Pflegealltag im stationären Bereich zwischen 1880 und 1930 3515106855, 9783515106856

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Pflege von Patienten in den Krankenanstalten von verschiedenen Schwestern-

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German Pages 251 [254] Year 2014

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsbeschreibung
Abstract
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Grafiken
Verzeichnis der Abbildungen
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Einführung
1.2 Fragestellung und Erkenntnisinteresse
1.3 Forschungsstand
1.4 Quellen und Methoden
1.5 Aufbau
2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts
2.1 Entwicklung des Krankenhauses und psychiatrischer Anstalten
2.2 Entwicklungen in Medizin und Psychiatrie
2.3 Rahmenbedingungen in der Pflege
2.4 Resümee
3 Charakterisierung und Sozialprofil der Schwesternschaften und Pflegegruppierungen
3.1 Zusammensetzung des Pflegesektors
3.2 Genderaspekte
3.3 Das erstellte Sozialprofil
3.4 Resümee
4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen
4.1 „Rituale“ beim Eintritt
4.2 Leben in der Gemeinschaft
4.3 Privatleben
4.4 Resümee
5 Arbeitsbedingungen
5.1 Arbeitszeiten
5.2 Finanzielle Vergütung
5.3 Soziale Leistungen
5.4 Urlaub
5.5 Erkrankungen
5.6 Arbeitsunfälle
5.7 Resümee
6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen
6.1 Ausbildung
6.2 Tätigkeitsbereiche
6.3 Resümee
7 Spannungsfelder und Probleme
7.1 Konflikte und Beschwerden der Pflegenden aufgrund von Rahmenbedingungen
7.2 Konflikte des Krankenpflegepersonals
7.3 Beschwerden über das Krankenpflegepersonal
7.4 Resümee
8 Schlussbetrachtung
9 Bibliographie
9.1 Archivalische Quellen
9.2 Gedruckte Quellen
9.3 Forschungsliteratur
9.4 Online-Quellen
9.5 Bild-Quellen
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Pflegealltag im stationären Bereich zwischen 1880 und 1930
 3515106855, 9783515106856

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Pflegealltag im stationären Bereich zwischen 1880 und 1930 von Anja Faber MedGG-Beiheft 53

Franz Steiner Verlag Stuttgart

Pflegealltag im stationären Bereich zwischen 1880 und 1930

Medizin, Gesellschaft und Geschichte Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung herausgegeben von Robert Jütte Beiheft 53

Pflegealltag im stationären Bereich zwischen 1880 und 1930 von Anja Faber

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2015

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Robert Bosch Stiftung GmbH

Coverabbildung: Medizinisches Bad, Archiv Illenau Forum, Siegfried Stinus

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015 Univ.-Diss., Stuttgart D 93 Satz: DTP + TEXT, Eva Burri Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-515-10685-6 (Print) ISBN 978-3-515-10868-3 (E-Book)

Für meine Brüder Thomas und Frank

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart entstanden und im Juni 2013 von der PhilosophischHistorischen Fakultät der Universität Stuttgart als Dissertation angenommen worden. Für die Veröffentlichung wurde das Manuskript leicht überarbeitet. An erster Stelle gebührt mein Dank meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Robert Jütte für seine Anregungen, Kritik und sein Interesse an meiner Arbeit sowie dafür, dass er sie in die von ihm herausgegebene Beiheft-Reihe von „Medizin, Gesellschaft und Geschichte“ aufgenommen hat. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Franz Quarthal für die Übernahme des Zweitgutachtens und für seine Anregungen. Ferner möchte ich mich bei Frau Professor Dr. Anat Feinberg bedanken, die mich überhaupt zu dieser Promotion ermutigte. Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Sylvelyn Hähner-Rombach, die mich nicht nur mit ihrem exzellenten Fachwissen engagiert begleitete, sondern auch durch ihre fürsorgliche Haltung stets eine Quelle der Motivation war. Oliver Hebestreit gilt ebenso ein ganz besonderer Dank für sein sehr sorgfältiges Lektorat. Des Weiteren möchte ich mich bei Kathrin Winz, Dr. Huck Turner, Karena Häfner, Dr. Astrid Stölzle und Thomas Rehehäuser bedanken, die mich auf verschiedenste Art und Weise während der Promotionszeit unterstützten. Auch meinem Ehemann Rainer Faber und meinen Kindern Ella und Lilly sowie meinen Eltern und Schwiegereltern möchte ich an dieser Stelle danken. Schließlich möchte ich der Robert Bosch Stiftung meinen Dank aussprechen. Sie trug mit einem Stipendium dazu bei, dass ich die Arbeit zügig fertigstellen konnte und hat für die Veröffentlichung einen Druckkostenzuschuss gewährt. Vielen Dank endlich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Archive und Bibliotheken. Sie stellten mir ihr Material zur Verfügung und gaben mir die Möglichkeit, bei ihnen zu forschen.

Pflegealltag im stationären Bereich zwischen 1880 und 1930 Inhaltsangabe Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf dem Alltag der Pflegenden im stationären Bereich, also im Krankenhaus und in Irrenanstalten, während des ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Untersuchungsgruppe Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Pflege von Patienten in den Krankenanstalten von verschiedenen Schwestern-, Bruder- bzw. Wärterschaften übernommen. Um ein möglichst differenziertes Bild vom Pflegealltag seit dem ausgehenden 19. bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu bekommen, wurden verschiedene Repräsentanten der Pflege untersucht. Bei den religiösen Organisationen handelt es sich zum einen um die Barmherzigen Schwestern aus Münster und zum anderen um die Sarepta-Diakonissen und Nazareth-Diakone aus Bielefeld. Als Vertreter der weltlichen bzw. interkonfessionellen Schwesternschaft dienen die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf. Dazu kommen die Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau, um zum einen die Irrenpflege mit einzubeziehen, zum anderen den Typus des schlecht ausgebildeten weltlichen Wärterstandes.

Inhaltliche Schwerpunkte Zu Beginn wird ein Überblick über die Entwicklungen und Fortschritte der Medizin im ausgehenden 19. Jahrhundert gegeben. Neue medizinische Disziplinen wie beispielsweise die Bakteriologie entstanden, und aus den ehemaligen Spitälern wurden Krankenhäuser, welche die medizinische Versorgung übernahmen. All dies hatte auch Auswirkungen auf die verschiedenen Pflegegruppierungen der damaligen Zeit. Die Kranken wurden nicht mehr nur von katholischen Pflegeorden oder Wärtern versorgt. Eine Vielzahl an protestantischen und interkonfessionellen Schwesternschaften entstand, und aus der ursprünglichen „Liebestätigkeit“ entwickelte sich zunehmend ein anerkannter Beruf. Aus un- oder angelerntem Personal wurden im frühen 20. Jahrhundert ausgebildete und examinierte Pflegekräfte. In diesen Zeitraum fällt auch die Gründung der Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands, die für eine qualifiziertere Ausbildung, bessere Arbeits- und Lebensbedingungen und eine soziale Absicherung der Pflegenden kämpfte. Der Großteil der Arbeit besteht aus einer qualitativen und quantitativen Erhebung. Mit Hilfe der Personendaten wurde ein Sozialprofil der einzelnen Gruppierungen erstellt, welches Eintritts- und Austrittsalter, schulische Bildung, Beruf des Vaters und ggf. berufliche Vorerfahrungen umfasst. Darüber

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Pflegealltag im stationären Bereich zwischen 1880 und 1930

hinaus wurden aus den Quellen Informationen über die Verweildauer, die Austritts- bzw. Kündigungsgründe gewonnen. Mit dieser prosopographischen Erhebung erfährt man nicht unmittelbar etwas über den Pflegealltag, allerdings können die untersuchten Schwesternund Wärterschaften besser charakterisiert und verglichen werden. Mit Hilfe des Eintritts- bzw. Austrittsverhaltens, der Verweildauer und der Kündigungsgründe erhält man Auskunft und Hinweise über die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit oder Probleme im Pflegealltag. Daneben wurden die Lebensbedingungen und -umstände der einzelnen Pflegegruppierungen untersucht. Dazu gehören auch die verschiedenen Eintrittsrituale und Aufnahmebedingungen sowie das Leben in der Gemeinschaft. Die religiösen Schwesternschaften und die Rot-Kreuz-Schwestern wurden nach dem sogenannten Mutterhausprinzip organisiert. Dementsprechend übernahm der Vorstand die Elternrolle und die Gemeinschaft sollte die Familie darstellen. Die Schwestern und Brüder arbeiteten für ein geringes Taschengeld, dafür sorgte das Mutterhaus im Krankheits- oder Invaliditätsfall sowie im späteren Rentenalter für sie. Das Leben der Wärterinnen und Wärter der Illenau war trotz fehlenden Mutterhauses ähnlich organisiert. Durch strikte Regeln und den Kost- und Logiszwang wurden sie eng an die Anstalt gebunden. Auch hier versuchte man, ein Familienmodell zu verwirklichen, in dem der Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Illenau die Rolle des sorgenden und strengen Vaters einnahm. Das private Leben der Pflegenden ist ein weiterer Untersuchungsgegenstand. Darunter fällt auch das zölibatäre Leben. Die Frauen der verschiedenen Pflegegruppierungen durften nicht heiraten. Im Gegensatz dazu konnten die Diakone und Wärter eine Heiratsgenehmigung erhalten, allerdings nur in begrenzter Anzahl. Ein Wärter durfte nach fünf Dienstjahren – und wenn er zum besserverdienenden „Etatwärter“ befördert wurde – eine Familie gründen. Der „Brautkurs“ der zukünftigen Ehefrauen der Diakone ist ein ganz besonderes Phänomen. Bevor der Anstaltsvorstand sein Einverständnis gab, mussten die Frauen ein halbes Jahr lang unentgeltlich in der Anstalt mitarbeiten und erhielten zudem theoretische Unterweisungen. Während dieser Zeit wurde geprüft, inwieweit sie sich in die Anstaltsgemeinschaft integrieren konnten und den bevorstehenden Aufgaben gewachsen waren. Wenn sich die angehende Braut bewährt hatte, erhielt der betreffende Diakon die Erlaubnis, sie zu heiraten. Freie Zeit und Freizeit unterlagen ebenfalls strengen Regulierungen. Die einzelnen Statuten regelten Ruhepausen und freie Tage, die in der Praxis dann ganz anders aussahen. Doppelschichten waren damals keine Seltenheit. Auch für die Freizeitgestaltung gab es strikte Regelungen; so durfte beispielsweise eine Wärterin nicht alleine in die Stadt fahren oder eine Rot-Kreuz-Schwester sollte nur speziell ausgewählte Literatur lesen. Einen weiteren großen Untersuchungsgegenstand bilden Ausbildung und Tätigkeitsbereiche. Vor dem Krankenpflegegesetz von 1906 gab es keine einheitliche Ausbildungsregelung. Meist wurden die neuen Pflegekräfte von älte-

Inhaltliche Schwerpunkte

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ren Schwestern direkt am Patienten praktisch unterwiesen. Zudem spielte für die religiösen Schwesternschaften die christliche und sittliche Lehre beinahe eine größere Rolle als die Vermittlung von fundiertem Fachwissen. Anhand von Tätigkeits- und Beobachtungsprotokollen können Aussagen über allgemeine und spezielle Pflege sowie pflegefremde Tätigkeiten gemacht werden. Einen besonderen Platz nimmt hierbei die Pflege in der Psychiatrie ein. Neue Methoden wie Beschäftigungs- und Arbeitstherapie wurden sowohl von den Wärterinnen und Wärtern der Heil- und Pflegeanstalt Illenau als auch von den Nazareth-Diakonen praktiziert. Des Weiteren wurden die damaligen Arbeitsbedingungen sowie finanzielle und soziale Leistungen für die Pflegenden untersucht. Lange Arbeitstage, wenig bzw. unzureichende Erholungsphasen und zunehmende Personalknappheit prägten den Arbeitsalltag ebenso wie eine unzureichende Bezahlung. Jedoch erhielten sowohl die Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwestern als auch das Wartpersonal bei Bedarf teilweise finanzielle Unterstützung. Hinsichtlich der Erkrankungen der Pflegenden wird vor allem auf die Infektionserkrankungen, speziell die Tuberkulose, eingegangen. Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs und der darauffolgenden Krisenzeit werden in der Arbeit nochmals gesondert betrachtet. Zum Schluss werden Spannungs- und Problemfelder im Pflegealltag und mit bzw. zwischen den Pflegegruppierungen behandelt. Zum einen entstanden Differenzen aufgrund von Rahmenbedingungen, beispielsweise schlechten Unterkünften und mangelhafter Verköstigung, aber auch Streitigkeiten über regelmäßig gehaltene Andachten beeinflussten das Arbeitsklima. Die Zusammenarbeit von männlichen und weiblichen Pflegenden konnte ebenfalls zu Streitigkeiten führen. Vor allem die Nazareth-Diakone klagten darüber, dass sie unter der Führung von Schwestern arbeiten mussten. Ferner verursachten Vorurteile zwischen den einzelnen Pflegegruppierungen Spannungen. Ein weiteres Konfliktpotential betrifft die Zusammenarbeit von Ärzteschaft und Schwestern. Erstere beschwerten sich beispielsweise über die „mangelhafte Ausbildung“ oder „eigenmächtiges Handeln“, während sich die Schwestern über das schlechte Benehmen ihnen gegenüber ärgerten. Oft waren Diskrepanzen zwischen dem entsprechenden Mutterhaus und der Klinikdirektion die eigentliche Ursache. Themen wie verletzte Aufsichtspflicht, Diebstahl, Alkoholabusus sowie unerlaubter Kontakt mit Frauen oder Gewaltausschreitungen gegenüber Pfleglingen gehörten zu den häufigsten Beschwerden über das Personal. Die schwierigen physischen und psychischen Arbeitsverhältnisse im Umgang mit psychiatrisch Erkrankten werden hierbei besonders intensiv betrachtet.

Everyday care for inpatients from 1880 to 1930 Summary This work focuses on the daily work of nurses on wards i. e. in hospitals and lunatic asylums during the 19th and the beginning of the 20th century. Since the mid-19th century the care of patients in hospitals was undertaken by various religious sisters and brothers. In order to create a differentiated picture of everyday care during the period of the late 19th until the first third of the 20th century various representatives of the nursing sector were investigated. Study Groups The Merciful Sisters of Münster, the Deaconesses of Sarepta and the Deacons of Nazareth are some of the religious organizations discussed as well as the nurses of the Red Cross who represented a more worldly and non-denominational approach. In addition there were the ward attendants in the sanatorium and hospital ‘Heil- und Pflegeanstalt Illenau’ which included the care of the insane and provided examples of poor training and education. Content Focus Initially an overview of the progress and developments in the medical sector in the late 19th century is given. New medical disciplines such as bacteriology emerged and former sanatoriums were transformed into hospitals which took over medical care. This had an impact on the different groups of nurses at this time. The patients were no longer cared for by catholic nursing associations and ward attendants only but by a variety of non-denominational sisterhoods and what was seen as charity became an increasingly recognized profession – nurses. It was during this period that the organization ‘Nurses in Germany’ was founded which fought for better training and education, better working and living conditions and social security for nurses. Much of this study consists of a qualitative and quantitative survey. With the help of personal details a social profile of all individual groups was created using data such as age at the point of joining or leaving an organization, school education, previous experience and the father’s profession. In addition other sources provide information about the duration a person worked for one of the above organizations and their reasons for leaving. This prosopographical survey does not directly show the ins and outs of daily care back then but the surveyed sisterhoods and attendance groups can be compared and characterized more easily. Information used about the behaviour of employees, dates of joining or leaving an organization, duration of employment and reasons for leaving show a clear picture of the satisfaction, dissatisfaction or the problems faced in daily care.

Content Focus

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In addition the living conditions and circumstances of the individual care groups were examined. This includes various entry rituals and requirements as well as the social life. The principle of the ‘Mother House System’ was used to organize the different groups of religious sisterhoods and the Red Cross nurses. According to this principle the board took over the parental role whilst the community represented the family. The sisters and friars worked for pocket money and in return the ‘Mother House’ would look after them in case of illness, disability and later retirement. The life of the ward attendants of the sanatorium and hospital ‘Heil- und Pflegeanstalt Illenau’ was structured in a similar way although they did not follow the ‘Mother House’ principle. Through strict rules and the provision of food and lodging they were tied closely to the institution. Here too, an attempt was made to create a family model in which the director took on the role of the strict but caring father. The private lives of nurses are another subject of the investigation. This includes their celibate life. Women of the different nursing institutions were not allowed to get married. In contrast, the deacons and ward attendants were able to obtain a marriage license but only in limited numbers. After five years of service and after being promoted to a higher role an attendant was allowed to marry and start a family. A particular phenomenon was constraints placed on the potential future wife of a deacon. Before the board gave its consent for a deacon to get married, the future bride had to work for six months without being paid by the institution and received basic instructions in the theory of nursing. During this time it was determined to what extent she was able to integrate herself into the institution and if she was fit for the task ahead. If the prospective wife had proved herself the deacon in question got permission to marry her. Spare and leisure time was also subject to strict regulations. The various statutes regulated resting periods and days off which then looked very different in practice. Double shifts were not uncommon. Even recreational activities had strict rules in place such as a nurse could not travel alone in the city or a Red Cross nurse was only allowed to read specially selected literature. Another object of investigation is education, training and the different working areas. Before the Nursing Act of 1906 there were no uniform rules in place on nurse training. Most new nurses were instructed by the senior sisters when working directly on the patient. Moreover to the religious sisterhoods the precepts of Christianity and morality seemed more important than teaching sound knowledge. On the basis of activity as recorded in monitoring reports, statements about general and specialized care can be made as well as on non-care related activities. Psychiatric care takes a special place. New methods such as occupational therapy were practiced by both the ward attendants of the sanatorium and hospital ‘Heil- und Plegeanstalt Illenau’ and the deacons of Nazareth. Furthermore the former working conditions and financial and social benefits for nurses were investigated. Working long hours, little or insufficient time

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Everyday care for inpatients from 1880 to 1930

to recover and increasing staff shortages influenced daily work as well as lack of payment. However, the Red Cross nurses of Düsseldorf received some financial support if deemed necessary. With regards to nursing and disease attention was drawn to infectious illnesses, in particular tuberculosis. The effects of the First World War and the following economic crisis were looked at separately. Finally stress and problems in everyday care and issues between the different medical professionals were discussed. Differences arose because of constraints including poor housing, poor nutrition but also disputes over regularly held prayers influenced the working environment. The fact of men and women having to work together could also lead to disputes. In particular the Deacons of Nazareth complained that they had to work under the guidance of sisters. Prejudice was a factor causing tension. Another potential conflict involved doctors and nurses not working well together. The former, for example, complained about the inadequate training and knowledge of nurses or unauthorized action being taken by nurses while the nurses complained about the inappropriate behaviour of the doctors towards them. Not uncommonly were discrepancies between the ‘Mother House’ and the clinic director the actual cause. Topics such as neglected supervision, theft, alcohol addiction and unauthorized contact with women or violence towards patients are to be found in the list of complaints about staff. The difficult physiological and psychological working conditions with psychiatric patients are particularly considered.

Inhaltsverzeichnis Vorwort............................................................................................................. Pflegealltag im stationären Bereich zwischen 1880 und 1930..................... Everyday care for inpatients from 1880 to 1930 ..........................................

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1 Einleitung ................................................................................................... 1.1 Einführung .......................................................................................... 1.2 Fragestellung und Erkenntnisinteresse ............................................ 1.3 Forschungsstand ................................................................................. 1.4 Quellen und Methoden ..................................................................... 1.5 Aufbau.................................................................................................

23 23 25 27 30 35

2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts .......... 2.1 Entwicklung des Krankenhauses und psychiatrischer Anstalten .. 2.2 Entwicklungen in Medizin und Psychiatrie ..................................... 2.3 Rahmenbedingungen in der Pflege ................................................... 2.4 Resümee ...............................................................................................

36 36 39 46 53

3 Charakterisierung und Sozialprofil der Schwesternschaften und Pflegegruppierungen.......................................................................... 55 3.1 Zusammensetzung des Pflegesektors ............................................... 55 3.1.1 Clemensschwestern aus Münster .......................................... 56 3.1.2 Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau ...................................................................................... 58 3.1.3 Sarepta-Diakonissen aus Bielefeld ........................................ 61 3.1.4 Nazareth-Diakone aus Bielefeld ............................................ 63 3.1.5 Die Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwestern .............................. 64 3.2 Genderaspekte.................................................................................... 66 3.2.1 Rollenerwartungen ................................................................. 66 3.3 Das erstellte Sozialprofil .................................................................... 70 3.3.1 Die Clemensschwestern ......................................................... 73 3.3.2 Das Wartpersonal der Heil- und Pflegeanstalt Illenau ........ 77 3.3.3 Die Sarepta-Schwestern.......................................................... 89 3.3.4 Die Nazareth-Diakone ............................................................ 95 3.3.5 Die Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwestern .............................. 101 3.4 Resümee.............................................................................................. 108 4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen ............ 4.1 „Rituale“ beim Eintritt....................................................................... 4.2 Leben in der Gemeinschaft ............................................................... 4.2.1 Im Mutterhaus ........................................................................ 4.2.2 Schwestern- und Brüdervertretung .......................................

109 109 114 114 122

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Inhaltsverzeichnis

4.3 Privatleben .......................................................................................... 4.3.1 Zölibat – Heirat ....................................................................... 4.3.2 Freizeit und Freistunden......................................................... 4.3.3 Weitere Regelungen................................................................ 4.4 Resümee..............................................................................................

125 125 131 133 134

5 Arbeitsbedingungen .................................................................................. 5.1 Arbeitszeiten ....................................................................................... 5.2 Finanzielle Vergütung ........................................................................ 5.3 Soziale Leistungen ............................................................................. 5.3.1 Invaliditäts- und Altersabsicherung ...................................... 5.3.2 Krankenversicherung ............................................................. 5.4 Urlaub ................................................................................................. 5.5 Erkrankungen ..................................................................................... 5.5.1 Berufsbedingte Erkrankungen ............................................... Kriegsbedingte Erkrankungen .......................................................... 5.6 Arbeitsunfälle ..................................................................................... 5.7 Resümee..............................................................................................

136 137 140 144 145 147 149 151 154 161 162 164

6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen .............. 6.1 Ausbildung.......................................................................................... 6.2 Tätigkeitsbereiche .............................................................................. 6.2.1 Ablauf eines Tages .................................................................. 6.2.2 Allgemeine Pflege ................................................................... 6.2.3 Spezielle Pflege........................................................................ 6.2.4 Pflege in der Psychiatrie ......................................................... 6.2.5 Pflegefremde Tätigkeiten ......................................................... 6.3 Resümee..............................................................................................

166 166 174 176 180 182 185 198 199

7 Spannungsfelder und Probleme ............................................................... 7.1 Konflikte und Beschwerden der Pflegenden aufgrund von Rahmenbedingungen................................................................. 7.1.1 Missstände in der Verpflegung und Unterkunft des Personals ........................................................................... 7.1.2 Arbeitsüberlastung und Personalmangel .............................. 7.1.3 Der Erste Weltkrieg und die Inflation ................................... 7.1.4 Andachten ............................................................................... 7.2 Konflikte des Krankenpflegepersonals ............................................ 7.2.1 Konflikte in den Schwestern-, Brüder- und Wärterschaften ........................................................................ 7.2.2 Konflikte mit den Ärzten ....................................................... 7.3 Beschwerden über das Krankenpflegepersonal .............................. 7.3.1 Verletzung der Aufsichtspflicht .............................................. 7.3.2 Moralisch-sittliche Vergehen.................................................. 7.3.3 Diebstahl .................................................................................. 7.3.4 Gewalt ...................................................................................... 7.4 Resümee................................................................................................

200 200 201 205 206 210 212 212 217 221 221 224 226 228 229

Inhaltsverzeichnis

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8 Schlussbetrachtung .................................................................................... 231 9 Bibliographie .............................................................................................. 9.1 Archivalische Quellen ....................................................................... 9.2 Gedruckte Quellen ............................................................................ 9.3 Forschungsliteratur............................................................................. 9.4 Online-Quellen .................................................................................. 9.5 Bild-Quellen .......................................................................................

234 234 237 239 251 251

Verzeichnis der Grafiken Grafik 1: Übersicht über die Altersverteilung der eingetretenen Barmherzigen Schwestern aus Münster (1880–1930) ........................................................ Grafik 2: Übersicht über die Eintritte der Barmherzigen Schwestern aus Münster (1880–1930)............................................................................. Grafik 3: Übersicht über die eingetretenen und verstorbenen Barmherzigen Schwestern (1880–1930) .............................................................................. Grafik 4: Die Altersverteilung der Barmherzigen Schwestern im Todesfall (1880–1930)................................................................................................... Grafik 5: Übersicht über den Beruf des Vaters der Barmherzigen Schwestern (1880–1930)................................................................................................... Grafik 6: Übersicht über die Altersverteilung der eingetretenen Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) .................. Grafik 7: Übersicht über die Eintritte von Wärterinnen und Wärtern in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) ................................... Grafik 8: Anzahl der gearbeiteten Jahre in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930)................................................................................................... Grafik 9: Austritte der Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930)...................................................................................... Grafik 10: Abgänge der Wärterinnen der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930)................................................................................................... Grafik 11: Abgänge der Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) ... Grafik 12: Die Gründe für Kündigungen von Wärterinnen der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) ............................................................... Grafik 13: Die Gründe für Kündigungen von Wärtern der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) ............................................................... Grafik 14: Beruf des Vaters der Wärterinnen der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1900–1930) ...................................................................................... Grafik 15: Beruf des Vaters der Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1900–1930) ................................................................................................... Grafik 16: Übersicht über die Bildungsabschlüsse der Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) ....................................... Grafik 17: Übersicht über die Altersverteilung der eingetretenen SareptaSchwestern (1880–1930) .............................................................................. Grafik 18: Übersicht über die Eintrittszahlen der Sarepta-Schwestern (1880–1930)................................................................................................... Grafik 19: Übersicht über die Verweildauer der Sarepta-Schwestern (1880–1930)................................................................................................... Grafik 20: Übersicht über die Austritte der Sarepta-Schwestern (1880–1930) ......... Grafik 21: Übersicht über den Beruf des Vaters der Sarepta-Schwestern (1880–1930)................................................................................................... Grafik 22: Übersicht über die Schulbildung der Sarepta-Schwestern 1880–1930) .................................................................................................... Grafik 23: Übersicht über das Eintrittsalter der Nazareth-Diakone (1880–1930) .... Grafik 24: Übersicht über die Eintrittshäufigkeit der Nazareth-Diakone in 5-Jahres-Schritten (1880–1930) ............................................................... Grafik 25: Übersicht über die Verweildauer der Nazareth-Diakone in 5-Jahres-Schritten (1880–1930) ............................................................... Grafik 26: Übersicht über das Austrittsverhalten der Nazareth-Diakone in 5-Jahres-Schritten (1880–1930) ...............................................................

73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 87 88 88 89 90 91 93 94 94 95 96 97 98

Verzeichnis der Grafiken

Grafik 27: Übersicht über die Kündigungsgründe der Nazareth-Diakone (1880–1930)................................................................................................... Grafik 28: Berufe des Vaters der Nazareth-Diakone (1880–1930) ............................. Grafik 29: Berufliche Vorerfahrungen der Nazareth-Diakone (1880–1930) ............. Grafik 30: Das Eintrittsalter der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) ................................................................................................... Grafik 31: Übersicht über die Eintrittshäufigkeit der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) ......................................................................... Grafik 32: Übersicht über die Verweildauer der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) ......................................................................... Grafik 33: Übersicht über das Austrittsverhalten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1908–1930) ........................................................................ Grafik 34: Austrittsgründe der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) ................................................................................................... Grafik 35: Berufe des Vaters der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) ................................................................................................... Grafik 36: Schulbildung der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) ... Grafik 37: Übersicht über die Erkrankungen, an denen die Clemensschwestern verstarben oder vor ihrem Tode gelitten haben (1880–1930) .................. Grafik 38: Übersicht über die Erkrankungen, an denen die Barmherzigen Schwestern aus Münster verstarben oder vor ihrem Tode gelitten haben (1880–1930) ...................................................................................... Grafik 39: Übersicht über die einzelnen Infektionserkrankungen der Rot-KreuzSchwestern aus Düsseldorf (1907–1930) .................................................... Grafik 40: Übersicht über die an Tuberkulose verstorbenen Barmherzigen Schwestern aus Münster (1880–1930) ........................................................

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Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1: Heil- und Pflegeanstalt Illenau: Weberei (1910) ............................................ Abb. 2: Heil- und Pflegeanstalt Illenau: Patienten auf der Sportwiese (1910) ..........

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Abkürzungsverzeichnis B. O. K. D. ccm DDBl EEG GLA HAB ICN kcal kg MAM NA NAPOLA R. V. G. Sar StAD StAFr

Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands Kubikzentimeter Deutsches Diakonenblatt Elektroenzephalographie Generallandesarchiv Karlsruhe Hauptarchiv Bethel International Council of Nurses Kilokalorie Kilogramm Archiv Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern Münster Nazareth-Archiv Nationalpolitische Lehranstalt Reichsversorgungsgesetz Sarepta-Archiv Staatsarchiv Darmstadt Staatsarchiv Freiburg/Brsg.

1 Einleitung 1.1 Einführung Betrachtet man den Pflegealltag auf einer Krankenhausstation in heutiger Zeit, so sind die Ausarbeitung der Visite am Computer, der Umgang mit Perfusoren und Infusomaten sowie die engmaschige Kontrolle der Vitalzeichen über die Zentralüberwachung der Monitore, an die die Patienten angeschlossen sind, wichtige Tätigkeiten der Pflegekräfte. Die genannten Verrichtungen resultieren aus den Errungenschaften der Medizintechnik des 20. und 21. Jahrhunderts und sind eng mit dem Krankenhausalltag einer Universitätsklinik verbunden. Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts war der Pflegealltag ganz anders dominiert und strukturiert. Die Kranken wurden in der Regel von Familienangehörigen zu Hause versorgt, auch Ärzte und Hebammen behandelten ihre Klienten meist in der häuslichen Umgebung. Das Hospital war in diesem Zeitraum kein Krankenhaus im heutigen Sinne, sondern ein Auffangbecken für Verarmte, Alte sowie psychisch und physisch Kranke, die keinen Rückhalt innerhalb der Familie hatten.1 Das Pflegepersonal in den kommunalen Spitälern bestand überwiegend aus un- und angelernten Lohnwärtern und Lohnwärterinnen. Diese entstammten häufig dem gleichen sozialen Umfeld wie die Insassen. Ihre Arbeit unterstützte weniger den therapeutischen Heilungsprozess, sondern deckte vielmehr nur die minimale Grundversorgung ab.2 Daneben finden sich Angehörige katholischer Pflegeorden sowie ab 1836 Diakonissen sowohl in der Hospital- als auch in der Privatpflege. Diese konnten den Personalbedarf jedoch nicht decken, weshalb weiterhin auf das Krankenwärterpersonal zurückgegriffen werden musste. Theodor Fliedner gründete 1836 die Diakonissenanstalt Kaiserswerth. Sie war die erste ihrer Art und das Vorbild für weitere Gründungen. Bereits im ersten Jahresbericht hatte Fliedner ganz deutlich den Einsatz der Schwestern in der Armen- und Bedürftigenpflege sowie in der Gemeindefürsorge als Ziel der Diakonissenausbildung postuliert.3 Charakteristisch für die Diakonissenanstalt war die Institution „Mutterhaus“4 sowie das System der Gestellungsverträge; beides hatte Fliedner von der katholischen Ordenskrankenpflege übernommen5. Ungefähr ab der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte der sogenannte „Kongregationsfrühling“ ein, eine Gründungswelle von katholischen Kongre1 2 3 4

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In Auswahl: Labisch/Spree (2001); Labisch/Spree (1996); Dross (2004); Krause (2005), S. 14. Vgl. Krause (2005), S. 14. Vgl. Felgentreff (1998), S. 25. Die Institution Mutterhaus bildete das Zentrum der Schwesternschaft. Sie sorgte für die Ausbildung, organisierte den Arbeitseinsatz, sicherte die Versorgung der Schwestern auch bei Invalidität und im Alter und war eine Alternative zu Ehe und Familie. Vgl. Kreutzer (2005), S. 35. Vgl. Riesenberger (2002), S. 90. Im Gestellungsvertrag verpflichteten sich die Mutterhäuser gegenüber den Krankenhausträgern als ihren Vertragspartnern, gegen ein sogenann-

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1 Einleitung

gationen, die sich ebenfalls der Krankenpflege widmeten.6 Diese ergänzten mit den zunehmenden Diakonissenanstalten die geschlossenen katholischen Orden und lösten allmählich die Lohnwärter und Lohnwärterinnen in den Krankenhäusern ab.7 Der Pflege von Bedürftigen und Kranken widmeten sich auch überparteiliche, konfessionell ungebundene Einrichtungen wie der Badische Frauenverein, der 1859 von Großherzogin Luise von Baden gegründet wurde.8 Er gilt als Vorläufer der Rot-Kreuz-Schwestern und versuchte die humanitäre Not während der Kriege in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu lindern. Hierbei sind etwa der Krimkrieg (1853–1856), der Sardinische Krieg (1859) und der Deutsch-Französische Krieg (1870/71) zu nennen. Durch das Kriegsgeschehen stieg der Bedarf an Sanitätern, gleichzeitig entwickelte sich ein patriotischer Nationalismus, welcher das Pflegen von Verwundeten und somit auch von Kranken in das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein rückte.9 Der Badische Frauenverein hatte es sich zur Aufgabe gemacht, in Friedenszeiten Kranke zu pflegen und im Kriegsfall dem Vaterland durch die Pflege verwundeter Soldaten zu dienen.10 Er organisierte sich zwar nach dem Mutterhausprinzip, legte jedoch großen Wert auf den interkonfessionellen Charakter seiner Schwesternschaft. Die Vereinsschwestern waren „weltliche“ Schwestern, die kein religiöses Gelübde ablegten und sich nicht, wie bei der Diakonissenanstalt, für jeweils fünf Jahre verpflichteten.11 Aus der ursprünglich christlich motivierten „Liebestätigkeit“ entwickelte sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts allmählich ein anerkannter Beruf. Seit dem frühen 20. Jahrhundert ersetzten ausgebildete und examinierte Pflegekräfte zunehmend das un- und angelernte Personal. In diesen Zeitraum fallen auch die Einführung eines Krankenpflegeexamens in Preußen 1907 sowie im Jahre 1903 die Gründung der Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands (B. O. K. D.), die für eine qualifizierte Ausbildung, bessere Arbeitsbedingungen und eine soziale Absicherung der Krankenschwestern kämpfte.12 Diese Entwicklung und die durch Fortschritte in Medizin und Technik möglich gemachte Umwandlung des Hospitals in moderne Krankenanstalten veränderten auch grundlegend die Ansprüche im beruflichen Alltag der Pflegenden.

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tes Gestellungsgeld bestimmte Aufgaben mit einer bestimmten Anzahl von Schwestern zu übernehmen. Vgl. Helmerichs (1992), S. 45. Vgl. Meiwes (2000). Vgl. Käppeli (2004), S. 102. z Vgl. Lutzer (2002), S. 29 f. Vgl. Verband (2007), S. 19. Vgl. Riesenberger (2002), S. 91. Vgl. Lutzer (2002), S. 435. Bereits 1906 kam es zu einem Bundesratsbeschluss über die Einführung eines Krankenpflegeexamens, dieser wurde 1907 durch einen preußischen Erlass umgesetzt. Siehe Schweikardt: Entwicklung (2008).

1.2 Fragestellung und Erkenntnisinteresse

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1.2 Fragestellung und Erkenntnisinteresse Das Ziel dieser Arbeit ist es, den Pflegealltag der verschiedenen Pflegegruppierungen im stationären Bereich zwischen 1880 und 1930 aufzuzeigen. Wie bereits Dorothee Wierling 1998 feststellte, ist die Dimension des Alltags nicht auf einen bestimmten Lebensbereich zu begrenzen und scheint durchaus mehr als die tägliche Arbeitsroutine zu sein.13 In der hier vorliegenden Arbeit bezieht sich der Begriff „Pflegealltag“ jedoch primär auf das Tätigkeitsfeld der Pflegenden unter den jeweils herrschenden Rahmenbedingungen. In den einzelnen Kapiteln werden darüber hinaus auch verschiedene Aspekte des Lebens beleuchtet, die Auswirkungen auf den Pflegealltag hatten. Exemplarisch wurden hierzu von der konfessionellen Pflege die Clemensschwestern aus Münster, die Sarepta-Diakonissen und Nazareth-Diakone aus Bielefeld, von der weltlichen Pflege die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf sowie die Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau untersucht. Dem genannten Wartpersonal kommt im Rahmen der Arbeit eine Sonderposition zu, da es ausschließlich mit psychisch Erkrankten arbeitete, während die anderen Pflegegruppierungen je nach Bedarf in verschiedenen Tätigkeitsbereichen eingesetzt wurden. Der Entschluss, eine Diakonisse, ein Diakon oder eine RotKreuz-Schwester bzw. Wärterin oder Wärter zu werden, war keine Berufswahl im heutigen Sinne, eher eine Lebensentscheidung, die gegebenenfalls revidiert werden konnte oder musste. Da die meisten Pflegenden einem Mutterhaus angehörten, galt für sie das Entsendungsprinzip. Was dies für die Einzelnen genau bedeuten konnte, soll ebenfalls in dieser Arbeit analysiert werden. Daneben sollen die ausgewählten Pflegegruppierungen untersucht werden. Hierbei orientiere ich mich an den Veröffentlichungen von Jutta Schmidt14 und Silke Köser15, die über die soziale Stellung und Eintrittsmotivation der Kaiserswerther Diakonissen geschrieben haben, sowie an der Untersuchung von Christiane Borchers16 über die Sarepta-Diakonissen. Mittels einer eigens erstellten Datenbank konnte jeweils ein Sozialprofil für die einzelnen Pflegegruppierungen erstellt werden. Neben Informationen über die soziale Herkunft, das Eintrittsalter und die Schulbildung erfährt man aus den Angaben der Personalakten, die in diese Datenbank eingegeben wurden, auch etwas über die Kündigungs- und Austrittsgründe. Der Frage, welche Beweggründe oder Motivation damals eine junge Frau oder ein junger Mann hatten, einer bestimmten Pflegegruppierung beizutreten, soll ebenfalls nachgegangen werden. Denn Mitglied in einer Schwestern- oder Bruderschaft zu sein, bedeutete ein Leben in einer Gemeinschaft und die teilweise Aufgabe eigener persönlicher Freiheiten. Eine hohe Fluktuationsrate bei dem Wartper13 14 15 16

Vgl. Wierling (1998), S. 170. Schmidt (1998). Sie bezieht sich in ihren Ausführungen unter anderem auf Umland (1992). Köser (2006). Borchers (2001). In der Untersuchung berechnet sie Aufnahmealter, Verweilzeit, Dauer bis zur Einsegnung und Sterbealter der Schwestern zwischen 1869 und 1996.

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1 Einleitung

sonal und den Nazareth-Diakonen weist auf eine Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität hin. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. In dieser Zeit begannen große Debatten über notwendig gewordene Reformen in der Krankenpflege, die immer wieder auflebten, weil Veränderungen – mit Ausnahme der genannten Einführung des Krankenpflegeexamens in Preußen 1907 – nicht oder nur sehr zögerlich eintraten. Der Wandel vom karitativen Liebesdienst zu einer Erwerbstätigkeit vollzog sich in diesem Zeitraum zwar faktisch17, der Änderung wurde aber in vielerlei Hinsicht, etwa in Form einer sozialen oder finanziellen Absicherung, nicht Rechnung getragen. Im diesem Zusammenhang ist auch von Interesse, wie die verschiedenen Ausbildungsmodalitäten und sozial-ökonomische Aspekte für die einzelnen Pflegegruppierungen geregelt waren und inwieweit bzw. ob sich diese während des genannten Zeitraums verändert haben. Darunter fällt neben der Urlaubsregelung auch die Versorgung der Pflegenden bei Krankheit und Invalidität sowie im Alter. Der stationäre Alltag wurde ganz entschieden durch die Arbeitsbedingungen beeinflusst. Hierbei spielen die Arbeitszeit-, Pausen- und Freizeitregelungen18 eine wichtige Rolle. Es ist bereits aus Umfragen der B. O. K. D. von 1910 bekannt, dass ein 14-Stunden-Tag bei den weltlichen Krankenschwestern keine Seltenheit war19, doch betraf dieser Missstand fast alle Pflegegruppierungen, vorwiegend die konfessionellen Schwestern und Brüder, für die Selbstaufopferung ein Stück weit zum Selbstverständnis gehörte. Die schlechten Arbeitsbedingungen führten mitunter auch zu Konflikten zwischen dem Mutterhaus bzw. der Anstaltsdirektion und den Pflegenden. Die Pflegearbeit an sich konnte sowohl physisch als auch psychisch für die Einzelnen äußerst belastend sein. Unter dem Begriff „Spannungsfelder“ sollen die aufgetretenen Kontroversen und Probleme im Pflegealltag aufgezeigt werden. Wie sah der klassische Arzt-Schwestern-Konflikt im ausgehenden 19. Jahrhundert aus, welche Konflikte entstanden unter den Pflegenden und mit welchen Mitteln konnten sie geschlichtet werden? Hierbei ist neben einer Analyse der eigentlichen Konfliktursachen auch der Umgang mit Krisensituationen von Interesse. Nicht immer waren die hierarchischen Strukturen ursächlich für Spannungen zwischen und mit dem Personal. Inwieweit auch geschlechtsspezifische Aspekte eine Rolle spielten, wird an gegebener Stelle erörtert werden. Eine weitere Dimension des Arbeits- und Lebensalltags der Pflegenden ist deren Gefühlserleben, ihre Freuden oder Ängste und Sorgen. Wenngleich die Quellen dazu nicht allzu viel hergeben, sollen die vorliegenden Informationen doch in die Auswertung einfließen. Da trotz der im 19. Jahrhundert einsetzenden Verdrängung der Männer aus der Krankenpflege sowohl weibliche als auch männliche Pflegegruppierungen untersucht wurden, besteht bei manchen Themen die Möglichkeit, 17 18 19

Vgl. Lutzer (2002), S. 452 f. Mit Freizeitregelung sind die arbeitsfreien Tage gemeint. Auswertung dieser Umfrage bei Hummel/Seidler/Kuhlo (1986), S. 157–164.

1.3 Forschungsstand

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einzelne Aspekte des Pflegealltags, der Arbeits- und Rahmenbedingungen zu vergleichen und geschlechtsspezifische Unterschiede herauszuarbeiten. 1.3 Forschungsstand Anders als in den angloamerikanischen Ländern blickt die deutschsprachige Pflegegeschichte auf eine eher kurze Zeitspanne zurück.20 Bis Ende der 1970er Jahre war sie je nach Autor oder Autorin von einer „Opfer-“, „Heroen-“ oder Ereignisgeschichte geprägt, ohne sozialgeschichtliche Zusammenhänge ausreichend zu berücksichtigen.21 Innerhalb der Medizingeschichte kam die Geschichte der Pflege meist nur am Rande vor.22 Seit den 1990er Jahren änderte sich die Forschungslandschaft zusehends. Das hing auch mit der Akademisierung der Pflege in den deutschsprachigen Ländern zusammen, die ein größeres Interesse an der Geschichte dieses Berufsstandes hervorrief.23 Zu den neuen Forschungsschwerpunkten gehört unter anderem die Aufarbeitung der Rolle der Pflege in der Zeit des Nationalsozialismus.24 Auch die Frauen- und die Geschlechtergeschichte beschäftigten sich im Rahmen der „Gender Studies“ speziell mit der Frauenrolle im Pflegeberuf.25 Andere Arbeiten stammen aus der soziologischen Forschung, also aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich.26 Trotz dieser Beiträge beschränkten sich bis Mitte der 1990er Jahre die meisten Werke auf chronologische Darstellungen von Ereignissen und Persönlichkeiten. Das Interesse galt hierbei der Vermittlung eines Überblicks über die Organisations- und Mitgliederstruktur des Vereinswesens bzw. eines Überblicks zur Entstehungsgeschichte.27 Ein weiterer Schwerpunkt der historischen Forschung war die Professionalisierung der Pflege mit dem Ziel, deren Entwicklung aufzuzeigen und ein besseres Verständnis des gegenwärtigen Wandels zu vermitteln.28 20 Vgl. Eckart/Jütte (2007), S. 286–295; Recken (2009), S. 27. 21 Zum Beispiel Schmidt-Meinecke (1981); Sticker (1984); Katscher (1957); Bauer (1965); Kracker von Schwartzenfeldt (1975). 22 Eine Ausnahme bildet hier das Buch von Eduard Seidler und Karl-Heinz Leven, in dem der Geschichte der Krankenpflege deutlich mehr Platz eingeräumt wird. Vgl. Seidler/ Leven (2003). 23 Für die Schweiz: Fritschi (1990); Dätwyler u. a. (1999). Für Österreich: Seidl/Steppe (1996); Sailer (2003); Walter (2004). 24 Hierzu Steppe/Koch/Weisbrod-Frey (1986); zu späteren Veröffentlichungen siehe Breiding (1998); Fürstler/Malina (2004). 25 Ein frühes Beispiel noch aus den 1980er Jahren ist die Arbeit von Bischoff (1984). Hier kritisierte Eduard Seidler zu Recht die einseitige Darstellung, welche sich überwiegend auf die Herausarbeitung der Entwicklung zum Frauenberuf beschränkte. Vgl. Seidler/ Leven (2003), S. 23. 26 Hierzu Helmerichs (1992); Schmidbaur (2002); Hummel/Seidler/Kuhlo (1986). 27 Vgl. Riesenberger (2002); Lutzer (2002); Elster (2000); Benad: Bodelschwingh (1997). 28 Siehe hierzu Stadlober-Degwerth (2006); Barandum Schäfer (2006); Dommann (2006); Schweikardt: Entwicklung (2008).

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1 Einleitung

Neuere Arbeiten zeigen, dass sich die Geschichte der Pflege in den letzten Jahren zu einem innovativen Forschungsfeld entwickelt hat.29 So griff beispielsweise Silvia Käppeli mit ihrer Geschichte des „Mit-Leidens“ in der christlichen, jüdischen und freiberuflichen Krankenpflege ein neues Thema auf. Ausgehend von der biblischen Zeit beschreibt sie die Entwicklung der Krankenpflege bis in die Gegenwart.30 Mit dem Frauenleitbild und der Berufsrolle einer bürgerlichen Frau innerhalb der Mutterhausdiakonie im 19. Jahrhundert befasste sich Jutta Schmidt.31 Sie bezog sich unter anderem auf die Diakonissenschaft aus Kaiserswerth. Diese war auch Untersuchungsgegenstand von Silke Köser. Sie beleuchtete deren Eintritts- und Berufsmotivationen sowie die Ausprägung einer „kollektiven Identität“, die ihr zufolge maßgeblich zum Erfolg der Mutterhausdiakonie beigetragen habe.32 Einen wichtigen Beitrag zur Pflegegeschichte leistete Sylvelyn HähnerRombach mit der Veröffentlichung einer kommentierten Quellensammlung zur Geschichte der Krankenpflege. Darin stellte sie auch Einführungen zu verschiedenen Themenfeldern bereit, darunter berufliche Entwicklung, Alltag in der Pflege und Geschlechterverhältnisse.33 In älteren Veröffentlichungen zur Pflegegeschichte wurde bis dahin überwiegend auf Teilaspekte des Pflegealltags eingegangen – etwa Arbeitszeiten, Entlohnung, fehlende soziale Absicherung –, zum eigentlichen Thema ist er jedoch selten geworden. Umso erfreulicher ist es, dass er in aktuellen Beiträgen zur Pflegegeschichte ein Forschungsschwerpunkt wurde. Einen Überblick darüber gibt die Veröffentlichung der Vorträge des 8. Internationalen Kongresses zur Geschichte der Pflege, dessen Thema „Alltag in der Pflege – wie machten sich Pflegende bemerkbar?“ war.34 Die Beiträge beleuchteten ganz unterschiedliche Aspekte wie die Ausbildung35 oder Arbeitsbedingungen36 in der Pflege, aber auch Gewalt gegen Pfleglinge in der Psychiatrie37 wurde thematisiert. Desgleichen sind die Beiträge der zweiten Internationalen Tagung zur Pflegegeschichte des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung zu nennen.38 Auch hier war das Ziel, die Alltagsgeschichte der Krankenpflege verstärkt ins Zentrum zu rücken. Die verschiedenen Aufsätze bilden ein breites Spektrum des Pflegealltags ab. Neben Untersuchungen zur Ge29 Hierzu verhalf auch die Robert Bosch Stiftung durch ihr Programm „Beiträge zur Pflege“, welches seit August 2004 zahlreiche Projekte zur Pflegegeschichte unterstützte. Dazu gehören neben Promotionsstipendien zur Geschichte der Pflege auch die Finanzierung von nationalen und internationalen Tagungen, die Sicherung von Quellen, Forschungsprojekte und Publikationen. 30 Vgl. Käppeli (2004), S. 31. 31 Schmidt (1998). 32 Köser (2006). 33 Hähner-Rombach: Quellen (2008). 34 Thiekötter u. a. (2009). 35 Resch (2009). 36 Stöhr (2009). 37 Braunschweig: Raufereien (2009). 38 Hähner-Rombach: Alltag (2009).

1.3 Forschungsstand

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meinde- und Hauskrankenpflege39 sind darunter auch Beiträge zum Psychiatriealltag40 und zur Migration von koreanischen Pflegekräften in den 1960er Jahren41. Die deutsche Kriegskrankenpflege weist derzeit noch große Forschungslücken auf.42 Eine dieser Lücken hat die Arbeit von Astrid Stölzle zur Kriegskrankenpflege des Ersten Weltkriegs soeben geschlossen. Sie geht in ihrer Arbeit auch auf den Pflegealltag in den Lazaretten und der Etappe ein.43 Die Weimarer Republik gehörte bis vor kurzem zu den vernachlässigten Untersuchungszeiträumen der Pflegegeschichte. Mit der Analyse des beruflichen Werdegangs von Schwestern des Evangelischen Diakonievereins Zehlendorf von Ulrike Gaida liegt nun eine detaillierte prosopographische Studie vor.44 Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist durch Susanne Kreutzers Forschungen die Lage besser.45 Der beruflichen Entwicklung der Krankenpflege in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik nimmt sich Andrea Thiekötter an.46 Auch die bislang meist vernachlässigte Psychiatriepflege wurde in neueren Forschungen berücksichtigt, hierzu sind die Arbeiten von Dorothe Falkenstein47 und Traudel Weber-Reich48 zu nennen sowie für die Zeitgeschichte Sabine Braunschweig49. Auch wenn der Pflegealltag stärker in den Mittelpunkt der neueren Forschungen gerückt ist, so wurden größtenteils einzelne Aspekte wie Arbeitszeit, Ausbildung oder Verweildauer und Austrittsmotivation für eine Pflegegruppierung thematisiert. Mit der vorliegenden Dissertation werden erstmals sechs Pflegegruppierungen umfassend in Bezug auf ihren Pflegealltag untersucht. Das Besondere dieser Arbeit, wodurch ein anschauliches und umfassendes Bild der Pflegenden und des Pflegealltags wiedergegeben werden soll, sind mehrere Aspekte. Zum einen repräsentieren die verschiedenen Gruppierungen alle damaligen für den Untersuchungszeitraum relevanten Vertreter, welche sich der Pflege Kranker im stationären Bereich annahmen. Darunter fallen Repräsentanten der sogenannten konfessionellen Pflege, wie Nonnen, Diakonissen und Diakone, des Weiteren weltliche Schwestern, vertreten durch die Rot-Kreuz-Schwestern und ungeschultes Wartpersonal. Zum anderen wer-

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Nolte (2009); Kreutzer: Freude (2009). Braunschweig: Zwischenfälle (2009). Ulrike Winkler (2009). Panke-Kochinke/Schaidhammer-Placke (2002). Stölzle (2013). Gaida (2011). Siehe Kreutzer (2003); Kreutzer: Praxis (2006); Kreutzer (2008); Kreutzer (2005); Kreutzer: Hierarchien (2006); Kreutzer: Gemeindepflege (2009); Kreutzer: Freude (2009); Kreutzer: Fragmentierung (2010). Thiekötter (2006). Falkenstein (2000); Falkenstein (2006). Weber-Reich (2003). Siehe Braunschweig (1991); Braunschweig (1994); Braunschweig (2004); Braunschweig (2007); Braunschweig: Zwischenfälle (2009); Braunschweig: Raufereien (2009).

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1 Einleitung

den sowohl weibliche als auch männliche Pflegende in den Blick genommen, womit auch geschlechterspezifische Aspekte untersucht werden können. 1.4 Quellen und Methoden Quellen Die vorhandene Quellenlage variierte bei den verschiedenen Pflegegruppierungen zum Teil recht stark, obwohl versucht wurde, Gruppierungen zu finden, die über eine gute Überlieferung verfügen. Gründe für die ungleiche Dichte der Quellen sind die unterschiedlichen Dokumentationsweisen und die Organisationsstruktur. So gibt es zahlreiche Briefe von Bielefelder Diakonissen und Diakonen, die regelmäßig an das Mutterhaus schrieben, jedoch kaum Korrespondenz von der Wärterschaft der Heil- und Pflegeanstalt Illenau oder den Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf. Der lange und relativ früh einsetzende Untersuchungszeitraum bedingt ebenso Lücken der Überlieferung wie Kassationen und kriegsbedingte Verluste. Die Basis meiner Untersuchung über den Pflegealltag bilden Personalunterlagen und Nachrufe auf verstorbene Schwestern, aber auch serielle Quellen wie Eintrittsbücher und Personalkarteikarten. Umfassende Unterlagen zum Personal sind nur für die Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau und für die Nazareth-Diakone aus Bielefeld vorhanden. Bei den RotKreuz-Schwestern aus Düsseldorf und den Sarepta-Diakonissen aus Bielefeld waren sie nur in geringer Anzahl erhalten, so dass mangels vergleichbarer Quellen nicht alle Fragen ausgewertet werden konnten. Das für die Statistik relevante Material, aus dem eine kollektive Biographie erstellt wurde, lässt sich in verschiedene Gruppen einteilen. Zum einen stütze ich mich auf Lebensläufe, welche die Bewerberinnen und Bewerber zur Aufnahme ins Mutterhaus bzw. in die Anstalt anfertigen mussten. Diese waren für die Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau und für die Nazareth-Diakone vorhanden. Darin schilderten die Bewerberinnen und Bewerber ihren schulischen und beruflichen Werdegang und gaben Hinweise auf ihre soziale Herkunft, meist durch eine standardisierte Formulierung wie zum Beispiel „wurde ich als Kind des Landwirts Weber A. am 04.04.1880 geboren“.50 Sowohl das Wartpersonal als auch die Diakone dokumentierten im Rahmen einer beruflichen Prüfung einen Arbeitstag in der Anstalt. Leider konnten in der vorliegenden Arbeit nur wenige jener Protokolle ausgewertet werden, da diese Art von fachlicher Qualifizierung erst in den letzten Jahren des Untersuchungszeitraums vom Personal gefordert wurde. Des Weiteren sind von diesen beiden Pflegegruppierungen in den Personalakten Beschwerdeberichte und Beurteilungsprotokolle vorhanden. 50 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Linus Weber. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2601.

1.4 Quellen und Methoden

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In den Nachrufen auf zwischen 1880 und 1930 verstorbene Clemensschwestern wurden neben Alter und Eintritts- bzw. Einsegnungs- und Sterbedatum auch die Todesursache und teilweise die Berufe der Eltern genannt. Auf die akribisch geführten Eintrittsbücher stützen sich die Aussagen für die Sarepta-Schwestern aus Bielefeld. Neben den Angaben über ihr Eintrittsalter erhält man auch Auskunft über Geburts-, Eintritts- und Einsegnungsdatum sowie ggf. Entlassungsdatum bzw. den Zeitpunkt, an dem die Diakonisse in den sogenannten „Feierabend“51, also Ruhestand, ging. Die letzte bedeutende Quellengruppe bilden Personalkarteikarten, welche für die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf erhalten sind. Mit Hilfe dieser Akten können Informationen über das Eintritts- und Austrittsalter sowie über die soziale Herkunft52 gewonnen werden. Ebenfalls dokumentiert sind Krankheiten und deren Dauer, der vom Mutterhaus genehmigte Urlaub und das Gehalt. In den vorhandenen Personalunterlagen sind neben Beurteilungsbogen auch Tätigkeitsnachweise enthalten. Eine weitere Quellengattung sind Ego-Dokumente wie Briefe und Tagebuchaufzeichnungen. Diese sind überwiegend für die Sarepta-Diakonissen und Nazareth-Diakone vorhanden. Für die Rot-Kreuz-Schwestern liegen in geringer Anzahl Korrespondenzen vor. Inhaltlich beziehen sich diese meist auf Kündigungen, Einsegnungen oder Versicherungsstreitigkeiten. Haus- und Berufsordnungen, welche für alle Pflegegruppierungen erhalten sind, geben Auskunft über Arbeitsbedingungen. Darunter fallen neben der Entlohnung, den Arbeitszeiten und den Tätigkeitsfeldern auch die Regelung von hierarchischen Strukturen und die Versorgung im Krankheitsfall. Außerdem wurden in die Untersuchung gedruckte Quellen einbezogen. Dazu gehören neben den Zeitschriften der beruflichen Zusammenschlüsse, wie Unterm Lazaruskreuz der Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands oder der Sanitätswarte der gewerkschaftlich organisierten Krankenpflegerinnen und -pfleger, Bücher und Broschüren, die auf verschiedene wirtschaftliche und soziale Probleme des frühen 20. Jahrhunderts aufmerksam machen.53 Durch die Analyse dieser Schriften lassen sich die Positionen und Forderungen sozialpolitisch engagierter Persönlichkeiten im pflegerischen Sektor wiedergeben. Außerdem können aus ihnen Eindrücke zur Lebens- und Arbeitssituation der Pflegenden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gewonnen werden. Ergänzend werden Bücher und Broschüren zur Organisation und Ausbildung der Krankenpflege und Irrenpflege im ausgehenden 19 und frühen 20. Jahrhundert berücksichtigt.

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Eine Diakonisse ging nicht in den Ruhestand, sondern in den Feierabend, da man aus „innerer Berufung“ Diakonisse wurde und somit nicht in einem normalen Arbeitsverhältnis stand. 52 Als Parameter der sozialen Herkunft dient der Beruf des Vaters. 53 Hierzu Streiter (1910); Streiter (1924).

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1 Einleitung

Methoden und Ansätze Qualitative und quantitative Statistik Die vorliegende empirische Studie basiert auf der Auswertung einer eigens hierfür erstellten Datenbank. Für jede erfasste Schwester und Wärterin sowie für jeden erfassten Bruder und Wärter wurde jeweils ein Datensatz gebildet, insgesamt 11.390 Datensätze.54 Bei den Nazareth-Diakonen gab es eine Differenz zwischen den in den Eintrittsbüchern dokumentierten ein- bzw. nach kurzer Zeit wieder ausgetretenen Brüdern und der in den untersuchten Personalakten tatsächlich festgestellten Personenzahl. In einem Fünf-Jahres-Turnus, beginnend mit dem Jahr 1880, wurden die Personalakten der Nazareth-Diakone gesichtet. Hierbei wurden 181 Diakone mehr erfasst als in den Eintrittsbüchern für dieselben Zeiträume. Diese Brüder waren jedoch alle nach kurzer Zeit wieder ausgetreten, weswegen sie wohl in den Eintrittsbüchern nicht dokumentiert wurden. Genauere Angaben oder Gründe für die unterschiedlich dokumentierte Anzahl an Brüdern fanden sich nicht. Die Sample-Bildung von Fünf-Jahres-Schritten war notwendig, um die Menge an Daten operationalisierbar zu machen.55 Neben den Namen der Pflegenden wurden folgende Daten aufgenommen: das Geburts-, Eintritts-, ggf. Austritts- oder Pensionierungsdatum oder der Todestag. Dazu kamen Auskünfte zu Gehalt, Urlaubstagen und Krankheitstagen. Bei den männlichen Vertretern der Pflegenden ist deren Familienstand sowie der eventuell geleistete Militärdienst erfasst worden. Für eine qualitative Auswertung waren Angaben zu Krankheiten, den Austritts- und Kündigungsgründen, dem Beruf des Vaters und zu eigenen beruflichen Vorerfahrungen von Interesse. Die zunächst im Wortlaut erfassten Angaben wurden durch weitere Daten ergänzt. Zum einen handelt es sich hierbei um das errechnete Eintrittsalter und die Verweildauer, zum anderen um eigene Kategorien wie Erkrankungen, Berufsgruppen, Kündigungs- und Austrittsgründe. Zudem mussten für manche Berechnungen die Daten angepasst werden. Aufgrund der Datengröße können vereinzelte Falscheingaben vernachlässigt werden.56 54 Diese Anzahl setzt sich zusammen aus 727 Wärterinnen und 440 Wärtern der Heil- und Pflegeanstalt Illenau, 3.480 Clemensschwestern aus Münster, die über die Eintrittschronik erfasst wurden, 1.331 Clemensschwestern, die anhand der Nachrufe gesichtet wurden, 1.102 Nazareth-Diakonen, die über Eintrittslisten, und 416, die aus Personalakten erfasst wurden, 3.118 Sarepta-Diakonissen, welche über die Eintrittsbücher, und 327 Sarepta-Diakonissen, die über Personalunterlagen in die Datei aufgenommen wurden, 424 Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, welche über Personalkarteikarten, und 25, die über Personalakten gesichtet wurden. 55 Jedoch weist auch dieses statistische Auswahlverfahren seine spezifischen Probleme auf. Durch die gewählten Zeitschnitte werden nur kurze Zeiträume schlaglichtartig beleuchtet. Es kann hierbei nicht gewährleistet werden, dass die ausgewählten Jahre auch tatsächlich „typisch“ waren. 56 Mit Falscheingaben sind in manchen Fällen ein unkorrektes Geburtsdatum bzw. nicht mehr vollständig lesbare Angaben darüber gemeint.

1.4 Quellen und Methoden

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Problematisch war die Einordnung der Berufsgruppen von Pflegenden und deren Vätern. Anhand der Vermerke in den Quellen kann man nur begrenzt aus den Berufsangaben auf die tatsächliche soziale Position innerhalb der Gesellschaft schließen, auch wenn in der soziologischen und sozialgeschichtlichen Forschung die Berufsangabe als wichtiger Hinweis „auf ein Bündel sozialrelevanter Kriterien wie Bildungsstand, Qualifikation, wirtschaftliche Lage, Selbständigkeit, Einfluß und Ansehen“57 gilt. Da die notwendigen Informationen zu Gehalt und anderen Merkmalen des sozialen Status fehlten, kann sich zum Beispiel hinter der Angabe des Berufs „Landwirt“ ein kleiner Bauer, der gepachtetes Land bewirtschaftet, oder aber ein reicher Großgrundbesitzer verbergen.58 Um dennoch ein aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten, wurden die einzelnen Berufe Gruppen zugeordnet, die gesellschaftlichen Schichten entsprachen, und zwar in Anlehnung an das Schichtenmodell von Hartmut Kaelble.59 Die Bildung der Krankheitsrubriken geschah zum einen anhand der jeweils erkrankten Organe60 und zum anderen im Hinblick auf die Prognose, also ob es sich um eine chronische oder akute Krankheit handelte. Wegen der hohen Mortalitätsrate bei Tuberkulose und Diphtherie im 19. Jahrhundert wurde zudem noch zwischen den Infektionskrankheiten unterschieden. Es handelt sich hierbei ausschließlich um eine deskriptive Statistik, d. h. es können keine Aussagen über Diakonissen im Allgemeinen gemacht werden. Vielmehr spiegeln die Ergebnisse die damalige Wirklichkeit lediglich für die hier untersuchten Pflegegruppierungen wider. Auf die Bestimmung des Mittelwertes61 wurde verzichtet, da dieser für die Beantwortung der Fragestellungen irrelevant wäre. Um spezielle Charakteristika der untersuchten Gruppen aufzuzeigen, wurde eine graphische Darstellung der Ergebnisse gewählt, die auf- oder abgerundet wurden, weswegen es durchaus zu Abweichungen in der Gesamtsumme kommen kann. Abhängig von der Quellenlage liegen für manche Pflegegruppierung nur wenige oder gar keine Informationen zu einzelnen Untersuchungsparametern vor. Prosopographie – Kollektive Biographie „Prosopography“ nennt es der englische Sozialhistoriker Lawrence Stone, als „Kollektive Biographie“ bezeichnet der Historiker Wilhelm Heinz Schröder die Erforschung eines bestimmten Personenkollektivs. Stone und andere Autoren verwenden die beiden Begriffe allerdings synonym.62 Zum besseren 57 58 59 60 61 62

Ditt (1982), S. 30. Zur Bedeutung des Berufes und zu verschiedenen Schichtungsmodellen vgl. Wiehn/Mayer (1975), S. 13–31. Die Problematik, vom Beruf auf die Schichtzugehörigkeit zu schließen, wurde auch bei Vogl (1990), S. 170 f., aufgegriffen. Kaelble (1983). Diese Einteilung orientierte sich an der von Jenner (2004), S. 129. Berechnung siehe Rasch u. a. (2006), S. 17. Vgl. Eckart/Jütte (2007), S. 224.

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1 Einleitung

Verständnis sollen im Folgenden der Begriff und die Bedeutung für die vorliegende Arbeit skizziert werden. Schröder ordnet den Terminus Prosopographie den Altertumswissenschaften und der Mediävistik zu, er bedeute in erster Linie „ein aus Quellen […] erarbeitetes Verzeichnis sämtlicher bekannter Personen innerhalb eines begrenzten Zeitabschnitts“.63 Erst in zweiter Linie gehe es um die Methoden zur Auswertung dieser Verzeichnisse. Abgrenzend hierzu stütze sich die Kollektive Biographie auf eine empirische und quantitative Untersuchung, welche auf der Analyse der individuellen Lebensläufe der jeweiligen Kollektivmitglieder basiere.64 Eine ähnliche Definition gibt Stone für den Begriff Prosopographie. Er spricht von „der Untersuchung der allgemeinen Merkmale des Werdegangs einer Gruppe […] durch ein umfassendes Studium ihrer Lebensläufe“.65 Untersuchungsgegenstände können hierbei unter anderem Geburt, Familie, Heirat, Berufserfahrung, wirtschaftliche Stellung, Wohnsitz und Religion sein.66 Für die vorliegende Untersuchung wurde ein Personenregister aller in den jeweiligen Quellen dokumentierten Pflegenden für den Zeitraum von 1880 bis 1930 erstellt. In einem weiteren Schritt wurden einzelne Daten wie beispielsweise Eintrittsalter und Verweildauer berechnet. Darüber hinaus wurden einige der erfassten Kategorien wie Austritts- und Kündigungsgründe in Bezug zu den damaligen Lebens- und Arbeitsbedingungen gesetzt. Damit sollen die einzelnen Pflegegruppierungen plastischer werden. Jedoch bietet eine rein prosopographische Arbeit keine Informationen zum Pflegealltag. Um diesen anschaulicher werden zu lassen, müssen andere Quellen und Methoden hinzugezogen werden. Alltags- und Geschlechtergeschichte Für die alltagsgeschichtliche Analyse geben die bereits erwähnten Tätigkeitsberichte, Beobachtungsprotokolle, Beschwerdebriefe und Tagebuchaufzeichnungen sowie die Chronik der Clemensschwestern aus Münster Aufschluss. Diese Quellen gewähren einerseits einen Einblick in die Tätigkeitsfelder der Pflegenden, andererseits berichten sie von ihren Sorgen und Problemen. Im Mittelpunkt stehen die Schilderungen der sogenannten „kleinen Leute“ über die verschiedenen Facetten ihres Lebens.67 Diese Texte werden einer inhaltlichen Analyse unterzogen. Aussagen zu den verschiedenen Aspekten des Pflegealltags werden in übergeordneten Kategorien gesammelt. Auf diese Weise konnten Informationen zu Tätigkeitsfeldern, Problemen und Spannungen sowie Arbeits- und Lebensbedingungen gewonnen werden. 63 64 65 66 67

Vgl. Fuchs/Raab (1980), S. 646. Vgl. Schröder: Biographien (1985), S. 8. Vgl. Stone/Stone (1984), S. 64 f. Vgl. Eckart/Jütte (2007), S. 225. Vgl. Lüdtke: Einleitung (1989), S. 9.

1.5 Aufbau

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Mit Hilfe der Geschlechtergeschichte68 sollen die sozial und kulturell konstruierten „Rollen“ von Männern und Frauen in der Pflege zwischen 1880 und 1930 aufgezeigt werden. In einem weiteren Schritt wird die differenzierte Behandlung beider Geschlechter herausgearbeitet, die Auswirkungen auf das private, berufliche und gesellschaftliche Leben hatte. In diesem Zusammenhang spricht Cornelia Behnke von der „über Geschlecht vermittelten sozialen Ungleichheit“.69 Mit Hilfe eines Vergleiches werden Geschlechterdifferenzen, aber auch Gemeinsamkeiten herausgearbeitet. Darüber hinaus werden die einzelnen untersuchten Pflegegruppierungen ebenfalls miteinander verglichen. Hierbei geht es weniger um eine Bewertung als darum, signifikante Merkmale herauszuarbeiten und diese untereinander in Bezug zu setzen. 1.5 Aufbau Das erste Kapitel gibt einen kurzen Überblick über die historische Entwicklung des Krankenhauses und der „Irrenanstalt“ sowie über die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die damals bahnbrechend für die Medizin waren. Anschließend werden die einzelnen Pflegegruppierungen vorgestellt. Das Kapitel „Lebensbedingungen und -umstände“ beleuchtet den Alltag außerhalb der Stationsarbeit. Dabei sind auch Organisationsstrukturen und die Freizeitgestaltung von Interesse. Das darauffolgende Kapitel zeigt die damaligen Arbeitsbedingungen auf, die für die einzelnen Pflegegruppierungen galten. Die Ausbildungsmodalitäten und die verschiedenen Pflegetätigkeiten, auch mit Blick auf die Irrenpflege, behandelt das sechste Kapitel. Abschließend geht es um Spannungen, Konflikte und Probleme im Pflegealltag, hervorgerufen durch Personalknappheit, hohe Arbeitsbelastung, zwischenmenschliche Diskrepanzen oder Fehlverhalten.

68 Zur Geschlechterforschung siehe Frevert (1993); Honegger (1991); Becker/Kortendiek (2008). 69 Behnke/Meuser (1999), S. 7.

2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts Im Folgenden wird ein kurzer historischer Überblick über die Entstehung des modernen Krankenhauses bzw. psychiatrischer Anstalten, über die Entwicklungen und Erkenntnisse in Medizin und Psychiatrie sowie über die für die Pflege relevanten Rahmenbedingungen im 19. und 20. Jahrhundert gegeben. 2.1 Entwicklung des Krankenhauses und psychiatrischer Anstalten Entwicklung des Krankenhauses Das 19. Jahrhundert war vor allem ab der Jahrhundertmitte durch einen Aufbruch der Medizin in die Moderne gekennzeichnet.1 Es entstand ein neuer Krankenhaustyp.2 Die neukonzipierte Anstalt sollte prinzipiell allen Kranken, gleich welcher Schichtzugehörigkeit, offenstehen. Das Krankenhaus übte im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts eine Anziehungskraft auf breite Schichten der Bevölkerung aus.3 Aus einer Institution, die in erster Linie eine Versorgungsanstalt für die Unterschicht war, bildete sich ein Zentrum für medizinische Betreuung heraus4, das nun zunehmend auch von der Mittel- und Oberschicht in Anspruch genommen wurde5. Dies wird als der Wandel vom Hospital, in dem neben Kranken auch arme, verwahrloste Menschen untergebracht waren, zum Krankenhaus beschrieben. Zuvor behandelte man die Kranken, die es sich leisten konnten, zu Hause. Nun war das Krankenbett im Krankenhaus der Ort, an dem der Patient beobachtet und die Studenten zugleich unter besseren Bedingungen als im 18. Jahrhundert in der medizinischen Lehre unterwiesen wurden.6 Das akademische Krankenhaus diente also gleichzeitig als Lehranstalt und Ausbildungsstätte für Ärzte. Im Deutschen Reich kam es zu einem enormen Zuwachs an Krankenanstalten und an Betten. 1877 gab es im damaligen Reichsgebiet 2.388 Anstalten mit 107.431 Betten, 1906 lag die Zahl der Anstalten bei 4.566 mit 358.696 Betten.7 Diese Entwicklung brachte gleichzeitig einen wachsenden Bedarf an Pflegepersonal für eine immer größere Anzahl an Erkrankten mit sich. Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich neben der Struktur auch die Architektur in den neuen Krankenhäusern. Die räumliche Gestaltung orientierte 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Eckart (2009), S. 182. Vgl. Eckart (2009), S. 184. Vertiefend dazu Labisch/Spree (1996) und Stollberg/Tamm (2001). Vgl. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 114. Vgl. Jütte (1996), S. 33. Am Beispiel älterer Patienten hat dies Simone Moses herausgearbeitet. Vgl. Moses (2005). Vgl. Schaper (1987), S. 34. Vgl. Fritz (1964), S. 11.

2.1 Entwicklung des Krankenhauses und psychiatrischer Anstalten

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sich an funktionalen und sachlichen Gesichtspunkten. Die Patienten wurden nach Geschlecht und Infektiosität sowie nach internistischen und chirurgischen Kriterien getrennt untergebracht und versorgt. Bei der Planung neuer Klinikbauten berücksichtigte man auch neue hygienische Ansprüche, beispielsweise abwaschbare Wände, fugenlose Böden und die problemlose Beseitigung des Abfalls.8 Ein Beispiel für die zunehmende Ausdifferenzierung von unterschiedlichen Abteilungen ist das sogenannte Korridorkrankenhaus, welches gegen Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurde.9 Die Krankenzimmer wurden durch ein- oder zweihüftige Korridore, zwischen denen sich Sanitäts-, Beobachtungsoder Personalräume befanden, erschlossen.10 Von 1868 bis 1912 entstanden überwiegend Krankenhäuser im Pavillon- und Barackensystem. Einen bedeutenden Vorteil sah man in der verbesserten Luftzirkulation der frei stehenden Bauten.11 Nach 1920 wandte man sich vom reinen Pavillonkrankenhaus ab und bevorzugte eine aufgelockerte Bauweise mit ausreichend Terrassen und Veranden. Aus ökonomischen Gründen wurde der Stil des Terrassenbaus in den 1930er Jahren vom Hochhausbau abgelöst.12 Die ersten klassischen Beispiele hierfür finden sich in den Vereinigten Staaten. Mit einer kühnen Konstruktion aus Stahlskelettbeton wurde in New York das Presbyterian Hospital (1926–1930) mit 22 Etagen gebaut.13 In Deutschland übernahm man nur zögernd die Möglichkeit des Hochhausbaus. Mit zehn Etagen wirkte die Kinderklinik in Leipzig schon außerordentlich hoch.14 Neben den Kassenpatienten ließen sich auch zunehmend Privatpatienten in den Krankenhäusern und Universitätskliniken behandeln. Diese genossen zusätzliche Annehmlichkeiten und waren separat von den anderen Patienten untergebracht.15 Nicht allein durch neukonzipierte Krankenhäuser sollte ein verbessertes Gesundheitssystem entstehen. Durch sozialpolitische Maßnahmen griff der Staat in die öffentliche Gesundheitspflege ein: 1883 kam es zur Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung, 1884 zur Unfall- und 1889 zu einer Alters- und Invalidenversicherung. Kurz darauf wurde die Gewerbeordnung erweitert. Fortan überwachten technische Inspektoren die Betriebe. Das Deutsche Arbeiterschutzgesetz umfasste Bestimmungen über Sonntagsruhe, Kinder- und Frauenarbeit sowie Badeeinrichtungen und Kantinen in Fabriken.16

8 9 10 11 12 13 14 15 16

Vgl. Murken (1979), S. 136. Vgl. Eckart (2009), S. 231. Fehlauer (2005), S. 151. Fehlauer (2005), S. 180 f. Die Erkenntnis, dass Krankheiten über Viren, Pilze und Bakterien und nicht über schlechte Luft übertragen werden, kam erst Ende des 19. Jahrhunderts durch die moderne Bakteriologie. Vgl. Murken (1995), S. 225 ff. Vgl. Murken (1995), S. 126. Vgl. Murken (1995), S. 229. Vgl. Ackerknecht (1992), S. 152. Vgl. Seidler/Leven (2003), S. 193.

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2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege

Entwicklung der psychiatrischen Anstalten Bis 1800 waren die „Irren“ oft noch in sogenannten Toll- oder Zuchthäusern zusammen mit Vagabunden, Kriminellen und Prostituierten untergebracht. Erst im Zuge der Aufklärung veränderte sich das Verhältnis zu psychisch Kranken.17 Die Ärzte erhoben nun den Anspruch auf Therapie und Heilung – eine Haltung, die sich auch in der Namensgebung der späteren Heil- und Pflegeanstalten niederschlug. Die 1840er Jahre zählen zu den „Gründerjahren“ der deutschen Psychiatrie; mit einem großangelegten Ausbau der Irrenanstalten wurde die Ausgliederung der „Irrenhäuser“ aus den Zucht- und Arbeitshäusern vollendet.18 Die Reformpsychiatrie entwickelte sich in der Zeit des Vormärz und führte zu neuen Behandlungsmethoden. Das Novum bestand in der gemeinsamen Unterbringung der zuvor getrennten heil- und unheilbaren Kranken. „Gemeinsam“ hieß jedoch, dass sie innerhalb der Anstalt getrennt voneinander versorgt wurden, nur die Bewirtschaftung und Verwaltung waren zusammengefasst.19 In der Annahme, größere Heilungschancen zu erzielen, waren die Patienten isoliert von „äußeren schädlichen Einflüssen“20 untergebracht. Erstmalig wurde das Konzept einer „heilsamen Gegenwelt“ von dem Psychiater Christian Friedrich Wilhelm Roller (1802–1878)21 in der badischen Illenau, auf die im Kapitel 3 genauer eingegangen wird, umgesetzt22. Zudem wurde bei den psychiatrischen Anstalten zwischen „Land- und Stadtasylen“ unterschieden. Erstere befanden sich abgesondert von der übrigen Bevölkerung und waren nach Auffassung des Psychiaters Wilhelm Griesinger (1817–1868)23 überwiegend für die Behandlung von chronisch Kranken geeignet, die einen längeren Anstaltsaufenthalt brauchten. Die „Stadtasyle“ wurden dagegen in der Nähe von großen Städten errichtet, um zum einen eine schnelle, betreute Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu bewirken, zum anderen, um den universitären Bedarf an psychiatrischem Unterricht zu befriedigen.24 Die Ablösung des Korridorkrankenhauses durch den Pavillon-Bau erfolgte nicht nur bei den allgemeinen Krankenhäusern, sondern auch bei den Irrenanstalten. Hierbei setzte man den Grundsatz „Dezentralisation statt Konzentration“ um und passte ihn den Bedürfnissen eines psychiatrischen Krankenhauses an. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die 1879 fertiggestellte Irrenanstalt Berlin-Dalldorf.25 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 13. Vgl. Burkhardt (2003), S. 42. Vgl. Fehlauer (2005), S. 154. Vgl. Fehlauer (2005), S. 213. Zu Christian Friedrich Wilhelm Roller siehe Kreuter (1996), Bd. 3, S. 1192 f. Vgl. Fehlauer (2005), S. 213. Zu Wilhelm Griesinger siehe Kreuter (1996), Bd. 1, S. 466. Vgl. Burkhardt (2003), S. 44. Vgl. Fehlauer (2005), S. 203–206.

2.2 Entwicklungen in Medizin und Psychiatrie

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2.2 Entwicklungen in Medizin und Psychiatrie Entwicklungen der Medizin Neue Erkenntnisse in den Naturwissenschaften sowie die tiefgreifenden Veränderungen im Wirtschafts- und Sozialleben führten zu einer Wende in der Medizin.26 Im Zuge der industriellen Revolution entstanden auch im Deutschen Reich zunehmend Ballungszentren, in denen katastrophale hygienische Verhältnisse herrschten. Sie erst ermöglichten Seuchen wie die großen Cholerawellen im 19. Jahrhundert.27 Dennoch lebte der überwiegende Bevölkerungsanteil vor dem Ersten Weltkrieg auf dem Land, weshalb vor allem in der Land- bzw. Gemeindepflege der Personalbedarf stieg.28 Entscheidend für die neuen medizinischen Konzepte und Entwicklungen waren Fortschritte in den Fächern Hygiene, Biologie, Physik und Chemie.29 Die Krankheitssymptome eines Patienten konnten physikalisch und chemisch besser erkannt, beschrieben und erklärt werden. Der Mensch wurde „messbar“.30 Beispiele hierfür sind das Röntgen, die Fiebermessung31, die Auskultation, die Perkussion, Spirometrie und die Blutanalyse. Mitte des 19. Jahrhunderts konnten nicht nur Zahlen und Werte Aufschluss über die Funktionsweise des menschlichen Organismus geben, sondern auch graphische Untersuchungsmethoden. In dieser Zeit begann man, Muskelströmungen, Pulsschlag und Atmung zu messen, graphisch darzustellen und zu interpretieren. Von großer Bedeutung war hierbei unter anderem die Elektrokardiographie (EKG). 1902 gelang es dem niederländischen Physiologen Willem Einthoven (1860–1927)32 erstmals, die Herzströme mittels eines von ihm konstruierten Saiten-Galvanometers aufzuzeichnen33. Für die Gehirndiagnostik war die Entwicklung der Elektroenzephalographie (EEG) bahnbrechend; 1929 gelang es dem Psychiater Hans Berger (1873–1941)34, das erste brauchbare EEG zu schreiben. Damit bestand nun die Möglichkeit, krankhafte Hirnveränderungen genauer analysieren zu können.35 In den 1830er Jahren wuchs die Zahl der Ärzte, die einer naturwissenschaftlichen Medizin das Wort redeten. Hierzu wurden Methoden chemischer und physikalischer Analysen verfeinert. Durch das verbesserte Mikroskop bewiesen Theodor Schwann (1809–1885)36 und Matthias Schleiden (1804– 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

Vgl. Eckart (2009), S. 188. Vgl. Eckart (2009), S. 189. Vgl. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 115. Vgl. Ackerknecht (1992), S. 120. Dazu Hess (1997); Hess (1992). Dazu Hess (2000). Zu Willem Einthoven siehe Fischer (1932), S. 357 f. Vgl. Eckart (2009), S. 287 f. Zu Hans Berger siehe Kreuter (1996), Bd. 1, S. 96 f. Vgl. Eckart (2009), S. 288. Zu Theodor Schwann siehe Hirsch (1934), S. 173 f.

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2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege

1881)37, dass der gesamte tierische und pflanzliche Organismus aus Zellen besteht. Darauf aufbauend entwickelte Rudolf Virchow (1821–1902)38 die Zellularpathologie39. Auch mit chemischen Methoden versuchte man den menschlichen Organismus zu erforschen. Der Chemiker Justus von Liebig (1803–1873)40 trennte die Grundnährstoffe, womit er die Ernährungs- und Stoffwechselphysiologie systematisierte. Diese Erkenntnisse hatten auch Einfluss auf das Tätigkeitsgebiet der Pflegenden. Im Vergleich zum 18. Jahrhundert mussten sie nun über geeignete und ungeeignete Nahrungsmittel Bescheid wissen, welche sie für die Kranken zubereiteten.41 Die Entwicklung von chemischen Reinsubstanzen und die technische Prüfmöglichkeit verhalfen der Pharmakologie zu einer eigenständigen Wissenschaft. Claude Bernard (1813–1878)42, der Entdecker der Pankreasfunktion und der Glykogensynthese, postulierte das Labor nun als das „Heiligtum der Medizin“43. Der Historiker Erwin Ackerknecht bezeichnete die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als die Periode der Labormedizin, in der Sinneseindrücke durch abstrakte Zahlenwerte ersetzt wurden. Eine Vielzahl an Reagenzgläsern, Messinstrumenten, Brutschränken und physikalischen Untersuchungsapparaturen fand sich nun in jedem modernen Krankenhaus. Die Diagnose und Therapie eines Patienten waren von den dort gewonnenen Ergebnissen abhängig und bestimmten seinen Krankenhausaufenthalt.44 Aufbauend auf den Erkenntnissen von Louis Pasteur (1822–1895)45 und Ignaz Semmelweis (1818–1865)46 entwickelte der Chirurg Joseph Lister (1827– 1912)47 die Antisepsis, indem er fiebererzeugende Keime durch einen in Karbolsäure getränkten Verband abtötete. Darüber hinaus versuchte man, durch sterilisierte Instrumente und Vorbehandlung des Operationssaales diesen möglichst keimfrei zu machen (Asepsis). Für die Pflegenden bedeutete dies eine große Herausforderung und Umstellung innerhalb ihres bisherigen Arbeitsgebiets. So mussten sie die verschiedenen, anfangs häufig wechselnden Desinfektionsmittel in unterschiedlicher Verdünnung herstellen und lernen, mit diesen auch exakt umzugehen. Räume, Geräte, Instrumente sowie die eigenen Hände wurden nach antiseptischen

37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47

Zu Matthias Schleiden siehe Hirsch (1934), S. 83. Zu Rudolf Virchow siehe Hirsch (1934), S. 768 f. Vgl. Seidler/Leven (2003), S. 173. Zu Justus von Liebig siehe Hirsch (1931), S. 780 f. Vgl. Wolff/Wolff (2008), S. 123. Zu Claude Bernard siehe Hirsch (1929), S. 486. Vgl. Seidler/Leven (2003), S. 174. Vgl. Eckart (2009), S. 230. Zu Louis Pasteur siehe Hirsch (1932), S. 522 f. Zu Ignaz Semmelweis siehe Hirsch (1934), S. 222 f. Zu Joseph Lister siehe Hirsch (1931), S. 803 f.

2.2 Entwicklungen in Medizin und Psychiatrie

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Methoden gereinigt, um die unsichtbaren Mikroben abzutöten, eine Handlung, die für viele außerhalb ihres Vorstellungsvermögens lag.48 Die Bakteriologie nahm ihren Anfang durch Robert Kochs (1843–1910)49 Nachweis des Milzbranderregers im Jahre 1877. Es folgten Entdeckungen weiterer Krankheitserreger, wie 1879 der Gonokokkus, 1881 der Pneumokokkus, 1882 der Tuberkulosebazillus, 1883 der Choleraerreger, 1884 der Diphtheriebazillus, 1894 der Pesterreger und 1905 der Syphiliserreger.50 Durch diese neuen Erkenntnisse veränderte sich die medizinische Praxis im Umgang mit den sogenannten Volksseuchen. Die Entwicklungen in der Bakteriologie setzten sich auch in der Medizin des 20. Jahrhunderts fort. Als Teildisziplin entstand die Serologie.51 Diese erweiterte die Krankheitslehre um die Annahme, dass bestimmte Krankheitserreger nicht nur eine Veränderung der Zelle verursachen, sondern auch Auswirkungen auf die Beschaffenheit des Blutes haben. Dementsprechend bewirkten Stoffwechselprodukte von Bakterien, die sogenannten Toxine, dass der Organismus Antitoxine zur Abwehr produzierte. Durch die Gewinnung von Antitoxinen aus dem Blutserum von infizierten Menschen und Tieren erhielt man Impfstoffe für die passive Immunisierung. Emil von Behring (1854–1917)52 und sein japanischer Mitarbeiter Shibasaburo Kitasato (1852–1931)53 entwickelten 1893 ein Diphtherie-Antitoxin54. Daraus entstanden zum einen neue Spezialfächer, zum anderen Veränderungen in den ärztlichen Tätigkeitsfeldern, vor allem in der Chirurgie und Gynäkologie. Mit der Einführung von anfangs Chloroform und später Äther als Narkosemittel konnten bisher undenkbare Eingriffe, beispielsweise in Brust- und Bauchhöhle, vorgenommen werden. Hinzu kamen verschiedene Formen von örtlicher Betäubung und der Gebrauch von Gummihandschuhen.55 Durch die 1895 von Wilhelm Conrad Röntgen (1845–1923)56 entdeckten Strahlen wurde die medizinische Diagnostik verändert und gleichzeitig um ein eigenes Spezialgebiet der Therapie erweitert. Außerdem entwickelten sich aus der Chirurgie die Augenheilkunde, die Dermatologie, die Ohrenheilkunde und die Orthopädie zu eigenständigen Disziplinen; um die Jahrhundertwende kamen die Unfallheilkunde und die Urologie hinzu.57 Durch die Neuerungen in der Chirurgie sowie die Möglichkeit der Narkose und Antiseptik wurden die Pflegenden in das Operationsteam mit einbezogen, sie waren für das Narkotisieren und Instrumentieren zuständig. Außerdem 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

Vgl. Wolff/Wolff (2008), S. 129. Zu Robert Koch siehe Fischer (1932), S. 784 f. Vgl. Seidler/Leven (2003), S. 176. Vgl. Eckart (2009), S. 250. Zu Emil von Behring siehe Fischer (1932), S. 90 f. Zu Shibasaburo Kitasato siehe Fischer (1932), S. 785. Vgl. Seidler/Leven (2003), S. 177. Mehr hierzu bei Giersch/Kubisch (1995). Zu Wilhelm Conrad Röntgen siehe Fischer (1933), S. 1311. Vgl. Seidler/Leven (2003), S. 178.

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2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege

trugen sie die Verantwortung für das antiseptische Vor- und Nachbereiten des Patienten, Operationsraumes und Instrumentariums.58 Professionalisierung am Beispiel der Röntgenschwester Nicht nur für die Mediziner entstanden neue Spezialfächer, auch für die Pflege eröffneten sich ganz neue Berufsperspektiven, veränderte Arbeitsbedingungen und -umstände. Der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen entwickelte im 19. Jahrhundert das Röntgenlabor. Schon bald bildete sich das Berufsbild der Röntgenschwester heraus, welches mit dem der Krankenschwester nur wenig gemein hatte. Statt sich um die einzelnen Patienten zu kümmern, musste sie teure Apparate bedienen. Aufgrund der technischen Anforderungen dieses Berufes genossen die Röntgenschwestern ein hohes Ansehen in der Gesellschaft. Bereits 1896 wurden Töchter aus den Mittel- und Oberschichten an speziellen Schulen und Privatpraxen in Berlin und später auch in Wien zur Röntgenschwester ausgebildet. Auch hier waren es, wie in der Krankenpflege, ökonomische Gründe, die zur Verweiblichung des Berufsfeldes führten. Die Apparaturen verbesserten sich zunehmend, sie wurden leiser, einfacher in ihrer Bedienung und Wartung, wodurch die Verfahren standardisiert, die Arbeit allerdings auch wieder etwas entwertet wurde. Allerdings gab es auch gesundheitliche Risiken, denen sich die Röntgenschwestern durch ihr neues Arbeitsfeld aussetzten.59 Das Ergebnis waren schwere Strahlenschäden, die alle Arten von Krebs verursachen konnten, da in den Röntgeneinrichtungen bis 1920 mit mangelhaften oder gar keinen Schutzvorkehrungen gearbeitet wurde. Entwicklung der Psychiatrie Wie oben dargestellt, wies die naturwissenschaftliche Medizin im ausgehenden 19. Jahrhundert große Erfolge auf und ebnete neuen Therapiemöglichkeiten den Weg. Im Vergleich zu diesen Fortschritten hinkte die Psychiatrie der naturwissenschaftlichen Medizin hinterher. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden „Irre“ als „Dolle“ und „Blöde“ bezeichnet. Ohne zwischen heil- und unheilbaren Krankheitsbildern zu unterscheiden, waren sie in einer Mischung aus Zucht-, Armen- und Tollhaus weggesperrt.60 Zwangsmittel bestimmten den Aufenthalt der Insassen. Mit Hilfe von verschiedenen mechanischen Geräten versuchte man, eine beruhigende Wirkung auf Tobsüchtige zu erzielen. Beispiele hierfür sind die von David McBride (1726–1778)61 erfundene Zwangsjacke62 und der von Erasmus 58 59 60 61 62

Vgl. Wolff/Wolff (2008), S. 129. Vgl. Dommann (2006). Vgl. Fehlauer (2005), S. 25. Zu David McBride siehe Hirsch (1932), S. 3. Die Zwangsjacke oder Kamisol bestand aus einem festen Segeltuch, welches vorn zugeknöpft wurde; die Ärmel führte man kreuzweise über den Rücken nach vorn. Vgl. Schrenk (1973), S. 46.

2.2 Entwicklungen in Medizin und Psychiatrie

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Darwin (1731–1802)63 entwickelte Zwangs-Drehstuhl64 sowie die von Joseph Mason Cox (1762–1822)65 erfundene Dreh- oder Rotationsmaschine66 und der von Ernst Horn (1774–1848)67 entwickelte Hornsche Sack68 zum „Zwangsstehen“69. Die Rufe nach Reformen wurden lauter. So verfügte der preußische Staatsminister Karl August von Hardenberg (1750–1822) erstmals 1805 eine Trennung von Zucht- und Tollhäusern.70 Der Psychiater Philippe Pinel (1745–1826)71 gilt als der Reformer und Begründer der wissenschaftlichen Psychiatrie. Er behandelte die „Irren“ als Kranke und führte neue Behandlungsmethoden ein, die durch Zuwendung, Milde, Güte und Geduld gekennzeichnet sein sollten.72 Auch in England wurde unter dem Stichwort „Non-restraint“ eine gewaltfreie Behandlung von dem Psychiater John Conolly (1794–1866)73 propagiert. Das neue Konzept umfasste eine Behandlung, die aus der Schaffung eines geregelten Tagesablaufs sowie dem Angebot einer sinnvollen Beschäftigung und gemeinsamer Unternehmungen bestand. Für den Fall, dass ein Patient einen Tobsuchtsanfall bekam, zeigte die „Non-restraint-Bewegung“ alternativ zu Zwangsmitteln drei mögliche Wege auf: die Isolierung des Kranken, den Gebrauch von stärkeren Beruhigungsmitteln sowie das Festhalten des unruhigen Kranken durch mehrere Wärter.74 Schon bald fanden diese neuen Ansätze der Irrenpflege auch Anhänger in Deutschland. Ihre ersten Vertreter waren die Psychiater Ludwig Meyer (1827–1900)75 und Wilhelm Griesinger76. Letzterer erprobte die „freie Behandlung“ an der Charité, warnte jedoch davor, dass diese nur schwer in überfüllten Anstalten durchführbar wäre und häufig eine „Wärterfaust“ die Zwangsjacke ersetzte.77 Andere Psychiater hielten die Isolation der Kranken für unmenschlicher als das Anlegen der Zwangsjacke. 63 Zu Erasmus Darwin siehe Hirsch (1930), S. 185 f. 64 Im Darwinschen Stuhl wurden die Geisteskranken so lange herumgewirbelt, bis ihnen das Blut aus Ohren, Mund und Nase lief. Vgl. Diepgen (1959), S. 58. Dazu speziell Jütte (2009). 65 Zu Joseph Mason Cox siehe Hirsch (1930), S. 132. 66 Eine detaillierte Beschreibung der Drehmaschine gibt Schrenk (1973), S. 93. 67 Zu Ernst Horn siehe Kreuter (1996), Bd. 2, S. 611 f. 68 Eine detaillierte Beschreibung des Hornschen Sacks gibt Schott (1990), S. 19. 69 Leibrock (1998), S. 21 f. 70 Vgl. Bellin (1984), S. 46. Siehe auch Kirchhoff (1921), S. 44. 71 Zu Philippe Pinel siehe Eckart/Gradmann (2006), S. 259 f. 72 Obwohl Pinel eine moralische Therapie verfolgte, lehnte er mechanischen Zwang nicht völlig ab. So benutzte er durchaus auch die Zwangsjacke. Siehe Schrenk (1973), S. 59. 73 Zu John Conolly siehe Eckart/Gradmann (2006), S. 83. 74 Vgl. Roth (1999), S. 26. 75 Fehlauer (2005), S. 36. Zu Ludwig Meyer siehe Fischer (1933), S. 1035 f. Entgegen der allgemeinen Auffassung hat laut Leibrock nicht der Göttinger Mediziner Ludwig Meyer 1861 das „Non-restraint“-System erstmals in Deutschland angewandt, sondern der Göttinger Psychiater Hermann Dick (1814–1879). Er praktizierte diesen Ansatz bereits 1857 in der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster. Siehe hierzu Leibrock (1998), S. 182. Zu Hermann Dick siehe Hirsch (1930), S. 259. 76 Vgl. Roth (1999), S. 94. 77 Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 58.

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2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege

Sie befürchteten durch das „Wegsperren der Pfleglinge“ eine Verstärkung von Gewalt, Selbstbeschädigung, Unreinlichkeit und Onanie.78 Die zunehmende Verbreitung des „Non-restraint-Ansatzes“ führte zum Umbau von Tobzellen in Isolierräume. Dadurch entstanden besondere Wachabteilungen, in denen die seit 1890 etablierte Bettbehandlung ermöglicht wurde.79 Grundsätzlich ging man davon aus, dass körperliche Ruhe auch zur nervlichen Entspannung führe. Für Tuberkulosekranke waren sogenannte „Ruhekuren für Nervöse“ bereits bekannt.80 Durch die Gleichstellung psychisch und physisch Erkrankter erhoffte man sich eine Annäherung an das allgemeine Krankenhaus und somit ein besseres gesellschaftliches Ansehen der Irrenanstalten. Die Bettbehandlung erbrachte langfristig jedoch nicht den erwarteten Therapieerfolg. Im Gegenteil, viel mehr förderte sie, vor allem bei schizophrenen Patienten, Inaktivität, Regression und autistisches Verhalten.81 Schon bald stand die Bettbehandlung im Ruf, zu einem Disziplinierungsmittel geworden zu sein.82 Mit dem Wegfall von Zwangsmaßnahmen und der Einführung der Bettbehandlung veränderten sich gleichzeitig die Anforderungen an das Personal. Es musste sowohl mit tobenden Patienten als auch mit eigenen Aggressionen umgehen, und dies ohne mechanische Zwangsmittel.83 Die Frage nach den Ursachen für eine psychische Erkrankung brachte zwei unterschiedliche Ansätze hervor. Einerseits gab es die „Psychiker“, die Geisteskrankheit als eine Störung der Seele bzw. Persönlichkeit erklärten, andererseits die „Somatiker“, welche nach einem naturwissenschaftlichen Ansatz die Ursachen in einer physischen, körperlichen Erkrankung sahen.84 Durch die Vorwegnahme psychosomatischer Denkformen wirkte Ernst Freiherr von Feuchtersleben (1806–1849)85 als Vermittler beider Ansätze. Der Begriff Geistes- bzw. Seelenkrankheit wurde aus einer Störung von Leib und Seele abgeleitet.86 Als auch die Psychiatrie die methodischen Vorgaben der Naturwissenschaften übernahm, entwickelte sie sich zu einer medizinisch-naturwissenschaftlichen Disziplin. Daraus entstanden zwei unterschiedliche Forschungslinien. In der einen klassifizierte man psychische Störungen nicht mehr nach ihren Symptomen, sondern nach ihren Verlaufsformen. Stellvertretend sei hier Emil Kraepelin (1856–1926)87 erwähnt, der ein System der einzelnen Krankheiten entwarf, das unter anderem zwischen endogenen und exogenen Psychosen unterschied. 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87

Vgl. Roth (1999), S. 94. Hierzu vertiefend Braunschweig: Zwischenfälle (2009). Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 60. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 275. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 274 f. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 275. Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 60. Vgl. Fehlauer (2005), S. 33 ff. Zu Ernst Freiherr von Feuchtersleben siehe Hirsch (1930), S. 511 f. Vgl. Seidler/Leven (2003), S. 185. Zu Emil Kraepelin siehe Fischer (1933), S. 811.

2.2 Entwicklungen in Medizin und Psychiatrie

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In der zweiten Forschungslinie gingen Psychiater wie Wilhelm Griesinger davon aus, dass psychische Krankheiten Erkrankungen des Gehirns seien. Die beschriebenen Entwicklungen spielten sich hauptsächlich in der Universitätspsychiatrie ab, die Anstaltspsychiatrie konzentrierte sich stattdessen überwiegend auf die Praxis der Krankenbehandlung und -versorgung.88 Mit den neuen Behandlungsmethoden änderten sich auch die Therapieansätze. Unter dem Stichwort Beschäftigungs- und Arbeitstherapie sollten sich die Kranken an eine regelmäßige Beschäftigung gewöhnen, da man in der Erlangung der Arbeitsfähigkeit große Heilungschancen sah.89 Dieses Konzept wurde in den 1870er Jahren allgemein angewandt, allerdings erhielt es erst nach dem Ersten Weltkrieg durch Hermann Simon (1867–1948)90 ein wissenschaftliches Fundament91. Einen ganz anderen Therapieansatz verfolgte die durch Sigmund Freud (1856–1939)92 bekanntgewordene Psychoanalyse. Kern seiner Lehre ist die Annahme, dass das „seelische Verhalten“ des Menschen von seinem unbewussten Triebleben getragen wird, dieses ist wiederum von einem „Ich“ bzw. „Über-Ich“ beeinflusst.93 Auch wenn der moderne Begriff „Psychopharmakon“94 erst nach den 1950er Jahren auf korrekte Weise verwendet werden kann95, gab es bereits zuvor medikamentöse Versuche, um psychische Erkrankungen zu heilen. Ein Beispiel dafür sind Opium-Präparate, welche ab der Mitte des 18. Jahrhunderts zur Behandlung von starken Erregungszuständen, wie Manie und später Depression, eingesetzt wurden. Im 19. Jahrhundert verwendete man Opium96 als Hauptmittel gegen psychische Erkrankungen, viele Psychiater zogen es den chemischen Sedativa97 oder Narkotikum vor98. Aus Chlor und Äthanol synthetisierte 1832 Justus von Liebig das Sedativum Chloralhydrat.99 Ein weiteres Beruhigungsmittel ist das Barbiturat Veronal, welches 1882 entwickelt und 1903 als Hypnotikum eingeführt wurde. Die Barbiturate, wie Luminal (1912), Somnifen (1920), Phanodorm (1925) und Evipan (1932), waren in der Gesellschaft und in den psychiatrischen Anstalten weitverbreitet. Jedoch 88 89 90 91 92 93 94

95 96 97 98 99

Vgl. Seidler/Leven (2003), S. 186. Vgl. Roth (1999), S. 95. Zu Hermann Simon siehe Kreuter (1996), Bd. 3, S. 1357. Vgl. Ackerknecht (1992), S. 150. Zu Sigmund Freud siehe Kreuter (1996), Bd. 1, S. 388. Vgl. Eckart (2009), S. 317. Aus dem Griechischen für „Seele“ und „Medikament“, Mehrzahl: Psychopharmaka. Dabei handelt es sich um einen Arzneistoff, der zur Behandlung von psychischen Störungen und neurologischen Erkrankungen dient. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 480. Zur Entwicklung von Psychopharmaka siehe Hall (1997) sowie Leibrock (1998). Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 480. Zu Opium und Opiumderivaten als medikamentöse Therapie bei Geisteskranken siehe Leibrock (1998), S. 73–97. Sedativa von lat. sedare, beruhigen. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 481. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 483. Mehr zu Chloralhydrat siehe Leibrock (1998), S. 99–120.

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2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege

verband man mit dem Konsum der Barbiturate auch Abhängigkeit, Missbrauch und Suizid.100 Da die Psychiatrie eine sehr junge Wissenschaft war, musste sie sich gegenüber den anderen medizinischen Disziplinen erst einmal als ebenbürtig erweisen, um anerkannt zu werden.101 Die neuentwickelten Therapieansätze veränderten auch die Anforderungen an das Pflegepersonal. Es ging nicht mehr nur darum, ärztliche Anordnungen auszuführen und sich um das körperliche Wohl der Insassen zu kümmern, vielmehr rückte die Krankenbeobachtung und -beschäftigung in den Mittelpunkt der Behandlung. Die Pflege wurde zur zentralen Bezugsperson des Kranken, weshalb einer qualifizierten Ausbildung in der „Irrenpflege“, wie es damals hieß, große Bedeutung zukam. Im Gegensatz zur allgemeinen Krankenpflege ließ die geregelte Ausbildung jedoch bis 1962 auf sich warten.102 2.3 Rahmenbedingungen in der Pflege Mitte des 19. Jahrhunderts kam es, wie bereits erwähnt, zu einem zunehmenden Ausbau im Krankenhauswesen. Zudem vollzog sich ein Funktionswandel von den traditionellen Hospitälern hin zu Anstalten für heilbare Kranke. Seit den 1890er Jahren hatte die deutsche Sozialversicherung mit all ihren Zweigen Auswirkungen auf die qualitativen und quantitativen Entwicklungen des Krankenhauses. Die Veränderungen führten zu einer regelrechten Expansion im Gesundheitswesen, jedoch blieb diese für das Krankenpflegepersonal aus, trotz des steigenden Bedarfs.103 Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert trat das Personalproblem immer wieder auf. Die Ärzte forderten für die steigenden fachlichen Anforderungen gut ausgebildetes Personal, vorzugsweise aus dem Bürgertum. Allerdings war eine Anstellung in der Krankenpflege in vielerlei Hinsicht ein unattraktiver Beruf. Beispielsweise galten viele Arbeitsschutzregelungen für Frauen, wie das Nachtarbeitsverbot, in der Pflege nicht.104 1910 kam es zu einer Regierungsumfrage in den Krankenhäusern. Das Ergebnis war erschreckend. Die durchschnittliche Arbeitszeit lag nach Abzug der Pausen bei elf Stunden.105 Hinzu kamen die fehlende Altersvorsorge sowie die Einstellungspraxis, die nur ledige Frauen in Betracht zog. Pensionsansprüche konnte man erst nach zehn Arbeitsjahren geltend machen, doch die anstrengende Arbeit zwang viele schon früher, die Arbeitsstelle zu verlassen.106 100 Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 484. Bekannte Beispiele aus der Öffentlichkeit sind der Psychiater Alfred Kronfeld und der Schriftsteller Stefan Zweig. 101 Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 22. 102 Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 92. 103 Vgl. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 113. 104 Vgl. Steppe (1997), S. 49. 105 Vgl. Behla (1911/12). 106 Vgl. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 124.

2.3 Rahmenbedingungen in der Pflege

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Als 1912 der „International Council of Nurses“ (ICN) in Köln tagte, thematisierten die Mitglieder die Überlastung in der Pflege und wiesen besonders auf fehlende Schutzmaßnahmen hin. Diese gab es zu der Zeit für jeden Fabrikarbeiter, um mögliche Unfälle zu vermeiden.107 Die Folge dieser Missstände im Pflegebereich war eine hohe Fluktuation unter dem Personal. Dieses wechselte den Arbeitsplatz, sobald sich eine bessere Verdienstmöglichkeit bot. In manchen Berliner Krankenhäusern wurde das Personal innerhalb eines Jahres komplett ausgewechselt.108 Aufgrund der bereits angesprochenen naturwissenschaftlichen Entwicklungen veränderten sich nicht nur die Therapiemöglichkeiten, sondern auch die Anforderungen an die fachliche Qualifikation des Personals. Fehlendes Wissen in Antisepsis und Asepsis, beispielsweise bei chirurgischen Eingriffen, barg das Risiko der Krankheitsübertragung oder sogar die Gefährdung des Patienten. In diesem Zusammenhang beschwerten sich die Ärzte besonders über die Ordenstracht im Operationssaal. Den Forderungen nach qualifizierten Pflegekräften konnte nur mit einer entsprechenden Ausbildung nachgekommen werden. Gleichzeitig fürchteten die Ärzte jedoch die Konkurrenz durch die Krankenpflege. In einem Brief verdeutlichte der Schweizer Anstaltsdirektor der Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt sehr klar und direkt seine Bedenken in Bezug auf geschultes Personal: Sogenanntes „geschultes“ Wartpersonal, wie wir es ja immer von Zeit zu Zeit bekommen, ist meistens für die Irrenanstalten das unbrauchbarste. Dieses will gewöhnlich selbst den Arzt spielen […] Das plötzliche Verlangen des Wartpersonals nach „Kursen“ entspringt nicht etwa einem wirklichen Trieb, etwas zu lernen, sondern nur einer Wichtigmacherei […].109

Dennoch gaben Ärzte Krankenpflegelehrbücher heraus, zumal auch der Umgang mit den Instrumenten zur Diagnostik und Therapie den Anspruch an die Pflege zusätzlich erhöhte.110 Ein Beispiel hierfür ist Theodor Billroth (1829– 1894)111, einer der bekanntesten Chirurgen des 19. Jahrhunderts. Er veröffentlichte 1881 „Die Krankenpflege im Hause und im Hospitale“112, deren 9., überarbeitete Auflage 1919 erschien. Die Lehrbücher behandelten zusehends detailliert die Entstehung von Krankheiten und deren gezielte Behandlung. So wurden einzelnen Infektionskrankheiten, wie Typhus, Ruhr, Masern, Scharlach, Pocken und Diphtherie, pflegerische Maßnahmen zugeordnet. Des Weiteren enthielten sie Informationen im Hinblick auf den Umgang mit Desinfektionsmitteln sowie hinsichtlich der Ansteckungsarten bzw. Verbreitungswege von Infektionen.113 107 Vgl. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 125. 108 Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Bestand R 1501, 111828, Bl. 2–3, hier zit. n. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 125. 109 Hähner-Rombach: Quellen (2008), Quelle II,16. 110 Vgl. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 130 f. 111 Zu Theodor Billroth siehe Hirsch (1929), S. 541 f. 112 Billroth (1881). 113 Vgl. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 132 f.

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2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege

In diesem Zusammenhang muss das gesundheitliche Risiko, welchem sich die Schwestern durch die vermehrte Handhabung mit Desinfektionslösungen aussetzten, angesprochen werden. Eine weitere Gefahrenquelle war der vermehrte Kontakt mit schweren Infektionskrankheiten wie beispielsweise Tuberkulose, Typhus und Scharlach.114 Rechtliche Stellung der Krankenpflegenden Obwohl Reformen in der Pflege notwendig waren, wurde die Krankenpflege Mitte des 19. Jahrhunderts nicht als ein Heilberuf angesehen, sondern lediglich als eine unselbständige Hilfstätigkeit. Dementsprechend gab es keinerlei Zugangsregelungen für den Beruf; der Krankenpflege wurden keine eigenen Kompetenzen zuerkannt.115 Ganz anders die Geburtshilfe: Bereits im 16. Jahrhundert gab es die ersten Hebammenordnungen116, und an der Charité wurde 1755 eine Hebammenschule eröffnet, welche einen systematischen Kurs in Geburtshilfe anbot. Ärzte verfassten die Lehrbücher und führten die Aufsicht über den Hebammenstand, dessen Berufsausübung, wie bei den übrigen Medizinalberufen, an Eid und Approbation gebunden war.117 Bis 1918 galt für die meisten Krankenschwestern die Gesindeordnung, womit sie weder persönliche Rechte noch Freiheit über ihre eigene Person hatten. Von dieser Rechtlosigkeit waren die in der Privatpflege Tätigen am stärksten betroffen. In privaten Anstalten galt die Gewerbeordnung, wobei die Krankenpflege von vielen Bestimmungen, wie Arbeitszeit und Versicherungsschutz, ausgenommen wurde.118 Die ersten Tarifverträge wurden nach 1919 abgeschlossen, und ab 1924 führte man eine Begrenzung der Arbeitszeit auf 60 Stunden in der Woche ein; allerdings wurde sie kaum eingehalten.119 Ausbildung Bereits 1781 forderte der Mediziner Franz Anton Mai (1742–1814)120 eine qualifiziertere Ausbildung des Personals und gründete trotz heftiger Anfeindungen seiner Kollegen eine Krankenwartschule121. Allerdings gab es bis ins 19. Jahrhundert für Krankenwärterinnen und Krankenwärter wenig Ausbildungsstätten, die ihnen theoretisches Wissen vermittelten. Die Charité und einige kommunale Krankenhäuser bildeten in Preußen eine Ausnahme. Der Chirurg Johann Friedrich Dieffenbach (1792–

114 115 116 117 118 119 120 121

Vertiefend hierzu Hähner-Rombach (2000). Vgl. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 37 f. Vgl. Bitter (1990), S. 141, 145 f. Vgl. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 37. Vgl. Steppe/Koch/Weisbrod-Frey (1986), S. 24 f. Vgl. Seidler/Leven (2003), S. 225. Zu Franz Anton Mai siehe Eckart/Gradmann (2006), S. 219. Vgl. Rübenstahl (1994), S. 29.

2.3 Rahmenbedingungen in der Pflege

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1847)122 gründete die Wärterschule an der Charité, die er und später sein Kollege Carl Emil Gedicke (1797–1867)123 leiteten124. Zu Beginn dauerte die Lehrzeit ein halbes Jahr, wobei Gedicke den theoretischen Unterricht, basierend auf Dieffenbachs Lehrbuch, erteilte. Die praktische Ausbildung erfolgte auf den Stationen für die „inneren, äußeren und Geisteskranken“. Geprüft wurden die Auszubildenden von Ärzten über Themen, welche sie in der Theorie durchgenommen hatten.125 Die Forderung nach qualifiziertem Personal wurde immer lauter. Die religiös organisierten Krankenpflegegemeinschaften erkannten zwar, dass zu einer guten Ausbildung neben der praktischen Anleitung auch theoretisches Wissen gehörte. Da die religiöse Unterweisung für sie aber einen größeren Stellenwert einnahm, vernachlässigten sie den theoretischen Unterricht. Sehr lange erfolgte die Schwesternausbildung vor allem in den katholischen Verbänden durch die praktische Anleitung einer erfahrenen Schwester.126 Ab Juni 1900 wurde die Situation der Krankenpflege in Reichstagssitzungen diskutiert. Ursprünglich sollte über ein neues Seuchengesetz beraten werden, als der Reichstagsabgeordnete Otto Antrick (1858–1924) die Missstände im Krankenhauswesen und in der Pflege zur Sprache brachte.127 Im Einzelnen bezog er sich auf bauliche Unzulänglichkeiten, mangelnde hygienische Verhältnisse, den Personalmangel und das unzureichend qualifizierte Personal. Zugleich wies er auch auf die schlechte Bezahlung und starke Arbeitsüberlastung der Krankenwärter im Berliner Krankenhaus hin. Er schilderte die Arbeitssituation der Wärterschaft, die „Tag für Tag 17 bis 18 Stunden Dienst [zu] thun“ habe, und das bei viel zu geringen Löhnen.128 Antrick setzte sich für die Interessen der Wärterinnen und Wärter ein. Diese vertraten für ihn das Proletariat, während er die „Schwestern“ dem Bürgertum zurechnete. Letztere entstammten jedoch weder geschlossen dieser Schicht noch ging es ihnen hinsichtlich Bezahlung und Arbeitsüberlastung besser als dem Wartpersonal.129 Die 1906 vom Bundesrat beschlossene Ausbildungsordnung für die Krankenpflege war ein erster Schritt in Richtung einer staatlichen Regelung. Für die Ausbildung wurden der Inhalt, die Dauer und die Abschlussprüfung festgelegt. Allerdings erfüllten sich die Erwartungen der B. O. K. D. nicht, der eine einjährige Ausbildung als zu kurz erschien.130 1907 trat die erste staatliche Prüfungsordnung für eine einjährige Krankenpflegeausbildung in Kraft, zunächst in Preußen, später folgten andere deutsche Staaten. 122 123 124 125 126 127 128 129 130

Zu Johann Friedrich Dieffenbach siehe Hirsch (1930), S. 262 f. Zu Carl Emil Gedicke siehe Wolff (1997), S. 60. Vgl. Schweikardt: Berufliche Entwicklungen (2008), S. 134. Vgl. Hummel/Seidler/Kuhlo (1986), S. 25. Vgl. Hummel/Seidler/Kuhlo (1986), S. 29. Vgl. Schweikardt (2006), S. 49. Vgl. Hummel/Seidler/Kuhlo (1986), S. 55. Vgl. Hummel/Seidler/Kuhlo (1986), S. 56. Vgl. Rübenstahl (1994), S. 33.

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2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege

Bis 1921 stieß eine reichseinheitliche staatliche Regelung bezüglich der Krankenpflegeausbildung immer wieder auf den Widerstand der religiösen Genossenschaften, welche darin einen Eingriff in ihre Angelegenheiten sahen131, und dies, obwohl ihnen gegenüber einige Zugeständnisse gemacht worden waren. So verzichtete beispielsweise das Kultusministerium auf die Pflicht zur Rotation innerhalb verschiedener Fachabteilungen oder die Festlegung, wann der jeweilige theoretische Unterricht zu erfolgen hatte.132 Vor allem die katholischen Krankenpflegeorden wollten den Einfluss des Staates auf die Ausbildungsstätte einschränken. Sie akzeptierten die Notwendigkeit einer Pflegeausbildung, lehnten jedoch die Approbation ab. Zum einen befürchteten sie eine Spaltung innerhalb der Ordensgemeinschaft in approbierte und nicht approbierte Ordensmitglieder, zum anderen sahen sie auf ihre weitreichende „Krankenpflegetradition“ zurück und somit auch auf ein in ihren Augen erprobtes Ausbildungssystem.133 Für die Ärzte bedeutete gut ausgebildetes Personal die Möglichkeit, die Fortschritte in der Medizin auch am Patienten umzusetzen bzw. ihn vor unqualifiziertem Handeln zu schützen. Die Politiker hatten vor allem die Absicht, die Arbeitsbedingungen und -situationen für das Krankenpflegepersonal zu verbessern. Gleichzeitig erhofften sie sich eine Aufwertung des Berufes in der Gesellschaft – ein Wunsch, der in England bereits Realität war. Florence Nightingale (1820–1910)134 hatte der Krankenpflege zu einem von der englischen Gesellschaft anerkannten Berufsstand verholfen. Sie hatte schon 1859 ihre pflegerischen Grundsätze in den bekannten „Notes on nursing“135 zusammengefasst und 1860 eine Krankenpflegeschule gegründet, in der nach neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen unterrichtet wurde. Dadurch belegte England eine Spitzenposition in der fachlichen Ausbildung für Pflegekräfte und fungierte weltweit als großes Vorbild.136 Nachdem die Krankenpflege im Deutschen Reich staatlich anerkannt wurde, folgten ihr auf diesem Weg zwei weitere Berufe, die sich im Rahmen der medizinischen Entwicklung zunehmend verselbständigten, die der Säuglings- und Kinderkrankenschwester.137 Wartpersonal der Psychiatrie Im Rahmen eines Preisausschreibens in der Leipziger Zeitung mit dem Titel „Wie können für Irrenanstalten menschenliebende Wärter und Aufseher gewonnen werden?“ entstand 1842 die erste umfassende Diskussion über das

131 132 133 134 135 136 137

Vgl. Bischoff (1984), S. 100. Vgl. Schweikardt (2006), S. 55. Vgl. Kruse (1987), S. 92. Zu Florence Nightingale siehe Wolff (1997), S. 139. Vertiefend: Vasold (2003). Siehe dazu Nightingale (2005). Vgl. Wolff/Wolff (2008), S. 169. Vgl. Wolff/Wolff (2008), S. 193. Vertiefend Peschel (1982); Wegmann (1992).

2.3 Rahmenbedingungen in der Pflege

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Wartpersonal im Deutschen Reich.138 Unter den Einsendungen fand man neben detaillierten Schilderungen über die Arbeits- und Lebenssituation in den Irrenanstalten auch Konzepte, um diese Missstände zu beseitigen. Debattiert wurden Themen wie Lohnerhöhung, Pensionsansprüche und eine qualifizierte Ausbildung.139 Abgesehen von dieser Debatte fand die Irrenpflege, im Gegensatz zur allgemeinen Krankenpflege, wenig Beachtung in der Öffentlichkeit. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren die psychisch Erkrankten in den bereits erwähnten Irrenhäusern untergebracht. Darin ging es weniger um einen therapeutischen Behandlungsansatz als vielmehr um die Verwahrung der Insassen, wofür das Wartpersonal keine spezielle Ausbildung benötigte. Mit zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnissen über psychiatrische Erkrankungen und der daraus resultierenden Auffassung, dass auch den psychischen Erkrankungen körperliche Ursachen zugrunde lägen, entwickelten sich verschiedene Behandlungs- und Zwangsmethoden.140 Dadurch erweiterte sich das Aufgabenfeld der Wärterinnen und Wärter und man benötigte auch in der Irrenpflege ausgebildetes Personal. Die Prüfungsordnung der allgemeinen Krankenpflege von 1907 galt nicht für die Irrenpflege, da diese kein integraler Bestandteil war. Um dennoch den Bedarf an qualifiziertem Personal zu decken, wurden hausinterne Weiterbildungskurse eingerichtet. Hierbei verwendete man den von Ludwig Scholz verfassten „Leitfaden für die Irrenpflege“, der bis in die 1950er und 1960er Jahre weitverbreitet war.141 Die fehlende Literatur für die psychiatrische Pflege ist ein weiterer Hinweis auf die geringe Beachtung, die man der Schulung des Wartpersonals schenkte. Neben dem erwähnten Leitfaden von Scholz gab es noch die Fachzeitschrift Die Irrenpflege, welche der Belehrung und der Fortbildung des Personals dienen sollte.142 Es gab keine einheitliche Regelung für den Unterricht in den öffentlichen Anstalten für Geisteskranke. 1922 empfahl der preußische Minister für Volkswirtschaft die Ausbildungs- und Prüfungsordnung der Provinz Hannover. Dies führte nicht zu einer Angleichung, vielmehr entflammte eine Auseinandersetzung darüber, ob die Krankenpflege in die Irrenpflege mit einbezogen werden sollte.143 Weder in der Weimarer Zeit noch während der Herrschaft der Nationalsozialisten144 wurde ein länderübergreifendes Gesetz für die Irrenpflege erlassen. 1962 bezog man die „Irrenpflege“ in die allgemeine Krankenpflege mit ein und errichtete bundesweit Krankenpflegeschulen an psychiatrischen Klini138 139 140 141 142 143 144

Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 24. Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 24. Vgl. Tauch (2002), S. 18 f. Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 55. Vgl. Tauch (2002), S. 24. Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 91. Unter den Nationalsozialisten kam es zu Zwangssterilisation und gezielter Tötung von geistig erkrankten Menschen. Zur psychiatrischen Pflege in diesem historischen Kontext siehe Steppe/Koch/Weisbrod-Frey (1986).

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2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege

ken. Durch gesonderte Übergangsbestimmungen überführte man das gesamte Pflegepersonal der psychiatrischen Landeskliniken in die Krankenpflege. Die staatliche Anerkennung zur Krankenschwester bzw. zum Krankenpfleger erhielt jeder, der länger als zehn Jahre an den Kliniken gearbeitet hatte, und das ohne zusätzliche Ausbildung. Alle anderen mussten eine zweijährige Ausbildung in der Krankenpflege nachholen. Die 250 Stunden theoretischer Unterricht wurden ihnen teilweise in der Freizeit vermittelt.145 Dadurch wurde die psychiatrische Pflege der allgemeinen Krankenpflege untergeordnet. Es fehlte nach wie vor eine Ausbildungsregelung für psychiatrische Pflege. Dieses Defizit sollte erst eine spezielle Weiterbildung zur Fachpflege für Psychiatrie ausgleichen, die ab 1962 angeboten wurde.146 Berufsorganisation Unter dem Einfluss der bürgerlichen Frauenbewegung gründete Agnes Karll (1868–1927)147 aufgrund von Missständen in der Pflege 1903 die Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands. Die freien Schwestern klagten über ungenügende Besoldung, fehlende Absicherung bei Krankheit und im Alter sowie Überanstrengung durch überlange Arbeitszeiten und Nachtdienste. Es gab keine gesetzlichen Bestimmungen für die Arbeitszeit, 81 % der Pflegerinnen arbeiteten mehr als 13 Stunden am Tag.148 Die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen des Pflegepersonals – und damit deren Auswirkungen auf den Pflegealltag – wurden vor allem auf Seiten der freien Schwestern vom B. O. K. D. und des Wärterpersonals durch Gewerkschaft und Sozialdemokratie thematisiert. Äußerungen dazu finden sich in der Zeitschrift der B. O. K. D., Unterm Lazaruskreuz, und in der Gewerkschaftszeitung Die Sanitätswarte. Zum Nachweis der katastrophalen Situation in der Pflege konzipierte Agnes Karll einen Fragebogen, der jährlich an alle Mitglieder der B. O. K. D. versandt und anschließend ausgewertet wurde. Damit konnte erstmals bei einer Besprechung des Reichstages 1912 eine umfassende statistische Erhebung über die Krankenpflegeverhältnisse im Deutschen Reich vorgelegt werden.149 Da die Krankenpflege nicht zuletzt aufgrund der Einflussnahme des Ärztestandes als „Heilhilfsberuf“ rangierte, fand der Berufsalltag der Pflegenden wenig gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Dennoch etablierte sich der Beruf der frei arbeitenden Schwestern dank der Arbeit des B. O. K. D. So erhöhte sich die Zahl der frei praktizierenden Frauen von 9,1 % im Jahr 1898 auf 22 % 1908.150 145 Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 92. Heutzutage wird die Ausbildung zum Fachpfleger für Psychiatrie über zwei Jahre berufsbegleitend angeboten. 146 Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 93. 147 Zu Agnes Karll siehe Wolff (1997), S. 97. 148 Vgl. Rübenstahl (1994), S. 44. 149 Vgl. Elster (2000), S. 23. 150 Vgl. Wolff/Wolff (1994), S. 183.

2.4 Resümee

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Die Gründung der Berufsorganisation kann auch als Beginn der konzentrierteren Professionalisierungsbestrebungen in der Krankenpflege auf Seiten der freien, konfessionell ungebundenen Krankenschwestern, welche aus dem bürgerlichen Milieu stammten, angesehen werden.151 Zu den Leistungen der B. O. K. D. gehörte neben Mitgliederservice, wie Arbeitsplatzvermittlung, Beratung in Rechts- und Arbeitsfragen sowie der Möglichkeit, günstige Versicherungsverträge abzuschließen, auch eine Unterstützungskasse für notleidende Mitglieder.152 Ein weiterer Punkt, mit dem sich die Berufsorganisation befasste, war die mangelnde soziale Absicherung des Pflegepersonals. Otto von Bismarck (1815–1898) hatte zwar bereits 1883 die Kranken-, 1884 die Unfall- und 1889 die Alters- und Invalidenversicherung eingeführt, jedoch galten diese für die meisten Krankenpflegerinnen nicht. Die religiös organisierten Schwesternschaften zahlten nur ein Taschengeld an ihre Mitglieder. Somit waren sie nicht versicherungspflichtig, erhielten aber im Gegenzug im Invaliditätsfall auch keine Zahlungen. Agnes Karll erkannte diesen Missstand und handelte mit einer privaten Versicherungsgesellschaft einen Vertrag aus, welcher Schwestern im Falle von Invalidität und im Alter absichern sollte.153 Die eingeführte staatliche Sozialversicherung wurde zunehmend ausgebaut. Seit 1928 wurde auch das Krankenpflegepersonal in den Geltungsbereich der Unfallversicherung mit aufgenommen.154 Festzuhalten ist, dass die B. O. K. D. als einziger Schwesternverband mit einem umfassenden Professionalisierungsprogramm eine Elite innerhalb des Krankenpflegepersonals unterstützte. In der Berufsorganisation vertraten sich die Schwestern selbst. Ihr politischer Einfluss war jedoch begrenzt, da sie nicht, wie die freie Gewerkschaft Reichssektion für Gesundheitswesen, eine Partei, hier die SPD, hatte, die im Reichstag ihre Interessen vertrat.155 2.4 Resümee Durch die fortschreitende Industrialisierung wurde der Bedarf an medizinischer Versorgung in den Ballungszentren immer größer. Bedingt durch Armut und katastrophale hygienische Verhältnisse verbreiteten sich Seuchen und Epidemien. Es entstanden Krankenhäuser als Orte, an denen ausschließlich Kranke behandelt wurden, und gleichzeitig wuchs der Bedarf an qualifiziertem Pflegepersonal. Neue Erkenntnisse in den Naturwissenschaften führten zu Fortschritten in der Medizin. Durch verbesserte Diagnostik und Therapiemöglichkeiten hatten die Patienten bessere Heilungschancen. Verbunden mit diesen Entwick151 152 153 154 155

Vgl. Elster (2000), S. 16. Vgl. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 161. Vgl. Elster (2000), S. 23. Vgl. Preller (1978), S. 326 f., 380. Vgl. Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 171 f.

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2 Kontext und Rahmenbedingungen in der Medizin und Krankenpflege

lungen sind neue Apparaturen, ein veränderter Baustil der Krankenhäuser und ein wachsender Bedarf an qualifiziertem Personal, um die neuen Errungenschaften erfolgreich umsetzen zu können. Die Pflege spürte den Umbruch durch wachsende Arbeitsanforderungen sowie Personalmangel, und das bei schlechter finanzieller Versorgung, Absicherung und Ausbildung. Auf diese Missstände machte die B. O. K. D. aufmerksam. Allerdings änderte sich Grundlegendes erst Mitte des 20. Jahrhunderts, wie beispielsweise durch die Einführung einer dreijährigen Krankenpflegeausbildung. Gleichzeitig eröffneten die Entwicklungen in der Medizin und im Krankenhauswesen der Pflege auch die Chance auf eine Spezialisierung in einem Fachgebiet, wie beispielsweise dem der Säuglings-, Röntgen- oder Operationsschwester. Ausgehend vom Anfang des 20. Jahrhunderts ist eine Entwicklung im Aufgabengebiet der Krankenpflege zu verzeichnen. Das relativ geschlossene, primär patientenorientierte Tätigkeitsfeld wurde durch die vom Arzt eingeforderten Hilfeleistungen zersplittert. Im 19. Jahrhundert änderte sich auch maßgebend der Umgang mit den psychisch Kranken. Sie wurden als „Kranke“ anerkannt, die nicht mehr in Toll- oder Zuchthäusern weggesperrt werden mussten. Die Psychiatrie entwickelte sich zu einer medizinischen Disziplin mit neuen Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten. Diese modernen Konzepte schlugen sich auch im Baustil von neuen psychiatrischen Anstalten nieder.

3 Charakterisierung und Sozialprofil der Schwesternschaften und Pflegegruppierungen 3.1 Zusammensetzung des Pflegesektors Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Pflege der Patienten in den Krankenanstalten von verschiedenen organisierten Schwestern-, Bruder- bzw. Wärterschaften übernommen. Das Pflegepersonal der Spitäler rekrutierte sich vor allem aus ungelernten Lohnwärterinnen und Lohnwärtern, die oftmals aus dem gleichen sozialen Umfeld wie die Patienten kamen. Immer wieder gab es Berichte über Probleme mit dem Personal aufgrund von Kriminalität und Alkoholismus.1 Dessen Arbeit konzentrierte sich nicht so sehr auf den therapeutischen Heilungsprozess, sondern vielmehr auf die minimale Grundversorgung.2 Der Beruf der Krankenwartung war wenig attraktiv, zum einen in Bezug auf den Arbeitsplatz, der gesellschaftlich nicht anerkannt war, zum anderen aufgrund der geringen Entlohnung, weswegen viele Wärterinnen und Wärter ledig blieben.3 In der Hospital- und Privatpflege waren außerdem katholische Pflegeorden und (seit 1836) Diakonissen tätig. Doch konnte der Personalbedarf damit nicht gedeckt werden, so dass man weiterhin Krankenwärter einsetzen musste. Die Neugründung der katholischen Ordenspflege war ein Vorbild für den Aufbau von protestantischen Schwesternschaften.4 Der evangelische Pastor Theodor Fliedner (1800–1864)5 gründete 1836 die Diakonissenanstalt Kaiserswerth. Schon im ersten Jahresbericht benannte er den Einsatz der Schwestern in der Armen- und Bedürftigenpflege sowie in der Gemeindefürsorge als Ziel der Ausbildung zur Diakonisse.6 Kennzeichnend für Fliedners Konzept waren die Institution Mutterhaus7, die er von den „Barmherzigen Schwestern“ übernommen hatte, sowie das System der Gestellungsverträge8. Etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ergänzten das katholische und evangelische Mutterhaussystem die geschlossenen katholischen Orden. Sie ersetzten nach und nach die Lohnwärterinnen und Lohnwärter in den Krankenhäusern.9 Diese Entwicklung wird als Vorbild für die Neustrukturierung von Pflegearbeit in Deutschland angesehen.10 1 Vgl. Jenner (2004), S. 78. 2 Vgl. Krause (2005), S. 14. 3 Vgl. Kerstin Winkler (2003), S. 23. In manchen Anstalten wurde ein Heiratsverbot ausgesprochen. In anderen benötigten die Wärter eine Heiratserlaubnis von der Anstaltsdirektion. Detaillierter wird auf das Berufszölibat in Kapitel 4.3.1 eingegangen. 4 Vgl. Kerstin Winkler (2003), S. 29. 5 Zu Theodor Fliedner siehe Wolff (1997), S. 52. 6 Vgl. Felgentreff (1998), S. 25. 7 Vgl. Kreutzer (2005), S. 35. 8 Vgl. Riesenberger (2002), S. 90; Helmerichs (1992), S. 45. 9 Vgl. Käppeli (2004), S. 102. 10 Vgl. Schmidt (1998), S. 23.

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3 Charakterisierung und Sozialprofil

Auch Männer konnten sich den diakonischen Aufgaben widmen. 1833 gründete Johann Heinrich Wichern (1808–1881)11 in Hamburg das „Rauhe Haus“. Für die Betreuung von verwahrlosten Kindern bildete er junge Gehilfen aus, die sogenannten Brüder. Sie wurden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als Diakone bezeichnet.12 Für Frauen, die diakonisch arbeiten wollten, ohne dafür in ein Mutterhaus einzutreten, war der Evangelische Diakonieverein des Theologen Friedrich Zimmer (1855–1919)13 eine Alternative. Nach einem einjährigen Kursus in der Krankenpflege konnten sich die Schwestern ähnlich wie die Diakonissen einsegnen lassen, hatten aber jederzeit die Möglichkeit, den Schwesternverband wieder zu verlassen.14 Der Pflege Bedürftiger verschrieben sich auch konfessionell ungebundene und überparteiliche Institutionen wie der Badische Frauenverein, ein Vorläufer der Rot-Kreuz-Schwestern.15 Er sah es als seine Aufgabe an, im Frieden Kranke und im Krieg verletzte Soldaten zu pflegen.16 Der Badische Frauenverein orientierte sich am Mutterhausprinzip, betonte aber den „weltlichen“ Charakter seiner Schwestern, die kein religiöses Gelübde ablegten.17 Im Folgenden werden die von mir näher untersuchten Bruder-, Schwestern- und Wärterschaften vorgestellt. Ein kurzer geschichtlicher Überblick dient dazu, diese in das weite Feld der unterschiedlich organisierten Pflegekräfte des 19. und 20. Jahrhunderts einordnen zu können. 3.1.1 Clemensschwestern aus Münster Der Generalvikar in Münster, Clemens August Freiherr Droste zu Vischering (1773–1845)18, war beeindruckt vom karitativen Werk des Vinzenz von Paul (1581–1660)19. Wegen der sich ausbreitenden Säkularisierung gründete der Freiherr allerdings keinen Krankenpflegeorden, sondern ein Krankenwärterinnen-Institut.20 Mit finanzieller Unterstützung von Graf Friedrich Leopold zu Stolberg (1750–1819) und Bernhard Overberg (1754–1826) und zusammen mit fünf in der Krankenpflege erfahrenen Frauen verwirklichte er sein Vorha-

11 12

Zu Johann Heinrich Wichern siehe Schambach (2008); Hermann (2007). Mehr zur männlichen Diakonie: Bunke (1929); Rünger (1965); Häusler (1995); Ulrike Winkler (2007). 13 Zu Friedrich Zimmer siehe Wolff (1997), S. 223. 14 Vgl. Kerstin Winkler (2003), S. 55. Zum Evangelischen Diakonieverein siehe Zimmer/ Großmann (1911); Kracker von Schwartzenfeldt (1969). 15 Vgl. Lutzer (2002), S. 29 f. 16 Vgl. Riesenberger (2002), S. 91. 17 Vgl. Lutzer (2002), S. 435. 18 Zu Clemens August Freiherr Droste zu Vischering siehe Hänsel-Hohenhausen (1991); Pohlschneider (1952); Wolff (2001), S. 55. 19 Zu Vinzenz von Paul siehe Wolff (1997), S. 146. 20 Vgl. Balbach/Wolf/Flammer (2007), S. 11.

3.1 Zusammensetzung des Pflegesektors

57

ben im Jahr 1808.21 Clemens August Freiherr Droste zu Vischering hatte zu Beginn ein Haus gemietet, in dem die Krankenwärterinnen lebten und hauptsächlich in der ambulanten Pflege arbeiteten. Die pflegerische Tätigkeit der Genossenschaft fand überall Anerkennung. Dennoch durchlebte sie schwere Zeiten, denn die erste Oberin verstarb früh, und es fehlte ihnen an Nachwuchs: Mit nur zwei Mitgliedern schien das Projekt zum Scheitern verurteilt.22 Mit der Übernahme der Pflege im Clemenshospital kam eine Zeit des Aufschwungs für die Schwestern. Das Krankenhaus war bis zur Säkularisierung von Barmherzigen Brüdern geführt worden. Danach wurde versucht, die Arbeit der Brüder zu ersetzen, jedoch erfolglos, und das Hospital verfiel zusehends.23 Die drei Schwestern übernahmen 1820 eine dürftige Ausstattung24 und widmeten sich der Pflege von 30 Patienten25. In dem Vertrag mit der ArmenKommission wurde festgehalten, dass die Schwestern sowohl das Krankenhaus verwalteten als auch die Pflege übernahmen.26 Das Krankenhaus diente zugleich auch als Mutterhaus. Die Pflege der „Clemensschwestern“, wie man sie nannte, hatte schon bald einen sehr guten Ruf. 1833 besuchte König Friedrich Wilhelm II. das Clemenshospital und äußerte sich sehr lobend über die Arbeit der Schwestern.27 Eine weitere berühmte Fürsprecherin der Barmherzigen Schwestern in Münster war Kaiserin Augusta. Sie ließ sich nach einer Operation von den Nonnen pflegen und hatte von da an immer eine Schwester für ihr persönliches Wohl um sich.28 Während des preußisch-österreichischen Feldzuges gegen Dänemark im Jahr 1864 waren die Nonnen erstmals in Kriegslazaretten tätig. 29 Schwestern waren an unterschiedlichen Standorten eingesetzt, pflegten die verwundeten Soldaten und assistierten bei Operationen. Die Regierung würdigte ihre Leistung durch die Verleihung von mehreren Medaillen.29 Auch in den folgenden Kriegen30 forderte man in wachsender Zahl Barmherzige Schwestern für den Lazarettdienst an. Die zu Hause verbliebenen Schwestern pflegten sowohl die Soldaten in den heimatlichen Lazaretten als auch die Bevölkerung, die an Epidemien erkrankt war.31 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

Vgl. Wilking (1927), S. 10 ff. Vgl. Wilking (1927), S. 11–16. Vgl. Wilking (1927), S. 17. Vgl. Padberg (1977), S. 33. Da nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung standen, gab es eine Begrenzung der Aufnahmekapazität. Im Sommer wurden 20 und im Winter 30 Patienten aufgenommen, zahlende Patienten jederzeit. Vgl. Balbach/Wolf/Flammer (2007), S. 19. MAM, Huyskens [1904]. Vgl. Wilking (1927), S. 18–21. Vgl. Wilking (1927), S. 40 f. Vgl. Balbach/Wolf/Flammer (2007), S. 24. Krieg zwischen Preußen und Österreich 1866, Deutsch-Französischer Krieg 1870/71, Erster Weltkrieg 1914–1918. Auf den Ersten Weltkrieg wird detaillierter in Kapitel 7.1.3 eingegangen. Vgl. Balbach/Wolf/Flammer (2007), S. 24.

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3 Charakterisierung und Sozialprofil

Trotz ihres Einsatzes spürten sie die Folgen des Kulturkampfes32, den die Regierung gegen die katholische Kirche führte. Die Gemeinschaft durfte keine neuen Schwestern aufnehmen, erst 1881 wurde es ihnen offiziell erlaubt.33 Der Orden wuchs zunehmend und mit ihm seine Einsatzgebiete bzw. -orte. 1858 umfasste er 200 Schwestern und 43 Niederlassungen34, 1909 waren es bereits 1.377 Schwestern und 88 Niederlassungen35, und 1922 zählte man 2.200 Schwestern in 111 Niederlassungen36. Die Ordensfrauen waren nicht nur im Krankenhaus tätig, sondern auch in Waisenhäusern, Alten- und Erziehungsheimen, Handarbeitsschulen und Kindergärten.37 Heute umfasst die Gemeinschaft 31938 Schwestern in 52 Niederlassungen. Ihre Einsatzgebiete sind nach wie vor zahlreich und erstrecken sich von der Krankenpflege über die Nichtsesshaftenhilfe bis hin zur Mission.39 3.1.2 Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau Im Unterschied zu anderen deutschen Ländern, wie etwa Württemberg, hatte Baden nach 1840 alle seine Anstalten neu erbaut40 – so auch die Illenau, die nach neuen wissenschaftlichen Standards 1842 eröffnet wurde41. Die Anstalt war kreuzförmig in eine Frauen- und Männerseite aufgeteilt. Die ruhigen Patienten befanden sich im Zentrum, während die Störenden und Tobenden in der Peripherie angesiedelt wurden. Das Besondere waren die Kombination von Heil- und Pflegeanstalt und das Zusammenlegen der vorher getrennt untergebrachten unheilbaren und heilbaren Patienten in einer gemeinsamen Anstalt.42 Die Privatpatienten hatten separate Räumlichkeiten und auch ihren eigenen Privatwärter, zudem mussten sie sich nicht an „Arbeitsdiensten“43 beteiligen44. Der Baustil wurde in anderen Ländern ebenso übernommen wie die in der Illenau praktizierten therapeutischen Methoden. Nach ihrem Vorbild erbaute man Anstalten in Nassau (Eichberg 1849), in Sachsen (Halle-Nietleben 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42

Kulturkampf: 1871–1878, wurde jedoch erst 1887 diplomatisch beigelegt. Vgl. Balbach/Wolf/Flammer (2007), S. 25. Vgl. Wilking (1927), S. 29. Vgl. Wilking (1927), S. 49. Vgl. Wilking (1927), S. 71. Vgl. Balbach/Wolf/Flammer (2007), S. 27. Schriftliche Auskunft der Archivarin Schwester Annetta vom 28.11.2011. http://www.clemensschwestern.de/index.php?cat_id=13780 (letzter Zugriff: 11.4.2014). Vgl. Faulstich (1993), S. 32. Vgl. Lötsch (2001), S. 6, und Lötsch (1996), S. 13. Vgl. Burkhardt (2003), S. 185. Die Aufnahme von reichen und armen Patienten verringerte die Anstaltskosten, zudem sollten die Vorurteile gegenüber einer Heil- und Pflegeanstalt von Seiten der gehobenen Schichten abgebaut werden. 43 Zur Arbeits- und Beschäftigungstherapie in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau siehe Kapitel 6.2.4. 44 Vgl. Burkhardt (2003), S. 205 f.

3.1 Zusammensetzung des Pflegesektors

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1844), in Preußen (Schwetz 1855) und sogar in Russland (Kasan, Perm am Ural).45 Als Anfang der 1860er Jahre die große Heil- und Pflegeanstalt in Emmendingen entstehen sollte, reichte zur Planung eine Kopie des Illenauer Modells, nur auf 600 Plätze vergrößert, aus.46 Nach langer und sorgfältiger Planung verwirklichte Christian Friedrich Wilhelm Roller, der Begründer und erste Direktor der Anstalt, seine Idealvorstellungen und prägte den später oft beschworenen „Illenauer Geist“ und den Leitsatz: „Liebe! Diene!“47 Er war der Sohn des Irrenarztes Johann Christian Roller und hatte in Tübingen und Göttingen Medizin studiert. Danach hatte er sich als Arzt in Pforzheim niedergelassen und 1825 im Auftrag der großherzoglichen Regierung zahlreiche Irrenhäuser bereist, um sich selbst ein umfassendes Bild für eine ideale Heilanstalt zu machen, welche er in der Illenau verwirklichen wollte.48 Als die Illenau 1842 bezogen wurde, lebten dort 291 Patienten, zwei Ärzte sowie der Direktor, zwei geistliche Seelsorger, 28 Wärter, 25 Wärterinnen, drei Oberaufseher, zwei Oberaufseherinnen, der Verwalter und Verwaltungspersonal, der Ökonom sowie eine nicht bekannte Anzahl an Handwerkern.49 Die Anstalt erwarb sich sehr schnell einen guten Ruf. Bereits 1852 war die Aufnahmefähigkeit erschöpft bzw. die Einrichtung mit ca. 500 Patientinnen und Patienten maßlos überfüllt. Zu Rollers Plänen gehörte neben einem Neubau auch die Errichtung einer Wärterschule, da ihm die Bildung des Wartpersonals ein großes Anliegen war. Jede Woche erklärte er ihnen zwei Stunden lang die umfassende Hausordnung, die Instruktionen zur Krankenwartung enthielt. Hinzu kamen eine Repetitionsstunde und Schreibstunden durch die Oberwärterinnen sowie eine Belehrung und Deutung des Berufes durch die Hausgeistlichen. Die Wärterschule wurde erst 1921, nach Rollers Tod, gegründet. In der „Pflegeschule“ unterrichtete man 25 Schülerinnen und Schüler.50 Ein Jahr nach der Eröffnung betonte der Prüfungsvorsitzende Roemer, „dass der erste Versuch, eine Pflegeschule in Baden zu errichten zu einem vorzüglichen Erfolg geführt hat“.51 Therapeutische Methoden, die heute noch als modern gelten, führte schon Christian Roller ein. Jeder Patient konnte und sollte in einer der zahlreichen Anstaltswerkstätten, in der anstaltseigenen Landwirtschaft oder in der Bibliothek arbeiten. Die Vorstellung, Arbeit als therapeutisches Mittel einzusetzen, geht vom Idealtypus des heilbaren und resozialisierbaren und damit arbeitsfähigen Irren aus.52

45 46 47 48 49 50 51 52

Vgl. Jetter (1981), S. 43. Vgl. Faulstich (1993), S. 32. Vgl. Lötsch (2001), S. 4. Vgl. Burkhardt (2003), S. 57. Vgl. Lötsch (2001), S. 32. Vgl. Lötsch (2001), S. 120. Tagebuch Illenau (1922). Vgl. Burkhardt (2003), S. 203; Ester (1989).

60

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Oscar Mahir, ein Privatdozent an der Universität München, hatte in den 1840er Jahren viele Heilanstalten in Europa besucht. Er kritisierte an der Illenau den sogenannten „Tobflügel“ zur Behandlung „Rasender“, den er als eng und düster beschrieb. Negativ äußerte er sich auch über die Verwendung von Zwangsmitteln, wie zum Beispiel der Zwangsjacke.53 Roller hingegen war kein Anhänger des „Non-restraint“-Systems, welches die alten Zwangsmittel, wie Zwangsstuhl oder -jacke und andere Strafmaßnahmen, verurteilte.54 In den kommenden Jahren kam es immer wieder zu Um- und Neubauten. 1903 wurden zwei Landhäuser für Patienten und Genesende bezogen, die keine geschlossene Anstalt benötigten.55 Zu den fortschrittlichsten Errungenschaften gehört das 1903 errichtete Kessel- und Maschinenhaus, welches den gesamten Gebäudekomplex mit warmem Wasser und elektrischem Licht versorgte. Es war eine enorme Erleichterung für das Pflegepersonal.56 Die Illenau konnte weitgehend autark leben, sie hatte neben einer anstaltseigenen Apotheke57 auch eine Bäckerei, Metzgerei, Gärtnerei, Schneiderei, Schuhmacherei, Glaserei, Schreinerei, Schmiede, Schlosserei und Wäscherei58. Zur Unterhaltung aller gab es seit 1866 das sogenannte „Gahlenfest“. Die Witwe des einstigen Patienten „Gahlen“ stiftete zu dessen Erinnerung eine höhere Summe für ein jährliches Fest. Es entwickelte sich zu einem regelrechten Volksfest in der Illenau.59 In den Wintermonaten wurden für die Hausgenossen Vorführungen mit Lichtbildern veranstaltet60, ab 1901 hielt der Direktor in dieser Zeit Erziehungskurse für das Wartpersonal ab. Abteilungsärzte unterrichteten die Wärterinnen und Wärter abwechselnd in chirurgischen Hilfsleistungen wie Wundbehandlung und Verbändeanlegen. Auswärtige Kräfte unterwiesen sie in Massage. Manche Wärterinnen erhielten in der anstaltseigenen Weberei einige Unterrichtsstunden, um später die weiblichen Pfleglinge darin zu unterweisen.61 Der Erste Weltkrieg hatte auch Auswirkungen auf den Anstaltsbetrieb der Illenau. Durch die eingezogenen Ärzte, Pfleger und Beamten veränderte sich die Personalsituation. Wärterinnen versorgten nun erstmals auch die männlichen Insassen.62 Daneben fungierten Teile der Illenau als Lazarett für verwundete Soldaten, das ab 1916 in ein Reservelazarett für Geisteskranke umgewandelt wurde. In der Nachkriegszeit änderten sich Aufgaben und Auffassung der Psychiatrie zunehmend. Bereits 1920 propagierte der Psychiater Alfred 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62

Vgl. Mahir (1846), S. 183 f. Vgl. Mahir (1846), S. 185; Faulstich (1993), S. 16. Vgl. Brandt (1903), S. 67. Vgl. Stinus/Köppel (1992), S. 21. Vgl. Brandt (1903), S. 33 f. Vgl. Stinus/Köppel (1992), S. 21. Vgl. Brandt (1903), S. 36. Vgl. Brandt (1903), S. 79. Vgl. Brandt (1903), S. 78. Dorothe Falkenstein erwähnt in ihrem Aufsatz, dass die weibliche Pflege auf Männerstation ein heftig diskutiertes Thema war, da die Wärter um ihre „Existenzberechtigung“ in der Anstalt fürchteten. Vgl. Falkenstein (2006), S. 99 f.

3.1 Zusammensetzung des Pflegesektors

61

Hoche (1865–1943) die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“.63 Als im Dritten Reich dieses Programm umgesetzt wurde, fielen auch die Pfleglinge der Illenau der sogenannten „Euthanasie“ zum Opfer. Mit dem Abtransport der Insassen 1940 wurde die Anstalt als Heil- und Pflegeeinrichtung geschlossen.64 Die Nationalsozialisten nutzten den Gebäudekomplex zum einen als „Reichsschule für Volksdeutsche“ und zum anderen als Eliteschule für zukünftige Führungspersönlichkeiten, die sogenannte „NAPOLA“ (Nationalpolitische Lehranstalt). 1945 besetzten die Franzosen die Anstalt; anfänglich diente sie als Unterkunft für ehemals deportierte Polen, später als französische Kaserne.65 Heute stehen große Teile des Komplexes leer. Ein Förderverein engagiert sich für die Restaurierung der Illenau, und 2008 wurde beschlossen, ein Kulturzentrum im Zentralgebäude der ehemaligen Anstalt zu eröffnen. Zudem gibt es ein Projekt, welches die künstlerischen, handwerklichen und technischen Fähigkeiten junger Menschen fördern soll, indem Werkstätten in den ehemaligen Stallungen errichtet werden.66 3.1.3 Sarepta-Diakonissen aus Bielefeld Auf Initiative des Likörfabrikanten Gottfried Bansi (1828–1910)67 und des Pastors Friedrich Simon (1833–1912) wurde 1867 in Bielefeld eine Anstalt für Epileptische gegründet. Der dafür erworbene Hof erhielt den Namen „EbenEzer“.68 Zudem wollte man eine Diakonische Anstalt im Stil der von Fliedner gegründeten Kaiserswerther Mutterhaus-Diakonie errichten. Dies geschah 1869. Erster Vorsteher war der bereits erwähnte Pastor Simon.69 Für die Anfangsphase stellte Kaiserswerth drei Diakonissen zur Verfügung, darunter die erfahrene Emilie Heuser (1822–1898), die erste Vorsteherin wurde. Der Theologe Ralf Pahmeyer räumt ihr in seinem Artikel eine tragende Rolle beim erfolgreichen Aufbau der Diakonissenanstalt ein.70 Schon bald kamen die ersten Patienten ins Haus Eben-Ezer. Zwar war es ursprünglich nur für Kinder gedacht, doch meldeten sich weitaus mehr Erwachsene. Gustav v. Bodelschwingh beschrieb die Situation folgendermaßen:

63 64 65 66 67 68

Vgl. Lötsch (2001), S. 119. Vgl. Lötsch (2001), S. 17. Vgl. Stinus/Köppel (1992), S. 22. http://www.forum-illenau.de/fakten.html (letzter Zugriff: 11.4.2014). Zur Person Gottfried Bansi siehe Pahmeyer (2003), S. 30–37. Eben-Ezer ist ein in der Bibel erwähnter Ort und bedeutet „Stein der Hilfe Gottes“. Alle Häuser der späteren Bodelschwinghschen Anstalt sind nach Orten oder Landschaften benannt, die in der Bibel Erwähnung finden. 69 Vgl. Hellmann (1983), S. 53, und Pahmeyer (2003), S. 15. 70 Vgl. Pahmeyer (2003), S. 85.

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3 Charakterisierung und Sozialprofil […] stattdessen meldeten sich Erwachsene in großer Zahl, Leute aus allen Ständen und Berufen und Krankheitsgraden. […] daß es sich hier nicht nur um eine Arbeit für den Arzt und Seelsorger und Pfleger handele, sondern um eine große soziale Aufgabe.71

Nachdem Pastor Simon in eine andere Gemeinde berufen wurde, übernahm 1872 Pastor Friedrich v. Bodelschwingh (1831–1910)72 die Leitung der Epileptiker-Anstalt, die er Bethel73 nannte, und das Diakonissenhaus, das Sarepta74 getauft wurde. Bodelschwingh war ein charismatischer Patriarch, der über 40 Jahre im Dienste der Anstalt stand und als ihr geistiger und geistlicher Vater angesehen wird. Die Diakonissenschaft wuchs von neun Schwestern zu Gründungsbeginn auf 201 im Jahre 1879. Zwanzig Jahre später zählten zu Sarepta 862 Diakonissen, und 1919 gehörten 1.493 Schwestern dem Mutterhaus an.75 1928 war Sarepta mit 1.750 Mitgliedern das weltweit größte Mutterhaus geworden.76 Die Diakonissen wurden ab 1879 bis zum Bau eines eigenen Krankenhauses in Bremen ausgebildet.77 Mit der stetigen Zunahme an Diakonissen wuchs auch das Aufgabenfeld, und schon bald waren sie neben Krankenhaus und Gemeindepflege auch in der Fürsorgearbeit, in Handarbeits- und Kinderschulen tätig.78 Ende der 1920er Jahre waren rund 70–80 % der Schwestern auf 435 Stationen außerhalb von Bethel eingesetzt.79 Die Einsatzorte der Diakonissen lagen nicht nur in Westfalen und den umliegenden Provinzen, sondern neben Berlin und Bremen auch im Ausland, wie London, Paris, Davos, Metz, Antwerpen und vielen weiteren Städten.80 Nicht nur personelle, auch bauliche Entwicklungen zeugen von dem großen Zuwachs. Es war nicht die Absicht von Bodelschwingh, eine große Anstalt, sondern eine Kolonie zu errichten. Er baute einfache Gebäude, die zum einen billig waren, zum anderen konnten sie leichter geführt werden. Jedes Haus war eine Einheit aus Wohnung, Hauseltern-Unterbringung und Werkstatt.81 Ebenso wie andere Diakonissen waren die Sarepta-Schwestern während des Ersten Weltkriegs auch im Lazarettdienst eingesetzt. 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81

Vgl. Hellmann (1983), S. 55. Zu Friedrich v. Bodelschwingh, auch Friedrich v. Bodelschwingh der Ältere genannt, siehe Wolff (1997), S. 18 f. Mehr über das Wirken und Leben des Friedrich v. Bodelschwingh siehe in Hellmann (1983) und Schmuhl (2005). Bethel, hebräisch, bedeutet „Haus Gottes“. Sarepta aus 1. Könige, Kapitel 17, Verse 8–6, oder Maleachi, Kapitel 3, Vers 3, bedeutet „Schmelzhütte“. Vgl. Kerstin Winkler (2003), S. 43. Vgl. Benad (2002), S. 197. Vgl. Erinnerungsblatt (1919), S. 7. 1913 wurde das Krankenhaus Gilead gebaut, in dem die Diakonissen unterrichtet wurden. Vgl. Erinnerungsblatt (1919), S. 10 f. Vgl. Die Diakonisse. Zeitschrift für weibliche Diakonie H. 8/9 (1929), S. 284; Benad (1996), S. 21. Vgl. Böhm (1997), S. 47. Vgl. Hellmann (1983), S. 55.

3.1 Zusammensetzung des Pflegesektors

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Der Zuwachs an Diakonissen nahm seit den 1920er Jahren, unterbrochen von einem kurzen Anstieg nach dem Zweiten Weltkrieg, stetig ab. 1979 gab es erstmals keine Aufnahme. 1997 zählte Sarepta 540 Diakonissen, 313 Ravensberger-Schwestern und 258 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die keiner Schwesternschaft angehörten.82 Seit 2000 bildet die Stiftung Sarepta mit der Stiftung Bethel und Nazareth den Verbund der von Bodelschwinghschen Stiftung.83 3.1.4 Nazareth-Diakone aus Bielefeld Der Historiker Reinhard Neumann spricht in Bezug auf die Nazareth-Diakone von einer „Be-Gründungslegende“, die bis heute nahezu unverändert tradiert worden sei.84 Zwar lag die Pflege der Kranken in den Händen der Sarepta-Schwestern, dennoch wurde für schwere Arbeiten auch männliches Pflegepersonal benötigt. Zuverlässige Pfleger waren jedoch schwer zu finden. Auf Bitten der Anstaltsleitung schickten andere Brüderhäuser Diakone, die mit freien Helfern, „Wärtern“, zusammenarbeiteten. Anlässlich des Geburtstages eines Pflegers schlossen sich 1877 die nicht an ein Brüderhaus gebundenen elf Männer zur „Westfälischen Brüderanstalt“ zusammen. Die Brüderschaft85 nannte sich Zoar, hebräisch für „Kleinigkeit“86. Der kleine Kreis an Brüdern wuchs. So zählten bereits vier Jahre später 35 eingesegnete und 15 Probebrüder zu der Gemeinschaft, wobei man anmerken muss, dass 17 nach einer gewissen Zeit die Brüderschaft wieder verließen. Die Arbeit war sowohl körperlich als auch seelisch anspruchsvoll, da die Brüder neben der Krankenpflege auch in der Erziehung der epileptischen Knaben tätig waren.87 Mit dem Bau eines Bruderhauses 1882 benannten die Mitglieder ihre Brüderschaft in „Nazareth“ um.88 Schon bald übernahmen die Brüder noch weitere Aufgabenfelder. So waren sie in Männerabteilungen von Krankenhäusern eingesetzt, allerdings unter Leitung der dort arbeitenden Diakonissen.89 Bodelschwingh hatte während der Kriege 1866 und 1870/71 erlebt, wie liebevoll Diakonissen die Soldaten gepflegt hatten, und war der Meinung, „dass Männer in diesem Bereich an 82 83 84 85 86 87 88 89

Vgl. Böhm (1997), S. 50. http://www.sarepta-nazareth.de/.cms/77 (letzter Zugriff: 11.4.2014). Vgl. Neumann (2007), S. 212. Die Gemeinschaft bezeichnete sich bis zum Zweiten Weltkrieg als Brüderschaft, danach wurde der Begriff Bruderschaft für die Nazareth-Diakone verwendet. Siehe hierzu Häusler (1995), S. 36. Vgl. Frick (2002), S. 11 f.; Neumann (2007), S. 212. Vgl. Frick (2002), S. 13. Vgl. Neumann (2002), S. 256. Vgl. Frick (2002), S. 17. Mehr über die Zusammenarbeit von Diakonissen und Diakonen in Kapitel 7.2.1.

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Begabung zurückstehen“90, deshalb waren die Diakone den Diakonissen untergeordnet. Auch wenn immer wieder über eine hohe Fluktuation geklagt wurde, vergrößerte sich die Brüderschaft zunehmend. 1898 waren 270 Brüder auf 100 Stationen eingesetzt.91 Der Erste Weltkrieg hatte große Auswirkungen auf das Leben der Brüdergemeinschaft. Da die Diakone ausgebildete Krankenpfleger waren, wurden sie als Sanitäter eingesetzt. Bis 1918 war etwa ein Drittel aller eingezogenen Männer gefallen. Eine erneute Namensänderung in „Bruderschaft Nazareth“ vollzog sich Ende der 1960er Jahre, um eine Öffnung für Nicht-Diakone anzuzeigen. Seit 1993 können auch Frauen aufgenommen werden.92 Heute gehören zu der Nazareth-Gemeinschaft über 1.000 Männer und Frauen, zum einen eingesegnete Diakoninnen93 und Diakone, zum anderen Menschen, die sich im Diakonat engagieren94. 3.1.5 Die Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwestern Die Entstehung der Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwesternschaft ist mit der Gründung des dortigen städtischen Krankenhauses verbunden. Bereits 1895 begann man mit der Planung eines modernen allgemeinen städtischen Krankenhauses, welches jedoch erst 1907 eröffnet wurde. Durch den besonderen Baustil, ein Mischsystem aus Pavillon- und Korridoranlage95, unterstrich man den fortschrittlichen Charakter des Krankenhauses, welches zugleich eine Versorgungs-, Forschungs- und Lehranstalt sein sollte96. Man berücksichtigte beim Bau neue medizinische und wirtschaftliche Erkenntnisse, beispielsweise lagen die Krankensäle und Liegehallen überwiegend zur Südseite. Die hellen und freundlichen Räume hatten Platz für 30 Betten, zudem war jeweils ein Tagesraum angegliedert. Die Privatpatienten der I. und II. Klasse lagen separat, nach Krankheitsbildern getrennt, in einem Gebäude. Dieses war mit großen Marmorverkleidungen, Veranden, Personenaufzügen und Salons ausgestattet worden.97 Für ein solch innovatives Krankenhaus wollte man dementsprechend qualifiziertes Personal haben. Obwohl das städtische sogenannte Barackenkran-

90 91 92 93 94 95

Vgl. Hellmann (1983), S. 72 f. Vgl. Frick (2002), S. 43. Vgl. Neumann (2002), S. 256. Eine Diakonin ist ein weiblicher Diakon und nicht zu verwechseln mit einer Diakonisse. http://www.nazareth.de/.cms/60 (letzter Zugriff: 11.4.2014). „Das moderne Pavillonsystem erfordert erfahrungsgemäß bei gleicher Bewegungsfähigkeit und andauernd gleicher Durchschnittsbelegung mehr Personal und damit größere Ausgaben als das Korridorsystem.“ Most (1909), S. 227. 96 Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 41. 97 Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 41.

3.1 Zusammensetzung des Pflegesektors

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kenhaus in Düsseldorf von Augustiner-Schwestern98 geleitet wurde, entschied man sich gegen den Orden. Vielmehr sollte die Pflege von gut qualifizierten weltlichen Schwestern übernommen werden, und diese wollte man in einer eigenen Pflegerinnenschule selbst ausbilden.99 Obwohl weltliche Schwestern höhere Kosten verursachten, sah man einen Vorteil darin, unabhängig Entscheidungen treffen zu können, zum Beispiel bei Versetzungsfragen.100 Durch die dezentrale Pflegestruktur bzw. Pflegeorganisation kam es immer wieder zu Streitigkeiten innerhalb der Schwesternschaft. Sogar die Düsseldorfer Lokalpresse berichtete von Zwistigkeiten, die es mit Ordensschwestern ihrer Meinung nach nicht geben würde. Um ihren Ruf bangend, entschied sich die Klinik, anstelle der weltlichen nunmehr Rot-Kreuz-Schwestern einzustellen. Eine Ursache für das Scheitern der weltlichen Pflegekräfte lag in der hohen Fluktuation. Dies war laut Oberschwester Elisabeth Tomitius (1868– 1945)101 bedingt durch geringes Zusammengehörigkeitsgefühl, das fehlende Mutterhaus und die finanziell ungesicherte Zukunft102. Im Jahre 1912 kam es schließlich zur Gründung einer Rot-Kreuz-Schwesternschaft, deren erste Oberin Elisabeth Tomitius war.103 Die Anzahl der Pflegerinnen wuchs stetig. Bei der Gründung des Krankenhauses gab es 131, 1915 waren es bereits 270 Schwestern.104 Die Klinik war weiterhin bemüht, den Ansprüchen an ein modernes Krankenhaus gerecht zu werden, daraus folgten Um- und Ausbauten. Auch in der Pflege gab es Entwicklungen zur Spezialisierung, beispielsweise durch Ausbildungskurse in der Wochen- und Säuglingspflege.105 Während des Ersten Weltkriegs dienten die Krankenanstalten als Reservelazarett; durch die Nähe Düsseldorfs zur Westfront wurde bereits 1914 eine Vielzahl an Verwundeten versorgt. Schon bald hatte sich das Krankenhaus einen guten Ruf in der Wiederherstellung von Gesichtsteilen erworben, woraus sich in den 1920er Jahren die Gesichts- und Kieferchirurgie als eine eigene Disziplin etablierte. Doch nicht nur in Düsseldorf versorgten die Schwestern Soldaten, einige wurden zusammen mit Ärzten in der Etappe eingesetzt.106 Inzwischen werden keine Rot-Kreuz-Schwestern mehr ausgebildet. 1973 gingen die städtischen Krankenanstalten als Universitätsklinik in die Trägerschaft des Landes über.107

98 99 100 101 102 103 104 105 106 107

Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 65. Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 43. Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 73. Zu Elisabeth Tomitius siehe Wolff (1997), S. 209. Schreiben vom 13.1.1909. StAD, Bestand IV-37797, Bd. 3, Bl. 144–146. Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 78. Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 42. Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 203. Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 48. http://www.uniklinik-duesseldorf.de/index.php?id=11 (letzter Zugriff: 11.4.2014).

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3 Charakterisierung und Sozialprofil

3.2 Genderaspekte 3.2.1 Rollenerwartungen Im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es genaue Vorstellungen über die Männer- und Frauenrolle in der Gesellschaft.108 Es stellt sich die Frage, inwieweit die Sarepta-Diakonissen und die Nazareth-Diakone diesen Rollen entsprachen, berücksichtigt man die Tatsache, dass es sich für eine bürgerliche Frau nicht ziemte, berufstätig zu sein. Die Diakone wiederum hatten in den Anfangsjahren ihren Tätigkeitsschwerpunkt in der Krankenpflege, ein Arbeitsbereich, der im 19. Jahrhundert als weibliche Domäne galt. Somit waren die Nazareth-Diakone innerhalb der männlichen Diakonie eine Besonderheit.109 Rolle der Frau Es scheint schon beinahe paradox, im Zusammenhang mit Diakonissen, Nonnen, Rot-Kreuz-Schwestern oder Wärterinnen von Mutterrolle zu sprechen. Schließlich wählten sie alle ein zölibatäres Leben, weswegen ihnen das eigene Mutterglück verwehrt blieb. Und dennoch galten gerade ledige Frauen als besonders geeignet für den Pflegeberuf, da man sie von Natur aus für mütterlich110, gefühlvoll, anpassungsfähig, passiv, schwach, altruistisch und liebevoll hielt111. Diese Eigenschaften waren so konstruiert, dass sie die des Mannes ergänzten, den man demzufolge als stark, mutig, egoistisch und durchsetzungsfähig beschrieb. Bereits Ende des 17. Jahrhunderts wies man den Frauen bestimmte Rollen innerhalb der Gesellschaft zu. Diese Rollenerwartungen gingen mit einem Rückzug aus dem aktiven Wirtschaftsleben einher.112 Während der Mann tagsüber außer Haus arbeiten ging, versorgte die Frau den Haushalt und erzog die Kinder.113 Eine liebevolle und prägende Erziehung sollten die Kinder statt von der Amme oder dem Kindermädchen nun von der Mutter erhalten.114 Gleichzeitig übernahm sie rekreative Aufgaben. Durch die Schaffung einer häuslichen Atmosphäre sollte sie für die emotionale Ausgeglichenheit des Mannes sorgen.115 Die Diakonissen lebten ihre Frauenrolle durch ihre Arbeit. Sie sollten in aufopferungsvoller Hingabe ihre Patienten pflegen, wie eine Mutter sich um 108 109 110 111 112 113

Hierzu Opitz (2010). Vgl. Spanhofer (1997), S. 214. Zur besonderen Bedeutung von Mütterlichkeit in Deutschland siehe Vinken (2001). Vgl. Bischoff (1992), S. 65. Vgl. Hauser (1992), S. 43–46. Davor konnten Frauen selbstverständlich auch außer Haus einer Arbeit nachgehen. Ihr Tätigkeitsfeld reichte von landwirtschaftlichen und handwerklichen Berufen über Arbeitsstellen als Beamtinnen, Hebammen bis zu geistigen Anstellungen beispielsweise als Lehrerinnen. Vgl. Wolf-Graaf (1981), S. 61 ff. 114 Vgl. Toppe (1996), S. 350 f. 115 Vgl. Hauser (1992), S. 46.

3.2 Genderaspekte

67

ihre Kinder kümmerte. Unter die Fürsorge fiel nicht nur die physische, sondern auch die seelsorgliche Betreuung der Patienten. Silke Köser führt die „emotionale Sorge“ als einen neuen Aufgabenbereich der bürgerlichen Frau im Familiengefüge an.116 Dies traf auch auf die Nonnen und Diakonissen zu. Bei Letzteren war das regelmäßige Abhalten von Andachten als wesentlicher Bestandteil der Arbeit in ihrer Berufsordnung festgehalten.117 Die Nonnen leisteten ihrerseits seelischen Beistand im gemeinsamen Gebet. Der hier beschriebenen „Mutterrolle“ entsprach die unentgeltliche Arbeit als eine Form von christlicher Liebestätigkeit. Sowohl die Nonnen als auch die Diakonissen erhielten kein Gehalt. Die Pflege Kranker geschah aus einer inneren oder auch göttlichen Berufung heraus. Die Vorstellung, durch ihre Arbeit einem Beruf nachzugehen, lag ihnen völlig fern. Dies entsprach ganz dem damaligen bürgerlichen „Liebesideal“.118 Etwas, das aus Liebe und mit Liebe getan wurde, sah man nicht als Arbeit an.119 Mit dieser Begründung wurde die Hausarbeit auch nicht als Arbeit gewertet. Rolle des Mannes Wie die Sarepta-Diakonissen waren auch die Nazareth-Diakone im Krankenhaus tätig. Die Zusammenarbeit zwischen Sarepta-Schwestern und NazarethBrüdern führte zu erheblichen Spannungen. Die Ursache der Probleme lag in der Dienstordnung. Danach unterstanden die Diakone den Diakonissen.120 Dies entsprach nicht dem damaligen männlichen Rollenverständnis. Außerhalb und auch im Mutterhaus selbst war das Leben der Gesellschaft patriarchalisch organisiert. Das Mutterhaus formulierte die Rollenverteilung folgendermaßen: Während Gott die Pflege Kranker den Frauen anvertraute, sollten die Brüder als „Soldat ihr Leben für den Nächsten“ opfern.121 Es ist schwer zu sagen, wie diese Rolle im Detail aussah. Ihre ursprüngliche Aufgabe war es, den Diakonissen zu helfen, aber dabei wollten sie diesen hierarchisch nicht unterstellt sein. Zwecks Lösung dieses Konfliktes wurde ihr Tätigkeitsfeld ausgeweitet. So übernahmen die Diakone beispielsweise auch die Betreuung Arbeitsloser und die Fürsorgeerziehung männlicher Jugendlicher.122 Dies wirkte sich in zweierlei Hinsicht auf die Brüder aus. Zum einen waren dies Arbeitsgebiete, in denen keine Diakonissen eingesetzt wurden und die somit ausschließlich den Brüdern vorbehalten waren. Zum anderen entstanden durch die neuen Bereiche mehrere sogenannte Hauselternstellen, die jeweils mit einem verheirate116 Vgl. Köser (2006), S. 76 f. In diesem Zusammenhang wird in der feministischen Geschichtsforschung der Begriff „Beziehungsarbeit“ verwendet. 117 Brief von Pastor Meyer aus dem Jahr 1928. HAB, Sar 468, Bremen Krankenanstalten 1927–1928 (1935). 118 Vgl. Bischoff (1984), S. 57. 119 Vgl. Bischoff (1984), S. 55. 120 HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902. 121 Vgl. Neumann (2010), S. 23. Vgl. Benad (1994) sowie Spanhofer (1997). 122 Vgl. Neumann (2010), S. 22.

68

3 Charakterisierung und Sozialprofil

ten Diakon besetzt wurden. Das heißt, die Anzahl der Heiratsgenehmigungen123, welche an eine entsprechende berufliche Stellung gebunden waren, erhöhte sich. Zudem änderte man 1914 die Dienstordnung.124 Dann hieß es in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den Diakonissen: „Er [der Diakon] darf dann nicht vergessen, daß er nicht berufen ist, der Diakonissin [sic!] zu dienen, daß er vielmehr auch im solchen Verhältnis dem Herrn an den Kranken und Elenden dient.“125 Mit dieser Ausdrucksweise versuchte man, die Unterordnung unter die Diakonissen aufzuwerten bzw. aufzulösen. Denn im Vordergrund stand nun nicht mehr die Unterordnung, sondern der Dienst im Auftrag Gottes. Zusammenfassend kann man festhalten, dass durch die neuen Aufgabenfelder und die veränderte Berufsordnung das Mutterhaus versuchte, das Selbstverständnis der Diakone mit dem damals vorherrschenden männlichen Rollenverständnis vereinbar zu machen. Die neuen Arbeitsbereiche waren als „männliche Tätigkeiten“ belegt. Der Schwerpunkt verschob sich von der Pflege, die durchweg weiblich konnotiert war, zur Beaufsichtigung oder Erziehung Schutzbefohlener. Auch in der Epileptikerpflege kam ihnen überwiegend die Aufgabe einer frühen Form der Arbeitstherapie zu. Als Pendant zur Diakonisse müsste der Diakon eigentlich die „Vaterrolle“ innehaben. In seiner Tätigkeit mit Jugendlichen kam ihm diese Stellung sicherlich zu. Und durch die Möglichkeit zur Heirat konnte er auch selbst Vater werden. Somit erfüllte ein verheirateter Nazareth-Diakon gleich zweierlei Rollen. Zum einen war er ein „Bruder“ innerhalb der Diakonenschaft, zum anderen wurde er als Ehemann und Vater das Oberhaupt seiner eigenen Familie. Erwerbstätigkeit Die Rollenaufteilung Ende des 18. Jahrhunderts bewirkte, dass der Mann außer Haus arbeitend für den Lebensunterhalt der Familie126 sorgte, während die Frau für die Hausarbeit und die Erziehungsangelegenheiten zuständig war127. Eine erste Möglichkeit der außerhäuslichen Betätigung bot sich für die bürgerlichen Frauen in den sogenannten Frauenvereinen128, die während der Befreiungs- bzw. Freiheitskriege (1813–1815) zahlreich gegründet wurden129. Die Tätigkeit bestand aus Spendensammlungen sowie Näh- und Strickarbeiten für Kranke und Verwundete. Laut Köser war damit die Basis für eine öf-

123 Mehr zu der Möglichkeit einer Eheschließung und den damit verbundenen Anforderungen siehe in Kapitel 4.3.1. 124 Vgl. Frick (2002), S. 47. 125 Vgl. Dienstordnung der Nazareth-Diakone von 1914, zit. n. Frick (2002), S. 47. 126 Zum Begriff Familie siehe Gerhard (1978), S. 81–89, sowie Hausen (1976). 127 Vgl. Köser (2006), S. 76. 128 Zur Vereinstätigkeit von Frauen im 19. Jahrhundert siehe Friedrich (1995) und MeyerRenschhausen (1989), S. 44–55. 129 Vgl. Köser (2006), S. 76.

3.2 Genderaspekte

69

fentliche Frauentätigkeit geschaffen.130 Zuvor betrachtete die Gesellschaft eine erwerbstätige Mittelschichtsfrau mit Misstrauen und Argwohn.131 Die Entwicklung der weiblichen Erwerbstätigkeit und die im 19. Jahrhundert aufkommende Erweckungsbewegung132 machten sich die Mütterhäuser zunutze, um ihren Bedarf an Diakonissen zu sichern. Unverheiratete Frauen erhielten dadurch die Möglichkeit, eine eigene Identität außerhalb der Familie aufzubauen.133 Herder-Dorneich sah im Mutterhaussystem sogar ein neues soziales System.134 Es bot den Frauen einen gesellschaftlich anerkannten Beruf und eine soziale Absicherung. Entgegen der Auffassung von Claudia Bischoff wertete Herder-Dorneich den Eintritt in eine Pflegeorganisation sogar als einen emanzipatorischen Schritt für die Frauen.135 Die Arbeit im Mutterhaus eröffnete ihnen die Möglichkeit, einem achtbaren Beruf nachzugehen. Durch die Tracht einer Bürgersfrau sicherten sie sich diesen gesellschaftlichen Status auch nach außen. Des Weiteren befand man bürgerliche Frauen als besonders geeignet für die Pflege, da sich die Arbeit im Haushalt und in der Pflege in vielen Punkten ähneln sollte. So sorgten Frauen in beiden Bereichen für Ordnung, Sauberkeit, Disziplin und Ruhe. Auch wurden die Beziehungen innerhalb einer Familie als ähnlich hierarchisch strukturiert angesehen wie in der Krankenpflege.136 Zudem erhoffte man durch die Rekrutierung der Frauen aus dem Bürgertum eine soziale Aufwertung der Pflegetätigkeit und auch des Krankenhauses.137 Unter Berücksichtigung der damaligen Arbeitsbedingungen138 und der geschlechtsbedingten Unterschiede in Bezug auf Gehalt, Lebensform und Selbstbestimmung liegt es nahe, weniger von der Erwerbstätigkeit als vielmehr von der Ausbeutung der Frau zu sprechen. Ob dies auch für die männliche Arbeitskraft galt, dazu äußerte sich Georg Streiter (1884–1945)139 mit den Worten: „Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, männliche Pfleger derart zu entrechten und gleichzeitig zu kasernieren.“140

130 Vgl. Köser (2006), S. 81 f. 131 Vgl. Hobsbawm (1988), S. 177. 132 Der Begriff Erweckungsbewegung bezieht sich auf das Bild des Schlafes oder Todes, aus dem der Gläubige „erweckt“ wird (Epheser 5, Vers 14). Er ist sich einerseits seiner Sünden bewusst, andererseits weiß er um die Errettung. Kennzeichnend für Erweckungsbewegungen sind persönliche Bekehrungen, die auf einer ethisch veränderten Lebensweise gemäß Neuem Testament beruhen. Es gibt eine enge Verbindung zwischen Pietismus und Erweckungsbewegung. Mehr zur Erweckungsbewegung in Deutschland: Mooser (1989); Jung (1999); Schnurr (2011). 133 Vgl. Köser (2006), S. 84 f. 134 Vgl. Herder-Dorneich/Kötz (1972), S. 103. 135 Vgl. Herder-Dorneich/Kötz (1972), S. 103. 136 Vgl. Bischoff (1984), S. 128. 137 Vgl. Bischoff (1984), S. 123. 138 Siehe Kapitel 5. 139 Zu Georg Streiter siehe Wolff (1997), S. 201. 140 Vgl. Streiter (1924), S. 123.

70

3 Charakterisierung und Sozialprofil

3.3 Das erstellte Sozialprofil Zur Charakterisierung und zum Vergleich der untersuchten Schwestern- und Wärterschaften dient ein jeweils erstelltes Sozialprofil. Dies setzt sich aus verschiedenen erhobenen Daten, wie Eintrittsalter, schulische Bildung, Beruf des Vaters und ggf. berufliche Vorerfahrungen, zusammen. Anhand von Kurzbeurteilungen erstellte Ulrike Gaida in ihrer Untersuchung der Schwesternschaft des Evangelischen Diakonievereins e. V. Berlin-Zehlendorf ebenfalls ein Sozialprofil, wobei sie zwischen Reserveschwestern, dauerhaften Mitgliedern sowie Kranken- und Säuglingspflegeschwestern unterschied.141 Bevor das Sozialprofil der einzelnen Schwesternschaften vorgestellt wird, sollen die abgefragten Untersuchungsgegenstände kurz erläutert werden. Eintrittsalter Damit ist das Alter bei Eintritt in die Anstalt oder Schwesternschaft gemeint, ungeachtet dessen, dass meist noch eine Probezeit zu absolvieren war, bevor die Anwärterin oder der Anwärter als ein vollwertiges Mitglied aufgenommen wurde. Bei den religiösen Schwesternschaften erfolgte dies über die Einsegnung, die Wärterinnen und Wärter hingegen wurden vereidigt. In den Statuten der jeweiligen Schwestern- bzw. Wärterschaft wurden ein Mindestalter und auch ein Höchstalter für die Aufnahme festgelegt. Dennoch gab es Ausnahmen, die zu einer größeren Spannbreite führten. Schulische Bildung Die schulische Bildung kann als ein Indikator für den sozialen Status herangezogen werden. Für die Auswertung wurden folgende Kategorien gebildet: Volksschule, Mittel- bzw. Realschule, höherer Schulabschluss142 und Studium. Bei Mehrfachnennung wurde der höchste Schulabschluss gewertet. Zusätzlich wurde in der Auswertung die Kategorie „weiterführende Schulen“ gebildet; darunter fallen Eintragungen wie Haushaltungs-, Gewerbe-, Handels- oder Fortbildungsschule. Beruf des Vaters Bei der Bildung der Berufsgruppen orientiere ich mich am Schichtenmodell von Hartmut Kaelble143, der einzelnen Gesellschaftsschichten entsprechende Berufsgruppen zugeordnet hat. Bei den meisten Berufsgruppen ist klar ersichtlich, welche einzelnen Tätigkeiten darin zusammengefasst wurden. Zur Rubrik „sonstige Berufe“ gehören Wirt, Ortsdiener, Forstaufseher und Waldhüter.

141 Vgl. Gaida (2011), S. 181–192. 142 Darunter fallen Lyzeum, Pensionat, Gymnasium und höhere Töchterschule. 143 Vgl. Kaelble (1983).

3.3 Das erstellte Sozialprofil

71

Zu den genannten Untersuchungsgegenständen kommen noch Angaben zum Eintritts- und Austrittsverhalten, zur Verweildauer und zu Kündigungsgründen. Diese können Auskunft und Hinweise geben zur Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit oder zu Problemen im Pflegealltag. Auch hierzu vorausgehend einige Erklärungen. Eintritts- bzw. Austrittshäufigkeit In der Übersicht über die Eintritte in die Schwestern- bzw. Wärterschaft wurden alle dokumentierten Eintritte berücksichtigt, ungeachtet ihrer jeweiligen Verweildauer.144 Anhand der Grafik können besonders starke oder auch schwache Eintrittsjahre veranschaulicht werden, häufig spiegeln sich in dem Verhalten auch wirtschaftliche bzw. politische Ereignisse oder Veränderungen wider. Unter den Austritten wurden alle Kündigungen und Entlassungen zusammengefasst, mit den beiden Ausnahmen „Ausscheiden durch Tod“ und „Ruhestand“. Die Grafik zeigt austrittsstarke und -schwache Jahre auf. Auch hier stehen Schwankungen häufig mit dem Zeitgeschehen in enger Verbindung. Verweildauer Hierbei handelt es sich um die Zeitspanne vom Eintritt bis zum Ausscheiden aus der Einrichtung oder Anstalt. Unter dem Begriff Ausscheiden ist hier sowohl ein Austritt in Form von Kündigung oder Entlassung als auch durch Tod oder Pensionierung zusammengefasst. Für eine übersichtlichere Darstellung sind in der Grafik Gruppen von jeweils fünf Jahren zusammengefasst. Die Verweildauer kann Hinweis geben auf den Grad der Zufrieden- bzw. Unzufriedenheit des Personals. Zudem wird ersichtlich, wie viele bis zu ihrer Pensionierung in der Schwestern- bzw. Wärterschaft verblieben sind. Kündigungsgründe Auskünfte über Kündigungsgründe gibt es in internen Beurteilungen und offiziellen Zeugnissen, wobei Letztere häufig standardisiert waren. Wie das Beispiel aus der Heil- und Pflegeanstalt Illenau zeigt, gehen die Bemerkungen häufig nicht wirklich auf Austrittsgründe ein. […] er war stets fleißig, treu und ehrlich. Für den Dienst mit Geisteskranken zeigte er sich geeignet. Wir waren mit seinen dienstlichen und außerdienstlichen Leistungen zufrieden.145

Nicht in allen Fällen wurde zwischen Kündigung und Entlassung unterschieden. Es ist auch anzunehmen, dass viele Kündigungen einer anstehenden Entlassung vorausgingen, da häufig interne Beurteilungen ein ganz anderes Bild 144 Es gab durchaus Schwestern, Brüder, Wärterinnen oder Wärter, die nach wenigen Wochen die Anstalt bzw. das Mutterhaus wieder verließen. 145 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1771.

72

3 Charakterisierung und Sozialprofil

über die Person und den Austrittsgrund geben, als man anhand der offiziellen Äußerungen annehmen würde. Dies soll am Beispiel eines Nazareth-Diakons, der die Anstalt offiziell auf eigenen Wunsch verließ, verdeutlicht werden. Bruder A. trat aus weil er schwach begabt ist. Bruder H., bei dem er arbeitete hielt ihn für geistig nicht ganz normal, er hatte viel, auch wissenschaftliches gelesen, aber nicht verdaut. Im Gespräch habe er nichts gelernt.146

Manchmal wurden die Betreffenden sogar direkt zum Austritt aufgefordert, wie die Wärterin K., die offiziell ihren Dienst in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau selbst quittierte: Der Wärterin K. wurde wegen geistiger Unzulänglichkeit, zu der noch eine wenig sorgfältige praktische Arbeitsleistung kam, der Rat zum Austritt erteilt.147

Die dokumentierten Begründungen für Kündigungen und Entlassungen wurden für die statistische Auswertung zu folgenden Rubriken zusammengefasst: Dienstverletzung, Krankheit, fehlende Eignung, Berufswechsel, Bezahlung, private Umstände, Personalabbau und Heirat. Es ist anzunehmen, dass „Dienstverletzung“, „Krankheit“, „fehlende Eignung“ oder „Personalabbau“ in der Regel zu einer Entlassung führten, während unter den Rubriken „Berufswechsel“, „Bezahlung“ oder „private Umstände“ eine Kündigung von Seiten der Wärterschaft vorstellbar ist. Einen Grenzbereich stellt die Begründung „Heirat“ dar: Frauen unterlagen prinzipiell einem Berufszölibat und mussten im Fall einer Ehe kündigen und aus der Schwesternschaft austreten. Männer dagegen konnten einem zölibatären Leben mit Hilfe einer Heiratsgenehmigung durch den Anstaltsleiter entgehen.148 Mit den meisten Kündigungsgründen ist eine klare Vorstellung verbunden. Weniger eindeutig sind die Kategorien „private Umstände“ und „fehlende Eignung“. Hinter Ersterem verbergen sich hauptsächlich Aussagen wie „auf eigenen Wunsch“, „Familie erkrankt“ oder „näher bei der Heimat“. Eine Kündigung wegen fehlender Eignung bedeutete, dass die Person physisch und/oder psychisch für die Arbeit in der Heil- und Pflegeanstalt untauglich war. Auch mangelnde Führungs- bzw. Leitungskompetenzen oder ein zu „ruhiger“ bzw. zu „unruhiger“ Charakter sowie unzureichende Sorgfalt bei der Arbeit führten zu der Bemerkung „fehlende Eignung“. Die bislang genannten Kategorien konnten nicht für jede der untersuchten Gruppen komplett ausgewertet werden. Zum Teil waren Daten nur lückenhaft oder gar nicht vorhanden. In den Grafiken wurde dieser Anteil mit der Rubrik „ohne Angaben“ versehen.

146 HAB, NA-PA-036-0985. 147 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1456. 148 Auf dieses Thema wird ausführlich in Kapitel 4.3.1 eingegangen.

3.3 Das erstellte Sozialprofil

73

3.3.1 Die Clemensschwestern Als Hauptquelle für die folgende Auswertung diente die Schwesternchronik, in der jede eingetretene und verstorbene Nonne namentlich festgehalten wurde. Zu jedem Todesfall gibt es einige Zeilen, in denen sich Informationen zum Eintritts-, Einsegnungsalter, zur Todesursache und zum Beruf des Vaters befinden. Von 1880 bis 1930 sind insgesamt 3.480 Nonnen eingetreten und 1.331 verstorben.149 Eintrittsalter

600 500 400 300 200 100 0

15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

eingetretene Barmherzige Schwestern in absoluten Zahlen

Wie bei allen Schwesternschaften wurde das Eintrittsalter über die Statuten des Ordens bestimmt, in dem es heißt: „nicht unter 18 und in der Regel nicht über 30 Jahre“.150 Diese Anforderungen spiegeln sich auch in den Ergebnissen der Erhebung wider; die Nonnen waren mehrheitlich zwischen 22 und 23 Jahre alt. Die Spannweite der Verteilung reicht von 15 bis zu 44 Jahren, wobei 64,41 % sich in der Altersstufe zwischen 21 und 25 Jahren befanden, als sie in den Orden eintraten. Die Kurve der Altersverteilung entspricht der Gaußschen Normalverteilung.

Lebensalter in Jahren

Grafik 1: Übersicht über die Altersverteilung der eingetretenen Barmherzigen Schwestern aus Münster (1880–1930) Quelle: MAM, Chronik der Barmherzigen Schwestern, eigene Berechnungen

Da der Austritt von Ordensschwestern nicht dokumentiert wurde, konnte nur eine Eintrittsstatistik erstellt werden.

149 Anzahl aus eigener Berechnung. 150 Freiherr Clemens Droste zu Vischering: Über die Genossenschaft der Barmherzigen Schwestern. Münster 1833, zit. n. Kruse (1987), S. 28 f.

74

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Eintrittsverteilung von 1880 bis 1930

160 140 120 100 80 60 40

1930

1925

1920

1915

1910

1905

1900

1895

1890

0

1885

20

1880

eingetretene Barmherzige Schwestern in absoluten Zahlen

Zu Beginn des Untersuchungszeitraums traten 26 Nonnen ein. Ausgehend davon stieg die Zahl der Eintritte bis 1930 auf 82. Die Eintrittskurve zeigt einen kontinuierlichen Wechsel von eintrittsstärkeren und -schwächeren Jahren. Tendenziell gab es eine stetige Zunahme an Eintritten. Zu den eintrittsstärksten Jahren gehören 1907, die Nachkriegszeit von 1918 bis 1921 sowie 1924 und 1927. In diesen Jahren traten mehr als 100 junge Frauen in den Orden ein. Ein Grund hierfür war sicherlich die schlechte wirtschaftliche Lage. Der Höhepunkt war 1924, in diesem Jahr traten 4 % (139) aller Nonnen ein. Im darauffolgenden Jahr sank jedoch mit nur 46 Eintritten die Anzahl drastisch.

Zeit in Jahren

Grafik 2: Übersicht über die Eintritte der Barmherzigen Schwestern aus Münster (1880–1930) Quelle: MAM, Chronik der Barmherzigen Schwestern, eigene Berechnungen

Sterblichkeit von 1880 bis 1930 Die zu Untersuchungsbeginn geringe Sterberate stieg vor allem in den letzten Kriegsjahren und der Nachkriegszeit sehr stark an. Ein Grund hierfür war sicherlich die schlechte Versorgungslage an Lebensmitteln und Medikamenten. Die Chronik weist mehrmals darauf hin, wie katastrophal die Situation für die Nonnen war.151 Durch ständige mangelhafte Ernährung waren viele der Schwestern geschwächt und besonders anfällig für 151 MAM, Chronik: Bd. 5 27/57 (1908–1918).

75

3.3 Das erstellte Sozialprofil

Krankheiten. Die meisten Todesfälle gab es in den Jahren zwischen 1917 und 1919, in diesen drei Jahren verstarben 14 % der in der Sterbechronik verzeichneten Nonnen. Gleichzeitig kam es in dem Zeitraum von 1918 bis 1921 zu mehr Eintritten. Es ist naheliegend, dass durch die vermehrten Todesfälle auch ein wachsender Bedarf an Nonnen entstand. Allgemein ist festzuhalten, dass 31 % der Nonnen in den Jahren zwischen 1917 und 1924 verstarben. Dieser Zeitraum weist entsprechend hohe Eintrittszahlen auf, so traten ca. 24 % aller Frauen in dieser Zeitspanne ein. Die meisten Nonnen verstarben aufgrund einer Erkrankung, nur 5 % an dem, was wir heute als Altersschwäche bezeichnen. Besonders markant war die Anzahl der an Infektionskrankheiten leidenden Schwestern. Neben Ruhr und Typhus war Tuberkulose mit 38 % die am häufigsten dokumentierte Infektionserkrankung, die zum Tode führte. Knapp 40 % der Nonnen verstarben in den ersten zehn Jahren, nachdem sie eingetreten waren. Auf das Thema Krankheit wird noch gesondert in Kapitel 5.5 eingegangen.

140

120

100

80 eingetretene Nonnen verstorbene Nonnen

60

40

1930

1928

1926

1924

1922

1920

1918

1916

1914

1912

1910

1908

1906

1904

1902

1900

1898

1896

1894

1892

1890

1888

1886

1884

0

1882

20

1880

verstorbene bzw. eingetretene Nonnen in absoluten Zahlen

160

Zeit in Jahren

Grafik 3: Übersicht über die eingetretenen und verstorbenen Barmherzigen Schwestern (1880–1930) Quelle: MAM, Chronik der Barmherzigen Schwestern, eigene Berechnungen

76

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Altersverteilung bei Tod Die meisten Nonnen verstarben mit 26 bis 30 Jahren.152 Vermutlich findet sich darunter die Gruppe an Nonnen, die verstärkt die Schwestern an der Front ersetzten und somit bei schlechter Ernährungslage einer hohen physischen Belastung ausgesetzt waren.

Verstorbene Barmherzige Schwestern in absoluten Zahlen

250 200 150 100 50 0 20–25 26–30 31–35 36–40 41–45 46–50 51–55 56–60 61–65 66–70 71–75 76–80 81–85 86–90

Sterbealter in Jahren

Grafik 4: Die Altersverteilung der Barmherzigen Schwestern im Todesfall (1880–1930) Quelle: MAM, Chronik der Barmherzigen Schwestern, eigene Berechnungen

Mit zunehmendem Lebensalter sank die Anzahl der verstorbenen Nonnen. Zwischen 46 und 65 Jahren gab es eine gleichbleibende Sterberate, die in der Altersgruppe zwischen 66 und 70 Jahren nochmals anstieg und dann stark abfiel. Nur wenige wurden älter als 86 Jahre. Auch wenn viele Nonnen schon jung verstarben, wurden die Überlebenden durchschnittlich sehr alt. Laut Statistischem Bundesamt stieg die durchschnittliche Lebenserwartung in allen Bevölkerungsgruppen von 44,1 Jahren bei Untersuchungsbeginn auf 72,1 Jahre bei Untersuchungsende.153 Beruf des Vaters der Barmherzigen Schwestern Die katholische Kongregation stellte hohe Anforderungen an die soziale Herkunft ihrer Probeschwestern. Bei den von Clemens Brentano beschriebenen Barmherzigen Schwestern in Koblenz sollten deren Eltern sich in „bürgerlicher Selbständigkeit“ ernähren können, demzufolge waren Kinder von Unterschichten-Eltern von der Aufnahme ausgeschlossen.154 Die Anforderungen variierten je nach Schwesternschaft. So akzeptierten die Barmherzigen Schwestern aus München, wenngleich unter Vorbehalten, auch ehemalige Dienstbo152 Zur Sterblichkeit bei den Nonnen siehe Cornet (1889) sowie die Gegenreaktion auf diesen Artikel: MAM, Kinn: Sterblichkeit. Mutterhaus Bücherei BS 211 Nr. 2231. 153 http://www.presseportal.de/pm/32102/810658 (letzter Zugriff: 11.4.2014). 154 Vgl. Sticker (1960), S. 136.

77

3.3 Das erstellte Sozialprofil

ten.155 Für die Clemensschwestern aus Münster beträgt der Anteil „ohne Angaben“ zwar mehr als 50 %, dennoch kann man deutlich erkennen, dass der überwiegende Teil der Nonnen aus der unteren Mittelschicht stammte. Sie kamen hauptsächlich aus handwerklichen und landwirtschaftlichen Familien, welche mit jeweils 15 % am stärksten vertreten waren. Adel: 0,5 % Obere Mittelschicht: 4,4 % Kaufmann, andere Pfarrer höhere Beamte/Angestellte Untere Mittelschicht: 32,3 % Landwirt Handwerker mittlere Beamte/Angestellte Unterschicht: 10,8 % untere Beamte/Angestellte Arbeiter Tagelöhner ohne Angaben: 51,5 % Invalide: 0,6 %

Grafik 5: Übersicht über den Beruf des Vaters der Barmherzigen Schwestern (1880–1930) Quelle: MAM, Chronik der Barmherzigen Schwestern, eigene Berechnungen

Zur Unterschicht gehörten rund 10 %, davon kamen die meisten aus der Arbeiterschaft. 4 % der Nonnen stammten aus Familien der oberen Mittelschicht, hier fallen vor allem mit 2,4 % Töchter aus Kaufmannsfamilien ins Gewicht. Nur wenige kamen aus Adelsfamilien; darunter befinden sich Angehörige der Familie des Gründers Clemens August Freiherr Droste zu Vischering.156 3.3.2 Das Wartpersonal der Heil- und Pflegeanstalt Illenau Als Hauptquelle dienen im Folgenden die Personalakten von 727 Wärterinnen und 440 Wärtern. Ein Problem hierbei ist die zum Teil lückenhafte Dokumentation, vor allem im 19. Jahrhundert, weshalb die Kategorie „ohne Angaben“ manchmal sehr stark vertreten ist. 155 Vgl. Sticker (1960), S. 147. 156 MAM, Chronik: Bd. 2 17/97 (1898–1908).

78

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Eintrittsalter Betrachtet man die Altersverteilung bei Eintritt in die Heil- und Pflegeanstalt, stellt man fest, dass die meisten Frauen zwischen 18 und 19 Jahre alt waren.

120 100 80 60 40

53

51

49

47

45

43

41

39

37

35

33

31

29

27

25

23

21

19

0

17

20 15

eingetretene Wärterinnen und Wärter in absoluten Zahlen

140

Lebensalter in Jahren Wärter

Wärterinnen

Grafik 6: Übersicht über die Altersverteilung der eingetretenen Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) Quelle: StAFr, Personalakten Illenau, eigene Berechnungen

Die Männer waren dagegen mit 23 und 24 Jahren etwas älter. Viele von ihnen hatten bereits gearbeitet oder beim Militär gedient. Zudem war bei den Wärtern eine gewisse berufliche Vorerfahrung erwünscht.157 Das durchschnittliche Eintrittsalter der Frauen scheint sehr niedrig zu sein.158 Auch Marga Burkhardt verweist in ihrem Buch auf die Tatsache, dass „in den Vorgängeranstalten Pforzheim und Heidelberg noch Witwen mit Kindern und Ehepaare gemeinsam als Wärter angestellt wurden“, während in der Illenau das Durchschnittsalter bis 1888 immer weiter sank.159 Ein Grund hierfür war die Annahme der Anstaltsleiter, dass jüngere Frauen besser geschult werden könnten und den Arbeitsanforderungen besser gewachsen seien.160 Auf der anderen Seite könnte das sinkende Eintrittsalter auch die Ursache der höheren Fluktuation des Personals sein.161 Das 31. Lebensjahr stellte eine Altersgrenze für beide Geschlechter dar, nur wenige waren älter. Dies steht im Zusammenhang mit den Aufnahmebedingungen der Illenau, in denen es heißt: „das Alter unter aber nicht viel über 30“.162 157 158 159 160 161 162

Vgl. Roller (1847), S. 189. Im Vergleich zu den anderen untersuchten Schwesternschaften. Vgl. Burkhardt (2003), S. 91. Vgl. Burkhardt (2003), S. 92. Siehe Grafik 9, Austritte der Wärterinnen und Wärter der Illenau 1880–1930. Vgl. Roller (1847), S. 188.

79

3.3 Das erstellte Sozialprofil

Eintrittshäufigkeit Die Grafik 7 zeigt, dass sich bis 1900 die Eintritte beider Geschlechter in etwa gleich entwickelten.163 Das Verhältnis änderte sich erst um 1910. Von diesem Zeitpunkt an sank die Anzahl der eintretenden Männer zunehmend. Bei Kriegsausbruch 1914 traten nur zwei Wärter in die Anstalt ein. Diese Zahl, mit Ausnahme des Jahres 1919164, blieb bis 1930 konstant. Während des Krieges wurden die Männer an der Front benötigt, deshalb erhöhten sich zudem die Eintrittszahlen der Frauen gegen Kriegsende und sogar bis in die 1920er Jahre. Sie mussten größtenteils die fehlenden Wärter ersetzen und wurden daher auch auf den Männerstationen eingesetzt.165 Doch nicht nur die Eintritte der Männer, auch die der Frauen sanken zu Beginn des Ersten Weltkriegs, da diese vermehrt in der Rüstungsindustrie tätig waren. Von 1925 an waren relativ geringe Eintrittszahlen bei beiden Geschlechtern zu verzeichnen. Das führte zu einem erhöhten Personalmangel. Teilt man den Untersuchungszeitraum in zwei Abschnitte, von 1880 bis 1900 und von 1901 bis 1930, so ist nach der anfänglich gleichen Eintrittsquote im zweiten Zeitabschnitt eine deutliche Differenz zwischen den Geschlechtern zu erkennen.

35 30 25 20 15 10

1930

1928

1926

1922

1924

1920

1918

1916

1912

1914

1910

1908

1906

1902

1904

1900

1898

1896

1892

1894

1890

1888

1886

1882

0

1884

5

1880

eingetretene Wärterinnen und Wärter in absoluten Zahlen

40

Zeit in Jahren Wärterinnen

Wärter

Grafik 7: Übersicht über die Eintritte von Wärterinnen und Wärtern in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) Quelle: StAFr, Personalakten Illenau, eigene Berechnungen

163 Bis 1900 sind 255 Wärterinnen und 253 Wärter eingetreten. 164 1919 sind neun Wärter in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau eingetreten, erklärbar durch eine verstärkte Arbeitssuche nach dem Krieg. 165 Vgl. Lötsch (2001), S. 109.

80

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Verweildauer

600 500 400 300 Wärterinnen

200

Wärter

41–46

36–40

31–35

26–30

21–25

16–20

11–15

0

6–10

100

0–5

eingetretene Wärterinnen und Wärter in absoluten Zahlen

Auf den ersten Blick ist erkennbar, dass mehr als 70 % der Wärterinnen und auch der Wärter nicht länger als maximal fünf Jahre blieben. Bei genauerer Aufschlüsselung traten die meisten Angestellten bereits innerhalb des ersten Jahres wieder aus.166 Nach diesen hohen Zahlenwerten am Anfang kam es zu einem drastischen Einbruch in der Verteilung: 12 % der Wärterinnen blieben zwischen sechs und zehn Jahre, während es bei den Wärtern nur noch 6 % waren. Unabhängig von den Gründen für einen Austritt aus der Pflegschaft könnte man diese Jahre als eine Zeit der „Findung“ oder „Prüfung“ definieren. Sowohl die Anstalt als auch das Personal hatten hierbei die Möglichkeit, zu sehen, inwieweit der Beruf und das Leben in der Anstalt für sie geeignet waren. Viele sahen die Arbeit in der Illenau sicherlich nur als eine Zwischenstation, um Geld zu verdienen, bis sich etwas Besseres ergab.

Zeit in Jahren

Grafik 8: Anzahl der gearbeiteten Jahre in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) Quelle: StAFr, Personalakten Illenau, eigene Berechnungen

Im weiteren Verlauf der Aufteilung wird ersichtlich, dass mehr Wärterinnen als Wärter für die Zeiträume von bis zu 20 Jahren im Anstaltsdienst vertreten waren. Letztere dominieren jedoch für die Zeit darüber hinaus prozentual. Im Gesamtergebnis verblieben die Frauen weniger lang im Anstaltsdienst als die Männer. Die Gründe hierfür liegen teilweise auch in der Hausordnung. Als Wärterin in der Illenau zu arbeiten, bedeutete, auf Ehemann und Kinder 166 Angaben aus eigenen Berechnungen. 28,8 % der Wärterinnen und 33,8 % der Wärter traten vor Ablauf eines Jahres wieder aus.

81

3.3 Das erstellte Sozialprofil

zu verzichten.167 Wenn sich die Option der eigenen Familie oder einer anderen Arbeit nicht mehr stellte, blieb man lieber im Dienst und sicherte sich somit die Altersversorgung. Dem entspricht das Bild des nahezu gleichen Ergebnisses der Rubrik zwischen 21 und 25 Jahren. Der immer höhere Wärteranteil der über 26 Jahre in der Anstalt Arbeitenden lässt sich auch damit erklären, dass die Frauen schon zuvor die Anstalt verlassen hatten. Durchschnittlich wurden Wärterinnen erst nach 34 Jahren pensioniert.168 Die durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen in der Allgemeinbevölkerung lag 1900 bei 52 und die der Männer bei 46 Jahren.169 Austrittshäufigkeit Deutlich erkennbar ist die weitgehend gleich verlaufende Austrittsquote von beiden Geschlechtern bis 1900, ein Trend, der auch an der Gesamtsumme von 187 ausgetretenen Wärterinnen und 196 Wärtern bis einschließlich 1900 erkennbar ist. Ab 1908 veränderte sich das Verhältnis. Zwar nahmen die Austritte tendenziell ab, jedoch waren es fortan mehr Frauen. 30

20 15 10

1930

1925

1920

1915

1910

1905

1900

1895

1890

0

1885

5

1880

in absoluten Zahlen

25

Zeit in Jahren Wärterinnen

Wärter

Grafik 9: Austritte der Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) Quelle: StAFr, Personalakten Illenau, eigene Berechnungen

Der Erste Weltkrieg bewirkte zunächst ein verstärktes Austreten der Wärter, die wahrscheinlich zum Militär mussten. Dagegen war ein Rückgang der Aus167 Zwar mussten alle weiblichen Schwesternschaften des ausgehenden 19. bzw. beginnenden 20. Jahrhunderts ein zölibatäres Leben führen, aber für die konfessionellen Schwestern stellte das Mutterhaus die Familie dar. 168 Vgl. Kling (2000), S. 67. 169 http://www.berlin-institut.org/newsletter/Newsletter_13_09_2006.html (letzter Zugriff: 11.4.2014).

82

3 Charakterisierung und Sozialprofil

tritte bei den Frauen zu verzeichnen. Dies änderte sich erneut in den letzten Kriegsjahren. Bis 1920 stieg die Zahl der Austritte von Wärterinnen wieder prägnant an. Der Gipfel wurde 1924 erreicht. Auch die Männer traten 1924 vermehrt aus, doch waren ihre Austritte im Vergleich zum Beginn des Untersuchungszeitraums stark zurückgegangen. Dies verdeutlichen ebenfalls die Gesamtzahlen aller Austritte nach 1900 bis 1930. Während nur 164 Wärter in diesem Zeitraum austraten, waren es 432 Wärterinnen. Abschließend kann man sagen, dass prägnante Unterschiede zwischen Wärterinnen und Wärtern, sowohl bei den Eintritten als auch bei den Austritten, erst ab 1900 zu verzeichnen sind. Es traten deutlich mehr Frauen ein, aber auch wieder aus. Die Gründe für diese Entwicklung liegen zum einen im Ausbruch des Ersten Weltkriegs, zum anderen in der wirtschaftlichen Entwicklung der Weimarer Republik. Abgänge bzw. Kündigungen Zuerst soll das allgemein als „Abgang“ bezeichnete Ausscheiden aus der Anstalt differenzierter betrachtet werden. Ein Ausscheiden konnte verschiedene Gründe haben und ist nicht automatisch mit einer Kündigung oder Entlassung gleichzusetzen.

Kündigungen: 79,3 %

Ruhestand: 11,1 %

Versetzung: 4,1 %

Tod: 4,1 %

Vertragsende: 1,4 %

Grafik 10: Abgänge der Wärterinnen der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) Quelle: StAFr, Personalakten Illenau, eigene Berechnungen

Einige der Wärterinnen und Wärter wurden verbeamtet. Nach langjährigem Dienst in der Illenau gingen diese schließlich in Pension. Manche starben krankheitsbedingt recht früh oder während des Krieges. In einigen Fällen wurden die Wärterinnen und Wärter auch in eine andere Anstalt versetzt, entweder auf Initiative der Direktion wegen Unstimmigkeiten innerhalb des Personals oder aus persönlichen Gründen. Die Rubrik „Kündigung“ sagt zunächst nichts darüber aus, ob der Betroffene von sich aus gekündigt hat oder gekündigt wurde.170 170 Siehe Grafiken 12 und 13.

83

3.3 Das erstellte Sozialprofil

Der Hauptgrund für das Ausscheiden aus der Anstalt war bei den Frauen die Kündigung, einige erreichten ihren Ruhestand und nur wenige verstarben während ihrer Dienstzeit oder wurden versetzt.171 Mit der Begründung „Vertragsende“ fand nur für einen sehr geringen Anteil der Wärterinnen das Arbeitsverhältnis ein Ende. Es lässt sich allerdings nur mutmaßen, ob ihre Leistung für eine Vertragsverlängerung nicht ausreichend war. Bei den Wärtern war die Kündigung ebenfalls die meistdokumentierte Ursache für das Verlassen der Anstalt.

Kündigungen: 60,7 %

Ruhestand: 19,1 %

Tod: 13,1 %

Versetzung: 3,8 %

Militär: 3,3 %

Grafik 11: Abgänge der Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) Quelle: StAFr, Personalakten Illenau, eigene Berechnungen

Mit 19 % war der Ruhestand ein seltenerer Grund für das Ausscheiden, gefolgt vom Tod während des Arbeitsverhältnisses.172 Sehr gering war der Anteil derer, die zum Militär mussten bzw. versetzt wurden. Einige Unterschiede zwischen den Wärterinnen und Wärtern lassen sich durch vorangegangene Ergebnisse erklären. Der höhere Anteil von Männern, die den Ruhestand erreichten, kongruiert mit ihrer langen Verweildauer in der Anstalt. Das könnte auch die relative Häufigkeit des Ausscheidens durch Tod erklären, jedoch gibt dieser Raum für Fragen. Verstarben mehr Männer, weil sie länger in der Anstalt arbeiteten, oder ist dies ein Indiz für eine schwerere physische und psychische Belastung durch die Arbeit? Der Vergleich beider Grafiken zeigt, dass mehr Frauen als Männer gekündigt haben oder ihnen gekündigt wurde173, ein Resultat, welches mit der bereits festgestellten hohen Fluktuationsrate bei den Wärterinnen übereinstimmt. Die als Kündigung dokumentierten Abgänge konnten im Einzelnen genauer analysiert werden. Sie geben somit weitere Informationen über die Motivation eines Berufswechsels oder über die Eignung der Person. Hinweise auf eine Kündigung geben in der Personalakte das Zeugnis oder eine Beurteilung. In seltenen Fällen existiert ein Beschwerdebericht, welcher zum Beispiel bei Dienstverstößen angefertigt wurde. 171 Die Todesursache wurde nicht genauer aufgeschlüsselt. 172 Die Todesursache wurde nicht genauer aufgeschlüsselt. 173 Siehe die Aufschlüsselung der Kündigungen in Grafik 12.

84

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Generell muss berücksichtigt werden, dass Beurteilungen zum größten Teil standardisiert waren. Man kann fast immer folgenden Satz lesen: „sie war ehrlich, willig, sehr fleissig, gut mit den Kranken. Dienstlich und ausserdienstlich liegt nichts gegen sie vor.“174 Interne Gutachten, welche zur Eignung einer Verbeamtung angefertigt wurden, enthalten dagegen ein kritischeres Urteil, wie folgendes Beispiel zeigt: „hat sich bisher im Dienst noch nicht so recht bewährt, [so] dass wir die Verleihung der Beamteneigenschaft nicht empfehlen können“.175 Ein Säulendiagramm (Grafik 12) veranschaulicht die unterschiedlichen Kündigungsgründe und ihre prozentuale Zuordnung. Fehlende Angaben über den Kündigungsgrund wurden unter der Rubrik „ohne spezifische Angaben“ zusammengefasst. 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Grafik 12: Die Gründe für Kündigungen von Wärterinnen der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) Quelle: StAFr, Personalakten Illenau, eigene Berechnungen

Ein Grund, die Anstalt zu verlassen, waren neben der Heirat und einem Berufswechsel gesundheitliche Probleme. Die Mehrzahl der Frauen war bis auf eine Ausnahme unter 30 Jahre alt und hatte durchschnittlich maximal fünf Jahre in der Anstalt gearbeitet. Hieraus ergibt sich die Frage, ob die Arbeit körperlich und geistig für die jungen Wärterinnen zu anstrengend war. Leider 174 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 624. 175 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 758.

3.3 Das erstellte Sozialprofil

85

wird in den Personalakten nicht ausführlicher auf die einzelnen Erkrankungen eingegangen. Vereinzelt findet man jedoch Hinweise auf psychische Probleme, welche häufig als „nervöses Leiden“ umschrieben wurden. Aus privaten Umständen verließen 10 % die Illenau, die meisten mussten ihren Familien helfen. Auch hier handelte es sich um junge Frauen. Sie waren Mitte 20 und meist erst seit wenigen Jahren Wärterinnen. Auffallend ist, dass sie mehrheitlich aus landwirtschaftlichen und vereinzelt aus handwerklichen Familien stammten. Um die 5 % wurden wegen fehlender Eignung entlassen. In einigen Fällen waren weitere Erklärungen hierfür vermerkt wie „neigt zu Klatscherei mit dem Mitpersonal“ oder „mangelnde Sorgfalt“ sowie „charakterliche Schwächen“. In wenigen Fällen wurde den Wärterinnen wegen Dienstverletzung gekündigt; sie hatten die Dienstpflicht missachtet, gestohlen oder waren unehrlich. Nur wenige wurden wegen Personalabbaus entlassen. Bei der Aufteilung der Kündigungsgründe stand bei den Wärtern der berufliche Wechsel mit 27,3 % an erster Stelle. Diese Männer waren meist 25 Jahre alt und traten wie die Wärterinnen in den ersten Jahren wieder aus. Stark vertreten unter den Gründen für Kündigungen sind Dienstverletzungen sowie Nichteignung. Ebenso wie bei den Wärterinnen wurde einigen Diebstahl, Ungehorsam, aber auch Trunkenheit vorgeworfen. Eher gering ist die prozentuale Verteilung auf die übrigen Rubriken, wie Gesundheit, schlechte Bezahlung, Personalabbau oder private Gründe. Über die gesundheitlichen Beschwerden wurde in den Personalakten nichts Näheres vermerkt. Der älteste Wärter, der aus diesen Gründen die Anstalt verließ, war erst 26 Jahre alt. 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0

Grafik 13: Die Gründe für Kündigungen von Wärtern der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) Quelle: StAFr, Personalakten Illenau, eigene Berechnungen

86

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Obwohl schlechte Bezahlung als Kündigungsgrund mit weniger als 1 % sehr selten erscheint, lässt sich vermuten, dass tatsächlich sehr viel mehr Personal mit dem Gehalt unzufrieden war. Gudrun Kling stellte fest, dass in der Illenau die Gehälter noch geringer waren als in der Siechenanstalt Pforzheim. Zudem erhielten die Wärterinnen nur 66 % des Gehaltes der Wärter. Das jährliche Gehalt einer Wärterin in der Illenau betrug 1845 112 Gulden, während eine Angestellte der Heil- und Pflegeanstalt Pforzheim 300 Gulden bekam.176 Ein lediger Wärter erhielt 1913 960 Mark im Jahr, ein Volksschullehrer dagegen 2.100 bis 4.600 Mark und ein Facharbeiter 1.400 bis 2.100 Mark.177 Die Unterschiede sind nur zum Teil im Kost- und Logiszwang in der Illenau begründet. Vergleicht man die Verteilung der Kündigungsursachen von Wärterinnen und Wärtern, so stellt man fest, dass eine berufliche Umorientierung für beide Seiten an einer der ersten Stellen stand, für die Männer jedoch in einem stärkeren Maße als für die Frauen. Es lassen sich auch prägnante Unterschiede erkennen. Zum einen scheint es, als ob Frauen viel stärker unter gesundheitlichen Beschwerden litten als Männer, was wiederum auf die körperliche und seelische Belastung in der Anstalt verweisen könnte. Der doch deutlich höhere Anteil von Wärterinnen, die aus privaten Gründen austraten, ging mit der häufigen Versorgung und Pflege von Familienangehörigen einher. Die hohe Anzahl an Wärtern, welche aufgrund von Dienstverletzungen oder wegen Dienstuntauglichkeit die Anstalt verließen, zeigt, wie schwer sich diese in das strenge und disziplinierte Anstaltsleben einfinden konnten. Angela Roth berichtet von vermehrten Entlassungen von Wärtern in den württembergischen Irrenanstalten wegen „Unbotmäßigkeiten“ und „Misshandlungen“ von Kranken. Besonders ausgeprägt war dieses Verhalten in Anstalten, die eine konsequente Durchführung des „Non-restraint“-Systems verlangten und somit das Personal zum großen Teil überforderten.178 Beruf des Vaters Leider weisen die Personalakten von 1880 bis 1900 viele Lücken in den Datensätzen auf. Deshalb wurden die folgenden beiden Grafiken (14 und 15) mit Daten von 1900 bis 1930 berechnet. Deutlich erkennbar ist, dass mit fast 57 % der überwiegende Teil der Wärterinnen aus der unteren Mittelschicht stammte, zumeist aus Bauern- und Handwerkerfamilien. Dagegen waren nur wenige Väter mittlere Beamte oder Angestellte. Die Unterschicht ist mit knapp 8 % wesentlich geringer vertreten als erwartet.179 In dieser Rubrik befinden sich überwiegend Arbeiter und Tagelöhner. 176 177 178 179

Vgl. Kling (2000), S. 60. Vgl. Kling (2000), S. 67. Vgl. Roth (1999), S. 70 f. Ein häufiges Vorurteil gegenüber der Wärterschaft war ihre niedrige soziale Herkunft.

87

3.3 Das erstellte Sozialprofil

Die obere Mittelschicht ist mit 2,3 % im Gesamtergebnis eher eine Randerscheinung. Von 3 % der Wärterinnen war der Vater bei Eintritt bereits verstorben. Diese Frauen hatten wahrscheinlich wenig finanziellen Rückhalt in der Familie und waren dadurch besonders auf eine Erwerbsarbeit angewiesen. Obere Mittelschicht: 2,3 % höhere Beamte Kaufmann Untere Mittelschicht: 56,9 % Landwirt Handwerker mittlere Beamte/Angestellte sonstige Berufe Unterschicht: 8,0 % Arbeiter untere Beamte/Angestellte Tagelöhner keine Angaben: 29,3 % verstorbene Väter: 3,3 %

Grafik 14: Beruf des Vaters der Wärterinnen der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1900–1930) Quelle: StAFr, Personalakten Illenau, eigene Berechnungen

Man erkennt sofort, dass es in Bezug auf die soziale Herkunft von Wärterinnen und Wärtern keine prägnanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern gab. Mit 55 % stammten auch die Wärter größtenteils aus der unteren Mittelschicht, ebenfalls vorherrschend aus Bauern- bzw. Handwerkerfamilien. Die Unterschicht ist noch geringer vertreten als bei den Wärterinnen. Nur 5 % der Väter waren überwiegend Arbeiter oder Tagelöhner. Gerade 0,9 %, also zwei Väter, hatten Berufe, die der oberen Mittelschicht zuzuordnen sind. Auch der Prozentsatz der verstorbenen Väter ist mit 0,4 % sehr gering. Leider können die beruflichen Vorerfahrungen der Wärterinnen und Wärter nicht ergänzend hinzugezogen werden, da meist keine entsprechenden Angaben in der Personalakte vermerkt sind. Tendenziell kann man jedoch festhalten, dass nur ein geringer Anteil der Wärter zuvor beim Militär war. Bei den Wärterinnen tauchen als vorherige Beschäftigung die Begriffe „Pflege“ oder „Haushalt“ auf. Es war im 19. Jahrhundert üblich, dass die jungen Mädchen zunächst in Stellung gingen oder zu Hause mithalfen.180

180 Siehe hierzu Pauleweit (1993).

88

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Obere Mittelschicht: 0,9 % höhere Beamte Kaufmann Untere Mittelschicht: 55,0 % Landwirt Handwerker mittlere Beamte/Angestellte sonstige Berufe Unterschicht: 5,2 % Arbeiter untere Beamte/Angestellte Tagelöhner keine Angaben: 39,4 % verstorbene Väter: 0,4 %

Grafik 15: Beruf des Vaters der Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1900–1930) Quelle: StAFr, Personalakten Illenau, eigene Berechnungen

Schulische Bildung In den Lebensläufen der Wärterinnen und Wärter wurde der jeweilige Schulabschluss festgehalten. 0,9

Angaben in Prozent

0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3

Wärterinnen

0,2

Wärter

0,1 0

Volksschule

ohne Angaben

höherer Bildungsabschluss

sonstige Schulen

Grafik 16: Übersicht über die Bildungsabschlüsse der Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1880–1930) Quelle: StAFr, Personalakten Illenau, eigene Berechnungen

89

3.3 Das erstellte Sozialprofil

Beide Geschlechter hatten mehrheitlich die Volksschule besucht. Darüber hinaus absolvierten 2,5 % der Frauen eine höhere Schule, überwiegend eine höhere Töchterschule. Insgesamt hatten drei Wärter eine Handels- bzw. Gewerbeschule besucht. 3.3.3 Die Sarepta-Schwestern Als Hauptquellen für die Untersuchung der Bielefelder Diakonissen dienten zum einen Eintrittsbücher und zum anderen Personalakten. Anhand der Eintrittsbücher wurden von 3.118 Diakonissen das Eintrittsalter, die Verweildauer und der Austritt in Form von Kündigung oder Entlassung aufgenommen. Von 327 Schwestern lag für den Untersuchungszeitraum die Personalakte vor, aus welcher die Schulbildung, der Beruf des Vaters und ggf. die Todesursache hervorgeht. Eintrittsalter

450 400 350 300 250 200 150 100

49

47

45

43

41

39

37

35

33

31

29

27

25

23

21

0

19

50 17

eingetretene Sarepta-Schwestern in absoluten Zahlen

Aus der Grafik wird ersichtlich, dass die eingetretenen Schwestern zwischen 17 und 49 Jahre alt waren.

Lebensalter in Jahren

Grafik 17: Übersicht über die Altersverteilung der eingetretenen Sarepta-Schwestern (1880– 1930) Quelle: HAB, Eintrittsbücher der Sarepta-Schwestern, eigene Berechnungen

Der größte Teil von ihnen, 43 %, befand sich in der Altersgruppe von 20 bis 23 Jahren, wobei die Eintrittsspitze beim 21. Lebensjahr liegt. Mit zunehmendem Alter nimmt auch hier die Anzahl der eingetretenen Frauen ab, nur knapp 9 % waren älter als 30 Jahre. Die Zahlen entsprechen ganz den Aufnahmebedingungen einer Diakonisse, die „über 18 und unter 40 Jahre alt sein“ sollte.181 181 Vgl. HAB, Zweiter Jahresbericht der Diakonissen-Anstalt zu Bielefeld 1871–1873, Bielefeld (o. J.), S. 27. Das Aufnahmealter lag auch für die Kaiserswerther Diakonissen zwischen 18 und 40 Jahren. Siehe Köser (2006), S. 447.

90

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Eintrittshäufigkeit

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

1880 1882 1884 1886 1888 1890 1892 1894 1896 1898 1900 1902 1904 1906 1908 1910 1912 1914 1916 1918 1920 1922 1924 1926 1928 1930

eingetretene Sarepta-Schwestern in absoluten Zahlen

Wie aus der Grafik ersichtlich, schwankten die Eintrittszahlen über den gesamten Untersuchungszeitraum, stiegen jedoch tendenziell. Worauf diese kurzfristigen Schwankungen zurückzuführen sind, kann nicht immer eindeutig geklärt werden. Für einige Jahre jedoch kann eine Begründung gefunden werden. So ist der Einbruch 1894, das mit nur 29 Zugängen eintrittsschwächste Jahr, sicherlich eine Reaktion auf die damals kursierenden Vorwürfe gegenüber der Sarepta-Schwesternschaft. Man beschuldigte sie, Kinder und Geisteskranke zu misshandeln.182 1898 hingegen war mit 83 Zugängen ein sehr eintrittsstarker Jahrgang. Dies scheint die Folge des Kaiserpaarbesuches von 1897 zu sein, wodurch die Betheler Anstalten eine erhöhte Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erhielten.183 Der sehr markante Einbruch auf nur 33 Eintritte im Jahr 1911 ist im Zusammenhang mit dem Tod von Friedrich v. Bodelschwingh 1910 und den darauffolgenden Auseinandersetzungen um das männliche Vorsteheramt zu sehen.184

Zeit in Jahren

Grafik 18: Übersicht über die Eintrittszahlen der Sarepta-Schwestern (1880–1930) Quelle: HAB, Eintrittsbücher der Sarepta-Schwestern, eigene Berechnungen

1914 ist mit 94 Probeschwestern das eintrittsstärkste Jahr im gesamten Untersuchungszeitraum. Der Rückgang in den folgenden Jahren liegt am Ersten Weltkrieg. Viele junge Frauen wurden in dieser Zeit zu Hause gebraucht oder waren in der Kriegswirtschaft tätig. Durch steigende Eintrittszahlen in den Jahren 1919 und 1920 scheint sich ein „Nachholbedarf“, wie Christiane Borchers es nennt, abzuzeichnen.185 Die Weimarer Republik war durch Wirtschaftskrisen charakterisiert. In diesem Zusammenhang sind die eintrittsstarken Jahre im Zeitraum von 1924 bis 1930 zu sehen. Beginnend mit der Hyper182 183 184 185

HAB, Chronik Sar: 28; siehe auch Borchers (2001), S. 88. HAB, Chronik Sar: 30; siehe auch Borchers (2001), S. 88. Vgl. Borchers (2001), S. 88. Vgl. Borchers (2001), S. 88.

3.3 Das erstellte Sozialprofil

91

inflation 1923 kam es zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch in Deutschland. Unterbrochen von den „goldenen Zwanzigern“, folgten 1929 schwere wirtschaftliche Einbrüche in allen Industrienationen, deren Folgen Arbeitslosigkeit und Deflation waren. In diesen wirtschaftlichen Notzeiten schien die Aussicht auf ein sozial abgesichertes Leben als Diakonisse äußerst attraktiv. Ganz allgemein ist festzuhalten, dass bis zur Jahrhundertwende deutlich weniger Diakonissen eintraten als danach. Von 1880 bis 1900 waren es jährlich durchschnittlich 49, von 1900 bis 1930 hingegen 72 Diakonissen. Laut Christiane Borchers sind im Vergleich zu anderen Mutterhäusern die Eintrittszahlen in Sarepta seit dessen Bestehen besonders schnell angestiegen. Gründe hierfür sah sie zum einen in dem Haupteinzugsgebiet der vorhergegangenen Erweckungsbewegung und zum anderen in der Kombination von Diakonissenmutterhaus und epileptischen Anstalten. Viele Frauen, die in Bethel körperlich und geistig Behinderte pflegen wollten, traten in die Schwesternschaft ein, von der sie emotionalen Rückhalt und die nötige Qualifikation erhielten.186 Verweildauer

eingetretene Sarepta-Schwestern in absoluten Zahlen

Wie schon bei den vorangegangenen Grafiken zur Verweildauer ist auch hier deutlich erkennbar, dass die meisten Austritte, knapp 25 %, in den ersten fünf Jahren stattfanden. Erstaunlicherweise haben ca. 6 %, und somit der größte Teil, erst nach einem Jahr die Anstalt verlassen. Denkbar wäre, dass sich erst nach dem Probejahr herausgestellt hat, wer für den Diakonissenberuf geeignet war. Mit zunehmendem Alter und zunehmender Verweildauer sind Ruhestand oder Tod die Ausscheidungsgründe. 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 0–5

6–10 11–15 16–20 21–25 26–30 31–35 36–40 41–45 46–50 51–55 56–60

Zeit in Jahren

Grafik 19: Übersicht über die Verweildauer der Sarepta-Schwestern (1880–1930) Quelle: HAB, Eintrittsbücher der Sarepta-Schwestern, eigene Berechnungen

186 Vgl. Borchers (1997), S. 169.

92

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Auffallend ist, dass es auch eine Gruppe von Schwestern mit der Verweildauer von 56 bis 60 Jahren gibt. Wenn diese Diakonissen mit 18 oder 19 eingetreten sind, so waren sie bei ihrem Ruhestand oder Tod zwischen 75 und 80 Jahre alt. Austrittshäufigkeit In den Eintrittsbüchern wurde zwar zwischen Kündigung und Entlassung unterschieden, jedoch ohne einen genaueren Grund hierfür anzugeben. Es ist anzunehmen, dass Letzteres dem Wunsch der Schwester und die Kündigung dem des Mutterhauses entsprach. Unterscheidet man trotz dieser Unklarheiten zwischen den dokumentierten Entlassungen und Kündigungen, ist festzuhalten, dass von den insgesamt 3.118 eingetretenen Schwestern 133 entlassen wurden und 974 Diakonissen während des Untersuchungszeitraums wieder austraten. In Bezug auf die Entlassungen sind die Jahre 1910 und 1914 auffallend, in denen 12 bzw. 13 Schwestern entlassen wurden. In den übrigen Jahren wurden zwischen einer und fünf Diakonissen im Jahr gekündigt, wobei im letzten Drittel des Untersuchungszeitraumes nur sieben Schwestern auf Wunsch des Mutterhauses die Anstalt verlassen mussten. 1969 wurde eine interne Statistik über die Abgangsgründe der Vergangenheit erstellt. Hier unterschied man zwischen „Heirat“, „Kränklichkeit“, „Untauglichkeit“, „Entlassung aus schwerwiegenden Gründen“, „Familienverhältnissen“, „persönlichen inneren Gründen“ sowie „während des 3. Reiches aus Parteigründen ausgetreten“ und „Übergang in ein anderes Mutterhaus“.187 Allerdings liegen genaue Angaben über die Verteilung der Austrittsgründe nicht vor. Christiane Borchers erwähnt jedoch, dass zwischen 1912 und 1925 ein auffallend hoher Prozentsatz an Schwestern wegen gesundheitlicher Beschwerden ausschied.188 In der Grafik wurden nur die Austritte von Seiten der Schwesternschaft berücksichtigt. Wie schon bei den Eintritten folgten auch bei Austritten auf austrittsschwächere austrittsreichere Jahre, Letztere mit steigender Tendenz. Die austrittsstärksten Jahre waren mit jeweils 39 Schwestern 1919 und 1927, sie gehörten zugleich auch zu den eintrittsstarken Jahren. Auch hier könnte die Ursache in der wirtschaftlichen Lage des Deutschen Reiches liegen. Vielleicht mussten einige Diakonissen in ihre Familie zurück, um sie zu unterstützen, oder sie hatten während des Krieges noch gezögert, die Schwesternschaft zu verlassen, und holten dies nun nach. Zwischen 1880 und 1930 sind rund 23 % der Diakonissen verstorben. Die Todesursache wurde nur lückenhaft dokumentiert. Jedoch lag das durchschnittliche Sterbealter pro Aufnahmejahrgang zwischen 69 Jahren (Aufnahmejahrgang 1874) und 78 Jahren (Aufnahmejahrgang 1920). Neben einigen 187 Mutterhaus Sarepta. Aufnahmen, Einsegnungen, Austritte, standardisierte Gründe, erstellt im Februar 1969, Sarepta-Verwaltung. Statistische Aufstellungen 1956–1990, zit. n. Borchers (2001), S. 105. 188 Vgl. Borchers (2001), S. 105.

93

1930

1925

1920

1915

1910

1905

1900

1895

1890

1885

45 40 35 30 25 20 15 10 5 0

1880

ausgetretene Sarepta-Schwestern in absoluten Zahlen

3.3 Das erstellte Sozialprofil

Zeit in Jahren

Grafik 20: Übersicht über die Austritte der Sarepta-Schwestern (1880–1930) Quelle: HAB, Eintrittsbücher der Sarepta-Schwestern, eigene Berechnungen

jung verstorbenen Schwestern gab es auch viele, die sehr alt wurden. Das Thema der Diakonissensterblichkeit wurde vor allem in den 1920er Jahren vermehrt diskutiert und untersucht.189 Letztendlich gab es unter den Diakonissen jedoch keine höhere Sterbewahrscheinlichkeit als bei anderen Frauen gleichen Alters. Zu diesem Ergebnis kam auch Dr. med. Dr. phil. Hans Harmsen in seiner Untersuchung an verschiedenen Mutterhäusern.190 Anhand der Personalakten kann man einen Eindruck von Krankheiten und zum Tode führenden Erkrankungen bekommen. Darauf wird in Kapitel 5.5 näher eingegangen. Beruf des Vaters Angaben zu den väterlichen Berufen sind ebenfalls den Personalakten entnommen. In den selbstgeschriebenen Lebensläufen wurde dieser von den Diakonissenanwärterinnen häufig erwähnt. Auch bei den Sarepta-Schwestern ist die untere Mittelschicht mit 47 % am häufigsten vertreten. Sie stammten ebenfalls überwiegend aus handwerklichen oder landwirtschaftlichen Familien. Die obere Mittelschicht und die Unterschicht sind erstaunlicherweise fast gleich stark vertreten. Bei der oberen Mittelschicht macht sich ein großer Anteil an Kaufmanns-, Fabrikanten- und Pfarrersfamilien bemerkbar, wohingegen in der Unterschicht ein sehr großer Teil an Tagelöhnern zu verzeichnen ist. Der Anteil an Vätern, die bereits verstorben waren, ist mit 0,6 % praktisch zu vernachlässigen.

189 Vgl. Borchers (2001), S. 95. 190 Vgl. Harmsen (1929).

94

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Obere Mittelschicht: 9,9 % Kaufmann, Fabrikant Pfarrer höherer Beamte/Angestellte Militär Untere Mittelschicht: 47,2 % Landwirt Handwerker mittlere Beamte/Angestellte Unterschicht: 9,0 % untere Beamte/Angestellte Arbeiter Tagelöhner verstorben: 0,6 % ohne Angaben: 33,3 %

Grafik 21: Übersicht über den Beruf des Vaters der Sarepta-Schwestern (1880–1930) Quelle: HAB, Personalakten der Sarepta-Schwestern, eigene Berechnungen

Schulbildung Auch der Bildungsweg der Diakonissen geht aus den Personalakten bzw. aus den darin enthaltenen Lebensläufen hervor.

Volksschule: 91,4 %

höherer Schulabschluss: 4,4 %

ohne Angaben: 2,2 %

Grafik 22: Übersicht über die Schulbildung der Sarepta-Schwestern (1880–1930) Quelle: HAB, Personalakten der Sarepta-Schwestern, eigene Berechnungen

Wie die Grafik 22 zeigt, hatten über 90 % der Schwestern die Volksschule absolviert. Einen höheren Abschluss wiesen rund 4 % der Diakonissen auf. Knapp 2 % aller Diakonissen besuchten eine weiterführende Schule, und zwar eine sogenannte Mädchengewerbeschule.

3.3 Das erstellte Sozialprofil

95

3.3.4 Die Nazareth-Diakone Auch bei den Nazareth-Diakonen dienten als Hauptquellen Eintrittsbücher und vorhandene Personalakten. Aus den Eintrittsbüchern konnten Informationen über das Eintrittsalter, die Verweildauer, die Ein- und Austrittshäufigkeit sowie die Kündigungsgründe von 1.102 Diakonen gewonnen werden. Um ein repräsentatives Ergebnis für die Kategorien Schulbildung und Beruf des Vaters zu erhalten, wurden im Turnus von fünf Jahren Personalakten von 416 eingetretenen Brüdern erfasst. Überraschenderweise zeigten sich bei der Auswertung deutliche Abweichungen der Daten aus den Eintrittsbüchern und den Personalakten bezüglich der Ein- und Austrittshäufigkeit der Diakone. Vermutlich wurden viele der nach kurzer Zeit wieder ausgetretenen Brüder in den Eintrittsbüchern nicht mehr berücksichtigt. Somit war eine deutlich höhere Anzahl an jungen Männern ein- und auch wieder ausgetreten, als anhand der Eintrittsbücher ersichtlich wird. Bereits für 1880 liegen von 18 Diakonen Personalakten vor, während in den Eintrittsbüchern nur fünf erfasst wurden. Insgesamt ergeben die Abweichungen eine Differenz von 181 Diakonen. Eintrittsalter Die Berufsordnung der Nazareth-Diakone sah für eine Aufnahme neben körperlicher Gesundheit und jugendlicher Beweglichkeit ein Alter von 19 bis 26 Jahren vor.191

eingetretene Nazareth-Diakone in absoluten Zahlen

250 200 150 100 50 0

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 Lebensalter in Jahren

Grafik 23: Übersicht über das Eintrittsalter der Nazareth-Diakone (1880–1930) Quelle: HAB, Eintrittsbücher der Nazareth-Diakone, eigene Berechnungen

191 Vgl. Bunke (1928), S. 51.

96

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Gemäß der statistischen Auswertung erstreckte sich das Eintrittsalter auf 17bis 37-Jährige, wobei 34 % der Männer im Alter von 19 und 20 Jahren in die Diakonenanstalt eintraten. Dies erscheint relativ jung im Vergleich zum durchschnittlichen Eintrittsalter der Wärter, zumal auch bei den Diakonen für eine Aufnahme berufliche Vorerfahrungen erwünscht waren.192 Wie bei den bereits erwähnten Schwesternschaften beinhaltet das Aufnahmestatut eine Altersbeschränkung bis zum 30. Lebensjahr. Dennoch war knapp 1 % älter, wie aus der Grafik hervorgeht. Eintrittshäufigkeit

70 60 50 40 30 20

1930

1925

1920

1915

1910

1905

1900

1895

1890

0

1885

10 1880

eingetretene Nazareth-Diakone in absoluten Zahlen

Da die Daten aus den Personalakten hinsichtlich des Eintritts aussagekräftiger sind, beziehen sich die folgenden Grafiken auf diese Quellen. Zu Anfang des Untersuchungszeitraumes gab es einen starken Zuwachs an Neuaufnahmen. Das eintrittsstärkste Jahr war 1900, wobei in der Zeitspanne zwischen 1900 und 1910 der meiste Zuwachs zu verzeichnen war. Allein 43 % aller erfassten Diakone traten in diesem Zeitraum ein. Danach folgte ein drastischer Einbruch, wofür der Erste Weltkrieg verantwortlich war. Die jungen Männer wurden an der Front benötigt.

Zeit in Jahren

Grafik 24: Übersicht über die Eintrittshäufigkeit der Nazareth-Diakone in 5-Jahres-Schritten (1880–1930) Quelle: HAB, Personalakten der Nazareth-Diakone, eigene Berechnungen

Nach dem Krieg kam es wieder zu einem stetigen Anstieg der Eintritte, mit einem erneuten Gipfelpunkt im Jahre 1925, als fast so viele Männer eintraten wie 1905. Auch hier wird sich die zunehmend kritische wirtschaftliche Lage auf das Eintrittsverhalten ausgewirkt haben. Darauf folgte ein leichter Abstieg.

192 Siehe Grafik 6.

3.3 Das erstellte Sozialprofil

97

Verweildauer

eingetretene Nazareth-Diakone in absoluten Zahlen

Die Daten für die Verweildauer wurden ebenfalls aus den Personalakten gewonnen. Grafik 25 zeigt anschaulich, dass 60 % innerhalb der ersten fünf Jahre wieder ausgetreten sind, 16 % sogar vor Ablauf eines Jahres. Auffallend weniger Diakone traten innerhalb der nächsten Jahre aus. Hatte ein Bruder sich für längere Zeit bewährt, erhielt er die Erlaubnis, eine eigene Familie zu gründen. Diese Erlaubnis ging auch mit einer besseren finanziellen Entlohnung einher.193 Allein die Aussicht auf eine solche Position hielt sicherlich einige Brüder davon ab, in den späteren Jahren die Brüderschaft zu verlassen. Der leichte Anstieg zwischen der Verweildauer von 30 bis 50 Jahren ist mit Ruhestand oder Tod zu erklären. 300 250 200 150 100 50 0

0–5

6–10 11–15 16–20 21–25 26–30 31–35 36–40 41–45 46–50 51–60 Verweildauer in Jahren

Grafik 25: Übersicht über die Verweildauer der Nazareth-Diakone in 5-Jahres-Schritten (1880–1930) Quelle: HAB, Personalakten der Nazareth-Diakone, eigene Berechnungen

Austrittshäufigkeit Erneut basieren die berechneten Daten auf Informationen aus den Personalakten. Im Vergleich zu der Eintrittskurve zeigt die Austrittskurve starke Schwankungen: Auf eine fallende folgt eine steigende Anzahl an Austritten. Allerdings kann man einen deutlichen Höhepunkt im Jahre 1901 festmachen. In den Jahren 1905, 1906, 1911 und 1913 gab es ebenfalls hohe Austrittszahlen. Es ist derselbe Zeitraum, in dem die meisten Eintritte erfolgten. Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Verweildauer lassen sich die Spitzen in den 193 Mehr zur Heiratserlaubnis der Nazareth-Diakone in Kapitel 4.3.1.

98

3 Charakterisierung und Sozialprofil

18 16 14 12 10 8 6 4

1930

1925

1920

1915

1910

1905

1900

1895

1890

0

1885

2 1880

ausgetretene Nazareth-Diakone in absoluten Zahlen

jeweiligen unterschiedlichen Grafiken erklären. Es sind zwar viele Diakone ein-, aber innerhalb der ersten fünf Jahre auch wieder ausgetreten.

Zeit in Jahren

Grafik 26: Übersicht über das Austrittsverhalten der Nazareth-Diakone in 5-Jahres-Schritten (1880–1930) Quelle: HAB, Personalakten der Nazareth-Diakone, eigene Berechnungen

Während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren bis 1920 gab es nur wenige Austritte. Auch in Bezug auf das Austrittsverhalten ist die Jahrhundertwende ein Einschnitt, 76 % aller Abgänge erfolgten in den Jahren danach. Kündigungsgründe Wieder dienten die Personalakten als Grundlage der folgenden Auswertung. Die Brüder durchliefen vor ihrer endgültigen Aufnahme bzw. Einsegnung verschiedene Arbeitseinsätze und wurden von den jeweiligen Hausvorstehern bezüglich ihrer Eignung beurteilt. Aus den Akten geht hervor, dass mehr als die Hälfte der Diakone kündigten und 16 % entlassen wurden. An erster Stelle der Kündigungsgründe stehen „private Umstände“, knapp 20 % der Diakone schieden deshalb aus der Anstalt aus. Häufig verbirgt sich hinter dieser Angabe auch eine mehrmals abgelehnte Einsegnung in die Brüderschaft und damit die enttäuschte Hoffnung auf ein sozial abgesichertes Leben in der Gemeinschaft. 15 % der Diakone blieben bis zu ihrer Pensionierung in der Anstalt. Auch wenn diese Rubrik an dritter Stelle steht, ist die Gesamtzahl doch sehr gering. Von den 416 erfassten Diakonen wurden nur 65 in den Ruhestand versetzt. Fast der gleiche prozentuale Anteil schied als ungeeignet, in der Regel vor der Einsegnung, aus der Anstalt wieder aus. In den Beurteilungen stand häufig „fehlender diakonischer Sinn“. Was man sich genau darunter vorzustellen hat, war aus den Akten nicht zu erschließen.

3.3 Das erstellte Sozialprofil

99

90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Grafik 27: Übersicht über die Kündigungsgründe der Nazareth-Diakone (1880–1930) Quelle: HAB, Personalakten der Nazareth-Diakone, eigene Berechnungen

Eine mittlere Platzierung mit ca. 8 % nehmen Berufswechsel, Unsittlichkeit und Tod ein. Da Erfahrungen in der Landwirtschaft oder in einem handwerklichen Beruf erwünscht waren, sind viele wieder in diesen Tätigkeitsbereich zurückgekehrt. Nur wenige der unter dieser Rubrik erfassten Diakone blieben beruflich im karitativen Bereich und gingen zum Beispiel in die äußere Mission. Die Rubrik „Unsittlichkeit“ findet sich nur bei den Diakonen. Ein im christlichen Sinne sittlich einwandfreies Verhalten war für die Brüderschaft besonders wichtig. Unter „Unsittlichkeit“ fiel jedoch nicht nur der außereheliche sexuelle Verkehr, sondern bereits regelmäßiger Briefkontakt mit einer Frau, selbst wenn dieser ernstere Absichten vermuten ließ. In wenigen Fällen wird auch der Vorwurf der Homosexualität unter dieser Rubrik subsumiert. Das Thema der Homosexualität im Zusammenhang mit der Beaufsichtigung von Kindern und Jugendlichen wurde sehr sensibel behandelt, und dementsprechend vorsichtig waren auch die Formulierungen in den Akten. Aus gesundheitlichen Gründen verließen 4 % die Anstalt. Erstaunlicherweise handelte es sich hierbei weniger um alte Diakone, sondern vielmehr um junge Männer, die zwischen 20 und 30 Jahre alt waren. Aufgrund einer verweigerten Heiratserlaubnis kündigten 4 % der Diakone, sie waren im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Nur zwei Diakone wurden wegen einer Verfehlung entlassen. Die Gründe hierfür waren zum einen Trunkenheit während der Arbeit und zum anderen

100

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Missbrauch. In der Personalakte hieß es: „verging sich auf sadistische Weise an Zöglingen“.194 Beruf des Vaters Für die Diakone zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Diakonissen. Obere Mittelschicht: 7,7 % Kaufmann, Fabrikant, Theologe höhere Beamte Militär Untere Mittelschicht: 58,2 % Handwerker mittlere Beamte/Angestellte Landwirte Sonstige Unterschicht: 16,6 % Arbeiter Tagelöhner, landwirt. Gesinde verstorben: 5,1 % ohne Angaben: 12,3 %

Grafik 28: Berufe des Vaters der Nazareth-Diakone (1880–1930) Quelle: HAB, Personalakten der Nazareth-Diakone, eigene Berechnungen

Im Gegensatz zu den Diakonissen erwartete man jedoch von den Diakonen – wie bereits erwähnt – berufliche Erfahrungen vorzugsweise in einem Handwerk oder in der Landwirtschaft. Dies spiegelt auch das Untersuchungsergebnis wider: Mit 58 % entstammten die meisten Brüder aus Familien der unteren Mittelschicht, genauer aus Handwerkerfamilien. An zweiter Stelle steht mit knapp 17 % die Unterschicht, hierbei überwiegt der Anteil an Arbeiterfamilien. Die Berufsgruppen der oberen Mittelschicht sind mit 7 % vertreten, es sind hauptsächlich Kaufmanns- und Fabrikantenfamilien. Von 5 % der Diakone war der Vater bereits verstorben. Berufliche Vorerfahrungen der Nazareth-Diakone von 1880 bis 1930 Aufgrund der guten Datenlage kann bei den Nazareth-Diakonen eine Aussage über die beruflichen Vorerfahrungen gemacht werden. Knapp die Hälfte der Diakone war in Berufen der unteren Mittelschicht tätig, 39 % in handwerklichen Berufen. Dies entsprach ganz dem Wunsch der Anstalt, die mit Vorliebe Männer mit handwerklicher oder landwirtschaftlicher Vorerfahrung suchte. 194 HAB, NA-PA-112-2248.

101

3.3 Das erstellte Sozialprofil

Obere Mittelschicht: 5,1 % Kaufmann, Theologe Untere Mittelschicht: 48,6 % Handwerker mittlere Beamte/Angestellte Landwirt Unterschicht: 19,2 % Arbeiter Tagelöhner Angestellte ohne Angaben: 27,2 %

Grafik 29: Berufliche Vorerfahrungen der Nazareth-Diakone (1880–1930) Quelle: HAB, Personalakten der Nazareth-Diakone, eigene Berechnungen

Mit 19 % sind Berufsgruppen der Unterschicht vertreten. Hierbei handelte es sich überwiegend um Arbeiter und Angestellte bzw. um Gesellen und Lehrlinge. Der Beruf des Kaufmannes und des Theologen repräsentiert die obere Mittelschicht. Diese 5 % scheinen relativ viel zu sein, zumal es sich bei vielen Angaben wohl noch um einen Lehrling handelte. Rückschlüsse auf den sozialen Status der Diakone kann man erst dann ziehen, wenn die verschiedenen Berufsgruppen gesellschaftlich eingestuft werden. Für die Weimarer Zeit liegt ein solches Modell von Theodor Geiger vor. Demnach stammten fast 30 % der Diakone aus dem „neuen Mittelstand“, während 60 % aus den Unterschichten kamen.195 Tendenziell entwickelte sich der Diakonenberuf zu einem Beruf des sozialen Aufstiegs, jedenfalls versuchten die Brüderhäuser dies durch Einüben entsprechender Verhaltensregeln zu untermauern.196 So stand in der Nazareth-Berufsordnung von 1914: „Lade den Teller nicht zu voll, lieber öfter nehmen als zu viel auf einmal.“197 3.3.5 Die Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwestern Die Rot-Kreuz-Schwestern waren eine weltliche Schwesternschaft, in der sowohl evangelische als auch katholische Schwestern vertreten waren. Da die Mehrheit eine preußische Herkunft aufweist, gehörten 60 % dem protestantischen Glauben an.

195 Vgl. Geiger (1932), S. 24–28, 47 f. 196 Vgl. Häusler (1995), S. 132 f. 197 HAB, NA, Berufsordnung für die Diakone der Westfälischen Brüderanstalt Nazareth bei Bielefeld 1914.

102

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Als Hauptquellen dienen Karteikarten, die für jede der 424 Schwestern erstellt wurden, sowie 25 erhaltene Personalakten. Letztere konnten in Bezug auf das Sozialprofil vernachlässigt werden, da sie keine über die Karteikarten hinausgehenden Informationen enthielten. Eintrittsalter

45 40 35 30 25 20 15 10 5 0

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45

eingetretene Rot-Kreuz-Schwestern in absoluten Zahlen

Das Eintrittsalter der Rot-Kreuz-Schwestern erstreckte sich von 17 bis zu 45 Jahren. Ein Viertel aller Schwestern trat im Alter zwischen 20 und 22 Jahren ein, die meisten waren 20 Jahre alt. Das entspricht ganz den Aufnahmestatuten, in denen anfangs ein Mindestalter von 20 Jahren gefordert wurde. Gegen Ende der 1920er Jahre setzte man das Eintrittsalter wegen Nachwuchsschwierigkeiten auf 18 Jahre herab.198

Lebensalter in Jahren

Grafik 30: Das Eintrittsalter der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) Quelle: UADd, Karteikarten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, eigene Berechnungen

Im Vergleich zu den vorangegangenen Untersuchungsgruppen nahmen mit zunehmendem Alter die Eintrittszahlen nicht kontinuierlich ab, vielmehr gab es immer wieder Altersspitzen zum Beispiel mit 26, 29 oder mit 36 Jahren. Eintrittshäufigkeit Die Grafik der Eintrittshäufigkeit zeigt bei den Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf einen ganz anderen Verlauf im Vergleich zu den vorangegangenen Schwestern- und Wärterschaften. Zu Anfang stiegen die Eintrittszahlen nur zögerlich. Erstaunlicherweise kam es in den Anfangsjahren des Ersten Weltkriegs zu einem Einbruch. In den Nachkriegsjahren nahm der Anstieg wieder deutlich zu. Ein erster Höhepunkt war das Jahr 1921. Danach folgte ein erneuter Rückgang an Eintritten. 198 Vgl. Prüfer (1997), S. 72.

103

120 100 80 60 40 20 0

1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930

eingetretene Rot-Kreuz-Schwestern in absoluten Zahlen

3.3 Das erstellte Sozialprofil

Zeit in Jahren

Grafik 31: Übersicht über die Eintrittshäufigkeit der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) Quelle: UADd, Karteikarten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, eigene Berechnungen

Von 1927 bis 1930 ist dann ein drastischer Anstieg zu erkennen. Mit einer Eintrittsquote von 23 % aller Rot-Kreuz-Schwestern ist das Jahr 1930 der absolute Höhepunkt während des gesamten Untersuchungszeitraums. Verweildauer Anhand der Grafik ist deutlich zu erkennen, dass mit 66 % die Mehrzahl der Schwestern innerhalb der ersten fünf Jahre, genauer: vor Ablauf des ersten Jahres, wieder aus dem Mutterhaus austrat. Auf die darauf folgenden Verweiljahre verteilte sich die Anzahl der RotKreuz-Schwestern relativ gleichmäßig. Für den Zeitraum von über 30 Jahren nahm die Anzahl der Schwestern deutlich ab, nur 7 % verblieben zwischen 31 und 35 Jahre im Mutterhaus. Gründe hierfür sind, dass viele das Pensionsalter bereits erreicht hatten oder zuvor verstarben. Nur sehr wenige waren nach 41 bzw. 45 Berufsjahren noch als Krankenschwester aktiv.

eingetretene Rot-Kreuz-Schwestern in absoluten Zahlen

104

3 Charakterisierung und Sozialprofil

300 250 200 150 100 50 0

0-5

6-10

11-15

16-20

21-25

26-30

31-35

36-40

41-45

Verweildauer in Jahren

Grafik 32: Übersicht über die Verweildauer der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907– 1930) Quelle: UADd, Karteikarten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, eigene Berechnungen

Austrittshäufigkeit

1930

1928

1926

1924

1922

1920

1918

1916

1914

1912

1910

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

1908

ausgetretene Rot-Kreuz-Schwestern in absoluten Zahlen

Ein auffallendes Bild ergibt die Grafik 33 über die Austritte.

Zeit in Jahren

Grafik 33: Übersicht über das Austrittsverhalten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1908–1930) Quelle: UADd, Karteikarten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, eigene Berechnungen

Von den 424 erfassten Rot-Kreuz-Schwestern verließen bis 1930 nur 142 das Mutterhaus. Hierbei wurde nicht zwischen Entlassung und Kündigung unterschieden.

105

3.3 Das erstellte Sozialprofil

Der Erste Weltkrieg zeigte keinerlei Auswirkungen auf das Austrittsverhalten der Rot-Kreuz-Schwestern. Bis 1920 waren nur neun Schwestern ausgetreten. Danach erfolgten in kleineren Wellen vermehrt Austritte, bis 1929 die Anzahl explosionsartig anstieg und einschließlich 1930 über 70 % der Schwestern wieder austraten. Eine mögliche Erklärung für die sehr hohen Austrittszahlen in den beiden letzten Jahren des Untersuchungszeitraums wären die erhöhten Eintrittszahlen ab 1927 unter Berücksichtigung einer durchschnittlichen Verweildauer von unter fünf Jahren. Austrittsgründe An erster Stelle der Austrittsgründe aus dem aktiven Arbeitsleben stand mit 42 % die Pensionierung. Demnach schienen sowohl die Schwestern mit ihrem Arbeitsalltag als auch das Mutterhaus mit den Pflegerinnen überwiegend zufrieden gewesen zu sein.

Pension: 42,0 %

ohne spezifische Gründe: 15,9 %

fehlende Eignung: 15,5 %

Tod: 8,0 %

Heirat: 7,5 %

Berufswechsel: 5,8 %

Krankheit: 5,3 %

Grafik 34: Austrittsgründe der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) Quelle: UADd, Karteikarten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, eigene Berechnungen

An zweiter Stelle stehen mit ca. 16 % die Schwestern, die ohne spezifische Angaben das Mutterhaus verließen. Darunter fielen hauptsächlich solche, die nur zur Vertretung im Krankenhaus beschäftigt waren und es nach deren Ablauf auch wieder verließen. Etwa genauso viele Schwestern schieden aus, weil sie nicht die nötigen Qualifikationen aufweisen konnten und damit den Anforderungen an eine Rot-Kreuz-Schwester nicht entsprachen. Als nächste Rubriken kommen Ausscheiden aufgrund von Tod oder Heirat. 8 % der Schwestern verstarben, sie waren überwiegend in den Altersgruppen zwischen 30 und 40 und 50 und 60 Jahren. Genaue Angaben zu deren Todesursachen waren in den Karteikarten nicht vermerkt. Ebenfalls knapp 8 % traten aus, weil sie heiraten wollten. Auffallend hierbei ist, dass diese mehrheitlich zwischen 30 und 40 Jahre alt waren.

106

3 Charakterisierung und Sozialprofil

Die Gründe „Berufswechsel“ und „Krankheit“ standen mit 5–6 % an letzter Stelle. Demnach waren die meisten mit dem Lebensalltag als Rot-KreuzSchwester zufrieden, und diejenigen, welche sich einen anderen Beruf suchten, traten durchweg Ende der 1920er Jahre aus. Auch der Anteil an Schwestern, die gesundheitsbedingt austraten, scheint vergleichsweise gering. Entweder war die Arbeit weniger physisch und psychisch anstrengend oder die gesundheitliche Betreuung war besser. An dieser Stelle sind die in den Personalakten enthaltenen Gewichtskurven der Schwestern zu erwähnen. Alle Schwestern wurden jeden Monat gewogen, da das Gewicht als ein Parameter für Arbeitsüberlastung galt. Wenn eine Schwester stark an Gewicht verlor, erhielt sie zur Kräftigung eine Sonderration an Sahne, damit sie wieder zu Kräften kam.199 Beruf des Vaters Auf den Karteikarten ist teilweise der Beruf des Vaters vermerkt. Allerdings kann man bei der Grafik für die Berufszuordnung der Väter nicht von einem eindeutigen Ergebnis sprechen, denn bei über 40 % fehlt eine Angabe; knapp 25 % der Väter waren bei Eintritt der Schwestern bereits verstorben. Dennoch kann man eine Tendenz erkennen. Die Rot-Kreuz-Schwestern stammten überwiegend aus der oberen und der unteren Mittelschicht. Hierbei waren hauptsächlich Kaufmanns-, höhere und mittlere Beamten- und Handwerkerfamilien vertreten. Erstaunlich gering ist die Anzahl der Landwirte, nur vier Frauen kamen aus diesem Umfeld. Adel: 0,2 % Obere Mittelschicht: 15,8 % Kaufmann Fabrikant Arzt, Militär, Pfarrer höhere Beamte Untere Mittelschicht: 13,7 % Landwirte Handwerker mittlere Beamte und Angestellte Wirt Unterschicht: 1,2 % untere Beamte/Angestellte Pension: 0,9 % Tod: 24,8 % ohne Angaben: 43,4 %

Grafik 35: Berufe des Vaters der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) Quelle: UADd, Karteikarten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, eigene Berechnungen

199 UADd, Bestand 30/14, Personalakte Hertha Weringhausen.

107

3.3 Das erstellte Sozialprofil

Der Adel war mit 0,2 % zwar sehr gering, aber zumindest bei dieser Schwesternschaft vertreten. Die Unterschicht fiel mit knapp 1 % kaum ins Gewicht. Schulbildung Wie in der Grafik zu sehen, wies die Mehrzahl der Rot-Kreuz-Schwestern einen höheren Bildungsabschluss auf, den sie am Lyzeum erworben hatten. Knapp 0,5 % hatten im Anschluss an die Schule studiert. In diesem Ergebnis spiegelt sich auch die gesellschaftliche Herkunft der Rot-Kreuz-Schwestern wider, in der die obere Mittelschicht relativ stark vertreten war: Die Familien waren also nicht darauf angewiesen, dass ihre Tochter früh Geld verdiente oder zu Hause mithalf.

höherer Schulabschluss: 51,7 %

Volksschule 34,4 %

Mittel- und Realschule: 8,5 %

ohne Angaben: 4,5 %

Grafik 36: Schulbildung der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) Quelle: UADd, Karteikarten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, eigene Berechnungen

Mit 35 % war der Anteil der Schwestern, die die Volksschule besuchten, ebenfalls hoch. Allerdings hatte die Mehrzahl im Anschluss weitere Schulen, wie Gewerbe- oder Handelsschulen, besucht. Dies war ganz im Interesse des Mutterhauses, dem zwar ein Volksschulabschluss für die Aufnahme ausreichte, jedoch mussten sich die Bewerberinnen häufig einer Aufnahmeprüfung unterziehen, in der ihre Allgemeinbildung überprüft wurde.200 Die Mittel- und die Realschule stellten mit rund 8 % eher eine Randerscheinung dar. Insgesamt wurden von 33 % noch weiterführende Schulen besucht und 2 % hatten bereits eine Ausbildung in der Kinderkrankenpflege absolviert.

200 Vgl. Prüfer (1997), S. 72.

108

3 Charakterisierung und Sozialprofil

3.4 Resümee Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden die Kranken nicht mehr nur von katholischen Pflegeorden oder Wärtern versorgt. Eine Vielzahl an protestantischen und interkonfessionellen Schwesternschaften entstand. Aus der ursprünglichen „Liebestätigkeit“ entwickelte sich zunehmend ein anerkannter Beruf. Auffallend bei der Entstehungsgeschichte der einzelnen Schwesternschaften, mit Ausnahme der Rot-Kreuz-Schwesternschaft, ist der charismatische Gründer. Als Oberhaupt der Schwestern- bzw. Wärterschaft nimmt er eine Vaterposition ein. Er bindet die Gemeinschaft an das Mutterhaus bzw. Anstalt und versucht, ein Zugehörigkeitsgefühl zu schaffen. Inwieweit sich dieses familiäre Selbstverständnis positiv auf die Arbeitsmotivation auswirkte, kann ich anhand meiner Quellen nicht beurteilen, doch lässt das erstellte Sozialprofil Raum für Fragen. Die einzelnen Aspekte des Profils geben nicht nur einen detaillierten Einblick in die verschiedenen Schwestern- und Wärterschaften, vielmehr ermöglichen sie auch einen Vergleich untereinander. Auffallend ist, dass sich die Schwestern- und Bruderschaften hinsichtlich des Berufes des Vaters, der Schulbildung und der Verweildauer kaum unterscheiden. Mit geringen Abweichungen stammte der überwiegende Teil des Pflegepersonals aus der unteren Mittelschicht, hauptsächlich aus landwirtschaftlichen und handwerklichen Familien. Als höchsten Bildungsabschluss gaben die meisten die Volksschule an. Bei fast allen war eine erhöhte Fluktuation innerhalb der ersten fünf Jahre zu verzeichnen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit Vorurteile beispielsweise bezüglich der sozialen Herkunft von Wärterinnen und Wärtern gerechtfertigt sind. Allerdings kann man deutliche Unterschiede sowohl zwischen den Geschlechtern als auch zwischen den Diakonissen, Diakonen und der Wärterschaft der Illenau in Bezug auf das Kündigungsverhalten erkennen. Punkte wie Heirat, fehlende Eignung, Berufswechsel und Gesundheit spiegeln sich ganz unterschiedlich in den Auswertungsergebnissen wider. Die jüngste Schwesternschaft, die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, hebt sich trotz des kurzen Untersuchungszeitraumes von den übrigen ab. Durch ihren höheren Bildungsstand und ihre andere soziale Schichtung verkörpert sie noch am ehesten die Vorstellungen der Anstalten von einer jungen, ledigen, aus dem Bildungsbürgertum stammenden Frau.

4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen 4.1 „Rituale“ beim Eintritt Die Bewerber mussten verschiedenen Anforderungen entsprechen, um ein Teil der jeweiligen Schwestern-, Bruder- oder Wärtergemeinschaft zu werden. Nach einer Bewährungsphase erfolgte die Aufnahme, geprägt von unterschiedlichen Zeremonien. Mit der Aufnahme sollte eine Identifikation des Einzelnen sowohl mit der Gemeinschaft als auch mit der Anstalt bzw. dem Mutterhaus stattfinden. Die Anforderungen, nachzuweisende Fähigkeiten seitens der Pflegenden sowie das Aufnahmeprozedere glichen sich bei den untersuchten Gruppierungen in vielen Punkten; Unterschiede zeigten sich nur in wenigen Fällen. Anforderungen/Eintrittsbedingungen Wer in die Gemeinschaft aufgenommen werden wollte, musste bestimmte Anforderungen erfüllen. Dazu gehörten ein Mindesteintrittsalter, das bereits zur Sprache kam, Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen, zudem ein sittlicher und christlicher Lebenswandel sowie eine gesunde körperliche und geistige Konstitution. Hierfür mussten formale Nachweise in Form von Schulzeugnis, Taufbescheinigung, Leumundszeugnis und ein ärztliches Attest erbracht werden. Außerdem war ein handschriftlich verfasster Lebenslauf mitzuschicken. Neben den allgemeinen Anforderungen, die für alle Schwestern- und Bruderschaften gültig waren, gab es für jede Pflegegruppierung noch zusätzliche Bestimmungen. Die Diakonissen mussten beispielsweise noch eine Einverständniserklärung ihrer Eltern oder ihres Vormunds einreichen.1 Die Wärter wie auch die Diakone sollten über berufliche Vorerfahrungen, vorzugsweise im Handwerk oder in der Landwirtschaft, verfügen. Der Grund hierfür war, dass sowohl in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau als auch in der Fürsorgepflege, in der die Nazareth-Brüder hauptsächlich tätig waren, die Arbeits- und Beschäftigungstherapie maßgebend war. Zudem mussten sie Auskunft über ihre Militärverhältnisse geben. Als weitere Besonderheit der Nazareth-Brüder ist zu erwähnen, dass sie bei ihrem Eintritt eigene Berufskleidung mitbringen sollten.2 Die Anwärterinnen der Schwesternschaft in Düsseldorf wurden unabhängig von Gesundheitszeugnis und Impfpass noch einmal von einem Schwesternarzt untersucht.3

1 2 3

HAB, Sar, Aufnahmebedingungen für das Diakonissenamt in der Diakonissenanstalt Sarepta in Bielefeld im Jahresbericht 1909, S. 14 f. HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902. UADd, Bestand 30/14, Personalakte Antonie Meternich.

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4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen

Postulat, Noviziat, Profess Eine Frau, die sich entschloss, Nonne zu werden, erhielt eine sechsmonatige Probezeit, das Postulat. Während dieser Zeit sollte die angehende Nonne mit dem Leben und den Regeln der Ordensgemeinschaft vertraut gemacht werden.4 Dementsprechend hieß es in den Anweisungen der Barmherzigen Schwestern: Das Postulat ist eine Probezeit, die, soweit möglich, Gewißheit darüber verschaffen soll, ob die Postulantinnen wirklich zum Stand der Barmherzigen Schwestern berufen sind. Es kommt deshalb darauf an, daß sie ganz besonders in dem geprüft werden, was am schwersten zu sein pflegt: Verleugnung des eigenen Willens, die Unterwerfung der eigenen Meinung […].5

Nach erfolgreicher Beendigung des Postulats begann das Noviziat mit einer schlichten liturgischen Feier, wobei die Novizin das Ordenskleid erhielt, weshalb diese Handlung auch „Einkleidung“ genannt wurde. Als Zeichen, „sich von ihrer Familie abzusondern und nur Gott allein zu lieben“, erhielt sie hierbei auch einen Klosternamen.6 Das Noviziat war die eigentliche geistliche Ausbildungszeit, in der sowohl die angehende Nonne als auch der Orden prüften, ob sie für die Berufung zur Nonne geeignet war. Während dieser Zeit wurde sie von einer Novizenmeisterin begleitet. Die Dauer des Noviziats ist bei den verschiedenen Orden unterschiedlich. Anhand der Sterbechronik ist ersichtlich, dass die Barmherzigen Schwestern aus Münster durchschnittlich zwischen drei und vier Jahre nach Eintritt ihren heiligen Profess ablegten und den heiligen Ring erhielten. Nach Ablauf des Noviziats und der Zustimmung der Kongregation wurde die Kandidatin zum Profess7 zugelassen. Zuerst erfolgte ein zeitlicher, später der ewige Profess. Beide wurden im Rahmen einer liturgischen Feier, meist eines feierlichen Gottesdienstes, abgelegt. Mit dem öffentlich gesprochenen Gelübde trat man endgültig in den Orden ein. Dabei versprachen die Nonnen, das künftige Leben dem Dienst an Gott und den Menschen zu weihen. Als Zeichen der Zugehörigkeit erhielt die Nonne die Ordenstracht und einen Ring.8 Vorprobe, Probezeit, Rüstzeit und Einsegnung Für die Diakonissen aus Kaiserswerth gab es eine sogenannte Vorprobe, eine Art erste Orientierung, bevor die eigentliche Probezeit begann.9 Da in den Eintrittsbüchern der Sarepta-Schwestern unter der Rubrik „Eintritt“ zwei Daten vermerkt waren und auch in einem Schreiben über die sachgemäße Aus-

4 5 6 7 8 9

Vgl. Mertens (1998), S. 282. Zit. n. Padberg (1977), S. 97. Vgl. Mertens (1998), S. 282 f. Profess, lat. professio, „Bekenntnis“. Vgl. Homburg/Lucke-Huss (2007), S. 88 f. Vgl. Gause (2005), S. 147.

4.1 „Rituale“ beim Eintritt

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bildung der Schwestern die Vorprobe erwähnt wurde10, hatten auch diese einige Monate Zeit, um sich einzugewöhnen. Danach begann die offizielle Probezeit, welche zur Bewährung diente. Die Probeschwestern mussten sowohl ihre geistliche, innere Haltung als auch ihre Fähigkeiten in der Gemeinschaft und in den verschiedenen Arbeitsfeldern unter Beweis stellen.11 Die Diakonisse Marie erinnerte sich in ihrem Tagebuch: […] die Probeschwestern machten gewöhnlich anfangs die Stationen durch. Auf der Frauenstation wurde das Kohle-Wasser tragen manch einer sehr schwer. Das Feueranmachen mit ¼ Stck. Torf ging schlecht, und es ist oft vorgekommen, dass ein Ofen wieder ausgegangen war.12

Nach dem ersten Probejahr erhielten die Schwestern neben ihren praktischen Tätigkeiten auch theoretischen Unterricht. Das Mutterhaus bestimmte letztendlich den Zeitpunkt, wann jemand als Diakonisse in die Gemeinschaft aufgenommen werden konnte. In der Regel dauerte dies zwischen drei und sechs Jahre. Bevor die Schwestern im Rahmen eines Gottesdienstes in die Diakonissengemeinschaft aufgenommen wurden, gab es die sogenannte 14-tägige Rüstzeit. Pastor Theodor Fliedner führte sie 1855 ein. Während der Rüstzeit lebten die angehenden Diakonissen wieder im Mutterhaus. Befreit von der Arbeit, sollten sie durch tägliche Selbstprüfungsfragen13 sich und das Diakonissenamt hinterfragen und sich innerlich darauf vorbereiten14. Die Einsegnung war ein entscheidender Schritt im Leben der Diakonisse, da der Beruf der bzw. die Berufung zur Diakonisse auf Lebenszeit ausgerichtet war. Jedoch heißt es in den Aufnahmebedingungen von 1909: […] es wird der Diakonisse durchaus kein Gelübde, inbetreff ihrer Dauer ihres Dienstes auferlegt, sie ist jederzeit frei zu gehen, wenn sie will, es wird jedoch angenommen, dass jede Diakonisse ihr Amt als ihre Lebensaufgabe erkennt und liebt.15

Dementsprechend wurde auch nur einmal das Gelübde gesprochen, im Gegensatz zu den Schwestern aus Kaiserswerth, die es alle fünf Jahre erneuerten. Dennoch stand es den Sarepta-Schwestern frei, auszutreten, unter bestimmten Voraussetzungen auch mit Einverständnis des Mutterhauses.16 Da die Einsegnung während eines Gottesdienstes vollzogen wurde, vergleicht Silke Köser das Ritual mit einer Trauung, die eine lebenslange Bindung an Jesus Christus beinhaltete.17 10 11 12 13

14 15 16 17

HAB, Sar 670, Ausbildung der Schwestern 1925–1928. Birgit Funke hat Diakonissen bezüglich ihrer Probezeit interviewt, siehe Funke (2003). Tagebuchauszug von Schwester Marie. HAB, Sar Tagebücher Diakonisse Marie Phillips 1896–1949 (unverzeichnet), S. 17. Hierbei handelte es sich um einen Fragekatalog, in dem man die verschiedenen Bereiche eines Diakonissenlebens hinterfragte, z. B. die Stellung zu Gott, zum Beruf, zu den Mitschwestern, zum Mutterhaus und zu Pflegebefohlenen. Sie sollten helfen, ganz bewusst eine Entscheidung zu treffen. Vgl. Köser (2006), S. 413. HAB, Sar, Aufnahmebedingungen für das Diakonissenamt in der Diakonissenanstalt Sarepta in Bielefeld im Jahresbericht 1909, S. 15. Vgl. Borchers (1997), S. 166. Vgl. Köser (2006), S. 417.

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4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen

Durch den starken Zuwachs an Diakonissen litt zwangsweise die familiäre Bindung an das Mutterhaus. Damit die Probeschwestern trotzdem gut in die Gemeinschaft integriert wurden, sollte ihnen ab 1910 für die Dauer ihrer mindestens fünfjährigen Ausbildung eine erfahrene Schwester als Bezugsperson zur Seite stehen.18 Mit der endgültigen Aufnahme erhielten die Schwestern den Diakonissenschein, die Hausordnung, das Diakonissenliederbuch und die Tracht, die der verheirateten Bürgerin nachgeahmt war, um ihr auch nach außen eine achtbare Stellung in der Gesellschaft zu verleihen.19 Nazareth-Diakone Ähnlich wie die Diakonissen hatten auch die Diakone vor ihrer Einsegnung ins Amt eine Probezeit zu absolvieren. Die Brüderordnung schreibt Folgendes darüber: […] sind die jungen Brüder zu einer ersten Probezeit im Mutterhaus. Während dieser Zeit kommen sie noch nicht in die eigentliche Pflegearbeit unter Epileptikern und Geisteskranken u. s. w., sondern sie haben Gelegenheit, sich zunächst in Nazareth und Bethel einzugewöhnen und die ersten notwendigen Kenntnisse zu erwerben. Die jungen Brüder haben praktische Arbeit in unserem Haus zu verrichten. Ausserdem haben sie den ersten Unterricht, in dem wir festzustellen suchen, was der einzelne an Bildung und Wissen in den verschiedenen Hauptfächern mitbringt […].20

Die Probezeit ist also auch eine Zeit der Prüfung für den angehenden Diakon wie auch für die Anstalt, ob der Kandidat „diakonischen Sinn“ besitzt und sich in das Leben der Gemeinschaft einfügen kann. Die Satzung der Brüderschaft sah vor, dass nach einer vierwöchigen Probezeit der Aspirant zum „Probebruder“ wurde.21 Wer diese erste Prüfung bestanden hatte, wurde nach einem Vierteljahr in einem der Pflegehäuser eingesetzt. Sollte sich ein Diakon als ungeeignet erweisen – der Vorsteher definierte dies in einem Brief folgendermaßen: „nicht die erforderlichen Gaben (inneres Leben, Wissen und Bildung) besitz[en]“22 –, musste er die Anstalt wieder verlassen. Die Probezeit des Probebruders dauerte ein ganzes Jahr; die ersten sechs Monate arbeitete jeder Anwärter ohne Lohn, danach erhielt er zum ersten Mal ein Taschengeld für seine Arbeit.23 Über die Aufnahme des Probebruders in die „Hülfsbrüderschaft“ entschied der Brüderrat. Wenn sich der angehende Diakon bewährt hatte, wurde er nach etwa drei bis vier Jahren in die „Hülfsbrüderschaft“ eingesegnet.24 Nach den jeweiligen Arbeitseinsätzen schrieben die vorstehen18 19 20 21 22 23 24

Dies geschah nach dem Vorbild der Diakonissenanstalt in Neuendettelsau. Vgl. Benad (2003), S. 116. Vgl. Gause (2005), S. 152 f. HAB, NA-PA-002-1918. HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902. HAB, NA-PA-067-1765. Vgl. Frick (2002), S. 60. HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902.

4.1 „Rituale“ beim Eintritt

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den Hausväter Beurteilungen, anhand derer man entschied, ob der betreffende Bruder zur Einsegnung in das Diakonenamt geeignet war. Hier ein Beispiel: Bruder A. hat ihr den Eindruck eines zerfahrenen, unreifen Charakters hinterlassen, seine innere Einstellung steckt noch sehr in den Kinderschuhen. [Bruder] A. hat auch bis heute weder auf der einen noch auf der anderen Station gezeigt, daß es ihm mit der Brüderlaufbahn ernst sei. Ich bin nicht für seine Aufnahme.25

Mit der Begründung, noch nicht „reif“ genug zu sein, wurde häufig die Aufnahme in die Gemeinschaft verschoben oder abgelehnt. Wenn der Vorstand die Einsegnung dreimal verweigert hatte, musste der Betreffende die Anstalt verlassen.26 Auch bei den Nazareth-Brüdern ging der Einsegnung eine 14-tägige Rüstzeit voraus, bis schließlich im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes am Jahresfest der vorstehende Pastor den einzusegnenden Brüdern das Gelübde abnahm.27 Wärterinnen und Wärter der Illenau und die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf Entgegen den soeben beschriebenen Pflegegruppierungen hatten die nichtkonfessionellen keine charakteristische Aufnahmezeremonie. Das Wartpersonal und die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf durchliefen zwar auch eine Probezeit und wurden nur bei entsprechender Eignung in die Wärter- bzw. Schwesternschaft aufgenommen, jedoch nicht im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes und mit dem Ablegen eines Gelübdes. Bei den Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf besuchte jede Schülerin zunächst für sechs Monate die Schwesternvorschule. In dieser Zeit unterwies man sie in häuslichen Arbeiten. Wenn ihre Arbeitsweise und Persönlichkeit als geeignet beurteilt wurden, nahm man sie als Schwesternschülerin auf. Die Ausbildungszeit betrug zweieinhalb Jahre, für die trotz Vorschule eine dreimonatige Probezeit galt. Da es sich hierbei um eine junge Schwesternschaft handelte – sie wurde 1912 gegründet, das Krankenpflegeexamen 1907 eingeführt –, endete die Ausbildung mit einem staatlichen Examen.28 Für das Wartpersonal beider Geschlechter existierte die Möglichkeit, nach bestandener Probezeit und bei geeigneter Qualifikation verbeamtet29 und somit auch besser vergütet zu werden. Ähnlich wie bei den Diakonen gab es nach bestimmten Zeiträumen Beurteilungen. Diese hielten fest, inwieweit die

25 26 27 28

HAB, NA-PA-077-1785. HAB, NA-PA-077-1875. HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902. UADd, Bestand 30/14, Personalakte Antonie Meternich. Auf die Ausbildung der jeweiligen Schwestern-, Brüder- und Wärterschaft wird in Kapitel 6.1 noch detaillierter eingegangen. 29 Der Beamtenstatus im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hat nichts mit dem heutigen Beamtentum zu tun. Allerdings genossen die verbeamteten Wärter gewisse Privilegien, weswegen es erstrebenswert war, eine solche Stellung zu erhalten. Siehe Wunder (1998).

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4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen

Wärterin oder der Wärter den Arbeitsanforderungen gewachsen war und ob ihnen die Beamtenschaft verliehen werden konnte. Am Beispiel von Wärterin A. ist zu sehen, dass man die Verbeamtung durchaus auch aufschieben konnte. Die Wärterin A. war fleissig und willig, scheint aber bis jetzt ihren Aufgaben noch nicht völlig gewachsen. Es ist nicht auszuschliessen, dass sie sich bessert, doch ist es ratsam, die Verleihung der Beamteneigenschaft noch auf ein Jahr hinauszuschieben.30

4.2 Leben in der Gemeinschaft 4.2.1 Im Mutterhaus Das Leben der Nonnen, Diakonissen31 und Rot-Kreuz-Schwestern wurde nach dem sogenannten Mutterhausprinzip organisiert, welches den traditionellen Ordensgemeinschaften und dem großfamiliären Verband von großbäuerlichen Wirtschaften und Handwerksfamilien im 17. und 18. Jahrhundert nachgebildet war32. Ein Geistlicher war der Leiter der Anstalt und fungierte als Lehrer und Vater. Ihm zur Seite stand die sogenannte Mutter, bei Theodor Fliedner war es die eigene Ehefrau, ansonsten hatte diese Position eine hierfür ernannte Vorsteherin bzw. Oberin inne. Ihr Aufgabenbereich war vielfältig; sie führte das Hauswesen, erzog und leitete die Pflegerinnen an. Das System war im Aufbau einer Familie nachempfunden, dementsprechend waren die Schwestern weniger Arbeitskräfte als vielmehr die Töchter der Anstalt. Sie lebten und arbeiteten dort, man kümmerte sich um sie im Krankheitsfall und sorgte sich um sie, wenn sie keiner Arbeit mehr nachkommen konnten, sei es aus altersbedingten oder gesundheitlichen Gründen. Für die Diakonissen gab es kein bestimmtes Pensionsalter und sie erhielten keine Pension im herkömmlichen Sinne; sie gingen in den sogenannten Feierabend, wenn sie nicht mehr arbeiten konnten. Claudia Bischoff diskutierte das Thema Fürsorge in Bezug auf das Mutterhaussystem eher kontrovers. Ihrer Auffassung nach entstand durch die NichtBezahlung der Schwestern erst eine Schutzlosigkeit, die eine Versorgung durch das Mutterhaus notwendig machte.33 Silke Köser beschreibt das Kaiserswerther Mutterhaussystem als ein Familienmodell, dessen patriarchalische Herrschaftsform im Vordergrund stand.34 Die Schwestern waren von dem aufgebauten Familienverband vollständig abhängig. Charakteristisch waren in diesem Zusammenhang auch die Gestellungsver30 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 455. 31 Der Einfachheit halber wird im folgenden Unterkapitel immer von Diakonissen gesprochen, jedoch sind auch die Diakone nach dem Mutterhausprinzip organisiert und müssten jedes Mal ebenso genannt werden. 32 Vgl. Prelinger (1985), S. 273. 33 Vgl. Bischoff (1984), S. 126 f. 34 Vgl. Köser (2006), S. 184.

4.2 Leben in der Gemeinschaft

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träge. Diese regelten das Arbeitsverhältnis zwischen Mutterhaus und Krankenhaus. Die Schwestern erhielten kein Gehalt, sondern nur ein Taschengeld vom Mutterhaus, da es sich bei ihrer Arbeit um eine sogenannte „Liebestätigkeit“ handelte und der karitative Charakter der Schwesternarbeit gewahrt werden sollte. Deshalb entrichtete die Klinik den Arbeitslohn an das Mutterhaus.35 Zudem bestimmte das Mutterhaus das Tätigkeitsfeld der einzelnen Schwestern, die weder Einfluss auf die Dauer ihres Einsatzes hatten noch ein Mitspracherecht über die Häufigkeit des Wechsels ihrer Aufgabengebiete. Man erwartete in dieser Beziehung absolute Flexibilität und Gehorsam von den Schwestern. Wenn irgendwo Personal oder Hilfe benötigt wurde, musste dies teilweise sehr schnell geschehen. Vor Ort hatte man nicht immer genügend Zeit, die betroffene Schwester auch richtig einzuarbeiten; manche Briefe der SareptaSchwestern spiegeln die damit verbundene Unsicherheit und auch Unzufriedenheit wider. So berichtete 1897 eine Schwester an die Vorsteherin: […] Schwester E. wacht seit Dienstag. Wir haben die Nachtwache nicht gerne an sie abgegeben, da sie noch nie mit Röhrchenkinder [sic!] [Kanülenträger nach Luftröhrenschnitt – A. F.] umgegangen war und auch noch mit keiner Inhaliermaschine. Da sie nun so allein hingestellt werden mußte in der Nacht, kannst Du Dir wohl denken, daß uns das viel Sorge gemacht hat und noch macht.36

In einem weiteren Beispiel wurde 1904 eine Schwester plötzlich als Narkoseschwester in ein Krankenhaus versetzt, ohne jedoch ausreichende Kenntnisse auf diesem Fachgebiet zu haben: […] mich überkommt eine Bängnis vor dem Chloroformieren, daß ich mich veranlaßt fühle, dem Mutterhaus zu ernstlicher Erwägung die Sache vorzulegen, ob man mir nicht lieber ein anderes Arbeitsplätzchen geben wollte.37

Schwester L. schrieb 1915 direkt an Pastor Bodelschwingh, um ihm darin ihre Unzufriedenheit über ihren Arbeitsplatz mitzuteilen: Nun muß ich aber offen gestehen, daß mir diese Arbeit nicht genügt. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich weiß sehr wohl, daß es in Gottes Augen völlig gleich ist, ob ich einen Saal voll kranker Soldaten oder ein einzelnes scharlachkrankes Mädchen pflege […] aber sie verstehen auch, wenn ich mich nun nach etwas anderem sehne.38

Die Anstalt hatte nicht nur Einfluss auf die Arbeit, vielmehr bedeutete ein Leben im Mutterhaus, seine Eigen- und Selbständigkeit aufzugeben und sich an strikte Regeln halten zu müssen. Als Gegenleistung dafür waren die Schwestern materiell abgesichert und geistlich versorgt. Die Frauen erhielten dort Erziehung, Bildung und hatten die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen.39 Das Mutterhaus hatte eine ganz unterschiedliche Anziehungskraft auf Frauen aus den verschiedenen sozialen Schichten. Bei den bürgerlichen Frauen war es der religiöse Charakter, bei den unteren Schichten kam die 35 36 37 38 39

Vgl. Riesenberger (2002), S. 90. Brief von 1897. HAB, Sar Briefe verschiedener Schwestern 1870–1945 (unverzeichnet). Brief von 1904. HAB, Sar Briefe verschiedener Schwestern 1870–1945 (unverzeichnet). Brief von 1915. HAB, Sar Briefe verschiedener Schwestern 1870–1945 (unverzeichnet). Vgl. Helmerichs (1992), S. 20 f.

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4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen

Aufnahme im Mutterhaus einem sozialen Aufstieg gleich. Aus welchen Motiven auch immer sich eine junge Frau für den Eintritt in ein Mutterhaus entschloss, insgesamt erfreute sich dieses System im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit, schließlich bot es auch die Chance auf eine gesellschaftlich akzeptierte Form der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit für Frauen.40 Trotz der schweren und langen Arbeit und der strengen Regeln versuchte man, den Schwestern auch „kleine Freuden“ zu ermöglichen. In einem Sitzungsprotokoll des Badischen Frauenvereins wurden 1912 unter anderem auch Theaterbesuche der Rot-Kreuz-Schwestern erwähnt. Es sei […] nunmehr der Theaterbesuch in beschränktem Masse gestattet worden, um diesen Gelegenheit zu geben sich durch das Hören guter Musik oder gediegener Aufführungen zu erfrischen nach ernster Berufsarbeit. Die Wahl des Theaterstückes ist den Oberinnen anheimgegeben.41

Sowohl Diakonissen als auch Rot-Kreuz-Schwestern berichteten von gemeinsamen Abenden, an denen sie lasen und gemütlich beisammensaßen oder Handarbeiten verrichteten. Kost- und Logiszwang Die Wärterinnen und Wärter lebten zwar in keinem Mutterhaus, dennoch war ihr Leben ähnlich organisiert. Der erste Direktor der Illenau, Christian Roller, hatte die patriarchale Stellung inne. Strenge Statuten regelten den Arbeitsund Lebensalltag des Wartpersonals. Diesbezüglich schrieb der dritte Direktor, Heinrich Schüle, in seinem Jahresbericht 1901/02, dass die klösterliche Wärterordnung nur sehr schwer einzuhalten sei.42 Zu den üblichen Arbeitsbedingungen in Irrenanstalten gehörte der Kostund Logiszwang. Alle Wärterinnen und ledigen Wärter mussten in der Anstalt wohnen und wurden dort verpflegt. Es gab keinerlei Möglichkeiten, sich selbst zu versorgen oder außerhalb der Essenszeiten seinen Hunger zu stillen, dementsprechend lautete Paragraph 22 der Illenauer Statuten von 1847: Die Wärter haben sich mit der Anstalt bewilligten Kost zu begnügen, und sich selbst weder etwas anzuschaffen, noch zuzubereiten, noch von einer Zeit zu anderen aufzubewahren, noch weniger von der Kost der Pfleglinge sich etwas anzueignen.43

Für Miete und Verpflegung der Wärter veranschlagte die Anstalt 210 Mark. In der Annahme, dass Frauen einen geringeren Energieumsatz haben und dementsprechend weniger essen würden, waren die Kosten für die Wärterinnen mit 180 Mark44 niedriger berechnet. Die Beträge wurden direkt vom Lohn 40 Vgl. Helmerichs (1992), S. 21, 24. 41 Sitzung der Abteilung III vom 25.10.1912. GLA, Bestand 69 Baden, Geheimes Kabinett der Großherzogin Luise, Nr. 891. 42 Vgl. StAFr, Jahresbericht der Heil- und Pflegeanstalt Illenau für den Jahrgang 1901/02, S. 47. 43 Vgl. Roller (1847), S. 116. 44 Die Angaben befinden sich in den Personalakten und beziehen sich auf den Zeitraum von 1890 bis 1916.

4.2 Leben in der Gemeinschaft

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abgezogen. Der Satz veränderte sich trotz steigenden Einkommens während des gesamten Untersuchungszeitraums nicht. Durch diese günstigen Lebenshaltungskosten war das Wartpersonal an die Anstalt gebunden, gleichzeitig klagte die Mehrzahl über schlechte Verpflegung. Dies bestätigte Georg Streiter 1910 in seiner Untersuchung über die wirtschaftliche und soziale Lage des Krankenpflegepersonals und kam zu dem Urteil, dass das Essen in den Irrenanstalten schlechter als in den Krankenhäusern sei.45 Eine andere Lage ist beim Wartpersonal der Illenau zu beobachten. In den Personalakten der Illenau tauchten Beschwerden über die Verpflegung nur im Rahmen der Lebensmittelknappheit während des Ersten Weltkriegs auf. Sicherlich verschaffte die autonome Versorgungslage der Heil- und Pflegeanstalt eine günstige Ausgangsposition in Bezug auf die allgemeine Verköstigung des Personals. In Hinsicht auf die Wohnsituation war es keine Seltenheit, dass das Personal mit den Pfleglingen im selben Raum schlief. Je nachdem, wie laut diese waren, kann man nicht von Erholung sprechen. Für die verheirateten Wärter galt eine Ausnahmeregelung: Die Anstalt stellte alle Möbel, das Wartpersonal war sogar angehalten, nichts dergleichen zu erwerben. Sie durften mit ihrer Familie in einer anstaltseigenen Wohnung leben und dort auch essen. Doch auch hier gab es immer wieder Wohnprobleme; häufig waren die Räumlichkeiten zu klein oder in einem sehr schlechten Zustand. Aus diesem Grund klagte Wärter V.: „[…] wir haben zwei Schränke, eine Kommode, zwei abgeschlagene Bettstellen, ein Bett, das ich des abends aufstelle, ich muß nur die [anderen] Sachen ins Freie stellen.“46 Ebenso wie das Wartpersonal unterlagen auch die Rot-Kreuz-Schwestern dem Kost- und Logiszwang. In der Besoldungsverordnung von 1906 für die Pflegeschwesternschaft an den Städtischen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf wurde unter Paragraph 3 aufgeführt: „Die Schwestern erhalten Wohnung, Heizung, Beleuchtung, Beköstigung, Wäschereinigung und Kleidung für den Dienst.“47 Anfangs erhielten sie ein geringes Taschengeld, später wie auch das Wartpersonal ein niedriges Gehalt, welches häufig durch die Verpflegungskosten gerechtfertigt wurde. „Familienstruktur“ Auch wenn die hier untersuchten Pflegegruppierungen nach dem Mutterhausprinzip organisiert waren, gibt es kleine, aber entscheidende Unterschiede zwischen den einzelnen Organisationen. Die Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau nehmen hierbei zwar eine Sonderstellung ein, 45 Vgl. Streiter (1910), S. 140. 46 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2519. 47 UADd, Bestand 30/14, Besoldungsverordnung für die Pflegeschwestern an den allgemeinen Städtischen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf vom 30.11.1906.

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4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen

dennoch sprach man damals von dem „Illenauer Geist“, welcher in der Anstalt herrschte und von dem noch später die Rede sein wird. Die Pflegegruppierungen verkörperten in unterschiedlichem Ausmaß ein Familienmodell. Der Vorsteher oder Direktor bzw. die Mutter Oberin waren das Familienoberhaupt. Verdeutlicht wurde dies beispielsweise durch die Anrede in Briefen. So nannte eine Clemensschwester die Mutter Oberin „die liebe Mutter“.48 In einem Brief an den Nazareth-Vorsteher Paul Tegtmeyer hieß es: „daß Sie, Herr und Frau Pastor mir und meinem Mann auch Vater und Mutter sind. Ihre große Liebe und Güte, ihr Verstehen für unseren schweren Dienst.“49 Für die in einem Mutterhaus eingetretenen Schwestern und Brüder gab es „Kindesrechte“ und „Kindespflichten“, wie es der Theologe Kai-Uwe Spanhofer nennt.50 Sie erhielten Arbeit, eine Ausbildung und ein Taschengeld, wurden bei Krankheit und im Alter versorgt und gepflegt. Im Gegenzug erwartete man von ihnen absoluten Gehorsam. Mit dem Eintritt verschob sich der Lebensmittelpunkt der Einzelnen in die Anstalt, den Orden bzw. die Einrichtung. Man bildete mit den Mitschwestern respektive Mitbrüdern eine neue Familie und wurde ein Teil davon. Das jeweilige Familienmodell der Pflegegruppierungen wurde nach verschiedenen Grundsätzen errichtet, welche einen wesentlichen Teil ihrer Charakteristika bzw. ihres Erfolges ausmachten. Clemensschwestern Für die Clemensschwestern aus Münster war eindeutig der Glaube das vereinigende Element. Das zölibatäre Leben, Demut und Opferbereitschaft gehörten zum Leben einer Nonne genauso wie die täglichen Andachten und regelmäßigen Exerzitien. Prinzipiell stand die Ausübung der Religion im Vordergrund. Begründet wurde dieses reglementierte Leben durch eine lange bestehende Tradition. Die Schwestern gaben ihr weltliches für ein religiöses, „Christus geweihtes“ Leben auf. Symbolisch erhielten sie beim Eintritt hierfür einen neuen Namen. Sie verpflichteten sich auf Lebzeiten, ihrem Orden zu dienen, dieser wiederum versorgte sie in Notzeiten und im Alter. Betrachtet man die Eintrittszahlen der Clemensschwestern, so funktionierte dieses Modell noch bis ins 20. Jahrhundert hinein. Die neue „religiöse Familie“ gab den Schwestern so viel Halt und Lebensinhalt, dass sie neben der ohnehin schwierigen Arbeit auch die Krisenzeiten überstanden. Berücksichtigt man den Verlauf der Eintritte51, so ist zu erkennen, dass in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, zur Zeit der Inflation und während der Weltwirtschaftskrise, die Eintritte deutlich zunahmen. Ähnliches 48 Brief einer Clemensschwester. MAM, Chronik: Bd. 4 16/165 (1898–1908). 49 Brief einer Brüderfrau an Paul Tegtmeyer vom 9.5.1945. HAB, NA-PA-108-2588 bzw. Benad: Friedrich von Bodelschwingh d. J. (1997), S. 221. 50 Vgl. Spanhofer (1997), S. 214. 51 Siehe Kapitel 3.3.1, Grafik 2.

4.2 Leben in der Gemeinschaft

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zeichnete sich auch bei den Diakonissen ab, wenngleich nicht so ausgeprägt; allerdings waren bei ihnen zu diesen Zeiten die Austrittszahlen erhöht.52 Sarepta-Diakonissen Pastor Friedrich v. Bodelschwingh sah im Gegensatz zu Theodor Fliedner das Diakonissen- bzw. Diakonenamt als einen „Lebensberuf“ an.53 Mit dem Eintritt ins Mutterhaus wurde dieses zum Ersatz für die eigene Herkunftsfamilie bzw. eine leibliche zu gründende Familie. Den Platz von Schwestern innerhalb dieses neuen familiären Netzes beschrieb Rajah Scheepers folgendermaßen: Sie waren „,Mütter‘ nach außen und ,Töchter‘ nach innen“.54 Neben dem vorstehenden Pastor war ihre Bezugsperson die Oberin. Diese nahm die Mutterrolle ein und stand im regelmäßigen schriftlichen Kontakt mit den Schwestern. Neben dem Glauben war die Arbeit ein tragendes und vereinigendes Element der Gemeinschaft. Diese wurde mit großer Opferbereitschaft verrichtet, und die Art und Weise, wie sie es taten, erinnert an die damaligen Ideale, die man mit der Mutterrolle verband.55 Nazareth-Diakone Für die Nazareth-Diakone gab es ein ganz anderes Familienmodell. Im Gegensatz zu den Diakonissen hatten sie die Möglichkeit, eine eigene Familie zu gründen. Sie erhielten dadurch einen eigenen Lebensmittelpunkt innerhalb der Nazareth-Gemeinschaft. In den Jahren 1906 und 1907 bildete sich der Begriff „Nazarethfamilie“ heraus. Damit war neben den Brüdern als Mitglied der Diakonenschaft auch die stetig wachsende Zahl von Brüderfrauen und Brüderkindern gemeint. Im Jahr 1907 zählte man beispielsweise 105 verheiratete Brüder und 171 Kinder.56 Mit solch einer starken Präsenz innerhalb der Gemeinschaft prägten auch sie zwangsläufig das Selbstverständnis der Brüderschaft. Gleichzeitig löste das neuentstandene „Hauselternmodell“ das alte Hausvaterprinzip ab.57 Nicht mehr ein einzelner Bruder stand als sogenannter Hausvater den unterschiedlichen Pflegehäusern vor, sondern ein verheirateter Diakon übernahm mit seiner Ehefrau die Verantwortung für die dort beschäftigten Brüder und Pfleglinge. Das Familienmodell der Nazareth-Diakone hat sich also in eine ganz andere Richtung entwickelt. Innerhalb der Brüdergemeinschaft konnten die Diakone ihre eigene Familie gründen und prägten damit auch das Lebensund Arbeitsumfeld der Brüderschaft. Das Leben eines Diakons konnte somit noch eine andere Dimension beinhalten, nämlich die eines Privatlebens. 52 Laut mündlicher Auskunft trat während des gesamten Untersuchungszeitraums ein verschwindend geringer Prozentsatz an Nonnen wieder aus. In den Chroniken wurden Austritte nicht schriftlich dokumentiert. 53 Vgl. Spanhofer (1997), S. 214. 54 Vgl. Scheepers (2008), S. 248. 55 Siehe dazu Kapitel 3.2.1. 56 Vgl. Spanhofer (1997), S. 215. 57 Vgl. Spanhofer (1997), S. 216.

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Diese Entwicklung hatte auch Vorteile für die Nazareth-Gemeinschaft. Laut Kai-Uwe Spanhofer konnte unter anderem ein Rückgang der Austritte verzeichnet werden. Gleichzeitig folgten viele Brüderkinder dem väterlichen Vorbild und entschlossen sich ebenfalls, ein Leben als Diakon zu führen. Als Kind aus der Diakonengemeinschaft waren sie mit den damals vorherrschenden Bestimmungen und Normen vertraut, dementsprechend leichter fiel es ihnen, sich in das Bruderleben einzufügen. Allerdings traten in den Jahren von 1873 bis 1969 nur ungefähr 72 Söhne der Nazareth-Diakonenschaft bei.58 Für die große Zeitspanne ist das eine relativ geringe Anzahl. Trotz der zahlreichen Entbehrungen, niedriger Löhne und strenger Regeln scheint das Leben als Nazareth-Diakon attraktiv gewesen zu sein. Obwohl 63 % der Brüder in den ersten Anstaltsjahren wieder austraten, wuchs die Brüderschaft im 20. Jahrhundert zu einer der größten religiösen männlichen Genossenschaften heran. Dieser Erfolg hängt mit dem besonderen Familienmodell und den spezifischen Bindungen zusammen – eine Entwicklung, die von Reinhard Neumann als „Sonderweg“ innerhalb der männlichen Diakonie bezeichnet wurde.59 Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau Vom Wartpersonal liegen leider keine Egoquellen vor, somit kommen die Pflegenden nicht selbst zu Wort. Dennoch kann anhand der existierenden Quellen einiges über das „Familiensystem“ der Illenau gesagt werden. Auch wenn das Wartpersonal nicht nach dem Mutterhausprinzip organisiert war, gab es dennoch eine hierarchisch-patriarchale Ordnung, an deren Spitze der ärztliche Leiter Christian Roller als Vater der Anstalt stand. Marga Maria Burkhardt berichtete in ihrer Dissertation, dass er zwar ein strenges Regiment führte, sich aber auch für verdiente Mitarbeiter im Ministerium einsetzte.60 Dieses Bild wird durch die zum Teil milde Bestrafung von Vergehen bei langjährigen Mitarbeitern bestätigt.61 Mit einer familiären Atmosphäre innerhalb der Illenau verfolgte Roller auch einen therapeutischen Ansatz. Es gab Feste, Veranstaltungen und gemeinschaftliche Aktivitäten, zu denen sowohl das Wartpersonal wie auch die Pfleglinge geladen waren. Eine besondere Rolle spielten hierbei Musik und Gesang. Für das Jahr 1867 waren allein 174 musikalische Aufführungen verzeichnet. Für diese Anlässe probte ein eigens dafür angestellter Musiklehrer mit dem Chor und dem Orchester, in denen jeweils Angestellte und Pfleglinge vertreten waren.62 58 59 60 61

Vgl. Spanhofer (1997), S. 221. Vgl. Neumann (2010), S. 11. Vgl. Burkhardt (2003), S. 93. In Kapitel 7.3.3 wird auf den Wärter Emmanuel Kölli verwiesen, der trotz Diebstahls die Anstalt nicht verlassen musste. Mit dem Verweis auf seine vielen Dienstjahre und einen guten Leumund begründete man diese Ausnahme. Siehe Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Emmanuel Kölli. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1358. 62 Vgl. Beck (1983), S. 123 f.

4.2 Leben in der Gemeinschaft

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Die Beschäftigung der Pfleglinge diente nicht ausschließlich Therapiezwecken63, sie sollte auch das Gefühl von Zugehörigkeit wecken, da im Gegensatz zu den konfessionellen Pflegegruppierungen der Glaube als Bindeglied einer Gemeinschaft in der Illenau wegfiel. Man hoffte, durch die sozialen Anreize und die finanzielle Entlohnung Wärterinnen und Wärter für das Anstaltsleben zu gewinnen. Denn der abgelegene Standort der Illenau und die strengen Anstaltsregeln für das Wartpersonal schränkten dessen persönliche und räumliche Freiheiten beträchtlich ein. Vom Wartpersonal wurde nicht erwartet, dass die Arbeit aus christlicher Nächstenliebe verrichtet wurde. Das Gehalt diente dazu, das alltägliche Leben zu bestreiten und anfallende Kosten im Alter und bei Krankheit tragen zu können. Man sprach von einer „Illenauer Familie“, die neben den Pfleglingen und den Angestellten auch deren Familien umfasste. Wie die Diakone hatten auch die Wärter die Möglichkeit, zu heiraten. Auch in der Illenau wurden die Familien in das Anstaltsleben integriert. So beschreibt Roller: Die Frauen, Schwestern und Töchter der Beamten finden sich häufig in den verschiedenen Abteilungen der weiblichen Kranken ein, wo sie sich mit ihnen unterhalten, arbeiten, musicieren. Oder die Kranken machen Besuche in den Häusern der Angestellten, werden dorthin eingeladen oder laden sich selbst ein.64

Anhand von Rollers Beschreibung erhält man den Eindruck einer idyllischen Großfamilie. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass es sich um psychisch Erkrankte bzw. psychiatrische Patienten handelte. Bereits die tägliche Arbeit mit ihnen war anstrengend und stellte eine große nervliche Belastung dar. Durch das Familienkonzept, welches auch aus therapeutischen Gründen in der Illenau herrschte, verschmolz das Arbeits- mit dem Privatleben – ein Umstand, der sicherlich nicht jeder Wärterin oder jedem Wärter behagte. Inwieweit dies bei einer Kündigung eine Rolle gespielt haben mag, ist anhand der Personalakten nicht zu erkennen. Man kann nur mutmaßen, dass unter den 80 % der Wärterinnen und 60 % der Wärter, welche die Anstalt wieder verließen, einige die unpersönliche Fabrikarbeit dem familiären Ambiente der Illenau vorzogen. Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf Die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf sind innerhalb der untersuchten Pflegegruppierungen die jüngste Schwesternschaft. Aufgrund der Quellenlage ist es schwer, über das „Familienkonzept“ der Düsseldorfer Schwesternschaft zu berichten. Sie waren zwar wie die Nonnen und Diakonissen nach dem Mutterhausprinzip organisiert, jedoch spielte die religiöse Einstellung der Einzelnen nur eine untergeordnete Rolle. Die Organisation des Roten Kreuzes hatte stattdessen einen weltlichen Charakter. Dadurch entstand das Gemein63 Dies geschah überwiegend in psychiatrischen Einrichtungen in Form der aufkommenden Beschäftigungs- und Arbeitstherapie, siehe hierzu Kapitel 6.2.4. 64 Roller (1874), S. 96.

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4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen

schaftsgefühl nicht über den gemeinsam gelebten Glauben, sondern durch Regeln. Da so aber jegliche innere Bindung zur Schwesternschaft fehlte, schuf diese Organisationsform für ein Familienkonzept eine schlechte Ausgangsposition. Als Anreiz, Rot-Kreuz-Schwester zu werden, diente stattdessen eine gute berufliche Ausbildung und angemessene finanzielle Entlohnung. Die Ausbildung der untersuchten Düsseldorfer Schwestern nahm im 20. Jahrhundert eine gewisse Vorreiterposition ein.65 Die Pflegeorganisation war durch die tolerante Aufnahme von Schwestern aller Konfessionen charakterisiert. So waren 60 % von ihnen evangelisch, 36 % katholisch, unter den verbleibenden 4 % befanden sich Baptistinnen, Jüdinnen und Mitglieder der Apostolischen Glaubensgemeinschaft.66 4.2.2 Schwestern- und Brüdervertretung Trotz des patriarchalischen Aufbaus der Mutterhäuser räumte der Vorstand den einzelnen Schwestern- und Bruderschaften ein Mitbestimmungsrecht ein. Ein Grund hierfür war der starke Zuwachs an Mitgliedern Anfang des 20. Jahrhunderts67, wodurch die familiäre Bindung an das Mutterhaus bzw. an den Vorsteher geschwächt wurde. Durch die Schaffung von Vertretungen wollte man eine Identifikation der Schwestern und Brüder sowohl mit der Gemeinschaft als auch mit der Arbeit erreichen.68 Je nach Schwestern- oder Bruderschaft wurden die Vertretungsorgane unterschiedlich benannt, sie ähnelten sich jedoch in ihrem Aufgabenbereich. Wichtig dabei war, dass sie nicht zu viel Macht erhielten und die eigentlichen Leitungs- und Entscheidungskompetenzen beim Vorsteher bzw. der Direktion verblieben. Schwesternrat Die Zeitschrift Der Armen- und Krankenfreund veröffentlichte 1912 einen Artikel über den Schwesternrat in Mutterhausdiakonien. Darin wurde auf die Funktion und Bildung einer solchen Institution näher eingegangen. Der Schwesternrat bestand aus 14 Personen, acht von ihnen wurden von allen eingesegneten Schwestern, geheim und mit absoluter Mehrheit gewählt. Darunter mussten sich jeweils drei Gemeinde- und Anstaltsschwestern sowie eine Schulschwester befinden. Von diesen Mitgliedern schieden jedes Jahr zwei aus, während die zwei Schwestern, welche von der Direktion bestimmt wurden, 65 Siehe Kapitel 6. 66 Angaben zur Konfession stammen aus eigenen Berechnungen. 67 Der starke Zuwachs soll anhand der Eintrittszahlen der Sarepta-Schwestern und der Nazareth-Diakone verdeutlicht werden. Von 1880 bis 1900 traten 970 Schwestern ein, in den darauffolgenden zehn Jahren waren es bereits 726 Diakonissen. Für die NazarethDiakone ist ein größerer Zuwachs zu verzeichnen: Während von 1880 bis 1900 139 Brüder eintraten, waren es in den Jahren 1900 bis 1910 bereits 186 Brüder. 68 Vgl. Benad (2003), S. 138 f.

4.2 Leben in der Gemeinschaft

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für eine Dauer von zwei Jahren das Amt begleiteten. Weitere Ratsmitglieder waren die Probemeisterin, die Verwalterin des Schwesternarchivs und die Lehrerin des Kleinkinderschulseminars und der Krankenpflegeschule. Zu den offiziellen Aufgaben gehörten die Auswahl, welche Probeschwestern eingesegnet werden sollten, und das Entscheiden über Pensionsanträge, Entlassungen oder Wiederaufnahmen von Schwestern. Der Vorstand konnte außerdem jederzeit die Meinung des Rates zu anderen Themen, wie zum Beispiel der Wahl der Vorsteherin oder Veränderungen der Hausordnung, einholen. Der Vorsteher oder – bei dessen Verhinderung – die Vorsteherin konnten den Schwesternrat einberufen. Obwohl man ihm ein relatives Mitspracherecht einräumte, hatte bei fehlender Einigung der Vorstand über den betreffenden Sachverhalt zu entscheiden.69 Auch die Sarepta-Schwestern hatten einen Schwesternrat, allerdings nahm der die oben beschriebene Funktion in dieser Form nie auf. Stattdessen gab es die sogenannte Hauskonferenz, der neben der Direktion und den übrigen Geistlichen des Diakonissenhauses auch eine entsprechende Anzahl an Schwestern angehörte. Einmal in der Woche sollte sich die Hauskonferenz treffen und über Aufnahme, Einsegnung und Entlassung sowie über die Annahme und Abgabe von Stationen entscheiden. Hierbei wurde die Vertretung der Schwestern einem Schwesternrat mit beratender Funktion übertragen, die Entscheidungsgewalt verblieb jedoch bei der Hauskonferenz.70 Brüderrat Das Pendant zum Schwesternrat ist der Brüderrat, die Interessenvertretung der Diakone. 1883 fand der erste Brüdertag der Nazareth-Diakone in Bielefeld statt, an dem ein Brüderrat gestiftet wurde, bestehend aus den Anstaltspastoren, einem weiteren Vorstandsmitglied und neun der eingesegneten, auf dem Anstaltsgebiet lebenden Brüder, von denen mindestens einer unverheiratet sein musste.71 Auch hier erstreckte sich der Aufgabenbereich auf Personalfragen, also Zustimmung zu Aufnahme, Einsegnung und Entlassung.72 Vor kurzem hat die Einsegnungskonferenz d. J. stattgefunden. Nun hat die Frage ihrer Einsegnung unseren Brüderrat bereits zum 3. Mal beschäftigt. Nach der Ordnung unseres Brüderhauses musste deshalb eine letzte und endgültige Entscheidung getroffen werden. […] trotzdem aber hat der Brüderrat doch nicht die Freudigkeit finden können, ihrer Einsegnung zustimmen zu können.73

Daneben gab es noch einen erweiterten Brüderrat, der aus sämtlichen eingesegneten Diakonen bestand. Einmal im Jahr trat dieser am Brüdertag zusam69 Zur Frage (1912). Über die weitere Ausdifferenzierung von internen Ämtern, Funktionen und Gremien in der Mutterhausdiakonie Kaiserswerth siehe Köser (2006), S. 306–308. 70 Vgl. Benad (2003), S. 104. 71 HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902, hier Paragraph 5.1. 72 Vgl. Frick (2002), S. 25 f. 73 HAB, NA-PA-077-1875.

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4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen

men und wählte auf Lebenszeit bzw. bis zur Pensionierung die neun Mitglieder aus dem Bruderkreise.74 Der Brüderrat war in gewisser Weise ein autonomes Gremium innerhalb des „Herrschaftssystems“ des Mutterhauses, welches auch dessen volles Vertrauen besaß. Dies deutet ein Briefwechsel von Pastor v. Bodelschwingh an, in dem er ihn folgendermaßen beschrieb: „[…] der Brüderrat ist vom Vertrauen der Brüder gewählt und besteht aus Männern, die sich für ihr Tun Gott verantwortlich wissen.“75 Auffallend ist, dass zum einen den Diakonen schon relativ früh ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt wurde, während die Diakonissen es eher zögerlich erhielten und die Sarepta-Schwestern nur in einem geringen Maß. Hervorzuheben ist jedoch, dass man eigentlich nur beim Schwesternrat der Kaiserswerther Diakonissen von einem wirklichen Mitbestimmungsrecht sprechen kann, da dieser nur aus Schwestern bestand, die größtenteils von ihnen gewählt wurden. Für die Gemeinschaften Sarepta und Nazareth existierte hingegen dieses Gremium nur mit den Mitgliedern aus dem Vorstand und Pastoren. Dennoch ist die Schaffung eines Rates zur Mitbestimmung, speziell in der Frauendiakonie, als fortschrittliche Errungenschaft zu werten, besonders im Hinblick darauf, dass das allgemeine Frauenwahlrecht erst 1918 im Deutschen Reich eingeführt wurde. Ratsschwestern, Schwesternrat Auch für die Barmherzigen Schwestern aus Münster muss es eine Art von Schwesternvertretung gegeben haben. In der Chronik der Barmherzigen Schwestern wurde folgender Vermerk darüber gefunden: Die Ratsschwestern müssen darauf bedacht sein, durch demütigen Gehorsam und treue Beobachtung der Anweisungen und rechtmäßig bestehenden Gebräuche die anderen Schwestern zu erbauen.76

Diese Nonnen hatten neben der erwähnten Vorbildfunktion auch die Aufgabe, in allen wichtigen Angelegenheiten des Hauses der vorstehenden Schwester mit Rat zur Seite zu stehen. Leider waren in den verfügbaren Quellen keine weiteren Informationen über die spezifischen Aufgaben, Wahl oder Zusammensetzung vorhanden. Jedoch ist zu vermuten, dass die Ratsschwestern weniger Entscheidungskompetenzen besaßen als vielmehr eine beratende Funktion hatten, mit der sie die Oberin entlasteten. Eine ähnlich lückenhafte Quellenlage liegt für die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf vor. Die untersuchten Personalakten und Karteikarten geben keinerlei Auskunft über eine Schwesternvertretung. Allerdings existiert ein Vermerk zum Badischen Frauenverein, für den ein Schwesternrat vorerst nicht 74

HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902, hier Paragraph 5.1. 75 HAB, NA-PA-077-1868. 76 MAM, Chronik: Bd. 5 31/74 (1908–1918).

4.3 Privatleben

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in Betracht kam; stattdessen sollte „das Amt einer Vertrauensschwester in den Vordergrund treten“.77 Die Aufgabe einer Vertrauensschwester war es, den Schwestern bei kleineren Problemen zur Seite zu stehen und dadurch ebenfalls die Oberin zu entlasten. Zudem sollte sie für die Interessen der Schwesternschaft eintreten. Auf je zehn Schwestern sollte eine Vertrauensschwester kommen, insgesamt allerdings mindestens zehn; die Schwesternschaft wählte sie aus ihrem Kreise. Mehrmals im Jahr gab es eine Zusammenkunft aller Vertrauensschwestern, zu der bei Bedarf auch die Oberin kam. Weitere Ziele waren, Oberinnen und Schwestern in den Vorstand zu bringen, um einen „Einblick [zu] gewinnen, mit dem Mutterhaus in Fühlung [zu] bleiben und auch die Sorgen desselben [zu] tragen“.78 Auch wenn es sich hier nicht um einen Schwesternrat handelte, so übernahmen die Vertrauensschwestern doch ebenfalls die Funktion, eine stärkere Bindung an das Mutterhaus herzustellen. 4.3 Privatleben Nachdem das Mutterhausprinzip und das System des Kost- und Logiszwangs erklärt und somit die Abhängigkeit und Unfreiheit des Personals sowohl im Arbeits- als auch im Lebensalltag aufgezeigt wurde, scheint der Begriff „Privatleben“ in diesem Kapitel erst einmal deplatziert. Doch tatsächlich hatten die Schwestern- und Bruderschaften auch ein Privatleben, das allerdings ebenfalls diversen Regeln unterworfen war. Die Themen „Heirat“ und „Freistunden“ sollen beispielhaft aufzeigen, wie „Privatleben“ im Mutterhaus oder in der Anstalt gelebt werden konnte. Als Ergänzung befindet sich in Kapitel 4.3.3 eine Sammlung von verschiedensten Bestimmungen zu den unterschiedlichen Lebensbereichen der Schwestern- und Bruderschaften. 4.3.1 Zölibat – Heirat Alle Schwestern- und Bruderschaften, ganz gleich, ob weltlich oder religiös organisiert, mussten sich bei Aufnahme bereit erklären, ein zölibatäres Leben zu führen. Die jeweiligen Berufsordnungen sahen vor, dass eine Heirat, Verlobung oder bereits die Annäherung an das andere Geschlecht automatisch zur Entlassung aus der Anstalt führten; häufig war allein der Verdacht schon ausreichend. So berichtete Pastor Tegtmeyer über den Bruder S., der […] wegen des Verhältnisses mit einem Mädchen aus der Bruderschaft austreten müsse. […] es liegt hier jedoch keinerlei Verstoss gegen den Anstand oder die bürgerliche Sitte

77 78

GLA, Bestand 69 Baden, Geheimes Kabinett der Großherzogin Luise, Nr. 893. GLA, Bestand 69 Baden, Geheimes Kabinett der Großherzogin Luise, Nr. 893.

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4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen vor; dagegen hat er die Satzungen unseres Brüderhauses übertreten, die jede Annäherung ohne Erlaubnis des Vorstandes bzw. des Brüderrates verbieten.79

Trotz dieser Bestimmung scheint es zumindest für die Männer in der Pflege eine Sonderregelung gegeben zu haben. Heiratserlaubnis für die Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau Die Frage einer möglichen Verheiratung der Wärter wurde ebenfalls im Rahmen des öffentlichen Preisausschreibens der Leipziger Zeitung diskutiert.80 Allgemein hatte man die Ansicht vertreten, dass die Anstalt als eine Familie anzusehen sei, als Ersatz für eine eigene. Das Wartpersonal wie auch die Pfleglinge waren die „Anstaltskinder“, welche unter der Obhut eines patriarchalischen Direktors, des „Anstaltsvaters“, standen. Bezüglich der Heiratsgenehmigung gab es verschiedene Meinungen. Manche sahen in der Gründung einer eigenen Familie einen Interessenskonflikt mit der Anstalt oder einen wirtschaftlichen Nachteil.81 Die Wärter der Illenau durften unter bestimmten Umständen durchaus eine Ehe schließen. Direktor Roller hielt ledige Wärter für unzuverlässiger und befürchtete, dass diese die Anstalt nach kurzer Zeit wieder verlassen würden.82 Eine Heiratsgenehmigung erhielten prinzipiell nur diejenigen, die einen Posten innehatten, der es ihnen erlaubte, eine Familie zu ernähren. Dies waren die sogenannten „etatmäßigen“ Wärter. Diese finanzielle Besserstellung war reglementiert. Nur eine gewisse Anzahl an Männern kam in diese Position. Dementsprechend lautete eine Anweisung von 1882 der Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Illenau: […] es sind dermalen, ohne die Oberwärter, bereits 13 Wärter verheiratet. Mit Wärter B. wird somit die Hälfte der in ordentlichen Etat vorgesehenen Wärter (31) verheiratet sein. Unter diesen Verhältnissen betrachten wir nunmehr die Zahl der verheirateten Wärter vorläufig als abgeschlossen und wären vorerst nicht in der Lage weitere Heiratsbewilligungen zu erteilen.83

Zudem heißt es in Paragraph 25 der von Christian Roller aufgestellten Statuten von 1847, dass die „Heiratserlaubniß [sic!] […] in der Regel nicht vor fünf Dienstjahren erteilt“84 werden dürfe. Bei Erfüllung dieser Anforderungen reichte ein heiratswilliger Wärter zunächst ein Gesuch bei der Direktion ein, welches an den Verwaltungshof in Karlsruhe weitergeleitet wurde. Gemäß dieser Regelung erhielt auch Wärter

79 HAB, NA-PA-097-2239. 80 Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, gab es 1842 ein öffentliches Preisausschreiben der Leipziger Zeitung mit dem Titel „Wie können für Irrenanstalten menschenliebende Wärter und Aufseher gewonnen werden?“. Siehe dazu Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 23 f. 81 Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 30. 82 Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 30. 83 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 376. 84 Vgl. Roller (1847), S. 115.

4.3 Privatleben

127

S. nach 14 Tagen „[…] die dienstpolizeiliche Erlaubniß [sic!] zur Verehelichung mit der Wärterin [K.] von Karlsruhe“.85 In dem Beispiel heiratete der Wärter eine Wärterin der Illenau, was die damalige Realität widerspiegelte. Anscheinend gab es für die Männer nicht viele andere Möglichkeiten, eine Frau kennenzulernen, als bei der Arbeit. Die Gründe hierfür können in der strikten Freizeitregelung oder in dem allgemein schlechten Ruf des Wartpersonals liegen. Wenn man nun weiter in der Akte des Wärters S. liest, stößt man im Zusammenhang mit der anstehenden Vermählung mit Wärterin K. darauf, dass diese „[…] mit der Verehelichung aus dem Dienst der Anstalt tritt, und nur etwa in Notfällen, wie in dem Bericht vermerkt ist, zur Aushilfe im Wärterdienst verwendet wird“.86 Zwar durften die Frauen mit ihren Ehemännern in einer Wohnung auf dem Anstaltsgelände leben, jedoch nicht mehr als Wärterinnen tätig sein. Stattdessen beschäftigte Roller die Ehefrauen von Wärtern und Oberwärtern in der Anstaltsökonomie.87 Wenn es trotz der Hindernisse zur Vermählung eines Wärters kam, war dies ein regelrechtes Ereignis, an dem die ganze Anstalt teilnahm.88 So berichtete der Wärter Ferdinand Huber von seiner Hochzeit: Nach der Hl. Trauung gab es ein Frühstück im sog. Esszimmer der ledigen Beamten, gestiftet von einer reichen Dame in F1 [dies ist eine Abteilung in der Illenau – A. F.], wo meine Braut Victoria Wärterin war. Von da ging es per Droschke nach Furschenbach in den „Rebstock“, wo dann die weltliche Hochzeitsfeier stattfand. Daran haben teilgenommen, außer den nächsten Anverwandten, ein Teil der Wärterinnen und Wärter sowie die Musikkapelle der Anstalt […].89

Heiratserlaubnis für die Nazareth-Diakone Mit der Zeit mussten die Verantwortlichen zur Kenntnis nehmen, dass auch die Nazareth-Diakone nicht mit einem Berufszölibat leben konnten oder wollten. Mit Blick auf wirtschaftliche Aspekte entstand eine Ausnahmeregelung, die für den Diakon besagte, daß er unverheiratet und unverlobt ist, beides auch so lange bleiben will bis er in den Stand gesetzt wird einen eigenen Hausstand zu begründen, daß er bereit sein will, vor Eingehungen einer etwaigen Verlobung unbeschadet seiner eigenen freien Entschließung, dem Vorstande sein Vorhaben anzuzeigen.90

85 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 376. 86 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 376. 87 Dies hatte finanzielle Vorteile für die Anstalt. Da der Ehemann bereits ein Gehalt bezog, bezahlten sie der Ehefrau weniger als einer ledigen Angestellten. Siehe StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 236, 3672, 3677, 3678. 88 Die Heiratsregelung galt auch für die Assistenzärzte der Illenau, die bei Einstellung ledig sein mussten. Vgl. Burkhardt (2003), S. 67. 89 Zit. n. Lötsch (2000), S. 46. 90 HAB, NA-KS-043, Berufsordnung für die Diakone der Westfälischen Brüderanstalt Nazareth zu Bielefeld, Bielefeld 1882, S. 60.

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4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen

Die Nazareth-Brüder durften prinzipiell heiraten, mussten ihre anstehende Vermählung dem Vorstand jedoch nicht nur mitteilen, sondern von ihm auch genehmigen lassen. Ein Zuwiderhandeln führte ebenfalls zur Entlassung aus der Anstalt. Jedoch konnte nicht jeder Diakon das Recht auf Eheschließung erhalten. Er musste sich bewährt und bewiesen haben, dass er die Fähigkeit besaß und der Verantwortung gewachsen war, mit einer Frau die Stellung von Hauseltern einzunehmen. Das Einverständnis war also an eine freie Hausvaterstelle gekoppelt, denn nur dadurch konnte die Versorgung eines eigenen Hausstandes gewährleistet werden. Der Diakon musste sein Anliegen dem Vorstand mitteilen, noch bevor er engeren Kontakt zu der Frau aufgenommen hatte. So stand es in den „Verlobungsregeln“ geschrieben91: […] dein erster Weg, bevor Du irgendeine Andeutung der Liebe machst, soll zum Vorsteher unseres Hauses oder eines Gliedes der Leitung sein. Wege des Vertrauens und des Gehorsams sind immer richtig.92

In einigen Fällen haben sich die Nazareth-Brüder heimlich verlobt, entweder, weil sie in absehbarer Zeit keine Aussicht auf eine Hausvaterstelle hatten, oder weil sie wussten, dass sie für eine solche gar nicht in Frage kamen. Im Zusammenhang mit den Austritts- bzw. Entlassungsgründen wurde das Thema „unerlaubte Heirat“ oder „heimliche Verlobung“ bereits aufgegriffen, und für knapp 4 % war dies der Grund, warum sie die Brüderschaft verlassen mussten oder wollten. In den Personalakten konnte man dementsprechend Briefe des Vorstehers finden, in denen häufig noch die Möglichkeit der Umkehr angesprochen wurde. Auch bezüglich der Wahl der zukünftigen Ehefrau hatte die Anstalt ein Mitspracherecht und stellte Anforderungen, die zu erfüllen waren. Während es für die zukünftige Frau eines Wärters ausreichend war, in einem christlichen, tadellosen Ruf zu stehen, waren die Erwartungen an eine Diakonenfrau weitaus höher; sie musste einen sogenannten „Brautkurs“ in Bethel absolvieren. Zudem durfte die zukünftige Braut keine Sarepta-Diakonisse sein. Deshalb stand in der Verlobungsordnung unter Punkt 10: […] sobald Verlöbnisse zwischen Brüdern und Schwestern stattfinden, so sind solche unbedingt verboten und hat ein solches Verlöbnis unausbleiblich die Entlassung aus der Brüderschaft zur Folge.93

Wenn nun alle Anforderungen und Bedingungen der Anstalt erfüllt wurden und ein Bruder tatsächlich die Genehmigung zur Heirat vom Brüderrat erhielt, hatte man dies in Nazareth nicht nur gefeiert, sondern auch finanziell unterstützt. In den Akten der Bremer Krankenanstalten war auf einer Notiz 91 HAB, NA-PA-077-1785. 92 HAB, NA-PA-077-1785. Hervorhebungen im Original. 93 HAB, NA-KS-043, Berufsordnung für die Diakone der Westfälischen Brüderanstalt Nazareth zu Bielefeld, Bielefeld 1882, S. 10.

4.3 Privatleben

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diesbezüglich vermerkt: „[…] das Hochzeitsgeschenk von Nazareth, das wir gegenüber dem früheren Betrag verdoppelt haben, und das gegenwärtig M. 600,-- beträgt“.94 Eine besondere Situation stellte sich während und vor allem nach dem Ersten Weltkrieg ein. Durch die zahlreichen, auch verheirateten Diakone im Lazarettdienst kam es zu einem Mangel an Hauseltern innerhalb der Anstalt. Dementsprechend besorgt äußerte sich der Vorsteher darüber in einem Brief: „[….] wie du weisst [sic!] haben wir im Zusammenhang mit dem Krieg 15–20 ,verheiratete Stellen‘ verloren. Da haben wir natürlich ein großes Interesse daran, daß die Zahl nicht weiter wächst.“95 Es ist anzunehmen, dass die Diakone in dieser Zeit wenig Probleme hatten, eine Heiratsgenehmigung zu erhalten; möglicherweise war man regelrecht auf der Suche nach geeigneten Bräuten für die Brüder, um den Anstaltsalltag aufrechtzuerhalten und nicht zu gefährden. Brautkurse in der Diakonenschaft Nazareth Bereits seit den 1890er Jahren gab es Brautkurse in Bethel. Die angehenden Bräute waren für die Dauer des Kursus bei der Pastorenfamilie untergebracht und erhielten für ihre Arbeit freie Kost und Logis. Anfangs mussten sie unentgeltlich ein halbes Jahr in der Hauswirtschaft einer Betheler Anstalt arbeiten. In diesem praktischen Teil wurden die Frauen an der Seite einer „tüchtigen“ Hausmutter in deren verschiedene Aufgabenbereiche wie Küche, Nähstube und Einkauf eingeführt und so auf ihr späteres Leben in der Brüderschaft vorbereitet.96 Neben der praktischen Unterweisung ergänzte Pastor Tegtmeyer den Kursus ab 1920 durch einen theoretischen Teil, der sich über drei Wochen erstreckte.97 Der Unterricht umfasste Themen wie biblische Frauengestalten, die Berufsordnung der Brüderschaft, die Geschichte Bethels und der Inneren Mission und medizinischen Unterricht. Später kamen noch ein Verbandkursus, Wirtschaftslehre98, die Geschichte der Brüderschaft Nazareth, der Besuch von Pastor Fritz von Bodelschwingh und eine Einführung in die Antialkoholbewegung dazu99. Die wirtschaftlichen Fächer dienten zur direkten Vorbereitung auf die Tätigkeiten als Hausmutter, die später die Leitung einer größeren Hauswirtschaft übernehmen sollte. Der medizinisch ausgerichtete Lehrstoff sollte in erster Li-

94 Auszug aus einem Brief vom 20.6.1922. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922. 95 HAB, NA-PA-065-1668. 96 Vgl. Brinkmeier (1997), S. 251. 97 Vgl. Brinkmeier (1997), S. 241 ff. 98 Wirtschaftslehre umfasste die Themen Buchführung und Rechnungswesen sowie Nahrungsmittelkunde und Theorie der Hauswirtschaft. 99 Vgl. Brinkmeier (1997), S. 249 f. Die letzten drei Fächer wurden im Laufe der Jahre durch Bibelkunde, Kirchengeschichte und Einführung in die Bethelmission ersetzt.

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4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen

nie zu einem besseren Verständnis der Arbeit ihres späteren Mannes verhelfen.100 Ein Kurstag verlief folgendermaßen: Vormittags erhielten die Frauen einige Lehrstunden, wobei die beiden letzten Stunden für Pastor Tegtmeyers biblische Frauengestalten reserviert waren. Nach dem Mittagessen folgte ein unterrichtsfreier Nachmittag, der allerdings dazu genutzt wurde, mit Frau Tegtmeyer verschiedene Bethelhäuser zu besuchen und kennenzulernen. Am frühen Abend gab es noch ein paar Unterrichtseinheiten, und später konnten sie an Missions- oder Brüderabenden teilnehmen.101 Die Hauptfunktion des Brautkursus sah Tegtmeyer in der Integration der zukünftigen Diakonenfrauen in die stetig wachsende Brüderschaft. Für ihn waren sie ein Mittel zur Festigung der Gemeinschaft und zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls. Jedoch ist anzumerken, dass durch die unbezahlte Mitarbeit der Anstalt finanzielle Vorteile entstanden; es handelte sich nahezu um Ausbeutung der Arbeitskraft. Die unzureichende, eigentlich fehlende Entlohnung führte immer wieder zu Kritik. 1930 kam es zu einer Vereinbarung, die ein Taschengeld von 20 Mark oder sogar eine Entlohnung der Frauen vorsah, falls diese durch ihre Arbeit einen Hausangestellten komplett ersetzten und nicht nur zusätzlich eingesetzt wurden.102 Ob die Bezahlung in Anbetracht der schlechten wirtschaftlichen Situation tatsächlich und für einen längeren Zeitraum geleistet wurde, ist nicht bekannt; bereits 1942 war wieder nur von einem Taschengeld die Rede.103 Neben dem wirtschaftlichen Faktor muss man in diesem Zusammenhang auch den immer wiederkehrenden Personalmangel sehen. Die Brautkurse konnten ihn jedoch nicht vollends kompensieren. Eine weitere wichtige Rolle spielte das Kennenlernen und Beurteilen der Bräute. Es wurden zuvor Erkundigungen über die betreffende Frau eingeholt. Diese musste ein Zeugnis des Heimatpfarrers, ein ärztliches Attest, einen handgeschriebenen Lebenslauf und eventuell ein Gutachten ihres früheren Arbeitgebers einreichen. Ab 1926 gab es einen Fragenkatalog, nach dem die Frau beurteilt wurde: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Wie ist die innere Stellung des Mädchens? Wie steht es mit der geistigen Begabung? Ist die körperliche Gesundheit gut? Wie ist das Elternhaus innerlich gestellt? Hat das junge Mädchen einen Beruf oder ist sie hauswirtschaftlich erzogen? Wird sie eine geeignete Diakonenfrau sein?104

Nach dem sechsmonatigen Aufenthalt schrieben die vorstehenden Hauseltern, bei denen die angehende Braut eingesetzt war, eine Beurteilung, ebenfalls in Anlehnung an den Fragenkatalog. 100 101 102 103 104

Vgl. Brinkmeier (1997), S. 250 f. Vgl. Brinkmeier (1997), S. 244. Vgl. Brinkmeier (1997), S. 244. Vgl. Brinkmeier (1997), S. 251 f. HAB, NA-PA-181-778.

4.3 Privatleben

131

Die Prüfung zur Eignung als Hausmutter war wichtig, da sie später häufig einen Haushalt mit 70 und mehr Personen führen musste. Es scheint, dass in manchen Fällen hinter einem Hausvater eine starke Hausmutter zu stehen hatte, wie ein Auszug aus einer Brautbeurteilung verdeutlicht: […] eine Hausmutter muss ja nicht nur kochen, nähen und reinemachen können. Das Haupterfordernis ist, dass sie rechnen und vorsorgen, bestimmen und anweisen kann. Die künftige Frau Bruder Z’s muss auf diesem Gebiet besonders geeignet sein, da ihr zukünftiger Mann auf diesem Gebiet keine Gaben besitzt. Sie muss später die Bedürfnisse und die Führung des großen Haushaltes im Kopf haben und ihren Mann bestimmen können.105

Die Schwächen der Brüder waren der Anstaltsleitung bekannt und mussten bei einer Heirat zu einem gewissen Maß ausgeglichen werden, damit das zukünftige Ehepaar als spätere Hauseltern seinen Aufgaben gerecht wurde. Im Laufe der Jahre kam es noch zu einigen Veränderungen und Neuerungen. Den letzten Brautkurs hielt man in traditioneller Form 1968 ab. Durch die Zulassung von Frauen zur Diakoninnenausbildung 1973 änderte sich endgültig die Brüderordnung und die Geschichte der Brautkurse endete.106 4.3.2 Freizeit und Freistunden Jedem Mitglied einer Schwestern- oder Bruderschaft im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert stand eine bestimmte Anzahl an Freistunden und freien Tagen zur Verfügung. Zumindest war dies in den Arbeitsstatuten so vorgesehen, dennoch sah die Realität häufig anders aus.107 Freizeitregelung der Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau In Bezug auf die Freizeitregelung gab es für die Wärterinnen und Wärter unterschiedliche Bestimmungen: Die Ausgänge der Wärter sind so eingerichtet, dass jeder Wärter 2 mal wöchentlich seinen Ausgangstag hat, nämlich Abends von halb 8 Uhr bis 10 Uhr, so die Anstalt geschlossen ist; am Sonntage hat die Hälfte der Wärter Nachmittags Ausgang; die Wärterinnen haben ihren Ausgang nur Sonntag Nachmittags.108

Den Wärterinnen war es verboten, abends auszugehen und, wie es in der Hausordnung der Illenau hieß, „öffentliche Lustbarkeiten“ zu besuchen.109 Die regelmäßigen Besuche im nahe gelegenen Wirtshaus waren anscheinend nur den Wärtern vorbehalten. Zahlreiche Beschwerdeberichte zeugen von Alkoholkonsum auch während der Arbeit oder auf Ausflügen mit Pfleglingen.110 105 106 107 108

HAB, NA-PA-104-1830. HAB, Slg. B III 7,17. Auf die Arbeitszeit wird noch ausführlicher in Kapitel 5.1 eingegangen. Erhardt (1845), S. 625, sowie Illenau (1852), Dienstanweisung für Wärter und Wärterinnen, S. 107–116, und Aufruf und Bitte für den Wetterdienst in Illenau betr., S. 185–190. 109 Vgl. Roller (1847), S. 214 f. 110 Mehr über Beschwerden und Alkoholkonsum von Wärtern in Kapitel 7.3.

132

4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen

Aufgrund der geltenden moralischen Bedenken durften die Wärterinnen in ihrer freien Zeit die Anstalt nur in Gesellschaft verlassen.111 Doch nicht nur das Geschlecht, sondern auch die Verweildauer in der Anstalt hatte Auswirkungen auf die Ausgangsregelung. So erhielt jeder nach sechs Monaten einen halben oder, wer länger als zwei Jahre in der Illenau beschäftigt war, einen ganzen Werktag monatlich frei. Durch die strenge Reglementierung der Freizeit der Wärterinnen und Wärter sollten diese, wie auch die Pfleglinge, gemäß dem Bild einer Anstaltsfamilie erzogen und beaufsichtigt werden. Freie Zeit und Freizeitregelung für Diakonissen Die Haus- und Berufsordnung von 1897 der Evangelischen Diakonissenanstalt von Stuttgart sah vor, dass die Schwestern abwechselnd einige Stunden am Tag im Freien verbringen sollten. Für sonntags war ein gemeinsamer Spaziergang unter Aufsicht einer älteren Schwester vorgesehen.112 Unabhängig von vorgesehenen Regelungen war in den Briefen der Sarepta-Schwestern an den Pastor immer wieder von hoher Arbeitsbelastung sowie Personalmangel und – damit verbunden – mangelnder Freizeit die Rede. Besonders schwierig war die Arbeitssituation während des Ersten Weltkriegs. Eine Diakonisse wünschte sich 1914, „[…] dass wir mehr Schwestern einstellen und dass jede Schwester am Tage eine Ruhestunde und in der Woche einen freien Nachmittag hat“.113 Es waren alle 14 Tage Vortragsabende angesetzt, an denen man zusammenkam und sich anschließend darüber austauschen konnte.114 In der Berufsordnung der Diakonissen von 1906 heißt es unter Punkt 66: In ihren arbeitsfreien Stunden soll die Diakonisse gern ihren Kranken etwas vorlesen aus Gottes Wort, den Liedern der Kirche und andern guten Büchern. – Sie soll aber auch nach Möglichkeit das eigene Lesen der Kranken überwachen.115

Weltliche Schwesternschaften Allerdings hatten nicht alle Schwesternschaften Regelungen für die Arbeitszeit und somit auch für die Freizeit. Kerstin Lutzer schreibt hinsichtlich des Badischen Frauenvereins, dass es keine klaren Arbeitszeitregelungen in den verschiedenen Krankenanstalten gab, man jedoch Wert auf die Einhaltung der Sonntagsruhe legte.116 111 Vgl. Illenau (1865), S. 25. 112 Vgl. Hoffmann (1897), Paragraph 9. 113 Krankenhausunterlagen Altena. HAB, Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus II, 1909– 1923 (7). 114 Brief von Schwester Ida von 1906. HAB, Sar Briefe von Schwestern aus verschiedenen Stationen 1886–1969 (unverzeichnet). 115 Vgl. HAB, Berufsordnung für die Diakonissen des westfälischen Diakonissenhauses Sarepta bei Bielefeld, Bielefeld 1906, S. 62. 116 Vgl. Lutzer (2002), S. 441.

4.3 Privatleben

133

Die Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwesternschaft hatte einen freien Nachmittag in der Woche und eine Freistunde am Tag. Letztere durfte zu kleinen Spaziergängen und Besorgungen in der Stadt genutzt werden, jedoch nur mit Erlaubnis der leitenden Schwester. Auch bezüglich der Freizeitgestaltung gab es Bestimmungen. Empfohlen wurde der Besuch des Stadttheaters oder des Schauspielhauses und von Konzerten, verboten war hingegen das Varietétheater.117 Falls eine Schülerin an einem freien Nachmittag im Wohnheim Kaffee trinken wollte, musste sie auch dies zuvor der Oberin mitteilen.118 Prinzipiell war die Oberin über jeden Schritt außerhalb des Stationsdienstes informiert. Die gesichteten Quellen enthielten keine Informationen über die Freizeitgestaltung der Barmherzigen Schwestern aus Münster. 4.3.3 Weitere Regelungen Die Schwestern- und Bruderschaften unterwarfen sich nicht nur in Bezug auf eine mögliche Heirat oder die Freizeitbeschäftigung strikten Bestimmungen, es gab noch zahlreiche weitere Regeln, die verschiedene Lebensbereiche betrafen. Barmherzige Schwestern Die Barmherzigen Schwestern hatten 1924 einen neuen Regel-Katalog von den Oberen erhalten. So durften die Nonnen nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung Fahrrad fahren. Dabei hatten sie stets Mantel und Kappe zu tragen. Innerhalb der Ortschaft mussten sie ihr Rad schieben. Eine weitere Bestimmung erlaubte das Ablegen des Mantels nur im Hochsommer, wenn sie mit der Eisenbahn unterwegs waren. Das Fotografieren war den Nonnen nur gestattet, wenn es ihre Angehörigen ausdrücklich wünschten und die Kosten dafür übernahmen. Generell mussten die Verwandten ins Kloster kommen, um die betreffende Nonne zu besuchen. Ausnahmen bei hohem Alter oder Krankheit existierten nicht. Während des Untersuchungszeitraumes gab es für die Schwesternschaft im Hinblick auf die Besuchszeiten eine sehr strikte Bestimmung, und zwar „alle drei Monate für eine viertel Stunde“.119 Diese Regelung verhinderte einen regelmäßigen Kontakt mit der leiblichen Familie. Auch für das zwischenmenschliche Verhalten der Nonnen gab es Anweisungen. So wurde beispielsweise 1913 eine Anordnung bezüglich der gebräuchlichen Umarmungen bekanntgegeben. Diese waren wegen „Übertreibungen“ verboten worden, ebenso das Händereichen und andere körperliche 117 UADd, Bestand 30/14, Urlaubsordnung für die Schülerinnen des Schwesternwohnheimes, Nr. 403. 118 UADd, Bestand 30/14, Hausordnung für die Schülerinnen des Schwesternwohnheimes, Nr. 403. 119 MAM, Chronik: Bd. 2 16/81 (1888–1898).

134

4 Lebensbedingungen und -umstände der Pflegegruppierungen

Berührungen. Stattdessen sollte die schwesterliche Liebe durch „zarte Rücksichtnahme und liebevolles Entgegenkommen“120 gezeigt werden. Rot-Kreuz-Schwestern Auf einer Oberinnen-Konferenz des Badischen Frauenvereins wurde 1911 beschlossen, „daß die Oberinnen Kenntnisse bezüglich der Vermögensverhältnisse ihrer Schwestern und Einblicke in etwa vorhandene Sparkassenbüchern derselben haben“121 sollten. Als Begründung hierfür wurde die Sorge angegeben, dass zu viel Geld die Arbeitseinstellung der Frauen verändern könne. Zusätzlich befürchtete man einen möglichen sittlichen Verfall durch ungeeignete Literatur, weswegen die Oberinnen die Aufgabe erhielten, die kleineren Bibliotheken in den Aufenthaltsräumen zu kontrollieren und den Schwestern aus ihrem eigenen Bücherbestand Lektüre zu überlassen.122 Auch die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf hatten strikte Bestimmungen bezüglich ihrer Bücher. Diese durften nur in Gemeinschaftsräumen und nicht auf den Zimmern gelesen werden. Den Schülerinnen war es verboten, ohne Erlaubnis Besuch in ihren Schlafräumen zu empfangen, zudem mussten sie sich vor jedem Ausgang ab- und danach wieder zurückmelden. Ab 22:15 Uhr war Schlafenszeit; dann wurde das Haus abgeschlossen und das Licht abgedreht.123 4.4 Resümee Obwohl die Schwestern und Brüder sowie Wärterinnen und Wärter bei Eintritt in die Gemeinschaft bzw. Anstalt ganz unterschiedliche Lebensumstände und Inhalte erwarteten, glichen sich die Aufnahmekriterien. Man wollte gesunde, leistungsfähige, aus einem moralischen, christlichen Elternhaus stammende Anwärterinnen und Anwärter, die einen gewissen Grad an Bildung mitbrachten.124 Zur besseren Identifikation und stärkeren Bindung an die Gemeinschaft und das Mutterhaus vollzogen die konfessionell geführten Pflegegemeinschaften ein feierliches Eintrittsritual. Im Rahmen eines Gottesdienstes, der die tragende Rolle des christlichen Glaubens unterstreichen sollte, wurden die Anwärterinnen und Anwärter als Mitglieder in die Gemeinschaft aufgenommen.

120 MAM, Chronik: Bd. 3 24/148 (1908–1918). 121 Oberinnen-Konferenz vom 31.3.1911. GLA, Bestand 69 Baden, Geheimes Kabinett der Großherzogin Luise, Nr. 891. 122 Oberinnen-Konferenz vom 31.3.1911. GLA, Bestand 69 Baden, Geheimes Kabinett der Großherzogin Luise, Nr. 891. 123 UADd, Bestand 30/14, Hausordnung für die Schülerinnen des Schwesternwohnheimes, Nr. 403. 124 In den Aufnahmebedingungen umschrieb man dies mit der Fähigkeit, rechnen, lesen und schreiben zu können.

4.4 Resümee

135

Das Mutterhaus nahm für Diakonissen, Diakone, Rot-Kreuz- und Ordensschwestern die zentrale Rolle im Leben ein, es stellte die neue Familie dar. Diesem Bild entsprechend sorgten die „Eltern“ für ihre „Kinder“. Allerdings bedeutete dies nicht nur die Versorgung bei Krankheit und im Alter, sondern auch einen Verlust von Eigen- und Selbständigkeit. Der Gestellungsvertrag machte alle Mutterhausangehörigen zu flexibel einsetzbaren Arbeitskräften. Auch die Wärterinnen und Wärter der Illenau waren durch strikte Regeln und den Kost- und Logiszwang eng an die Anstalt gebunden. Auch hier versuchte man, ein Familienmodell zu verwirklichen, in dem der Direktor die Rolle des sorgenden und strengen Vaters einnahm. Der Schwestern- und der Brüderrat wurden zu einer Zeit gegründet, in der die familiäre Anbindung an das Mutterhaus durch den enormen Zuwachs immer schwieriger wurde. Neben der Identifikation mit dem Mutterhaus dienten die Räte der Mitsprache und Interessensvertretung. Das war für die damalige Zeit ein beachtliches Novum in der Mutterhausdiakonie, auch wenn es teilweise nur in abgeschwächter Form praktiziert wurde. Auch die übrigen Schwesternschaften hatten in irgendeiner Form eine Schwesternvertretung eingerichtet. Zum Teil fehlten diesen Entscheidungskompetenzen, jedoch konnten sie neben der Entlastung der Oberin zumindest die Interessen ihrer Mitschwestern vertreten. Wie weitreichend der Eingriff in das Privatleben sein konnte, wurde am Beispiel der Heiratserlaubnis für die männlichen Vertreter in der Pflege deutlich. Die Notwendigkeit einer Genehmigung zur Heirat war in der damaligen Zeit für viele Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes üblich.125 Jedoch stellten die Brautkurse bei den Nazareth-Diakonen in diesem Rahmen noch einmal eine Besonderheit dar. Auch das Thema der Freizeitgestaltung veranschaulicht, wie strikt das Privatleben der einzelnen Schwester, Wärterin, des einzelnen Bruders oder Wärters geregelt wurde. Insgesamt können die Lebensumstände und -bedingungen für die einzelnen untersuchten Gruppierungen als problematisch angesehen werden. Auf der einen Seite erhielten sie Arbeit, Kost und Logis, auch versorgte man sie im Alter und bei Krankheit. Durch das Familienkonzept sollte ihnen ein Gemeinschaftsgefühl vermittelt werden. Gleichzeitig aber band man sie damit auch in hohem Maße an das Mutterhaus bzw. an die Anstalt und nahm ihnen durch die strikten Regeln ihre Eigen- und Selbständigkeit.

125 Weitere Beispiele sind Grenzaufseher, Gefängniswärter, Gendarme und verschiedene Gruppen beim Militär.

5 Arbeitsbedingungen Für die konfessionellen Pflegegruppierungen war die Arbeit mit Kranken eine Berufung, ein von Gott gewollter Liebesdienst. Ausgehend von diesem Berufsverständnis waren für die Schwestern Arbeitszeiten, Urlaubs- und Ruhepausenregelungen sowie eine soziale und finanzielle Absicherung marginal. Der Kampf um Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen ging deshalb von der weltlichen Krankenpflege aus. Anfang des 20. Jahrhunderts machte sich Agnes Karll zusammen mit der B. O. K. D. dafür stark, die Arbeitsbedingungen in der Krankenpflege zu verbessern.1 Während der Weimarer Republik verbesserte sich die wirtschaftliche, soziale und rechtliche Situation in der beruflichen Krankenpflege.2 1924 gab es zumindest auf dem Papier die erste Arbeitszeitregelung: die Verordnung über die Arbeitszeit in Krankenpflegeanstalten vom 13. Februar3, die den 10-Stunden-Tag bzw. die 60-Stunden-Woche einführte. Im Entwurf von 1919 war allerdings noch eine Höchstarbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich vorgesehen, von der Orden und Mutterhäuser allerdings ausgenommen waren. Die Einrichtung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege 19294 führte beispielsweise zu einem umfangreicheren Versicherungsschutz im Falle von Berufskrankheiten und Invalidität. Des Weiteren konnten durch tarifvertragliche Regelungen Löhne verbessert werden, sofern die Pflegenden nicht einem Mutterhaus angehörten. Gehälter und Arbeitsbedingungen des Wartpersonals in psychiatrischen Einrichtungen, die sich von den allgemeinen Krankenhäusern unterschieden, erörterten überwiegend reformorientierte Psychiater bereits 1842 im Rahmen des Preisausschreibens in der Leipziger Zeitung mit der Fragestellung: „Wie können für Irrenanstalten menschenliebende Wärter und Aufseher gewonnen werden?“5 Die Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau wurden nicht durch ein Mutterhaus versorgt. Ihre soziale Absicherung und finanzielle Vergütung oblag gesetzlichen Bestimmungen. Das badische Beamtengesetz von 1888 unterschied nicht mehr zwischen öffentlich-rechtlichen Beamten und privatrechtlichen.6 Die Angestellten bzw. Staatsdiener konnten nun die verschiedenen Privilegien wie lebenslange Anstellung, angemessenes Gehalt 1 2 3 4

5 6

Einige Missstände waren noch bis in die 1950er Jahre in den Krankenhäusern anzutreffen. Vertiefend hierzu: Kreutzer (2005). Vgl. Helmerichs (1992), S. 195. Diese Verordnung galt bis 1956, dann führten zumindest die kommunalen Krankenhäuser die 54-Stunden-Woche für das Pflegepersonal ein, die Landkrankenhäuser behielten die 60-Stunden-Woche noch bei. Das Dritte Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung von 1928 bezog die Beschäftigten des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege mit ein und versicherte alle nichtstaatlichen Gesundheits-, Fürsorge- und Pflegeeinrichtungen. Siehe Berufsgenossenschaft (2004). Vgl. Höll/Schmidt-Michel (1989), S. 23–55. Vgl. Wunder (1998), S. 101 ff.

5.1 Arbeitszeiten

137

und Pension genießen. Anhand eines Budgets wurden die zu verbeamtenden Stellungen verteilt. Gemäß dem preußischen System unterschied man zwischen etatmäßigen und nicht etatmäßigen Beamten. Mit der Übertragung einer etatmäßigen Stellung setzte die Verbeamtung ein. Ein nicht etatmäßiger Beamter hatte demnach eine schlechtere rechtliche und wirtschaftliche Position. Er erhielt ein niedrigeres Gehalt und hatte eine geringere Absicherung im Krankheitsfall oder bei Arbeitsunfähigkeit.7 Die B. O. K. D. kritisierte immer wieder die schlechten Arbeitsbedingungen der konfessionellen Schwesternschaften. Die Pflegenden seien überarbeitet und hätten wenig Ruhe- bzw. Erholungsphasen. Dies führe häufig zu Erkrankungen. Vor allem in den 1920er Jahren war die Morbidität und Mortalität unter den Schwestern Gegenstand von mehreren Untersuchungen.8 Laut einer Umfrage des Düsseldorfer Geheimrats Alter in staatlichen und kommunalen Allgemeinkrankenhäusern von 1928 erkrankten katholische Ordensschwestern und evangelische Diakonissen zwischen 1923 und 1926 zwar seltener als freie und Rot-Kreuz-Schwestern, dafür wurden sie häufiger berufsunfähig und starben früher.9 Eine Gegenstudie des Deutsch-Evangelischen Krankenhausverbands kam zu dem Ergebnis, dass die Sterblichkeit der Diakonissen aus Kaiserswerth im Zeitraum von 1921 bis 1926 deutlich unter der des Bevölkerungsdurchschnitts lag.10 5.1 Arbeitszeiten Immer wieder standen die langen Arbeitstage der Schwestern im Zentrum der Kritik.11 1912 verteilte die B. O. K. D. an 3.000 ihrer Mitglieder einen Fragebogen, um verschiedene Aspekte des Arbeitsalltages im Krankenhaus zu erfassen. Unter anderem wurde darin auch nach der Arbeitszeit gefragt. Von den 2.260 ausgewerteten Bogen hatten 834 Schwestern diesen Punkt nicht beantwortet. Dennoch bestätigt das Ergebnis sämtliche Vorwürfe. Knapp 47 % der im Krankenhaus tätigen Schwestern gaben an, täglich zwischen zehn und elf Stunden zu arbeiten. Bis zu zwölf Stunden waren 28 % der Befragten tätig, und nahezu 10 % gaben an, eine Arbeitszeit von 13 Stunden zu haben. Nur knapp 2 % hatten einen Neunstundentag.12 7 Vgl. Kling (2000), S. 12 f. 8 Siehe hierzu Harmsen (1928), S. 72; Kutschera-Aichbergen (1921), S. 54; Braeuning (1920), S. 129; Dietrich (1925); Alter (1928), S. 237; Frick (1928), S. 193. 9 Vgl. Schmuhl (2002), S. 54. 10 http://www.bethel.de/ueber-uns/geschichte-bethels/1900-bis-1920.html (letzter Zugriff: 14.4.2014). 11 Der Sozialdemokrat Antrick sammelte umfangreiches Material über die Zustände in den Krankenhäusern bzw. die Qualität der Krankenpflege und die Fürsorge der Krankenhausträger für das Pflegepersonal. Seine Recherchen führten zwischen 1901 und 1903 zu Debatten im Reichstag. Siehe Kruse (1987), S. 79 f.; Schweikardt: Entwicklung (2008), S. 222–267. 12 Vgl. Caemmerer (1915), S. 46.

138

5 Arbeitsbedingungen

Es ist nur schwer möglich, genaue Angaben über die damals geleisteten Arbeitsstunden der verschiedenen Pflegegruppierungen zu machen. Fest steht jedoch, dass die Schwestern und Brüder täglich ein unglaubliches Arbeitspensum bewältigten. Die Gründe hierfür waren Personalmangel, Krankheitsausfälle auf Seiten der Pflegenden und zunehmende Arbeitsbelastung durch neue Therapiemöglichkeiten, um nur einige Schlagwörter zu nennen. Ende 1918 gab es im Zuge der Revolution eine Diskussion über die Einführung des Achtstundentags auch im Krankenhauswesen. Sowohl die konfessionell als auch karitativ und frei organisierten Pflegegruppierungen sprachen sich einheitlich dagegen aus. Nur die freien Gewerkschaften votierten – vergeblich – dafür. 1924 änderte die Reichsregierung die Arbeitszeitbestimmungen dahin, dass das Pflegepersonal bis zu 60 Stunden, einschließlich Sonnund Feiertage, in der Woche beschäftigt werden konnte.13 Im Folgenden soll anhand von Briefen zwischen dem Sarepta-Mutterhaus in Bielefeld und den Bremer Krankenanstalten das zu bewältigende Arbeitspensum bzw. die zu leistenden Arbeitszeiten der Diakonissen aufgezeigt werden. Bereits 1910 mahnte das Mutterhaus an, den Schwestern genügend Erholung zu gewähren und sie in den Sommerurlaub zu schicken.14 Während des Ersten Weltkriegs kam es vermehrt zu Klagen von Seiten des Mutterhauses. Aus einem Brief von 1914 an das Johanniter-Krankenhaus in Altena erfährt man über die Arbeitszeiten Folgendes: Infolgedessen sind die im Verhältnisse zu der großen Aufgabe im ganzen sehr knapp bemessenen Schwestern in außergewöhnlichem Maße vom Morgen bis zum Abend in Anspruch genommen und können nur mit Aufbietung aller ihrer Kräfte und unter Verzicht auf jede Ruhestunde am Tage dem schweren Dienst einigermassen gerecht werden.15

Die Schwestern arbeiteten also kontinuierlich, ohne Erholungsphasen, von einem freien Nachmittag ganz zu schweigen. Der Personalmangel und das Arbeitspensum mussten während des Ersten Weltkriegs sehr groß gewesen sein. Schwester Ida z. B. wurde sogar aus ihrem Urlaub zurückgerufen, da sie dringend im OP benötigt wurde.16 Die Arbeitsbedingungen änderten sich bis 1918 nicht. Ein Arbeitstag einer Sarepta-Diakonisse im Johanniter-Krankenhaus in Altena begann morgens um 5:30 Uhr und endete abends um 20:30 Uhr.17 In einem Brief an das Krankenhaus bezeichnete Pastor Bodelschwingh diese Arbeitsbedingungen als „eine unverantwortliche Ausnutzung der Menschenkraft“.18 Das Krankenhaus wies die Vorwürfe zurück und fügte hinzu, dass für die Versorgung der 100 Patienten immerhin zehn Schwestern, 13 14 15 16 17 18

Verordnung (1924), S. 17. Siehe Helmerichs (1992), S. 165–171. Brief von Bodelschwingh von 1910. HAB, Sar 466, Bremen Krankenanstalten 1901–1910. Brief von 1914. HAB, Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus II, 1909–1923 (7). Brief von Altena an Sarepta von 1914. HAB, Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus II, 1909–1923 (7). Brief von 1918. HAB, Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus II, 1909–1923 (7). Brief von Pastor v. Bodelschwingh an Pastor Weimann von 1918. HAB, Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus II, 1909–1923 (7).

5.1 Arbeitszeiten

139

sieben oder acht Helferinnen, fünf Dienstmädchen und ein Krankenwärter vorhanden seien.19 Jedoch verschwieg Pastor Weimann in seiner Aufzählung, dass vier der Rot-Kreuz-Helferinnen wegen des hohen Arbeitspensums bereits gekündigt hatten.20 Die Schwestern beklagten sich zudem über die geringen Ruhepausen und Erholungstage. In der bereits erwähnten Umfrage des B. O. K. D. von 1912 gaben ungefähr 60 % der Schwestern an, keinen einzigen dienstfreien Tag zu haben.21 Für die Sarepta-Diakonissen in Bremen verfügte der Direktor der Bremer Krankenanstalten 1919 eine neue Regelung zur Erholungszeit. Darin bestimmte er, dass den Schwestern Folgendes zustand: – jeden Sonntag den halben Tag frei, entweder vormittags oder nachmittags – jede Woche zwei Nachmittage frei – jeden Tag zwei Stunden frei in der Zeit von ½ 3 Uhr bis 5 Uhr. Das ist das, was zu erreichen ist.22

Doch trotz der Regelungen scheint es keine deutliche Besserung hinsichtlich der Arbeitszeiten und Ruhepausen gegeben zu haben. Aus einem Schreiben von 1927 geht hervor, dass die Schwestern durch einen Streik eine Mittagsruhe erzwungen hatten. Mit Einverständnis des Mutterhauses weigerten sie sich, zwischen 12 und 14 Uhr dem Arzt für verschiedene Arbeiten zur Verfügung zu stehen.23 Ausreichend Erholung oder Ruhezeit war 1926 vor allem für die Examensschwestern, die neben ihrem Nachtdienst auch noch dreimal wöchentlich Unterricht hatten, zu einem Problem geworden. Während dieser Zeit konnten die Schwestern nur von 9 bis 13 Uhr schlafen, wohnten dann dem Unterricht bei und arbeiteten anschließend bis 8 Uhr am nächsten Morgen auf ihrer Station. Meist ging ihr Dienst noch länger, da die Schwestern vom Tagdienst erst noch der Andacht beiwohnten. Erschwerend kam hinzu, dass der Nachtwachenblock vier Wochen ging, das heißt, während dieser 28 Tage erhielten die angehenden Diakonissen an zwölf Tagen nur vier Stunden Schlaf.24 Es ist anzunehmen, dass die Barmherzigen Schwestern aus Münster unter ähnlichen Bedingungen arbeiteten, jedoch machen die vorliegenden Quellen darüber keine konkreten Angaben. Zwar wurde in der Chronik immer wieder das hohe Arbeitspensum und der Schwesternmangel erwähnt, jedoch nie explizit auf Dienstzeiten eingegangen. 19 20 21 22 23 24

Antwortschreiben von Pastor Weimann an v. Bodelschwingh von 1918. HAB, Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus II, 1909–1923 (7). Brief von 1918. HAB, Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus II, 1909–1923 (7). Vgl. Caemmerer (1915), S. 62. Anordnung von Professor Stoevesandt von 1919. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. Aus dem Schreiben geht nicht hervor, im welchem Krankenhaus gestreikt wurde. Schreiben von 1927 von Pastor Frick an Pastor Meyer. HAB, Sar 707, Bremen DiakonissenMutterhaus 1899–1950. Brief von 1926. HAB, Sar 399a, Gilead Krankenpflegeschule 1907–1928.

140

5 Arbeitsbedingungen

Die ebenfalls untersuchten Pflegegruppierungen hatten unterschiedliche Regelungen. So sah die Berufsordnung der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf für jede eine Freistunde pro Tag und wöchentlich einen freien Nachmittag vor.25 Für die Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau war pro Woche ein freier Sonntag oder Wochentag vorgesehen.26 Allerdings gibt es keine Informationen darüber, inwieweit diese freien Zeiten auch wirklich eingehalten wurden. 5.2 Finanzielle Vergütung Die Gehälter und Taschengelder der verschiedenen Pflegegruppierungen haben sich aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklungen während des gesamten Untersuchungszeitraums stark verändert. Zum einen gab es nach dem Ersten Weltkrieg eine zunehmende Geldentwertung, die sich ab 1923 zu einer Hyperinflation auswuchs. Zum anderen wirkte sich später die Weltwirtschaftskrise von 1929 sehr darauf aus. Von Gehalt im eigentlichen Sinn kann man nur bei den Wärterinnen und Wärtern der Heil- und Pflegeanstalt Illenau und den Nazareth-Brüdern sprechen. Die konfessionellen und karitativen Pflegegruppierungen waren nach dem bereits erwähnten Mutterhausprinzip organisiert. Dies sah nur ein Taschengeld für die Schwestern vor. Im Gegenzug versorgte sie das Mutterhaus im Alter, bei Krankheit und Invalidität. Die Bezahlung für die Arbeit der Schwestern im Krankenhaus erhielt das Mutterhaus. Das Klinikum in Bremen vergütete beispielsweise jede Diakonisse 1921 mit jährlich 400 Mark.27 Von diesen Gestellungsgeldern bestritt das Mutterhaus die Altersrücklagen und weitgehend die Krankenfürsorge der Schwestern.28 Nazareth-Diakone Bei der Gründung 1878 galt noch der Grundsatz, die Brüder während ihres Probejahres unentgeltlich für die Anstalt arbeiten zu lassen. Dadurch sollten einerseits die angehenden Diakone bescheiden bleiben, andererseits wollte man „das Eindringen unlauterer Elemente in die Brüderschaft verhindern“.29 Schließlich einigte man sich darauf, dass die Brüder die ersten sechs Monate der Probezeit unentgeltlich arbeiteten, danach erhielten sie ein Taschengeld

25 UADd, Bestand 30/14, Allgemeine Dienstanweisungen für Schwestern an den allgemeinen Städtischen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf von 1906, § 5. 26 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 182. 27 Schreiben von 1921. HAB, NA-ST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899– 1924. 28 Vermerk von 1928. HAB, Sar 1153, Krankenpflege Allgemeines 1928–1953. 29 HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902, S. 39 f.

5.2 Finanzielle Vergütung

141

von monatlich 75 Mark.30 Die Anstalt kam im Gegenzug für die Kleidung und andere Bedürfnisse der Brüder auf. Diese Regelung wurde im Laufe der Jahre zugunsten eines tatsächlichen Gehalts aufgegeben. So wird im Brüderschaftsbuch von 1902 erwähnt, dass fortan die Brüder Gehälter beziehen sollten.31 Ab dem 1. Januar 1914 galt für die Nazareth-Diakone eine neue Gehaltsordnung, die von dem Historiker Reinhard Neumann als „zeitgemäß“ beschrieben wurde.32 Aus einem Schreiben der Bremer Krankenanstalten von 1915 geht hervor, dass die Brüder, neben 50 Mark Kleidergeld, 600 Mark jährlich verdienten. Allerdings mussten sie, da sie außerhalb des Krankenhauses lebten, mehr Geld für ihre Unterkunft bezahlen. Wegen des Ersten Weltkriegs kam es hinsichtlich der Gehälter zu Sonderregelungen. 1914 ging ein Schreiben an die Brüder, in dem es hieß: Für die unverheirateten Brüder, die jetzt zum Waffendienst einberufen werden, ist [aber] Nazareth nicht in der Lage, das Gehalt weiter zahlen zu können, und es ist im Vorstand auch ein entsprechender Beschluss gefasst worden, dass nur den zur Fahne einberufenen verheirateten Brüdern das Gehalt vorläufig weiter gezahlt werden kann.33

Demnach erhielten nur die Diakone mit Ehefrau oder Familie weiterhin ihr Gehalt, damit deren Frauen und eventuell vorhandene Kinder weiterhin versorgt waren. Im Verlauf des Krieges wurde es zunehmend schwieriger, den Brüderfrauen auch nur anteilsmäßig die Bezüge ihrer Männer auszuzahlen. Stattdessen forderte das Mutterhaus sie auf, staatliche Kriegsunterstützung zu beantragen.34 Während der starken Geldentwertung ab 1922 stiegen die Teuerungszuschläge der Gehälter anfangs um 50–60 %. Im Vergleich hierzu betrug der Teuerungszuschlag 1917 noch 5 Mark. Obwohl die Grundlöhne sich um das 32-Millionen-Fache erhöhten, konnten Verluste für die Brüder nicht ausgeglichen werden. Wie schnell die Hyperinflation voranschritt und in welcher Höhe die Preise stiegen, soll am Beispiel eines Mittagessens in der Anstalt Bethel verdeutlicht werden. Im Mai 1923 bezahlte man 2.000 Mark für ein Essen, einen Monat später hatte sich der Preis bereits verdoppelt, und im September 1923 war er auf eine Million Mark angestiegen.35 Damit die Brüder trotz der stetigen Inflation nicht zu großen finanziellen Schaden erleiden würden, forderte das Mutterhaus die Krankenanstalten dazu auf, den Brüdern entweder wertbeständiges Geld36 oder das Gehalt wöchentlich auszuzahlen37. 30 Vgl. Frick (2002), S. 60. 31 HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902, S. 39 f. 32 Vgl. Neumann (2010), S. 55. 33 Brief von 1914 aus Bethel. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922. 34 Brief ohne Datum. HAB, NA-PA-173-2263. 35 Vgl. Neumann, Reinhard: Manuskript zum Vortrag am 24.2.2006 vor der Bezirkskonferenz OWL im Haus Nazareth, S. 3, online unter http://www.sarepta-nazareth.de/obj/ Bilder_und_Dokumente/Aktuelles/Neumann.pdf (letzter Zugriff: 14.4.2014). 36 Darunter fallen diejenigen Währungen, die nicht der Inflation unterworfen waren. 37 Brief von 1923. HAB, NA-PA-173-2263.

142

5 Arbeitsbedingungen

Unabhängig von den wirtschaftlichen Entwicklungen Anfang der 1920er Jahre kam es innerhalb der Brüderschaft immer wieder zu Unstimmigkeiten über die Höhe der Gehälter anderer Brüderhäuser. Laut einer Rundfrage von 1922 bezahlte Nazareth die höchsten Gehälter, zumindest an die frisch eingetretenen Diakone. In der Diakonenschaft Neinstedt beispielsweise arbeiteten die Brüder die ersten drei Monate ohne Gehalt, danach erhielten sie für drei Monate jeweils 35 Mark, nach weiteren drei Monaten 40 Mark und nach neun Monaten 50 Mark. Nach zwei Jahren kamen die Brüder auf 70 Mark und im dritten Jahr auf 90 Mark monatlich. Nach vier Dienstjahren machte das Gehalt noch einmal einen Sprung auf 130 Mark monatlich.38 Prinzipiell muss man zwischen etatmäßig und nicht etatmäßig angestellten Brüdern unterscheiden. Ersteres traf auf alle verheirateten Diakone zu. Diese finanziell bessere Stellung benötigten sie, um mit einem Gehalt ihre Familie zu ernähren. Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau Es ist schwer, generelle Angaben zum Gehalt der Wärterinnen und Wärter zu machen, da die Arbeitsentlohnung von Faktoren wie Geschlecht, Familienstand und Dienstalter abhängig war. Zudem spielte es auch bei ihnen eine Rolle, ob sie eine etatmäßige Stellung innehatten und somit die Vorzüge einer Vollverbeamtung besaßen. Die Wärterin Adelheid verdiente beispielsweise 1889 jährlich 420 Mark. Von diesem Einkommen wurden folgende Posten abgezogen: 30 Mark veranschlagte man für Unterkunft, nochmals 30 Mark für Emolumente.39 150 Mark berechnete man für die Verpflegung.40 Da das Wartpersonal dem Kost- und Logiszwang unterlag, musste es innerhalb der Anstalt wohnen und sich von ihr verköstigen lassen, d. h. die veranschlagten Posten für Unterkunft und Verpflegung behielt die Anstalt ein. Am Ende blieb ein Barbetrag von 210 Mark. Der aus heutiger Sicht als Nettogehalt einzusehende Betrag erhöhte sich jährlich um 30 oder 20 Mark, so dass die Wärterin 1905 bereits 650 Mark jährlich erhielt. Zusätzlich bekam sie einen sogenannten Einkommenszuschlag41 von 150 Mark, so dass sie auf ein Gesamtgehalt von 1.050 Mark im Jahr kam – das allerdings, nachdem sie über 16 Jahre in der Anstalt gearbeitet hatte. Während ihrer weiteren Dienstjahre erhöhte sich das Gehalt von Wärterin Adelheid. 1916 vermerkte man in ihren Akten einen Wohnungsgeldzuschuss von 250 Mark, mit dem sie auf ein Gesamteinkommen von jährlich 1.460 Mark kam, mit dem Einkommenszuschlag sogar auf 1.610 Mark. 38 Vermerk von 1922. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922. 39 Emolumente sind eine Pauschale für die Kosten von Wäsche und Arzneien, für welche das Wartpersonal selbst aufkommen musste. 40 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 120. 41 Unter Einkommenszuschlag ist eine zusätzliche Geldprämie zu verstehen.

5.2 Finanzielle Vergütung

143

Der Wärter Josef hingegen erhielt im Jahr 1892, als er in die Illenau eintrat, ein Gesamteinkommen von 480 Mark. Der um 60 Mark höhere Betrag kommt zum einen durch das Bareinkommen von 270 Mark und 180 Mark für Verpflegung zustande. Gravierender ist der Gehaltsunterschied im Jahre 1916. Während die Wärterin Adelheid 1.610 Mark verdiente, betrug das Gesamteinkommen von Wärter Josef 1.965 Mark. Mit seinem Einkommenszuschlag kam er sogar auf 2.135 Mark. Hier war ein Wohngeldzuschuss von 280 Mark enthalten.42 Anhand des Vergleichs beider Gehälter wird ersichtlich, dass sich nicht nur das Grundgehalt von Frauen und Männern unterschied, sondern auch die Verpflegungskosten und der Wohngeldzuschlag. Höhere Kostgelder wurden damit begründet, dass Männer mehr essen und somit höhere Verpflegungskosten verursachen. Den höheren Wohngeldzuschlag erhielt Wärter Josef, weil er verheiratet war und somit nicht nur ein Zimmer, sondern eine Wohnung mit seiner Familie bezogen hatte.43 Der anfängliche Gehaltsunterschied von 60 Mark vergrößerte sich im Laufe der Dienstjahre, so dass 1916 der Wärter bereits 525 Mark mehr verdiente. Ein Grund hierfür war sicherlich die Tatsache, dass er eine Familie zu versorgen hatte. Dennoch muss angemerkt werden, dass auch ledige Wärter mehr als Wärterinnen verdienten. Aber auch wenn die Wärter ein höheres Gehalt als die Wärterinnen erhielten, war ihr Einkommen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen immer noch gering. So betrug das eines Wachmannes im Jahr 1888 beispielsweise 1.500 Mark.44 Das Gehalt der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf Bei der Bezahlung der Schwestern wurde zwischen Lehrschwestern, die im ersten Ausbildungsjahr ein monatliches Taschengeld von anfangs 10 Mark und nach dem zweiten Halbjahr 15 Mark erhielten, und den Probeschwestern, welche 1906 ein Jahresgehalt von 360 Mark hatten, unterschieden. Eine ausgebildete Schwester bekam ein Anfangsgehalt von 420 Mark, dies erhöhte sich alle drei Jahre um jeweils 60 Mark bis zu einem Maximalbetrag von 600 Mark im Jahr. Eine Oberschwester konnte bis zu 750 Mark verdienen. Ihr Gehalt begann bei 600 Mark und erhöhte sich alle drei Jahre um 50 Mark.45 Zusätzlich erhielten die Schwestern freie Verpflegung und Unterkunft einschließlich Heizung, Beleuchtung und Arbeitskleidung.46

42 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 118. 43 Die Unterkünfte für die verheirateten Wärter gaben häufig Anlass für Beschwerden. Vertiefendes dazu in Kapitel 7. 44 Angaben nach Koppenhöfer (1980), S. 113. 45 UADd, Bestand 30/14, Besoldungsverordnung für die Pflegeschwestern an den allgemeinen Städtischen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf vom 30.11.1906, § 1. 46 UADd, Bestand 30/14, Besoldungsverordnung für die Pflegeschwestern an den allgemeinen Städtischen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf vom 30.11.1906, § 3.

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5 Arbeitsbedingungen

So sah es jedenfalls die Besoldungsordnung von 1906 vor. Anhand einzelner Personalakten kann man erkennen, dass sich auch hier kontinuierlich die Gehälter erhöht haben bzw. den wirtschaftlichen Entwicklungen angepasst wurden. So erhielt Agnes H. während ihrer Ausbildung 1930 ein monatliches Taschengeld von 20,20 Reichsmark.47 Schwester Else verdiente in ihren ersten Dienstjahren 75 Reichsmark im Monat48 und Schwester Hildegard, die als Vertretungsschwester eingestellt wurde, bekam monatlich 95 Reichsmark49. 5.3 Soziale Leistungen Trotz der Sozialversicherungsgesetze, die ab den 1880er Jahren eingeführt wurden, änderte sich für das Pflegepersonal in Bezug auf die soziale Absicherung erst einmal nichts. In der gesetzlichen Krankenversicherung (1883) und der Unfallversicherung (1884) waren zunächst nur Arbeiter versichert. Die Alters- und Invaliditätsversicherung kam 1889 zustande, erneut zunächst nur für gewerbliche Arbeiter. Zwischen 1885 und 1903 sorgten Abänderungsgesetze dafür, dass die Versicherungspflicht auf weitere Personenkreise ausgedehnt wurde.50 Hinterbliebene wie Witwen und Waisen wurden allerdings erst in der 1911 verabschiedeten Reichsversicherungsordnung berücksichtigt. Das Pflegepersonal war von der 1883 eingeführten gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfasst, „weil Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger durch Paragraph 617 des Bürgerlichen Gesetzbuches im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für sechs Wochen abgesichert waren, d. h. die erforderliche Verpflegung und ärztliche Behandlung durch den Arbeitgeber gewährt werden mussten“.51 Die Reichsversicherungsordnung von 1914 erfasste nun auch die Angestellten privater Kliniken. Eine Sonderstellung hatten bis 1923 die Schwestern eines Mutterhauses, da sie aus einer „inneren Berufung“ heraus unentgeltlich für ein Taschengeld arbeiteten. Im Gegenzug war das Mutterhaus für die Versorgung bei Krankheit oder im Alter- und Invaliditätsfall zuständig. Das Gleiche galt für die Nazareth-Diakone, wenn sie nicht eine etatmäßige Stellung innehatten. Meist besaßen die verheirateten Brüder dieses Privileg. Die Forderungen nach einer angemessenen sozialen Absicherung wurden vor allem durch die B. O. K. D. immer lauter. Dies bewirkte sukzessive ein Umdenken in mancher Pflegegruppierung. Dementsprechend ist das Sitzungsprotokoll des Badischen Frauenvereins von 1914 zu bewerten, in dem es hieß: „die Schwestern werden in die Kranken- und Invalidenversicherung und zwar für letztere in die V. Klasse aufgenommen und ihnen die gesamten Versiche47 48 49 50 51

Personalakte von Agnes Hüttemann. UADd, Bestand 30/14. Personalakte von Else Bender. UADd, Bestand 30/14. Personalakte von Hildegard Bleck. UADd, Bestand 30/14. Hierzu Ayaß (2012). Vgl. Hähner-Rombach: Kranke Schwestern (2009), S. 210.

5.3 Soziale Leistungen

145

rungsbeiträge, auch soweit sie gesetzlich dem Arbeitnehmer zur Last fallen, gewährt.“52 Trotz dieser Öffnung grenzten sich die Rot-Kreuz-Schwestern, zu denen die Schwestern des Badischen Frauenvereins gehörten, von den gewerblichen Arbeiterinnen ab und hoben den religiösen und karitativen Charakter ihrer Schwesternschaft hervor.53 Auch für die Wärterschaft in der Irrenpflege wurden gesetzliche Regelungen gefordert. Bereits 1897 veröffentlichte die Zeitschrift Die Irrenpflege einen Appell für eine ausreichende soziale und finanzielle Absicherung des Wartpersonals. Dies sollte durch angemessene Bezahlung, Geldprämien nach längerer Dienstzeit, Pension, Witwen- und Waisenversorgung und eine Aufnahme in die Unfallversicherung verwirklicht werden.54 5.3.1 Invaliditäts- und Altersabsicherung Im Folgenden sollen aus den Quellen der verschiedenen Pflegegruppierungen einige Beispiele für das darin erwähnte Greifen bzw. Nichtgreifen der Kranken-, Alters- und Invaliditätsversicherung aufgezeigt werden. Gemäß einer Statistik der B. O. K. D. von 1901 lag die durchschnittliche berufliche Leistungsfähigkeit der Schwestern bei 8,6 Berufsjahren, nach zehn Jahren waren viele bereits invalide.55 Anhand dieser Zahlen wird die Bedeutung einer angemessenen sozialen Absicherung ersichtlich. Die Stadt Düsseldorf übernahm die Beiträge von wöchentlich 36 Pfennig für eine Invaliditäts- und Altersversicherung der Rot-Kreuz-Schwestern.56 Das spätere Ruhegehalt wurde jedoch vom Mutterhaus an die Schwestern ausbezahlt. Der Pflegealltag barg ein hohes Infektionsrisiko, aus einer Erkrankung konnte schnell eine spätere Berufsunfähigkeit werden. Besonders fatal konnte sich dies für die Schwestern auswirken, wenn die Versicherung die Leistung ablehnte und das Mutterhaus sich nicht mehr zuständig fühlte. Berufsunfähigkeit am Beispiel einer Rot-Kreuz-Schwester aus Düsseldorf Schwester Helene trat 1924 als Schülerin der Städtischen Krankenanstalt Düsseldorf dem Mutterhaus des Roten Kreuzes bei. Bei der Einstellungsuntersuchung konnte man keinerlei gesundheitliche Einschränkungen feststellen. Bei einer erneuten Untersuchung 1927 fand man in der linken Lungenseite auffällige Tuberkelherde, dennoch arbeitete sie weiterhin im Operationssaal, bis sie 52 Berichte der Abt. III des Frauenvereins und Antworten 1914–1918. GLA, Bestand 69 Baden, Geheimes Kabinett der Großherzogin Luise, Nr. 892. 53 Sitzung der Abteilung III, 2.9.1921. GLA, Bestand 69 Baden, Geheimes Kabinett der Großherzogin Luise, Nr. 894. 54 Alt (1897), S. 19. 55 Vgl. Bischoff (1984), S. 119. 56 UADd, Bestand 30/14, Besoldungsverordnung für die Pflegeschwestern an den allgemeinen Städtischen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf vom 30.11.1906, § 5.

146

5 Arbeitsbedingungen

1929 schwer erkrankte. Die Tuberkulose hatte sich inzwischen auf beide Lungenseiten ausgedehnt. Zur Erholung schickte man sie für fast sieben Monate zur Kur nach Davos. Dort erhielt sie die Kündigung. Weitere anfallende Kurkosten und der Aufenthalt in Davos würden vom Roten Kreuz und anteilsmäßig über die Betriebskrankenkasse beglichen werden. In einem Schreiben bat Schwester Helene um Rücknahme der Kündigung bzw., da sie, wie alle Schwestern, Mitglied der Unfallversicherung war, um ein Ruhegeld aus der Rentenkasse. Einige Wochen nach ihrem Gesuch vermerkte man in ihrer Personalakte, dass ihr keinerlei finanzielle Leistungen zugesprochen werden. Weil sie nie auf einer Station mit offener Tuberkulose eingesetzt war, bestand laut einem medizinischen Gutachten der Medizinischen Klinik Düsseldorf kein Zusammenhang zwischen ihrem Leiden und ihrer beruflichen Tätigkeit. Vielmehr ging man von einer familiären Disposition aus, da innerhalb eines Jahres sowohl ihr Vater als auch ihr Bruder an Tuberkulose gestorben waren.57 Schwester Helene erhielt also keinerlei finanzielle Unterstützung, weder von der Versicherungsanstalt noch vom Mutterhaus. Ein ähnliches Schicksal ereilte Schwester Gertrud. Diese erkrankte, während sie auf der Infektionsabteilung eingesetzt war, an einem Erysipel. Später diagnostizierte man bei ihr eine Herzinsuffizienz, die sie zwar subjektiv nicht einschränkte, aufgrund derer sie jedoch keine Festanstellung im Städtischen Krankenhaus erhielt. Wegen ihrer wenigen Berufsjahre hatte sie noch keinen Pensionsanspruch erworben.58 Das bedeutete eine Tragödie für diese noch junge Schwester, da sie mit einer eingeschränkten Erwerbsfähigkeit auch in einem anderen Berufszweig wenig Hoffnung auf eine Festanstellung hatte. Die Brüderpensionskasse der Nazareth-Diakone Um von anderen Versicherungen unabhängig zu sein, gründeten die Nazareth-Diakone 1878 eine eigene Brüder-Pensionskasse. Diese sollte zur materiellen Absicherung bei Arbeitsunfähigkeit und im Todesfall für die Versorgung der Ehefrauen und Kinder dienen.59 Das Vermögen der Pensionskasse wuchs von 1887 bis 1902 von 10.000 Mark auf eine Summe von 123.669,37 Mark. Diese Steigerung ergab sich aus einer Zunahme der Mitglieder. Anfangs gehörten 51 Diakone und im Jahr 1902 bereits 165 der Brüderpensionskasse an. Die Auszahlungen erfolgten gestaffelt nach Dienstjahren. So erhielten beispielsweise im Jahr 1900 ledige Brüder im Invaliditätsfall nach 10, 15 und 20 Dienstjahren 400, 500 und 600 Mark. Verheiratete Diakone bekamen jeweils 100 Mark mehr. Die Witwen 57

Personalakte der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf; Tender, Helene. UADd, Bestand 30/14. 58 Personalakte der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf; Hardt, Gertrud. UADd, Bestand 30/14. 59 HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902, S. 156.

5.3 Soziale Leistungen

147

wurden mit 300, 350 und 400 Mark unterstützt, je nach Anzahl der Dienstjahre ihrer verstorbenen Ehemänner, Kinder berücksichtigte man bis zum 16. Lebensjahr mit jeweils 75 Mark.60 Mit der neuen Gehaltsordnung von 1914 erhöhten sich auch die Altersbezüge. Eheleute erhielten nun nach 25 Dienstjahren 1.500 Mark, unverheiratete Diakone bekamen 1.000 Mark und Witwen 750 Mark.61 Anfangs waren die Pensionsbeiträge der Brüder mit jährlich sechs Mark sehr gering. Bis 1920 stieg der Jahresbeitrag allerdings auf 200 Mark an.62 Die Beiträge wurden nach der Pensionskassenordnung berechnet und richteten sich nach der Diakonen-Besoldungsordnung. Man nahm 5 % der Summe von Grundgehalt und Hausstandsgeld.63 Das tatsächliche Gehalt der einzelnen Brüder konnte je nach Einsatzort von den berechneten Werten abweichen, da die Ortszuschläge variierten. Die regelmäßige Einzahlung in die Brüderpensionskasse führte immer wieder zu Problemen. Die Brüder zahlten nur unregelmäßig ein und mussten dann mehrere Monatsbeiträge auf einmal aufbringen, was für sie zu finanziellen Engpässen führte. Um dem vorzubeugen, beschloss man 1924, den Betrag automatisch monatlich vom Gehalt abzubuchen.64 Wegen der instabilen Währungssituation wurden ab 1923 die Beiträge in Goldmark erhoben; so bezahlte ein in Bremen eingesetzter Nazareth-Diakon monatlich 5 Goldmark.65 Unabhängig von der Brüderpensionskasse hatten die Diakone eine Invaliditätsversicherung. So wurde 1921 eine Invalidenrente für Bruder Wilhelm beantragt, der wegen eines Lungenleidens nicht mehr arbeitsfähig war. Im Antrag hieß es: „für die Dauer seiner Invalidität auf Grund von § 1255 R. V. G.“66 5.3.2 Krankenversicherung Im Krankheitsfall genossen die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf kostenlose ärztliche Behandlung und Verpflegung in der zweiten Verpflegungsklasse der allgemeinen Städtischen Krankenanstalten für die Dauer von bis zu 26 Wochen.67 Das Wartpersonal musste bei Krankenhausaufenthalten einen gewissen Anteil der Behandlungs- bzw. Verpflegungskosten übernehmen. Der Wärter 60 HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902, S. 157. 61 Vgl. Neumann (2010), S. 49. 62 Aktennotiz von 1920. HAB, NA-ST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899– 1924. 63 Aktennotiz von 1924. HAB, NA-ST-127, Bremen Krankenanstalten 2, 1923–1926. Hausstandsgeld erhielten verheiratete Brüder, die eine eigene Familie zu versorgen hatten. 64 Aktennotiz von 1924. HAB, NA-ST-127, Bremen Krankenanstalten 2, 1923–1926. 65 Aktennotiz von 1924. HAB, NA-ST-127, Bremen Krankenanstalten 2, 1923–1926. 66 Brief von 1921. HAB, NA-ST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899–1924. 67 UADd, Bestand 30/14, Besoldungsverordnung für die Pflegeschwestern an den allgemeinen Städtischen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf vom 30.11.1906, § 4.

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5 Arbeitsbedingungen

Lehmann z. B. war an Tuberkulose erkrankt und musste für drei Monate ins Sanatorium. Er erhielt für diesen Zeitraum von der Anstalt weiterhin seine Barbezüge. Auch der Abschlag für Verpflegung wurde ihm ausbezahlt. Dafür musste er die täglichen Verpflegungskosten von zwei Mark zahlen. Bei sehr hohen Behandlungskosten konnte das Wartpersonal finanzielle Hilfe aus dem allgemeinen Unterstützungsfonds beantragen.68 Trotz dieser finanziellen Unterstützungen gab es Fälle, in denen dem Wartpersonal ein Ausscheiden aus der Anstalt nahegelegt wurde. In der Personalakte von Wärterin Bertha gibt es einen Vermerk von 1902, der lautet: Falls dieselbe, wie nach dem vorgelegten ärztlichen Zeugnisse anzunehmen ist, nicht in der Lage sein wird, auf obigen Zeitpunkt ihren Dienst wieder zu übernehmen, wird deren Entlassung unter Gewährung eines Unterstützungsgehalts nach § 45 B. G. in Erwägung zu ziehen sein.69

Aus ihren Unterlagen geht hervor, dass sie nicht entlassen wurde. Inwieweit sie sich jedoch von ihrer Krankheit wieder erholte, ist nicht ersichtlich. Sie verstarb 1925 nach 35 Dienstjahren.70 Sonderfall Zahnersatz Aus den Quellen der Nazareth-Brüder geht hervor, dass für zahnärztliche Behandlungen zu einem Drittel die Landesversicherungsanstalt aufkam. Ein weiteres Drittel übernahm das Brüderhaus, das verbleibende Drittel musste der Betreffende selbst tragen.71 Allerdings konnten die Behandlungskosten derart hoch ausfallen, dass die Begleichung bei einem bescheidenen Einkommen nicht immer problemlos möglich war. In Ausnahmefälle gewährte Bethel einen Zuschuss, wie bei Bruder Ewald, der 1921 neben einer Goldbrücke auch eine Goldkrone für einen Zahn benötigte. Bethel gab ihm zusätzlich 80 Mark.72 Auch in den Personalakten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf sind finanzielle Zuschüsse vermerkt. So erhielt Schwester Mary 1924 für ihre Zahnarztrechnung in Höhe von 80,40 Mark eine Beihilfe von 30 Mark.73 Hinterbliebenenbezüge von Witwen und Waisen der Heil-und Pflegeanstalt Illenau Für die Hinterbliebenenversorgung von 1911 gibt es Beispiele in den Personalakten der verheirateten Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau. Beispielhaft werden hier die Bezüge der Witwe des verstorbenen Wärters Josef vorgestellt. Josef Baudendiestel trat 1881 in die Anstalt ein. Als er 1930 im Alter von 73 Jahren verstarb, hatte er nach 49 Dienstjahren die Stellung eines Oberpflegers im Ruhestand inne. Die Witwenrente betrug 60 % des Ruhege68 69 70 71 72 73

StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1518. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1922. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1922. Vermerk von 1919. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922. Vermerk von 1921. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922. Personalakte der Rot-Kreuz-Schwester Mary Schriewer. UADd, Bestand 30/14.

5.4 Urlaub

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haltes, im Fall von Wärter Josef waren das 1.878 RM. Diese Summe entsprach 80 % des zuletzt erhaltenen Einkommens.74 Im Zusammenhang mit einem im Ersten Weltkrieg gefallenen Wärter ist 1918 die Rede von einem Sterbegehalt, welches die Witwe Helene Bäuerle erhielt. Der an sie auszuzahlende Betrag von 432,50 Mark setzte sich aus dem Diensteinkommen für drei Monate (370 Mark) und dem Wohnungsgeld von 62,50 Mark zusammen.75 Aus den Akten geht nicht hervor, ob es sich hierbei um eine einmalige Zahlung handelte oder um eine lebenslange Witwenrente. 5.4 Urlaub Der Urlaub dient üblicherweise zur Erholung von der anstrengenden Arbeit. Weiter oben wurde bereits ausgeführt, wie lang ein Arbeitstag im Krankenhaus sein konnte. Manche Mutterhäuser hatten für ihre Brüder und Schwestern auch eigene Erholungshäuser, in denen sie wieder zu Kräften kommen konnten. Häufig nutzten die Schwestern und Brüder ihren Urlaub, um ihre Familien oder Verwandte zu besuchen. Die verschiedenen Pflegegruppierungen hatten unterschiedliche Urlaubsregelungen; meist waren diese nach Dienstjahren gestaffelt. So sah die Heilund Pflegeanstalt Illenau für ihr Wartpersonal jeden Monat einen freien Werktag vor76, während der Urlaub ganz vage je nach Dienstalter zwischen 10 Tagen und vier Wochen pro Jahr veranschlagt wurde. Inwieweit dieser auch tatsächlich dem Personal gewährt wurde, ist aus den Personalakten nicht zu ersehen, dafür sind die Einträge zu rudimentär – ein Problem, welches für alle Pflegegruppierungen, mit Ausnahme der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, gilt. Für die Nazareth-Diakone regelte die Berufsordnung unter Paragraph 7 den Urlaub. Noch 1914 hieß es darin: Der Probebruder hat im ersten Dienstjahr keinen Anspruch auf Urlaub, dauert die Probezeit länger als ein Jahr, so stehen ihm von da ab 10 Tage Urlaub im Jahre zu. Der Hilfsbruder erhält im ersten Jahre 14 Tage, von da ab ebenso wie der eingesegnete Bruder womöglich jedes Jahr 14 Tage Urlaub. Nachurlaub wird nur bei genügendem Nachweis seiner Notwendigkeit bewilligt. Damit die Verbindung mit der Familie und Heimat gepflegt wird, erhalten die Brüder zu solchen Reisen zwei Drittel der Kosten über 5 Mark.77

Im Laufe der Jahre wurde diese Regelung zugunsten langjährig tätiger Diakone überarbeitet. Entsprechend findet sich für 1929 die Regelung, dass eingesegnete Brüder 21 Tage Urlaub erhielten. Nach zehn Dienstjahren standen

74 75 76 77

StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 118. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 126. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 672. HAB, Berufsordnung für die Diakone der Westfälischen Brüderanstalt Nazareth bei Bielefeld 1914, S. 57.

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5 Arbeitsbedingungen

einem Diakon vier Wochen Erholung zu. Die Tage wurden jeweils mit 1,50 Reichsmark vergütet.78 Ein Brief von 1917 berichtet, wie die Diakonenanstalt Nazareth versuchte, für die Erholung ihrer Brüder während des Ersten Weltkriegs zu sorgen. Durch den Krieg kam es in vielen Bereichen zu Ausnahmesituationen, so auch hinsichtlich der Urlaubsvergabe. So berichtete Bruder Gruber beispielsweise, dass sein letzter Urlaub von zwei Wochen im Jahre 1913 gewesen sei. Damit er sich trotz der schwierigen Zeiten etwas erholen konnte, versetzte man ihn für vier Wochen in ein anderes Aufgabengebiet. In der Annahme, dass die leichte Arbeit ihm Freude bereite und er sich dabei auch erholen könne, löste man gleichzeitig einen dort eingesetzten Bruder ab, damit dieser ebenfalls Urlaub machen konnte.79 Das Mutterhaus ermöglichte den Brüdern also Erholung, indem es Diakonen zeitweise weniger beschwerliche Arbeit zuwies. In Anbetracht des damaligen Personalmangels war dies eine ökonomisch sinnvolle Möglichkeit. Wie die Erholung von den Brüdern tatsächlich wahrgenommen wurde, blieb allerdings unerwähnt. Den Sarepta-Diakonissen gewährte man ebenfalls Urlaub. Es ist jedoch schwer, anhand der Eintrittsbücher darüber genaue Angaben zu machen, da häufig unter der Rubrik lediglich „Erholung“ „bei Verwandten“ oder in „Salem“ oder auf „Amrum“80 vermerkt wurde. Bei Letzteren handelt es sich um Erholungsheime81 für Diakonissen. Neben einem verdienten Erholungsurlaub könnte dies jedoch auch ein Hinweis auf eine Genesungsphase nach durchlittener Krankheit sein. Einzelne Stichproben weisen auf einen Jahresurlaub von durchschnittlich vier Wochen hin. Die Schwestern nahmen sich diesen wochenweise, meist 14 Tage am Stück.82 In Hinsicht auf die Urlaubsregelung stellte die Rot-Kreuz-Schwesternschaft eine Ausnahme dar, und zwar weniger bezüglich der Dauer als vielmehr hinsichtlich der akribischen Dokumentation eines jeden einzelnen Urlaubstages. Die Urlaubsregelungen sahen für die Schwestern innerhalb der ersten zwei Dienstjahre drei Wochen Urlaub vor. Danach erhöhte sich dieser auf bis zu vier Wochen.83 Für die Oberschwestern gab es bereits ab dem ersten 78 79 80 81

82 83

Vermerk von 1929. HAB, NA-ST-128, Bremen städtische Krankenanstalten 3, 1927– 1930. Brief von 1917. HAB, NA-PA-137-2493. Bei dem Erholungsheim auf Amrum handelt es sich um das 1880 eingeweihte christliche Seehospiz; vertiefend dazu: Eckhardt/Gmelin (1893). „Alt-Salem“ wurde 1881 als erstes Erholungsheim für die Schwestern eingeweiht. Die „Villa Augusta“, ein Erholungsheim in Nizza, wurde 1887 von Sarepta übernommen, „Neu-Salem“ wurde 1888 eröffnet. Weitere Erholungsheime waren das „Christliche Hospiz Bad Pyrmont“, welches 1899 gegründet wurde, sowie um 1910 die „Schwarze Liesl“ in Bad Gastein. Angaben beziehen sich auf die Eintrittsbücher der Sarepta-Diakonissen von 1880 bis 1930. UADd, Bestand 30/14, Anstellungs- und Besoldungsbestimmungen sowie allgemeine Dienstanweisungen für die Pflegeschwestern an den allgemeinen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf von 1907, § 8.

5.5 Erkrankungen

151

Dienstjahr vier Wochen Urlaub.84 Anhand der Karteikarten lässt sich genau nachvollziehen, wie viel Urlaub jede Schwester genommen hatte. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Rot-Kreuz-Schwestern meist ihre Erholungszeit erhalten haben und darüber hinaus auch mehrere Tage unbezahlten Urlaub nehmen konnten.85 5.5 Erkrankungen Das Pflegepersonal war durch seine Arbeit im Krankenhaus einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Und wenn man die Arbeits- und Lebensbedingungen berücksichtigt, wundert man sich, dass sich zum Thema Krankheit in den Akten nicht mehr Informationen finden. In den Personalakten der Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau gibt es nur einzelne Vermerke wie „Wärter Josef erkrankte an Rheuma“86 oder folgende Notiz: „Wärter Baudendiestel wurde vom 1.01.1910 bis 31. März aus gesundheitlicher Rücksichtnahme vom Nachtdienst pausiert. Auch wurde ihm gestattet, während der gesamten Zeit ständig zu Hause zu schlafen.“87 Man erfährt zwar, dass der betreffende Wärter für drei Monate kränkelte, jedoch bleibt man im Unklaren, weswegen er keinen Nachtdienst machen konnte. Auch die genaue Anzahl an Krankheitstagen ist nur vereinzelt aus den Akten zu ersehen. Das Gleiche gilt für die Nazareth-Diakone. Erkrankte Brüder werden hauptsächlich bei Bittgesuchen nach mehr Personal erwähnt. So hieß es 1929 aus den Bremer Krankenanstalten: Wir sind in Noth. Es liegen zur Zeit neun Brüder krank. Andere halten sich trotz Hetzerei, Rückenschmerzen, daher möchte ich denken, das Fieber wird wohl von selbst abklingen. Können Sie mir nicht noch einen Bruder schicken?88

In den Stationsbüchern der Sarepta-Diakonissen wurden zwar akribisch sogenannte Erholungstage dokumentiert, doch wie bereits erwähnt, sind diese nicht eindeutig einer Genesung oder einem Urlaubstag zuzuordnen. Die einzelnen Erkrankungen wurden nicht vermerkt; darüber geben allerdings Briefe der Schwestern Auskunft, die somit einen Eindruck von wiederkehrenden Krankheitswellen vermitteln. Umfangreichere Informationen erhält man für die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf und die Clemensschwestern aus Münster. Für Erstere wurden die Erkrankungen mit den entsprechenden Fehltagen präzise auf Karteikarten dokumentiert. Von 424 erfassten Schwestern liegen für 354 diesbezügliche Informationen vor. Dies bedeutet allerdings 84 UADd, Bestand 30/14, Besoldungsverordnung für Oberschwestern an den allgemeinen Städtischen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf von 1906, § 14. 85 Eigene Berechnungen, Personalkarteikarten Rot-Kreuz-Schwestern. UADd, Bestand 30/14. 86 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 118. 87 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 118. 88 Brief aus den Bremer Krankenanstalten von 1929. HAB, NA-ST-128, Bremen städtische Krankenanstalten 3, 1927–1930.

152

5 Arbeitsbedingungen

nicht, dass 16 % der Schwestern nie krank gewesen wären, vielmehr liegen für diesen Prozentsatz keine Angaben vor. Entweder waren sie nach kurzer Zeit bereits wieder ausgetreten oder waren erst eingetreten, so dass deren Erkrankungen außerhalb des Untersuchungszeitraumes lagen.89 Eine Sterbechronik gibt bei den Clemensschwestern Auskunft, an welcher Krankheit sie gelitten haben oder gestorben sind.

Erkrankungen der Atmungsorgane: 53,12 % Herz-Kreislauf-Erkrankungen: 19,76 % Magen-Darm-Erkrankungen: 13,30 % ohne Angaben: 4,28 % Neurologische Erkrankungen: 4,13 % Erkrankungen des Bewegungsapparates: 2,55 % Harnwegs- und Geschlechtserkrankungen: 2,70 % Hauterkrankungen: 0,15 % Erkrankungen der Augen und Ohren: 0,15 %

Grafik 37: Übersicht über die Erkrankungen, an denen die Clemensschwestern verstarben oder vor ihrem Tode gelitten haben (1880–1930) Quelle: MAM, Sterbechronik der Barmherzigen Schwestern aus Münster, eigene Berechnungen

Die Hälfte der Clemensschwestern hatte Erkrankungen der Atemorgane, darunter waren Pneumonie und Lungentuberkulose mehrheitlich aufgeführt. Knapp 20 % der Schwestern litten an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. An dritter Stelle kamen die Magen-Darm-Erkrankungen, welche in der Chronik überwiegend als Magen- bzw. Darmleiden bezeichnet wurden. Aber auch Infektionserkrankungen wie Typhus und Ruhr fallen in diese Rubrik. Verhältnismäßig gering erscheinen die ca. 5 %, die eine neurologische Erkrankung aufwiesen. Dahinter verbarg sich jedoch keine dem fortgeschrittenen Alter entsprechende Krankheit wie beispielsweise Apoplex, sondern zum größten Teil eine Meningitis.90 2,7 % litten an einer Beeinträchtigung der Nieren, fast genauso viele Nonnen an Knochentuberkulose oder an „Wirbelsäulenleiden“, welche hier unter Erkrankungen des Bewegungsapparates zusammengefasst wurden. Verschwindend gering sind die Diagnosen von Haut-, Augen- und Ohrenerkrankungen vertreten.

89 UADd, Personalkarteikarten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, eigene Berechnungen. 90 Bei schlechtem Allgemeinzustand und geschwächtem Immunsystem kann es sich durchaus auch um eine tuberkulöse Meningitis handeln.

5.5 Erkrankungen

153

Für die Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwestern kann ebenfalls eine Übersicht der einzelnen Krankheiten erstellt werden. Von allen aufgeführten Krankheiten stehen auch hier mit 34 % die Atemwegserkrankungen an erster Stelle, und zwar ausschließlich aufgrund einer Infektion. Eher gering sind mit 6,27 % die Magen-Darm-Erkrankungen, darunter auch Erkrankungen der Gallenblase. Knapp 3 % der Schwestern waren wegen eines Unfalls nicht arbeitsfähig. Unklar bleibt jedoch, ob es sich um Arbeitsunfälle handelte und welche Art der Verletzung die Schwestern sich zuzogen. Durchschnittlich waren diese an 9,5 Tagen im Jahr krank.91 Das scheint besonders gering, wenn man zum Vergleich eine Statistik der B. O. K. D. heranzieht. 1906 wurden 944 Schwestern zu ihren Fehlzeiten befragt. 24,6 % von ihnen waren an durchschnittlich 47 Tagen krank gewesen. Die Auswertung der weiteren Jahre zeigt, dass die Tendenz steigend war. So beantworteten 1911 2.914 Schwestern den Fragebogen, 33,3 % waren an durchschnittlich 59,1 Tagen krank.92 Selbst im Vergleich mit einer Statistik aus dem 21. Jahrhundert erscheinen die durchschnittlichen 9,5 Krankheitstage der Düsseldorfer Rot-KreuzSchwestern sehr niedrig. Laut Statistik der Techniker Krankenkasse betrugen die Fehlzeiten der Beschäftigten in der Krankenpflege im Jahr 2010 durchschnittlich 17,5 Tage.93 War das Pflegepersonal erkrankt, sorgte entweder die Anstalt oder das Mutterhaus für die Genesung. Für den Fall, dass die Schwestern oder Brüder in ein Krankenhaus „entsendet“ waren, regelte der Gestellungsvertrag die gesundheitliche Versorgung. Im Vertrag zwischen Bethel und den Bremer Krankenanstalten hieß es 1899 in Paragraph 8: Wenn eine Schwester ernstlich krank wird, so hat die Verwaltung der Krankenanstalt ein besonderes Zimmer in der Nähe der Schwesternstation zum Krankenzimmer einzuräumen, damit eine Schwester ihre Pflege besorgen kann.94

Je nachdem, an welcher Krankheit die betroffene Diakonisse litt, wurde sie von ihren Mitschwestern gepflegt. Für den Fall, dass sie für einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig blieb, musste das Mutterhaus für Ersatz sorgen. Dies war mit finanziellen Unkosten verbunden, da auch das Reisegeld vom Mutterhaus bezahlt wurde. In einem späteren Vertrag von 1946, der mit dem Johanniter-Krankenhaus in Altena abgeschlossen wurde, hieß es in Paragraph 6, dass für die Versorgung im Krankheitsfall ausschließlich das Mutterhaus verantwortlich sei. Dafür erhielt es einen monatlichen Beitrag von 5,– RM pro Schwester von der Stadt Altena.95

91 92 93 94 95

UADd, Personalkarteikarten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, eigene Berechnungen. Vgl. Hummel/Seidler/Kuhlo (1986), S. 128. http://www.presseportal.de/pm/6910/2042071 (letzter Zugriff: 14.4.2014). Gestellungsvertrag zwischen Bremen und Bethel von 1899. HAB, NA-ST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899–1924. Vertrag von 1946 mit dem Johanniter-Krankenhaus. HAB, Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus I, 1875–1909 (6).

154

5 Arbeitsbedingungen

Komplizierter schien die Gesundheitsversorgung bei den Nazareth-Diakonen gewesen zu sein. In einem Brief aus Bremen von 1914 wurden zwei Möglichkeiten geschildert, wie ein auf längere Zeit erkrankter Bruder versorgt werden konnte. Entweder bringe man ihn nach Bethel, so dass Nazareth für die weitere Pflege aufkommen müsse. Oder er gehe direkt von Bremen aus in eine Heilanstalt, dann stünden die bremischen Anstalten in der Verpflichtung.96 Aus diesem Beispiel geht hervor, dass die Behandlung zumindest für den Bruder selbst kostenlos war. Von 1922 gibt es allerdings einen Vermerk, in dem es hieß: In Krankheitsfällen müssen die Brüder einen Teil der Krankenhauskosten selbst tragen. Die ärztliche Behandlung ist dort in Bremen ja wohl ebenso frei wie hier (Bethel), weiter dürfte auch die Medizin aus der Krankenhaus-Apotheke kaum angerechnet werden […].97

Anscheinend war nur die Behandlung am Einsatzort oder im Mutterhaus kostenfrei. Für den Fall, dass ein Diakon einer speziellen Behandlung bedurfte, wurden die Kosten nicht automatisch übernommen. Es gab immer wieder Differenzen zwischen dem Mutterhaus in Bethel und der Direktion der Bremer Krankenanstalten. Meist ging es darum, wer letztendlich eine Spezialbehandlung oder einen Erholungsaufenthalt in einer Heilanstalt bezahlen musste.98 Eine längere Erkrankung bedeutete auch für das Wartpersonal der Illenau einen finanziellen Schaden, da nach sechs Wochen kein Gehalt mehr bezahlt wurde.99 5.5.1 Berufsbedingte Erkrankungen Unter berufsbedingte Erkrankungen der Pflegenden fallen zum einen die verschiedenen Leiden des Bewegungsapparates vor allem der Wirbelsäule, welche durch das ständige schwere Heben und Tragen von Patienten hervorgerufen wurden. Zum anderen gehörten dazu alle Arten von Infektionserkrankungen, die entweder von den Patienten oder Mitpflegenden übertragen wurden. Eine besondere Rolle spielte hierbei die Tuberkulose, die bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nur konservativ behandelt werden konnte und bis dahin eine hohe Mortalitätsrate aufwies.100 Ein weiterer Aspekt, welcher jedoch nicht eindeutig zu belegen ist, sind psychische Erkrankungen, die von traumatischen Erfahrungen und dem ständigen Kontakt mit Krankheit und Tod herrührten. Dies galt besonders für diejenigen, welche in der Kriegskrankenpflege tätig 96 Brief aus Bremen von 1914. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922. 97 Vermerk von 1922. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922. 98 Brief aus Bremen von 1929. HAB, NA-ST-128, Bremen städtische Krankenanstalten 3, 1927–1930. 99 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1922. 100 Vertiefend Hähner-Rombach (2000). Zur Tuberkulose unter dem Pflegepersonal HähnerRombach: Kranke Schwestern (2009).

5.5 Erkrankungen

155

waren. Aber auch die Irrenpflege war nervlich sehr belastend. Von den wenigen dokumentierten Erkrankungen der Wärterinnen und Wärter der Heilund Pflegeanstalt Illenau waren 11,17 % den psychischen oder gar psychiatrischen Beschwerden zuzuordnen.101 In der Mehrzahl waren Wärterinnen davon betroffen. Infektionserkrankungen Bei allen untersuchten Pflegegruppierungen wurden als häufigste Erkrankungen Angina, Pneumonie oder Grippe erwähnt. Diese Krankheiten tauchten vermehrt in den kalten Wintermonaten auf. Auch waren sie ein Anzeichen für schlechte Versorgung mit Nahrungsmitteln und starke Arbeitsbelastung. Eine übermüdete und überarbeitete Schwester, die zudem nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt wurde, war anfälliger für Infekte. Je nachdem, in welchem körperlichen Allgemeinzustand die bzw. der Erkrankte sich befand, konnte die Erkrankung sich hinziehen und in einigen Fällen, zumindest bei der Pneumonie, auch zum Tode führen. Der Zusammenhang zwischen Ernährung und Krankheitsanfälligkeit war durchaus bekannt. Als 1899 zahlreiche Nonnen erkrankten, ordnete Mutter Helena, eine Clemensschwester aus Münster, an, dass die Schwestern sich stärken und bis zur Fastenzeit ein belegtes Butterbrot zu sich nehmen sollten.102 Die Rot-Kreuz-Schwestern erhielten, wie bereits erwähnt, bei starkem Gewichtsverlust Sonderrationen an Milch oder Sahne.103 Weitaus schwieriger war die Genesung bei Krankheiten wie Tuberkulose, Typhus oder Diphtherie. Besonders gefährdet waren die Pflegenden in den Krankenhäusern. Einerseits, weil sie unmittelbaren Kontakt mit den daran Erkrankten hatten, andererseits barg der ständig wechselnde Patientenkontakt auch die Gefahr, sich an einer noch nicht diagnostizierten Krankheit anzustecken. 1884 berichtete das Bielefelder Sonntagsblatt über erneute Todesfälle aufgrund von Tuberkulose und Typhus innerhalb der Sarepta-Schwesternschaft. Unsere Diakonissenschaft hat im Laufe des letzten Jahres [noch] mehr schmerzliche Opfer zu bringen gehabt als je zuvor. Drei junge Schwestern sind mitten in ihrer Jugendkraft aus ihrer fröhlichen Arbeit zur ewigen Ruhe abgerufen worden, zwei nach wenigen Krankheitstagen am Typhus und eine auch an sehr schnell zur Auflösung führender Lungenschwindsucht.104

101 Unter psychischen Beschwerden wurden innere Unruhe, nervöses Leiden und psychische Erschöpfung zusammengefasst. Als psychiatrische Erkrankungen galten Depression und Psychose sowie in einem Fall Suizidalität. 102 Auszug aus der Chronik der Barmherzigen Schwestern aus Münster von 1899. MAM, Chronik: Bd. 3 18/67 (1898–1908). 103 Beispielsweise 1930 Schwester Grete; ihr wurde eine tägliche Zulage von ¼ Liter Sahne für die Dauer von zwölf Wochen zugesprochen. Vermerkt in Personalakte der Rot-KreuzSchwester Margarete Beeck. UADd, Bestand 30/14. 104 Artikel des Bielefelder Sonntagsblatts, 23.3.1884, Nr. 13. HAB, Sar Sarepta Jahresberichte und Schmelzhütten 1860–1937.

156

5 Arbeitsbedingungen

Grafik 38 zeigt die Erkrankungen, an denen die Nonnen vor ihrem Tode gelitten haben. Mehr als die Hälfte hatten Infektionskrankheiten, davon 38 % Tuberkulose.105 Des Weiteren infizierten sie sich mit Typhus und Ruhr. Zum Vergleich soll eine Untersuchung des Leiters der Kaiserswerther Krankenpflegeschule, Dr. Fritz Tromp, herangezogen werden. Er analysierte die Todesursachen der dortigen Diakonissen von 1840 bis 1914. Ansteckende Krankheiten waren bei den Diakonissen in 33,95 % aller Fälle die Todesursache; die hiervon überwiegend Betroffenen waren mit 60,97 % Probeschwestern. Unter den infektiösen Erkrankungen findet man neben Tuberkulose und Typhus auch Cholera, Ruhr und Diphtherie sowie Scharlach, Masern und Lues. Als Haupttodesursache nannte Tromp die Lungentuberkulose (120 Schwestern von insgesamt 433). Er betonte jedoch, dass nicht jede an Tuberkulose erkrankte Schwester in der Pflege tätig war und somit keine Ansteckung durch Patienten erfolgt sein konnte.106 An zweiter Stelle führte er die Altersschwäche an (73 Schwestern von 433). Zu dieser Rubrik zählte er alle Schwestern, die bei ihrem Tode 70 Jahre und älter und nicht an einem Karzinom oder Tuberkulose gestorben waren.107

Infektionskrankheiten: 64,39 % chronische Erkrankungen: 16,83 % akute Erkrankungen: 13 % keine vorherigen Erkrankungen: 5,86 %

Grafik 38: Übersicht über die Erkrankungen, an denen die Barmherzigen Schwestern aus Münster verstarben oder vor ihrem Tode gelitten haben (1880–1930) Quelle: MAM, Sterbechronik der Barmherzigen Schwestern aus Münster, eigene Berechnungen

Genauere Angaben über Infektionserkrankungen können, wie bereits erwähnt, für die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf gemacht werden. Beinahe 70 % der in den Karteikarten dokumentierten Krankheiten zählen zu den Infektionskrankheiten.

105 MAM, Sterbechronik der Barmherzigen Schwestern aus Münster, eigene Berechnungen. 106 Tromp (1914), S. 186. Von 94 erkrankten Schwestern waren zehn nie in der Krankenpflege tätig gewesen. 107 Tromp (1914), S. 186 ff.

157

5.5 Erkrankungen

Mit fast 35 % stehen an erster Stelle Atemwegserkrankungen wie Bronchitis, Angina oder Lungenentzündungen. Danach kommen erstaunlicherweise Hauterkrankungen, die 23 % aller Erkrankungen ausmachten. Im Einzelnen fallen darunter hauptsächlich Panaritium108 und Furunkel109. Letztere können durch enganliegende und scheuernde Kleidung hervorgerufen werden. Unter „sonstige Erkrankungen“ fallen Augen- und Ohrenentzündungen, Einzelfälle von Kinderkrankheiten wie Mumps, Masern und Röteln oder Gefäßentzündungen.

Atemwegserkrankungen: 34,66 % Hauterkrankungen: 23,69 % Grippe: 22,69 % Sonstige Erkrankungen: 8,48 % Abszess: 4,74 % Scharlach: 2,99% Diphterie: 2,74 %

Grafik 39: Übersicht über die einzelnen Infektionserkrankungen der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf (1907–1930) Quelle: UADd, Karteikarten der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, eigene Berechnungen

Im Vergleich zu den Barmherzigen Schwestern aus Münster gab es nur eine Schwester, die an Tuberkulose erkrankte. Ein Abszess kann aufgrund einer bakteriellen Infektion oder aber infolge einer Operation sowie einer verabreichten Injektion oder durch das Eindringen eines Fremdkörpers entstehen. Für die dokumentierten Fälle, die knapp 5 % aller Infektionserkrankungen ausmachten, wurden keine detaillierteren Angaben über Lokalisation oder Entstehung des Abszesses gemacht. Aufgrund der Häufigkeit wurden Scharlach mit beinahe 3 % und Diphtherie mit 2,7 % separat gelistet. Bis zur Entwicklung der Antibiotika-Therapie war Scharlach vor allem wegen seiner Folgeerkrankungen an Herz und Nieren gefürchtet.110 Heutzutage besteht keine generelle Meldepflicht für Scharlach, jedoch haben Sachsen und Thüringen das Infektionsschutzgesetz ausgeweitet, so dass Erkrankung und Todesfall für diese Krankheit dort angezeigt werden müssen.111 Nach diesem Einblick in die Häufigkeit der verschiedenen Erkrankungen stellt sich die Frage, inwieweit sich das Personal wirklich am Patienten infiziert 108 109 110 111

Eitrige Entzündung des Fingers oder des Zehs mit Gewebeeinschmelzung. Tiefe Entzündung des Haarbalgs mit Abszessbildung. http://www.schule.at/dl/merkblattscharlach_Szbg.pdf (letzter Zugriff: 14.4.2014). Robert Koch-Institut (2009), S. 46 f.

158

5 Arbeitsbedingungen

hatte. Eine valide Aussage lässt sich darüber nur schwer machen. Sicher ist jedoch, dass die Schwestern durch die Behandlung von infektiösen Patienten einem erhöhten Risiko ausgesetzt waren. Dies attestierte 1931 der Arzt einer an Grippe erkrankten Schwesternschülerin. Er schrieb, dass sie damals in unserer Station J III, wo sie Dienst hatte, eine gehäufte Infektionsmöglichkeit angetroffen hatte, nämlich 2 schwere Gelenkrheumatiden bei Erwachsenen mit Diphtherie kombiniert, 6 schwere Anginen und Plaut-Vincent112. […] Bei dieser ausserordentlich großen Möglichkeit sich zu infizieren, muss ich die Patientin von mir aus als Berufserkrankung anmelden.113

Es gibt keine weiteren Informationen, welche Folgen das ärztliche Attest nach sich zog. Allerdings gibt es einen Vermerk von 1932, in dem es heißt, dass die Schülerin Maria Geusen nach ihrem Examen nicht übernommen werden könne, da sie „gesundheitlich den Anforderungen des Krankenpflegedienstes in unserer Anstalt nicht gewachsen“114 sei. Tuberkulose Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts forderte Tuberkulose einen hohen Tribut an Krankheits-, Invaliditäts- und Todesfällen. In dem Zeitraum zwischen 1892 und 1902 verstarben im gesamten Deutschen Reich durchschnittlich 237 von 100.000 Menschen an Tuberkulose.115 Mit der Entdeckung des Tuberkuloseerregers im Jahre 1882 wuchs das öffentliche Interesse an der Erkrankung, von der man nun wusste, dass sie hochansteckend war. In diesem Kontext wurden verschiedene Untersuchungen durchgeführt. In Bezug auf das Pflegepersonal ist die des Arztes Georg Cornet (1858–1915)116, der 1889 eine Studie über die Sterblichkeitsverhältnisse in den Krankenpflegeorden durchführte, relevant117. Sein Untersuchungsschwerpunkt lag bei den katholischen Ordensschwestern. Durch die geringe Fluktuation waren konstante Ausgangsdaten gegeben, um zu einem aussagekräftigen Ergebnis zu kommen. Laut Cornet starben von 1863 bis 1887 mehr als 2/3 der katholischen Ordensschwestern an Tuberkulose. Gründe hierfür sah er neben der Ansteckung bei der Pflege von Patienten auch in einem erneuten Ausbrechen von bereits bestehenden Krankheitsherden.118 Er stützte seine These auf das Absinken der hohen Tuberkulosemortalität nach Einhaltung hygienischer Standards.119 112 Angina Plaut-Vincent ist eine seltene Form der Tonsillitis (Mandelentzündung). 113 Brief von 1931 in Personalakte der Rot-Kreuz-Schwester Maria Geusen. UADd, Bestand 30/14. 114 Brief von 1932 in Personalakte der Rot-Kreuz-Schwester Maria Geusen. UADd, Bestand 30/14. 115 Vgl. Prinzing (1906), S. 392. 116 Zu Georg Cornet siehe Fischer (1932), S. 267. 117 Cornet (1889). Dazu auch Hähner-Rombach: Kranke Schwestern (2009). 118 Auszug aus der Münsterischen Anzeige, ohne Datum, 4. Blatt, Nr. 1223. MAM, Chronik: Bd. 2 34/141 (1928–1938). 119 In den Jahren 1887 und 1888 verstarben 150 und 160 Schwestern von 10.000, in den Jahren 1893 und 1894 sank die Zahl der Tuberkulosemortalität auf 60 und 70 Schwestern von 10.000. Siehe Tromp (1914), S. 184.

5.5 Erkrankungen

159

Auch nach einer Untersuchung von Alfred v. Lindheim verstarben im Zeitraum von 1877 bis 1902 von den Barmherzigen Schwestern 94 % vor dem 50. Lebensjahr.120 Die Tuberkulose-Sterblichkeit in Münster im Allgemeinen und bei den Ordensschwestern im Speziellen wurde ebenfalls öffentlich thematisiert. So schrieb die Tageszeitung Münsterische Anzeige Ende der 1920er Jahre über die im Vergleich zum Deutschen Reich stark angestiegene Sterblichkeit in Münster während des Ersten Weltkriegs. Eine Ursache war sicherlich die Lebensmittelknappheit, welche 1918 auf einen täglichen Kalorienwert von durchschnittlich 1.402 kcal berechnet wurde. Des Weiteren sah man einen Grund für den starken Anstieg im hohen Rentneranteil, der sich für sein entwertetes Geld nur notdürftig mit Lebensmitteln versorgen konnte.121 Neben der Bevölkerung waren die Barmherzigen Schwestern ebenfalls stark von der Tuberkulosesterblichkeit betroffen. In der Chronik der Barmherzigen Schwestern beklagte man mehrfach die vielen an Tuberkulose verstorbenen Schwestern. Wegen der steigenden Zahl veranlasste die Oberin 1918, die an Tuberkulose erkrankten Schwestern von den anderen Nonnen zu isolieren. Für sie wurde eine Station mit eigener Küche und Refektorium eingerichtet. Die Schwerstkranken verlegte man in ein Zimmer, welches an die Kapelle grenzte. Durch ein angebrachtes Fenster konnten diese dem Gottesdienst von ihren Betten aus beiwohnen.122 Grafik 40 zeigt den Verlauf der Sterberate der Clemensschwestern aus Münster über den Untersuchungszeitraum hinweg. Prinzipiell schien es einen ständigen Wechsel von Anstieg und Abnahme der Mortalität gegeben zu haben, zumindest bis zur Jahrhundertwende. Innerhalb des gesamten Untersuchungszeitraums teilten sich die Todesfälle an Tuberkulose folgendermaßen auf: Ein Viertel starb bis 1900 und drei Viertel starben von 1900 bis 1930. Im ersten Zeitintervall gab es den Höhepunkt im Jahr 1885, in dem 84,62 % aller verstorbenen Nonnen an Tuberkulose erkrankt waren. Ab 1908 gab es einen rasanten Anstieg, der seine Spitze 1917 hatte. Danach nahm die Häufigkeit tendenziell wieder ab. Bis 1924 wechselten sich Abnahme und Anstieg der Mortalität jährlich ab. Für die späteren Jahre zeichnet die Kurve einen dynamischen Abfall, also einen prägnanten Rückgang der Tuberkulose als Todesursache. Die schlechte Versorgungslage der Nonnen gegen Ende des Ersten Weltkriegs und in den Nachkriegsjahren war für den starken Anstieg der Tuberkulose mitverantwortlich. Viele von ihnen waren geschwächt und somit stark krankheitsanfällig. Zudem zeichnet sich in diesem Zeitraum insgesamt für alle Tuberkuloseerkrankten ein Rückgang an Heilverfahren in Lungenheilanstalten ab.123 120 Vgl. Lindheim (1905), S. 167 ff. 121 Auszug aus der Münsterischen Anzeige, ohne Datum, 4. Blatt, Nr. 1223. MAM, Chronik: Bd. 2 34/141 (1928–1938). 122 Vermerk Chronik 1918. MAM, Chronik: Bd. 1 27/43 (1918–1928). 123 Vgl. Hähner-Rombach (2000), S. 73 f.

5 Arbeitsbedingungen

35 30 25 20 15 10

1930

1925

1920

1915

1910

1905

1900

1895

1890

0

1885

5 1880

Anzahl der verstorbenen Nonnen in absoluten Zahlen

160

Zeit in Jahren

Grafik 40: Übersicht über die an Tuberkulose verstorbenen Barmherzigen Schwestern aus Münster (1880–1930) Quelle: MAM, Sterbechronik der Barmherzigen Schwestern aus Münster, eigene Berechnungen

Das durchschnittliche Alter der verstorbenen Nonnen – für die Jahre 1917 und 1924 exemplarisch berechnet – lag bei 36 Jahren. Zu diesem Ergebnis kam bereits Cornet für seine frühere Untersuchungsphase. Eine weitere Übereinstimmung betraf die durchschnittlichen Berufsjahre (zwölf).124 Es waren also nicht die jungen, unerfahrenen Schwestern, die sich mit der Krankheit infiziert hatten, sondern durchaus erfahrene Nonnen. Ein weiterer Punkt, der im Zusammenhang mit Krankheit nicht außer Acht gelassen werden darf, ist der Umgang der Nonnen mit körperlichen Beschwerden. Duldsamkeit, Demut und Selbstlosigkeit ließen die eigenen körperlichen Belange nebensächlich erscheinen.125 Krankheit wurde oft nicht wahrgenommen, Symptome wurden verdrängt. Ein Leben für die Anstalt und die Hintanstellung der eigenen Person führten dazu, dass die Nonnen häufig zu spät Beschwerden wahrnahmen und einen Arzt konsultierten. Auch unter den Sarepta-Diakonissen gab es an Tuberkulose erkrankte Schwestern.126 1928 erhielt das Mutterhaus vom preußischen Minister für Volkswohlfahrt „Anweisungen zur Verhütung der Ansteckung mit Tuberkulose für in Anstalten tätige Krankenpflegepersonen“.127 Neben der regelmäßigen Schulung der Pflegenden wurden Punkte wie Erholung, Schlaf, Ernährung 124 Für die Barmherzigen Schwestern aus Münster wurden Stichproben für die Jahre 1917, 1918 und 1923 gemacht. Die Dauer der Berufstätigkeit für diese Jahrgänge bewegte sich zwischen 13,2 und 11,75 Jahren. 125 Vgl. Hähner-Rombach: Kommentar (2008), S. 384. 126 HAB, Sar Briefe von Schwestern aus verschiedenen Stationen 1886–1969 (unverzeichnet). 127 Schreiben des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt von 1928, I M. III 3871/27. HAB, Sar 1153, Krankenpflege Allgemeines 1928–1953.

5.5 Erkrankungen

161

und Unterbringung angesprochen.128 Auch hier wurde wieder der Zusammenhang zwischen erhöhter Krankheitsanfälligkeit und schlechtem körperlichen Allgemeinzustand hergestellt. Kriegsbedingte Erkrankungen Während des Ersten Weltkriegs waren zahlreiche Diakonissen, Nonnen, Diakone und Wärter in der Kriegskrankenpflege eingesetzt. Nicht alle kehrten unversehrt in das Mutterhaus bzw. in die Anstalt zurück. Es sind nicht nur die körperlichen Schäden, mit denen die Pflegenden zu kämpfen hatten, auch psychische Probleme schränkten das Arbeitsvermögen und die Lebensqualität der Betroffenen stark ein. Wegen der Quellenlage beschränke ich mich im Folgenden ausschließlich auf die männlichen Pflegegruppierungen.129 Aus einem Vermerk geht hervor, dass 1919 die Heil- und Pflegeanstalt Illenau aufgrund des Mangels an Wärtern Kriegsbeschädigte einstellte, obgleich diese durch ihre gesundheitlichen Einschränkungen nicht zu jedem Dienst herangezogen werden konnten.130 Doch mit der Zeit stellte sich heraus, dass die Beschäftigung von nicht voll leistungsfähigen Wärtern schwierig war. Exemplarisch soll das Schicksal von Wärter Otto Seifermann beschrieben werden. Mit 21 Jahren trat der junge Schreiner in die Anstalt ein. 1914 wurde er zum Militärdienst einberufen. Zu diesem Zeitpunkt war er erst zwei Jahre in der Anstalt und verdiente jährlich 960 Mark. Während des Krieges erlitt er eine Granatschussverletzung am rechten Bein. Man attestierte ihm, dass er aufgrund der Verletzung für längere Zeit das Bein nur beschränkt bewegen könne. Zurück in der Illenau, wurde er verbeamtet und erhielt die Genehmigung zur Heirat. Aus seiner Personalakte ist zu entnehmen, dass er seine volle Arbeitsfähigkeit nicht mehr erlangte. In einem Schreiben von 1924 entgegnete die Fürsorgestelle von Achern dem Antrag der Anstalt auf Versetzung in den Ruhestand: „Seifermann wüsste nicht, wie er im Falle der Zuruhesetzung seine Familie durchbringen könnte.“131 So wie ihm erging es vielen Männern, die durch den Krieg ihre Arbeitskraft verloren und zudem noch eine Familie zu ernähren hatten. Von den Nazareth-Diakonen waren ebenfalls viele zum Heeresdienst eingezogen worden. Nach ihrer Rückkehr wurde 1919 die Einsegnung einiger Brüder abgelehnt. Aus dem Schreiben lässt sich schließen, dass die betreffenden Diakone an einer Depression litten. Formulierungen wie „fanden wir leider die volle Freudigkeit nicht“132 sowie „ein regeres Interesse an der Arbeit gewinnen und einen fröhlicheren Eifer an den Tag legen“133 beschreiben die

128 Schreiben des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt von 1928, I M. III 3871/27. HAB, Sar 1153, Krankenpflege Allgemeines 1928–1953. 129 Für weitere Informationen über Kriegskrankenpflege siehe Stölzle (2013). 130 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2349. 131 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2293. 132 Vermerk von 1919. HAB, NA-PA-133-2293. 133 Vermerk von 1919. HAB, NA-PA-137-2333.

162

5 Arbeitsbedingungen

Gemütslage der Brüder. Um die verbliebene Arbeitskraft zu erhalten, schickte Nazareth einige Diakone 1924 in Kur.134 5.6 Arbeitsunfälle Am Beispiel der Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwestern sollen die verschiedenen Arten von Arbeitsunfällen vorgestellt werden. 3 % der erwähnten Erkrankungen basierten auf einem Arbeitsunfall. Typisch für die Krankenpflege waren Nadelstichverletzungen bzw. ganz allgemein Stichverletzungen. Es gibt beispielsweise eine Unfallanzeige von Schwester Josephine von 1931, die eine solche Verletzung beim Abwaschen benutzter Instrumente in der Ohrenambulanz erlitt, als sie sich mit einem Watteträger in den rechten Zeigefinger stach. Obwohl sich der Hergang harmlos anhört, wurde die Schwester für acht Tage krankgeschrieben.135 Eine Schnittverletzung zog sich auch Schwester Sybilla beim Lösen eines Fadens zu, mit dem eine Drainage am Patienten fixiert war. Zunächst heilte der Finger zusehends, bis er nach zehn Tagen erste Entzündungsanzeichen zeigte, aufgrund dessen der Nagel des Fingers entfernt werden musste.136 Eine weitere häufig dokumentierte Unfallart waren Stürze aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die bereits erwähnte Schwester Josephine hatte 1929 eine Nasenbeinverletzung, da sie mit einem Frühstückstablett ausgerutscht und beim Fallen mit der Nase auf den in der Teeküche stehenden Eisschrank aufgeschlagen war.137 Besonders anfällig für Stürze schien Schwester Sybilla gewesen zu sein. 1930 rannte sie zum Telefon und rutschte dabei auf dem glatten Boden aus. Die Folge waren Quetschungen von Brust und Armen. Einige Monate später fiel sie aufs Knie, als sie bereits verspätet zum Nachtdienst in die Klinik gerannt und auf einem vor dem Eingang liegenden Stück Obst ausgerutscht war.138 Wesentlich schlimmere Folgen hatte der Sturz von Schwester Margarete: Sie glitt während des Dienstes aus und fiel auf eine Flasche Formalinseifenlösung, die sie in der Hand hielt. Die Glasscherben zerschnitten ihr die rechte Hand, wobei ihre Pulsader, Sehnen und Nerven betroffen waren. Im Unfallbericht des Arztes hieß es 1930: „Sämtliche Beugesehnen waren bis auf den Knochen durchtrennt desgleichen der Nervus und Arteria ulnaris.“139 134 Aktennotiz von 1924. HAB, NA-ST-127, Bremen Krankenanstalten 2, 1923–1926. 135 Vermerk von 1931 in Personalakte der Rot-Kreuz-Schwester Josephine Dahlmann. UADd, Bestand 30/14. 136 Vermerk von 1932 in Personalakte der Rot-Kreuz-Schwester Sybilla Dressbach. UADd, Bestand 30/14. 137 Vermerk von 1929 in Personalakte der Rot-Kreuz-Schwester Josephine Dahlmann. UADd, Bestand 30/14. 138 Vermerk von 1930 in Personalakte der Rot-Kreuz-Schwester Sybilla Dressbach. UADd, Bestand 30/14. 139 Vermerk von 1930 in Personalakte der Rot-Kreuz-Schwester Margarete Cadenbach. UADd, Bestand 30/14.

5.6 Arbeitsunfälle

163

Manche Unfälle blieben ohne gesundheitliche Folgeschäden, andere führten zu einer Erwerbsminderung – so im Falle von Schwester Margarete. 1932 attestierte man ihr 40 % Erwerbsunfähigkeit aufgrund eines Arbeitsunfalls. Die Konsequenz war, dass sie nach der Ausbildung keine Festanstellung in der Klinik erhielt.140 In der Heil- und Pflegeanstalt Illenau In Bezug auf Arbeitsunfälle gab es in psychiatrischen Anstalten eine Besonderheit. Neben den bereits vorgestellten allgemein bekannten Arbeitsunfällen, die im Arbeitsalltag des Krankenhauses auftraten, wies die Irrenpflege eine zusätzliche Gefahrenquelle auf: Verletzungen, die aufgrund von Gewaltausbrüchen der Pfleglinge hervorgerufen wurden. Während der Arbeit mit psychiatrischen Patienten kam es in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau immer wieder zu sogenannten „Dienstunfällen“, die ganz unterschiedliche Folgen für das Personal hatten. So erlitt der Wärter Franz eine Schlüsselbeinfraktur, weil er zwischen die Fronten zweier Pfleglinge geraten war, deren Streit er schlichten wollte.141 Wärter Wilhelm hingegen erhielt mit einem Eisenstiel einige Schläge auf den Kopf. Er war mit einer Gruppe Patienten auf dem Feld, als einer von diesen auf ihn losging.142 Sowohl die Wärter als auch die Wärterinnen waren Opfer der Wutausbrüche der Patienten. 1913 wurde die Wärterin Barbara verletzt, in ihrer Akte heißt es dazu: Die Wärterin Barbara Feuerer wurde am 18. Juli 1913, als sie den Streit zweier Patientinnen in F4 schlichten wollte, von einer der Streitenden durch Faustschläge auf den Kopf zu Boden geschlagen. Sie erlitt dabei eine leichte Gehirnerschütterung und war einige Augenblicke bewusstlos. ¼ Stunde nach dem Unfall sah Barbara Feuerer noch sehr blass aus und hatte einen schwachen, doch regelmäßigen und nicht verlangsamten Puls. Sie erholte sich dann rasch, klagte aber noch mehrere Tage über Kopfweh, krampfartiges Gefühl in der Herzgegend, Schwindelgefühl und Appetitlosigkeit, so dass sie zu Bett liegen musste.143

Neben den körperlichen Schmerzen blieb häufig auch eine psychische Beeinträchtigung zurück. Vor allem das weibliche Personal stand den Ausbrüchen der Pfleglinge vielfach hilflos gegenüber. Zum einen waren sie den Patienten häufig körperlich unterlegen, zum anderen waren sie mit dem zunehmend angewandten „Non-restraint“-Ansatz überfordert. In dem oben beschriebenen Fall litt die Wärterin noch längere Zeit an Appetitlosigkeit und Herzbeschwerden. Für eine andere Wärterin, Magdalena, ging es dagegen um eine fragliche Erwerbsunfähigkeit aufgrund eines Gewaltausbruchs eines Pfleglings. Die Anstaltsdirektion stellte den Anspruch auf Unfallrente in Frage. Jedoch hieß es 1912 in einer Abschrift des Verwaltungshofs aus Karlsruhe: „Der Angriff, den

140 Vermerk von 1932 in Personalakte der Rot-Kreuz-Schwester Margarete Cadenbach. UADd, Bestand 30/14. 141 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 342. 142 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2441. 143 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 617.

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5 Arbeitsbedingungen

die Wärterin Wetzel im Dienst erlitten hat, stellt jedenfalls einen ,Unfall‘ dar.“144 Die psychische Belastung der Irrenpflege wurde in dieser Arbeit bereits mehrmals angesprochen. Knapp 10 % der Wärterinnen verließen die Anstalt aufgrund von gesundheitlichen Problemen. Häufig finden sich hierbei Bemerkungen wie „nervöse Störungen“, „nervöses Leiden“, Depressionszustände oder melancholische Verstimmungen. In diesem Zusammenhang ist eine Statistik der B. O. K. D. aufschlussreich, die die Todesursachen der verstorbenen Schwestern von 1903 bis 1913 untersuchte. An erster Stelle stand mit 31,1 % die Tuberkulose, es folgte mit 22,2 % Tod durch Suizid.145 Eine erschreckend hohe Anzahl an Schwestern nahm sich also das Leben. Agnes Karll erklärte dies folgendermaßen: Zu der traurig hohen Selbstmordziffer ist besonders zu betonen, daß darunter nicht ein einziges Mal Liebeskummer oder Leichtfertigkeit […] die Veranlassung waren. In einigen Fällen handelte es sich um ausgesprochen schwere geistige Erkrankungen, in den anderen um psychische Störungen verschiedener Formen und Grade, teils auf körperlicher Erschöpfung oder Erkrankung beruhend. Dass wir unter Schwestern stets Fälle von Alkoholismus und Morphinismus finden, ist nicht erstaunlich. Der Erschöpfte, der weiter arbeiten muß, greift nach jedem Strohhalm und schmerzhafte Leiden, Schlaflosigkeit und Depressionen bilden oft genug den erklärlichen und entschuldbaren Anlaß zum Beginn der Gewöhnung.146

Hinweise auf Morphinabhängigkeit oder Suizid finden sich in den Quellen der hier untersuchten Schwesternschaften nicht. Jedoch lassen Austrittszahlen und Kündigungsgründe sowie die desolaten Arbeitsbedingungen darauf schließen, welchen Belastungen die Schwestern und Brüder bzw. Wärterinnen und Wärter täglich ausgesetzt waren. 5.7 Resümee Die Arbeitsbedingungen der untersuchten Pflegegruppierungen im ausgehenden 19. Jahrhundert müssen nicht nur im Vergleich zu den heutigen, sondern auch zu denen anderer Berufe im selben Zeitraum als desolat bezeichnet werden. Lange, anstrengende Arbeitseinsätze wurden von den Schwestern und auch Brüdern erwartet, schließlich assoziierte man Pflegen mit aufopferungsvoller Fürsorge. Man verstand darunter einen christlichen Liebesdienst und weniger einen Beruf, an den Bedingungen, aber auch Forderungen geknüpft waren. Die B. O. K. D. setzte sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Schwestern ein. Forderungen wie ein angemessenes Gehalt, ausreichende soziale Absicherung für den Krankheits- und Invaliditätsfall sowie im Alter waren vor allem für Berufsschwestern zentral. Die Schwestern und Brüder, die 144 StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2653. 145 Vgl. Hummel/Seidler/Kuhlo (1986), S. 148. 146 Vgl. Karll (1910), S. 108, zit. n. Hummel/Seidler/Kuhlo (1986), S. 149.

5.7 Resümee

165

einem Mutterhaus angehörten, wurden nach ihrer Einsegnung in den verschiedenen Lebenslagen versorgt. Erst mit der Aufnahme der Pflegekräfte in die gesetzlichen Versicherungen verlagerte sich zunehmend die Fürsorge vom Mutterhaus auf den Wohlfahrtsstaat und trug damit auch zur Verberuflichung der Pflege bei. Auch das Wartpersonal der Heil- und Pflegeanstalt Illenau arbeitete unter schwierigen Bedingungen. Für die etatmäßig angestellten Wärterinnen und Wärter galten tariflich ausgehandelte Gehälter und gesetzlich geregelte Versicherungen. Die genannten Beispiele, in denen um finanzielle Zuschüsse gebeten wurde, zeugen jedoch davon, dass diese nicht immer ausreichend waren. Vergleicht man die verschiedenen Pflegegruppierungen im Hinblick auf deren Vergütung, muss man anstaltsinterne Regelungen berücksichtigen. Dazu gehörten beispielsweise der Kost- und Logiszwang des Wartpersonals oder die Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel, um zur Arbeit zu kommen, welche die Nazareth-Diakone in Bremen zeitweise selbst tragen mussten. Zusätzlich wirkten sich die privaten Verhältnisse auf das Gehalt der Brüder und Wärter aus. Trotz dieser Variablen kann man festhalten, dass Frauen und Männer unterschiedlich bezahlt wurden. Dies ist jedoch ein Missstand, der nicht ausschließlich ein Phänomen des Pflegeberufes war und auch heute noch vielfach existiert. Die schwierigen Arbeitsbedingungen und die anstrengende Arbeit machten viele Pflegende im wahrsten Sinne des Wortes krank. Sie litten hauptsächlich an Infektionserkrankungen, welche durch ihren schlechten Allgemeinzustand begünstigt wurden. Wenig Schlaf, zu kurze Erholungsphasen und eine häufig unzureichende Verpflegung kamen einem Raubbau am eigenen Körper gleich. Erste Krankheitssymptome wurden meist nicht wahr- oder ernst genommen, da Hintanstellung der eigenen Person vor allem in den konfessionellen Pflegegruppierungen als Tugend galt. Doch auch psychische Leiden resultierten vielfach aus dem Pflegealltag, sei es durch die Erfahrungen und Erlebnisse während des Ersten Weltkriegs oder sei es durch die tägliche Konfrontation mit Leid und Tod. Eine spezielle Rolle spielte hierbei die Betreuung psychisch Kranker, welche eine ganz besondere nervliche Belastung darstellte.

6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen 6.1 Ausbildung Die theoretische und praktische Ausbildung des Pflegepersonals gab während des 19. und 20. Jahrhunderts immer wieder Anlass zu Diskussionen. Mit dem Krankenpflegegesetz von 1906 versuchte man, einen gewissen qualitativen Standard festzulegen, auch wenn die Prüfung nur fakultativ war. Die Schulung des Personals verlief je nach Pflegegruppierung anders, und so entstand der Unterschied zwischen „staatlich geprüften“ und „ärztlich geprüften“ Schwestern.1 Im Folgenden soll beleuchtet werden, wie die Ausbildung der einzelnen Pflegegruppierungen zu Beginn des Untersuchungszeitraums aussah und inwieweit sich diese durch die staatliche Gesetzgebung veränderte. Grundsätzlich unterteilte man die Ausbildung in einen theoretischen und einen praktischen Teil. Für alle untersuchten Pflegegruppierungen gab es noch einen dritten Aspekt, den der Persönlichkeitsbildung. Man wollte vor allem die Diakonissen zu religiösen, demütigen Schwestern erziehen. Der Begriff Demut2 verkörpert in der christlichen Tradition ein wesentliches Element der inneren Haltung eines Christen und bedeutet die völlige Unterordnung des Einzelnen unter Gottes Willen3. Sarepta-Diakonissen Die Ausbildung zur Diakonisse war in erster Linie eine religiöse, weniger eine medizinisch geprägte. Wie bereits mehrfach angesprochen, wurde die Tätigkeit in der Krankenpflege nicht als Beruf aufgefasst, sondern als ein Akt der Nächstenliebe. Somit lag der Schwerpunkt der Ausbildung auf der geistlichsittlichen Unterweisung und einer dementsprechend geprägten Persönlichkeitsbildung.4 Neben Demut gehörte für Friedrich v. Bodelschwingh zu den zentralen Zielen der Schwesternerziehung auch die Bereitschaft der Diakonissen, für den diakonischen Dienst zu sterben.5 In einer Schilderung des Schwesternunterrichts in den 1920er Jahren: Vom ersten Anfang an kommt die werdende Schwester in den Unterricht hinein – im Vordergrund steht die Persönlichkeitsbildung, da es zunächst das Wichtigste ist, dass die Schwester sich in den Gedankenkreis der neuen Gemeinschaft einlebt.6

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Vgl. Riesenberger (2002), S. 105. Das Motiv der demütigen Schwester zieht sich durch die gesamte Diakonissenliteratur. Dazu Disselhof (1931), S. 37–50. Vgl. Umland (1992), S. 126. Schwesternunterricht. HAB, Sar 670, Ausbildung der Schwestern 1925–1928. Vgl. Benad: Und wenn Du (1997), S. 84. Schilderung des Schwesternunterrichts, ohne Jahresangabe. HAB, Sar 670, Ausbildung der Schwestern 1925–1928.

6.1 Ausbildung

167

Der gemeinsame Unterricht diente mitunter auch dazu, die Schwesternschaft zusammenzuschweißen. Die Sarepta-Schwestern erhielten sowohl eine theoretische als auch eine praktische Unterweisung. Letztere geschah meist durch die direkte Anleitung von erfahrenen Schwestern auf den verschiedenen Stationen und Arbeitsfeldern.7 Der Stundenplan sah neben einer religiös-sittlichen sowie einer diakonischen Unterweisung auch Unterricht in Deutsch, Rechnen, Geschichte und Erdkunde vor. Daneben gab es noch Handarbeit, Flickstunde und Küchenarbeit sowie Anstandsstunden und Anleitung zum Schreiben von Briefen.8 Zu den tatsächlich pflegeorientierten Fächern gehörten theoretische Krankenpflege, „Verbandstunde“ und Massage, allerdings nahmen diese drei Unterrichtseinheiten im Stundenplan nur fünf Wochenstunden ein.9 In einem späteren Schreiben10 wurden noch die Fächer Nahrungsmittellehre und „praktische Krankenpflege“ genannt. Letztere hatte das Verhalten der Schwestern am Krankenbett mit ihren verschiedenen Arbeiten und ihre Beziehung zum Arzt und den Angehörigen zum Inhalt.11 Nach etwa 1 ½ Jahren sah die Ausbildungsregelung einen sechsmonatigen Theorieblock vor. Während die Schwestern den sogenannten „Kleinen Kursus“ besuchten, waren sie von ihrer Arbeit auf Station freigestellt. Die dort gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse wurden anschließend verarbeitet und vertieft. Im Vordergrund des Unterrichts standen Fächer wie Bibelkunde, Kirchenkunde, Geschichte und Deutsch. Die meisten Schwestern legten nach einer Ausbildungszeit von zwei bis drei Jahren das staatlich anerkannte Krankenpflegeexamen ab. Nach bestandener Prüfung wurden sie erneut von ihrer praktischen Arbeit befreit, um den „Großen Kursus“ zu besuchen. Er dauerte drei bis vier Monate. Auch hier standen verstärkt diakonische und religiöse Fächer im Vordergrund, doch auch Deutsch, Geschichte sowie Bürgerkunde und Wohlfahrtspflege waren Bestandteil des Unterrichts.12 Nach Kursende erhielt der Pastor eine Beurteilung über den Unterricht insgesamt und die Bildungsergebnisse der Schülerinnen. Diese fiel nicht immer positiv aus. Häufig wurden die mangelnde geistige Begabung und der schlechte Bildungsstand beklagt. Hier spiegelte sich das Vorurteil von der 7 Unterrichtsplan für Sarepta-Diakonissen, ohne Jahresangabe. HAB, Sar 504, Ausbildung der Schwestern 1906–1924. Siehe Kruse (1987), S. 67. 8 Das Schreiben von Briefen gehörte mitunter zu den Aufgaben der Schwestern, welche im Lazarett eingesetzt waren. Aber auch mit dem Mutterhaus pflegten sie einen regelmäßigen schriftlichen Austausch. Die Arbeit von Stölzle (2013) stützt sich zum Großteil auf Briefe der Schwestern; dazu auch Klein (2002). 9 Stundenplan der Sarepta-Schwestern. HAB, Sar 504, Ausbildung der Schwestern 1906– 1924. 10 Das Schreiben enthält keine Jahresangabe, die Signatur verweist jedoch auf die Jahre 1925 bis 1928. 11 Schilderung des Schwesternunterrichts, ohne Jahresangabe. HAB, Sar 670, Ausbildung der Schwestern 1925–1928. 12 Schilderung des Schwesternunterrichts, ohne Jahresangabe. HAB, Sar 670, Ausbildung der Schwestern 1925–1928.

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6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen

mangelhaft gebildeten Diakonisse aus der unteren sozialen Schichtung wider. Exemplarisch hier ein Zitat aus einem Bericht über den „Großen Kursus“ von Januar 1929: Hinzu kam bei diesem Kurs die große Anzahl von Schwestern und ihre geringe geistige Befähigung. Infolgedessen ist unter großer Mühe verhältnismäßig wenig erreicht worden. Es erscheint daher ratsam, in den Herbstkurs die größere Zahl von Schwestern, und zwar die weniger begabten, zu nehmen. Noch besser wäre es, wenn überhaupt die Kurszeit auf vier Monate verlängert würde.13

Aufgrund der mangelnden schulischen Vorbildung mancher Schwestern führte man für sie einen Vorkurs ein, um ein solides Basiswissen zu schaffen. Dieser Kurs fand neben ihrer praktischen Arbeit statt.14 Auffallend war zudem ein angeblicher Unterschied zwischen den Sommer- und den Winterkursen. So hieß es in einer Beurteilung von 1925, „dass die Schwestern in den Sommerkursen leistungsfähiger und fröhlicher sind als in den Winterkursen“.15 Gründe hierfür sah man zum einen im besseren Gesundheitszustand der Schwestern im Sommer. Zum anderen würde sich durch das enge Zusammenleben vieler Menschen besonders im Winter eine gereizte Stimmung und Ungeduld in der Kursgemeinschaft entwickeln. Außerdem forderte man eine verbesserte Beleuchtung im Lehrsaal, da im Winterkurs ein Drittel der Schwestern einer augenärztlichen Behandlung bedurfte, wohingegen im Sommerkurs keine Notwendigkeit dafür bestand.16 Inwieweit man dieser Forderung nachkam, ist aus den vorliegenden Quellen nicht ersichtlich. Bezüglich des Schwesternunterrichtes gab es die Bereitschaft, neue Inhalte zu integrieren. So übernahm Sarepta Ausbildungsvorschläge von einer holländischen Diakonissenanstalt, in der Atemgymnastik und Turnstunden erteilt wurden. Begeistert schrieb 1913 der holländische Kollege: „[G]erade der Turnunterricht erweist sich als außerordentlich praktisch, besonders gegen die Bildung von Plattfüßen. Der Atemunterricht erleichtert ihnen das Treppenlaufen.“17 Infolge dieser Anregung wurde in der Beurteilung des Kursus von 1925 der regelmäßig stattfindende Turnunterricht erwähnt.18 Die allgemeine Ausbildung der Sarepta-Diakonissen war erst mit der Rüstzeit, in der sie auf die daran anschließende Einsegnung vorbereitet wurden, abgeschlossen. Danach konnten sie abhängig von ihrem Arbeitsfeld

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Beurteilung der Schwestern aus dem Großen Kursus von Januar 1929. HAB, Sar 679, Ausbildung der Schwestern 1929–1935. Richtlinien für den Schwesternunterricht, ohne Datum. HAB, Sar 504, Ausbildung der Schwestern 1906–1924. Beurteilung der Schwestern aus dem Kleinen Kurs von 1928. HAB, Sar 670, Ausbildung der Schwestern 1925–1928. Beurteilung der Schwestern aus dem Kleinen Kurs von 1928. HAB, Sar 670, Ausbildung der Schwestern 1925–1928. Unterrichtsverbesserungen aus Holland. HAB, Sar 670, Ausbildung der Schwestern 1925–1928. Beurteilung der Schwestern aus dem Kleinen Kurs von 1925. HAB, Sar 670, Ausbildung der Schwestern 1925–1928.

6.1 Ausbildung

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Fachunterricht in beispielsweise Jugend-, Gemeinde-, Säuglings-, Kleinkinderoder Asylpflege erhalten.19 Zwar wurde ab 1909 vermehrt der Eintrag „Diplom“ in den Eintrittsbüchern vermerkt, jedoch hatte das Mutterhaus einige Bedenken, seine Schwestern ein staatlich anerkanntes Examen ablegen zu lassen. Es hegte die Vorstellung, dass die Schwestern durch eine verstärkte Schulung hochmütig werden würden. Allerdings fürchtete man auch die zunehmende Konkurrenz von anderen Pflegegruppierungen und dadurch die Zurückdrängung der eigenen Schwesternschaft, wenn deren Leistungen den berechtigten Anforderungen nicht mehr entsprachen.20 Zu den ersten Ausbildungskrankenhäusern gehörte das Städtische Krankenhaus in Bremen, mit dem das Mutterhaus schon früh einen Gestellungsvertrag abgeschlossen hatte. 1913 wurde das Akutkrankenhaus Gilead21 eröffnet und damit auch die Möglichkeit für Sarepta, die Schwestern im eigenen Krankenhaus auszubilden22. Dieses wurde nach den neuesten technischen Errungenschaften ausgestattet. Eine der Besonderheiten war beispielsweise eine Zentralfernsprechanlage. Auch gab es im ganzen Gebäude „Stechkontakte“ und „transportable Sprechapparate“, die es den Pfleglingen ermöglichten, von ihrem Zimmer bzw. Bett aus zu telefonieren. Lichtsignale ersetzten die geräuschvolle Klingel, und die Wände und Fußböden waren schallgedämmt. Erwähnenswert ist noch die Entstäubungsanlage mit Druck- und Saugluft, die für reine Luft im Gebäude sorgte.23 Jährlich machten durchschnittlich 28 bis 30 Diakonissen dort ihr Examen.24 Für die älteren Schwestern, welche seit mindestens fünf Jahren in der Pflege tätig waren, gab es eine Ausnahmeregelung. Man konnte ein Diplom für sie beantragen, ohne dass sie eine Prüfung ablegen mussten.25 So heißt es 1922 in einem Schreiben an den Medizinalrat: […] wir wollen Ihnen eine Liste überreichen, in der wir 150 Schwestern angeführt haben, die schon über 5 Jahre in der Krankenpflege26 tätig gewesen sind, und für die wir die Ausstellung des Krankenpflegediploms ohne Examen erbitten […].27 19 20 21 22 23 24 25 26

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Schilderung des Schwesternunterrichts, ohne Jahresangabe. HAB, Sar 670, Ausbildung der Schwestern 1925–1928. Boeckh-Augusburg, D.: Welche Forderungen stellt die Gegenwart an die Berufsausbildung der Schwestern? von 1906. HAB, Sar 504, Ausbildung der Schwestern 1906–1924. Gilead: hebräisch, bezeichnet ein biblisches Land. http://www.bethel.de/ueber-uns/geschichte-bethels/1900-bis-1920.html (letzter Zugriff: 14.4.2014). http://www.bethel-historisch.de/index.php?article_id=63 (letzter Zugriff: 14.4.2014). Fragebogen über die Ausbildung der Diakonissen. HAB, Sar 504, Ausbildung der Schwestern 1906–1924. Schreiben von 1922 an den Medizinalrat. HAB, Sar 743, Krankenpflege Allgemeines 1905–1927. Diese Regelung betraf ausschließlich die Krankenpflege. Die Tätigkeiten im Waisenhaus, auf der Säuglingsstation, in der Gemeindepflege, im Kinderhort und Siechenhaus waren, laut dem Schreiben des Reichsregierungspräsidenten von 1922, davon ausgenommen. HAB, Sar 743, Krankenpflege Allgemeines 1905–1927. Schreiben von 1922 an den Medizinalrat. HAB, Sar 743, Krankenpflege Allgemeines 1905–1927.

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6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen

Der Unterricht für die Schwestern wurde an die Forderungen des Krankenpflegegesetzes angepasst. So hieß es in einem Bericht: „1. Januar 1922 haben sie 360 Stunden gehabt, in welcher das Gesamtpensum des § 13 nach dem Plane für die Ausbildung in der Krankenpflege erledigt wurde.“28 Der Erste Weltkrieg stellte auch hinsichtlich der Ausbildung eine Ausnahmesituation dar. So gab es vom Ministerium des Inneren 1914 eine Sonderregelung für eine sogenannte Notprüfung. In dieser wurde festgelegt: Personen, welche zur Krankenpflege im Heeresdienst oder in Reservelazaretten beschäftigt werden sollen, können auf Antrag zu einer abgekürzten Prüfung (Notprüfung) zugelassen werden, wenn sie wenigstens 6 Monate am Unterricht einer staatlichen anerkannten Krankenpflegeschule mit Erfolg teilgenommen haben. Die Prüfung soll im Rahmen der Vorschrift vom 10. Mai 1907 stattfinden, jedoch in längstens 3 Stunden beendet werden.29

Aus den Quellen geht nicht hervor, wie viele Schwestern ein Notexamen abgelegt hatten, jedoch wurde bereits im Juni 1915 der Erlass zur Notprüfung wieder aufgehoben, so dass erneut eine zwölfmonatige Ausbildungszeit galt. Als Grund für die Änderung nannte das Innenministerium in seinem Schreiben von 1915 „Mängel“, die durch die verkürzte Ausbildungsdauer auftraten.30 Um welche Defizite es sich hierbei handelte, wird jedoch nicht erläutert. Nazareth-Diakone Die Diakonenausbildung war ähnlich wie die der Diakonissen. Auch hier lag die Priorität auf der Erziehung eines im „diakonischen Sinn“ geprägten Bruders. Unter praktischer Unterweisung verstand man noch 1927 „den allgemeinen Dienst und Einführung in die Brüderarbeit überhaupt“.31 Dies geschah in den überaus zahlreichen Einsatzbereichen wie Krankenpflege, Arbeitstherapie im Haus und Garten, Übung in den unterschiedlichen Handfertigkeiten auf den verschiedensten Gebieten, Pflegedienst in allen Abteilungen der Krankenarbeit, Arbeit an „Schwachsinnigen, Nerven- und Geisteskranken“, Erziehungsarbeit in Fürsorge-, Rettungs- und Waisenhäusern sowie Kinderheimen, Tätigkeit in Trinkerasylen, Herbergen, Arbeitskolonien, Wanderarbeitsstätten, Altersheimen und in der Stadtmission.32 Anders als bei den Diakonissen gliederte sich die theoretische Ausbildung der Diakone in eine Unter- und Oberklasse. Der angehende Diakon besuchte zuerst die Unterklasse, in der er eine erste Einführung in Arbeit und Ziele der diakonischen Tätigkeit erhielt. Zudem diente sie als Wiederholung von bereits 28 Schulzeugnis der Krankenpflegeschule Sarepta 1922. HAB, Sar 743, Krankenpflege Allgemeines 1905–1927. 29 Notprüfungsordnung. HAB, Sar 399a, Gilead Krankenpflegeschule 1907–1928. 30 Schreiben des Ministeriums des Inneren vom 30.6.1915. HAB, Sar 399a, Gilead Krankenpflegeschule 1907–1928. 31 Ausbildungsinhalte. HAB, NA-ST-128, Bremen städtische Krankenanstalten 3, 1927– 1930. 32 Ausbildungsinhalte. HAB, NA-ST-128, Bremen städtische Krankenanstalten 3, 1927– 1930.

6.1 Ausbildung

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in der Schule Erlerntem. Im Anschluss daran folgte eine Einheit in praktischer Arbeit. In der Oberklasse wurden gezielt biblische Fächer unterrichtet. Daneben gab es Stunden in Elementarfächern sowie in Psychologie, Pädagogik und im weiten Gebiet der Jugendführung, daneben in Volkswirtschaft und Bürgerkunde, Wohlfahrtspflege, Geschäfts- und Bürokunde, Erziehungslehre sowie eine Einführung in die Aufgaben und Probleme der freien und staatlichen Wohlfahrtspflege. Mit der Diakonenprüfung wurde diese zweite Lehreinheit abgeschlossen.33 Zusätzlich bestand die Möglichkeit, verschiedene Spezialkurse zu besuchen, in denen die Brüder ganz gezielt für ihre spätere Tätigkeit geschult wurden. Die Kurse endeten mit einem zum Teil staatlich anerkannten Examen in beispielsweise Kranken-, Irren- oder Wohlfahrtspflege, zum Erzieher oder Gemeindehelfer. Die Ausbildung dauerte durchschnittlich zwischen vier und fünf Jahre. Über einen Zeitraum von zwei Jahren wurde täglich zwei bis drei Stunden unterrichtet. Teilweise wurden die angehenden Diakone schon früher zu einem Tätigkeitsfeld außerhalb des Bruderhauses entsendet, womit der Unterricht automatisch beendet war.34 Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf Das Mutterhaus übernahm auch hier die Aufgabe der charakterlichen Erziehung der Schwestern. Wenngleich bei den Rot-Kreuz-Schwestern die religiöse Unterweisung von Bedeutung war, so lag doch die Priorität auf der humanitären und patriotischen Persönlichkeitsbildung35 und einer qualitativen Ausbildung. Dies spiegelte sich auch im Ausbildungsplan wider. Bei der Schwesternschaft aus Düsseldorf beispielsweise bezog sich die Ausbildung 1907 ganz auf die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten, die für die Pflege relevant waren. 1907 sahen die Anstellungs- und Besoldungsbestimmungen für die Pflegeschwestern an den allgemeinen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf in Paragraph 15 einen Lehrkurs von zwei Jahren vor, welcher von Anstaltsärzten erteilt wurde. Nach dem ersten Jahr gab es für die Lernschwestern eine Prüfung, im Anschluss an das zweite Jahr erhielten sie die „Befähigung“ zum Krankendienst ausgehändigt.36 Mit zwei Jahren ging die Ausbildungszeit über die gesetzlichen Vorgaben hinaus. Dies war in Deutschland zumindest zu diesem Zeitpunkt einmalig.37 33 34 35 36

Ausbildungsinhalte. HAB, NA-ST-128, Bremen städtische Krankenanstalten 3, 1927–1930. Ausbildungsinhalte. HAB, NA-ST-128, Bremen städtische Krankenanstalten 3, 1927–1930. Vgl. Riesenberger (2002), S. 93, 99. UADd, Bestand 30/14, Anstellungs- und Besoldungsbestimmungen sowie allgemeine Dienstanweisungen für die Pflegeschwestern an den allgemeinen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf von 1907. 37 Die hier untersuchten Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwestern scheinen in Bezug auf die Ausbildungszeit eine Besonderheit zu sein, andere Rot-Kreuz-Schwesternschaften hatten keine zweijährige Ausbildung. Auch Riesenberger erwähnt nur eine einjährige Ausbildung. Riesenberger (2002), S. 102 f. Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 202.

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6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen

Das Rote Kreuz änderte unter dem allgemeinen Reformdruck 1918 seine Ausbildungsrichtlinien. Die Vorbereitungszeit wurde auf drei Monate reduziert, dafür war eine intensivere theoretische und praktische Unterweisung vorgesehen. Zudem legte man den Einsatzort und die Einsatzdauer für jede Schülerin genau fest. Hierfür wurde ein Kontrollbogen eingeführt, welcher auch die ärztliche Unterweisung dokumentieren sollte. Im Gegensatz zu den vorher erwähnten Pflegegruppierungen mussten sich die Rot-Kreuz-Schwestern nach der Ausbildung für vier weitere Jahre verpflichten und eine Kaution von 500 RM hinterlegen.38 Allerdings wollte man den Schülerinnen auch nicht zu viel theoretisches Wissen zumuten, da nach Ansicht des ärztlichen Direktors dies die Bedürfnisse und das Auffassungsvermögen einer Krankenschwester überfordern würde.39 1923 wurde für die Anwärterinnen eine hauswirtschaftliche Vorschule eingerichtet40, demnach belief sich die Ausbildungsdauer zu einem späteren Zeitpunkt41 auf drei Jahre. In der Satzung der allgemeinen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf stand unter Punkt II: Jede neu eingetretene Schülerin besucht die Schwesternvorschule des Schwesternheims; hier erhält sie eine gründliche Ausbildung in allen häuslichen Arbeiten. Nach 6 Monaten wird die Vorschülerin, wenn sie sich eignet, Schwesternschülerin der Krankenpflegeschule, in der sie an einem mindestens 2 1/2-jährigen Lehrgang teilzunehmen hat und die staatliche Anerkennung als Krankenpflegerin erwerben kann.42

Für die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf fanden ebenfalls Kurse zur Spezialisierung statt; so konnten sie ab 1908 eine einjährige Ausbildung in Wochen- und Säuglingspflege absolvieren. Ziel war, dass sie durch eine theoretische und praktische Unterweisung die Verpflegung und Wartung eines Kindes bzw. Säuglings selbständig übernehmen konnten.43 Barmherzige Schwestern aus Münster Leider ist die Quellenlage zur Ausbildung der Barmherzigen Schwestern in Münster nicht so ergiebig wie die zu den anderen untersuchten Pflegegruppierungen. Mit der Übernahme des Clemenshospitals durch die Barmherzigen Schwestern 1820 sollte sich deren Ausbildung verändern. Die Aspirantinnen und Postulantinnen wurden von einer Novizin im Lesen und Schreiben unterrichtet. Zudem erhielten sie von ihr geistliche und pflegerische Unterweisungen.44 Dies geht auch aus der Chronik der Barmherzigen Schwestern aus 38 Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 204. Die Autoren führen die Arbeitsverpflichtung und die Kaution auf den Schwesternmangel in der Nachkriegszeit zurück. 39 Mitteilung an OB vom 3.10.1921; vgl. StAD, Bestand V-6248, Bl. 147. 40 Vgl. Halling/Vögele (2007), S. 204. 41 Ohne genaue Datierung, zwischen 1927 und 1930. 42 UADd, Bestand 30/14, Satzung der städtischen Schwesternschaft vom Roten Kreuz in Düsseldorf, ohne Datierung. 43 Vgl. Hinz (2004), S. 255 f. 44 Vgl. Hermans (2004), S. 62.

6.1 Ausbildung

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Münster hervor. Sowohl ältere Nonnen als auch Ärzte erteilten den praktischen Unterricht. Dementsprechend lautete ein Vermerk von 1892: „Schwester Huberta, die den jungen Schwestern den Unterricht in der Krankenpflege erteilte […]“45, und zu einem späteren Zeitpunkt: „Seit einigen Wochen gibt Dr. Oestrop im Clemenshospital Unterricht.“46 In einem von dem Stifter Clemens August Droste zu Vischering verfassten Buch finden sich unter anderem mehrere Kapitel über die Krankenpflege, welche der theoretischen Ausbildung dienten.47 Der Nonne Claudia Bachofen von Echt48 war es zu verdanken, dass der Schwesternunterricht um die Jahrhundertwende modifiziert wurde. Während ihrer Zeit als Operationsschwester49 im Clemenshospital schrieb sie zwei Leitfäden, die sie für ihren Unterricht verwendete. Bereits 1901 arbeiteten die Nonnen nach den Hygienevorschriften von Schwester Claudia. Ihre Hauptregel für die aseptische Wundbehandlung lautete: Alles, was mit einer Wunde in Berührung kommt, muß möglichst keimfrei, d. h. frei von Entzündungserregern sein. Wir sprechen hier zunächst von frischen Operationswunden. Diese Regel erstreckt sich: 1. Auf Person, respektive die Hände der Hilfe leistenden Schwestern, 2. auf das Operationsfeld d. h. die Stelle am Körper des Kranken wo die Operation vorgenommen wird; 3. Die Instrumente und 4. Die Tupfer und das Verbandsmaterial. In allen Fällen wird dies erzielt durch vorschriftsmäßige Waschungen, durch Sterilisation, d. h. Reinigen in kochendem Wasserdampf.50

Die von ihr erstellten Regeln haben bis heute, 100 Jahre später, noch Gültigkeit bei der sterilen Behandlung von Wunden. Ab 1906 gab es einen Desinfektionsapparat im Keller der Wäscherei. Dort wurde nach der Entlassung eines Patienten die Matratze hingebracht. Den äußeren Wollbezug wusch man, während der Kern die Desinfektionsmaschine durchlief. Im Mutterhaus gab es von 1907 an jährlich Lehrgänge für Desinfektion mit abschließendem Examen.51 Ebenso wie die Diakonissen konnten auch die Nonnen, welche schon jahrelang in der Pflege tätig waren, nach Einführung des Krankenpflegeexamens 1906/07 ihre staatliche Anerkennung in der Krankenpflege beantragen. So erhielt die Genossenschaft für 1.000 Schwestern ein Diplom, ohne dass diese jemals ein Examen ablegen mussten.52 Jedoch entstand 1908 eine der staatlichen Gesetzgebung entsprechende Krankenpflegeschule im Mutterhaus. Speziell für Krankenpflege ausgebildete Lehrerinnen und Ärzte unterrichteten die Nonnen. In der Chronik wurde fest-

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MAM, Chronik: Bd. 2 16/165 (1888–1898). MAM, Chronik: Bd. 2 17/121 (1888–1898). Vgl. Hermans (2004), S. 62. Zu Schwester Claudia Bachofen von Echt siehe Wilking (1929). Es liegen keine genauen Zeitangaben hierfür vor. Schwester Claudia Bachofen war von 1895 bis 1902 im städtischen Clemenshospital in Münster als Operationsschwester tätig. Siehe Wilking (1929), S. 42. 50 MAM, Der unveröffentlichte Leitfaden von Mutter Claudia. 51 Vgl. Hermans (2004), S. 63. 52 MAM, Chronik: Bd. 1 22/71 (1908–1918).

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6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen

gehalten: „Der Arzt des Spitals übernahm die Bürde eines Lehrers für die Schwestern.“53 6.2 Tätigkeitsbereiche Der Arzt Martin Mendelsohn (1860–1930)54 schrieb bereits 1894 über die Aufgaben der Krankenpflege, sie „[…] ist viel, viel mehr, sie ist die ,Behandlung‘ des Kranken während der 23 ¾ Stunden des Tages, an welchen der Arzt nicht bei ihnen ist […]“55. Im Weiteren teilte er die Tätigkeiten der Pflegekräfte in drei Aufgabenfelder ein. Da wäre zum einen die Unterstützung oder ggf. die Übernahme bei den ganz alltäglichen Verrichtungen eines Kranken wie Anziehen, Waschen, Essen und Hilfe bei der Ausscheidung. Da es sich um ganz generelle pflegerische Tätigkeiten handelte, werden sie unter dem Abschnitt allgemeine Pflege wiedergegeben. Zum anderen erwähnte Mendelsohn ganz explizit pflegerische Handlungen, die zur Genesung des Kranken beitragen sollten, wie beispielsweise die Verabreichung von Medizin, Klistieren, Injektionen, das Anlegen von Umschlägen und die Überwachung von medizinischen Bädern. Als dritten Punkt führte er die Krankenbeobachtung auf, die aus „[…] Sammeln und Aufbewahren derjenigen Momente, welche dem Arzt bei seinem Besuche als Beobachtungsmaterial dienen […]“56, bestand. Damit ist die Kontrolle der sogenannten Vitalzeichen, also Puls, Blutdruck, Atmung und Temperatur, gemeint. Darüber hinaus geht es um die Beobachtung von Schlaf, Ausscheidung sowie den Bewusstseinszustand des Patienten und die Dokumentation aller Parameter und Eindrücke. Diese beiden Punkte werden unter dem Teilkapitel spezielle Pflege zusammengefasst.57 Inwieweit sich diese unterschiedlichen Pflegeverrichtungen tatsächlich in der Arbeit der untersuchten Gruppierungen widerspiegeln, soll anhand von Tätigkeitsberichten, Arbeitsberichten bzw. Beobachtungsprotokollen aufgezeigt werden. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt. Tätigkeitsberichte der Wärterinnen der Heil- und Pflegeanstalt Illenau In den Personalakten des Wartpersonals der Heil- und Pflegeanstalt Illenau befanden sich 32 Arbeitsberichte aus den 1930er Jahren, vermutlich geschrieben im Rahmen der Ausbildung für das Diplom in der Irrenpflege. Die Berichte stammen bis auf eine Ausnahme von Wärterschülerinnen der 1921 ge-

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MAM, Chronik: Bd. 2 (1908–1918), S. 85. Zu Martin Mendelsohn siehe Fischer (1933), S. 1022. Vgl. Mendelsohn (1894), S. 123, zit. n. Panke-Kochinke (2001), S. 87. Vgl. Mendelsohn (1894), S. 126, zit. n. Panke-Kochinke (2001), S. 88. Auch heute noch wird im Krankenhaus bei der sogenannten Pflege-Personalregelung (PPR) zwischen allgemeiner und spezieller Pflege unterschieden. Jeder einzelne Patient wird anhand dieser Kategorien „eingruppiert“. Dies soll die Leistungen der Pflege transparenter machen und als Berechnungsgrundlage für den Personalbedarf dienen.

6.2 Tätigkeitsbereiche

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gründeten Wärterschule der Heil- und Pflegeanstalt Illenau.58 Aus den Aufzeichnungen geht nicht hervor, an welcher Krankheit ein Pflegling litt, jedoch dokumentierten die Schülerinnen die jeweiligen Äußerungen zum Teil sehr detailliert. Die Priorität lag dementsprechend stärker auf der Krankenbeobachtung als auf der Beschreibung der ausführenden Tätigkeiten. Die Patientin wurde 24 Stunden lang von der Schülerin bzw. dem Schüler versorgt. Beobachtungsprotokolle der Nazareth-Diakone Seit 1930 gab es von den Nazareth-Diakonen sogenannte Beobachtungsprotokolle, von denen die erhaltenen ausgewertet wurden.59 Auch hier scheinen die Berichte prüfungsrelevant gewesen zu sein, und bis auf eine Ausnahme60 handelte es sich immer um einen 24-Stunden-Dienst. Ein entscheidender Unterschied zu den Tätigkeitsberichten der Wärterinnen war, dass der Verfasser nur eine beobachtende Rolle einnahm. Der Diakon trat zwar verbal in Interaktion mit den Kranken, verrichtete aber keinerlei pflegerische Tätigkeiten. Dementsprechend wurde die Situation morgens im Badezimmer wie folgt beschrieben: „[…] Pat. steht verträumt vor dem Waschbecken und muss vom Bruder gewaschen werden.“61 Zu einem späteren Zeitpunkt schrieb der Beobachter: „Auf die Bitte des Bruders, sich etwas zu betätigen, schüttelte er [der Patient] nur mit dem Kopf. Auf weiteres Bitten reagierte er nicht mehr.“62 Bei den Beobachtungsprotokollen stand, wie schon bei den Tätigkeitsberichten der Wärterinnen, das Verhalten des Patienten im Vordergrund. Dementsprechend ausführlich wurde auf dessen Körperhaltung und Mimik sowie dessen Äußerungen eingegangen. Eine weitere Besonderheit der Beobachtungsprotokolle war, dass neben der Diagnose auch eine eingehende Anamnese stattfand, in der Vorleben, Beginn und Verlauf sowie ggf. weitere psychische Erkrankungen innerhalb der Familie63 des Patienten festgehalten wurden. So heißt es in einem Auszug aus der Krankengeschichte des Studenten H. Müller: Diagnose: Schizophrenie, katatone Form. In der Familie kamen mehrfach Geistesstörungen vor. Schwester der Mutter ist geisteskrank in einer Anstalt. Der Sohn einer anderen Schwester ist auch geisteskrank. […] Erst hatte er [der Patient] halluzinatorische Erregungszustände, dann bildete sich allmählich ein konstantes Zustandsbild heraus. Pat. wurde vom Vater und einem Pfleger im Auto nach Bethel in die Heilanstalt Morija überführt.64 58 Vgl. Lötsch (2001), S. 120. Im Jahr nach der Eröffnung betonte der Vorsitzende der Prüfungskommission, Roemer, „dass der erste Versuch, eine Pflegeschule in Baden einzurichten, zu einem vorzüglichen Erfolg geführt hat“. Tagebuch Illenau (1922). 59 Es sind sieben, da die Personalakten der Nazareth-Diakone im Fünf-Jahres-Turnus von 1880 bis 1930 gesichtet wurden. 60 Ein Bericht umfasst 48 Stunden. 61 Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-067-1767. 62 Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-067-1767. 63 Ab 1933 wurde die positive Familienanamnese unter der Rubrik „Erblichkeit“ dokumentiert. 64 Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-067-1767.

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Tätigkeitsnachweise der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf Die dritte Quelle, die Informationen über das Tätigkeitsfeld der Pflege im beginnenden 20. Jahrhundert liefert, sind Tätigkeitsnachweise von Rot-KreuzSchwestern aus Düsseldorf. Diese waren in den Personalakten von 25 Schwestern enthalten. Das vorgedruckte Formular wurde jedoch teilweise nur rudimentär ausgefüllt. Während ihrer Ausbildungszeit durchliefen die Schwestern verschiedene Stationen. Am Ende eines jeden Einsatzes bescheinigte man ihnen die neu erlernten Tätigkeiten. Zudem wurden ihre Leistungen von Oberschwester, Stationsarzt und Oberarzt beurteilt. So schrieb ein Oberarzt über die Schülerin Agnes: „Sie ist die beste Schülerin, die ich kenne.“65 Demnach schienen die Ärzte und die Pflege eng zusammengearbeitet zu haben, ansonsten könnte ein Oberarzt nicht die Arbeit einer Schülerin, die nur für eine gewisse Zeit auf einer Station war, beurteilen. In manchen Fällen wurde einer Schülerin für kurze Zeit die Station anvertraut, ihr also die Leitung übertragen. Bei Schwester Mary Schriewer stand beispielsweise: „Schwester Mary hat ca. 6 Tage als Stationsschwester die Leitung der Frauen- und Kinderstation und beteiligte sich auch praktisch an allen stationsobligatorischen, täglichen Verrichtungen.“66 Neben Art und Charakter der Schwester geben die Beurteilungsbogen auch Auskünfte über wirtschaftliche und pflegerische Eignungen sowie persönliche Ordnung und Sauberkeit. Entsprechend umfangreich konnte eine solche Beurteilung ausfallen, wie die der Schülerin Antonia zeigt: Art und Charakter: Schwester Toni ist ein ernster und wechselnder Mensch Pflegerische Eignung: gewissenhaft und geschickt Wirtschaftliche Eignung: sie versteht sehr gut zu wirtschaften Allgemeines Verhalten auf Station: sie konnte nett sein, leider drückte ihre Übergabe Nervosität aus – oft recht schwierig Beurteilung über Führung und Leitung während der Nachtwachen: durch die Umsichtigkeit wusste ich [Stationsschwester] die Station gut versorgt Beurteilung der Oberschwester: Schwester Toni ist etwas schwerfällig in ihrer Art, nahm Alltäglichkeiten oft zu ernst und wichtig und war infolgedessen oft wechselnd in ihrer Stimmung. Ihre krankenpflegerischen und wirtschaftlichen Leistungen waren sehr gut.67

Für die Barmherzigen Schwestern aus Münster und die Sarepta-Schwestern aus Bielefeld gibt es leider keine vergleichbaren Tätigkeitsberichte. Es finden sich nur einige Quellen, die ihren Pflegealltag lückenhaft wiedergeben. 6.2.1 Ablauf eines Tages Um einen genaueren Eindruck vom Arbeitsablauf des Krankenhauspersonals zu erhalten, wird im Folgenden exemplarisch der Arbeitstag einer Diakonisse von 1897 aufgezeigt.68 65 Beurteilung von Agnes Hüttemann. UADd, Bestand 30/14. 66 Tätigkeitsnachweis der Rot-Kreuz-Schwester Mary Schriewer aus Düsseldorf. UADd, Bestand 30/14. 67 Beurteilung von Antonia Melchernich. UADd, Bestand 30/14. 68 Vgl. Hoffmann (1897), § 7.

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Der Morgen: 5 ½ Uhr wurde sommers wie winters aufgestanden. Das Ankleiden und Ordnen der Betten geschah in Stille. 6 ¼ Uhr ertönte die Hausglocke als Zeichen zum Frühstück. Anschließend wurde die gemeinsame Hausandacht gehalten. Alle, auch das Personal, waren verpflichtet, dafür mit Bibel und Gesangsbuch zu erscheinen. Für kranke Diakonissen wurde eine Ausnahme gemacht, sie durften auf ihrem Zimmer beten. Im Anschluss daran mussten die Schwestern sich auf ihre Posten im Krankenhaus begeben. 7 Uhr erhielten die Kranken ihr erstes Frühstück, welches die Schwestern ihnen brachten. Die vorstehende Schwester hielt in den Krankensälen die Morgenandacht. 9 Uhr nahmen die Schwestern ihr zweites Frühstück ein. 10 Uhr erhielten die Patienten ihr zweites Frühstück. 11 ½ Uhr: Die Abteilungsschwester gab Arztanordnungen bezüglich einer besonderen Diät an die Küche weiter. Der Mittag: 12 Uhr nahmen die Schwestern das Mittagessen ein, zu dem hatten auch alle im Krankenhaus beschäftigten Schwestern ins Mutterhaus zu kommen. 14 ½ Uhr erhielten die Patienten ihren Kaffee. 15 Uhr machten die Schwestern Kaffeepause. Im Anschluss daran wurde etwas Kurzes vorgelesen; die Vorprobe- und Probeschwestern hatten eine halbe Stunde Unterricht bei der Oberin, darauf folgte zweimal wöchentlich eine Stunde theoretischer und praktischer Unterricht in der Krankenpflege. Der Abend: 18 Uhr bekamen die Schwestern ihr Nachtessen, hierbei verteilte die Oberin die Nachtwachen unter den Schwestern. 18 ½ Uhr erhielten die Patienten ihr Nachtessen, anschließend wurde für sie die Abendandacht gehalten. 20 Uhr hielt ein Geistlicher die Abendandacht für die Schwestern, daran schloß sich der Unterricht (Bibelklärung, Gesang und Liederkunde) an, an dem alle Vorprobe- und Probeschwestern im Hause, sofern sie nicht durch den Dienst abgehalten wurden, teilzunehmen hatten. Danach begaben sich die Schwestern zur Ruhe. Die Nacht: Die Schwestern waren angehalten, öfters nach den Kranken zu sehen, auch wenn sie nicht von diesen gerufen worden waren. Bevor der Frühdienst kam, mussten sie das Krankenzimmer und die Krankenküche in Ordnung gebracht haben. Zudem unterschied man zwischen einer Rufbereitschaft, während der die Schwester im gleichen Raum wie der Patient schlief und nur auf dessen Verlangen aufstehen musste, und einer sogenannten „aufmerksamen“ Wache, in der man die ganze Nacht wach war. Allgemein ist anzumerken, dass bei diesem Tagesablauf die ärztlichen Visiten ausgelassen wurden. Ebenso wenig fanden Routinetätigkeiten, wie zum Bei-

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spiel Temperatur-, Puls- oder Blutdruckmessen sowie die Medikamentenvergabe, Erwähnung. Im Vergleich hierzu folgt nun der Tagesablauf des Wartpersonals der Heilund Pflegeanstalt Illenau. Dieser wurde aus den Tätigkeitsberichten und der Hausordnung rekonstruiert.69 Auffallend ist, dass bei diesem so geschilderten Tagesablauf nur die Pfleglinge erwähnt wurden, Essens- oder Ruhezeiten des Personals waren komplett ausgeklammert. Der Morgen: 6 Uhr70: Die Kranken wurden geweckt, gingen sich waschen, kämmen, anziehen und erhielten bei Bedarf Hilfestellungen vom Wartpersonal, zudem wurden die Vitalzeichen gemessen. Die Pfleglinge, die nicht auf ihrem Zimmer bleiben mussten, gingen in das Versammlungszimmer oder halfen den Wärterinnen und Wärtern beim Bettenmachen und der Zimmerreinigung. 7 Uhr: Frühstück, entweder in den Versammlungsräumen oder auf dem Zimmer. 8 Uhr: Nach dem Frühstück gingen die Patienten, soweit ihr Zustand es erlaubte, zu den einzelnen Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten oder wurden auf dem Zimmer beschäftigt. Eine Viertelstunde vor den Mahlzeiten und eine Stunde danach sollten sich die Kranken ausruhen können. 9 ½ Uhr: Vesper (Suppe). 9 ¾ Uhr: Visite. Die Oberwärter mussten dabei sein und dem Arzt über Befinden, Benehmen sowie Besonderheiten der einzelnen Kranken berichten. Während der Visite sollte der Kranke nichts von dem Gespräch zwischen Arzt und Wärter mitbekommen, außerdem sollte das Wartpersonal für die nötige Ruhe sorgen, wenn der Arzt sich mit dem Patienten unterhielt oder ihn untersuchte. Der Mittag: 12 Uhr: Mittagessen im Speisesaal oder auf dem Zimmer, danach war Mittagsruhe. 13 Uhr: Beschäftigung oder Spaziergänge im Freien. 15 ¼ Uhr: Kaffeepause, danach wurden die Patienten, je nachdem, ob es ihr Zustand erlaubte, wieder beschäftigt. Der Abend: 19 Uhr: Abendessen, anschließend gab es die Abendmedikation, ggf. Einspritzungen, auch wurden die Vitalzeichen gemessen. 19 ¾ Uhr: Abendvisite, eine verkürzte Visite. 21 Uhr wurde die Glocke als Zeichen für die Nachtruhe geläutet. Alte und gebrechliche Kranke, welche früher, und die aus den höheren Ständen, welche später zu Bett gehen durften, waren namentlich vermerkt.

69 Vgl. Roller (1847), S. 64. 70 Im Sommer läutete die Glocke zum Aufstehen bereits um 5 Uhr.

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Die Nacht: Bis zum Wecken am nächsten Morgen überwachten die Wärterinnen und Wärter den Schlaf der Pfleglinge, teilweise schlief das Wartpersonal in den gleichen Räumlichkeiten. Ergänzend hierzu wurde in Paragraph 26 der Hausordnung der Illenau von 1847 noch Folgendes erwähnt: Eine gemeinschaftliche Morgen- Abendandacht, eigene Stunden für den Religionsunterricht durch die Hausgeistlichen finden in den verschiedenen Abteilungen mit Rücksicht auf die Konfession der Kranken statt, ebenso Tischgebete bei den Mahlzeiten.71

Die Tagesabläufe der untersuchten Pflegegruppierungen unterschieden sich nur geringfügig in der Zeiteinteilung. Das Wartpersonal der Illenau, die Sarepta-Schwestern und die Nazareth-Diakone hatten eine abweichende Zeiteinteilung von einer halben bis zu einer Stunde während der Sommer- und Winterzeit. Zu den Nachtwachen Man unterschied zwischen „regulären“ Nachtschichten, Einzelnachtwachen und Bereitschaftsdiensten. Mit Ersteren war eine ganze durchwachte Nacht gemeint, in der man sich um eine größere Anzahl an Patienten kümmerte. In einer Einzelnachtwache betreute die Schwester oder der Pfleger einen einzelnen Kranken, der sich oft in einem kritischen Zustand befand. Die Sarepta-Schwester Marie berichtete 1881 im folgenden Beispiel von ihrer ersten Einzelnachtwache: Eines Abends […] kam Mutter in den Speisesaal und musterte ihre Reihen. Sie sagte zu mir: „Sie könnten wohl diese Nacht machen.“ – „Ja, Mutter.“ – „Haben Sie schon einmal eine Nacht gewacht?“ Und dann: „Die Frau wird aber wohl diese Nacht sterben. Haben Sie schon mal jemanden sterben sehen?“ Ich mußte wohl ein erschrockenes Gesicht gemacht haben, da sollte eine andere wachen. Aber das wollte ich nicht und wachte dann bei der Geisteskranken. […] Sie starb.72

Daneben gab es, wie erwähnt, die Bereitschaftsnachtwachen, bei denen die Pflegeperson schlafen durfte. Sie kümmerte sich nur bei Bedarf um die Patienten. Von einem Nazareth-Diakon ist zu erfahren: „Es sind unsere Schwächsten, die hier zusammen mit einem Bruder schlafen, der oft des Nachts, gelegentlich bis zu 10 mal in 7 Stunden, zu Hilfe springen muß, wenn einer seiner Pflegebefohlenen von der bösen Krankheit befallen wird.“73 In der Regel wurden die Brüder während des Bereitschaftsdienstes häufig geweckt. Trotz des gestörten Schlafes hatte die betreffende Pflegeperson nach so einer Nachtschicht nicht frei, sondern war regulär im Tagdienst eingeplant.

71 72

Vgl. Roller (1847), S. 64. Auszug aus dem Tagebuch von Schwester Marie. HAB, Sar Tagebücher Diakonisse Marie Phillips 1881–1895 (unverzeichnet), S. 22 f. 73 Ein Tag in der Epileptischen Pflege von Bruder Hilgemann II. HAB, NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902, S. 47 f.

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Visite Die Visite gehörte zur festen Tagesstruktur, sowohl im Krankenhaus als auch in den psychiatrischen Einrichtungen. Während dieser Zeit besprachen Arzt und Pflegende den gegenwärtigen Zustand und das weitere Prozedere eines Patienten. Der Informationsaustausch mit den behandelnden Ärzten gehörte also ebenfalls zum Aufgabengebiet der Pflege. Der genaue Ablauf konnte sich je nach Art der Anstalt unterscheiden; als Beispiel soll die Visite der Illenau aufgezeigt werden. Jeden Morgen teilten die Wärterinnen und Wärter schriftlich und mündlich den Ärzten mit, was in der Nacht vorgefallen war. So wussten die Ärzte schon zu Beginn des Arbeitstages, welcher Pflegling ihre Aufmerksamkeit besonders benötigte. Die Visite fand zweimal am Tag zu einem festen Zeitpunkt statt, dabei wurden die Ärzte von der zuständigen Oberwärterin bzw. dem Oberwärter begleitet. Zur Erleichterung und zur Zeitersparnis versammelten sich die meisten Kranken im Speisesaal oder in den Korridoren bzw. im Hof. Demnach mussten die Ärzte nur wenige Patienten einzeln in deren Zimmern aufsuchen. Im Anschluss an die Visite wurden neue Anordnungen ausgearbeitet und ausgeführt.74 Die Pflege musste in der Lage sein, die Beobachtungen und Vorkommnisse gewissenhaft weiterzugeben, wobei der Bericht kurz und strukturiert sein sollte. Wichtig hierfür war es, lesen und schreiben zu können und gewisse Fachtermini zu beherrschen. 6.2.2 Allgemeine Pflege Unter allgemeine Pflege75 fallen all jene Tätigkeiten, die sich mit dem täglichen körperlichen und seelischen Wohl des Patienten beschäftigen; darunter fielen die Bereiche76 Essen und Trinken, Ausscheiden, Bewegen, Atmen, Waschen, Kleiden und Schlafen. Inwieweit das Pflegepersonal diese im Arbeitsalltag bewältigen musste, soll durch einige Beispiele der verschiedenen Pflegegruppierungen aufgezeigt werden. Nahrungsaufnahme Damit der Patient wieder zu Kräften kommen konnte, musste er ausreichend essen und trinken. In allen untersuchten Quellen findet man zur Nahrungsaufnahme zwei Aspekte. Zum einen unterstützte die Pflegeperson die Patienten 74

Ministerium des Innern, Die ärztliche Versorgung der Kranken in den Irrenanstalten Heidelberg und Illenau I, 1825–1844. GLA, Bestand 236/3641. Zur ärztlichen Visite siehe auch § 30 des Illenau-Statuts in Illenau (1852), S. 66. 75 Siegfried Eichhorn prägte 1967 den Begriff der Grundpflege. Für das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert ist der Begriff allgemeine Pflege passender. 76 Die aufgezählten Bereiche sind heute Bestandteil der von Liliane Juchli aufgestellten 12 ATLs (Aktivitäten des Täglichen Lebens).

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beim Essen. So schrieb ein Nazareth-Diakon: „Abends muss er zum Teil gefüttert werden“77 oder die Pflegenden fütterten die Patienten gänzlich. Daneben erhielt ein Großteil der Patienten eine speziell verordnete Krankenkost, die häufig auch vom Pflegepersonal, exakt nach Arztanordnung, zubereitet wurde. Ausscheidung Mit Ausscheidung sind neben Stuhl und Urin auch Sekrete und Erbrochenes gemeint. Manche Patienten konnten den Abgang von Stuhl oder Urin nicht mehr willkürlich steuern. Nachts wurden häufig solche Patienten geweckt und zur Toilette gebracht, dennoch spiegeln zahlreiche Nachtwachenberichte folgende Situation wider: „Gegen Morgen näßt er [der Patient] das Bett und wurde trocken gelegt.“78 Auch tagsüber wurden die Kranken zum Urinieren angehalten, jedoch kam dies hauptsächlich in psychiatrischen Einrichtungen vor. Neben dem Entsorgen der Ausscheidung und dem Frischmachen des Patienten gehörte die Krankenbeobachtung zu den Aufgaben des Personals. Hierbei war es wichtig, auf die Farbe, den Geruch, die Beschaffenheit und eventuell Beimengungen der Ausscheidungen zu achten. Bewegen und Lagern Auch hier ist die Art der Hilfestellung vom jeweiligen Gesundheitszustand des Patienten abhängig. Je nachdem, wie immobil er beispielsweise nach einer Operation war, benötigte er mehr oder weniger Unterstützung. Im schlimmsten Fall handelte es sich um einen bettlägerigen Patienten, der, um Dekubiti79 zu vermeiden, regelmäßig gelagert werden musste. Häufig war dieser Zustand nur vorübergehend und konnte sich mit der zunehmenden Genesung des Kranken ändern bzw. manchmal wieder völlig verschwinden. Das Bewegen und Lagern von Patienten war mitunter sehr kraftaufwendig und anstrengend für das Pflegepersonal. Zu dieser Zeit kannte man weder kinästhetische Methoden noch hatte man moderne Hilfsmittel wie einen Lifter, um die Patienten zu lagern oder zu mobilisieren. Das heißt, Pflegende mussten auch „Tragetätigkeiten“ bewältigen. So waren beispielsweise Nazareth-Diakone im Krankenhaus beschäftigt worden, um die Diakonissen zu entlasten, indem die Diakone Patienten nach einer Operation zurück auf die Station trugen. Körperhygiene und Ankleiden In allen Quellen, die Auskunft über die Aufgaben im Pflegealltag geben, wurde die Körperpflege erwähnt; sie gehörte zur täglichen Arbeitsroutine. Je nach Krankheitszustand des Patienten gab die Pflege Hilfestellung oder übernahm die vollständige Körperpflege. Ebenso war es mit dem Ankleiden. Beides waren Tätigkeiten, die an manchen Tagen der Patient selbst verrichten 77 78 79

Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-067-1767. Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-036-1773. Dekubiti sind Druckgeschwüre, die auch Wundliegegeschwüre genannt werden.

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konnte, während er an anderen Tagen auf Hilfe angewiesen war. Im Hinblick auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Bakterien seit Ende des 19. Jahrhunderts, später über Viren und Krankheitsübertragung, bekamen die Körperhygiene des Patienten und die eigene noch einmal eine ganz andere Bedeutung. Durch Desinfektion und Schutzmaßnahmen sollte die Übertragung von Krankheiten verhindert werden. Es gibt noch weitere Punkte, wie Schlafen und Atmen, die man zur allgemeinen Pflege zählt, allerdings existieren hierzu keine Informationen in den Tätigkeitsberichten bzw. Beobachtungsprotokollen. 6.2.3 Spezielle Pflege Mit spezieller Pflege80 sind alle pflegerischen Tätigkeiten gemeint, die über die allgemeine Grundversorgung hinausgingen und der medizinischen Behandlung des Patienten dienten. Was man sich im ausgehenden 19. Jahrhundert darunter vorzustellen hatte, listen zum Beispiel die Instruktionen von 1879 für Diakonissen des Bremer Krankenhauses auf: „8. […] das Verbinden, das Messen der Körperwärme, das Wiegen, Blutegel- Schröpf- und Lavementsetzen81, das pünktliche Verbrauchen der verordneten Medizin e. c.“82. In der täglichen Praxis verrichtete die Pflege sowohl die allgemeine wie auch die spezielle Versorgung der Patienten. Als Quelle dienen im Folgenden überwiegend die Tätigkeitsnachweise der Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, welche sehr detailliert die einzelnen pflegerelevanten Verrichtungen aufführen. Die Schwestern waren in verschiedenen Fachbereichen eingesetzt. Dazu zählten Stationen mit den Schwerpunkten Chirurgie, Haut- und Infektionskrankheiten, Augenheilkunde, Mund-Zahn-Kiefer, Kinder, Frauenheilkunde und internistische Krankheitsbilder. In den Tätigkeitsnachweisen wurden neuerlernte Behandlungsmethoden und Krankheitsbilder genannt. Von den anderen hier untersuchten Pflegegruppierungen gibt es nur wenige Angaben, die über eine allgemeine Grundpflege hinausgehen. Für eine bessere Übersicht über die speziellen Pflegetätigkeiten werden die einzelnen Krankheitsbilder und Behandlungsmaßnahmen den Fachgebieten Chirurgie, Innere Medizin, Haut- und Infektionskrankheiten zugeordnet.83 Tätigkeiten wie Medikamentenvergabe oder Vitalzeichenkontrolle gehörten zu Routineverrichtungen, die nicht an einen bestimmten medizinischen Fachbereich gebunden waren.

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Siegfried Eichhorn benutzte hierfür den Begriff Behandlungspflege. Lavement, französisch: jemandem ein Klistier, einen Einlauf machen. Instruktionen für die Diakonissen von 1879. HAB, Sar 1, 465 Bremen. Die hier verwendeten Fachgebiete erschließen sich aus den angegebenen Einsatzorten der Rot-Kreuz-Schwestern. Es ist zu beachten, dass diese damals noch nicht in dem Maße ausdifferenziert waren wie heute.

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Medikamentenvergabe Die Ärzte verordneten die Medikamente, ihre Vergabe gehörte damals wie heute zu den Aufgaben des Pflegepersonals. Besonders wichtig war hierbei, die richtige Arznei in der verordneten Menge und Dosierung den Patienten in der korrekten Form zu verabreichen. Inwieweit die Pflegekräfte darin unterwiesen wurden oder sie verschiedene Wirkungsmechanismen lernten, ist den Quellen nicht zu entnehmen. In den Berufsordnungen vermerkte man stets, dass „sie alle in Bereiche der eigentlichen Krankenpflege gehörende Geschäfte nach Anweisung der Aerzte oder der Vorsteherin zu verrichten [haben] […] [darunter] das pünktliche Verbrauchen der verordneten Medizin“.84 Das Verabreichen von Medikamenten konnte auf unterschiedlichste Weise erfolgen: in Form von Tabletten, Tropfen, Salben, Pasten, Pinselung, aber auch durch Bäder, wie beispielsweise Teerbäder, oder durch Inhalationen und Injektionen.85 Vitalzeichenkontrolle In Kapitel 2 wurden bereits die neuen technischen Errungenschaften wie Fieberthermometer oder Blutdruckmessgerät erwähnt. Es gehörte zum Aufgabenbereich der Pflege, die verschiedenen Vitalparameter wie Temperatur, Puls, Atmung und Blutdruck86 zu messen und bei Veränderungen oder auffälligen Werten den Arzt zu informieren. Morgens wie abends gehörten diese Messungen zum Arbeitsablauf der Wärterschaft und der Rot-Kreuz-Schwestern. Von besonderer Bedeutung schien die Überwachung der Atmung in der Nacht zu sein, die auch die Nazareth-Diakone in ihren Beobachtungsprotokollen erwähnen. Eine Erklärung hierfür wäre die Wirkungsweise bestimmter Medikamente. Opium, welches zur Beruhigung seit Mitte des 18. Jahrhunderts verabreicht wurde87, kann unter Umständen atemdepressiv machen. Chirurgie In den Fachbereich der Chirurgie fallen alle Patienten, die operiert werden mussten. Folglich gab es hier Krankheitsbilder aus dem orthopädischen, aber auch aus dem Mund-Zahn-Kiefer-Bereich. Dazu kam jegliche Erkrankung oder Störung, die eine Indikation für eine Operation stellte. Dementsprechend 84 Instruktionen für die Diakonissen der Bremer Krankenanstalten von 1879. HAB, Sar 1, 465 Bremen. 85 Tätigkeitsnachweis der Rot-Kreuz-Schwester Emma Neumann aus Düsseldorf. UADd, Bestand 30/14. Teerbäder gehörten früher zu der Standardbehandlung von Schuppenflechten, da man Teer eine entzündungshemmende Wirkung nachsagte; zudem soll es sich positiv auf die gestörte Zellerneuerung auswirken. 86 Scipione Riva-Rocci entwickelte 1896 ein unblutiges, indirektes und einfach anwendbares Verfahren zur Blutdruckbestimmung. Nikolai Sergejewitsch Korotkow ergänzte das Verfahren, indem er mit Hilfe eines Stethoskops neben dem systolischen auch den diastolischen Wert bestimmen konnte. Siehe hierzu Bröer (1996). 87 Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 481.

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erlernten die Schwestern die operative Vor- und Nachsorge. Hierbei mussten sie das keimarme bzw. keimfreie Arbeiten beherrschen sowie das Anreichen operativer Instrumente. Sie betreuten beispielsweise Kranke mit Gesichtsplastiken bei Kieferkrebs. In manchen Fällen konnte es vorkommen, dass nach einer Operation ein Patient tracheotomiert war oder einen Blasenkatether gelegt bekam. Nach jedem Eingriff benötigte der Patient einen Verband oder Tamponade, beides erneuerten die Schwestern regelmäßig. Zum Teil stellten die Pflegenden die für die Behandlung benötigten Salben, Pasten oder Wundlösungen selbst her. Auch Kinder zählten zu den Patienten, von denen manche beispielsweise im Gipsverband gelagert werden mussten. Nach bestimmten Operationen erhielten die Erkrankten eine besondere Kostform, die ebenfalls speziell zubereitet wurde.88 Innere Medizin Zu den internistischen Erkrankungen werden hier alle, die konservativ oder interventionell behandelt wurden, gezählt. In den Nachweisen von 1930 sind beispielsweise Blasenentzündung, Lungenerkrankungen wie Lungenentzündung, Herzerkrankungen, Pyelitis und Gelenkrheumatismus erwähnt. Die erlernten Behandlungsmethoden reichten von Blasen-, Darm- und Ohrspülung über Einläufe, Abguss und Schwitzbäder bzw. Schwitzpackungen bis zu Behandlungen mit Thermallampen und Aderlass. Je nachdem, wie schwer die Patienten erkrankt waren, mussten sie auch hier gebettet und gelagert werden.89 Haut- und Infektionsstation Darunter fallen alle Hautveränderungen von Ekzemen bis zur Schuppenflechte und infektiöse Erkrankungen wie Ruhr, Diphtherie, Tuberkulose sowie Geschlechtskrankheiten wie Gonorrhoe oder Lues. Die Schwestern erlernten hier neben dem Zubereiten von speziellen Salben oder Pasten, Bädern (etwa Teerbäder) oder Umschlägen für die Haut auch den Umgang mit infektiösen Patienten, Ausscheidungen und Materialien. Typisch für den Nachweis von Krankheitserregern war beispielsweise der Abstrich, der gemacht wurde, um festzustellen, inwieweit von dem Patienten noch eine Ansteckungsgefahr ausging.90 Neben den genannten Fachbereichen gab es noch die Wöchnerinnenstation, Kinder- und Säuglingspflege sowie die Augenheilkunde. In den Tätigkeitsnachweisen wurden an Krankheitsbildern außer „Füttern von Kindern

88 Tätigkeitsnachweis der Rot-Kreuz-Schwestern Käthe Hornung, Emma Neumann und Agnes Hüttemann aus Düsseldorf. UADd, Bestand 30/14. 89 Tätigkeitsnachweis der Rot-Kreuz-Schwester Käthe Hornung aus Düsseldorf. UADd, Bestand 30/14. 90 Tätigkeitsnachweis der Rot-Kreuz-Schwestern Agnes Hüttemann und Susanne Groh aus Düsseldorf. UADd, Bestand 30/14.

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mit Gaumensegelparese und Starpatienten“91 keine weiteren erwähnt, ebenso fehlen die entsprechenden Therapiemaßnahmen. Krankenbericht einer Rot-Kreuz-Schwester aus Düsseldorf vom 22. Oktober 1930 In einer einzigen Personalakte war ein Krankenbericht enthalten, der ebenfalls im Rahmen einer Prüfung angefertigt wurde. Auch hier handelt es sich um eine 24-Stunden-Betreuung eines einzelnen Patienten. Anhand des Berichtes soll exemplarisch die spezielle Pflege auf einer Haut- und Infektionsstation veranschaulicht werden. Die Schwester beschrieb die Therapiemaßnahmen und teilweise auch die Symptome der ursprünglich wegen einer Schuppenflechte aufgenommenen Patientin, die man „mit Chrysarorbin-Salbe und Röntgenstrahlen behandelt[e]“.92 Eine Blutuntersuchung ergab die zusätzliche Diagnose Syphilis, „worauf eine Behandlung mit Neo-Salvarsan und Mesurol einsetzte“.93 Die für die Erkrankungen typischen Hautveränderungen wurden folgendermaßen versorgt: Auf Verordnung des Arztes erneuerte ich die Ohrumschläge, dabei entfernte ich die alten Ohrstreifen, die einen üblen Geruch hatten und mit einem schmutzigen Sekret durchtränkt waren. Fräulein R. hatte heftige Schmerzen. Sobald ich Glycerin und 65 % Alkohol zu gleichen Teilen einträufelte und die Streifen einlegte, trat eine Linderung ein. Dann legte ich den frischen Verband auf, den ich auch in der Nacht erneuerte. Die Lösung bestand aus: 1 Liter Wasser, 10 gr. Resorcin, 1 gr. Acid-salicyl, da sich ein leichtes Kältegefühl einstellte, erneuerte ich die Wärmflasche und reichte ihr eine Tasse Milch.94

Am Ende ihres Krankenberichtes dokumentierte die Schwester die Vitalzeichen und das spezifische Gewicht des Urins, der auf Zucker und Eiweiß untersucht worden war, und erstellte noch eine Bilanz zur Ausscheidung. Die vorliegende Quelle gibt sehr detailliert über die verrichteten pflegerischen Handlungen Auskunft. Der Bericht spiegelt zum einen die selbständig ausgeführten Pflegemaßnahmen und zum anderen das komplexe Tätigkeitsfeld wider. 6.2.4 Pflege in der Psychiatrie Es wurde in diesem Kapitel bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass sich die psychiatrische Pflege in einigen wesentlichen Punkten von der allgemeinen Krankenpflege unterscheidet, weshalb diese in einem Teilkapitel noch einmal gesondert aufgegriffen und beleuchtet wird. Anhand von Beispielen sollen die Hauptpfeiler der Anstaltsversorgung von psychisch Kranken und damit das Tätigkeitsfeld des Pflegepersonals veranschaulicht werden.

91

Tätigkeitsnachweis der Rot-Kreuz-Schwester Agnes Hüttemann aus Düsseldorf. UADd, Bestand 30/14. 92 Krankenbericht der Rot-Kreuz-Schwester Antonie Mechernich. UADd, Bestand 30/14. 93 Krankenbericht der Rot-Kreuz-Schwester Antonie Mechernich. UADd, Bestand 30/14. 94 Krankenbericht der Rot-Kreuz-Schwester Antonie Mechernich. UADd, Bestand 30/14.

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6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen

Medikamente Erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts kann man von der „Ära der Psychopharmaka“95 sprechen. Zuvor versuchte man zwar immer wieder, Heilmittel für psychiatrische Erkrankungen zu finden, musste sich jedoch mit Beruhigungsmitteln begnügen.96 Eines der bekanntesten ist Opium97 in verschiedenen Präparaten, das bereits im Altertum als Schlaf- und Schmerzmittel verwendet wurde. Während des 19. Jahrhunderts benutzte man hauptsächlich Opium in der psychiatrischen Pharmakotherapie. So empfahl Reil „Wein und Mohnsaft“98, Letzteren in kleinen Gaben. Daneben gab es weniger wirksame Mittel, wie das seit 1827 eingesetzte Bromkalium99, Chloralhydrat100 und Luminal101, um einige zu nennen102. In der psychiatrischen Behandlung spielte die Therapie mit Medikamenten eine eher untergeordnete Rolle. Arzneimittel wurden hauptsächlich als Schlafmittel und zur Ruhigstellung bei Erregungszuständen verwendet.103 Bromkalium spielte in Bethel eine besondere Rolle. Es wurde seit den 1880er Jahren als Antiepileptikum eingesetzt. Zudem verschickte man es in größeren Mengen weltweit, allein 1895 verließen 2.700 kg Bromkalium die Anstalt. Anfang des 20. Jahrhunderts äußerten die Ärzte der Anstalt jedoch zunehmend Bedenken zur Verwendung von Bromkalium, da bei falscher Dosierung bedenkliche Nebenwirkungen auftreten konnten. Ab Ende der 1920er Jahre ging der Gebrauch des Medikamentes zugunsten des Beruhigungsmittels Luminal zurück.104 Dies wurde seit 1912 zur Behandlung von Epilepsie sowie als Schlaf- und Narkosemittel eingesetzt. Medikamente wie Bromkalium und Luminal gehörten damals wahrscheinlich zu den Standardpräparaten in der Behandlung von Epileptikern. Umso überraschender ist es, dass die Vergabe nur in einem einzigen Beobachtungsprotokoll erwähnt wurde.105 Zwar weisen die aufgeführten Diagnosen eine Indikation für die medikamentöse Behandlung auf, jedoch kann nicht eindeutig belegt werden, inwieweit eine solche tatsächlich stattfand. 95 96 97 98 99

100 101 102 103 104 105

Hall (1997); Weber (2001); Leibrock (1998). Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 480. Benning (1936); Graby (1939). Vgl. Reil (1803/1968), S. 183. Bromkalium gehört zu der Stoffgruppe der Bromide und wurde 1827 als Sedativum und 1858 als Antikonvulsivum eingesetzt. Nebenwirkungen waren Schwindel, Kopfschmerzen, Depressionen, Bromschnupfen und die sogenannte Bromakne. Auch die Homöopathie verwendete Bromkalium hauptsächlich gegen Keuchhusten. Trotz der bekannten Nebenwirkungen wurden Brom-Harnstoffderivate bis 1950 verwendet. Chloralhydrat gehört zu der Stoffgruppe der Aldehydhydrate und wurde 1869 in der Berliner Charité als Sedativum eingesetzt. Luminal gehört zu der Stoffgruppe der Barbiturate und wurde 1903 als Hypnotikum bzw. Schlafmittel eingeführt. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 480–484. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 480. http://www.bethel-historisch.de/index.php?article_id=15 (letzter Zugriff: 14.4.2014). Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-002-1918.

6.2 Tätigkeitsbereiche

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Auch in der Illenau106 wurden Medikamente zur Ruhigstellung der Patienten verwendet. So zeugen die Tätigkeitsberichte von der mehrmals täglichen Vergabe von Hyoszin-107 und Morphiumtropfen sowie von der abendlichen Schlafmittelgabe von Veronallösung oder Luminal. Hyoszin wurde nicht nur oral verabreicht, sondern auch subkutan injiziert. So berichtete die Wärterschülerin Hedwig: „Bei der Abendvisite wurde Frau K. 1 ccm Hyoszin108 eingespritzt. Ungefähr eine halbe Stunde nachher schlief sie.“109 In einem anderen Fall erhielt eine Patientin die Hyoszin-Spritze am Vormittag zur Beruhigung.110 Das Morphin wurde nicht nur als Beruhigungs- und Schlafmittel angewendet, man nutzte schon damals eine der Nebenwirkungen für therapeutische Zwecke und gab Opiumtropfen auch gegen Diarrhoe.111 Krankenbeobachtung Die Krankenbeobachtung gehörte zu den wichtigsten Aufgaben des Pflegepersonals, vor allem in psychiatrischen Anstalten. Häufig gehen psychiatrische Krankheiten, wie Schizophrenie oder halluzinogene Psychosen, mit Wahrnehmungsstörungen einher. Die Patienten spiegelten ihr Krankheitsbild oder ihren aktuellen Gemütszustand über ihr Verhalten wider. Manchmal konnte dies auf eine Besserung der Erkrankung, das heißt ein erfolgreiches Ansprechen auf Therapie und Medikamente, hinweisen. In anderen Fällen wiederum gab ihr Verhalten Aufschluss über eine mögliche Verschlechterung des Krankheitszustandes oder konnte auf Symptome, Medikamentenüberdosierung oder mögliche Nebenwirkungen hinweisen. Vor allem bei eigen- oder fremdgefährdeten Patienten, wie beispielsweise Kranken mit suizidalen Absichten, war und ist das frühzeitige Erkennen von Warnsignalen wichtig. Christian Roller beschrieb in den Statuten von 1847 sehr detailliert, wie eine adäquate Krankenbeobachtung in Bezug auf die Sprache der Pfleglinge auszusehen hatte: Was er spricht; ob er auf Fragen richtig antwortet oder unrichtig, oder ganz Anderes als man ihn frägt; ob seine Rede Zusammenhang hat, er den Faden verliert, einzelne abgebrochene Sätze oder ganz verworren spricht, in seiner verworrenen Rede noch ein Sinn und welcher zu erkennen ist, oder ob der Kranke ganz unverständlich sinnlos spricht, seine Rede den Anschein fremder Sprachen gibt, in Reimen redet, ohne daß Jemand mit ihm spricht, Zwiegespräche führt, er ungefragt antwortet; ob er über sich oder Andere verkehrte, die Wirklichkeit übertreibende, entstellende oder ihr ganz widersprechende Gedanken (Wahnvorstellungen) und zwar immer dieselben habe.112 106 Da sich die Angaben auf die Tätigkeitsberichte des Wartpersonals stützen, kann kein genaues Datum genannt werden. 107 Hyoszin ist ein Alkaloid, welches als Beruhigungsmittel bei Nervenleiden eingesetzt wurde; subkutan injiziert, wirkt es stundenlang allgemein anästhetisch. 108 1 ccm ist die veraltete Form für 1 Kubikzentimeter und entspricht 1 Milliliter. 109 Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 870, ebenso Nr. 1016, Nr. 1932, Nr. 1492, Nr. 1625, Nr. 1386, Nr. 2304, Nr. 2049. 110 Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1525. 111 Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2434. 112 Vgl. Roller (1847), S. 120.

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6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen

Die Sprache diente hier als ein Indikator für Veränderungen des Krankheitszustandes. Inwieweit das Wartpersonal Rollers Anweisungen umsetzen konnte, spiegelt sich teilweise in den Tätigkeitsberichten wider. So beschrieb eine Wärterin die verbale Interaktion ihrer Patientin folgendermaßen: Auf den Gruß erwiderte sie nichts, 2–3 Minuten nachher hüpfte sie singend und in die Luft küssend im Saal herum. Dabei sagte sie: „Ich küsse, küsse euch!“ […] Sie weinte öfters und sagte dabei: „Ich kann nichts dafür, daß ich hier bin, erschießt mich.“ Bei der ärztlichen Visite sprach die Patientin nicht viel. Dann weinte sie wieder, betete, ging aus dem Bett zu ihrer Nachbarin deckte diese zu und sprach undeutlich auf sie ein.113

Alle Tätigkeitsberichte wurden neutral verfasst, das heißt, es sind keine Beurteilungen oder Wertungen von Seiten der Pflegenden darin enthalten. Auch wenn sie das Verhalten der Pfleglinge detailliert wiedergaben, deren Beleidigungen, Stimmungsschwankungen oder Ticks akribisch dokumentierten, berichteten sie nichts über ihre eigenen Gedanken oder Gefühle. Zwar ist es anzunehmen, dass sie teilweise genervt, gereizt, erbost oder ungeduldig das Verhalten der Patienten wahrnahmen, jedoch kann diese Vermutung nicht mit Belegen aus den entsprechenden Quellen gestützt werden. Die hohe Austrittsquote des Wartpersonals innerhalb der ersten fünf Jahre stützt allerdings diese Mutmaßung. Arbeitstherapie Zu den Besonderheiten der sogenannten „Irrenpflege“ gehörte die Arbeitsund Beschäftigungstherapie. Von eigentlicher Arbeitstherapie kann man ab dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts sprechen. Seither wurde sie, im Kontext anderer diätetischer Maßnahmen, zu einer therapeutischen Maßnahme. Die Feldarbeit schien dafür besonders geeignet.114 Der Arzt Johann Christian Reil (1759–1813)115 sah Arbeit überhaupt als Heilmittel an. Er postulierte eine bestimmte Reihenfolge von Tätigkeiten, die den Heilungsprozess fördern sollten. Diese Art von Arbeitstherapie wurde im frühen 19. Jahrhundert zunächst in den „Musteranstalten“116 Deutschlands praktiziert, so auch in der Heil- und Pflegeanstalt der Illenau117. Allerdings kam nur eine Minderheit der Patienten hierfür in Frage. Das Pflegepersonal beaufsichtigte und leitete sie dabei in unterschiedlichen Aufgaben an. Neben den therapeutischen Aspekten hegten die Anstalten durchaus auch ein ökonomisches Interesse. Viele psychiatrische Anstalten waren weitgehend Selbstversorger und konnten durch den Arbeitseinsatz der Pfleglinge Personal einsparen. Wilhelm

113 114 115 116

Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 870. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 436. Zu Johann Christian Reil siehe Hirsch (1932), S. 755. Zu den hier als Musteranstalten bezeichneten Einrichtungen gehörten im frühen 19. Jahrhundert Bayreuth (1805), geleitet von Johann Gottfried Langermann, Siegburg (1834) unter der Leitung von Maximilian Jacobi und die Illenau (1842), gegründet von Friedrich Wilhelm Roller. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 437. 117 Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 437.

6.2 Tätigkeitsbereiche

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Griesinger dagegen mahnte an, „dass die Anstalt der Patienten wegen da sei, nicht umgekehrt“.118 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war ein deutlicher Rückgang der Arbeitstherapie zugunsten der Bettbehandlung zu beobachten. Dennoch sprachen sich einige Psychiater weiterhin für die therapeutischen Aktivitäten aus. Ein großer Befürworter war der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler (1857– 1939)119: Sie [die Arbeitstherapie] übt die normalen Funktionen der Psyche, gibt unaufhörliche Gelegenheit zu aktivem und passivem Kontakt mit der Wirklichkeit, übt die Anpassungsfähigkeit, […] und vor allem bietet die Arbeit die einzige Gelegenheit für das Wartpersonal, sich mit den Kranken eingehender zu beschäftigen.120

Arbeitstherapie in der Westfälischen Brüderanstalt Nazareth Die Beschäftigung der Kranken war in den Westfälischen Anstalten121 ebenso wie in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau eine therapeutische Maßnahme. So stand bereits 1882 in der Berufsordnung der Nazareth-Diakone unter Paragraph 2 („Behandlung der Kranken“) Folgendes: „Die Hausväter bestimmen, in welcher Weise die einzelnen Kranken beschäftigt werden sollen. Es wird erwartet, dass jeder leistungsfähige Kranke möglichst zur Arbeit herangezogen wird.“122 Auffallend ist hierbei, dass die Hausväter genannt werden als diejenigen, die über die Beschäftigung der einzelnen Pfleglinge entschieden, und nicht die behandelnden Ärzte.123 Wie unterschiedlich die Tätigkeiten sein konnten, verdeutlichen die Beispiele der Beobachtungsprotokolle der Nazareth-Diakone. So schrieb im Winter ein Bruder: „13.30 Uhr Herr B. geht mit nach draußen arbeiten, er schaufelt Schnee.“124 Von einem anderen Patienten hieß es: „9 Uhr: [Patient] beginnt Holzhacken. Sehr fleissig und geschickt.“125 Aber auch im Haus konnten sich die Pfleglinge nützlich machen. Einige Patienten mussten jedoch hin und wieder zur Arbeit angehalten werden: Er beschäftigt sich den Vormittag mit staubwischen. Als er eine halbe Stunde geputzt hatte, wollte er nichts mehr tun, weil er doch kein Geld dafür bekäme, durch Zurechtweisung des Bruders tat er schließlich seine Arbeit bis mittags weiter. […] Von 1 ½ Uhr betätigte er sich mit Kokstragen. Hierbei achtete er nicht auf die Sauberkeit seiner Kleidung. 118 119 120 121

122 123 124 125

Vgl. Griesinger (1868), S. 30. Zu Eugen Bleuler siehe Hirsch (1929), S. 130. Vgl. Bleuler (1911), S. 385. Im Laufe ihrer Geschichte wandelte sich die Rheinisch-westfälische Anstalt für Epileptische von einer kleinen Privatanstalt der Inneren Mission (um 1870) zur christlichen Großanstalt unter staatlicher Aufsicht (seit 1895) und seit Mitte der 1980er Jahre weiter zum diakonischen Unternehmen. HAB, NA-KS-043, Berufsordnung für die Diakone der Westfälischen Brüderanstalt Nazareth zu Bielefeld, Bielefeld 1882. Zu dem Verhältnis Bodelschwinghs zu den Ärzten der Sarepta-Schwesternschaft: Schmuhl (2001). Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-071-1763. Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-075-1816.

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6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen Pat. musste vor der Kaffeepause zum Waschen aufgefordert werden, dagegen sträubte er sich, weil er nach der Kaffeepause wieder Kokstragen müßte.126

Ein weiteres Tätigkeitsfeld für die Pfleglinge des Hauses Morija127 bot die Beschäftigung in einer Papierwerkstatt. So wurde von einem Patienten berichtet: „Pat. falzte von 8½ Uhr bis 10¾ Uhr drei Tüten, sass meist nachsinnend am Tisch. […] Im Arbeitsraum klebte Pat. 3 Tüten, sass meist nachsinnend.“128 Und über einen anderen Pflegling: „Im Arbeitsraum nachmittags zerreist [sic!] er plötzlich einige gefaltete Blätter. Auf Befragen, gibt er zur Antwort: ,Die Blätter ärgerten mich‘, – Warum? ,Das weiss ich selbst nicht.‘“129 Die letzten Berichte lassen darauf schließen, dass die Betreuung der Patienten während ihrer Beschäftigung die Nazareth-Diakone erneut auf eine Geduldsprobe stellte. Zwar erwähnten die Nazareth-Diakone die Feldarbeit in ihren Beobachtungsberichten nicht, dennoch war diese auch in der Westfälischen Brüderanstalt üblich. So berichtete Bruder Hilgemann in seinem Beitrag „Ein Tag in der Epileptischen Pflege“ Folgendes: „Der Tag bringt für jeden eine seinem Können entsprechende Beschäftigung mit sich im Haus, Keller, Schälstube, Stall, Werkstatt. Die meisten aber gehen mit 2 Brüdern aufs Feld, wo es je nach Jahreszeit allerlei und jedenfalls immer genug zu tun gibt.“130 In dem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, welche Verantwortung die Brüder trugen, wenn sie mehrere Pfleglinge gleichzeitig beaufsichtigen mussten. Sobald einer der Kranken schwer führbar war, konnte dies die Gruppendynamik erheblich beeinträchtigen. Die Nazareth-Diakone beaufsichtigten nicht nur die Pfleglinge, sondern arbeiteten ebenfalls auf dem Feld, im Stall oder in der Werkstatt. Arbeitstherapie in der Illenau Da in den Tätigkeitsberichten der Wärterschülerinnen keine Patientinnen betreut wurden, die für die Feldarbeit geeignet waren, mussten als zusätzliche Quelle Beschwerdeberichte hinzugezogen werden. Größtenteils handelte es sich hierbei um die Verletzung der Aufsichtspflicht.131 So geht aus einer Beschwerde von 1923 beispielsweise hervor, dass „Pfleger Lienerts Aufsichtsführender der Arbeitskolonne beim Heuen“132 war. Die Pfleglinge waren also in Arbeitskolonnen eingesetzt und verrichteten unter Aufsicht und Anleitung verschiedene Tätigkeiten.

126 Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-002-1918. 127 Morija, aus dem Hebräischen, biblische Bezeichnung für den Tempelberg in Jerusalem; das Land, in dem der von Gott erwählte Berg steht. 128 Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-077-1875. 129 Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-076-1809. 130 HAB, NA-B 230.0+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902, S. 18. 131 Auf Beschwerden über das Personal wird in Kapitel 7.3 detaillierter eingegangen. 132 Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1543.

6.2 Tätigkeitsbereiche

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Abb. 1: Heil- und Pflegeanstalt Illenau: Weberei (1910) Quelle: Archiv Illenau Forum, Siegfried Stinus

Die Illenau bot ein vielfältiges Arbeitsangebot, wobei die männlichen Patienten eher zu handwerklichen Arbeiten herangezogen wurden, während die Frauen die Haus- und Handarbeiten verrichteten.133 Die Möglichkeiten für die Patienten erstreckten sich von der eigenen Schlosserei, Schusterei und Sattlerei über die Buchbinderei zur Schreinerei und zur Schmiede. Bei den Arbeiten betreute und leitete ein Wärter ungefähr 30 Pfleglinge. Die Patientinnen hingegen putzten Gemüse, nähten, sponnen, strickten, zudem webten sie und halfen bei der Reinigung der Anstalt.134 Nicht alle Pfleglinge waren von dem Therapiekonzept „Heilung durch Arbeit“ angetan. So beschwerte sich der Patient Leopold F.: „Zur Handarbeit werde er sich nicht bestimmen lassen, sondern [er] wünschte sich etwas zu schreiben, da geistige Arbeit für ihn besser sei.“135 Die Pfleglinge wurden nur in seltenen Fällen finanziell entlohnt, allenfalls erhielten sie für „gesittetes und folgsames“ Verhalten Naturalien in Form von Bier, Kaffee, Obst, Schnupf- oder Rauchtabak.136 133 Vgl. Burkhardt (2003), S. 202. 134 Vgl. Burkhardt (2003), S. 202. 135 Aufzeichnung vom 31.10.1842, in: KG Leopold F. (S. 1034), zit. n. Burkhardt (2003), S. 205. 136 Vgl. Roller (1831), S. 194.

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6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen

„Beschäftigungstherapie“ Mit der „aktiveren Krankenbehandlung“ postulierte der Psychiater Hermann Simon137 einen neuen Stil in der Arbeitstherapie des 20. Jahrhunderts. Ein Bestandteil seiner aktiveren Behandlung betraf die Freizeitgestaltung der Insassen. Sie sollten zum Spielen, Lesen, Tanzen, Turnen, Musizieren und zur Unterhaltung motiviert werden und eben nicht, wie gehabt, nur zur produktiven Arbeit. Ein Ziel von Simon war es, alle Kranken zu beschäftigen. Tatsächlich ließen sich fast alle Patienten in sein Behandlungskonzept eingliedern.138 Man kann sicherlich nicht von einer Beschäftigungstherapie sprechen, wie sie heutzutage praktiziert wird. Die Tätigkeitsberichte der Wärterinnen und die Beobachtungsprotokolle der Nazareth-Diakone nennen auch Beispiele für die Beschäftigung außerhalb der Arbeit. Zu den häufigsten Beschäftigungen sowohl in der Illenau als auch in Bielefeld zählten Lesen139, Stricken und Spielen140. Eine ganz andere Betätigung, die zugleich dem körperlichen Wohl diente, waren die Turnstunden, an denen auch das Pflegepersonal teilnahm. Bereits Christian Roller hatte diese Sportstunden in der Anstalt eingeführt. Die Männer machten hier Ballübungen, spielten Ringtennis und turnten an Geräten, während die Frauen Atem-, Gehund Springübungen sowie rhythmische Gymnastik machten.141 Franz Joseph Weisenhorn, ein Oberarzt der Illenau, berichtete darüber: „Die Erfahrung, die wir während eines Jahres mit der sportlichen Beschäftigung der Kranken gesammelt haben, lassen keinen Zweifel darüber, dass damit der Beschäftigungsbehandlung eine wertvolle Bereicherung zugeführt wurde.“142 Das Unterhaltungsprogramm für die Pfleglinge und auch für das Personal gestaltete sich in der Illenau abwechslungsreich. Zum einen gab es das sogenannte Illenauer Haustheater, welches Stücke für Patienten und Angestellte aufführte, zum anderen wurden Tanz-, Lichtbild- und Filmabende veranstaltet.143 Die Patienten gehobener Stände genossen in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau wöchentlich ein Kränzchen, bei dem die Herren sich genüsslich mit Zigarre und Bier im Billard-Zimmer unterhielten, während für die Frauen im Beisein von Ärzten und Geistlichen ein ähnliches Beisammensein mit Spiel organisiert wurde.144 Im Winter unterrichtete Prof. Robert Roller Frauen aus 137 Zu Hermann Simon siehe Kapitel 2.2. 138 Für die westfälischen Heil- und Pflegeanstalten Gütersloh und Warstein lag der Beschäftigungsgrad 1927 bei 92–96 %. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 442. 139 In der Bibliothek der Illenau, die für alle offenstand, befanden sich mehrere Tausend Bücher. Vgl. Lötsch (2001), S. 44. 140 Es wurde beispielsweise Schach und Billard gespielt. In Bielefeld gab es eigens hierfür einen Billardsaal. 141 Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-077-1875, NA-PA-075-1803, NA-PA-075-1816, NA-PA-002-1918. 142 Vgl. Weisenhorn (1930), S. 555. 143 Vgl. Burkhardt (2003), S. 206. 144 Vgl. Erhardt (1845), S. 628.

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Abb. 2: Heil- und Pflegeanstalt Illenau: Patienten auf der Sportwiese (1910) Quelle: Archiv Illenau Forum, Siegfried Stinus

den höheren Ständen in den Fächern Physik und Naturgeschichte.145 Weder in der Männer- noch in der Frauenrunde waren Wärterinnen oder Wärter anwesend.146 Auf dem Weg zur Gesundheit konnten die männlichen Patienten der Heilund Pflegeanstalt Illenau als auch die Pfleglinge der Westfälischen Anstalten die Bewilligung erhalten, allein die Anstalt zu verlassen. So durfte beispielsweise der mit der Diagnose Melancholie aufgenommene Gastwirt Friedrich M. die Illenau regelmäßig verlassen. In seiner Krankengeschichte gibt es etliche Notizen über seine Besuche in den nahe gelegenen Gasthäusern, so auch vom 26. Januar 1869: „trank die letzten zweimal beim Ausgang zu viel.“147 Für die Patienten, die nicht alleine aus der Anstalt konnten, gab es die Möglichkeit, einen Ausflug in Begleitung einer Wärterin oder eines Wärters, meist in das nahe gelegene Offenburg, zu machen. So berichtete 1907 ein Wärter: Ich war beauftragt am 15. d. M. nachmittags 2.30 Uhr mit dem Patienten K. mit der Bahn einen Ausflug nach Offenburg und mit dem um 6.20 Uhr derselbst abgehenden Zuge hierher zurückzukehren.148 145 146 147 148

Bericht über die Visitation der Illenau. GLA, Bestand 36/3678. Vgl. Burkhardt (2003), S. 207. Zit. n. Burkhardt (2003), S. 209. Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 961.

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Diese Art der Freizeitgestaltung gab es auch in den Westfälischen Anstalten. So erwähnte ein Nazareth-Diakon 1933 in seinem Beobachtungsbericht: Gegen 16 Uhr stand er [der Pflegling] vor dem Dienstzimmer und bat, ihm die Tür zu öffnen, damit er ausgehen könne. Als die Tür aufgemacht wurde, sah er erst noch einmal nach seinem Zimmer hin, nickte mit dem Kopf […] Vom Ausgang kehrte er erst um 18 ½ Uhr zurück.149

Was die Pfleglinge in dieser Zeit machten, ist nicht dokumentiert. In der Illenau war nicht nur das Wartpersonal für die Beschäftigung der Kranken zuständig, auch die Geistlichen150 sollten als „Freund und Gesellschafter in den Abteilungen“151 wirken, indem sie den Patienten etwas vorlasen, sich mit ihnen unterhielten oder etwas spielten, um für Abwechslung in dem zeitweise tristen Anstaltsalltag zu sorgen152. Psychische Belastung durch die Arbeit in psychiatrischen Anstalten Es steht außer Frage, dass die Arbeit im Krankenhaus für das Pflegepersonal eine psychische Belastung darstellte. Die tägliche Konfrontation mit Tod, Krankheit und der eigenen Hilflosigkeit hinterließ ihre Spuren. Jedoch hatte der Umgang mit psychisch kranken Menschen zusätzlich noch eine ganz andere Dimension. Es war weniger die körperliche Arbeit als die psychische Belastung, die das Wartpersonal und die Diakone immer wieder auf die Probe stellte. Anhand einiger Beispiele soll die große Spannbreite der Belastung verdeutlicht werden. Die Erfahrungen des Personals reichten von harmlosen Gesprächen über Geduldsproben und persönliche Beleidigungen mit Drohgebärden bis hin zu körperlicher Gewalt des Pfleglings gegen sich selbst und gegen die Pflegenden. Zu Beginn ein Beispiel aus dem Beobachtungsprotokoll eines NazarethDiakons von 1933, der ein Gespräch mit einem Patienten wiedergibt: Sitzt wieder am Tisch und zeichnet. Nach seiner Arbeit befragt sagt er: „Es handelt sich hierbei um streng wissenschaftliche Forschungen, die für die ganze Welt von großer Wichtigkeit sind. Es handelt sich um gesunde Grundlagen für die Funktion des Denkens. Die Welt leidet an dummen und anormalen Gedanken, will sie bessern, aber die Voraussetzungen fehlen. Daher die vielen Unglücke in der Welt, darum stehen die Menschen auch unter dem Tier.“153

Hierbei handelte es sich zuerst einmal um ein Gespräch, in dem sich zum Teil die Krankheit des Pfleglings widerspiegelt. Es schwang keine Aggressivität mit, und es kam auch zu keinem tätlichen Angriff, dennoch war es auf Dauer sehr anstrengend, täglich mit Menschen zu arbeiten, die in anderen Welten lebten, zu denen das Personal oft keinen Zugang fand. Es bedurfte viel Erfah149 Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-075-1816. 150 Für den seelischen Beistand war neben einem katholischen und einem evangelischen Pfarrer auch ein Rabbiner für die jüdischen Pfleglinge eingestellt. 151 Vgl. Lötsch (2001), S. 72. 152 Vgl. Lötsch (2001), S. 73. 153 Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-075-1816.

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rung und Geschick, die Patienten durch den Anstaltsalltag zu führen, ihnen Regeln und Grenzen aufzuzeigen. Aus den Quellen geht nicht hervor, wie und ob die Nazareth-Diakone tatsächlich für diese Aufgaben geschult wurden. Viele Krankheitsbilder gingen mit stereotypen Handlungen einher, sei es in Form von Ticks, Zwangshandlungen oder regen Selbstgesprächen. Aus den untersuchten Berichten lässt sich schließen, dass die Pflegekräfte nicht versuchten, den Pflegling daran zu hindern. Vielmehr ließen sie den Patienten gewähren, wobei dies oft zeitintensiv war und viel Geduld beanspruchen konnte. Ein klassisches Beispiel hierfür waren neben der Körperpflege vor allem die Mahlzeiten. Ein Nazareth-Diakon berichtete 1933: Beim Mittagessen aß Pat. die Hälfte seines Tellers Suppe allein, braucht[e] dazu 20 Minuten, fährt mit jedem Löffel Suppe 10–20 mal nochmal im Teller nach, um noch mehr draufzukriegen. Den Rest der Suppe gab ihm der Bruder und den Nachtisch aß Pat allein auf, benötigte dazu ebenso 35 Minuten, griff wieder mit dem Löffel in die Speise und ließ sie 20 mal in den Teller zurück bis zu einem Moment, da er den Löffel sehr rasch und hastig zum Munde führte und dann schnell die Speise schluckte.154

War man täglich mit solchen Situationen konfrontiert, konnte das durchaus zu einer Gereiztheit auf Seiten des Personals führen. Mit psychisch Kranken zu arbeiten, bedeutete auch, stets auf alles gefasst zu sein. Zum einen konnte das Verhalten der Patienten beängstigend auf einen wirken, wie das Beispiel eines an paranoider Demenz leidenden Pfleglings der Westfälischen Anstalten von 1933 zeigt: Pat. sitzt über Bücher gebeugt am Tisch und zeichnet. Steht auf, stellt sich vor den Bruder hin: „Ihre Augen haben unter der Krankheit gelitten!“ Er sieht dem Bruder lange in die Augen. Fuchtelt mit beiden Händen vor den Augen des Bruders schüttelt noch ein paar Male den Kopf, um ihn wie zu hypnotisieren und starrt den Bruder lange an. Sagt dann: „Sie haben im rechten Auge einen Raubus. Es kann aber besser werden.“155

Zum anderen war das Pflegepersonal stets mit den Wahnvorstellungen und den Halluzinationen der Kranken konfrontiert, beispielsweise „einem Engel mit einem Totenkopf“.156 Von einer Patientin mit Vergiftungsvorstellungen berichtete 1927 eine Wärterschülerin der Illenau die folgenden Äußerungen: […] das geht nicht so schnell bei mir, ich muss es gründlich machen, denn ich habe Essig in mir, der ist vergiftet, jetzt geht er zwar etwas heraus an den wunden Stellen an meinen Händen, ich denke bis in zwei Jahren ist alles heraus […].157

Die Pfleglinge durchliefen je nach Krankheitsbild unterschiedliche Phasen, auf die man sich als Pflegkraft immer wieder neu einstellen und zeitweise auch schnell reagieren musste. Bei dem folgenden Beispiel von 1929 handelte es sich um eine suizidale Patientin der Illenau, die bereits einen Selbstmordversuch verübt hatte. Die Aufgabe der Wärterin war es, zu erkennen, wann eine akute Suizidalität auftrat, um einen erneuten Suizidversuch zu verhindern. 154 155 156 157

Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-077-1875. Beobachtungsprotokolle. HAB, NA-PA-075-1816. Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1769. Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2044.

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6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen

Auch hier spielte Empathie und Erfahrung eine große Rolle, um den Anforderungen, die an das Personal gestellt wurden, gerecht zu werden. So sagte die Patientin: Ich würde essen, aber ich habe immer Angst es würde etwas passieren. Auch wenn ich mit dem Arzt spreche, so muss jemand sterben. Auf die Frage ob sie nicht der Meinung wäre, dass dies alles krankhaft wäre, erwiderte sie: „Ich weiss, dass ich in Illenau bin, aber es ist ja viel besser. Ich bin lange nicht so weltlich gesinnt wie früher.“ Auf die Frage welche Gedanken sie früher hatte, sagte sie: „Ich habe immer Selbstmordgedanken und bin auch einmal zum Fenster rausgesprungen.“158

In einem anderen Fall beschrieb 1927 eine Wärterin der Heil- und Pflegeanstalt eine aggressive Patientin, die sie beschimpfte und sogar nach ihr schlug: „Mach dass du weg kommst, du Zuchthäusler. Wie viel Jahr bist du denn im Zuchthaus gehockt?“ Dabei schlug sie nach mir und schimpfte ungefähr eine Stunde. […] Zum Mittagessen hatte sich die Patientin immer noch nicht beruhigt. […] „Was ist das denn für eine Suppe? Die kannst du selbst fressen, wenn du willst, aber ich esse sie nicht.“ Schob sie auf die Seite. Nach dem Essen band sie sich ein Taschentuch um den Kopf und schlug mit beiden Händen auf das Deckbett mit den Worten: „Feinde, Feinde, zurück, zurück!“ Auf meine Frage, warum sie das mache, schlug sie nach mir, liess sich aber in ihrer Handlung nicht stören.159

Die Patienten konnten enorme Kräfte entwickeln, und es kam durchaus vor, dass eine weitere Wärterin oder ein Wärter zu Hilfe kommen musste: Als ich sie aufforderte mit ins Bad zu kommen, um sie zu frisieren, hielt sie die Decke zurück und schlug tüchtig drauf los, so dass ich Hilfe brauchte, um sie aus dem Bett zu bekommen. Dabei schrie sie: „Die macht bloss mein Bett, damit sie mein Bett bekommt.“160

Die Beschimpfungen und Drohgebärden richteten sich nicht nur gegen das Pflegepersonal, sondern auch gegen Mitpatienten.161 In einem solchen Fall musste die Pflege rechtzeitig einschreiten, bevor die Situation zu eskalieren drohte. Eine Wärterin schrieb dazu 1927: Kurze Zeit darauf nahm sie die Seife einer anderen Kranken weg, ebenso Waschlappen und Seife, wickelte es in das Handtuch und wollte es im Bett verstecken. Auf mein Zurückhalten wurde sie sehr böse, schlug mit beiden Händen nach mir.162

Eine andere Wärterin berichtete: „Nach einer Weile setzte sie sich im Bett auf und weinte, plötzlich riss sie ihrer Nachbarin das Buch aus der Hand und sagte: ,Du sollst nicht lesen.‘“163 Der erste Direktor der Illenau, Christian Roller, gehörte, wie bereits erwähnt, nicht zu den Anhängern des „Non-restraint“-Systems, weshalb in den Anfangsjahren der Illenau noch Tobsuchtszellen existierten. Dorthin wurden Patienten gebracht, wenn sie nicht mehr zu beruhigen waren oder um sie zu 158 159 160 161 162 163

Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1944. Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2371. Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2371. Darunter fallen auch Patientinnen. Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2371. Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1053.

6.2 Tätigkeitsbereiche

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bestrafen. Häufig wurden unruhige Pfleglinge der Illenau auch in der Nacht dorthin gebracht, damit sie die Mitpatienten nicht beim Schlafen störten. Eine Wärterin beschrieb den Ablauf 1927 wie folgt: Um 1½ Uhr erwachte sie und fing mit kräftiger Stimme an zu schreien: „Julchen, du bist mein Augenstern, leck mich am A…, Julchen, du bist ein Luder.“ Ich ging zu ihr hin, versuchte sie zu beruhigen, worauf sie aber nicht hörte, sondern noch viel mehr schrie. Um 1¾ Uhr musste ich Frau R. isolieren, welches mir nur mit Hilfe der Nachtwache gelang. In der Zelle ging Frau R. auf und ab, wobei sie mit Händen und Füßen gegen die Tür schlug und heftig schimpfte. Frau R. blieb bis 6½ Uhr isoliert.164

Wichtig war es für das Pflegepersonal, sich von verbalen oder körperlichen Äußerungen der Patienten innerlich zu distanzieren. Dies galt sicherlich auch für die allgemeine Pflege im Krankenhaus, aber insbesondere für den Umgang mit psychisch Erkrankten. Das Personal war angehalten, auf Beleidigungen, Beschimpfungen, Übergriffe oder andere Arten von Provokationen gelassen zu reagieren. Heute würde man von der Wahrung der „professionellen Distanz“ sprechen. Christian Roller formulierte dies in seiner Haus-Berufsordnung von 1847 unter dem Punkt „Benehmen gegen die Kranken“, Paragraph 31, folgendermaßen: Die Kranken sind für das, was sie reden oder thun, nicht verantwortlich. Ihre Schimpfreden oder Gewaltthätigkeiten, auch wenn sie den Schein der Bosheit an sich tragen, müssen als Aeußerungen ihrer Krankheit angesehen und mit Nachsicht ertragen werden. Wer mit diesen Kranken umgehen will, darf sich dadurch nicht beleidigt fühlen und die Schimpfworte und Schläge der Kranken u. dergl. nicht in gleicher Weise erwidern, darf ihren Angriffen nur Nothwehr entgegensetzen.165

Inwieweit das Personal in der hier beschriebenen „Nachsicht“ unterrichtet wurde, ist leider nicht bekannt. Dass dies der Pflege nicht immer glückte, zeigte sich in den Beschwerden über Misshandlungen an Pfleglingen.166 Erschwerend kam hinzu, dass zu der damaligen Zeit nur geringe Möglichkeiten zur medikamentösen Ruhigstellung zur Verfügung standen. Für das Pflegepersonal war es ein großes Problem, die Patienten in Erregungszuständen zu beruhigen, der Umgang mit Zwangsmitteln gehörte daher ebenfalls zu seinen Aufgaben. Hier wäre der Zwangsstuhl und die Zwangsjacke bzw. die komplette Isolation des Kranken zu nennen.167 Aber auch Bäder sollten zur Beruhigung dienen; das sogenannte Dauerbad wurde im Bericht von Wärterschüler Johann 1929 erwähnt: Um 8.30 Uhr mußte [Herr] M. isoliert werden, weil er andere Kranke fortwährend bedrohte. Im Isolierraum war [Herr] M. sehr laut und sang verschiedene Lieder. Um 9 Uhr erhielt [Herr] M. ein Dauerbad von 1 ½ Stunden. In demselben war [Herr] M. sehr unruhig und musste nach dem Bad wieder in den Isolierraum gebracht werden, wo er mit Händen und Füßen an die Tür desselben schlug.168 164 Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1932. 165 Vgl. Roller (1847), S. 66 f. 166 Auf das Thema Beschwerden über das Pflegepersonal wird detaillierter in Kapitel 7.3 eingegangen. 167 Dies trifft auf die Wärterinnen und Wärter der Illenau zu. Vgl. Burkhardt (2003), S. 210. 168 Tätigkeitsberichte der Wärterschülerinnen der Illenau. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2304.

198

6 Ausbildung und Tätigkeitsbereiche der Pflegegruppierungen

6.2.5 Pflegefremde Tätigkeiten Pflegefremde Tätigkeiten gehören heute, wie auch bereits im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, zum Arbeitsalltag im Krankenhaus.169 Sie unterschieden sich allerdings erheblich von den heutigen. Im Tagesablauf der Diakonissen vom Lutherstift Frankfurt am Main aus dem Jahre 1913 tauchen folgende Verrichtungen auf: […] zum Teil wurden die Schülerinnen angeleitet im Reinigen der Zimmer, der Schlafund Wohnräume, andere besorgten das Essenholen, Tischdecken und Abräumen, Abwaschen des Geschirrs, Kaffeewagen etc. wieder andere haben die Treppen und Korridore zu säubern, zwischendurch giebt es Fenster zu putzen, Betten zu klopfen usw. Andere Schülerinnen wurden in der Küche beschäftigt und lernen einfache Hausmannskost aber auch Braten, Speisen, Kuchen zu bereiten.170

Wie diese Aussagen zeigen, gehörten vor allem Reinigungs- und Hausarbeiten zu den pflegefremden Verrichtungen. In welchem Maße sie zu erledigen waren, hing von Station, Krankenhaus und Pflegegruppierung ab. Die zusätzlich anfallende Arbeit führte oft zu einer Überbürdung der Schwestern, die ohnehin einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt waren. Zudem herrschte ein ständiger Personalmangel in den Kliniken. So wandte sich Pastor v. Bodelschwingh 1909 direkt an den Bremer Klinikdirektor Dr. Stoevesand: „Es fehlt schon seit Weihnachten ein Dienstmädchen im Haus und unserer Meinung nach müsste nicht nur diese sondern noch ein zweites [Dienstmädchen] sofort eingestellt werden, damit die Schwestern von den häuslichen Arbeiten noch mehr entlastet sind.“171 Entgegen der allgemeinen Vermutung, dass ausschließlich Frauen zu Haus- und Reinigungsarbeit herangezogen wurden, betraf dies auch die Nazareth-Diakone, als sie in der Berliner Charité eingesetzt waren. Dementsprechend lautete Paragraph 3 der Instruktionen für die Diakone: Zu den Diaconen aufliegenden Arbeiten gehören nicht nur die bestimmten Pflegearbeiten bei den Kranken, sondern auch anderweitige Arbeiten, zur Reinigung des Saales und des Badezimmers, namentlich das Putzen der höheren Fenster, der Metalltüren u. s. w., so wie es die richtige Arbeitsstellung und die Einteilung der vorhandenen Kräfte mit sich bringt.172

Natürlich barg eine solche Anweisung Konfliktpotential zwischen den Diakonissen und Diakonen, worauf in Kapitel 7 ausführlicher eingegangen wird. Als weitere Punkte könnte man administrativ und kommunikativ bedingte Verrichtungen, wie die Einteilung der Dienste und die Bearbeitung und Wei169 Da es um pflegefremde Tätigkeiten im Krankenhaus geht, bezieht sich dieser Abschnitt ausschließlich auf die Pflegegruppierungen, die auch dort gearbeitet haben. Zwar mussten auch die Wärterinnen und Wärter diese Art von Tätigkeiten verrichten, jedoch häufig im Rahmen von Arbeitstherapie, gemeinsam mit Pfleglingen. 170 Tagesablauf des Diakonissen-Mutterhauses Lutherstift von 1913. HAB, Sar 1, 629. 171 Brief von Pastor Bodelschwingh von 1909. HAB, Sar 466, Bremen Krankenanstalten 1901–1910. 172 Entwurf Instruktionen für die Diakonen in der Universitätsklinik zu Berlin. HAB, NAST-044, Berlin Charité.

6.3 Resümee

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terleitung von Urlaubsanträgen, erwähnen, jedoch bietet das vorliegende Quellenmaterial keine ausreichenden Informationen, um ausführlicher davon berichten zu können. 6.3 Resümee Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert war bei den hier untersuchten Pflegegruppierungen die Ausbildung in der Krankenpflege oder Irrenpflege stets mit Unterricht in allgemeinbildenden Schulfächern wie Lesen, Schreiben und Rechnen sowie mit der christlichen Persönlichkeitserziehung verbunden. Auf Letzterer lag lange die Priorität, da die Krankenpflege nicht als Beruf, sondern als Berufung galt. Zu den Hauptaufgaben der religiös geprägten Organisationen gehörte neben der körperlichen Pflege des Patienten auch der geistliche Beistand. Mit dem 1906 erlassenen Krankenpflegegesetz änderten sich zwar nicht schlagartig die verschiedenen Ausbildungsmodalitäten, jedoch kam es zu einer allmählichen Anpassung an die staatlichen Forderungen. Gleichzeitig war ein großer Schritt zur Verberuflichung und Professionalisierung der Krankenpflege gemacht. Auffallend in Bezug auf die Ausbildungssysteme war das der Rot-KreuzSchwestern aus Düsseldorf. Mit einer insgesamt dreijährigen Ausbildungszeit entsprachen sie genau den damaligen Forderungen der B. O. K. D. und überschritten sogar die staatliche Regelung – ein Novum, welches auch finanziell getragen werden musste, da die Schwestern während des Unterrichts stets von der Arbeit freigestellt wurden. Angesichts der Quellenlage der vorliegenden Studie fällt es jedoch schwer, zu beurteilen, inwieweit die Ausbildung tatsächlich qualitativ besser war als die der anderen Pflegegruppierungen. Mit Sicherheit kann jedoch gesagt werden, dass sie strukturierter war. Die verschiedenen Tätigkeitsbereiche zeugten von der Vielfalt des Arbeitsfeldes in der Krankenpflege. Gleichzeitig verdeutlichten sie auch, wie wichtig eine fachlich fundierte Ausbildung war. Durch die medizinischen Fortschritte ließ sich die Krankenpflege nicht mehr auf eine allgemeine Grundpflege reduzieren. Mit zunehmenden medizinischen Therapiemöglichkeiten und wachsenden Patientenzahlen stiegen auch die Arbeitsanforderungen an die Pflege. Zu der ohnehin hohen Arbeitsbelastung kamen noch zahlreiche pflegefremde Tätigkeiten. Zur Entlastung stellte man hierfür im Bestfall gesonderte Hilfskräfte ein. Das Personal in der Irrenpflege musste darüber hinaus ganz besondere Fähigkeiten aufweisen. Mit der aufkommenden Arbeits- und Beschäftigungstherapie waren sie die primären Kontaktpersonen der Pfleglinge. Zum Anstaltsalltag gehörte neben den pflegerischen Tätigkeiten auch die körperliche Arbeit. Da Arbeit und Freizeitbeschäftigung zur Behandlung der Insassen eingesetzt wurden, mussten diese darin angeleitet und überwacht werden. Die psychische Belastung für das Pflegepersonal war enorm. Es musste Tag für Tag die Ticks der Patienten ertragen und mit Aggressionen, Gewalt, Verweigerung und Beleidigung umgehen können.

7 Spannungsfelder und Probleme Situationen, die ein hohes Konfliktpotential in sich bargen, werden im Folgenden als Spannungsfelder bezeichnet. Die Ursachen hierfür konnten in den anzutreffenden Rahmenbedingungen, in zwischenmenschlichen Beziehungen oder im extremen Fall in rechtswidrigen Handlungen liegen. Der Pflegealltag des ausgehenden 19. bzw. beginnenden 20. Jahrhunderts liefert zahlreiche Ursachen und Beispiele für Streitigkeiten innerhalb des Personals und Beschwerden über die Pflegenden. So mancher Patient hatte eine Beschwerde vorzubringen, aber auch die Ärzteschaft war teilweise mit der Arbeit der Schwestern, Wärterinnen, Wärter oder Brüder unzufrieden. Verletzung der Aufsichtspflicht, Alkoholkonsum im Dienst oder Gewalt gegenüber den Pfleglingen sind die häufigsten Vorwürfe, die in diesem Zusammenhang genannt wurden. Arbeitsüberlastung, mangelnde Verpflegung und schlechte Unterkünfte sind wiederum die häufigsten Probleme, die den Berufsalltag des Pflegepersonals prägten. Unter den Punkt zwischenmenschliche Beziehungen fallen neben Differenzen zwischen und innerhalb der Pflegegruppierungen auch Unstimmigkeiten mit der Ärzteschaft. Die Pflegenden sollen in diesem Kapitel ebenfalls zu Wort kommen, denn auch sie mussten sich mit Problemen und Schwierigkeiten im Pflegealltag auseinandersetzen. Als Hauptquelle für die Sarepta-Diakonissen dient der Briefwechsel zwischen Mutterhaus, den Diakonissen und den Bremer Krankenanstalten, in denen sie seit 1879 eingesetzt waren. Zeitungsausschnitte von 1894 berichteten über einen Skandal aus der Bremer Psychiatrie, in der Pfleglinge angeblich von Diakonissen geschlagen wurden. Für die Nazareth-Diakone und die Wärterschaft der Illenau waren Beschwerdeberichte aus den einzelnen/jeweiligen Personalakten ebenso von Bedeutung wie die Beurteilungsbogen über ihre Leistung und Qualifikation. Letzteres gab es auch für die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf, jedoch nur in geringer Anzahl. Die Bogen geben einen allgemeinen Eindruck von der Person und ihrer Arbeit als Schwester, nennen jedoch keine expliziten Beschwerden. Die Chroniken der Barmherzigen Schwestern aus Münster enthalten nur wenige Informationen zu diesem Thema. Der Grund hierfür liegt in der Quelle, denn für das Mutterhaus war die Schwesterngemeinschaft von Bedeutung, weniger die Schwierigkeiten der Einzelnen.

7.1 Konflikte und Beschwerden der Pflegenden aufgrund von Rahmenbedingungen Unter Spannungen, die aufgrund der damaligen Rahmenbedingungen auftraten, fallen nicht nur Arbeits- und Lebensbedingungen, sondern auch Unstimmigkeiten, welche durch Vertragsregelungen zwischen Mutterhaus und Klinikdirektion hervorgerufen wurden. Am Beispiel der regelmäßig gehaltenen

7.1 Konflikte und Beschwerden der Pflegenden

201

Andachten der Sarepta-Diakonissen und Nazareth-Diakone soll dies verdeutlicht werden. Nicht alle Diakonissen, Diakone, Nonnen oder Rot-Kreuz-Schwestern arbeiteten an einem Krankenhaus, das einen sogenannten Gestellungsvertrag mit dem Mutterhaus hatte, worin die Lebens- und Arbeitsbedingungen der dort eingesetzten Pflegekräfte geregelt wurden. Folglich war dann nicht mehr das Mutterhaus, sondern das betreffende Krankenhaus neben Unterkunft und Verpflegung auch für die Arbeitsbedingungen, wie beispielsweise Arbeitszeit oder Urlaub, verantwortlich. Der Erste Weltkrieg und die spätere Weltwirtschaftskrise hatten ebenfalls Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen und müssen deshalb gesondert betrachtet werden. 7.1.1 Missstände in der Verpflegung und Unterkunft des Personals Verköstigung Viele der Sarepta-Schwestern und Nazareth-Diakone hatten ihren Arbeitseinsatz in den Bremer Krankenanstalten. Während dieser Zeit kam es immer wieder zu Klagen über die dortige Verköstigung. Eine gute und ausreichende Verpflegung war wichtig, um die Gesundheit und die Arbeitsfähigkeit der Pflegenden zu erhalten, da die Arbeitsbelastung für das Personal stetig zunahm. Um einem Leistungs- und Gesundheitsknick rechtzeitig vorzubeugen, wurden beispielsweise die Düsseldorfer Rot-KreuzSchwestern regelmäßig gewogen. Im Falle eines Gewichtsabfalls verordnete man ihnen Zusatzrationen an Milch oder Sahne. So erhielt Schwester Josephine 1930 für vier Wochen zusätzlich einen Liter Milch und einen Joghurt am Tag, als sie innerhalb von vier Monaten zwei Kilogramm abgenommen hatte.1 Anders sah es bei den Sarepta-Diakonissen und Nazareth-Diakonen aus. Zahlreiche Briefe des Bielefelder Mutterhauses an die Bremer Direktion zeugen von Klagen der Diakonissen und Diakone über eine mangelhafte Verpflegung. Diese Beschwerden tauchten über den gesamten Untersuchungszeitraum immer wieder auf, doch besonders laut wurden sie in Krisenzeiten wie während des Ersten Weltkriegs sowie zur Zeit der Hyperinflation und der Weltwirtschaftskrise, worauf in Kapitel 7.1.3 genauer eingegangen wird. Eigentlich wurde den Schwestern durch den Gestellungsvertrag2 eine Verköstigung vom sogenannten „ersten Tisch“3 zugesichert. Jedoch konstatierte 1910 das Mutterhaus, dass die Diakonissen Speisen erhielten, die ur-

1 2 3

Personalakte der Rot-Kreuz-Schwester Josephine Dahlmann. UADd, Bestand 30/14. Seit 1879 gab es Verträge zwischen dem Vorstand der Westfälischen Diakonissen-Anstalt und den Bremer Krankenanstalten. Im folgenden Fall wird auf ein Schreiben von 1910 Bezug genommen. Brief an Bremer Krankenhaus von 1910. HAB, NA-ST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899–1924.

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7 Spannungsfelder und Probleme

sprünglich nur für das Dienstpersonal vorgesehen waren. Der Vorstand der Westfälischen Anstalten forderte daraufhin für seine Schwestern: […] jeden Mittag eine gute Fleisch oder andere Suppe, Braten, Gemüse und Kartoffeln. Außerdem jeden Mittag einen Nachtisch aus rohem, gekochten oder eingemachten Obst, dazu Mehlspeisen, Reis oder Grießbrei. Zum 2. Frühstück Aufschnitt, abends Tee, Butterbrot und Aufschnitt und 2–3-mal in der Woche ein warmes Abendessen.4

Die Speiseordnung für das Pflegepersonal der Krankenanstalten Bremen entsprach durchaus den Forderungen; akribisch waren die einzelnen Lebensmittelmengen vorgeschrieben. Besonders achtete man auf die wöchentliche Fettbzw. Butterration von 375 Gramm für die Schwestern und 500 Gramm für die Brüder.5 Die Tatsache, dass es weiterhin zu Beköstigungsklagen kam, lässt darauf schließen, dass den Forderungen nicht immer entsprochen wurde. Schwester Luise äußerte 1917 in einem Brief sogar den Verdacht, dass „der Direktor das eigentliche Hindernis an der ordentlichen Versorgung der Schwestern sei“.6 Durch Einschränkungen bei den Mahlzeiten der Diakonissen, so ihre Vermutung, spare er monatlich bis zu 300 Mark.7 Einen weiteren Hinweis, wie wenig dieses Problem von der Klinikdirektion ernst genommen wurde, gab Schwester Elisabeth in ihrem Brief an das Mutterhaus von 1918. Ein Arzt hatte die Klage über die schlechte Beköstigung mit den Worten zurückgewiesen: „Die Schwestern sind es nicht besser gewöhnt!“8 – eine respektlose Aussage, die jegliche Wertschätzung für die Schwestern und deren Arbeit vermissen lässt. Schlechte Unterkünfte Für die meisten Pflegegruppierungen gab es, wie bereits in Kapitel 4.2.1 erwähnt, einen Kost- und Logiszwang, dabei war das Krankenhaus neben der Verpflegung auch für eine angemessene Unterkunft des Pflegepersonals verantwortlich. Nicht immer kam die Krankenhausdirektion ihrer Pflicht zur Zufriedenheit der Pflegenden nach, wie zahlreiche Briefe zwischen der Krankenhausverwaltung und dem Mutterhausvorstand sowie den Brüdern und Schwestern zeigen. Nazareth-Diakone Im Zusammenhang mit Dienstwohnungen tauchten bei den Nazareth-Diakonen in den Akten häufig Satzfragmente wie „[sich den Brüdern] fühlbar auf das Gemüt legt“9 oder „unter den beteiligten Brüdern herrscht rechter 4 5 6 7 8 9

Brief an Bremer Krankenhaus von 1910. HAB, NA-ST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899–1924. Speiseordnung Bremen, o. Datum. HAB, NA-ST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899–1924. Aktennotiz aus Bremen von 1917. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. Aktennotiz aus Bremen von 1917. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. Brief von 1918. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. Brief aus Bremen, ohne Datum. HAB, NA-ST-130, Bremen städtische Krankenanstalten 3.

7.1 Konflikte und Beschwerden der Pflegenden

203

Unwille“10 auf. Dafür gab es zweierlei Ursachen. Nicht alle der im Bremer Krankenhaus eingesetzten Diakone konnten auf dem Klinikgelände wohnen. Einige erhielten Unterkünfte, die außerhalb ihres Einsatzortes lagen, wodurch sie einen längeren Arbeitsweg in Kauf nehmen mussten. Dies bedeutete, dass die betreffenden Brüder nach einem ohnehin langen und anstrengenden Arbeitstag erst noch größere Entfernungen zurücklegen mussten, bis sie schließlich zu Hause waren. Neben dem zeitlichen Aufwand fielen dadurch zusätzliche finanzielle Ausgaben an. In manchen Fällen kam zwar die Klinik für die Fahrtkosten auf11, aber auch die Mieten waren in der Stadt teurer als auf dem Klinikgelände. Für ihre Dienstwohnung mussten die Brüder 1915 10 % ihres Gehaltes bezahlen, das jährlich bei ca. 600 Mark lag.12 Abgesehen davon befanden sich die Unterkünfte in älteren Häusern, die manche Mängel aufwiesen. So beklagte Bruder D., dass die ungenügende Heizung seiner Wohnung ihm aufs Gemüt geschlagen habe.13 Prinzipiell unterlag die Wohnungsvergabe der Zuständigkeit des Bremer Klinikvorstandes, der so manchem Bruder die Wohnung kündigte, „weil dieselbe anderweitig gebraucht würde“.14 Dieses Verhalten erzeugte verständlicherweise Unmut in der Diakonenschaft, woraufhin sich diese immer wieder mit der Bitte, dass „alle angestellten Brüder auf dem Areal der Anstalt wohnen dürfen“15, an den Nazareth-Vorstand wandten16. Unter welch schwierigen Bedingungen die Brüder teilweise mit ihren Familien leben mussten, zeigt folgendes Beispiel von 1927, in dem ein Diakon seine Wohnverhältnisse in Bremen schilderte: Da kommt an die erste Stelle die Küche, die eigentlich nur ein Loch ist […]. Fenster sind gewöhnlich so gearbeitet, dass sie geöffnet werden können, diese bestehen aus 2 kleinen Scheiben, die eingemauert sind und können nicht geöffnet werden. Da keine Waschküche im Haus ist, bildet dieses Fenster ein großes Hindernis, da der sich bildende Dampf und Rauch nur durch das öffnen [sic!] der Türe vertrieben werden kann. Logischerweise ist meine Frau nach jegmaligem Waschen krank, sei es an Grippe, Luftröhrenkatarrh oder dergleichen mehr. […] Andernfalls dient die Küche aber auch als Durchgang zum Klosett für die Obenwohnenden. Das eine Klosett wird dann aber auch noch von fremden Personen besucht. Z. B. Waschfrau, Klinikfrau, nebenbei aber auch von Personen, die oben zu Besuch sind.17

10 11 12 13 14 15 16 17

Brief von 1913 aus Bremen. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922. Brief von 1923. HAB, NA-ST-127, Bremen Krankenanstalten 2, 1923–1926. Bericht aus Bremen von 1915. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907– 1922. Brief aus Bremen, Datum unbekannt. HAB, NA-ST-130, Bremen städtische Krankenanstalten 3. Brief von 1913 an Pastor Kuhlo. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907– 1922. Brief von 1913 an Pastor Kuhlo. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907– 1922. Brief von 1913 an Pastor Kuhlo. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907– 1922. Brief an Bethel von 1927. HAB, NA-ST-140, Bremen städtische Krankenanstalten 3, 1927–1956.

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7 Spannungsfelder und Probleme

Leider kann man den Akten nicht entnehmen, inwieweit sich die Zustände für die Diakone gebessert haben, da ein Ausbleiben von weiteren Klagen nicht unbedingt als ein Indiz für Verbesserungen gewertet werden kann. Sarepta-Schwestern Auch die in Bremen eingesetzten Sarepta-Diakonissen hatten Grund, über ihre Unterbringung in den Krankenanstalten zu klagen. Im Gegensatz zu den Diakonen hatten sie ein Zimmer auf dem Klinikgelände, welches sie jedoch mit anderen teilen mussten. Es gab immer wieder rege Korrespondenz mit dem Mutterhaus, in der dieses Problem thematisiert wurde. Aus den Briefen geht nicht hervor, wie viele Personen sich ein Zimmer teilen mussten. In der Argumentation für das Einzelzimmer führte das Mutterhaus immer wieder an, wie anstrengend die Arbeit der Schwestern sei, indem sie den ganzen Tag mit Menschen in Berührung waren und nach Feierabend Ruhe bräuchten. Zudem verwies es darauf, dass ein enges Zusammenleben immer wieder zu Schwierigkeiten in der Schwesternschaft führe.18 Den Quellen ist nicht zu entnehmen, ob und wann sich etwas bezüglich der Schwesternunterkünfte verändert hat. Die Forderung nach einem Einzelzimmer ist nur verständlich in Anbetracht dessen, was die Schwestern täglich zu leisten hatten. Nach den Anstrengungen des Tages benötigten sie Ruhe und auch ein Stück Privatsphäre. Ein weiterer Punkt, der für ein Einzelzimmer sprach, war die Schichtarbeit. Die Schwestern arbeiteten in unterschiedlichen Schichten und benötigten daher zu verschiedenen Zeiten ihre Ruhe- und Erholungsphase. Aus einem Brief von Schwester Martha erfährt man, dass es durchaus Einzelzimmer gegeben hatte. Sie selbst hatte ab 1922 für zwei Jahre eines bewohnt, musste jedoch aufgrund von Platznot dieses dann wieder mit einer weiteren Diakonisse teilen.19 Aus der Korrespondenz zwischen Mutterhaus und Krankenhausdirektion gewinnt man den Eindruck, dass die Bedürfnisse der Schwestern immer wieder zurückgestellt wurden. Schließlich war Bescheidenheit eine Tugend, die man den Diakonissen zusprach. Die Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau Die Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau waren zwar fast alle innerhalb der Anstalt untergebracht, doch gab es auch hier Klagen über die Unterkünfte. Allerdings gingen diese nur von verheirateten Wärtern mit Familie aus, da ihnen eine Dienstwohnung zustand. Die Wärterinnen mussten sich mit mehreren ein Zimmer teilen oder schliefen20, wie auch man18

Betreff Unterkunft, Schreiben von 1927. HAB, Sar 743, Krankenpflege Allgemeines 1905–1927; Westfälische Diakonissen-Anstalt Sarepta 1928 bezüglich Umfrage. HAB, Sar 1153, Krankenpflege Allgemeines 1928–1953. 19 Brief von Schwester Martha Drechsler, 1924. HAB, Sar Briefe von Schwestern aus verschiedenen Stationen 1886–1969 (unverzeichnet). 20 Schreiben an die Direktion von 1922. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2800.

7.1 Konflikte und Beschwerden der Pflegenden

205

che Wärter, bei den Pfleglingen. Dieser Zustand führte sicherlich auch zu Spannungen, jedoch sind in den der Arbeit zugrundeliegenden Quellen keine Beschwerden darüber zu finden.21 So wie die Nazareth-Diakone klagten auch die Wärter über zu kleine Unterkünfte oder einen zu langen Arbeitsweg, da einige wenige Wohnungen außerhalb der Anstalt lagen. Besonders schwierig wurde die Situation, wenn Kinder mit untergebracht waren.22 In einer Aktennotiz von 1919 schilderte ein Wärter, wie er und seine Familie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebten, wovon nur ein Raum als Schlafzimmer genutzt werden konnte.23 Mit der Bitte um eine andere Wohnung wandte sich Wärter Josef H. 1920 an die Direktion, Grund sei die feuchte und somit für seine Familie und ihn gesundheitsschädigende Wohnung.24 7.1.2 Arbeitsüberlastung und Personalmangel Die Arbeitsüberlastung und der Personalmangel im Krankenhaus standen in engem Zusammenhang und müssen gemeinsam betrachtet werden. Die bereits angesprochenen verbesserten Therapiemöglichkeiten führten zunehmend zu einem vermehrten Arbeitsaufwand, der vom Pflegepersonal zusätzlich bewältigt werden musste. Dieses klagte über die bereits chronische personelle Unterbesetzung vieler Stationen und die zahlreichen pflegefremden Tätigkeiten, die kaum noch zu bewältigen waren. Durch den Ersten Weltkrieg spitzten sich die Arbeitsbelastung und der Personalmangel in den Krankenhäusern und Anstalten zu, da viele Schwestern und Brüder bzw. Wärter für die Lazarettpflege benötigt oder als Soldaten eingezogen wurden. Von diesem Zeitpunkt an wurden die Klagen und Sorgen des in der Heimat verbliebenen Pflegepersonals zusehends schriftlich dokumentiert. Mit dem Ende des Krieges hörten die Klagen über hohe Arbeitsbelastung und den inzwischen dauerhaften Personalmangel nicht auf. Immer wieder wurde in Briefen an das Mutterhaus um Ersatz für erkrankte Schwestern oder Brüder gebeten, die den permanenten hohen Anforderungen und dem Druck nicht gewachsen waren.25 1928 äußerte sich die Westfälische Diakonissenanstalt besorgt bezüglich einer ministeriellen Rundfrage zu den Arbeitszeiten und der Arbeitsbelastung der Schwestern. Man befürchtete zurückgehende Eintrittszahlen, falls die Umfrage zu dem Ergebnis käme, dass die Schwestern stark überarbeitet wären. Gleichzeitig gestand die Direktion Missstände in den 21 22 23 24 25

Die Angaben zu den Wärterinnen und Wärtern der Heil- und Pflegeanstalt Illenau stützen sich überwiegend auf deren Personalakten. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2801. Aktennotiz von 1919. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 2799. Personalakte von Josef Hellinger. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 948. Beispiele hierfür: Brief an Bethel von 1920. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922; Brief von Bethel, ohne Datum. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926; Aktennotiz aus Bremen von 1924. HAB, Sar 438, Bremen Chirurgisches Haus I, 1890–1928.

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7 Spannungsfelder und Probleme

Krankenhäusern ein, die zur Entkräftung der Diakonissen führten. Die Einstellung von zusätzlichem Hilfspersonal sah sie als eine mögliche Lösung der Notlage an, andernfalls müsse das Mutterhaus einigen Krankenhäusern den Gestellungsvertrag kündigen.26 7.1.3 Der Erste Weltkrieg und die Inflation Beköstigung Besonders während des Ersten Weltkriegs sowie zur Zeit der Hyperinflation und der Weltwirtschaftskrise 1929 kam es nicht nur für die Pfleglinge, sondern auch für das Pflegepersonal zu Versorgungsengpässen. So schrieb eine Sarepta-Schwester 1917 an das Mutterhaus: „Trotz so vieler Mühe war nicht an Lebensmittel zu kommen, womit wir [den Patienten] so gerne [eine] Freude gemacht hätten.“27 Eine andere Schwester berichtete 1917 ebenfalls aus Bremen, dass viele Patienten die Beköstigung in anderen Lazaretten als besser empfanden.28 Das war ein Umstand, der den Dienst der Diakonissen immer wieder erschwerte, da sie häufig auf Unverständnis und Kritik stießen. Aus der Heil- und Pflegeanstalt Illenau ist bekannt, dass während des Ersten Weltkriegs die Anzahl von Todesfällen durch Erschöpfung und Marasmus senilis29 stieg. Während 1913 von beiden dieser Todesursachen je drei diagnostiziert wurden, waren es 1916 schon 14 beziehungsweise acht. 1917 erhöhte sich die Anzahl der Todesfälle auf 110.30 Demnach konnte sich die Illenau, auch mit Hilfe der anstaltseigenen Landwirtschaft, nicht mehr ausreichend mit dem Notwendigsten versorgen. Besonders schlecht schien es den Sarepta-Diakonissen in den Bremer Krankenanstalten ergangen zu sein. Bereits 1914 schrieb eine Oberin an den Pastor: „Die Schwestern haben oft nicht ordentlich zu essen.“31 1917 appellierte der Vorstand aus Bethel an die Direktion der Krankenanstalten, dass die Schwestern „bei der gegenwärtigen Beköstigung nicht bei Kräften blieben und ihre Arbeit auf die Dauer nicht mehr leisten [könnten]“.32 In ihrer Not wandten sich diese an ihre Angehörigen und ließen sich Nahrungsmittel nach Bremen schicken. Dies führte zu einigen Unruhen, da eigentlich das Mutterhaus für das Wohlergehen der Schwestern zuständig war.33 Die Versorgung mit Lebensmitteln wurde auch nach dem Ersten Weltkrieg nicht besser. Manche Schwestern kauften sich noch Ende der 1920er 26 Westfälische Diakonissen-Anstalt Sarepta 1928 bezüglich Umfrage. HAB, Sar 1153, Krankenpflege Allgemeines 1928–1953. 27 Brief einer Sarepta-Schwester von 1917. HAB, Sar Briefe verschiedener Schwestern 1870– 1945 (unverzeichnet). 28 Brief aus Bremen von 1917. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. 29 Marasmus senilis = Altersschwäche. 30 Vgl. Lötsch (2001), S. 115 f. Zum Hungersterben in der Psychiatrie siehe Faulstich (1998). 31 Aktennotiz aus Bremen von 1914. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. 32 Brief von Bethel nach Bremen 1917. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. 33 Brief von Bethel nach Bremen 1917. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926.

7.1 Konflikte und Beschwerden der Pflegenden

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Jahre mit ihrem geringen Taschengeld zusätzlich Lebensmittel, weil sie in der Klinik nur unzureichend verpflegt wurden.34 Andere Diakonissen erzählten, dass das halbe Pfund Butter, welches sie täglich bekämen, nicht ausreiche, um damit morgens, nachmittags und abends ihre Butterbrote zu bestreichen.35 Ähnliches schilderten die Nazareth-Diakone. So schrieben sie 1920 aus den Bremer Krankenanstalten an Bethel: „Wir sind in rechter Verlegenheit. Es reicht eben an allen Enden nicht aus. Die durch den Krieg geschwächten und jetzt nur recht mässig mit dem nötigen Fett u. s. w. versorgten Brüder sind den an sie gestellten Anforderungen auf die Dauer nicht gewachsen.“36 Es gab nicht nur eine Lebensmittelknappheit, es fehlte auch an Schuhen und Arbeitskleidung. Durch die Hyperinflation stiegen die Preise sehr schnell ins Unermessliche. 1923 berichtete ein Diakon, dass er für ein paar neue Schuhsohlen sechs Milliarden Mark bezahlt habe, zwei Tage später kosteten diese bereits zwölf Milliarden Mark.37 Da die Geldentwertung so rasant verlief, war es dem Mutterhaus nicht möglich, zeitgleich eine entsprechende Steigerung des Taschengeldes vorzunehmen. Besonders hart traf es die Brüder, welche eine Familie zu ernähren hatten. Dementsprechend beklagte ein Diakon: „Es ist Tatsache, dass wir für unsere Milliarden nicht mehr als das Allernotwendigste für den täglichen Unterhalt unserer Familie kaufen können.“38 Der Chronik der Barmherzigen Schwestern aus Münster kann man ebenfalls entsprechende Eintragungen über die Notzeiten während und nach dem Krieg entnehmen. Es begann mit der Rationierung der Mahlzeiten für die Schwestern. Seit 1914 strich man an Sonn- und Feiertagen das zweite Stück Fleisch sowie den Kompott.39 Die Kartoffeln erhielt der Orden über Bezugsscheine, jedoch war diese Menge nur für die im Mutterhaus stationierten Schwestern berechnet. Probleme gab es, wenn zur Zeit der Exerzitien zusätzliche Schwestern versorgt werden mussten. In diesem Falle sollten die geladenen Schwestern ihren Kartoffelbedarf für die acht Tage ins Mutterhaus mitbringen.40 Vor allem während der Nachkriegszeit finden sich in der Chronik Schilderungen von Unruhen, Plünderungen und Diebstahl unter der zivilen Bevölkerung. Deren Not führte sogar zu Einbrüchen in Krankenhäusern, was im Orden große Besorgnis auslöste, wie folgender Passage von 1919 zu entnehmen ist: „In Hövel und Dinslaken wurden dem Krankenhaus sämtliche Hühner gestohlen. In Coesfeld drangen Diebe in Fleischkammern und stahlen das 34 Bericht aus Bremen. HAB, Sar 469, Bremen Krankenanstalten 1929–1932. 35 Bericht aus Bremen, ohne Datum. HAB, Sar 469, Bremen Krankenanstalten 1929–1932. 36 Brief von Bremen an das Mutterhaus in Bethel, 1920. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922. 37 Brief aus den Bremer Krankenanstalten an das Mutterhaus, 1923. HAB, NA-ST-127, Bremen Krankenanstalten 2, 1923–1926. 38 Brief aus den Bremer Krankenanstalten an das Mutterhaus, 1923. HAB, NA-ST-127, Bremen Krankenanstalten 2, 1923–1926. 39 MAM, Chronik: Bd. 4 25/135 (1908–1918). 40 MAM, Chronik: Bd. 5 27/121 (1908–1918).

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7 Spannungsfelder und Probleme

sämtliche Fleisch. Große Unsicherheit überall.“41 Ebenso wie die Bevölkerung hungerten auch die Nonnen. Eine wurde beim Diebstahl von drei Würsten erwischt. Andere Schwestern beklagten das Verschwinden von Butterbroten. Schwester Gervasias kommentierte diese Vorfälle in der Chronik 1919 mit den Worten: „So tief ist das Rechtsgefühl durch die seit Jahren mangelnde Kost, ja, durch den Hunger gesunken.“42 Die Versorgungslage wurde bedingt durch die Hyperinflation auch für die Nonnen immer schwieriger. 1923 hielt die Chronik einen Butterpreis von 30 Millionen fest.43 Trotz dieser schwierigen Umstände beklagten sich die Nonnen kaum. Arbeitsbelastung und Personalmangel Während des Ersten Weltkriegs kam es zu einer verstärkten Arbeitsbelastung, einerseits durch den Personalmangel, welcher durch die Einberufung von Brüdern bzw. Wärtern und den Lazaretteinsatz von Schwestern bedingt war, andererseits durch die zusätzliche Pflege der verwundeten Soldaten. Die Anzahl der zu Pflegenden wurde für die einzelnen Anstalten und Krankenhäuser vertragsmäßig festgelegt. Bethel sollte beispielsweise 2.200 Verwundete aufnehmen. Dies war eine doppelte Belastung für die Anstalt, da sie weder über den Platz noch das notwendige Personal verfügte. Nur 150 der über 2.000 Epileptiker konnten nach Hause beurlaubt werden.44 Der Krieg bedeutete auch für die zurückgebliebenen Sarepta-Diakonissen eine Ausnahmesituation. So heißt es in einem Brief an das Mutterhaus von 1914: „Die Schwestern kommen nie an die frische Luft, dadurch sind sie immer krank. Sie müssen um 5 Uhr aufstehen und bis abends spät durcharbeiten.“45 Weitaus drastischer wurden 1914 die Verhältnisse in der Bremer Frauenklinik geschildert: Die Arbeit, die unsere Schwestern zu leisten haben, ist zu viel; sie kommen weder dazu, ihren Kranken etwas zu sein, weil durchaus sie nicht die nötige Ruhe haben, noch auch selbst die erforderliche Ausspannung zu finden. Sie arbeiten von früh bis spät und sind, was das Arbeitspensum angelangt, schlimmer daran, wie viele hart arbeitenden Frauen aus den einfachsten Ständen.46

Während des Ersten Weltkriegs musste das Pflegepersonal nicht nur in der Etappe47, sondern auch in der Heimat unter extremen Bedingungen arbeiten. In einigen Briefen schilderten die Schwestern, dass sie ohne Pause oder Aus-

41 42 43 44 45 46

MAM, Chronik: Bd. 1 27/209–211 (1918–1928). MAM, Chronik: Bd. 1 27/204 (1918–1928). MAM; Chronik: Bd. 1 30/89 (1918–1928). DDBl (Deutsches Diakonenblatt), Oktober 1914, S. 28, zit. n. Neumann (2010), S. 59. Brief von Bethel, ohne Datum. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. Brief von Bethel an Dr. Scholz in Bremen, 1914. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. 47 Zur Kriegskrankenpflege während des Ersten Weltkriegs siehe Stölzle (2013); PankeKochinke/Schaidhammer-Placke (2002).

7.1 Konflikte und Beschwerden der Pflegenden

209

ruhzeit häufig mehrere Schichten hintereinander arbeiteten.48 Entsprechendes berichteten auch die Nazareth-Diakone. Aus einem Brief von 1914 geht hervor, wie ein Bruder allein für eine Abteilung mit 32 Kranken verantwortlich war. Dieses Beispiel verdeutlicht, welch hohes Arbeitspensum die Diakone zu bewältigen hatten. Aufgrund der großen Verantwortung erkrankten viele von ihnen häufig an Magengeschwüren49 – eine Krankheit, die oft durch Stress hervorgerufen wird. Wegen der starken Arbeitsbelastung waren die Brüder abgespannt und nervös. Zusätzlich gab es einen stetig wachsenden Personalmangel, weshalb sich die Anstalt Ende 1914 genötigt sah, „auch schwache Kräfte einzustellen, wenn es nur sonst anständige Leute sind“.50 Was man unter „schwachen Kräften“ genau verstand, geht aus den Quellen nicht hervor. Allerdings beschreibt Reinhard Neumann, wie Bethel mit Hilfe von sogenannten „Nazareth-Schwestern“ versuchte, die stetig wachsende Arbeitsbelastung zu bewältigen. Die zwischen 1914 und 1918 eingestellten Frauen arbeiteten im Haus- und Küchenbereich und übernahmen dort während der Kriegszeit die Aufgaben der Hausmütter, die wiederum Tätigkeiten des Hausvaters verrichteten. Von den insgesamt 234 Frauen wurden jedoch nur 13 % im Pflegedienst eingesetzt.51 Insgesamt waren 324 Brüder zum Heeresdienst einberufen worden, 51 davon starben während des Krieges, elf wurden vermisst. Auch andere Anstalten klagten über den Personalmangel. An erster Stelle standen Konstanz mit 81 % und Emmendingen mit 60 % Unterbesetzung. An den Universitätskliniken waren es jeweils 50 % der Wärter, die eingezogen wurden.52 Die Nachwirkung des Krieges schlug sich auch auf die Eintrittsund Austrittszahlen des Pflegepersonals nieder.53 Man kann nur spekulieren, ob es die Folgen des verlorenen Krieges oder eine Art von Kriegsmüdigkeit war, die eine veränderte Haltung der Diakone bewirkte. Reinhard Neumann beschreibt den Waffenstillstand von 1918 als einen materiellen Verlust für die Brüder und eine ideelle Niederlage.54 In der Statistik der Anstalt hieß es: „Ausgetreten infolge der Kriegsereignisse“.55 Auch in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau führte der Erste Weltkrieg zu Veränderungen des Anstaltsbetriebes. Mit stets steigender Zahl wurden Wärter und Wirtschafts- sowie Verwaltungsbeamte einberufen.56 Aufgrund der fehlenden Pfleger setzte man erstmals auch Wärterinnen für die Versorgung der männlichen Patienten ein.57 Da ausschließlich die Personalakten der Wär48 Aktennotiz von 1914 aus Bremen. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. 49 Brief an den Pastor aus Bremen von 1914. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922. 50 Brief von 1914 aus Bremen an den Pastor. HAB, NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922. 51 Vgl. Neumann (2001), S. 133 ff. 52 Vgl. Faulstich (1993), S. 64 f. 53 Vgl. Neumann (2010), S. 67. 54 Vgl. Neumann (2010), S. 66. 55 Vgl. Neumann (2010), S. 67. 56 Vgl. Lötsch (2001), S. 109–111. 57 Vgl. Lötsch (2001), S. 116.

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7 Spannungsfelder und Probleme

terinnen und Wärter als Quelle zur Verfügung stehen, gibt es keine Briefe oder Tagebuchaufzeichnungen von Wärterinnen, in denen sie über das vermehrte Arbeitspensum hätten berichten können. 7.1.4 Andachten Es scheint auf den ersten Blick schwer verständlich, warum Andachten zu den Spannungsfeldern gehören konnten. Sie waren grundlegender Bestandteil des Alltages der christlich geprägten Pflegegruppierungen, da das Gebet und die Zwiesprache mit Gott ihr Selbstverständnis entscheidend prägten. Mit dem Gestellungsvertrag hatte das Mutterhaus von den Krankenanstalten eine vertragliche Zusicherung darüber, dass ihre Schwestern und Brüder Andachten halten durften bzw. sogar mussten. So lautete beispielsweise Paragraph 4 des Vertrags der Westfälischen Anstalten mit dem Bremer Krankenhaus von 1879, dass „den Schwestern das Abhalten von Andachten als Pflicht auferlegt wird“.58 Bereits 1883 wurden erste Probleme bei den in der Berliner Charité eingesetzten Nazareth-Diakonen dokumentiert. Hierbei ging es allerdings darum, dass die vorstehende Diakonisse das Privileg besaß, die Andachten halten zu dürfen, und nicht die Brüder.59 Das war ein Umstand, der durchaus Konfliktpotential in sich barg, da die Diakone bereits im Arbeitsalltag den Schwestern unterstellt waren. In einem Schreiben von 1885 wurde das Thema abermals aufgegriffen. Erneut sprach man den Brüdern das Recht zur Abhaltung der Andachten ab, diesmal zugunsten eines Seelsorgers. So teilte die Klinik der Brüderschaft mit: Was die Andachtsübungen mit den ruhigen Geisteskranken betrifft, so gestatten wir uns wiederholt darauf aufmerksam zu machen, dass solche fortlaufend bereits durch den Charité Prediger Dr. Alt abgehalten werden und dass derselbe es ausdrücklich abgelehnt hat, diesen Theil seiner Seelsorge den Brüdern abzutreten oder die letzteren daran partizipieren zu lassen.60

Ob dies mit ein Grund für die Kündigung des Gestellungsvertrages mit der Charité war, ist nicht eindeutig aus den Quellen zu ersehen. Die Brüderschaft Nazareth hatte mit der Charité einen speziellen Vertrag für die Irrenpflege abgeschlossen. Danach hatten die Ärzte die Befugnis, zu entscheiden, ob auf den einzelnen Stationen Andachten gehalten werden durften. Gleichzeitig verwies der Vorstand der Westfälischen Anstalten auf die Erfahrungen der Diakone, wonach eine kurze Andacht eine beruhigende Wirkung auf die Kranken habe. Ein dauerhaftes Andachtsverbot würde zur Kündigung des Vertrages führen.61 58 Brief von Pastor Meyer, 1928. HAB, Sar 468, Bremen Krankenanstalten 1927–1928 (1935). 59 Schreiben vom Vorstand des Westfälischen Diakonissenhauses, 1883. HAB, NA-ST-044, Berlin Charité. 60 Brief aus Berlin an den Pastor von 1885. HAB, NA-ST-044, Berlin Charité. 61 Schreiben vom Vorstand des Westfälischen Diakonissenhauses, 1883. HAB, NA-ST-044, Berlin Charité.

7.1 Konflikte und Beschwerden der Pflegenden

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Nicht alle Patienten waren über diese Art der Zuwendung erfreut, wie die Diakonisse Anna aus dem Bremer Krankenhaus berichtete: „Die Mädchen lachen, wenn sie die Andacht liest. Von etwa 20 Mädchen kommen nur 2 zur Andacht. Diese haben viel auszustehen von den anderen, namentlich, wenn sie eher aufstehen müssen.“62 Eine andere Schwester berichtete von der Knochentuberkulosestation, auf der die Erkrankten die Andachten verweigerten.63 Trotz dieser ablehnenden Haltung waren die Schwestern und Brüder von Seiten der Ärzte angewiesen, die Kranken pflegerisch nicht zu vernachlässigen oder zu benachteiligen.64 Patienten, die nicht an den Andachten teilnahmen, befürchteten eine schlechtere Essensrationierung durch die Schwestern.65 Allerdings gab es durchaus auch dankbare Patienten, die voll des Lobes über die Andachten waren.66 Auch die Ärzte hatten Vorbehalte gegen die Andachten. Darunter mussten die Sarepta-Diakonissen besonders im Bremer Krankenhaus leiden. Das Thema führte zu einem regelrechten Eklat zwischen dem Krankenhaus und dem Mutterhaus. In einem Brief von 1920 hieß es in Bezug auf die Andachten, dass „die dogmatischen Ansichten der Schwestern den Kranken ,eingerammt‘ würden. In einer Staatsanstalt sei das nicht zulässig.“67 Bevor es zum endgültigen Andachtsverbot kam, nahmen die Regelungen verschiedene Formen an. So wies man die Schwestern an, die Erkrankten zuvor zu fragen. Im Falle von Einwänden sollten die Gehfähigen mit den Pflegerinnen separate Räumlichkeiten aufsuchen. Schließlich wurde 1928 das Abhalten von Andachten ganz verboten. Eine Schwester schrieb an den Pastor: „Herr Prof. Sattler sagte im Operationszimmer: ,Die Schwestern kriegen auch was aufs Dach. Mit ihren Andachten ist es nun vorbei.‘“68 Aus den vorliegenden Quellen gehen die Gründe für die ablehnende ärztliche Haltung nicht hervor. Es ist denkbar, dass die Mediziner eine Vernachlässigung der Betreuung befürchteten. Da die Andachten immer zur gleichen Zeit abgehalten wurden, mussten andere Tätigkeiten warten, auch wenn es sich um eine verspätete Visite handelte. Die Andachten bewirkten zum Missfallen der Ärzte zudem eine mangelhafte Flexibilität der Schwestern. Eine weitere Ursache mag die politische Entwicklung gewesen sein. Beispielsweise warfen einige Sozialisten in den 1920er Jahren den Schwestern vor, sie würden ihre Patienten durch biblische Geschichten oder Gleichnisse politisch beeinflussen.69 62 Bericht aus Bremen, o. Datum. HAB, Sar 469, Bremen Krankenanstalten 1929–1932. 63 Brief von Pastor Mayer, 1928. HAB, Sar 438, Bremen Chirurgisches Haus I, 1890–1928. 64 Brief von 1919 aus Bremen an Bethel. HAB, NA-ST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899–1924. 65 Vermerk von 1919. HAB, NA-ST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899–1924. 66 Aktennotiz Bethel über Bremen, ohne Datum. HAB, Sar 468, Bremen Krankenanstalten 1927–1928 (1935). 67 Brief von 1920. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. 68 Abschrift an Pastor Meyer von 1928. HAB, Sar 468, Bremen Krankenanstalten 1927– 1928 (1935). 69 Aktennotiz Bethel über Bremen, ohne Datum. HAB, Sar 468, Bremen Krankenanstalten 1927–1928 (1935).

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7 Spannungsfelder und Probleme

Welche Gründe hinter dem Andachtsverbot auch steckten, es wurde zu einem Politikum zwischen Mutterhaus und Klinikvorstand. In einem Brief drohte das Mutterhaus den Bremer Krankenanstalten die Beendigung der Zusammenarbeit an.70 In Anbetracht der möglichen Kündigung wurde das Andachtsverbot daraufhin als ein Missverständnis dargestellt. Für die Barmherzigen Schwestern aus Münster liegen keine Quellen vor, in denen explizit auf die Andachten Bezug genommen wurde. Allerdings gibt es einen Eintrag in der Chronik, der darauf schließen lässt, dass sie durchaus mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten: Im Auguste drohte ein neuer Sturm über die krankenpflegende Genossenschaft herein zu brechen, dieses Mal aus den ärztlichen Kreisen ausgehend. […] Grund ist die zu große Menge der religiösen Übungen.71

Mit religiösen Übungen können neben Andachten auch die jährlich abgehaltenen Exerzitien gemeint sein. Genaueres darüber oder über eine Reaktion des Mutterhauses auf den Vorwurf ist der Chronik nicht zu entnehmen. 7.2 Konflikte des Krankenpflegepersonals Spannungen zwischen dem Krankenpflegepersonal waren keine Besonderheit, sei es zwischen den Pflegenden oder mit den Ärzten. Die Schwestern und Brüder arbeiteten in den Krankenhäusern und Anstalten meist unter extremen Arbeitsbedingungen. Dies und die Verschiedenheit der einzelnen Charaktere oder das gemeinsame Arbeiten mit Vertretern von unterschiedlichen Pflegegruppierungen prägten das Arbeitsklima und somit die Zusammenarbeit der Pflegenden. 7.2.1 Konflikte in den Schwestern-, Brüder- und Wärterschaften In den Quellen gibt es unterschiedliche Angaben über das Verhältnis in den einzelnen Pflegegruppierungen. Ein Diakon berichtete 1913: „Unter uns Brüdern bestand eine ziemlich innige Gemeinschaft, wir machten uns die Arbeit gegenseitig leicht, indem einer dem anderen aushalf.“72 Auf eine andere Station versetzt, klagte derselbe Bruder jedoch: „unter dem Pflegepersonal herrschte sehr große Uneinigkeit“.73 Den Grund hierfür sah er in der schlechten Einflussnahme der dort ebenfalls arbeitenden Wärter.74

70

Aktennotiz Bethel über Bremen, ohne Datum. HAB, Sar 468, Bremen Krankenanstalten 1927–1928 (1935). 71 MAM, Chronik: Bd. 3 20/97 (1898–1908). 72 Bericht von 1913 aus der Personalakte eines Diakons. HAB, NA-PA-056-1281. 73 Bericht von 1913 aus der Personalakte eines Diakons. HAB, NA-PA-056-1281. 74 Bericht von 1913 aus der Personalakte eines Diakons. HAB, NA-PA-056-1281.

7.2 Konflikte des Krankenpflegepersonals

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Konflikte zwischen Diakonen und Diakonissen Die Konflikte zwischen den Schwestern und den Brüdern waren ein klassisches Rollenproblem. Die Diakone sollten den Schwestern nicht nur helfen, sie mussten sich auch ihren Anweisungen unterordnen. So hieß es in den Instruktionen für die Brüder an der Berliner Charité: Sie sind also in erster Linie Gehilfen der Schwestern auf den Abteilungen für männliche Kranke. Sollten noch weitere Dienstleistungen seitens der Brüder verlangt werden […] so würden auch diese Brüder in erster Linie als nächste Vorgesetzte die vorstehende Schwester des Hauses haben.75

Dies entsprach dem Pflegeverständnis von Friedrich v. Bodelschwingh. Pflegen war für ihn eine Aufgabe für Frauen, die von Gott zugewiesen wurde. Die Männer müssten sich den Frauen in der Pflege unterordnen.76 Anweisungen von einer Frau zu empfangen, widersprach dem damaligen Rollenverständnis der Diakone und bedeutete in ihren Augen eine Erniedrigung. Ein Bruder formulierte es folgendermaßen: „Es ist eigentlich eine Unehre für einen jungen Mann in einem Haus Diakon zu sein, wo die Weiber die Hosen anhaben, da wird der Bruder nur als Hausbursche betrachtet.“77 Dies waren keine guten Voraussetzungen für eine harmonische Zusammenarbeit. Häufig beklagten sich die Diakonissen über die Faulheit der Diakone. Schwester Anna drückte es in einem Brief von 1929 folgendermaßen aus: „Die Brüder kommen anscheinend mit sehr wenig Arbeit aus.“78 Außerdem empfanden die Schwestern sie als eingebildet und taktlos. Auch hierzu gab Schwester Anna ein Beispiel: „Schwester Emilie sagte zu einem Bruder, ein Kranker solle auf Anforderung des Arztes nach oben verlegt werden.“79 Anstatt der Anweisung Folge zu leisten, ging der besagte Bruder zum Arzt, um sich zu vergewissern, dass dies wirklich angeordnet worden war.80 Auch in den Personalakten der Nazareth-Diakone gibt es Hinweise auf Streitigkeiten zwischen ihnen und den Sarepta-Schwestern. So hieß es 1920 über Bruder Vogelhuber: „Es war wahrscheinlich doch nicht das Richtige, dass man ihm, dem alten Knaben, zumutete, sich unter das Regime einer Schwester zu stellen.“81 Aus einem weiteren Schreiben geht hervor, dass der Bruder an einen anderen Einsatzort versetzt wurde.82 Manchmal waren auch die Patienten die Leidtragenden, entweder weil die Brüder sich nicht nach den Anweisungen der Schwestern richteten oder 75 76 77 78 79 80 81 82

Entwurf Instruktionen für die Diakonen in der Universitätsklinik zu Berlin. HAB, NAST-044, Berlin Charité. Vgl. Neumann (2010), S. 23. Neumann ergänzt, dass für Bodelschwingh die Aufgabe der Diakone darin bestand, ihr Leben als Soldat dem Nächsten zu opfern. Vertiefend: Benad (1994). Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-036-1773. Bericht von Pastor Meyer, 1929. HAB, Sar 469, Bremen Krankenanstalten 1929–1932. Bericht von Pastor Meyer, 1929. HAB, Sar 469, Bremen Krankenanstalten 1929–1932. Bericht von Pastor Meyer, 1929. HAB, Sar 469, Bremen Krankenanstalten 1929–1932. Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-104-2078. Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-104-2078.

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7 Spannungsfelder und Probleme

sie sich ihre Arbeitsweise nicht vorschreiben lassen wollten. Wie sich das im Krankenhausalltag niederschlagen konnte, zeigt eine Beschwerde über Bruder Haake von 1899: „Er [der Bruder] wollte einen Kranken in ganz schmutzigem Wasser baden, als der Schwager des Patienten noch dabei stand, dann ließ er den Kranken ohne jegliche Kleidung im Stuhl sitzen.“83 In den Quellen gibt es keine Darstellung aus der Sicht des beschuldigten Diakons, jedoch verdeutlicht das Beispiel, dass es nicht nur zwischenmenschliche Probleme gab, die auf ein unhöfliches oder rüdes Verhalten zurückzuführen waren. Vielmehr erzeugten auch die unterschiedlichen Arbeitsauffassungen von Diakonen und Diakonissen Spannungen. An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass ein zu enges Arbeitsverhältnis zwischen Brüdern und Schwestern von Seiten des Mutterhauses nicht erwünscht war. 1926 ermahnte eine Diakonisse ihre Mitschwester, darauf zu achten, dass die „Brüder allein essen und auch von der Schwesterngemeinschaft fernbleiben. Es kann zu schnell eine vertrauliche Stellung kommen, die man nachher bereut.“84 Unzufrieden äußerten sich die Diakonissen auch über die Arbeit von manchen Wärtern, die ebenfalls zur Entlastung der Schwestern im Krankenhausalltag eingestellt wurden. Eine tatsächliche Hilfe schienen sie nicht immer gewesen zu sein. Schwester Fredericke bat 1909 um eine Diakonisse, da mit dem Wärter „nichts anzufangen war“.85 Konflikte mit anderen Pflegegruppierungen In manchen Krankenhäusern arbeiteten verschiedene Pflegegruppierungen zusammen. Für eine kurze Zeit waren Rot-Kreuz-Schwestern, genauer Elisabetherinnen, mit Sarepta-Schwestern in den Bremer Krankenanstalten beschäftigt. Der Grund war der allmähliche Rückzug der Diakonissen aus dem Krankenhaus. Die Vorbehalte gegenüber den Elisabetherinnen stammten aus dem Diakonissenmutterhaus, was anhand der eigentlich banalen Frage eines gemeinsamen Mittagessens verdeutlicht wurde. In einem Brief schrieb Pastor Meyer dazu Folgendes: Wir halten es für unbedingt nötig, dass sie [die Diakonissen] nicht in der Gemeinschaft mit den Rot-Kreuz-Schwestern essen. Auch wenn die leitende Schwester „sehr nett“ ist, so können doch sehr schnell Elemente in die fremde Gemeinschaft hineinkommen, welche den Mutterhausgedanken völlig widersprechen.86

Es ging hier in erster Linie nicht um die gemeinsame Mahlzeit, vielmehr fürchtete man eine negative Beeinflussung der Diakonissen. Es bestand die Gefahr, dass die Schwestern mit ihrem rigiden Gemeinschaftsleben unzufrie83 Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-017-0512. 84 Brief von Schwester Mathilde, 1926. HAB, Sar Briefe verschiedener Schwestern 1870– 1945 (unverzeichnet). 85 Brief von Schwester Fredericke, 1909. HAB, Sar Briefe verschiedener Schwestern 1870– 1945 (unverzeichnet). 86 Vermerk von Pastor Meyer. HAB, Sar 439, Bremen Chirurgisches Haus II, 1929–1933.

7.2 Konflikte des Krankenpflegepersonals

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den werden könnten. Auch wenn die meisten Schwesternschaften nach dem gleichen Prinzip organisiert wurden, gab es unabhängig davon noch eigene, interne Regelungen. Ein enges Zusammenleben und -arbeiten mit anderen Organisationen barg somit immer die Gefahr, dass man an dem Neuen, Unbekannten Gefallen finden und die eigene Schwesternschaft verlassen könnte. In einem weiteren Brief monierte Pastor Meyer 1930, dass die Elisabetherinnen christlichen Werten zum Teil ablehnend gegenüberstanden, mit den Patienten anbändeln würden und sich wiederholt mit den Brüdern gezankt hätten.87 An einer anderen Stelle wurde darüber diskutiert, ob Schwestern des Johanniterordens den Sarepta-Diakonissen im Krankenhaus Altena helfen sollten. Auch hier nahm das Mutterhaus eine deutlich ablehnende Haltung ein. Der Pastor gab 1923 an, dass er nie viel Gutes daraus [hat] kommen sehen, wenn Schwestern verschiedener Organisationen miteinander verkehrten. Es gibt leicht Reiberein und zugleich wird leicht viel in beiden Organisationen geredet. Dazu kommt – ich muss Ihnen das ganz offen sagen – dass häufig sogenannte „gebildete“ Schwestern glauben, auf unsere Diakonissen herabsehen zu können, wobei dann ganz vergessen wird, dass manchmal die sogenannte „ungebildete“ Diakonisse weit mehr leistet als viele von den gebildeten Schwestern.88

Im Schlussteil des Briefes wurde ein weiterer Punkt, das unterschiedliche gesellschaftliche Ansehen der Pflegegruppierungen, angesprochen. Im Allgemeinen hegte man damals das Bild der aus einfachen Verhältnissen stammenden, ungebildeten Diakonisse, während man mit der Herkunft der Rot-KreuzSchwester stets das gehobene Bildungsbürgertum verband. Diese stereotypen Vorstellungen führten ebenfalls zu Spannungen zwischen den Pflegegruppierungen. Zwar verrichteten beide Schwesternschaften die gleichen Tätigkeiten im Krankenhaus, doch genossen sie dafür ein unterschiedliches gesellschaftliches Ansehen. Trotz mancher Gemeinsamkeiten, wie Mutterhausprinzip und Gestellungsvertrag, fühlten sich die Rot-Kreuz-Schwestern stets privilegierter, zumindest warfen ihnen dies die Diakonissen vor, die sie als eingebildet bezeichneten.89 Einige Ärzte würden es angeblich vorziehen, mit freien Schwestern zu arbeiten; das läge aber nicht an deren besserer Leistung, sondern daran, dass sie im Vergleich zu den Diakonissen für „amüsante Flirts“ zugänglich seien.90 Ein weiteres Beispiel für die Probleme der Zusammenarbeit von Diakonissen und Rot-Kreuz-Schwestern aus dem Jahr 1925 in einem Bremer Krankenhaus: Letztere arbeiteten auf der Inneren Abteilung, während die SareptaSchwestern für die Chirurgische Station eingeteilt waren. Nach wenigen Wochen bat man die Diakonissen, auch die Innere Abteilung zu übernehmen, da die Rot-Kreuz-Schwestern „sich von den Dienstmädchen die Teller serienweise 87 Brief von Pastor Meyer. HAB, Sar 439, Bremen Chirurgisches Haus II, 1929–1933. 88 Brief von Pastor Meyer, 1923. HAB, Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus II, 1909–1923 (7). 89 Brief von 1925. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. 90 Brief von 1925. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926.

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7 Spannungsfelder und Probleme

stehlen liessen. Es war ein Drunter und Drüber in dem Haus, dass es nicht mehr zu ertragen war.“91 Anhand dieses Beispiels verdeutlichten die Diakonissen ihre Vorurteile, die sie den Rot-Kreuz-Schwestern gegenüber hatten. Aus einem Schreiben zwischen Mutterhaus und den in Bremen eingesetzten Diakonen wurde die Klage laut, dass man in Bremen „nur Wärter anerkennt, aber für Diakone kein Verständnis“92 habe. Der Grund für die Vorliebe, die man für die Wärter hegte, lag in deren schlechterer Besoldung.93 Informationen über die Zusammenarbeit von Diakonen und Wärtern gibt es jedoch nicht. Probleme mit den „Hauseltern“ Die sogenannten „Hauseltern“94 standen den einzelnen Häusern bzw. Einrichtungen vor. Sie waren für die ökonomische Verwaltung und für ein friedliches Zusammenarbeiten der ihnen zugeteilten Nazareth-Brüder verantwortlich. Das Zusammenleben verlief jedoch nicht immer harmonisch. In einigen Briefen beschwerten sich die Diakone über die Launen und Wutausbrüche der Hausmutter.95 Das Mutterhaus erteilte zugleich auch dem Hausvater eine Rüge, da dieser sich, statt die Ungehörigkeit seiner Frau zu decken, als „ein überlegener Führer“96 erweisen sollte. Die schlechte Stimmung in dem Haus beeinflusste auch die dort lebenden Brüder und deren Arbeit negativ. Zudem bestand die Gefahr, dass sich Unstimmigkeiten auch auf die Pfleglinge oder Zöglinge übertrugen. Neben den Stimmungsschwankungen der Hausmutter führte auch deren unwirtschaftliches Handeln zu Problemen, da sie mit einem begrenzten Budget das Haus verwalten und verköstigen sollte. Wurde zu viel Geld ausgegeben, musste es, zum Leidwesen der Brüder, an anderer Stelle wieder eingespart werden. Ein Diakon berichtete von einer intriganten Hausmutter, die in seinen Augen unliebsame Brüder diffamierte. So wurde ein Diakon beschuldigt, unerlaubt mit einem Mädchen verkehrt zu haben. Zu diesem Vorwurf kam es, als die Hausmutter ihm riet, die dort arbeitenden Schwestern einzuladen, wie es bereits seine Vorgänger gemacht hätten. Die Diakonissen waren ihrerseits sehr erstaunt über diese Einladung. Kein Bruder hatte dies zuvor getan, weshalb die Hausmutter gelogen haben musste. Nach kurzer Zeit hieß es vom Mutterhaus: „Wir hätten Bruder Schmitt gerne behalten aber es ging nicht, weil er mit einem Mädchen verkehrt hat.“97 Prinzipiell war das Arbeitsklima von der Zufriedenheit der Einzelnen abhängig. Nicht nur die Hauseltern konnten es negativ beeinflussen, auch ein91 92 93 94 95 96 97

Brief von 1925. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. Vermerk, ohne Datum. HAB, NA-ST-127, Bremen Krankenanstalten 2, 1923–1926. Vermerk, ohne Datum. HAB, NA-ST-127, Bremen Krankenanstalten 2, 1923–1926. Unter Hauseltern versteht man einen verheirateten Nazareth-Diakon mit seiner Ehefrau. Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-176-2272, NA-PA-088-1927. Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-176-2272. Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-036-1773.

7.2 Konflikte des Krankenpflegepersonals

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zelne Diakone übertrugen ihren Unmut auf die Gruppe und übten somit teilweise einen negativen Einfluss auf Neuankömmlinge aus.98 Konflikte der Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau Auch in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau kam es zu Konflikten zwischen dem Personal. In einem Fall von 1921 beschwerte sich die Wärterin Katharina über ihre Strafversetzung, die aufgrund falscher Anschuldigungen geschehen sei. Sie hatte die inoffizielle Verlobung einer Wärterin bekanntgemacht. Um Näheres über die Quelle ihrer Behauptung zu finden, durchsuchten zwei weitere Wärterinnen ihre Kommode, worüber sie mehr als erbost war. Da die Direktion nichts von einer Verlobung wusste, ging sie davon aus, dass die Behauptung erfunden war, und ordnete die Versetzung der Beschuldigten wegen Verleumdung an.99 Weitere Beispiele sind in den Personalakten nicht vermerkt und Ego-Quellen der Wärterschaft nicht vorhanden. Die Quellen der Barmherzigen Schwestern aus Münster und der RotKreuz-Schwestern aus Düsseldorf liefern keinerlei Beispiele für Konflikte zwischen den Pflegenden. 7.2.2 Konflikte mit den Ärzten In den untersuchten Quellen gibt es eindeutig mehr Beispiele für Konflikte zwischen weiblichem Pflegepersonal und den Ärzten als zwischen Brüdern oder Wärtern und Ärzten. Zu den Ursachen der zuletzt genannten Streitigkeiten existieren keine Anhaltspunkte in den Quellen. In den Auseinandersetzungen zwischen den Ärzten und den Pflegenden ging es entweder um Unzulänglichkeiten bei der Arbeit, vor allem in Bezug auf hygienisches und steriles Arbeiten, oder es handelte sich um zwischenmenschliche Probleme, meist mangelnden Respekt und fehlende Höflichkeit. Barmherzige Schwestern aus Münster Ein einzelner Vermerk zeugte von einer ärztlichen Beschwerde über die Nonnen. In der Chronik hieß es: „Im August drohte ein neuer Sturm über die krankenpflegende Genossenschaft herein zu brechen, dieses Mal aus den ärztlichen Kreisen.“100 Neben den angeblich ungenügenden „modernen Anschauungen“ warfen sie den Schwestern unsteriles Arbeiten vor, welches durch die lange Schwesterntracht verursacht würde.101 Die schwarzen Überärmel stießen auf besondere Ablehnung. Um diese und andere Missstände abzuschaf-

98 Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-064-1379. 99 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Katharina Hundt. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1180. 100 MAM, Chronik: Bd. 3 20/97 (1898–1908). 101 MAM, Chronik: Bd. 3 20/97 (1898–1908).

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7 Spannungsfelder und Probleme

fen, stellte das Mutterhaus 1893 folgende Verhaltensregeln für die Nonnen bei Operationen auf. 1. Die bei der Operation beschäftigten Schwestern ziehen sich ein weisses Kleid an und nehmen eine reine Mütze. (Bei größeren Operationen nehmen die Schwestern vorher auch ein Bad). 2. Mit vorher desinfizierten Fingern, deren Nägel rein gebürstet sind, berühren sie die Instrumente, Verbandssachen. 3. Der Vordertheil der schwarzen Ärmel wird zurückgezogen und weiße Ärmel darüber gezogen. 4. Über dem reinen, schwarzen Kleid legen die Schwestern einen Überwurf mit Ärmeln in Form einer großen Schürze an. Die nicht Beachtung der gegebenen Vorschriften kann die größten Nachteile herbeiführen und die Folge haben, dass der Ansteckungsstoff in die Wunden der Kranken dringt, die Operation mißlingt. Niemals aber übernehmen sie Funktionen eines Assistenzarztes, noch werten sie dessen Stelle, beides gehört nicht zum Berufe einer barmherzigen Schwester. Bei einer Operation werden die Schwestern den Arm nicht entblössen, auch nicht bis zum Ellenbogen. Sie legen niemals einen Teil ihrer Ordenstracht ab.102

Neben den neuen Maßnahmen für steriles Arbeiten gab es noch Hinweise für den Umgang mit Ärzten. Hierbei wurde eine mögliche Kompetenzübertretung von Seiten der Schwestern ausdrücklich verboten. Dieser Punkt sorgte auch bei anderen Pflegegruppierungen regelmäßig für Streitigkeiten. Konflikte zwischen Sarepta-Diakonissen und Ärzten Das eigenmächtige Handeln mancher Sarepta-Schwestern führte zu Unstimmigkeiten mit der Ärzteschaft. „Ansonsten sei jedoch das Benehmen gegenüber den Ärzten bescheiden und willig“, hieß es 1895 über die Zusammenarbeit mit den Diakonissen in Bremen.103 Dementsprechend positiv fiel auch 1879 das ärztliche Urteil über die Arbeit der Schwestern aus: „Die Pflege im Krankenhaus ist den gemachten Erfahrungen zufolge auf eine höhere Stufe gebracht worden.“104 Doch war die Arbeitsgemeinschaft nicht immer so harmonisch. Die pflegerische Übernahme des sogenannten Irrenhauses in Bremen durch die Diakonissen führte zu einer Spaltung innerhalb der Ärzteschaft.105 Die Auseinandersetzungen über die religiös fundierte Krankenpflege zwischen dem Krankenhausdirektor und dem Leiter des Bielefelder Mutterhauses übertrugen sich auch auf das Arbeitsklima zwischen Ärzten und Schwestern. Zahlreiche Quellen zeugen von Streitigkeiten. Darin wurde häufig das respektlose Benehmen der Ärzte gegenüber den Schwestern kritisiert. Dies 102 Verhaltensregeln von 1893. MAM, Chronik: Bd. 2 16/205 (1888–1898). 103 Bericht aus Bremen von 1895. HAB, Sar 1, 465 Bremen. 104 Vgl. Bericht der Inspektion und Administration für 1879. In: Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft vom Jahre 1880, S. 52, zit. n. Leidinger (2000), S. 64. 105 Vgl. Leidinger (2000), S. 64–66. Zu den Streitigkeiten zwischen dem Anstaltsarzt Dr. Scholz und den Sarepta-Diakonissen siehe Kap. 7.3.4.

7.2 Konflikte des Krankenpflegepersonals

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konnte sich auf ganz unterschiedliche Weise äußern, wobei das Beispiel, in dem ein Arzt vor Wut der Schwester seinen Hut vor die Füße warf, noch belustigend erscheint.106 Hier handelte es sich um einen unkontrollierten Gefühlsausbruch eines als cholerisch erscheinenden Arztes. Bis auf einen Schreck kam niemand zu Schaden. In einem Brief an das Mutterhaus beschwerte sich 1918 Schwester Elisabeth über Professor Johann Stoevesandt (1848–1933)107, der in Bremen unter anderem die Diakonissen unterrichtete und diese in seiner mutwilligen Art beleidigte. Am Ende seiner Stunden gab er kleine Missgeschicke des Personals zum Besten und fragte dann: „Wer pflegt da? Diakonissen.“108 Oder: „Wo sind die meisten Hysterischen? Natürlich bei den Schwestern.“109 Diese Aussagen richteten sich gegen Diakonissen und Frauen im Allgemeinen. Sie zeugten von Respektlosigkeit gegenüber dem, was die Schwestern täglich leisteten. In einem anderen Brief wurde erwähnt, dass viele Ärzte die Sarepta-Schwestern nur als bequeme und billige Arbeitskräfte sahen.110 Nicht nur der Umgang mit den Diakonissen wurde bemängelt, auch die Arbeitsmoral der Ärzte gab häufig Anlass für Beschwerden. Über die Probleme mit Dr. Rust, einem Arzt auf der Säuglingsstation in Bremen, ist ein ausführlicher Briefwechsel von 1910 vorhanden. In einem Schreiben schilderte eine Schwester die Zustände im Krankenhaus folgendermaßen: Wie wenig übrigens Dr. Rust seinen übrigen Pflichten gerecht wird, geht daraus hervor, dass er auf der Diphtheriestation bis zu 4 Tagen die Sache dem Assistenzarzt überlässt, von denen der letzte sich buchstäblich wie ein Schwein aufführte, die Nächte durchsoff, am Morgen schwer betrunken nach Hause kam. Aber nicht nur das, er brachte noch andere Ärzte in demselben Zustande mit, die dann auf seinem Zimmer blieben. Das Zimmer hat oft entsetzlich ausgesehen. Die Wäsche und sonstige Gegenstände tragen dauernd die Spuren dieses Herrn. Wo so wenig Zucht unter den Ärzten ist und der dirigierende Arzt nicht eingreift, haben wir noch viel weniger Veranlassung, vertrauensvoll eine solche Aufgabe zu übernehmen.111

Der zeitweise maßlose Konsum von Alkohol war demnach nicht nur ein Problem der Wärter, sondern auch innerhalb der Ärzteschaft. Es gibt noch weitere Beispiele für Alkoholprobleme. So mussten sogar Operationen verschoben werden, da der Arzt aufgrund seines Alkoholpegels außer Stande war, diese durchzuführen.112 In solchen Situationen fühlten sich die Diakonissen alleingelassen und überschritten zum Wohle der Patienten ihre Kompetenzen, indem sie eigenmächtig Entscheidungen treffen mussten. Aufgrund der zahlreichen Klagen über Dr. Rust stellte das Mutterhaus die Direktion schließlich 106 Bericht einer Schwester aus Bremen von 1911. HAB, Sar 60, Bremen Kinderkrankenhaus IV. 107 Zu Johann Stoevesandt siehe Leidinger (2000), S. 55. 108 Brief von 1918. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. 109 Brief von 1918. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. 110 Brief von 1928 an Pastor Meyer. HAB, Sar 468, Bremen Krankenanstalten 1927–1928 (1935). 111 Brief vom 9.6.1910. HAB, Sar Bremen 59, Kinderkrankenhaus III. 112 Brief vom 30.6.1910. HAB, Sar Bremen 59, Kinderkrankenhaus III.

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7 Spannungsfelder und Probleme

vor die Wahl, entweder müsse der Doktor die Klinik verlassen oder die Diakonissen würden abgezogen werden. Nach langen Verhandlungen kam die Direktion den Forderungen des Mutterhauses nach und entließ den Arzt.113 Dabei muss erwähnt werden, dass auch ein Arzt dafür sorgen konnte, dass unliebsame Schwestern versetzt wurden.114 Prinzipiell stand es den Diakonissen nicht zu, die Arbeit der Ärzte zu kritisieren. Die Unzufriedenheit mit ihnen führte jedoch in Bremen zu regelrechter Arbeitsverweigerung. Anstatt morgens die Visite abzuhalten, kam Dr. Holz an einem Sonntag erst um 11:30 Uhr. Schwester Anna weigerte sich mit der Begründung, „[w]eil der Arzt um ½ 12 Uhr nicht zu kommen habe“115, einen Verband zu entfernen. Andere Diakonissen kamen den Anordnungen viel später nach, Leidtragende waren die Patienten. Schwester Fredericke wies ihre Mitschwestern mit den Worten „das Kritisieren über die Ärzte [sei] unrecht, man solle lieber für sie beten“116 zurecht. Die Ärzte ihrerseits beklagten sich über den „unfreien Geist und die einseitige konfessionelle Tendenz“117, mit der die Diakonissen ihrer Arbeit im Krankenhaus nachkämen. Ihrer Meinung nach würden vor allem die Patienten darunter leiden. Ein weiterer Kritikpunkt war, nach Auffassung der Ärzte, die mangelhafte Ausbildung der Diakonissen.118 Der Kreisarzt Dr. Thomalla bemängelte 1910 bei einem Besuch im Johanniterkrankenhaus in Altena die fehlenden Kenntnisse einer Schwester im Umgang mit Typhuskranken. Durch ihr Verhalten gefährde diese sich nicht nur selbst, sondern auch Mitschwestern und Patienten. Der Kreisarzt bezeichnete die Vorkommnisse als eine „Gefahr für die Stadt, von einer Epidemie heimgesucht zu werden“.119 Konflikte zwischen dem männlichen Pflegepersonal und den Ärzten Deutlich weniger Unstimmigkeiten hatte das männliche Pflegepersonal mit den Ärzten. In einem Brief an das Mutterhaus bat 1891 ein Arzt um die Ablösung bzw. den Austausch eines Bruders. Er warf ihm Trägheit und mangelnde Kritikfähigkeit vor. Als Beispiel wurde erwähnt, dass verletzte Fabrikarbeiter, welche abends schmutzig ins Krankenhaus gekommen waren, am nächsten Tag immer noch nicht gewaschen waren. Vom Chefarzt zur Rede gestellt,

113 Brief vom 7.7.1910. HAB, Sar Bremen 59, Kinderkrankenhaus III. 114 Brief vom 31.12.1910. HAB, Sar Bremen 59, Kinderkrankenhaus III. 115 Bericht einer Schwester aus Bremen von 1911. HAB, Sar 60, Bremen Kinderkrankenhaus IV. 116 Bericht einer Schwester aus Bremen von 1911. HAB, Sar 60, Bremen Kinderkrankenhaus IV. 117 Stellungnahme zu Konflikt Bremen. HAB, Sar 1, 465 Bremen. 118 Zu den Akten Kinderklinik, Bericht von Pastor Meyer vom 16.6.1928. HAB, Sar 60, Bremen Kinderkrankenhaus IV; Fragen zur Ausbildung der Schwestern vom 6.12.1909. HAB, Sar 504, Ausbildung der Schwestern 1906–1924. 119 Brief an die Polizeiverwaltung von 1910. HAB, Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus II, 1909–1923 (7).

7.3 Beschwerden über das Krankenpflegepersonal

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schien sich der Diakon keinerlei Schuld bewusst.120 An anderer Stelle klagten Ärzte darüber, dass ihren Anordnungen nicht sofort Folge geleistet wurde.121 7.3 Beschwerden über das Krankenpflegepersonal Es gibt zahlreiche Klagen über das Pflegepersonal, ganz gleich, aus welcher Pflegegruppierung sie stammten. Sie reichten vom eher harmlosen Tadel des mangelnden sonntäglichen Kirchganges einiger Nazareth-Diakone122 über die persönliche Rüge für das unfreundliche Verhalten gegenüber den Patienten oder die um wenige Stunden verspätete Rückkehr eines Bruders aus dem Urlaub123 bis hin zur Kritik an der unberechtigten Vergabe von Arzneimitteln. Letzteres war ein Verstoß, welcher als „grobe Dienstverletzung“ mit der Kündigung der betreffenden Wärterin geahndet wurde.124 Die meisten Beschwerden betreffen Verletzung der Aufsichtspflicht, Gewalt und sittliche Vergehen. Ersteres Vergehen ging häufig mit erhöhtem Konsum von Alkohol einher, betraf jedoch ausschließlich das männliche Pflegepersonal. In den Personalakten der Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwestern war eine einzelne Beschwerde notiert. Schwester Mary wurde vorgeworfen, die Schweigepflicht gebrochen zu haben. Sie hatte einer Patientin berichtet, dass ihr angehender Bräutigam bereits einmal wegen einer Geschlechtskrankheit stationär im Krankenhaus gewesen war. In der Annahme, die Braut wüsste über den Aufenthalt Bescheid, sprach sie mit ihr darüber, woraufhin sie in eine andere Klinik versetzt wurde.125 7.3.1 Verletzung der Aufsichtspflicht Sowohl im Krankenhaus als auch in der Psychiatrie war eine 24-stündige Betreuung und Versorgung durch das jeweilige Pflegepersonal vorgesehen. Dadurch wollte man gewährleisten, dass zum einen die Bedürfnisse der Pfleglinge zeitnah befriedigt und zum anderen Notsituationen frühzeitig erkannt und die entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden konnten. Vor allem in der psychiatrischen Pflege häufen sich die Klagen über eine vernachlässigte Aufsichtspflicht. Auffallend für die Heil- und Pflegeanstalt Ille120 121 122 123

Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-008-0221. Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-104-2013. Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-176-2272. Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Anton Burkhard. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 384. 124 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Albertine Brust. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 391. 125 Personalakte der Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwester Mary Schriewer. UADd, Bestand 30/14.

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7 Spannungsfelder und Probleme

nau ist, dass die Vorwürfe überwiegend gegen Wärter erhoben wurden. So lautete eine Beschwerde von 1923: Pfleger L. liess es als Aufsichtführender der Arbeitskolonne beim Heuen an Aufmerksamkeit fehlen. Es wurde dadurch dem kranken Goldschmidt, der dem [Pfleger] L. als selbstmordgefährdet bekannt war, ermöglicht einen Selbstmordversuch im Mühlkanal zu machen. [Pfleger] L. bemerkte den Abgang des Goldschmidt nicht, der nur durch Zufall gerettet werden konnte.126

Das Beispiel vereinigt zwei Aspekte, die kennzeichnend für diesen Verstoß sind: Zum einen passierte dieser meist während der Arbeitstherapie oder bei Ausflügen mit den Pfleglingen, zum anderen wird deutlich, welche schwerwiegenden Konsequenzen es haben konnte, wenn die Pflegeperson einen Moment lang unaufmerksam war. Weniger glimpflich war der Verlauf einer Sitzwache bei einem anderen suizidalen Patienten. In dem Bericht des beschuldigten Wärters hieß es: „Nichts böses ahnend entfernte ich mich kurz darauf aus dem Zimmer, um mich zu waschen. Als ich nach einer starken Viertelstunde zurückkehrte, war die Tat geschehen.“127 Bei Tagesausflügen in das nahe gelegene Achern oder Offenburg entwischten häufig Pfleglinge. Der Grund lag oft nicht nur an der fehlenden Aufmerksamkeit, sondern auch an dem erhöhten Alkoholspiegel von Wärter und Patient. Diese kehrten in ein Wirtshaus ein und tranken Bier oder Wein, was einigen Erkrankten durchaus erlaubt war. Manche Pfleglinge erhielten auch in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau Alkohol zum Trinken. In den Personalakten der beschuldigten Wärter gibt es immer zwei Berichte. Der eine wurde vom beschuldigten Wärter und aus dessen Sichtweise geschrieben, den zweiten verfasste der Oberwärter und rückte darin so manche Dinge in ein anderes Licht. Meist begannen solche Berichte mit der Schilderung eines Besuchs im Wirtshaus. So schrieb Wärter Josef 1907: Wir machten zunächst einen Spaziergang in Offenburg, wobei wir zwei Mal einkehrten und je ein Viertel Wein tranken. […] Später begaben wir uns in die Wirtschaft wo wir je drei Glas Bier tranken.128

Als sie den Zug verpasst hatten, warteten sie in der Bahnhofsgaststätte, wo sie angeblich aber Kaffee tranken. Der Oberwärter erwähnte in seinem Bericht, dass die Polizei den betrunkenen Wärter Josef allein durch Offenburg irrend vorfand. Der Ausflug endete erst am darauffolgenden Tag, als Wärter Josef allein in der Anstalt erschien, da sein Pflegling ihm abermals entwischt war. Sie hatten in einer Wirtschaft übernachtet. Obwohl, so gab Wärter Josef zu Protokoll, er mehrmals die Türen kontrolliert habe, sei der Pflegling entlaufen, da ein unwissender Gemeindediener dem Kranken die Tür geöffnet habe. In der Ver126 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Anton Linert. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1543. 127 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Leopold Lorenz. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1576. 128 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Josef Herr. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 961.

7.3 Beschwerden über das Krankenpflegepersonal

223

sion des Oberwärters gab es weder einen Gemeindediener noch waren die Türen verschlossen. Der Pflegling ging aus dem Wirtshaus, während Wärter Josef mit der Anstalt telefonierte, um ihre verspätete Rückkehr anzukündigen.129 Nach diesem Schema – Beteuerung der Unschuld und Verschweigen wichtiger Tatsachen – waren alle Berichte der beschuldigten Wärter verfasst. Die Konsequenz war meist eine Abmahnung bzw. Entlassung130 des betreffenden Wärters oder eine Geldstrafe. So musste beispielsweise Wärter Gustav im Jahr 1904 eine Ordnungsstrafe von 20 Mark wegen Dienstnachlässigkeit, genauer wegen verletzter Aufsichtspflicht (Paragraphen 93, 100 des Beamtengesetzes) bezahlen.131 Nicht nur tagsüber, sondern auch des Nachts kam es zu Unachtsamkeit. Der Vorwurf, dass die Wärterschaft während der Nachtwachen schlief, traf auch auf einige Wärter der Illenau zu. So lautete ein Vermerk von 1903: „Es ist festgestellt worden, dass Wärter Anton Blasius in letzter Zeit dreimal während der Nachtwache geschlafen hat.“132 Der Wärter Daniel Maier schlief nicht, stattdessen hatte er seine Abteilung verlassen und erschien erst Stunden später wieder zum Dienst.133 Es kann nur gemutmaßt werden, was er während dieser Zeit tat. Bei all diesen Beispielen ist zu beachten, dass die Vorwürfe nur einen kleinen Teil der Wärterschaft betrafen, allerdings häuften sich bei diesen die Beschwerden in den Personalakten. Bei dem genannten Wärter Daniel Maier hieß es 1908: Maier hat sich in letzter Zeit verschiedene Verstöße im Dienst zu Schulden kommen lassen und musste mehrmals verwarnt werden, es war auch aus diesem Grunde dessen dauernde Beibehaltung im Dienst nicht in Aussicht genommen.134

Eine Woche später wurde sein Abgang mit „Entlassung wegen Dienstverletzung“ dokumentiert.135 In sehr geringer Anzahl meldeten auch die Wärterinnen entlaufene Pfleglinge. In manchen Fällen war es eine Verkettung unglücklicher Umstände, die dem Pflegling zur Flucht verhalf. Von so einem Fall berichtete Wärterin Emma 1905, als eine ihrer Patientinnen entkam. Aufgrund von Umbauten waren die 129 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Josef Herr. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 961. 130 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Hermann Lorenz. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1574. 131 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Gustav Gissler. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 768. 132 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Anton Blasius. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 118. 133 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Daniel Maier. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1653. 134 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Daniel Maier. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1653. 135 Vermerk vom 24.7.1908 in Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Daniel Maier. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1653.

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7 Spannungsfelder und Probleme

normalerweise verschlossenen Türen offen und wegen vieler Handwerker, die ein und aus gingen, schwer zu kontrollieren. Von einer nahe gelegenen Stadt sollte sie schließlich die entflohene Patientin wieder zurückbringen. Dieser gelang es jedoch erneut, zu fliehen, indem sie aus dem fahrenden Zug sprang. Bei der Verfolgung verletzte sich Wärterin Emma und erlitt eine Gehirnerschütterung.136 Fehlende Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit während des Dienstes ist kein Phänomen, welches ausschließlich die Wärterschaft betrifft. Auch bei den Nazareth-Diakonen tauchen immer wieder Vermerke auf, die von flüchtigen Zöglingen berichten.137 Das Alkoholproblem des männlichen Pflegepersonals wurde ebenfalls in anderen Anstalten bemängelt. Dorothe Falkenstein beschreibt, wie es in der Heilanstalt Aplerbeck zu Ordnungsstrafen wegen Trunkenheit im Dienst kam.138 Sie erwähnt auch das Kontaktverbot von Wärterinnen und Wärtern, eine Regel, die nicht immer befolgt wurde.139 7.3.2 Moralisch-sittliche Vergehen Für die Anstalten und für das jeweilige Mutterhaus war die sittliche und moralische Haltung ihres Personals ein besonderes Anliegen. Daher war der Bewerbung ein Sittlichkeitszeugnis beizulegen. Für das weibliche sowie das männliche unverheiratete Personal war ein zölibatäres Leben in der Gemeinschaft vorgesehen. Jedoch deuten einige Vorwürfe auf ein Übertreten dieser Regelung hin. Unter „sittliche Verfehlungen“ fällt bereits der regelmäßige Kontakt mit dem anderen Geschlecht. Darunter waren intime bzw. sexuelle Handlungen, aber auch der Vorwurf der Homosexualität oder der Belästigung. In den vorliegenden Quellen gibt es nur wenige Belege, in denen das weibliche Personal einer unsittlichen Handlung beschuldigt wurde. So warf man beispielsweise 1933 einer Düsseldorfer Rot-Kreuz-Schwester vor, drei Nächte nicht zu Hause, sondern in Männergesellschaft verbracht zu haben.140 Die Anschuldigung beruhte mehr auf Vermutungen als auf Beweisen, dennoch musste die Schwester das Mutterhaus verlassen. Die Wärterin Berta ertappte man 1905 nachmittags in einer „nicht misszuverstehenden Situation“ mit einem Mann.141 Ebenso wie die Rot-Kreuz-Schwester wurde auch Wärterin Berta entlassen. 136 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Emma Huber. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1077. 137 Siehe Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-105-2399. 138 Falkenstein (2000), S. 73 f. 139 Falkenstein (2000), S. 74. 140 Personalakte der Rot-Kreuz-Schwester Maria Geusen aus Düsseldorf. UADd, Bestand 30/14. 141 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Berta Dinger. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 446.

7.3 Beschwerden über das Krankenpflegepersonal

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Ganz anders sieht die Quellenlage für das männliche Pflegepersonal aus. Die zahlreichen Vermerke in den Personalakten der Nazareth-Diakone zeugen von einem regen Interesse am anderen Geschlecht. Die Nazareth-Diakone Bei den Nazareth-Diakonen ist häufig der Vermerk „unsittlich“ in den Personalakten zu finden. Dahinter verbirgt sich nicht zwangsläufig ein Sexualdelikt, da bereits das regelmäßige Treffen oder Schreiben mit einer Frau ohne die Genehmigung des Mutterhauses zu diesem Eintrag führen konnte. Interessant sind auch die Umstände, wie das „Vergehen“ entdeckt wurde. Beispielsweise vergaß Bruder Funk die Liebesbriefe seines „Mädchens“ in seiner Wäsche.142 Bruder Schmidt flog auf, da seine ehemalige Geliebte dessen Briefe an das Mutterhaus weitergeleitet hatte. Zudem pflegte er zu mehreren Frauen gleichzeitig ein intimes Verhältnis.143 Meist gestanden die Diakone ihre Liebesbeziehung gegenüber dem Mutterhaus und kündigten, weil sie heiraten wollten. In Kapitel 4.3.1 wurde bereits detaillierter erläutert, welche Voraussetzungen und Bedingungen erfüllt sein mussten, um eine Heiratsgenehmigung zu erhalten. Nicht jeder Bruder wollte darauf warten oder hoffen, zu den wenigen Privilegierten zu gehören, die eine damit verbundene führende Leitungsposition als Hausvater erhielten. Durchaus schwerwiegender sind die Vorwürfe im Fall von sexuellen Übergriffen. Die wenigen Beispiele berichten von Brüdern, die des Öfteren Schwestern oder Dienstmädchen, mit denen sie zusammenarbeiteten, belästigt hatten. Bruder Otto fasste beispielsweise einem Dienstmädchen immer wieder unter die Kleider144, ein anderer Diakon behelligte mehrmals Schwestern145. In einem Beispiel wandte sich das betroffene Mädchen an den Oberpfleger. Dieser schrieb 1903 an das Mutterhaus: Heute kommt unser Dienstmädchen, welches erst konfirmiert und seit 12 Tagen bei uns ist mit Tränen in den Augen zu mir und erzählt, Bruder S. ließe sie nicht zufrieden, habe sie gestreichelt und einen Kuß angeboten und habe ihr ein Briefchen zustecken wollen.146

Der beschuldigte Bruder verließ die Anstalt. In einigen wenigen Personalakten tauchte der Vorwurf der Homosexualität auf – eine Beschuldigung, welche besonders im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert sehr sensibel behandelt werden musste, denn in Paragraph 175 des Reichsstrafgesetzbuches waren sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe gestellt.147 Der Vorwurf, homosexuell zu sein, hatte somit nicht nur eine rufschädigende Wirkung, son142 Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-007-0197. 143 Vermerk an Bethel von 1920. HAB, NA-ST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899–1924. 144 Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-024-0685. 145 Personalakte eines Nazareth-Diakons. HAB, NA-PA-065-1464. 146 Brief eines Oberpflegers von 1903. HAB, NA-PA-024-0678. 147 Vgl. Sommer (1998), S. 41.

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7 Spannungsfelder und Probleme

dern auch rechtliche Konsequenzen für den Beschuldigten. Die in den Personalakten enthaltenen Vorwürfe homosexueller Übergriffe beziehen sich allerdings ausschließlich auf die Fürsorgeerziehung, die seit 1896 zu dem Aufgabenfeld der Diakone zählte.148 Da die Fürsorgeerziehung nicht zur Krankenpflege gehört, wird dieser Punkt nicht weiter vertieft. Auch einige Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau machten sich eines unsittlichen Vergehens schuldig. So ertappte man beispielsweise den Wärter Hermann beim außerehelichen Geschlechtsverkehr149 sowie den Wärter Anton, als er morgens aus der Frauenabteilung kam und, um nicht entdeckt zu werden, sich im Gebüsch versteckte150. Im Gegensatz zu den Diakonen durften beide Wärter in der Anstalt verbleiben. Weitere Beschwerden In einem Zeitungsartikel wurden die Zustände in der Bremer Hautklinik, die mit Nazareth-Diakonen besetzt war, angeprangert. Bruder Wussow erwähnte man darin namentlich. Man warf ihm vor, sich auf Kosten der Patienten zu bereichern. Für kleinere Besorgungen, die er für die Patienten erledigte, ließ er sich gut bezahlen. So kostete eine Dose Kondensmilch bei Bruder Wussow 60 Pfennig, während man im Geschäft nur 38 Pfennig dafür bezahlen müsse. Eine weitere Einnahmequelle für ihn schien der Verkauf von Zigaretten gewesen zu sein. Nach seinen Angaben handelte es sich ausschließlich um teure Marken, die er sich dementsprechend auch bezahlen ließ.151 7.3.3 Diebstahl Diebstahl war nicht nur ein Verstoß gegen die Dienstvorschriften, sondern auch eine Straftat. Den Vorwurf des Stehlens findet man sowohl in den Personalakten der Wärterinnen und Wärter als auch in denen der Diakone. Es sind nur wenige Fälle, in denen das Wartpersonal des Diebstahls überführt wurde. Interessanterweise wurde überwiegend Wäsche aus dem Anstaltsbestand gestohlen. So kann man einer Aufstellung von 1919 entnehmen, dass man „18 Betttücher, 1 Deckbettbezug, 2 Kopfkissenbezüge, 2 Handtücher, 1 Wolldecke“152 beim Wärter Bruder vorgefunden hatte. Eine ähnliche Liste findet sich bei einem Diebstahl, den Bruder Kölli 1921 begangen hatte. Er entwendete in dem einen Jahr, welches er in der Illenau als Wärter beschäf148 Vgl. Benad (2009), S. 71. 149 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Hermann Lorenz. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1574. 150 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Anton Lienert. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1543. 151 Bremer Lokal-Nachrichten, ohne Datum: Die Zustände in der Hautklinik. HAB, NAST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899–1924. 152 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Hermann Bruder. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 334.

7.3 Beschwerden über das Krankenpflegepersonal

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tigt war, „11 Betttücher, 1 Wolldecke, 3 Handtücher und 5 Vorhänge“.153 Aus der Quelle ist nicht ersichtlich, wozu die Bettwäsche und Handtücher jeweils benötigt wurden, ob er sie einfach weiterverkaufte oder für den eigenen Gebrauch gestohlen hatte. Letzteres scheint naheliegend zu sein, wenn man den Bericht über Wärterin Dalgauer von 1927 liest. Neben schlampigen Arbeiten warf man ihr vor, „dass sie Anstaltsstoff [vom Bettzeug] zu einer Untertaille für sich verwendete. Darauf angesprochen gab sie an, es seien nur Flickreste gewesen. Nach Sachlage war uns dies nicht glaubhaft.“154 Hier stellt sich die Frage, ob das Kleidergeld des Wartpersonals zu gering war. Doch spricht die Tatsache, dass für den gesamten Untersuchungszeitraum nur wenige solche Beispiele in den Akten zu finden sind, gegen die Vermutung. Die Konsequenz des Diebstahls war neben einer Kündigung auch eine strafrechtliche Verfolgung, so sahen es die Dienstvorschriften vor. Doch im Fall von Wärter Kölli machte man eine Ausnahme. In seiner Personalakte begründete man dies mit „Rücksicht auf seinen bisherigen guten Leumund und seiner langen Dienstzeit“155 in der Anstalt. In der Tat war er bereits 26 Jahre in der Illenau, als es zum Diebstahl kam. Man hatte ihn zum Oberpfleger befördert und die Genehmigung zur Heirat erteilt – im Prinzip die Art von „Karriere“, die ein Wärter in der Illenau machen konnte. Leider ist in den Akten keine Aussage des Beschuldigten enthalten, aus der man mehr über die Beweggründe seiner Tat erfahren könnte. Sein Vergehen wurde statt mit einer Gefängnisstrafe nur mit einer Ordnungsstrafe von 2.000 Mark geahndet. Der Vorfall schien keine weiteren Konsequenzen für ihn gehabt zu haben, da er zwei Jahre später in Rente ging.156 In dem ausgewerteten Quellenmaterial der Nazareth-Diakone finden sich zwei Beispiele, in denen sich ein Bruder des Diebstahls schuldig gemacht hatte. Zum einen hatte Diakon Köster die Stiefel eines Mitbruders gestohlen. Er packte diese einfach in seinen Koffer und gab sie auch auf Aufforderung nicht mehr heraus. Schließlich verließ er mit den Schuhen im Gepäck die Anstalt und kehrte nicht mehr zurück.157 In dem anderen Fall wurde nicht weiter auf den Tathergang bzw. das Diebesgut eingegangen. Nur eine kurze Notiz verweist auf den Kündigungsgrund: „Bruder H. wurde wegen Diebstahls und Schuldenmacherein und Innerer Dürre entlassen.“158 Es gibt einen Vermerk von 1917 bei den Sarepta-Diakonissen, in dem ein Diebstahl im Bremer Krankenhaus erwähnt wurde. Die Polizei verhörte die unter Verdacht stehende Schwester Emma. Weil eine Dirne sie beschuldigt 153 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Emmanuel Kölli. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1358. 154 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Lina Dalgauer. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 410. 155 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Emmanuel Kölli. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1358. 156 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Emmanuel Kölli. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 1358. 157 Vermerk Personalakte eines Nazareth-Diakons von 1898. HAB, NA-PA-015-0441. 158 Vermerk Personalakte eines Nazareth-Diakons von 1900. HAB, NA-PA-017-0512.

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hatte, ihr 100 Mark entwendet zu haben, schien sie für das Mutterhaus bereits ausreichend entlastet zu sein.159 7.3.4 Gewalt Im Folgenden beziehe ich mich auf psychiatrische Anstalten während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. In diesem Zeitraum waren Ausschreitungen gegenüber Pfleglingen in der Irrenpflege durchaus keine Besonderheit.160 Die Arbeit mit psychiatrisch Erkrankten stellte eine große nervliche Belastung für das Personal dar. Zudem schienen die Pflegenden häufig mit dem „Nonrestraint“-System überfordert zu sein. So wurde in einem Zeitungsartikel erwähnt, wie mehrere Sarepta-Schwestern einen Tobsüchtigen festhalten mussten, da die Tobsuchtszelle abgeschafft worden war. Aufgrund mangelnder qualifizierter Ausbildung, soweit überhaupt vorhanden, und durch neue, unerprobte Therapieverfahren eskalierte so manche Konfrontation zwischen Pflegenden und Patienten. Nicht immer war die Pflege eine Frage von Geduld und Einfühlungsvermögen. Manchmal war es auch so, dass die Patienten nicht nur sich selbst, sondern auch anderen gefährlich werden konnten. Das Beispiel aus den Personalakten des Bruders Ahrens verdeutlicht, wie schnell die Situation zwischen Pflegenden und Patienten außer Kontrolle geraten konnte. Ihm hatte ein Patient ins Gesicht geschlagen. Nachdem er sich wieder gefangen hatte, lief er hinter dem Patienten her, um nach dem Grund des Wutausbruches zu fragen. Statt einer Antwort erhielt er einen weiteren Faustschlag, woraufhin er zurückschlug.161 Aus welchen Gründen auch immer die Hand gegen einen Pflegling erhoben wurde, so galt dies als Verstoß gegen die Dienstvorschriften und konnte die Entlassung zur Folge haben. Entsprechend verfuhr man 1906 mit dem Wärter Enz, der zugab, einen Pflegling misshandelt zu haben.162 Welche Art von Misshandlung der Patient erleiden musste, steht nicht in den Akten. Nicht immer handelte es sich um körperliche Gewalt, auch ging sie nicht immer nur vom Pflegepersonal aus. Dies wird am Beispiel des Skandals von 1889 im St. Jürgen-Asyl in Bremen verdeutlicht. Der Arzt Dr. Friedrich Scholz (1831–1907)163 warf den Sarepta-Schwestern vor, regelmäßig Kranke geprügelt zu haben164. Aus dem Schriftverkehr zwischen dem Mutterhaus und der 159 Vermerk aus Bremen von 1917. HAB, Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926. 160 Z. B. Roth (1999), S. 70 f. Zu Gewalt im Pflegealltag siehe Braunschweig: Raufereien (2009). 161 Vermerk Personalakte von 1889. HAB, NA-PA-008-0221. 162 Personalakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau von Karl Enz. StAFr, Bestand B 821/1, Nr. 545. 163 Zu Jean Paul Friedrich Scholz siehe Seedorf (1912). 164 Die verschiedenen Untersuchungsberichte von Senat und Bürgerschaft geben in der Zusammenschau einen Einblick in die Problematik: Bericht der Krankenhausinspektion. In: Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft von 1895, S. 570–610; Bericht der

7.4 Resümee

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Krankenanstalt geht hervor, dass drei Schwestern beschuldigt wurden, gegenüber Pfleglingen handgreiflich geworden zu sein. Diese hatten ihre Tat gestanden. Allerdings geschah dies im Ringen mit einem Tobsüchtigen, der eine Schwester würgte. Weitere Misshandlungen hatte es anscheinend nicht gegeben. Die Anschuldigungen hielt man für eine Verleumdung des Arztes.165 Im weiteren Verlauf der Ermittlungen stellte sich heraus, dass sich Dr. Scholz auch nicht immer vorbildlich gegenüber den Kranken verhalten hatte. So wurden diese zur Strafe von ihm beispielsweise für längere Zeit auf Suppenkost gesetzt. In einem anderen Fall habe er den Daumen eines Pfleglings gequetscht, da dieser ihm zuvor in den Hut gespuckt hatte.166 Zudem wollte Dr. Scholz die Ablösung der Sarepta-Diakonissen. In seinen Memoiren beklagte er, dass er „auf die Disciplin […] gar keinen Einfluß [hatte], die Brüder und Schwestern kamen und gingen, wie es dem Mutterhaus paßte“.167 7.4 Resümee Konflikte, Probleme und Spannungen im Pflegealltag gab es im 19. Jahrhundert genauso wie heute. Auch Arbeitsüberlastung und Personalmangel klingen uns vertraut. Doch gibt es Unterschiede, besonders in Bezug auf die Beschwerden, die damals seitens des Pflegepersonals geäußert wurden. Mangelnde Beköstigung, schlechte Unterkünfte und das Andachtsverbot sind spezifische Probleme der damaligen Zeit und wären heutzutage undenkbar. Hervorzuheben ist, dass das Mutterhaus in diesen Punkten der Fürsorge gegenüber seinen Schwestern und Brüdern bzw. „Töchtern und Söhnen“ nicht gerecht werden konnte. Zur Beseitigung der Missstände trat das Mutterhaus in Kontakt mit der zuständigen Krankenhausdirektion. Das hatte zur Folge, dass sich die Spannungen auch auf diese Ebene übertrugen. Das heißt, der Unmut über die schlechte Verpflegung führte zum einen zu Spannungen zwischen Pflegepersonal und Mutterhaus und zum anderen zu Konflikten zwischen Mutterhaus und der betreffenden Klinikdirektion. Der Erste Weltkrieg und die darauffolgenden Krisenzeiten verschärften zudem die Missstände. Ein weiterer Punkt waren die Streitigkeiten innerhalb der Schwestern-, Brüder- und Wärterschaft. Neben geschlechterspezifischen Problemen, die durch das starre Rollenverständnis verursacht wurden, gab es Differenzen, die aufgrund von Vorurteilen entstanden. In der Gesellschaft vorherrschend war die Auffassung der ungebildeten, aber arbeitsamen Diakonisse und der gebil-

Bürgerschaftskommission. In: Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft vom Jahre 1896, S. 303–310, beides zit. n. Leidinger (2000). 165 Stellungnahme zu Konflikt Bremen. HAB, Sar 456, Bremen Krankenanstalten 1879– 1900. 166 Zeitungsausschnitt von 1895, Zeitung unbekannt. HAB, Sar 456, Bremen Krankenanstalten 1879–1900. 167 Vgl. Scholz (1899), S. 115, zit. n. Leidinger (2000), S. 64.

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7 Spannungsfelder und Probleme

deten, feinen Rot-Kreuz-Schwester. Auch dem Wartpersonal gegenüber hatte man weiterhin einige Vorbehalte. Hinsichtlich des Beschwerdekatalogs weisen die einzelnen Pflegegruppierungen keinen signifikanten Unterschied auf. Verletzte Aufsichtspflicht, moralische oder sittliche Vergehen, Gewalt gegenüber Pfleglingen und Diebstahl tauchen in allen Personalakten auf, jedoch in unterschiedlicher Häufigkeit. Des Weiteren ist hervorzuheben, dass manche Vergehen von den verschiedenen Pflegeorganisationen unterschiedlich definiert und teilweise auch geahndet wurden. Eines sittlichen Vergehens machte sich beispielsweise ein Nazareth-Diakon bereits schuldig, indem er ohne Erlaubnis Kontakt mit einer Frau aufnahm. Dazu zählte bereits ein Briefverkehr. Gewalttätige Ausschreitungen gegenüber Pfleglingen der Heil- und Pflegeanstalten müssen im Zusammenhang mit den damaligen Arbeitsbedingungen gesehen werden. Die Ausbildung – soweit überhaupt vorhanden – war mangelhaft. Zudem ist es manchmal schwierig, zwischen Gewalt und Therapie zu unterscheiden. Gewalt ist nicht immer mit Brutalität verbunden. Sollten die damals üblichen Dauerbäder den Willen des Pfleglings brechen oder ließen die Aggressionen aufgrund eines warmen Bades nach?

8 Schlussbetrachtung Die vorliegende Arbeit handelte vom Alltag in der stationären Pflege im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Im Mittelpunkt standen zum einen die Personen, die physisch und psychisch Erkrankte in den Hospitälern und Anstalten pflegten und zum Teil mit ihnen zusammenlebten. Zum anderen ging es um die Darstellung des damaligen Pflegealltags, der zahlreiche Facetten aufwies. Eine quantitative Auswertung der Personalakten ergab, dass sich die Mitglieder der unterschiedlichen Gruppierungen in Bezug auf Eintrittsalter, Verweildauer und soziale Herkunft glichen. Die Austrittsgründe dagegen waren unterschiedlich, da sich darin die Normen und Werte, aber auch Erwartungen und Anforderungen, welche an die Pflegenden und an das Mutterhaus bzw. die Anstalt gestellt wurden, widerspiegeln.1 Die Auswertung von Briefen und Berichten macht hohe Zahlen der Austritte verständlicher und erklärbar. Dennoch kann man in vielen Fällen über die tatsächlichen Austritts- oder Kündigungsmotive nur spekulieren, da zahlreiche Begründungen verklausuliert waren. Ein weiteres Thema waren die pflegerischen Arbeiten im stationären Bereich. Hierzu geben die Tätigkeitsnachweise der Düsseldorfer Rot-KreuzSchwestern detaillierte Informationen. Anhand der zahlreichen Pflegeverrichtungen, die durchaus auch heute noch zum Stationsalltag gehören, ist zu erkennen, dass es sich um eine Schwesternschaft mit hoher beruflicher Qualifikation handelte. Diese Hypothese wird durch die damaligen Ausbildungsmodalitäten für die Rot-Kreuz-Schwesternschaft bestätigt. Ein Vergleich mit den Ausbildungsregelungen der konfessionellen Pflegegruppen zeigt, dass deren Schwerpunkt mehr auf einer religiösen Unterweisung lag. Auch die Beobachtungsprotokolle der Nazareth-Diakone aus Bielefeld und die Tätigkeitsberichte der Wärterinnen der Heil- und Pflegeanstalt Illenau geben Einblick in deren Tagesablauf und die Arbeit mit psychisch Kranken. Besonderes Augenmerk galt der Anwendung neu aufgekommener Behandlungsmethoden, wie z. B. der Arbeits- und Beschäftigungstherapie. Die Patienten lebten teilweise in einer anderen Welt, zu der man als „Gesunder“ nur schwer Zugang fand. Problematischer war allerdings der Umgang mit aggressiven Pfleglingen. Den gewalttätigen Ausbrüchen waren mit Einführung des „Non-restraint“-Ansatzes keine handgreiflichen Maßregelungen mehr entgegenzusetzen. Zudem reichte der Personalschlüssel nicht aus, um diesen neuen Therapieansatz zur Zufriedenheit der Ärzte zu verwirklichen. Ein Großteil der Austritte von Pflegenden ist sicherlich auf diese starke nervliche Beanspruchung zurückzuführen. Weibliche und männliche Pflegende wurden in mancherlei Hinsicht unterschiedlich behandelt. Die obligatorische Regelung eines zölibatären Lebens 1

Für die Nazareth-Diakone führte ein unsittliches Benehmen unweigerlich zum Ausscheiden aus der Brüderschaft, während der Begriff „Unsittlichkeit“ für die Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau nur im Zusammenhang mit Ehebruch erwähnt wurde.

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8 Schlussbetrachtung

bezog sich ausnahmslos auf das weibliche Personal. Ferner gab es hinsichtlich des monatlichen Gehalts Unterschiede, wie am Beispiel der Wärterinnen und Wärter der Heil- und Pflegeanstalt Illenau gezeigt wurde. Darüber hinaus war die Darstellung von Spannungsfeldern ein weiteres Anliegen der Arbeit. Unterschieden wurde hierbei zwischen Unstimmigkeiten aufgrund von Arbeits- und Rahmenbedingungen (Personalmangel, lange Arbeitszeit, schlechte Versorgungslage und Differenzen zwischen Pflegenden und Pfleglingen) sowie Problemen zwischen dem Mutterhaus bzw. der Anstalt und den Schwestern und Brüdern respektive Wärterinnen und Wärtern. Probleme bereiteten Alkoholabusus, Diebstahl, verletzte Aufsichtspflicht und Gewaltexzesse gegenüber den Pfleglingen. Bei den Nazareth-Brüdern tauchte in den Personalakten zusätzlich der Vorwurf des unerlaubten Kontakts mit Frauen auf. Über die Arbeitsbedingungen der Pflegenden im ausgehenden 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert gibt es bereits mehrere Veröffentlichungen. Was lange Arbeitszeiten, wenig Freizeit und Personalmangel betrifft, so bilden die hier untersuchten Pflegegruppierungen keine Ausnahme. Den Vorwurf einer schlechten Krankheits-, Alters- und Invaliditätsversorgung kann man dem Mutterhaus der Clemensschwestern aus Münster und dem Mutterhaus der Sarepta-Diakonissen und Nazareth-Diakone aus Bielefeld nicht machen. Mit der Einsegnung unterstanden die Pflegekräfte der dauerhaften Fürsorge des Mutterhauses. Schwieriger stellte sich die Situation für die Rot-Kreuz-Schwestern aus Düsseldorf und für die Wärterschaft der Heil- und Pflegeanstalt Illenau dar, wenn sie aufgrund eines Arbeitsunfalles oder wegen einer arbeitsbedingten Erkrankung berufsunfähig wurden und mit einer geringen Rente auskommen mussten. Immerhin wurde das Wartpersonal und ggf. dessen ganze Familie häufig durch Zuzahlungen aus der Wärterkasse finanziell unterstützt. Auch in Hinblick auf die Erkrankungsarten bestätigen die vorliegenden Untersuchungsergebnisse bisherige Erkenntnisse. Die Tuberkulose gehörte zu den Infektionserkrankungen mit der höchsten Mortalitätsrate unter den Clemensschwestern aus Münster. Neben einem anstrengenden und langen Arbeitstag gab es für die Pflegenden dennoch so etwas wie Freizeit. Doch selbst diese sehr gering bemessene Zeit unterlag der Aufsicht durch das entsprechende Mutterhaus oder die Anstalt. Für die Frauen galt es auch außerhalb der Arbeit, einen unbescholtenen Ruf zu bewahren. Zahlreiche Regelungen schränkten die persönliche Freiheit ein. Das Wartpersonal der Illenau verbrachte zum Großteil seine arbeitsfreie Zeit mit den Pfleglingen im Rahmen der sich gerade etablierenden Beschäftigungstherapie und des von Roller entworfenen Modells einer Großfamilie. Prinzipiell wiesen – mit Ausnahme der Rot-Kreuz-Schwesternschaft – die hier untersuchten Pflegegruppierungen eine nach einem Familienmodell entworfene Organisationsstruktur auf. Innerhalb dieser Strukturen räumte man ihnen in Form von Schwesternvertretungen oder des Bruderrats sogar ein begrenztes Mitspracherecht ein.

8 Schlussbetrachtung

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Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Pflegealltag zwischen 1880 und 1930 durch die damaligen Arbeitsbedingungen, die verrichteten Tätigkeiten sowie das Zusammenleben und das gemeinschaftliche Arbeiten von Schwestern, Brüdern und Ärzten beeinflusst wurde. Die hohe Fluktuationsrate verdeutlicht, wie schwierig der Pflegeberuf war und welche Ansprüche man an die Pflegenden stellte. Ungeachtet der zum Teil wenig qualifizierten Ausbildung wird anhand der oft detailliert beschriebenen Tätigkeiten deutlich, wie umfassend damals die Pflege war und dass die Ärzte durchaus eine Entlastung und Hilfe durch das Pflegepersonal bekamen. Fehlende Selbstbehauptung von Seiten der Pflegenden und ein mangelndes differenzierteres Selbstverständnis verhinderten, dass dieser Berufsgruppe die gebührende gesellschaftliche Anerkennung zuteilwurde. Einige Fragen blieben unbeantwortet, die in einem anderen Forschungsprojekt aufgegriffen werden müssen. So konnten keine umfassenden Aussagen über die Gefühlswelt der Pflegenden gemacht werden. Ihre Ängste, Sorgen und Nöte schwingen bei einzelnen Themen mit, lassen jedoch viel Raum für Interpretationen. Die vorliegende Arbeit vertieft und vervollständigt die Kenntnisse und Vorstellungen, die man bisher über den Pflegealltag in der Vergangenheit hatte. Mit einem Blick ins 21. Jahrhundert kann man feststellen, dass einige Aspekte, wie beispielsweise Personalmangel, starke Arbeitsbelastung oder schlechte Vergütung, immer noch aktuell sind. In der jüngeren Vergangenheit bewirkte jedoch das Bedürfnis nach Privatsphäre und Selbstbestimmung, dass das damalige Familienmodell zu einem Teil der Geschichte des Pflegealltags der Clemensschwestern aus Münster, der Sarepta-Diakonissen und NazarethDiakone aus Bielefeld und des Wartpersonals der Heil- und Pflegeanstalt Illenau wurde.

9 Bibliographie 9.1 Archivalische Quellen Archiv Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern Münster (MAM) Chronik der Barmherzigen Schwestern: Bd. 1 (1879–1888), Bd. 1 (1888–1898), Bd. 2 (1888–1898), Bd. 1 (1898–1908), Bd. 2 (1898– 1908), Bd. 3 (1898–1908), Bd. 4 (1898–1908), Bd. 1 (1908–1918), Bd. 2 (1908–1918), Bd. 3 (1908–1918), Bd. 4 (1908–1918), Bd. 5 (1908–1918), Bd. 1 (1918–1928), Bd. 2 (1918–1928), Bd. 3 (1918–1928), Bd. 4 (1918–1928), Bd. 5 (1918–1928), Bd. 1 (1928–1938), Bd. 2 (1928– 1938) Kinn: Sterblichkeit. Mutterhaus Bücherei BS 211 Nr. 2231. Ohne Signatur: Huyskens, V[iktor]: Das St. Clemens Hospital zu Münster. Seine Gründung (1731–1754) und Entwicklung (1754–1904). Ein geschichtlicher Überblick. Festschrift zum 150jährigen Bestehen des am Feste Mariä Geburt, Sonntag, 8. September 1754, feierlich seiner Bestimmung übergebenen Krankenhauses. Münster [1904]. Der unveröffentlichte Leitfaden von Mutter Claudia Hauptarchiv Bethel (HAB) Slg. B III 7,17 Sarepta-Archiv (Sar) Eintrittsbücher: Sar 2 Sr-Vw 4 Lebensdaten II-X Personalakten: Sar 3, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64 Chronik Sar: 28, 30 Dokumente, Akten, Tagebuchaufzeichnungen: Sar Tagebücher Diakonisse Marie Phillips 1896–1949 (unverzeichnet) Sar Tagebücher Diakonisse Marie Phillips 1881–1895 (unverzeichnet) Sar Briefe verschiedener Schwestern 1870–1945 (unverzeichnet) Sar Briefe von Schwestern aus verschiedenen Stationen 1886–1969 (unverzeichnet) Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus II, 1909–1923 (7) Sar Altena, Johanniter-Krankenhaus I, 1875–1909 (6) Sar 1, 465 Bremen Sar 1, 629 Sar Bremen 59, Kinderkrankenhaus III Sar Sarepta Jahresberichte und Schmelzhütten 1860–1937 Sar 60, Bremen Kinderkrankenhaus IV Sar 399a, Gilead Krankenpflegeschule 1907–1928 Sar 438, Bremen Chirurgisches Haus I, 1890–1928 Sar 439, Bremen Chirurgisches Haus II, 1929–1933 Sar 456, Bremen Krankenanstalten 1879–1900 Sar 466, Bremen Krankenanstalten 1901–1910 Sar 467, Bremen Krankenanstalten 1910–1926 Sar 468, Bremen Krankenanstalten 1927–1928 (1935) Sar 469, Bremen Krankenanstalten 1929–1932 Sar 504, Ausbildung der Schwestern 1906–1924

9.1 Archivalische Quellen

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Sar 670, Ausbildung der Schwestern 1925–1928 Sar 679, Ausbildung der Schwestern 1929–1935 Sar 707, Bremen Diakonissen-Mutterhaus 1899–1950 Sar 743, Krankenpflege Allgemeines 1905–1927 Sar 1153, Krankenpflege Allgemeines 1928–1953 Ohne Signatur: Aufnahmebedingungen für das Diakonissenamt in der Diakonissenanstalt Sarepta in Bielefeld im Jahresbericht 1909 Zweiter Jahresbericht der Diakonissen-Anstalt zu Bielefeld 1871–1873, Bielefeld (o. J.) Berufsordnung für die Diakonissen des westfälischen Diakonissenhauses Sarepta bei Bielefeld, Bielefeld 1906 Nazareth-Archiv (NA) Eintrittsbücher: NA-A-002 1877–1926; NA-A-003 1926–1948 Abgangsbuch Diakone alphabetisch: NA-A-116, 1878–2001 Personalakten der Eintrittsjahre: 1880, 1885, 1890, 1895, 1900, 1905, 1910, 1915, 1920, 1925, 1930: NA-PA-002-0015, 002-0016, 002-1918, 002-0033, 002-0037, 002-0040, 002-0046, 002-0052, 002-0067, 004-0090, 004-0093, 004-0098, 004-0100, 004-0106, 004-0108, 004-0109, 004-0110, 004-0117, 004-0126, 004-0134, 005-0121, 005-0124, 005-0125, 006-0180, 006-0182, 006-0188, 007-0196, 007-0197, 007-0200, 007-0202, 007-0203, 007-0205, 007-0206, 007-0212, 007-0217, 007-0219, 007-0220, 008-0221, 008-0232, 008-0233, 008-0243, 008-0246, 009-0251, 009-0258, 009-0260, 010-0287, 010-0296, 012-0340, 012-0343, 012-0346, 012-0348, 012-0350, 012-0362, 013-0377, 013-0375, 013-0380, 013-0383, 013-0387, 013-0394, 014-0401, 014-0404, 014-0419, 015-0430, 015-0431, 015-0434, 015-0436, 015-0441, 017-0483, 017-0504, 017-0509, 017-0510, 017-0512, 018-0516, 018-0517, 018-0520, 018-0521, 018-0523, 018-0524, 018-0526, 018-0529, 018-0530, 018-0532, 018-0535, 018-0539, 018-0541, 018-0542, 018-0543, 018-0544, 018-0570, 019-0546, 019-0547, 019-0548, 019-0560, 019-0563, 019-0566, 020-0576, 020-0590, 021-0610, 022-0629, 022-0633, 022-0647, 022-0648, 023-0661, 023-0668, 024-0678, 024-0685, 0240690, 024-0691, 024-0694, 024-0705, 025-0706, 025-0715, 025-0728, 025-0729, 026-0734, 026-0746, 026-0749, 026-0751, 027-0757, 027-0758, 027-0760, 027-0763, 027-0764, 027-0768, 027-0775, 027-0776, 027-0777, 027-0778, 027-0781, 028-0784, 028-0885, 028-0787, 028-0791, 028-0794, 028-0796, 028-0797, 028-0799, 028-0800, 028-0801, 028-0803, 029-0812, 029-0822, 029-0826, 029-0832, 030-0833, 030-0837, 030-0853, 030-0856, 031-0869, 033-0896, 0330915, 034-0920, 034-0933, 035-0948, 035-0957, 035-0960, 035-0962, 036-0966, 036-0971, 036-0972, 036-0975, 036-0979, 036-0983, 036-0985, 036-0986, 036-0989, 036-1773, 037-0993, 037-0995, 037-0998, 037-0999, 037-1001, 037-1103, 038-1015, 038-1018, 038-1019, 038-1021, 038-1024, 038-1025, 038-1027, 039-1039, 039-1040, 039-1045, 040-1053, 040-1055, 0401058, 040-1066, 041-1072, 041-1073, 041-1083, 041-1084, 042-1087, 042-1088, 042-1091, 0421099, 043-1123, 043-1124, 043-1125, 043-1133, 044-1140, 044-1125, 045-1153, 046-1161, 0461166, 047-1176, 047-1185, 048-1187, 048-1199, 050-1217, 050-1222, 051-1228, 051-1229, 0511236, 051-1238, 052-1247, 053-1254, 054-1262, 056-1281, 057-1293, 059-1514, 060-1326, 0601324, 060-1329, 061-1337, 061-1342, 061-1343, 063-1364, 063-1366, 064-1373, 064-1377, 0641379, 065-1387, 065-1384, 065-1387, 065-1464, 065-1668, 066-1711, 066-1721, 066-1726, 0661729, 067-1720, 067-1753, 067-1757, 067-1765, 067-1767, 067-1787, 068-1722, 068-1732, 0682290, 069-1718, 069-1727, 069-1733, 071-1715, 071-1763, 072-590, 073-480, 074-1507, 075-1803, 075-1816, 075-1921, 075-1926, 075-1930, 076-1809, 076-1948, 076-1966, 077-1868, 077-1930, 077-1932, 077-1735, 077-1785, 077-1875, 079-1924, 079-2037, 079-1938, 080-1962, 080-1973, 080-2003, 081-1952, 081-1953, 081-1954, 082-1933, 082-1952, 082-1956, 083-1926, 083-1931,

236

9 Bibliographie

084-1934, 084-1935, 084-1964, 084-1965, 084-1969, 084-1971, 085-1735, 085-1950, 085-1963, 086-1963, 086-1964, 086-1972, 087-1945, 087-1958, 088-1927, 088-1943, 088-1957, 091-2252, 092-1937, 094-1947, 095-1959, 095-1970, 095-2216, 095-2234, 097-2239, 097-1952, 097-2270, 098-2213, 098-1941, 098-2251, 099-2238, 099-2244, 099-2280, 100-1046, 100-1955, 101-2224, 101-2235, 101-2253, 102-2223, 102-2241, 102-2247, 103-1928, 103-2222, 104-1830, 104-1831, 104-2013, 104-2078, 104-2227, 105-1942, 105-2255, 105-2298, 105-2399, 106-1852, 108-1859, 108-2588, 109-2220, 110-1108, 111-2298, 111-2370, 112-2230, 112-2248, 112-2387, 114-2215, 115-2250, 116-1098, 119-1948, 124-214, 124-2257, 129-592, 130-231, 133-2293, 135-2036, 1361940, 137-2045, 137-2333, 137-2493, 138-2588, 138-2591, 139-2052, 142-2821, 144-2583, 1482605, 150-2794, 153-2572, 155-2389, 155-1580, 156-1119, 157-3840, 159-3787, 161-3930, 1623795, 165-1779, 165-2209, 167-2224, 170-1117, 170-2237, 173-2260, 173-2263, 176-2272, 181778, 183-1372, 185-2347, 185-3826, 185-3832, 186-579, 187-1082, 195-1106, 197-1650, 1981165, 199-2423, 200-1388, 200-1389, 200-2427, 202-2435, 202-1073, 205-2453, 206-1702, 208-2465, 210-2481, 213-1159, 214-2233, 214-2499, 218-2521, 222-2266, 223-2548, 224-2555, 227-2574, 233-2608, 237-2628, 243-2670, 244-2674, 247-2695, 247-2694, 249-1407, 254-375, 260-2764, 265-2794, 275-2848, 276-2856 Dokumente, Akten: NA-ST-044, Berlin Charité NA-ST-126, Bremen Krankenanstalten 1, 1907–1922 NA-ST-127, Bremen Krankenanstalten 2, 1923–1926 NA-ST-128, Bremen städtische Krankenanstalten 3, 1927–1930 NA-ST-130, Bremen städtische Krankenanstalten 3 NA-ST-139, Bremen städtische Krankenanstalten 2, 1899–1924 NA-ST-140, Bremen städtische Krankenanstalten 3, 1927–1956 NA-KS-043, Berufsordnung für die Diakone der Westfälischen Brüderanstalt Nazareth zu Bielefeld, Bielefeld 1882 NA-B 230.02+2, Ebenezer. Die Brüderschaft Nazareth 1877–1902. Bielefeld 1902. Ohne Signatur: Berufsordnung für die Diakone der Westfälischen Brüderanstalt Nazareth bei Bielefeld 1914 Universitätsarchiv Düsseldorf (UADd) Bestand 30/14: Personalakten und Karteikarten Hausordnung für die Schülerinnen des Schwesternwohnheimes Satzung der städtischen Schwesternschaft vom Roten Kreuz in Düsseldorf, ohne Datierung Allgemeine Dienstanweisungen für Schwestern an den allgemeinen Städtischen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf von 1906 Besoldungsverordnung für die Pflegeschwestern an den allgemeinen Städtischen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf vom 30.11.1906 Anstellungs- und Besoldungsbestimmungen sowie allgemeine Dienstanweisungen für die Pflegeschwestern an den allgemeinen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf von 1907 Besoldungsverordnung für Oberschwestern an den allgemeinen Städtischen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf von 1906 Urlaubsordnung für die Schülerinnen des Schwesternwohnheimes Staatsarchiv Freiburg/Brsg. (StAFr) Personalakten der Heil- und Pflegeanstalt Illenau für die Eintrittsjahre 1880 bis 1930 in: Bestand B 821/1 Nr. 110–181, Nr. 182–252, Nr. 253–305, Nr. 306–362, Nr. 363–424, Nr. 425–500, Nr. 501– 557, Nr. 558–618, Nr. 619–672, Nr. 673–740, Nr. 741–810, Nr. 811–863, Nr. 864–909, Nr. 910–

9.2 Gedruckte Quellen

237

955, Nr. 956–1024, Nr. 1025–1039, Nr. 1040–1148, Nr. 1149–1214, Nr. 1215–1278, Nr. 1279– 1337, Nr. 1338–1410, Nr. 1411–1467, Nr. 1468–1522, Nr. 1523–1591, Nr. 1592–1649, Nr. 1650–1717, Nr. 1718–1787, Nr. 1788–1834, Nr. 1835–1886, Nr. 1887–1942, Nr. 1943–1997, Nr. 1998–2067, Nr. 2068–2133, Nr. 2134–2201, Nr. 2202–2263, Nr. 2264–2387, Nr. 2388– 2464, Nr. 2465–2537, Nr. 2538–2600, Nr. 2601–2676, Nr. 2677–2743, Nr. 2744–2820, Nr. 3660–3712 Ohne Signatur: Jahresbericht der Heil- und Pflegeanstalt Illenau für den Jahrgang 1901/02 Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA) Bestand 69 Baden, Geheimes Kabinett der Großherzogin Luise, Nr. 891, 892, 893, 894 Bestand 236/3641 Bestand 36/3678 Staatsarchiv Darmstadt (StAD) Bestand IV-37797, Bd. 3, Bl. 144–146 Bestand V-6248, Bl. 147

9.2 Gedruckte Quellen Alt, Konrad (Hg.): Die Wärterfrage in der Jahresversammlung der deutschen Irrenärzte. In: Die Irrenpflege. Monatsblatt zur Hebung, Belehrung und Unterhaltung des Irrenpflegepersonals, mit besonderer Berücksichtigung der freien Behandlung, der kolonialen und familiären Krankenpflege. Unter ständiger Mithilfe erfahrener Irrenärzte und Anstaltsbeamten 1 (1897), S. 19 f. Alter, Wilhelm: Gesundheitsverhältnisse der Schwestern in allgemeinen öffentlichen Krankenhäusern Deutschlands. In: Zeitschrift für das gesunde Krankenhauswesen 24 (1928), H. 9. Behla, Robert: Die Arbeits- usw. Verhältnisse der in Heilanstalten des preussischen Staates im Krankenpflegedienst beschäftigten Personen nach dem Stand vom 15. August 1910. In: Medizinstatistische Nachrichten 3 (1911/12), S. 601–628. Billroth, Theodor: Die Krankenpflege im Hause und im Hospitale. Ein Handbuch für Familien und Krankenpflegerinnen. Wien 1881. Bleuler, Eugen: Dementia praecox oder Gruppe der Schizophrenien. (= Aschaffenburg, Gustav (Hg.): Handbuch der Psychiatrie. Spezieller Teil. 4. Abt., 1. Hälfte) Leipzig; Wien 1911. Braeuning, Hermann: Tuberkulöse Erkrankungen bei Schwestern infolge von Ansteckung im Dienst und ihre Verhütung. In: Zeitschrift für Tbc. 33 (1920), S. 129–136. Caemmerer, Charlotte von: Berufskampf der Krankenpflege in Krieg und Frieden. München 1915. Cornet, Georg: Die Sterblichkeitsverhältnisse in den Krankenpflegeorden. In: Zeitschrift für Hygiene 6 (1889), S. 65–96. Die Diakonisse. Zeitschrift für weibliche Diakonie H. 8/9 (1929). Dietrich, Julius: Beitrag zur Ein- und Durchführung des preussischen Tuberkulosegesetzes. Berlin 1925. Disselhof, Julius: Wegweiser für Diakonissen in und nach der Rüstzeit. Kaiserswerth 1931. Droste zu Vischering, Clemens August Freiherr: Über die Genossenschaft der Barmherzigen Schwestern. Münster 1833. Eckhardt, R.; Gmelin, K.: Bilder von Amrum und seinem christlichen Seehospiz nebst einem ärztlichen Bericht. Bielefeld 1893.

238

9 Bibliographie

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9.3 Forschungsliteratur Ackerknecht, Erwin: Geschichte der Medizin. Überarbeitete und ergänzte Aufl. von Axel Hinrich Murken. 7. Aufl. Stuttgart 1992. Aumüller, Gerhard; Grundmann, Kornelia; Vanja, Christina (Hg.): Der Dienst am Kranken. Krankenversorgung zwischen Caritas, Medizin und Ökonomie vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Geschichte und Entwicklung der Krankenversorgung im sozioökonomischen Wandel. (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 68) Marburg 2007. Ayaß, Wolfgang: Die gesetzliche Krankenversicherung. Abt. 3: Ausbau und Differenzierung der Sozialpolitik seit Beginn des neuen Kurses (1890–1904). Darmstadt 2012. Balbach, Anna-Maria; Wolf, Hubert; Flammer, Thomas (Hg.): Die Barmherzigen Schwestern zu Münster zur Zeit des Nationalsozialismus. Münster 2007. Barandum Schäfer, Ursi: Von „halben Ärzten“ zu ganzen Intensivpflegenden. Die Weiterbildung in Intensivpflege als Beispiel für die berufliche Emanzipation. In: Braunschweig, Sabine (Hg.): Pflege – Räume, Macht und Alltag. Beiträge zur Geschichte der Pflege. Zürich 2006, S. 129–140. Bauer, Franz: Geschichte der Krankenpflege – Handbuch der Entstehung und Entwicklung der Krankenpflege. (= Schriftenreihe zur Theorie und Praxis der Krankenpflege 1) Kulmbach 1965. Beck, Clemens: Die Geschichte der „Heil- und Pflegeanstalt Illenau“ unter Chr. Fr. W. Roller (1802–1878). Freiburg/Brsg. 1983. Becker, Ruth; Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. (= Geschlecht und Gesellschaft 35) 2. Aufl. Wiesbaden 2008. Behnke, Cornelia; Meuser, Michael: Geschlechterforschung und qualitative Methoden. (= Qualitative Sozialforschung 1) Opladen 1999. Bellin, Karen: Aus den Anfängen der Psychiatrie in der ersten Kurmärkischen Irrenanstalt in Neuruppin 1801–1865. In: Thom, Achim (Hg.): Zur Geschichte der Psychiatrie im 19. Jahrhundert. Berlin 1984, S. 43–48. Benad, Matthias: Frömmigkeit und Familie in Bethel, Sarepta und Nazareth. In: Stoodt, Hans Christoph; Weber, Edmund (Hg.): Inter Legem et Evangelium. Frankfurt/Main 1994, S. 20–27. Benad, Matthias: Bethel als historischer Gegenstand. Vorschlag zur strukturierten Annäherung an die Geschichte der v. Bodelschwinghschen Anstalten. In: Benad, Matthias; Weber, Edmund (Hg.): Diakonie der Religionen. Bd. 1: Studien zu Lehre und Praxis karitativen Handelns in der christlichen, buddhistischen, Hindu- und Sikh-Religion. Frankfurt/Main 1996, S. 11–38. Benad, Matthias (Hg.): Friedrich von Bodelschwingh d. J. und die Bethler Anstalten. Frömmigkeit und Weltgestaltung. Stuttgart 1997. Benad, Matthias: „Und wenn Du dich gleich mit Lauge wüschest…“. Rein werden zum seligen Sterben im frühen Bethel. In: Wege zum Menschen 49 (1997), H. 2, S. 78–89.

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9.3 Forschungsliteratur

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9.5 Bild-Quellen Archiv Illenau Forum, Siegfried Stinus

medizin, gesellschaft und geschichte



beihefte

Herausgegeben von Robert Jütte.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0941–5033

40. Sylvelyn Hähner-Rombach Gesundheit und Krankheit im Spiegel von Petitionen an den Landtag von Baden-Württemberg 1946 bis 1980 2011. 193 S. mit 27 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09914-1 41. Florian Mildenberger Medikale Subkulturen in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Gegner (1950–1990) Die Zentrale zur Bekämpfung der Unlauterkeit im Heilgewerbe 2011. 188 S. mit 15 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10041-0 42. Angela Schattner Zwischen Familie, Heilern und Fürsorge Das Bewältigungsverhalten von Epileptikern in deutschsprachigen Gebieten des 16.–18. Jahrhunderts 2012. 299 S. mit 5 Abb. und 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09947-9 43. Susanne Rueß / Astrid Stölzle (Hg.) Das Tagebuch der jüdischen Kriegskrankenschwester Rosa Bendit, 1914 bis 1917 2012. 175 S. mit 6 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10124-0 44. Sabine Herrmann Giacomo Casanova und die Medizin des 18. Jahrhunderts 2012. 214 S. mit 8 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10175-2 45. Florian Mildenberger Medizinische Belehrung für das Bürgertum Medikale Kulturen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ (1853–1944) 2012. 230 S. mit 11 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10232-2 46. Robert Jütte (Hg.) Medical Pluralism Past – Present – Future 2013. 205 S. mit 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10441-8

7.

48.

49.

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Annett Büttner Die konfessionelle Kriegskrankenpflege im 19. Jahrhundert 2013. 481 S. mit 22 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10462-3 Annika Hoffmann Arzneimittelkonsum und Geschlecht Eine historische Analyse zum 19. und 20. Jahrhundert 2014. XVI, 217 S. mit 11 Abb., 63 Graf. und 32 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10455-5 Astrid Stölzle Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg Das Pflegepersonal der freiwilligen Krankenpflege in den Etappen des Deutschen Kaiserreichs 2013. 227 S. mit 18 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10481-4 Martin Dinges (Hg.) Medical Pluralism and Homoeopathy in India and Germany (1810–2010) A Comparison of Practices 2014. 250 S. mit 30 Abb. und 12 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10484-5 Alois Unterkircher Jungen und Männer als Patienten bei einem Südtiroler Landarzt (1860–1900) 2014. 392 S. mit 18 Abb., 29 Graf. und 41 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10612-2 Marion Baschin Ärztliche Praxis im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Der Homöopath Dr. Friedrich Paul von Bönninghausen (1828–1910) 2014. 318 S. mit 5 Abb., 33 Graf. und 61 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10782-2

ISBN 978-3-515-10685-6