bey diesen leuten gebahnet worden" 1 7 3 . Der Tonderner Propst Samuel Reimarus, dem die Separatisten sehr am Herzen lagen, weil er glaubte, „daß sie mehr aus unwißenheit und Verblendung des Verstandes, alß boßheit des Willens ihre eigene wege wandeln", bekam von Pastor Olter einen ausführlichen Bericht über dessen Bemühungen um die Separatisten: Er habe die Hoffnung, Dirck Jürgensen für die Kirche zurückzugewinnen; Jürgensen könne sich zwar nicht sofort dazu überwinden, stehe aber in solcher „Gemüts-Disposition", „daß er unter langmütiger tragung kan gewonnen werden". „An die Brüder Stüven hoffe ich auch unter Gottes Segen mit der Zeit etwaß zu gewinnen, aber nicht so wol unmittelbar alß mittelbar durch Dirck Jürgensen, und so lange derselbe nicht in unsere Gemeinschafft tritt, wird die arbeit bey den übrigen verlohren seyn", schrieb Olter ferner. Wenig Hoffnung habe er, Rutenstein, den Schneider, den Färber und den Schreiber Boye zurückzugewinnen, „weil Sie allerseits auf solchen gemütshöhen stehen, davon Sie schwerlich werden herunter zu bringen seyn." Doch müsse man auch mit diesen sehr glimpflich umgehen und nicht mit der Emigration drohen, weil dieses allen „eine große hinderung der umkehr" sein würde. Er sei auch der Meinung, „daß man bey gewinnung dieser leuten nicht so wol von glaubens geheimnissen alß vielmehr von ihrer unrichtigen heils-ordnung, Unrichtigkeit des Separatismi, und gefährlichen abhängigkeit von Böhmen, Glüsing & anfangen müße". Es würde ihm sehr lieb und bei den Separatisten vermutlich nicht ohne Segen sein, wenn Reimarus noch einmal nach Friedrichstadt käme 1 7 4 . Den lutherischen Geistlichen scheint es jedoch nicht gelungen zu sein, alle Engelsbrüder zur Rückkehr in die evangelische Gemeinde zu bewegen. Noch 1741 berichtete der Generalsuperintendent Conradi in seinen Visitationsaufzeichnungen, daß in Friedrichstadt aller-
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Michelson, S. 69. LAAa,. Tender provstearkiv, nr. 223; J. W. Olter an S. Reimarus, Friedrichstadt, S.Juli
1725. 174
Ebenda.
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hand Separatisten seien, „die in die Glüsingsche, Gichtelsche und dergleichen Leute Einfälle hineinschlagen, doch aber stille halten" 175 . Es waren aber nicht nur die Anhänger Glüsings, die den lutherischen Geistlichen in Friedrichstadt Sorge bereiteten. Sondern es gab auch einzelne Separatisten, die sich keiner religiösen Gemeinschaft angeschlossen hatten, in der Stille lebten und durch einen vorbildlichen Lebenswandel auffielen. „Wenn man dieser Separatisten gemüts-beschaffenheit, und äusserlichen Wandel ansiehet, muß man deren verfall von hertzen bedauren. Denn so sind Sie von anfang nicht rohe leute gewesen, sondern die schohn in der äusserlichen gemeinschafft das rechtschaffene wesen gesuchet, und nach Ihrer trennung biß diese Stunde durch Ihr stilles und eingezogenes leben, und durch viele liebeswercke Sich in der gantzen Stadt distinguiren", so die Geistlichen Tietke und Olter 1721 176 . Diesen Leuten müsse man mit Sanftmut begegnen und sie nicht durch Strenge und Verfolgung gänzlich zur Rückkehr in die Kirchengemeinschaft unfähig machen. Außer diesen Separatisten gäbe es auch noch einige Personen, welche sich noch zur evangelischen Gemeinde bekennen würden und auch in den Gottesdienst kämen, aber aus „Gewissensskrupel" schon lange Zeit vom Abendmahl fernblieben, teils, weil sie mißbilligten, daß jedermann zum Abendmahl zugelassen würde, auch „notorische Sünder", teils, weil ihnen die Beichtstuhlpraxis nicht gefalle 177 . Der Religionskommission waren auch diese Fälle bekannt geworden; sie war bestrebt gewesen, im Sinne Okers auf diese Separatisten einzuwirken und sie zur Umkehr zu bewegen. Uber zwei dieser Separatisten berichtete Olter in seinem Brief an Reimarus 178 : Der Schiffer Johann Wilmsen scheine „Seinen vorigen eigensinn und praeiudicium von vermeintlich empfangener Feuer-Tauffe abgeleget zu haben"; er schicke nicht nur seine Familie wieder in die Kirche, sondern habe auch erklärt, daß er nach seiner Rückkehr aus Holland „öffentlich wieder mit unß communiciren" wolle. Der andere Separatist, Gerdt von Rinteln 179 , habe ihm auch „alle gewünschte satisfaction gethan, so wol für die unbefugten beschuldigungen, welche Er vor der commission gegen meine Person und ambt zu seiner exculpirung vorgebracht, alß insonderheit wegen Seiner bißherigen Separation". Olter meinte, „denselben alß einen fast völlig wieder zu unß gebrachten betrachten zu können". In ihrem Bericht über den Zustand der evangelischen Gemeinde in Friedrichstadt informierten die Geistlichen Olter und Tietke auch über 175
Thomas Matthiesen, Erweckung und Separation in Nordfriesland = SSHKG, I, Bd. 16 (Kiel 1927) S. 104. 176 RAK, Overkonsistoriet for Hertugd0mmet Slesvig 1. I. 177 Ebenda. 178 LAAa, T0nder provstearkiv, nr. 223. 179 Gerd von Rinteln wurde 1688 in Friedrichstadt geboren. Er war Lutheraner und holländischer Abkunft. 1727 kam er als vierter Lutheraner in den Rat der Stadt; er starb 1749. Siehe Harry Schmidt, Die Friedrichstädter Polizeiprotokolle = QuFGSH 6 (1918) S. 271 f.
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einen Mann, welcher, wie sie schrieben, „eine eigene Vorstellung verdienet, nachdem mahlen Er in der Zeit Seines hieseyn fast aller äugen auf Sich gerichtet" 180 . Dieser Mann war Georg Philipp Wicht, nach Ansicht Okers „der größte Fanaticus, der jemals gelebet" 181 . Er stammte aus Usingen in Hessen und studierte in Gießen Theologie 182 . Wicht, der als fromm und gelehrt galt und durch seine Verwandtschaft zu dem Gießener Theologieprofessor Johann Christoph Bilefeld nicht ohne Einfluß war, wurde in Gießen zum „Vorkämpfer für die Sache des Pietismus" 183 . Dort war er einer der Wortführer in den ersten Auseinandersetzungen zwischen dem neu aufkommenden Pietismus und der lutherischen Orthodoxie, anfangs als Stipendiatenmajor, dann als Feldprediger 184 . Seine Gegner hängten ihm deshalb den Namen „Böse-Wicht" an. 1695 wurde er Pfarrer in Kelsterbach und 1704 in Biebesheim in der Obergrafschaft. Auch in diesen Gemeinden setzte er sich eifrig für die Ideen des Pietismus ein. Jedoch scheint er sich in seinem Lebenswandel an die Prinzipien des kirchlichen Pietismus nicht gehalten zu haben. 1713 wurde er jedenfalls in Darmstadt wegen Ehebruchs zum Tode verurteilt, kurz vor der Hinrichtung aber zur lebenslänglichen Gefängnisstrafe begnadigt. Auf dem Schinderkarren wurde er über Biebesheim und Kelsterbach nach Biedenkopf gebracht, wo er im dortigen Gefängnis seine Strafe verbüßen sollte. Es gelang ihm jedoch, aus dem Gefängnis auszubrechen und zu fliehen. Anscheinend fand er zunächst in Holland Zuflucht. Daß er sich dort beschneiden ließ und Jude wurde, ist wohl Legende. Anschließend soll er sich in Halle, in Ostfriesland und in Altona aufgehalten haben 185 . Wann er schließlich nach Friedrichstadt kam, ist unbekannt; 1721 hielt er sich jedenfalls dort auf. Seinen Lebensunterhalt in Friedrichstadt verdiente er sich als Advokat, Medicus und Armenschulmeister. In der Stadt kursierten verschiedene Nachrichten über sein bisheriges Leben. Dem Pastor Olter hatte er erzählt, er sei inhaftiert gewesen, aber wieder entlassen worden; andere dagegen 180
RAK, Overkonsistoriet for Hertugdammet Slesvig 1. I.; vgl. Th. Clausen an den dän. König, Rendsburg, 8. Juni 1722 (RAK, Overkonsistoriet for Hertugdammet Slesvig 1. I.), ferner Erwin Freytag, „Besondere Vorkommnisse während der Generalvisitationen im Herzogtum Schleswig vom 17.-18. Jahrhundert", Die Heimat, 83. Jg. (1976) S. 268. 181 Carl Bertheau, „Philipp Georg Wihten und Johann Otto Glüsing", Mitteilungen d. Vereins f. Hamburgische Geschichte, Bd. 1 (1878) S. 130; über Wicht siehe: Heinrich Steitz, Geschichte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (Marburg 1977) S. 205 f; Wilhelm Diehl, Die Schulordnungen des Großherzogtums Hessen (Berlin 1905) S. 473; ders., „Beiträge zur Geschichte des Pietismus in der Obergrafschaft", Beiträge zur Hessischen Kirchengeschichte Ergbd. III (Darmstadt 1908) S. 319ff. 182 Wilhelm Waldhaus, Suchbuch für die Gießener Universitätsmatrikel von 1649 bis 1707 (Darmstadt 1937) S. 125. Wicht wurde am 22. Oktober 1687 in Gießen immatrikuliert. 183 Diehl. Beiträge, S. 319. 184 Ernst Köhler, „Die Anfänge des Pietismus in Gießen 1689 bis 1695", in: Die Universität Gießen von 1607 bis 1907, Bd. 2. Festschrift zur 3. Jahrhundertfeier. (Gießen 1907) S. 215f. 185 RAK, Overkonsistoriet for Hertugdammet Slesvig 1. I., Olter und Tietke an den Generalsuperintendenten Clausen, Friedrichstadt, 12. Dezember 1721.
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behaupteten, er sei „durch den büttel mit höchstem Schimpf fortgeschicket w o r d e n " 1 8 6 . Aufsehen erregte er besonders durch seine merkwürdigen Lehrsätze, die er verbreitete. So groß die Gelehrsamkeit, die Belesenheit, das Gedächtnis und die Vorstellungskraft Wichts seien, wie Olter schrieb, so phantastisch sei sein ingenium und so paradox seien seine Lehrsätze, „sintemahl wol keine quelle unter heyden, Juden und Christen jemals ausgehecket worden, die Er nicht in Seinem vermeintlichen warheits Systemate zu combiniren suchet" 1 8 7 . Dabei verdunkele und verkehre er aber die klarsten und „credentesten" Wahrheiten der Heiligen Schrift. Anfangs hielt Wicht sich in Friedrichstadt zur lutherischen Kirche, besuchte später aber meistens den remonstrantischen Gottesdienst. Dieser Wechsel sei geschehen, so vermutete Olter, „damit Er auf etwaigen fall einer Inquisition einen sichern Schutzwinckel habe"; denn die Remonstranten würden ihn „nach Ihrer bekandten, aber offt unzeitigen Tolerantz" trotz aller seiner Abweichungen von ihrer Lehre auf jeden Fall als ein Mitglied ihrer Gemeinde aufnehmen 1 8 8 . Dieser anscheinend taktische Wechsel von der lutherischen zur remonstrantischen Kirche scheint ihm aber nichts genützt zu haben; wie Bertheau mitteilt, ist Wicht durch ein königliches Dekret aus den dänischen Landen verwiesen worden 1 8 9 . Er soll sich dann in Hamburg niedergelassen haben. Nachzutragen bleibt, daß auch in Koldenbüttel bei Friedrichstadt ein Separatist lebte, auf den der Generalsuperintendent Thomas Clausen bei der Visitation aufmerksam wurde. Es war der ehemalige Schneider Caspar Bäsch, der seine Familie jetzt als „Ackersmann" ernährte 190 . Seit zwanzig Jahren hatte er weder Kirche noch Abendmahl besucht. Auch seine Frau, sein Sohn und das Gesinde hielt er „zu gleicher Lebens Art" an. Seine Frau war inzwischen ohne Absolution und Sakrament gestorben. U m 1722 hatte der Separatismus in Schleswig-Holstein solche Ausmaße angenommen, daß der Generalsuperintendent Clausen meinte, in seinem Visitationsbericht an den König dringend darauf hinweisen zu müssen: „Was nach gerade zu großer Verwirrung in der Kirchen Gottes und zu mercklicher Verwilderung der Leute den Weg bahnet, ist der unselige leider nur allzu bey uns einreißende Separatismus, da die Leute, theils durch Lesung fanatischer Bücher, theils durch umbgang mit schwärmerischen Leuten auf eine besondere Einbildung eigener Heiligkeit und Vollkommenheit verfallen, den ordentlichen Gottesdienst und das ordentliche Predigtambt verachten und schmähen, sich von Kirch und Abendmahl enthalten, so, daß sie insgemein andere, besonders ihre Hausgenossen auff Ebenda. Ebenda. 1 8 8 Ebenda. 1 8 9 Bertheau, S. 130. 1 9 0 R A K , Overkonsistoriet for H e r t u g d a m m e t 1. I., Th. Clausen an den dän. König, Rendsburg, 8. Juni 1722; vgl. Freytag, Besondere Vorkommnisse, S. 268. 186
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gleiche Irrwege zubringen trachten" 191 . „Es nimt dieser gefährliche Separatismus", wie Clausen weiter ausführte, „zumahl in Friedrichstadt und Eiderstädt sehr überhand und da solche Leute die Liebe zur Wahrheit nicht annehmen, daß sie selig mögen werden, Gottes Ordnung und befehl und die Mittel der Seeligkeit verachten, so werden sie aus gerechtem Gerichte Gottes oft dahingegeben in einen verkehrten Sinn, so, daß der Satan ihre Sinnen dermassen zerrüttet, daß sie untüchtig werden zum glauben, und mit der Zeit selbst nicht wissen, was sie glauben sollen oder nicht? daß aber solcher Leute Wort umb sich freße wie der Krebs, besonders bey einfältigen, wird nun jeder gestehen müßen der den hiesigen Zustand, besonders von Friedrichstadt und Eiderstädt kennet." 1 9 2 Zu ergänzen ist, daß der Amtsbereich des königlichen Generalsuperintendenten die Stadt Altona nicht mit einschloß und daß Clausen deshalb über die dortigen Verhältnisse keine Aussagen machen konnte. Dabei war Altona für den radikalen Pietismus von mindestens genauso großer Bedeutung wie Friedrichstadt. Zusammenfassend läßt sich über den radikalen Pietismus in SchleswigHolstein zu Beginn des 18. Jahrhunderts sagen, daß er von sehr unterschiedlichen Personen mit sehr unterschiedlichen Überzeugungen geprägt wurde. Neben den religiösen Individualisten, die hauptsächlich literarisch wirkten und auf Gemeinschaftsbildungen keinen großen Wert legten, standen ausgesprochene Erweckungsprediger, deren Hauptanliegen die Sammlung der „wahren Christen" außerhalb der Kirche war. Außerdem gab es die „Stillen im Lande", die sich von der Kirche losgesagt hatten und in ihrem häuslichen Kreis ein frommes, zurückgezogenes Leben führten. Obwohl keine einheitliche, radikalpietistische Bewegung in den Herzogtümern entstand, gab es doch Gemeinsamkeiten und Beziehungen unter den radikalen Pietisten. Enge Beziehungen hatten z. B. die Gebrüder Henneberg zu Alberti, der ebenso wie Samuel Zinck im Hause Andreas Jakob Hennebergs wohnte. Auch die Inspirierten von Schwarzenau übernachteten bei ihm. Strandiger stand mit Johann Michaelis in Verbindung, den vermutlich auch Samuel Zinck kannte. In Altona lernten sich verschiedene radikale Pietisten kennen, wie Römeling, Daut und Glüsing. Wie fließend die Grenzen zwischen den einzelnen radikalen Gruppen waren, zeigt sich ebenfalls daran, daß die Anhänger Albertis sich später dem Engelsbruder Johann Otto Glüsing anschlössen. Auch waren die Grenzen zwischen dem kirchlichen und dem radikalen Pietismus keineswegs scharf gezogen; zwischen beiden Richtungen gab es immer wieder Berührungen und Überschneidungen. Die Flensburger Pietisten stellten sich lange Zeit hinter Strandiger; erst als dieser öffentlich die Separation vom kirchlichen Gottesdienst befürwortete und die Kindertaufe 191 RAK, Overkonsistoriet for Hertugdommet Slesvig 1. I. 1 Th. Clausen an den dän. König, Rendsburg, 8. Juni 1722. 192 Ebenda.
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in Frage stellte, kam es zum Bruch. Johann Melchior Krafft förderte den Schneider Andreas Jakob Henneberg und verteidigte ihn gegen seine orthodoxen Gegner. Auch der Friedrichstädter Pastor Johannes Steinhammer, der einst Friedrich Breckling in Holland und Johann Wilhelm Petersen in Niederdodeleben besucht hatte, stand mit den radikalen Pietisten in Friedrichstadt in Verbindung. Selbst ein so entschiedener Gegner der kirchlichen Pietisten wie Johann Michaelis korrespondierte jahrelang mit dem bekannten Gießener Pietisten Johann Heinrich May. Es ist nicht leicht zu beurteilen, welche Wirkung die bekannten radikalen Pietisten in den Herzogtümern erzielten. Einige Radikalpietisten waren froh, nach Jahren der Verfolgung in einer der religiösen Freistätten der Herzogtümer ein Asyl gefunden zu haben, in dem sie vor obrigkeitlichen Maßnahmen sicher sein konnten; sie verzichteten auf Propagierung ihrer religiösen Ansichten und lebten in der Stille. Das waren wahrscheinlich aber die wenigsten: Wer sich einmal als „Prophet" berufen fühlte, blieb es in der Regel sein Leben lang. Manche beschränkten ihr Wirken jeweils auf die religiöse Freistätte, in der sie Unterschlupf gefunden hatten. Einige propagierten ihre Lehre über die Grenzen der Stadt hinaus bis weit in die Herzogtümer hinein, wie Johann Michaelis und Alberti, die beide einen ziemlichen Anhang fanden. Andere, wie Johann Otto Glüsing, wiederum fanden ihre Anhänger in den drei Städten Friedrichstadt, Altona und Hamburg. Zu konstatieren ist also, daß der radikale Pietismus in seiner separatistischen Form in den Herzogtümern nach 1700 eine stete Herausforderung für die Geistlichkeit der lutherischen Kirche darstellte und zwar sowohl für die orthodoxen Geistlichen als auch für die kirchentreuen pietistischen Geistlichen. Allerdings unterschieden sich die lutherische Orthodoxie und der kirchliche Pietismus in ihrem Vorgehen gegen den radikalen Pietismus erheblich. Während die orthodoxen Geistlichen meinten, den Separatismus am besten durch strenge und harte Maßnahmen bekämpfen zu können, versuchten die kirchlichen Pietisten ihm mit Milde und Belehrungen zu begegnen. So waren sich der Tonderner Propst Samuel Reimarus und der Tonderner Amtmann Johann Georg von Holstein einig, daß man die Separatisten „mehr mit Liebe und Güte als mit Schärffe und Strenge" für die kirchliche Gemeinschaft zurückgewinnen könne 1 9 3 .
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L A A a , Tonder provstearkiv, nr. 224; J . G. von Holstein an S. Reimarus, 9. N o v e m b e r
VI. Die politische Bedeutung und die politische Einstellung der frühen Pietisten in Schleswig-Holstein In der schleswig-holsteinischen Politik der Jahrzehnte vor und nach 1700 spielten die Pietisten keine wichtige Rolle. Es kam in den Herzogtümern Schleswig und Holstein weder zu einer Koalition zwischen Fürsten und Pietisten gegen Landstände und lutherische Orthodoxie wie in Brandenburg 1 , noch unterstützten die Pietisten den Kampf der Landstände gegen den Fürsten wie in Württemberg 2 . Daß der frühe Pietismus in SchleswigHolstein in die politische Geschichte des Landes kaum eingebunden war, mag folgende Gründe gehabt haben: 1. Der Pietismus verbreitete sich in Schleswig-Holstein nur zögernd, regional sehr unterschiedlich, war ohne Zentrum und ohne Führer, so daß sich in dieser Zeit eine einheitliche, pietistische Bewegung, die auch als politische Kraft von Bedeutung hätte sein können, nicht herausbildete. 2. Ein einheitliches politisches Engagement der schleswig-holsteinischen Pietisten wurde allein schon durch die politische Zersplitterung des Landes erschwert. 3. In politischer Hinsicht wurde die Zeit des frühen Pietismus in Schleswig-Holstein durch die Auseinandersetzungen zwischen den Gottorfer Herzögen und den dänischen Königen geprägt. Zwar mag es den politischen Kontrahenten jener Zeit nicht unlieb gewesen sein, daß sich ihr Streit in anderer Form auch in der obersten Kirchenleitung des Landes fortsetzte. Aber die Auseinandersetzungen zwischen den orthodoxen königlichen Generalsuperintendenten Josua Schwartz und Theodor Dassow und dem pietistischen gottorfischen Generalsuperintendenten Hinrich Muhlius waren zu keiner Zeit primär politischer Natur. Trotzdem wirkten sich die politischen Auseinandersetzungen auch auf das Leben der Pietisten aus und forderten auch von ihnen immer wieder eine politische Stellungnahme. So brachte beispielsweise der Nordische Krieg für die Untertanen des gottorfischen Anteils am Herzogtum Schleswig große Veränderungen. Nachdem die Gottorfer Regierung im Februar 1713 ihrer öffentlich proklamierten Neutralität zuwider dem schwedischen General Steenbock die Festung Tönning eingeräumt hatte, erklärte der dänische König den gottorfischen Fürsten zum Feind, besetzte dessen Gebiete und setzte in den fürstlichen Ämtern königliche Amtmänner ein. Am 13. März 1713 ließ der dänische König ein Okkupationspatent ausstellen und den Befehl erteilen, daß die Fürbitte im gottorfischen Teil des Herzogtums Schleswig nunmehr nicht mehr für den Herzog, sondern für 1
Siehe Deppermann; Hinrichs, S. 174ff. Siehe Hartmut Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung in Württemberg vom 17. bis zum 20. Jahrhundert (Stuttgart 1969). 2
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den König gesprochen werden sollte 3 . Dieser Befehl brachte die fürstliche Geistlichkeit in ernsthafte Gewissenskonflikte, da sie ihres fürstlichen Eides noch nicht entbunden worden war. In der Propstei Tondern versammelten sich noch im selben Monat, am 26. März 1713, auf Aufforderung des Propsts Samuel Reimarus die Pastoren der Propstei in der Kirche zu Klixbüll, wo sie „sub fide silentii et taciturnitatis" beschlossen, sich durch den königlichen Befehl nicht sogleich von ihrem, dem gottorfischen Fürsten geleisteten Eid loszusagen, sondern beim Generalsuperintendenten Einspruch zu erheben. Sollte ihnen der Eidbruch aber ferner zugemutet werden, wollten sie erneut beratschlagen, ob man Abgesandte zum König senden sollte. A m 20. Dezember 1713 wurde den Pastoren v o m Generalsuperintendenten ein gedrucktes Gebetsformular übersandt, das sie sub poena suspensionis nach der Predigt auf der Kanzel verlesen sollten. Der Propst Samuel Reimarus sandte daraufhin zwei Pastoren zu dem königlichen Justizrat Meley in Flensburg, u m sich bei ihm zu erkundigen, was zu tun sei 4 . Anscheinend hat ihnen Meleys Antwort aber wenig Hilfe bedeutet. Die Pastoren der Propstei Tondern versammelten sich unter der Leitung ihres Propsts erneut und beschlossen, weiterhin das bisher nicht verbotene Mittwochsgebet, in dem nur allgemein der Obrigkeit gedacht wurde, auch sonntags zu sprechen. Dabei hofften sie, daß der Widerstand Tönnings gegen die königlichen Truppen erfolgreich sein und der Herzog bald zurückkehren werde. Diese Hoffnung wurde sehr schnell enttäuscht; nach fast einjähriger Belagerung wurde Tönning am 7. Februar 1714 von den dänischen Truppen eingenommen. Möglicherweise um die Gemüter zu beruhigen, kam jedoch noch im Februar 1714 die dänische Regierung den Wünschen der fürstlichen Geistlichkeit in der Frage des Kirchengebets entgegen. Der Generalsuperintendent Dassow übersandte ein königliches Edikt mit einem neuen Formular des Kirchengebets. Darin wird allen Geistlichen im Herzogtum Schleswig erlaubt, das kleine Mittwochsgebet auch sonntags in der Kirche zu gebrauchen, allerdings mit der Änderung, daß statt „Gnädigste Obrigkeit" die Worte „Hohe Landes-Obrigkeit" zu sprechen seien. Die Prediger, die den königlichen Befehlen bisher nicht nachgekommen waren, mußten zehn Reichstaler Brüche wegen Ungehorsams zahlen. Propst Reimarus, der, wie auch die Schleswiger Geistlichen, den Kompromiß für annehmbar hielt, teilte seine Ansicht in einem Schreiben am 9. März 1714 den
3 Z u m folgenden siehe Petersen, „Gutachten der Universitäten Halle, Helmstedt und Jena in der Frage des Kirchengebets", S S H K G , II, Bd. 3, Heft 3 (1905) S. 319ff; ders., „ A u s dem Leben des Pastors Matthias Henck in Emmelsbüll", S S H K G , II, B d . 3, Heft 2 (1904) S. 260ff; vgl. Kellenbenz, S. 245. 4 L A A a , T0nder provstearkiv, nr. 223; S. Reimarus an unbekannt, Tondern, 5. Januar 1714; vgl. Petersen, Aus dem Leben des Pastors Henck, S. 262.
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Predigern der Propstei Tondern mit, ohne ihnen aber etwas vorschreiben zu wollen 5 . In der Propstei Apenrade war der Widerstand der Geistlichen gegen die königlichen Verordnungen über das Kirchengebet nicht geringer; auch hier zeigte sich Unsicherheit über das weitere Vorgehen gegen das Kirchengebet. Deshalb holte der Propst Christian Gottlieb Koch für die Pastorenschaft der Propstei Apenrade von den Universitäten Halle, Helmstedt und Jena Gutachten ein, wie sie sich in der Frage des Kirchengebets verhalten sollten. Auf sechs Fragen wünschten die Geistlichen eine Antwort: „1. O b die Prediger des sequestrirten oder occupirten Landes von dem theuren Eyde, den Sie dem Landesflirsten geschworen haben, frey u. loß sind, nachdem Ihr Landes-Fürst aus dem Lande gewichen? 2. O b die Prediger ohne Verletzung Ihres Gewißens den Landes-Fürsten Bey solchen Umbständen auß dem allgemeinen Kirchen-Gebeht außschließen, dahingegen daß von dem jetzigen Possessore zugeschickte gebrauchen können? 3. O b die von dem Gener. Superintendenten des vorgedachten Potentaten Beygefiigte rationes zulänglich sindt, daß die Prediger des sequestrirten Landes das neue Gebeht mitt gutem Gewißen brauchen mögen? 4. Wan von dem neuen Kirchen Gebeht abgestanden, u. denen Predigern zugelassen werden möchte, das Bishero in denen Wochen Predigten gewöhnliche Kirchen Gebeht mitt dieser Conditionen zu gebrauchen, daß Sie sich des am Sontag gewöhnlichen, darinnen des Landes Fürsten gedacht wirdt, gantz enthielten, in dem Kirchen-Gebeht auch dießes enderten, nemlich die Rähte u. Amptleute außließen, u. vor den Worten: Gnädigste Obrigkeit, die General Expression brauchten: Hohe Landes Obrigkeit, ob die Prediger Bey gestalter Sachen das verordnete Kurtze Gebeht ohne Verletzung des Gewißens Beten können? 5. Wenn der Possessor temporarius Bey fernerer Exercirung der Jurisdiction in Ecclesiasticis durch seinen General-Superintendenten Bußtage außschreiben laßen wolte, wie die Prediger sich dabey zu verhalten? 6. Wenn über Verhoffen sich die bloquirte Vestung ergeben solte, wie den Prediger des Bishero sequestrirten oder occupirten Landes sowoll wegen des Gebehts alß auch der Jurisdictionis Ecclesiasticae sich zu verhalten?" 6 Das Responsum der Juristischen Fakultät der Universität Halle besagte, die Prediger könnten sich von ihrem, dem gottorfischen Landesherrn geleisteten Eid nicht selbst lösen. Allerdings könne man davon ausgehen, daß der geflüchtete Landesherr seine Untertanen ad interim von ihrem Eid suspendiert habe und er lieber wolle, daß sie sich durch Gehorsam gegen den neuen Potentaten „conserviren, alß durch unzeitige resistance sich 5 6
Petersen, Aus dem Leben des Pastors Henck, S. 263. Petersen, Gutachten, S. 322.
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selbsten in völligen ruin setzen solten, absonderlich da derselbe selbst sich retiriren müßen, und sein Landt nicht weiter beschützen mögen, auch keine andere Vermuhtung gefaßet werden mag, alß daß der Landes Herr seinen getreuen Untertanen vor Ihre conservation indeßen zu sorgen, verstaten werde." Damit war die erste Frage beantwortet und gleichzeitig eine wichtige Prämisse zur Beantwortung der folgenden Fragen gegeben. Als Besitzer des Landes hätte der fremde Potentat die jura suprema sowohl in sacris als auch in profanis und somit auch das jus praescribendi preces publicas. Die Prediger könnten das v o m königlichen Generalsuperintendenten versandte neue Gebet mit gutem Gewissen benutzen; denn sie seien dem jetzigen Herrn zu allem Gehorsam verpflichtet, hätten auch für ihn zu beten und dürften sich dabei keiner reservationes mentales bedienen. Z u m Ändern der Gebetsformel seien die Prediger nicht befugt. Die Ausschreibung der Bettage k o m m e der jeweiligen Herrschaft zu und die Geistlichen seien verpflichtet, solche zu halten. Das Responsum der Universität zu Helmstedt v o m 10. März 1714 widersprach dem Hallischen Responsum in allen Fragen: Trotz der O k k u pation des Landes durch eine fremde Macht seien die Prediger von dem Eid an ihren Landesherren nicht entbunden, da er für Friedens- wie für Kriegszeiten in gleichem Maße gelte und v o m Landesherrn nicht ausdrücklich aufgehoben sei. Folglich dürften die Prediger den Landesherrn auch nicht aus dem allgemeinen Kirchengebet ausschließen und stattdessen für den jetzigen Besetzer beten. Die dritte und vierte Frage wird ebenfalls verneint, es sei denn, der abwesende Landesherr würde den Predigern erlauben, ein Gebet für den Possessor temporarius zu sprechen und die Gebetsformel zu ändern. Auch könnten sie keine v o m König verordneten Büß- und Bettage vornehmen, falls diese ausgeschrieben würden. Die Pflichten des Predigers gegenüber seinem Landesherrn würden sich auch nach dem Fall der Festung Tönning nicht ändern, da sie allein v o m Eid abhingen. Allerdings hätte der fremde Herrscher dann mehr Recht, seine Jurisdiktion auszuüben. Die Geistlichen sollten aber darum bitten, „daß Ihres Gewißens, so lange biß die vorseynde Tractaten zum schluß kommen möchten, geschonet werde." Sollte dieses nicht helfen, müßten sie sich dem neuen Herrn fügen. Es wird aber geraten, in allen Fragen den abwesenden Landesherrn oder seine Minister zu konsultieren. Das ausführlichste, aber an Klarheit mangelnde Gutachten erstellte die Theologische Fakultät der Universität zu Jena am 28. März 1714. Auch hierin wird betont, daß an dem einmal geleisteten Eid festzuhalten sei und daß er nur von dem gelöst werden könne, welchem er vorher geleistet worden sei. Wenn der fremde Herrscher aber nach der Übergabe der Festung Tönning das ganze Land besetzt habe, er sich huldigen ließe und sich alle weltlichen und geistlichen Rechte anmaße, dann dürften sich die Prediger nicht mehr entziehen, für den Possessor temporarius zu bitten und die Büß- und Bettage zu halten; denn die jura circa sacra stünden unbe160
streitbar der Superioritas territorialis zu. Die Treue der Untertanen sei mit dem Schutz der Herrschaft dergestalt verbunden, daß, wenn dieser nicht erfolgen könne, jene wenigstens dem äußerlichen Gehorsam nach aufhören müsse und ad tempus suspendiert würde. Gemäß Rom 13 hätten sie sich dem neuen Potentaten unterzuordnen. Die entscheidende, in den Gutachten zu behandelnde Frage war, ob die dem gottorfischen Fürsten geleisteten Eide auch nach dessen Flucht nach Hamburg und nach der Besetzung des Landes verbindlich seien. Wie gezeigt, gaben die Gutachten auf diese Frage unterschiedliche Antworten. Klar formulierte, inhaltlich aber ganz gegensätzliche Positionen vertraten die Theologische Fakultät der Universität Helmstedt und die Juristische Fakultät der Universität Halle. Während die Helmstedter Theologen die weitere Verbindlichkeit des dem geflüchteten „Landes-Herrn und Fürsten" geleisteten Eides betonten, sprach das Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Halle davon, daß die fürstlichen Untertanen vom Eid entbunden seien. Die halleschen Juristen gingen von der Überlegung aus, daß die Eidesleistung der fürstlichen Untertanen gegenüber ihrem Landesherrn nur im Hinblick auf seine staatsrechtliche Stellung geschehen war. Da der gottorfische Fürst bedingt durch seine Flucht und durch die Okkupation seines Landes die Stellung als Landesherr nicht mehr ausüben konnte, hörte damit ihrer Ansicht nach auch die eidliche Verpflichtung der Untertanen auf. Als derzeitiger Besitzer des Territoriums war der dänische König an die Stelle des geflüchteten Landesherrn getreten und somit standen ihm auch alle Rechte eines Landesherrn zu. Ähnliche Ansichten vertrat auch die Theologische Fakultät der Universität Jena im zweiten Teil ihres Gutachtens, in dem auch sie davon sprach, daß die Geistlichen vom Eid entbunden seien, allerdings erst, wenn das ganze Land durch den fremden Herrscher okkupiert sei, der neue Landesherr sich huldigen lasse und die geistliche und weltliche Jurisdiktion an sich ziehe. Diese Gutachten erreichten die schleswigschen Geistlichen aber erst, als mit dem dänischen König in der Frage des Kirchengebets schon der Kompromiß erzielt worden war. Die Frage des Kirchengebets war jedoch nur eines der Probleme, das die Geistlichkeit während der Besetzungszeit bewegte. Für andere Fragen, wie die auch schon in den Gutachten angesprochene Feier der Büß- und Bettage sowie die Pfarrstellenbesetzungen mochten die Gutachten dem einen oder anderen Geistlichen noch hilfreich gewesen sein und die Gewissensentscheidungen erleichtert haben. Da die Gutachten nicht einhellig ausfielen, konnte fast jeder in einem der Gutachten seine Position bestätigt finden. Nachdem die Festung Tönning sich ergeben hatte, ließ der dänische König kurz nach Pfingsten, am 1. Juni 1714, einen Dank- und Bettag ausschreiben, an welchem Gott für den bisherigen Erfolg des Königs gedankt und um ferneren Erfolg gebetet werden sollte. Texte, Kollekte und Gesang wurden vorgeschrieben. Die Geistlichkeit des fürstlichen 161
Anteils fugte sich dieser Anordnung nicht. Sie lehnte es nicht nur ab, für den erlittenen Schaden auch noch danken zu müssen, sondern sah es nach wie vor als einen Eidbruch an, gegen das fürstliche Haus zu beten. Die Geistlichen sandten deshalb ein Memorial an den König. Viele von ihnen waren bereit, lieber alles zu erdulden, als den Eid zu brechen. Von königlicher Seite forderte man daraufhin nur einen Bettag für den Frieden, so daß die Geistlichen das T e deum laudamus nicht zu singen brauchten, sondern Gesänge nach Belieben aussuchen konnten. Durch dieses Entgegenkommen und die Drohung im Falle der Weigerung mit Einquartierung bestraft zu werden, ließen sich einige Prediger bewegen, den Bettag zu feiern; viele weigerten sich aber weiterhin und mußten für ihren Ungehorsam zehn Reichstaler Strafe ad pias causas zahlen 7 . In unserem Zusammenhang gilt es vor allem zu prüfen, wie sich die pietistischen Prediger in dem Konflikt mit der dänischen Obrigkeit verhielten. Von dem pietistischen Propst Samuel Reimarus aus Tondern wurde schon berichtet, daß er in Zusammenarbeit mit der gesamten Geistlichkeit seiner Propstei in der Frage des Kirchengebets eine Lösung zu erzielen versuchte, die von allen Betroffenen akzeptiert werden konnte. D e m in der Frage des Kirchengebets schließlich erzielten Kompromiß stimmten, soweit wir wissen, alle pietistischen Geistlichen zu. Ein weiteres schwerwiegendes Problem entstand für die Pietisten durch die Ausschreibung der Büß- und Bettage durch den dänischen König. Johann Melchior Krafft aus Husum schrieb am 22. Juni 1714 an Joachim Lange, Professor in Halle, daß sie „von Königlich Dänischer Seiten, mit dem Kirchengebet, danck und bettagen so oft behänget worden, da sonderlich Herr Dassovius aufs gewißenloste und nach art der gröbsten heuchler mit uns verfahren, was wir am gemüht dabey gelitten, und in so mancher gewißens angst gelebet, mag nicht weiter melden und läßet sichs auch wol schwerlich glauben, bis man selbst unter solchen anfechtungen gewesen" 8 . Der Tonderner Johann Joachim Arends, der sein Amt in Risum noch nicht angetreten hatte und deshalb selbst keinen Gewissenskonflikt wegen der Feier des Bettages ausstehen mußte, fragte dennoch für seine Gesinnungsfreunde und wohl auch prophylaktisch für sich selbst bei Francke an, „ob der König als itziger Possessor Ducatus Macht habe, den Fürstlichen Predigern einen solchen Dancktag zu halten anzubefehlen? N . B . Doch hat er sie mit Collecte und besonderem gebeht verschonet, und die explication und application des Textes in ihre Freyheit gestellet und u m den lieben Frieden zu bitten befohlen. U n d ob die Prediger, die dem Befehl nicht nachkommen, als Ungehorsame anzusehen, die sich ohne N o h t in Unglück gestürtzet? Item / ob die fürstlichen Prediger mit gutem Gewissen königliche Befehle, darin Dinge wieder den Herzog als angebohrnen 7 8
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AFSt, C 205: 10; L. Ottens an A. H . Francke, Kahleby, 7. Januar 1715. AFSt, A 188a: 173.
Landesherrn enthalten, von der Cantzel publiciren können, da der König sie noch immer in fürstlichem Eid und Pflichten gelassen?" 9 Die Antwort Franckes ist leider nicht bekannt; vermutlich wird sie aber nicht so sehr von dem Gutachten abgewichen sein, das die Juristische Fakultät zu Halle dem Apenrader Propst Koch zukommen ließ. Als im Jahre 1715 ein weiterer extraordinärer Bettag vom König ausgeschrieben wurde, war Arends bereit, diesen zu feiern, aber Gebete und Kollekte nicht anzunehmen. „Den einen End=Zweck wegen glücklicher Campagne lasse ich fahren", schrieb er an Reimarus, „und wil mich bloß an die andern von Erbittung des friedens, so im Königlichen befehl exprimiret, halten, und den text schrifftmäßig und erbaulich zu erklähren suchen. Ich bin gewiß, daß ich hierunter mein Gewissen nicht laedire." 10 Im übrigen war er der Meinung, daß ein jeder „nach seinem eigenen begriff und gewissen gehen, und sich nicht bloßhin ohne Untersuchung andern confirmiren" dürfe 11 . Mit dieser Ansicht stand Arends im Einklang mit den meisten Predigern der benachbarten Gemeinden 12 . Viel weniger problematisch war für die Pietisten die Vokation durch den dänischen König während der Okkupationszeit. Als der aus Tondern stammende Pietist Johann Joachim Arends in Leipzig von seiner Wahl zum Pastor in Risum erfuhr, machte ihm jemand „den Scrupel", ob er sich „von einem violento possessore et Hoste unserer ordentlichen Obrigkeit könne bestellen und einsetzen lassen." 13 Arends meinte jedoch, wie er August Hermann Francke am 15. Januar 1714 aus Leipzig mitteilte, daß er darin nicht wider seine Obrigkeit handele, „und es ist ja Gottes Sache, der die Gemeine regiret, wobey die Weltliche Obrigkeit nur als ein Instrument concurriret" 14 . Er hätte auch von einem Eid, den man dem dänischen König leisten müsse, nichts gehört. Auch Nikolai Brorson, der später wegen seiner erbaulichen Versammlungen mit seinem Propst in Streit geriet, schien keine Bedenken zu haben, das Pfarramt in Bedstedt anzutreten, nachdem ihn im Dezember 1715 die Gemeinde mit 47 von 57 abgegebenen Stimmen gewählt hatte 15 . Sein Propst Christian Gottlieb Koch dagegen weigerte sich, Brorson ins Amt einzuführen; seiner Ansicht nach war er nicht rechtmäßig berufen, da nicht der Herzog, sondern der König die Wahl ausgeschrieben hatte. Ins Amt eingesetzt wurde Brorson von dem Flensburger Propst und Pietisten Andreas Hoyer. Auch andere Pietisten 9
AFSt, A 166: 1; vgl. Achelis, Von der Gewissensnot, S. 313. LAAa, Tander provstearkiv, nr. 223; Brief vom 3. Mai 1715. 11 Ebenda. 12 Der Pastor Hinrich Riese aus Fahretoft weigerte sich, diesen Bettag zu feiern; er war in der Bökingharde wohl eine Ausnahme. Siehe LAAa, Tender provstearkiv, nr. 223; J. J. Arends an S. Reimarus, Risum, 3. Mai 1715. 13 AFSt, A 166: 2;J. J. Arends an A. H. Francke, Leipzig, 15. Januar 1714; vgl. Achelis, Von der Gewissensnot, S. 313. 14 Ebenda. 15 Hejselbjerg Paulsen, Senderjysk Psalmesang, S. 190. 10
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wie z. B. Johannes Tychsen in Humptrup und Johannes Thomsen in Fahretoft haben sich während der Besatzungszeit als Pastoren berufen lassen 16 . Was für die Pietisten des herzoglichen Teils besonders schmerzlich war, war der mit der Okkupation verbundene Wechsel in der höchsten Kirchenleitung: An die Stelle des herzoglichen Generalsuperintendenten Hinrich Muhlius, der selbst Pietist war und der den Pietismus in den Gottorfer Gebieten kräftig gefördert hatte, traten zwei streng orthodoxe und pietistenfeindliche Generalsuperintendenten, zunächst Theodor Dassow und später, 1721, Thomas Clausen. Mit beiden hatten die Pietisten scharfe Auseinandersetzungen. Auf der anderen Seite bekamen die schleswigschen Pietisten - wie sie bald merkten - in dem dänischen Staatsminister und Amtmann von Tondern, Johann Georg von Holstein, jedoch einen wichtigen Protektor und Förderer. Dieses vermag auch dazu beigetragen haben, daß die Pietisten sich trotz aller Bedenken doch relativ rasch mit der neuen dänischen Regierung und ihren Vertretern arrangierten. Die fiir die herzoglichen Geistlichen schwierige Zeit ungeklärter Loyalität fand ihr Ende mit dem königlichen Patent vom 22. August 1721, durch das der Gottorfer Teil des Herzogtums Schleswig mit dem königlichen vereinigt wurde, und mit den sich daran anschließenden Huldigungsfeiern 17 . Die Huldigungsfeier im Amt Tondern fand am 12. September 1721 auf dem Schloß in Tondern statt, wo sich die Prediger und Zivilbediensteten versammelt hatten 18 . Zunächst hielt der Amtmann Johann Georg von Holstein als Vertreter des Königs eine Rede, in der er darauf hinwies, daß es Huldigungen schon so lange gäbe, wie Obrigkeiten, Polizeien und Gesetze in der Welt seien 19 . Schon der Prophet Jeremia habe Gottes Volk angewiesen, dem heidnischen König Nebukadnezar Treue und Gehorsam zu leisten. Auch Christus habe sich Pilatus willig unterworfen und gelehrt, daß man der weltlichen Obrigkeit das geben solle, was ihr zustehe. Ebenso lehrten seine Apostel uns, daß jedermann der Obrigkeit Untertan sein solle und daß keine Obrigkeit sei außer von Gott. Alle Gewalt komme von Gott und Gott allein gebe Königreiche, Fürstentümer und Herrschaften, so daß man sich seinem Rat und Willen widersetzen würde, wenn man nicht demjenigen gehorsam wäre, dem Gott das Regiment gegeben. „Begreiflich" und „sonnenklar" sei auch, daß es für die Untertanen besser sei, nur unter einer Obrigkeit zu leben als unter zweien; es sei unmöglich, mehreren Herren zu dienen, weil deren Interessen und Absichten, wenn sie sich 16
Vgl. Anm. 16 Kap. II und Anm. 46 Kap. IV. Kellenbenz, S. 251. KBK, Ledreb. 499, 4°; P. Clasen a n j . W. Schröder, Rodenäs, 22. Oktober 1721; vgl. Pedersen, Fra en genforeningsfest, S. 196. 19 Die Rede ist überliefert: KBK, Ledreb 437, fol (nr. 104), „Die bey der Huldigung im Amte Tündern den 12. September 1721 gehaltene Anrede"; vgl. Pedersen, Fra en genforeningsfest, S. 199 f. 17
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auch nicht beständig widersprächen, so doch selten zu beider Zufriedenheit sich verbinden ließen. Dieses bestätige sowohl die alte als auch die jüngste Geschichte dieser Lande, die zeige, daß durch die Trennung des Herzogtums Schleswig von der Krone Dänemarks Unruhe und Veränderung verursacht wurden. „Sehen wir nun die Historie der letzten 60. ä 70. Jahren an", wie Holstein weiter ausführte, „was vor beständige Unruhen und Landesverderbliche Kriege hat es nicht darinn abgegeben, seitdem das Fürstliche Holsteinische Hauß sich durch Schweden größer zu machen gesuchet, und hergegen sich von seinem Stam abzureißen, und aus voriger Verbindlichkeit zu treten sich mit äußersten Kräften bearbeitet, auch sich gar nicht entblödet des Feindes Vorhaben gegen den Herrn, von dem es doch das Lehn über diese Lande empfangen mußte, zu unterstützen, auch in diesem wiedrigen Vorhaben bis hieher, wie es ja Land= und weltkundig ist, beständig verharret." Gott habe dieses große „Werck der Wiedervereinigung dieses Hertzogthums mit der Crone Dennemark" durch Friedrich IV. ausfuhren lassen und dadurch dem Land Friede und Ruhe wiedergegeben. „Was ist denn nun übrig, da wir den Winck und Willen Gottes erkennen, und den Nutzen dieser Sache vor Augen sehen", äußerte Holstein ferner, „als daß von unß auch hier geschehe, was bereits die Ritterschaft dieses Landes mit Freuden, wie ich selbsten davon zeugen kan, verrichtet, die Geistlichkeit, Städte und Einwohner der mehresten Ämbter auch bereits geleistet, nemlich unßerm Gott und Gerechtigkeit liebenden Könige Treu und Gehorsam, der Ihm gebühret, anjetzo anzuloben, der hergegen allen insgesamt Gnade, Huld, Schutz, Schirm, Recht und Gerechtigkeit, Beförderung Dero Wohlstandes und Bestens durch mich allergnädigst verspricht." 20 Nach der Rede Holsteins folgte eine kurze Ansprache des Generalsuperintendenten Thomas Clausen, in der er das Wort Ps 118, 24 anführte: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat, laßt uns frohlocken und seiner uns freuen!" Nachdem die etwa 60 Geistlichen, darunter mehrere Pietisten, den Eid unterschrieben hatten, ließen sie sich mit den anwesenden Offizieren und Zivilbedienten an der Festtafel nieder, um den Tag zu feiern 21 . Die Feier ging ohne „Excess" ab, wie der pietistische Pastor Peter Clasen aus Rodenäs betonte, und er habe auch nicht gehört, „daß jemand unser einen etwas ungebührliches imputiret hätte" 22 . Die anwesenden Prediger, Offiziere und Zivilbedienten seien „magnifique" und „recht königlich" behandelt worden. Sehr positiv äußerte Peter Clasen sich auch über die Ansprache des Amtmannes Johann Georg von Holstein; er hätte „eine sehr wohl abgefaste Rede" gehalten 23 . Kritische Worte fand er jedoch 20
KBK, Ledreb 437, fol (nr. 104). KBK, Ledreb. 499, 4°; P. Clasen an J. W. Schröder, Rodenäs, 22. Oktober 1721; vgl. Pedersen, Fra en genforeningsfest, S. 196f. 22 Ebenda. 23 Ebenda. 21
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für die Ansprache des Generalsuperintendenten Thomas Clausen; besonders unangebracht fand er das Wort aus dem Psalm 118, das die ehemaligen herzoglichen Geistlichen, von denen sich noch mancher dem Gottorfer Fürsten verbunden fühlte, in der Tat als sehr unpassend empfunden haben mußten. N u r Gott wisse, welche „Seelen A n g s t " die Eidesleistung bei manchem „redlichen Diener Christi" hervorgerufen hätte, schrieb Hinrich Brummer aus Haddeby an August Hermann Francke und fuhr fort: „Ich bin nicht weit von den 60gen, und habe dem Hoch=Fürstlichen Hause von meinen Eltern und Groß Eltern her in ecclesiasticis gedienet, und darum fällt mir die Veränderung was sensible. Allein Paulus weiset mit R o m . 13 den Weg, und muß dem mich submittiren, was die unbegreifliche Vorsehung Gottes über Uns beschloßen." 2 4 So wie Brummer werden viele schleswigsche Pietisten empfunden und gedacht haben. Insgesamt läßt sich sagen, daß die politische Situation für die Geistlichlichkeit der gottorfischen Gebiete des Herzogtums Schleswig nach 1713 außerordentlich schwierig war. Keiner wußte, wie lange die Okkupation dauern würde, ob und wann der gottorfische Herzog wieder in den Besitz seiner schleswigschen Gebiete kommen würde. Viele Geistliche erinnerten sich noch an die Sequestrierung des gottorfischen Anteils von 1676-1679 und an die Einziehung („Reunion") dieser Gebiete von 1684—168925. Beide Male hatte sich die politische Lage wieder zugunsten des Gottorfer Herzogs verändert. Weshalb sollte also eine solche Veränderung zugunsten Gottorfs nicht auch nach 1713 möglich sein, dachten sie wie viele Zeitgenossen. Das Dilemma, in dem sich die pietistischen Geistlichen befanden, war offensichtlich: Einerseits standen sie durch den von ihnen geleisteten Eid in einem Treueverhältnis zum gottorfischen Herzog, andererseits waren sie aber dem dänischen König als der faktischen Macht unterworfen. Kein Wunder, daß sie wie viele andere Geistliche auch in dieser Zeit große Gewissenskonflikte ausgestanden haben. Jedoch ist auch nicht zu übersehen, daß die pietistischen Geistlichen in dem Konflikt mit der dänischen Obrigkeit durchaus bereit waren, Kompromisse einzugehen, wenn sie diese mit ihrem Gewissen vereinbaren zu können glaubten. Inwieweit sich die Pietisten in den Auseinandersetzungen mit der dänischen Regierung aber anders verhielten als die orthodoxen Geistlichen, läßt sich im einzelnen schwer nachweisen. Grundsätzlich unterschiedliche Ansichten wurden bei der Besetzung der Pfarrstelle in Bedstedt deutlich: Der Pietist Brorson ließ sich in der Okkupationszeit von dem dänischen König berufen, sein orthodoxer Propst Koch erkannte diese Berufung nicht an und verweigerte die Introduktion. Während Koch mit den im Gutachten der Helmstedter Universität dargelegten Ansichten übereinstimmte, vertraten die Pietisten eher die staatsrechtlichen, staatskirchenrechtlichen und theologischen Posi24 25
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AFSt, A 144: S. 913-916; Brief vom 6. Oktober 1721. Siehe Kellenbenz, S. 217 ff, 223 ff.
tionen der Gutachten aus Halle und Jena 26 . Fraglich ist jedoch, ob die Einstellung des Propsts Koch zur neuen dänischen Regierung für die orthodoxe Geistlichkeit der ehemaligen gottorfischen Gebiete insgesamt repräsentativ war. Mangels überlieferter Quellen wird eine nähere Klärung dieser Frage kaum möglich sein. Was aber die Predigerberufungen angeht, so zeigen die zwischen 1713 und 1721 angenommenen Vokationen auf Pfarrstellen im ehemaligen gottorfischen Gebiet, daß auch einige junge orthodoxe Theologiekandidaten sich aus grundsätzlichen moralischen Gründen nicht davon abhalten ließen, eine Berufung durch den dänischen König anzunehmen und damit ein materiell gesichertes Predigtamt anzutreten. Nachdem der frühe schleswig-holsteinische Pietismus sich unter sehr unterschiedlichen Bedingungen und, aufs ganze gesehen, langsamer als in anderen Territorien entwickelt hatte, kam es mit dem Regierungsantritt des Königs Christian VI. 1730 zur großen Wende: N u n wurden die Pietisten von oberster staatlicher Stelle protegiert, nun waren die Orthodoxen völlig in die Defensive gedrängt; nunmehr gab es auch keine gravierenden Differenzen mehr zwischen der Kirchenpolitik in den einzelnen Landesteilen. Schärfer als im frühen schleswig-holsteinischen Pietismus sollten aber die innerpietistischen Konflikte werden, vor allem zwischen den Anhängern Franckes und jenen Zinzendorfs. Mit dem Jahre 1730 war die Phase des frühen Pietismus in Schleswig-Holstein endgültig abgeschlossen.
26
Vgl. LAAa, Tender provstearkiv, nr. 223; J. J. Arends an S. Reimarus, Risum, 18. Januar 1721.
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Abkürzungen ADB AFSt AGP AKG Cimb. lit. DBL JGP KBK Kirchen- u. Schulblatt KuKh LAAa LAS LThB NDB PuN QuFGSH RAK SHBL SHLB S0A S0M SSHKG StUB HH ThB ThRE ZKG ZSHG
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Allgemeine Deutsche Biographie Archiv der Franckeschen Stiftungen, Halle Arbeiten zur Geschichte des Pietismus Arbeiten zur Kirchengeschichte Joh. Moller, Cimbria literata Dansk Biografisk Leksikon Jahrbuch zur Geschichte des Pietismus Königliche Bibliothek Kopenhagen Schleswig-Holstein-Lauenburgisches Kirchen- und Schulblatt Gottfried Arnold, Unpartheyische Kirchen- und Ketzerhistorie Landsarkivet for de sonderjyske Landsdele, Aabenraa Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv, Schleswig Ph. J. Spener, Letzte Theologische Bedenken Neue Deutsche Biographie Pietismus und Neuzeit Quellen und Forschungen zur Geschichte SchleswigHolsteins Reichsarchiv Kopenhagen Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Sonderjyske Aarbager Sonderjysk Mänedsskrift Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Ph. J . Spener, Theologische Bedenken Theologische Real-Enzyklopädie Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte
Ungedruckte Quellen Archiv der Franckeschen Stiftungen, Halle A 144, A 166, A 170, A 171, A 188a, C 205, C 615, C 813, C 825, D 111, F 10 u n d F 14; Briefe schleswig-holsteinischer Pietisten an A u g u s t H e r m a n n Francke u n d J o a c h i m Lange. C 145; K o r t h o l t an Spener Forschungsbibliothek Gotha C h a r t . A 310, A 413 u n d B 198; Briefe schleswig-holsteinischer Pietisten an Friedrich Breckling. Königliche Bibliothek
Kopenhagen
a) Den Ledreborgske Haandskriftsamling: 429, 2° u n d 430, 2°; B l a n d e d e Samlinger til dansk Personalhistorie 437, 2°; Skrivelser o g Forestillinger ang. Statssager, B r e v u d k a s t , Taler, religi0se Betragtninger. 455, 2°; B r e v e til J . G. Holstein. 499, 2°; B r e v e til J. W . S c h r a d e n 389', fol; Missionssager. b) Den ny kongelige Sämling: 379 k , 8°; S t a m m b u c h A. Kall. 396", 8°; S t a m m b u c h J. S t e i n h a m m e r . c) Den gamle kongelige Sämling: 3026, 4°, G. V o l q u a r t z , Einige Lebensläufe. d) Den Thottske Sämling; 1228,4°, J. M . K r a f t an J. A. Fabricius. Reichsarchiv Kopenhagen a) T . K . I . A . , B. P e r i o d e n 1670-1770: 4 P r o t o c o l l u m consilii 1707-1714 5 „Patenten" 6 Septbr. K o n c e p t e r o g Indlaeg til „ P a t e n t e n " 12 „Inländische R e g i s t r a t u r " 14 K o n c e p t e r o g Indlaeg til „Inländische R e g i s t r a t u r " 147 D i v e r s e Processager 138 A k t e r i Sagen G e n e r a l s u p e r i n t e n d e n t J o s u a S c h w a r t z ctr. Praest i F l e n s b o r g O t t o Strandiger. b) O v e r k o n s i s t o r i e t for H e r t u g d o m m e t Slesvig: I. A l m i n d e l i g Afdeling: 1. 1722-1803 Visitatsberetninger o g Sager vedr. Visitatsberetningerne. c) K e b e n h a v n s U n i v e r s i t e t : 31-03-01, 31-03-02 u n d 31-03-03. Landsarkivet for de senderjyske Landsdele, Aabenraa T e n d e r p r o v s t e a r k i v , nr. 223 u n d 224.
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Schleswig-Holsteinisches
Landesarchiv,
Schleswig
Abt.
7 Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf 1544-1713: N r . 2063 Visitation der gemeinschaftlichen Kirchen. N r . 4932 Allgemeine und verschiedene Kirchensachen. Nr. 5634 M. Holmer X A. Giese. Abt. 18 Archiv des Generalsuperintendenten für das Herzogtum Schleswig: Nr. 72 Disziplinarsachen. Abt. 19 Archiv des Generalsuperintendenten für das Herzogtum Holstein: Nr. 620 Protocollum der königl. Rendsburgischen Generalsynode und Synodalakten. Nr. 642 Visitationsakten. Nr. 703 Separatisten, Fanatiker, Schwärmer betr. Stadtarchiv
Husum
2103 Kgl. Mandat vom 6. August 1723 J. M. Krafft betr. 1708 Gerichtsprotokoll den Streit Hollander/Henneberg betr. Stadtarchiv
Flensburg
A 521 Die Adjunktenwahl von 1707 betr. A 800 Protokoll des Flensburger Waisenhauses. Staats- und Universitätsbibliothek
Hamburg
Suppellex Epistola Uffenbachii et Wolfiorum: 14, Briefe Kraffts a n j . H. May. 15, BriefeJ. Michaelis a n j . H. May. 114, Briefe H. Brakers a n j . Ch. Wolf. 116, Briefe Glüsings und Briefextrakte Glüsing betr. 119, P. Richardi a n j . Ch. Wolf. Staatsbibliothek
Preußischer Kulturbesitz,
Berlin
Nachlaß Francke, Kapsel 1, 20 und 23: verschiedene Briefe an Francke und Elers. Univeristätsbibliothek
Leipzig
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Personenregister Achelis, T h o m a s Otto 64 Aland, Kurt 31 f, 79 Alard, Nikolaus 32 Alberti, Georg Dietrich 100, 140, 144-148, 150, 155f Ambders, Andreas Christian 77 Amthor, Christoph Heinrich 39 Arends, Johann Joachim 18, 22, 38-43, 46f, 49, 61, 70f, 104, 108, 110, 115f, 162f Arndt j o h a n n 21, 32, 40, 46, 59, 82, 127 Arnkiel, Trogillus 13, 31 Arnold, Gottfried 70, 123, 128 Arrebo, Johann Jürgen 97 Bahr, Christian 70 Barclay, Robert 127 Bäsch, Caspar 100, 154 Beckmann, Matthias 35 Beer, Wolfgang Dominicus 53 Benthem, Heinrich Ludolph 136 Berbaum 102 Berckau, Heinrich 81 Bertheau, Carl 154 Betke, Joachim 21 Beyer, J . S. 18
34-36, 43, 45 f, 70 f, 82, 86 f, 92, 99, 102, 106f, 114, 122, 137, 156 Breckling, Johann 12, 24 Breithaupt, Joachim Justus 70, 75, 144 Brightman, T h o m a s 34 Brockdorff, Graf von 27, 98 Brorson, Nikolai 163, 166 Brückner, Georg Heinrich 137 Brüderlein, Jeremias 138 Bruhn, Christoph Andreae 67 Bruhn, Friedrich Christoph 68, 99, 110 Brummer, Anna Catharina 110 Brummer, Hinrich 39, 46 f, 50 f, 62, 83, 94, 98, 109f, 116, 166 Brunnemann, Johann 45 Buchholtz, Andreas 60, 67 Buddeus, Franz 68 Bülow, Christian 117 Buttlar, Eva Margaretha von 135
Bilefeld, Johann Christoph 153 Block, Johannes 23, 121 f. Bluhme, Johann Bartholomäus 46 Bluhme, Johann Justus 81 Boetius, Johannes 68 Böhme, J a k o b 88, 127, 141, 150 f. Bolten, Johann 42, 49 Bosseck, Balthasar Otto 56 Bourignon, Antoinette 70, 121 B o y e (Schreiber) 100, 150f Boysen, Johannes 129 Braker, Hinrich 39, 41, 45, 52, 55, 60 f,
Calixt, Georg 86 Calvin, Johannes 127 Canstein, Carl Hildebrand von 48-51, 69 Cartesius, Renatus 106 Christian VI., dän. König 9, 63, 117, 167 Christian August, Fürstbischof von Lübeck 72 Ciasen, Peter 17, 165 Clausen, Hans 95 Clausen, T h o m a s 9, 22, 56-59, 118, 149, 154f, 164 Coccejus, Johannes 106 Conradi, Johann Georg 151 Conring, Hermann 86 Costers, Heinrich Bernhard 137 Cramer, Peter 68, 109, 116 Cuntius, Johann Georg 57 f
74 f, 83, 93, 95, 102, 111, 131 f Brandt, Abigael Marie 117 Brandt, Johannes 67, 109 Brandt, Nicolaus 67 Breckling, Friedrich 11 f, 21 f, 24 f, 26,
Dali, Nikolaus 38 Dassow, Theodor 9, 32, 39, 52-55, 60, 68, 75, 93f, 105, 111, 114, 117f, 132 f, 135, 157 f, 162, 164
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Daut, Johann Maximilian 100, 135, 142 f, 155 Deppermann, Klaus 16 Descartes siehe Cartesius Dieckmann, Johann 143 Dippel, Johann Konrad 100, 132-135 Duncker 110
Gleim, Johann Carl 142 Gloxin, Maria Rosina 81 Glüsing, Johann Otto 100, 148-152, 155 f Goebel, Johann Andreas 52, 93 Grevenkrug, Gerhard 100, 133 Grischow, Johann Heinrich 51
Eberhard, Christoph 148 Ebersbach, David 9, 109 Edzard, Sebastian 57 f Egard, Paul 20 Ehrenschild, Konrad Biermann v. 13 Elers, Heinrich Julius 138 Esmarch, Markus 82 Ewald, Enewald 99, 102-105, 108 Ewald, Nikolaus 103f
Haake (Haack), Joachim 47 Hall, Joseph 45 Hamerich, Ehrenfried Matthias 68 Hammerich, Johannes 39 Hannemann, Johann Ludwig 31 Hartnack, Daniel 31 Hattenbach, Jo. Sal. 81 Hausmann, Generalmajor 149 Hejselbjerg Paulsen, Hans 7 Henneberg, Andreas Jakob 97 f, 100, 104, 108, 110, 112f, 138-145, 150, 155f Henneberg, Georg 100, 139f, 145, 155 Henneberg, Johann 139 Henneberg, Margaretha Catharina 110 Hensler, Friedrich 68 Hensler, Peter 68 Heyl, Samuel 54-56 Hinrichsen, Hans 67 Hoburg, Christian 121, 127 Hochmann von Hochenau, Ernst Christoph 139 Hoe, Barthold 112 Hoe von Hoenegg, Matthias 34 Hoeck, Johann Andreas 116 Hollander, AdolphJosias 141, 143f, 150 Hollander, Daniel Henricus 49 Hollander, Johannes 45, 83, 93 Holmer, Martin 87 Holst, Johannes 74, 94, 116 Holst, Michael 60, 67, 74, 116 Holstein, Johann Georg von 15, 19, 23, 39, 46, 54 f, 58, 63, 69, 75-78, 94, 96 f, 117-120, 143f, 156, 164f Holstein, Ulrich Adolph von 63 Horb, Johann Hinrich 81, 137 Hoyer, Andreas (1615-89) Pastor in
Faber 62 Falkner, Daniel 137 Felde, Albert zum 39, 73, 114f, 143 Feuerlein, Conrad u. Johann Conrad 92 Fischer, Arend 39 Fleischer, Georg Christian 133f Fock, Abraham 124 Franck, Wolfgang Christoph 39, 73 Francke, August Hermann 18, 22, 33, 36-44, 46-51, 54, 59-62, 64, 69-71, 74f, 79, 81 f, 94-100, 104,108, llOf, 114-117, 120, 137, 144, 162f, 166f Franz, Wolfgang 45 Freylinghausen, Johann Anastasius 70 Friccius, Francesco Enno 39, 145 Friedrich III., Herzog von Gottorf 129 Friedrich IV., dän. König 75, 116f, 165 Fries, (Laurentius?) 110 Friese, Jacob 76 Fritz, Friedrich Balthasar 142 Geerkens, Michael 74, 84 Gerbade, Hermann 140 Gerhard, Johann 34 Gersdorff, Nicolaus von 149 Gesenius, Justus 45 Gether, Henning 109 Gichtel, Johann Georg 148-152 Giese, Augustus 86-92, 107 Giese, Joachim 72
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Karlum 34, 82 Hoyer, Andreas (1654-1728) Propst in Flensburg 39, 68, 93, 109, 115f, 163
Hoyer, Andreas (1686-1752) Pastorin Dreisdorf 60, 67, 116 Hoyer, Andreas (1690-1739) kgl. Historiograph 60 Hoyer, Nikolaus 108f Hoyer, Wilhardus 68 Hoyers, Anna Ovena 20 Hiilsemann, Johannes 121 Ipsen, Peter 110, 141 Jacobi, Heinrich d . Ä . 71 Jacobi, Heinrich d.J. 71 Jacobi, Johannes 71 Jantzen, Adam 67 Jauert, Johann 81 Jessen, Johann Friedrich 149 Joris, David 127, 142 Jovers, Joachim 84-86 Jürgensen, Praeceptor 105 Jürgensen, Dirck 150f Kall, Abraham 41, 67, 70, 75, 95, 109, 111, 116 Kantzenbach, Friedrich Wilhelm 80 Karl, Bruder des dän. Königs Friedrich IV. 116f Karl XII, König von Schweden 142 Katzenstein, Heinrich 79 Kemler, Johannes 28 Kißner, Anna Elisabeth 31 Klotz, Stephan 36, 71, 82 Koch, Christian Gottlieb 159, 163, 166f Königsmann, Andreas Ludwig 39 Konstantin, röm. Kaiser 128 Kortholt, Christian 19f, 21, 32-34, 44, 83, 86, 107 Krafft, Catharina Margaretha 110 Krafft, Christina Barbara 110 Krafft, Christina Elisabeth 110 Krafft, Johann Melchior 15, 19, 21 f, 24 f, 39, 43 f, 47, 54-58, 72 f, 83-86, 104, 107-110, 115-118, 141-144, 149, 156, 162 Krafft, Louise 110 Krohn, Franz 108f, 142 Kromayer, Hieronymus 34 K u m m e r , Weingärtner 80
Künigham, Amtmann 13 Labadie, Jean de 121 Lackmann, Petrus 28 Lange, Gerd 95, 102, 131 Lange, Joachim 36, 41-43, 47, 49, 70, 116, 162 Laurentius, Johann Joachim 135 Lehmann, Hartmut 16, 80 Leube, Hans 79 Lignon, Pierre de 121 Linekogel, Johann Christoph 28 Lintrup, Sören 39 Locke, John 53 Lodberg, Jacob 149 Lorck, Jess Lorentzen 48, 95 Lorck, Maria Christina 48, 95 Löscher, Valentin Ernst 54, 59 Louise, Königin von Dänemark 116f Lüdemann, Hans Christoph 100, 135 f Lüders, Hinrich 94 f Lund, Philipp Hinrich 67 Lund, T h o m a s 24, 34-36, 45, 83, 107 Lundius, Christian Ernst 63 Luther, Martin 45, 58, 64, 86, 89, 126f, 142 Lütkens, Franz Julius 149 Lutten, Brigitte von 95 Lutten, Hilmar von 45, 92 f, 95 Lyra, J a k o b 105 Lysius, Heinrich 73 f, 109, 116 Lysius, Johannes d . Ä . 71, 116 Lysius, Johannes d.J. 116 Maaß, Catharina 81 Maria, Frau Wilhelms III. von Oranien 71 Masius, Hinrich Johann Statius 68 M a s s o w , Christian Albrecht von 105 Matthiae, Zacharias 144 Matzen, Jens 97 Mauritius, Christian 128 May, Johann Burkhard 32 May, Johann Heinrich 11, 32, 71, 73, 114, 125f, 128, 156 Mayer, Johann Friedrich 73, 81 Meding, Quartiermeister 47 Meisterlin, Jacob Friedrich 67
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Meley, Johann Gottfried 63, 93 f, 158 Meley, Otto Friedrich 63, 94 Menno Simons 127 Mercatus, Paul 84, 92, 97, 118 Meyer, Catharina 81 Michaelis, Johann 100, 122-129, 155f Michaelis, Johann Heinrich 70 Molinos, Michael 150 Möller, Kanzleirat 119 Möller, Franz 35 f, 52, 74, 82, 93 f, 111-114 Moller, Johannes 20, 60, 82, 97 Moller, Olaus d.Ä. 11, 36, 82 Moller, Olaus d.J. 71 Muhlius, Hinrich 9, 18, 23, 28 f, 39, 54, 72f, 83, 98, 109, 114f, 132, 143, 145-148, 157, 164 Müller, Frau (Braunschweig) 47 Müller, Georg 100, 137 Müller, Heinrich 45 Natzmer, Dubislav Gneomar von 69 Neumeister, Erdmann 57-59 Nissen, Johann Georg 60, 67 Ocksen, Johann 35, 45, 83 Olter, Wilhelm 149-154 Ottens, Joachim Georg 62 Ottens, Johann Adolph 62, 68 Ottens, Ludwig 37, 49, 54, 61 f, 83, 109 Paschen, Lucia 81 Pauli (Braunschweig) 47 Paulsen, Friedrich 60 Perckentin, Claus Hartwig von 136 Petersen, Bartelt Jürgen 100, 135 Petersen, Christian 84 Petersen, Hedwig Christiane 84 Petersen, Johanna Eleonora 70 Petersen, Johann Wilhelm 9, 27 f, 70, 83, 98, 156 Petersen, Peter 52, 60, 63, 93 f Petkum, Johann Hieronymus von 46, 84 Petri, Friedrich 24 f, 32, 83, 86 f, 99 Pfeiffer, Julius Franz 81 Philipp, Johann Carl 139 Plessen, Carl Adolpf von 117 184
Plütschau, Heinrich 84 Poiret, Pierre 47, 70 Preusser, Kammerrat 62, 98 Preusser, Jacob Friedrich von 63 Püchler, Legationsrat 136 Rantzau, Christian von 27, 98 Rantzau, Detlev zu 13 Raupach, Bernhard 110 Rechelius, Simon 72 Rechenberg, Adam 18, 70 Reimarus, Philipp Conrad 39 Reimarus, Samuel 23, 38 f, 71, 73, 75-78, 83, 94, 96f, 102, 104f, 108-110, 115, 119f, 149, 151 f, 156, 158, 162f Reuß, Graf 99 Reventlow, Christian Detlev von 132-134 Reyher, Andreas 116 Rhode, Andreas Albert 67 Richardi, Petrus d.Ä. 83f Richardi, Petrus d.J. 44 Richter, Stadtsekretär (Tondern) 96 Riesemann, Pastor (Bergen/Norwegen) 39 Ringleben, Hermann 81 Rinteln, Gerd von 100, 152 Ritsehl, Albrecht 79, 82, 126 Rock, Johann Friedrich 80 Roepstorff, Johann Adolph 96 Römeling, Christian Anton 100, 135, 155 Roost, Johann 105 Rosenbach, Johann Georg 79, 100, 135 Rudioff, Catharina Maria 110 Rudioff, Christina Maria 110 Rudioff, Johann Nikolaus 14f, 47, 61, 97, 110 Rudioff, Petrus 110 Rutenstein, Claus 150f Samsoe, Mourids Jorgensen 148 Sandhagen, Caspar Hermann 9, 27-29, 32, 34, 50 f, 54, 83 f Schackenburg, Schack von 43 Schade, Johann Caspar 123 f Scharfe, Martin 17
Schilling, Petrus 47 Schmidt, Martin 34, 59 Schmidtberg, C. A. 117 Schöpfer, Johann Joachim 39 Schräder, Johann Hermann 84, 96, 105, 108, 115 Schröder, Johann Wilhelm 40, 63, 112f, 117 Schurmann, Anna Maria 121 Schütz, Catharina Elisabeth 137 Schwartz, Adelheid Sybille 81 Schwartz, Heinrich 81 Schwartz, Josua 9, 27 f, 29, 41, 45, 52, 54, 56, 68, 73f, 93, 99, 102, 105, 107, 114, 118, 121, 132, 157 Schwenck, Joachim 116 Schwenckfeld, Caspar 127 Scriver, Christian 45, 127 Seligmann, Gottlob Friedrich 50 Semler, Gebhard Levin 81 Sincerus, Theophilus (= Christian Kortholt) 20 Söhlenthal, F. N. von 47 Sonthom, Immanuel 127 Sophie Hedwig, Schwester des dän. Königs Friedrich IV. 116 Spener, Philipp Jakob 19-21, 27, 29-34, 39, 43-46, 48, 52, 54 f, 58 f, 70, 73, 79 f, 82, 93, 102, 106 f, 114, 118, 121-124, 126-128, 131, 133, 137 f, 144 Spizel, Gottlieb 92 Steenbock, Magnus 14, 157 Steenbuch, Hans 39 Steinhammer, Johannes 28, 70, 118f, 140-142, 156 Strandiger, Otto Lorentzen 22, 41, 52, 94 f, 100, 111, 129-131, 133, 148, 155 Stricker, Paul 25, 39, 54, 118, 145 Struck, Peter 96 Stüven (Friedrichstadt) 150f Svane, Peder 148 Tauler, Johannes 127 Tennhardt, Johannes 79, 100, 135
Terstegen, Gerhard 80 Tholuck, Friedrich August Gottram 98 Thomas a Kempis 127 Thomsen, Christian 48, 95, 112f Thomsen, Johannes 110, 164 Thomsen, P. 46 Tielbähr, Johannes 60 Tietke, Joachim Friedrich 149f, 152 Tissot, Johann Jakob 139 Tostieben, Christoph 79 Treitmann, Johannes 61 f, 98 Troeltsch, Ernst 79 Tuchtfeld, Victor Christoph 100, 135 Tychsen, Johannes 47, 67, 109f, 164 Tychsen, Lorenz 97 Tychsen, Stephan 97 Ulrici, Georg Johann 144 Valentiner, Jürgen 74, 95 Vogt, Franz Ernst 39 Walle, Jacob van der 137 Wallmann, Johannes 29, 80 Wasmuth, Matthias 32 Wedderkop, Gottfried 136 Wedderkop, Magnus 18, 98, 130 Wedel, Sören 40, 67, 99, 104 Weigel, Valentin 127 Wicht, Georg Philipp 153f Wilhelm III. von Oranien 71 Wilmsen, Johann 100, 152 Winckler, Johannes 70 Wolff, Georg Christian von 63 Wolff, Zacharias von 62, 98 Wotschke, Theodor 79, 82 Yvon, Pierre 121 Zeuner 136 Ziegenhirt, Oberst 47 Zinck, Samuel 100, 137f, 155 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von 167 Zoega, Georg 110
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Ortsregister Aarhus 35 Adelby 67 Aerö 8 Ägypten 25 Ahlsdorf 122 Ahrensbök 8 Alfeld 139 Alsen 64-67, 109f Altenesch 148 Altenkrempe 66 f Altona 13f, 55, 66f, 100,121, 123-126, 132-135, 137, 148f, 153, 155f Amerika 138 Amrum 8 Amsterdam 70 Angeln 46 Apenrade 8, 31, 64 f, 159 Augsburg 92 Bargteheide 135 Barmstedt 66 Bedstedt 104f, 163, 166 Beidenfleth 84 Belgrad 142 Bergen 39 Berleburg 135 Berlin 45f, 49, 70, 75, 93, 102, 123f Biebesheim 153 Biedenkopf 153 Bölitz 79 Boren 46 Bornholm 135 Brandenburg 138, 157 Braunschweig 47 Breklum 67 Bremen 84, 139f Buhrkall 77, 104 Charlottenburg 70, 75 Christiania 149 Darmstadt 153 Delmenhorst 32, 117, 148 Dessau 139 Dithmarschen 8, 24, 45
186
Dössel 135 Döstrup 40, 67, 99, 104 Dreisdorf 67 Dresden 33, 59, 122f, 137 Düppel 67 Eckernförde 60, 64-66 Eggebeck 71 Eichede 67 Eiderstedt 8, 14f, 20, 32, 64f, 155 Eken 67 England 70, 117 Essen 35 Eutin 27 f, 83, 98, 109, 142 Fahretoft 164 Fehmarn 8 Flensburg 8, 11, 21, 24, 34-36, 39, 41, 45, 48, 52, 54-56, 60, 64-68, 71, 73-75, 82-84, 92-95, 97 f, 101 f, 105, 107, 109, l l l f , 114, 116, 121, 129, 130-132, 144, 155, 158 Föhr 8, 68, 105, 109 Franeker 86 Frankfurt/Main 31, 46, 79f, 121 Frankreich 70, 117 Friedrichstadt 14, 28, 65f, 100, 108f, 121, 131, 137-142, 144f, 147-156 Fünen 142 Geesthacht 136 Geverstorf 84 Giekau 28 Gießen 32, 73, 114, 125f, 153, 156 Glücksburg 8, 64 f Glückstadt 47, 54 f Golse 122 Gottorf 8, 55 f, 64 f Grömitz 66 f Groß-Mangelsdorf 81 Groß-Schönebeck 139 Haag 70 f Haddeby 39, 47, 50, 83, 94, 98, 109f, 116, 166
Hadersleben 8, 38, 65 f Hagenberg 67 Halle 36-38, 40-43, 46-49, 60-71, 74 f, 84, 94, 97-100, 109f, 114, 116f, 135, 144, 153, 159-163, 167 Hamburg 13, 30, 44, 54, 56-58, 70f, 73 f, 81-84, 89, 121, 124f, 130-132, 134, 137, 142, 149, 151, 154, 156, 161 Handewitt 60, 71 Hannover 139 Harburg 135f Haustedt 39 Heilbronn 79, 135 Helmstedt 39, 86, 159, 161, 166 Herzberg 122 Hessen 153 Hildesheim 121, 139 Hoist 99, 102, 104 f, 108 Holland 70, 117, 148, 152f, 156 Holzhausen 140 Horst 49 Humptrup 67, 164 Husum 8, 14,18, 39, 44, 47, 56 f, 61, 64-66, 72, 83 f, 86 f, 91, 97, 104, 107-110, 118, 121, 131, 141-143, 150 Hütten 8 Jänickendorf 122 Jena 62, 68, 99, 148, 159-161, 167 Jevenstedt 67 Jordkirch 67 Jüterbog 122 Kahleby 37, 49, 54, 62, 65 f, 83, 109 Kaltenkirchen 68 Karlum 60, 68 Kelsterbach 153 Kiel 13, 18, 31 f, 39, 44, 47, 63, 66 f, 70, 73, 98, 114f, 143 Kleebronn 80 Klixbüll 108, 158 Koldenbüttel 154 Königsberg 74, 86, 129 Kopenhagen 13, 17 f, 39, 44, 46, 53 f, 56, 58, 68, 73-75, 84, 93 f, 101, 107, 116f, 131, 134 f, 136, 142, 148 Köslin 23, 121 Krempe 66
Lauban 122 Lauenburg 136 Laurup 40, 99, 104 Leipzig 18, 33, 38, 43, 46, 70, 75, 79, 86, 121 f, 163 Leutschau (Levca) 62 Lindholm 12 Lohharde 8, 40, 65-67, 104 Lübeck 8, 30, 47, 81, 130, 142 Lügumkloster 8, 64-66, 104 f, 108 Lunden 66 Magdeburg 39, 70, 81 Mecklenburg 117, 125 Mögeltondern 8 Moisburg 135 Mülheim 80 Neumünster 66 Nieblum 105 Niebüll 76 Niederdodeleben 28, 70, 156 Niederlande 70, 129 Norburg 8, 64 Nordergoesharde 24 Nordstrand 8, 129f, 132 Nortorf 20 Norwegen 39, 142, 149 Nürnberg 53, 79, 92, 135 Nüsse 136 Odenbüll 129-132 Oldenburg/Holst. 28 Oldenburg 32, 55, 117 Oldenswort 68 Olderup 67 Oldesloe 28, 68, 124 Osnabrück 39 Ostfriesland 153 Ottensen 137 Paris 43 Pennsylvania 28, 137f, 142 Perleberg 70 Pinneberg 8, 13, 133f Plön 8 Pommern 83 f Preetz 124
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Quedlinburg 79 Q u e m 67 Rantzau 8 f Rapstedt 104 Reinfeld 8 Rellingen 133 Rendsburg 8, 66 f, 86, 93, 124 Rinkenis 68, 99, 105 Risum 38, 68, 70, 116, 162f Rodenas 17, 165 Rom 8 Rostock 39, 75, 86, 117 Rußland 121 Sahms 130, 135 f Sandesneben 72 St. Annen 108, 142 St. Margarethen 66 f, 68 Sayn-Wittgenstein 142 Schleswig (Stadt) 18, 25, 31, 54, 66, 84, 92, 94, 97, 115f, 118, 121, 142, 144f, 147f, 158 Schulenburg 124 Schwaben 80 Schwabstedt 8 Schwarzenau 142, 155 Schweden 135, 142, 165 Seeland 142 Segeberg 8, 68 Solt 67 Sonderburg 8, 60, 64 Sörup 45, 49, 83, 93 Spandau 144, 147 Stade 143 Stapelholm 14
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Steinburg 8 Steinhorst 8 Stockholm 123 Stolzenburg 83 Stralsund 55 Süderlügum 77 Süderstapel 21 Sylt 8 Tondern 8, 23, 38 f, 64-67, 73, 75-78, 83f, 96f, 101 f, 105, 108-110, 115f, 119f, 156, 158 f, 162 Tönning 18, 57, 73, 86, 98, 157f, 160f Törninglehn 8 Trankebar 84, 117 Traventhal 13 Tremsbüttel 8, 135f Trittau 130, 135 f Türkei 112 Ungarn 122 Usingen 153 Viöl 32, 83, 86, 99 Waldeck 140 Wernigerode 140 Westindien 138 Wetzlar 83, 142 Wewelsfleth 46, 97 Wilster 66 f Wittenberg 44, 75, 122 Wolfenbüttel 47 Württemberg 157 Zwolle 70
Arbeiten zur Geschichte des Pietismus (AGP) I m A u f t r a g der H i s t o r i s c h e n K o m m i s s i o n zur E r f o r s c h u n g des Pietismus hrsg. v o n K u r t A l a n d , E r h a r d Peschke u n d M a r t i n S c h m i d t
17 Gustav A. Krieg • Der mystische Kreis W e s e n u n d W e r d e n der T h e o l o g i e Pierre Poirets. 1979. 230 Seiten, geb. „ D e r Verfasser u n t e r n i m m t den Versuch, eine G e s a m t d a r s t e l l u n g der T h e o l o g i e des französisch/niederländischen M y s t i k e r s Pierre Poiret (1646-1719) zu liefern. D a b e i will er die K o n t i n u i t ä t i m Leben u n d W e r k Poirets aus den Q u e l l e n belegen. N e b e n d e n Schriften Poirets selbst w e r d e n auch die bisher in der P o i r e t - F o r s c h u n g k a u m b e r ü c k s i c h t i g t e n Schriften seiner G e g n e r m i t einbezogen. D e r erste H a u p t t e i l berichtet über E n t s t e h u n g u n d H i n t e r g r u n d der Schriften Poirets, der zweite b e h a n d e l t die , G r u n d s t r u k t u r e n des poiretianischen D e n k e n s ' . D e r dritte H a u p t t e i l ist d a n n d e m . m y s t i s c h e n Kreis' g e w i d m e t . D i e A r b e i t Kriegs b e d e u t e t einen Fortschritt in der P o i r e t - F o r s c h u n g ebenso w i e in der E r f o r s c h u n g des radikalen P i e t i s m u s . " Das Historisch-Politische Buch
18 Sigrid Großmann Friedrich Christoph Oetingers Gottesvorstellung V e r s u c h einer A n a l y s e seiner T h e o l o g i e . 1979. 321 Seiten, geb. D i e F o r s c h u n g spricht Friedr. C h r . O e t i n g e r (1702-1782) eine b e s o n d e r e Stellung i n n e r h a l b seiner Z e i t zu, sei es z u s t i m m e n d o d e r w e n i g e r positiv. A b e r i m m e r w i r d i h m O r i g i n a l i t ä t e i n g e r ä u m t , die - auch gerade w e g e n O e t i n g e r s E i n f l u ß auf Persönlichkeiten aus P h i l o s o p h i e u n d Literatur - zu n e u e n U n t e r s u c h u n g e n A n l a ß gibt. Diese A r b e i t stellt in einer g r ü n d l i c h e n Analyse der G o t t e s v o r s t e l l u n g O e t i n g e r s einen n e u e n Z u g a n g zu seiner T h e o l o g i e bereit. „ Z u m V e r s t ä n d n i s der D e n k b e w e g u n g e n des A u f k l ä r u n g s j a h r h u n d e r t s liegt m i t diesem B u c h eine nützliche Hilfe v o r . " Gregorianum
20 Martin Schmidt Der Pietismus als theologische Erscheinung 1983. C a . 373 Seiten, geb. D i e A u f s ä t z e des N e s t o r s der deutschen P i e t i s m u s - F o r s c h u n g m a r k i e r e n g e w i c h tige Stationen der E r h e l l u n g des P h ä n o m e n s „ P i e t i s m u s " in der Nachkriegszeit.
21 Friedhelm Groth Die „Wiederbringung aller Dinge" im württembergischen Pietismus T h e o l o g i e g e s c h i c h t l i c h e Studien z u m eschatologischen Heilsuniversalismus w ü r t t e m b e r g i s c h e r Pietisten des 18. J a h r h u n d e r t s . 1983. Ca. 376 Seiten, geb. D i e theologiegeschichtliche U n t e r s u c h u n g der Apokatastasis p a n t o n - L e h r e w i r d an d e n E n t w ü r f e n J . A . Bengels, Fr. C h r . O e t i n g e r s u n d M . H a h n s d u r c h g e f ü h r t . Ein w i r k u n g s g e s c h i c h t l i c h e r Ausblick auf die beiden B l u m h a r d t s beschließt d e n Band.
Vandenhoeck & Ruprecht • Göttingen und Zürich
Texte zur Geschichte des Pietismus Im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus hrsg. von Kurt Aland, Erhard Peschke und Martin Schmidt Abt. V: Gerhard Tersteegen, Werke Hrsg. von Winfried Zeller Band 1: Geistliche Reden Hrsg. von Albert Löschhorn und Winfried Zeller. 1979. XXI, 666 Seiten, Leinen Von Gerhard Tersteegen (1697-1769) sind 33 geistliche Reden überliefert. Soweit ihre Datierung feststeht, gehören sie der Zeit von 1751 bis 1756 an. „Es sind Äußerungen aus , einfachen, nicht-liturgischen protestantischen Gottesdiensten', die umfassende biblisch-theologische Bildung und kirchengeschichtliche Belesenheit d o k u m e n t i e r e n . "
Deutsches Allgemeines
Sonntagsblatt
„Eine längst fällige wissenschaftlich exakte, nicht allein für die Geschichte des Pietismus, sondern auch fiir die gegenwärtige praxis pietatis höchst aufschlußreiche Edition des beachtlichen literarischen Werkes Tersteegens." Deutsches Pfarrerblatt Band 8: Briefe in niederländischer Sprache Hrsg. von Cornelis Pieter van Andel 1982. XXII, 312 Seiten, Leinen In diesem Band sind alle 203 bisher bekannten Briefe Gerhard Tersteegens enthalten, die er in niederländischer Sprache verfaßt hat. Soweit möglich, sind die Briefe in chronologische Reihenfolge gebracht und die Adressaten ermittelt worden. Jedem Brief ist eine deutsche Zusammenfassung des Inhalts vorangestellt. Ein Personenregister rundet diese erste wissenschaftliche Edition der meist seelsorgerlich gehaltenen niederländischen Briefe ab.
Pietismus und Neuzeit Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus. Im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus hrsg. von Martin Brecht, Friedrich de Boor, Klaus Deppermann, Hartmut Lehmann, Andreas Lindt und Johannes Wallmann Band 4 (1977/78): Die Anfänge des Pietismus. 1979. 389 Seiten, kart. Band 5 (1979): Schwerpunkt: Die evangelischen Kirchen und die Revolution von 1848. 1980. 316 Seiten, kart. Band 6 (1980): Schwerpunkt: Landesherr und Landeskirchentum im 17. Jahrhundert. 1981. 294 Seiten, kart. Band 7 (1981): Die Basler Christentumsgesellschaft. 1982. 277 Seiten, kart. Band 8 (1982): Der radikale Pietismus. 1983. Ca. 340 Seiten, kart.
Vandenhoeck & Ruprecht • Göttingen und Zürich