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German Pages [300] Year 2002
V&R
ARBEITEN ZUR GESCHICHTE DES PIETISMUS IM AUFTRAG D E R H I S T O R I S C H E N KOMMISSION Z U R E R F O R S C H U N G DES PIETISMUS
HERAUSGEGEBEN V O N MARTIN BRECHT, CHRISTIAN B U N N E R S U N D HANS-JÜRGEN S C H R Ä D E R
BAND 42
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
JANSENISMUS, QUIETISMUS, PIETISMUS IM AUFTRAG DER HISTORISCHEN KOMMISSION Z U R ERFORSCHUNG DES PIETISMUS
HERAUSGEGEBEN VON HARTMUT LEHMANN, HANS-JÜRGEN SCHRÄDER UND HEINZ SCHILLING
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Die ersten 16 Bände dieser Reihe erschienen im LutherVerlag, Bielefeld. Ab Band 17 erscheint die Reihe im Verlag von Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Jansenismus, Quietismus, Pietismus / im Auftr. der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus hrsg. von Hartmut Lehmann . . . Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2002 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus; Bd. 42) ISBN 3-525-55826-0
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
© 2002 Vandenhoeck & Ruprecht, in Göttingen http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechdich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier
Inhalt
H A R T M U T LEHMANN
Einführung
7
I. Anfänge und Hintergründe FRANQOISE HILDESHEIMER
Richelieu et le Jansenisme ou ce que l'attrition veut dire
11
H E N K HILLENAAR
L'Augustinisme de Fenelon face a ΓAugustinisme des Jansenistes . . .
40
MARTIN BRECHT
Der mittelalterliche (Pseudo-) Augustinismus als gemeinsame Wurzel katholischer und evangelischer Frömmigkeit
54
II. Kontakte und wechselseitige Einflüsse FRANQOIS LAPLANCHE
De Gaussen a l'abbe Duguet: l'hermeneutique pietiste entre philologje et mysticisme
67
JACQUES LE B R U N
Echos en pays germaniques de la querelle du pur amour
76
HANSPETER M A R T I
Der Seelenfrieden der Stillen im Lande. Quietistische Mystik und radikaler Pietismus — das Beispiel Gottfried Arnolds
92
KLAUS VOM O R D E
Der Quietismus Miguel de Molinos bei Philipp Jakob Spener
. . . .
106 5
A N N E LAGNY
Francke, Madame Guyon, Pascal: drei Arten der »ecriture du moi« . .
119
ERNST HINRICHS
Jansenismus und Pietismus - Versuch eines Strukturvergleichs
. . . .
136
Die Kritik am Theaterspiel im Pietismus, Jansenismus und Quietismus
159
HELLMUT T H O M K E
III. Ausblicke ins 18. Jahrhundert ALFRED MESSERLI
Pietistische Strömungen im katholischen Kanton Luzern in der ersten Hälfte H A N S - Jdes Ü RGuyon, G18. E NJahrhunderts SCHRÄDER Madame Pietismus und deutschsprachige Literatur
175 189
R U T H B . BOTTIGHEIMER
Eine jansenistische Kinderbibel: »L'Histoire du Vieux et de Nouveau Testament« (1670 et seq.) des Port-Royalisten Nicolas Fontaine . . .
226
WOLFGANG M A G E R
Jansenistische Wurzeln der politischen Nationsbildung in Frankreich
239
CHRISTA HABRICH
Johann Samuel Carl (1677-1757) und die Philadelphische Ärztegemeinschaft
272
Register
290
6
Einführung Dem großen Thema dieses Bandes kann man sich von verschiedenen Seiten aus nähern. Es liegt zunächst nahe, bestimmte Sachfragen ins Zentrum der Betrachtung zu stellen und zu fragen, wie Jansenisten, Quietisten und Pietisten mit diesen Problemen umgingen. Man könnte dabei an das Verhältnis von Kirche und Staat und auch an das damit zusammenhängende Staatskirchenrecht denken, an die Kritik am Konfessionalismus, an die Frage der Toleranz sowie an die Beurteilung der Anfänge der Säkularisierung, an die Rolle der Volkskultur sowie an den Beitrag von Jansenismus, Quietismus und Pietismus zur bildenden Kunst, zur Musik und insbesondere zur Kirchenmusik. Auch das jeweilige Verhältnis zur Aufklärung könnte in diesem Zusammenhang thematisiert werden. Des weiteren ist es möglich, nach theologischen, religionssoziologischen und auch nach religionspsychologischen Ähnlichkeiten zwischen den hier behandelten religiösen Bewegungen zu suchen, die in sich selbst stark aufgegliedert waren und für die wir in der neueren Forschung die Sammelbegriffe des Jansenismus, des Quietismus und des Pietismus verwenden. Welche theologischen Positionen hatten die drei Bewegungen gemeinsam, könnte man fragen, und welche nicht? Bestanden Ähnlichkeiten bei der jeweiligen Praxis Pietatis, also in den Bereichen der gelebten Frömmigkeit, der Ethik, auch des Lebensstils? Wurden die drei Bewegungen von vergleichbaren sozialen Schichten getragen? Für solche Strukturvergleiche gibt es viele sinnvolle Ansatzpunkte. Schließlich ist es auch denkbar, nach direkten und indirekten Beziehungen zwischen Vertretern des Jansenismus, des Quietismus und des Pietismus zu fragen. Welche Werke der einen Richtung wurden in den anderen Richtungen gelesen und rezipiert? Was wurde vom Deutschen ins Französische und vom Französischen ins Deutsche übersetzt? Gab es direkte persönliche Kontakte zwischen Jansenisten, Quietisten und Pietisten, so wie beispielsweise die Begegnung zwischen dem Grafen Zinzendorf und dem Bischof von Noailles? Bestanden möglicherweise besonders enge Kontakte zwischen den radikalen Flügeln der drei Bewegungen, also zwischen radikalen Jansenisten, dezidierten Quietisten und separatistischen Pietisten? In dem vorliegenden Band wird der Versuch unternommen, von diesen verschiedenen Fragestellungen aus das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Jansenismus, Quietismus und Pietismus zu analysieren. Zwei Überlegungen standen am Beginn der Arbeit: Zunächst die Tatsache, daß es im Zuge der Konzipierung des ersten Bandes der »Geschichte des Pietismus« nicht gelungen war, auch den Jansenismus und den Quietismus angemessen zu berücksichti7
gen. Zwar enthält dieses verdienstvolle Werk Abschnitte über den englischen Puritanismus sowie auch über die Frömmigkeitsbestrebungen in den Niederlanden. Die Herausgeber des Bandes verharrten aber gewissermaßen bei einer innerprotestantischen Sicht und thematisierten nicht die zwischen- und transkonfessionellen Aspekte religiöser Erneuerung in der Frühen Neuzeit. Daß dies so war, hatte aber einen zweiten, gravierenden Grund: Die weitere Tatsache nämlich, daß in der deutschen Pietismusforschung die französische Jansenismusforschung viel zu wenig bekannt war und nur zum kleineren Teil rezipiert worden ist. Es galt also Brücken zu bauen zwischen Pietismus- und Jansenismusforschern, zwischen deutschen und französischen Wissenschaftlern sowie auch zwischen Kirchenhistorikern und allgemeinen Historikern. U m im Bilde zu bleiben: Der Quietismus sollte bei unseren Überlegungen gewissermaßen eine Brücke zwischen dem Jansenismus und dem Pietismus bilden, und es ist vor allem den an diesem Projekt beteiligten schweizerischen Kollegen zu verdanken, daß französische Jansenismusspezialisten und deutsche Pietismusspezialisten den Mut hatten, diese Brücke zu begehen. Die erste Initiative zu diesem Projekt ging auf einen Vorschlag von Heinz Schilling zurück. Bei der Ausgestaltung des Programms wirkten die drei Herausgeber zusammen. Die Evangelische Tagungs- und Begegnungsstätte im Schloß Beuggen erwies sich als ein idealer Ort, um erste Fassungen der R e ferate vorzutragen und zu diskutieren. Für die Gastfreundschaft in Beuggen sind wir ebenso dankbar wie Herrn Dr. Martin Schneider vom Verein für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden und Herrn D. Dr. Gerhard Schäfer von der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus für vielfaltige Hilfe. Der Fritz Thyssen Stiftung sind wir für die finanzielle Unterstützung der Beuggener Tagung zu Dank verpflichtet, den Herausgebern der »Arbeiten zur Geschichte des Pietismus« für die Aufnahme in ihre Reihe, Herrn cand. phil. Dominik Collet für Hilfe bei der Drucklegung. Die Herausgeber sind sich bewußt, daß in dem vorliegenden Band nicht alle Aspekte des Verhältnisses von Jansenismus, Quietismus und Pietismus behandelt werden. Was wir vorlegen, sind exemplarische Studien, Untersuchungen freilich, von denen wir hoffen, daß sie anregen, die Geschichte der religiösen Bewegungen in der Frühen Neuzeit weiterhin in einer Weise zu erforschen, in der die nationalen Forschungstraditionen ebenso überwunden werden wie die Grenzen zwischen Disziplinen und Konfessionen. Für die Herausgeber: Hartmut Lehmann
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I. Anfange und Hintergründe
Richelieu et le jansenisme, ou ce que l'attrition veut dire FRANQOISE HILDESHEIMER
Un devot?
Les debuts de la carriere de Richelieu, typique de la jeune generation de prelats qui se donnaient pour täche de reformer leur diocese, se deroulerent sous les auspices du parti devot dont il fut favorise, avant d'etre considere comme un traitre, et les prescriptions de ses instructions episcopales prennent tout a fait place dans ce que Ton pouvait attendre d'un eveque partisan de cette cause.1 Les historiens ont decrit l'organisation de sa maison et les nombreux contacts qu'il entretenait et qui etaient souvent ancres dans ces annees lu^onnaises: le Pere Joseph, S. Boutheiller, Saint-Cyran . . . , sa fidelite a la Sorbonne, le souci persistant de la reforme ecclesiastique qu'il partageait avec Vincent de Paul, Condren, son zele pour les missions . . ,.2 Moins connue et au moins aussi significative est son ceuvre de theologien poursuivie tout au long de sa vie. Outre un catechisme qui ne nous est pas parvenu et des ordonnaces synodales publiees sous la signature du vicaire general Flavigny3 et contenant les dispositions conformes ä 1'esprit de la Contre-Reforme dont Richelieu se fit le zelateur dans son diocese, et dont on peut considerer qu'il fut l'inspirateur ou meme l'auteur au sens oü on l'entendra pour la plupart de ses ceuvres4, ses grands ouvrages publies en ce domaine sont au nombre de quatre pouvant etre associees deux ä deux: deux ouvrages pastoraux, l'un destine aux diocesains de Lu£on5, le second destine ä l'avancement spirituel du chretien, publie en 1646, apres la mort de son auteur, par les soins de la duchesse 1 »Le nom de Richelieu a ete inextricablement lie aux devots, qui donnerent ä l'Eglise et ä la vie religieuse fran^aise du XVIIe siecle certains de leurs traits les plus distinctifs. Leurs relations sont generalement decrites comme un conflit culminant en 1630 par leur destruction en tant que force politique opposee ä lui et ä sa politique. Les definir en termes purement politiques est une erreur qui a toujours rendu difficile de croire que Richelieu puisse etre considere comme un devot veritable. II est pourtant tout ä fait clair que, meme apres l'aftrontement de 1630, il conserva pleinement nombre de leurs aspirations religieuses et sociales essentielles.« JOSEPH BERGIN, L'ascension de Richelieu, trad, fr., Paris 1994, 159. 2 RAYMOND DARRICAU, Richelieu et les hommes d'Eglise, dans: Richelieu et le monde de l'esprit, Actes de colloque. Sorbonne 1985, 265-276. 3 Briefve et facile instruction pour les confesseurs, par H.-J. FLAVIGNY, Fontenay 1613. 4 Analyse dans LUCIEN LACROIX, Richelieu a Lu$on, Paris 1890, 88-91. 5
ARMAND JEAN DU PLESSISDE RICHELIEU, Instruction d u chretien, 1618 (texte divise e n lemons
auxquelles il est fait renvoi dans les citations qui suivent).
11
d'Aiguillon et ecrit dans les annees 1636 a 1639, alors que le ministre etait accapare par le poids de la guerre. 6 Dans les deux cas, il ne s'agit pas pour lui d'innover, mais de rappeler la doctrine tridentine et de faire oaivre continue de pasteur. Le second groupe concerne la lutte contre l'heresie deja evoquee dans les ouvrages generaux et temoigne de son goüt pour la methode persuasive et la controverse argumentee logiquement, »raisonnablement«.7 Un identique echelonnement chronologique montre bien la continuite de la pensee theologique de celui qui etait un homme d'Eglise sans doute autant qu'un homme d'Etat. Pour ces ouvrages, les seuls voulus par Richelieu pour la publication, il n'existe pas de probleme majeur d'attribution et nous disposons d'indications sur les modalites de leur composition pour laquelle on retrouve les procedes d'equipe habituels dans l'entourage des grands et des collaborateurs connus comme Desmarets, mais aussi une composante d'ecclesiastiques, dont la presence aupres d'un cardinal de la Sainte Eglise romaine etait bien naturelle. Le probleme pour ses historiens est qu'il n'en existe aucune reedition recente en mettant aisement le texte a portee de ses eventuels lecteurs contemporains et en permettant Γ etude systematique, une lacune qui conduit trop souvent a faire l'impasse sur cette activite fondamentale d'un homme dont la personnalite se trouve ainsi gravement amputee de maniere ä conforter 1'image du »politique« pur et dur que nous a leguee le siecle dernier.8 Nous essaierons done dans les lignes qui suivent d'amorcer la reconnaissance de ces textes et de montrer ce qu'ils apportent au necessaire reequilibrage du personnage de celui qui est fort justement denomme le cardinal-ministre. En revanche, les historiens ont bien montre qu'il existait un type du devot, caracterise dans une litterature de vies et de recits de conversions avec lequel il est interessant de le confronter. Resumons ce type a tres grands traits: socialement, il appartient de maniere privilegiee au monde de la noblesse de robe et de la bourgeoisie d'offices ou encore des financiers; les femmes n'en sont pas, loin de la, exclues; sa vie est articulee sur le moment de sa conversion ä Dieu qui le fait passer d'un temps »historique« oü il vivait dans le monde ä 6 IDEM, Traite de la perfection du chretien, Paris 1646 (Texte divise en chapitres auxquels il est fait renvoi dans les citations qui suivent). 7 IDEM, Principaux points de la foy de l'Eglise catholique defendus contre l'ecrit adresse au R o i par les quatre ministres de Charenton, 1618. IDEM, Traite qui contient la methode pour convertir ceux qui se sont separes de l'Eglise, 1651. 8 L'»Instruction du chretien«, dit »Catechisme de Luijon«, dejä reimprimee en 1866 par Migne au tome 88 de sa Collection integrale et universelle des orateurs sacres du premier et du second ordre [...], 2 3 4 — 3 6 7 , a fait l'objet d'une reproduction recente circonstancielle et non critique en rendant le texte plus aisement accessible (La Roche-sur-Yon 1 9 9 6 ) . Les »Principaux points de la foi« [...] ont egalement ete reproduits par Migne dans les Demonstrations evangeliques [...], t. III, Paris 1842. Quant au »Traite de la Perfection du chretien«, il figure dans le: Dictionnaire d'ascetisme de la Nouvelle Encyclopedic theologique du meme Migne (vol. 4 5 - 4 6 ) . Une edition critique de ce texte paraitra en 2 0 0 1 (par S T £ P H A N E - M A R I E M O R G A N et F R A N Q O I S E H I L D E S H E I M E R , Paris, ed. H . C H A M P I O N ) .
12
un temps intemporel entierement donne a Dieu. La piete n'est alors plus une simple composante, parmi d'autres, de la vie, c'est cette vie qui est entierement absorbee par la piete. Le devot accomplit un travail d'abdication de la raison pour atteindre la simplicite, la pauvrete d'esprit: sa connaissance de Dieu ne passe plus par l'intelligence qui, meme, y devient un obstacle. Sur le plan pratique cette evolution s'exprime dans le souci de regier sa maison, de choisir un directeur, de se doter d'un emploi du temps, et par Γ omnipresence de la pratique religieuse, la lutte pour la maitrise du corps, la penitence; l'ideal est de mourir ä soi-meme au prix d'epreuves physiques redemptrices. Cet ideal est ä mettre en relation avec le chapitre X X X V I du »Traite de la perfection«, »De l'amour des souffrances«, un court chapitre totalement impersonnel, essentiellement consacre a enumerer des autorites et des references a commencer, des sa premiere phrase, par saint Augustin dans une acception a priori plutöt restrictive: »II n'y a point de precepte, dit saint Augustin, d'aymer les afflictions en cette vie, mais il y en a de les souffrir. En effet, adjouste-t-il, on n'ayme pas ce qu'on souffre, bien qu'on ayme la vertu qui fait souffrir avec patience. La charite, a qui rien n'est impossible, change tellement les objets de douleur qu'au lieu d'en ressentir les pointes, nous recevons du contentement ä les souffrir. Qui ayme, dit le mesme saint, ne souffre point en souffrant pour ce qu'il ayme, et il est certain que l'amour ne connoist point de difficulte.« Saint Paul, David, saint Etienne, saint Laurent, saint Jean Chrysostome, saint Cyprien sont ensuite convoques a titre de temoins et d'autorites confirmant cette joie trouvee dans la soufifrance qui assimile l'homme au Christ et constitue un chemin vers le ciel: »Souffrir pour l'amour de Dieu et ä son exemple est la plus grande joye des ämes qui l'ayment. Je suis, dit saint Paul, remply de consolation et transporte de joye dans mes tribulations. Mon äme regoit l'effet de vos consolations, dit David, ä proportion de la multitude des afflictions qui l'oppressent. Dieu se trouvant au milieu des affligez, qui n'aymera pas ses afflictions? Plusieurs demandent, dit saint Augustin, d'estre delivrez de leurs tribulations et Dieu ne les exauce pas parce qu'il veut leur apprendre qu'il est medecin et que la tribulation est un medicament qui cause la sante et non une douleur qui presage la maladie. Dans l'usage de ce remede douloureux, le patient crie, mais Dieu ne l'entend point parce qu'il est sourd a ce qui ne conceme que la volupte de l'homme et η' a ses oreilles ouvertes qu'ä ce qui est important ä son salut. Dieu recommande les souffrances comme le vray chemin du ciel et la semence de la gloire. L'exemple de Jesus-Christ nous y oblige, en tant que luy-mesme se propose aux hommes pour estre imite d'eux. Les joyes et les contentemens nous font souvent oublier Dieu et nous retirent de la pratique des vertus; l'Escriture nous les represente comme des objets trompeurs qui, sous leur douceur, couvrent un poison qui tue les ämes. Les souffrances sont done preferables aux contentemens, puisque tout ce qui nous 13
peut conduire plus droitement au ciel et nous rend plus semblables ä Jesus-Christ est preferable a ce qui nous fait quelquefois oublier Dieu, nous retire de la pratique des vertus et nous peut tromper et nous perdre.« Arrive a ce point, le raisonnement retrouve furtivement l'un des grands m o biles couramment affecte par Richelieu aux actions humaines et pose comme fondateur de la demarche du chretien vers la perfection, l'interet: »Si le chrestien s'ayme soy-mesme, il faut qu'il ayme les souffrances qui luy sont si avantageuses qu'il ne peut les mespriser sans mespriser son propre interest.« En conclusion, s'il faut supporter et preferer les souffrances, les rechercher semble etre moins imperatif: »Elles sont peines et chastimens ä ceux qui les craignent et qui les fuyent, et consolation et recompense a ceux qui les cherchent comme la vraye semence de la gloire. II ne faut done pas seulement les supporter avec patience, mais en preferer l'amertume ä la douceur des contentemens et des prosperitez de ce monde.« Ce chapitre, significatif du fait du peu d'implication qu'y apporte son auteur, montre bien qu'en depit d'une conformite de forme, il est impossible d'assimiler Richelieu au devot type tel que nous en avons esquisse ci-dessus le portrait. Le chapitre XLIV de son »Traite de la Perfection«, en resumant de maniere pratique ce qu'il considerait comme essentiel sous la forme de vingt »conseils spirituels utiles pour la perfection du chrestien«, conforte encore cette conclusion. II s'agit d'un chapitre ou Richelieu recapitule et met en valeur les points qu'il juge les plus importants, ainsi que les mises en garde qui lui apparaissent necessaires, un chapitre plus pratique que theorique, oü il se fonde expressement sur ce que lui a enseigne sa propre experience, une double experience, de pasteur, mais aussi, realiste, de politique, connaisseur des »affaires du monde«. Vingt conseils dans l'organisation desquels on peut discerner un ordre logique et divers degres de generalite ou d'illustration de points particuliers tenant particulierement ä coeur a l'auteur. Aucun ne concerne la pratique de la vie spirituelle i laquelle pourtant nombre de chapitres precedents de l'ouvrage etaient consacres. Tous ces aspects disparaissent dans ce »recapitulatif«, qui ne vise que »la devotion« et debute ainsi: »Premier conseil. Chacun doit accommoder sa devotion ä sa condition et non sa condition ä certaines regies spirituelles qui, pour n'avoir aueune proportion au genre de vie de celuy qui les veut pratiquer, sont comme des greffes excellentes, lesquelles, estant entees sur des sauvageons qui n'ont aueune affinite avec leur nature, les font perir au lieu d'y porter du fruit.« D ' o u il decoule, bien sür, que celui qui est attache i la vie active par son etat satisfait au dessein de Dieu sur lui et n'a pas ä s'en retirer pour un mode de vie contemplatif qui ne lui conviendrait pas, on y reviendra en conclusion. 14
C e point pose, suivent huit conseils d'ordre general visant la progression au chemin de la devotion: celle-ci doit passer par des actions qui sont propres au postulant devot, preferer les oeuvres de son obligation (son devoir d'Etat) aux oeuvres du conseil (les pratiques de devotion), tendre a la mortification des passions de Γ esprit de preference a celle du corps et ne considerer les austerites que c o m m e un moyen, travailler a corriger ses dereglements et mauvaises inclinations, considerer d'abord ses imperfections et les qualites d'autrui, user de raison et de moderation pour se corriger de ses fautes et, enfin, progresser par degres et sans precipitation, aussi bien que sans paresse. Ces conseils de bon sens aboutissent a un dixieme conseil en forme de conclusion et de regle de vie »dans le monde«, un conseil personnalise si Ton admet qu'en evoquant »la pratique du monde«, Richelieu vise sa propre experience: »L'une des meilleures maximes qu'on puisse avoir dans la pratique du monde est de travailler avec autant de soin en toutes les affaires qu'on veut entreprendre comme si Dieu ne nous y aydoit point, et, apres en avoir ainsi use, se confier en Dieu aussi absolument que si luy seul devoit avoir soin de ce que nous voulons sans que nous nous en meslassions. C'est une regle du religieux et prudent saint Ignace, dont l'usage n'est pas seulement utile dans les cloistres, mais excellent et necessaire dans la pratique du monde.« Suivent alors quatre conseils portant sur des points particuliers, destines a manifester l'authenticite de la devotion, laquelle se marque par la j o i e et non la tristesse, l'existence de crises de tentation et non une permanente quietude, l'evitement particulier des peches qui peuvent tourner en habitudes, la prise en compte des peches par omission. Le quinzieme conseil a a nouveau valeur generale et reintroduit la volonte, valeur clef pour Richelieu, tant dans le domaine de Taction que dans celui de la vie spirituelle. 9 Les quatre conseils qui suivent semblent plus contingents ä l'epoque et rejoignent des points ou Richelieu a pu connaitre des difficultes et sur lesquels nous allons revenir directement: il s'agit de condamnations et de mises en garde, d'une condamnation longue et argumentee de la nouveaute auquel le temps se plait tout particulierement, d'une mise en garde contre l'orgueil, la suffisance et la bonne conscience qui guette le devot, d'une mise en garde a Γ attention des directeurs contre les faux semblants et le laxisme envers les personnes de qualite, enfin d'une longue mise en garde contre le scrupule excessif, assortie de Γ expose des moyens ä mettre en oeuvre pour le ' »On ne doit pas estimer celuy-lä plus parfait qui est le plus sfavant en la theorie de la perfection, mais bien celuy qui s'attache et s'applique le plus ä sa pratique. C e n'est pas la vanite des sciences qui nous approche de Dieu, mais la droiture de la volonte. Dieu demande le cceur de 1'homme et le simple qui luy en fait le sacrifice sans siavoir autre chose sinon qu'il se donne ä son Dieu est plus proche de luy que celuy qui, cultivant plus son esprit dans les saintes lumieres de la vie spirituelle, se donne moins entierement ä celuy qui en est l'objet, bien qu'il sc^ache mieux comme il faut s'y donner que celuy qui n'a pas toute sa connoissance.« Chapitre X L I V .
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combattre. Enfin, le vingtieme conseil rejoint le premier en reaffirmant que chacun peut assurer son salut conformement a sa condition. 10 Ces conseils balisent une voie purement terrestre et active qui s'eloigne de celle, mystique et ascetique, plus volontiers mise en valeur dans la litterature de spiritualite du temps. Les positions theologiques de Richelieu
Ces points ont fait l'objet de quelques developpements dus a des specialistes dont les conclusions devront etre reexaminees ä la lumiere de 1'ensemble des textes de Richelieu. 11 Ceux-ci ont conclu a la sürete et au juste milieu de ses 10 »Toute personne de quelque profession qu'elle puisse estre qui, ayant un soin particulier de garder la loy de Dieu selon sa condition, se conduira en ce dessein par le seul motif de la volonte de Dieu, qui est la vraye regle de la perfection, peut prendre une asseurance morale que sa vie sera aussi agreable ä Dieu que Celle des religjeux qui sont dans les cloistres. Je ne touche point au merite du voeu qui donne, ainsi que je Tay desjä dit, pareil avantage aux religieux que ceux qui donnent un arbre charge de fruit ont sur d'autres qui, ne faisant present que du fruit qui croist en leur jardin, se reservent la possession des arbres, mais je veux dire seulement que les seculiers de quelque condition qu'ils soient, qui se conduiront ainsi que je l'ay represente atteindront aussi bien en exer^ant la fonction de leur charge la perfection que la vie chrestienne peut avoir dans l'estendue de leur condition que les religieux en satisfaisant ä tous leurs vceux et ä toutes les obligations de leur ordre. Les hommes estant tous quasi inegaux en force, Dieu a voulu rendre expressement les obligations des chrestiens presque toutes differentes, en sorte que quiconque fait ce qu'il peut satisfait asseurement ä ce qu'il doit, la justice ne pouvant permettre qu'on demande ä l'homme ce qui excede sa puissance. Bien que j'aye traite cy-dessus amplement cette matiere, j'estime ne pouvoir mieux finir cet ouvrage qu'en la repetant en peu de mots, tant parce que c'est l'abrege de tout ce livre, qui n'a autre fin que d'apprendre ä chacun comme il peut parvenir ä la perfection dont Jesus-Christ nous a donne l'exemple, que parce qu'on ne sfauroit trop imprimer dans l'esprit des chrestiens que tous peuvent, sans sortir de leur condition, parvenir ä ce but, et qu'il n'y a point de meilleur moyen de les y porter que de leur faire voir qu'ils peuvent aisement ce que le sang du Sauveur demande d'eux, et qu'il a respandu pour leur obtenir la grace de le pouvoir accomplir.« Chapitre XLIV. 11 OCTAVE-FRANCOIS LANFRANC DE PANTHOU, Richelieu et la direction des ämes, dans: Revue
c a t h o l i q u e d e N o r m a n d i e (1895), 3 4 1 - 2 5 6 et 4 7 0 - 4 9 3 . - GABRIEL HANOTAUX, R i c h e l i e u et la
religion, dans: Revue des Deux-Mondes, fevrier 1938. - JEAN ORCIBAL, Richelieu, homme d'Eglise, homme d'Etat. A propos d'un livre recent, dans: Revue d'histoire de l'Eglise de France 34 (1948), 94—101. - Louis COGNET, La spiritualite de Richelieu, dans: Etudes franciscaines (1952), 85-91. - PIERRE BLET, La religion du Cardinal, dans: Richelieu (coll. Genies et Realites), Paris 1972, 163-179. - ANDR6 THUILIER, Richelieu theologien et la Sorbonne, dans: Richelieu et le monde de l'esprit. Catalogue d'exposition, Paris, Sorbonne, 1985, 277-292. - JEAN DE VIGUERIE, Richelieu theologien, dans: Richelieu et la culture. Colloque, novembre 1985, Paris 1987, 29-42. - L. VAN DIJCK, Richelieu, dans: Dictionnaire de spiritualite ascetique et mystique, vol. 13, 1987, 656-659. - HERMANN WEBER, Dieu, le roi et la chretiente, dans: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 13 (1985), 233-245. On citera seulement pour memoire l'ouvrage de RENEE CASIN, Un prophete de l'unite. Le cardinal de Richelieu, Montsurs 1980, fatras hagiographique, dont le seul interet pourrait etre de citer abondemment les ouvrages theologiques de Richelieu.
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prises de position, a deux exception pres, l'une, politique, relative ä la nullite du manage de Gaston d'Orleans, l'autre, la principale, concernant l'attrition. En revanche, une constatation s'impose par rapport au jansenisme: Richelieu a toujours ete juge et juge severement par rapport a ce mouvement, tandis que ce dernier n'a jamais ete considere de son point de vue. Ainsi, si Ton doit a Jean Orcibal Γ etude definitive des origines du jansenisme et la biographie de Saint-Cyran, on y constate une lacune: l'ignorance des textes de Richelieu ecclesiastique.12 C'est pourquoi, au lieu de resumer ce qui a ete ecrit des positions du cardinal vis-a-vis de l'attrition et de la contrition, de la grace ou de la frequente communion, il m'a semble plus interessant aujourd'hui d'en reprendre les textes et de restituer a ses prises de position doctrinales leur coherence avec celle, precoce et repressive, dont il fit preuve a l'endroit de Saint-Cyran. II faut au prealable rappeler qu'a l'epoque qui nous interesse, le jansenisme n'existe pas encore en tant que tel, ce qui fait que s'y referer pourrait passer pour un paradoxe, sinon un anachronisme.13 En fait le XVIIe siecle est le grand siecle augustinien (Augustin est l'auteur le plus cite par Richelieu theologien) et, d'une maniere generale, l'augustinisme domine la reforme du catholicisme fran^ais. Le conflit va done opposer des adversaires issus du meme milieu, tout en s'inserant dans le cadre des relations entre la monarchic et l'Eglise de France d'une part, le Saint-Siege d'autre part. Tout cela precisement au moment ou, en meme temps que la reforme catholique, l'affirmation de l'Etat constitue la seconde nouveaute ä laquelle se trouve confronte le royaume de France. Dans ce contexte, la querelle religieuse est egalement affaire politique et, dans les deux cas, Richelieu s'y trouve directement interesse.
Saint-Cyran
ou la triste fin d'une
amitie
Abordons d'abord l'aifaire par le rappel des relations personnelles. Le jeune eveque de Lu^on, s'etait signale, on l'a vu, comme devot zele partisan de la reforme de l'Eglise. II etait en contact etroit avec un reseau d'ecclesiastiques de second rang qui lui accorderent un soutien sans faille lors de son ascension vers le pouvoir. Parmi ceux-ci, Jean-Ambroise Duvergier de Hauranne avec lequel il eut l'occasion de se lier assez intimement dans le cercle qui s'etait forme autour de La Rocheposay, l'eveque de Poitiers, son voisin. »Peu de contemporains eurent avec le Ministre des rapports aussi longs et nombreux que Saint-Cyran«14, estime Jean Orcibal; d'amitie confiante, ces relations se 12 JEAN ORCIBAL, DU Vergier de Hauranne, abbe de Saint-Cyran et son temps, Paris 1947—1948, 2 vol. IDEM, Saint-Cyran et le jansenisme, Paris 1961. IDEM, Les origines du jansenisme, t. II, Saint-Cyran et son temps (1581-1638), Louvain-Paris 1948. 13 Derniere mise au point dans CATHERINE MAIRE, De la cause de Dieu Ä la cause de la Nation. Le jansenisme au XVIIIe siecle, Paris 1998, 22—23. 14 JEAN ORCIBAL, DU Vergier de Hauranne, abbe de Saint-Cyran et son temps, 477.
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transformerent en hostilite complete. Les deux hommes ont collabore de fort pres (Saint-Cyran sejourne a Coussay en 1613, lors de l'exil de Richelieu a Avignon il s'occupe de l'impression de ses traites et fait office d'agent secret elogieusement qualifie par Richelieu de »plus savant homme d'Europe«, ils se retrouvent dans l'entourage de Marie de Medicis), avant de prendre des positions aussi divergentes qu'hostiles. 15 On ne reviendra pas sur la personnalite de Saint-Cyran et les jugements contradictoires auxquels eile a donne matiere. Malgre son gout pour la retraite, Saint-Cyran s'etait acquis une grande renommee dans le monde et avait opere une jonction avec le foyer de reforme qu'etait devenue, sous l'impulsion de la Mere Angelique Arnauld, l'abbaye de Port-Royal. Ce faisant il s'etait egalement attire un certain nombre de puissantes hostilites qui provoqueront sa chute et cela bien avant que le jansenisme ait pris naissance. En depit de son amitie avec Jansenius, qui remontait a 1609 et se traduisait par une active correspondance, mais semble avoir ete generalement surestimee, il ne lui sera d'ailleurs jamais impute le moindre element de la querelle »janseniste« a venir. En revanche que Jansenius ait ete l'auteur du pamphlet »Mars gallicus« directement hostile a la politique cardinalice, n'arrangea pas son cas. Par son talent de polemiste, par son autorite morale, par l'etendue de ses relations, par ses positions politiques, par sa recherche de perfection spirituelle a l'ecart du monde, Saint-Cyran echappait έ toute emprise du pouvoir et devenait done pour celui-ci un opposant en puissance. De bien en cour, l'abbe devient danger potentiel: on cite communement la boutade de Richelieu ä l'endroit de son ancien ami: »Monsieur de Saint-Cyran est plus dangereux que six armees«. L'explication traditionnelle de cette hostilite nouvelle est celle de l'historien du jansenisme Augustin Gazier, tout a l'honneur du heros janseniste et au desavantage de l'autoritaire cardinal: » R i c h e l i e u l'estimait i n f i n i m e n t et cherchait ä se l'attacher en le c o m b l a n t d e prevenances; mais les refus obstines d e l'abbe de S a i n t - C y r a n et ses velleites d ' i n d e p e n d a n c e irriterent le tout-puissant ministre, qui resolut d e se venger. N e p o u vant l ' a m e n e r a declarer nul le m a n a g e de G a s t o n d ' O r l e a n s et le trouvant o p p o s e ä ses sentiments reläches sur l'attrition, R i c h e l i e u le fit enfermer ä V i n c e n n e s , o r d o n n a la saisie de tous ses papiers et c o m m e n f a contre sa doctrine u n e i n f o r m a t i o n j u r i d i q u e qui dura d e u x ans.« 1 6
Le pretexte de son eviction sera en effet dogmatique, lie aux discussions autour du theme de l'attrition agite par le P. Seguenot et par le P. Caussin, confesseur du roi, qui en nient la validite, alors que, des l'epoque oü il redigeait son LACROIX, Richelieu ä Lugon, 194-199. AUGUSTIN GAZIER, Histoire generale du mouvement janseniste des originesjusqu'ä nos jours, Paris 1922. Dans le »Port-Royal« de Sainte-Beuve, l'arrestation de Saint-Cyran, assez peu justifiee, est incomprehensible politiquement. L'information confiee ä un homme de confiance, Laubardement et qui n'aboutit a rien (tout au plus Saint-Cyran accepta de souscrire une declaration attritioniste). 15
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18
»Instruction du chretien«, Richelieu l'avait admise. Le 14 mai 1638, SaintCyran est arrete sous le pretexte de soutenir la meme opinion hostile et conduit a Vincennes d'oü il ne sera libere qu'apres la mort de Richelieu, le 6 fevrier 1643, juste avant sa mort le 11 octobre suivant.17 L'affaire merite a tout le moins interrogation quant a la clairvoyance de Richelieu, puisqu'ä l'epoque de cette arrestation, l'»Augustinus« n'etait point paru et que Saint-Cyran n'etait partie dans aucune polemique jansenisante et qu'ä terme, l'affaire sera catastrophique pour le pouvoir: Saint-Cyran y acquerra Γ aureole de martyr et sa detention lui inspirera une ferveur et un zele nouveau qui le pousseront a intervenir dans des affaires qui, jusque la, ne l'avaient guere preoccupe.
Reuttis par la reforme de l'Eglise,
opposes par leurs
spiritualties
En fait les deux hommes s'etaient trouves reunis par l'ideal de reforme de l'Eglise qui etait celui du temps et avaient pu cooperer tant qu'il s'etait agi de reformes institutionnelles ponctuelles. En revanche, tout devait les separer des que Ton quittait ce niveau, la spiritualite et les options politiques. L'etendue de leur divergence est telle qu'on a cru ne la pouvoir expliquer sans mettre en doute soit la sincerite de Tun, soit la raison de l'autre. En fait, eile se deduit d'une opposition fondamentale de deux personnalites: le cardinal est homme d'action, Saint-Cyran avant tout homme d'oraison. Les differences portent sur la raison dominante chez l'un, consideree comme corrompue et source d'actions necessairement mauvaises, done a eviter, chez l'autre, l'optimiste volontariste de Taction et sa liaison avec la facilite chez le cardinal-ministre, le neant du peche et la retraite du monde corrompu, themes chers a l'abbe. Le rapport du jansenisme au politique sera toujours marque par ce principe ethique selon lequel les pratiques indispensables a la vie d'un Etat precedent de la raison corrompue et sont done ä refuser.18 Par ailleurs, pour Saint-Cyran, Dieu est incomprehensible et ne peut etre connu que par la negation de toutes choses et possede que par une abnegation totale; l'abbe developpe une psychologie d'extatique sensible au neant, hostile a l'abus du raisonnement qui fait que »l'homme se regarde lui-meme [...] au lieu de regarder Dieu«, qu'il omet »de perdre sa raison volontairement pour obeir a celle de Dieu«, et manifeste une hostilite fondamentale a la scolastique et ä l'aristotelisme transmis par la philosophie thomiste qui faisaient l'armature intellectuelle de Richelieu. A l'inverse, le mouvement augustinien rejette la 17 Tallemant avance une autre explication de cet emprisonnement: Saint-Cyran aurait refuse i Richelieu de prendre la direction de la grande conference-controverse que le Cardinal voulait organiser pour operer la reunion des religions catholique et protestante (ΟέπέοΝ TALLEMANT DES RIAUX, Historiettes, ed. ANTOINE ADAM, 1.1, 260). L'histoire n'est rapportee par aucune autre source et semble relever d'une confusion. 18 REN6 TAVENEAUX (ed.), Jansenisme et politique, Paris 1965.
19
scolastique au profit de la theologie positive qui se b o r n e έ rechercher et a o r d o n n e r l'enseignement c o n t e n u dans l'Ecriture et la Tradition, u n e t h e o l o gie qui se veut »ruminee par le cceur« et n o n elaboree par l ' e n t e n d e m e n t . A l'oppose, notre cardinal, qui est etranger a ce m o u v e m e n t , assume plein e m e n t l'heritage de la tradition exprimee par r o p t i m i s m e raisonnable de Thumanisme devot: »Voilä en gros en quoy consiste l'instruction du chrestien, ce qui vous servira de premiere Ιεςοη, dont sans doute vous recevrez ce fruict de vous disposer de vous mesme ä suivre le chemin qui vous est trace, et recevoir la nourriture qu'on vous donne, estant certain que, s'il suffit au malade pour luy faire entreprendre un chemin fascheux et desirer une medecine amere, de considerer que c'est pour recouvrer sa sante, ä plus forte raison serez-vous portez ä desirer cheminer en une voye unie et prendre une nourriture douce comme laict, si vous vous mettez devant les yeux que c'est pour vous acquerir une sante qui ne souffre plus de maladies et parvenir en une vie en laquelle nous serons avec Dieu eternellement heureux.« 19 II n'est aussi que d ' e v o q u e r l a demarche argumentee qu'il proposait au chretien p o u r suivre la voie de la perfection au fil des chapitres du traite du m e m e n o m : chapitre 1: »que les Chretiens doivent avoir soin de leur salut par la consideration de la dignite de leurs ames« creees et rachetees par D i e u (argumentation etayee par Augustin), chapitre II: brievete et misere de la vie h u m a i n e oppose a l'eternite et au b o n h e u r de la vie future, chapitre III: l'enfer q u e l ' o n ne p e u t q u e vouloir eviter, chapitre IV: »de la facilite qu'il y a a se sauver et de la difficulte qu'il y a a se damner«. Conclusion: la raison veut que l ' o n se p r e o c cupe d ' u n salut si facile a obtenir. M i e u x m e m e , certaines mises en garde semblent bien viser expressement les sectateurs augustiniens d o n t Saint-Cyran constituait le p o i n t de ralliement parisien: »II me semble que j'entends certains esprits, qui s'estiment plus forts que les autres parce qu'ils sont ou plus presomptueux ou plus insensibles, qui disent qu'il y a tant de peines ä gaigner le paradis et tant de plaisir ä se perdre qu'il est presque impossible d'eviter l'un et de parvenir ä l'autre. Je leur demande premierement si, estant courageux comme ils en font profession, ils n'ont point de honte de mespriser leur salut parce qu'il est difficile, et de courir ä leur perte parce que le chemin en est aise. En second lieu, je leur dis qu'il y a autant de facilite et de plaisir ä se sauver que de difficulte et de peine a se damner. Les delices du peche sont bien trompeuses puisqu'elles sont tousjours suivies de peines dont les pointes estouffent les plaisirs.«20 »Le christianisme a este autant estably de Dieu pour les simples que pour les intelligens et, comme le nombre des premiers est plus grand que celuy des autres, on peut dire que les plus grossiers y ont plus de part que les spirituels. II a done este de la bonte de Dieu de donner des moyens faciles, par lesquels les esprits peu capables peuvent aussi aisement parvenir ä la perfection du christianisme, comme la sub19 20
20
l 4 r e Ιεςοη. Chapitre IV.
tilite de l'intelligence des plus capables leur en peut fournir qui surpassent la portee des autres. Tous ces moyens se reduisent a l'amour: il n'y a personne qui ne soit capable d'aymer Dieu, puisque tous le sont de reconnoistre par la lumiere naturelle qu'il est createur de leur estre et, par celle de la foy, qu'il est autheur de leur salut. [ . . . ] Ainsi quiconque a une charite parfaite a la perfection du chrestien, et comme il est aise a tous les hommes d'aymer Dieu de tout leur coeur et de toutes leurs forces par l'assistance de sa grace, il est aise d'avoir la perfection en toutes conditions.« 21 Si l'augustinisme constitue bien davantage un etat d'esprit q u ' u n e doctrine, Richelieu (meme s'il s'appuie abondamment sur saint Augustin) y est fondamentalement etranger; il en va de m e m e de l'illuminisme dont le s o u p f o n n'epargnait pas davantage Saint-Cyran. II est le tenant de la tradition et dit tres clairement la mefiance que lui inspirent les novateurs en ce texte essentiel p o u r notre propos: »Seiziesme conseil. II est tres dangereux, en matiere de devotion, de vouloir marcher par des senders nouveaux, quittant le grand chemin battu et fraye par nos peres, et c'est cependant ce qui se fait trop souvent en ce temps. II n'y a rien si aise que de penser avoir une vocation particuliere dont la nouveaute chatouille nos sens et nous repaist de quelque vent. Sur ce fondement beaucoup ne pensent pas estre bien devots s'ils n'establissent quelque espece de nouvel ordre. Tel religieux pense que c'est rendre une reverence particuliere aux sacremens que de s'en approcher peu souvent par la reconnoissance de son indignite, bien qu'il soit oblige par la pratique de son ordre d'en user autrement. Un autre, sous l'apparence d'une elevation extraordinaire, se laisse insensiblement aller dans les folles opinions des illuminez. J e ne parle plus de ces personnes qui s'attachent au dereglement des sens sous pretexte d'une indifference ä toutes les choses du monde. Ces opinions lä sont trop grossieres pour y pouvoir tomber sans malice, mais j e parle des personnes dont les opinions sont d'autant plus plausibles qu'ayant pour but l'espurement de l'esprit a leur mode, elles ne laissent pas de faire estat de la mortification du corps et des moyens propres ä tenir nos sens en bride. Les inventions trop subtiles sont aussi dangereuses en la spiritualite que les nouveautez en matiere de religion. II s'en faut garder comme de pointes aigues, aussi capables de picquer comme elles sont impuissantes ä servir de solide fondement a cause de leur foiblesse, quelque bonne fin que puissent avoir ceux qui quittent les chemins battus pour suivre les nouveaux senders qu'ils ont trouvez. On peut dire avec verite qu'ils se cherchent eux-mesmes et s'eloignent de Jesus-Christ, qu'ils ont Dieu en la bouche et le seul amour propre dans leur cceur, et que ce n'est pas Dieu qu'ils reverent en sa parole et dans les enseignemens de son Eglise, mais l'idole de leurs inventions qu'ils adorent aveuglement. En effet celuy qui ne pense trouver Dieu qu'aux nouveaux establissemens qu'il se propose monstre bien que, s'il le cherche, c'est bien pour le trouver en soy-mesme, c'est-ä-dire en sa propre vanite, puisque s'il n'avoit autre dessein que de le trouver, il le chercheroit asseurement aux lieux ou il ne peut ignorer qu'il n'ait choisi sa demeure, et non pas en ceux oü il n'est pas asseure qu'il soit bien qu'ä son compte il y puisse estre. 21
Chapitre XLII.
21
II faut done que ceux qui veulent faire progres au chemin de la perfection cherchent Dieu oü l'Eglise le monstre, et non oü leur esprit se l'imagine. Qu'ils marchent par les chemins traeez par nos peres et non par des senders particuliers, si ce n'est pour obeir a quelques nouveaux ordres de l'Eglise qu'il est beaueoup plus seur de recevoir en telles occasions que de les rechercher sans grand discernement. Autrement qu'ils soient asseurez que Dieu leur dira unjour: Je ne vous connois point, cherchez vostre recompense en vous-mesmes; je ne la dois pas estre, puisque ce n'est pas moy que vous avez cherche. Vous avez mesprise mes voyes quoy qu'ouvertes et battues de longtemps pour suivre des senders egarez que vostre seul orgueil et vos sens vous ont traeez, au lieu de vous asseurer sur l'infaillibilite de mon Esprit que j'ay promis ä mon Eglise; vous avez suivy l'erreur du vostre dont je vous ay plusieurs fois advertis de vous garder; vous estes coulpables de deux crimes qu'un de mes prophetes reprochoit autrefois au peuple d'Israel: Vous m'avez quitte, moy qui suis la fontaine d'eau vive et vous vous estes fait des citernes incapables de contenir des eaux qui puissent estancher vostre soif. Je ne vous connois point, retirez-vous de moy.« 22 II y a la une violente condamnation particulierement developpee oü Γ on ne peut pas ne pas penser qu'elle vise implicitement Saint-Cyran. D e plus, eile est en liaison directe avec les deux conseils suivants qui sont des mises en garde contre la tentation d'orgueil, puis contre l'hypocrisie qui sera celle de Tartuffe. 23 22
Chapitre XLIV. »Dix-septiesme conseil. II faut bien estre sur ses gardes p o u r se garantir d ' u n certain orgueil qui, se glissant assez aisement dans l'esprit de ceux qui font profession particuliere de devotion, leur fait souvent penser ou que rien n'est bien fait s'ils ne le font, ou au moins qu'ils sont capables de faire mieux que les autres hommes. Teiles personnes se laissent volontiers aller a trouver ä redire ä toutes choses et ä le tesmoigner ou par leurs paroles, ou par leurs gestes, ou par leurs souspirs. Je ne parle pas de ceux qui, le faisant de propos delibere p o u r condamner les actions d'autruy, sont dans les voyes d ' u n e malice noire et n o n dans celle des spirituels qui taschent de remarquer les traces du Fils de Dieu p o u r les suivre. Mais j e dis que la conduite de ceux qui ont u n tel precede sans mauvais dessein est tres mauvaise, parce que ce qu'ils improuvent est ou le mieux qui se puisse faire, bien q u ' o n n'ait pas le succes q u ' o n pouvoit desirer, auquel cas ils ne peuvent le condamer sans injustice, o u , quand mesme o n pourroit faire mieux, si ce q u ' o n fait est bien, il ne merite pas d'estre blasme, ou si mesme il le meritoit p o u r n'estre pas fait selon les regies de la prudence, cette vertu et la charite ne permettent pas de condamner ce qui est fait sans malice. Par u n tel principe, n o n seulement l'humilite se trouve ruinee, mais la charite est offensee, et la presomption qui fait q u ' o n se prefere ä autruy s'accorde aussi peu avec la prudence humaine qu'avec la loy de Jesus-Christ. 23
Pour conclusion, bien qu'il soit permis ä chacun de considerer ce qui se fait dans le m o n d e , 1'homme vrayement spirituel ne doit jamais improuver une action si elle n'est evidemment mauvaise, ny la condamner devant personne, s'il ne j u g e que le tesmoignage de son sentiment peut aussi certainement produire du bien qu'il est incapable de faire aueun mal. Dix-huictiesme conseil. La connoissance que le cours des affaires m ' a d o n n e de ce qui se passe dans le m o n d e m e fait supplier les religieux et ceux qui sont consultez c o m m e spirituels de prendre soigneusement garde ä deux choses. La premiere, ä ne se laisser pas tromper, sous pretexte de piete, par ceux qui n'affectent que les apparences de la vertu et qui ont d'autant plus de soin de bien parier que plus ils s'abandonnent ä mal faire.
22
Par ailleurs, le retrait du monde, l'aspiration au silence et a la retraite prones avec succes par Saint-Cyran, outre une eventuelle opposition de la noblesse de robe a l'Etat absolutiste24, ne faisaient-ils pas implicitement figure de condamnation du choix delibere de Richelieu de Taction politique, le presentant, sans le dire expressement, pour un mauvais ecclesiastique et mettant en cause la possibilite du salut de son äme? On sait d'ailleurs que le probleme de fond que pose a l'augustinisme janseniste le salut du prince, dont le Statut rend impossible le retrait du monde, sera un theme de discussion et un cas d'ecole sur lequel se pencheront des jansenistes comme Pierre Nicole et Antoine Arnauld. Une question de choix de vie qui se posait aussi au ministre, comme on le verra plus loin. Plus generalement, constater que tres precocement les autorites ontjoue un role repressif revient a dire qu'elles ont eu obscurement conscience qu'elles etaient mises en cause par le mouvement, que le debat portant sur la source et l'exercice de l'autorite dans l'Eglise induit par l'identification janseniste de la doctrine de l'Eglise a celle d'Augustin, aboutissait a un inevitable et tres rapide glissement sur le terrain politique.25
Facilite ou
laxisme?
Des presupposes negatifs s'attachent de la meme maniere aux prises de position theologique de Richelieu se declarant nettement pour la validite de l'attrition. II faut ici rappeler l'importance qu'eurent ces questions au centre des preocJe s?ay bien que, dans le christianisme, ce n'est pas une petite vertu de bien j u g e r de son prochain, mais il est dangereux de le faire avec telle simplicite q u ' o n n'y apporte aucun discernement de prudence. Beaucoup d'inconveniens sont venus ä ma connoissance de ce defaut et il en peut arriver d'indicibles, particulierement ä ceux qui ont charge de la conduite des ämes et qui sont employez en des fonctions publiques, lesquels tomberoient sans doute en de grandes mesprises s'ils ne joignoient la prudence du m o n d e ä leur b o n t e morale. La seconde est que plusieurs estiment par u n faux principe que c'est assez q u ' u n chose soit licite p o u r la pouvoir permettre, particulierement quand il est question d'obliger des personnes de consideration. Les inconveniens de cette maxime sont encore plus ä craindre que ceux qui peuvent arriver de l'autre. Grand n o m b r e de religieux y t o m b e n t souvent par une trop grande bonte. Si u n h o m m e simplement capable, selon la rigueur des canons, d ' u n benefice qui a charge d'ämes est r e c o m mande par des personnes de qualite, leur simplicite est telle qu'ils ne font aucune difficulte de le preferer ä u n autre de plus grande capacite et de plus grand zele. Cependant le premier vivra tellement languissant dans sa charge q u ' e n n ' y faisant pas de mal, il n'y fera point de bien, au lieu que l'ardeur de l'autre l'eust asseurement porte ä ne laisser aucun bien possible sans l'entreprendre. S'il est vray q u ' e n la voye de la perfection il faille s'estimer coulpable n o n seulement du mal q u ' o n a commis, mais aussi de n'avoir pas fait le bien q u ' o n est oblige de faire, c o m m e l'on en peut douter, ceux qui persisteroient en une telle simplicite apres estre advertis des maux qui en arrivent, ne s^auroient s'exempter de blasme.« Ibidem. 24 Selon la these de LUCIEN GOLDMANN, Le Dieu cache, Paris 1955. 25 JEAN-LOUISE QUANTIN, Ces autres qui font ce que nous sommes: les jansenistes face Ä leurs adversaires, dans: R e v u e de l'histoire des religions, 1996/1, 397—417.
23
cupations religieuses et culturelles de l'äge classique.26 Nous avons en effet aujourd'hui un certain mal a comprendre l'interet passionne porte aux debats sur l'attrition, les delais d'absolution ou les cas de conscience; ils etaient alors au cOekumene< samt ihrer Entwicklung verdient aber immer noch eine genauere Erforschung. Dabei geht es hier nicht um die Meditation als Frömmigkeitsgattung, sondern um die Verfolgung einer die Konfessionen übergreifenden literarischen Tradition. Die
Quellen
Unter den mittelalterlichen pseudo-augustinischen Schriften bilden der »Soliloquiorum Animae ad Deum Liber unus«5, der »Meditationum Liber unus«6, das »Manuale Liber unus«7 und das »Speculum Liber unus«8 eine zusammengehörende Gruppe mit Bezugnahmen untereinander, was gleichwohl nicht heißt, 2
Wiesbaden 1990 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8). Beispielsweise wäre zu überprüfen, ob die protestantischen Psalmenmeditationen nicht auch durch die reformatorische Auslegungstradition bestimmt sind. Ebenso müßten Eigenart und Abhängigkeit der protestantischen Passionsmeditationen präziser eruiert werden. 4 PAUL ALTHAUS, Forschungen zur Evangelischen Gebetsliteratur, Gütersloh 1927, 59-103. Insgesamt ist zu verweisen auf das Stichwort »Augustin und Pseudoaugustin« im Register bei Althaus. 5 Monumenta polyphoniae liturgicae sanctae ecclesiae Romanae (im folgenden abgek. MPL) 40, 863-898. 6 MPL 40, 897-942. 7 MPL 40, 949-968. 8 MPL 40, 967-984. 3
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daß sie gleichzeitig entstanden sind.9 Die »Meditationes« sind die erweiterte Überarbeitung 10 des »Libellus de scripturis et verbis patrum collectus ad eorum praesertim utilitatem qui contemplativae sunt amatores« (ca. 1030/1050 vor 1063) des aus der Gegend von Ravenna stammenden Abtes Johannes von Fecamp (Normandie; nach 990—1078), eines Vertreters der monastischen R e form und zugleich der Anbetungsmeditation.11 In den »Soliloquia« wird das Glaubensbekenntnis des Laterankonzils von 1215 zitiert.12 Das »Manuale« zitiert neben dem »Speculum« und den »Meditationes« u. a. Bernhard von Clairvaux (1090-1153). Das »Speculum« ist wiederum Bestandteil des literarischen Werks von Johannes von Fecamp.13 Es hat allerdings nicht die Verbreitung wie die drei vorhergehenden Schriften, mit denen es sich überschneidet, erfahren. Der am meisten in diesen Schriften (allerdings ohne Namensnennung) ausgeschriebene Autor ist Augustin, vor allem seine »Confessiones«. Deren (an)betend-meditierender Stil bestimmt auch die Sprachgestalt der genannten Schriften, die somit nicht von ungefähr als Schriften des Kirchenvaters selbst durchgehen konnten. Die Sprache richtet den Schreiber wie den Leser allein auf den dreieinigen Gott aus. Vor ihm ist die elende und auf die göttliche Gnade angewiesene Situation des Menschen zu bedenken und zu artikulieren. Das Ziel ist die mit der Seligkeit zusammenfallende Schau Gottes. Die eschatologische Erwartung ist von daher recht intensiv ausgestaltet. Von der reformatorischen Rechtfertigungslehre her konnte dieses Erbauungsschrifttum ohne nennenswerte Schwierigkeiten bejaht und nachvollzogen werden. Wie schon Althaus erkannt hat, ist von dieser Tradition her und somit nicht allein durch den Zeitgeist die Individualisierung der Frömmigkeitssprache erheblich befördert worden. 14 Die genannten Schriften haben dann Eingang in die Ausgaben der Werke Augustins gefunden, so die »Meditationes«, die »Soliloquia« und das »Manuale« in die »Opuscula plurima« (Argentinae 1489), die der junge Luther 1509 mit Annotierungen versehen hat.15 Interessanterweise hat er jedoch von
* Vgl. E. PORTALIE, Art. Augustin (Saint), in: JEAN M. VACANT (Hg.), Dictionnaire de theologie catholique (DThC), Band 1, Paris 1903-1950, 2309 f. FERDINAND CAVALLERA, Art. Augustin; Apocryphes, in: MARCEL VILLER (Hg.) Dictionnaire de spiritualite, ascetique et mystique (DSp), Band 1, Paris 1932, 1132 f. BERNHARD BLUMENKRANZ, La survie medievale de saint Augustin ä travers ses apocryphes, in: Augustinus Magister, Congres International Augustinien, Paris 1954, Band 2, 1003-1018. 10 U. a. wird in den »Meditationes« der jüngere Anselm von Canterbury (1033-1109) zitiert. 11
U L R I C H KÖPF, A r t . J o h a n n e s v o n F e c a m p , T R E 1 7 , 1 3 2 - 1 3 4 . V g l . KLARA ERDEI, A u f d e m
Wege zu sich selbst: Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung, Wiesbaden 1990 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8) 18-34. 12 13 14
15
MPL 40, 891. Vgl. die dem »Speculum« vorangestellte Admonitio, MPL 40, 967 f. ALTHAUS, F o r s c h u n g e n , 59.
MARTIN LUTHER, Werke. Kritische Ausgabe [Weimarer Ausgabe; im folgenden abgek. WA], Band 9, Weimar 1941, 2-4.
56
diesen apokryphen Schriften keine erkennbare Notiz genommen. Auch später wurden sie von ihm nicht zitiert.16 O b Luther bekannt war, daß Erasmus in seiner Augustinus-Ausgabe (Basel 1505/1506) die Autorschaft Augustins fur die genannten Erbauungsschriften bereits in Frage gestellt hatte, ist unbekannt. Die spätere evangelische und katholische Rezeption hielt sie zeitweilig wieder für echt. Das »Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts« (VD 16) ermöglicht wenigstens für den betreffenden Zeitraum einen Überblick über die außerhalb der Gesamtausgaben erfolgten selbständigen Drucke der Pseudoaugustiniana. 17 Danach wurde das »Manuale« 1506 und 1507 in Köln gedruckt, 1555 erschien eine deutsche Ubersetzung in München und 1571 eine in Köln. Die »Meditationes«, »Soliloquia« und das »Manuale« zusammen wurden 1562, 1575, 1584, 1594 und 1598 in Köln, 1571 in Dillingen gedruckt. 18 Deutsche Ubersetzungen erschienen 1571 und 1597 in Köln. Alle diese Ausgaben müßten daraufhin in Augenschein genommen werden, ob sich ihnen nähere Umstände ihrer Veröffentlichung entnehmen lassen. Sämtliche erwähnten Ausgaben wurden von katholischen Druckern besorgt. Es bestand offenbar ein kontinuierlicher Bedarf an diesen Erbauungsschriften. Es kam sogar zu deutschen katholischen Ubersetzungen (Johannes Schwayger), für die die Nachfrage allerdings erheblich geringer war. 1589 wurde eine deutsche Ubersetzung der »Soliloquia« in Wittenberg veröffentlicht. 1600 erschienen alle drei Schriften zusammen auf deutsch in Frankfurt/Oder. 19 Der Übersetzer dieser evangelischen Ausgaben, die ζ. B. 1630 in Lüneburg (Stern) nachgedruckt wurde, war der lutherische Laie Heinrich Rätel (1529-1594), Bürgermeister in Sagan (Schlesien). 20 N e ben den lateinischen Ausgaben erschienen während des 16.Jahrhunderts gleichfalls englische, niederländische, französische, spanische, italienische und tschechische Übersetzungen von einzelnen oder allen dreien dieser pseudoaugustinischen Schriften. 21 1608 erschien in Douai die Edition der drei Schriften besorgt von Henricus Sommalius SJ (Henri de Sommal, 15341619), die dann an vielen Orten und dort nicht selten mehrfach, ζ. B. Lyon 1610, Köln 1614, Antwerpen 1701, Venedig 1760, Paris 1776 und schließ-
Vgl. WA 63 zum Stichwort Augustinus, Schriften. Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts (im folgenden abgek. V D 16), Band 1, Stuttgart 1983, A 4278-4312. Der Index Aureliensis. Catalogus, librorum sedecimo saeculo impressorum 1,5, Baden Baden 1966 [1971] verzeichnet für das 16. Jahrhundert 15 Sammeldrucke der »Meditationes«, »Soliloquia« und des »Manuale« sowie zahlreiche Einzelausgaben in verschiedenen Sprachen. 16
17
Drucke des »Speculum« finden sich nicht. Sämdiche Angaben nach dem Index Aureliensis 1,5. 2 0 Vgl. (auch zum ganzen Zusammenhang) UDO STRÄTER, Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1995 (Beiträge zur historischen T h e o logie 91), 2 f. 21 Index Aureliensis 1,5. 18
19
57
lieh Münster 1854, nachgedruckt und damit wohl zur führenden katholischen Edition geworden ist.22 Es ist darum auch über Deutschland hinaus von deren europäischer Wirkungsgeschichte auszugehen, was durch die Geschichte der Meditation generell bestätigt wird. Die Rezeption
der Pseudo-Augustiniana
des 16. und
17.Jahrhunderts
in der evangelischen
Erbauungsliteratur
Andreas Musculus (1514-1581), 23 der orthodoxe lutherische Theologieprofessor in Frankfurt/Oder, ist als wichtiger Herausgeber von Gebeten hervorgetreten: »Precandi formulae piae et selectae, ex veterum Ecclesiae sanctorum doctorum scriptis [ . . . ] congestae [ . . . ] Francoforti ad Viadrum 1553«, ab 1559 zahlreiche Ausgaben unter dem Titel »Precationes ex veteribus orthodoxis doctoribus collectae«.24 Das Material stammt hauptsächlich aus den »Meditationes«, den »Soliloquia« und dem »Manuale«. In einer der Bosheit und der Sicherheit verfallenen Welt möchte Musculus »unser andacht mit ihrem [sc. der Väter] fewer anzünden«. Althaus weist darauf hin, daß Musculus damit Motive und Materialien von Georg Witzel, Johann Fabri und Caspar von Schwenckfeld aufgenommen hat.25 Die direkte Sprachbeziehung, die die Pseudoaugustiniana im Gefolge Augustins zu Gott herstellen, wird zur für notwendig erachteten Intensivierung der Frömmigkeit genutzt. Dabei werden die Quellen nicht zuletzt zur Erweckung einer bußfertigen Haltung herangezogen. 26 Martin Moller (1547-1606), der schlesische Pfarrer und Erbauungsschriftsteller, schöpfte, beeinflußt durch Musculus, in seinen »Meditationes sanctorum Patrum« (Görlitz 1584 und 1591) neben anderen patristischen und mittelalterlichen Autoren vor allem aus den drei pseudoaugustinischen Schriften, wobei ihm durchaus bekannt war, daß es sich um sekundäre Kompilationen augustinischer Mystik handelte.27 Moller gilt mit seinem Werk als der wich2 2 CARLOS SOMMERVOGEL (Hg.), Bibliotheque de la C o m p a g n i e de Jesus. Nouvelle edition, B a n d 7, L ö w e n 1960, 1381f. 23
ALTHAUS, F o r s c h u n g e n , 9 8 - 1 0 3 . E R N S T K O C H , A n d r e a s M u s c u l u s u n d d i e K o n f e s s i o n a l i s i e -
rung im Luthertum, in: HANS-CHRISTOPH RUBLACK (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland, Gütersloh 1992 (Schriften des Vereins fiir Reformationsgeschichte 197), 5 0 - 2 7 0 . ROBERT KOLB, T h e Fathers in the service o f Lutheran teaching. Andreas Musculus' use o f patristic sources, in: LEIF GRANE u . a . (Hg.), Auctoritas Patrum II. N e u e Beiträge zur R e z e p t i o n der Kirchenväter im 15. und 16.Jahrhundert, Mainz 1998 (Veröffendichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz 44), 1 0 5 - 1 2 3 . 2 4 1559 brachte Musculus außerdem ein gleichfalls mehrfach nachgedrucktes »Betbüchlein« heraus, das aber auf die Pseudoaugustiniana keinen ausdrücklichen B e z u g nimmt. 2 5 ALTHAUS, Forschungen, 100, vgl. auch 25 f. 26
K O L B , T h e F a t h e r s , 1 2 1 f.
Grundlegend im folgenden ELKE AXMACHER, Praxis Evangeliorum. Theologie und F r ö m migkeit bei Martin Moller (1547-1606), Göttingen 1989 (Forschungen zur Kirchen- und D o g mengeschichte 43), 1 0 3 - 1 3 8 . 27
58
tigste Vermittler augustinischer und bernhardinischer Mystik an den Protestantismus. Inhaltlich mag dieses Urteil berechtigt sein, quantitativ wird es trotz der Bedeutung der Görlitzer Buchproduktion relativiert durch die vergleichsweise wenigen, lediglich in Görlitz erfolgten Drucke 28 , die weit hinter den Auflagen von Musculus zurückbleiben. Ähnlich wie bei diesem wird auf die im Vergleich zur Gegenwart hitzigere und brünstigere Andacht der Alten zurückgegriffen; es ist ihm also wiederum um eine Intensivierung der Frömmigkeit in der als endzeitlich qualifizierten Situation zu tun. Die Dynamik der mystischen Vereinigung (raptus) wird allerdings zur »Andacht« heruntergenommen und damit wesentlich sachter, wenngleich es bei der Weltflüchtigkeit bleibt. Klarer als Musculus hat Moller die »Vermahnungen zur Buße« als eigene Rubrik an den Anfang gestellt. Seine Übersetzungen und Paraphrasierungen rücken die semipelagianischen Tendenzen der Vorlage, was ζ. B. die Rolle des menschlichen Willens anbetrifft, geschickt als Veränderung des Herzens im Sinne der reformatorischen Theologie zurecht. Im Sprachraum des Gebets und der Meditation kann der konfessionelle Konflikt ohnedies unterbleiben. Die Kommunikation mit dem trinitarischen Gott ist überaus lebendig, ohne daß dadurch jedoch die theologische Ontologie tangiert wird. Zur eigentlichen Gottesgemeinschaft kommt es erst nach dem Tod, aber schon das jetzige, durch Christus versöhnte Leben ist nicht ohne Trost und Freude. Die eschatologische Hoffnung dominiert über die mystischen Intentionen. Insgesamt ist eine Harmonisierung der spezifischen Frömmigkeit der altkirchlich/mittelalterlichen Vorlagen mit der spätreformatorischen Konzeption erreicht. Die zugesprochene Rechtfertigung wird mit der Jenseitshoffnung kombiniert, und damit läßt sich die anfechtende gegenwärtige Wirklichkeit bestehen. Mit dem Material der überkommenen Erbauungsliteratur wird die der Zeiterfahrung angemessene Frömmigkeit eingeübt und praktiziert. Die historische Betrachtung hat dies zur Kenntnis zu nehmen, zu respektieren und keineswegs von vornherein zu kritisieren. Philipp Nicolai (1556-1608)29, u. a. Prediger in Unna und zuletzt Hauptpastor in Hamburg, ist bekannt geblieben als der Schöpfer der beiden eschatologischen bzw. mystischen Spitzen-Choräle »Wachet auf, ruft uns die Stimme« und »Wie schön leuchtet der Morgenstern«, die er seinem »Freudenspiegel des ewigen Lebens« (Frankfurt a. Μ. 159930) beigegeben hat. Dieses Werk 28 Nach VD 16 erschienen bis 1599 von Teil 1 der »Meditationes sanctorum Patrum« sechs Drucke, von Teil 2 drei Drucke. Aus Mollers »Praxis Evangeliorum«, seiner Predigtpostille, wurde vom Autor ein Thesaurus precationum, Görlitz 1603 und 1613, veröffentlicht (vgl.
ALTHAUS, F o r s c h u n g e n ,
135).
29
Vgl. MARTIN BRECHT, Philipp Nicolai. Lutherische Orthodoxie und neue Frömmigkeit. J W K G 84, 1990, 159-183 [= DERS., Ausgewählte Aufsätze, Band 2: Pietismus, Stuttgart 1997, 11-32], DERS., Der »Freudenspiegel« und sein geistiger Hintergrund, in: PETER KRACHT (Hg.), Die Pest, der Tod, das Leben - Philipp Nicolai - Spuren der Zeit. Beiträge zum Philipp-Nicolai-Jahr 1997, Unna 1997, 27-41. 30 Reprint Soest 1963.
59
hatte einen Vorläufer in dem 1571 verfaßten, aber erst 1582 gedruckten »Spiegel des ewigen Lebens« des Flacianers Christoph Irenaeus (ca. 1522—1595), der das letzte Stück des Apostolicums auslegte. Irenaeus stammte aus Schweidnitz in Schlesien, war u. a. Hofprediger von Herzog Wilhelm von Sachsen gewesen und dann infolge der theologischen Konflikte als »Exulant Christi« weit herumgekommen. Wahrscheinlich war sein theologischer Abstand zu dem lutherisch-orthodoxen Nicolai nicht allzu groß. Irenaeus berief sich neben Luther, Johannes Brenz und Urbanus Rhegius auf eine ganze Reihe lateinischer und griechischer Kirchenväter mit Augustinus (einschließlich der pseudoaugustinischen Erbauungsschriften) an der Spitze. Außerdem verwies er (wie Nicolai nachher auch) auf den spanischen katholischen Humanisten Juan Luis Vives (1492—1540), dessen Denken augustinisch auf die ewige Seligkeit des Menschen und die Schau Gottes ausgerichtet war. Die Jenseitsorientierung der Theologie und Frömmigkeit Nicolais war konkret bedingt durch die schweren Zeitnöte der Pestepidemien, die Einfalle der Spanier und die konfessionellen Verfolgungen. Der Glaube findet in der Gottesbeziehung Trost und Freude, aber auch Weisung. Das Sprachmaterial nimmt vor allem die einschlägigen biblischen Vorstellungen auf und stammt vielfach aus den pseudoaugustinischen Traktaten. Dabei ist Nicolai wie Moller die eindrucksvolle und dauerhafte Synthese von reformatorischer Theologie und Frömmigkeit mit den mittelalterlich-augustinischen Traditionen gelungen. Insofern ist die Kritik von Althaus an der Rezeption der von Katholiken oder gar von Jesuiten edierten Pseudoaugustiniana zumindest einseitig.31 Als bewußte Kompilation vorhandener evangelischer und katholischer Gebetbücher und damit auch der verschiedenen Editionen der pseudoaugustinischen Erbauungsschriften hat schon Althaus32 »Ein Newe Christlich und Nützlich Betbuch« (Hamburg 1592) des Lüneburgischen Präzeptors Philipp Kegel samt seinen zahlreichen Nachauflagen und lateinischen Versionen beschrieben. Auf die pseudoaugustinischen Erbauungsschriften stößt man in der lutherischen Orthodoxie gelegentlich auch sonst und immer wieder. Stephan Praetorius (1536-1603)33, Pfarrer in Salzwedel und Erbauungsschriftsteller wie Moller, bezieht sich in seinem Traktat »Lilium convallium« (= Maiglöckchen) auf die »Soliloquia«. Gottfried Olearius (1605-1685), Superintendent in Halle, kritisierte in seinem »Thesaurus Salutis Orthodoxus« (Leipzig 21669) zwar Praetorius, verteidigte aber ausdrücklich den Gebrauch der (pseudoaugustinischen Gebetstradition.34 Sein Sohn Johann Gottfried Olearius (1635-1711), gleichfalls Prediger in Halle und Herausgeber mehrerer Gebetbücher, veröf-
31
ALTHAUS, Forschungen, 138-141. Ebd., 135-142. 33 Vgl. ECKHARD DÜKER, »Daß Gott uns schon selig gemacht habe ...«. Stephan Praetorius (1536-1603): Ein lutherischer Erbauungsschriftsteller als Förderer nachreformatorischer Frömmigkeit, Diss, theol. Münster 1998. 34 Ebd., 231 f., 308. 32
60
fentlichte 1666 in Nürnberg die »Augustinische Andachts-Flamme«, eine Übersetzung des »Manuale«, mit Sinnbildern, Erklärung und Gebrauchsanweisung versehen.35 Das zuerst 1702 und dann in mehreren Auflagen erschienene »Compendium Theologiae Positivae« des Tübinger Professors Johann Wolfgang Jäger bietet am Ende der einzelnen Loci (pseudo) augustinische Gebete und Meditationes. Erdei hat abschließend die an die Meditationstradition anschließenden, eschatologisch ausgerichteten Erbauungsschriften Philipp Nicolais, Valerius Herbergers und Johann Matthäus Meyfarts als eigenständige Antwort des Luthertums auf die Glaubenskrise der Orthodoxie gewürdigt. 36 Dies müßte jedoch anhand der Wirkungsgeschichte dieser Autoren nachgewiesen werden, die ein solches Urteil wohl kaum trägt. Wie Erdei außerdem zu belegen vermag, kennt auch der Calvinismus eine Praxis der (Psalmen-) Meditation. 37 Eine Heranziehung der Pseudoaugustiniana läßt sich hingegen vorerst nicht belegen und wäre weiter zu überprüfen.
Das
Verhältnis
zu den pseudoaugustinischen
Erbauungsschriften
im
Pietismus
Nach dem bisherigen Befund, der sich wohl noch ausweiten ließe, waren es im evangelischen Bereich lutherisch orthodoxe Theologen, Pfarrer und Laien, die zur Pflege der Frömmigkeit und des Gebets auf die pseudoaugustinische Erbauungsliteratur mit ihrem Individualismus und ihrer Jenseitsorientierung zurückgriffen. Es erhebt sich nunmehr zunächst die Frage, ob anschließend auch im Pietismus diese Tradition nachweisbar ist. Dabei fällt zunächst auf, daß Augustin, und was an Schriften unter seinem Namen im Umlauf war, im Schrifttum Johann Arndts nach bisherigem Wissen keine erhebliche Rolle gespielt hat.38 Arndt habe, so Weber, verschiedene andere mystische Traditionen des Mittelalters sowie spiritualistische Autoren aufgenommen. Dies treffe, was Pseudoaugustin anbelange, jedoch so nicht zu. Neuerdings konnte Elke Axmacher nachweisen, daß das erste Passionsgebet in Arndts »Paradiesgärtlein« dem 6. Kapitel der »Meditationes« in allerdings eigenständiger Formulierung folgt. Dadurch ist auch das Karfreitagssonett von Andreas Gryphius mit den »Meditationes« in Berührung gekommen. 39 Mit 35
STRATER, M e d i t a t i o n , 3. WALTER TROXLER, A r t . Olearius, J o h a n n G o t t f r i e d , in: TRAUGOTT
BAUTZ (Hg.), Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Band 6, Hamm 1993, 1189f. ALTHAUS, F o r s c h u n g e n , 161. 36
ERDEI, A u f d e m W e g e , 252.
37
Ebd., 119-158. Vgl. EDMUND WEBER, Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum als Beitrag zur protestantischen Irenik des 17. Jahrhunderts. Eine quellenkritische Untersuchung, Hildesheim 2 1972 (Studia Irenica 2). 38
39
ELKE AXMACHER, D i e Passionsgebete in J o h a n n Arndts »Paradiesgärtlein«, in: HANS-JÖRG
NIEDEN U. MARCEL NIEDEN (Hg.), Praxis Pietatis. Beiträge zur Theologie und Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Wolfgang Sommer, Stuttgart 1999, 151-174.
61
weiteren Nachweisungen wird man rechnen müssen. Auch der Arndt anfanglich nahestehende Johann Gerhard zitiert in den »Meditationes Sacrae ad veram pietatem ecitandam et interiorem hominis profectum promovendum« (1606) am häufigsten Augustin und dabei auch die pseudoaugustinischen Schriften, denen Verwandtes wie Pseudo-Anselm zur Seite steht.40 Somit ist auch in diesem Strang der protestantischen Frömmigkeitsgeschichte das pseudoaugustinische Schrifttum rezipiert worden. Anders scheint es sich es mit dem an der Mystik sonst erheblich interessierten radikalen Pietisten Gottfried Arnold (1666-1714) zur verhalten. Er hat u. a. eine »Historie und Beschreibung der Mystischen Theologie oder Geheimen Gottesgelehrtheit wie auch der alten und neuen Mysticorum« verfaßt.41 Auf die augustinische Mystik und ihre Ausläufer wird darin jedoch überhaupt nicht eingegangen. Pierre (Petrus) Poiret, gleichfalls ein Experte, was die Mystik im Pietismus anbetrifft, hat in seiner »Bibliotheca Mysticorum selecta« (Amsterdam 1708), die die mystischen Autoren und ihre Werke aufführt, Augustin ebenfalls nicht eigens erwähnt. Soviel ich sehe, spielt er auch bei Gerhard Tersteegen (1697-1769) keine direkte Rolle. August Hermann Francke kommt in seiner »Verantwortung« gegen den Greifswalder Theologieprofessor Johann Friedrich Mayer (1707) wegen der Publikation katholischen Schrifttums im Verlag des Hallischen Waisenhauses gelegendich auch auf die Unio-Vorstellungen Augustins zu sprechen, interpretiert sie aber sogleich völlig korrekt.42 Ein besonderes Interesse an den Pseudoaugustiniana ist jedoch auch bei Francke nicht zu bemerken. Bedeutung und Wirkung der Pseudoaugustiniana während der frühen Neuzeit katholischen Bereich
im
Von einem erheblichen Interesse an den Pseudoaugustiniana im Katholizismus, parallel zum Luthertum, ist aufgrund der zahlreichen, bereits erwähnten Ausgaben auszugehen.43 Darüber hinaus würde man, zumal im Vergleich mit dem Protestantismus, gerne wissen, wo, von wem und wie dieses Schrifttum aufgenommen worden ist. Dieses Desiderat kann hier eigentlich nur artikuliert, aber nicht erfüllt werden. Lediglich einige interessante Beobachtungen lassen sich beibringen. Negativ fällt auf, daß der als Experte der Mystik geltende Maximilian Sandaeus SJ (1578—1656) in seiner Schrift »Pro Theologia Mystica Clavis. Elucidarium, Onomasticon vocabulorum et loquutionum obscurarum, quibus 40
ANSELM STEIGER (Hg.), Johann Gerhard, Meditationes Sacrae (1603/4), Stuttgart 1998 (Doctrina et Pietas I, 2), Register, s.v. Augustinsus. 41 Benutzt wurde die »Zweyte und verbesserte Auflage« Leipzig 1738. 42
AUGUST HERMANN FRANCKE, Streitschriften, in: KURT ALAND ( H g . ) , T e x t e z u r G e s c h i c h t e
des Pietismus, Band I I / l , Berlin u. a. 1981, 371, vgl. auch 308 und 336. 43 Vgl. oben S. 55-58.
62
Doctores Mystici tum veteres tum recentiores utuntur ad proprium suae diciplinae sensum paucis manifestum« (Köln 1640) weder das Stichwort meditatio hat noch auf das pseudoaugustinische Schrifttum eingeht. Vielleicht handelte es sich dabei um Sachverhalte, die ähnlich wie im radikalen Pietismus überhaupt nicht zur Mystik gerechnet wurden. Ob im Jansenismus die Pseudoaugustiniana herangezogen worden sind, was nicht zuletzt für dessen Frömmigkeitstyp interessant wäre, weiß ich nicht mit Sicherheit zu sagen. Stichproben im Werk von Cornelius Jansen und in den Schriften Blaise Pascals blieben negativ. Innerhalb der spanischen Mystik waren Augustins »Confessiones« zwar für Theresa a Jesu (1515-1582) wichtig, aber auf die Pseudoaugustiniana bin ich in ihren Werken nicht gestoßen, obwohl ihr Stil jenen sehr nahekommt. Hingegen begegnen dem Leser im Werk von Luis de Granada O P (16041688) alle pseudoaugustinischen Erbauungsschriften. Ob speziell dieses Gedankengut dann mit den Traditionen der spanischen Mystik und deren Augustinismus sekundär an Gerhard Tersteegen vermittelt worden ist, wäre zu überprüfen. Der Einfluß von Luis de Granada auf die fromme Literatur in England läßt sich belegen. 44 Ganz mit leeren Händen stehe ich allerdings auch in diesem Teil meiner Ausführungen nicht da. Eher zufällig bin ich auf einen merkwürdigen Zusammenhang aufmerksam geworden. 1623 erschienen in Antwerpen von dem Jesuiten Hermann Hugo (1588-1629) die »Pia Desideria emblematis, elegiis et affectibus SS. Patrum illustrata«, eingeteilt in drei Bücher: 1. Gemitus animae poenitentis, 2. Vota animae sanctae, 3. Suspiria animae amantis. Die Gemeinsamkeit im Titel mit Philipp Jakob Speners späterer Reformschrift mag hier auf sich beruhen. Spener wird das mehrfach aufgelegte Gebetbuch Hugos wahrscheinlich gekannt haben. Die »Pia Desideria« sind im 17. und 18. Jahrhundert mehrfach gedruckt worden, außer in Antwerpen ζ. B. auch in Köln, Mailand, Paris, Trient und London. 4 5 Hugos Titel ist nach Ps 118,20 »Concupivit anima mea desiderare iustificationes tuas«, nach Phil 1,27 »desiderium habens dissolvi« und nach Ps 41,1 (Vulg.) »Quemadmodum desiderat cervus« formuliert. Da es sich um Artikulationen der Seele gegenüber Gott handelt, verwundert es nicht, daß neben biblischem und patristischem Material auch die drei pseudoaugustinischen Schriften herangezogen werden. Durch Hugos »Pia Desideria« mit ihren Emblemen bekommt somit das pseudoaugustinische Gedankengut gleichfalls eine neue beachtliche, jedoch noch kaum wahrgenommene Ausstrahlung auf die protestantische Erbauungsliteratur, voran die »Historie der Wiedergebohrenen«
4 4 Vgl. MARIA HAGEDORN, Reformation und spanische Andachtsliteratur. Luis de Granada und England, Diss. phil. Bonn 1934. Die Untersuchung geht allerdings auf die durch Luis de Granada nach England vermittelten Frömmigkeitstraditionen nicht ein. 4 5 SOMMERVOGEL, Bibliotheque, 4, 513-520.
63
(31716) von Johann Henrich Reitz (1655-1720) sowie auch auf die Mystikerin Jeanne Marie Guyon de la Motte 46 (1648- 1717). Es ist bisher allerdings nicht bekannt geworden, daß Hugos »Piorum Desideriorum Libri tres« 1657 in Frankfurt a. M. mit den Emblemata »emendati, aucti, illustrati et ad regulam orthodoxae Fidei reformati« in einer evangelischen »Editio prorsus nova« herausgekommen sind.47 Abgesehen von Hugos nunmehr weggelassener Widmung an Papst Urban VIII. war jedoch nicht allzuviel daran geändert worden. Als Herausgeber wird der lutherische Theologe Johann Heinrich Ursinus (1608—1667) aus Speyer genannt. Er hatte in Straßburg studiert, war u. a. mit dem Kirchenpräsidenten Johann Schmid sowie mit den Theologen Johann Dorsche und Johann Konrad Dannhauer bekannt. Er wirkte zunächst als Conrector und Diaconus in seiner Heimatstadt, bis er 1655 als Superintendent nach Regensburg berufen wurde. 48 Unter seinen Schriften ist nebenbei folgende zu erwähnen: »Richtiges Zeigerhändlein oder christliche Einleitung in das Buch der Offenbahrung Johannis, darinnen sonderlich das erdichtete tausendjährige Friedensreich auf Erden gründlich widerleget und vor solchem Schwärm alle vernünftige Christen trewlich gewarnet werden« (Frankfurt am Main 1654). Demnach gehörte Ursinus also, was bisher nicht bekannt war, in der Straßburger Tradition zu den Gegnern des Chiliasmus. Interessanterweise führte der junge Johann Albrecht Bengel Ursinus zustimmend unter den Befürwortern der Mystik an, obwohl dieser eigendich nicht als Autor mystischer Literatur hervorgetreten ist.49 Der Autor schließt mit dem Wunsch, daß seine vorläufigen Erkundigungen genauere Nachforschungen nach katholischen und evangelischen Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Traditionen, der Frömmigkeit und auch der Theologie (Rechtfertigungslehre) einschließlich des Zusammenhangs von lutherischer Orthodoxie und Pietismus anregen mögen.
46 Diesen Zusammenhängen ist HANS-JÜRGEN SCHRÄDER, nachgegangen in seiner Genfer Antrittsvorlesung »Amor Divinus und Anima« (1990) sowie mit dem Beitrag »Madame Guyon, le pietisme et la litterature de langue allemande« in: JOSEPH BEAUDE (Hg.), Madame Guyon, Grenoble 1997, 83-129, bes. 107. " Benutzt wurde das Exemplar der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, 1666 im Besitz von Dux Albertus von Wirtemberg. Die bei Sommervogel aufgeführten Drucke von Leipzig 1721 und Langensalza 1727 dürften ebenfalls evangelische Ausgaben sein. 48 Die Angaben stammen aus dem »Vitae curriculum«, das Ursinus' Analectorum Sacrorum Volumina duo, Ed. tertia von dem Gießener Theologen JOHANN HEINRICH MAY, Frankfurt am Main 1713, vorangestellt ist. 49 Vgl. MARTIN BRECHT, Bibelmystik. J. A. Bengels Verhältnis zur Schrift und zur Mystik, in: DERS., Ausgewählte Aufsätze, Band 2: Pietismus, Stuttgart 1997, 256.
64
II. Kontakte und wechselseitige Einflüsse
De Gaussen ä l'abbe Duguet: l'hermeneutique pietiste entre philologie et mysticisme FRANQOIS LAPLANCHE
Jansenisme, Quietisme, Pietisme. Je m e suis demande quel apport propre j e pouvais fournir a votre reflexion, en partant de m o n champ de travail familier, l'histoire des sciences des religions, et, n o t a m m e n t , l'histoire de l'exegese biblique. II m'est tout de suite apparu que ces trois groupes gardaient un interet tres vif, et m e m e parfois exclusif, p o u r le sens mystique des Ecritures, alors que, vers la fin du XVIIe siecle, la pression de la philologie dirigeait le labeur exegetique vers la determination du sens litteral. Cette premiere observation m ' a Oriente vers l'ceuvre d ' u n professeur de l'Academie protestante de Saumur, Etienne Gaussen, dont l'ceuvre re^ut un accueil chaleureux dans le milieu pietiste de Halle. J'essaierai d'expliquer les motifs de cet enthousiasme, en m e demandant si les pietistes ont bien interprete un texte de Gaussen relatif au sens mystique. Poursuivant l'exploration de l'hermeneutique pietiste, j e m o n trerai ensuite c o m m e n t eile s'autorise de celle du janseniste D u g u e t . Si bien que le titre de cette communication peut etre formule ainsi: D e Gaussen a l'abbe Duguet: l'hermeneutique pietiste entre philologie et mysticisme. Les convergences entre Gaussen et les pietistes et le malentendu sur le sens mystique La reception tres favorable de l'ceuvre de Gaussen dans le milieu pietiste de Halle est bien attestee par la reedition ä Halle, au XVIIIe siecle, plus d ' u n demi-siecle apres l'edition princeps, des dissertations saumuroises relatives a la m e t h o d e de la theologie, avec u n e elogieuse preface de J o h a n n Jacob R a m b a c h (1693-1735), successeur de Francke a Halle, puis professeur a Glessen ä partir de 1731. 1 L'edition de Halle (1726) est donnee sur la page de titre c o m m e la sixieme, mais eile est en realite la septieme et, a Leyde, les dissertations de Gaussen seront encore reeditees, en deux volumes, en 1792. 2 La vie de Gaussen est mal connue. L'on sait qu'il fit une partie de ses etudes a l'Academie de 1 Sur J.J. Rambach, voir ALBERT RITSCHL, Geschichte des Pietismus, t. II, Bonn 1884, 388 et 391-393. 2 Sur les editions des dissertations de Gaussen, voir FRANQOIS LAPLANCHE, L'Ecriture, le sacre et l'histoire, Amsterdam-Maarssen 1986, 544 qui mentionne les lieux et dates suivants: Saumur 1670; Utrecht 1678; Amsterdam 1697; Leyde 1698; Cassel 1697; Francfort 1707; Halle 1726; Leyde 1792.
67
Saumur, qu'il y enseigna la theologie de 1665 ä 1675. II dit avoir trouve le niveau des etudes assez bas, et ses dissertations constituent un ensemble de discours- programmes, destines a le relever. La preface de Rambach a l'edition de Halle analyse longuement ces dissertations. II est en effet facile d'y reconnaltre quelques-unes des preoccupations du pietisme originaire. Les Pia desideria de Spener ne sont eloignes de le premiere edition des textes de Gaussen que de cinq annees (1670—1675): la comparaison n'est done pas forcee, bien qu'il soit impossible de savoir si Spener aurait pu lire Gaussen, ou s'ils sont portes Tun et l'autre par un courant plus large, courant d'echanges spirituels entre l'Angleterre, les Pays-Bas et l'Allemagne de l'Ouest, qui temoigne du malaise des orthodoxies entretenues par les Eglises d'Etat et reclame une reforme dans la Reforme. Quoi qu'il en soit, les textes parlent d'eux-memes. Les principales insistances de Gaussen, qui marqueront le protestantisme de Suisse romande ä travers Ostervald, sont les suivantes: la base de la formation du theologien ne saurait etre autre que l'Ecriture. II importe de lire celle-ci de maniere continue, sans chercher a constituer avec les textes des arguments ou lieux theologiques et en allant des livres plus faciles aux plus difficiles. La determination du sens litteral constitue la premiere täche du theologien, assortie d'une nette defiance envers l'introduction de categories philosophiques dans le commentaire biblique. Ce n'est pas aux Grecs ni aux Latins que Dieu a confie sa Revelation, mais aux Juifs. Le Saint Esprit s'est done accommode a leur genie et ä leur temperament, et l'etudiant en theologie doit imperativement s'initier aux particularites de la grammaire hebra'fque, ainsi que connaitre avec precision l'histoire du peuple d'Israel. 3 Dans un texte destine aux jeunes predicateurs - e'est la dissertation »De ratione concionandi« - Gaussen insiste sur plusieurs points eux aussi chers au pietisme: la priorite de l'Ecriture comme source de la predication; l'implication du predicateur dans le message qu'il annonce; la denonciation du laxisme des comportements engendre par la doctrine de la justification par la foi; l'esprit de paix qui doit impregner toute controverse. La preface de Rambach, publiee en tete des dissertations de Gaussen dans l'edition de Halle, indiquait toutes ces convergences et attirait l'attention sur l'estime que Francke avait manifestee pour Gaussen, dans son »Methodus studii theologici«: les deux auteurs se retrouvaient dans la consigne du retour ä l'Ecriture meme, abstraction faite des commentateurs, dans l'insistance sur la simplicite de l'enseignement theologique, dans l'interet porte a l'histoire pour l'eclaircissement des controverses theologiques, dans l'accent mis sur le serieux de la vie chretienne exigible de tout candidat aux etudes theologiques. 4
3 4
68
Ibid., 5 3 6 - 5 3 7 . Ibid., 5 4 3 .
L'enthousiasme des pietistes de Halle pour les orientations de Gaussen, toutes proches des leurs, ont pousse Rambach a enröler le theologien de Saumur dans la troupe des commentateurs mystiques des Saintes Ecritures. J'emploie »commentateurs mystiques« au sens de »partisans de la signification mystique des textes historiques et prophetiques de l'Ancien Testament«. Ces commentateurs, a la fin du XVIIe siecle, s'opposent avec vivacite aux tenants de l'exegese litterale, qu'ils accusent de manquer de generosite envers la Parole de Dieu, en restreignant abusivement son sens. Comme on le sait, les pietistes etaient en butte aux accusations »d'illuminisme« de la part de l'orthodoxie lutherienne. 5 Cette conjoncture poussait les theologiens pietistes ä s'entourer de beaucoup de precautions dans leur combat en faveur de l'exegese mystique. L'oeuvre de Rambach temoigne de ces prudences. II aborde le probleme du sens mystique d'une part dans ses »Institutiones hermeneuticae sacrae, variis observationibus copiosissimisque exemplis biblicis illustratae«, Iena 1723, et dans sa »Commentatio hermeneutica. De sensu mystici criteriis ex genuinis principiis deducta necessariisque cautelis circumscripta«, Iena 1728. Dans les »Institutiones«, il avait clairement defini le sens litteral/grammatical et le sens mystique. Voici la definition du premier: »Estque ille conceptus, quem verba ipsa, non nisi grammatice intellecta, in animo legentis gignunt.« II est rappele par Rambach que ce sens litteral ou grammatical peut etre propre ou figure. Quant au sens mystique, il est ce sens »per quem intelligitur ille conceptus, qui non proxime per verba, sed per res vel personas, verbis designatas, a Spiritu Sancto intenditur«.6 Ce sens, precise Rambach, constitue un vrai sens, et meme, la ou il est voulu du Saint Esprit, un sens plus digne que le sens litteral et qui possede force de preuve. 7 Dans le deuxieme ouvrage, il revient sur les conditions de determination du sens mystique, qu'il avait indiquees dans le premier de fa^on moins developpee. II montre d'abord qu'il existe des lieux privilegies, porteurs d'un sens mystique: il les appelle »sieges« du sens mystique. II en cite douze, parmi lesquels nous retiendrons le troisieme, car c'est la qu'il mentionne Gaussen, pour s'autoriser d'un texte du professeur de Saumur semblant ouvrir largement la porte ä 1'interpretation mystique. Le troisieme siege du sens mystique mentionne par l'enumeration de Rambach est en efifet occupe par les recits de l'Ancien Testament et beaucoup d'entre eux, explique notre pietiste, possedent une signification mystique ou typique. N'est-ce pas ce qu'admet Gaussen lui-meme, dans le texte suivant: » N o t r e troisieme p r e c e p t e [apres c e u x d ' e t u d i e r l'histoire et la geographie], d o n t seuls les etudiants accomplis (parfaits) p e u v e n t c o m p r e n d r e l ' i m p o r t a n c e , le voici:
5
D'apres EMILE G. LEONARD, Histoire generale du protestantisme, t. Ill, Paris 1964, 82-83.
6
JOHANN JACOB RAMBACH, Institutiones h e r m e n e u t i c a e sacrae, Iena 1723, 57 et 67.
7 II faut rappeler ici que, dans la controverse, les theologiens, meme catholiques, excluaient l'usage du sens mystique, comme denue de force probante, selon l'enseignement de THOMAS D'AQUIN, dans la: Somme theologique la pars, qu. 1, art. 10, ad l m .
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vous tenir tres fortement au sens litteral, et ne jamais vous en eloigner, sauf dans le cas ou absolument rien ne se trouve, ni dans l'enseignement du prophete, ni dans l'histoire de ces temps-la, qui autorise l'interpretation litterale. Nous savons en effet qu'il n'est pas de pires interpretes de l'Ecriture que ceux qui, omettant le sens litteral, extraient la religion chretienne de n'importe quel lieu de l'Ancien Testament: ils cherchent le noyau en laissant intacte la coque. Car nous estimons que presque tout l'Ancien Testament, mis ä part quelques lieux, possede un sens assez convenable pour le temps de la redaction et en tout cas, adapte aux realites d'Israel. Mais 1'inefFable sagesse de Dieu a brille en ce qu'elle a revetu ces histoires d'un sens plus sublime. Ce sens, tandis que les apotres l'extraient par la sainte cabbale (tradition) du Saint Esprit, nous stupefie et nous cloue d'admiration pour tant de grandeurs, alors nous louons notre Pere des cieux, qui a cache ces choses aux sages, mais n'a pas dedaigne de les reveler aux petits.«8 J'ai employe le mot de »malentendu« dans le titre de cette premiere partie, parce qu'il semble evident que Rambach tire a lui l'autorite de Gaussen au moyen d'un contresens. Le Saumurois est preoccupe de limiter l'extension de l'exegese mystique dont il deplore clairement l'abus. II concede que certains lieux de l'Ancien Testament possedent un double sens, le sens litteral/historique et un sens plus sublime. Mais seuls peuvent lire celui-ci les beneficiaires d' une inspiration speciale, que Gaussen n o m m e la »cabbala Spiritus Sancti«, en notant que cabbala signifie traditio. Rambach est au contraire persuade qu'il est legitime pour l'exegete d'appliquer ä toutes les histoires de l'Ecriture qui s'y pretent le precede employe par les auteurs du Nouveau Testament pour quelques-unes d'entre elles (le don de la manne, l'eau jaillie du rocher, le parallele de Sarah et d'Agar, le personnage de Melchisedech). 9 Le fondement de cette conviction est double. D ' u n e part, Rambach s'appuie sur l'axiome theologique de Paul eher a Augustin, puis a Luther: Christ est la fin ou le scopus de l'Ecriture. Done toute l'Ecriture de l'Ancien Testament traite du Christ (»de Christo«) ou est ecrite pour lui (»propter Christum«). Pour prendre un exemple de la deuxieme categorie de textes (ecrits »propter Christum«), la loi morale, a la difference de la loi rituelle, n'a pas besoin d'interpretation mystique, mais elle a pour but de signaler, a travers la condamnation qu'elle porte sur le peche, la necessite de la redemption. D'autre part - e'est le deuxieme fondement annonce - il appartient au Saint Esprit de reveler le sens des Ecritures dont lui-meme est l'auteur. Et e'est ici que Rambach, comme les jansenistes et les quietistes, j o u e de l'opposition cache/revele, qu'il formule comme l'opposition, du cote du sujet lecteur de l'Ecriture, entre sens naturel et sens spirituel. La conviction des spirituels de cette epoque est en effet que les veritables ceuvres de Dieu sont cachees, car le plus visible dans l'histoire, e'est la force du mal et le
8 STEPHAN GAUSSEN, De ratione studii theologici, dans: Stephani Gaussanii [...] Dissertationes, Leyde 1792, 32-33. 9 RAMBACH, Institutiones hermeneuticae sacrae, lib. II, cap. IV, § VI et VII, 155-172.
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triomphe de l'injuste. Or l'Ecriture n'echappe pas a cette loi: il faut que son vrai sens soit cache, ou du moins echappe a l'homme naturel. Finalement, done, malgre ses convergences avec le pietisme, Gaussen s'eloigne de lui en ce qui concerne l'extension du sens mystique, et se tient fermement a la tradition reformee, plus philologique, moins christologique, et soucieuse de limiter etroitement le champ de l'exegese mystique.10 En etudiant la reception de Gaussen par le pietisme de Halle, bien que cet auteur ne soit ni un janseniste, ni un quietiste, je me proposals un double but. D'abord souligner a quel point la preoccupation du retour a l'Ecriture et le souci de reveil spirituel franchissent les limites posees par la confessionnalisation des XVIe et XVIIe siecles. Ensuite indiquer que la reception enthousiaste d'un auteur si franchement tourne vers l'exegese philologique et historique caracterise le pietisme de Halle au sein d'autres courants tournes aussi vers le sens mystique, mais au prix d'une exegese assez arbitraire. C'est pourquoi, apres avoir montre les convergences entre l'hermeneutique de Rambach et celle du second jansenisme, celui qui s'est rassemble dans l'opposition a la Constitution »Unigenitus« de 1712, je conclurai en indiquant comment elles different. L'hermeneutique de Rambach et l'hermeneutique du janseniste Duguet, dans les »Regies pour I'intelligence des Saintes Ecritures«
Les deux ouvrages de Rambach que j'utilise contiennent des references aux »Regies pour l'intelligence des Saintes Ecritures«. Dans les »Institutiones«, Rambach cite le debut des »Regies« a l'appui de son axiome hermeneutique general, que Christ est le »scopus totius Scripturae«.11 Plus loin, quand il donne des criteres de determination du sens typique, il cite quatre fois les »Regies«.12 Leur utilisation se fait moins visible dans la »Commentatio hermeneutica« ou nous n'en voyons que deux mentions. 13 II faut noter que Rambach n'attribue pas les »Regies« a Duguet, mais a d'Asfeld, autre pretre janseniste. Encore aujourd'hui, il est en effet difficile de determiner la part que chacun des deux auteurs a prise ä la redaction des »Regies«. L'ouvrage se compose de trois parties: un Avertissement, les »Regies«, les »Verites sur le retour des Juifs«. D'apres Herve Savon, l'hypothese la plus probable est que l'ouvrage primitif est constitue par »Les verites sur le retour des Juifs«, texte polemique ecrit par Duguet contre l'assimilation des appelants per-
10 ANDRE RIVET, dont l'Eisagoge sive Introductio generalis ad Scripturam Veteris et Novi Testamenti, Leyde 1627, est une somme de l'hermeneutique reformee, souhaitait la restriction du sens mystique aux figures presentees comme telles dans le Nouveau Testament (231—232). 11 RAMBACH, Institutiones, lib. II, cap. IV, § VI, 156-158. 12 Ibid., lib. II, cap. IV, § XII, 173-176. 13 IDEM, Commentatio hermeneutica, Iena, 1728, 16 et 28.
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secutes au peuple d'Israel. L'abbe d'Asfeld aurait insiste sur l'usage »raisonnable« du sens spirituel en construisant les »Regies« et en editant le tout. 1 4 Le parallele entre les »Regies« et les deux ouvrages de R a m b a c h s'impose d'abord au vu de leur ligne hermeneutique generale. Q u e Christ soit la fin de toute l'Ecriture, cela ressort avec evidence de ses propres paroles ou des declarations apostoliques. La maniere dont l'exegese arminienne de Grotius, de Le Clerc reduit la portee des textes prophetiques scandalise R a m b a c h autant que D u g u e t . Pretendre que le texte d'lsaie 61 »L'Esprit du Seigneur est sur m o i parce qu'il m ' a confere l'onction« s'applique litteralement au prophete luim e m e , en depit de la declaration de Jesus en Luc 4/17, constitue deja une singuliere audace. Mais n'est-ce pas passer les bornes de pretendre avec Le Clerc que les apotres utilisent les textes veterotestamentaires, sans tenir compte de leur sens litteral, parce qu'ils emploient face aux Juifs, les procedes de l'exegese juive? 15 Dans ses »Axiomata theologica«, le pasteur Alexandre M o r u s qui, d'abord professeur a Geneve, s'etait ensuite agrege au corps pastoral de Paris-Charenton, affirmait qu'il ne fallait pas prendre a la lettre l'expression »afin que s'accomplit« (ina plerdthe), frequente dans l'evangile de Matthieu. 1 6 R a m b a c h le censure sur ce point. 17 Parmi les adversaires de l'extension du sens mystique, R a m b a c h notait aussi les Anglais Marsham et Spencer, qui, avec une grande legerete, attribuaient les etrangetes des ceremonies juives a l'influence des peuples voisins, oubliant ainsi l'explication traditionnelle, inspiree de l'hermeneutique augustinienne: ce qui choque la raison ou le sens moral dans l'Ecriture a valeur de figure.18 Ces zones de conflit sont caracteristiques: le commentaire mystique et le commentaire historique se heurtent de front. P o u r faire face ä l'exegese philologico-historique, R a m b a c h recourt surtout έ des autorites: il invoque Cocceius et Vitringa contre Grotius. 19 Duguet, lui,
14 HERV£ SAVON, Jean-Joseph Du Guet et le figurisme, L'histoire cachee entre histoire revelee et histoire critique, dans: Politica Hermetica 10 (1996), 16-27. Dans cet article, l'auteur modifie profondement l'opinion qu'il avait soutenue precedemment: voir: Le figurisme et la >Tradition des PeresEigenheitannihilatio< und der von Sinneseindrücken freien Kontemplation Gottes. In seiner auf den 6. Juni 1700 datierten Vorrede zu der in Quedlinburg entstandenen Schrift über den Kirchen- und Abendmahlsbesuch beteuerte Gottfried Arnold, die Pietisten in Schutz nehmend, daß »[...] alle angegebene gefahr oder schaden / durch interessirte auffwieglerische leute erdichtet / und hingegen von solchen stillen im lande / als denen treuesten unterthanen / ein ungemeiner segen über Obere und untere von Gott gantz und gewiß erhalten werde.« 2 Im fortdauernden Streit über die politische Rolle der Pietisten und um die obrigkeitliche Gunst der zerstrittenen Parteien fand die biblische Begriffsverbindung >die Stillen im Lande< im Umfeld der Quedlinburger Auseinandersetzungen zunehmend Verbreitung und semantisches Profil3, ohne allerdings den Schlagwortcharakter zu verlieren. Mit der im Titel verwendeten Begriffstrias
1
Dazu JÜRGEN BÜCHSEL, Vom Wort zur Tat: Die Wandlungen des radikalen Arnold. Ein
B e i s p i e l d e s r a d i k a l e n P i e t i s m u s , i n : D I E T R I C H BLAUFUSS u . FRIEDRICH N I E W Ö H N E R ( H g . ) , G o t t -
fried Arnold (1666-1714). Mit einer Bibliographie der Arnold-Literatur ab 1714, Wiesbaden 1995, 145-164, hier 154. 2 GOTTFRIED ARNOLD, Erklärung / Vom gemeinen Secten=wesen / Kirchen= und Abendmahl=gehen; Wie auch Vom recht= Evangel. Lehr=Amt / und recht= Christi. Freyheit: Auff veranlassung derer von Ernest Salom. Cypriani [ . . . ] vorgebrachten beschuldigungen wider seine Person / unpartheyisch vorgetragen, Leipzig 1700, 12. 3 Bibelzitat: Ps 35,20. Mehr über dessen Bedeutung in den Quedlinburger Auseinandersetzungen bei FRANZ DIBELIUS, Gottfried Arnold. Sein Leben und seine Bedeutung für Kirche und Theologie, Berlin 1873, 141 f.
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>Seelenfriedendie Stillen im Lande< und >quietistische Mystik< wird die Relevanz der hier thematisierten Verbindung von radikalpietistischer Frömmigkeit und quietistischem Einfluß im Werk Gottfried Arnolds plakativ vorweggenommen. Eine zusätzliche historische Legitimation beziehen die gebrauchten Termini aus der Streitschriftenliteratur der frühen 90er Jahre des 17.Jahrhunderts. In ihr wird scherzweise mit der Alliteration von Pietismus und Quietismus plausibel gemacht, daß das Wort >Pietist< aus der Bezeichnung >Quietist< abgeleitet sei.4 Die gewagte Etymologie eines Pietistengegners fuhrt zu einer sinnvollen allgemeinen historischen Fragestellung, nämlich auf das Problem der wechselseitigen Abhängigkeit der beiden Frömmigkeitsbewegungen. Nach einem verbreiteten biographischen Topos umschreibt darüber hinaus die Bezeichnung >Quietist< den geistlichen Habitus, den der Pietist Gottfried Arnold in der radikalen Lebensphase ausgebildet und später wieder verloren habe.5 Der quietistische Einfluß auf Gottfried Arnold, der von der zweiten Quedlinburger Zeit an bis in die letzten Lebensjahre hineinreichte, festigt jedoch, bei allem Wandel im einzelnen, den Eindruck der Kontinuität in Arnolds Leben. 6 Die angesprochene Wirkung ging vornehmlich vom Hauptrepräsentanten der quietistischen Bewegung innerhalb der römischen Kirche, dem spanischen Weltgeistlichen Michael de Molinos (1628—1696) 7 , und seinem italienischen Gesinnungsfreund und Protektor Kardinal Pietro Matteo Petrucci ( 1 6 3 6 1701) 8 aus. Gottfried Arnold brachte bekanntlich beider Werk durch von ihm 4 Bericht Und Erinnerung / Auffeine neulich in Druck Lateinisch und Teutsch ausgestreuete Schlifft / J m Latein I M A G O PIETISMI, Zu Teutsch aber Ebenbild der Pietisterey / genannt. [ . . . ] Abgefasset Anno 1692, im Monat Januario. Sambt Einer Vorrede D. Philipp Jacob Speners / Darinnen sonderlich die Historie und was in der Sache bißher vorgegangen / enthalten ist. J m Jahr M D C X C I I (Exemplar der Stiftsbibliothek St.Gallen, Sign.: HH m V 12), S. [E1]: »Hierauff verlohnet sich nicht der Mühe / weitläufftig zu untersuchen und anzuführen / wie das Wort pietist, nach des Autoris Vorgeben / aufikommen / und ob man es nicht vielmehr aus einem halben Schertz / licentia poetica ersonnen / und auf das Wort Quietist, davon um selbige Zeit in Leipzig viel geschrieben und geredet worden / gereimet.« 5 Diese Ansicht vertritt ERICH SEEBERG, Gottfried Arnold. Die Wissenschaft und die Mystik seiner Zeit, Meerane i. S. 1923, der in Arnolds Biographie zwei Brüche feststellt und deshalb die Unterschiede zwischen den drei Lebensabschnitten des Pietisten stark betont. Zu diesem Arnoldbild siehe HANSPETER MARTI, Die Rhetorik des Heiligen Geistes. Gelehrsamkeit, poesis sacra und sermo mysticus bei Gottfried Arnold, in: DIETRICH BLAUFUSS (Hg.) Pietismus-Forschungen. Zu Philipp Jacob Spener und zum spiritualistisch-radikalpietistischen Umfeld, Frankfurt am Main u.a. 1986, 197-294, hier 198, Anm. 3. 6 Auch JORGEN BÜCHSEL (s. Anm. 1) betont die Einheit von Arnolds Vita und, schon in der früher erschienenen Monographie Gottfried Arnold. Sein Verständnis von Kirche und Wiedergeburt, Witten 1970, auf S. 203 die Notwendigkeit, den Einfluß der verschiedenen Richtungen der Mystik, namentlich des Quietismus, auf den radikalen Pietisten genauer zu untersuchen. 7 Zu Leben und Werk siehe: EULOGIO PACHO, Molinos (Michel de), in: Dictionnaire de spiritualite, Band 10, Paris 1980, Sp. 1486-1514. Der interkonfessionellen Ausstrahlung von Molinos' Werk wird dieser Lexikonartikel nicht gerecht. 8 Zu Leben und Werk siehe: PIETRO ZOVATTO, Petrucci (Pierre-Matthieu), in: Dictionnaire de spiritualite, Band 12, Paris 1984, Sp. 1217-1227.
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geförderte deutschsprachige Editionen, die er mit apologetischen Vorreden und anderen Zugaben versah, dem einheimischen Publikum näher.9 Im folgenden kann in Grundzügen nur auf die Beziehung Arnolds zu Molinos eingegangen werden. 10 Leben und Werk des von der römischen Kirche Verfolgten und von der Inquisition schließlich, nach lange hinausgeschobenem Prozeß, Verurteilten bildeten für Arnold eine untrennbare Einheit. In der Person des Spaniers trafen die typischen Merkmale des Wahrheitszeugen und die Besonderheit der römisch-katholischen Herkunft mit dem Faktum zusammen, daß er ein Zeitgenosse des Verfassers der »Ketzerhistorie« war. Molinos' geistliche Autorität und seine Individualität genossen daher bei Gottfried Arnold hohes Ansehen. 1687, als das Gerichtsverfahren gegen Molinos zum Abschluß kam", begann man sich im deutschen Sprachraum, vorerst in Leipziger Gelehrtenkreisen, mit dem von der römischen Kirche Geächteten näher zu befassen. Bereits im Januar 1687 rezensierte Veit Ludwig von Seckendorf in den »Acta Eruditorum« eine Streitschrift des Jesuiten Paul Segneri gegen Molinos. 12 Am 3. Mai desselben Jahres wurde an der theologischen Fakultät der Leipziger Universität über den Quietismus disputiert.13 Im Herbst 1687 erschien dann sowohl in
' Zu den Molinoseditionen siehe weiter unten. Edition der Briefe Petruccis: Kurtze / Geistliche und Gott= / / seelige / / Brieffe / / / Von / / Hrn. Petro Matthaeo / / Petrucci, / / Weyland Bischoff zu Jesi und Car= / / dinal / / geschrieben / / / Nunmehro aus der Jtaliänischen in / / die Hochteutsche Sprache übersetzt / / / Mit einer Vorrede / / Gottfried Arnolds. / / Halle 1705 (Universitätsbibliothek Basel, Sign.: His 162). In Arnolds Vorrede zu dieser Edition ist vom Quietismus nicht ausdrücklich, von Molinos überhaupt nicht die Rede, hingegen von der reinen Gottesliebe im Sinn von Francois de Salignac de La Mothe Fenelon. Ein Exemplar der angeblich bereits 1702 erstmals erschienenen, von Arnold herausgegebenen Petrucciübersetzung (GERHARD DÜNNHAUPT, Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. Erster Teil: Abele - Bohse, Stuttgart 2 1990, 334) konnte bis jetzt leider nicht aufgefunden werden. 10 Ergänzend ist ζ. B. auf die Wirkung des Werks der Madame Guyon hinzuweisen; vgl. dazu HANS-JÜRGEN SCHRÄDER, Madame Guyon, le pietisme et la litterature de langue allemande, in:
JACQUES L E B R U N , P I E R R E C A R A N u . M A R I E - L O U I S E G O N D A L ( H g . ) , R e n c o n t r e s a u t o u r d e l a v i e
et de l'ceuvre de Madame Guyon, Grenoble 1997, 83—129, hier (insbesondere 96—98) auch kurz über Gottfried Arnolds Verhältnis zum Quietismus. 11 Vgl. PACHO, Molinos, Sp. 1509-1513, detaillierte Schilderung des Prozeßverlaufs und der Verurteilung. 12 Acta Eruditorum, Leipzig 1687, 19-26: Concordia tra la fatica e la quiete nell' orazione etc. da Paolo Segneri. i.e. Concordia laboris & quietis in oratione, a Paulo Segnerio, ex. Soc. Jesu, in responso ad religiosum quendam descripta. Bononiae, apud J. Recaldinum, 1681. in 12. — Zur Identifikation des Rezensenten siehe: Augustinus Hubertus LAEVEN: The »Acta Eruditorum« under the editorship of Otto Mencke (1644-1707): The history of an international learned journal between 1682-1707, Amsterdam 1990, 313. 13
J O H A N N BENEDIKT C A R P Z O V ( P r ä s . ) / J O H A N N G Ü N T H E R ( R e s p . ) , D e r e l i g i o n e q u i e t i s t a r u m ,
3. Mai 1687, Leipzig. Daß bereits 1686 an der theologischen Fakultät der Universität Leipzig eine Dissertation mit dem Titel >De Quietismo contra Molinosum< verteidigt wurde, wie HANS LEUBE (in: Orthodoxie und Pietismus. Gesammelte Studien, Bielefeld 1975, 174) ohne nähere bibliographische Angaben behauptet, ließ sich bis jetzt nicht verifizieren. MARTIN BRECHT (in: Geschichte des Pietismus. Bd. 1. Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten
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Leipzig als auch in Sulzbach die v o n August H e r m a n n Francke angefertigte Übersetzung v o n Molinos' Hauptwerk, der 1675 zuerst in spanischer Sprache in R o m veröffentlichten »Guia espiritual«. 14 D i e Leipziger Ausgabe v o n Franckes lateinsprachiger Übersetzung aus d e m Italienischen wurde i m O k tober in den »Acta Eruditorum« kommentarlos angekündigt 1 5 , auf der f o l g e n den Seite der Zeitschrift dann das Inquisitionsdekret g e g e n M o l i n o s v o m R e z e n s e n t e n Christian Wagner mit d e m zwiespältig entschuldigenden H i n weis vorgestellt, » [ . . . ] etiamsi vix inter E R U D I T O R U M A C T A fanatici illius propositiones, decreto insertae, l o c u m mereantur.« 16 In den folgenden Jahren setzte m a n sich dann mit M o l i n o s auch anderenorts z u m Teil recht eingehend und kritisch auseinander. Das geschah vor allem an den Universitäten und Hohen Schulen des deutschsprachigen Gebiets, so ζ. B. in Kiel, Helmstedt und Zürich, später in T ü b i n g e n — hier ist an die v o n Johann Albrecht Bengel unter Johann Wolfgang Jäger verteidigte Dissertation zu denken. 1 7 Gottfried Arnold wandte sich in der ersten Phase seines schriftstellerischen Wirkens nicht den Wahrheitszeugen der jüngsten Geschichte zu, sondern w i d m e t e sich den Anfängen des Christentums, der Gestalt und Entwicklung der Urkirche. Im »Offenherzigen Bekenntnis« n o c h wird die unüberbrückbare Kluft zwischen der mit Babel identifizierten Welt und d e m Wirken des gött-
Jahrhundert. VIII. August H e r m a n n Francke und der Hallische Pietismus. Göttingen 1993, 442) identifiziert die fragliche Disputation o h n e nähere B e g r ü n d u n g mit der oben erwähnten v o m 3. Mai 1687. 14 D. M I C H A E L I S D E M O L I N O S , / / S A C E R D O T I S , / / M A N U D U C T I O / / S P I R I T U A L I S , / / Extricans animam, eamque per viam, / / interiorem ad acquirendam contemplationis / / perfectionem, ac divitem pacis inte- / / rioris thesaurum d e d u - / / cens, / / una c u m / / T R A C T A T U E J U S D E M / / D e / / Q U O T I D I A N A / / C O M M U N I O N E , / / Fideliter & stylo Mysticorum c o n f o r m i - / / ter in latinam lingvam translata / / A / / Μ . A U G . H E R M A N N O / / F R A N C K I O . / / Liber, in quo praecipua E o r u m , / / qui vulgo Q U I E T I S T A E v o c a n tur, / / D O G M A T A declarantur. / / LIPSIAE, / / Sumpt. R E I N H A R D I W A E C H T L E R , / / hactenus Arg. n u n c Lips. Bibliopol. / / M D C L X X X V I I , (Hauptbibliothek der Franckeschen Stiftungen Halle (Saale), Sign.: 15 G 13). Ein Exemplar mit d e m Erscheinungsort >Sulzbachgenus sublime< w i r d allmählich z u r ü c k g e n o m m e n . S o lautet die letzte S t r o p h e : »Jst er [das heißt: Gott, der Herr] nun Alls / / / was ist denn mehr zu thun / / / Als Nichts / und in der still des glaubens ende hoffen! [das heißt: des Glaubens Ziel] / / Ο selig / wer so kan im schoose ruhn / / / D e r hat den zweck der herrlichkeit getroffen. / / Sein fiat wird im augenblick mehr sehn I I I Als von dir kan dein lebenlang geschehn.« 2 2 D a s r e g e l m ä ß i g e M e t r u m , der f u n f h e b i g e J a m b u s , u n d die in strenger R e i m o r d n u n g (ababcc) f i x i e r t e n S e c h s z e i l e r f a n g e n die d e m B u c h s t a b e n a n h a f t e n d e 18 GOTTFRIED ARNOLD, Offenhertzige Bekäntnüs / Was Jhm bewogen / bey unlängst geschehener freywilligen Verlassung eines Academischen Ambtes schrifftlich von Jhm abgeleget worden [...], Frankfurt und Leipzig 1699, XLV., 28f. — Ausfuhrlich über Arnolds Begegnung mit Makarius: HERMANN DÖRRIES, Geist und Geschichte bei Gottfried Arnold, Göttingen 1963, 148-193; zum »Offenherzigen Bekenntnis«, 168. 19 TRAUGOTT STÄHLIN, Gottfried Arnolds geistliche Dichtung. Glaube und Mystik, Göttingen 1966, behauptet (52 f.), daß Arnold im Gedicht über das Nichts das 20. Kapitel im 3. Buch von Molinos' »Geistlichem Wegweiser« lyrisch umgesetzt habe. Diese Hypothese stützt sich auf den oberflächlichen Textvergleich, nicht auf den genauen Nachweis von Zitaten. Hinzu kommt, daß
KARL CHRISTIAN EBERHARD EHMANN (in: Gottfried Arnolds sämmtliche geistliche Lieder, Stutt-
gart 1856) dieses Gedicht nur aufgrund eines fragwürdigen Analogieschlusses (Texte, »[...] die nach Geist und Form das Amold'sche Gepräge tragen [...]«) (ebd., VIII) Gottfried Arnold zuschreibt. 2 0 GOTTFRIED ARNOLD, Neue Göttliche Liebes=Funcken und Ausbrechende Liebes=Flammen / in fortgesetzten Beschreibungen / der grossen Liebe GOttes in Christo JESU, Leipzig 1700, C X X X I . , 305 f. 21 PETER-ANDRE ALT, Reinigung des Stils oder geistlicher Manierismus. Zur pietistischen Bildsprache, in: DIETER BREUER (Hg.), Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, Teil II, Wiesbaden 1995, 563-577. Alt legt Arnolds Lyrik einseitig auf den tropenreichen barocken Manierismus fest, obwohl sie dort, wo sie die mystische >via negativa< propagiert, nur sehr sparsam Metaphern verwendet. 22 ARNOLD, Neue Götdiche Liebes=Funcken, 306.
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Bewegung in den festen Strukturen der gleichsam in sich ruhenden lyrischen Form auf. Aber auch dieses geistliche Lehrgedicht, das den inneren Frieden und das Schweigen propagiert und tatsächlich von Arnold stammt, ist fur den gesicherten Nachweis einer Abhängigkeit des Verfassers von bestimmten quietistischen Autoren nicht geeignet. Zentral nicht nur im Hinblick auf die Wirkung von Quietisten auf Gottfried Arnold, sondern auch für die allgemeine Kenntnis der Vermittlungskanäle und ihrer Einflußsphären ist das ausführliche Kapitel, das Arnold in der »Kirchen- und Ketzerhistorie« dem Quietismus gewidmet hat.23 Der spanische Mystiker wird hier zum ersten Mal in einem Werk des radikalen Pietisten als Person faßbar. Arnold vermittelt dem Leser in deutscher Sprache ein vergleichsweise umfassendes, wenn auch apologetisches Bild des Quietismus, das er mit vielen bio-bibliographischen Informationen sowie mit längeren Quellenausschnitten anreichert. Einerseits bemüht er sich um eine objektive Geschichtsschreibung, indem er ausgewählte Zitate, die fur sich selber sprechen sollen, aneinanderreiht, andererseits macht er gezielt Propaganda für den von der Orthodoxie verfemten Molinos. Hauptgegenstände der Darstellung sind das Lebensschicksal und das wichtigste Werk des Spaniers, das in deutscher Ubersetzung von Arnold kurz »Geistlicher Wegweiser« genannt wird. Die von der Inquisition verurteilten 68 Propositiones druckte Arnold zusammen mit kritischen Anmerkungen eines unbekannten Autors ab.24 Die vier »monita«, deutsch »Berichte« oder »Erinnerungen« genannt, die Molinos dem eigentlichen Text seines Seelenführers vorausschickte, wurden von Arnold, ins Deutsche übersetzt und in vollem Umfang, in die »Kirchen- und Ketzerhistorie« aufgenommen. 25 Als Vorlage diente ihm wohl, wie ein Vergleich der Texte ergab, die erwähnte, bereits 1687 erschienene lateinische Molinosausgabe von August Hermann Francke.26 Erst am Schluß des Quietismusabschnitts kommt Arnold auf die von ihm erstmals 1699 edierte deutsche Molinosausgabe zu sprechen27, aus welcher er dann die Vita des Verfassers anfügt28, obwohl er diese im selben Artikel in einer anderen Version bereits vorgestellt hatte. Im biographischen Nachschub, der zu dieser Doppelspurigkeit führte, ist das Todesdatum Molinos' vom 28. Dezember 1697 ausdrücklich auf den 18. Oktober 1696 korrigiert29, ohne daß das im ersten Lebensabriß im Text vermit23 GOTTFRIED ARNOLD, Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie, Vom Anfang des Neuen Testaments Biß auf das Jahr Christi 1688, Frankfurt am Main 1729, Theil III, Das XVII. Capitel >Von denen Quietistenwork in progressBeschauung< als höchste Form der Gottesverehrung. Hieraus folgt eine Abwertung der Betrachtung oder Meditation, die für Molinos lediglich eine propädeutische Funktion besitzt, indem sie den Gläubigen vorbereitet auf die >unio mysticaKurtze Historie Von dem Autore dieses Büchleins< und einen Vorbericht, die beide aber nicht vom Herausgeber stammen, die Vorrede des Molinos, die Einleitung und die drei Bücher des »Geistlichen Wegweisers« mit erklärenden Anmerkungen, einen Brief von Molinos sowie das Inhaltsverzeichnis. Insgesamt handelt es sich um eine abgerundete, sorgfaltig gestaltete Edition. Sogar ein Kupfer mit dem Porträt des Verfassers fehlt nicht. Offensichtlich wollte Arnold breitere deutschsprachige Leserschichten mit der Person und dem Werk des Molinos eingehend vertraut machen. Von der bedeutenden Rolle Pierre Poirets bei der Umorientierung Arnolds auf die frühneuzeitliche mystische Theologie wurde an anderer Stelle bereits berichtet.36 Wie bei Molinos erfreut sich bei Poiret der passive IntelEntstehungsgeschichte der von ihm edierten Molinosübersetzung Aufschluß: vor einigen Jahren habe ein Gelehrter die deutsche Fassung gleichzeitig auf der Basis einer lateinischen und einer französischen Version erarbeitet, worauf sie von einer weiteren Person mit einer italienischen verglichen worden sei. Des weiteren habe der erste Übersetzer einige typisch katholische Passagen weggelassen und ein Kenner der mystischen Theologie schließlich die Anmerkungen hinzugefugt. Über die Identität all dieser Beteiligten gibt es bis jetzt leider keinerlei Hinweise. Der Quietismusartikel im HWP, Band 7, Basel 1989, Sp. 1834-1837, hier Sp. 1837, schreibt die Übersetzung irrtümlich Gottfried Arnold zu. 33 Bibliographischer Nachweis s. Anm. 34. 34 MICHAEL DE MOLINOS, Geistlicher Wegweiser, Frankfurt 1732 (Hauptbibliothek der Franckeschen Stiftungen Halle [Saale], Sign.: 159 Μ 31). DERS., Geistlicher Wegweiser, Frankfurt 1743 (Universitätsbibliothek Basel, Sign.: His 175). Von weiteren, in der älteren Literatur erwähnten Arnoldschen Ausgaben des »Wegweisers« (Goslar 1700, Leipzig 1704 und Goslar 1707) konnte bis jetzt kein Exemplar gefunden werden. DÜNNHAUPT, Personalbibliographien, 327, fuhrt in seinem Verzeichnis der Werke Gottfried Arnolds ein defektes Exemplar einer Molinosausgabe (Frankfurt 170/4?/) in der UB Erlangen an. Es handelt sich dabei wohl um die Frankfurter Ausgabe von 1704 (Exemplar der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen). 35 Arg verstümmelt ist die von Georg Priem aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte Fassung: MICHAEL DE MOLINOS, Der geistliche Führer welcher die Seele frei macht und sie auf dem inneren Wege zur Erlangung vollkommener Anschauung fuhrt und der reiche Schatz innerlichen Friedens, Leipzig [o.J.]. 36 HANSPETER MARTI, Jesuiten im Blickfeld des radikalen Pietisten Gottfried Arnold. Konfessionalistische Abgrenzung und mystisch-spirituelle Solidarität, in: ERICH DONNERT (Hg.), Europa in der frühen Neuzeit. Festschrift fur Günter Mühlpfordt, Band 1: Vormoderne, Weimar u. a. 1997, 5 0 1 - 5 1 9 , hier 5 1 6 - 5 1 8 .
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lekt im Zustand der Seelenruhe d e m stärksten Einfluß göttlicher Gnade. 3 7 In doppelter Hinsicht war Poiret ein wichtiger Vermittler katholisch-quietistischer Kontemplationsmystik. Arnolds »Historie und Beschreibung der m y stischen Theologie« 3 8 , zuerst 1702 in lateinischer Sprache erschienen, enthält unter dem Titel »Verthädigung der mystischen Theologie« eine Übersetzung von längeren Textabschnitten aus Poirets »Theologie reelle«. In diesen Auszügen verurteilt Poiret ausführlich und mit philologischem Exaktheitsanspruch das tendenziöse Gehabe eines Molinoskritikers und preist Molinos' »Wegweiser« uneingeschränkt als ein Buch, worin » [ . . . ] ich und die gantze Welt nichts als schönes [ . . . ] gesehen«. 3 9 Mit diesem L o b der kontemplativen Mystik ist, historisch gesehen, auch die mystische T h e o l o g i e der Karmeliten gemeint, die auf das Werk des Molinos maßgeblich einwirkte. 4 0 Von Poirets Traktat angeregt 4 1 , kam es denn auch u m 1700, erstmalig in den deutschen Ländern, zu einer Aufnahme von Leben und Werk der Hauptrepräsentanten karmelitischer Mystik auf interkonfessioneller und zugleich muttersprachlicher Basis. 42
3 7 PETER POIRET, Vollkommene Gewissens=Ruhe der Frommen. Wie solche Von allen Christen / Die da G O T T furchten / kan genossen werden / Z u Beruhigung der Friedliebenden, Frankfurt / Leipzig 1714, 435: Obwohl nicht unkritisch gegenüber den Quietisten, sieht Poiret in der Seelenruhe die » [ . . . ] allerhöchste Stufe [ . . . ] zu welcher der Heilige Geist die Gott=ergebene Seelen erhebet [...]«. Erste, französischsprachige Ausgabe dieser Schrift unter dem Titel »La paix des bonnes ames dans tous les partis du christianisme, sur les matieres de religion & particulierement sur l'eucharistie«, Amsterdam 1687 (nach MARJOLAINE CHEVALLIER, Bibliotheca Dissidentium, repertoire des non-conformistes religieux des seizieme et dix-septieme siecles. Band V: Pierre Poiret, Baden-Baden 1985, 89). Diese Poiretausgabe erwähnt auch ARNOLD, Unpartheyische Kirchen^ und Ketzer=Historie, Theil III, Capitel X V I , 169. Zur Hochschätzung des passiven Intellekts durch Poiret vgl. MARTI, Rhetorik des Hl. Geistes, 215-217. 3 8 GOTTFRIED ARNOLD, Historie und beschreibung Der Mystischen Theologie / oder geheimen Gottes Gelehrtheit / wie auch derer alten und neuen Mysticorum, Frankfurt 1703. Titel der lateinischen Ausgabe: Historia et descriptio theologiae mysticae seu theosophiae arcanae et reconditae, itemq; veterum & novorum mysticorum, Frankfurt 1702. 3 9 PIERRE POIRET, Verthädigung Der Mystischen Theologie, in: ARNOLD, Historie und beschreibung, 126. 4 0 Vgl. dazu PACHO, Molinos, z . B . Sp. 1492, 1494, 1495, 1504, 1505. Schon die frühen Molinoskritiker, z . B . FRIES, Oratio de quietismo (Anm. 17), 68f., strichen den karmelitischen Einfluß heraus. 4 1 POIRET, Verthädigung, 170-178 (Johannes v o m Kreuz), 178-180 (Theresa von Avila). 4 2 Zur allgemein spät einsetzenden Rezeption des Karmel in den deutschen Ländern, insbesondere des auch in der römischen Kirche heterodoxieverdächtigen Johannes v o m Kreuz, vgl.: GUILLAUME VAN GEMERT, Teresa de Avila und Juan de la Cruz im deutschen Sprachgebiet. Zur Verbreitung ihrer Schriften im 17. und im 18.Jahrhundert, in: DIETER BREUER (Hg.), Frömmigkeit in der frühen Neuzeit. Studien zur religiösen Literatur des 17. Jahrhunderts in Deutschland, Amsterdam 1984, 7 7 - 1 0 7 (Chloe, Beihefte zum Daphnis 2). A u f den interkonfessionellen Einfluß der Karmeliten, namentlich auf die Pietisten, weist van Gemert (ebd., 105) nur summarisch hin. Zur Wirkung der Schriften der Theresa von Avila vgl. auch: DIETRICH BRIESEMEISTER, Die lateinsprachige Rezeption der Werke von Teresa de Jesus in Deutschland, in: Iberoromania 18 (1983), 9-21. Hier (11) ein kurzer Hinweis auf die Mittlerrolle von Pierre Poiret.
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Es war hauptsächlich Gottfried Arnold, der im Schlepptau des »Geistlichen Wegweisers« von Molinos die Schriften des Johannes vom Kreuz und der Theresa von Avila über die konfessionellen Grenzen hinaus bekannt zu machen begann. Er besaß die Schriften dieser beiden fuhrenden Karmeliten in seiner Bibliothek43 und propagierte sie, in Verbindung mit einem Lebensabriß, eigens in der »Mystischen Theologie«.44 In das »Leben der Gläubigen« (1701) nahm er, wenn auch in abgewandelter Form, die Vita des Johannes vom Kreuz in einem ins Deutsche übersetzten Auszug aus der lateinischen Kölner Ausgabe von 1639 sowie den Lebenslauf der Heiligen Theresa aus der deutschen Kölner Edition von 1686 auf.45 Außerdem pries er im Katalog mystischer Autoren, den er der »Mystischen Theologie« anfügte, die Schriften einer ganzen Anzahl weiterer Karmeliten an.46 Einige dieser Werke hatte bereits Poiret in der von Arnold edierten »Verteidigung der mystischen Theologie« empfohlen. 47 Bei Arnold zog also die Rezeption der quietistischen Mystik des Molinos bald die Aufnahme einer ganzen kontemplativen Frömmigkeitstradition nach sich, deren Wirkung, im Unterschied zu der in Quedlinburg gemäß dem »Offenherzigen Bekenntnis« praktizierten Weltabkehr, keineswegs eine nur vorübergehende war. Die spirituelle Bindung an Molinos und an die Frömmigkeit des Karmel gab Gottfried Arnold zeitlebens nicht mehr auf. Die Kontemplationsmystik scheint ihm die Rückkehr in das institutionengeprägte Leben erleichtert, ja sogar erst ermöglicht zu haben. Denn Molinos lehrte seine Anhänger, daß sie dank dem Gleichmut, den sie durch Kontemplation erlangten, den Verpflichtungen von Alltag und Beruf gewachsen seien und diese keinesfalls vernachlässigen dürften. 48 »Vita contemplativa« und »vita activa« sind aufeinander bezogen und in der Lebenspraxis des Gottesfreundes untrennbar miteinander verbunden.
43
Catalogus bibliothecae b. Godofredi Arnoldi, in: BLAUFUSS U. NIEWÖHNER, Gottfried Arnold, Anhang: J oh. a Cruce Opp. Mystica, Colon. 1639 (18); Joh. vom Creutz geisd. Schrifften / teutsch / Prag 1687 (26); Der H. Teresae Schrifften und Leben / Cölln 1686 (21). 44 ARNOLD, Historie und beschreibung, 476-480, hier, zu Johannes vom Kreuz, 479: »Und in diesen allen hat der Autor an Weißheit und TiefFe des Ausdrucks wenige / oder fast niemand seines gleichen / wie ein ieder / der den Geist der Prüfung vom Vater empfangen hat / bekennen wird.« Zu >Theresa von Jesuaußergewöhnlichjetant un regard sur la montre attachee ä son poignet gaucheKünsteEheschwester< Clara von Callenberg«), Neuerdings ergänzend mit Aufschlüssen über Marsays Herkunft und Kindheit sowie einem Resümee zu seiner Stellung im Fleischbein-Kreis: HANS FRITSCHE, Zur Familiengeschichte von Charles Hector, Marquis de Marsay (1688-1753), in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 47/48 (1998/99), 528-533 und DERS., Charles Hector de Marsay auf Schloss Hainchen, in: Siegerland 76 (1999), 81-88. Zu Fleischbein s. o., Anm. 15. 31
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Vgl. zum Überblick über solche mystischen Traditionen im Pietismus aus literaturwissen-
mittelt über Johann Arndt, einen Pietisten avant la lettre am Anfang des 17. Jahrhunderts, und durch verschiedene Neuausgaben ist der Geist der mittelalterlichen Mystik präsent. Vorherrschend ist ferner ein stark theosophischer Zug, der sich jenseits seiner Ursprünge im Neuplatonismus und bei Meister Eckhart v. a. auf Jacob B ö h m e und die Barock-Spiritualisten gründet, dazu eine - ebenfalls über mittelalterliche, auch französische, Grundlagen hinauswachsende - Brautmystik, die im Barock bis zur Perversion ihrer erotischen Bildlichkeit ausartet. 32 Wenn die orthodoxen Theologen in der Zeit der großen Auseinandersetzungen u m den Pietismus am Ende des 17. Jahrhunderts diese neue Massenbewegung mystischer Irrtümer beschuldigen, dann sind dabei v. a. die spekulativ-hermetischen Tendenzen im Visier wie bei Bücher: » P L A T O M Y S T I C U S I N P I E T I S T A R E D I V I V U S « 3 3 oder Colberg: »Platonisch=Hermetisches Christentum«. 34 In diesem Buch werden zwar am Schluß auch schon die »Quietisten«
s c h a f t l i c h e r P e r s p e k t i v e H A N S - J Ü R G E N SCHRÄDER, P i e t i s m u s , i n : WALTHER KILLY ( H g . ) , L i t e r a t u r
Lexikon, Band 14 (Begriffe, Realien, Methoden, hg. v. VOLKER MEID), 208-216; kurzgefaßt: DERS., Pietisme, in: Encyclopedic du protestantisme, 1995 (wie Anm. 29), 1156 sowie in: C A R L - Α . KELLER u . D E N I S M Ü L L E R ( H g . ) , L a s p i r i t u a l i t e p r o t e s t a n t e , G e n e v e u . P a r i s 1 9 9 8 ( E n t r e e
libre 41, Dossiers de l'Encyclopedie du protestantisme 2), 83-86; aus theologischer Perspektive BURKHARD WEBER, Pietisme, in: Dictionnaire de Spiritualite (wie Anm. 10), Band 12, 1986, 1743-1758, MARTIN BRECHT, Pietismus, in: Theologische Realenzyklopädie ( T R E ) , Band 26, Berlin u. N e w York 1996, 606-631 sowie JOHANNES WALLMANN, Der Pietismus, Göttingen 1990 (Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch, hg. v. BERND MÖLLER U. a., Band 4/01). Für ausfuhrlichere Information und Literaturangaben über Beissel und die Wirkungen des ererbten mystisch-spekulativen Ideenschatzes unter den pietistsichen Einwanderern Nordamerikas vgl. HANS-JÜRGEN SCHRÄDER, Philadelphian Hope. T h e Attitudes o f Pietist Immigrants in Pennsylvania towards Jews, voraussichd. in: Pietismus und Neuzeit 28 (2002). 3 2 Hierzu ist grundlegend immer noch nützlich die Doktorarbeit des Schriftstellers PAUL ALVERDES, Der mystische Eros in der geistlichen Lyrik des Pietismus, Diss. phil. [masch.] M ü n chen 1921. 33
CHRISTIAN FRIEDRICH B Ü C H E R , P L A T O M Y S T I C U S I N P I E T I S T A R E D I V I V U S . D a s ist:
pietistische Übereinstimmung Mit der Heydnischen Philosophia P L A T O N I S und seiner Nachfolger [ . . . ] , Danzig 1699. 34
E H R E G O T T DANIEL C O L B E R G , D a s P l a t o n i s c h = H e r m e t i s c h e s [!] C h r i s t e n t h u m / B e g r e i f f e n d
Die Historische Erzehlung v o m Ursprung und vielerley Secten der heutigen Fanatischen T h e o logie, unterm N a m e n der Paracelsisten [ . . . ] / Labadisten und Quietisten, 2 Bände, Frankfurt und Leipzig 1690/91. - B a n d 1, 1690, 427-438, Kap. XII: »Von der Quietisterei« vermerkt, daß diese Gruppe in Deutschland zum Zeitpunkt ihrer Zensurierungen und Verbote in Frankreich noch kaum bekannt war: »Noch zur Zeit sind ihrer wenige / die dieser Sect gedencken / oder sie widerlegen.« (S. 437). Gerade das durch die pietistsche Vermittlung bis in die Goethezeit und zur Romantik ermöglichte Fortleben des - in den Grundlagen auf den Neuplatonismus zurückverfolgbaren - naturmystisch-spekulativen Ideenguts wird für die literarische Rezeption höchstgradig bedeutsam. Für zwei Traditionslinien - die alchimistisch-magische sowie die naturphilosophisch-magnetische - habe ich diese pietistische Mittelsleistung (und Mitgift) herauszuarbeiten versucht: »Salomonis Schlüssel fur die >halbe Höllenbrut. Radikalpietistisch tingierte >Geist= K u n s t < i m F a u s t s c h e n > S t u d i e r z i m m e r < « , i n : H A N S - G E O R G KEMPER u . H A N S SCHNEIDER ( H g . ) ,
Goethe und der Pietismus, Tübingen 2001 (Hallesche Forschungen 6), 2 3 1 - 2 5 6 und HANS-JÜRGEN SCHRÄDER, Kleists Heilige oder die Gewalt der Sympathie. Abgerissene Traditionen ma-
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(noch nicht aber Madame Guyon) vorgeführt, doch betrifft das erst die frühesten, noch isolierten Anknüpfungen an die in Frankreich gerade im Zentrum der Auseinandersetzungen stehende Tradition wie August Hermann Franckes schon 1687 publizierte lateinische Version des (1699 dann von Gottfried Arnold auch deutsch vorgelegten) »Guida spirituale« des Molinos. 35 Madame Guyon kommt außer in Anthologien-Proben 36 erst spät in den Blick des Pietismus: Pierre Poirets »Bibliotheca Mysticorum selecta« (Amsterdam 1708) mit dem fur die pietistische Rezeption richtungweisenden »Catalogus plurimorum auctorum qui de rebus mysticis aut spiritualibus scripserunt« (S. 321—351)37 geht an ihr noch ebenso mit peripherem Hinweis vorbei wie Gottfried Arnolds »Historie und beschreibung der Mystischen Theologie« [...], Frankfiirt 170338.
gnetischer Korrespondenz, in: ERNST LEONARDY U. a. (Hg.), Traces du Mesmerisme [...]. Einflüsse des Mesmerismus auf die europäische Literatur des 19. Jahrhunderts, Brüssel 2001 (Travaux et recherches 45), 93-117. 35 MIGUEL DE MOLINOS, M A N D V C T I O SPIRITVALIS [...], Fideliter & stylo mysticorum conformiter [...] translata a Μ. AVG. H E R M A N N O F R A N C K I O , Leipzig 1687 (gleichzeitig auch als Titelauflage in Sulzbach). Genauer bibliographischer Nachweis im Kommentar zu: MARKUS MATTHIAS (Hg.), Lebensläufe August Hermann Franckes, Leipzig 1999 (Kleine Hefte des Pietismus 2), 98; vgl. PAUL RAABE U. ALMUT PFEIFFER (Hg.), A u g u s t H e r m a n n Francke
1663-1727. Bibliographie seiner Schriften, Halle u. Tübingen 2001 (Hallesche Quellenpublikationen und Repertorien 5), 589 f. Nachweise der drei Arnoldschen Ausgaben (Frankfurt 1699 und 1732 sowie Frankfurt und Leipzig 1743) in zeitgenössischen Buch- und Sortimentskatalogen: Catalogus Bibliothecae Principalis publica auctione distrahendae Auricae, 1746, S. 188 (Nr. 1438); Continuatio XVIII CATALOGI L I B R O R U M [...] in der Berlenburgischen Buchhandlung diese Herbst=Meß 1739 [...] bey Johann Jacob Haug, S. E3 r und CATALOGUS UNIVERSALIS [...] in der Frankfurter und Leipziger Oster=Messe 1743, S. C3 r . 36
Vgl. eine mit einer Vorrede Gottfried Arnolds verbreitete Sammlung, von der das pietistische Regentengeschlecht der Cirksena in Ostfriesland zwei Ausgaben besaß: »Etliche Tract, von der geheimen Gottes=Gelahrtheit, von Mad. Guion, Laur. de la Resurrection &c. mit Gottfried Arnolds Vorbericht«, Frankfurt 1701 und 1706: Catalogus Bibliothecae Principalis, 1746 (wie Aran. 35), S. 190 (Nr. 1450) und S. 167 (Nr. 1338). - Dazu gibt HANSGÜNTER LUDEWIG, Spiritualität im Alltag. Leitlinien geistlicher Begleitung bei Gerhard Tersteegen, in: KOCK, Gerhard T e r s t e e g e n , 2 1 0 f. (vgl. 218) als b i b l i o g r a p h i s c h e n N a c h w e i s : JEAN [!] MARIE B . DE LA MOTHE-
GUYON, Etliche vortreffliche Tractädein aus der Geheimen Gottes-Belehrtheit [!] [...], ohnlängst aus dem Französischen übersetzt / und jetzo nebst einem historischen Vorbericht herausgegeben von G. Α [Arnold] Frankfurt und Leipzig 1701, und verweist auf (offenbar auszugsweise) Nachdrucke Uitikon 1980 und Freiburg 1986. Offensichtlich bezieht sich auf die Zweitauflage dieser Schrift Gerhard Tersteegens empfehlende »Anweisung und Beschreibung einiger geistlicher Bücher«, die nach einer Abschrift von 1785 erstmals publiziert vorliegt in: GERHARDTERSTEEGEN, Ich bete an die Macht der Liebe. Eine Auswahl aus seinen Werken (hg. v. DIETRICH MEYER), Gießen u. Basel 1997, 59 zu »Frau Goion Leichtes Mittel zu bäten«: »eine kurtze klare und leichte Anweisung zum Gebät des Hertzens [...] samt einigen ihren andern Tractädein, nemlich der Erklärung übers Hohelied und die Geistliche Ströme zu Franckfurt 1706«. 37 PETRUS POIRET, Bibliotheca Mysticorum selecta, Amsterdam 1708, 79, 100 und 334: »Mad. Gujonia«. 38 GOTTFRI[E]D ARNOLD, Historie und beschreibung Der Mystischen Theologie, Frankfurt 1703, 251 empfiehlt Ausgaben des Guyonschen »Moyen court et tres facile de faire oraison« und ihrer »Explication du Cantique des cantiques«, die Poiret beide auf französisch (mit der Schutz-
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N o c h erstaunlicher ist der Befund, daß ihre Vita in den großen, ζ. T. häufig aufgelegten Biographiensammlungen, in denen der Pietismus seine »Wolke der Zeugen« (Hebr 12,1), Glaubens- und Lebensvorbilder aus allen Kirchen und Traditionen, gleichsam als kanonische Muster neuer Heiliger und eigentlichen Nucleus der Kirchengeschichte zusammengestellt hat, durchweg fehlt und auch in den zahllos anknüpfenden Erbauungszeitschriften kaum vorkommt. Während sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts jeweils drei oder vier erbauliche Biographien der Catherina von Genua, der Angela de Foligno, des Laurent de la Resurrection, der Armelle Nicolas oder des Gaston de R e n t y in diesen Sammelbiographien finden, in Reitz' »Historie Der W i e dergebohrnen« (1698-1745, 6 Auflagen bis 1753) nämlich, in Arnolds »Das Leben der Gläubigen« (zuerst 1701, 2. Aufl. 1732), Gerbers »Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen« (seit 1726) oder Tersteegens »Außerlesene[n] L e b e n s b e s c h r e i b u n g e n Heiliger Seelen« (seit 1733, 3 Auflagen) oder im verbreitetsten Periodikum, der »Sammlung Auserlesener Materien zum Bau des Reichs GOttes« (seit 1731) bzw. ihren »Supplementa« (seit 1737) 39 — , wird dagegen erstmals im Jahr 1740, in der 15. und 16. Sammlung der » S U P P L E M E N T A Der Auserlesenen Materien« die Guyon-Autobiographie in drei Teilen 40 dem größeren Publikum eines solchen Fortsetzungswerks gekürzt und annotierend bearbeitet in die Hände gegeben. Diesem ausgebreiteteren B e kanntmachen der Vita war bereits in der 14. Sammlung ein Abdruck von »Der Frau I . M . B . de la Mothe Guion geistliche Bäche« vorangegangen — beides waren kommerzielle Doppelverwertungen der Investitionen für die Übersetzungen und die Buchausgaben, denn die Zeitschrift war soeben v o m Leipziger fiktion des Druckorts »Cologne«) 1699 in seinem »Receuil de divers traites de theologie mystique« neu herausgebracht hatte (vgl. Catalogue general des livres imprimes de la Bibl. Nat. Paris: Auteurs, Band 67, Paris 1917, unter »Guyon«), O b es wirklich auch schon 1701 eine von Gottfried Arnold verdeutschte Einzelausgabe des »Moyen court« gegeben hat, wie MARTIN SCHMIDT, Guyon, in: R G G 3 , Band 2, Tübingen 1958, S. 1920 angibt, kann ich nicht verifizieren. Gemeint sein dürfte dabei die Aufnahme dieser Schrift in die von Arnold herausgegebene Ausgabe »Etliche vortreffliche Tractädein« von 1701 (vgl. Anm. 36). 3 9 Für die Tradition dieser Sammelbiographien, Sammlungen exemplarischer Lebens- oder Seelenfuhrungen aus der gesamten v o m Pietismus als Wegbereiter reklamierten interkonfessionellen Frömmigkeitsgeschichte, die durch ihre Modellvorgaben einen unschätzbaren Einfluß auf die gelebte Frömmigkeit wie auch auf die spätere Literatur ausübten, vgl. das Nachwort zur Neuausgabe der verbreitetsten dieser Sammlungen, JOHANN HENRICH REITZ, Historie Der Wiedergebohrnen. Vollständige Ausgabe der Erstdrucke aller sieben Teile der pietistischen Sammelbiographie (1698-1745) mit einem werkgesch. Anhang (hg. v. HANS-JÜRGEN SCHRÄDER), T ü bingen 1982 (Deutsche Neudrucke, R e i h e Barock, 2 9 / 1 - 4 ) , Band 4, 1 2 7 * - 1 5 3 * . 4 0 S U P P L E M E N T A Der Auserlesenen Materien zum Bau des Reichs GOttes, Band 2, Leipzig 1 7 3 9 / 4 0 , 1 5 . Slg., 970-984, 984-1010, 16. Slg., 1114-1184: »Der Frau Johanna Maria Bouvieres de la Mothe, verheyratheten Guion, äusserliches Leben« in drei Teilen. Vgl. ebd., 1183 f. die Erinnerungen an Madame Guyon für die thetische Theologie dieser Epoche und S. 970. Der Verleger Samuel Benjamin Walther hatte zur Vorbereitung dieser annotierten Eindeutschung bereits das Porträt der Madame Guyon als Titelkupfer zum 3. Band der ersten Serie dieser Zeitschrift vorausgeschickt: Sammlung Auserlesener Materien zum Bau des Reichs GOttes, Leipzig 1733, 17. Slg.
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Verleger Samuel Benjamin Walther, der von jenen Guyon-Schriften 1727 und 1728 die ersten deutschen Buchausgaben besorgt hatte, mit allen Verlagsrechten in neue Hände übergegangen.41 Selbst Gerhard Tersteegen, der bekannteste mystische Dichter des 18. Jahrhunderts und große radikalpietistische Guyon-Adept 42 , der sich in seinen »Lebens=Beschreibungen« ganz auf Vorbilder mystischer Geistigkeit aus der katholischen Kirche konzentriert hat, weil sie in den inneren Wegen in Rücksicht auf »die völlige Absagung der Welt / die Absterbung seiner selbst / die Wege des Gebäts« den Protestanten sogar überlegen seien43, läßt schließlich die schon für den 3. Band annoncierte Vita der »J.M.B. de la Mothe Guion«44
41 SUPPLEMENTA (wie Anm.40), Band 2, 14. Slg., 1740, 814-816: »Der Frau I.M.B, de la Mothe Guion geistliche Bäche«. - Eine monographische Untersuchung der »Materien« und ihrer Filialserien sowie anderer pietistischer Erbauungszeitschriften, mit einem Abschnitt auch über die Geschichte und das Geschäftsprofil des Leipziger Walther-Verlags, wird vorbereitet von RAINER LÄCHELE, Die »Sammlung Auserlesener Materien zum Bau des Reichs Gottes« zwischen 1730 und 1760. Erbauungszeitschriften als Kommunikationsforum des Pietismus. — Vgl. über den Verlag und die lange Serie seiner Ankündigungen Guyonscher Werke in den Messekatalogen von Ostern und Herbst 1727 (die freilich keine Gewähr dafür bieten, daß alle diese Bücher tatsächlich gedruckt und ausgeliefert wurden) das Biogramm »Samuel Benjamin Walther« in: HORST NEEB, Gerhard Tersteegen und die Familien Schmitz in Solingen. Briefe aus den Jahren 1734—1764, Düsseldorf 1997 (Schriften des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland 11), 233-235. - In den »Materien« wurde, ebenfalls das Publikumsinteresse am Guyonschen Werk spornend, auch ein Zeugnis begeisterter Lektüre und erwecklicher Anverwandlung von einer anonymen Adligen abgedruckt: »Extract aus einer Durchlauchtigsten Person eigenhändigen Zeilen [...] vom Glauben an Christum [...] und denen dahin zielenden Schriften Lutheri, der Mad. Guion &c«. In: Sammlung Auserlesener Materien zum Bau des Reichs GOttes, Band 2, 12. Stück, 1733, 468-471: »Die Bücher von der Mad. Guion sind mir überaus erbaulich und decken vieles in der Seelen auf, was man sonst nicht leicht erfähret [...]«, S. 468 f. 42 Für Tersteegens herausragende Bedeutung in der deutschen Rezeptionsgeschichte der Madame Guyon vgl. schon ECKHARDT, Der Einfluss (wie Anm. 21), 8-11, 23-32, 58 f. und als
Forschungsgrundlage MAX GOEBEL U. THEODOR LINK, Geschichte des chrisdichen Lebens in der
rheinisch-westphälischen evangelischen Kirche, Band 3, Koblenz 1860 (Nachdr. Gießen 1992), 316 ff. Sehr viel weniger detailliert sind diesbezüglich dagegen die jüngsten Monographien: CORNELIS PIETER VAN ANDEL, Gerhard Tersteegen. Leben und Werk. Sein Platz in der Kirchengeschichte, Neukirchen-Vluyn u. Düsseldorf 1973 (Schriftenreihe des Vereins fur Rheinische Kirchengeschichte 46), 231-235 sowie HANSGÜNTER LUDEWIG, »DU durchdringest alles«. Gebet im Alltag bei Gerhard Tersteegen, Düsseldorf 1997 (Schriftenreihe des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland 12), vgl. Register (»Guyon«) und der Handbuch-Überblick »Gerhard Tersteegen« v o n JOHANN FRIEDRICH GERHARD GOETERS, D e r r e f o r m i e r t e Pietismus in B r e m e n
und am Niederrhein im 18.Jahrhundert, in: BRECHT U. DEPPERMANN (Hg.), Geschichte des Pietismus, Band 2 (wie Anm. 30), 390-410. Für Guyon-Abfirbungen im Tersteegenschen Habitus vgl. auch HANS-GEORG KEMPER, Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Band 6/1: Empfindsamkeit, Tübingen 1997; Kap. »Zärtlichkeit zum >Herzens=Gott< (Tersteegen)«, S. 58-95, hier S. 61 f. 43
GERHARD TERSTEEGEN, Außerlesene Lebens=Beschreibungen Heiliger Seelen, Band 1, Duisburg und Elberfeld 1733, Vor=Rede, S. XXIII und XXV. Vgl. die neue Studie von RUDOLF MOHR, Eigenart und Bedeutung von Tersteegens »Auerlesenen Lebensbeschreibungen Heiliger Seelen«, in: KOCK, Gerhard Tersteegen (wie Anm. 29), 181-206. 44 TERSTEEGEN: Lebens=Beschreibungen (wie Anm. 43), Band 2, Frankfurt - Leipzig - Elberfeld 1735, Vor=Rede, VI.
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mit der etwas fadenscheinigen Begründung weg, daß man »derselben Leben schon in teutscher Sprach lesen kann« (gemeint ist der freilich nur einem viel kleineren Publikum zugängliche Walthersche Druck in drei Bänden von 1727), so daß er anderen, noch unpublizierten Biographien den Vortritt lassen wolle. 45 Mit dem erst späten Aufgreifen der Guyon-Anregung im Pietismus (als die großen theologischen Schlachten um die neue Frömmigkeitsrichtung längst geschlagen waren) wird es zusammenhängen, daß die Polemik der protestantischen Kirchenorthodoxien kaum gegen die französische Mystikerin und ihre Erbschaft gerichtet sind46 und daß selbst in den gegen die Verbreitung heterodoxen Schrifttums gerichteten Zensurerlassen, die sich mit besonderer Schärfe gegen die von Radikalpietisten verbreiteten Schriften mystischer Tendenz richteten, der Name der Madame Guyon ungenannt bleibt (denn ein namendiches Verbot in Bern im Jahre 1699 - als Guyon-Drucke in deutscher Sprache noch gar nicht vorlagen - konnte nur gegen die in den frankophonen Landesteilen kursierenden französischen Originalausgaben gerichtet sein).47
45 Ebd., Band 3 [1. Aufl., Frankfurt - Leipzig - Duisburg 1743, 2. Aufl., ebd. und Solingen 1755], 3. Aufl., Essen 1786, S. 4. Vgl. die Rezension des ersten Bands in den SUPPLEMENTA (wie Anm. 40), Band 1 , 1 . Slg., 1737, 66-68, die (in apologetischer Absicht) erläutert, daß die in Tersteegens Sammelbiographie zu entdeckenden neuen Heiligen trotz ihrer katholischen Herkunft »wieder [!] das Papstthum nicht mit streitigen Worten und leiblicher Absonderung, sondern mit der That gezeuget«. Rezensionen des zweiten und dritten Teils der »Lebens=Beschreibungen« erschienen ebd., Band 1, 3. Slg., S. 162-189 und 7. Slg., S. 738-767. Auch Tersteegen, der die Guyonsche Vita in der Waltherschen Ausgabe von 1727 an Vertraute wiederholt versendet hat (an Hendrik Fischer, vor 1739 und abermals an Reiche 1759: vgl. die Nachweise in den Briefpublikationen bei HORST NEEB, Gerhard Tersteegen und die Pilgerhütte Otterbeck in Heiligenhaus 1709-1969, Düsseldorf 1998 [Schriften des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland 15], 242 und DERS., Tersteegen und Schmitz [wie Anm. 41], 184) hebt (im Vorbericht seiner Biographie des Franz von Assisi) hervor: »Das Zeugnis der erleuchteten Madame Guion hat ohne Zweifel auch bei einigen Protestanten sein Gewicht«. TERSTEEGEN, Ich bete an (wie Anm. 36), 346 f. 46
In dem polemischen Kompendium gegen alle Frauen, die jemals gewagt hatten, durch abweichende Frömmigkeitsnormen die Lehrautorität der Theologen in Frage zu stellen, gibt JOHANN HEINRICH FEUSTKING, G Y N A E C E U M H A E R E T I C O FANATICUM, Oder Historie und Beschreibung Der falschen Prophetinnen, Frankfurt und Leipzig 1704 (Neudr. mit einer Einleitung v. R u t h Albrecht, München 1998= Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung 7), 325-338 (»MUROVIA DE GUYON«) bereits recht detaillierte Informationen, in denen Madame Guyon mit ihren als unsinnig-verschwommen gebrandmarkten Lehren als Anhängerin des Molinos verdammt wird: »Der Gvionae ihre Lehren sind [...] sehr dunckel und unverständig; und also sind sie nicht vom Heil. Geist«, S. 337). Vgl. den Artikel »Guion, Guyon (Jeanne Marie Bauieres [!] de la Mothe)« in JOHANN MICHAEL MEHLIG, Historisches Kirchen^ und Ketzer=Lexikon, (Band 1), Chemnitz 1758, 723 f. sowie ebd., Band 2, 176 f., 389-391 und 473 f. die Artikel über Molinos, Poiret und die »Qvietisten«. 47
Vgl. KURT GUGGISBERG, B e r n i s c h e K i r c h e n g e s c h i c h t e , B e r n 1958, 3 9 4 u n d FRIEDRICH
TRECHSEL, Samuel Lutz, in: Berner Taschenbuch [Jahrgang 7] auf das Jahr 1858, 103. - Für das spezifische Interesse der Zensurinstanzen, die Verbreitung mystischer »Heterodoxien« zu unterbinden vgl. HANS-JÜRGEN SCHRÄDER, Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus, Göttingen 1989 (Palaestra 283), 430, femer ECKHARDT, Einfluss (wie Anm. 21), 13.
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Freilich hat das verspätete Bekanntwerden der Guyon im deutschsprachigen Raum die Chance eher vermehrt, daß ihr Name und ihre Lehre noch bei den Autoren der Goethezeit eine gewisse Bekanntheit besaßen, lag in dieser Zeit doch der hier erst so spät erreichte Höhepunkt ihrer religiösen Wirkung erst eine Generation zurück. Gekennzeichnet ist diese Rezeption, auch schon bei den Pietisten, durch die eingangs fur Jean Paul beschriebene fast vollständige Herauslösung dieser Mystikerin aus allen ihren historischen, biographischen und auch ekklesiologischen Kontexten: Ihr Name wird aufgerufen als ein historisch bezugloses Signal für eine ebenso überzeidich begriffene Frömmigkeitsnorm, er wird zur Gänze identifiziert mit den Begriffen der »vie interieure« und des »abandon du monde«, der »passivite« und des »amour pur et desinteresse« (»detache des recompenses«), schließlich der »oraison de foi« bzw. auch »oraison du coeur ou de quietude«. Andere Lehren, die weniger zum protestantischen Credo passen wie die Fegefeuerlehre (Nachklänge davon insbesondere bei Marsay, aber auch bei Poiret, Kanz oder Gerber)48 oder die resignatio ad infernum (»acceptation conditionelle de l'enfer«) treten dagegen zurück. Mehr aber noch ist alles Äußere ausgeblendet: die lebenslange Einbindung der Guyon in gegenreformatorische Ordenskontexte, in die salesianische Spiritualität wie auch in die Missionsfront gegen den Protestantismus und gegen den Jansenismus, die klösterlichen Formen ihrer Askese, die Bedeutung ihrer geistlichen Kontrolle durch priesterliche Seelenführer, ebenso all das Exaltierte ihres familiären und sozialen Verhaltens und ihre Beziehungen zur Welt des Hofes, besonders zur Madame de Maintenon, schließlich die durch diese Nähe mitbedingten Zensurierungen und Lehr-Verfahren bis hin zu den Jahren in der Bastille Ludwigs XIV. und zu ihrem Widerruf der eigenen Lehren.49 Solche Züge paßten nicht gut in einen protestantischen Heiligenkalender und ließen 48
Für Poiret vgl. CHEVALLIER, Pierre Poiret (wie Anm. 29), 857, fiir Johann Conrad Kanz SCHRÄDER, Literaturproduktion (wie Anm. 47), S. 99 f. und 105. Für dieselbe Auffassung vom Fegefeuer beim Guyon-Bewunderer MARSAY vgl. etwa sein (anonym erschienenes) Temoignage d'un Enfant de la Verite [!] et Droiture des Voyes de l'Esprit ou EXPLICATION des trois premiers chapitres de la GENESE, ou [!] l'on traite de plusieurs Merveilles & Mysteres [!] de la Creation, Berleburg 1738, 247 f. 49 Für das Leben der Madame Guyon verweise ich besonders auf die Doktorarbeit von MARIE LOUISE GONDAL, L'acte mystique. Temoignage spirituel de Madame Guyon (1648-1717), Lyon 1985 und auf die profunde Grundlagenrecherche im Artikel von Louis COGNET, Jeanne-Marie Bouvier de la Motte Guyon, in: Dictionnaire de Spiritualite (wie Anm. 31), Band VI, Paris 1967, 1306-1336. Vgl. die Neuausgabe ihrer Autobiographie: BENJAMIN SAHLER (Hg.), La vie de Madame Guyon, ecrite par elle-meme. Introduction de Jean Tourniac, Paris 1983 (Collection L'Arbre de Vie), 637 S.Die kirchliche Indizierung gegen Madame Guyon und die Quietisten und die Bannung ihrer »dogmatischen Irrtümer« ist übrigens nie formell aufgehoben worden. Handbücher der katholischen Theologie haben sie bisweilen bis ins 20. Jahrhundert nachgesproc h e n . Vgl. beispielshalber die Artikel v o n PETER JUNGLAS, Q u i e t i s m u s [oder] ANDREAS BIGEL-
MAIER, Jeanne Marie Guyon, in: MICHAEL BUCHBERGER (Hg.) Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Band 8, Freiburg 1936, Sp. 588 f. [bzw.] ebd., Band 4, 1932, Sp.761f. oder KURT REINHARD, Mystik und Pietismus, München 1925 (Der katholische Gedanke 9), 49-52, 170-173, 224, 250-252.
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die Vita daher lieber zurückstellen hinter die Kernpositionen ihrer mystischen Theologie. Lediglich, daß sie eine Verfolgte war wie so viele wahrhaft erleuchtete Seelen in allen Konfessionen, wird in den seltenen und höchst allgemeinen Fingerzeigen auf ihr Leben angedeutet: Tersteegen unterstreicht 1733 in der Vorrede seiner »Lebensbeschreibungen«: »die letzte Quietistische Händel [...] sind davon thätliche Beweisthümer / man lese das Leben Joh. von Creutz / Theresa / Fenelon, der Mad. Guion etc.«.50 Und der offenbar zu den Beförderern der Berleburger Poiret-Ausgabe (»Die Göttliche Haushaltung«, 1735-42)51 gehörige Verfasser eines Artikels über »Wahre Principia [...] der gantzen Oeconomie Gottes« in der am selben Ort erscheinenden überkonfessionellen Erwecktenzeitschrift »Geistliche FAMA« (Nr. XXVII von 1741) bleibt ähnlich vage: Als Verfallszeichen des gegenwärtigen Kirchenzustands in allen Konfessionen bewertet er, daß nach den Quietistenverfolgungen in Italien und Spanien auch »die Mad. Guion, P. la Combe und Ertzbischoff von Cambray, M. Fenelon, in Frankreich hefftig angefochten, die Schrifften der alten Mysticorum verdächtig gemacht, und der dunckele Glaubens=Weg [. . .] der reinen und uninteressierten Liebe ohne Bilder und Sinnlichkeiten verlästert wurde.« 52
Erst im Moritzschen »Anton Reiser«, wo der Persönlichkeit der Madame Guyon noch immer keinerlei Interesse zugewandt wird, wird die Auskunft über die »Verfolgung« etwas konkreter (zugleich aber auch sachlich falsch): »Diese Mad. Guion mußte viel Verfolgung leiden, und wurde endlich, weil man ihre Lehrsätze fur gefahrlich hielt, in die Bastille gesetzt, wo sie nach einer zehnjährigen Gefangenschaft starb. Als man nach ihrem Tode ihren Kopf öffnete, fand man ihr Gehirn fast wie ausgetrocknet.«53
Außer der für die protestantische Erbauung geringen Vorbild-Eignung von Teilen der Guyonschen Vita ist das Verschwinden ihrer Person hinter Grundpositionen der Lehre sicher auch darauf zurückzuführen, daß (anders als etwa ihr schottischer Herold, der Chevalier Ramsay) keiner der Vermittler ihrer Schriften nach Deutschland oder der pietistischen Verbreiter ihres Ruhms mehr persönlich mit ihr bekannt geworden ist. Die Verehrung ist dadurch von Anfang an eine literarisch vermittelte — und das ist dem Bild einer von aller Individualität bereinigten, unerreichbaren und zeitlos gewordenen Heiligen zweifellos zugute gekommen. 50
TERSTEEGEN, Lebens=Beschreibungen, Band 1, 1733 (wie Anm. 43), S. XXXIII: »die letztere Quietistische Händel [...] sind davon thätliche Beweißthümer / man lese das Leben Joh. von Creutz / Theresä / Fenelon, der Mad. Guion etc.« 51 Nachweise: SCHRÄDER, Literaturproduktion (wie Anm. 47), 214 f. 52 Die geisdiche FAMA, Band 3, 27. Slg., [Berleburg] 1741, 111. Zu diesem Organ der philadelphischen Sammlung, seinen Herausgebern und Förderern vgl. SCHRÄDER, Literaturproduktion (wie Anm. 47), 194-198, 209 f. 53 MORITZ, Anton Reiser (wie Anm. 13), 10.
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Pierre Poiret, seit 1699 der erste Editor des französischen Gesamtwerks in zahllosen Einzelausgaben, hat sich nach langjähriger Publikationstätigkeit alten und neuen mystischen Schrifttums, darunter einer 19-bändigen Gesamtausgabe seiner zeitweiligen Lebensgefährtin, der enthusiastischen Prophetin Antoinette Bourignon, erst in seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten für die Madame Guyon begeistert. Mit ihr hat er korrespondiert und sie hat ihm zum Druck im toleranten Amsterdam (dort hat durchweg Poirets Freund Heinrich Wetstein den Verlag besorgt — die Impressumangabe »Cologne, chez Jean de la Pierre« ist eine Fiktion zur Erschwerung des Zensur-Zugriffs) 54 ihre Manuskripte übersandt, die sie in Frankreich nicht mehr publizieren konnte. Zu einer persönlichen Begegnung ist es nicht gekommen, und Poiret scheint diese auch nicht gesucht zu haben. Der Marquis de Marsay aber kam zu spät: Im Frühjahr 1717 hatte er sich zwar auf einer Incognito-Reise zu den beschlagnahmten Familiengütern bei La Rochelle zu ihr nach Blois auf den Weg gemacht - als er aber endlich in Paris ankam, mußte er von ihren Anhängern erfahren, die Meisterin sei vor 4 Monaten verstorben.55 Der vom Poiret-Schüler Wilhelm Hoffmann erweckte Tersteegen schließlich hatte mit 19 Jahren beim Tode der Guyon noch nicht die Mittel zu reisen und hat ohnehin seinen Heimatdistrikt zwischen Niederrhein und Ruhr kaum je verlassen. Unter den aus der Poiretschen Bibliothek bezogenen Materialen für seine Mystiker-Editionen (die ihm vermutlich, wie Oetinger für dessen Biographiensammlung, auf vermittelten Wegen von Poirets Freund und Erben Homfeld aus Rijnsburg zugekommen sein dürften) 56 bewahrte er aber auch ein Briefblatt und ein Schächtelchen aus dem Guyon-Besitz mit ihren eigenhändigen Andachtsmeditationen (zu zufälligem Aufschlagen als frommer Lotterie), die er - ebenso wie ihre gedruckten Verse - in einen eigenen Lyrik-Zyklus umwandeln konnte.57 Aus einer Zimelie war fast eine zeitenthobene Reliquie geworden. 58
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Vgl. die genannten Forschungsbeiträge zu Poiret, auch schon EMIL WELLER, Die falschen und fingierten Druckorte, Band 2: Livres franfais, Leipzig 1864, 68, 75, 82, 84. 55 Bericht in Marsays Autobiographie: Das Leben des Herrn St. de Marsay (gest. 1753) von i h m selbst beschrieben. In: [ERNST JOSEPH GUSTAV] DE VALENTI, System der h ö h e r n H e i l k u n d e
für Aerzte, und Seelsorger, Theoretischer Teil, 2. Abteilung, Elberfeld 1827, 238-241; Teil-Neuausgabe, gegründet auf die Abschrift des Tersteegen-Freunds Wilhelm Weck im Düsseldorfer Archiv der Evangelischen Kirche des Rheinlands (mit Ergänzung der bei de Valenti kryptonym verkürzten Eigennamen): Leben des Charles Hector Marquis St. George de Marsay und seiner Gattin, von ihm selber. In: JOST KLAMMER, Der Pemer von Arfeld. Kirchengeschichte im R a u m Arfeld vom Jahre 800 bis 1945, Bad Berleburg u. a. 1983, 84-115 (vgl. 101). 56
[FRIEDRICH CHRISTOPH OETINGER], D i e U n e r f o r s c h l i c h e n W e g e der H e r u n t e r l a s s u n g
G O T T E S [.·.], dargeleget in dreyen aus der Frantzösischen Sprache ins Teutsche übersetzten Lebens=Läuffen, Leipzig 1735, 5 r . 57 G. T.St. [= GERHARD TERSTEEGEN], Kleine Perlenschnur, Für die Kleinen nur, Hier und da zerstreut gefunden, Jetzt beisammen hiergebunden, Solingen und Essen 1767 (und Neuauflage Solingen 1775; vgl. NEEB, Tenteegen und Schmitz, [wie Anm. 41], 47 und 50). Vgl. zur Sache RUDOLF MOHR, Tersteegens Verschreibung mit Blut und die mit ihr zusammen überlieferten Stücke, in: Monatshefte fur Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 33 (1984), 281—285
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III. Fragen wir, wann deutsche Leser welche der Schriften der Madame Guyon überhaupt haben lesen können, müssen wir schon sorgfaltige Recherchen anstellen. Denn eine Bibliographie der deutsch erschienenen Übersetzungen und Bearbeitungen ist noch nie zusammengestellt worden. Und aufwendiger noch wäre eine umfassende Ermitdung, was davon in den uns durch Auktionskataloge oder Sortimentsverzeichnisse überschaubar gebliebenen großen pietistischen Büchersammlungen und Handelsangeboten vorhanden war, womit wenigstens ein Indiz gegeben wäre fur einen gewissen Grad der Verbreitung unter den Erweckten. Auch wenn ich hier freilich für diese Recherchen nicht mehr als einen Anfang leisten kann (in wissenschaftlichen Bibliotheken sind erbauliche Schriften allenthalben nur sporadisch und zufällig angeschafft worden, im frankophonen Raum aber hat man die GuyonÜbersetzungen in andere Sprachen naturgemäß noch weniger gesammelt), gewähren die Befunde doch ein klareres Bild als bisherige wirkungsgeschichdiche Annahmen. Zunächst ist zu konstatieren: Poiret, dem jenseits der drei von der Verfasserin selbst zum Druck gebrachten (wiederholt neu aufgelegten) Titel »Moyen court et tres facile pour l'oraison« (zuerst Grenoble 1685), »Regle des associez ä l'enfance de Jesus« (zuerst Lyon 1685) und »Le cantique des cantiques, interprete selon le sens mistique« (zuerst Lyon 1688)59 alle französischen Erstauflagen unter der fiktiven Verlagsangabe »Cologne, chez Jean de la Pierre« (zur Erschwerung eines Zensorenzugriffs; der wirkliche Verleger war in allen Fällen Poirets Freund Heinrich Wetstein in Amsterdam)60 zu verdanken ist, hat ihre Werke selbst weder übersetzt noch deutsche Übersetzungen davon herausgegeben. Eine direkte Breitenwirkung seiner mit umfänglichen Vorreden versehenen Editionen unter den Deutschsprechenden war dadurch ausgeschlossen. Nur in Adels- und Gelehrtenbibliotheken taucht gelegendich die 20bändige Ausgabe der Bibel-Kommentare auf (»La Sainte Bible avec des Explications, qui regardent la Vie Interieure«, »Cologne« 1713-15).61 (Abschnitt: »Das Döschen der Mad. Guyon«); ebd., 285-288 ist der Guyon-Brief an Poiret vom 25. März 1716 aus Tersteegens Besitz abgedruckt, faksimiliert und kommentiert, S. 288-294 der Weg rekonstruiert, wie diese Zimelien an Tenteegen gelangt sein mögen. Vgl. knapp GOETERS, Der reformierte Pietismus (wie Anm. 42), 401 f. 58 So GOEBEL und LINK, Geschichte des christlichen Lebens, Band 3 (wie Anm. 42), 335; ECKHARDT, E i n f l u s s ( w i e A n m . 2 1 ) , 2 3 f., W[ILHELM LUDWIG] KRAFFT, G e r h a r d T e r s t e e g e n , i n :
J. J. HERZOG U. G. L. PLITT (Hg.), Real-Encyclopädie für protestantische Theologie und Kirche, 2. Aufl., Band 15, Leipzig 1885, 341. 59 Catalogue general: Auteurs, Band 67, 1917, »Guyon« (wie Anm. 38); vgl. GONDAL, L'acte mystique (wie Anm. 49), 642 ff. 60 Vgl. (außer den Nachweisen Anm. 54) zu Wetstein SCHRÄDER, Literaturproduktion (wie Anm. 47), 110, 376. 61 Nachweis: Catalogue general (wie Anm. 38). Die 20 Bände standen, gebunden in rotem Safran, in der Hofbibliothek in Aurich (Catalogus Bibliothecae Principalis, 1746 (wie Anm. 35),
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Sieht man ab von einer höchst zweifelhaften Zuschreibung eines »Sophia«Buches aus dem Jahr 1699 62 , waren es Mystik-Anthologien Gottfried Arnolds, die 1701 (und erneut 1706) den deutschen Pietisten die ersten Guyon-Auszüge zur Kenntnis gebracht haben. 63 Ein 1715 im Tübinger Cotta-Verlag von einem Johann Wolfgang Taeger besorgter »Tractatus mysticus« der »Celeberrimae in Gallia fasmins« bediente sich noch vorsichtig des fur die Zensoren unverdächtigen Latein. 64 Die wohl erste eigenständige, aber noch anonym herausgegebene deutsche Ausgabe war 1719 eine Übersetzung von Madame Guyons (von Poiret erst zwei Jahre zuvor auf den Markt gebrachter) französischer Versbearbeitung zweier seit hundert Jahren in schon unzähligen Auflagen verbreiteter Emblembücher 6 5 der flämischen Gegenreformation: »L'Ame amante de son Dieu, representee dans les emblemes de Hermannus H u g o sur ses >Pieux desiresCologne: J . de la PierreNationNationalismusNationalstaat< in der europäischen Geschichte seit dem Mittelalter - Versuch einer Bilanz, in: DERS. U. GEORG SCHMIDT (Hg.), Föderative Nation.
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Das Konzept der Nation als Bürgernation Schloß an zwei ältere Konzepte der Nation an - das ist die in dieser Studie vertretene These. Es waren dies zum einen das kirchliche Nationskonzept der französischen Jansenisten, das diese als Antwort auf die päpstliche Bulle »Unigenitus« vom 8. September 1713 entwickelten, und zum andern das politische Nationskonzept der französischen Parlamentsjuristen, das vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen für und wider die Annahme der Bulle »Unigenitus« seit etwa 1730 hervortritt. Zwischen diesen beiden Ausprägungen des älteren Nationskonzepts bestand eine enge Verwandtschaft, die Vorreiterrolle nahm das Nationskonzept der Jansenisten ein, das im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen steht. Seine Anverwandlung durch die Parlamentsjuristen erforderte eine eigene Untersuchung, die den Rahmen des Aufsatzes sprengen würde. Bevor das jansenistische Nationskonzept erörtert wird, scheinen einige Hinweise zunächst auf die Entwicklung des Jansenismus von seinen Anfangen im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts bis zur Verkündung der Bulle »Unigenitus« und anschließend auf die bis in das zweite Drittel des 18. Jahrhunderts hinein andauernde Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern der Bulle und ihren Gegnern zweckdienlich. 3 Die erste Periode stand wesentlich im Zeichen des Streits um die jansenistische Gnaden- und Rechtfertigungslehre, in der zweiten Periode rückte die Kirchenlehre in den Vordergrund der Debatten. Der im 17. Jahrhundert als innerkirchliche Bewegung entstandene Jansenismus4 war von Anbeginn an insofern politisch, als die Anhänger des Cornelius
Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, 9-30; vgl. auch HANS-ULRICH WEHLER., Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen. München 2001. 3 Zum Gang und Stand der Forschung vgl. die Forschungsberichte von: JEAN-LOUIS QUANTIN, Port-Royal et le jansenisme du XVIIe siecle dans l'historiographie depuis Sainte-Beuve, in: Port-Royal au miroir du XXe siecle. Actes de la joumee d'etude organisee par la Societe des Amis de Port-Royal a l'Universite de Paris-Sorbonne le 2 octobre 1999, Paris 2000 (Chroniques de Port-Royal, 49), 87-119; CATHERINE MAIRE, De Port-Royal au jansenisme: le XVIIIe siecle, ebd., 135—152; vgl. auch die >Conclusion< der Tagung von JEAN MESNARD, Un siecle d'ouverture, ebd., 153-169. 4 Zur Einfuhrung: FRANCOISE HILDESHEIMER, Le Jansenisme en France aux XVIIe et XVIIIe siecles, Paris 1991; MONIQUE COTTRET, Art. Jansenisme, in: LUCIEN BELY (Hg.), D i c t i o n n a i r e de
l'Ancien Regime. Royaume de France XVIe-XVIIIe siecle, Paris 1996, 684-687; DIES., Art.Jansenisme, in: MICHEL DELON (Hg.), Dictionnaire europeen des Lumieres, Paris 1997, 6 1 3 - 6 1 5 ; JACQUES Μ . GRES-GAYER, Art. J a n s e n i s m e , in: JEAN-YVES LACOSTE (Hg.), D i c t i o n n a i r e
critique de theologie, Paris 1998, 590-592. Neuere Überblicksdarstellungen: JEAN DELUMEAU U. MONIQUE COTTRET, Le Catholicisme entre Luther et Voltaire (Nouvelle Clio), 6. Auflage, Paris 1996 (ursprünglich 1971), Teil 3, Debats d'historiens et directions de recherches, Abschnitt »Le Jansenisme«, 2 0 5 - 2 4 5 ; MONIQUE COTTRET, La Q u e r e l l e janseniste, in: JEAN-MARIE MAYEUR U. a.
(Hg.), Histoire du christianisme des origines ä nos jours, Band 9: MARC VENARD (Hg.), L'Age de raison (1620/30-1750), Paris 1997, 351^107. Zum Jansenismus im 17. Jahrhundert vgl. außer ANTOINE ADAM, Du Mysticisme ä la revoke. Les jansenistes du XVII siecle, Paris 1968, vor allem: ALEXANDER SEDGWICK, Jansenism in Seventeenth-Century France. Voices from the Wilderness, Charlottesville, Virginia 1977. Z u m Jansenismus im 18. Jahrhundert grundlegend: CATHERINE
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Jansen(ius) (1585-1638), die eine strenge Prädestinationslehre vertraten und daraus die individuelle Heilserwartung ableiteten, der Gewissensentscheidung des Gläubigen den Vorrang vor den Geboten der Amtskirche und den Anordnungen der weltlichen Gewalt gaben. Sie verstanden die Kirche im Sinne des heiligen Augustinus vorrangig als Geistkirche, als pneumatische civitas Dei. Von ihrem ersten Auftreten in Frankreich während der 1630er Jahre an wurden die Jansenisten — der Ausdruck ist als Feindbezeichnung seit 1641 belegt - von der französischen Regierung bekämpft. Richelieu erblickte in ihnen die Speerspitze der »frommen Partei« (le parti devot), der militanten Vorkämpfer der katholischen Reform. Er sah sie als Gefahr fur eine Politik an, die sich an der Staatsräson orientiert. Das bewog den Kardinal 1638 dazu, Jean-Ambroise Duvergier de Hauranne, abbe de Saint-Cyran, einen der führenden Theologen und Agitatoren der »frommen Partei» und zugleich langjährigen Weggefahrten des Jansenius, in Haft zu nehmen - bezeichnenderweise kam der Abt erst nach Richelieus Tod frei. Mazarin und nach ihm Ludwig XIV. traten in Richelieus Fußstapfen und betrachteten auch ihrerseits die Jansenisten als potentielle Aufrührer. Der Sonnenkönig erblickte in ihnen »un parti republicain dans l'Eglise et dans l'Etat« und betrachtete sie als »ennemi de son autorite qui etait son idole«, wie das der Herzog von Saint-Simon in seinen Memoiren festhielt5 — »republikanisch« stand hier für die Anzweiflung des absoluten Regiments, sei es des Papstes über die Kirche, sei es des Königs über den Staat. Vor diesem Hintergrund ist die von Mazarin und Ludwig XIV. eingeschlagene Politik zu sehen, die Kurie dazu zu bewegen, die jansenistische Gnadenund Kirchenlehre förmlich als häretisch zu verdammen. Das geschah zunächst durch die Bulle »Cum occasione« von 1653. Sie verurteilte fünf »Sätze« (propositiones), die Jansenius' Hauptwerk »Augustinus« (erschienen postum 1640) dem Sinne nach zugeschrieben wurden. Es folgte in derselben Stoßrichtung 1656 die Bulle »Ad sacram«. Die französische Klerusversammlung setzte dann 1661 ein Formular auf, das die Weltgeistlichen und Ordensleute zu unterschreiben hatten und sie auf die Verurteilung der fünf Sätze und der Lehren des Jansenius verpflichtete. Nachdem auch der letzte französische Bischof 1668 das Formular unterzeichnet hatte und im Jahre darauf die Nonnen des mit der
MAIRE, L'Eglise et la nation: Du depöt de la verite au depöt des lois. La trajectoire janseniste au XVIIIe siecle, in: Annales ESC 46 (1991), 1177-1205; DIES., De la cause de Dieu ä la cause de la nation. Le jansenisme au XVIIIe siecle, Paris 1998; vgl. ferner: JOHN MCMANNERS, Church and Society in Eighteenth-Century France, Band 2: The Religion of the People and the Politics of Religion, London 1998, Abschnitt »Crown and Parlement: Jesuits and Jansenists«, 343-561; MONIQUE COTTRET, Jansenismes et Lumieres. Pour un autre XVIIIe siecle, Paris 1998. Zur politischen Dimension des Jansenismus vgl. die Textsammlung: RENE TAVENEAUX, Jansenisme et politique, Paris 1965 (seitdem mehrere unveränderte Nachdrucke). 5 SAINT-SIMON, Memoires, hg. v. YVES COIRAULT (Bibliotheque de la Pleiade), Band 4, Paris 1985, 641; vgl. auch die Charakterisierung der jansenistischen Partei als »ennemi de l'Eglise et de l'Etat, comme republicain, comme ennemi de son autorite et de sa personne«, ebd., 652, beide Zitate abgefaßt Ende 1743, Anfang 1744.
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jansenistischen Bewegung von Anbeginn an eng verbundenen Klosters PortRoyal zu diesem Schritt genötigt worden waren, schien sich das Ende des Jansenismus anzukündigen. Der Konflikt flammte indessen nach der Jahrhundertwende wieder auf, er ließ sich auch nicht durch die Bulle »Vineam Domini« von 1705, die bei der Unterschrift unter das Formular von 1661 die innere Zustimmung gebot, und die endgültige Vertreibung der Nonnen aus Port-Royal-des-Champs im Jahre 1709 - bald gefolgt von der Zerstörung der Klosteranlagen — ersticken. Das veranlaßte schließlich Ludwig XIV. dazu, 101 als anstößig beurteilte Sätze aus der von jansenistischem Geist erfüllten, vielgelesenen Erbauungsschrift »Le Nouveau Testament en franfais, avec des reflexions morales sur chaque verset pour en rendre la lecture plus utile et la meditation plus aisee« des Oratorianers Pasquier Quesnel durch Papst Clemens XI. verurteilen zu lassen. Der König nahm bei der Inanspruchnahme des Papstes in Kauf, daß ein solches Vorgehen dem Unfehlbarkeitsanspruch des Heiligen Vaters in Glaubenssachen entgegenkam und dessen Suprematie über die Kirche Vorschub leistete, also geeignet war, die angestammte Eigenständigkeit der französischen Kirche zu beeinträchtigen. Er fand sich mit diesen ultramontanen Weiterungen ab, da er sich als mächtig genug ansah, Eingriffen der Kurie in die französischen Angelegenheiten widerstehen zu können. Dies führte zu der Entwicklung des französischen Jansenismus der zweiten Periode, die im Zeichen der Auseinandersetzung für und wieder die Bulle »Unigenitus« stand.6 Die Konstitution (päpstliche Verordnung mit Gesetzeskraft) wurde vom französischen Klerus durch eine von Ludwig XIV. einberufene Bischofsversammlung am 23.Januar 1714 mehrheitlich angenommen und zusammen mit einer »Instruction pastorale« den Gläubigen zur Kenntnis gebracht. Es fand am 15. Februar 1714 die Registrierung des diese Annahme festhaltenden königlichen Befehls (in Form von lettres patentes) durch das Pariser Parlament statt; die Provinzparlamente folgten nach. Die Sorbonne beugte sich freilich erst 1721 dem Druck der Kurie und der französischen Regierung. Die Annahme der Bulle durch den Episkopat und die Parlamente bildete den Ausgangspunkt eines Jahrzehnte andauernden Streits. Dieser spitzte sich zu, als 1717 eine Gruppe von Bischöfen, angeführt vom Erzbischof von Paris, dem Kardinal Louis-Antoine de Noailles, gefolgt von zahlreichen Pfarrpriestern und sonstigen Klerikern, gegen die Konstitution eine förmliche »Berufung« (appel) an ein zukünftiges Konzil einlegte. Der Kern dieser »Appellan6 Vgl. L U C I E N CEYSSENS U. J O S E P H A N N A GUILLAUME T A N S , Autour de l'Unigenitus. Recherches sur la genese de la Constitution, Löwen 1 9 8 7 ; L U C I E N CEYSSENS, Le Sort de la bulle Unigenitus. Recueil d'etudes offert ä Lucien Ceyssens ä l'occasion de son 90e anniversaire, hg. v. M A T H I J S LAMBERIGTS, Löwen 1 9 9 2 ; J A C Q U E S M . G R E S - G A Y E R , The >Unigenitus< of Clement XI: A Fresh Look at the Issues, in: Theological Studies 4 9 ( 1 9 8 8 ) , 2 5 9 - 2 8 2 ; DERS., Theologie et pouvoir en Sorbonne. La Faculte de theologie de Paris et la bulle >Unigenitus