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German Pages 680 Year 1990
PAX ET IUSTITIA Festschrift für Alfred Kostelecky
PAX ET IUSTITIA Festschrift für Alfred Kostelecky zum 70. Geburtstag
herausgegeben von
Hans Walther Kaluza Heribert Franz Köck
Hans R. Klecatsky Johannes Paarhammer
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Landesverteidigung, Wien des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Sport, Wien und der Kulturabteilung der Niederösterreichischen Landesregierung, Wien
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Pax et iustitia: Festschrift für Alfred Kostelecky zum 70. Geburtstag I hrsg. von Hans Wallher Kaluza ... - Berlin: Duncker u. Humblot, 1990 ISBN 3-428-06879-3 NE: Kaluza, Hans Watther [Hrsg.]; Kostelecky, Alfred: Festschrift
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Werksatz Marschall, Berlin 45 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06879-3
INHALT
Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
Grußwort von Dr. Kurt Waldheim, Bundespräsident der Republik Österreich
XIII
Grußwort von Hans Hermann Kardinal Groih, Erzbischof von Wien . . . . . .
XV
Grußwort von DDr. Donato Squicciarini, Titularerzbischof von Teurnia, Apostolischer Nuntius in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII Grußwort von Hofrat Dr. Robert Lichal, Bundesminister für Landesverteidigung der Republik Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIX
Grußwort von Dr. Hilde Hawlicek, Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport der Republik Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XX
Grußwort von Hofrat Mag. Siegfried Ludwig, Landeshauptmann von Niederösterreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
Altred Kostelecky - Diener an der Kirche Österreichs Von Hans Walther Kaluza ................................... XXIII
I. Kirche und Welt
Welt und Kirche Von EmmanueJ Longin-Moedemdorff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Der Glaube an ein gerechtes Wirtschaften - zum Spannungsverhältnis von Ethik und ökonomischem Eigennutz Von Franz Pototschnig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Glaube und Weltverantwortung der Katholiken. Gedanken nach dem II. Vatikanischen Konzil Von Herber! Schambeck
37
VI
Inhalt
Der Christ unterwegs in pluralistischer Gesellschaft Von Johannes Singer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
Das Laienapostolat in Österreich nach Christifideles Laici Von Ernst Waldstein-Wartenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
II. Kirche und Staat Soldat und Religionsfreiheit Von Felix Ermacora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
Das Verhältnis Republik Österreich - Katholische Kirche in Schulfragen Von Fe/ix Jonak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
Gedanken zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat Von Rudolf Kirchschläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
Allred Kostelecky auf dem Weg der Kirche aus den staatskirchenrechtlichen Verstrickungen der Zweiten Republik Von Hans R. Klecatsky . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
Die katholischen Organisationen zwischen Kirche und Staat Von Alfred Klose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123
Kirche(n) und Gewaltenteilung Von Siegbert Morscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
Die Präambel zur Tiroler Landesordnung. Ein Beitrag zur verfassungsrechtlichen Grundwerte-Formulierung ................................ . Von Peter Pernthaler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
143
Zur Meinungsfreiheit in Kirche und Staat Von Johann Schima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . .
157
Die Wien er Evangelisch-Theologische Fakultät. Eine gemeinsame(!) Angelegenheit von Staat und Kirche Von Kar/ Schwarz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171
Inhalt
VII
111. Kirchenrecht
Diözesane Gremien der Vermögensverwaltung in Österreich Von Hans Heimerl . • . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . • .
185
Betrachtungen zum Problem des amtlichen Versprechenseides Von Heribert Pranz Köck . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . .
195
Epieikeia. Kanonistische Erwägungen über einen zentralen Begriff Von Peter Leisehing . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . .
207
Zum kritischen Potential des theologischen Personbegriffs Von Lothar Lies SJ . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . • • . • . . . . . . . . . . . . •
217
Die Bistumsgrenzen in Deutschland. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Überlegungen zu ihrer Neuumschreibung Von Joseph List/ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • .
233
Religionsfreiheit an der Wende zum dritten Jahrtausend Von Richard Potz . . • . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . • . . . • • . . . . . . . . . .
255
Una Sacra Potestas in Ecclesia. Zum potestas-Begriff der Kirche Von Ernst Pucher . . . . . . . . . . . . • . . . • . . . • • . . • • . . • . . . . . • . . • . . . .
267
Schatzkammer und Wallfahrt - Opfer und Kult Von Helmut Schnizer • • . . . . • . . . . . . • . . . . . . . . . . . • . . . . . . • • . • . • .
285
IV. Bischofskonferenz Überlegungen zum Entwurf eines Dokumentes der Bischofskongregation über den theologischen und juridischen Status der Bischofskonferenzen Von Gerhard Fahrnberger • . . • . . . . . . . • . . • . • • . . • • . . . . • . . • . . • . . .
301
Zur Promulgation von Gesetzen der Bischofskonferenz. Anmerkungen zu einem formalen Aspekt bischöflich-kollegialer Gesetzgebung Von Stephan Haering • . . . . • • . • . . . • . . . . . . . . • • • . . . . . . . . . . . . . . .
317
Der Ad-Limina-Besuch des Bischofs. Zurneueren Entwicklung der rechtlichen Grundlagen Von Johann Hirnsperger • • . . • . • . • . • . • . . • • • • • . • • . • . . • . . • . • • . • •
337
Inhalt
VIII
V. Frieden und Friedenssicherung Der Friede als immer wieder neu zu erfüllende Aufgabe. Dienst und Auftrag des Soldaten heute Von Franz Kardinal Hengsbach . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . • .
359
Gefährdungen des Friedens in der modernen Welt Von Elmar Maria Kredel . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
369
Pax et Justitia. Zum Wahlspruch von Militärbischof Dr. Alfred Kostelecky Von Kar/ Majcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
379
Zum Ethos der bewaffneten Verteidigung im Europa der Neunzigerjahre Von Robert Prantner . . . . . . • . . . . . • . . . . . . . . . • . . . . • . • . . . . . . . . . .
395
Gewalt und Gewaltlosigkeit. Zur Geschichte der Österreichischen Friedensbewegung Von Man/ried Rauchensteiner . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
413
Frieden ........ bei den Menschen seiner Gnade" (Lk 2, 14) Von Hannes Schopf • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . • . . . . .
433
VI. Militärseelsorge Die Anfänge der Heeres-Seelsorge in Österreich Von Peter Gradauer • . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . .
443
Christ und Landesverteidigung Von Klaus Küng . . . . . . . . . . • . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
457
Rechtliche Ordnung der Militärseelsorge. Universal- und partikularrechtliche Bestimmungen Von Hans Paarhammer . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
463
Die Militärpfarrkirche St. Johannes Nepomuk Von Pia Maria Piechi . • . . . . . . . . . • . • . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . • . • .
503
Der Schutz der religiösen Sphäre in den Genfer Konventionen vom Roten Kreuz Von Hugo Schwendenwein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
509
Inhalt
IX
Die Stellung des Militärseelsorgers im humanitären Völkerrecht Von Sigmar Stad/meier
521
Wache für die Werte Von Reinhold Stecher
535
Das Projekt des Österreichischen Bundesheeres .,Waffe im Schrank" in wehrethischer Sicht Von Rudolf Weiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
539
VII. Kirchengeschichte Zur Geschichte des Diözesan- und Metropolitangerichtes Wien Von Karl-Theodor Geringer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
553
Rahanus Maurus und sein Hl. Geist-Hymnus Von Ferdinand Holböck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
581
Die Synoden der Diözese Eisenstadt Ein Beitrag zur Rechts- und Kirchengeschichte Von Stefan Lasz/6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
591
Katholische Aktion und Ständestaat Von Maximi/ion Liebmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
601
Die Aktualität der Gestalt Pius V. (1566-1572) Von Joseph Kardinal Ratzinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
623
Bedenkjahr für die Kirche in Österreich - fünfzig Jahre Kirchenbeitrag Von Sebastian Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
631
Markgraf Leopold von Österreich Von Opilio Kardinal Rossi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
645
Verzeichnis der Herausgeber und Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
649
VORWORT DER HERAUSGEBER
Alfred Kostelecky feiert am 15. Mai 1990 seinen 70. Geburtstag. Das ist ein willkommener Anlaß, der Öffentlichkeit diese Festschrift zu seinen Ehren vorzulegen, zu der zahlreiche Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland beigetragen haben.
Die Herausgeber repräsentieren selbst die verschiedenen in der Festschrift behandelten Bereiche- Kirche und Staat, Wissenschaft und Apostolat -, die alle auf das Wirken Alfred Kosteleckys Bezug haben; als Priester der Pastoral verpflichtet, als langjähriger Sekretär der Österreichischen Bischofskonferenz in stetiger Auseinandersetzung mit dem kirchlichen und staatlichen Recht an der Lösung beide Bereiche betreffender Probleme arbeitend, als Militärordinarius in besonderem Maße diesem Land und seinen Menschen dienend, vor allem jenen, die gerufen sind, den Frieden zu sichern. Die Wertschätzung, die sein Wirken gefunden hat, wird sinnfällig in den Grußworten des Bundespräsidenten der Republik Österreich, des Erzbischofs von Wien als Vorsitzendem der Österreichischen Bischofskonferenz, des Apostolischen Nuntius in Österreich, der Bundesminister für Landesverteidigung bzw. für Unterricht, Kunst und Sport sowie des Landeshauptmannes von Niederösterreich, die wir diesem Buche voranstellen können. Der bischöfliche Wahlspruch des Jubilars "Pax et Iustitia" bringt die Thematik seines Wirkens unverwechselbar zum Ausdruck. Wir haben ihn daher auch als Titel der vorliegenden Festschrift gewählt; möge sie so für jeden, der sie zur Hand nimmt, auch eine Begegnung mitAJfred Kostelecky sein. Es ist den Herausgebern ein Anliegen, Herrn Rechtsanwalt Norbert Sirnon in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer des Verlages Duncker & Humblot in Berlin für die Aufnahme dieser Festschrift in sein Verlagsprogramm zu danken, für die bewährte Betreuung der Drucklegung aber Herrn Dieter H. Kuchta von der Abteilung Herstellung des Verlages. Bei der redaktionellen Tätigkeit hat sich Herr Univ.-Ass. Mag. Sigmar Stad/meier vom Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Johannes Kepler Universität Linz als unentbehrliche Stütze erwiesen, wofür wir ihm unseren herzlichen Dank sagen.
XII
Vorwort der Herausgeber
Zu den Kosten der Drucklegung dieser Festschrift haben verschiedene Österreichische Institutionen beigetragen, was an anderer Stelle noch besonders vermerkt ist. Hier aber sei dafür ausdrücklich gedankt. Innsbruck/Salzburg/Linz/Wien, im Frühjahr 1990 Die Herausgeber
GRUSSWORT
Der 70. Geburtstag von Militärbischof Prälat Dr. Altred Kostelecky ist für mich zunächst ein willkommener Anlaß, dem Jubilar auch auf diesem Wege meine herzlichsten Glück- und Segenswünsche auszusprechen. Dieser Anlaß gibt mir auch Gelegenheit, über das Leben von Exzellenz Kostelecky hinausgehend über das Schicksal einer ganzen Generation nachzudenken. Nach einer glücklichen Kindheit und Jugend in einem von tiefer Religiosität und österreichischer Gesinnung geprägten Elternhaus erregte der katholische Jugendführer bald nach der Okkupation Österreichs durch das nationalsozialistische Deutschland die Aufmerksamkeit der allgegenwärtigen Gestapo. In der Jugendabteilung der Gestapo-Leitstelle am Morzinplatz in Wien war er brutalen Verhören ausgesetzt. Eine baldige Einberufung durch die deutsche Wehrmacht erwies sich für den jungen Theologen in seiner Situation als hilfreich. Sie entzog ihn weiterer Verfolgung. Dafür bekam Altred Kostelecky bald die Schrecken des ZweitenWeltkriegesam eigenen Leib zu spüren. Viermal verwundet kehrte er nach kurzer Kriegsgefangenschaft im Herbst 1945 in die Heimat zurück, um hier sein Studium fortzusetzen und 1948 erfolgreich zu beenden. Der bald folgende Aufenthalt in der Österreichischen Nationalstiftung .,Santa Maria dell'Anima" in Rom und ein Studium an der päpstlichen Universität Gregoriana qualifizierten den Doktor des kanonischen Rechtes für künftige verantwortungsvolle kirchenpolitische Aufgaben. Diese ließen nicht lange auf sich warten. 1956 zunächst nur mit der Geschäftsführung des Sekretariats der Bischofskonferenz beauftragt, übt er diese wichtige Funktion als Leiter des Sekretariats der Bischofskonferenz bis heute aus. Als eine weitere verantwortungsvolle Tätigkeit gesellte sich unter anderen die eines erzbischöflichen Gerichtspräsidenten des Wiener Metropolitan-und Diözesangerichtes 1961 hinzu. Neben seinem unermüdlichen und tatkräftigen Wirken in verschiedenen kirchlichen Institutionen verdienen seine vielfältigen Bemühungen auch im publizistischen Bereich um ein einträchtiges Zusammenwirken zwischen der Katholischen Kirche und den staatlichen Stellen besondere Hervorhebung. Im Auftrag des Erzbischofs von Wien, Kardinal König, führte er viele Gespräche und Detailverhandlungen, die zur Vorbereitung und Anerkennung des Konkordates und der in Durchführung des Artikels 26 des Staatsvertrages ergangenen vermögens-
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Grußwort
rechtlichen Maßnahmen zur Regelung der Beziehungen zwischen der Republik Österreich und dem Heiligen Stuhl dienten, durch. Die Berufung zum Militärbischof durch Papst Joahnnes Paul II. eröffnet dem erprobten Patrioten Dr. Kostelecky ein weites Betätigungsfeld, dem er mit den Erfahrungen seines Lebens und mit dem ihm eigenen Verantwortungsbewußtsein für die Anliegen unserer Republik nachkommt. Meine aufrichtigen Wünsche für noch viele Jahre eines erfolgreichen Wirkens in Gesundheit begleiten den Jubilar in die Zukunft. Dr. Kurt Waldheim Bundespräsident der Republik Österreich
GRUSSWORT Unser Jubilar macht es mir leicht, dieser Festschrift zu seinem 70. Geburtstag ein Grußwort zu schreiben- er selbst hat ja das Charakteristische seines Wesens wie seines Weges in der Kurzformel zusammengefaßt: "Pax et iustitia". Fünf Jahrzehnte schon darf ich ihn persönlich kennen und begleiten - in welcher Stellung, auf welchem Platz auch immer. Die Erfahrung dieser 50 Jahre bestätigt mir, daß Bischof Altred Kostelecky längst praktiziert hatte, was er am 14. Dezember 1986 mit seinem Wahlspruch für sein hohes Hirtenamt schließlich kundtat. Seine Gabe, andere zu führen, bewies er schon als Gymnasiast in der Leitung der Marianischen Kongregation, und das in den so bewegten Jahren vor 1938. Sein Glaube und seine Liebe zur Kirche waren ihm und durch ihn vielen anderen Halt und Orientierung. Seine Liebe zum Vaterland und sein nüchterner Sinn verbanden sich mit seiner Treue im Kleinen und Kleinsten wie im Großen und Größten. Vom Herbst 1938 an Kameraden im Eckzimmer Boltzmanngasse-Strudelhofgasse (Parterre), haben wir - ohne jede Kontrolle - das große Stillschweigen gehalten; als "silentium religiosum" verpflichtete es die Seminaristen für die Zeit zwischen Komplet und Frühstück; und haben uns damals mit einem Blechkrug Wasser für das kleine Waschhecken geholt ... Ungeachtet des großen "Umbruchs" und allen ihm folgenden Unheils war Kostelecky ins Alumnat eingetreten - trotzkluger Einschätzung der Situation in fester Hoffnung -, während nicht wenige (noch) Trugbildern trauten. Wir teilten im Haus ein friedvolles Zusammensein und studierten inmitten aller Bedrängnisse. Wir durften Tag um Tag das geistliche Leben besser kennenlernen und üben, vom Vorbild und Wort unseres Spirituals DDr. Friedrich Wessely geführt. Mit diesen Hilfen begleitete uns das Alumnat auch weiterhin, als wir, zum Wehrdienst "eingezogen", Boltzmanngasse Nr. 9 verlassen hatten. Mit Geduld und tapferem Gleichmut überwand Kostelecky im Krieg alle Gefahren und Leiden bis hin zum Priestertum. Vielen einzelnen und Gruppen hat er in seiner ruhigen Art zum Frieden geholfen. Überlegend und unerschrocken zugleich, vermittelte er - sogar gegen schon "unabänderliche" Nöte und Schwierigkeiten - Hilfe und Ausweg. Oftmals verwundet, brauchte er für alle Wege seinen Stock- und ging sie ohne Klagen weiter -, nun, als Militärbischof auch mit dem Hirtenstab, mit der letzten Verantwortung für unsere katholischen Soldaten betraut.
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Grußwort
Ein großer Kreis von Persönlichkeiten und Gruppierungen schätzt des Jubilars redlichen Sinn und freundliche Hilfsbereitschaft, gütige Geduld, lautere Redlichkeit, zähen Einsatz und zielführende Hingabe auch in aller Art Verhandlungen, die dem Recht zum Recht verhelfen, dem Gemeinwohl in Kirche und Staat dienen wollen. Sie wissen, daß man dem Menschen, dem Priester und Bischof Kostelecky vertrauen darf, daß ihn seine religiöse Berufung inmitten mancher Verwirrung und Versuchung unserer Tage befähigt, Vorbild und Stütze zu sein. Natürlich hätten wir uns damals im Priesterseminar nicht denken können, daß uns ein 14. Dezember 1986 im hohen Dom von St. Stephan zur Konsekration des ersten Militärbischofs vereinen würde. Letztlich war auf diesem langen Weg alles Gottes Ruf, der Kirche und der Heimat zu dienen. Möge uns Gottes Gnade auch die Kraft schenken, diesen unseren Auftrag zu erfüllen! Hans Hermann Kardinal Groer Erzbischof von Wien
GRUSSWORT Die Publikation dieser Festgabe zur Vollendung des siebenten Lebensjahrzehnts Seiner Exzellenz Msgr. Mag. theol. Dr. iur. can. Altred Kostelecky, Titularbischof von Aggar und Militärordinarius von Österreich, bietet mir einen willkommenen Anlaß, eine der verdienstvollsten Persönlichkeiten der Kirche dieses Landes zu würdigen. Seine Treue zur Kirche und zu seiner Heimat erwies sich bereits in jungen Jahren. Als Sodalis Mariae nahm er nicht unbeträchtliche Gefahren auf sich, verfolgte doch das Regime des Nationalsozialismus Aktivisten dieser der Gottesmutter geweihten Gemeinschaft mit unerbittlicher Härte. Seine Kriegsverletzungen trug und trägt Bischof Altred Kostelecky mannhaft, ja heldenhaft. In seiner priesterlichen Arbeit hat sich der Jubilar niemals geschont, niemals Ruhe gegönnt. Dadurch nimmt er tatsächlich mit dem Völkerapostel Anteil am Heilsplan Gottes. Der Apostel Paulus sagt den Christen aller Zeit in seinem Schreiben an die Kolosser: ..... was an den Drangsalen Christi noch fehlt, will ich an meinem Fleisch (stellvertretend) ausfüllen zugunsten seines Leibes, das ist die Kirche" (Koll, 24).
In seinem priesterlichen Wirken war Altred Kostelecky ein Leben lang Vorbild in seiner Hingabe im Dienst an der Kirche. Die verschiedenen Stationen seiner Tätigkeit - zuerst für die Erzdiözese Wien, dann auch für alle Diözesen von Österreich (als Sekretär der Bischofskonferenz)- bilden einen bedeutenden Beitrag zur brüderlichen Zusammenarbeit im Sinne der vom Zweiten Vatikanischen Konzil geforderten Kollegialität. Zugleich war und ist ihm stets der gute Kontakt mit dem Zentrum der katholischen Christenheit ein Herzensanliegen, das er konsequent verwirklichte: nämlich zum Heiligen Stuhl und mit allen seinen diplomatischen Repräsentanten, die nach dem 2. Weltkrieg nach Wien entsandt worden sind: mit den Apostolischen Nuntien Giovanni Delle Piane (1949-1961) und Opilio (Kard.) Rossi (1961-1976), mit Mario Cagna (1976-1984) und Micheie Cecchini (1984-1989), schließlich auch mit dem Autor dieser Grußworte seit 1989. So hat Bischof Altred Kostelecky durch Jahrzehnte beigetragen, die Geschichte der Kirche von Österreich und die Geschichte des Staates, der Republik Österreich, mitzuschreiben. Schließlich ernannte Papst Johannes Paul II. den Adressaten dieser Festschrift- in Würdigung seiner Fähigkeiten, seiner priesterlichen PersönlichII Pax et Justitia
XVIII
Grußwort
keit und seiner folgerichtigen Hingabe - zum Bischof und Militärordinarius von Österreich. Neben seinem fortdauernden Wirken in der Bischofskonferenz erschloß sich damit die Möglichkeit, noch viel unmittelbarer jenen priesterlichen Dienst zu verrichten, den Alfred Kostelecky immer und überall als das eigentliche Ziel des Weihesakramentes und der seelsorglichen Arbeit erkannt und hochgehalten hat: die .,cura animarum", das Heil der Seelen, die ihm anvertraut sind. So ist er stets dem Beispiel des guten Hirten gefolgt, der sein Leben hingibt für das Heil der Welt (vgl. Joh 10, 11). Damit hat der bischöfliche Jubilar einen Beitrag zur Entfaltung der Menschheitsgeschichte wie der Heilsgeschichte geleistet. Gott ist deren einziger und wahrer Herr. Möge ihm der Herr noch viele Jahre der Kraft und Gnade für das Wirken in seinem Weinberg schenken! DDr. Donato Squicciarini Titularerzbischof von Teurnia Apostolischer Nuntius in Österreich
GRUSSWORT Gerne komme ich der Bitte der Herausgeber nach, dieser Festschrift zum 70. Geburtstag von Exzellenz Dr. Alfred Kostelecky, Militärordinarius von Österreich, ein Geleitwort voranzustellen. Damit möchte ich aber zugleich meine Anerkennung und Wertschätzung für unseren Militärbischof zum Ausdruck bringen. Exz. Kostelecky studierte bis zu seiner Einberufung zum Militärdienst im Jahr 1940 Kath. Theologie an der Wiener Universität. Im Laufe des Krieges wurde er viermal verwundet, davon zweimal schwer, und er ist aufgrund dieser Umstände aus eigener Erfahrung neben seinem Amt als Seelsorger der Soldaten in der Lage, über die auch in den Unterlagen der Konzilsdokumente aufscheinende Notwendigkeit der Verbindung der ethischen und kulturellen Werte eines Staates Zeugnis abzulegen. Neben seiner u. a. überaus arbeitsaufwendigen Tätigkeit als Sekretär der Österreichischen Bischofskonferenz und seiner verantwortungsvollen akademischen Lehrtätigkeit zeigt Exz. Kostelecky immer wieder regstes Interesse für die Belange der Österreichischen Landesverteidigung. Möge diese Festschrift zu einer wohlverdienten Würdigung des Menschen, Österreichers, Priesters und Wissenschafters Kostelecky werden. Hofrat Dr. Robert Lichal Bundesminister für Landesverteidigung der Republik Österreich
GRUSSWORT Die Herausgabe dieser Festschrift in Würdigung des Wirkens von Exzellenz Bischof Dr. Alfred Kostelecky ist sehr zu begrüßen. Durch sie wird in einer der Persönlichkeit des Jubilars entsprechenden Weise für die auf verschiedensten Gebieten erfolgreiche Tätigkeit gedankt. Als Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Sport, die auch für die Kultusangelegenheiten zuständig ist, möchte ich zwei Bereiche hervorheben, die für das gute Verhältnis zwischen Staat und Katholischer Kirche in Österreich von grundlegender Bedeutung sind und in denen Bischof Dr. Kostelecky in seiner jahrzehntelangen Verantwortung für das Sekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz fruchtbringend mitgewirkt hat: es sind dies einerseits die in einer für Staat und Kirche tragbaren Weise erfolgte Anerkennung der Geltung des Konkordates aus 1933 und der in Durchführung des Staatsvertrages von Wien abgeschlossene Vertrag zwischen der Republik Österreich und dem Heiligen Stuhl zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen sowie andererseits die Lösung von Problemen des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche im Bereich des Schulwesens durch das Schulgesetzwerk 1962. Auch nach diesen wichtigen Ereignissen gab es wiederholt Fragen zwischen Staat und katholischer Kirche in Österreich, welche mein Ressort betroffen haben und in einvernehmlicher Weise gelöst werden konnten. Darüber hinaus ist Bischof Dr. Kostelecky auch publizistisch für die Notwendigkeit eines Zusammenwirkens zwischen Kirche und Staat zur Förderung des inneren Friedens eingetreten. Für diese nicht nur im Interesse der Katholischen Kirche in Österreich, sondern auch im Interesse der Republik erfolgte Arbeit sei dem Jubilar gedankt. Mit diesem Dank verbinde ich den Wunsch, daß Bischof Dr. Kostelecky noch lange in diesem Sinne wirken möge. Dr. Hilde Hawlicek Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport der Republik Österreich
GRUSSWORT Es war eine ausgezeichnete Idee einiger hervorragender Wissenschafter, einen der führenden Kirchenjuristen Österreichs zum 70. Geburtstag mit einer Festschrift zu ehren, in deren Mittelpunkt die Beziehungen von Kirche und Staat stehen, die aber auch viele andere Fragen tiefschürfend behandelt. Die Vielfalt der Themen entspricht dem Rang und der Bedeutung der Autoren, vor allem aber dem reichen und vielfältigen Wirken von Bischof Dr. Alfred Kostelecky, der am 15. Mai 1920- im übrigen drei Tage vor unserem Heiligen Vater, Papst Johannes Paul II. - in eine sehr schwierige Zeit hineingeboren wurde. Widerstandskämpfer und Gestapo-Häftling mit 18 Jahren, mehrfach verwundeter Soldat, Kriegsgefangener, Militärbischof mit 66 Jahren, Domvikar und Domkapitular zu St. Stephan, Sekretär der Österreichischen Bischofskonferenz, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht - das sind nur einige Meilensteine und Wegweiser im Leben und im Werk eines bedeutenden Seelsorgers, Wissenschafters und Menschen. Als Landeshauptmann von Niederösterreich möchte ich natürlich ganz besonders auch auf die engen Verbindungen zwischen Bischof Kostelecky und unserem Bundesland verweisen. Sie beginnen bereits 1948, als er nach der Priesterweihe als Kaplan in Wolkersdorf wirkte, ehe er nach Rom ging, um Kirchenrecht zu studieren. Seit vielen Jahren liest er regelmäßig die Heilige Messe in der Kapelle des Niederösterreichischen Landhauses. Und schließlich ist heute die St. Georgs-Kirche in der Wiener Neustädter Burg, also in der Maria Theresianischen Militärakademie, seine Bischofskirche als Militärordinarius von Österreich. Mein Dank und meine Glückwünsche zum 70. Geburtstag gelten aber nicht nur dem Bischof und dem Wissenschafter mit engen Beziehungen zu Niederösterreich, sondern sie gelten vor allem auch dem Menschen Dr. Altred Kostelecky, in dem ich einen guten und treuen Freund gefunden habe. Und als Freund wünsche ich ihm von ganzem Herzen, daß ihm der Herrgott noch viele schöne und erfüllte Jahre der Gesundheit und der Schaffenskraft schenken möge. Hofrat Mag. Siegfried Ludwig Landeshauptmann von Niederösterreich
ALFRED KOSTELECKY - DIENER AN DER KIRCHE ÖSTERREICHS Von Hans W alther Kaluza, Wien "In Maria erleben wir die Urhaltung des Menschen vor Gott: das gläubige Sich-Öffnen, das demütige und dankbare Empfangen, das Sich-Verlieren in der liebenden Hingabe an Gott ohne Vorbehalt, das Ergriffen-Werden von Gott, das Verfügbar-Sein. Der Mensch ist zur Freundschaft, zum Umgang mit Gott berufen gewesen. Der Mensch versagte aber dadurch, daß er Gott gleich sein wollte, daß er Gott nicht dienen wollte, so wie sein Verführer, der stolz und überheblich sprach: Non serviam- ich will nicht dienen." In diesen Predigtworten 1 hat Alfred Kostelecky viel von seinem eigenen Verständnis seiner Person und seiner jahrzehntelangen Tätigkeit für die Kirche Österreichs mitformuliert Um das gläubige Sich-Öffnen, das demütige und dankbare Empfangen, um das vorbehaltlose Ergriffen-Werden von Gott hat er sich immer bemüht: er wollte immer dienen. Diese seine Haltung hat ihre Wurzel ganz ohne Frage schon in der Kindheit: Am 15. Mai 1920 in Wien als Kind tiefgläubiger Eltern (der Vater war Wiener Magistratsbeamter und nachmals Mitarbeiter des Stadtrates Franz Bauer) geboren, erfuhr er selbstverständliches Leben in der liebenden Hingabe an Gott sowohl in der Familie als auch in der Volksschulzeit bei den Schulbrüdern in Wien-Währing. Den Besuch des Bundesgymnasiums in der Josefstadt ergänzte er durch sein Engagement in der Marianischen Studentenkongregation in der Canisiuspfarre und erkannte so schon als junger Mensch den Nationalsozialismus in seiner vollen Gefährlichkeit. Nach dem Rosenkranzfest im Oktober 1938 nahm ihn die Gestapo in Haft, offene Augen und kritischer Verstand ließen den jungen Kostelecky schon an sich für die NS-Tyrannei potentiell gefährdend erscheinen, überhaupt als damals schon an der Wien er Universität inskribierter Theologiestudent Und so werden es wohl nicht allein die .Erfordernisse" der Wehrmacht gewesen sein, die im Oktober 1940 seine Einberufung und seinen sofortigen Einsatz fernab von der Heimat, die den Namen Österreich nicht mehr tragen durfte, bewirkt haben. Die dann folgenden fünf Jahre - im wesentlichen an der Ostfront und in Frankreich - erzwungenen Kriegsdienstes und die anschließende Gefangenschaft prägten den Glauben an Gott und den Glauben an Öster1 Bischof Dr. Alfred Kostelecky, Maria Urbild der Kirche, Predigt für den Rosenkranzsühnekreuzzug am 16.4.1989, nicht veröffentlichter Text.
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Hans W alther Kaluza
reich weiter aus, bewirkten aber auch den dieser Generation eigenen, frühen und hohen menschlichen Reifegrad, der nicht zuletzt mit eine der Voraussetzungen für den nach 1945 erfolgten Wiederaufbau Österreichs gewesen ist. Am 23. November 1944 erfolgte die erste schwere Kriegsverletzung mit einem Lungenstecksplitter, drei weitere Verwundungen ließen den jungen Alfred Kostelecky schon damals und mit den Folgen bis zum heutigen Tag die Leiden des Kriegesam eigenen Körper erfahren, ein Umstand freilich, der ihn auch wie kaum einen anderen für seine spätere Berufung zum Militärordinarius in Österreich vorbereitet und geprägt hat. Mit einer für ihn den Krieg beschließenden Gefangenschaft durch die Amerikaner endete dieser Lebensabschnitt, der auch heute noch oft und oft persönliche Bewegung bei ihm auslöst 2• Mit der am 26. November 1945 erfolgten Entlassung aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft konnte das theologische Studium an der Wiener Universität wieder aufgenommen werden, die Priesterweihe folgte am 29. Juni 1948. Der damalige Wiener Erzbischof Theodor Kardinal Innitzer entsandte ihn nach priesterlichen Lehrjahren als Kaplan in Wolkersdorf zu weiteren Studien an die Österreichische Nationalstiftung "Santa Maria dell' Anima" nach Rom, solcherart die außergewöhnliche Begabung von Kostelecky richtig erkennend und im Dienste der Weltkirche nützend. 1954 wurde er dort als Bester seines Jahrganges zum Doktor des kanonischen Rechtes der päpstlichen Universität Gregoriana promoviert, für die Doktorarbeit zum Thema "Die Rechtsbeziehungen zwischen den Seelsorgern und dem Kapitel am Wiener Dom" 3 wurde er zuletzt mit der Medaille "Benemerenti" ausgezeichnet. In dieser "römischen Zeit" erfolgte auch seine Kontaktnahme mit dem ÖCV: Eine über Vermittlung von Bischof Jakob Weinbacher von der ÖCVVerbindung Rudolfina unternommene Romreise brachte ihn zunächst in persönliche Bekanntschaft mit Angehörigen dieser Verbindung, aus der sich eine dauerhafte Beziehung entwickelte. Das Angebot der Rudolfina auf Verleihung einer Ehrenmitgliedschaft lehnte der mittlerweile nach Wien zurückgekehrte und zum Domvikar von St. Stephan in Wien Bestellte freilich ab. Er wollte partout jenen Weg zum ÖCV gehen, der nun einmal für junge Menschen vorgeschrieben ist, für privilegierende Sonderregelungen war im Leben Alfred Kosteleckys zu allen Zeiten ebensowenig Platz wie für Halbheiten. Also wurde der junge Domvikar als "Fuchs", ganz gleich einem erstsemestrigen Studenten, in die Rudolfina aufgenommen und erfuhr dort 2 Vgl. Alfred Kostelecky, Erlebte Weihnacht als Soldat, Mitteilungsblatt der Unteroffiziersgesellschaft Oberösterreich, Dezember 1988. 3 Publiziert 1963 in der Reihe •Wiener Beiträge zur Theologie" der katholischtheologischen Fakultät der Universität Wien.
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jene Ausbildung, die diese Gemeinschaft vorsieht. Dies nur mit der allerdings einmaligen Abweichung, daß er damals schon zugleich auch die Funktion des Verbindungsseelsorgers bekleidete. Dies änderte freilich nichts dar an, daß er - einfach weil die Rechtsordnung an keine Ausnahme gedacht hatte - anläßlich der endgültigen Aufnahme die entsprechenden Prüfungen abzulegen hatte, auch eine Prüfung über das Prinzip "religio"; für den Prüfer damals, wie wir vermuten dürfen, eine eher heikle Situation. Die seelsorgliche Betreuung der Studenten war auch in weiterer Folge durch viele Jahre ein besonderes Anliegen von Kostelecky. Dies fand letztlich auch darin seinen Niederschlag, daß er später Mitglied der ÖCV-Verbindungen Amelungia und Pannonia sowie der MKV-Verbindung Gothia in Seckau wurde. 1956 wurde Kostelecky vom damaligen Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Andreas Rohracher, mit der Geschäftsführung des Sekretariates der Bischofskonferenz beauftragt, das er dann als Kanzleidirektor leitete. Auf der Frühjahrstagung der Bischofskonferenz im Jahre 1977 wurde er zum Sekretär dieses Gremiums gewählt. Ausfluß dieser Tätigkeit war auch eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen und damit verbunden ein in späten Jahren noch zusätzlich erworbener Magistergrad der Theologie an der Wiener Universität 4 . Im Rahmen der Tätigkeit im Sekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz war das Hauptanliegen von Kostelecky, in stiller und zäher Arbeit vor allem die Kontakte zwischen Kirche und Staat- ungeachtet der jeweiligen politischen Konstellationen im Staat - voranzubringen. Marksteine sind hier wieder vor allem die Verhandlungen zur Anerkennung und Durchführung des Konkordates und der in Durchführung des Art. 26 des Staatsvertrages 1955 ergangenen vermögensrechtlichen Maßnahmen, insbesondere des Vertrages zwischen der Republik Österreich und dem Heiligen Stuhl zur Regelung der vermögensrechtlichen Beziehungen4a. Welches Vertrauen Kostelecky sich hier erworben hat, erhellt aus dem Umstand, daß er zu wiederholten Malen den Wiener Erzbischof zu vertreten hatte und überdies auch als Mitglied der Verhandlungsdelegation des Heiligen Stuhles nominiert wurde. 1957 wurde Kostelecky eine weitere wichtige Aufgabe übertragen: Als Mitarbeiter der "Sammelstelle B" für erbloses nicht-jüdisches Vermögen, dessen Kuratorium er dann ab 1963 angehört, hatte er vor allem an der Aufteilung der zugewiesenen Mittel zwischen den beiden Sammelstellen "A" und "B", wie sie dann im Bundesgesetz BGBl 1962/108 ihren Nieder4 Thema der 1984 approbierten Diplomarbeit ist: .Anerkennung der Rechtsgültigkeitdes Österreichischen Kokordates vom 5. Juni 1933 durch die Zusatzverträge mit dem Hl. Stuhl in den Jahren 1960-1981". 4"
BGBl 1960/195.
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schlag gefunden hat, mitzuwirken. In den Jahren dieser Tätigkeit galt Kosteleckys Obsorge einer gerechten Lösung der Probleme der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Aber auch im seelsorglichen Bereich hat Kostelecky stets umfangreiche Aufgaben wahrgenommen. So betreut er seit dem 21.9.1958 den Niederösterreichischen Landtag und die Landhauskapelle in der Wiener Herrengasse, solcherart in gewisser Weise die erloschene Tradition der Verbindung zwischen dem Wien er Metropolitan-und Domkapitel und dem Niederösterreichischen Landtag fortsetzend 5. Zu nennen ist weiters Kosteleckys Tätigkeit im kirchlichen Gerichtswesen. Hatte er schon 1954 die Funktion eines kirchlichen Advokaten übernommen, so ernannte ihn Kardinal Dr. Franz König 1961 zum Vizeoffizial und 1980 zum Offizial des Wiener Metropolitan- und Domgerichtes. Damit wohl in Verbindung ist auch seine vielfältige wissenschaftliche Tätigkeit, etwa als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht, als Mitglied der Wien er Katholischen Akademie, als erzbischöflicher Prüfungskommissär für Kirchenrecht an der Wiener Universität und als Rektor des •Thomaskollegs" in Wien zu sehen. Als zeitweiliger Diözesandirektor des "Canisiuswerkes- Zentrum für geistliche Berufe", danach als Mitglied des Kuratoriums und des Wirtschaftsausschusses dieser Institution, widmete er seine Tätigkeit der Förderung des priesterlichen Berufes. Als langjähriges Mitglied des Aufsichtsrates der "Furche" schließlich galt seine Sorge unentwegt dem weiteren Bestand und der wirtschaftlichen Absicherung dieses wichtigen publizistischen Instrumentes. Vielfältig sind auch die Auszeichnungen, die Altred Kostelecky in seinem Wirken erfahren hat: 1961 ernannte ihn Papst Johannes XXIII. zum Päpstlichen Geheimkämmerer, 1967 wurde er zum Domkapitular bestellt, 1971 ernannte ihn Papst Paul VI. zum Ehrenprälaten. Staatlicherseits wurde ihm 1972 das Große Silberne Ehrenzeichen, 1990 das Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich und 1980 das Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs zuerkannt. Das Silberne und das Goldene Komturkreuz mit dem Stern des Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Niederösterreich dokumentieren die Anerkennung dieses Bundeslandes. Der Höhepunkt von Allred Kosteleckys priesterlichem Lebensweg war schließlich seine Ernennung zum Militärordill'iirius von Österreich am 12. November 1986 und die Bischofsweihe am 14. Dezember 1986 im Dom zu St. Stephan in Wien, jenem Gotteshaus also, das durch Jahrzehnte hindurch 5 Vgl. hierzu Allred Kostelecky, Die Dignitäre des Wiener Metropolitan- und Domkapitels zu St. Stephan nach den Statuten von 1844, in: .Ecclesia peregrinans", Festschrift für Josef Lenzenweger zum 70. Geburtstag, Verlag des Verbandes der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, Wien 1986, S. 373 f.
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zentraler Punkt seines priesterlichen Wirkens gewesen ist. Dieser Ernennung war eine Neuregelung im Bereich der Militärseelsorge durch Papst Johannes Paul II. mit der Apostolischen Constitution .Spirituali militum curae" vom 21. April 1986 vorausgegangen, mit der anstelle der bisherigen Militärvikare - einer Aufgabe, die zumeist von Diözesanbischöfen zusätzlich wahrgenommen wurde - eigene Militärbischöfe mit allen Rechten eines Diözesanbischofs getreten sind. Diese Militärbischöfe sind auch Mitglieder der jeweiligen nationalen Bischofskonferenz, ihre Jurisdiction erstreckt sich auf alle Militärangehörigen sowie deren Familienmitglieder. Nach schwieriger Aufbauarbeit wurde die Tätigkeit des Österreichischen Militärordinariates durch ein Dekret der Kongregation für die Bischöfe vom 21. März 1989, Nr. 155/88, endgültig geregelt. In Ausführung hierzu hat die Österreichische Bischofskonferenz am 15. April1989 die .Statuten des Militärordinariates der Republik Österreich" 6 erlassen und damit sämtliche notwendigen rechtlichen und organisatorischen Strukturen für das neue Militärordinariat geschaffen. Ursprünglich zum Titularbischof von Aggar ernannt, wurde Kostelecky Anfang 1990 auf den neugeschaffenen Titularsitz eines Bischofs von Wiener Neustadt transferiert, jener Stadt, wo sich in der Theresianischen Militärakademie auch seine Bischofskirche zum Hl. Georg befindet. Der bischöflicheWahlspruchvon Alfred Kostelecky lautet .Pax et Justitia"; er verrät ein umspannendes Programm des Österreichischen Militärordinarius für sein Amt und die Zuordnung seiner bischöflichen Funktion in der kirchlichen und gesellschaftlichen Ordnung; allein dieser Wahlspruch mußte solcherart alle jene zutiefst beschämen, die zur Bestellung des Militärordinarius kritische Anmerkungen machen zu müssen glaubten. Dieser Wahlspruch ist auch in Zusammenhang mit Kosteleckys Verständnis vom Priesteramt zu sehen, das er in einer Predigt so dargelegt hat: .Im Augenblick der Hl. Wandlung, der Wieder-Gegenwärtig-Setzung dessen, was am Kreuz geschehen ist und was im Abendmahlsaal vorweggenommen worden ist, da ist der Priester ganz Werkzeug, Werkzeug in der Hand Gottes. Er darf seine Stimme und seine Hände leihen dem ewigen hohen Priester Jesus Christus. In dieser Nähe zu Jesus Christus dürfen wir daher auch vom Herrn der Ernte für unsere Priester jene Eigenschaften erbitten, die zu Recht in der menschlichen Gesellschaft sehr geschätzt sind: Herzensgüte, Aufrichtigkeit, Charakterfestigkeit und Ausdauer, unbestechlicher Gerechtigkeitssinn und gute Umgangsformen." 7 Alfred Kostelecky hat ein solches Priesterbild vorgelebt. Niemals hat er sich verweigert, wenn es darum ging, zu helfen, mitzutragen und mitzugestalten, in Selbstverständlichkeit, Verläßlichkeit und Herzensgüte. Die vie6 7
Veröffentlicht im Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz 1989/42. Radiopredigt in Wiener Neustadt am 9. Juli 1989.
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len Menschen, denen er seine Freundschaft geschenkt hat und darüber hinaus wir alle, die wir die Kirche Österreichs sind, haben ihm dafür zu danken.
I. Kirche und Welt
I Pax et Justitia
WELT UND KIRCHE Von Emmanuel Longin-Moederndorff, Klagenfurt Die uns umgebende Welt präsentiert dem objektiven Betrachter eine Fülle von positiven und negativen Kräften. Einerseits die Sehnsucht um soziale Gerechtigkeit, um Frieden und Verständigung, die Suche nach dem Sinn des Lebens, welche unsere gegenwärtige Erfahrung transzendiert, die technologischen Fortschritte und die immer größer werdenden Möglichkeiten eines konstruktiven Fortschritts. Andererseits die Angst vor einer Massenvernichtung bzw. Zerstörung, die soziale und kulturelle Disintegration, Gewalt und Unrecht, sowie die Beängstigung durch eine unumkehrbare Pollution (Verschmutzung aller Art), wie auch eine Ausbeutung der Erdvorräte. Die Welt hat ein Gesicht der Hoffnung und ein Gesicht der Verzweiflung - inmitten dieser komplexen Betrachtungsweise lebt der Mensch und der Mensch als Christ. Die Frage, die sich ein jeder stellt, ist: Wie soll ich mich dieser Welt gegenüber verhalten? Mit Optimismus oder Apathie? Der Mensch als Christ steht in dieser Situation nicht allein. Er ist ein Mitglied der Kirche, einer Kirche, die sich als pilgerndes Gottesvolk versteht und sich durch die Geschichte geführt weiß in der Kraft des hl. Geistes. Die Antwort auf diese Frage bzw. den vielen Fragen wird vom 2. Vatikanischen Konzil gezeigt, eine Antwort eines realistischen Optimismus. Dieser Optimismus begründet sich nicht einfach auf menschliche Erwartungshaltungen oder menschliche Errungenschaften, sondern gleichzeitig in dem Versprechen Gottes und im Erlösungswerk Christi. Die gegenwärtige Lage der Welt ist geplagt von Übeln und Problemen einer jeden Sorte, die sich auf der Blindheit und auf der egoistischen Verhaltensweise des Menschen gründet. Sie beinhaltet aber auch viele Samenkörner der Hoffnung, einer konstruktiven menschlichen Weiterentwicklung in dieser Welt und im Glauben an die Anwesenheit Gottes in der menschlichen Geschichte. Eine Neubelebung, die im hl. Geist die Kirche von heute inspiriert, ist eine Neubelebung der menschlichen Werte und der christlichen Hoffnung. So soll der Mensch in eine Zukunft hineingeführt werden, die von Heiligkeit, Gerechtigkeit und Frieden getragen wird, die sowohl hier als auch jenseits der menschlichen Entwicklungsgeschichte begründet ist. 1'
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Es ist in diesem Zusammenhang sinnvoll, einige Bewegungen und Einflüsse, die wir feststellen können, anzuführen. a) Das charakteristischste unserer Welt heute ist ihre Komplexität und gleichzeitig ihre fragmentarische Existenz. Die moderne Technologie hat das menschlich Mögliche überschritten und gleichzeitig gibt es wenig Weisheil und Übereinkommen, zu welchem Ende oder besser gesagt zu welcher Selbstbeschränkung die moderne Welt heute geführt werden muß. Moderne Kommunikationsmittel, zusammen mit sozialen und ökonomischen Abhängigkeiten, haben ein neues Verständnis dafür gebracht, daß die Menschen auf der einen Welt zusammengehören; gleichzeitig bleiben Nationen oft getrennt, die Streitfragen um Ideologien werden nicht gelöst und die Ausbeutung in einem Nord-Süd-Gefälle nimmt immer größere Dimensionen an. b) Der große Erfolg der empirischen Wissenschaften hat in der westlichen Welt eine hohe Konzentration von materieller Erfüllung für die Nöte der Menschen gebracht. Gleichzeitig haben die rücksichtslosen und unpersönlichen modernen Industriegesellschaften ein Vakuum der Sinngebung geschaffen, wo selbst die etablierten Religionsgemeinschaften und traditionellen Philosophien an eine Grenze gekommen sind, die oft nur schwer zu überschreiten ist. Der Erfolg ist eine weitverbreitete Desillusionierung, besonders unter den Jugendlichen und jungen Menschen zu spüren, die dann ihre Selbsttindung und Selbstverwirklichung in verschiedenen Formen suchen: Eine verwirrte Suche zur Befreiung über den Umweg von sexuellem Erleben, der Mißbrauch von Drogen oder einer Zuflucht zu Sekten, die vordergründig den Hunger nach spirituellen Erfahrungen stillen. Ein anderer Weg, um eine humanere Welt herbeizuführen, wird gesehen, indem man die altetablierten Gesellschaften durch Revolutionen zerstört und den Weg in die Anarchie geht. Ein weiterer Weg ist, sich keinem der Probleme zu stellen und den Kopf in den Sand zu stecken. c) Die Fortschritte in der historischen Forschung, der vergleichenden Religionswissenschaften, der Psychologie, Soziologie und der Anthropologie haben ein Klima geschaffen, in dem es wenig oder keine philosophischen oder moralischen Werte mehr zu geben scheint, wodurch eine Atmosphäre des Relativismus geschaffen wurde. Viele Menschen sind skeptisch, wenn es zur Frage von übergreifenden Wahrheitswerten und moralischen Vorstellungen kommt. Es gibt keinen Konsens über die Existenz Gottes, die Lehre vom Menschen oder einer Sinnsuche im Leben. In solch einer Umgebung wird eine absolute Hingabe als unehrlich oder unmöglich empfunden. Besonders deutlich können wir das im politischen Leben beobachten. Obwohl die Parteien immer noch ihre Macht und ihren Einfluß geltend machen können, ist das Auftreten von Skandalen und Korruption ein weiterer Weg zur Desillusionierung und in den Zynismus. So enttäuscht, wandern viele Menschen aus existierenden Institutionen unserer Gesellschaft und unseres
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Lebens ab. Für viele ist der einzig vertretbare Wert das verantwortliche Umgehen miteinander in personalen Verbindungen. Gleichzeitig wird aber Freundschaft, sexuelle Liebe und Eheleben besonders belastet, was nur schwer ertragen werden kann. d) Es gibt ein verbreitetes Gefühl, ob richtig oder nicht bleibt dahingestellt, daß wir in ein neues Zeitalter "NewAge" hineinwachsen, das radikal verschieden ist von früheren historischen Zeitabläufen. Das hat wiederum zu einem Zusammenbruch der Tradition geführt. Tradition wurde früher als Instrument zur Weitergabe von menschlicher Weisheit gesehen, wobei viele Menschen heute ihre ganze Konzentration auf den Moment und auf die Zukunft richten. e) Inmittenall dieser Unsicherheiten und der Instabilität hat sich sowohl an der extrem Linken als auch an der extrem rechten Seite neues Gedankengut breit gemacht, das wiederum (als Extremsituation die Welt betrachten und) ihre Lösungsvorschläge auch mit Gewalt anderen aufzwingen will. Was geschieht, ist der Abstieg in den Totalitarismus und die Unterdrückung von Minderheiten. In der Zwischenzeit bemühen sich die Entwicklungsländer, obwohl von westlichen Konditionen beeinflußt, um ihre eigenen Probleme. Es werden alle Anstrengungen unternommen, um nicht humane Konditionen zu eliminieren. Eine vermehrte Produktionstätigkeit kann hier allerdings mit einer überproportionalen Wachsturnsrate der Bevölkerung oft nicht mithalten. Der Überstieg von der kolonialen Ära in die Erfahrungswelt von nationalen Identitäten hat gerade bei den neuen Nationen und Staatengebilden eine Gefahr der politischen Unreife und Instabilität hervorgerufen. Die ,lntelligentia' fühlt sich verunsichert, einerseits gegen die europäische Kultur zu revoltieren und andererseits bereits die eigenen kulturellen Wurzeln verloren zu haben. Von diesen Versuchen einer zusammenfassenden Beschreibung der gegenwärtigen Welt scheint es drei dominante Charakteristiken zu geben, die man anführen sollte: Krise, Komplexität und der Ruf nach Lösungen. Daß sich die moderne Welt in einem Status der Krise befindet, ist wohl offensichtlich genug, aber eine genaue Analyse dieser Krise ist extrem schwierig, weil soviele Faktoren involviert sind; manche kontradiktorisch. Ein Sehen dieser Probleme ist essentiell wichtig für eine Erneuerung der Kirche in der modernen Welt. Problemlösungsvorschläge sind hier dann mehr als äußere Kosmetik, die nur darauf reagiert, was der momentane Zeitgeist verlangt.
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I. Die Kirche als Mysterium und Sakrament des HeUs Das Konzilsdekret ,Lumen Gentium' stellt in seinem ersten Kapitel fest, daß die Kirche Mysterium ist, das Sakrament Christi. Das bedeutet, daß die Kirche mehr ist als die Summe von Individuen, die zu ihr gehören. Sie ist mehr als eine Kommunität von Menschen, die einen gewissen Blick des Lebens und der Geschichte miteinander teilen. Gott ist der Kirche in ihrer Gesamtheit so nahe, daß sie wahrhaftig der Tempel des hl. Geistes genannt werden kann. Und unser Herr Jesus Christus ist so tief mit der Kirche verbunden, daß ihr Leben und ihr Werk als Körper Jesu bezeichnet werden kann. Der erste Johannesbrief schreibt daher einfach und klar: Gott ist die Liebe. Deshalb muß man zuerst ein Verständnis der Liebe bekommen, so daß man ein Verständnis Gottes bekommen kann; man muß in der Liebe bleiben, dann bleibt Gott im Menschen. Gott ist eine Gemeinschaft von Liebe in den drei göttlichen Personen, die ihre göttliche Natur aneinander "verschwenden". Aber Liebe ist dynamisch, darauf bedacht, von sich selbst zu geben. So sucht Gott, sein Leben und seine Liebe weiterzugeben. Aus dieser Sehnsucht zu teilen schafft er Kosmos und Welt. Um als Partner handeln zu können in dieser Liebe, formt er den Menschen nach seinem eigenen Bild und Gleichnis. So ist die Großtat Gottes darin begründet, daß er den Menschen mit sich selbst in einer Kommunion der Liebe verbindet. Menschliche Geschichte, gesehen mit den Augen des Glaubens, ist eine Geschichte der Erlösung. Gemäß dem Apostel Paulus können wir heute nur schattenhaft die Umrisse des Heilswerkes erkennen, aber ihr Geheimnis wird in Christus und von Christus enthüllt und mit uns verwirklicht. Die Kirche ist die Realisation dieses Geheimnisses. Der Anbruch des Königreiches Gottes wurde in der Gestalt des auferstandenen Christus dargestellt. Christus selbst ist das ewige Opfer des Lobes. In dem Ausmaß, als die Kirche Antwort gibt auf die Gabe Jesu, das ist der hl. Geist, wird sie wahrhaftig ein effektives Zeichen der Anwesenheit Gottes unter den Menschen. In ihrer Verflochtenheit an die gebrochene Erdenexistenz, die wir alle vorfinden, ist sie aber gleichzeitig der Notwendigkeit unterworfen, sich immer wieder zu reformieren und zu erneuern. Das Verständnis für das Sakrament ist fundamental wichtig für das Verständnis der Christenheit. Alle religiösen Aktivitäten sind darauf gerichtet, daß die Verbindung des Göttlichen und des Humanen immer mehr wirklich werden kann. Was immer für Anstrengungen für dieses Ziel unternommen werden - sie haben sakramentalen Charakter. Sie sind äußere Zeichen, in denen sich Gott den Menschen naht und der Mensch sich Gott naht. Die menschliche Natur verlangt eine gewisse Form einer nach außen sichtbaren Darstellung des Mysteriösen, des Unsichtbaren und der hl. Realität. Wir
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müssen versuchen, das Transzendente an einem feststellbaren Punkt zu finden und einzuholen. In der Person und im Dienst Jesu wird es eine geschichtliche Realität. Christus ist das inkarnierte Sakrament Gottes, denn in seiner einzigartigen Personalität finden wir die Fülle der Gottheit und die Fülle des Menschen. Er ist der einzigartige Punkt, in dem sich göttliche Initiative und menschliches Antworten in Fülle treffen. Das ist wahr für den historischen Jesus, wenn wir aber von Christus sprechen als dem Sakrament Gottes, als Punkt, in dem sich Gott und Mensch begegnen, dann sprechen wir vom auferstandenen Herrn, vom Herrn, der zur Rechten des Vaters sitzt und für uns Bitte einlegt. Christus ist das Sakrament Gottes, und in einer analogen Weise ist die Kirche das Sakrament des leidenden, sterbenden und auferstandenen Herrn. Die Kirche ist das sichtbare Zeichen der erlösenden Liebe und der barmherzigen Umgangsweise des Vaters in Christus. Die Kirche ist auch der Platz, in der der Mensch seine Antwort gibt durch Wort, Werk und Gottesverehrung. Wenn wir diesen größeren sakramentalen Kontext mitbetrachten, dann sehen wir die 7 Sakramente als Liebesakte Christi in seiner Kirche. Sie sind die besonderen Orte, in denen wir dem auferstandenen Christus und Herrn begegnen. Die Kirche ist daher mehr als Notwendigkeit für einige oder für viele. Sie ist das sakramentale Zeichen der erlösenden Gnade Gottes in der Geschichte. Inmitten der großen komplexen historischen Abläufe ist immer Gnade am Werk, die der Welt eine geheime Orientierung gibt. Nur so kann die Kirche mit der Welt in einen Dialog treten. Die Hauptaussage ist, daß die volle menschliche Verwirklichung in Jesus Christus möglich ist.
II. Der Auftrag der Kirche Die Kirche hat einen Auftrag in der Welt, weil sie das Sakrament Christi in der Welt darstellt. Nachdem die Kirche missionarisch ist, aus ihrem Verhältnis zu Christus, so muß die Mission Christi zuerst einmal betrachtet werden. Christus hat seinen Auftrag, den man in zweifacher Weise sehen muß. Er wurde vom Vater in die Welt gesandt, um eine Botschaft zu verkünden, nämlich das Kommen des Reiches Gottes. Christus wurde gesehen als Prophet, als Missionar, als Lehrer, der eine Botschaft verkünden muß, eine Botschaft, die nicht nur seine eigene, sondern die des Vaters im Himmel war. Zweitens verkündet Christus nicht nur die gute Nachricht der Erlösung, er ist die gute Nachricht. Er ist der Gesandte in Gottes Plan. Indem er das Kommen des Königreiches Gottes enthüllt und erfüllt, wird er Erlöser der
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Welt. Der historische Jesus in den synoptischen Evangelien verkündet Gott als Vater und wie die Menschen ihm gegenüber Antwort geben sollen; eine Antwort des Herzens und des Glaubens an Gott. Der auferstandene Christus in der Verkündigung der Urkirche ist selbst die Offenbarung Gottes; sein Leben, sein Tod und seine Auferstehung sind die erbarmende Liebe, durch welche die Menschheit gerettet ist. In ähnlicher Weise hat die Kirche eine nach zwei Seiten gerichtete Mission. a) Die Kirche ist missionarisch, weil sie eine Botschaft zu verkünden hat; die gute Nachricht, daß Gott die Welt in seinem Sohn gerettet hat. Die Kirche istDienerindes Wortes Gottes, und ihr Auftrag kommt ihr von Jesus zu, indem er sie aussendet, um in der ganzen Welt das Wort Gottes zu verkünden, so daß es alle Menschen erreichen kann. Durch die Gabe des Geistes in der Kirche ist es ihr möglich, immer neu ihren Auftrag zu reflektieren und die authentische Offenbarung Gottes zu erhalten. b) Das Leben der Kirche ist es gleichzeitig, Auftrag zu sein in der Weise, als sie Jesu Zeichen in der Welt ist, ein Zeichen, das sichtbar zum Ausdruck bringen soll, wie Gott sich den Menschen offenbart und wie der Mensch Gott antworten kann. So bittet der Herr selbst in seinem Gebet nach dem letzten Abendmahl um die Einheit der Seinen, damit die Welt erkennen kann, daß der Vater den Sohn gesandt hat. So wird also die Liebe und Einheit unter den Brüdern zu einem Zeichen für die Welt, wie der Vater im Himmel die Menschen liebt. Gleichzeitig wird die Authentizität der Mission Jesu dargestellt. Der Geist Gottes ist nicht nur gesandt, um zu erleuchten, daß die Botschaft des Evangeliums erhalten bleibt, er formt auch gleichzeitig die Gemeinschaft, die an diese Botschaft glaubt. Das Leben dieser Kommunität von Glaubenden ist Glaube und Liebe - so wird das innere Leben Gottes nach außen sichtbar. Diese zwei Missionen der Kirche sind auf das engste miteinander verbunden. Die missionarischen Aktivitäten der Kirche kommen aus ihrem Selbstverständnis über sich selbst. So sind die Apostel, die Zwölf, Fundament des neuen Israel, Zeugen der Auferstehung Christi und Verkünder der frohen Botschaft. Mit ihnen hat die apostolische Gemeinschaft in Jerusalem das Empfangene zu verwalten; in der Lehre der Apostel und im Brechen des Brotes miteinander zu verharren, wodurch GottesWort an die Juden und die Heiden verkündet werden kann, so daß auch sie zum Glauben kämen und gerettet seien. Deshalb sind die Worte Apostolisch und Missionarisch auf das Engste miteinander verwandt. Es wird also von einem jeden Christen verlangt, daß er der Welt gegenüber offen sein soll, nachdem der Auftrag an die Welt und für die Welt ein Teil des Lebens der Kirche darstellt.
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Ein Sakrament ist ein effektives Zeichen für die Wirklichkeit, das es darstellt, wenngleich auch noch nicht voll offenbar. Das ist auch die Wirklichkeit der Kirche in ihrer Vergangenheit, in ihrer Gegenwart und in ihrer Zukunft. Die Kirche muß daher die Zeichen der Zeit ernst nehmen, sie prüfen, wenn notwendig ordnen und in ihrer Rückgebundenheit an Gott darstellen. Was verstehen wir unter dem Wort ,.Welt"? Das fundamentale Verstehen des Wortes ,.Welt" besteht in der Komplexität der physikalischen und menschlichen Phänomene, welche in ihrem Kontext Stückwerk, Rahmen und Horizont der menschlichen Verstehensweise darstellt. Es ist die Dimension, in der sich menschliches Leben in seiner vielfältigen Weise verstehen lernt und beheimatet ist. Der Terminus beinhaltet menschliche Kultur und Geschichte, die Kleinarbeit des Täglichen wie auch das physikalische Universum. So müssen wir uns verstehen als in der Welt stehend. Würde dem nicht so sein, würden wir uns außerhalb unserer historischen Existenz befinden. Es bleiben natürlich verschiedene Sichtweisen, die Welt zu sehen und sie zu interpretieren, einschließlich der religiösen Mythen, der marxistischen Ideologie und des christlichen Glaubens. Jederwird die Welt als die reale Welt, die seiner Sichtweise gemäß ist, darstellen, und es ist für den Christen wichtig, anhand dieser Gegebenheiten die eigene Situation zu analysieren. Das christliche Verständnis von ,.Welt" Das christliche Weltverständnis, wie ich es oben angeführt habe, ist auf die Person und auf das Werk Christi zentriert. Im Neuen Testament wird der neue Terminus ,.Welt" in vielfacher Weise verwendet. Erstens: Es wird Bezug genommen auf alle geschöpfliehen Dinge des Kosmos. Zweitens: Es kann aussagen ,.Dieses Zeitalter", das in einem neuen Zusammenhang steht zu dem Zeitalter, als die Erwartung des Messias noch ausstand. Drittens: Es kann als feindlicher Begriff verwendet werden, der Gott und seinem Evangelium gegenüber steht. Aber in jeder Interpretation ist die Welt ausgerichtet auf die Person und auf das Verständnis von Christus: a) Christus ist der Herr des Kosmos. b) Es ist seine Person und seine Handlungen, die den vollen Plan Gottes enthüllen.
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c) Es ist seine Zurückweisung und die Zurückweisung seiner Botschaft, die die Menschen davon abhält, am Leben des Geistes teilzunehmen. Die menschliche Geschichte, das Ziel und die Erfahrung eines jeden Individuums kann nur im Lichte Jesu Christi in rechter Weise gesehen werden. Es ist deshalb der Glaube an Christus, welcher das Verständnis des hl. Paulus geformt hat, den seine eigene Vergangenheit und seine gegenwärtigen Erfahrungen auf die ganze Heilsgeschichte Israels bezieht. Diese neue Vision der Welt, die ihren Ursprung im Glauben an Jesus hat, kann charakterisiert werden als eine Erweiterung des Horizonts. Waren die Versprechungen Gottes zuerst auf Israellimitiert und damit auf den Alten Bund, so wird durch Christus jetzt die Verheißung Gottes auf die gesamte Menschheit ausgeweitet. Hier begründet sich ein neues Verstehen von Brüderlichkeit aller Menschen und auch die Verwirklichung des neuen Gebotes der Liebe. In Christus wird die Welt auch überwunden, was soviel bedeutet als daß das Faktum des Todes nicht mehr das letzte Wort ist, sondern daß die Auferstehung der Toten und die endgültige Errichtung des Königreiches Gottes, wo Sünde, Leiden und Tod keinen Platz mehr haben, den Menschen eine neue Dimension geben. Durch Christus werden die Menschen auch in eine neue Beziehung zu Gott und zueinander gesetzt.
111. Die Kirche als Gemeinschaft und als Weg des Lebens Unser Verständnis von der Welt wird geformt durch die Kommunikation und durch die Interaktion der Gesellschaft, die uns umgibt und die wir mitbestimmen. Die Betrachtungsweise der Welt kann nicht jenseits der Gesellschaft stattfinden. Die Kirche, die sich versteht als Gemeinschaft von Glaubenden und sich verpflichtet weiß im christlichen Lebensmodell, trägt in sich die Sicherheit, daß Gott die Welt in Christus erlöst hat und einst in das Königreich Gottes überleiten wird. Der Aufbau der Kirche, die Lehren ihres Glaubens, das liturgische Gebet und die praktische Lebensweise im täglichen Leben sind alles verschiedene Ausdrucksformen, in welcher der Mensch und die Welt gesehen werden. Die kirchliche Gemeinschaft ist für den Glauben notwendig, denn in ihr wird die Wahrheit über die Sichtweise von Welt und Menschheit begründet. Die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden lebt aber nicht in der Isolation von anderen Gesellschaften und Gesellschaftsformen, die auch menschliche Geschichte mitbestimmt. Die sichtbare Kirche, wie alle anderen menschlichen Institutionen, ist auf das Innerste verbunden mit diesen anderen. Welten" und auf dasinnersteverbunden im ganzen Prozeß der Menschheitsgeschichte. Sie ist daher auch untergeordnet den Konditionen der
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historischen Existenz, ihren Veränderungen, den Weiterentwicklungen. Ihre Mitglieder als Stadt- und Landbewohner, als Wissenschaftler und Arbeiter gehören daher sowohl der kirchlichen Gemeinschaft als auch anderen Kommunitäten außerhalb der Kirche an. Die Kirche selbst hat ihre Identität in sich selbst. Trotzdem ist sie abhängig von den Bewegungen und Gedanken, von kulturellen und politischen Phänomenen und von allen historischen Veränderungen, die sich außerhalb ihrer selbst abspielen. Das kirchliche Leben gibt selbst Zeugnis von den oben angeführten Behauptungen. Die innere Struktur der Kirche, ihre Regierungsform, ihre Sprache des Gebetes und ihre Frömmigkeitsformen, ihre Reflexionen im Glauben (Theologie)- alldas erfordert menschliche Formen des Ausdruckes. Nur wenn ein menschenmöglicher Ausdruck gefunden wird, dann wird das Wissen um die Erlösung für eine große Anzahl von Menschen verfügbar sein -zu allen Zeiten und in jeder Kultur. Die Verbindung der Kirche zur Welt und der Menschheitsgeschichte ist deshalb nicht wie ein Unfall zu beurteilen, sondern sie ist ein essentieller Teil ihrer selbst. Diese Form von Leben schlägt sich nieder in dem Auftrag, daß die Kirche als Sakrament Christi in dieser Welt wirksam werden kann. Nachdem sich die Kirche in der Welt vorfindet, ist sie auch den Kriterien dieser Welt unterworfen, nämlich: Selbstkritik üben, Experimentierfreudigkeit zeigen, manchmal das schmerzhafte Aufgeben von liebgewordenen Gewohnheiten verarbeiten sowie ihre Selbstüberprüfung auf den Gegebenheiten des jeweiligen Zeitalters vornehmen. Das ist nicht ein Ausverkauf des Christentums auf Kosten des Kreuzes und des Mysterium Gottes. Man gibt sich einer Illusion hin, daß die Kirche in irgendeiner magischen Weise über der Geschichte steht. Sie ist und bleibt Teil der Welt und soll diese Welt gemäß dem Auftrag Gottes verändern helfen.
IV. Die Mission der Kirche in der Welt Die christliche Perspektive der Menschheit und der Welt beinhaltet ein neues Verstehen menschlichen Lebens und menschlicher Geschichte hier und jetzt und öffnet uns die Augen für einen Horizont größer als der des menschlichen Fortschritts. In Konsequenz muß das Evangelium verkündet werden als anwesendes und gleichzeitig kommendes Königreich Gottes. Das muß uns immer Mahnung sein, das Evangelium nicht zu einem außerirdischen Rezept für himmlischen Segen mit totaler sozialer Gerechtigkeit oder anderen persönlichen Erwartungen zu verwechseln. Wir können das am besten sehen, wenn wir die Bergpredigt genau lesen. Sie bietet uns nicht einen ethischen Code für den Himmel oder eine geschlossene kirchliche Welt an. Die Bergpredigt stellt fest, wie der Mensch im gegenwärtigen
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Zeitpunkt zu leben hat. Gerade in der Anwendung dieser Werte wird eine Person ein Mitglied des Gottesreiches. Ein Teil der Botschaft des Evangeliums ist, daß keine menschliche Gesellschaft oder Kultur sich permanent oder absolut mit dem Königreich Gottes vergleichen läßt. Ihre Authentizität als Kirche wird gemessen am Wachstum der Liebe der Menschen zueinander. V. Mission und Leben der Kirche Es besteht eine organische Verbindung zwischen dem Leben und der Mission der Kirche und ihrem Auftrag, das Evangelium in der Welt zu verkünden. Die Entscheidung der frühen Kirche zum Beispiel, daß die Beobachtung des jüdischen Gesetzes nun nicht mehr Kondition oder notwendige Konsequenz eines Glaubens war, machte es der Kirche möglich, über ihre engen Schranken des jüdischen Kontextes hinauszugehen und als missionarische Gemeinde in die Welt hineinzuwirken. Die junge Kirche stand also in ihrem Selbstverständnis den Auffassungen der Juden gegenüber. Ein ähnliches Problem ergibt sich heute, wenn wir in anderen Ländern, die bereits eine tiefe religiöse Tradition haben, das Evangelium verkünden wollen. Ich denke hier an Hindus, Buddhisten oder Moslems - wobei sich die Frage aufdrängt, was essentiell wichtig in der christlichen Tradition ist und was zum Beispiel als historisches Beiwerk einer griechisch-römischen Welt dazugekommen ist. So steht fest, daß Leben und Mission der Kirche nicht voneinander getrennt werden können. VI. Zur Situation heute Die bewegenden Themen der heutigen Welt, nämlich die Sichtweise ihrer Komplexität, der Krise und der Suche nach Lösungen haben einen tiefen Eindruck auf das Verhältnis zwischen Kirche und Welt gemacht. Im Großen und Ganzen bestimmen sie das kirchliche Leben mit. In den vergangenen dreihundert Jahren haben sich die christlichen Kirchen, und hier die katholische Kirche im besonderen, defensiv und negativ gegenüber verschiedenen weltlichen Strömungen verhalten. Erst mit der Vorbereitung und der Durchführung des 2. Vatikanischen Konzils wurden Schleusen geöffnet, die die Kirche einerseits befruchteten, andererseits jedoch auch Mängel aufzeigten, daß wir nicht genug gerüstet waren, um den kritischen Veränderungen unserer Umwelt begegnen zu können. Die Kirche sieht sich heute gegenübergestellt einer Krise der menschlichen Werte und des Glaubens, die die gesamte Gesellschaft als auch die Kirche betreffen und beeinflussen. So wird es in den nächsten Jahrzehnten gelingen müssen, das
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Verhältnis der Kirche zur Welt neu zu definieren, nicht zum einseitigen Wohl, sondern zum Wohle bei der. Diese Erneuerung kann nicht auf den individuellen Christen beschränkt bleiben, sondern ist eine Frage der ganzen christlichen Gemeinschaft. Es ist die Frage nach Identität, Glauben und die Form des Lebens. So wird ein Rahmen gebildet, in den sich der christliche Glauben integrieren kann. Nur so wird es möglich sein, Antworten und Argumentationsebenen zu finden gegenüber anderen Ideologien, Werten und Lebenszielen. Gelingt das nicht, so ist ein Kernproblem sowohl des Lebens als auch der Mission der Kirche für die Welt von heute vertan. Gerade dieses Antwortgeben wird beweisen, daß sich der glaubende Mensch weder von der Kirche noch vom Glauben in ihr wegbewegen muß. In der gegenwärtigen komplexen Situation ist es vielleicht notwendig, daß sich die kirchlichen Gemeinschaften der Situation stellen und gleichzeitig damit ein Zeugnis von Vertrauen in die Führungsgabe des hl. Geistes beweisen. In dieser Sicht wird die Kirche bleiben, was sie selbst von sich durch die Jahrhunderte sagen konnte, nämlich: "Katholisch im Sinn von allumfassend und apostolisch im Sinn des Auftrages ihres Herrn und Meisters Jesus Christus."
DER GLAUBE AN EIN GERECHTES WIRTSCHAFTEN ZUM SPANNUNGSVERHÄLTNIS VON ETHIK UND ÖKONOMISCHEM EIGENNUTZ 1 Von Franz Pototschnig, Salzburg Eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik, die aus einer anderen, manche meinen "metaökonomischen", Denkebene entlehnt wird, kann nur unter der Voraussetzung fruchtbar sein, daß man nicht in der Präsentation von Leerformeln und Gemeinplätzen erstarrt. Ein solcher Vorwurf wurde etwa noch vor der Publikation eines "Diskussionstextes" des Sozialhirtenbriefes der Österreichischen Bischöfe, der 1990 erscheinen soll, gegen die katholische Soziallehre wiederholt erhoben. In der Tat zeigt sich die Schwäche jeder, aufgrund ihrer Allgemeinheit inhaltlich offenen Formel beim Konkretisierungsversuch; sie erweist sich entweder als nichtssagend oder als beliebig auffüll bar. Kann eine Formel mit jedem beliebigen Inhalt gefüllt werden, dann wird beides möglich: weltfremde Utopie oder Zynismus, je nach Bedarf. Diese einzig mögliche Alternative glaubte der katholische Sozialkritiker August M. Knoll als Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit der kirchlichen Soziallehre entdeckt zu haben 2 . Die pastorale Funktion des geistlichen Amtes bringe es außerdem mit sich, daß Kleriker in der Welt nur "Petrus" und "Paulus", aber kein .Spartakus" in der "Sklaven- u. Arbeiterfrage" sein könnten. Würden alle Christen, so meint Kno/J, die notwendige "Passivität" des geistlichen Standes sich zum Vorbild nehmen, dann gäbe es keine Sozialrevolution, ja nicht einmal eine Sozialreform oder Sozialpolitik als christliche Aufgabe. Dann gäbe es wirklich nur Indifferenz und Resignation als adäquate Haltung des Christen in der Welt. Dann wäre Religion tatsächlich Opium des Volks und Kirche tatsächlich "Paravent" des Kapitals 3. Der engagierte Laie Kno/J fand folgenden Ausweg: "Gewiß lehrte Augustinus, ... daß eine soziale Funktion der Kirche sei, nicht aus Sklaven ,Freie', sondern aus schlechten Sklaven ,gute' Sklaven zu machen." Die Indifferenz gegenüber vorhandenen Strukturen in der Theorie und die Resignation in der Praxis seien eben typisch für 1 Diesem Beitrag liegt ein Vortrag zugrunde, den ich am 14.5.1988 zum Abschluß des 93. Seminars der C. Rudolf Poensgen-Stiftung in Nürnberg gehalten habe. 2 A.M. Kno/1, Katholische Kirche u. scholastisches Naturrecht, Wien 1962. 3 Kno/1, 82 f.
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die Angehörigen des geistlichen Standes. Die bekannte Kehrformel: ,.Herren, seid gute Herren, und Sklaven seid gute Sklaven" sei deshalb die ,.Grundsuppe" der klerikal-kirchlichen Soziallehre 4• Ihr Ziel sei ,.Mission, nicht Rebellion". Das Ziel und Anliegen des christlichen Laien hingegen sei ein ganz anderes, nämlich ,.die Befreiung des jeweiligen Sklaven in der Geschichte" 5. Die Knoll'sche Simplifizierung ist, soweit ich die Entwicklung beurteilen kann, nicht verifizierbar. Ich möchte daher in einem ersten Abschnitt einige, auch für die heutige Problematik wesentliche, historische Fakten herausgreifen:
Knall verwendet den Terminus ,.Sklave" als Kürzel für alle Abhängigkeitsverhältnisse, insbesondere die Lohnabhängigkeit der Unselbständigen. Gerade die von Knall zum zentralen Thema erhobene und als Prüfstein verstandene Frage der Sklaverei ist allerdings, auch in ihrer ursprünglichen, buchstäblichen Bedeutung, wesentlich differenzierter zu beurteilen als er meint. Das antike Wirtschaftssystem setzte die Sklaverei voraus. Bekanntlich bestand einer der ersten christlichen Einflüsse darin, die Freilassung von Sklaven zu fördern und dafür auch neue rechtliche Formen einzuführen. Zu den moralischen Appellen kamen also von Anfang an Rechtsnormen, die den neuen, christlichen Geist in der Gesellschaft verankern sollten. Eine unbeabsichtigte Folge dieses ersten Eifers waren jedoch neue Probleme, nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Freigelassenen selbst. Der im Jahre 407 verstorbene Kirchenlehrer Chrysostomus schilderte die negativen Auswirkungen sehr anschaulich und schlug aufgrund dieser Erfahrungen eine sachgerechtere Vorgangsweise vor, die zeigt, daß sich der .. Kleriker" Chrysostomus einen klaren Blick für die Mißstände bewahrt und eine durchaus vernünftige Lösung angestrebt hat. Er schreibt in seiner Homilie über den 1. Kor. br. 6 : ,.Bist du wirklich um das Wohl der Sklaven besorgt, so wirst du keinen mehr zu deiner eigenen Bedienung beschäftigen, sondern wirst Sklaven käuflich erwerben, sie ein Gewerbe erlernen lassen, so daß sie auf eigenen Füßen zu stehen vermögen und nicht das Elendsheer der bettelnden Freigelassenen vergrößern, und sie dann freilassen". Schon dieses simple Beispiel kann eine erste wichtige Erkenntnis vermitteln. Es zeigt, wodurch ,.gerechtes" Wirtschaften jedenfalls nicht erreicht werden kann, nämlich durch unerleuchtete, weil wenig durchdachte Eingriffe in die Wirtschaft, mögen sie auch noch so gut gemeint und von einem echten sittlichen Ethos diktiert sein. Zu bedenken sind also vor jedem Eingriff die möglichen negativen Folgen. Das Ziel eines ,.gerechten" Wirt• Kno/1, 11. 5
Kno/1, 84.
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Horn., 40, 5.
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schaftens kann nur heißen: Evolution durch richtige Reaktion nach entsprechend kluger, d. h. fundierter Problemanalyse. Der Glaube an ein "gerechtes" Wirtschaften ist in Europa so alt wie die Auseinandersetzung des Christentums mit dem vorgefundenen, individualistisch ausgerichteten, heidnisch-römischen WirtschaftsmodelL Die ebenfalls sozial orientierten Wirtschaftsgrundsätze des Alten Testaments wurden in der christlichen Wirtschaftsethik voll berücksichtigt. Gedanklich setzt der Glaube an ein gerechtes Wirtschaften zweierlei voraus: 1. die Beeinflußbarkeit des Wirtschaftsablaufs durch menschliche Entscheidungen und 2. die positive Wirkung vernünftiger (d. h. wohlüberlegter und maßvoller) Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen. Diese beiden Möglichkeiten werden heute in der Wirtschaftswissenschaft nicht mehr bestritten. Was bedeutet nun der Begriff "gerecht". Es ist ein Begriff, der immer auf eine bestimmte, manchmal einmalige Situation abstellt, den man daher auch nicht ein für allemal definieren kann. In den Offenbarungsquellen wird er in seiner Werthaftigkeit einfach als bekannt und einleuchtend vorausgesetzt. Das Verständnis des Begriffsinhalts ist, um ein Wort H. Kelsens zu variieren, unserem Bewußtsein unmittelbar gegeben. Den Kern der Auseinandersetzung bildete das individualistische römische Eigentumsrecht. Letztlich war auch das Problem der Sklaverei nur ein Teilaspekt dieses Hauptproblems. Jedes Eigentumsrecht ist vom Spannungsverhältnis zwischen Allgemein- und Einzelinteresse geprägt und es ist nicht uninteressant, die Grundgedanken aufzuzeigen, nach denen das Christentum versucht hat, dieses Spannungsverhältnis zu lösen. Dementsprechend lautet die erste Frage, worin besteht der christliche Beitrag zum Aufbau einer Eigentumsordnung, von der man sagen könnte, sie sei menschenwürdig und ermögliche ein einigermaßen "gerechtes" Wirtschaften 7. Das röm. Recht betrachtete das Privateigentum als Vollrecht und räumte dem Eigentümer eine überaus starke Stellung ein. Für ihn galt der Grundsatz: qui suo iure utitur neminem laedit (wer sein Recht gebraucht, schädigt niemanden). Mit den schädlichen Folgen, die sich aus dem angeführten Grundsatz ergeben können, hat sich schon Ihering beschäftigt8 . Wegen des eminenten Interesses der Gesamtheit wurden schon relativ früh bei Grundstücken der aus dem Eigentum abzuleitenden Herrschaft gesetzliche Grenzen gezogen. U. a. wurde dem Problem der Immissionen, also der Beeinträchtigung der benachbarten Eigentümer, Beachtung geschenkt. SeitMarkAurel (161-180 n. Chr.) werden Beschränkungen des Eigentums (wie Duldungen u. 7 Vgl. F. Pototschnig, Christliche Eigentumsordnung in rechtshistorischer Sicht, in: ÖAKR 1976 (4), 276-309. 8 Vgl. R. v. Ihering, Gesammelte Aufsätze li, Jena 1882.
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Arbeitslasten zur Erhaltung öffentlicher Straßen, Wasserleitungen u. ä.) bereits mit dem Vorrang des Gemeinwohls vor dem Einzelinteresse begründet. Schließlich schwellen die Eigentumsbeschränkungen im sozialen Interesse unter der Herrschaft des Christentums stark an. Bei beweglichen Sachen waren Beschränkungen zunächst selten. Diese Aussage gilt auch für eigene Sklaven, also Menschen, die juristisch immer mehr wie .,Sachen" behandelt wurden. Einen rechtlichen Schutz .. gegen die gröbsten Mißbräuche der Herrengewalt" (so der bekannte Romanist Max Kaser) brachte erst die kaiserliche Rechtssetzung. Unter christlichem Einfluß wurde schließlich auch der Sklave als menschliche Person anerkannt. Deshalb bestrafte Konstantin die Tötung des eigenen Sklaven erstmals als .. homicidium". In der nachklassischen Zeit führte die christliche Lehre zu weiteren Milderungen im einzelnen, ohne aber am Bestand dieser Einrichtung zu rütteln 9 . Die Eigentumsvorstellungen des Neuen Testaments setzen die Eigentumsordnung des atl. Gesetzes voraus. Die schon im AT ausdrücklich normierte soziale Belastung des Eigentums führt nach der Lehre Jesu zu noch weitreichenderen Konsequenzen. So ist das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus eine eindringliche Mahnung zur Bejahung der sozialen Pflichten, für deren Erfüllung der Mensch, der nicht als Eigentümer im Sinne des röm. Rechts angesehen wird, sondern als Verwalter des von Gott anvertrauten Gutes, verantwortlich bleibt 10 . Vertretbar ist der Eigentumsgebrauch nur dann, wenn er sich mit dem Hauptgebot: .. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" 11 vereinbaren läßt. Dieses Gebot rechtfertigt jedoch, was vielfach übersehen wird, auch die geordnete Selbstliebe. Die Botschaft Jesu sollte zu einer Revolutionierung des menschlichen Bewußtseins führen. Auch die christliche Auseinandersetzung mit den römisch-heidnischen Eigentumsstrukturen macht diese Tendenz deutlich: gefordert wurde die Anerkennung der sozialen Verpflichtungen durch die Eigentümer, denn nur diese Konsequenz könne eine Rechtfertigung des Reichtums darstellen. Die soziale Haltung war der antiken Welt ziemlich fremd. Das bezeugt der in dieser Hinsicht sicherlich unverdächtige Kaiser Julian ,.der Apostat" (332363). Unter dem Eindruck der sozialen Praxis des Christentums mußte er sogar versuchen, seine Pläne zur Wiederherstellung des Heidentums nach dem Vorbild seiner verhaßten Widersacher zu gestalten. In seinem Katechismus der heidnischen Glaubenslehre beklagt er die mangelnde soziale Gesinnung der Heiden und stellt dann fest: ,.Keinen Juden sieht man jemals betteln, und die gottlosen Galiläer unterstützen nicht nur ihre eigenen Armen, sondern auch die unsrigen" 12 . Vgl. Pototschnig, 278 f. Lk 16, 19 f.; vgl. Pototschnig, 280 f. II Mt 22, 39. 12 Vgl. H. Chadwick, Die Kirche in der antiken Welt, Berlin-New York 1972, 180.
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Es kann nicht geleugnet werden, daß auch bei Christen die Wirklichkeit oft genug hinter dem Ideal zurückgeblieben ist. Dennoch bleibt unbestreitbar, .. daß das Christentum den individualisierten Menschen zum sozialen Denken und Helfen zu erziehen begann" 13 • Erst die Christen haben die organisierte Fürsorge für die Armen, für Witwen und Waisen, für Alte und Kranke eingeführt. Sie haben in Katastrophenzeiten, bei Hungersnot, Erdbeben, Seuchen oder Krieg große soziale Hilfsaktionen organisiert 14 . Eine Realisierung christlicher Ideen war die Gründung von Krankenhäusern und Arbeitsämtern (unter Basilius, 331-379). Von Afrika bis Kleinasien bekämpfte das Christentum die Arbeitslosigkeit und sorgte für Arbeitsbeschaffung. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das christliche Arbeitsethos. Die Grundlage war das Bekenntnis des Apostels Paulus zur Handarbeit. Schon die Didache (1. Jh.) verlangt, daß die Gemeinden auch ungelernten Arbeitern sofort Arbeit zuweisen sollen. Unterstützt werden durfte nur, wer schuldlos in Not geriet. Von diesem Arbeitsethos ausgehend wurde das Bettelunwesen bekämpft und es entwickelte sich eine großartige Organisation der Arbeitsvermittlung, ja geradezu eines Arbeitszwanges 15 . Zusammenfassend können wir feststellen, daß 1. versucht wurde, durch Appelle an das christliche Gewissen einen Erziehungsprozeß einzuleiten, der allmählich zu einer Bewußtseinsänderung im Sinne der Anerkennung sozialer Verpflichtungen führen sollte. Während jedoch ältere Kirchenväter oft sehr radikale und zugleich utopische Vorstellungen entwickelten, setzte sich ab dem 4. Jahrhundert die Auffassung durch, es komme nicht darauf an, ob man etwas besitze, sondern welchen Gebrauch man davon mache. Dementsprechend wurde nur mehr die Forderung nach dem rechten, d. h. gottgewollten Eigentumsgebrauch erhoben. Der christliche Einfluß erschöpfte sich jedoch nicht in Gewissensappellen. Er zeigt sich 2. in einer Modifikation bzw. Weiterentwicklung bestehender Rechtsnormen. Durch die christlich-kaiserliche Gesetzgebung kam es zu einer auffallenden Privilegierung des Kirchenvermögens, offenbar weil dem Kirchenvermögen, dessen Träger kirchliche juristische Personen waren, eine bedeutende soziale Aufgabe zugedacht war 16 . Die Hoffnung, die christliche Kirche werde mit neuer Kraft eine bessere Welt gestalten, schien berechtigt. Dennoch hat die Kirche nicht erreicht, daß sich die hohen Ideale, die sie verkündete, in einer Zeit voll Geldgier, Spe13
C. Schneider, Geistesgeschichte der christlichen Antike, München 1970, 613f.;
vgl. Pototschnig, 287. 14 Vgl. Chadwick, 58 f. 15 Vgl. Chadwick, 180. 16
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Vgl. Pototschnig, 288.
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kulantenturn und Wirtschaftskrisen gegen die vielschichtige Realität der empirischen menschlichen Natur allgemein durchsetzten. Sie konnte nicht einmal verhindern, daß sich in ihrem ureigensten Bereich oft genug das Gegenteil von dem manifestierte, was der christlichen Botschaft entsprochen hätte. Es ist bezeichnend, daß schon der lateinische Kirchenvater Hieronymus (t 420) diese Entwicklung mit folgenden Worten beklagt hat: .,Die Kirche hat wohl an Macht und Reichtum zugenommen, aber an Tugenden hat sie abgenommen" 17 . Die kirchliche Rechtsordnung war in der Folge darauf ausgerichtet, die Fehlentwicklung zu korrigieren. Auf Eigennutz bedachte Kleriker wurden ausgeschlossen, den Klerikern wurde zeitweise sogar die Annahme von Erbschaften untersagt, aber der angestrebte Erfolg blieb aus . .,Zu allen Zeiten ... gibt es christliche Geschäftemacher, die die Liebesbereitschaft der Gemeinden zu ihrem Vorteil ausnützen. Als es Sitte wird, um des jenseitigen Heileswillen der Kirche Stiftungen zu machen und sie als Erben einzusetzen, da stellt sich die Kirche, wie in dieser Zeit die afrikanischen, spanischen und gallischen Sozialaufstände beweisen, auf die Seite der Reichen". So Schneider in seiner Geistesgeschichte der christlichen Antike 18 . Trotzdem läßt sich eines nicht leugnen: Das Forderungsprogramm war darauf ausgerichtet, die Individualfunktion des Eigentums der Sozialfunktion unterzuordnen. Das Eigentum wurde durch den Aspekt modifiziert, daß dieses Recht von seinem inneren Wesen her nur in seiner sozialen Bezogenheit gedacht werden kann. Dieser Auffassung entsprachen in etwa auch die Vorstellungen des sog. deutschrechtlichen Eigentums des Mittelalters. Es geht, wie Gierke bemerkt 19 , .,nicht auf in dem Begriff eines Individualrechts, das nebenbei auch Gemeinschaftszwecken dienstbar gemacht werden könnte. Von Hause aus ist es vielmehr darauf angelegt, sich in der Doppelgestalt von Gemeinschaftseigentum und Sondereigentum zu verwirklichen". Weiters betont er 20 : .,Das deutsche Eigentum trägt Schranken in seinem Begriff. Es ist daher nicht ein im Gegensatz zu anderen Rechten unbeschränktes (absolutes) Recht. Vielmehr reicht es nur so weit, wie es das von der Rechtsordnung gebilligte und mit Rücksicht auf Beschaffenheit und Zweckbestimmung der einzelnen Sachgüter abgegrenzte rechtliche Interesse erfordert. Auch das Eigentum ist nicht zum Mißbrauch, sondern zum rechten Gebrauch verliehen. Seinen Inhalt bildet nicht willkürliche, sondern rechtlich geordnete Macht. Und es ist nicht reine Befugnis, sondern mit Pflichten gegen die Familie, die Nachbarn und die Allgemeinheit durchsetzt. Vor allem beruht die Grundeigentumsordnung auf dem System einer mannigfach ausgebauten Gebundenheit des Eigentums". 17 18 19
Vgl. Pototschnig, 287 f. Schneider, 299. 0. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, 2. Bd., Sachenrecht, 357.
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Die mittelalterlich-weltliche und die Eigentumsordnung des kanonischen Rechts sind demnach wesensverwandt Deshalb bejahte die Kirche auch die bedeutenden Lasten, die mit dem sich ausweitenden Kirchenvermögen verbunden waren. So blieb die Erhaltung von Schulen und karitativen Einrichtungen aller Art lange Zeit fast ausschließlich der Kirche überlassen. Dieses anscheinend so harmonische Bild wird in der Praxis - auch das soll nicht verschwiegen werden - durch Machtmißbrauch auf kirchlicher wie weltlicher Seite stark getrübt. Das ist jedoch einzig und allein darauf zurückzuführen, daß auf beiden Seiten Menschen am Werk waren. Der egoistische Mißbrauch ist menschliches Fehlverhalten und keineswegs systemimmanent Deshalb sollte menschliches Versagen nicht der christlichen Eigentumsstruktur, sondern den wirtschaftlich tätigen Personen angelastet werden. Die Reaktionsfunktion der jeweils geltenden Rechtsordnung, die menschliches Versagen verhindern oder ahnden soll, kann sich nur allmählich entwickeln und es scheint in der Natur der Sache zu liegen, daß die Normen dem tatsächlichen Verhalten, das sie steuern sollen, stets nachhinken. Ein weiteres Problem ist die politische Durchsetzbarkeil der vorgesehenen Sanktionen. Von großer Bedeutung sind die Vorstellungen des Thornas von Aquin (1225-1274) von einer gerechten Eigentumsordnung, die als Voraussetzung für ein gerechtes Wirtschaften postuliert wird. Dem realistisch denkenden Thomas erscheint das Konzept einer Gütergemeinschaft für alle Menschen als Utopie. Ein derartiges Konzept lasse sich nur auf der Basis des freiwilligen Vollkommenheitsstrebens in Ordensgemeinschaften realisieren. Dennoch sieht Thomas im empirischen Menschen keinen bloßen Egoisten. Vielmehr ist der Mensch ein "ens individuale et sociale". Jede Person ist also einmalig und zugleich notwendig auf die Gemeinschaft hin bezogen. Somit ist das Spannungsverhältnis zwischen berechtigtem Eigennutz, der sich gerade im ökonomischen Bereich manifestiert, und den auf Nächstenliebe ausgerichteten ethischen Forderungen im Wesen des Menschen selbst begründet. Das oberste Prinzip der menschlichen Gesellschaftsordnung und zugleich der einzige legitime Zweck der menschlichen Normsetzung ist das "bonum commune", das Gemeinwohl. Dieser vielschichtige Begriff läßt sich im Sinne des Aquinaten als jene Ordnung definieren, "welche die Aktivität der einzelnen Personen koordiniert und dadurch das Glück aller", oder zumindest einer möglichst großen Zahl von Einzelindividuen verwirklicht2 1• Die Person wird, wie erwähnt, in ihrer Einmaligkeit und in ihrer notwendigen Bezogenheit auf die Gemeinschaft hin verstanden. Die Beachtung dieser Polarität der Person ist die Grundbedingung für die Verwirklichung des Gemeinwohls. In 20
21
Gierke, 358. F. Troxler, Die Lehre vom Eigentum bei Thomas von Aquin und Kar! Marx,
Freiburg/Schweiz 1973, 31 f.
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der Anwendung auf die Güterordnung beinhaltet dieses Prinzip die soziale Gerechtigkeit. Diese wiederum soll ermöglichen, daß nach dem Grundsatz des ,.suum cuique" jeder Mensch seiner besonderen Stellung und Lebensaufgabe entsprechend an der Nutzung der Güter teilhabe. Die Produktion und Distribution des Sozialprodukts sollen rechtlich grundsätzlich auf der Grundlage der Privateigentums-Ordnung geregelt werden. Das sei nicht bloß legitim, sondern notwendig oder zumindest angemessen 22 . Der Eigentumsbegriff beinhaltet ein persönliches Recht auf die Sache selbst, mit voller Verfügungsgewalt innerhalb der durch das Gemeinwohl gesetzten sozialen Schranken. Thomas führt einige Gründe an, die für die Privateigentumsordnung sprechen: den Ansporn zum Fleiß, die Hebung der Produktivität der Arbeit und das Friedensargument Thomas rechnet offensichtlich mit der menschlichen Tendenz zur Trägheit, die am besten durch die Betonung des materiellen Eigennutzes überwunden werden könne. Die Ordnung in der Wirtschaft könne besser gewährleistet werden, wenn das Schwergewicht beim einzelnen liege. Dem Gemeinwesen komme allerdings im Falle der Unordnung eine subsidiäre Ordnungsfunktion zu. Weitere Gründe, die nach Thomas für die privatwirtschaftliche Güterordnung sprechen, sind: die Ermöglichung der Freigiebigkeit als Form der sittlichen Bewährung, weiters die Schaffung besserer Voraussetzungen für die Vielfalt im Staat, ferner der gemeinschaftsfördernde Effekt durch den geordneten Güteraustausch und schließlich die Befriedigung, die der Mensch durch persönliches Eigentum erfahre. Damit es durch die Privateigentumsordnung nicht zu einer Verletzung des göttlichen Gesetzes kommt, wurde sie von Thomas in ein vielmaschiges Netz sozialer Verpflichtungen eingebettet. Dem Eigentümer wird die Begrenzung von Besitz und Erwerb eingeschärft, denn es sei sündhaft, ,.wenn jemand über das gehörige Maß hinaus Reichtum erwerben oder behalten will". Die Feststeilbarkeit des ,.gehörigen Maßes" ist wohl das Hauptproblem bei jedem Begrenzungsversuch des Eigentums- bzw. des freien Verfügungsrechtes im Rahmen einer ,.gerechten Ordnung". Einen objektiven Maßstab könnte man zwar für das ,.iustum pretium" (den gerechten Preis) angeben, kaum jedoch für das ,.gerechte Einkommen" eines Unternehmers. Thomas geht von den Erfahrungswerten seiner Zeit aus und findet die Grenze beim ,.standesgemäßen Einkommen". Gerechtfertigt ist also jenes Einkommen, das jemand zur Führung eines standesgemäßen Lebens braucht, nicht nur für sich allein, sondern auch ,.für die anderen Personen, deren Sorge ihm obliegt''23. Verzichtet jemand selbst auf standesgemäßes Einkommen, so sei dies kein .Gebot", sondern nur ein ,.Rat", abgesehen davon, wenn sich ein Mitmensch in äußerster Not befinde. Die Güter, die jemand im ,.Überfluß" 22 23
Vgl. Pototschnig, 296!. Vgl. Pototschnig, 297.
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besitzt, werden "auf Grund des Naturrechtes dem Unterhalt der Armen geschuldet". Die quantitativen Eigentumsbeschränkungen, die den Rahmen der Almosenpflicht abstecken, betreffen sinngemäß die Konswngüter; die Produktionsgüter andererseits sind insofern mit einer sozialen Hypothek belastet, als deren Verwendung dem Gemeinwohl nicht widersprechen darf 24 . Eine weitere wichtige soziale Schranke bildete in der mittelalterlichen Wirtschafts-Ordnung das sog. Äquivalenzprinzip: "Was zum gemeinsamen Nutzen beider Vertragspartner bestimmt ist, darf nicht zu Lasten mehr des einen als des andern ausschlagen. Und so muß jeder Vertrag unter Berücksichtigung des Gleichmaßes geschlossen werden .... Übersteigt der Preis den Wert der Sache oder umgekehrt, ist das Gleichmaß der Gerechtigkeit aufgehoben. Teurer verkaufen oder billiger kaufen, als dies dem Wert der Sache entspricht, ist also an sich ungerecht und unerlaubt". Jeder Verstoß gegen dieses Prinzip galt in der Regel als Wucher, im konkreten Fall als Preiswucher. In einigen Fällen wird das Erzielen eines "mäßigen Gewinns" als erlaubt bezeichnet. So billigt Thomas dem Händler einen solchen Gewinn zu, sofern er ihn ausrichtet auf die "Erhaltung seines Hauses", auf die Hilfe an Bedürftige oder auf einen öffentlichen Nutzen. Der Gewinn darf jedoch nicht als Ziel gesucht werden, sondern als Ertrag der Arbeit. Darüber, wie Thomas den Wert bestimmt, sind sich die Forscher nicht einig. Für die einen, so Orel, ist Thomas ein reiner Arbeitswert-Theoretiker. Danach wird der Wert der Produkte durch das Verhältnis der in ihnen vergegenständlichten Arbeitszeit bestimmt, wobei die Kosten für die Abnützung der sachlichen Produktionsmittel und die Qualifikation des Arbeitenden mitzuberücksichtigen sind. Es gibt allerdings Stellen, die zeigen, daß Thomas auch das sog. arbeitslose Einkommen gutheißt. Thomas lehnt, dem kan. Zinsverbot entsprechend, grundsätzlich einen Zins für Gelddarlehen ab, denn das Geld sei eine unfruchtbare Sache (wie schonAristoteles gelehrt hat). In zahlreichen Fällen des Kreditverkehrs wird jedoch auch das Zinsverbot modifiziert, so wenn der Gläubiger durch das Verleihen des Geldes einen Schaden erlitten hat (damnum emergens), weiters wenn der Schuldner das Darlehen nicht rechtzeitig zurückbezahlt und der Gläubiger dadurch eine Gewinnchance versäumt hat (lucrum cessans), schließlich bei Kapitalbeteiligung an einem Unternehmen (societas), d. h. wenn Geld nicht im zwischenmenschlichen Verkehr verliehen, sondern zu Investitionszwecken zur Verfügung gestellt wurde. Thomas verneint auch die Berechtigung, für ausgeliehene Verbrauchsgüter, wie Nahrungsmittel, einen Zins zu fordern, rechtfertigt ihn aber für den "Nießbrauch" an Gütern, die nicht zum Verbrauch bestimmt sind, wie dies bei einem Haus, Acker und dgl. der Fall sei. Der Mietzins ist nicht nur im Sinne von Kosten für die 24
V gl. Troxler, 39 f.
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Abnützung des Objektes gerechtfertigt, sondern unabhängig davon. Es handelt sich also um einen die Benützung des Objektes übersteigenden Preis, der damit gerechtfertigt wird, daß die Nutzung des Objektes selbst verkauft werden dürfe 25 . Welche Rolle kommt nach thomasischer Auffassung dem Staat zu? Ihm obliegt, auf der Grundlage seiner Rechtsordnung, eine Erzwingungsgewalt, wenn die Eigentümer ihren sozialen Pflichten nicht freiwillig nachkommen. Die durch die Gesetzgebung auferlegten Bürden müssen aber gerecht sein, denn nur dann binden sie im Gewissen. Grundsätzlich ist der Rahmen der gesetzlich fixierten Eingriffsrechte auf dem Hintergrund des Gemeinwohlprinzips sehr weit gespannt; selbst eine Enteignung ohne Entschädigung wäre auf thomasischer Ebene denkbar. Vergeblich sucht man bei Thomas nach konkreten Vorschlägen zur Realisierung einer staatlich organisierten Sozialhilfe. Die Erklärung ist einfach: die mittelalterliche Kompetenzverteilung hat die Rolle des sozialen Ausgleichs in erster Linie der Kirche zugewiesen, und im großen und ganzen hat die Kirche diese Aufgabe auch erfüllt 26 • Zusammenfassend möchte ich festhalten: Thomas, auf dessen Lehrgebäude sich die päpstlichen Sozialenzykliken des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts stützen, bejaht die gemeinwohlorientierte Privateigentumsordnung unter Berücksichtigung der Erfahrung, daß ein Wirtschaftssystem auf dieser Grundlage der empirischen menschlichen Natur am besten entspricht. Das materielle Selbstinteresse jedes einzelnen wird als Triebkraft zur Arbeitsleistung erkannt und im Rahmen einer geordneten Selbstliebe als sittlich gut bewertet. Es gilt als starker Antrieb zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und damit als Stimulans der wirtschaftlichen Entwicklung. Ein Wirtscl.aftssystem, dessen bewegende Kräfte bindungsloses Profitstreben und bindungslose Konkurrenz sind, wäre der mittelalterlichen Denkweise allerdings diametral entgegengesetzt. Garanten eines gerechten Wirtschattens waren 1.) das von der kirchlichen Lehre geprägte Gewissen des Wirtschaftstreibendeo und 2.) die auf das Gemeinwohl ausgerichteten Gesetzesnormen. In einem zweitenAbschnitt möchte ich die Problematik, unter Berücksichtigung des weiteren Entwicklungsprozesses, darstellen. Der Begriff des Wuchers spielte in einer Zeit, in der die Notwendigkeit, die Wirtschaftsentwicklung mit Hilfe einer allgemein verbindlichen, d. h. christlichen Ethik zu steuern, unbestritten war, eine große Rolle. Man unterschied Preis-, Zins- und Lohnwucher. Der Wettbewerb war der körperschaftlichen Ordnung der Wirtschaft unterworfen, durch welche die Rahmenbedingungen für alle Zunftmitglieder 25 26
Vgl. Troxler, 41 !. Vgl. Troxler, 43!.
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möglichst gleich gehalten wurden. Er konnte nur bestehen aufgrund der Leistungsfähigkeit und Geschicklichkeit der einzelnen, besonders aber in der Qualität. Vor allem die Preisgerechtigkeit wurde als regulatives Prinzip der Wirtschaft eingesetzt. Dennoch war durch die Unterscheidung zwischen höchstem, mittlerem und niedrigstem Preis, die alle als "gerecht" galten, eine gewisse Beweglichkeit der Preise gewährleistet2 7 . Der Preiswucher scheint erst im 16. Jahrhundert zum Problem geworden zu sein. Deshalb wandten sich auch die berühmten Prediger jener Zeit, wie Geiler von Kaiserberg, dagegen, daß der Kaufmann so teuer verkaufe, als er könne, statt sich nach dem gerechten Preis zu richten. In den Reichstagen wurden heftige Debatten über Recht und Unrecht der großen Handelsspannen geführt, man verlangte gesetzliche Beschränkung des Gesellschaftskapitals, Kontrolle der Preispolitik der Gesellschaften und ein Verbot von Preisabreden. Trotzdem vermochte sich die neue Wirtschaftsgesinnung, die nicht nur auf Bedarfsdeckung, sondern auf Gewinn abzielte, durchzusetzen. Die Wirtschaftsethik jener Zeit hat den Wandel der wirtschaftlichen Verhältnisse rechtzeitig erkannt und hat es verstanden, den neuen Kräften den Weg zu weisen. Dabei ging sie aus vom Wesen der Unternehmerfunktion und formulierte das Prinzip: Unternehmergewinn als Verdienst im Dienste der Allgemeinheit sei gerechtfertigt. Die Berechtigung des Unternehmergewinnes sah man in der Eigenart der Unternehmerleistung, ihrer Einzigartigkeit sowie in der Verantwortlichkeit des Unternehmers. Wohl als erster hat der englische Franziskaner Duns Scotus (t 1308) auf die Berechtigung des Unternehmergewinnes hingewiesen 28 • Wemer Sambart (1863-1941) ist zum überraschenden Ergebnis gekommen, daß ausgerechnet das kanonische Zinsverbot des Mittelalters ganz wesentlich zur Förderung des Unternehmergeistes beigetragen habe. Denn "die sehr einfache Formel, in der die kirchliche Autorität zu der Frage des Gewinnmachens Stellung nahm, ist diese: Einfacher Leihzins in jeder Gestalt ist verboten; Kapitalprofit in jeder Gestalt ist erlaubt: sei es, daß er aus Handelsgeschäften fließt, sei es aus einem Verlagsunternehmen; sei es, daß er durch Transportversicherung erzielt wird; sei es durch Beteiligung an einem Unternehmen ... oder wie sonst" 29 . J. Meßner sagt dazu: "Die im Zuge der Kulturentwicklung in der Renaissance erwachende kraftvolle Persönlichkeit im Wirtschaftsleben wurde durch das Zinsverbot zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit gedrängt, welche auf Unternehmerleistung beruhte und zu Kapitalprofit führte. Damit erhielt die wirtschaftliche Entwicklung zweifellos einen entscheidenden Anstoß, über die erstarrenden und zu enge 27 28 29
Vgl. J. Meßner, Die soziale Frage, Wien 1938, 11. Meßner, 16 II. Meßner, 19.
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werdenden Bindungen des Mittelalters hinauszugehen" 30 . Die Kirche ging vom Zinsverbot als Entgelt für ein Gelddarlehen erst ab, als die Kapitalsqualität von Vermögenssummen im Wandel der Wirtschaft eindeutig geworden war. Weil sich die wirtschaftlichen Verhältnisse geändert hatten, mußte auch das Sittengesetz neu auf sie angewendet werden. Aus dem problematischen Leihzins wurde der Zins als erlaubtes Entgelt für Kapitalleihe. Bereits die mittelalterlichen Ethiker haben auf die Gefahren einer am Gewinn orientierten Wirtschaftsgesinnung hingewiesen: sie sei subjektiv verwerflich, wo der Gewinn zum letzten Wirtschafts- und Lebenszweck erhoben wird. Objektiv verwerflich ist sie, wo die Unternehmertätigkeit die Allgemeinheit schädigt, statt ihr zu nützen. Seit dem Beginn der Neuzeit entsteht allerdings ein Prozeß der immer weiter fortschreitenden grundsätzlichen Loslösung der Wirtschaft aus der sittlichen Ordnung. Obwohl sich die Kirche mit immer neuen Argumenten gegen diese Entwicklung gestemmt hat, vermochte sie ihr nicht Einhalt zu gebieten 31 . An die Stelle eines durchaus berechtigten ökonomischen Eigennutzes trat ein von jeder sittlichen Ordnung losgelöster kurzsichtiger Egoismus, der zur Entstehung der sozialen Frage und zur alles bedrohenden Phase der sozialen Revolution geführt hat. Ich nenne diese pervertierte Form des ökonomischen Eigennutzes deshalb kurzsichtig, weil die Entwicklung beweist, daß sich aus dieser Haltung auch für den Unternehmer nur kurzfristig und vorübergehend scheinbare Vorteile ergeben, die, längerfristig betrachtet, nicht nur zu sozialer Unordnung, sondern auch zur existenziellen Bedrohung der für eine florierende Wirtschaft unverzichtbaren Unternehmerischen Initiative führen. Die prinzipielle Loslösung der Wirtschaft von sittlichen Ordnungsbegriffen aller Art erreicht ihren Höhepunkt in der sog. Manchesterschule der Nationalökonomie 32 . Hatte A. Smith (1723-1790) noch die Auffassung vertreten, die Freiheit de~ wirtschaftlichen Interesses müsse durch gesetzliche Regelung an die Schranken der Gerechtigkeit gebunden bleiben, wurde schon durch D. Ricardo (1772-1823) die schrankenlose Freiheit des einzelnen im Erwerbsleben zum Prinzip erhoben: das freie Erwerbsinteresse zu dem der nationalen, der freie Handel zu dem der internationalen Wirtschaft. Dieses Prinzip der Erwerbs- und Handelsfreiheit mündet in das Laissez faire, laissez aller als oberste Richtlinie der Wirtschaftspolitik. Für dieses ausschließlich vom Einzelinteresse ausgehende Wirtschaftsdenken wird das gesellschaftliche Wesen des Wirtschaftslebens kaum noch sichtbar, wie denn auch im Prinzip des freien Wettbewerbes der wirtschaft30
Meßner, 31.
31
Meßner, 19 u. 32 f. Meßner, 47.
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liehen Einzelinteressen der Gedanke fast ausgelöscht erscheint, daß der Sinn des Wettbewerbes die Kooperation des gesamten Wirtschaftsvolkes zur Sicherstellung seiner materiellen Kultur ist. Der freie Wettbewerb wird zum ausschließlichen regulativen Prinzip der Volkswirtschaft, diese wird zur entfesselten Konkurrenzwirtschaft, als deren einziges organisierendes Element der freie Markt besteht, der mit unwiderstehlicher Kraft den gesamten Sozialorganismus seinen Gesetzen unterwirft. Für diesen Markt ist die Arbeitskraft ebenso eine Ware wie die Maschine, die für eine Unternehmung auf dem Markte erstanden werden muß, für diesen Markt ist aber auch das altererbte Heim mit Haus und Grund ebenso Ware wie das Stück Vieh, das auf dem Markte aufgetrieben wird. Naturgemäß kommt es dem Individualismus auch ausschließlich auf die wirtschaftliche Produktivität und ihre Steigerung an, darauf, daß möglichst viele Güter erzeugt werden; die Verteilung der Güter interessiert ihn nicht, denn nach dem Gesetz der Harmonie muß sich von selbst das soziale Optimum, die beste soziale Güterverteilung, ergeben. Die für eine wahre soziale Ordnung notwendige Verteilung erwartete der Individualismus von der Selbstregulierung der Wirtschaft, das heißt davon, daß alle Fehlwirkungen der Konkurrenzwirtschaft, seien sie wirtschaftlicher, seien sie sozialer Natur, von den der Wirtschaft eigenen Kräften geheilt werden, daß also die soziale Frage des Kapitalismus durch seine eigene Kraft überwunden werde. Der Individualismus besteht damit auf dem absoluten Nichtinterventionsprinzip, ja sein Staat hat sich auf den Schutz der Wettbewerbsfreiheit zu beschränken. Dazu kommt aber, daß es für den Individualismus auch keine Bindung des einzelnen durch einen geordneten Sozialorganismus gibt, keine Einordnung in Gliedgebilde einer korporativ gegliederten Gesellschaft. Was er zuläßt, sind nur die Verbandsbildungen, in denen sich die einzelnen zur Organisierung des Wettbewerbes in freiem Übereinkommen zusammenschließen. Die individualistische Wirtschaft ist darum gekennzeichnet durch folgende Freiheitsforderungen: die Erwerbsfreiheit (Gewerbefreiheit, Freiheit der Berufswahl, Freizügigkeit); die Vertragsfreiheit (besonders im Arbeitsvertrag); die Freiheit des Eigentums (in Verwendung, Veräußerung, Verschuldung); schließlich die Vererbungsfreiheit Da diesen Freiheiten gegenüber keine sittlichen und gesellschaftlichen Verpflichtungen anerkannt werden, bezeichnet Sombart das Wirtschaftsrecht des Individualismus treffend als ein System "von subjektiven Rechten, denen keine Pflichten gegenüberstehen" 33 . Gewiß ist der wirtschaftliche Individualismus auch als Pendelbewegung gegen die GängeJung der Wirtschaft im Merkantilismus zu verstehen, aber entwicklungsgeschichtlich kann man ihn auch als Rückentwicklung zum individualistisch-römischen Wirtschaftssystem, wenn auch unter geänder33
Meßner, 48 I.
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ten gesellschaftlichen Bedingungen, verstehen. Damit soll keineswegs in Abrede gestellt werden, daß die Ideale des Individualismus auch positive Elemente enthalten. "Der unheilvolle Irrtum des Individualismus", der sich in seinen verhängnisvollen Auswirkungen manifestiert, war seine Einseitigkeit, die "in der Verabsolutierung aller seiner Prinzipien, also 1. des Gewinnstrebens, 2. der W ettbewerbsfreiheit, 3. der Selbstregulierung (besteht). Prinzipien, die die Gesellschaft der sozialen Frage überantworten mußten" 34 . In der geistigen Überhöhung des Individualismus durch den Liberalismus werden vor allem drei innerlich verbundene Elemente sichtbar: 1. die anthropozentrische Einstellung, 2. der Zug zur Säkularisierung des gesamten öffentlichen Lebens, damit die Entbindung desselben von der sittlichen Wertordnung und 3. schließlich das Prinzip der absoluten Eigengesetzlichkeit vor allem der Wirtschaft. Demnach sei der Bestand und der Fortschritt auf dem Wirtschaftssektor ausschließlich Gesetzen unterstellt, die sich vom ureigenen Sonderzweck herleiten und sich allen von außen wirkenden Kräften zum Trotz durchsetzen. Aus dem Prinzip der Eigengesetzlichkeit ergeben sich drei Schlußfolgerungen: 1. daß der Eigenzweck das ausschließlich Geltende ist, wenn das Optimum, d. h. konkret, der größte Reichtum im Wirtschaftsleben erreicht werden soll; 2. daß jeder Versuch einer Umgehung dieser Gesetze auf längere Sicht durch die automatische Wirksamkeit derselben vereitelt wird und sich die Gesetze der Wirtschaft, gegenüber Eingriffen von außen, immer wieder durchsetzen; 3. daß auch das Geltendmachen von sittlichen Normen nur die bestmögliche Verwirklichung des Eigenzweckes hemmen kann und darum auszuschließen ist. Das Prinzip der Eigengesetzlichkeit enthält sicherlich einen wahren Kern insoferr:, als die für die einzelnen Kulturgebiete geltenden Sachgesetze, die durch den "Sachverstand" der Experten erkennbar sind, zur Geltung kommen. Gerade im Wirtschaftsbereich werden Gesetzmäßigkeiten manifest, die sich automatisch auswirken, wie die Gesetze der Marktwirtschaft. Trotzdem kann man sagen, daß die Eigengesetzlichkeit nur eine relative und keine absolute sein kann 35 . Wäre es nicht so, dann hätte sich durch die Berücksichtigung ethischer Forderungen die Marktwirtschaft niemals zur "sozialen" Marktwirtschaft weiterentwickeln können. Grundsätzlich stellt sich die Frage, welche Ethik oder Moral bzw. welche Gerechtigkeitsvorstellung als allgemeinverbindliche und sachadäquate Wirtschaftsethik empfohlen werden kann. Würde man sich auf eine fundamentalistisch-religiöse Ethik festlegen, dann wäre z. B. die Produktion zahlreicher Waren zu unterbinden, obwohl ein echter Bedarf gegeben ist. Eine derartige Ethisierung der Wirtschaft stünde im Widerspruch zum notwendigen Pluralismus in einem freiheitlich-demokratischen Staatswesen. Sicher34
Meßner, 49.
35
Meßner, 50 f. u. 661 f.
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lieh gibt es Grenzfälle, aber es ist durchaus zielführend, die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen, die in einem Staat gelten, heranzuziehen, denn in ihnen manifestiert sich der "kleinste gemeinsame Nenner" ethischer Grundüberzeugungen, die in einer pluralistischen Gesellschaft von ernstzunehmenden Menschen vertreten und anerkannt werden. Dieser Vorschlag, der Überlegungen von Englisch aufgreift, hindert niemand daran, bei der Produktion und beim Vertrieb von Waren persönlich höhere und höchste sittliche Maßstäbe anzulegen. Aufgrund der nationalen und internationalen Konkurrenzsituation besteht allerdings die eminente Gefahr, daß der Wettbewerb in der Praxis letztlich vom "Gesetz der Grenzmoral" beherrscht wird. Darunter versteht Briefs "die Moral der am wenigsten durch moralische Hemmungen im Konkurrenzkampf behinderten Wirtschaften, die aufgrund ihrer Mindestmoral unter übrigens gleichen Umständen die stärksten Erfolgsaussichten haben und sohin die übrigen konkurrierenden Gruppen bei Strafe der Ausschaltung vom Wettbewerb zwingen, allmählich in Kauf und Verkauf sich dem jeweils tiefsten Stand der Wirtschaftsmoral (der ,Grenzmoral') anzugleichen" 36 . Wenn die Gerechtigkeitsvorstellung in der Wirtschaft inhaltlich als Gemeinwohlgerechtigkeit bestimmt wird, kann im Interesse einer auf den Zweck der Volkswirtschaft bezogenen Konkurrenz nicht darauf verzichtet werden, sie von sittlichen und gesellschaftlichen Kräften her zu ordnen. Erschwert wird die Ordnung des Wettbewerbes, wenn unter dem Zwang, die Überlebenschancen der eigenen Wirtschaft zu sichern, die Anpassung an eine anders konzipierte, d. h. extrem von nationalen Interessen geprägte, Wirtschaftsethik erforderlich ist. Das trifft beim Wettbewerbsdruck zu, der von manchen ostasiatischen Wirtschaftspraktiken ausgeht. Eine vernünftige Lösung dieses Problems durch einheitliche und zugleich effiziente Normen mit weltweiter Geltung ist dzt. nicht in Sicht. Eine negative Begleiterscheinung der ersten Zeit des individualistischen Kapitalismus war der Lohnwucher, d. h. die Mehrwertaneignung durch den Arbeitgeber mit Hilfe des Lohnvertrages, oder anders gesagt, das vertraglich aufgezwungene Vorenthalten des "gerechten Lohnes". Die liberalistische Nationalökonomie versuchte den Unternehmern ein gutes Gewissen einzureden, indem sie eine naturgesetzliche Tendenz der Löhne zum sog. ,natürlichen Lohne' feststellte, der sich um das Existenzminimum bewegte. Später gerieten die Unternehmer selbst zunehmend in Abhängigkeit vom Finanzkapital, das in weiterer Folge für den Lohnwucher verantwortlich wurde. Tatsache ist, daß eine Besserung der Lage der Arbeiterschaft erst durch deren Organisation auf dem Arbeitsmarkt erzwungen wurde. Unter Berücksichtigung ethischer Kategorien verpflichtet die soziale Gerechtigkeit zur Anerkennung des niltürliehen Rechtes der Arbeiterschaft auf Teilnahme am wirtschaftlichen Fortschritt, da dieser selbst nur aus dem Zusammenwirken 36
Meßner, 82.
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von Arbeit und Kapital entsteht, .,wobei gewiß das Kapital die Fruchtbarkeit der Arbeit steigert, aber das Kapital ohne die Arbeit völlig unfruchtbar bleibt" 37 . Das Reformziel, das von der sozialen Gerechtigkeit gewiesen wird, ist die Absicherung eines volkswirtschaftlich gerechtfertigten, leistungsgerechten Lohnes durch die gesellschaftliche und rechtliche Ordnung, z. B. auch in Form einer produktivitätssteigernden Gewinnbeteiligung. Das Gewinninteresse ist ja für jeden Beteiligten der zuverlässigste Motor eines ständig neuen Einsatzes aller vorhandenen Kräfte und damit auch des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts 38 . Im Sinne der päpstlichen Sozialenzykliken Rerum novarum 39 und Quadragesima anno 40 können sich die wirtschaftlich Tätigen von einem wahren und falschen ökonomischen Rationalismus leiten lassen. Der falsche Ratio-
nalismus vertraut einzig und allein auf die wirtschaftliche Eigengesetzlichkeit, während der wahre Rationalismus die Notwendigkeit ethisch fundierter gesellschaftlicher Ordnungsgesetze bejaht. Daran erinnert Pius XI. durch seinen Hinweis, Leo XIII. habe sich bemüht, dem westlichen Wirtschaftssystem "die rechte Ordnung" zu geben; daraus folgt (so Pius XI. weiter), daß es als solches nicht zu verdammen ist. .,Und in der Tat, es ist nicht in sich schlecht. Die Verkehrtheit beginnt vielmehr erst dann, wenn das Kapital die Lohnarbeiterschaft in seinen Dienst nimmt, um die Unternehmung und die Wirtschaft insgesamt einseitig nach seinem Gesetze und seinem Vorteil ablaufen zu lassen, ohne Rücksicht auf die Menschenwürde des Arbeiters, ohne Rücksicht auf den gesellschaftlichen Charakter der Wirtschaft, ohne Rücksicht auf Gemeinwohl und Gemeinwohlgerechtigkeit" 41 • Die bisher behandelten Anliegen, die auf eine behutsame Korrektur des individualistischen Wirtschaftssystems durch die grundsätzliche Anerkennung und teilweise Verrechtlichung ethischer Prinzipien hinzielen, werden von der Wirtschaftsform der "Sozialen Marktwirtschaft" durchaus ernstgenommen. Es handelt sich um eine besondere Form einer gesteuerten oder gelenkten Marktwirtschaft. Die Bezeichnung wurde vom evangelischen Sozialwissenschaftler A. Müller-Armack geprägt, als es nach dem Ende des 2. Weltkrieges galt, die Entscheidung über die künftige Wirtschaftsordnung in Deutschland zu fällen. Die .,Soziale Marktwirtschaft" wurde seither wiederholrauch in Österreich und der Schweiz als Leitlinie der Wirtschaftspolitik bezeichnet. Sie kann als die hervorstechendste wirtschaftspolitische Konzeption der freien Welt angesehen werden, die sich auch als Leitgedanke für die internationale Wirtschaftspolitik und insbesondere für die 37 38
39 40 41
Meßner, 86.
Meßner, 104.
Enzyklika Leos XIII. (1891). Rundschreiben Pius XI. (1931). Quadragesima anno, 101.
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Wirtschaftspolitik der wirtschaftlichen Integration Europas anbietet. An der Wiege dieses neuen Wirtschaftskonzepts stand vor allem das vernichtende Urteil A. Rüstows über das Versagen des Wirtschaftsliberalismus. Zwar sind sich die Vertreter der "S. M." in der Interpretation des Wesens der neuen Lehre nicht einig, dennoch kann die .S. M." als eine vom sittlich verantwortlichen Menschen bewußt gestaltete Wirtschaftsordnung charakterisiert werden. Um ihre Zielsetzungen zu erreichen, bedient sich ihre Wirtschaftspolitik in erster Linie der Ordnungskräfte des Wettbewerbs. Da der Markt zwar sehr wichtige, aber nicht alle sozialen Probleme lösen kann, verlangt die "S. M." wirtschaftskonforme Eingriffe des Staates zur Setzung funktionsfähiger Rahmenbedingungen (Erhaltung bzw. Vermehrung des Wettbewerbs, Erhaltung der Kaufkraft des Geldes, Schutz von Gesundheit und Umwelt, breitere Streuung der Vermögensbildung usw.). Für die Lebensbedürfnisse derer, die auf dem Markte wederWaren noch Leistungen anzubieten haben, noch nicht oder nicht mehr, vorübergehend oder überhaupt nicht, bedarf es einer zweiten, gesetzlich geregelten Einkommensverteilung durch differenzierte Besteuerung und durch Leistung von Transferzahlungen (Pensionen, Familienbeihilfen, Krankenkassen- und Arbeitslosenversicherungsleistungen usw.). Unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips ergeben sich Rangstufen der Zuständigkeiten zur Erreichung der angestrebten Ziele: Erstzuständig ist der selbstverantwortliche Mensch, dessen Einkommen sich auf dem konkurrenzgesteuerten Markt bildet. Soweit der Wettbewerb nicht ein Verhalten der einzelnen erwirken kann, das den Zielsetzungen (z. B. Geldwerterhaltung, Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung) entspricht, tritt an zweite Stelle die auf diese Ziele (als Konkretisierung des Gemeinwohles) abgestellte Wirtschaftspolitik. Die Erfüllung der dann immer noch offenbleibenden berechtigten Anliegen obliegt schließlich auf der dritten Stufe der Zuständigkeit der zweiten Einkommensverteilung, die die marktwirtschaftliche Verteilung korrigiert und damit die Wirtschaftspolitik ergänzt. Ausall dem können wir schließen, daß der Wettbewerb in diesem System trotzaller grundlegenden und beherrschenden Bedeutung nicht als oberstes Ordnungsprinzip, sondern als unerläßliches Koordinierungssystem anzusehen ist. Die letzten Normen in dieser Wirtschaftsordnung werden vom Gemeinwohl diktiert. Dieses soll vor allem durch Geldwerterhaltung, stetes Wirtschaftswachstum, hohen Beschäftigungsgrad, Korrekturen an der Einkommensverteilung u. a. gesellschaftspolitische Zielsetzungen außenwirtschaftlicher Art verwirklicht werden. Unübersehbar liegt der Sozialen Marktwirtschaft der thomistische Ordo-Gedanke zugrunde 42 . 42 W. Schmitz, Soziale Marktwirtschaft, in: Katholisches Soziallexikon, 19802 , 1710-1719.
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In einem letzten Teil möchte ich noch kurz auf den letzten Stand der Katholischen Soziallehre eingehen, wie er von Papst Johannes Paul II. in seiner neuesten Sozialenzyklika "Sollicitudo rei socialis" {Die soziale Sorge der Kirche) dargelegt wird 43 • Johannes Paul verweist auf die Kontinuität, zugleich aber auch auf die ständige Erneuerung der kirchlichen Soziallehre. Eine der größten Ungerechtigkeiten zeige sich in der ungleichen Verteilung der lebensnotwendigen Mittel, die ursprünglich für alle Menschen bestimmt waren, sowie auch der Vorteile, die sich daraus ergeben 44 • Es fällt auf, daß der Papst wiederholt eine Wendung gebraucht, die der Gütergemeinschaft den Vorrang einräumt. Das Recht auf Privateigentum 45 und Unternehmerische lnitiative 46 werden jedoch ebenso deutlich hervorgehoben. Andererseits dürfe der menschliche Wille zur Planung, der die Entwicklung lenkt, der Gebrauch der Hilfsquellen und die Art und Weise, sie zu verwerten, nicht von der Beachtung der moralischen Forderungen gelöst werden. "Eine davon verlangt ohne Zweifel Grenzen für den Gebrauch der sichtbaren Natur. Die vom Schöpfer dem Menschen anvertraute Herrschaft ist keine absolute Macht, noch kann man von der Freiheit sprechen, sie zu ,gebrauchen oder zu mißbrauchen' oder über die Dinge zu verfügen, wie es beliebt" 47 . "Das Recht auf Privateigentum ist gültig und notwendig; es entwertet aber das Prinzip {der Bestimmtheit der Güter für alle Menschen) nicht: Auf ihm liegt in der Tat eine ,soziale Hypothek', das heißt, darin erkennt man eine soziale Funktion als innere Qualität, die genau auf dem Prinzip der allgemeinen Bestimmung der Güter gründet und von dorther gerechtfertigt ist" 48 • Ohne ein wirtschaftliches und politisches System oder Programm vorzulegen, bzw. die kirchliche Soziallehre als "dritten Weg" zwischen der Orientierung an den Prinzipien des liberalistischen Kapitalismus oder des marxistischen Kollektivismus anzupreisen 49 , betont er den theologischen und insbesondere moraltheologischen Ausgangspunkt der Verkündigung, die darauf abzielt, das Verhalten der angesprochenen Personen zu beeinflussen. Daraus ergebe sich auch der intendierte "Einsatz für die Gerechtigkeit" je nach Auftrag, Berufung und Lage des einzelnen 50 . So appelliert der Papst an alle, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten. Sündigen könne man bei wirtschaftlichen Entscheidungen nicht nur durch Egoismus 43 Beilage VIII der Nr. 9 der deutschsprachigen Wochenausgabe des L'Osservatore Rarnano vom 26.2.1988. 44 Sollicitudo, 9. 45 Soll., 42. 46 Soll., 15. 47 Soll., 34. 48 Soll., 42. 49 Soll., 20, 41. 50 Soll., 41.
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und übersteigertes Verlangen nach Gewinn und Macht. Angesichts der bedrängenden Nöte von ungezählten Menschen im Bereich der Unterentwicklung seien auch Angst, Unentschlossenheit und Feigheit sittliche Fehlhaltungen. "Wir sind alle aufgerufen und sogar verpflichtet, uns der furchtbaren Herausforderung des letzten Jahrzehnts des zweiten Jahrtausends zu stellen; und das auch, weil die andrängenden Gefahren alle bedrohen: eine W eltwirtschaftskrise, ein Krieg ohne Grenzen, ohne Sieger und Besiegte. Angesichts einer solchen Bedrohung gilt die Unterscheidung zwischen reichen und armen Personen oder Ländern wenig, wenn auch die größere Verantwortung bei dem liegt, der mehr hat und mehr kann", lautet eine seiner eindringlichen Mahnungen 51 . Der Papst erinnert an die Interdependenz innerhalb der Weltwirtschaft. Die wechselseitige Abhängigkeit aller Teile der Weltgesellschaft sei sehr eng. "Klammert man von dieser Abhängigkeit die ethischen Forderungen aus, so führt das gerade für die Schwächsten zu traurigen Konsequenzen". Man müßte zur Verdeutlichung ergänzen: zunächst für die Schwächsten, denn in weiterer Folge ruft eine innere Dynamik und der Druck bestimmter Mechanismen sogar in den reichen Ländern negative Wirkungen hervor. Schon jetzt finde man auch in diesen Ländern "ausgeprägte Formen von Unterentwicklung. Darum sollte es unbestritten sein, daß die Entwicklung entweder allen Teilen der Welt gemeinsam zugute kommt oder einen Prozeß der Rezession auch in jenen Gegenden erleidet, die bisher einen ständigen Fortschritt zu verzeichnen hatten" 52 . Als wichtigste Beispiele für die sich anbahnende Unterentwicklung in den Industrieländern nennt der Papst die Wohnungsnot sowie das Phänomen der Arbeitslosigkeit und der Unterbeschäftigung53. Ein weiteres Phänomen, das zwar nicht überall auftrete, aber doch zu großer Sorge Anlaß gebe, sei das Problem der internationalen Verschuldung 54 . Nachdem der Papst die Nachteile der Blockbildung auch für die Zielsetzung einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung analysiert, meint er, eine Führungsrolle unter den Nationen könne nur von der Möglichkeit und Bereitschaft gerechtfertigt werden, umfassend und großzügig zum Gemeinwohl beizutragen 55 • Schwere Mißstände in Anbetracht der wahren Notwendigkeiten der Menschen und des erforderlichen Einsatzes von geeigneten Mitteln, um ihnen zu genügen, seien die Produktion und der, selbst Mauern von Blöcken überwindende, Handel mit Waffen. "Während Wirtschaftshilfen und Entwicklungspläne auf das Hindernis unüberwindlicher Barrieren von Ideologien sowie von Steuer- und Handelsgesetzen 51 52
53 54
55
Soll., Soll., Soll., Soll., Soll.,
3 Pax et Justitia
47. 17. 17, 18. 19. 23.
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stoßen, fließen Waffen jeglicher Herkunft fast ungehindert in alle Teile der Welt". Jedermann wisse, daß in gewissen Fällen die Gelder, die von der entwickelten Welt als Darlehen gegeben werden, in der unterentwickelten Welt zum Erwerb von Waffen benutzt werden. Angesichts solcher Vorfälle und der atomaren Bedrohung scheine sich das Bild der heutigen Welt, einschließlich der Wirtschaft, schneller und schneller auf eine tödliche Vernichtung hinzubewegen 56 . Die Ursachen dieser Fehlentwicklung seien zwei sittliche Feh/haltungen: auf der einen Seite die ausschließliche Gier nach Profit und auf der anderen Seite das Verlangen nach Macht mit dem Vorsatz, anderen den eigenen Willen aufzuzwingen. ,.Jeder dieser Verhaltensweisen kann man, um sie noch treffender zu kennzeichnen, die Qualifikation hinzufügen: ,um jeden Preis'. Mit anderen Worten, wir stehen vor einer Absolutsetzung menschlicher Verhaltensweisen mit allen ihren möglichen Folgen" 57 . Positiv hebt der Papst hervor, vor allem die Tatsache der gegenseitigen Abhängigkeit werde als entscheidendes System von Beziehungen in der heutigen Welt mit seinen wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und religiösen Faktoren verstanden und als moralische Kategorie angenommen. Werde die gegenseitige Abhängigkeit in diesem Sinne anerkannt, sei die ihr entsprechende Antwort als sittliches und soziales Verhalten die Solidarität. Diese wiederum sei die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das ,Gemeinwohl' einzusetzen, das heißt für das Wohl aller und eines jeden, weil wir alle für alle verantwortlich seien. Eine solche Entschlossenheit gründe in der festen Überzeugung, daß gerade jene Gier nach Profit und jener Durst nach Macht es seien, die den Weg zur vollen Entwicklung aufhalten 58 . Aus den Aussagen des Papstes spricht der Glaube an die Möglichkeit eines gerechten Wirtschattens und die Aufforderung an jeden Entscheidungsträger, in seinem Bereich solche Möglichkeiten zu suchen und zu verwirklichen. Das Ergebnis der bisherigen Überlegungen sind folgende Thesen: 1. Der Glaube an ein gerechtes Wirtschaften ist so alt wie der christliche Einfluß auf das abendländische Denken. Es handelt sich nicht nur um den Glauben an eine theoretische Möglichkeit, sondern um die Überzeugung, daß diese Möglichkeit realisiert werden kann und soll.
2. Als zielführende Wege werden, durch Einsicht in die Zusammenhänge geprägte, Gewissensentscheidungen der Verantwortlichen und wohlüberlegte Rechtsnormen angesehen. 56
57
58
Soll., 24. Soll., 37.
Soll., 38.
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3. Es besteht zwar ein Spannungsverhältnis zwischen einer gemeinwohlorientierten Ethik und dem ökonomischen Eigennutz, jedoch kein Widerspruch, weil sich das Spannungsverhältnis ausschließlich aus dem Faktum der menschlichen Unzulänglichkeit ergibt. 4. Falls der wirtschaftliche Eigennutz nicht zum Selbstzweck erhoben wird, ist er nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern auch ethisch berechtigt. 5. Der zum Selbstzweck erhobene ökonomische Eigennutz ist nicht nur ethisch verwerflich, sondern auch unter dem Aspekt rein wirtschaftlicher, erfolgsorientierter Zielsetzungen abzulehnen, weil er, längerfristig betrachtet, die Grundlagen einer gesunden Wirtschaftsentwicklung zerstört. Abschließende Gedanken
Die Aufgabe der Wirtschaftsethik ist es, unter Berücksichtigung der äußerst komplizierten ökonomischen Gesetzmäßigkeiten möglichst alle Zusammenhänge und die Auswirkungen menschlichen Handeins zu erkennen, ferner den Wirtschaftsexperten praktikable Orientierungshilfen für ihre Gewissensentscheidungen anzubieten. Nur fundierte, empirisch abgesicherte Erkenntnisse können, auf längere Sicht, das wohlverstandene Eigeninteresse und zugleich das Gemeinwohl sichern. Obwohl ich als Jurist und Anhänger des Systems der sozialen Marktwirtschaft behutsame, von Sachverstand getragene Rechtsnormen auch im wirtschaftlichen Bereich durchaus bejahe, möchte ich mich J. Meßner anschließen, der vor der Illusion gewarnt hat, es wäre ohne weiteres möglich, durch Ordnungsgesetze die Prinzipien eines gerechten Wirtschattens zu verwirklichen. Gerechtes Wirtschaften bedeutet Wirtschaften mit dem Ziel, für alle am Wirtschaftsprozeß beteiligten Personen menschenwürdige Arbeitsverhältnisse und ein menschenwürdiges Einkommen zu gewährleisten. Gerechtes Wirtschaften setzt auch den Willen des Unternehmers voraus, im Rahmen der durch Produktivität und Rentabilität gesetzten Grenzen, zur Erreichung des Ziels der Vollbeschäftigung beizutragen, weil die Probleme, die aus der sog . .,Zweidrittelgesellschaft" entstehen, eine Gefahr für das ausgewogene Sozialgefüge darstellen. Ein fertiges Rezept für ein gerechtes Wirtschaften gibt es nicht, denn es handelt sich um eine immerwährende, wenn auch nie vollkommen lösbare Aufgabe 59 , der sich die Entscheidungsträger, unter Bedachtnahme auf die Zusammenhänge, immer neu zu stellen haben. Das ist mein, vielleicht enttäuschendes, Ergebnis. Ich bin nicht in der Lage, ein Urteil darüber abzugeben, ob es ökonomisch sinnvoll ist, die Beschäftigung in irgend einem Krisengebiet aufrechtzuerhalten, bzw. ob es, wenn nein, möglich ist, alternative Arbeitsplätze zu schaffen. Ich kann nicht be59
3'
Vgl. Meßner, 144.
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urteilen, ob die chemische Industrie die Umweltprobleme verantwortlich genug sieht, und ob sie wesentlich mehr tun könnte oder sollte. Die Liste konkreter Fragen, die ich nicht beantworten kann, ließe sich beliebig erweitern. Aber es ist nun einmal so, daß konkrete Fragen nur der Sachverständige beantworten kann, dem alle Wirtschaftsdaten zur Verfügung stehen. Die Verfasser der zahlreichen kritischen Stellungnahmen zum Entwurf des Sozialhirtenbriefes der österr. Bischöfe sind sich darin einig, daß dieser fundamentalen Erkenntnis nicht immer Rechnung getragen wird. Viele Forderungen seien, so heißt es, zwar konkret, aber allzu revolutionär-naiv. Welche Haltung hätte wohl Knall eingenommen? Am Beginn meiner Überlegungen habe ich mich mit dem Vorwurf auseinandergesetzt, es sei zynisch zu sagen: ,.Herren seid gute Herren, Sklaven seid gute Sklaven". Positiv an dieser sicherlich mehrdeutigen Formel ist der Glaube an die Ansprechbarkeit des menschlichen Gewissens. Positiv ist auch die Erkenntnis, daß es schwierig ist, vorhandene Strukturen zu verändern. Aus dieser Einsicht heraus begnüge ich mich mit dem Appell an jeden einzelnen Entscheidungsträger, immer die Entscheidung zu treffen, die er aufgrund seiner Analyse der Zusammenhänge, aufgrund seines Sachverstandes, nicht zuletzt unter Bedachtnahme auf die wahrscheinlichen Auswirkungen, vor seiner höchsten Instanz, nämlich vor seinem, den Gesetzen der Wirtschaft verpflichteten, aber zugleich sittlich geprägten Gewissen verantworten kann. Wenn jeder Entscheidungsträger diese ethische Einstellung einbringt, dann leistet er damit einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung der Gerechtigkeit, ohne das legitime Ziel, den gemeinwohlorientierten ökonomischen Eigennutz, aufgeben zu müssen.
GLAUBE UNDWELTVERANTWORTUNG DER KATHOLIKEN
Gedanken nach dem II. Vatikanischen Konzil Von Herbert Schambeck, Linz I. Biblische Grundlage und kirchliche Tradition
Die Frage nach der Beziehung von Glaube und Weltverantwortung stellt sich die katholische Kirche von Anbeginn. Weltflucht und Weltbeherrschung bieten sich zumindest gedanklich als Alternativen. Sie haben im politischen Alltag durch zwei Jahrtausende die katholische Kirche begleitet, deren Weg vom Schöpferglauben Jesu Christi bestimmt wird. Er sagte schon in seinem Gebet für die Apostel: "Ich bitte nicht: Nimm sie aus der Welt, sondern: Bewahre sie vor dem Bösen." 1 In dieser Sicht hat schon Jesus Christus nicht dasWorteiner Weltflucht gesprochen, sondern vielmehr der Beziehung des Christen zur Welt ethische Maßstäbe gesetzt. Fast zwei Jahrtausende später hat Papst Pius XII. für unsere Zeit den christlichen Sinn der Weltverantwortung verdeutlicht, als er am 16. März 1946 in einer Ansprache über "Aufgaben des Seelsorgers heute" betonte: "Der Gegenstand der Glaubensverkündigung ist die katholische Lehre, d. h. die Offenbarung mit allen in ihr enthaltenen Wahrheiten, mit allen Folgerungen, die sie für das sittliche Verhalten des Menschen im persönlichen, im häuslichen und sozialen, im öffentlichen, auch politischen Leben nach sich zieht ... Die katholische Kirche wird sich nie in die vier Wände ihres Gotteshauses einschließen lassen. Die Trennung von Religion und Leben, von Kirche und Welt widerspricht dem christlichen und katholischen Denken'? Nicht unbeachtet sei auch die letzte Weihnachtsbotschaft Papst Pius XII. vom 22. Dezember 1957 über "Harmonie und Ordnung in der Welt als göttlicher Auftrag an den Menschen", in welcher er die Mitwirkung an der Ordnung der Welt als eine Forderung Gottes an den Christen bezeichnet hat: "Das Mitwirken an der Ordnung der Welt, das Gott vom Christen im allgemeinen verlangt, muß sich also vor einem Spiritualismus hüten ... das Eingreifen in Joh 17, 15f. Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens, Soziale Summe Pius XII., hgb. von Arthur-Fridolin Utz und Fulko Groner, 2. Auf!., li. Band, Freiburg 1954, Nr. 2805, S. 1399. 1
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Herbert Schamheck
die Dinge der Welt zur Erhaltung der göttlichen Ordnung ist ein Recht und eine Pflicht, die zum Wesen der Verantwortung des Christen gehören ... ". 3 II. Pius XII. und das Zweite Vatikanische Konzil Pius XII. hat in seinem langen Pontifikat, das vom Zweiten Weltkrieg und einer sich auch in der Nachkriegszeit fortsetzenden Verfolgung der Kirche in manchen Staaten Osteuropas überschattet war, zwar keine eigene Sozialenzyklika, wie etwa seine Vorgänger Leo XIII. und Pius XI. erlassen, aber in unzähligen Enunziationen bei verschiedenen Anlässen auf fast alle Einzelfragen des öffentlichen und privaten Lebens in einer dieser Weltverantwortung Rechnung tragenden Weise Antwort gegeben. 4 Er hat damit auch eine sehr breite Basis füralldie vielen Anliegen der katholischen Kirche geschaffen, die später das II. Vatikanische Konzil zum Inhalt seiner Dokumente gemacht hat, welche die katholische Kirche in den letzten Jahrzehnten begleiteten. Dieses II. Vatikanische Konzil ist, wie Agostino Kardinal Casaroli schon hervorgehoben hat, .,das erste Konzil in der Geschichte der Kirche, das eine ausdrückliche Lehre über das Verhältnis von Kirche und Welt, insbesondere auch über das Verhältnis von Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft entwickelt hat". 5 Dieses II. Vatikanische Konzil drückt schon in seiner Geschichte in einer nicht immer von allen erkannten Weise eine bestimmte Kontinuität im Wege der katholischen Kirche aus. Das II. Vatikanische Konzil geht seiner Idee nach auf Papst Pius XII. zurück 6 , einberufen hat diese Kirchenversammlung Papst Johannes XXIII., der selbst auf das noch unter Pius XII. von Kommissionen vorbereitete Material nicht mehr zurückgegriffen hatte 7 , und zu Ende geführt hat dieses Konzil Papst Paul VI., unter dessen Pontifikat bis 1978 viel an Aufgaben des II. Vatikanischen Konzils erfüllt wurde. Der Geist Pius XII. hat aber dieses Konzil in bestimmten Bereichen auch nach dem Ende seines Pontifikates in vielen Dokumenten begleitet, denn wie der schon seit 1951 bis heute als Generalvikar des Heiligen Vaters für die Utz/Groner, III. Band, Freiburg 1961, Nr. 4450, S. 2547. Man beachte etwa das umfangreiche Sachverzeichnis in Utz/Groner, a.a.O., II. Band, S. 2305-2433 sowie dies., a.a.O., III. Band, S. 3958-4014. 5 Agastino Kardinal Casaroli, Der Dialog zwischen Kirche und Wirtschaft, in: Glaube und Verantwortung, Ansprachen und Predigten von demselben, hgb. von Herbert Schambeck, Berlin 1989, S. 49. 6 Beachte dazu Giovanni Caprile, Pius XII. und das Zweite Vatikanische Konzil, in: Pius XII. zum Gedächtnis, hgb. von Herbert Schambeck, Berlin 1977, S. 649 ff. 7 Dazu Caprile, a.a.O., S. 681 f., FN 18. 3 4
Glaube und Weltverantwortung der Katholiken
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Vatikanstadt wirkende Bischof Petrus Canisius van Lierde feststellte, beziehen sich 168 Zitate in den Konzilstexten des II. Vatikanums auf Pius XII. 8 Mit Recht ist erst kürzlich in den von der Kongregation für das katholische Bildungswesen herausgegebenen "Leitlinien für das Studium und den Unterricht der Soziallehre der Kirche in der Priesterausbildung" festgestellt worden: "Mit seiner Sendung und Intelligenz im Erfassen der Zeichen der Zeit kann man Pius XII. als den unmittelbaren Vorgänger des II. Vatikanischen Konzils und der sozialen Lehre der ihm nachfolgenden Päpste betrachten". 9 111. Die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" Betrachtet man die einzelnen auf die Welt bezogenen Konzilstexte, so sind diese zwar von einer Unterscheidung von Kirche und Welt, aber nicht von einer ablehnenden Gegensätzlichkeit gekennzeichnet. Die Welt wird als Teil der göttlichen Schöpfungsordnung angesehen, in der die Kirche Christi mitgestaltend wirkt. Diese Welt wird aber nicht abgelehnt, sondern aus der Sicht des Glaubens als Auftrag angesehen. Besonders verdeutlicht dies die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes"- Die Kirchen in der Welt von heute. 10 In ihr ist die Tendenz des II. Vatikanums erkennbar, sich zwar kritisch mit der Welt auseinanderzusetzen, aber auch die eigene Glaubensansicht in gesellschaftspolitisch relevanter Weise auf die Welt zur Anwendung zu bringen. In dieser Weise besteht ein Unterschied zwischen der bemüht auf die Welt von heute hinblickende und zu helfen suchende Kirche der Gegenwart und der mehr verurteilenden Einstellung der Kirche zur Welt, wie sie sich in den päpstlichen Lehräußerungen im vergangenen Jahrhundert, wie in der Enzyklika von Gregor XVI. "Mirari vos" 1832 und dem Rundschreiben Pius IX. "Quanta cura" mit dem beigefügten "Syllabus" 1864 zeigt. Diese weltorientierte Tendenz des II. Vatikanums dokumentiert sich besonders in der Bezeichnung von "Gaudium et spes" als Pastoralkonstitution. Die Beziehung der Kirche zur Welt wird unter die Zielsetzungen der Seelsorge gestellt. Schon in der Einleitung zu diesem Konzilsdokument heißt es: 8 Petrus Canisius Johann van Lierde, Eindrücke von Person und Wirken Pius XII., in: Pius XII., Friede durch Gerechtigkeit, hgb. von Herbert Schambeck, Kevelaer 1986, S. 82. 9 Kongregation für das katholische Bildungswesen, Leitlinien für das Studium und den Unterricht der Soziallehre der Kirche in der Priesterausbildung, Rom 1988, S. 25. 10 Dazu beachte u. a. Die Kirche in der Welt von heute- Untersuchungen und Kommentare zur Pastoralkonstitution .Gaudium et spes" des II. Vatikanischen Konzils, hgb. von Guiherme Barauna, deutsche Bearbeitung von Viktor Schurr, Salzburg 1966.
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.,Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden." 1. Die Welt von heute
Gemäß diesem Anliegen ist auch die gesamte Pastoralkonstitution aufgebaut. Im ersten Teil wird die Entwicklung der Lehre vom Menschen und von der Welt, in der er lebt, und das Verhältnis beider zueinander dargestellt. Im weiteren Teil werden die verschiedenen Aspekte des heutigen Lebens und der menschlichen Gesellschaft besonders in ihrer uns aufgetragenen Problemhaftigkeit veranschaulicht. Dabei gilt es hervorzuheben, daß in diesem Teil die Thematik .,zwar den Prinzipien der Lehre unterstellt bleibt, aber nicht nur unwandelbare, sondern auch geschichtlich bedingte Elemente enthält." 11 Man kann sowohl in .,Gaudium et spes" als auch in den übrigen Konzilsdokumenten das Bemühen erkennen, bei aller erforderlichen kritischen Einstellung zur Welt dieser auch positive Aspekte abzugewinnen. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Ansprache Paul VI. vom 13. Januar 1966 verwiesen: .,Da das Wort ,Welt' mehrdeutig (polyvalent) ist, wäre es angebracht, darüber eine kurze Exegese anzustellen .... Die Welt sind wir, die Menschheit ... und die Welt ist auch der Mensch, der des göttlichen Lichts beraubt ist ... Im gegenwärtigen Falle nehmen wir diesen Ausdruck nicht direkt im abträglichen Sinn"Y Alceu Amoraso Lima hat es schon ausgedrückt: .. Paul VI., der doch schließlich am meisten autorisierte Interpret des Konzils, vergleicht treffend die Welt-Anschauung des Konzils mit der Welt-Anschauung Gottes nach dem Schöpfungswerk, als er sie gut nannte: ,quod esset bonum"'. 13 Paul VI. stellte auch in der erwähnten Ansprache weiters fest: .,Die Kirche will heute die Welt sehen in allen ihren Äußerungsformen: kosmisch, menschlich, geschichtlich, kulturell, sozial, usw. Sie will alle Dinge mit uneingeschränkter Bewunderung, mit Hochach11 Kar/ Rahner/Herbert Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, 2. Aufl., Freiburg/Basel/Wien 1966, S. 449. 12 Italienischer Originaltext, in: Insegnamenti di Paolo VI., IV /1966, Vatikan 1967, s. 22ff. 13 Alceu Amoroso Lima, Gesamtblick über die Pastoralkonstitution .Gaudium et spes", in: Die Kirche in der Welt von heute, S. 34.
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tung, mit mütterlicher Sympathie, mit großmütterlicher Liebe betrachten. Nicht als ob die Kirche ihre Augen verschließe vor den Übeln des Menschen und der Welt, besonders vor der Sünde, die den fundamentalen Ruin darstellt, vor dem Tod und auch dem Elend, dem Krieg, der Unwissenheit, der Hinfälligkeit des Lebens und der menschlichen Dinge" .14 Papst Paul II. hat damit eine pastorale Konkretheit zum Ausdruck gebracht, die sich im Inhalt einer Vielzahl päpstlicher Lehräußerungen auch vor und nach ihm finden. Sie reichen vom Schutz des ungeborenen Lebens bis zu den Fragen der aktiven und passiven Sterbehilfe und schließen auch die jeden Menschen jederzeit treffende Grenzsituation des menschlichen Leidens mit ein, dem Papst Johannes Paul II. nach seinem eigenen schmerzhaften Erleben sein Apostolisches Schreiben ,.Salvifici dolores" über den christlichen Sinn des menschlichen Leidens vom 11. Februar 1984 gewidmet hat. 2. Kirche und Welt Die Kirche stammt zwar nicht aus dieser Welt, sie steht aber in dieser Welt, getragen von Menschen dieser Welt. Sie bietet den Rahmen der zeitlichen Bedingtheiten, in denen die Menschen den Weg zur Heilstindung suchen sollen und finden können. Das II. Vatikan um hat dazu ein kirchliches Selbstverständnis erkennen lassen, das sich in mehrfacher Beziehung zur Welt und ihren Menschen äußert: es ist eine Tiefe, die von der Kirche durch ihre Lehren jedem Menschen zur Heilstindung angeboten wird, sowie der Gesellschaft und dem Staat, um das Gemeinwohl zu verwirklichen. Umgehend erfährt die Kirche selbst eine Hilfe von der heutigen Welt, weil sie jene personellen und sachlichen Bezüge beinhaltet, in der sich die Lehre der Kirche verwirklicht. In diesem Mehrfachbezug der Kirche zur Welt liegen viele Chancen, aber auch viele Gefahren. Man kann es nämlich nicht oft und deutlich genug betonen, daß die Pastoralkonstitution ,.Gaudium et spes" die Kirche in der Welt von heute zum Ziel hat, aber nicht die Welt von heute in der Kirche. Eine verweltlichte Kirche, welche die ganze Pluralität außerhalb der Kirche in ihr Inneres nehmen würde, hätte nicht die erforderliche Kraft zur Verwirklichung ihres Sendungsauftrages. 3. Innerweltliche Eigengesetzlichkeit Gerade die Pastoralkonstitution beachtet bei aller wechselseitigen Bezogenheit von Kirche und Welt die Bedeutung deren EigenständigkeiL In dieser Sicht kommt es weder auf eine Profanierung und Säkularisierung der Kirche noch auf eine Klerikalisierung der Welt an. Die Deutsche Bischofs14
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konferenz betont: ,.Die mittelalterliche Vermengung des religiösen und weltlichen Bereichs war kein christliches Ideal." 15 Das Konzil erkennt die Eigengesetzlichkeit der innerweltlichen Suchbereiche in aller Form an. Nr. 36 ist betitelt mit: ,.Die richtige Autonomie der irdischen Wirklichkeiten". ,.Durch ihr Geschaffensein selber nämlich haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methode achten muß. Vorausgesetzt, daß die methodische Forschung in allen Wissensbereichen in einer wirklich wissenschaftlichen Weise und gemäß den Normen der Sittlichkeit vorgeht, wird sie niemals in einen echten Konflikt mit dem Glauben kommen, weil die Wirklichkeiten des profanen Bereiches und die des Glaubens in demselben Gott ihren Ursprung haben." 16 Diese Anerkennung der in der Schöpfungsordnung begründeten Eigenverantwortlichkeit läßt eine Wiederholung des Falles Galileo Galilei nicht erwarten. Es ist auch kein Zufall, sondern geradezu ein Hinweis, daß sich gerade in diesem Abschnitt des Konzilsdokuments eine Fußnote befindet, die auf das Werk des Papst Johannes XXIII. gut bekannten P. Pio Paschini, Vita e opere di Galileo Galilei, 2 Bände, Vatikan 1964, hinweist. In diesem Zusammenhang sei auch die Bedeutung der Arbeit der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften hervorgehoben, die sich vor allem auf die Naturwissenschaften bezieht. In der Pastoralkonstitution hat das Konzil die immanente Seins-Logik der Wirklichkeit anerkannt und auch die Bedeutung der mathematischen, naturwissenschaftlichen und anthropologischen Wissenschaften betont. Die Bezogenheit auf die Erfahrungswissenschaften zeigt sich im Bereich der katholischen Soziallehre besonders in dem umfassenden Werk von Johannes Messner ,.Das Naturrecht", das sich im Untertitel als ,.Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik" bezeichnet und in den vielen Auflagen seines Erscheinens diese Sachbezogenheit katholischer Weltanschauung dokumentierteY Hier verdeutlichte sich in der katholischen Soziallehre die Sachbezogenheit des Glaubensauftrages besonders und zeigt ein zur Grundstruktur des Katholizismus geworden es Kennzeichen der Kirche. 15 Schreiben der Deutschen Bischofskonferenz über .Die Kirche in der pluralistischen Gesellschaft und im demokratischen Staat der Gegenwart in Anwendung der Pastoralkonstitution ,die Kirche in der Welt von heute' des Zweiten Vatikanischen Konzils", Trier 1969, S. 6. 16 Kleines Konzilskompendium, a.a.O., S. 482. 17 Siehe Johannes Messner, Das Naturrecht, Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik, 5. Auf!., Innsbruck 1966, Neudruck Berlin 1984; aber auch von dems., Du und der andere- Vom Sinn der menschlichen Gesellschaft,
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IV. Die Sachbezogenheit des Glaubensauftrages Es ist dabei interessant, wie sehr sich in bestimmter Weise diese Sachbezogenheit geradezu als ein Leitfaden durch katholische Enunziationen zieht, das gilt z. B. ebenso für die Vielzahl an Lehräußerungen Papst Pius XII. und für die gesellschaftspolitisch relevanten Aussagen des II. Vatikanischen Konzils sowie für die Enzykliken der Päpste Johannes XXIII., Paul VI. und Johannes Paul II.; sie ergeben "ein weitgehend homogenes und einheitliches Bild einer systematisch entwickelten Soziall ehre" .18 So ist es besonders u. a. um die Sozialentwicklung in den Enzykliken Materet magistra, 1961, Papst Johannes XXIII., Populorum progressio, 1967, Papst Paul VI., Octogesima adveniens, 1971, Laborern progressio, 1971, Laborern exercens, 1981, und Sollicitudo rei socialis, 1987, Papst Johannes Paul II., um die Anerkennung der Freiheit und Würde des Menschen, welche in der Gottesebenbildlichkeit der Menschen ihre Grundlage hat, in der Enzyklika Redemptor hominis, 1979, Papst Johannes Paul II., um die Friedenssicherung in der Enzyklika Pacem in terris, 1963, Papst Johannes XXIII. und als Mittel dazu des menschlichen und internationalen Miteinander im Dialog in der Enzyklika Ecclesiam suam, 1964, Papst Paul VI. gegangen. Ob nach dem Autor, dem Thema oder dem Zeitpunkt der Enzyklika, stets ergeben sich bestimmte Gesichtspunkte der Kontinuität, die einander ergänzen oder sich überschneiden. Fast jede dieser Enzykliken hat neue Gesichtspunkte gebracht, so Populorum progressio, daß Entwicklung eine neue Form von Friede ist 19 , Octogesima adveniens eine beachtenswerte Auseinandersetzung mit den Ideologien oder Laborern exercens die Bedeutung der manuellen und intellektuellen Arbeit in ihrem Neben- und Miteinander 20 . Jede dieser kirchlichen Lehräußerungen konnte auf der anderen aufbauen. Sie sind in Auseinandersetzung mit der jeweiligen Zeitsituation entstanden und deshalb mittels der historischen Methode zu studieren und zu beurteilen. Es wäre daher falsch, aus der Erkenntnis folgender Entwicklungen zeitbedingte Bemühungen zu beurteilen.
Kommentare zur Pastoralkonstitution, Köln 1969, und Das Neue Naturrecht, Gedächtnisschrift für Johannes Messner, Berlin 1985. 18 Allred Klose, Die katholische Soziallehre, ihr Anspruch, ihre Aktualität, Graz/ Wien/Köln 1979, S. 34. 19 Beachte Herber! Schambeck, Populorum progressio und das II. Vatikan um, in: Soziale Verantwortung, Festschrift für Goetz Briefs zum 80. Geburtstag, hgb. von Johannes Broermann und Philipp Herder-Dorneich, Berlin 1968, S. 587 ff. 20 Siehe dazu Herber! Schambeck, Laborern exercens und die Entwicklung der katholischen Soziallehre, in: Pro Fide et Justitia, Festschrift für Agastino Kardinal Casaroli zum 70. Geburtstag, hgb. von Herbert Schambeck, Berlin 1984, S. 831 ff.
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V. Das Wesen der kirchlichen Soziallehre
Die Grundsätze der katholischen Soziallehre, wie der Freiheit und Würde des Menschen, der Solidarität, der Subsidiarität, des Gemeinwohls, der leistungsgemeinschaftlichen bzw. berufsständischen bzw. partnerschaftliehen Ordnung mögen die Wertigkeit des mehr oder weniger allgemein Anerkannten besitzen, in ihrer zeit- und ortsorientierten Anwendung werden sie aber jeweils weiterzuentwickeln sein. Diese kirchlichen Lehräußerungen zur katholischen Soziallehre sind Sozialgestaltungsempfehlungen mit Gewissensanspruch, die sich aber von päpstlichen Dogmen mit dem Charakter der Unfehlbarkeit unterscheiden. 21 Die Beiträge der Kirche zur katholischen Soziallehre sind eine Form des Rates an den Einzelmenschen, seine Gesellschaft, seinen Staat und die Völkergemeinschaft, welche mit der mannigfachen Pluralität unserer Zeit konfrontiert sind. VI. Politischer Pluralismus im christlichen Bereich Das li. Vatikanische Konzil war sich dieser Pluralität der Zeit bewußt und sieht dieser, wie aus der Pastoralkonstitution erkennbar ist, in der Mitarbeit aller am öffentlichen Leben am besten entsprochen. Es ist interessant, daß in keinem Konzilsdokument, auch nicht in "Gaudium et spes", die Demokratie in einem eigenen Kapitel behandelt wird. Es kann aber mit Recht angenommen werden, vor allem aufgrund des Kapitels 75 der Pastoralkonstitution, daß die Demokratie, nicht als Staatsform, bezüglich der die katholische Kirche immer den Standpunkt der Neutralität vertritt 22 , sondern als politisches Ordnungssystem verstanden und von der katholischen Kirche deshalb bevorzugt wird, weil sie der Freiheit und Würde des Menschen am besten entspricht. 23 Bei dieser Mitarbeit aller am öffentlichen Leben wird die Pluralität angenommen. Die Pastoralkonstitution erklärt ausdrücklich: "Berechtigte Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Ordnung irdischer Dinge sollen sie anerkennen und die anderen, die als Einzelne oder Kollektiv 21 Siehe dazuFidelis M. Gallati 0. P., Wenn die Päpste sprechen, Wien 1960 und Herbert Schambeck, Der rechtsphilosophische und staatsrechtliche Gehalt der päpstlichen Lehräußerungen, in: Im Dienste des Rechts in Kirche und Staat, Festschrift für Franz Arnold zum 70. Geburtstag, Wien 1963, S. 59 ff. 22 Beachte Leo XIII., Enzykliken Diuturnum Illud 1881, Immortale Dei 1885 und Libertas Praestantissimum 1888 sowie Herbert Schambeck, Der Staat in der katholischen Gesellschaftslehre, in: Katholisches Soziallexikon, 2. Auf!., Innsbruck/Graz 1980, Sp. 2908 f. 23 Dazu näher Herbert Schambeck, Die Demokratie in der Lehre der katholischen Kirche, in: Convivium utrisque iuris, Festschrift für Alexander Dordet zum 60. Geburtstag, hgb. von Audomar Scheuermann, Rudolf Weiler und Günther Winkler, Wien 1976, S. 27 ff.
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solche Meinungen anständig vertreten, sollen sie achten". 24 Wie Kar! Rahner und Herbert Vorgrimler mit Recht in ihrem Kommentar dazu festgestellt haben, bedeutet dies .,nichts anderes als eine klare Absage an die noch weitverbreitete, nicht sach-, sondern machtpolitisch orientierte und weltanschaulich verbrämte, monolithische Einmütigkeit der Katholiken in politischen Fragen". 25 Keine Einzelperson, keine Partei oder andere Vereinigung hat daher das Recht, das Wort .,christlich" oder .,katholisch" mit Ausschließlichkeitsanspruch, also mit Monopolcharakter, für sich allein in Anspruch zu nehmen. Auf Grund dieser Feststellung ist es ohne weiteres möglich, daß sich mehrere Gemeinschaften, die sich als .christlich" bezeichnen, in ein und demselben Staat wahlwerbend organisieren können oder daß eine Gemeinschaft das Wort .,christlich" als Bezeichnung verwendet, die andere aber nicht, ohne daß deshalb- außer sie drückt dies in ihrer Bezeichnung oder in ihrem Programm expressis verbis aus - die andere Vereinigung als unchristlich bewertet werden kann. 1. Kein Monopolanspruch Diese Unmöglichkeit, das Wort .christlich· mit Monopolanspruch zu etikettieren, verlangt von der katholischen Kirche, ihren Repräsentanten im Kreis des Klerus und der Laien ein besonderes Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögen. Nicht auf die Bezeichnung, sondern auf das Programm und seine Ausführung in der Praxis einer politischen Partei sowie auf die Haltung in allen Bereichen des Lebens wird es ankommen, ob eine Partei und ihre Repräsentanten als christlich beurteilt und gewählt werden können. Die Akzeptanz liegt daher nicht im Vorgeredeten, sondern im Vorgelebten und Vorgehandelten an Christlichem. Die Beurteilungskriterien sind daher im Verantwortungsbereich zwischen Kirche und Politik nicht leichter, sondern schwerer, wohl aber transparenter geworden. Dabei kommt es auch- wie in der Pastoralkonstitution betont wird- darauf an, daß man das Verhältnis zwischen der politischen Gemeinschaft und der Kirche richtig sieht, so daß zwischen dem, was die Christen als einzelne oder im Verbund im eigenen Namen als Staatsbürger, die von ihrem christlichen Gewissen geleitet werden, und dem, was sie im Namen der Kirche zusammen mit ihren Hirten tun, klar unterschieden wird. 26
24
25 26
Kleines Konzilskompendium, S. 533. Kleines Konzilskompendium, S. 442. Gaudium et spes, Nr. 76.
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2. Pluralität und Übereinstimmung Wenn man die Entwicklung der letzten Jahrzehnte in der Kirche und ihr Verhältnis zu den politischen Gemeinschaften in Staat und Gesellschaft betrachtet, so muß man leider feststellen, daß diese Unterscheidung, die sehr sachgerecht getroffen wurde, nicht immer eingehalten wird. Das Wort .,christlich" bzw. auch .,katholisch" wird von verschiedenen Gremien in Anspruch genommen, ohne daß die Gemeinsamkeit im Glauben und der Kirche auch zur Gemeinsamkeit der in der Pluralität unserer Zeit so dringend erforderlichen Übereinstimmung der Überzeugungen führen würde. In vielen Fällen werden in ein- und derselben katholischen Kirche unterschiedliche Standpunkte neben- und leider auch gegeneinander geführt, z. B. in der Frage des Schutzes menschlichen Lebens im allgemeinen, der Verhütungsmittel und der Abtreibung im besonderen, weiters in der Frage nach der Stellung der Frau in der Kirche, dem Schutz der Ehe und des Sakramentenempfanges der geschiedenen Wiederverheirateten. Bedauerlich ist es auch, wenn innerkirchliche Personalvorgänge zu innerkirchlichen Auseinandersetzungen mit auch außerkirchlichen Wirkungen führen, die dem pastoralen Auftrag der Kirche abträglich sind. Hier entsteht der Eindruck, daß der Auftrag der Pastoralkonstitution, Kirche in der Welt von heute zu sein, sich verkehrt hat, nach der Welt von heute in der Kirche. Diese obengenannte Entwicklung von Konfrontationen innerhalb und außerhalb der Kirche könnte dann vermieden werden, wenn die Pluralität inner- und außerhalb der Kirche, letztere in Staat und Gesellschaft, begleitet wäre von möglichst allgemein anerkannten Grundwerten und Grundübelzeugungen, welchen eine gewisse stabilisierend wirkende Korrektiv- und Integrationsfunktion zukommen kann. 27 VII. Der Dialog Diese Grundüberzeugungen und Grundwerte sollten im Dialog zum Tragen kommen; 28 ihm hat Papst Paul VI. schon seine erste Enzyklika .,Ecclesiam suam" 1964 gewidmet und sich in dieser Weise selbst das Programm 27 Vgl. Herbert Schambeck, Die Grundwerte des öffentlichen Lebens, in: Objektivierung des Rechtsdenkens, Gedächtnisschrift für Ilmar Tammelo, hgb. von Werner Krawietz, Theo Mayer-Maly und Ota Weinberger, Berlin 1984, S. 321 ff., und ders., Grundsatzdenken in der pluralistischen Gesellschaft aus katholischer Sicht, in: Die soziale Funktion des Marktes, Festschrift für Alfred Klose zum 60. Geburtstag, hgb. von Gerhard Merk, Herbert Schamheck und Wolfgang Schmitz, Berlin 1988, S. 237 ff. 28 Dazu Giovanni Benelli, Die Kirche und der Dialog mit der Welt, in: Kirche und Staat, Fritz Eckert zum 65. Geburtstag, hgb. von Herbert Schambeck, Berlin 1976,
S. Xlff.
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eines Papstes des Dialoges gegeben. 29 Dabei hat Papst Paul VI. die erforderlichen Eigenschaften des Dialogs ebenso genannt wie auf seine Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren hingewiesen. 1. Eigenschaften des Dialogs An Eigenschaften nannte Paul VI.: .,Vor allem die Klarheit. Der Dialog setzt die Verständlichkeit voraus und fordert sie, er ist eine Gedankenmitteilung, eine Einladung, die höheren Fähigkeiten des Menschen zu betätigen ( ... ) Eine andere Eigenschaft ist dann die Sanftmut ( ... ) Der Dialog ist nicht hochmütig, verletzend oder beleidigend. Seine Autorität wohnt ihm inne durch die Wahrheit, die er darlegt, durch die Liebe, die er ausstrahlt, durch das Beispiel, das er gibt. Er ist weder Befehl noch Nötigung. Er ist friedfertig und meidet die heftigen Ausdrücke; er ist geduldig und großmütig. Das Vertrauen, das sowohl dem eigenen Worte innewohnt als auch in der Haltung des Zuhörers vonseitendes Gesprächspartners zum Ausdruck kommt: Es fördert die Annäherung und die Freundschaft. Es verbindet die Geister in der gemeinsamen Bejahung eines Wertes, die jede egoistische Zielsetzung ausschließt. Schließlich die pädagogische Klugheit, die weitgehend die psychologischen und moralischen Voraussetzungen des Zuhörers berücksichtigt; ob es sich um ein Kind, einen Ungebildeten, Unvorbereiteten, Mißtrauischen oder Feindseligen handelt. Sie bemüht sich, dessen geistige Verfassung kennenzulernen sowie auch in vernünftiger Weise sich selbst und die Form der eigenen Darlegung anzupassen, um ihm gegenüber nicht undankbar und verständnislos zu sein. In einem so geführten Dialog verwirklicht sich die Verbindung von Wahrheit und Liebe, von Klugheit und Güte" (76-77). 30 Paul VI. warnte aber auch vor den Gefahren des Dialogs: .,Das Apostolat darf keinen doppelseitigen Kompromiß eingehen bezüglich der Prinzipien des Denkens und Handelns, die unser christliches Bekenntnis kennzeichnen". 31 Der Dialog soll ja brückenschlagend sein: sichere Brücken lassen sich aber nur über feste Ufer schlagen! 2. Funktion des Dialogs Der Dialog hat eine Friedensfunktion zu erfüllen, die aber nur dann dauerhaft erfüllt ist, wenn er wahrhaftig geführt wird. Papst Johannes Paul II. lebt 29 DazuAgastino Kaulinal Casaroli, Paul VI.- Papst des Dialoges, in: Glaube und Verantwortung, S. 207 ff. 30 Ecclesiam suam Nr. 76 f. 31 Ecclesiam suam Nr. 81.
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uns in seinem Wirken diese Möglichkeit des Dialoges als einzige Alternative zur Gewalt vor, zu der er erklärte: "Im Dialog ist der Wille enthalten, unter Respektierung der Verschiedenheiten zusammen in Richtung eines gemeinsamen Zieles vorzugehen. Personen, Gruppen und Völker können verschiedene Wertungen oder Methoden der Annäherung sowie auch gegensätzliche Interessen aufweisen: Der Dialog leugnet Spannungen und Gegensätze nicht, vielmehr begegnet man diesen in loyaler Weise und setzt auf die Möglichkeit, zu Berührungspunkten zu gelangen, die die Ansprüche der einen und der anderen gerecht und gebührend zum Ausgleich bringen. Bei dieser Suche ist es offenbar, daß der Dialog keinen Zwist darstellt, bei dem die Starken ihren Gesichtspunkt den Schwachen aufzwingen, sondern eine menschliche und bereitwillige Anstrengung, um sich zusammen der objektiven Wahrheit zu nähern, dem einzigen festen Kriterium für das gemeinsame Gut, das man erreichen will. Der Dialog beleuchtet einige Grundzüge des Menschen als soziales Lebewesen: die notwendige Anerkennung des Gesprächspartners als andersgeartet als man selbst, die gegenseitige Abhängigkeit der Personen und Völker voneinander, die heilige Pflicht, das Gewissen eines jeden zu respektieren, die Forderung, Freiheit und Rechte aller zu wahren, den moralischen Einsatz, zu der Errichtung von Frei- und Toleranzräumen in der Gesellschaft und zwischen den verschiedenen Systemen beizutragen. Kein Bereich darf ausgeschlossen werden: vom familiären bis zu dem der internationalen Beziehungen reichend, erstreckt sich der Dialog in vorteilhafter Weise auf die wirtschaftlichen und die Handelsbeziehungen, auf Vergleiche von politischen Programmen, auf die friedliche Gegenüberstellung von Ideen und Überzeugungen, niemals zum Schaden, sondern immer zum Vorteil der Wahrheit." 32 Der Dialog ist das Mittel der menschlichen Verständigung gerade in einer Zeit der partnerschaftliehen Ordnung; er kann im privaten und öffentlichen, gesellschaftlichen, staatlichen und internationalen Leben eine vermittelnde Aufgabe zur Meinungs-, Urteils- und Willensbildung erfüllen. Ein Meister des Dialogs, der auch als Diplomat Seelsorger gebliebene Agastino Kardinal Casaroli, hat als ein Kenner unserer Zeit und ihrer Menschen von der "unersetzbaren Rolle" des Dialogs gesprochen, "besonders heutzutage, in einer Zeit der ausgeprägten Vorliebe für Pluralismus, des stark gewachsenen, fast eifersüchtigen Bewußtseins der eigenen Würde. Der moderne Mensch will verstehen und deshalb will er fragen, will er Einwände erheben können, will er seine eigene Meinung kundtun, bevor er seine Zustimmung gibt. Nur durch den offenen und ehrlichen Dialog ist es möglich, gemeinsam auf die Ziele der Wahrheit und des Guten zuzugehen". 33 32 L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache vom 5. September 1986, S. 11.
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3. Dialog und Diskussion Der Dialog soll eine Wechselrede sein, die zu einer Verbindung führt.
Anders die Diskussion, die schon nach der Herkunft des Namens aus dem
Lateinischen das Zerschneiden eines Gemeinsamen bedeutet.
Der Dialog soll verbinden, die Diskussion führt meist zur Unterscheidung bis zur Trennung. Das soll aber nicht heißen, daß nicht auch aus einer Diskussion ein Dialog werden kann und umgekehrt aus einem Dialog eine Diskussion. Der Dialog ist vor allem die Form der Koexistenz im demokratischen Staat mit pluralistischer Gesellschaft. Der Dialog verlangt seinen Teilnehmern viel Disziplin ab. Er soll nicht auf Überwältigung und Bezwingung des anderen abgestellt, sondern vielmehr ein Beitrag zu dessen Selbstfindung sein. Der eine ist des anderen Partner, vielleicht nicht allein im Gespräch im Dienst an Staat und Gesellschaft, sondern auch zur bewußten oder unbewußten Heilsfindung des Einzelnen. 4. Dialog und Toleranz Der Dialog wird nur dann sinnvoll geführt werden können, wenn er von der Gesinnung echter Toleranz getragen ist. Diese ist dann gegeben, wenn wir die Meinung des Mitmenschen auch dann bestehen lassen, wenn er sich nicht der eigenen Meinung anschließt, weil er nicht überzeugt werden konnte. Toleranz ist dann nicht ein Zeichen der Schwäche, nicht Gleichgültigkeit im Sinne eines Indifferentismus oder des Unvermögens zur Überwältigung des anderen, sondern der Stärke, die schon nach der Übersetzung des Wortes Toleranz aus dem Lateinischen eine Stärke des Erduldens und Ertragens ist. In dieser Sicht ist Toleranz auch eine christliche Tugend. So kann auch der Pluralismus als eine heilsgeschichtliche Notwendigkeit angesehen werden; als zum Heilsplan Gottes gehörend. Übersehen wir nicht, die Kirche war in dieser Welt immer in der Minderheit und wird sich noch lange mit dieser Pluralität abfinden müssen. 34 Die Pluralität ist daher nicht nur ein politisches, sondern auch ein pastorales Anliegen für die Kirche. 35 Casaroli, a.a.O., S. 211. Siehe so schon Herbert Schambeck, Kirche - Staat - Gesellschaft, Probleme von heute und morgen, Konfrontationen 1, Wien/Freiburg/Basel 1967, bes. S. 95ff. und 104ff. 35 Dazu Paul Mikat, Christliche Weltverantwortung in einer veränderten gesellschaftlichen Situation, in: Apostolat und Familie, Festschrift für Opilio Kardinal Rossi zum 70. Geburtstag, hgb. von Herbert Schambeck, Berlin 1980, S. 3 ff., und Joseph Kardinal Ratzinger, Christliche Orientierung in der pluralistischen Demokratie?, in: Pro Fide et Justitia, S. 747 ff. 33 34
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VII. Die Funktion des Laien Diese Pluralität stellt sich in der Kirche sowohl dem Klerus wie den Laien. Beide sind Glieder der einen Kirche, beide haben in ihrem Bereich eine sich ergänzende Aufgabe zu erfüllen. Beide sind als Getaufte Glieder der einen Kirche, der Priester hat dazu auf Grund seiner Weihe einen besonderen Pastoralauftrag, in dem ihn im Rahmen seines Lebensbereiches der Laie unterstützen kann. 36 Josef Kardinal Tomko hat es so ausgedrückt: .. Das Getauftsein ist die Wurzel der Berufung und Anfang der gemeinsamen Mission aller und jedes einzelnen Getauften. Das heißt aber nicht, daß alle alles machen sollen, aber - um das vom hl. Paulus gebrauchte Bild aufzunehmen- wie im menschlichen Körper jedes Organ die ihm eigene Funktion erfüllen muß, so gibt es auch in der Kirche eine Einheit der Sendung, aber eine Unterschiedlichkeit der Dienste, der spezifischen Berufungen, der Gaben. Es gibt einen Unterschied zwischen dem sogenannten ,allgemeinen Priestertum' aller Gläubigen und dem ,Amtspriestertum' der Hirten ... " 1. Das Wesen des Laien Worin besteht also das Eigentliche des Laien? Das Konzil bekräftigt, ,.daß es den Laien ihrer Berufung gemäß zukommt, das Reich Gottes zu suchen, indem sie sich um die zeitlichen Dinge sorgen und sie nach Gottes Willen ordnen." 37 Das II. Vatikanische Konzil hat es ja treffend ausgedrückt: ,.Den Laien ist der Weltcharakter in besonderer Weise eigen". 38 Er ist auch zur Sicherung der Stellung der Kirche in der Welt mit dem Klerus und besonders im Bereich der Politik für die zeit- und ortsbezogene Verwirklichung der katholischen Soziallehre berufen. Die Kirche existiert ja in der Öffentlichkeit von Staat und Völkergemeinschaft Die Weltverantwortung der katholischen Kirche von ihrem Glauben her ist somit nicht einem bestimmten Öffentlichkeitsanspruch verbunden; dabei ist aber klar, wie es schon Joseph Kardinal Ratzinger ausgedrückt hat, ,.daß der Öffentlichkeitsanspruch des Glaubens Pluralismus und religiöse Tole36 Audomar Scheuermann, Der Laie in der Kirche, in: Apostolat und Familie, S. 50 ff., und Herber! Schambeck, Die Verantwortung des Laien für unsere Welt, Schriftenreihe der AkV, Wien o. J. 37 JosefTomko, Die Laien berufen und gerufen, L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache vom 29. März 1985, S. 13. 38 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, Nr. 32. Siehe dazu das Nachsynodale Apostolische Schreiben Christifideles Laici von Papst Johannes Paul II. über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt 1988; beachte auch Opilio Kardinal Rossi, Die Stellung der Laien im neuen Kirchenrecht, in: Pro Fide et Justitia, S. 219 ff.
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ranz des Staates nicht beeinträchtigen darf''. 39 Eine genaue Abgrenzung dieser Bereiche des Religiösen und Staatlichen erfolgt durch die jeweilige Verfassungsordnung, innerhalb dieser vor allem in den Grundrechten, besonders der Glaubens- und Gewissensfreiheit, und durch völkerrechtliche Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und dem jeweiligen Staat, nämlich durch die Konkordate. In Österreich ist dieses Konkordat 1933 zustandegekommen und seine Anerkennung und Durchführung nach dem Zweiten Weltkrieg ist ein Teil der Geschichte der sogenannten Zweiten Republik; an dieser schließlich allgemein anerkannten Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat in Österreich hat Alfred Kostelecky durch sein jahrzehntelanges Wirken im Sekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz einen bleibenden Anteil. 40 Durch ihn wurde entscheidend dazu beigetragen, daß in Österreich der Katholizismus durch eine freie Kirche in einem freien Staat repräsentiert ist. Diese Sicherung der Rechtsstellung der katholischen Kirche in Österreich41 ist aber nicht Selbstzweck, sie steht im pastoralen Auftrag. 2. Das öffentliche Bekenntnis Der Staat mit pluralistischer Gesellschaft braucht auch den Katholizismus zu seiner ethischen Grundlage und dessen Bekenntnis in der Öffentlichkeit. Die Kirche kann so auch ihren Gläubigen ein Zeichen setzen. Joseph Kardinal Ratzinger mahnte schon: "Wenn wir nicht mehr die Kraft haben, solche Zeichen in ihrer Unverzichtbarkeit zu verstehen und festzuhalten, macht sich das Christentum verzichtbar, aber der Staat braucht öffentliche Zeichen dessen, was ihn trägt. Auch die Feiertage als öffentliche Markierungen der Zeit gehören dazu. Deswegen muß das Christentum auf solchen öffentlichen Zeichen seiner Menschlichkeit bestehen. Aber es kann freilich nur darauf bestehen, wenn die Kraft öffentlicher Überzeugung sie trägt. Darin sind wir gefordert. Wenn wir nicht überzeugt sind und nicht überzeugen können, haben wir kein Recht, Öffentlichkeit zu verlangen." 42
39 40
Joseph Kardinal Ratzinger, Christliche Orientierung, S. 760. Siehe Alfred Kostelecky, Anerkennung und Rechtsgültigkeit des Österreichi-
schen Konkordates vom 5. Juni 1933 durch die Zusatzverträge mit dem Heiligen Stuhl in den Jahren 1960 bis 1976, in: Kirche und Staat, S. 215ff. 41 Dazu Willibald Plöchl, Wesen und Funktion der Konkordate am Beispiel des Österreichischen Konkordats, in: Kirche und Staat, S. 209 ff. und Herbert Schambeck, Kirche und Staat in Österreich, in: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache vom 12. August 1983, S. 6. 42 Ratzinger, a.a.O., S. 761. 4'
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3. Der Laie als Gesellschaftsgestalter Für die Weltverantwortung der Kirche ein Zeichen zu setzen, bietet die katholische Soziallehre eine besondere Möglichkeit. Als Sozialgestaltungsempfehlung stellt sie die Möglichkeit dar, auf die jeweilige örtliche und zeitliche Situation bezogen, einen Beitrag zur Evangelisierung der Welt zu leisten. Da die katholische Soziallehre mehr allgemein gehalten ist, haben die Laien in ihrer Konkretisierung eine besondere Verantwortung: eine Verantwortung gegenüber den lehrenden Autoritäten der Kirche mit dem Papst als Vicarius Christi an der Spitze, um den Sinngehalt der verkündeten Dokumente der katholischen Soziallehre richtig zu verstehen und zu vertreten; eine Verantwortung in ihrem Staat, die grundrechtlich geschützte demokratische Freiheit gemeinwohlgerecht zu nutzen und den katholischen Standpunkt in der richtigen Form des Dialogs im Bereich aller Pluralismen zu repräsentieren und nicht zuletzt eine Verantwortung gegenüber den übrigen Katholiken, welche in der einen katholischen Kirche verschiedene Ansichten in dem Bemühen um Verwirklichung der katholischen Soziallehre vertreten. Wie heißt es schon in der Pastoralkonstitution Nr. 43: "oftmals wird gerade eine christliche Schau der Dinge ihnen eine bestimmte Lösung in einer konkreten Situation nahelegen. Aber andere Christen werden vielleicht, wie es häufiger, und zwar legitim der Fall ist, bei gleicher Gewissenhaftigkeit in der gleichen Frage zu einem anderen Urteil kommen. Wenn dann die beiderseitigen Lösungen, auch gegen den Willen der Parteien, von vielen anderen sehr leicht als eindeutige Folgerung aus der Botschaft des Evangeliums betrachtet werden, so müßte doch klar bleiben, daß in solchen Fällen niemand das Recht hat, die Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in Anspruch zu nehmen. Immer aber sollen sie in einem offenen Dialog sich gegenseitig zur Klärung der Frage zu helfen suchen; dabei sollen sie die gegenseitige Liebe bewahren und vor allem auf das Gemeinwohl bedacht sein". 43 Eine besondere Wegweisung hat die Weltverantwortung der Katholiken durch die von der Kongregation für das katholische Bildungswesen 1988 für das Studium und den Unterricht der Soziallehre der Kirche in der Priesterausbildung erlassenen eigenen Leitlinien erhalten. Sie beinhalten in einer bisher nicht vorhanden gewesenen Zusammenfassung Darlegungen über das Wesen sowie die geschichtliche Dimension der Soziallehre, über bleibende Prinzipien und Werte, Beurteilungskriterien, Richtlinien für die soziale Aktion und, als besonderen Zweck des Dokuments, über die Ausbildung. Da .den Laien ... der Weltcharakter in besonderer Weise eigen" isV 4 sind sie ja zur Verwirklichung der Soziallehre der Kirche besonders berufen. Mit 43
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und in der Kirche haben sie eine dreifache Aufgabe zu erfüllen: ,.Verteidigung und Förderung der Menschenwürde und der Menschenrechte, Aufdeckung der ungerechten Zustände und Hilfe zu positiven Veränderungen in der Gesellschaft und zum wahren Fortschritt des Menschen" 45 Die Fragen, die damit verbunden sind, richten sich auf ,.das Privateigentum, die Vergesellschaftung, die Mitbestimmung, die Unterentwicklung der Dritten Welt, den wachsenden Abstand zwischen armen und reichen Ländern, die sozioökonomische Entwicklung, den Sinngehalt der Arbeit, die internationale Verschuldung, das Problem der Obdachlosen, der heutigen Lage der Familie, der Würde der Frau, der Achtung des ungeborenen Lebens und der Fortpflanzung". 46 Es wird darauf ankommen, .,die Zeichen der Zeit zu deuten und die Wirklichkeit im Licht des Evangeliums zu interpretieren". 47 ,.Die Wirklichkeit sehen, urteilen und handeln" 48 wird erforderlich sein. In den Leitlinien wird das Erfordernis verdeutlicht, einen ,.fruchtbaren Dialog" 49 zwischen der christlichen Sozialethik und den Humanwissenschaften zu führen, wobei die klare Unterscheidung zwischen der Kompetenz der Kirche einerseits und jener der positiven Wissenschaften andererseits 50 getroffen wird. IX. Die Soziallehre der Kirche Mit dieser ihrer Soziallehre versucht die Kirche, wie es bereits Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 1987, Nr. 41, erklärte und wie sie es in diesen kürzlich verkündigten Leitlinien besonders betont, ,.mithin ,kein' dritter Weg zwischen liberalem Kapitalismus und marxistischem Kollektivismus, auch nicht eine mögliche Alternative für andere radikal entgegengesetzte Lösungen" 51 zu sein. ,.Sie ist vielmehr etwas Eigenständiges. Sie ist auch keine Ideologie, sondern die genaue Formulierung der Ergebnisse einer sorgfältigen Reflexion über die komplexen Wirklichkeiten menschlicher Existenz in der Gesellschaft und auf internationaler Ebene, und dies im Licht des Glaubens und der kirchlichen Überlieferung". 52
44 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, Nr. 31, zitiert nach dem Kleinen Konzilskompendium, S. 162. 45 Leitlinien, S. 11. 46 Leitlinien, S. 34. 47 Leitlinien, S. 13. 48 Leitlinien, S. 12. 49 Papst Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesimo adveniens 1971, Nr. 40. 50 Leitlinien, S. 15. 51 Leitlinien, S. 33. 52 Papst Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 41.
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Herbert Schamheck
X. Zustände- und Gesinnungsreform
Nach den jeweiligen zeitlichen, vor allem sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten wird es darauf ankommen, im Hinblick auf die Erfordernisse des kulturellen Fortschritts, der sozialen Sicherheit und des wirtschaftlichen Wachstums Schritte zu setzen und dabei auch auf die Notwendigkeit der Herstellung und Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit Bedacht zu nehmen. Damit will die Kirche im Hinblick auf ihre Individual- und Sozialethik .auch ihren Beitrag zur Bewußtseinsveränderung leisten, und das nicht nur in den industrialisierten Ländern, sondern auch in der Dritten Welt". 53 Ihr kommt es, wie es Agostino Kardinal Casaroli einmal betonte, darauf an, die Zuständereform eng mit der Gesinnungsreform zu verbinden. 54 In dieser Sicht ist es wichtig, zu erkennen, um mit Papst Paul VI. zu sprechen, ,.Entwicklung ist nicht gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Wachstum. Wahre Entwicklung muß umfassend sein, sie muß den ganzen Menschen im Auge haben und die gesamte Menschheit". 55 Sie ist, wie es Agostino Kardinal Casaroli ausdrückte, ,.also nicht gleichbedeutend mit ,mehr haben', sondern mit ,mehr sein'". 56 Den Weg zu diesen Zielen der Zustände- und Gesinnungsreform zu finden, wird nicht immer leicht sein; vor allem in einer Zeit vieler Pluralismen in der und um die Kirche. Die Leitlinien empfehlen, es sei vor allem in einer Zeit vielfacher, oft auch harter Diskussionen innerhalb und außerhalb der Kirche gesagt, ,.die Übung des respektvollen Dialogs". 57 Was Katholiken hier von der Welt verlangen, sollten sie auch im eigenen Bereich vorleben! Darum gilt es, auch die Forderung der Leitlinien zu beachten, die auf das Miteinander in der Kirche für die Welt gerichtet sind: ,.Am meisten zählt, wenn Geistliche und Laien eins sind und sich vereint wissen in der Teilhabe - jeder nach seinen eigenen Fähigkeiten, Kompetenzen und Funktionen - in der Vielfalt der Gaben und Ämter, an der einen Heilssendung der Kirche". 58
XI. Innerkirchliche Zusammenarbeit In den Ausführungen über .Die Stellung des Laien im neuen Kirchenrecht", hat es auch Opilio Kardinal Rossi betont, .daß die Prinzipien und 53 Agostino Kardinal Casaroli, Der Dialog zwischen Kirche und Wirtschaft, in: Glaube und Verantwortung, S. 54. 54 Casaroli, a.a.O., S. 54. 55 Papst Paul VI., Populorum progressio 1967, Nr. 14. 56 Casaroli, ,.Pacem in terris" und .Populorumprogressio", in: Glaube und Verantwortung, S. 90. 57 Leitlinien, a.a.O., S. 54.
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Normen für eine harmonische und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Laien und Amtsträgern in der Kirche festgelegt sind. Es scheint mir aber wichtig, darauf hinzuweisen, daß nur ein bestimmter Geist diese Harmonie ermöglicht. Von Laien zu sprechen bedeutet leider manchmal auch die Gefahr, die Kirche zu polarisieren. Man sieht den Klerus hier und die Laien dort - wie zwei Parteien, deren Rechte präzise abgegrenzt werden müssen, damit die Vorrechte gewahrt werden. Und die Frage nach der Macht wird immer wieder Anlaß zu Spannungen und Zwietracht. Nichts wäre falscher, als den neuen Kodex oder vielleicht sogar das Zweite Vatikanum auf die Kompetenzklärung der kirchlichen Stände zu reduzieren. Der Rückgriff des Konzils und somit auch des Kodex auf die biblischeWahrheitvom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen kann uns helfen, die Aussagen von Kodex und Konzil im rechten Licht zu sehen". 59 Gemeinsam sollten Priester und Laien den Weg der Kirche in der Verantwortung für diese Welt gehen; wenn man sich fragt nach den Möglichkeiten hierzu, dann gibt darauf Joseph Kardinal Ratzinger die Antwort: durch .die eigene Ebene des Glaubens, der Erziehung, des Zeugnisses, des Rates, des Gebetes und der dienenden Liebe". 60 Sie alle sind Voraussetzungen, daß der Katholik nicht allein proklamiert und diskutiert, sondern auch agiert. Alfred Kostelecky hat dafür in seiner Lebensarbeit ein Beispiel gegeben.
Leitlinien, Nr. 58. Opilio Kardinal Rossi, Die Stellung des Laien im neuen Kirchenrecht, in: Pro fide et iustitia, S. 227. 60 Joseph Kardinal Ratzinger, Der Auftrag der Religionangesichts der gegenwärtigen Krise von Friede und Gerechtigkeit, in: Communio, 18. Jg., Heft 2/89, S. 122. 58
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DER CHRIST UNTERWEGS IN PLURALISTISCHER GESELLSCHAFT Von Johannes Singer, Linz Von den zu feiernden siebzig Jahren spannt die Erinnerung den Bogen mehr als 35 Jahre zurück zur gemeinsamen Studienzeit in Rom. Von verschiedenen Kollegien her haben wir an der Gregoriana an verschiedenen Fakultäten studiert: Kirchenrecht und Theologie überhaupt. Ein schriftliches Examen widersteht dem Vergessen. Die Frage aus dem Kirchenrecht lautete, welche Pflichten der Staat gegenüber der Kirche habe. Ich habe dem Staat maximale Verpflichtungen auferlegt. Guter Notenerfolg stellte sich prompt ein. Bei Felix M. Cappello SJ (die Römer sagten ihm Heiligkeit nach und sein Beichtstuhl in S. Ignazio war stets belagert), einem Lehrer unseres Jubilars, finde ich das Argument wieder: Der Staat sei zur Religion, zu ihrem Schutz und ihrer Verteidigung verpflichtet; deswegen müsse er die katholische Kirche anerkennen und schützen, nicht irgendeine Religion, sondern nur die eine wahre, die von Christus gestiftete. 1 Der Weg, den der katholische Christ mit seiner Kirche bis zur Anerkennung der pluralistischen Gesellschaft zurücklegen mußte, war weit. Denn diese besagt, daß die heterogenen ökonomischen, politischen, ethnischen, kulturellen, aber auch weltanschaulichen Interessen und Ideen mit den für sie eintretenden Gruppen, Organisationen und Institutionen in grundsätzlicher Gleichberechtigung um politischen und gesellschaftlichen Einfluß ringen- und dies völlig legitim. Sie verfolgen autonom ihre Ziele, autonom auch vom Staat. Der demokratische Staat ist jene Ordnungsmacht, die den Freiheitsraum für solches Agieren offenhält; er schützt den Fundamentalkonsens, jenes Minimum an regulativen Ideen, ohne die eine pluralistische Gesellschaft zur Anarchie würde.
I. Von 1864 bis 1965 Die eine herausragende Zeitmarke sei 1864, das Jahr des berühmt-berüchtigten "Syllabus". Pius IX. hatte in dieser Auflistung von ihm verurteilter Irrtümer auch die Sätze proskribiert, daß es in unserer Zeit nicht mehr 1
Summa iuris publici ecclesiastici, Rom 51943, 239 ff.
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angehe, die katholische Religion für die einzige Staatsreligion zu halten und andere Kulte auszuschließen. Verurteilt wird die Erlaubnis zur öffentlichen Ausübung jedweden Kultes. Verurteilt wird die "öffentliche Meinung" und die Forderung, der Papst könne und müsse sich mit dem Fortschritt, mit dem Liberalismus und mit der modernen Denk- und Lebenswelt versöhnen. 2 Ultramontane Gruppen erhofften sich vom Vaticanum I (1869/70) die Verurteilung des Mißbrauchs des modernen Freiheitsbegriffes. 3 Es bestand die Angst, daß der Syllabus zum Dogma erklärt werde. 4 Wenn Leo XIII. (1878-1903) vom Verhältnis Kirche-Staat handelte, verstand er unter "Staat" den katholischen Glaubensstaat, der die Kirche als das anerkennt, als was sie sich selbst versteht. (Der weltanschaulich pluralistische Staat kann dieses Selbstverständnis der Kirche nicht nachvollziehen.) "Die Funktion der Papstenzykliken bestand auch im 20. Jahrhundert ... darin, in einem letzten Aufbäumen gegen den Wandel in der Geschichte und gegen die säkularisierte, pluralistische Gesellschaft den mittelalterlichen integralistischen Kompetenzanspruch der Hierarchie zu retten." Die moderne Demokratie wurde als Tatsache eher geduldet denn akzeptiert; erst 1944 bezog Pius XII. in seiner Weihnachtsansprache eine positive Stellung zu ihr. 5 In dessen Lehre von der Toleranz bekennt sich der Staat zum katholischen Glauben als Staatsreligion; um des Gemeinwohlswillen könne der Staat auch nichtkatholische Religionsgemeinschaften und areligiöse Weltanschauungsgemeinschaften zulassen. 6 Seit Johannes XXIII. und seiner Enzyklika "Pacem in terris", erst recht aber durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65), hat sich die Beurteilung des pluralistischen Staates grundlegend geändert: Die Kirche darf nicht mit einer politischen Gemeinschaft verwechselt werden, sie ist an kein politisches System gebunden, will sich in ihrem Apostolat nur mehr der dem Evangelium eigenen Wege und Hilfsmittel bedienen, will auf staatliche Vergünstigungen verzichten. Die Kirche nimmt immer und überall das Recht in Anspruch, das Evangelium zu verkünden. 7
II. Die Wende Damit ist das apostolisch auch verhängnisvolle "Bündnis zwischen Thron und Altar" gelöst; der Integralismus, der versucht, zuerst die politische und DS 2977-2980. Roger Aubert, Vaticanum I, Meinz 1965, 85. 4 Aubert, 107, 113, 204. 5 Pranz Homer, Die Kirche und die "christliche Demokratie", in: Concilium 23 (1987), 376f. 6 Oswald von Nell-Breuning, Lexikon für Theologie und Kirche, Das Zweite Vatikanische Konzil III, 528 f. 2 3
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soziale Machtstellung der Kirche zu sichern, um von da aus das Evangelium zu verkünden, ist verabschiedet. Die Wende wird konkret in der "Erklärung über die Religionsfreiheit", die am nämlichen 7. Dezember 1965 als letzte Konzilsaussage verabschiedet wurde. Sie beginnt bezeichnenderweise mit den Worten "Dignitatis humanae". Die Religionsfreiheit ist ein wesentliches Element des vielgestaltigen Pluralismus. Das Konzil argumentiert zuerst mit anthropologischen Gründen: Die Würde der menschlichen Person schließe die Freiheit insbesondere des Gewissens und seiner Akte mit ein, gerade auch des Glaubensaktes. Außerdem sei die Wahrheitserkenntnis nicht Besitz, sondern ein Streben. Rechte können nicht einer Wahrheit als solcher zukommen, sondern nur Personen. Unerwartet kühn ist aber, daß die Erklärung nicht nur philosophisch argumentiert, sondern aus der Mitte des Evangeliums selbst: "Jedoch hat diese Lehre von der Freiheit ihre Wurzeln in der göttlichen Offenbarung, weshalb sie von Christen um so gewissenhafter beobachtet werden muß" (Art. 9). Die Freiheit des Glaubensaktes schließe jeden Zwang aus. Breit wird vom Beispiel Christi und der Apostel her argumentiert. Die Erklärung weiß ausdrücklich, daß "bisweilen im Leben des Volkes Gottes auf seiner Pilgerfahrt- im Wechsel der menschlichen Geschichte- eine Weise des Handeins vorgekommen (ist), die dem Geist des Evangeliums wenig entsprechend, ja sogar entgegengesetzt war" (Art. 12). Johannes Paul Il. tat einen weiteren Schritt. In seiner Enzyklika "Redemptor hominis" vom 1. Fastensonntag 1979 ist es das Wesen des Staates, daß die ihn bildende Gesellschaft, das Volk, Herr seiner eigenen Geschichte ist. Dieses sein Wesen wird nicht verwirklicht, wenn die Macht von einer bestimmten Gruppe allen anderen Gliedern der Gesellschaft aufgezwungen wird (Nr. 17). Der Politologe Alexander Schwan meint, daß der Papst für die Gegenwart die pluralistische Demokratie mit dem Wesen des Staates geradezu identifiziere und die Neutralität der früheren katholischen Soziallehre in der Staatsformfrage aufgegeben sei. 8 111. Der Hintergrund des Wandels
Das Umdenken, das Neubedenken der biblischen Botschaft stieß auf dem Konzil zuerst auf harten Widerstand, wie die Geschichte der Erklärung beweist. Bei der Abstimmung gab es die ungewohnt hohe Zahl von 70 Nein-Stimmen. (Bei der Pastoralkonstitution waren es 75.) "La Stampa" schrieb: "Das Schema, das die religiöse Freiheit behandelt, stellt schon allein Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute, Art. 76. Pluralismus und Wahrheit, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Freiburg/Basel/Wien 1981, 19, 203. 7
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einen echten Fortschritt in der Lehre dar, vielleicht den größten und charakteristischsten, den das Konzil gemacht hat." 9 Man kann es verstehen, daß manchen diese Wende schwerfällt Etwa hundert Jahre hindurchhörte man es anders vorgetragen, wenn auch nicht mit unfehlbarer Autorität. Katholiken, die von ihrem christlichen Glauben her schon 1864 anders dachten, fühlten sich damals von ihrer eigenen Kirche verurteilt. 10 In diesen hundert Jahren dominierte aufgrund innerkirchlicher Maßnahmen eine einzige Philosophie und Theologie, die "neuscholastische". Dieses Denken ist in erster Linie dinghaft: Die Wahrheit, die Glaubenswahrheit, wird wie eine klar abgegrenzte, keinem Wandel ausgesetzte "Sache" gesehen, die man" besitzt", vor sich herträgt und gelegentlich leider auch als Wurfgeschoß gegen "Feinde der Wahrheit" mißbraucht. Die ChristusWahrheit ist aber nicht ein Ding, sondern ein Du, eine Person mit dem unergründlichen Reichtum der Gottessohnschaft Die eine Wahrheit, die Jesus Christus ist {Joh 14, 6), sagt sich in Glaubenssätzen aus. In immer neuen Perspektiven zielen sie den unermeßlichen Reichtum Gottes in Jesus Christus an, treffen ihn unfehlbar, irren nicht an ihm vorbei. Es hat in der Geschichte des Evangeliums freilich auch viele Artikulierungen gegeben, die das Selbstereignis Gottes in der Welt, Jesus Christus, sozusagen nur mehr gestreift oder gar nicht mehr getroffen haben. Es gibt einen echten Wandel: daß nämlich deutlichere "Strahlen" aus der "Sonne" Jesus Christus kommen. Die Geschichte der Verkündigung und in ihr die Konzilien beweisen es. Es steht bereits im vierten Evangelium: Der Geist der Wahrheit wird von dem, was Jesu ist, nehmen, und die Jüngergemeinde in die ganze Wahrheit führen {16, 13 f ). DerWandel besteht darin, daß Gottes Geist mit der Kirche wandert, tiefer in die Christuswahrheit hinein, und davor bewahrt, sie zu verfehlen. Es geht nicht an, dem Heiligen Geist "Hausverbot" zu geben, das Verbot, im Haus Gottes alles zu lehren und an alles zu erinnern, was Christus gesagt hat {14, 26). Der Wandel zwischen 1864 und 1965 steht in einem noch größeren Zusammenhang, in einem noch tieferen Wandel. Seit langem verstand sich die Kirche als eine Gemeinschaft, die in ihrer Selbständigkeit {als "societas perfecta") eher von außen den menschlichen Gesellschaften gegenübersteht -dies mit dem Geruch, nichts wie ein ständig "warnender Zeigefinger" und unbelehrbarer Alles- und Besserwisser zu sein. Die Wende des Konzils bestand darin, mit der Menschheit zusammen den Weg in die Zukunft gehen zu wollen, .ihre Freude und Hoffnung, Trauer und Angst" zu teilen und ihr das Beste zu geben, das sie hat: ihren Christus, den "vollkommenen Menschen" und die neue Vergemeinschaftung in ihm. Das Belehren wird vom 9 Turin 9.12.1965, zitiert in: Lexikon für Theologie und Kirche, Das Zweite Vatikanische Konzil II, 711. 10 Aubert, 29.
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Dialog abgelöst: .,Als Zeuge und Künder des Glaubens des gesamten in Christus geeinten Volkes Gottes kann daher das Konzil dessen Verbundenheit, Achtung und Liebe gegenüber der gesamten Menschheitsfamilie, der dieses ja selbst eingefügt ist, nicht beredter bekunden als dadurch, daß es mit ihr in einen Dialog eintritt überall diese verschiedenen Probleme; daß es das Licht des Evangeliums bringt und daß es dem Menschengeschlecht jene Heilskräfte bietet, die die Kirche selbst, vom Heiligen Geist geleitet, von ihrem Gründer empfängt. "11 Die Kirche folgt darin dem Beispiel ihres Herrn. Jesus trat zuerst von außen an das Unheil der Welt heran. Zum .,Heil der Welt" aber wurde er, als er das Unheil der Welt in seiner Person, von innen her, durchlitt
IV. Im Dienst an der pluralistischen Gesellschaft Der katholische Christ wird in der Gemeinschaft seiner Kirche den Pilgerweg der Menschheit - sie wird wachsend die eine - eine Etappe weit mitgehen und ihr seine guten Dienste leisten. Er darf es im Auftrag seines Glaubens tun. Er darf einschwingen in die Opferbewegung Jesu Christi, der sich seinem dieWeltliebenden Vater zur Verfügung stellte, damit dieser ihn dem Heil der Welt opfere. Der Dienst an derWeltund Menschheit ist durch Christus zum Gottesdienst geworden. Die Grenze zwischen profan und sakral ist aufgehoben. Der fundamentale Dienst des Christen an der pluralistischen Gesellschaft und ihrer demokratischen Staatsform ist ihre Bejahung, ihre aktive Bejahung, diese wieder aus dem zentralen christlichen Motiv heraus. Denn vom Großen Gebot her müßten Christen hierin mehr tun als andere. Ihre Mitarbeit und ihr Wächteramt ist gefordert, das Ethos der Demokratie als einer pluralen zu erhalten. Denn es kann- gerade auch vom kirchlichen Lehramt her- kein Zurück zu weltanschaulich geschlossenen Gesellschaften geben. Der Christ bejaht die pluralistische Gesellschaft vor allem dadurch, daß er den zur Wertverwirklichung angebotenen Freiheitsraum zur Entscheidung genützt hat, zur freiesten und radikalsten, zur Glaubensentscheidung: das Menschsein in der Christusgemeinschaft zu verwirklichen. Wer sich zu nichts entscheidet, weil ihm alles gleichgültig ist, untergräbt die freiheitliche Gesellschaftsform, denn auch sie ist ihm gleichgültig. Und dann erfließen gerade aus der gläubig angenommenen Christusgemeinschaft Werte, durch die jede Gemeinschaft und Gesellschaft von innen her aufgebaut wird: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung (Gal 5, 22 f.) . .,Wer Christus, dem vollkommenen Menschen, 11
Pastorale Konstitution, Art. 1 und 3.
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folgt, wird auch selbst mehr Mensch." 12 Durch die Hebung der menschlichen Personenwürde, durch die Festigung des menschlichen Gemeinschaftsgefüges, durch die Erfüllung des alltäglichen menschlichen Schaffens mit tieferer Sinnhaftigkeit und Bedeutung ,.glaubt die Kirche, durch ihre einzelnen Glieder und als ganze viel zu einer humaneren Gestaltung der Menschheitsfamilie beitragen zu können. 13 ,.Die Kirche ... trägt dazu bei, daß sich innerhalb der Grenzen einer Nation und im Verhältnis zwischen den Völkern Gerechtigkeit und Liebe entfalten. Indem sie nämlich die Wahrheit des Evangeliums verkündet und alle Bereiche menschlichen Handeins durch ihre Lehre und das Zeugnis der Christen erhellt, achtet und fördert sie auch die politische Freiheit der Bürger und ihre Verantwortlichkeit." 14 Es wird heute als dringende Notwendigkeit und Verantwortung empfunden, daß die Laien Zeugnis geben für jene menschlichen Werte des Evangeliums, die zutiefst mit der politischen Tätigkeit verbunden sind: Freiheit und Gerechtigkeit, Solidarität und selbstlose Hingabe an das Wohl aller, einfacher Lebensstil, Vorliebe für die Armen und LetztenY Im Laufe der Geschichte sind christlich-humane Inhalte gesellschaftliches Allgemeingut geworden. Anonym christlich wirken sie erhaltend und aufbauend. Das Studium anderer Kulturen ist da recht aufschlußreich. 16 Ein Beitrag der Gegenwart ist es, wenn eine Bewegung von ihren Mitgliedern den ,.Zeitzehent" (Widmung von etwa einem Zehntel der für die Erwerbsarbeit aufgewendeten Zeit für Dienste am Gemeinschaftswohl) und ,.Entmonetarisierung" (Verzicht auf Entgelt für solche Dienste) verlangt.
V. Unterwegs zu Toleranz und Dialog Sie ist als hochaktuelle Gestalt der Nächstenliebe bis zur Feindesliebe der christliche Gegensatz zum unchristlichen Fanatismus. Toleranz ist aus nicht nur einem Grund schwierig. Es ist in der Tat nicht leicht, ohne Feinde auskommen zu sollen. Die Gottesliebe von uns Christen begnügt sich oft damit, vermeintliche Feinde Gottes zu hassen. Unter den einheitsstiftenden Faktoren einer Gruppe steht der gemeinsame Gegner an erster Stelle, wie empirische Untersuchungen ergeben haben. 17 - Toleranz kann aber auch aus einem durchaus positiven Grund schwer fallen. Wer im Evangelium für Pastorale Konstitution, Art. 41. Pastorale Konstitution, Art. 40. 14 Pastorale Konstitution, Art. 76. 15 Johannes Paul I/., Nachsynodales Schreiben Christifideles laici, Nr. 42. 16 Solche Vergleichsmomente bietet z. B. William Tarn, Die Kultur der hellenistischen Welt, Darmstadt 3 1966. 17 Heinrich Schneider, Grundwerte eine Leerformel in Diskussion, in: actio catholica, Heft 3, 1978, 30. 12
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sein Leben den .. Schatz" und die .,Perle" gefunden hat, den drängt es, andere den nämlichen Weg zu führen. Es ist nicht jedermanns Sache, es dem Herrn gleichzutun, der an die Tür klopft und wartet, bis er eingelassen wird (vgl. Offb 3, 20). In Lessings .. Nathan der Weise" ist es eine Christin, die aus Liebe andere mit ihrem wahren Weg zu Gott quälen muß. 18 - Und ist nicht eine Religion mit einem Absolutheitsanspruch aus ihrem Wesen heraus intolerant? Es wird darauf ankommen, ob dieser Anspruch die anderen ein- oder ausschließt. Es ist also genauer zuzusehen. Toleranz ist das Gelten- und Gewährenlassen anderer Freiheit. Es gibt sie als bloße Duldung des Andersartigen und als Offenheit für Unterschiede, ja sogar als deren freie Anerkennung. Die Toleranz gründet in der Würde und Freiheit der menschlichen Person. Sie gründet im Interesse an der Wahrheit. Weil niemand gegen Irrtum immun und weil die Wahrheit perspektivisch reich ist, ist die Toleranz die größere Chance, der Wahrheit näherzukommen ... Wer tolerant ist, sucht nicht länger ein Leben, das auf Selbstbehauptung durch gewaltsame Bekehrung oder aber auf Überwindung des Gegners angelegt ist." 19 Zu solcher Toleranz verpflichtet die Christusbotschaft Der unbegreiflich tolerante Vater im Himmelläßt die Sonne aufgehen über Guten und Bösen, und er läßt es regnen über Gerechte und Ungerechte (Mt 5, 45). Die Feindesliebe und das Gebet für die Verfolger sind es, die Menschen zu Söhnen dieses Vaters macht. Nicht anders der Sohn Jesus Christus: Die beiden Brüder wollen über die ungastlichen Samariter vernichtendes Feuer vom Himmel fallen lassen, er aber weist sie zurecht (Lk 9, 53 ff ). Das Unkraut unter dem Weizen darf wachsen bis zur Ernte (Mt 13, 30). Der Christ kann gelassen sein, weil er die Menschheit und jeden Menschen Gott überlassen kann. Gerade aber von diesem Gott her wird die Toleranz in Anklage, Kritik und Protest übergehen müssen, wo die Freiheit und Würde des Menschen verletzt werden. Toleranz bewährt sich im Dialog. Er ist nicht nur ein harmloser Austausch von Meinungen, nicht nur der Verzicht, etwas für den anderen Wesentliches sagen zu wollen. Dialog ist auch nicht die Verlegenheit, den Gegner hinnehmen zu müssen, weil die Macht fehlt, ihn zu vernichten. Denn der Dialog verzichtet von vornherein auf Gewalt, nämlich eine Gesinnung oder ein Verhalten zu bewirken, ohne an die Einsicht und freie Zustimmung zu appellieren. Der andere muß auch nein sagen könnenangesichtsder Gesinnung, die man vermitteln will. Wenn ich von meinem Glauben her christliche Hoffnung für den atheistischen Dialogpartner habe, muß ich ihm die Freiheit einräumen, daß er meine Hoffnung für ihn nicht zu der seinen macht 18 19
5. Aufzug, 6. Auftritt.
Otfried Höffe, Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe 3, 376.
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- wie er auch mir die Freiheit einräumen muß, für ihn diese Hoffnung zu haben. Dialog lebt davon, einander Freiheit einzuräumen, darin auch die, duch Argumentieren zu überzeugen. Das bedeutet, daß jeder den anderen in seiner Menschenwürde bejaht und respektiert. Echter Dialog wagt sich selbst: Man sucht das Nein des Gegners in sich selbst zu entdecken und stößt vielleicht zu jener Erfahrung vor, von der her der Gegner zu seinem Nein gekommen ist. Ich kann auf diesem Weg zu einem volleren Ja meiner eigenen Überzeugung kommen. Man kann unendlich viel voneinander lernen und hat nie ausgelernt. Karl Rahner hat 1965 anläßlich der Überreichung des Reuchlin-Preises der Stadt Pforzheim in einem Vortrag über den Dialog in der pluralistischen Gesellschaft auf ein besonderes Problem hingewiesen: daß Weltanschauungen, von denen jede einen universalen Anspruch erhebt (Christentum und atheistischer Humanismus), jetzt zum ersten Mal in der Geschichte in denselben Räumen auftreten. Der Dialog ist dann die einzig mögliche Form der Koexistenz. Er ist bei aller Universalität des Anspruchs - Christus als alleiniges Heil der Welt - möglich, weil die Realisierung des Evangeliums immer ein unvollendeter Prozeß ist, die Möglichkeiten der Realisierung immer erst noch eingeholt werden müssen. Die Glaubenden nehmen in Besitz, was sie unausgelotet schon hatten. Auch dies ist ein Weg, auf dem der Geist der Wahrheit in die ganze Wahrheit einführt (vgl. Joh 16, 13). 20 Solche Überlegungen machen uns Christen freilich auch traurig. Denn es wurde von Christen in Christi Namen unendlich viel gegen Toleranz und Dialog gesündigt. Wir verurteilen sie nicht, damit wir nicht selbst verurteilt werden (vgl. Mt 7, 1). Wir müssen aber festhalten: Wer immer wann und wo immer gegen Toleranz und Dialog sündigt, kann sich nicht auf das Evangelium berufen- anders als der Muslime, dem in der neunten Sure des Korans der "heilige Krieg" (unter bestimmten Bedingungen) geboten ist. Da es in der Kirche fundamentalistische Strömungen gibt und da solche, wenn sie die Macht haben, andere das Fürchten lehren, ist der Christ dem pluralistischen Staat dankbar, wenn vergangene Zeiten nicht wiederkehren können. Der katholische Glaubensstaat und sein Integralismus sind zumindest als Traum nicht ausgestorben. Die Einübung und Praxis von Toleranz und Dialog sind ein wertvoller Dienst des Christen an der pluralistischen Gesellschaft. Hier gebührt ein besonderer Dank Papst Paul VI., der in seiner Antrittsenzyklika "Ecclesiam Suam" vom Jahre 1964 den Dialog als eine der Haltungen forderte, welche die katholische Kirche in dieser Stunde der Weltgeschichte einnehmen muß. Dem inneren Antrieb der Liebe, die danach strebt, sich zur äußeren Gabe der Liebe zu machen, will der Papst den Namen .Dialog" (colloquium) geben. Der Dialog schließt eine aprioristische Verurteilung, eine beleidigende und 20
Schriften zur Theologie VI, 46-58.
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gewohnheitsmäßige Polemik und eitles, unnützes Reden aus und zielt nicht auf eine Bekehrung des Gegners ab, da sie seine Würde und Freiheit achtet. Er läßt uns auch in den Meinungen der anderen Wahrheitselemente entdecken.21 Von diesem kostbaren Dokument kirchlicher Lehrverkündigung hört man gegenwärtig nichts mehr. Es ist in Vergessenheit geraten. Da und dort wird der Dialog, weil man im Vollbesitz der Wahrheit schon sei, geradezu als unkirchlich zurückgewiesen. VI. Wider die Labilität der pluralistischen Gesellschaft Viel Negatives sagt man ihr nicht zu Unrecht nach. Beklagt wird die Desintegration, die Auflösung der Gesellschaft, der Verlust der Einheit sowohl der Gesellschaft als auch der Person. Sie werde weniger als Chance der Freiheitsgewähr aufgefaßt, denn als Überforderung und Belastung empfunden, unter der man leidet. Sinn- und Orientierungskrisen werde Vorschub geleistet. Die pluralistische Gesellschaft gleiche einem weltanschaulichen Warenhaus, das zu Relativismus und Nihilismus verführt, zur weltanschaulichen Heimatlosigkeit.- Dazu kommt noch die Heimatlosigkeit der Person als solcher: das Zerfallen des einen Menschen in die vielen Rollen, die er zu spielen hat. Die pluralistische Gesellschaft ist, im Bilde gesprochen, ein Ineinander zahlreicher Kreise, die, unsystematisch und beweglich zugeordnet, einander teilweise überschneiden. Der Mensch steht in einer Vielzahl dieser Kreise: als Städter, Mieter, Angestellter, Familienerhalter, Vereinsmitglied usw. Nur seine Funktion ist jeweils gefragt, einmal diese, einmal jene; in jeder ist er ersetzbar. Kaum irgendwo ist er als diese einmalige und unersetzbare Person gefragt. Der Hunger nach dem "Himmelsbrot des Selbstseins" (M. Buher) wird nicht gestillt. Die Labilität der Gesellschaft und die der Person bedingen einander. Glauben wäre die heilende Gegenbewegung. Denn christliches Glauben, Glauben an den Christus Gottes, um mit ihm und in ihm an seinen Gott zu glauben, ist ein Sicheingründen mit und durch den Sohn in den absolut guten Vater- dies in einer Tiefe, aus der nur der Sohn kommt und zu der eben nur der Sohn führen kann (vgl. Mt 11, 27). Glauben ist im biblischen Denken ungleich mehr als nur ein Fürwahrhalten göttlicher Informationen; Glauben ist ein Standfassen der ganzen Person in Gott. Das bedeutet für den Gläubigen, daß seine Person als solche bejaht wird - und dies mit göttlicher Wucht. Das ist unüberbietbarer Identitätsgewinn, denn es ist das Du des Abba-Vaters, an dem er zum Ich wird. Radikaler kann er nicht gehalten werden. Er hat "Boden unter den Füßen", ein weiteres Fallen ist nicht mehr möglich. Er ist beheimatet. Das Gebet, so wurde gesagt, ist die Bitte um 21
Acta Apostolicae Sedis 56 (1964), 637-695.
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Fühlung der Gotteswirklichkeit Gebet ist ja sich aussprechendes Glauben. Dem Zerfallen des Menschen in die vielen Rollen wird ein heilsames Gegengewicht geboten. Er ist jetzt nicht mehr ein loses Bündel von Funktionen, er ist Mensch. Und der Grund, in dem er gründet, ist nur einer, jener eine, in dem alles gründet, ob es darum weiß oder nicht, ob es diesen Grund akzeptiert oder nicht. Die unüberschaubare Pluralität der Welt braucht nicht mehr zu ängstigen, denn das ängstigende Chaos überläßt der Glaubende seinem Gott zur Aufhebung; bei ihm ist es am besten aufgehoben. Umgekehrt ist die pluralistische Gesellschaft für den Glauben eine Chance, insofern er als Entscheidung über das Ganze des Menschseins in ihr reiner verwirklicht werden kann als in der eher integralen Gesellschaft des Mittelalters. Nun ist aber das Christentum eine Religion der radikalen Menschwerdung des Menschen und der Menschheit durch die Menschwerdung Gottes. Gottes Heil an seiner geliebten Welt geschieht durch den menschlichen Heiland, der viel Platz an seiner Seite hat, um die Seinen an solchem Tun teilhaben zu lassen. Gott liebt durch liebende Menschen, erlöst durch erlösende Menschen, heilt durch heilende Menschen. Dann gilt auch: Gott gibt Halt durch haltgebende Menschen, die sogar nicht nur als einzelne Halt geben, sondern als Gemeinschaft, die sie in Christus sind. Seine Gemeinschaft, die er dem Jünger schenkt, ist in einem damit Gemeinschaft der Jünger untereinander. Seine Kommunikationsgestalt, der eucharistische Leib, macht die vielen zu einem einzigen Leib (1 Kor 10, 17), macht sie zu seiner Kirche. Inmitten der pluralistischen Gesellschaft gibt es auch diese mit ihrer besonderen Gemeinschaftsqualität, der JesusChristus-Oualität. Diese Gemeinschaft ist und müßte deswegen eine Alternative zu anderen sein, ihre Geschwisterlichkeil eine überbietende Alternative (und darin Kritik) zu Demokratie und demokratischen Strukturen. Der Christ hat in seiner Kirche einen Modellfall von Pluralität, der ein Ort ihrer Einübung sein müßte: die Pluralität ihrer Kulturen, ihrer Riten und Kirchensprachen, der Vergemeinschaftungen in ihr, der Spiritualitäten, der Theologien, der Teil- und Ortskirchen. Umgekehrt ist für den Christen ohne Verwurzelung in der Gemeinschaft der Kirche die pluralistische Gesellschaft nicht zu bestehen: "Mit der möglichen Ausnahme ganz weniger Bereiche unmittelbarer persönlicher Erfahrung sind Menschen auf die soziale Bestätigung ihres Glaubens an die Realität angewiesen." 22 Und es gilt: Gott bejaht durch bejahende Menschen, nämlich den Menschen in seinem einmaligen Personsein. Und erst recht hat zu gelten, daß Gott durch die Gemeinschaft der Kirche dies tut, den einzelnen betreffend wie die ganze Menschheit. Die Mitbejahung der von Gott absteigenden Selbstopferung an die Menschen zu ihrem Heil hat hinreißende Vorbilder in 22
Peter L. Berger, Der Zwang zur Häresie, Frankfurt a. M. 1979, 31.
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Vergangenheit und Gegenwart; wir haben aber, was unser Gottesbild und unseres Gottesverehrung betrifft, die kompromißlose Weltzuwendung Gottes in Inkarnation und Kreuz vermutlich erst anfanghaft begriffen. Das Einschwingen in diese Weltbejahung Gottes ist das Gegenteil von Egoismus, der letztlich der Tod jeder Gesellschaft ist, der pluralistischen erst recht. Denn auch die Freiheit ist egoistisch versklavt. Sie ist so, wie sie vorkommt, nicht das, was sie sein sollte. Sie bedarf der Befreiung, der Befreiung zur Liebe. Durch Geliebtwerden wird der Mensch zum Liebenkönnen befreit. Der Christ weiß sich im befreienden Kraftfeld jenes Gottes, der "Liebe ist" (1 Joh 4, 8.16). VII. Mut zum Eigenen
Der Christ unserer Breiten und anderswo ist unterwegs mit der pluralistischen Gesellschaft. In ihr wird der Kirche und dem Christen Mut zur Eigenständigkeil abverlangt, mutiges Stehen zu den eigenen Werten, Profilierung genuiner christlicher Moral, die ungleich mehr ist als bürgerliche Anständigkeit. Es ist der Mut, eine andere Vergemeinschaftung zu leben, nämlich die in Christus. "Gleicht euch nicht der Welt an" (Röm 12, 2): Christen müßten geborene Nonkonformisten sein. Es ist der Mut, "Salz" und "Sauerteig" der Gesellschaft zu sein. Es ist weder ein Dienst am Heil Gottes für die Welt noch ein Dienst an der pluralistischen Gesellschaft, wenn die Differenz, das Gegenüber, eingeebnet wird, wie man modischerweise rät. Dieser Beitrag zur Festschrift sei dem Jubilar in seiner Funktion als Sekretär der Österreichischen Bischofskonferenz gewidmet, insofern gerade diese Tätigkeit der Kontakt zwischen der Kirche Österreichs und unserem pluralistischen Staat ist.
DAS LAIENAPOSTOLAT IN ÖSTERREICH NACH CHRISTIFIDELES LAICI Von Ernst Waldstein-Wartenberg, Klagenfurt I. Der große Umbruch Fast ein Vierteljahrhundert nach dem Abschluß des 2. Vatikanischen Konzils sieht sich die Katholische Kirche in Österreich vor die Aufgabe gestellt, die Art und Weise ihres pastoralen Wirkens zu überprüfen. Vieles davon, das sich durch lange Zeit hindurch bewährt hat, greift heute nicht mehr so recht; vieles an "Werkzeugen" - einschließlich einer stattlichen Anzahl von Priestern- steht nicht mehr im seihen Ausmaß zur Verfügung; neue Fragen und Probleme schieben sich in den Vordergrund und fordern neue, zum Teil noch zu findende Antworten. Wäre die Kirche nur eine gesellschaftliche Institution wie andere auch, dann könnte die Sorge um ihre Zukunft unter den für sie Verantwortlichen vielleicht Furcht und Schrecken auslösen. Wer aber daran glaubt, daß sie eine Stiftung Christi ist, die ins Ewige hinüberreicht, sollte bei aller notwendigen Sorge darum, ob er seinem eigenen Anteil an der Verantwortung ausreichend nachkomt, nicht ängstlich sein wie die Apostel im Schiff am See Genesareth, als der große Sturm aufzog: "kleingläubig" nannte sie der Herr
(Mt 8, 26).
Angst ebenso wie Unbekümmertheit trüben den Blick auf die Wirklichkeit, der so notwendig ist, um die Zeichen der Zeit zu erkennen und richtig zu beurteilen, ehe man auf sie reagiert. Ein getrübter Blick aber verkürzt die Sicht, wird daher leicht an Vordergründigem hängenbleiben und gerät in Gefahr, Symptome für Ursachen zu halten. Bei alldem sollte es unbestritten bleiben, daß unsere Kirche heute in einer Umbruchphase steht, die sehr, sehr tief in ihr äußeres Erscheinungsbild eingreift und damit auch ihre Wirkweise in der Gesellschaft verändern wird. Dieser Umbruch kündigt sich schon seit 250 Jahren schrittweise an und es wäre darum grotesk, wollte man seine Ursachen im 2. Vaticanum suchen, das ja erst knapp 25 Jahre her ist. Seit der Christianisierung unseres Landes, die "von oben her" erfolgte, waren Staat und Kirche eng aneinander gebunden, und Europa "wohnte im
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geistigen Haus der Kirche". Mit Hilfe der Aufklärung ist nun Europa und damit auch Österreich ziemlich weitgehend aus diesem Haus ausgezogen, wenn auch die jahrhundertelange Prägung durch das Christentum nicht zu leugnen ist. Um bei diesem Bild zu bleiben: der Fortgezogene fühlt sich nunmehr außerhalb des Hauses nicht mehr an die alte Hausordnung gebunden, unter der manalldie Jahrhunderte gestanden war; er ist ,.aufgeklärt", ,.mündig" geworden, hat mit dem höheren Bildungsniveau mehr Eigenverantwortung und auch mehr Befähigung zur Mitverantwortung für die menschliche Gemeinschaft um sich herum übernommen. Die Kirche reagierte auf diesen Vorgang zunächst vor allem defensiv, indem sie versuchte, weiterhin ihr geistiges ,.Hausrecht" auch für die Fortgezogenen auszuüben, um so die Mitglieder der Kirche mit institutionellen Mitteln zu religiöser Praxis anzuhalten. Eine wachsende Zahl Weitsichtiger sah aber bald, daß diese Entwicklung unumkehrbar war und nicht nur negative Konsequenzen hatte, sondern durchaus auch neue Chancen für das Wirken der Kirche bot. Österreich war da sicher ein Land der Weitsichtigen, wie etwa die volksliturgische Bewegung und die Bibelbewegung beweisen. Das 2. Vatikanische Konzil hat die Zuwendung der Katholischen Kirche zurWeltnach der langen Zeit der Defensive gegen Aufklärung und Säkularisierung weltweit vollzogen. Für viele, vor allem junge Menschen, hat die Kirche damit sehr an Attraktion gewonnen. Zahlreiche Menschen, die sich, aus welchen Gründen immer, der Kirche entfremdet hatten, begannen sich wieder für sie zu interessieren. So manchen Menschen mag dieses neue Werben um die Menschen als ein Schwächezeichen für die Kirche gelten; wenn aber Christus selbst die freie Entscheidung für ihn will, dann ist es an uns, die Menschen um uns neugierig auf Gott zu machen! Dieses gesteigerte Interesse steht in einem scheinbaren Gegensatz zur Abnahme religiöser Praxis, die ihre Ursache im fortschreitenden Säkularismus mit seinem Drang nach dem schnellen innerweltlichen Glück, aber auch, wie gesagt, in der schwindenden Wirkung einer christlich geprägten Gesellschaft hat, die bewirkt, daß sich viele Menschen einer weithin formal gewordenen, mehr äußerlichen Teilnahme am kirchlichen Leben entziehen. Trotzdem sollte man es sich nicht zu leicht machen und dies als eine .Frontbegradigung"* im Kampf um eine .ehrliche" Mitgliedschaft in der Kirche abtun; vielmehr sollte diese Erkenntnis Teil einer Analyse sein, die zu einer klaren Sicht der neuen Aufgabenstellung hinführt.
• .Frontbegradigung" war der beschönigende Ausdruck für die unfreiwillige Preisgabe eines militärisch besetzten Gebietes in den Rückzugsgefechten der deutschen Truppen gegen Ende des 2. Weltkrieges.
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II. Das wiedergefundene Kirchenbild 1. Die Communio- Theologie Den wohl stärksten Impuls für die Stellung und Aufgabe der Laien in der Kirche nach dem 2. Vatikanischen Konzil bringt die Ausfaltung der Communio-Theologie, die- im Konzil grundgelegt-insbesondere von der a. o. Bischofssynode 1985 weiterentwickelt wurde. Die ganze Konsequenz dieser neu entfalteten Sicht der Kirche läßt sich heute noch gar nicht absehen, bringt aber schon jetzt Perspektiven für Berufung und Sendung der Laien, die Mut zum apostolischen Engagement machen können. Die Communio der Trinität, in die durch die Erlösungstat Christi in der Taufe jeder Christ hineingenommen ist, Bruder oder Schwester Christi und Kind Gottes geworden ist, steht jetzt ganz im Vordergrund unserer Sicht der Kirche. Nach Jahrhunderten, in denen sich der Laie in erster Linie als ein Objekt der Pastoral für Bischöfe und Priester gesehen hatte, überfällt uns jetzt geradezu die Dynamik der fundamentalen Gleichheit aller Getauften. Im Vorbereitungspapier der Bischofssynode 1987, dem Instrumenturn laboris, wird sehr einsichtig dargelegt, daß die Konsequenz der - angenommenen- Berufung, die Einbeziehung in die Communio mit Gott, ins Transzendentale reicht, während die Missio, der Sendungsauftrag, auf das Leben in dieser Welt begrenzt ist. 2. Tauf- und Firmbewußtsein Was für manchen vielleicht erschreckend sein wird, ist die Tatsache, daß die Berufung in die Communio keinesfalls als passive Mitgliedschaft in der Kirche, auch nicht als Verantwortung nur für die eigene Person verstanden werden darf, sondern- weil Teilhabe an der Communio- aktive Mitverantwortung für die Kirche heißt. Diese Berufung in die Communio der Kirche erfolgt in unseren Breiten üblicherweise durch die Kindestaufe, also noch ohne Willenserklärung des Täuflings. Trotzdem bleibt sie nicht ein einseitiger Gnadenakt Gottes, da er es ja den Menschen freistellt, diese Berufung anzunehmen oder auch abzulehnen; die Annahme der Berufung ist später vom Getauften nachzuholen; Eltern, Paten und die ganze Gemeinde sind gerufen, ihn dahin zu führen. Damit aber ein solches Taufbewußtsein Allgemeingut wird, werden noch einige theologische, liturgische und pastorale Anstrengungen notwendig sein. Ähnlich ist es mit der Sendung und damit auch mit dem Firmbewußtsein. Das Dilemma um das Firmalter muß hier nicht aufgerollt werden. Die Zeichenhaftigkeit dieses Sakraments bedarf aber zumindest an einigen ent-
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scheidenden Wendepunkten des Lebens, etwa beim Eintritt in das Berufsleben, bei der Eheschließung und der Taufe eigener Kinder und erst recht auch bei der Übernahme einer kirchlichen Funktion einer besonderen Verdeutlichung. Eng damit verbunden ist der Hinweis auf die je eigenen Charismen und Lebenschancen, die entwickelt und eingesetzt werden müssen. Sie sind letztlich Richtungsangabe und Richtmaß für die Erfüllung des Sendungsauftrages. 3. Unvollkommenheit und Heiligkeit Hierher gehört auch die Einsicht der eigenen Unvollkommenheit. Leider steht im Zusammenhang mit der Morallehre bei einem großen Teil der Christen Gott zuvorderst als der Zürnende, der Strafende da, und weniger als der Liebende, Barmherzige, als der, der jedem die Rückkehr in die Communio offenhält, der sich also an sein einmal dem Menschen gemachtes Angebot hält, bis zu dessen letztem Atemzug. Warum nur gelingt es um so vieles leichter, die Normen der Moral an die Menschen heranzubringen, auch wenn diese sie nicht akzeptieren wollen; warum ist es so schwer, das Vertrauen in den über alles liebenden, barmherzigen Gott ebensoweit hinauszutragen? Wenn persönlich gelebte Heiligkeit der erste und grundlegende Beitrag zum Aufbau der Kirche als "Gemeinschaft der Heiligen" (Christifideles Laici I CL I Nr. 16) ist, dann erschrecken viele von uns, weil uns der Begriff der "Heiligkeit" als etwas nur ganz wenigen Erreichbares und daher das Streben nach ihr als Überforderung erscheint; viele versuchen es daher gar nicht erst. Es wird darum eine unserer Aufgaben sein, auf die "kleine" Heiligkeit hinzuweisen, die wir fast in jedem Dorf antreffen können. Vielleicht ist hier der alte Begriff der "Heiligung", also das Streben nach Heiligkeit, leichter zu vermitteln. 4. Die Mitverantwortung an der Evangelisierung "Christifideles Laici" verwendet das Bild vom Weinstock und den Reben: "Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht" (Joh 15, 5). Das "Frucht bringen" ist also wesentlich für unsere Teilhabe in der Communio der Kirche und "jede Rebe, die keine Frucht bringt, schneidet er (der Vater) ab" (Joh 15, 2). Damit fällt den Laien ein beträchtlicher Anteil an der Verantwortung für die Kirche zu (CL 32). Freilich, Mitverantwortung für die Kirche heißt auch, an den Entscheidungen für sie mitwirken, was wiederum nicht mit letztverantwortlicher Entscheidung zu verwechseln ist und auch nicht nur Mehrheitsfindung in Abstimmungen bedeutet, sondern vor allem miteinander reden, einander anhören und ernstnehmen.
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Eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche ist die Verkündigung des Evangeliums; damit ist sie auch Hauptaufgabe jedes einzelnen Christen (CL 33): .,Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!" (1 Kor 9, 16). Die Päpste haben neuerdings dafür den Begriff der .,Evangelisierung" übernommen, einen Begriff, der in den romanischen Sprachen gewiß ein sinngemäßer Ausdruck für das Verkündigen des Evangeliums ist. In unserer Sprache klingt er vielleicht etwas zu sehr besitzergreifend, zu sehr einen Totalanspruch erhebend; dabei soll Verkündigung aber immer ein Angebot sein und niemanden vereinnahmen. Wer allerdings das Evangelium annimmt, muß es als Ganzes annehmen mit allen daraus erwachsenden Konsequenzen. Johannes Paul II. gebraucht, vor allem in bezugauf die Länder der sogenannten Ersten Welt, immer häufiger den Ausdruck: .,Neu-Evangelisierung" und verweist auf die bedrängende Umbruchsituation in diesem Gebiet. .,Neu" bedeutet hier weder ein anderes Glaubensgut noch eine Verurteilung bisheriger Evangelisierung, sondern das Bemühen, in die veränderte Situation mit neuen, adäquaten Mitteln das immer gültige Evangelium einzubringen. Diese adäquaten Mittel sind in zwei Richtungen zu suchen: zum einen in der Suche nach neuen Wegen, den Glauben im heutigen Lebenskontext wirksam anzubieten, also in das heutige Leben zu inkulturieren; zum anderen, das unveränderliche Glaubensgut so darzustellen, daß es der heutige Mensch mit seinem Wahrnehmungsvermögen auch begreifen kann, es also an die heutige Zeit zu akkulturieren. 5. Wege der Evangelisierung In den Abschnitten 35-44 des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens gibt der Papst eine Fülle von Anregungen, wie und wo die Evangelisierung erfolgen kann. Die erste Aufgabe lautet: .,Gehet hinaus in die ganze Welt" (CL 35); und schon diese trifft so manchen von uns sehr empfindlich: denn die einen neigen dazu, Andersdenkende, Schwierige oder sonstwie Abständige auszugrenzen, um .,unter sich" zu sein, die anderen wieder sitzen wie im Abholgroßmarkt und warten auf Interessenten. Der nächste Hinweis: Das Evangelium im Dienst an Mensch und Gesellschaft leben. Auch das trifft viele von uns hart. Was verkündigt wird, soll auch vorgelebt werden, und zwar in allem, was Leben heißt, am Sonntag wie im Alltag, im Gebet wie beim Arbeiten und in den Zeiten der Muße; weder im Aktivismus noch im Beten allein stellt sich das ganze Leben dar. Auch die Forderung, die Würde des Menschen, eines jeden Menschen, zu suchen und zu fördern, berührt eine wunde Stelle unserer Gesellschaft. Wie oft ist es der Mächtige, der Reiche, der Tüchtige, den wir achten und
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beachten, dessen Nähe wir suchen. Und doch haben wir, heute vielleicht mehr als früher, Menschen unter uns, denen wir diese personale Würde nicht zubilligen wollen, den Armen, Kranken, Erfolglosen, den Fremden jeglicher Kategorie, den Ungeborenen wie den unheilbar Kranken. Wir wissen das zwar schon aus der Bibel: "Was immer ihr einem dieser Geringsten nicht getan habt, habt ihr auch mir nicht getan" (Mt 25, 45). Aber geschieht es nicht auch immer wieder, daß wir einen "Geringsten" an eine "zuständige Stelle" verweisen und uns allenfalls durch eine Gewissensberuhigungssteuer in Gestalt einer kleinen Spende an die Caritas von der persönlichen Anteilnahme loskaufen?
6. Orte der Evangelisierung Was die Würde des einzelnen Menschen von uns verlangt, kommt über ihn hinaus der Gesellschaft zugute und umgekehrt (CL 40). So ist der Dienst am einzelnen Menschen zugleich Dienst an allen Menschen. Das beginnt beim Ehepaar und bei der Familie, die als der primäre Ort des sozialen Engagements der Laien und damit der "Humanisierung" der Personen und der Gesellschaft gelten kann. Über diese kleinste soziale Zelle hinaus gilt das Gebot der Nächstenliebe, der tätigen Liebe allen gegenüber, die uns Gott über den Weg schickt (CL 41); sie sind uns deshalb so nahe, weil sie als Kinder Gottes im selben Naheverhältnis zu ihm stehen wie wir. Wir sprechen öfter von Solidarität als von Nächstenliebe, verkürzen sie dabei aber nicht selten auf eine Gruppe von Menschen, so daß eine begrenzte Gruppensolidarität, ja sogar ein Gruppenegoismus daraus werden kann, wie es im Bereich der Politik nicht selten vorkommt. Während jeder ohne viel Vorbereitung aktive Nächstenliebe pflegen kann je nach seinen Möglichkeiten, gibt es eine Reihe von Lebensbereichen, für die besondere Charismen, besondere Fähigkeiten und Umstände notwendig sind, um da mitspielen zu können. Wer solche Charismen oder Talente hat, steht unter der Verpflichtung im Sinn seiner Berufung als Christ, sie zu entwickeln und zu nützen. Die Politik, das wirtschaftlich-soziale Leben, die Kultur und die Medien sind solche Bereiche (CL 42-44). Das Engagement auf diesen Gebieten ist deshalb mit einer hohen Verantwortung verbunden, weil so viele Menschen davon betroffen werden, ohne selbst wirksam eingreifen zu können. Ziel solchen Engagements ist es, "durch die Kraft des Evangeliums die Urteilskriterien, die bestimmenden Werte, die Interessenspunkte, die Denkgewohnheiten, die Quellen der Inspiration und die Lebensmodelle der Menschen, die zum Wort Gottes und zum Heilsplan im Gegensatz stehen, umzuwandeln" (Evangelii nuntiandi, Nr. 19).
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111. Die Arbeiter im Weinberg des Herrn 1. Der Einzelne und die Gemeinschaft Im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1 ff.) werden die Arbeiter gefragt, warum sie zur elften Stunde noch arbeitslos herumstehen, und sie antworteten: .,Weil uns niemand gedungen hat". Wenn nun feststeht, daß jeder Mensch, der in diese Welt eintritt (also nicht nur der Getaufte!) (CL 2), zur Arbeit im Weinberg geladen ist, dann hat auch jeder in einer gewissenWeise ein Anrecht darauf, von uns gefragt zu werden, ob er diesen Anruf gehört und recht verstanden hat. Das sollte ein wesentlicher Aspekt der Arbeit des Laienapostolats werden. Wenn die Communio der Kirche als .,organische Communio" zu sehen ist, die Verschiedenheit und Komplementarität von Berufungen, Lebenssituationen, Diensten, Charismen und Verantwortungen in sich vereint (CL 20), dann haben nicht nur die individuellen Personen ihnen entsprechende Aufgaben, sondern auch ganze Personengruppen im Hinblick auf ihre Situation in der Gesellschaft: die Kinder und Jugendlichen, die Alten, die Kranken und Leidenden (CL 46-48, 53). Insbesondere, was die letzten dieser Gruppierungen betrifft, wird im gemeinschaftlichen Apostolat noch nachgedacht werden müssen; bisher waren diese Gruppen vor allem einseitig als zu Versorgende gesehen worden. 2. Die Frau als Laie in der Kirche Die Bischofssynode 1987 hat sich ausgiebig mit dem Thema .,Frau" befaßt und sich damit nicht ganz leicht getan. Es war unbestritten, daß Mann und Frau in ihrer personalen Würde gleichwertig sind. Der nächste Schritt, daß deswegen im Bereich der Laien, d. h. im Bereich der Funktionen, die keiner Weihe bedürfen, Mann und Frau in gleicher Weise willkommen sind, gelang nicht auf Anhieb - eine Sonderkommission befaßt sich mit dem Thema. Weitergehende Wünsche waren, weil es sich um eine Synode über Berufung und Sendung der Laien handelte, gar nicht erst formuliert worden. " ... daß die Kirche, um ihre Sendung besser erfüllen zu können, die Anerkennung und den Einsatzall dieser Gaben, Erfahrungen und Haltungen von Männern und Frauen verlangt", hat die Synode in ihrer Proposition Nr. 47 deutlich festgehalten. Versuche, den Männern und Frauen je typische Eigenschaften und Veranlagungen zuzuordnen, wurden dadurch abgeblockt, daß man dieses unsichere Terrain einer eingehenden anthropologischen und theologischen Forschung empfahl.
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3. Priester, Ordensleute, Laien Priester, Ordensleute, Laien: das ist eine weitere Unterscheidung hinsichtlich ihrer Aufgaben im Weinberg des Herrn. Während diese Unterscheidung früher ganz im Vordergrund stand, steht heute die fundamentale Gleichheit aller Getauften im Vordergrund und die besonderen Berufungen der einzelnen Lebensstände der Kirche sind erst eine weitere Unterscheidung. Die Mitglieder aller drei Stände sind aber zugleich Adressaten und Subjekte der Communio der Kirche (CL 55), aufeinander ausgerichtet mit je eigenem Charakter. In dieser Ordnung wird der Laienstand sein besonderes Arbeitsfeld in der Welt haben, wenn auch nicht ausschließlich; ebenso kann sich der Priesterstand nicht ausschließlich innerkirchlichen Belangen widmen. Alle zusammen stehen sie aber im Dienst am Wachsturn der Kirche. 4. Das individuelle Apostolat Die hohen Anforderungen, die Berufung und Sendung an jeden Laien stellen, erfordern auch ein hohes Maß an Ausbildung für seine Aufgaben. Jeder Einzelne muß sich um sein ständiges Reifen sorgen, seine Talente aufspüren und zur Entfaltung bringen, seine Spiritualität pflegen. Aber jeder ist auch gefordert, an der Entfaltung seiner Mitmenschen mitzuwirken, so daß jeder, Priester, Ordensmitglied oder Laie, Lehrender und Lernender zugleich wird (CL 57-61). Jeder Laie kann in individueller Form am Leben der Kirche teilhaben (CL 28), ja das 2. Vatikanische Konzil stellt sogar fest, daß persönliches Apostolat durch nichts anderes ersetzt werden kann (Laiendekret Nr. 16). Dieses Apostolat hat die Möglichkeit, in alle Lebensbereiche vorzudringen, in denen Laien leben und arbeiten, vor allem dann, wenn diese Laien versuchen, ihr Leben aus dem Glauben zu leben. 5. Das gemeinschaftliche Apostolat Neben dem individuellen Apostolat hat auch das gemeinschaftliche Apostolat seinen unverzichtbaren Ort in der Kirche. Einerseits ist es in der Gesellschaft notwendig, daß ein .,soziales Subjekt", eine Vereinigung, in Erscheinung tritt, um auch gesellschaftlich wirksam zu werden; andererseits hilft der Zusammenschluß Vieler dem Einzelnen, seinem individuellen Apostolat besser nachzugehen und bei seiner Arbeit beheimatet zu sein; und schließlich ist damit auch das ekklesiologische Prinzip gewahrt, indem gemeinschaftliches Apostolat ein .,Zeichen der Gemeinschaft und Einheit der Kirche in Christus ist" (Laiendekret Nr. 18).
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Laiengemeinschaften gibt es schon sehr lange; sie standen zunächst unter priesterlicher Leitung. Mit der politischen Entwicklung in der zweiten Hälfte des vergangeneo Jahrhunderts entstanden die klassischen katholischen Verbände, immer mehr von Laien geleitet. Nach dem 2. Weltkrieg wollten Österreichs Bischöfe für den Wiederaufbau vor allem eine starke Katholische Aktion unter ihrer Oberleitung, aber in Laienverantwortung. Ein Teil der alten Verbände entstand nach und nach wieder, während die von Priestern geleiteten Kongregationen allmählich schwanden. Die Vielfalt der neuen Gesellschaft und auch die wachsende Vielfalt innerhalb der Kirche ließ eine ganze Anzahl neuer Bewegungen entstehen, die jeweils andere Zielgruppen ansprachen und unterschiedliche Schwerpunkte ihrer Arbeit entwickelten. Das Konzil hat das durch die Erklärung des freien Koalitionsrechts für die Laien gefördert (Laiendekret Nr. 19). Die wachsende Vielfalt an Laiengemeinschaften machte es notwendig, Kriterien für ihre Beurteilung und Anerkennung zu entwickeln (CL 30). So wurden fünf Kriterien für die Kirchlichkeit aufgestellt, die an drei "P" gemessen werden können: Programm, Personen und Praxis; sie lauten: a) Das Primat der Berufung eines jeden Christen zur Heiligkeit, das heißt, daß jeder Einzelne und die Gemeinschaft gerufen sind, immer profilierter Werkzeug der Heiligkeit der Kirche zu sein durch wachsende Einheit von Lebenspraxis und Glauben. b) Die Verantwortung für das Bekenntnis des katholischen Glaubens, das heißt, daß jede Gemeinschaft den Glauben weitergeben muß, der vom Lehramt authentisch interpretiert ist. c) Das Zeugnis einer tiefen und überzeugten Communio, das heißt, in Einheit mit dem Papst als dem sichtbaren Prinzip der Einheit der Universalkirche und mit dem Bischof, der dies in seiner Teilkirche ist, sowie in der gegenseitigen Hochschätzung aller Formen des Apostolats in der Kirche (Lumen gentium Nr. 23 bzw. Laiendekret Nr. 23). d) Die Übereinstimmung mit der apostolischen Zielsetzung der Kirche, das heißt Evangelisierung, Heiligung der Menschen, christliche Gewissensbildung, so daß die verschiedenen Gemeinschaften und Milieus mit dem Geist des Evangeliums durchdrungen werden (Laiendekret Nr. 20).
e) Die Verpflichtung zu einer engagierten Präsenz in der menschlichen Gesellschaft, das heißt, daß es keine Berechtigung für einen Rückzug aus der
Welt gibt.
Einen besonderen Hinweis gibt Christifideles Laici (CL 31) in bezug auf das Arbeitsprinzip der Katholischen Aktion, wo "Laien sich auf organische und dauerhafte Weise unter der Führung des Heiligen Geistes, in der Gemeinschaft mit dem Bischof und mit den Priestern frei zusammenschließen,
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um ihrer Berufung entprechend einer spezifischen Methode ... an den Pastoralprojekten und an der Durchdringung aller Lebensbereiche mit dem Geist des Evangeliums treu und effektiv mitzuwirken (Proposition 15)."
IV. Ausblick Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß Österreich, insbesondere mit der Volksliturgischen Bewegung, für die Einbeziehung der Laien in die Mitverantwortung für die Kirche Pionierleistungen erbracht hat. Auch an der Neuordnung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat nach dem 2. Weltkrieg haben Laien an hervorragender Stelle mitgewirkt (Mariazeller Manifest von 1952). Das Modell des Österreichischen Laienrats als überdiözesaner Sammlung aller Laienverbände, -Organisationen und-bewegungenwar in seiner umfassenden Anlage schon zu Ende der Sechziger Jahre in Europa beispielgebend. Zur gleichen Zeit gingen vor allem von Österreich die ersten Impulse aus, die nationalen Laien-Dachorganisationen in einem europäischen Forum zusammenzufassen. Auch in der Sorge um die 3. Welt haben Österreichische Laien Beispielgebendes geleistet, indem sie selbst für die Aufbringung der Mittel und für ihre Verteilung sorgen. In den vor uns liegenden Jahren wird das gemeinschaftliche Laienapostolat in einer wieder anderen Weise gefordert sein; die bislang von kommunistischer Herrschaft unterdrückten Kirchen in der östlichen Hälfte Europas werden mit der Wiedererringung ihrer Freiheit vor große Probleme gestellt, bei deren Bewältigung viel einfühlsame Hilfe nötig sein wird. Wenn der Standard des Österreichischen gemeinschaftlichen Laienapostolats so zukunftsbezogen bleiben soll, wie er es in den letzten hundert Jahren war, dann ist das eine Herausforderung, die aller Anstrengung bedarf.
II. Kirche und Staat
SOLDAT UND RELIGIONSFREIHEIT Von Felix Ermacora, Wien Am 1. Mai 1943 wohnte ich auf freiem Felde einer katholischen Messe bei, die im Rahmen des III. Bataillons des Gebirgsjägerregiments 99 gefeiert wurde. Ich war schon damals erstaunt, daß geradezu alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften an dieser Messe zu einer Zeit teilnahmen, die so wenig Gefühle für Glauben und Religion übrig hatte. Weit nach dem 2. Weltkrieg, am Nationalfeiertag in Innsbruck, fand unter einem strahlenden Berghimmel die Feldmesse auf dem Landhausplatz statt, auf dem die angetretene Ehrenkompanie des Bundesheeres die klassischen Kommanden "Zum Gebet" und "Vom Gebet" ausführte. Der Schützenkompanie oblag es, das "General de Charge" abzufeuern. Seit 1986 betreut ein österreichischer Militärbischof die Belange der katholischen Kirche gegenüber dem Österreichischen Bundesheer; vor ihm defilierte das Akademikerbataillon in Wiener Neustadt. Bekenntnis zur Religion, Bekenntnis zu kirchlichen Traditionen, Bekenntnis zur Verbindung von Heer und katholischer Hierarchie sind Grunddaten, die diese Fakten kennzeichnen. Das in Gemeinwesen, die unterschiedliche Beziehungen von Staat und Kirche erkennen lassen. Im nationalsozialistischen Deutschland war es zweifelsohne eine kirchenfeindliche Trennung von Staat und Kirche, im republikanischen Österreich eine kirchenfreundliche Trennung von Kirche und Staat, die in der Ersten und Zweiten Republik unterschiedliche Züge aufwies. Das nationalsozialistische Deutschland anerkannte die Kirche im Staate nur widerstrebend, mußte aber den Wunsch der Soldaten hinnehmen, daß geweihte Priester, die keine Amtspriester einer Deutschen Volkskirche waren, in den Reihen der kämpfenden Truppe standen und ungehindert eine heilige Messe lesen konnten. Das war wie ihr Privatakt Im republikanischen Österreich der Ersten Republik rückt ein militärisches Kontingent zur Fronleichnamsprozession und zum Osterfest aus, um Heiligtum und Reliquie zu ehren und zu schützen; im republikanischen Österreich der Zweiten Republik leisten Einheiten des Bundesheeres den kirchlichen Handlungen ihre Ehrenbezeugung und im republikanischen Österreich wird von einer damals nicht sehr kirchenfreundlichen Regierung ein Militärbischof inthronisiert. Damit ist 6 Pax et Justitia
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das Konkordat zwischen der katholischen Kirche und der Republik Österreich, das zu einer Zeit abgeschlossen wurde, 1 in der das politische Barometer auf Sturm stand, auch in diesem Belange anstandslos anerkannt worden. Praktiziert wurde die Glaubensmanifestation im nationalsozialistischen Deutschland, das militärische Bekenntnis zum Ritus der katholischen Kirche findet statt und die staatliche Anerkennung der kirchlichen Hierarchie im Bundesheer ist unübersehbar. All das steht im Lichte von menschenrechtliehen Regelungen, die sich mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit befassen. 2 Diese Regelungen sind heute im Österreichischen und im internationalen Recht in Geltung; sie waren während der nationalsozialistischen Zeit in der nie außer Kraft gesetzten Weimarer Verfassung niedergelegt. 3 Darüber hinaus enthält der Erlaß des Bundesministers für Landesverteidigung vom 11. April 1984 eingehende Regelungen, wie im Bundesheer der junge Soldat auf den Frieden durch den Militärseelsorgedienst hinzuführen ist. 4 Eine Regelung, die zumindest dieselbe Qualität hat wie die Aussagen über die politische Bildung im Bundesheer. In der Zweiten Republik gibt es die Teilnahme des Bundesheeres an kirchlichen Feierlichkeiten nicht. Soldaten ist zwar erlaubt, an kirchlichen Feierlichkeiten (z. B. der Fronleichnamsprozession) in Uniform teilzunehmen,5 aber militärische Einheiten dürfen dazu nicht abgestellt werden. Wenn militärische Einheiten den Anschein erwecken, als würden sie zu kirchlichen Feierlichkeiten abgestellt, beordert sein, so trügt der Schein. Denn kirchliche Handlungen treten zu öffentlichen und militärischen Feierlichkeiten hinzu. Diesen akzessorischen Handlungen erweist das Heer seine Referenz. Aber nicht umgekehrt. Dieses "Achtung-Erweisen" entspringt der kirchenfreundlichen Trennung von Staat und Kirche in Österreich. In der Praxis liegt dabei ein diskriminierendes Element, weil es kaum denkbar ist, daß der Ritus anderer als christlicher Religionen und Religionsgesellschaften militärische Vorgänge begleitet. Die Rechtfertigung für diese Vorgänge ist weniger im Herkommen als in der religiösen Bevölkerungsstruktur Österreichs begründet. Wenn die zu militärischen Einheiten zusammengeschlossenen Soldaten den kirchlichen Handlungen einheitlich auf militärischen Befehl hin Achtung erweisen, so widerspricht dies für den Fall, als die Soldaten nicht Konkordat vom 5. Juni 1933, BGBI II, Nr. 2/1934. Siehe die Übersichten bei Ermacora, Menschenrechtliche Texte, 1988. 3 Vgl. die Art. 135ff. der Weimarer Verfassung vom 19. August 1919. 4 Militärseelsorgedienst im Bundesheer, Richtlinien vom 11. Apri11984, Verlautbarungsblatt I des Bundesministeriums für Landesverteidigung, Nr. 91 - 1984. 5 § 36 Abs. 5 WG iVm 36 Abs. 4 WG. 1
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ausdrücklich befragt worden sind, ob sie an einer solchen militärischen Handlung teilnehmen wollen, der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Allerdings bestimmt der ehrwürdig gewordene Art. 14 StGG, daß niemand zu einer kirchlichen Handlung gezwungen werden darf, außer er steht in einem besonderen Gewaltverhältnis 6 - und niemand kann leugnen, daß der Soldat in einem militärischen Abhängigkeitsverhältnis steht. Dennoch ist Art. 14 StGG im Lichte der moderneren Konzeption der Glaubens- und Gewissensfreiheit zu sehen, wie sie aus dem internationalen Recht kommend auch für Österreich maßgebend ist.1 Die moderne Konzeption der Glaubens- und Gewissensfreiheit ist auf ein positives Handeln und nicht auf ein Abwehren orientiert. Das geht aus der Europäischen Konvention weniger deutlich hervor als aus den Regelungen, die im Schoße der Vereinten Nationen konzipiert werden: 8 Glauben und Nichtglauben, und die daraus folgenden Handlungen sind geschützt. Es bedarf keiner kunstvollen Interpretation, wenn man zu dem Schluß kommt, daß der Zwang zu einer kirchlichen Handlung, zur Teilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit, selbst wenn eine Person einer nach dem Gesetz hiezu berechtigten Gewalt eines anderen unterstellt ist, 9 nicht mehr rechtfertigbar ist. Der Vorbehalt des Abs. 2 des Art. 9 EKonv läßt heute eine solche Interpretation nicht mehr zu. Gemäß dem Dienstreglement für das Heer der Monarchie war die Ausrückung zu kirchlichen Festen geboten. Im 9. Abschnitt des Dienstreglements des republikanischen Heeres der Ersten Republik konnte eine Ausrückung bis 1934 nicht mehr anbefohlen werden.§ 35 Abs. 2 ADV verbietet die Teilnahme des Heeres in geschlossenen Formationen an Festlichkeiten religiöser Art. Die militärischen Vorschriften stellen auf die Freiwilligkeit der Teilnahme ab . .,Von einer Verletzung des Art. 14 Abs. 3 StGG und des Art. 7 B-VG kann keine Rede sein, wenn es sich um eine freiwillige Beteiligung einer Abteilung an einer religiösen Feier handelt." 10 Es wird daher nicht mehr auf das besondere Gewaltverhältnis ankommen, in dem sich ein Mensch, z. B. als Soldat befindet, sondern auf die Freiwilligkeit, sich zur Teilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit zu begeben. Das heißt also, der Soldat muß befragt 6 Das deuten seine Worte .,insofern er nicht der nach dem Gesetz hiezu berechtigten Gewalt eines anderen untersteht" an. 7 Siehe heute Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen v. 10. Dezember 1948,217 A (III); Art. 18 des Paktes über die zivilen und politischen Rechte v. 16. Dezember 1966, Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen v. 16. Dezember 1966, 2200 A (XXI) BGBl Nr. 591/1978; UN Declaration on the Elimination of All Forms of Intolerance and of Discrimination Basedon Religion or Belief v. 25. November 1981, Generalversammlung Res. 36/55; Art. 9. 8 Siehe vor allem die in Anm. 7 genannte Deklaration gegen religiöse Intoleranz. 9 Siehe dazu Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte, 1963, s. 372 ff. 10 OGH, SSt. V/30/1925.
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werden, ob er bereit ist, sich in eine geschlossene Einheit zu begeben, die im Zuge einer öffentlichen Veranstaltung kirchlichen Vorgängen ihre militärische Ehrerbietung erweisen wird oder nicht. Der Dienst, der mit der Ehrerbietung von kirchlichen Handlungen verbunden ist, muß also auf Freiwilligkeit beruhen. Es muß dem Soldaten klargemacht werden, welche Handlungen er zu setzen hat, wenn er sich freiwillig in geschlossener Formation an einem Vorgang beteiligt, der mit einer kirchlichen Handlung, vor der militärische Ehre zu erweisen ist, verbunden ist. Die Abstellung zu einer Handlung, die mit derartigen Ehrenbezeugungen geschlossener Abteilungen des Bundesheeres verbunden ist, liegt nicht im Belieben eines Kommandanten, sondern müßte angeordnet oder gestattet werden. Im Zweifelsfalle ist der politisch Verantwortliche, der Bundesminister, zuständig, diese Erlaubnis auszusprechen. Das ist die militärische Grundvoraussetzung. Die menschenrechtliche Bedingung ist jedoch die Freiwilligkeit des Soldaten, an einer solchen Feierlichkeit in geschlossener Formation teilzunehmen. Hat er sich jedoch freiwillig bereit erklärt, an einer Veranstaltung teilzunehmen, die mit Ehrenbezeugungen für kirchliche Handlungen verbunden ist, dann ist der Achtung der Glaubens- und Gewissensfreiheit Genüge getan. Dieser Sachverhalt ist nur ein Beispiel, nach dem das Militär mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit des Soldaten in Beziehung tritt. Zahlreiche andere Beispiele lassen sich finden, auch wenn sie in Österreich noch nicht Wirklichkeit geworden sind. 11 Immer wird in solchen Fragen Art. 9 EKonv als Beurteilungsmaßstab im Mittelpunkt stehen. Die internationalen Menschenrechtsinstanzen kennen kaum Beschwerden, die aus dem soldatischen Bereich stammen und Art. 9 EKonv betreffen. Aber aus dem Bereich anderer besonderer Gewaltverhältnisse lassen sich auch für den Soldaten gleichartige Sachverhalte ableiten. Die EKMR hat zu Art. 9 Abs. 1 festgestellt, daß aus dieser Bestimmung kein Recht auf einen besonderen Status in einem besonderen Rechtsverhältnis folge (Appl 8317/78, Mc Feely u. a. versus GB, DR 20, 44 ff. [76 f. ]), hier in bezug auf Häftlinge, die sich weigerten, Häftlingskleidung zu tragen. Die Zurückweisung der Beschwerde erfolgte nicht wegen mangelnden religiösen Bezuges, sondern weil diese Art der Äußerung nicht geschützt ist, da ein Recht auf Tragen der eigenen Kleidung im Gefängnis allgemein nicht bestehe. Es sei auch auf den Komplex der Fälle verwiesen, in denen die Verpflichtung zu bestimmten Kleidungs-, Haar- und Bartvorschriften mit religiösen Gebräuchen in Konflikt gerät. Solche Konflikte lassen sich durch den Verweis auf .allgemeine Rechtsvorschriften" lösen, gegebenenfalls unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit, also etwa dann, wenn durch die 11
Nachweise bei Prowein I Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention,
1985, S. 220 ff.
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strikte Beachtung religiöser Gebote der militärische Einsatz verhindert wird, z. B. dem Tragen von Gasmasken, die Barttracht; der Turban und Kaftan, die Pumphosen und dem einheitlichen militärischen Erscheinungsbild zur ldentifizierbarkeit der Truppe und dem Gebot des Tragens zweckentsprechender militärischer Bekleidung und Ausrüstung. Dazu gehören aber nicht Vorschriften als Disziplinierungsmittel oder bei Mitführen von Gegenständen, die den militärischen Einsatz nicht behindern (Rosenkranz, Gebetskette, Amulette), aber auch bei Haartrachten, die militärisch nicht behindernd wirken. Probleme können auch in bezug auf Gebetsübungen und im Hinblick auf Essensvorschriften eintreten. Hier gilt nach der Rsp der EKMR ein "Rücksichtnahmegebot" bzw. "Bemühungsgebot"Y Der Staat hat Vorsorge zu treffen, daß die Religionsausübung erleichtert wird. Beispiele: Essen (bei Mohammedanern, Juden, auch Fastenzeiten); Gebetszeiten; Rituale (Gebetsteppich, Rosenkranz); Angebot religiöser Betätigungsmöglichkeiten, Erreichbarkeit von Geistlichen, Beerdigungszeremonien. Gebote gelten umsomehr im besonderen Rechtsverhältnis, weil der Freiraum und damit die religiösen Gestaltungsmöglichkeiten des Individuums prinzipiell beschränkter sind. Hier leuchtet ein Grundsatz hervor: Umkehr bestimmter abwehrrechtlicher Ansprüche in besonderen Rechts(Gewalt)verhältnissen zu Leistungsansprüchen! Nicht in allen Fällen hat die EKMR Einschränkungen der Religionsausübungsfreiheit eine strenge Prüfung anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips angedeihen lassen. 13 Die ältere Rsp des VfGH ist konservativ: Verwehrung eines V-Häftlings, am evangelischen Gottesdienst teilzunehmen mangels der Existenz einschlägiger Rechtsvorschriften (§ 9 Hausordnung der gerichtlichen Gefangenenhäuser verwies auf eine Gottesdienstordnung, die niemals erlassen wurde), und keine Verpflichtung des Staates, besondere Vorkehrungen zur Ausübung von Individualrechten in den Fällen eines gesetzmäßig verhängten Freiheitsentzuges zu treffen, keine Verletzung des Art. 9 (VfSlg 6747/72). Das aber ist offenbar überholt. Denn VfSlg 10547/85 stellte eine Verletzung des Art. 9 fest, weil einem gläubigen Juden, der im Dienste der Strafjustiz in einem verwaltungsbehördlichen Gefangenenhaus festgehalten wurde, die Ausfolgung eines für ihn hinterlegten Gebetsschals verweigert wurde; dies mit der Begründung, daß das hier heranzuziehende VStG für die Untersagung der bestimmungsgemäßen Benützung von Kultgegenständen während der Verwahrungshaft keinerlei Handhabe biete. Beschränkungen der Religionsfreiheit ergeben sich explizit nicht aus dem Gesetz, wohl aber als Folge nicht intentional auf eine Einschränkung der Religionsfreiheit gerichteten Rechtsanwendung. Eher faktische Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit, die nichtsdestoweniger auf ihre Vereinbar12 13
Prowein I Peukert, a.a.O., S. 220 ff. Prowein I Peukert, a.a.O., S. 220 ff.
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keit mit dem Grundrecht, insbesondere auf ihre Verhältnismäßigkeit hin, geprüft werden müssen. Das Wehrgesetz selbst gebietet in §46 Abs. 5, daß eine religiöse Betätigung des Soldaten im Rahmen des Heeres nicht geschmälert werden dürfe (vgl. auch§ 34 ADV). Ohne die explizite Erwähnung religiöser Gründe sieht das Wehrgesetz in§ 49 Dienstfreistellungen vor, die etwa gemäß Abs. 9 "in dringenden Fällen, insbesondere aus familiären oder sonstigen persönlichen Gründen" erteilt werden können, worunter zweifellos auch Dienstfreistellungen aus religiösen Motiven zu fallen haben. Aus dem Blickwinkel der Religionsfreiheit könnten Bedenken gegen die ADV vorgebracht werden, weil sie eine Bezugnahme auf Religionsausübung vermissen läßt. In§ 29 iVm § 31 ADV allerdings ist die Zeitordnung und der Ausgang der Soldaten geregelt, die eine religiöse Betätigung in der Freizeit (Besuch eines Gottesdienstes usw.) zuläßt. Der Tradition des Heeres und der Kirchen entsprechend wird für gemeinsame Religionsausübung zumindest von Katholiken und Protestanten gesorgt. Siehe hiezu die Richtlinien zum Militärseelsorgedienst im Bundesheer. 14 Unter Berufung auf Art. 14 StGG wird betont, daß zwar durch die Religionsfreiheit den staatsbürgerlichen Pflichten kein Abbruch geschehen darf, demnach aber den Soldaten unter Bedachtnahme auf die Erfordernisse des militärischen Dienstes eine religiöse Betätigung zu ermöglichen ist. Die seelsorgliche Betreuung der Soldaten im und außer Dienst obliegt den Einrichtungen der Militärseelsorge, denen im Rahmen der militärischen Ausbildung der "Lebenskundliche Unterricht" (Näheres siehe Z I des Erlasses) übertragen ist, der nach Konfessionen getrennt abzuhalten ist (dieser Unterricht ist Dienst, die Teilnahme an ihm Pflicht, weshalb Soldaten, die keinem Glaubensbekenntnis angehören, in dem der Unterricht gestaltet wird [katholisch, evangelisch, methodistisch], davon befreit sind bzw. im gegenteiligen Fall unter bestimmten Voraussetzungen davon befreit werden können.) Nach Z li des Erlasses ist den Militärgeistlichen ein seelsorglicher Aufgabenbereich zugewiesen, der in gemeinschaftlicher Religionsausübung (Teilnahme freiwillig, siehe li/4), aber auch in individueller religiöser Betreuung besteht (siehe die Auflistung in II/1 und 2). Die seelsorgliche Betreuung gilt als innere kirchliche Angelegenheit, die von der Militärseelsorge im autonomen Bereich besorgt wird (Z Il/3). Nach neuer Rsp der EKMR garantiert Art. 9 nicht nur dem Individuum, sondern auch der Kirche oder Religionsgemeinschaft das Recht auf Religionsfreiheit. Dies mit der Begründung, daß eine Kirche oder Religionsgemeinschaft als Vertreterio ihrer Mitglieder angesehen werden muß. 15 Aber das Recht auf Religionsfreiheit schützt auch den Zusammenschluß einer 14
15
Siehe das Zitat in Anm. 4. Appl. 3798 I Year Book on Human Rights 12, 306; Appl. 7374/76, DR 5, 157.
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Kirche oder RG. 16 In Österreich besteht bereits Schutz durch Art. 15 StGG; im Rahmen des Heeres ist er durch Militärseelsorge abgesichert. Gesetzliche Grundlagen der Militärseelsorge sind für die katholische Kirche das Konkordat, dessen Art. VIII die Bestellung des Militärvikars und der Militärkaplane sowie deren Wirkungskreis (§ 4: "Die Militärkapläne haben hinsichtlich des Bundesheeres den Wirkungskreis von Pfarren. Sie üben das heilige Amt unter der Jurisdiktion des Militärvikars aus.") vorsieht. Für die evangelische Kirche bestimmt§ 17 des G über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche die Militärseelsorge näher. Danach hat der Bund der evangelischen Kirche die Ausübung der Seelsorge an den evangelischen Angehörigen des Bundesheeres zu gewährleisten, wobei die Militärseelsorge in allen geistlichen Angelegenheiten der Kirchenleitung, in allen anderen den zuständigen militärischen Kommandostellen untersteht. Abs. 4 bestimmt, daß die näheren Vorschriften über die Evangelische Militärseelsorge im Wehrrecht zu erlassen sind. Dies dürfte bis dato nur im Erlaßweg, nicht aber in (Rechts)Verordnungs- oder gar Gesetzesform geschehen sein. Nicht uninteressant ist auch die organisationsrechtliche Stellung der Organe der Militärseelsorge, insbesondere deren Einbindung in die militärische und ministerielle OrganisationY Diese Regelungen- obschon nicht in Gesetzesform ergangen- entsprechen dem Konkordat bzw. dem Gesetz über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche. 18 Der Erlaß kann als eine Art innere Durchführung dieser Bestimmungen angesehen werden. Ob die Form der Durchführung im Erlaßwege verfassungsmäßig ist, muß fragwürdig sein, weil er nicht nur eine Innenwirkung, sondern auch eine Außenwirkung hat, die sich auf das Verhältnis von Staat und Kirche und auf die Religionsfreiheit des einzelnen bezieht. Daher wäre es richtiger, für die Stellung der Militärseelsorge, nicht für die Anordnung des seelsorgerischen Unterrichts, die Form einer Rechtsverordnung zu wählen. In dem genannten Erlaß ist die Stellung des Militärbischofs der katholischen Kirche nicht geregelt. Die Apostolische Konstitution .Spirituale militum curae" vom 21. April 1986 ist für die Stellung des Militärbischofs maßgebend geworden. Vor dem Wirksamkeitsbeginn der Apostolischen Konstitution .Spirituale militum curae" vom 21. April 1986 war der Papst selbst Träger der bischöflichen Rechte des Militärbischofs. Aufgrund der genannten Konstitution hat die Österreichische Bischofskonferenz beschlos16
89.
Siehe Appl. 7805/77, DR 16, 68; Appl. 7865/77, DR 16, 85; Appl. 8652/79, DR 26,
Siehe unter III des in Anm. 14 zitierten Erlasses. Siehe§ 17 Abs. 2 des BG v. 6. Juli 1961, BGB1182, über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche. 17
18
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sen, einen eigenen Bischof für die Militärseelsorge zu bestellen. Dieser Militärbischof in Österreich hat Tradition. Sie ist in den Statuten des Militärordinariats der Republik Österreich und in der genannten Apostolischen Konstitution beschrieben: 19 Die Militärseelsorge lag in den Händen der Jesuiten. Im Jahre 1773 wurde durch Kaiserin Maria Theresia ein eigenes apostolisches Vikariat errichtet, das mit dem Bischof von Wiener Neustadt verbunden war. Nach Wiedererlangung der Wehrhoheit durch den Staatsvertrag 1955 wurde - im Sinne des Artikel VIII des Konkordats - auch die Militärseelsorge wiedererrichtet Gemäß dieser Konkordatsbestimmung soll der Militärvikar die bischöfliche Würde bekleiden. Militärprovikare - J. Innerhofer, J. Fritz, F. Gruber-sind von Militärgeneralvikaren- F. Gruber, J. Leban, R. Gindl - abgelöst worden. Am 14. Dezember 1986 wurde A. Kostelecky zum Militärbischof von Österreich geweiht. Das Vikariat wurde Ordinariat. 20 Gemäß Art. II Konkordat hat das Militärordinariat Rechtspersönlichkeit Seine Jurisdiktion erstreckt sich auf ganz Österreich. Der Militärbischof gehört nicht zum Militärseelsorgedienst, er ist weder ein Offizier des Militärseelsorgedienstes, noch ein Militärpfarrer. Der Militärbischof steht aber an der Spitze der organisatorischen Hierarchie der Militärseelsorge, die eine staatliche ist, von der Dienstzweigordnung beherrscht. Der Militärbischof ist von der militärischen und der ministeriellen Organisation des Bundesheeres getrennt. Aber er bedient sich des Militärordinariats. Ihm ist ein Beratungsorgan beigegeben und ein Vermögensverwaltungsrat Er ist Symbol für das kirchenfreundliche Verhältnis von Staat und Kirche in Österreich und er ist mit dem Heere und seinen Aufgaben als Defensivstreitmacht, so wie es die Botschaft der Kirche legitimiert hat, verbunden. Ein Kirchenfürst wie der Jubilar, der die Mühsal des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit an Geist und Leib verspürt hat, wird der Symbolkraft, die ihm sein Amt dem Heere gegenüber verleiht, besonders gerecht werden.
19 Diözesanblatt des Österreichischen Militärordinariats, Jg. 1989, 2. Folge vom 1. Juli 1989. 20 Erlaß des BMfLV v. 1. April1987, GZ110.200/403-1-2/87.
DAS VERHÄLTNIS REPUBLIK ÖSTERREICH - KATHOLISCHE KIRCHE IN SCHULFRAGEN Von Felix Jonak, Wien I. Einleitung
Sowohl die Republik Österreich als auch die Katholische Kirche messen der Schule große Bedeutung hinsichtlich der Festigung der charakterlichen Anlagen der Schüler in sittlicher Hinsicht zu, wobei ausdrücklich auf die religiösen Werte Bedacht genommen wird. 1•2 Sowohl Staat als auch Kirche anerkennen die Pluralität im Schulwesen. 3•4 In diesem Zusammenhang ist die Verpflichtung des Staates, bei der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen, 5 wichtig. 1 Bezüglich des Staates siehe a) hinsichtlich des Schulbegriffes die einschlägige Judikatur (vgl. Kövesi I Jonak, Das Österreichische Schulrecht (II), S. 28 und 1084), wonach eine Schule nur eine Einrichtung ist, an der im Zusammenhang mit der Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten auch ein erzieherisches Ziel i. S. der Festigung der charakterlichen Anlagen der Schüler in sittlicher Hinsicht bezweckt wird; so auch§ 2 Abs. 1 und 2 des Privatschulgesetzes, BGBI. Nr. 244/1962 (vgl. auch die diesbezüglichen Erläuterungen zur Regierungsvorlage 735 der Beilagen zu den stenogr. Protokollen des NR IX. GP); b) hinsichtlich der Aufgabe der Schule§ 2 des Schulorganisationsgesetzes, BGBI. Nr. 242/1962, und§ 2 des Land- und forstwirtschaftliehen Bundesschulgesetzes, BGBI. Nr. 175/1966. 2 Bezüglich der Kirche siehe u. a. II. Vatikanisches Konzil, Erklärung über die christliche Erziehung .Gravissimum Educationis". 3 Ergibt sich aus Interkonfessionalität des öffentlichen Schulwesens (vgl. IV 1) einerseits und den Garantien für das Privatschulwesen sowie die Förderung der konfessionellen Privatschulen (vgl. III 2 und 4) andererseits. 4 Bezüglich der Anerkennung des Schulpluralismus durch die Katholische Kirche siehe Kongregation für das Katholische Bildungswesen: Die Katholische Schule, 12-14, Rom 1977. 5 Artikel 2 des Zusatzprotokolls vom 20. März 1952 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBI. Nr. 210/1958, welcher in Österreich gemäß Artikel II des Bundesverfassungsgesetzes vom 4. März 1964, BGBI. Nr. 59, als Verfassungsrecht gilt.
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Dementsprechend ist das Recht der Eltern .,für ihre Kinder die Schule nach ihrem Gewissen wirklich 6 frei wählen zu können" 7 zu verteidigen8 und das Recht auf einen dem Religionsbekenntnis entsprechenden Religionsunterricht eine logische Folgerung. Die vorstehenden Grundsätze lassen sich nur durch eine Partnerschaft von Staat und Kirchen (Religionsgesellschaften) bei Wahrung des jeweiligen eigenständigen Aufgabenbereiches verwirklichen. Die vorliegende Darstellung, die sich auf das Schulwesen ohne Hochschulwesen bezieht, soll einen Beitrag zur Möglichkeit der Prüfung bieten, inwieweit die Voraussetzungen für die Erfüllung dieser Grundsätze in Österreich bestehen.
II. Historische Entwicklung9 1. Schule Auf österreichischem Gebiet bestand durch Jahrhunderte 10 ein konfessionelles Schulwesen. Nicht nur die Kloster-, Dom- und Pfarrschulen, sondern auch die Stadtschulen standen unter der Leitung der Kirche. Erst im 18. Jahrhundert begann die Verstaatlichung des bis dahin kirchlichen Schulwesens, doch zeigte dies vorerst in der Realität des staatlichen Einflusses noch wenig Wirkung. Der endgültige rechtliche und tatsächliche Übergang vom konfessionellen zum staatlichen Schulwesen erfolgte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.'' 6 Hierbei kommt es nicht nur auf die rechtlichen, sondern auch auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten an. 7 II. Vatikanisches Konzil, 6. 8 Kongregation für das Katholische Bildungswesen, 82. 9 Literatur hierzu u. a.: Schmidt, Entwicklung der Katholischen Schule in Österreich; Enge/brecht, Geschichte des Österreichischen Bildungswesens; Kostelecky, Kirche und Staat sowie Krieg/, Kirche und Schule, beide in: Kirche in Österreich 1918-1965 (Hg.: Klostermann u.a.); Bittner, Kirche und Schule von 1918 bis in die Zweite Republik (in: VCL, Jg. 37/4). 10 Erstmalige urkundliche Erwähnung einer Klosterschule 774 (St. Peter in Salzburg). 11 Im Burgenland, das erst 1921 in den Österreichischen Staatsverband eingegliedert wurde, bestand noch bis zur Besetzung Österreichs im Jahre 1938 ein konfessionelles öffentliches Schulwesen, das im Rahmen der Schulgesetzgebung 1962 auch finanziell abgelöst worden ist (Artikel III des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen (sog. Schulkonkordat), BGBl. Nr. 273/1862; Bundesgesetz über einen Beitrag des Bundes zur Einrichtung des evangelischen Schulwesens im Burgenland, BGBL Nr. 249/1962).
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Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Gesetz vom 25. Mai 1868, wodurch grundsätzliche Bestimmungen über das Verhältnis der Schule zur Kirche erlassen werden, RGBI. Nr. 48, welches nicht nur festgelegt hat, daß die oberste Leitung und Aufsicht über das gesamte Unterrichts- und Erziehungswesen- also auch des privaten Schulwesensdem Staat zusteht und durch die hierzu gesetzlich berufenen Organe auszuüben ist, sondern auch sonstige Maßnahmen zur Durchsetzung dieses Leitgedankens enthalten hat. Der bis dahin neben den weltlichen Schulbehörden bestandene Wirkungsbereich der geistlichen Schulaufsicht wurde gleicherweise auf die neu geschaffenen staatlichen Schulbehörden übertragen. Lediglich die Besorgung, Leitung und unmittelbare Beaufsichtigung des Religionsunterrichts sowie die Errichtung von konfessionellen Schulen aus eigenen Mitteln (Privatschulen) wurde den Kirchen (Religionsgesellschaften) gewährleistet. (Die in diesem Gesetz enthaltenen Grundsätze finden sich im wesentlichen auch noch in der heutigen Rechtsordnung. 12 ) Dadurch, daß die nunmehr als Privatschulen geführten konfessionellen Schulen keine staatlichen Zuschüsse erhielten, wurde das konfessionelle Schulwesen besonders beeinträchtigt. Entsprechend dem Artikel VI des Konkordates 1933/34 kam es in der Folgezeit wieder zu einer Subventionierung der katholischen Privatschulen, wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage jedoch nur im bescheidenen Umfang. Die Besetzung Österreichs durch das nationalsozialistische Deutsche Reich hatte auch die Aufhebung der katholischen Privatschulen zur Folge. 1945 durften die konfessionellen Privatschulen wieder eröffnet werden, 13 anfänglich jedoch nur bis zu dem 1938 bestandenen Ausmaß. 14 Auch bei der 12 Vgl. insbesondere a) staatliche Schulaufsicht (Ausnahme siehe c); b) Landes- und Bezirksschulräte als kollegiale Schulbehörden, denen auch Vertreter der Kirchen (allerdings nunmehr ohne beschließende Stimme) angehören (hinsichtlich der Katholischen Kirche durch Art. IV des Schulkonkordats abgesichert); c) Besorgung, Leitung und (unmittelbare) Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes obliegt den Kirchen; d) Kirchen dürfen unter Beachtung der staatlichen Gesetze Privatschulen führen. 13 1945 nahm eine Parteienvereinbarung der Koalitionspartner als gesetzliche Grundlage für die Wiederherstellung des Privatschulwesens die Rechtslage von 1933 an, wenngleich dies nicht dem Rechtsüberleitungsgesetz, StGBl. Nr. 1/1945, entsprach. Erst durch das Privatschulgesetz, BGBI. Nr. 244/1962, wurde das 1933 geltende Provisorische Gesetz über den Privatunterricht, RGBI. Nr. 309/1850, ausdrücklich aufgehoben. 14 Gemäß einem Erlaß des Staatssekretärs im Unterrichtsministerium Ernst Fischer. Diese Entscheidung stand im Widerspruch zum wieder geltenden Art. 17 Abs. 2 StGG, RGBI. Nr. 142/1867.
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Öffentlichkeitsrechtsverleihung bestanden durch Jahre noch Beschränkungen.15 Erst durch die Schulgesetzgebung des Jahres 1962 (hier insbesondere durch die Novelle des B-VG BGBI. Nr. 215/1962, das Bundes-Schulaufsichtsgesetz, BGBI. Nr. 240/1962, sowie das Privatschulgesetz, BGBI. Nr. 244/1962) und das Schulkonkordat, BGBI. Nr. 273/1962, wurde eine einvernehmliche Regelung mit der Katholischen Kirche in den Fragen der Schulaufsicht und des Privatschulwesens gefunden. Die Kirche erhebt keinen Anspruch mehr auf ein konfessionelles öffentliches Schulwesen, sie hat jedoch Anspruch auf Führung von Privatschulen, denen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen das Öffentlichkeitsrecht zu verleihen ist. 16 Die Subventionierung der konfessionellen Privatschulen wurde mit einem Anspruch auf 60% der für diese Schulen im Schuljahr 1961/62 erforderlich gewesenen LehreTdienstposten (mit entsprechender Sicherung für die künftige Entwicklung) fixiert. 17 1970/71 konnten die Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich über eine Erhöhung der Lehrerpersonalsubventionierung auf 100% des jeweiligen Bedarfs rasch abgeschlossen werden, doch war die parlamentarische Behandlung der Änderung des Schulkonkordats und des Privatschulgesetzes "nicht friktionsfrei" 18 , so daß die Beschlußfassung im Nationalrat über den Anfang März 1971 abgeschlossenen Zusatzvertrag und die Privatschulgesetz-Novelle erst Ende Mai 1972 erfolgt ist. 19 Dem Staat obliegt die Schulaufsicht über das gesamte Schulwesen, bezüglich des Religionsunterrichts jedoch nur in organisatorischer und schuldisziplinärer Hinsicht (im übrigen obliegt die Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes der Kirche). 20
15 Bis 1953 wurde das Öffentlichkeitsrecht immer nur auf ein Schuljahr verliehen. Außerdem wurde die Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes an konfessionelle Schulen, die dieses Recht 1938 nicht hatten, von den Koalitionsparteien lange Zeit als sensible politische Materie betrachtet. Dies erklärt die ausdrückliche Verankerung des Rechtes auf Erhalt des Öffentlichkeitsrechtes bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen im Art. 14 Abs. 7 B-VG durch die Novelle BGBI. Nr. 215/1962. 16 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. li § 1 des Schulkonkordats. 17 Art. li § 2 des Schulkonkordats und§§ 17 bis 20 des Privatschulgesetzes in der ursprünglichen Fassung. 18 Vgl. das stenographische Protokoll über die Sitzung des NR vom 30. Mai 1972, s. 2549f. 19 §§ 18 und 19 des Privatschulgesetzes i.d.F. BGBI. Nr. 290/1972. 20 Vgl. insbes. Art. 14, 14a und 81a B-VG sowie das Bundes-Schulaufsichtsgesetz (in letzterem sind Vertreter von Kirchen und Religionsgesellschaften mit beratender Stimme in den Kollegien der Landes- und Bezirksschulräte vorgesehen);§ 2 SchuleKirche-Gesetz, Art. I§ 2 Abs. 2 des Schulkonkordats sowie§ 2 Abs. 1 Religionsunterrichtsgesetz und die Ausführungen unter IV 3 d.
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2. Religionsunterricht Solange der Religionsunterricht in ein konfessionelles öffentliches Schulwesen, das noch dazu unter kirchlicher Aufsicht stand, eingebettet war, ergaben sich hinsichtlich des Religionsunterrichtes (jedenfalls soweit es sich um den katholischen handelte) keine besonderen Regelungsbedürfnisse seitens des Staates. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war einerseits der wesentliche Inhalt des Religionsunterrichtes in staatlichen Vorschriften geregelt, andererseits befand sich die unmittelbare Aufsicht über den gesamten Unterricht im wesentlichen in Händen der Kirche. 21 Der Kontrapunkt zu dieser Situation erfolgte 1867/68, nämlich einerseits durch Art. 17 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger und andererseits durch § 2 des Schule-Kirche-Gesetzes. Dadurch wurde ausdrücklich der Religionsunterricht2 2 im Rahmen der Schule den Kirchen und Religionsgesellschaften zugeordnet. Nachdem in der Ersten Republik von sozialdemokratischer Seite gegen den pflichtigen Religionsunterricht Stellung genommen worden war, erfolgte durch das Konkordat 1933/34 eine Festigung dieses Pflichtgegenstandes. 1938 wurde der pflichtige Religionsunterricht durch einen Unterricht, zu dem eine besondere Anmeldung erforderlich war, ersetzt. Besonders bemerkenswert ist, daß das erste Schulgesetz der Zweiten Republik das Religionsunterrichtsgesetz im Jahr 1949 war, wobei zum Wirksamwerden dieses Gesetzes für das gesamte Bundesgebiet zehn gleichlautende Gesetze (Bundesgesetz und in allen Ländern Landesgesetze) erforderlich waren. 23 Es trat zwischen dem 1. Jänner und 1. März 1950 in den einzelnen Bundesländern in Kraft. Der Religionsunterricht wurde mit diesen Gesetzen als Pflichtgegenstand für die Angehörigen der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften an den allgemeinbildenden Schulen festgelegt (mit Abmeldemöglichkeit); an den übrigen Schulen war 21 Vgl. den I. und III. Abschnitt der Politischen Verfassung der deutschen Schulen in den kaiserl. königl. deutschen Erbstaaten 1807. 22 Einschließlich religiöser Übungen. Diese zählen heute nicht mehr als Veranstaltungen der Schule, doch ist die Teilnahme in bestimmtem Ausmaß zu ermöglichen (§ 2a Abs. 2 RelUG). Bezüglich der religiösen Übungen bestand bis 1919 sowie zwischen 1933 und 1938 eine Teilnahmeverpflichtung (vgl. die Erläuterungen zu§ 2a der RelUG Nov. 1962, 734 der Beilagen zu den stenogr. Prot. des Nationalrates IX. GP). Auf die besondere Stellung des Schulgebetes sei hier nicht näher eingegangen (siehe hierzu Schwendenwein, .Religion in der Schule"). Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, daß schon Art. 14 StGG 1867 bestimmt, daß niemand zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an einer kirchlichen Feier (außer er steht in der .gesetzlichen Gewalt eines Anderen") gezwungen werden darf. 23 Paktierte Gesetzgebungaufgrund des §42 Verfassungs-Übergangsgesetz 1920 i.d.F. 1929.
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der Religionsunterricht nur dort Pflichtgegenstand, wo er als solcher schon im Jahre 1933 geführt worden ist. 1962 schließlich brachte die Ausweitung des Pflichtgegenstandes Religion auch auf das berufsbildende Schulwesen (mit Ausnahme der Berufsschulen). Maßgeblich dafür waren das Schulkonkordat sowie die Religionsunterrichtsgesetz-Novelle 1962 (BGBl. Nr. 243). Während in den Ländern Tirol und Vorarlberg der Religionsunterricht an den Berufsschulen Pflichtgegenstand blieb, durfte er in den übrigen Ländern nur als Freigegenstand ohne Zeugnisvermerk geführt werden. 24 Erst die Novelle 1988 (BGBl. Nr. 329) brachte eine Gleichstellung des Freigegenstandes Religion hinsichtlich der Dokumentation im Zeugnis mit den übrigen Freigegenständen. Daß dies durch einstimmigen Beschluß aller Parlamentsparteien erfolgte, zeigt, daß Fragen des Religionsunterrichtes heute keine politischen Streitfragen mehr sind. 3. Zusammenfassung Die historische Entwicklung läßt erkennen, welch schwieriger Weg zu gehen war, um die derzeitige ausgewogen erscheinende Situation zwischen Staat und Kirche in Schulangelegenheiten zu erreichen. Dieses Verhältnis wäre ohne die Schulgesetzgebung 1962 nicht erreichbar gewesen, und hierfür wiederum waren die Anerkennung der Geltung des Konkordats 1933/34 und der Abschluß des Vertrages zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen (BGBl. Nr. 195/1960) eine der Voraussetzungen. 25 •26 111. Öffentliche Schule - Privatschule
1. Vorbemerkung Gemäß Art.14 Abs.6 und 7 des B-VG i.d.F. BGBl. Nr. 215/1962 und Art.14a Abs. 7 B-VG i.d.F. BGBl. Nr. 316/1975 sind öffentliche Schulen die vorn gesetzlichen Schulerhalter erhaltenen Schulen; 27 alle anderen Schulen 24 Ein darüber hinausgehender Zustand in einzelnen Ländern und an einzelnen Schulen blieb gemäß dem Schulkonkordat und § 1 Abs. 3 RelUG unberührt. 25 Siehe Kostelecky, S. 215 f. 26 Die Bedeutung von Bischof Dr. Kostelecky in diesem Zusammenhang hob Dr. Schamheck in seiner Rede vor dem Bundesrat am 19. November 1981 hervor (stenographisches Protokoll über die 415. Sitzung des Bundesrates, S. 15519). 27 Danach sind- von wenigen verfassungsrechtlichen Ausnahmen abgesehenöffentliche Schulen die von den Ländern und Gemeinden nach Maßgabe landesgesetzlicher Vorschriften erhaltenen Pflichtschulen i. S. des Schulorganisations-
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sind Privatschulen. 28 Für letztere gilt das Privatschulgesetz, 29 •30 welches für alle Privatschulen gleichermaßen gilt; Sonderregelungen für konfessionelle Privatschulen enthält es nur hinsichtlich des Subventionsanspruches. 2. Interkonfessionalität der öffentlichen Schule Nach der Österreichischen Bundesverfassung sind die öffentlichen Schulen31 allgemein zugänglich, und zwar ausdrücklich auch ohne Unterschied des Bekenntnisses (Art. 14 Abs. 6 B-VG i.d.F. BGBI. Nr. 215/1962 und hinsichtlich der land- und forstwirtschaftliehen Schulen Art.14a Abs. 7 B-VG i.d.F. BGBI. Nr. 316/1975). Die öffentlichen Schulen sind somit interkonfessionell. Die verfassungsmäßige Interkonfessionalität wird durch § 4 Abs. 3 des Schulorganisationsgesetzes, BGBI. Nr. 242/1962, wiederholt und auf die von öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern (ausgenommen Kirchen und Religionsgesellschaften und nach deren Recht bestehenden Einrichtungen 32 } erhalgesetzes sowie land- und forstwirtschaftliehen Berufs- und Fachschulen und die vom Bund erhaltenen übrigen Schulen (einschließlich der Forstfachschule). 28 Daher fallen auch alle von Kirchen sowie Religionsgesellschaften und ihren Einrichtungen erhaltenen Schulen unter den Begriff "Privatschulen". Auch jene katholischen Schulen, die traditionsgemäß gemäß § 26 Abs. 1 Privatschulgesetz zur Führung der Bezeichnung .öffentlich" im Titel berechtigt sind, haben die Rechtsnatur einer Privatschule. 29 Im land- und forstwirtschaftliehen Schulbereich findet für die höheren Schulen, die Anstalten für die Aus- und Fortbildung von Lehrern sowie für die Fachschulen zur Ausbildung von Forstpersonal gemäߧ 1 des Land- und forstwirtschaftliehen Privatschulgesetzes, BGBI. Nr. 318/1975, ebenfalls das Privatschulgesetz Anwendung. Für die land- und forstwirtschaftliehen Berufs- und Fachschulen gelten die aufgrundder einschlägigen Grundsatzgesetze des Bundes erlassenen landesgesetzlichen Vorschriften. Hinsichtlich der Subventionierung der konfessionellen land- und forstwirtschaftlichen Berufs- und Fachschulen gilt jedoch Abschnitt II A des Land- und forstwirtschaftliehen Privatschulgesetzes, der den diesbezüglichen Bestimmungen des Privatschulgesetzes 1962 nachgebildet wurde, als unmittelbar anzuwendendes Bundesrecht 30 Daneben enthalten insbesondere hinsichtlich der Aufnahme in die (konfessionellen) Privatschulen das Schulorganisationsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliehe Bundesschulgesetz sowie das Schulunterrichtsgesetz Sonderbestimmungen. 31 Das gleiche gilt für die öffentlichen Kindergärten, Horte und Schülerheime. 32 Theoretisch ergibt sich hier ein gewisser Widerspruch zwischen dem Schulorganisationsgesetz und dem Privatschulgesetz (ebenso Schulkonkordat), da nach dem Privatschulgesetz zusätzlich jene Schulen konfessionelle Privatschulen sind, die von Vereinen, Stiftungen und Fonds erhalten werden und von der zuständigen kirchlichen (religionsgesellschaftlichen) Oberbehörde als konfessionelle Schulen anerkannt wurden (§ 17 Abs. 2 Privatschulgesetz und Art. II § 3 des Schulkonkordats). In der Praxis haben sich hier noch keine Probleme ergeben. Sollte ein Fall auftreten, wäre nach dem Konkordat und dem Privatschulgesetz vorzugehen.
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tenen Privatschulen mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung ausgeweitet. Gleiches sieht § 3 Abs. 1 des Land- und forstwirtschaftliehen Bundesschulgesetzes für die durch dieses Gesetz geregelten öffentlichen Schulen 33 vor. Unbeschadet dessen sehen die §§ 2 des Schulorganisationsgesetzes und des Land- und forstwirtschaftliehen Schulgesetzes vor, daß bei der schulischen Erziehung auch an den öffentlichen Schulen u. a. nach religiösen Werten zu erziehen ist. Andererseits sollen nach diesen Bestimmungen an allen unter diese Gesetze fallenden Schulen (somit auch für die konfessionellen Privatschulen mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung) die Schüler u. a. zur Aufgeschlossenheit gegenüber dem weltanschaulichen Denken anderer geführt werden. Das Österreichische Privatschulrecht kennt daher keine Bestimmung, nach der es konfessionellen Privatschulen verwehrt wäre, Schüler anderer Konfessionen oder konfessionslose Schüler aufzunehmen. 3. Verfassungsrechtlicher Schutz des Privatschulwesens Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatschulen allgemein und damit auch der konfessionellen Privatschulen ist ein dreifacher: a) Gemäß Art. 17 Abs. 2 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBI. Nr. 142/1867, 34 ist jeder Staatsbürger berechtigt, Unterrichts- und Erziehungsanstalten (somit insbesondere Privatschulen) zu gründen, wenn er seine Befähigung hierzu in gesetzlicher Weise 35 nachgewiesen hat. Wenngleich sich aus dem Wortlaut dieses Artikels nur ein Staatsbürgerrecht ergeben würde, wird dieses Recht nach herrschender Lehre nicht auf die Staatsbürger beschränkt. In diesem Sinne stellt§ 3 Abs. 1 des Privatschulgesetzes ausdrücklich fest: "Die Errichtung von Privatschulen ist im Sinne des Artikels 17 Abs. 2 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, RGBI. Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, und - soweit es sich um Schulen von gesetzlich anerkannten Kirchen oder Religionsgesellschaften handelt - auch im Sinne des § 4 des Gesetzes vom 25. Mai 1868, RGBI. Nr. 48, wodurch grundsätzliche Bestimmungen über das Verhältnis der Schule zur Kirche erlassen werden, bei Erfüllung der in diesem Bundesgesetz enthaltenen näheren Vorschriften gewährleistet." b) Wie sich aus der Darstellung der historischen Entwicklung ergibt, kommt der inhaltlichen Gleichstellung der öffentlichen und der konfessio33 34
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Hier keine Ausweitung auf Privatschulen (solche gab es 1975 nicht). Dieses gilt gemäß Art. 149 B-VG als Verfassungsgesetz. Nach den Bestimmungen des Privatschulgesetzes, BGBI. Nr. 244/1962.
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nellen Privatschulen besondere Bedeutung zu. Dies geschieht in der Österreichischen Rechtsordnung durch die Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes, wodurch die Zeugnisse über den Erfolg des Schulbesuches mit der Beweiskraft öffentlicher Urkunden und mit den gleichen Rechtswirkungen ausgestattet sind wie Zeugnisse gleichartiger öffentlicher Schulen. 36 Daher war dieser Punkt eine wesentliche Frage in den Verhandlungen zur Schulgesetzgebung 1962. Als Ergebnis wurde die Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes bei Erfüllung der gesetzlichenVoraussetzungendurch Art. 14 Abs. 7 B-VG verfassungsrechtlich garantiert. c) Die in lit. a und b dargestellten verfassungsrechtlichen Garantien erfolgten unter Gesetzesvorbehalt Durch Änderung des Privatschulgesetzes könnten daher die Rechte der Privatschulerhalter - und somit auch der Kirchen und Religionsgesellschaften - eingeschränkt werden. Damit dies nicht zu leicht erfolgen kann, bestimmt Art. 14 Abs. 10 B-VG, daß u. a. in den Angelegenheiten der Privatschulen und des Verhältnisses von Schule und Kirchen (Religionsgesellschaften) Bundesgesetze nur mit den gleichen Beschlußerfordernissen wie Verfassungsgesetze 37 erlassen werden können. Demnach ist zur Beschlußfassung im Nationalrat die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich. 4. Besondere Stellung der konfessionellen Privatschulen a) Subventionierung nach dem Privatschulgesetz 38
Die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften haben für die konfessionellen Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht Anspruch auf jene Lehrerdienstposten, 39 die zur Erfüllung des Lehrplanes der betreffenden Schulart erforderlich sind, soweit das Verhältnis der Schüler-Lehrer-Zahl im wesentlichen jenem an öffentlichen Schulen vergleichbarer Art und örtlicher Lage entspricht. Die Subventionierung hat in der Regel durch die Zuweisung von Lehrern zu erfolgen, wobei die zuständige kirchliche (religionsgesellschaftliche) Oberbehörde die Zuweisung zu beantragen hat oder keinen Einwand erhebt; auch der zugewiesene Lehrer muß einverstanden 36
gen. 37
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§ 35 Abs. 1 Privatschulgesetz. § 35 Abs. 2leg. cit. enthält weitere Rechtswirkun-
Diese Gesetze sind jedoch einfache Bundesgesetze (keine Verfassungsgesetze).
§§ 17 bis 20 des Privatschulgesetzes, BGBI. Nr. 244/1962 i.d.F. BGBI. Nr.
290/1972. Bezüglich der land- und forstwirtschaftliehen Privatschulen siehe auch Anm. 29. 39 Nunmehr als Planstellen bezeichnet. 7 Pax et Justitia
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sein. Bei den katholischen Privatschulen ist auch Z 4 des Schlußprotokolls zum Schulkonkordat zu beachten, wonach Personen, die vom Diözesanordinarius für die Verwendung an katholischen Schulen vorgeschlagen werden und die staatlichen Anstellungserfordernisse erfüllen, bevorzugt zu berücksichtigen sind. Der Subventionslehrer steht in einem Dienstverhältnis zum Bund; wenn es sich um einen Landeslehrer 40 handelt, im Dienstverhältnis zum betreffenden Bundesland. Sofern die Zuweisung eines Bundesbzw. Landeslehrers nicht möglich ist, ist dem vom konfessionellen Schulerhalter eingesetzten Lehrer vom Bund eine entsprechende Vergütung auszuzahlen, wodurch jedoch kein Dienstverhältnis zum Bund begründet wird; nur für Lehrer, die Angehörige eines Ordens oder einer Kongregation der Katholischen Kirche sind und an einer Schule dieses Ordens (dieser Kongregation) unterrichten, wird die Vergütung an den Schulerhalter bezahlt. Wegen der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Lehrerpersonalsubventionierung hat sich bereits 1962 die Frage erhoben, ob eine Sachsubventionierung41 zulässig ist. Das Bundesministerium für Unterricht hat daher mit Erlaß vom 28. September 1962, Zl. 95.795-10/62, ausdrücklich festgestellt, daß über das aus den Bestimmungen des Privatschulgesetzes sich ergebende Ausmaß der Subventionen zum Lehrerpersonalaufwand hinausgehende Beiträge, insbesondere zum Sachaufwand oder Bauaufwand von Privatschulen und privaten Schülerheimen, durch die Bestimmungen des Privatschulgesetzes nicht ausgeschlossen sind; sie können allerdings nur insoweit gewährt werden, als das jeweilige Budget (des Bundes, der Länder oder Gemeinden) entsprechende Förderungskredite vorsieht. In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse, daß im Zuge der Bemühungen um die nationalratsmäßige Genehmigung des Zusatzvertrages zum Schulkonkordat vom 8. März 1971, der die Subventionierung im vollen Ausmaß des Lehrerpersonalaufwandes bringen sollte, die Einfügung eines § 20 a in das Privatschulgesetz überlegt wurde, durch den eine über den Lehrerpersonalaufwand hinausgehende Subventionierung verboten werden sollteY Auch aus dieser Tatsache ergibt sich die Richtigkeit des seinerzeitigen Ministerialerlasses, wonach eine über die Lehrerpersonalsubventionierung hinausgehende Subventionierung zulässig ist, wobei jedoch auf eine solche kein Rechtsanspruch besteht. 43 40 Landeslehrer für Pflichtschulen und land- und forstwirtschaftliche Berufs- und Fachschulen. 41 Im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gemäß Art. 17 B-VG. 42 Siehe das stenographische Protokoll über die Sitzung des Nationalrates vom 30. Mai 1972, S. 2550. 43 Zu dem vereinzelt vorgebrachten Einwand, daß für eine derartige zusätzliche Förderung keine materiellrechtliche gesetzliche Deckung im Sinne des Art. 18 Abs. 1 B-VG bestehe, ist festzustellen, daß eine solche für weite Bereiche staatlicher Förde-
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Die Bedeutung des konfessionellen Schulwesens und der Umfang der Beiträge des Bundes zur Erhaltung konfessioneller Privatschulen bezeugt ein Memorandum aus dem Jahr 1986. 44 Damals betrug der Anteil der Schüler an Privatschulen 9,1 %der Gesamtschülerzahl, wobei der Anteil der Schüler an katholischen Privatschulen 4,41 % der Gesamtschülerzahl betrug. 45 Aus den in diesem Memorandum genannten Zahlen läßt sich errechnen, daß damals der Bund rund 71% der Gesamtkosten getragen hat; 14% der Gesamtkosten entfielen auf die Eltern und 15% auf die Diözesen und Orden. Die verschiedene Behandlung konfessioneller und nichtkonfessioneller Privatschulen hinsichtlich der Subventionierung46 ist nicht als eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes anzusehen, weil die öffentlichen Schulen -ebenso wie die nichtkonfessionellen Privatschulen - interkonfessionell sind und die konfessionellen Privatschulen daher eine Ergänzung des öffentlichen Schulwesens darstellen, die es den Eltern (im Sinne des Art. 2 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten) erleichtert, die ihrer religiösen Auffassung entsprechende Erziehung ihrer Kinder frei zu wählen. 47
b) Schutz der katholischen Privatschulen durch das Konkordat Neben dem Schutz der konfessionellen Privatschulen, wie er im vorstehenden Unterabschnitt dargestellt ist, genießen die katholischen Privatschulen auch den Schutz eines völkerrechtlichen Vertrages, nämlich des Vertrages vom 9. Juli 1962 zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen samt Schlußprotokoll (BGBI. Nr. 273), in der Fassung des Zusatzvertrages vom 8. März 1971 (BGBI. Nr. 289/1972). rung nicht gegeben ist. Auch das Argumentecontrario ist hier aus einer Reihe von Gründen nicht anwendbar. 44 Wiedergegeben in ,.Ordensnachrichten" (Amtsblatt und Informationsorgan der Österr. Superiorenkonferenz) 1986/Heft 3. 45 Interessant ist auch der Prozentanteil der Schüler an den Privatschulen im Verhältnis zur GesamtschülerzahL Dieser Anteil betrug im Schuljahr 1962/63 (also vor dem Wirksamwerden des Privatschulgesetzes) 5,2 %, 1972/73 7,4% und erreichte 1984/85 9,1 %. Im Schuljahr 1988/89 betrug er nur 6,9% (Quellen: Schulstatistik; Krätzl, ,.Die Situation der Katholischen Privatschulen in Österreich" in der Dokumentation über die Enquete der Katholischen Schulen Österreichs vom 8. und 9. November 1985; das zitierte Memorandum. Berechnung ohne land- und forstwirtschaftliche Schulen). 46 Die nichtkonfessionellen Privatschulen haben gemäß § 21 Privatschulgesetz bzw. § 7 Land- und forstwirtschaftliches Privatschulgesetz keinen Rechtsanspruch auf Subventionierung. 47 Kövesi I Jonak, S. 1095. 7'
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Danach hat die Katholische Kirche und ihre nach kirchlichem Recht bestehenden Einrichtungen das Recht, unter Beobachtung der staatlichen allgemeinen schulrechtlichen Vorschriften 48 Schulen aller Arten zu errichten und zu führen. Unter katholischen Schulen sind die von der Kirche oder den nach kirchlichem Recht bestehenden Einrichtungen sowie die von Vereinen, Stiftungen und Fonds geführten Schulen zu verstehen, letztere jedoch nur, wenn und solange sie vom zuständigen Diözesanordinarius als katholische Schulen anerkannt sind. Ferner wird im Schulvertrag die Zuerkennung des Öffentlichkeitsrechtes an die katholischen Privatschulen auf die Dauer der Erfüllung der in den staatlichen Schulgesetzen 48 hierfür taxativ aufgestellten Voraussetzungen zugesagt. Schließlich enthält das Schulkonkordat die Grundlage und das Ausmaß der Verpflichtung des Staates zur Subventionierung der katholischen Privatschulen, was im Privatschulgesetz zum Teil näher ausgeführt wird. Bei der Vereinbarung über die Subventionierung haben sich die beiden vertragsschließenden Teile das Recht vorbehalten, bei wesentlicher Änderung der Struktur des öffentlichen Schulwesens gegenüber dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses49 oder wesentlicher Änderung der staatsfinanziellen Lage Verhandlungen über eine Modifikation zu begehren. IV. Religionsunterricht 1. Vorbemerkung Gemäß Art. 17 Abs. 4 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (1867) ist für den Religionsunterricht in den Schulen von der betreffenden Kirche (Religionsgesellschaft) Sorge zu tragen. Unbeschadet dessen bestimmt noch Abs. 5 dieses Artikels, daß dem Staate hinsichtlich des gesamten Unterrichtswesens das Recht der obersten Leitung und Aufsicht zusteht. Durch § 2 Abs. 1 des Gesetzes, wodurch grundsätzliche Bestimmungen über das Verhältnis der Schule zur Kirche erlassen werden (1868), wurde Art. 17 StGG insofern spezifiziert, als festgelegt wurde, daß unbeschadet des obersten staatlichen Aufsichtsrechtes die Besorgung, Leitung und unmittelbare Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes der betreffenden Kirche (Religionsgesellschaft) überlassen bleibt. Insbesondere des Privatschulgesetzes. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses stand bereits die durch das Schulorganisationsgesetz 1962 vorgesehene Neuordnung des Schulwesens fest, so daß bei Betrachtung dieser Vertragsklausel von dieser Schulorganisation auszugehen ist. 48
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Die näheren Bestimmungen enthält das Religionsunterrichtsgesetz, BGBI.
Nr. 190/1949, in der Fassung der Bundesgesetze BGBI. Nr. 185/1957, 243/1962, 324/1975 und 329/1988. Für den katholischen Religionsunterricht
enthält das Schulkonkordat noch besondere Bestimmungen, auf die im folgenden hingewiesen werden wird. 2. Ausmaß des Religionsunterrichtes Der Religionsunterricht ist an allen im Schulorganisationsgesetz geregelten Schularten für die einer gesetzlich anerkannten Kirche (Religionsgesellschaft) angehörenden Schüler Pflichtgegenstand, mit Ausnahme der Berufsschulen, wo er als Freigegenstand anzubieten ist (in den Berufsschulen in Tirol und Vorarlberg ist er jedoch Pflichtgegenstand). Ferner ist der Religionsunterricht Pflichtgegenstand an den Schulen zur Ausbildung von Sportlehrern und Leibeserziehern sowie an den land- und forstwirtschaftliehen Berufsschulen, mittleren und höheren Schulen. An den lehrerbildenden Akademien (auch im landwirtschaftlichen Bereich) wird dieser Pflichtgegenstand als Religionspädagogik geführt. Allerdings besteht vom Pflichtgegenstand am Beginn des Schuljahres eine Abmeldemöglichkeit 5°
Das zeitliche Ausmaß des Religionsunterrichtes ist gemäß § 2 Abs. 2 RelUG vom Staat festzusetzen, wobei vor der Festsetzung und vor jeder Änderung der Wochenstundenzahl den gesetzlich anerkannten Kirchen (Religionsgesellschaften) Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Das Wochenstundenausmaß beträgt derzeit im Regelfall 2 Wochenstunden. Davon ist das Ausmaß der staatlichen Bezahlung des Religionsunterrichtes (siehe den folgenden Unterabschnitt 4) zu unterscheiden. Für den katholischen Religionsunterricht ergeben sich aufgrund des
Schulkonkordates folgende Sonderregelungen:
a) Die Katholische Kirche hat das Recht, den katholischen Schülern an allen öffentlichen und allen mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen Religionsunterricht zu erteilen (Art. I§ 1 dieses Konkordats). Dieses Recht erfaßt somit auch die mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Privatschulen mit eigenem Organisationsstatut und geht somit über den§ 1 Re!UG hinaus. Ob die Kirche von diesem Recht Gebrauch macht, bleibt ihr überlas50 Bis zum vollendeten 14. Lebensjahr kann die Abmeldung des Schülers durch die Eltern erfolgen; im Gegensatz zur Regelung des § 60 Abs. 2 des Schulunterrichtsgesetzes ist hier nicht jeder Elternteil für den anderen handlungsberechtigt Ab dem vollendeten 14. Lebensjahr steht das Recht auf Abmeldung dem Schüler selbst zu. Diese Altersgrenze ist durch die mit Vollendung des 14. Lebensjahres erreichte Religionsmündigkeit bedingt (vgl. § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung 1985, BGBI. Nr. 155).
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sen. Nur im Falle eines diesbezüglichen Verlangens hat der Staat bei der Genehmigung des Organisationsstatutes bzw. bei dessen Erlassung auf die Einrichtung des Religionsunterrichtes für die katholischen Schüler zu achten. b) Soweit zum Zeitpunkt des Abschlusses des Schulkonkordats ein über die Regelungen des RelUG zum Vorteil der Katholischen Kirche hinausgehender Zustand gegeben war, bleibt dieser erhalten {Art. I § 2 Abs. 2 des Schulkonkordats). c) Das zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehende Stundenausmaß für den katholischen Religionsunterricht soll nicht herabgesetzt werden. Eine Neufestsetzung des Stundenausmaßes wird zwischen der Kirche und dem Staat einvernehmlich erfolgen, ist somit der Kirche nicht nur zur Stellungnahme zu übermitteln. Darüber hinaus haben die katholischen Schulen das Recht, nach Anzeige an die staatliche Schulbehörde ein höheres Ausmaß für den Religionsunterricht festzusetzen {Art. I§ 1 Abs. 3 des Schulkonkordats). 3. Verantwortung der Kirche für den Religionsunterricht a) Religionslehrer
Religionslehrer an öffentlichen Schulen werden entweder vom Staate angestellt oder von der Kirche bestellt. Der Staat darf gemäß § 4 Abs. 2 Re!UG nur solche Personen als Religionslehrer anstellen, die neben den staatlichen Anstellungserfordernissen auch von der zuständigen kirchlichen {religionsgesellschaftlichen) Behörde als hierzu befähigt und ermächtigt erklärt sind; vor Aufnahme in das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis sowie bei der Verleihung einer schulfesten Stelle ist überdies die kirchliche {religionsgesellschaftliche) Behörde zu hören. Für die kirchlich {religionsgesellschaftlich) bestellten Lehrer zahlt der Staat eine im § 6 Re!UG festgelegte Vergütung. Aufgrund des Schulkonkordats gibt es auch über die religionsunterrichtsgesetzlichen Regelungen hinausgehende Vertragsinhalte. So steht der kirchlichen Behörde für die Anstellung als Religionslehrer ein Vorschlagsrecht zu (Art. I§ 3 Abs. 2 des Schulkonkordats). b) Religionslehrpläne
Die Lehrpläne für den Religionsunterricht werden hinsichtlich des Lehrstoffes und seiner Aufteilung auf die einzelnen Schulstufen von der betref-
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fenden Kirche (Religionsgesellschaft) im Rahmen der staatlich festgesetzten Wochenstundenzahl erlassen und sodann vom Staat 51 bekanntgemacht Diese Bekanntmachung hat nur deklaratorischen Charakter. c) Schulbücher für den Religionsunterricht
Die für die Eignungsfeststellung von Unterrichtsmitteln (einschließlich der Lehrbücher) geltenden Vorschriften des Schulunterrichtsgesetzes finden auf Unterrichtsmittel für den Religionsunterricht gemäߧ 14 Abs. 8 SchUG keine Anwendung. Interessanterweise fehlt eine derartige Bestimmung in dem bereits wesentlich früher erlassenen Religionsunterrichtsgesetz; § 2 Abs. 3 RelUG bestimmt lediglich, daß für den Religionsunterricht .,nur Lehrbücher und Lehrmittel verwendet werden dürfen, die nicht im Widerspruch zur staatsbürgerlichen Erziehung stehen". Daraus läßt sich schließen, daß die im§ 7 Abs. 2 des Schule-Kirche-Gesetzes 1868 vorgesehene staatliche Genehmigung (nach Zulässigerklärung durch die konfessionelle Behörde) aufgehobenist Bezüglich der katholischen Religionslehrbücher legt§ 5 Abs. 2 des Schulkonkordats fest, daß von der Kirche nur Lehrbücher verwendet werden, die der staatsbürgerlichen Erziehung .,nach christlicher Lehre förderlich sind". An den öffentlichen und mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Privatschulen werden die Religionslehrbücher ebenso wie die übrigen Lehrbücher den Schülern aufgrund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 kostenlos zur Verfügung gestellt. Da sich der Staat nach der bestehenden Rechtsordnung nicht in die inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichtes einmengt, gilt der für die einzelnen Schularten festgelegte finanzielle Rahmen für die zur Verfügung zu stellenden Schulbücher nicht für die Religionslehrbücher. d) Aufsicht über den Religionsunterricht
Gemäß § 2 Abs. 1 RelUG wird der Religionsunterricht unmittelbar durch die betreffende Kirche (Religionsgesellschaft) beaufsichtigt. Dem Staat steht jedoch das Recht zu, durch seine Schulaufsichtsorgane den Religionsunterricht in organisatorischer und schuldisziplinärer Hinsicht zu beaufsichtigen. 51 Bei den land- und forstwirtschaftliehen Berufs- und Fachschulen erfolgt die Bekanntmachung durch die Landesregierungen; bei den sonstigen Schulen werden die Religionslehrpläne durch den Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport im Bundesgesetzblatt bekanntgemacht (Soweit auch die sonstigen Lehrpläne nicht im Bundesgesetzblatt kundgemacht werden, erfolgt die Bekanntmachung in anderer geeigneter Weise.)
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Es erhebt sich daher die Frage, ob neben der erwähnten "unmittelbaren Beaufsichtigung" durch die Kirche (Religionsgesellschaft) noch eine oberste staatliche Aufsicht (vgl. den unter IV 1 zitierten§ 2 Abs. 1 des Schule-KircheGesetzes 1868) besteht. Nach herrschender Lehre ist die inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichtes eine innerkirchliche Angelegenheit, weshalb dem Staat diesbezüglich keinerlei Zuständigkeit zukommen kann. Daß dem Staat nunmehr keinerlei Aufsichtsrecht im inhaltlichen Bereich des Religionsunterrichtes zusteht, ergibt sich auch aus den folgenden Argumentationen: Die im Art. 17 Abs. 5 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger und im § 1 und § 2 des Schule-Kirche-Gesetzes festgelegte oberste Leitung und Aufsicht über das gesamte Unterrichts- und Erziehungswesen durch den Staat wurde durch die diesbezügliche Festlegung im Art. 102 a B-VG ersetzt; dieser wurde durch die B-VG-Novelle BGBI. Nr. 215/1962 im Zusammenhang mit der Neuordnung der Schulaufsicht aufgehoben. Wenn der Inhalt des Religionsunterrichtes eine innerkirchliche Angelegenheit ist, dann sind dem entgegenstehende Vorschriften zum Zeitpunkt des Wiederinkrafttretens des B-VG mit 1. Mai 1945 durch das gleichzeitige Wiederinkrafttreten des Art. 15 des erwähnten Staatsgrundgesetzes aufgehoben worden. Für den katholischen Religionsunterricht erübrigen sich Erörterungen über den Begriffsinhalt einer .,unmittelbaren Beaufsichtigung", da Art. I§ 4 Abs. 1 des Schulkonkordats die Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes schlechthin (keine Bezugnahme auf die "unmittelbare" Beaufsichtigung) der Kirche zuordnet (Ausnahme: staatliche Organe dürfen auch den Religionsunterricht in organisatorischer und schuldisziplinärer Hinsicht beaufsichtigen). Lediglich im Zusammenhang mit der Bestellung der Religionsinspektoren wird im Schulkonkordat das Recht der nach kirchenrechtlichen Vorschriften zur Visitation des Religionsunterrichtes sonst berufenen Organe der Kirche, insbesondere jenes des Diözesanordinarius, über die Erteilung des Religionsunterrichtes und die Teilnahme der Schüler an diesem zu wachen, ausdrücklich erwähnt. Schließlich übernimmt der Staat auch die Kosten für die von den Kirchen (Religionsgesellschaften) zu bestellenden Fachinspektoren für den Religionsunterricht in einem im RelUG bestimmten Ausmaß. Diesen Fachinspektoren kommen nicht nur Aufgaben im Bereich der Kirchen (Religionsgesellschaften) zu; sie haben auch Funktionen im Rahmen der staatlichen Schulbehörden auszuüben, insbesondere im Rahmen der Landesschulräte. 4. Bezahlung des Religionsunterrichtes Wie bereits erwähnt, bezahlt der Staat die von ihm angestellten Religionslehrer und trägt die Vergütung der kirchlich (religionsgesellschaftlich) be-
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stellten Religionslehrer. Allerdings erfolgt diese Kostentragung mit der Maßgabe, daß der Aufwand für das Gesamtausmaß des lehrplanmäßigen Religionsunterrichtes nur dann vom Staat getragen wird, wenn mindestens die Hälfte der Schüler einer Klasse oder mindestens zehn Schüler einer Klasse (Religionsunterrichtsgruppe) am Religionsunterricht teilnehmen. Nehmen weniger Schüler, mindestens jedoch drei Schüler52 , am Religionsunterricht teil, so werden die Kosten für eine Wochenstunde vom Staat getragen; unbeschadet dessen kann der Unterricht im vollen Ausmaß erteilt werden, doch wird die allfällige zweite Stunde nicht vom Staat bezahlt. 5. Schulkreuz Durch die Novelle 1962 zum RelUG wurde in Übereinstimmung mit dem Schulkonkordat die Anbringung eines Kreuzes in allen Klassenräumen der im ersten Absatz der Ausführungen unter 2. genannten Schulen durch den Schulerhalter vorgeschrieben, sofern die Mehrzahl der Schüler einem christlichen Religionsbekenntnis angehört.
V. Schulkonkordat und innerstaatliches Recht
Das Schulkonkordat ist nach herrschender Auffassung self-executing; es hätte daher keiner näheren Ausführung durch Österreichische Gesetze bedurft. 53 Trotz der unmittelbaren Anwendbarkeit des Schulkonkordats in Österreich bedurfte es innerstaatlicher Gesetze insbesondere bezüglich des Religionsunterrichtes und der Subventionierung der Privatschulen, um gleichermaßen die anderen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften in Österreich in den Genuß der einschlägigen Rechte kommen zu lassen. Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, gibt es jedoch in manchen Bereichen Unterschiede zwischen dem Schulkonkordat einerseits, dem Privatschulgesetz und dem Religionsunterrichtsgesetz andererseits. Bezüglich der katholischen Schulen und des katholischen Religionsunterrichtes hat in diesen Fällen das Schulkonkordat Anwendung zu finden. Dies sowohl aus der Interpretationsregel, daß das spätere Gesetz das frühere derogiert (dies war 1962 der Fall) als auch daß das spezielle Gesetz im betreffenden Fall das generelle Gesetz derogiert (gilt sowohl für 1962 als auch für die Änderung 1972 hinsichtlich der Privatschulsubventionierung). 52 Bis zur RelUG-Novelle 1988 betrug die Mindestzahl für eine staatliche Bezahlung 5 Schüler. 53 V gl. u. a. den damaligen Obmann des Unterrichtsausschusses Gruber in seiner Rede vor dem Nationalrat am 30. Mai 1972 (stenographisches Protokoll, S. 2550).
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VI. Schlußbemerkung In der Einleitung wurden Grundsätze für den Bereich des Schulwesens genannt, die auf das Verhältnis zwischen der Republik Österreich und der Katholischen Kirche bedeutsame Auswirkungen haben. Die vorstehenden Ausführungen zeigen, daß es in Österreich nach vielen Problemen zwischen Staat und Kirche in Schulfragen seit 1962 gelungen ist, in Anerkennung der Aufgaben des Partners Lösungen zu finden, die im Interesse aller Beteiligten - insbesondere auch der Eltern und Schüler - liegen. Möge dieses Klima zwischen Staat und Kirche erhalten bleiben.
GEDANKEN ZUM VERHÄLTNIS ZWISCHEN KIRCHE UND STAAT Von Rudolf Kirchschläger, Wien Die nachfolgenden Überlegungen sind der Niederschlag einer 3 Jahrzehnte umfassenden nationalen und internationalen Erfahrung. Sie wollen keine wissenschaftliche Analyse der komplexen Materie der Beziehungen zwischen Staat und Kirche sein, einer Materie, welche zu allen Zeiten die Geschichte und damit auch die Menschen in einem entscheidenden Maß beeinflußt hat. Diese Überlegungen sparen aber auch die Konkordatsmaterie zwischen Österreich und dem Heiligen Stuhl aus, die das Verhältnis zwischen Rom und Wien in der Nachkriegszeit manchmal sehr stark emotionalisiert hat. Hierüber hat der verehrte Jubilar selbst in umfassender und prägnanter Weise geschrieben•. Da die Gedanken sich generell mit dem Verhältnis von Kirche und Staat auseinandersetzen, sei auch eine Begriffsabgrenzung vorangestellt. Unter dem Begriff ,.Kirche" wird für den Rahmen dieser Überlegungen nur die römisch-katholische Kirche verstanden. Der Begriff ,.Staat" hinwiederum wird nur für Staaten mit parlamentarischer Demokratie, also für Staaten mit sogenannter westlicher Gesellschaftsordnung verwendet, welche in der Verfassung und in der Praxis ihren Respekt vor den Grundfreiheiten der Menschen, insbesondere der Gedanken-Gewissens-Religions- und Überzeugungsfreiheit einschließlich des Rechts freier Meinungsäußerung bekunden. Wohl ist die Kirche an kein bestimmtes gesellschaftliches System gebunden, aber eine Betrachtung des Kirche-Staat-Verhältnisses etwa in den kommunistischen Ländern zeigte eine so verschiedene Ausgangsposition schon allein aus der Sicht der Stellung des Menschen in der gesellschaftlichen Ordnung, daß eine gemeinsame Behandlung mit der Situation in den Staaten freiheitlicher Demokratie kaum möglich ist. Es ist kein Zufall, sondern folgerichtige Konsequenz, daß die gegenwärtig im Gang befindlichen demo• Alfred Kostelecky, Anerkennung und Rechtsgültigkeit des Österreichischen Konkordats vom 5. Juli 1933 durch die Zusatzverträge mit dem Heiligen Stuhl in den Jahren 1960-1976, in: Kirche und Staat. Festschrift zum 65. Geburtstag von Fritz Eckert, herausgegeben von Herbert Schambeck, Berlin 1976, S. 215-240; fortgeführt in: Anerkennung der Rechtsgültigkeit des Österreichischen Konkordats vom 5. Juni 1933 durch die Zusatzverträge mit dem Heiligen Stuhl in den Jahren 1960-1981, Kath. Theol. Diplomarbeit, Wien 1984.
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kratischen Aufbrüche und Umwälzungen in der Sowjetunion und in den Staaten der bisher absoluten sowjetischen Einflußsphäre stets auch mit einer Veränderung der Stellung der jeweiligen christlichen Kirchen im Staate verbunden ist. Die sittliche Rechtfertigung der Existenz des Staates und damit auch die sittliche Rechtfertigung für die ihm zwangsläufig zukommende Ausübung von Macht über Menschen liegt in der Aufgabe der Förderung des Gemeinwohls (bonum commune), wobei es Aufgabe der Politik ist, das Gemeinwohl möglichst weitgehend mit dem Wohl des einzelnen Menschen in Einklang zu bringen. Der Daseinszweck der Kirche, von Christus dem Herrn gegründet, liegt in der Aufgabe, allen Menschen das Heil zu bringen (Abschnitt 3 des Konzilsdekrets über die sozialen Kommunikationsmittel "Inter mirifica"). Und auch im Konzilsdekret über das Apostolat der Laien "Apostolicam actuositatem" wird bestätigt: "Die Sendung der Kirche geht auf das Heil der Menschen." Kirche und Staat sind daher beide für den Menschen da; nicht zu dem Zweck, den Menschen zu besitzen oder ihn zu regieren, sondern ihm beizustehen, ja vielleicht sogar, ihm zu dienen. Denn nicht der Staat ist Gottes Ebenbild und auch die Kirche nicht. Es ist der Mensch, der als Abbild Gottes und nach seiner Gestalt (Genesis 1, 26) geschaffen wurde. Wenn auch damit nicht der Mensch zum Maß aller Dinge gemacht werden soll, so scheint es von Zeit zu Zeit doch nützlich, sowohl den Staat als auch die Kirche dar an zu erinnern, daß es ohne Menschen weder einen Staat noch eine Kirche auf Erden geben kann. Die Vernunft würde daher zu dem Schluß führen, daß Kirche und Staat, da beide um des Menschen und seines Heiles willen da sind, in einer breiten und umfassenden Zusammenarbeit an dem Heil und dem Wohl des Menschen arbeiten. Es dürfte daher im Verhältnis zwischen Kirche und Staat kein Raum für Streitfragen und Rivalitäten bleiben. Die Realität ist anders. Zwischen Kirche und Staat gab es zu allen Zeiten und gibt es auch in der Gegenwart gar manches Spannungsfeld. Dies mag nicht nur seinen Grund in einem bei beiden Partnern sehr stark entwickelten Prestige-Bedürfnis haben - Demut ist mehr eine personale denn eine gesellschaftliche Tugend-, sondern auch darin, daß für den Staat und auch für die Kirche die Versuchung groß ist, den Menschen in Besitz zu nehmen, das heißt, Macht auszuüben und den eigenen Einfluß zu mehren. Der Staat versucht, die Heilsaufgabe der Kirche nach seinen Intentionen zu interpretieren und die Kirche den innerstaatlichen und manchmal selbst zwischenstaatlichen Absichten vorzuspannen. Die Kirche hinwieder neigt dazu, den Staat als einen verlängerten Arm der Kirche zu betrachten und ihn nicht nur zur Erfüllung der ihr übertragenen Heilsaufgabe zu verwenden.
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In einer Zeit, in der die Vorbehalte gegenüber dem Staataufgrund einer nahezu pausenlosen Kritik am Staat sehr groß sind und aufgrund von manchen, mit dem Gedanken des Dienens nicht übereinstimmenden Praktiken von politischen und beamteten Amtsträgern des Staates noch wachsen, wird die Kirche in ihrer Kritik am Staat auf ein offenes Ohr der Menschen stoßen. Eine allzu große Genugtuung hierüber ist aber ungerechtfertigt. Auf gar nicht zu weite Sicht folgt nämlich das Image der Kirche auch dem Image des Staates. Ein Autoritätsverfall dort hat nahezu immer auch einen Autoritätsverfall hier zur Folge. Dies um so mehr, als die tatsächlichen Fehler im Staate meist auf Fehler in der Lebenseinstellung des Volkes beruhen und erst von dort, wenn auch überprojiziert, in den Fehlern der Politiker ihren Niederschlag finden. Diese Fehler schlagen sich aber auch ohne sehr große Verzögerung nicht nur in der kirchlichen Administration, sondern vor allem im Glaubens- und Lebensverständnis der Katholiken nieder. Schließlich besteht auch nicht selten eine innerkirchliche Neigung, sich für interne Auseinandersetzungen der Methoden zu bedienen, die auch im innenpolitischen Streit Verwendung finden. Der Staat und auch die politischen Parteien sind wohlberaten, sich von solchen Auseinandersetzungen fernzuhalten. Weder der Staat noch die Kirche können aus einem Ansehens- oder Autoritätsverlust des jeweilig anderen auf Dauer Nutzen ziehen. Die Erfahrung zeigt vielmehr, daß weder der Staat noch die Kirche aus einem offenen oder versteckten Gegeneinander oder einem teilnahmslosen Nebeneinander für sich Gewinn einbringen können. Nur ein konstruktives Miteinander bringt dem Staat und der Kirche und vor allem auch den Menschen, die Staat und Kirche bilden, wirklich Nutzen. Dieses konstruktive Miteinander wird dann besonders reibungslos und erfolgreich sein, wenn beide Institutionen voneinander unabhängig und autonom ihren Daseinszweck zu erfüllen trachten. Denn gerade die Unabhängigkeit und Autonomie verlangt zwingend die gegenseitige Anerkennung und fördert das Verständnis für die Aufgaben und Rechte und auch für die existenzbedingten Pflichten des jeweiligen anderen Teiles. Unabhängigkeit und Autonomie sind wohl auch sehr fördernde Elemente für eine funktionierende Partnerschaft. Es ist eine Aufgabe dieser Partnerschaft und gleichzeitig auch eine in den Rahmen des Dienstesam Menschen inkludierte Aufgabe des Staates- und damit wohl auch der demokratischen politischen Parteien -, die den staatlichen Normen unterworfenen Menschen von Gewissenskonflikten freizuhalten. Der Staat darf keine Gesetze beschließen, die seinen Normunterworfenen Handlungen oder Unterlassungen auftragen, welche den einzelnen Menschen in den Gewissenskonflikt bringen könnten, entweder die Gesetze des Staates oder die Gebote und Erwartungen der Kirche zu erfüllen. Die Gesetzgebung oder auch die Praxis der Behörden eines Staates verletzen
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daher ihre Pflicht des Dienstes am Menschen und auch ihre Pflicht zur partnerschaftliehen Zusammenarbeit mit der Kirche, wenn sie eine Gebotssituation schaffen, die den Menschen vor die zwingende Alternative stellt, entweder gegen die Gesetze des Staates oder gegen die Gebote Gottes oder der Kirche zu handeln. In einem solchen Fall ist nicht nur der Widerstand der Kirche, sondern auch der Widerstand des einzelnen Christen gegen die staatliche Rechtsordnung sittlich gerechtfertigt. Niemand darf durch den Staat zu einem religionswidrigen Verhalten gezwungen werden. Dagegen ist es nicht unabdingbare Aufgabe des Staates, der Kirche den starken Arm staatlichen Rechts, insbesondere des Strafrechts, zur Durchsetzung aller religiösen Gebote und Verbote zu leihen. Selbst ein Staat, der im Vergleich zu anderen Staaten und auch herkömmlich noch als christlich bezeichnet wird, wird nicht jeden Tatbestand einer Sünde auch als Tatbestand des Strafrechts zu verordnen in der Lage sein. Es ist eine vielfach unbeachtet gebliebene Tatsache, daß viele wesentliche Grundsätze zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Zusammenlebens im Laufe der Jahrhunderte aus dem Christentum in die staatliche Ordnung rezipiert wurden. In Wirklichkeit ruht nicht nur unsere, sondern ruhen auch bewußt religionsferne Gesellschaften in einem überraschend hohen Ausmaß auf dem Christentum. So finden wir in den staatlichen Rechtsordnungen praktisch alle irdisch orientierten Gebote des Dekalogs; beispielsweise den Schutz des Lebens und der körperlichen Sicherheit, das Wahrheitsgebot der Zeugenaussage, die Sorgepflicht der Kinder für die Eltern und der Eltern für die Kinder, den Schutz des Eigentums, den Schutz vor sexuellem Mißbrauch und in abklingendem Maße den Schutz von Ehe und Familie und die Gewährung der Sonn- und Feiertagsruhe. Trotzdem bleibt zwischen der staatlichen Rechtsordnung und dem religiösen und göttlichen Gebot ein Spannungsverhältnis. Denn wenn auch ein Staat kein religions-oder glaubensfeindliches Verhalten gebietet, so erklärt er doch in einem zunehmenden Umfang ein solches Verhalten für straffrei oder rechtlich zulässig und schafft damit für religiös oder sittlich nicht gefestigte Menschen zugleich den Eindruck - oder vielfach auch die Ausrede - der Rechtmäßigkeit eines religiös verbotenen Verhaltens. Die hierfür am meisten hervortretenden Beispiele liegen heute im Hinblick auf eine vor allem im Westen um sich greifende Enthemmung im sexuellen Bereich vornehmlich auf diesem Gebiet, wie etwa die Strafloserklärung von gleichgeschlechtlicher Unzucht, von Ehestörung und Ehebruch und - als am schwersten wiegend - die staatliche Strafloserklärung der Schwangerschaftsunterbrechung mit oder ohne zeitlicher oder in den Gründen liegender Beschränkung. In diesen Bereich gehört aber auch die sehr großzügige Bereitschaft des Staates zur Ehescheidung, die an den Grundfesten von Ehe und Familie zu rütteln vermag.
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Der Kirche und den Gläubigen steht in einem solchen Falle das unbestreitbare Recht und wohl auch die Pflicht zu, derartige Entwicklungen mit Entschiedenheit zu bekämpfen und sich dabei auch in sogenannte politische Angelegenheiten einzumengen. Selbst wenn der Erfolg einer solchen Haltung der Kirche vorerst nur gering ist, darf die Kirche sich dennoch nicht verschweigen. Dies vor allem aus dem Grund, um die Gültigkeit der religiösen Norm, dietrotzdes Laissez-passer des Staates unverändert in Wirksamkeit bleibt, in den Menschen bewußt zu erhalten. Die Kirche soll hierbei- so sagt Abschnitt 76 der Pastoralkonstitution des II. Vaticanum- alle jene Mittel anwenden, "welche dem Evangelium und dem Wohl aller je nach den verschiedenen Zeiten und Verhältnissen entsprechen". Zu diesen Mitteln gehört vor allem eine kraftvolle Verkündigung der göttlichen und kirchlichen Gebote. Es wäre aber gefährlich, eine solche Situation zu einer allgemeinen Kampfstellung zwischen Kirche und Staat werden zu lassen. Nicht der Staat als solcher ist zu bekämpfen, sondern eine demokratische Willensbildung im Staat, die mit dem göttlichen und kirchlichen Gebot im Widerspruch steht. Wer in einer Demokratie- dies zeichnet diese Gesellschaftsform aus- mit seiner Überzeugung in der Minderheit geblieben ist, hat das Recht und in grundsätzlichen Fragen auch die Pflicht, dafür zu werben und mit allen sonstigen gesetzlich zulässigen Mitteln dafür einzutreten, daß seine Überzeugung in freier Meinungs- und Willensbildung wieder zur Mehrheitsmeinung wird. Nicht der Staat als solcher ist anzuklagen, sondern es ist, weit zurückreichend bis in die Gegenwart, Gewissenserforschung zu halten, wo die Ursachen für die innere Entfernung der Mehrheit der Menschen von den Lebensgesetzen des Glaubens liegen. Diese Gewissenserforschung wird auch die Kirche mit der Frage beschäftigen müssen, wo die Gründe für die geschwächte Überzeugungskraft der Verkündigung göttlicher Lehre liegen. Wenn die "Stadt am Berge" einen Teil ihrer Leuchtkraft verliert und das Salz der Erde zum Teil schal erscheint, dann mögen dafür zwar Umwelteinflüsse mitmaßgebend sein; entscheidend ist aber doch, ob die Christen noch den Willen und die Fähigkeit besitzen, Stadt am Berge zu sein und Salz dazu. Verkündigung in einer Sprache, welche der Mensch versteht und die doch ewige Gültigkeit besitzt, ist ein Postulat, das gelebte Beispiel aber ist ein anderes, das der Bedeutung des Wortes gleichkommt. Der Staat wird in seiner Gesetzgebung und die Gesellschaft in ihren Lebensformen nur dann in einem zufriedenstellenden Maß mit den religiösen Zielvorstellungen der Kirche übereinstimmen, wenn die Christen in ihrer Mehrheit bereit sind, diese Zielvorstellungen anzuerkennen, dafür öffentlich einzutreten und selbst danach zu leben. Aus dieser Tatsache heraus kommt der Erziehung in- und außerhalb der Schule eine besondere Bedeutung für die Stärkung der Glaubensüberzeu-
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gung und gleichzeitig auch für das Verhältnis Kirche-Staat zu. Die Sicherstellung der Möglichkeit und die Freiheit zur Erziehung im Einklang mit dem Glauben der Kirche sind unverzichtbare Fundamente einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Die Erfüllung der Erziehungsaufgabe durch die Eltern bzw. die teilweise Nichterfüllung dieser Aufgabe und deren Abgeltung durch materielle Geschenke sind für die Gegenwart entscheidend gewesen und werden es auch für die Zukunft sein. Das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder ist ein vom Staat unantastbares Recht, aber gleichzeitig auch deren indispensable Pflicht. In die Erziehungsaufgabe ist aber auch der Staat miteingebunden. "Er hat -so sagt Abschnitt 3 der Konzilserklärung über die christliche Erziehungdie Pflichten und Rechte der Eltern und all derer, die an der Erziehungsaufgabe teilhaben, zu schützen und ihnen Hilfe zu leisten." Die Wissensvermittlung in den Schulen jeden Grades ist auf hohem Niveau erforderlich; dies nicht nur aus dem Grunde einer Erhöhung der jeweiligen beruflichen Fähigkeiten und Chancen, sondern auch zur Schaffung der wissensmäßigen Voraussetzung für eine selbstverantwortliche Lebensführung. Mangelndes Wissen vergrößert die Gefahr der Manipulation, einer gesellschaftlichen Krankheit, die sehr weit verbreitet ist. Zusätzlich zur Wissensvermittlung obliegt den Schulen aber auch die Mitwirkung an der charakterlichen Bildung, deren Effektivität entscheidend für die Charakterbildung eines Volkes ist. Die Erziehungsaufgabe und die Handhabung des Erziehungsrechtes zwischen Familie, Staat und Kirche ist einer der zentralen Bereiche der Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche, wobei das Recht der Familie und das Wohl der Kinder im Vordergrund stehen müssen. Daß in die Erziehungsaufgabe auch die religiöse Erziehung, also zum Beispiel auch der Religionsunterricht in den staatlichen Schulen miteingeschlossen ist, scheint selbstverständlich zu sein. Daß dazu aber von der Kirche die für diese Aufgabe menschlich und pädagogisch besten und überzeugendsten Persönlichkeiten abgeordnet werden sollen, ist zwar auch selbstverständlich, bedarf aber doch immer einer Erinnerung. Die Nichtnutzung eines solchen vom Staat bereitgestellten geistigen Kapitals wäre ein böses Versäumnis, für das den nachfolgenden Generationen die Rechnung präsentiert wird. Gegenüber der alles an Bedeutung übersteigenden Erziehungsaufgabe wiegen weitere Sachgebiete, in denen sich Staat und Kirche berühren oder auch reiben können, mit verhältnismäßig leichtem Gewicht. Ich denke dabei etwa an die verschiedenen Feiertagsregelungen oder auch an die Frage des Ob und Wie der Einhebung einer autonomen Kirchensteuer. Die Einhebung einer solchen Abgabe kann zwar materielle Probleme aufwerfen oder diese auch lösen helfen; sie rührt aber nicht an den Glaubenswahrheiten und
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deren Befolgung. Wohl aber kann sie Anlaß sein, den innerlich schon bestehenden und auf andere Gründe zurückzuführenden Bruch mit der Kirche auch nach außen zu vollziehen. Vielleicht sind alle diese Überlegungen allzu sehr auf ein Spannungsverhältnis zwischen Kirche und Staat abgestellt. Wer auf der einen Seite das immer konkretere Bekenntnis der Staaten zu Religions- und Gewissensfreiheit, einschließlich der Freiheit zu öffentlicher Religionsausübung im Rahmen des sogenannten Helsinki-Prozesses zur Kenntnis nimmt und auf der anderen Seite die Dokumente des II. Vaticanums liest, wird mit Freude feststellen, daß die grundsätzlichen Voraussetzungen für ein konstruktives Miteinander von Staat und Kirche gegeben sind. Es wird allerdings da und dort auch noch einer Umstellung in den Denk- und Handlungsgewohnheiten der Menschen auf staatlicher und kirchlicher Seite bedürfen. Die Rückbesinnung auf den dem Menschen dienenden Charakter von Kirche und Staat wird dazu eine Hilfe sein. Es wird aber auch der Christen bedürfen, die als Bürger eines Staates daran mitarbeiten, daß ein selbstbewußtes, auf gegenseitigem Respekt aufgebautes und damit auch harmonisches Verhältnis zwischen Kirche und Staat auch auf lange Sicht bestehen kann. Die Erklärung der Kirche in Abschnitt 76 der Pastoralkonstitution des II. Vaticanums ist ermutigend, wenn sie sagt, daß die Kirche .,ihre Hoffnung nicht auf Privilegien setzt, die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden. Sie wird sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, daß durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit des Zeugnisses in Frage gestellt ist oder wenn geänderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung erfordern." Die am Beginn dieser Pastoralkonstitution betonte .,engste Verbundenheit mit der Menschheit" wird dadurch noch überzeugender. Ähnlich konkret gefaßte Erklärungen werden von einer internationalen Staatengemeinschaft oder von multilateralen Vertragsinstrumentell kaum zu erwarten sein. Es wird Sache der Katholiken in einem jeweiligen Staat sein, sich dafür einzusetzen, daß die auf demokratischen Konsens beruhenden Regierungserklärungen in den einzelnen Staaten auch ein Bekenntnis zur konstruktiven Zusammenarbeit mit der autonomen Kirche enthalten. Es wäre eine beglückende Vision, würde gerade in Österreich diese so oft herbeigesehnte, aber auch ebenso oft gefährdete Harmonie zwischen Kirche und Staat, für die der verehrte Jubilar immer mit Klugheit und Begeisterung eingetreten ist, eine dauernde Wirklichkeit werden. Es könnte sich daraus auch ein Beispiel für eine konstruktive Zusammenarbeit auf internationaler Ebene ergeben, wie sie bereits bei den Folgekonferenzen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sehr konkret und erfolgreich praktiziert wurde und wird.
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Das Gebot unserer Zeit im nationalen und internationalen Bereich ist nicht ein Stück mehr äußerer Einfluß für die Kirche und auch nicht ein Stück mehr Macht für den Staat. Das Gebot unserer Zeit ist die gemeinsame Arbeit von Staat und Kirche für den nationalen und internationalen Frieden, für die Wahrung der Menschenrechte und der Menschenwürde, für ein höheres Maß an sozialer Gerechtigkeit und dafür, daß aus einer Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten Welt die große eine Welt werde, die Gott uns zu treuen Händen gegeben hat. Denn Rudolf Henz hatte recht, wenn er in seiner "Kleinen Apokalypse" sagte: "Wer, wenn nicht wir Christen kann noch Hoffnung bringen!"
ALFRED KOSTELECKY AUF DEM WEG DER KIRCHE AUS DEN STAATSKIRCHENRECHTLICHEN VERSTRICKUNGEN DER ZWEITEN REPUBLIK Von Hans R. Klecatsky, Innsbruck I. Dem Verfasser dieses Albumblattes für den Jubilar, der durch Jahrzehnte auch seine juristische Arbeitskraft dem Sekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz gewidmet hat, ist selbstverständlich klar, daß das Verhältnis der Kirche zu dem Staat, in dem sie lebt und wirkt, auf vielen Ebenen spielt - desgleichen, daß ein "Sieg", ein Erfolg schon üblicherweise viele "Väter" hat. Und gewiß haben Amtsträger innerhalb der geistlichen Hierarchie der Kirche in jener Demut hinter ihr Amt zurückzutreten, die schließlich jedem Amtsträger, nicht nur dem geistlichen, wohl ansteht. Der Jubilar hat das stets vollendet beherzigt. Um so eher darf ein juristischer Zeitzeuge gleichen Lebensalters es unternehmen, die beispielhafte juristische Existenz des Jubilars im Dienste der Kirche zu würdigen. In verschiedenen {staatlichen) Funktionen und Lagen bin ich Alfred Kostelecky frühzeitig und im Verlauf von vier Jahrzehnten in ebenso freundschaftlicher wie lebhafter Auseinandersetzung um die vielfältigen Fragen, die das rechtlich geordnete Verhältnis einer "freien Kirche in einem freien Staat" aufgibt, immer wieder begegnet. Der Aufbau eines solchen rechtlich geordneten Verhältnisses das eben war der große Auftrag, dem wir uns als Menschen verpflichtet erachteten, die aus der Vernichtungswelt des Zweiten Weltkrieges in die Trümmerwelt des Jahres 1945 "heimkehren" hatten dürfen. Den "heimatlos" gewordenen Menschen überhaupt wieder zu "beheimaten" in seiner Immanenz und Transzendenz, war das Ziel. Der Weg dazu war weit und mühsam, aber dennoch lohnend, wie gerade gegenwärtig der historische Umbruch Osteuropas erweist. Stets war der Jubilar auf diesem Weg in wacher, scharfsinniger, präziser juristischer Arbeit anzutreffen.
II. Die Ausgangslage war alles andere als ermutigend. Die Kirche stand in Österreich vor einem staatskirchenrechtlichen Konglomerat, das in seiner 8'
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Chaotik das Ergebnis einer über zwei Jahrhunderte reichenden Verfassungsentwicklung darstellte, in der das josephinische Staatskirchenturn von der konstitutionellen Monarchie abgelöst wurde, das Habsburgerreich mit der ihm eigentümlichen Bindung zwischen Thron und Altar überhaupt zugrunde ging, die Erste Republik dem autoritären Ständestaat, dieser dem nationalsozialistischen .. Dritten Reich" erlag und schließlich die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wiedererrichtete Zweite Republik zur schon einmal gescheiterten Verfassung der Ersten zurückkehrte 1• Um angesichts dessen zu einer rechtlich-politischen Neuorientierung zu gelangen, war zunächst .,anatomische Schärfe" 2 nötig, um geltendes von nicht mehr geltendem Recht, vor allem unter Beachtung der abgrundtiefen Brüche in der Entwicklung des staatlichen Verfassungsrechtes, umfassend zu scheiden. Rechtswidrig Entzogenes sollte zwar wiederhergestellt, Unrecht wiedergutgemacht, Abgelebtes aber in zeitgemäß Neues verwandelt werden. Unannehmbar erwies sich dabei ein für Österreich typischer, in altertümlichem Staatskirchenturn befangener, wenn auch subjektiv kirchenfreundlicher Traditionalismus in Wissenschaft und Staatsverwaltung 3. 1 Vgl. H. R. Klecatsky I H. Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1958, Vorwort; H.R. Klecatsky, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Republik Österreich, in: Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts, hg. von J. List/ I H. Müller I H. Schmitz, Regensburg 1980, 882 ff. und in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hg. von eben diesen, Regensburg 1983, 1081 ff. 2 Vgl. H.R. Klecatsky I H. Weiler, a.a.O. (Anm. 1), Vorwort, unter Verwendung eines schon damals signifikanten Wortes Burckhards (Gesetze und Verordnungen in Cultussachen 3, Wien 1895, Vorwort). 3 So mußte ein ausgezeichneter Kenner des Österreichischen Staatskirchenrechts, der früher an der Universität Salzburg und nun an der Universität Göttingen tätige evangelische Kirchenrechtslehrer C. Link (Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Kirche in Österreich, in: Theologia scientia eminens practica- FS Fritz Zerbst, hg. vonH. C.Schmidt I Lauber, Wien 1979, 228ff. [231 ff.)), noch viel spätermit Recht vermerken, daß die breiten Debatten, die in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahrzehnten über die Stellung der Kirchen im Staat, die Grundrechte und Grundwerte überhaupt stattgefunden haben, in Österreich fast keinen Widerhall gefunden haben, weder in politischer noch in juristischer Hinsicht. Immerhin hat er den Verfasser dieser Zeilen als Ausnahme ausdrücklich genannt (a.a.O., Anm. 5, 231 ). Siehe dazu die Auseinandersetzung mit E. Melichar über die fundamentalen verfassungsrechtlichen Konsequenzen aus Artikel 15 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, StGBl Nr. 14211867, bei H.R. Klecatsky I H. Weiler, a.a.O. (Anm. 1), 40 ff.; H.R. Klecatsky, Zum Selbstbestimmungsrecht der Kirche nach der heutigen Österreichischen Verfassungsordnung, in: Kirche und Staat in Idee und Geschichte des Abendlandes - FS Ferdinand Maaß, hg. von W. Baum, Wien/München 1973, 286 ff. (insbes. 294 ff., 306); H. R. Klecatsky, Die Kirchenfreiheit in Österreich, in: Kirche und Staat - FS Fritz Eckert, hg. von H. Schambeck, Berlin 1976, 147ff.; H.R. Klecatsky, Im Zentrum des Staatskirchenrechts, in: Im Dienst für Freiheit und Recht- GS Hans Weiler, hg. vonH.R.Klecatsky I F.Kohl, Berlin 1976, 99 ff.
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111. Zufolge der politischen und verfassungsrechtlichen Verklammerung mit der autoritär-ständischen Verfassung 1934 wurde nicht nur das Konkordat 1933 4 als solches zum Zielpunkt parteipolitischer Angriffe, sondern überhaupt das für den ganzen Österreichischen Staat lebenswichtige völkerrechtliche Problem zur Diskussion gestellt, ob Österreich im März 1938 vom Deutschen Reich "okkupiert" oder "annektiert" worden war 5. Ja, selbst nach Abschluß des auf der völkerrechtlichen Nichtigkeit der Besetzung Österreichs durch das Deutsche Reich aufbauenden Wiener Staatsvertrages vom 15. Mai 1955 6 wurde noch in einem unter dem bezeichnenden Titel "Verscheuchte Gespenster" erschienenen Leitartikel des sozialistischen "Zentralorgans"7 - gegen eine Vielzahl rechtswissenschaftlicher Zeugnisse Vgl. beispielsweise aber auch H. R. Klecatsky, Kirchen und Schulaufsicht- zugleich eine Untersuchung der Rechtslage der Schulaufsichtsorganisation überhaupt, JBl 1959, 305 ff. und 332 ff.; H. R. Klecatsky, Zur Lage der Schulaufsichtsorganisation, ÖJZ 1960, 561, und VfSlg 3734, 4223, 4357, VwGH 22.4.1964, 1950/63. Die ersterwähnte, auf einen Vortrag in der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht zurückgehende Untersuchung führte zu einer schriftlichen Intervention des damaligen "Kultusministers", dessen Kirchenfreundlichkeit außer jedem Zweifel stand und steht, beim Kardinal-Erzbischof von Wien. Vgl. auch E. Melichar, in: Österreichische Landesreferate zum VIII. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Peseara 1970, Wien 1971, 175ff. 4 BGBl II Nr. 2/1934. In Kraft getreten mit 1. Mai 1934, dem Tag des Inkrafttrretens auch der Verfassung 1934, BGBl II Nr. 1/1934. Nach Art. 30 Abs. 4 der Verfassung 1934 hatten folgende Bestimmungen des Konkordats .die Kraft von Verfassungsbestimmungen": Art. I, II, V§ 1 Abs. 1 bis 3, Art. VI§ 1 Abs. 1 und 2, Art. X§ 1 Abs. 1, Art. XIII§ 1 und§ 4, Art. XIV Satz 1 samt Abs. 1 des Zusatzprotokolls hiezu, Art. XV § 1, Art. XVI Abs.1. 5 Zusammenstellung des Schrifttums bei L. Adamovich sen. I H. Spanner, Handbuch des Österreichischen Verfassungsrechts, Wien 1957, 57f., und bei H.R. Klecatsky I H. Weiler, a.a.O. (Anm. 1), 232 f. Die Annexionstheorie wurde danach nur von dem damaligen Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Österreichs, dem Vizekanzler und nachmaligen Bundespräsidenten Dr. A. Schärf, vertreten, dies u. a. mit dem ausdrücklichen Argument: "Die Propagierung der Okkupationstheorie führt dazu, das Konkordat für gültig zu erklären, ohne daß uns diese Theorie sonst etwas nützt." ("Zukunft" 1950, 36f.). Als neugewählter Bundespräsident erklärte Dr. Schärf am Tage seiner Angelobung, am 22. Mai 1957, allerdings: "Ich bin froh darüber, daß in unserem Lande in Kulturfragen ein anderes Klima hergestellt ist, als es früher herrschte. Ich will alles daransetzen, daß in diesem Klima eine Regelung des Verhältnisses zwischen dem Staat und der römisch-katholischen Kirche erfolgt, ohne daß dabei Sentimentalitäten von einst geweckt werden." ("Wiener Zeitung" vom 23. Mai 1957, S. 2). 6 Nr. 152/1955. 7 "Arbeiter-Zeitung" vom 18. Mai 1955. Dagegen schon H. R. Klecatsky, Auch nach dem Staatsvertrag kein Zweifel: Das Konkordat gilt;, in Nr. 22 des .Offenen Worts" vom 28. Mai 1955 unter Beziehung auch auf A. Merkl.
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die unhaltbare These von der "Annexion" Österreichs im Jahre 1938 vertreten, weil laut der Präambel des Staatsvertrages .. Hitler-Deutschland am 13. März 1938 Österreich mit Gewalt annektierte". Und was war der eigentliche Zweck dieser "Wortklauberei" (Merk/)? Damit, so hieß es in diesem, euphemistisch mit "Austriacus" gezeichneten Artikel, daß die "von einigen Dienstbeflissenen" beigesteuerte Okkupationstheorie falsch sei. Die Folge der Annexion sei die Aufhebung aller mit dem "annektierten" Österreich abgeschlossenen Verträge. Und damit sei "auch der Behauptung, daß das Konkordat noch in Kraft sei ... die Grundlage entzogen. Eine Auseinandersetzung über kulturpolitische Fragen heute in Österreich ist daher nicht mehr mit der unzeitgemäßen Frage des Konkordats belastet". Wie "zeitgemäß" diese Frage tatsächlich war, erwies indes das drei Tage nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages erschienene "Weißbuch" der Österreichischen Bischöfe: "Kirche und Staat in Österreich", im Auftrag der Österreichischen Bischofskonferenz herausgegeben von ihrem damaligen Sekretär, dem Erzbischof-Koadjutor in Wien Franz Jachym, in deren Vorwort dieser allen dankte, die ihn bei dieser Arbeit unterstützt hatten, .,insbesondere" dem heutigen Jubilar. Klar begründet, maßvoll bestimmt wird da Wiedergutmachung angesprochen - wohl gegliedert nach: das Konkordat als solches, Ehe, Schule, Vermögensrechtliche Fragen - dann aber die Ganzheit aufgezeigt: "Hinter diesen und schließlich allen bisher berührten Fragen steht die grundlegende: in welchem Verhältnis steht der Staat zur Kirche, was bedeutet sie ihm ?" 8 Zugleich signalisierte aber das Weißbuch die Verhandlungsbereitschaft der Kirche im Hinblick auf geänderte Verhältnisse (Art. XXII Abs. 2 des Konkordats).
IV. Indes war es gerade der Wiener Staatsvertrag vom 15. Mai 1955, der den Widerstand gegen die Wiederherstellung der durch nationalsozialistische Maßnahmen entzogenen Rechte der Kirche "auch des letzten tarnenden Strohhalms beraubte" 9 . Art. 26 dieses Staatsvertrages verpflichtete ÖsterBemerkenswerterweise tauchte in der massenmedialen Diskussion um den 50. Jahrestag der Besetzung Österreichs durch das Deutsche Reich (1988) wieder der fatale Ausdruck: .Annexion" auf. Vgl. dazu die von dem Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen und dem Institut für Offentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Innsbruck veröffentlichen .Bemerkungen zur staats- und völkerrechtlichen Kontinuität Österreichs - Annexionstheorie und Okkupationstheorie", .Wiener Zeitung" vom 6. März 1988, S. 2. 8 Dazu schon H.R. Klecatsky, Wiedergutmachung für die Kirche, ein Weißbuch der Bischöfe, in Nr. 23 des .Offenen Worts" vom 4. Juni 1955.
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reich auch zur Wiederherstellung der seit dem 13. März 1938 aus religiösen Gründen entzogenen ,.Vermögensschaften, gesetzlichen Rechte oder Interessen"10 oder- wo das nicht mehr möglich war- zur Entschädigung. Ein neuer Abschnitt der Geschichte des Verhältnisses des Staates zur Kirche hatte damit begonnen: es ging nun nicht mehr um den Nachweis der Rechte der Kirche, sondern um die Umsetzung dieser Rechte in die Wirklichkeit. Die Bischöfe hatten ihre Bereitschaft zu Verhandlungen auf dem Boden des Konkordats betont. Am Staat lag es nun, aufgrundvölkerrechtlicher Verpflichtung in solche Verhandlungen einzutreten. Den weiteren Fortgang des Wiedergutmachungsprozesses hat AifredKostelecky selbst mit unübertrefflicher Authentizität geschildert 11 . Marksteine auf diesem Weg waren a) Die Aufhebung des § 67 des deutschen Personenstandsgesetzes auf Antrag der Landesregierungen von Tirol und Vorarlberg durch eine Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 19. Dezember 1955 12 , b) die Erlassung des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1955, BGBl 269, womit Bestimmungen zur Durchführung des Art. 26 des Staatsvertrages, hinsichtlich kirchlicher Vermögensrechte getroffen wurden 13 , c) die ausdrückliche Anerkennung der .Gültigkeit des Konkordats 1933 durch eine am 21. Dezember 1957 beim Heiligen Stuhl überreichte Note der Bundesregierung 14 , d) der Abschluß der Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen, 9 H. R. Klecatsky, Wiedergutmachung für die Kirche SPÖ hat ja gesagt Artikel26 des Staatsvertrages verpflichtet den Staat zur Erfüllung der im Weißbuch der Österreichischen Bischöfe erhobenen Ansprüche, in Nr. 47 des .Offenen Worts" vom 19. November 1955. 10 Darüber etwa schonE. Melichar, Die Rückstellungsansprüche der gesetzlich anerkannten Kirchen in Österreich, ArchKirchR 1956, 76 ff.; P. Leisching, Ansprüche der katholischen Kirche im Rahmen des Staatsvertrags und ihre Grundlagen. ArchKirchR 1957, 81 ff. Angemerkt sei, daß P. Leisehing in dieser seiner Arbeit ausdrücklich Alfred Kostelecky dankte, der ihn bei der Gestaltung der Arbeit .wesentlich unterstützt" habe. 11 Die Anerkennung des Österreichischen Konkordates vom 5. Juni 1933 und die Verträge der Republik Österreich mit dem Heiligen Stuhl, in: Im Dienste der Sozialreform- FS Karl Kummer, hg. von A. Burghardt u. a., Wien 1965, 431 ff.; Anerkennung der Rechtsgültigkeit des Österreichischen Konkordates vom 5. Juni 1933 durch die Zusatzverträge mit dem Heiligen Stuhl in den Jahren 1960 bis 1976, in: Kirche und Staat- FS Fritz Eckert, hg. von H. Schambeck, Berlin 1976, 215ff.; Kostelecky folgend auch H. Paarhammer, a.a.O., (Anm. 18), 557 ff. 12 G 9/55, G 17/55 (VfSlg 2944). Dazu R. Höslinger, Die Aufhebung des §67 des Personenstandsgesetzes durch den Verfassungsgerichtshof, ArchKirchR 1956, 62 ff. 13 Vgl. E. Melichar, a.a.O. (Anm. 10); P. Leisching, a.a.O., (Anm.lO); H.R. Klecatsky I H. Weiler, a.a.O. (Anm.l), 168!!.; H. Paarhammer, a.a.O., (Anm.18). u .,Wiener Zeitung" vom 6. März 1958.
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BGBl Nr. 195/1960, und betreffend die Erhebung der Apostolischen Administratur Burgenland zu einer Diözese, BGBl Nr. 196/1960, e) der Abschluß des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen, BGBl Nr. 283/1962, f) der Abschluß des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich betreffend die Erhebung der ApostolischenAdministratur Innsbruck- Feldkirch zu einer Diözese, BGBl Nr. 227/1964, g) der Abschluß des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich betreffend die Errichtung einer Diözese Feldkirch, BGBl Nr. 417/1968, h) Die Modifizierung des Vermögensvertrages, BGBl Nr. 195/1960, durch die Verträge BGBl Nr. 107/1970,220/1976,49/1982, und dieModifizierung des Schulvertrages, BGBI Nr. 283/1962, durch den Vertrag BGBl Nr. 289/1972, i) die ausdrückliche Erklärung in§ 69 des Universitäts-Organisationsgesetzes, BGBl Nr. 258/1975, daß das Konkordat - vor allem also dessen Regelung über die katholisch-theologische Fakultäten an den staatlichen Universitäten- durch dieses Bundesgesetz nicht berührt wird 15 .
V. Gewiß klaffen heute die Regelungen des Konkordats und der staatlichen Gesetzgebung teilweise noch auseinander, wie auf dem Gebiete des Eherechts16 oder des Studiums der Katholischen Theologie an den staatlichen 15 Vgl. dazu auch § 114 des Universitäts-Organisationsgesetzes, BGBl Nr. 258/1975, und F. Ermacora, Universitäts-Organisationsgesetz 3, Wien 1985, 137 ff, 208 ff.; H. Kalb I I. Rath-Kathrein I K. Weber, Rechtsfragen der Habilitation an katholisch-theologischen Fakultäten staatlicher Universitäten, ArchKirchR 1987, 305 ff. 16 Vgl. dazu etwa B. Primetshofer, Offene Fragen des Staatskirchenrechts, in: FS Fritz Eckert (siehe Anm. 11), 169 ff.; W. Wa/dstein, Ist der Zwang zur Trauung vor dem Standesbeamten grundrechtskonform?, in: Aus Osterreichs Rechtsleben in Geschichte und Gegenwart- FS Ernst C. Hellbling, Berlin 1981, 401 ff. Aber auch in dieser Hinsicht hat es nicht an Reformversuchen gefehlt. So wurde unter dem sozialistischen Bundesminister für Justiz Dr. 0. Tschadek ein .,Referentenentwurf" eines Bundesgesetzes, womit Vorschriften des Eherechtes und des Personenstandsrechtes abgeändert werden sollten, ausgearbeitet (GZ 12.840/51); in § 15 dieses Gesetzesentwurfes wurde die fakultative Zivilehe vorgesehen. der Entwurf gedieh nicht zur Regierungsvorlage. Am 21. Mai 1953 kam es zu einem Initiativantrag der Abgeordneten Solar, Dr. Koren, Dr. Maleta, Scheibenreif, Mackowitz und Genossen betreffend ein fast wörtlich dem •Tschadek-Entwurf" entsprechendes Bundesgesetz (5.-11. Beiblatt zur Parlamentskorrespondenz vom 21.5.1953). Vgl. auch StProtNR VIII. GP, 1210, X. GP, 687, X. GP 1503ff., X. GP, 1586.
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Universitäten 17 und gewiß ist das auch heute noch verfassungsrechtlich bedenkliche Kirchenbeitragssystem für die Kirche belastend 18 . Bleibendes Fundament für die Lösung dieser noch offenen Fragen aber ist das schon Erreichte: die Anerkennung der Gültigkeit des Konkordats und seine Ausrichtung auf die Gegenwart durch konkordatäre Übereinkunft. Schon dafür
verdient die unsäglich mühevolle Arbeit des Jubilars alle Achtung, doch gleicherweise dafür, daß er mit dieser seiner Arbeit in entscheidendem Maße mitgeholfen hat, in die reale Österreichische Rechtsordnung jene Lichtung zu schlagen, die die Sicht auf die Position der Kirche im zeitgemäßen Menschenrechtsstaat19•20 überhaupt freigibt. Legitimationsbasis dieses Staates ist die gleiche und neutrale Verwirklichung weltweit proklamierter Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Vgl. F. Ermacora, a.a.O., (Anm.15). Darüber H. R. Klecatsky, Lage und Problematik des Österreichischen Kirchenbeitragssystems, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Nr. 6, hg. von]. Krautscheidt I H. Marre, Münster 1972, 54ff., Diskussionsbeiträge 70ff.; A. KosteJecky, Das Kirchenbeitragsgesetz, seine Entstehung und Auswirkung bis heute, in: Im Dienste von Kirche und Staat- FS Carl Holböck, hg. von F. Pototschnig I A. Rinnerthaler, Wien 1985, 601 ff.; neuestens P. Leisching, Die finanziellen Beziehungen von Kirche und Staat in Österreich aus rechtlicher Sicht, in: Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, hg. von C. Rinderer, Baden-Baden 1989, 73 ff.; C. Smekal, Das Kirchensteuersystem in der Bundesrepublik Deutschland und das Österreichische Kirchenbeitragssystem im Vergleich- eine finanzwissenschaftliche Analyse, ebenfalls in: Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, 121 ff.; das Sammelwerk: ,.Kirchliches Finanzwesen in Österreich", hg. von H. Paarhammer, Thaur 1989, darin insbesondere Paarhammer selbst: Die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Kirche und Staat auf der Grundlage des Konkordatsrechts, 189 ff. 19 Darüber H. R. Klecatsky, Die universale Kirche als Vorbild internationaler Einigung, in: Staatsethik, hg. von W. Leisner, Köln 1977, 234ff.; H.R. Klecatsky, Das Wirken der Kirche im freiheitlichen Staat, in: Volk und Volkstum im Donauraum - FS Franz Hieronymus Ried!, hg. von T. Veiter, Wien 1981, 39 ff.; H. R. Klecatsky, Die Religionsfreiheit in der Österreichischen Reform der Grund- und Freiheitsrechte, in: Menschenrechte, Volksgruppen, Regionalismus - FS Theodor Veiter, hg. von F.H. Ried/, Wien 1982, 1 ff.; H.R. Klecatsky, Die Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich, in: Arbeitsleben und Rechtsordnung- FS Gerhard Schnorr, hg. von 0. Martinek I G. Wachter, Wien 1988,509 ff.; H. R. Klecatsky, Perspectiva juridica en los paises europeos occidentales de lengua alemana - La accion de Ia lglesia en un Estado libre, in: Simposio Sudamericano Aleman sobre lglesia y Estado, hg. von J. T. Dutari, Quito 1980, 77 ff. 20 Vgl. dazu auch vom Standpunkt der Kirchenrechtswissenschaft J. List], Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978, 6. Kapitel über ,.das Verhältnis von Kirche und Staat in den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils", 208 ff.; J. List/ im Handbuch des Katholischen Kirchenrechts (siehe Anm. 1), 1034 ff., über die .Notwendigkeit enger Kooperation zwischen Kirche und Staat" und die .Bedeutung des Konkordats für die Regelung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat". 17
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Deren transzendenten Bezug kann er angesichtsder in sie eingeschlossenen Religionsfreiheit gegenüber der Gesellschaft nicht selbst repräsentieren, er muß dies freier kirchlicher Aktion im gesamten gesellschaftlichen Raum 21 überlassen. Daraus darf die Kirche nicht diskriminierend verdrängt, ja sie muß in positiver Hinsicht dem demokratischen Gleichheitssatz gemäß vom Staat unterstützt werden. Allein diese neue Friedensordnung zwischen Kirche und Staat verwirklicht sich nicht von selbst. Dazu braucht es Menschen vom Schlag des Jubilars, die uneigennützig und unverzagt für das Recht eintreten. Sie sind
es, die jene institutionelle Szene schaffen, in der geistliche Mitverantwortliche mit Engelszungen sprechen, aber auch - wenn schon nicht mit den Wölfen heulen - den Leuten nach dem Munde reden können.
21 So hat sich daher die rechtliche Arbeit des Jubilars keineswegs auf dem Feld der Konkordatsmaterie erschöpft. Auch außerhalb dieses Feldes hat er sich für die Wahrung der Rechte und rechtlichen Interessen der Kirche gegenüber dem Staat in täglicher Kleinarbeit gemüht, vor allem dort, wo es um die Durchsetzung grundlegender Werte in der Gesellschaft ging, so etwa im Rahmen der Reform des Strafrechtes oder der Grund- und Freiheitsrechte. Vgl. dazu etwa GZ des Bundesministeriums für Justiz 18.085-9a/67, 18.281-91/67, H.R. Klecatsky, Verhandlungen des Dritten Österreichischen Juristentages, Wien 1967, Band II, 6. Teil, S. 16; H.R. Klecatsky, Religionsfreiheit und Religionsdelikte, ArchKirchR 1970, 34 ff., oder die Noten des Sekretariats der Österreichischen Bischofskonferenz vom 28. September 1967, BK 401167, und vom 1. März 1968, BK 56/68; .Wiener Zeitung" vom 7. April 1967, S. 2.
DIE KATHOLISCHEN ORGANISATIONEN ZWISCHEN KIRCHE UND STAAT Von Alfred Klose, Wien I. Grundlegung
Österreich hat eine beachtliche Vielfalt an katholischen Organisationen. Zahlenmäßig am stärksten ist noch immer - zumindest aus der Sicht der Gesamtkirche - die Katholische Aktion mit ihren zahlreichen Gliederungen und Werken; an Laienorganisationen sind dann noch die vielen charismatischen Vereinigungen hervorzuheben, schließlich noch die politisch ungleich mehr engagierten Vereine und Verbände, die in der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände (AKV) zusammengeschlossen sind. Dazu kommen noch die Orden, von denen für unsere Überlegungen aber wohl nur die überwiegend aus Laien bestehenden Ritterorden eine gewisse Rolle spielen. Die komplexen Beziehungen zwischen Kirche und Staat lassen sich wohl leichter in ihren offiziellen Bereichen analysieren: Bischofskonferenz und Bundesregierung haben ebenso laufende Kontakte und entsprechende Verfahrensweisen zur Klärung offener Fragen, wie auch auf der Ebene der Diözesen in der Regel mit den Landesregierungen entsprechende Kontaktnahmen erfolgen. Die katholischen Organisationen sind in gewissem Umfang interessiert, sich in Fragen der Gesellschaftspolitik zu Wort zu melden, in ihrer Öffentlichkeitsarbeit insbesondere zu Problemen der Rechtspolitik, der Bildungsund Kulturpolitik Stellung zu nehmen. Die Auseinandersetzung um ein Grundsatzpapier des Sozialhirtenbriefes hat wiederum das starke sozialpolitische Interesse unserer katholischen Organisationen wie der Kirche schlechthin gezeigt. Mehr als 2000 Stellungnahmen sind erfolgt, davon sehr viele aus dem Bereich der katholischen Organisationen und Verbände; diese haben zu diesem Thema Enqueten durchgeführt und Diskussionsveranstaltungen abgehalten. Es ist ein besonderer Vorteil der Vielfalt des katholischen Verbändewesens, daß die Stellungnahmen ein breites Spektrum an Meinungen und Standpunkten zum Ausdruck bringen: Wir können von einem ausgeprägten Pluralismus der Kirche und der ihr nahestehenden Vereinigungen sprechen.
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Dabei zeigt sich immer wieder eine beachtliche Übereinstimmung im .. Transfer politischer Werte in die Öffentlichkeit", soweit es sich dabei um Grundwerte handelt: Joachim Wiesner definiert diese Grundwerte als ein offenes System von Normen, bezogen auf Mensch-Familie-Gruppe-StandGesellschaft-Politik-Staat.1 Die soziale Ordnungsgestaltung und die politische Basisordnung verlangt immer wieder eine Orientierung nach Grundwerten. Die Katholische Kirche ist in Österreich - und in vielen anderen Ländern - in hervorragender Weise am Bewußtwerden zukunftsweisender Grundwerte beteiligt. Die katholischen Organisationen erweisen sich dabei als wichtige Vermittler eben dieser Basiswerte, als rege Teilnehmer an einer immer wichtigen Grundwertediskussion. II. Eine Gefahr eines politischen Verbandskatholizismus? Kritiker sehen immer wieder Gefahren für den Grundauftrag der Kirche, wenn jene Verbände und Vereinigungen, die sich in ihren Zielsetzungen, auf jedem Fall aber in ihrem Namen auf die Katholische Kirche berufen, im Bereich der Politik aktiv werden. Gewiß ist es nicht sinnvoll, wenn die tagespolitischen Fragen mit ihren parteipolitischen Implikationen allzu sehr im politischen Engagement der katholischen Organisationen hervortreten. Zu sehr werden dann die Konfrontationen mit den Parteien in den Vordergrund treten. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß gerade die katholischen Verbände geschichtlich gesehen vielfach Vor- und Umfeld der früheren katholischen Parteien waren; aus diesen haben sich später dann in Österreich und anderen Ländern jene politischen Gruppen und Parteien entwickelt, die heute im Vordergrund stehen. 2 Überschaubare katholische Organisationen wie die Verbindungen des Österreichischen Cartellverbandes (CV) haben zahlreiche Politiker gestellt. Auch heute nehmen die katholischen Organisationen in dem Sinn Vorfeldfunktionen ein, als sie erhebliche Bedeutung für die Rekrutierung des Politiker-Nachwuchses haben, dies wohl nicht für alle Parteien. Gerhard Hartmann hebt hervor, daß das katholische Verbandswesen sehr zur Hebung der innerkirchlichen Demokratie beigetragen habe, dies schon lange vor dem II. Vatikanischen Konzil. Auf den Katholikentagen, den Generalversammlungen der Katholiken, wurden gesellschaftspolitisch relevante Beschlüsse gefaßt. 3 Heute haben die Synoden und ähnliche Veranstal1 Joachim Wiesner, Über den Transfer politischer Werte in die Öffentlichkeit, in: Jahrbuch für christl. Sozialwissenschaften, 24. Bd., Regensburg - Münster 1983, S. 103 ff. 2 Gerhard Hartmann, Art. Kath. Organisationen, in: Kath. Soziallexikon, hrsg. von Alfred Klose u. a., 2. A. lnnsbruck u. a. 1980, Sp. 1292 ff. 3 Hartmann, a. a. 0.
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tungen eine vergleichbare Bedeutung. Auch hier stehen immer wieder gesellschaftspolitische Fragen auf der Tagesordnung, an denen Staat und Kirche interessiert sind. Eminente Bedeutung hat aber die so umfassende Bildungsarbeit der katholischen Organisationen, so des Bildungswerkes, der vielfältigen auch politischen Bildungsarbeit in den zahlreichen Bildungseinrichtungen der Katholischen Aktion und ihrer Gliederungen, der katholischen Verbindungen, des Kolpingwerkes, der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände und vieler anderer Träger von politischer bzw. gesellschaftspolitischer Bildungsarbeit Gerade diese indirekten Formen politischer Basisarbeit sind es, die heute im Vordergrund stehen. So gesehen unterscheiden sich die heute üblichen Formen eines gesellschaftspolitischen Engagements sehr wesentlich von den Aktivitäten der katholischen Laienorganisationen früherer Epochen: Es handelt sich eben nicht mehr um Tätigkeiten, die unmittelbar etwa auf das Kräfteverhältnis der politischen Parteien wirken, sondern die bei aller Deutlichkeit vorhandener Standpunkte nicht parteipolitisch, sondern gesellschaftspolitisch motiviert sein wollen. Hier sind auch die deutlichsten Unterschiede zu den anderen Verbänden und Interessenorganisationen gegeben, denen heute wie den Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine so große Bedeutung im politischen System zukommt: Herbert Schamheck spricht von einer Gefahr, daß das Parlament zu einem Clearinghaus der Gruppeninteressen werden könnte 4 - solche Gefahren ergeben sich gewiß nicht bei unseren katholischen Organisationen innerhalb und außerhalb der Katholischen Aktion. Es mag sein, daß einzelne Verbände wie der CV sich relativ stark politisch engagieren, aber auch dort ist es nicht eine Identifizierung mit einer politischen Partei. Außerdem müssen wir wohl zwischen jenen Organisationen unterscheiden, die innerhalb der Kirche stehen, wie die Katholische Aktion mit ihren Gliederungen und den übrigen Organisationen, die sich als katholische bezeichnen. In letzter Zeit wurden gelegentlich Befürchtungen geäußert, daß fundamentalistische Strömungen neue Formen eines politischen Katholizismus hervorbringen könnten. Dies scheint unbegründet zu sein. Wie Kardinal Franz König deutlich gemacht hat, handelt es sich hier um kleinere Gruppierungen, die es aus einer gewissen Ängstlichkeit nicht verstehen, daß es eine notwendige Einheit in der Vielheit gibt, daß gerade darin eine Stärke der katholischen Organisationen liegt. 5 4 Herber! Schambeck, Wahlrecht und Regierungssystem in Österreich, in: Festschrift für Adolf Merk!, hrsg. von Max Imboden u. a., München 1970, S. 335 ff. 5 Pranz König, Wir können nicht im 19. Jahrhundert stehenbleiben, Interview in: Standard, Wien 13.9.1989.
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111. Die Einheit in der Vielfalt Diese Einheit in der Vielfalt, von der Kardinal König spricht, darf nicht zu einer Uniformität werden. Gerade Auseinandersetzungen wie die über den Sozialhirtenbrief machen bei allen Unterschieden im Inhalt dieser Stellungnahmen deutlich, daß mehr oder minder alle katholischen Organisationen und Verbände hinsichtlich bestimmter Grundwerte übereinstimmen: Es ist gerade das Bild vom Staat nach dem Subsidiaritätsprinzip, vom Staat, der die Menschen- und Bürgerrechte achtet, aber auch vom Sozialstaat, das deutlich hervortritt. So sehr im einzelnen die Meinungen etwa über die Maßnahmen im Bereich der Sozialpolitik divergieren mögen, ist man sich einig darüber, daß eben dieser Sozialstaat wichtige Gemeinwohlaufgaben zu erfüllen hat, die die Sicherungsmöglichkeiten des einzelnen, der Familie und der kleineren Gemeinschaften übersteigen. Wenn der Sozialhirtenbrief die vielseitige Problematik der Arbeitsordnung in den Mittelpunkt stellt, so zeigt sich, daß auch hier sehr weitgehende Übereinstimmungen bestehen. Die sehr positive Aufnahme, die schon vorher die Enzyklika Laborern exercens mit ihrer zutiefst humanen Sicht des Menschen als des arbeitenden und schaffenden Wesens in unseren katholischen Organisationen gefunden hat, war schon von dieser grundsätzlich positiven sozialen Einstellung bestimmt gewesen. Diese Einheit in der Vielheit kommt auch darin zum Ausdruck, daß die katholischen Organisationen stark sozialpolitisch engagiert sind. In gewissem Sinn ist so der "Sozialkatholizismus" an die Stelle des politischen Katholizismus getreten. Wolfgang Mantl sieht vor allem seit dem Zweiten Vatikanum, im besonderen in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes", eine sehr deutliche Wende hin zu diesem vielseitigen sozialpolitischen oder besser gesellschaftspolitischen Engagement: Dabei sind die katholischen Organisationen auch hier auf einen "Pluarlismus politischer Problemlösungen" hin orientiert; die Bezogenheil auf die persönliche Gewissensverantwortung führt zu einer relativen Eigengesetzlichkeit der einzelnen Lebensbereiche und damit auch der politischen Sachfragen. 6 Wolfgang Pesendoder ortet sogar eine deutliche Alternative zwischen Sozialreligion und christlichem Glauben: Auf jeden Fall stellt er die Tatsache heraus, daß es den sozial engagierten Christen (nicht nur den Katholiken) heute weiterhin in erster Linie um die soziale Gerechtigkeit geht. 7 Wir sehen freilich die Gefahren dieser Entwicklung in Lateinamerika, im Aufgehen des Christentums in manchen Bereichen in der sozialen Frage. So wichtig diese ist, muß sie letztlich auch von den katholischen Organisatio6 Wolfgang Mantl, Der parteipolitische Katholizismus, in: Gesellschaft und Politik, Wien 3/1975, S. 36 ff. 7 Wolf![ang Pesendorfer, Sozialreligion oder christlicher Glaube?, in: Politische Kultur in Österreich, Festschrift für Heinrich Schneider, hrsg. von Hans-Georg Heinrich, Allred Klose, Eduard Ploier, Linz 1989, S. 95 ff.
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nen im Zusammenhang mit ihrer christlichen Grundposition gesehen werden. Das starke soziale Engagement der katholischen Organisationen und ihrer Vertreter wurde auch bei der Konstituierung des Diözesanforums der Wiener Erzdiözese am 23.9.1989 in Wien deutlich: Es sind die sozialen Randgruppen, die hier besonders im Vordergrund stehen. Im übrigen sollen auch im innerkirchlichen Bereich mehr die Randschichten angesprochen werden, sollen Konfliktlösungen überall dort versucht werden, wo es zur Entwicklung von .,Außenseiterpositionen" kommt. Die katholischen Organisationen sind ihrer Natur nach bei aller Pluralität auf die Integration hin angelegt: Katholisch bedeutet im besten Sinn des Wortes auf das Allgemeine hin bezogen: So ist es eben die Einheit in der Vielheit, die immer wieder hervortreten soll.
IV. Orientierung an Grundwerten Führende katholische Organisationen wie die Katholische Männerbewegung Österreichs stellen immer wieder in Grundsatzprogrammen und allgemeinen Erklärungen Grundwerte für ihr Handeln in der Gesellschaft heraus. Damit werden wichtige Orientierungen zum Ausdruck gebracht. Als Beispiel sei auf die programmatischen Erklärungen der Katholischen Männerbewegung am Beginn der Funktionsperiode ihres Vorstandes im Jahr 1984 hingewiesen: Das Bekenntnis zur Eigenverantwortung des Menschen und Staatsbürgers stand dabei im Vordergrund. Der Staat dürfe den Handlungsspielraum des einzelnen nicht willkürlich einengen, er müsse Gewissensfreiheit garantieren und jene Grundrechte achten, die in jeder demokratischen Verfassung dem Staatsbürger auch gemeinsames Handeln ermöglichen, vor allem aber die Freiheit der Berufsausübung einschließlich der Lehr- und Lernfreiheit sicherstellen. Ein wichtiger Grundwert aus christlicher Sicht ist der Vorrang von Konsens vor Konflikt: Die verschiedenen Kräfte und Gruppen im Staat und in der Gesellschaft sollen ihre Konflikte soweit schlichten, daß eine funktionsfähige Friedensordnung sichergestellt wird. Der Friede als Grundwert wird von der Katholischen Männerbewegung sowohl für den innerstaatlichen wie den internationalen Bereich als entscheidend angesehen. Es ist der Grundwert der Menschenwürde, der damit eng im Zusammenhang steht. Funktionsfähige politische Systeme brauchen bestimmte Grundwerte, zu denen sich die maßgebenden politischen Gruppierungen und die tragenden politischen Kräfte bekennen müssen. Die katholischen Organisationen haben - wie das Beispiel der Männerbewe-
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gung zeigt- sich immer wieder bemüht, in diesem Zusammenhang konstruktive Vorarbeit zu leisten. 8 Dabei dürfe man aber Konflikten und Auseinandersetzungen nicht ausweichen, wie das Forum "Kirche ist Gemeinschaft" anläßlich des Zusammentretens des Wiener Diözesanforums festgestellt hat. Daraus können immer wieder fruchtbare Impulse entstehen. Diskussion ist mit jeder Form echter Demokratie untrennbar verbunden. 9 Diese Orientierung an Grundwerten ist bei den katholischen Organisationen in Österreich keine Sache der reinen Theorie, sondern bewußt praxisorientiert Dies zeigt etwa die große Bedeutung des christlich-jüdischen Dialogs wie überhaupt der ökumenische und interkonfessionelle Dialog, dem die katholischen Organisationen in ihrer Mehrheit, vor allem aber die Katholische Aktion, große Bedeutung beigemessen haben. In diesem Sinn haben die katholischen Organisationen im Jahr 1988 einen bedeutsamen Anteil an der würdigen Gestaltung der Gedenkfeiern an das Jahr 1938 erbracht: Gerade dies war auch für den christlich-jüdischen Dialog wichtig. Sehen wir doch, daß etwa selbst im so weitgehend katholischen Polen dieser Dialog auf gewisse Schwierigkeiten stößt. In Österreich hat der Gedanke der Toleranz gerade bei den katholischen Organisationen in den letzten Jahrzehnten (sehr zum Unterschied gegenüber der Ersten Republik) an Gewichtung zugenommen. Auf jeden Fall zeigt sich deutlich, daß die Überzeugung heute in den katholischen Organisationen fest verankert ist, daß Gewaltanwendung und Intoleranz wesenhaft unchristlich sind. Hat doch die Katholische Soziallehre immer wieder die Bedeutung der Friedensidee und des Ausgleichsgedankens herausgestellt. Dies kommt nicht nur in "Pacem in terris" klar zum Ausdruck, sondern wohl ebenso in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes", in "Populorum progressio" und nicht zuletzt auch in der Enzyklika "Sollicitudo rei socialis". Die katholischen Organisationen innerhalb und außerhalb der Katholischen Aktion sind immer wieder bemüht, wesentliche Grundgedanken dieser Soziallehre aufzugreifen und in ihrer Bildungsarbeit zu verbreiten.
V. Immer neue gesellschaftspolitische Herausforderungen
Die katholischen Organisationen werden durch die politische Entwicklung in Österreich immer wieder herausgefordert: Die Fragen des Schutzes des ungeborenen Lebens, die Behandlung der Flüchtlinge und Gastarbeiter, 8 9
Der Nächste Schritt, Wien 4/1984, S. 1. Kathpress Nr. 176/1989, 13.9.1989.
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die Zerstörung der Lebensumwelt des Menschen unserer Zeit-all das und vieles mehr wird immer wieder auch für die katholischen Organisationen zur Herausforderung, sich politisch zu engagieren, in ihren Medien und durch Mittel der Verbandsarbeit im politischen Vorfeld Einfluß zu gewinnen. Zweifellos stehen heute sehr weitgehend die Friedens- und Umweltfragen im Vordergrund des Interesses der katholischen Organisationen. Dies ist nicht nur innerösterreichisch der Fall, sondern auch im internationalen Bereich, wie die Auseinandersetzungen um den Konziliaren Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung wieder deutlich gemacht haben. Dazu kommen immer mehr jene Ordnungsfragen der Wirtschaft, die so sehr von entscheidender Bedeutung für die soziale Entwicklung der einzelnen Länder sind. Das Subsidiaritätsprinzip, der tragende Grundsatz der Katholischen Soziall ehre, verweist dabei auf eine Wirtschaftsordnung der geordneten Freiheit, wie sie immer wieder auch Johannes Messner gefordert hat. 10 Auch in diesem Zusammenhang lassen sich im internationalen Bereich deutliche Aussagen finden: So hat im November 1985 über Einladung des Päpstlichen Rates für die Laien und des Institutes der Deutschen Wirtschaft in Köln sowie anderer internationaler Vereinigungen in Rom ein Symposion "Kirche und Wirtschaft" stattgefunden, das die Bedeutung der Eigeninitiative in der Wirtschaft nachdrücklich herausgestellt hat. 11 Die Tagung folgte dabei den Grundsätzen der Enzyklika Mater et magistra, die sich gleichfalls mehr Erfolge von der Privatinitiative erwartet. Gewiß kann es in den konkreten Wirtschaftsfragen keine Patentrezepte geben. Jeder Staat hat seine besonderen Probleme, seine arteigenen Wirtschafts- und Sozialstrukturen. Dennoch kann die Katholische Soziallehre tragende Ordnungsgrundsätze herausarbeiten und als wichtige Entscheidungshilfen den politischen Systemen anbieten. So geht es etwa auch in der so umstrittenen Budget- und Finanzpolitik weitgehend um Ordnungsfragen: Die staatlichen Finanzen sollen so gestaltet werden, daß der Staat wieder seine Ordnungsaufgaben in Wirtschaft und Gesellschaft besser erfüllen kann, daß er seine knappen Finanzierungsmittel nicht sinnwidrig verzettelt. In diesem Sinn haben auch in Österreich katholische Organisationen wie die Katholische Männerbewegung deutliche Akzente gesetztY Die katholischen Organisationen verweisen immer wieder auf das Gemeinwohl und die damit dem Staat, seiner Regierung und dem Parlament gestellten Aufgaben. Es ist das deutliche Bewußtsein der Verpflichtungen aus der Solidarität, die in den katholischen Organisationen besonders bewußt wird, die zur hohen Einschätzung der Gemeinwohlaufgaben führt. 10 11 12
JohannesMessner, Das Naturrecht, 5. A. Innsbruck u.a.1966, S. 1004 ff., 1147 ff. Der Nächste Schritt, Wien 1/ 1986, S. 4 f. Der Nächste Schritt, Wien 3/ 1987, S. 1 f.
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Altred Klose
Mit diesen ihren Grundeinsteilungen können die katholischen Organisationen sehr viel zur politischen Kultur in Österreich beitragen. Solidarität und Subsidiarität, Gemeinwohl und Freiheit, Personalität und soziale Grundhaltungen stehen dabei als wichtigste Ordnungsprinzipien im Vordergrund. Von besonderer Bedeutung ist, daß die katholischen Organisationen in ihrer Position zwischen Kirche und Staat alles dar an setzen, einer verbreiteten Zukunftsangst und einem immer wieder hervortretenden Pessimismus entgegenzutreten. Wolfgang Mantl sieht die Notwendigkeit gegeben, daß sich die "Transformation des Politikbezuges österreichischer Katholiken" (und ihrer Verbände) auch sozialkritisch manifestieren muß. Man müsse auch bereit sein, sich gegen Hedonismus und Utilitarismus, gegen praktischen Materialismus zu wenden! Nicht zuletzt sind es auch Fehlentwicklungen technokratisch-funktionalistischer Steuerungsmechanismen, die Mantl gleichfalls den engagierten Katholiken als Objekt ihrer Sozialkritik empfiehlt.13 Die katholischen Organisationen sollen in ihrer Vielfalt erhalten bleiben, wenn sich auch die Organisationsformen im einzelnen im geschichtlichen und sozialen Wandel immer wieder verändern werden. Bischof Alfred Kostelecky, dem diese Festschrift gewidmet ist, hat immer wieder diese Entwicklung der katholischen Organisationen und Verbände gefördert, wofür ihm an dieser Stelle besonders gedankt sei.
13 Wolfgang Mantl, Die Transformation des Politikbezuges österreichischer Katholiken, in: Politische Kultur in Österreich, Festschrift für Heinrich Schneider, s. Anm. 7, S. 84 ff.
KIRCHE(N) UND GEWALTENTEILUNG Von Siegbert Morscher, Innsbruck I. Die umfassende Gewaltenteilung
Der Grundsatz der Gewaltenteilung 1 bildet wohl die wesentlichste Idee dafür, wie größere Gruppen, namentlich Staaten, zweckmäßig, d. h. im Sinne der Freiheit ihrer einzelnen Mitglieder, organisiert werden sollen. 2 Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Erfahrung: "Man kann einem Menschen nicht Macht über andere Menschen geben, ohne ihn in Versuchung zu führen, diese Macht zu mißbrauchen; die Versuchung wächst annähernd in demselben Maße wie die Menge der Macht, und sehr wenige können widerstehen."3 Diesem "Lord Acton'schen Korruptionsgesetz" liegt ersichtlicherweise kein idealistisches, vielmehr ein realistisches Menschenbild zugrunde. Der Gedanke der Gewaltenteilung im Sinne der Bändigung von Herrschaft, Macht oder gar Gewalt erschöpft sich keineswegs in seiner Anwendung auf den Staat als solchen und schon gar nicht in der populär gewordenen Dreiteilung der staatlichen Funktionen in Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung. Vielmehr ist er als umfassendes Gestaltungsprinzip für menschliche Gruppen zu begreifen. 4
1 Wiewohl Montesquieu nicht als "Erfinder" der Gewaltenteilung angesehen werden kann, gilt sein Werk "Oe l'esprit des lois" (1748) als Grundlage der heutigen Gewaltenteilungslehre. S. auch Wolfgang Mantl, Stichwort Montesquieu, in: Alfred Klose I Wolfgang Mantl I Valentin Zsifkovits (Hg.), Katholisches Soziallexikon 2, InnsbruckiWieniMünchen-GraziWieniKöln 1980, Sp. 1838 ff. (1842). Vgl. zuletzt auchAJois Riklin, Montesquieus freiheitliches StaatsmodelL Die Identität von Machtteilung und Mischverfassung, PVS 1989, 420 ff. 2 Vgl. zur- unübersehbar gewordenen- Literatur zu diesem Prinzip etwa die Nachweise bei Ludwig Adamovich I Bernd-Christian Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3, Wien/New York 1985, 136 f.; Robert Walterl Heinz Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechts6 , Wien 1988, 66. 3 Kar] Popper, Das Elend des Historizismus, Tübingen 1965, 50. 4 Einprägsam bringt dies schon zum Ausdruck der Titel der Arbeit von Werner Kägi, Von der klassischen Dreiteilung zur umfassenden Gewaltenteilung, in: FS Hans Huber, Bern 1961, 151 ff. (s. insbes. 163).
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II. Der schwierige Versuch Angesichts dieser sachlich globalen Relevanz der Gewaltenteilung einerseits und des über Jahrzehnte beackerten Arbeitsfeldes unseres hochgeschätzten Jubilars im Schnittpunkt kirchlicher und staatlicher Strukturen andererseits schien und scheint mir das gewählte Thema von allgemeinerem Interesse zu sein. Allerdings ist dieser Fragenkomplex ein ganz besonders sensibler, weshalb es zu betonen gilt, daß die folgenden Überlegungen zwar -gewiß nur unzureichend- versuchen, die Besonderheit der Kirche(n) als sozusagen diesseitige Manifestationen transzendierender Heilslehren nicht aus den Augen zu verlieren, sich aber bloß als tastender Versuch auf dem Gebiet des Staatsrechts bzw. der Staatslehre verstehen. Wenn im übrigen der Begriff Kirche weit aufgeiaßt wird, ist es doch so, daß - nicht zuletzt mit ehrerbietigem Blick auf den Jubilar - praktisch die Katholische Kirche, und hier wiederum jene in Österreich, im Mittelpunkt der Überlegungen steht. 111. Kirche(n) und Staat Der Dualismus von Kirche und Staat 5 stellt "eine Gewaltenteilung mit gewaltigen historischen Auswirkungen" dar. 6 Wie richtig diese Bewertung ist, kann etwa aus den praktischen Folgen abgelesen werden, die sich aus einer umfassenden Verbindung von Staat und Religion im Iran von heute ergaben und ergeben. Doch bedarf es zu dieser Erkenntnis gar nicht des 5 Vgl. dazu z. B. Hans R. Klecatsky I Hans Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1958; Erwin Fischer, Trennung von Staat und Kirche, München 1964; Peter Leisching, Kirche und Staat in den Rechtsordnungen Europas, Freiburg 1973; Heribert Pranz Köck, Kirche und Staat- Zum Problem der Kompetenzabgrenzung in einer pluralistischen Gesellschaft, in: FS Eckert, Berlin 1976, 77 ff.; Johannes Neumann, Kirche als Sinnträger in einer pluralen Gesellschaft?, in: FS Eckert, 27 ff.; sowie die Beiträge von Hans R. Klecatsky, Gerhard Leibholz und Herbert Schambeck in der zuletzt genannten FS; Joseph List/, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978; ders., Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: Joseph List// Huber! Müller I Heribert Schmitz (Hg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 1983, 1021 ff.; Klaus G. Meyer-Teschendorf, Staat und Kirche im pluralistischen Gemeinwesen, Tübingen 1979; Wo/fang Mantl, Stichwort Kirche und Staat, in: Katholisches Soziallexikon 2 , Sp. 1346 ff.; Hans R. Klecatsky, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Republik Österreich, in: Joseph List// Huber! Müller I Heribert Schmitz (Hg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 1081 ff.; Jürgen Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, Baden-Baden 1986, 104 ff.; Richard Puza, Die Weltkirche und die Staaten, in: FG Hugo Schwendenwein, Graz/Wien/Köln 1986, 651 ff.; Hans-Martin Pawlowski, Das Verhältnis von Staat und Kirche im Zusammenhang der pluralistischen Verfassung, Der Staat 1989, 353 ff. 6 Werner Kägi, 169.
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Blickes in ,.ferne Länder"; vielmehr genügt hiezu, wie (fast) immer, ein Blick in die eigene Geschichte. Zwar basiert das Christentum auf einem Antagonismus zu weltlichen Institutionen, da der göttliche Auftrag lautet: ,.Ihr seid das Salz der Erde!" 7 Das impliziert die kritische Distanz zum Säkularen, das Eintreten für die Armen und Schwachen und damit die permanente Funktion der ,.Unruh"- so jedenfalls im Bilde der leider weithin außer Mode geratenen mechanischen Uhren. Besonders deutlich kommt der Gedanke des Dualismus von Staat und Kirche auch in der Steuerperikope des Neuen Testamentes zum Ausdruck: ,.Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" 8 Die Christen haben diesen ihren Auftrag sehr ernst genommen; dies ist insbesondere an den Christenverfolgungen als dem denkbar extremsten Gegensatz von staatlicher Macht und Mitgliedern der Kirche abzulesen. Wohl aus diesem Status der Minderheit und Schutzbedürftigkeit heraus 9 entwickelte Augustinus seine die civitas Dei und die civitas terrena unterscheidende Gewaltenteilungs/ehre. Danach sind sowohl die Kirche als auch der Staat in ihren Angelegenheiten autonom; Aufgabe des Regenten ist es aber, die .. Untertanen" in ihrem Streben nach dem jenseitigen Ziel zu unterstützen und der Kirche bei ihren Bemühungen, Einheit und Rechtgläubigkeit zu wahren, beizustehen. 10 Die weitere Entwicklung ist nicht nur durch die Verbreitung des christlichen Glaubens, sondern auch durch Zunahme kirchlicher Macht gekennzeichnet. Grob gesprochen basierte dieser Machtzuwachs weithin auf der Verbindung mit weltlichen Mächten und Kräften. Naturgemäß konnten auch dabei Konflikte nicht ausbleiben. Gewaltenteilende Doktrinen konnten nunmehr aus der Position einer gewissen Stärke entwickelt werden: So vor allem 11 die Zwei-Gewalten-Lehre von Ge/asius /.,die Zwei-Schwerter-Lehre von Bonifaz VIII., sowie die Zwei-Reiche-Lehre Luthers und die Zwei-Regimenten-Lehre Me/anchtons und Ca/vins. 7 Mt 5, 13. Das damit auch zum Ausdruck kommende gewaltenverbindende Element - s. dazu VI. -bestätigt nur den grundsätzlichen Trennungsgedanken. 8 Mt 22, 15-21, Mk 12, 13-17, Lk 20, 20-26. 9 Wiewohl allerdings retrospektiv - Galerius (311), Konstantin (313) und Licinius die Tolerierung und Theodosius I. (380) die "Reichskirche" gebracht hatten- vgl. Wolfgang Mantl, Kirche und Staat, Sp. 1350. 10 Vgl. Richard Bruch, Stichwort Augustinus, in: Katholisches Soziallexikon 2 , Sp. 161. 11 Zu den folgenden Aspekten vgl. z. B. Josef Bohatec, Calvins Lehre von Staat und Kirche 2 , Graz 1961; Heinrich Bomkamm, Luthers Lehre von den zwei Reichen im Zusammenhang seiner Theologie 3, Gütersloh 1969; Heinz-Horst Schrey (Hg.), Reich Gottes und Welt. Die Lehre Luthers von den zwei Reichen, Darmstadt 1969; Michael Bischinger, Die Zwei-Schwerter-Lehre, Wien 1971; Herber! Kalb, Studien zur Summa Stephans von Tournai, Innsbruck 1983, 96 ff.
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Gerade in Österreich etablierte sich in der Folge über Jahrhunderte ein Bündnis von .,Thron und Altar", das der ausschließlich religiös/spirituell gedachten Aussage .,extra ecclesiam non salus" handfeste weltliche Bedeutung verlieh. Sichtbarer Höhepunkt dieser gewaltenverbindenden Entwicklung bildete der Grundsatz .,cuius regio, eius religio". 12 Wesentliche Zäsuren brachten in der Folge der aufgeklärte Absolutismus 13 , noch mehr aber der Liberalismus des vergangenen Jahrhunderts. Unter dessen Einfluß wurde -nachdem sich die Revolution von 1848 nur als Eintagsfliege erwiesen hatte - 1867 eine neue Verfassung 14 erlassen, in deren Grundrechtsteil -nämlich durch Art. 15 des StGG vom 21.12.1867 RGBl 142 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, aber auch durch dessen Art. 14, der die individuelle Religionsfreiheit garantiert- erstmals eine deutliche (verfassungs- )gesetzliche Trennung von Kirche und Staat erfolgte. Die Republik Österreich brachte weder an ihrem Beginn noch bis heute die Kraft zur Neuerlassong eines Grundrechtskataloges auf, so daß das erwähnte StGG 15 des Jahres 1867 samt seinen Art. 14 und 15 über die .,Rezeptionsklausel" des Art. 149 B-VG bis heute geltendes Verfassungsrecht darstellt. Unter eben diesem Verfassungsregime konnte sich einerseits die weiter andauernde Achse von Thron/ Altar in der Monarchie, aber auch eine enge Verbindung nicht nur zwischen der christlich-sozialen Partei, sondern auch der von ihr getragenen staatlichen Macht und der Katholischen Kirche16 in der Ersten Republik 17 ebenso entwickeln wie andererseits der Rückzug der Repräsentanten der Katholischen Kirche aus der Tages- bzw. Parteipolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein besonders deutliches Signal für dieses gewandelte Selbstverständnis der Kirche setzte etwa auch der Katholikent:_:g 1952 mit seinem Generalthema .,Kirche in neuer Zeit". 18 12 Vgl. z. B. Martin Hecke/, Stichwort Cuius regio- eius religio, in: Adalbert Er/er I Ekkehard Kaufmann (Hg.). Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, L Bd.,
Berlin 1971, 651 ff. 13 Z. B. das von Joseph IL erlassene Toleranzpatent (1781 l- Vgl. auch Fritz Valjavec, Der Josephinismus 2, München 1945; Ferdinand Maaß, Der Josephinismus, 5 Bde, Wien 1950-1961; Walther Hubatsch (Hg.). Absolutismus, Darmstadt 1973; Kar/ von Aretin (Hg.), Der aufgeklärte Absolutismus, Gütersloh 1974. 14 Bestehend aus den fünf bekannten (Grund-)Gesetzen vom 21.12.1867. 15 Unter Berücksichtigung der hier nicht interessierenden Novellen BGBl 1974/8, 1982/262 und 1988/684 (tritt mit 1.1.1991 in Kraft). 16 ,.Politischer Katholizismus" in der bekannten Bedeutung des Wortes. 17 Auf die Besonderheiten des ständestaatliehen Systems kann und soll hier nicht eingegangen werden. 18 S. dazu Kirche in neuer Zeit. Reden und Erklärungen des Österreichischen Katholikentages 1952, Schriften des .. Volksboten" Nr. 1, Innsbruck/Wien/München 1952, sowie den darin auf den S. 44 ff. abgedruckten Beitrag .. Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft. Die Beratungen der Studientagung des Österreichischen Katholikentages in Mariazell".
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Nicht, daß damit nun einem a-, un- oder gar antipolitischen Verhalten der Kirche oder ihrer Mitglieder das Wort geredet wäre. Aber die Kirche als solche und ihre Repräsentanten bis zum Dorfpfarrer sollen sich die erwähnte Selbstbeschränkung auferlegen, ihrer priesterlichen Aufgabe in der wahren Bedeutung des Wortes widmen- was auch politische Aussagen, gegebenenfalls politisches Handeln, fordern kann. Staatsrechtlich bedeutsam ist Art. 15 StGG für unser Thema in mehrfacher Hinsicht. U. a. gewährt diese Verfassungsbestimmung nur den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften Schutz. 19 Zutreffend hat der VfGH erkannt2°, daß zufolge dieser Bestimmung der Bestand jeglichen Staatskirchenturns ausgeschlossen ist. Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft ist zur selbständigen Ordnung und Verwaltung ihrer inneren Angelegenheiten21 berechtigt. Dieser Begriff der inneren Angelegenheiten ist ein Verfassungsbegriff im formellen und materiellen Sinn 22 ; er unterliegt somit auch nicht der Verfügung des einfachen Gesetzgebers. 23 Die Akte, die in Ausübung des Rechtes zur Besorgung der inneren Angelegenheiten durch die Kirche gesetzt werden, sind weder staatliche Tätigkeiten noch Tätigkeiten im Sinne des B-VG. 24 Sie unterliegen demgemäß keinerlei Kontrolle durch staatliche Organe wie etwa des VfGH, des VwGH und anderer Gerichte oder Verwaltungsbehörden. Die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften genießen die Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihre Rechtsposition ist jedoch, wie vor allem Klecatsky 25 zutreffend hervorhebt, durch das staatliche Recht nicht erzeugt, sondern anerkannt worden; die diesbezüglichen Gesetzgebungsakte haben somit also nicht konstitutiven, sondern rein deklarativen Charakter. 19 Gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften sind durch G anerkannte, sowie die aufgrund des G vom 20.5.187 4 RGBl 68 betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften. Zur Frage, welche Kirchen und Religionsgesellschaften gesetzlich anerkannt sind, vgl. Hans R. Klecatsky I Siegbert Morscher, Das Österreichische Bundesverfassungsrecht 3, Wien 1982, 898 (Anm. 2 zu Art. 15 StGG); Hans R. Klecatsky, Die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich, in: FS Schnorr, Wien 1988, 509ff. (513); vgl. inzwischen die V BGBl 1988/129 (Anerkennung der Syrisch-Orthodoxen Kirche) sowie die V BGB11988/466 (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich). 20 VfSlg 1430; die im Text wiedergegebene Aussage ist auch für IV. beachtlich. 21 S. dazu zuletzt etwa VfGH 19.6.1986, B 714/83, VfSlg 10.915; vgl. dazu auch V. 22 Vgl. Hans R. Klecatsky, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Republik Österreich, 1087. 23 Vgl. V!Slg 2944. 24 Vgl. V!Slg 3657. 25 S. Hans R. Klecatsky, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Republik Österreich, 1087.
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Die äußeren Angelegenheiten sind für die nach dem AnerkennungsG2 6 gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften in diesem Gesetz geregelt, für alle anderen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften finden sich Regelungen in SondervorschriftenY Eine Sonderstellung kommt den äußeren Angelegenheiten der Katholischen Kirche insofern zu, als diese in Form eines Staatsvertrages, nämlich durch das Konkordat 1933 28 , geregelt sind. Gerade das Konkordat 1933 und andere Staatsverträge mit dem Heiligen Stuh!2 9 zeigen sehr deutlich das Prinzip der Gewaltenteilung zwischen Katholischer Kirche und Staat, gleicherweise aber auch diese punktuell überwindende gewaltenverbindende Elemente. IV. Gewaltenteilung durch den Pluralismus von Kirchen und Religionsgesellschaften So schmerzlich es für - insbesondere überzeugte und praktizierendeMitglieder, namentlich Repräsentanten einer Kirche auch sein mag, ein ganz wesentlicher Bestandteil der Gewaltenteilung ist in einer Mehrzahl von Kirchen zu erblicken. Darin manifestiert sich besonders signifikant der Pluralismus 30 als conditio sine qua non moderner demokratischer Gesell26 G vom 20.5.1874 RGBl 68 betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften. 27 Vgl.dieBGBGB11961/182i.d.F.BGB11970/5, 1976/159, 1981/525und 1989/618 (Evangelische Kirche) und 1967/229 (Griechisch-orientalische Kirche) sowie das G RGBl 1890/57 i.d.F. der K BGBl 1981 I 436 und des G BGBl 1984/61 (Israelitische Religionsgesellschaft). 28 Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich BGBl II 1934/2. Vgl.z. B. Alfred Kostelecky, Anerkennung der Rechtsgültigkeit des Österreichischen Konkordates vom 5. Juni 1933 durch die Zusatzverträge mit dem Hl. Stuhl in den Jahren 1960 his 1976, in: FS Eckert,215ff.;ders., Konkludente Handlungen als Wegbereiter der Anerkennung des Konkordates, in: FG Hugo Schwendenwein, 60 1 ff. 29 Vgl. z. B. den Vertrag mit dem Heiligen Stuhle und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen BGBl 1962/273 i.d.F. des Zusatzvertrages BGB11972/289, sowie die Diözesenverträge BGB11960/196 (Eisenstadt), 1964/227 i.d.F. 1968/417 (lnnsbruck) und 1968/417 (Feldkirch), aber auch den Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen BGBl 1960/195 i.d.F. der Zusatzverträge BGBl 1970/107, 1976/220, 1982/49 und 1990/86. 30 Vgl. neben den Beiträgen von Heribert Pranz Köck sowie von Hans-Martin Paw/owski in Anm. 5 etwa Ernst Fraenkel, Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatliehen Demokratie, Verh 45. DJT li B (1965) 5ff.; Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre 2, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1966, 351 ff., 367 ff., 379 ff., u. passim; Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt am Main 1971, 67ff., 183ff.; Rainer Eisfeld, Pluralismus zwischen Liberalismus und Sozialismus,
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schatten und Strukturen. Von nicht bloß theoretischem Interesse mag dabei sein, daß - historisch betrachtet - für den Entwurf der Pluralismustheorie(n) als bedenklich erachtete Entscheidungen auf dem Gebiet des Kirchen(und des hier nicht weiter interessierenden Arbeits-)Rechts ursächlich waren; damit sollten Entwicklungen betreffend die gefährdete Autonomie der Angehörigen einer Kirche abgefangen werden. 31 Diese - letztlich nur Möglichkeiten zu - Pluralität von Kirchen wird nicht nur durch Art. 15 StGG gewährleistet, sondern insbesondere durch die Garantie der vollen Glaubens- und Gewissensfreiheit kraft Art. 14 StGG abgestützt. Hinzu tritt die verfassungsrechtliche Absicherung der Religionsfreiheit durch Art. 9 MRK. Diese Bestimmung gewährleistet ausdrücklich auch die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion - was die Bestandsmöglichkeiten mehrerer Religionen logisch zwingend voraussetzt. Die Pluralität von Kirchen ist in Österreich aber nicht nur Möglichkeit, sondern längst Wirklichkeit. 32 So schmerzlich also die Pluralität von Kirchen dem Gläubigen einerseits scheinen mag, so tröstlich ist andererseits der Umstand zu sehen, daß notwendige Voraussetzung für den Pluralismus ist, daß nicht der "Gruppenwille geknechtet" wird. 33 Denn solcherart verstandener Pluralismus ist der denkbar sicherste Streiter für individuelle und korporative Religionsfreiheit.
V. Gewaltenteilung innerhalb der Kirchen Die Idee umfassender Gewaltenteilung macht aber bei den Kirchen und Religionsgesellschaften nicht halt, sondern nimmt auch deren "innere Gewaltenteilung" in den Blick. Wie die säkularen und insoferne "echten" Selbstverwaltungskörperschaften weisen nämlich auch die Kirchen verschiedenste interne Gliederung und Kompetenzverteilungen, damit aber gewaltenteilende Elemente auf. In diesem Zusammenhang ist abermals 34 auf das Erk des VfGH vom 10.12.1987, G 146/87, 147/87 zurückzukommen. Der VfGH meinte dort, der Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1972; Franz Nuscheler I Winfried Steffani (Hg.), Pluralismus. Konzeption und Kontroversen 2, München 1973; Peter Häberle, Die Verfassung des Pluralismus, Königstein/Taunus 1980; Hans Herbert vonArnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, 103; Jürgen Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, 40, 125 !., 132, u. passim; David Held, Models of Democracy, Cambridge/Oxford 1987, 186 ff. 31 Vgl. Ernst Fraenkel, 10. 32 Vgl. Anm. 19 u. 27. 33 Ernst Fraenkel, 29. 34 S. schon oben unter III. bei Erwähnung der "inneren Angelegenheiten".
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(einfache) Gesetzgeber greife in verfassungswidriger Weise in den Bereich der inneren Angelegenheiten der Religionsgesellschaft des Islam ein, wenn er eine Einschränkung der zum Islam als anerkannter Religionsgesellschaft zählenden Anhänger vornehme. Er widerspreche damit nicht nur dem behaupteten Selbstverständnis der von der gesetzlichen Anerkennung erfaßten Anhänger des Islam 35 , sondern auch dem der vom IslamG nicht erfaßten Anhänger des Islam, wenn und insofern beide von einer einheitlichen Religionsgesellschaft ausgehen. Hierin 36 kommt eine - rein innerkirchliche, vom Staat zu beachtende - Pluralität ungeachtet des Umstandes zum Ausdruck, daß der VfGH hinsichtlich der griechisch-orientalischen Kirche judizierte, es wäre sachlich nicht gerechtfertigt und ein Eingriff in deren innere Angelegenheiten, wenn ihr auch Kirchen oder - akephale - Kirchengemeinden zugerechnet würden, mit denen die ihr angehörenden Kirchen (wegen bekenntnismäßigen Unterschiedes) keine Gemeinschaft pflegenY Das Staatskirchenrecht ermöglicht also auch in dieser Beziehung Pluralismus und Gewaltenteilung, zwingt aber dazu nicht und darf dies kraft Verfassung nicht, weil es sich um eine innere Angelegenheit handelt. Auch die Katholische Kirche kannte immer und kennt auch heute vielfältigsie Formen innerer Gewaltenteilung. Für diese Gewaltenteilung besteht allerdings eine absolute Grenze, nämlich wenn es um die Heilslehre und Glaubenswahrheit geht: Dort gilt - letztlich - die auf seine Infallibilität gestützte Entscheidung des Papstes. 38 Folgerichtig handelt es sich danach beim Schisma nicht (mehr) um einen Aspekt innerkirchlicher, sondern darüber hinausgehender Gewaltenteilung, da diesfalls eine neue Glaubensgemeinschaft entsteht. Abgesehen von solchen extremen, außerhalb des Systems liegenden "Schmerz-Fällen" kennt der geltende Codex luris Canonici 1983- gleich wie auch sein Vorgänger von 1917- zahlreiche gewaltenteilende Elemente: So beruft sich schon die dem Codex vorangestellte Apostolische Konstitution "Sacrae Disciplinae Leges" mehrfach auf den vom Ökumenischen 35 Nach hanefitischem Ritus- s. das G RGBl 1912/159 betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islam nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft 36 Vgl. auch VfGH 2.7.1981, G 31/79, VfSlg 9185, wodurch Teile des§ 2 IsraelitenG als verfassungswidrig aufgehoben wurden; begründend wurde u. a. ausgeführt, daß es unsachlich sei, einer Personengruppe, für deren religiöse Überzeugung es essentiell ist, sich als .Israelite" zu bekennen, die Möglichkeit zu verwehren, neben der auf einem bestimmten Gebiet bestehenden eine andere gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaft zu gründen. 37 VfGH 19.6.1986, B 714/83, VfSlg 10.915. 38 Vgl. dazu etwa Fidelis Gallati, Wenn die Päpste sprechen, Wien 1960; Gervais Durneige I Heinrich Bacht (Hg.), Geschichte der ökumenischen Konzilien, 12 Bde, Mainz 1965-1985; Wolfgang Klausnitzer, Primat und Unfehlbarkeit des Papstes im Disput zwischen Katholiken und Lutheranern, Innsbruck 1985.
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Konzil 39 getragenen kollegialen Geist, von welchem sein Zustandekommen inhaltlich und prozessual geprägt war. Von der Idee der Gewaltenteilung bestimmt sind insgesamt die Regelungen des Codex über die Leitungsgewalt40, namentlich Can. 135 über die Unterscheidung der Leitungsgewalt in gesetzgebende, ausführende und richterliche und das darauf aufgebaute gesamte Organisationssystem. Dabei spielt das gewiß nicht immer leicht handhabbare Prinzip der kollegialen Leitung 41 eine durchwegs entscheidende Rolle. Auch innerhalb der
einzelnen Gewalten können wir verschiedene Gliederungen und Organisationsstrukturen und damit die Realisierung des Gedankens der Gewaltenteilung erkennen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang neben der schon erwähnten Sektion I die Sektion 11 42 des Teiles II des Buches II des Codex über die Teilkirchen und ihre Zusammenschlüsse mit ihren Teilkirchenverbänden43 und ihrer reichen inneren Gliederung 44 wie die Gliederung durch Ordens- und Säkulare Institute. 45 Von ganz besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch der Dualismus von Geistlichen und Laien.
VI. Gewaltenverbindende Elemente Um den durch die Gewaltenteilung angestrebten Zweck zu realisieren bedarf es notwendigerweise auch ausgewogener gewaltenverbindender Elemente. Solche kennen wir hinsichtlich aller unter III. bis V. erörterten Institutionen. Zahllos sind diese verbindenden Elemente innerhalb der Kirche(n). Nur so kann sie im übrigen nach außen, insbesondere in ihrer Heilsverkündung als Einheit erscheinen. Auch zwischen den Kirchen bestehen zahlreiche Verbindungen, namentlich die weitverzweigten Anstrengungen des Einander-Näher-Kommens in ökumenischem Geiste. Selbstverständlich gab und gibt es auch zwischen Kirche(n) und Staat -ohne die grundlegend unterschiedliche Natur beider Bereiche zu übersehen- vielfältige "gewaltenverbindende" Elemente; dies im übrigen auch in jenen Staaten, in denen von einer "absoluten" Trennung beider Bereiche 39 Vgl. Konrad Hartelt, Das Ökumenische Konzil, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 266 ff. 4° Can. 129 ff. CIC. 41 Vgl. insbesondere Can. 330 CIC. 42 Can. 368 ff. CIC. 43 Die Parallelität zur gewaltenteilenden Funktion der Verbände für Staat und Gesellschaft liegt auf der Hand. 44 Can. 460 ff. CIC: Diözesansynode und -kurie, Priesterrat und Konsultorenkollegium, Kanonikerkapitel usw. 45 Can. 573 ff. CIC.
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ausgegangen wird. Hier sollen einige wenige ,.verbindende" Beispiele aus der Sicht Österreichs genannt werden: Nach Art. 17 Abs. 5 StGG steht dem Staat die oberste Leitung und Aufsicht im gesamten Unterrichts- und Erziehungswesen zu. Für den Religionsunterricht in den Schulen ist zufolge des Art. 17 Abs. 4 StGG von der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft Sorge zu tragen. In Ausführung dieser Verfassungsbestimmungen ergingen das G vom 25.5.1866 RGBl 48, wodurch grundsätzliche Bestimmungen über das Verhältnis der Schule zur Kirche 46 erlassen werden, sowie das BG vom 13.7.1949 BGBl 140, betreffend den Religionsunterricht in der Schule. 47 Darin wird u. a. festgelegt, daß zwar der Schulunterricht - mit Ausnahme des Religionsunterrichtes - vom kirchlichen Einfluß unabhängig ist, und daß der Religionsunterricht an öffentlichen und mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen für alle einer gesetzlich anerkannten Kirche angehörigen Schüler Pflichtgegenstand ist. Der Religionsunterricht hingegen wird von der betreffenden Kirche besorgt, geleitet und unmittelbar beaufsichtigt; der Bund kann jedoch durch seine Schulaufsichtsorgane den Religionsunterricht in organisatorischer und schuldisziplinärer Hinsicht beaufsichtigen. Als Religionslehrer dürfen nur solche Personen angestellt und verwendet werden, die von der zuständigen kirchlichen Behörde als hiezu befähigt und ermächtigt erklärt sind; bei Entzug der kirchlichen Ermächtigung dürfen sie nicht weiter verwendet werden. Sie unterstehen hinsichtlich der Vermittlung des Lehrgutes dem Lehrplan 48 und den kirchlichen Anordnungen, im übrigen dem allgemeinen staatlichen Schulrecht Wir können darin zahlreiche, diffizile Wechselbeziehungen zwischen Staat und Kirche(n) erkennen. Gleiches gilt, ohne daß dies hier näher ausgeführt werden könnte, für den universitären Bereich 49 und ganz allgemein für die Konkordate. Als weiteres Beispiel des Zusammenwirkens von Kirche und Staat ist die Militärseelsorge anzuführen. § 46 Abs. 5 des WehrG 1978 bestimmt, daß die religiöse Betätigung im Bundesheer nicht geschmälert werden darf. In diesem Sinne wurde die katholische und evangelische Militärseelsorge eingerichtet. 50 Gegenwärtig i.d.F. BGBl 19621240. Gegenwärtig i.d.F. BGBl 1957/185, 19621243, 1975/324 und 1988/329. 48 Die Lehrpläne werden hinsichtlich des Lehrstoffes und seiner Aufteilung auf die einzelnen Schulstufen von der Kirche im Rahmen der nach ihrer Anhörung staatlich festgesetzten Wochenstundenzahl erlassen und vom Staat bekanntgemacht 49 Vgl. zuletzt Herbert Kalb I Irmgard Rath-Kathrein I Kar] Weber, Rechtsfragen der Habilitation an katholisch-theologischen Fakultäten staatlicher Universitäten, Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 1987, 305 ff. 50 Die rechtlichen Grundlagen hiefür finden sich in Art. VIII des Konkordates 1933 46
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Da in Österreich, wie erwähnt, jegliches Staatskirchenturn ausgeschlossen ist, folgt daraus: .. Der Staat läßt Parität zwischen und Neutralität gegenüber den gesetzlich anerkannten Kirchen walten"Y Mantl spricht in diesem Zusammenhang von .. Kooperationssystem" 52 , Gampl von .. Konkordanzsystem".53 Ich halte diese Gesamteinschätzung für zutreffend, soferne sie sich auf die Nachkriegssituation und auf die allgemeine Lage bezieht. Man muß sich aber im klaren darüber sein, daß dieses .. Konsensmodell" punktuell, aber auch darüber hinausgehend durch Konflikte überlagert werden kann- und gewiß auch wird, so wie dies in der Vergangenheit auch immer wieder der Fall war. Solche Konflikte sind nichts Negatives. Dies beweist die lange Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche(n), vor allem aber auch die genuine Aufgabe (nicht nur der Katholischen, sondern) aller Kirchen: Sie selbst und deren Gläubige sollen .. das Salz der Erde" sein.
für die Katholische bzw. in§ 17 des BGvom 6.7.1961 BGB1182 über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche für diese. 51 So wörtlich Hans R. Klecatsky, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Republik Österreich, 1086 (Hervorhebung im Original). 52 Wo/fang Mantl, Stichwort Staat und Kirche, 1370. 53 Inge Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien/New York 1971, 53!!.
DIE PRÄAMBEL ZUR TIROLER LANDESORDNUNG Ein Beitrag zur verfassungsrechtlichen Grundwerte-Formulierung Von Peter Pernthaler, Innsbruck I. Einleitung Wie ein erratischer Block ragt die Präambel zur Tiroler Landesordnung 1989 1 - die ein geschlossenes System gesellschaftlicher und rechtlicher Wertvorstellungen verankere - in eine staatsrechtliche Landschaft, die von den liberalistischen, "wertneutralen" und positivistischen Vorstellungen der "Wiener Schule" 3 beherrscht wird. Für sie ist "Verfassung" im wesentlichen ein System formal-organisatorischer Spielregeln des demokratischen Prozesses, das alle inhaltlichen Aussagen über Politik und gesellschaftliche Wertvorstellungen sorgfältig vermeidet und nur dadurch den Verfassungs1 "Landesverfassungsgesetz vom 21. September 1988 über die Verfassung des Landes Tirol (Tiroler Landesordnung 1989)", LGBl 1988/61 i.d.F. LGB11989/50; die nur mehr in Tirol übliche Bezeichnung "Landesordnung" soll bewußt die Tradition der bis zur "Landesordnung 1524" zurückreichenden frühdemokratischen Verfassungstradition des Landes zum Ausdruck bringen. 2 Der Text der Präambel lautet: "Der Landtag hat in Anerkennung des Beitritts des selbständigen Landes Tirol zum Bundesstaat Osterreich, in Anerkennung der Bundesverfassung, im Bewußtsein, daß die Treue zu Gott und zum geschichtlichen Erbe, die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes, die Freiheit und Würde des Menschen, die geordnete Familie als Grundzelle von Volk und Staat die geistigen, politischen und sozialen Grundlagen des Landes Tirol sind, die zu wahren und zu schützen oberste Verpflichtung der Gesetzgebung und der Verwaltung des Landes Tirol sein muß, beschlossen:" 3 Vgl. dazu: F. Ermacora, Die Bedeutung und die Aufgabe der Wiener Schule für die Wissenschaft vom öffentlichen Recht der Gegenwart, ZÖR 1960, 347ff.; zum Umkreis der "Wiener Schule" des Rechtspositivismus gehören insbesondere die einflußreichen Staatsrechtslehrer: R. Walter, H. Mayer, H.P. Rill, K. Ringhofer, F. Koja, H. Schäffer, R. Novak. Daß gerade eine Erkenntnis des positiven Rechts nicht ohne Rechtsinhaltsbegriffe "wie der Rechtszweck, der Wert im Recht, das Rechtsgut ... "möglich ist, weist neuerdings G. Wink/er, Rechtstheorie und Rechtserkenntnislehre, 1990 (203 f. u. a.), in engagierter Auseinandersetzung mit der .Reinen Rechtslehre" nach.
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kompromiß begründen kann, daß alle Fragen der naturrechtlichen, ethischen und ontologischen Begründung des Rechts als ,.außerjuristische Probleme" ausgeklammert bleiben. Die Bundesverfassung kennt daher keine Präambel\ sie hat es bis heute nicht einmal zu einem Grundrechtskatalog gebracht5, weil hier inhaltliche, politische und verfassungsrechtliche Wertentscheidungen über die Stellung des Menschen und seiner elementaren Daseinsbedingungen in der Gesellschaft zu treffen wären. Die Tiroler Präambel ist daher undenkbar ohne den Hintergrund der neueren Entwicklung der Verfassungsautonomie der Länder6 und des sie tragenden (internen) Selbstbestimmungsrechts des Landesvolkes. 7 II. Zur Entstehungsgeschichte Die heutige Gestalt der Präambel geht auf drei Anläufe zurück: Ihre erste Formulierung erfuhr sie durch einen Landtagsbeschluß vom 9.2.1960, der den geistigen Gehalt des Gedenkjahres 1959 als Grundlage der politischen Tradition und Identität Tirols für die Gegenwart und Zukunft verfassungspolitisch festschreiben wollte. 8 Die Publikation dieses Landtagsbeschlusses 4 Über die geplante aber schließlich nicht beschlossene - Präambel zur Bundesverfassung informieren: H. Kelsen, G. Froehlich, A. Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, 1922, 463. 5 Zur- wohl endgültig gescheiterten- ,.Gesamtreform" des Grundrechtskataloges siehe E. Loebenstein, Die Behandlung des Österreichischen Grundrechtskataloges durch das Expertenkollegium der Grund- und Freiheitsrechte, EuGRZ 1985, 365 ff.; G. Holzinger, Die Erste Grundrechtsreform-Enquete (Februar 1986), EuGRZ 1986, 269 ff.; daß hier politische Wertentscheidungen zu treffen wären (über die kein Konsens besteht), belegen die laufenden Auseinandersetzungen um die verfassungsrechtliche Verankerung von ,.Ehe und Familie" entsprechend dem ,.Arbeitsübereinkommen" der Großen Koalition (XVII. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates). 6 Siehe P. Pernthaler, Die Verfassungsautonomie der Österreichischen Bundesländer, JB11986, 477ff.; eher einschränkend: F. Koja, Das Verfassungsrecht der Österreichischen Bundesländer, 1988 2, 23 ff. 7 P. Pernthaler, Die Staatsgründungsakte der Österreichischen Bundesländer, 1979; derselbe, Land, Volk und Heimat als Kategorien des Österreichischen Verfassungsrechts, 1982; zum Begriff des ,.internen Selbstbestimmungsrechts siehe Th. Veiter, Das Selbstbestimmungsrecht als Menschenrecht, in: FS Klecatsky, 1980, 967 ff. (984 ff.). 8 Landtagspräsident Obermoser, in: Stenographische Berichte des Tiroler Landtages, IV. Periode, 25. Tagung, 2. Sitzung (9.2.1960), 13f.: ,.Das Gedächtnis an 1809 wäre sinnlos, wäre es nicht vom Willen getragen, das innere Vermächtnis unserer Heldenväter in Gegenwart und Zukunft in Treue zu verwirklichen. Zu diesem Zweck soll nach dem Abschluß aller Gedächtnisfeierlichkeiten der Inhalt dieser Vermächtnisse an einer Stelle niedergeschrieben und festgehalten werden, die der Angelpunkt ist für die gesamte Rechtsordnung, die Gesetzgebung und Vollziehung unseres Landes, in der Tiroler Landesverfassung."
Die Präambel zur Tiroler Landesordnung
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unterblieb 20 Jahre lang, weil die erhoffte Gesamtreform der Landesverfassung- für die der Text bestimmt war- nicht zustande kam. Erst im Jahre 1980 beschloß der Landtag, aus Anlaß einer neuerlichen Verfassungsnovelle nunmehr auch die Präambel der Landesordnung voranzustellen. 9 Auf diesen zweiten Landtagsbeschluß geht die föderalistische Komponente der Präambel zurück, die an zeitgeschichtliche Krisen und Auseinandersetzungen, aber auch an wichtige Prozesse der politischen und staatsrechtlichen Selbstfindung des Landes erinnern. 10 Im dritten Anlauf wurde die Präambel - im wesentlichen unverändert - einer Gesamtreform der Landesverfassung vorangestellt, mit der sie nun eine innere Einheit bildet und zusammen auszulegen ist. Bis dahin war nämlich die eigentliche Funktion der Präambel, eine Erklärung des .,normativen Bewußtseins" des Verfassungsgesetzgebers festzuschreiben, angesichtsder Entstehungsgeschichte von alten und neuen Verfassungsbestandteilen der .,Landesordnung" außerordentlich problematisch gewesen: Die Form der Präambel wurde nämlich nicht im Hinblick auf die Begründung der - als veraltet geltenden - Landesordnung gewählt, sondern weil das Bundeskanzleramt gegen die ursprüngliche Absicht eines Einbaues in die Landesverfassung kompetenzrechtliche Bedenken geltend gemacht hatte. 11 Erst seit der Landesordnung 1989 kann man daher von einer eigentlichen Präambel im verfassungstheoretischen Sinne sprechen.
9 Die im Jahre 1980 neu beschlossene Formulierung der Präambel (LGBII980/ 48) übernahm - mit kleinen stilistischen Veränderungen - den Text des Landtagsbeschlusses von 1960 als Kern der Staatszielbestimmung, verband ihn aber mit einer föderalistischen Deklaration über die verfassungsgebende Gewalt des Landtages und den Beitritt .,des selbständigen Landes Tirol zum Bundesstaat Österreich" und die .,Anerkennung der Bundesverfassung"; vgl. dazu die gleichzeitig erschienene Analyse der Staatsgründungsakte der Länder: Pernthaler, Staatsgründungsakte, der dieser Deklaration inhaltlich folgt. 10 Die Verhandlungen um das .,Forderungsprogramm der Bundesländer" (1976) waren wegen Gegenforderungen des Bundes und grundlegender politischer Auseinandersetzungen ins Stocken geraten, vgl. P. Pernthaler, Bundesstaatsreform als kooperativer Einigungsvorgang, Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 1980, 132 ff. (147); gleichzeitig entstanden Volksbewegungen der Föderalismusreform (.,Pro Vorarlberg", .,Pro Tirol"), die zu einer Volksabstimmung in Vorarlberg (1980) und zur einstimmigen .,Föderalismus-Entschließung" des Tiroler Landtages (6.7.1983) führten; vgl. dazu: 8. Bericht über die Lage des Föderalismus in Österreich, 1984, 96 ff. und 104 ff. 11 Man war damals auf Bundesseite der Meinung, es handle sich beim vorgesehenen Text um .,Grundrechte" und damit um die Kompetenz .,Bundesverfassung" (Art. 10 Abs. I Z I B-VG); vgl. dazu die in Anm. 8 angeführten Stenographischen Berichte sowie (zum Kompetenzproblem .,Grundrechte") Pernthaler, JBI 1986, 483 f. und Koja, Landesverfassungsrecht, 71 ff.
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111. Inhaltliche Analyse
Inhaltlich gesehen gliedert sich die Präambel der Tiroler Landesordnung sehr deutlich in zwei Abschnitte, die freilich staatstheoretisch untrennbar aufeinander bezogen sind: Sie enthält einerseits Aussagen über die staatsrechtliche Selbständigkeit und bundesstaatliche Integration des Landes (föderalistischer Teil); andererseits normiert sie einen Katalog von obersten politischen und rechtlichen Wertvorstellungen als Grundlage und gleichzeitig "oberste Verpflichtung der Gesetzgebung und der Verwaltung des Landes Tirol" (Grundwerte- und Staatszielbestimmungen). Der föderalistische Teil der Präambel soll hier nur soweit kurz charakterisiert werden, als es zum Verständnis des zweiten Teiles erforderlich ist: Es steht dahinter der staatstheoretische Streit um das Wesen und die Entstehung des Bundesstaates. 12 Die Landesverfassung ergreift klar Partei für die ursprüngliche und unabgeleitete Begründung der Landes-Staatsgewalt im Landesvolk (Art. 1 Abs. 3 Landesordnung), das die "Selbständigkeit des Landes Tirol" konstituiert, aber auch den Beitritt zum Bundesstaat Österreich vollzieht und damit auch die Bundesverfassung anerkennt und dadurch mit-konstituiert. 13 Eine Bundesverfassung "begründet" nach dieser Auffassung die Selbständigkeit der Länder nicht, sondern ist umgekehrt von dieser Selbständigkeit ständig mitgetragen. An der Wurzel dieser Selbständigkeit des Landes steht also nicht eine "Dezentralisation" der einheitlichen Staatsgewalt (zentralstaatliche Souveränität), sondern das politische und staatsrechtliche Selbstbestimmungsrecht des Landesvolkes, das sich für die bundeFstaatliche Integration und Selbstregierung entschieden hat und ständig neu entscheidet. 14 Für den zweiten Teil der Präambel hat diese föderalistische Erklärung insofern grundlegende Bedeutung, als dadurch klargestellt wird, daß die obersten politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Wertvorstellungen des Landesvolkes autonom sind. Sie unterliegen als solche keiner zentralstaatlichen Erlaubnis oder Genehmigung, sondern beanspruchen umgekehrt durch den Beitritt zum Bundesstaat ihre Gewährleistung in der Verfassungs12 Vgl. dazu Pernthaler in den in Anm. 7 genannten Schriften und dagegen: F. Koja, Der Bundesstaat als Rechts begriff, in: Theorie und Praxis des Bundesstaates, Föderative Ordnung, Bd. III, 1974, 61 ff.; vermittelnd: Th. Öhlinger, Der Bundesstaat zwischen Reiner Rechtslehre und Verfassungsrealität, 1976. 13 Ausführlich dazu Pernthaler, Staatsgründungsakte, 15, 27 f. 14 So ausdrücklich die Entschließung des Tiroler Landtages vom 27.9.1919 über die staatsrechtliche Stellung Tirols in seinen Beziehungen zur Republik Österreich, Stenographische Berichte des verfassungsgebenden Tiroler Landtages, 18. Sitzung, 428, sowie die Entschließung des verfassungsgebenden Tiroler Landtages vom 25.11.1920, betreffend Wahrung des Selbstbestimmungsrechts und Anerkennung der Bundesverfassung, ebenda, 52. Sitzung, 1347.
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autonomie und den Schutz durch eine sie achtende Bundesstaatsgewalt Föderalistische Selbständigkeit im Sinne der Tiroler Landesordnung heißt also Anerkennung und Schutz der Identität des Landes(volkes), die ihrerseits durch die in derselben Präambel angeführten Grundwerte konstituiert wird. Der zweite Teil der Präambel enthält seit seiner erstmaligen Formulierung (1960) dieselben obersten Wertvorstellungen als "Grundlagen" des Landes Tirol und oberste Verpflichtung der Wahrung und des Schutzes durch die Landesstaatsgewalt. 2 Diese Wertvorstellungen werden "geistige, soziale und politische Grundlagen" genannt und drücken damit bereits ein Menschen- und Gesellschaftsbild aus, das die vielfältige Schichtung der menschlichen Individualität und einer sie respektierenden politischen und staatsrechtlichen Ordnung ernst nimmt: Der Mensch und seine Beziehungen zum Land als Heimat werden nicht nur durch Bewußtseinsprozesse, durch Nahebeziehungen und gesellschaftliche Funktionen oder durch Machtbeziehungen festgelegt, sondern durch ein unentwirrbares Geflecht aller dieser und noch tieferer ontologischen Schichten begründet, die ihn zu sich selbst als je einmalige Persönlichkeit und zum Bürger eines geschichtlich je einmaligen Volkes in einer dies alles prägenden besonderen Landschaft 15 machen. Eine Präambel, die nicht diese Vielschichtigkeit des Menschen und seiner gesellschaftlichen Beziehungen ernst nimmt, sie sprachlich zu formulieren und rationalisieren versucht, erreicht niemals die wahren Dimensionen der politischen Existenz und des Selbstbehauptungswillens eines Volkes. 16 Die eigentlichen Wertvorstellungen der Präambel beginnen mit der "Treue zu Gott". Bemerkenswert an dieser Formulierung ist nicht nur die an erster Stelle stehende Berufung auf Gott zur inneren Begründung der Verbindlichkeit des Staatsrechts 17 , sondern die Charakterisierung der Eigenart des Tiroler Volkes gerade durch die Treue zu Gott. Man verstehe die Präambel recht: Sie beansprucht keinerlei theologische Begründung des Staates oder des Rechtes durch die Berufung auf Gott und seine oberste Autorität und legitimierende Kraft menschlicher Ordnung - obwohl eine solche 15 Über den Zusammenhang zwischen Landschaft und politischem Bewußtsein, Status und Volkscharakter (der bis in die Welt der Mythen und Sagen reicht) siehe H. R. Klecatsky, Region und Landschaft, in: FS Hellbling, 1981, 241 ff.; E. Egli, Mensch und Landschaft, 1975; H. Marti, Urbild und Verfassung, 1945; J. Matznetter (Hg.), Politische Geographie, 1977. 16 So treffend: P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: FS Broermann, 1982, 212 ff. (232); P. Pemthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 1986, 43. 17 Die Anrufung Gottes in Präambeln von Verfassungstexten gehört (trotz deren Ursprung in Aufklärung und Liberalismus) durchaus zum geläufigen Gemeingut moderner Verfassungen, siehe dazu P. Häberle, "Gott" im Verfassungsstaat?, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, 3ff. (für islamische Verfassungen, ebenda, 16f.).
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Begründung aller Herrschaft durch die Jahrhunderte in christlichen Staaten selbstverständlich war. 18 Die Präambel charakterisiert vielmehr umgekehrt die reale politische Identität des Volkes im Lande Tirol als eine solche, die durch die Treue der Menschen in diesem Lande zu Gott mit begründet wird, die sich darin einig fühlen und sich in dieser besonderen Form der gemeinschaftlichen religiösen Verbindung mit "ihrem Gott" als Volk selbst erkennen.183 Die Anklänge an das religiöse Bundes-Bewußtsein des Volkes Israel und seine gesetzes- und identitätsbegründende Kraft sind unüberhörbar 19 und wurden auch in der Tradition des Tiroler Herz-Jesu-Gelöbnisses von 1796 bewußt gepflegt. 20 18 Sog. "Gottesgnadentum"; vgl. dazu: F. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im frühen Mittelalter, 1954 2, 3 ff.; kritisch zum theologischen Hintergrund dieser Begründung in Bibeltexten: Pemthaler, Staatslehre, 113. tsa Treffend: A. Döner, Hochreligion und Volksglaube, in: FS Wopfner, 1947, 70 ff. (72): "Es kommt darin (in der Herz-Jesu-Verehrung) aber auch das stark ausgeprägte Landes-, Volks- und Geschichtsbewußtsein der Tiroler zum Ausdruck, eine ,Nation' zu sein ... die Tiroler Gemeinde stellte schon in vorchristlicher Zeit einen Kulturverband dar, der seine Insassen zu gemeinschaftlichen Kulthandlungen zusammenschloß. Diese Eigenschaft hat die Gemeinde in christlicher Zeit und - dank der barocken Wiederaufrichtung -bis heute erhalten." Für Hinweise in dieser und den folgenden Anmerkungen danke ich Herrn Univ. Prof. DDDr. N. Grass. 19 Vgl. A. Döner, Wie kam Tirol zur Bezeichnung "Heiliges Land", Tiroler Heimatblätter 1949, 146 ff. (151); allgemein zum Zusammenhang des jüdisch-christlichen theologischen "Bundes"-Denkens mit den verfassungsrechtlichen Denkformen des "Bundes" siehe D. J. Elazar, The Political Theory of Covenant. Biblical Origins and Modern Developments, Publius (The Journal of Federalism), Vol. 10, Number 4 (1980), 3 ff.; M. Mattmüller, Föderalismus aus der Bibel, in: FS Gasser, 1983, 159 ff. 20 Das Herz-Jesu-Gelöbnis war ursprünglich ein formelles Versprechen der Tiroler Landstände vom 1.6.1796, "in der ungezweifelten Hoffnung des in Ansehung dieses Verlöbnisses gewiß erfolgenden Schutzes und Rettung des wertesten Vaterlandes" das Fest des heiligsten Herz Jesu feierlich unter Beteiligung der Stände und des Volkes zu begehen; im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde aus diesem "Verlöbnis", das in der Tradition älterer religiöser "Bündnisse" und einer auf ältere mystische Traditionen zurückreichenden und im 18. Jahrhundert durch die Volksmission der Jesuiten im Lande weit verbreiteten Herz-Jesu-Verehrung stand, der "nationale" Herz-Jesu-Bund Tirols, dessen Höhepunkt die Jahrhundertfeier 1896 war; im Jahr 1946 fanden die letzten großen Erneuerungen des Gelöbnisses in allen Landesteilen statt. Seither ist der politische Gehalt dieses "Bundes" fast verschwunden; die jährlichen Gelöbnisgottesdienste und Feiern (Bergfeuer u. a.) sind zum äußeren Ritual und Brauchtum erstarrt. Vgl. zur Geschichte des Herz-Jesu-Bundes und seiner besonderen spirituellen und volksreligiösen Grundlagen: J. Hättenschwiller, Der Bund Tirols mit dem göttlichen Herzen Jesu, 1917; F. Hattler, Festschrift zur hundertjährigen Jubelfeier des Bundes Tirol mit dem göttlichen Herzen Jesu, 1896; H. Egarter, Tiroler Herz Jesu Bund, eine Festschrift zum Jubeljahr 1946, 1946; A. Sparber, Zur Geschichte der Herz-Jesu-Verehrung in Tirol, Der Schiern 20 (1946), 194 ff.; A. Dörrer, FS Wopfner, 70 ff.; derselbe, Tiroler Heimatblätter, 1949, 146 ff., prägte die treffende Charakteristik für die heutige Bedeutung des Bundes: "der geistliche Goldrest des
Landesscheines".
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Hier liegt nun- besonders in Verbindung mit der Verpflichtung ,.zum die Falle eines rein traditionalistisch verstandenen, auf äußeres Brauchtum reduzierten und häufig intoleranten religiöspolitischen Fundamentalismus nahe. Die Präambel sucht dieser Gefahr dadurch entgegenzuwirken, daß sie ausdrücklich die Freiheit und Würde des Menschen als obersten Wert der politisch-staatsrechtlichen Ordnung im Lande verankert2 2 und in der Landesverfassung selbst - die ja mit der Präambel zusammen zu sehen und auszulegen ist - wird der liberale Grundzug der Verfassung ausdrücklich vertieft. 23 Außerdem würde .. Treue" als menschliche Haltung und sittlicher Wert gründlich mißverstanden, wenn man darunter ein starres Festhalten an äußeren Formen und Gebräuchen verstünde: Erst in der lebendigen Auseinandersetzung mit ständig wechselnden Situationen und Anforderungen kann der Mensch Treue zu religiösen und geschichtlichen Überlieferungen entwickeln und sich darin als Identität finden. Für ein Volk - konfrontiert mit immer Überstürzteren zivilisatorischen und massen-kommunikatorischen Entwicklungen- kann nichts anderes gelten. Starrheit und Blindheit gegenüber den Zeitproblemen ist keinesfalls jene .. Treue zu Gott und zum geschichtlichen Erbe", welche die Präambel als Bedingung der politischen Identität und des politischen Lebens einer zukunftsoffenen Gemeinschaft im Auge gehabt hat. 24 geschichtlichen Erbe" 21
So darf denn auch das in der Präambel angesprochene ,.geschichtliche Erbe" Tirols nicht nur in folkloristischer Brauchtumspflege oder denkmalschützerisch gesehen werden, sondern bedeutet heute vor allem auch die Bewahrung der hochsensiblen Gebirgslandschaft und ihrer bedrohten ökologischen Systeme für kommende Generationen. Auch darin, in der jahrhundertealten gemeinschaftlichen Pflege der ständig bedrohten Böden und Wälder im Gebirge, liegt ein Wesensmerkmal Tirols und seiner charakteri-
21 Noch deutlicher kam diese Tendenz in der ursprünglichen Formulierung (Landtagsbeschluß vom 9.2.1950, siehe Anm. 8) .,Treue zu Gott und zum Erbe der Väter" zum Ausdruck. 22 Ausdrücklich auf diese .. Balance" weist Häber/e, FS Zeidler, 11, hin; in den Debatten anläßlich der Formulierung der Präambel hat insbesondere der (sozialistische) Abg. Dr. Kunst auf die Bedeutung des liberalen Elementes ,.Freiheit und Menschenwürde" hingewiesen (vgl. die Fundstelle in Anm. 8). 23 Vgl. dazu insbesondere Art. 7 (.,Ziele und Grundsätze des staatlichen Handelns") und die übrigen landesverfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechte; zusammenfassend: A. Part/, Die Verwirklichung liberaler Grundprinzipien in der neuen Tiroler Landesverfassung, in: Festschrift des Österreichischen Gewerbevereins zum 150. Bestandsjubiläum (1990), im Druck. 24 Die Debatten im Landtag des Jahres 1960 und 1980 (Stenographische Berichte, IV. GP, 25. Tagung, 2. Sitzung und 9. GP, 6. Tagung, 1. Sitzung) belegen vielmehr, daß es gerade um eine Sicherung der Aktualität des historischen Erbes unter drastisch gewandelten gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen durch verfassungsrechtliche Verankerung von Grundwerten gegangen ist.
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stischen Rechtsverhältnisse 25 , die es zu erhalten und zeitgemäß weiter zu entwickeln gilt. Daß hier dramatische Auseinandersetzungen zwischen Landwirtschaft und Naturschutz, zwischen ökonomischem Verbrauch und reservathafter Konservierung der Landschaft in der Wertformel der Präambel verborgen liegen, sei nicht verschwiegen: Sie gehören zur politischen Aneignung und Entfaltung eines "historischen Erbes" in jeder Generation! Wenn die Präambel daher "Freiheit und Würde des Menschen" als obersten Wert verankert, so ist damit nicht nur die historische anti-totalitäre Frontstellung gemeint, die die Väter der Verfassung vor Augen hatten. 26 Ein menschengerechtes Gemeinwesen bewahren, heißt heute auch: Toleranz gegenüber abweichenden Lebensformen - vor allem auch der Jugendpflegen; neben den herrschenden Wertvorstellungen auch Alternativen - etwa des Wachstums- und Konsumdenkens - ohne gesellschaftliche Diskriminierung zulassenY Die Würde des Menschen anerkennen, heißt aber auch sozialer Schutz und Entwicklung einer gerechteren Gesellschaftsordnung durch den Staat, Förderung von Kultur und Bildung für jedermann und nicht nur für eine metropolitane oder gesellschaftliche Elite. Die neue Tiroler Landesordnung enthält daher eindeutige soziale und kulturpolitische Staatszielbestimmungen bzw. Grundrechte 28 , die als Konkretisierung der Menschenwürde-Klausel in der Präambel anzusprechen sind. Als Baustein einer menschenwürdigen Gesellschaft und Staatsordnung sieht die Präambel "die geordnete Familie". Eine verfassungsrechtliche Schutzbestimmung für die Familie zu schaffen, war der ursprüngliche Beweggrund der Verankerung von Grundwerten in der Landesverfassung 29 : Man verwies auf das Beispiel von 33 Verfassungen der Welt, wo der Schutz 25 Vgl. etwa die agrar- und forstrechtlichen Sonderrechte in Tirol und die darin verankerten, vor allem auf Gemeinschaftsnutzung und "Nachhaltigkeitsprinzip" ausgerichteten Wirtschaftsformen; dazu E. Lang, Die Teilwaldrechte in Tirol, 1978; derselbe, Tiroler Agrarrecht I, 1989; H. Schwamberger, Bemerkungen zum Alpschutz, JBl 1985, 276 ff. 26 Vgl. Obermoser,in: Stenographische Berichte (Anm. 8): "Als nächstes sind Würde und Freiheit des Menschen genannt. Ihre Bedrohung hat 1809 die Heldenkraft unseres Volkes geweckt, ihre Gefährdung ist heute und in Zukunft die innersie Angst der Menschheit ... " 27 So z. B. der (radikal "konservative") M. Usteri, Das Konzept eines modernen menschengerechten Gemeinwesens, in: FS Kägi, 1979, 401 ff.; derselbe, Die Unverwechselbarkeit der Schweizerischen Eidgenossenschaft und die Grundnormen für Revision und Auslegung der Bundesverfassung, in: FS Nef, 1981, 29911. 28 Art. 9, 10, II Abs. I und 13 der Landesordnung 1989 und dazu: H. Schwamberger, Tiroler Landesordnung, 1989, 21 ff. 29 Vgl. Abg. Plattner, in: Stenographische Berichte (Anm. 8): "Man wollte ursprünglich den Schutz der Familie in das Landesgesetz, in die Landesverfassung einbauen. Nachdem sich aber verfassungsrechtliche Bedenken ergaben, ist man nun auf den Ausweg dieser Präambel gekommen ... "
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der Familie rechtlich verankert sei, und auf die (schon damals) gescheiterten Bemühungen um eine bundesverfassungsrechtliche Schutzbestimmung. 30 Die "geordnete Familie" verweist offenbar auf die Ehe als Grundlage der Familie; wie die Erläuterungen des Berichterstatters zeigen 3 1, wollte man mit dieser Formulierung auch die "natürlich-gesunde Familienstruktur" als Basis einer gesunden Gesellschaft einfangen. Auch hier gilt es offenbar, das historische Erbe der Vorstellungen von einer "heilen Familie" sich zeitgemäß anzueignen, um zur eigentlichen Verbindlichkeit für die Menschen von heute zu gelangen. "Geordnete Familie" kann heute jedenfalls nicht patriarchalische Herrschaftsordnung heißenwobei zu zweifeln ist, ob es dieses bürgerliche Idealbild in Tirol als soziologisch-ökonomische Realität oder gesellschaftliche Rollenerwartung je in umfassender Weise gegeben hat. Werthalt-geordnet ist eine Familie nach heutiger Auffassung, wenn sie auf gegenseitiger Liebe und Verantwortung aufbaut und damit die Gewähr stabiler emotioneller Schutz- und Entwicklungsmöglichkeiten bietet. 32 In dieser Gestalt und Funktion ist die Familie sicherlich auch heute noch im großen und ganzen unentbehrlich für den Aufbau und die Entwicklung selbständiger und psychisch gesunder Persönlichkeiten; sie gewährleistet damit gleichzeitig eine Staats- und Gesellschaftsordnung, in der Selbständigkeit und Verantwortlichkeit der Person einen ebenso hohen Stellenwert haben wie das Bewußtsein ihrer letzten staatsunabhängigen Geborgenheit in einer menschlichen Nahebeziehung. "Schutz der geordneten Familie" weist daher auch auf eine Gesellschaftsordnung hin, die nicht zentralistisch staatsorientiert ist, sondern nach den Prinzipien der Subsidiarität und Solidarität, der Selbständigkeit und Mitverantwortung kleinerer Gruppen organisiert ist. Auch diese Konsequenz wird in der Landesverfassung ausdrücklich als Staatszielbestimmung verankert (Art. 7 Abs. 1). 30 Stenographische Berichte (Anm. 8), 15; die Situation auf Bundesebene ist inzwischen nicht wesentlich anders geworden; die im "Arbeitsübereinkommen" der Großen Koalition (XVII. GP) vorgesehene verfassungsrechtliche Verankerung der Familie ist bis heute nicht zustandegekommen. 31 Obermoser, in: Stenographische Berichte (Anm. 8): "Gerade das Gedächtnis jener ruhmvollen Zeiten der Tiroler Geschichte hat die Erkenntnis gebracht, daß die bewundernswerten Taten ursprünglicher Volkskraft ihre soziologische Wurzel in der natürlich-gesunden Familienstruktur jener Zeit gehabt haben." 32 R. König, Die Familie der Gegenwart, 1977; derselbe, Materialien zur Soziologie der Familie, 1974; W. J. Goode, Soziologie der Familie, 1967; H. Ebei IR. Eickelpasch I E. Kühne, Familie in der Gesellschaft, 1984; H. Pross, Familie -wohin?, 1979; H. Tyrell, Herrschaft und Liebe- zu einer Soziologie der Familie, Farn. RZ 1985, 884 ff., u. v. a. Zu den Konsequenzen für eine verfassungsrechtliche Verankerung der Familie vgl. nunmehr die umfassenden Hinweise bei V. Schmid, Die Familie in Art. 6 des Grundgesetzes, 1989; A. v. Campenhausen und H. Steiger, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel. Das Beispiel von Ehe und Familie, WDStRL 45 (1987), 7 ff. und 55 ff.
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Noch vor diesen konkreten gesellschaftlichen Wertvorstellungen verankert die Landesverfassung das ,.Herzensanliegen unseres Volkes, die Landeseinheit". 33 Die Landesverfassung kann die politische oder staatsrechtliche Einheit des Landes, welche die historische Identität des ,.Landes im Gebirge" durch Jahrhunderte geprägt hat, nicht einmal fordern, geschweige denn gewährleisten. So verweist sie denn auf eine ,.geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes", die es als obersten Wert zu bewahren gilt. Die Präambel unterscheidet sich in dieser Formulierung sehr deutlich vom Wiedervereinigungsgebot der Präambel des deutschen Grundgesetzes - sie enthält nicht den Auftrag zur Herstellung der politischen Einheit oder zu irgendeiner Form der Grenzrevision, sondern zur Erhaltung einer als bestehend vorausgesetzten geistigen und kulturellen Einheit der Landesteile und ihrer Bevölkerung. 34 Auch dieser Auftrag ist historisch-dynamisch zu verstehen: Die kulturelle Einheit Tirols kann heute nicht - noch weniger als in der Geschichte ohne Achtung und Integration der ladinischen und italienischen Minderheiten (in Südtirol) und ihrer kulturellen Ansprüche verstanden werden. Die ,.geistige Einheit" der immer mehr auseinander driftenden Landesteile (oder schon ,.Länder") aufrechtzuerhalten, ist ein außerordentlich mühsames und anspruchsvolles politisch-kulturelles Zielbündel, das vom Land alleine niemals bewältigt werden könnte. Dennoch bleibt es im Sinne der Präambel eine dauernde Verpflichtung der Nordtiroler Staatsgewalt, dieser Einheit im Grundsätzlichen ebenso wie in alltäglichen Ordnungsproblemen Rechnung zu tragen. Die grenzregionale Zusammenarbeit im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses kann hier vielfältig unterstützen und wurde auch von Tirol stets in dieser Absicht gefördert. 35 IV. Die rechtliche Bedeutung Die traditionelle juristische Auffassung von Präambeln- die sich auch in den Gesetzesmaterialien widerspiegelt - ist die antinormative Abwertung: Es handle sich dabei um keine rechtlichen Normen, sondern in ihnen kämen 33 Obermoser, in: Stenographische Berichte (Anm. 8): ,.Der zweite Teil zählt die obersten Werte unserer Tiroler Rechtsordnung auf, wobei das Herzensanliegen unseres Volkes, die Landeseinheit, an die Spitze gestellt ist ... "; im seihen Sinne äußerten sich alle anderen Debattenredner. 34 So sehr deutlich Obermoser, in: Stenographische Berichte (Anm. 8): ,.Indem ausdrücklich nur von der kulturellen Einheit die Rede ist, sind völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Bedenken hinfällig ... " 35 Vgl. dazu die Entwicklung und die Zielsetzung der ,.Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (ARGE ALP)" sowie die Bemühungen um grenzregionale Zusammenarbeit im Rahmen des Europarates; vgl. dazu H. R. Klecatsky, Europäischer Regionalismus und Raumplanung, JBI1972, 241 ff.; F. Esterbauer (Hg.), Regionalismus. Phänomen, Pla-
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lediglich die .,Motive des Gesetzgebers" zum Ausdruck. 36 Es handle sich um rechtlich bedeutungslose .,politische" oder .,ethische" Deklarationen. Diese Auffassung ist aber keineswegs zwingend 37 : Wie die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes zum Wiedervereinigungsgebot in der Präambel des deutschen Grundgesetzes zeigt 38 , kann man aus Verfassungs-Präambeln sehr wohl konkrete Rechtspflichten ableiten, die entweder die Auslegung der Verfassung steuern sollen oder politische Entscheidungen oberster Organe verfassungsrechtlich meßbar machen können. In Wahrheit sind die rechtlichen Bindungswirkungen der Tiroler Präambel differenziert zu sehen: Wie schon aus der sprachlichen Formulierung 39 hervorleuchtet, enthält die Präambel Teile, die staatsrechtliche und staatspolitische Voraussetzungen der Verfassungsgebung enthalten; andere, die eher allgemeine Werthaltungen und politische .,Bekenntnisse" ausdrücken; gewisse Teile aber entsprechen strukturell durchaus institutionellen Garantien oder traditionellen Grundrechtsformulierungen. Bedeutsam für die normative Qualifikation ist auch der Zusammenhang mit konkreten Anordnungen in der Landesverfassung: Wo diese- vor allem in Staats-Zielbestimmungen, -Grundsätzen und -Strukturnormen oder in GrundrechtenPrinzipien der Präambel aufgreift und konkretisiert 40 , muß auch dieser Zusammenhang in der rechtlichen Bedeutung der Verfassungsanordnungen zum Ausdruck gebracht werden. nungsmittel, Herausforderung für Europa, 1979; P. Pemthalter I I. Kathrein I K. Weber, Der Förderalismus im Alpenraum, 1982; U. Beyerlin, Rechtsprobleme der
lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, 1988. 36 V gl. in diesem Sinne die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des LVG, mit dem die Präambel 1980 rechtlich erstmals verankert wurde, Stenographische Berichte des Landtages, IX. Periode, 6. Tagung, 1. Sitzung (2.7.1980): "Die Präambel ist, rechtlich betrachtet, eine kurz gefaßte, auf das Wesentliche beschränkte Darlegung der wichtigsten Motive, von denen sich der Landesverfassungsgesetzgeber bei der Erlassung der Landesverfassung und ihrer inhaltlichen Gestaltung hat leiten lassen. Normative Bedeutung kommt der Präambel nicht zu ... ". Wörtlich damit übereinstimmend die Erläuternden Bemerkungen zur Landesordnung 1989 und Schwamberger, Kommentar, 13. 37 Siehe dazu die sorgfältige Differenzierung der normativen Bindungswirkung von Präambeln bei Häberle, FS Broermann, 240 ff., und den Überblick über Lehre und Judikatur zur normativen Bewertung von Präambeln, ebenda, 224 ff. 38 Vgl. etwa BVerfGE 5, 85 (127); 12, 45 (51!.); 31, 58 (75f.); 36, 1 (391.); U. Lehmann-Brauns, Die staatsrechtliche Bedeutung der Präambel des Grundgesetzes, 1964, 27 ff. 39 V gl. dazu die tiefgründigen Sprachanalysen von Häberle, FS Broermann, 227 ff. (zur normativen Differenzierung aufgrund der sprachlichen Formulierung: ebenda, 2401.). 40 Siehe vor allem die Art. 1, 7-14 der Landesordnung 1989; bedeutsam ist etwa der Zusammenhang zwischen dem Schutz der Familie (Präambel) und den Verfassungsgeboten der Unterstützung der Eltern bei der Erziehung, dem Kinder- und Jugendschutz, Erziehungshilfe, der Wohnbauförderung u. a.
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Wo aber ein solcher Zusammenhang nicht unmittelbar gegeben ist, muß die Präambel selbständig jedenfalls dort normativ ausgelegt werden, wo sie -entsprechend ihrer sprachlichen Formulierung- als .,oberste Verpflichtung der Gesetzgebung und Verwaltung des Landes Tirol" gilt. 41 Sie entspricht in ihrer Aufforderung, konkrete Werte .,zu wahren und zu schützen"42, einer Staatszielbestimmung 43 , unabhängig davon, ob sie in Artikel oder Paragraphen gekleidet oder als grundlegende normative Prägungen des .,Bewußtseins" des Gesetzgebers formuliert wird. Präambeln heben sich ja grundsätzlich von Gesetzesmaterialien, welche ebenfalls .,Motive" sichtbar machen, dadurch ab, daß sie vom Gesetzgebungsorgan selbst beschlossen und entsprechend einem Gesetz kundgemacht werden. 44 Die Anordnungen der Tiroler Präambel gleichen Staatszielbestimmungen auch insofern, als sie sich primär an Staatsorgane wenden 45 und - ähnlich wie Planungszieleeinen hohen Konkretisierungsbedarf aufweisen. So wie .,echte" Staatszielbestimmungen können auch die verschiedenen Elemente der Tiroler Präambel nur nach Maßgabe der Entfaltung und Akzeptanz ihrer normativen Inhalte durch die Verfassungsinterpretation, Verfassungshandhabung und Verfassungskontrolle reale rechtliche Bedeutung gewinnen. 46 41 Sehr treffend hat diese Funktion der Präambel Obermoser, in: Stenographische Berichte (Anm. 8), zum Ausdruck gebracht: .,Wenn der Tiroler Landtag die Verpflichtung zur Wahrung und zum Schutz dieser Existenzgrundlagen des Landes an die Spitze der Rechtsordnung setzt, so verleiht er nicht nur dem Wesen seiner einzigartigen Jubiläumsfeier den verfassungsgesetzlichen Ausdruck, sondern bindet seine Gesetzgebung und Vollziehung unmittelbar an ihre wesentlichste Aufgabe." 42 Diese Formulierung richtet sich vor allem gegen eine verengte liberale Betrachtungsweise der Präambel als reine Abwehrgarantien gegen Mißbräuche der-Staatsgewalt und soll die umfassende Geltung dieser Werte in der Gesellschaft und Rechtsordnung des Landes durch Staatsschutz und Staatsgestaltung sicherstellen; vgl. die analoge Formulierung .,Grundrechte achten und schützen?" bei Lehne, JBl 1986,341 ff. und 424ff. (insbesondere 435). 43 Zum Wesen und den normativen Wirkungen von Staatszielbestimmungen siehe: U. Scheuner, Staatszielbestimmungen, FS Forsthoff, 1972, 325ft.; R. Wahl, Staatszielbestimmungen im Verfassungsrecht, in: Rack (Hg.), Grundrechtsreform, 1985, 223 ff.; J. Marko, Umweltschutz als Staatsziel, ÖJZ 1986, 289 ff. 44 Häberle, FS Broermann, 244; BVerfGE 1, 117 (142); 5, 85 (126 f.); 36, 1 (20); 55, 274 (300) u. a.: .Präambeln sind Bestandteil der Verfassung!" 45 Daß die Bestimmungen der Präambel für den Bürger überhaupt nicht unmittelbar verbindlich seien (Schwamberger, Kommentar, 13 unter Zitierung der Erläuternden Bemerkungen), kann in dieser allgemeinen Form nicht behauptet werden, weil dafür sehr differenzierte Analysen einer systematischen Verfassungsauslegung (in Verbindung mit der Präambel), der Verfassungskonkretisierung und möglichen Verfassungsrechtsprechung notwendig wären. 46 Vgl. dazu die theoretischen Auseinandersetzungen um die normative Wirkung und Sinnhaftigkeit von Staatszielbestimmungen bei L. Adamovich I B.-Ch. Funk, Östereichisches Verfassungsrecht, 1985 3, 23 f.; R. Walter I H. Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechts, 19886 , 44; F. Koja, Verfassungsrecht, 91 f.
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Dabei sind nun allerdings die recht engen kompetenzrechtlichen Schranken und die Bindungswirkung des Bundesverfassungsrechts und seiner .,Bekenntnisse", Struktur- und Zielformulierungen zu beachten. Unter dieser Voraussetzung ist etwa eine staatskirchenrechtliche Umsetzung des Grundwertes der .,Treue zu Gott" dem Land Tirol weitgehend versagtY Ebenso sind weite Teile der Familienpolitik, insbesondere die Gestaltung der Rechtsbeziehungen, der Familienlastenausgleich und die steuerliche Berücksichtigung der Familie, dem Land kompetenzrechtlich entzogen; dasselbe gilt für die Außenpolitik (Südtirol!), die entscheidenden Weichenstellungen der Föderalismuspolitik (.,Selbständigkeit des Landes") u. v. a. Hier ist das Land - wie in den meisten Bereichen seiner regionalpolitischen Selbständigkeit und Identitätsgestaltung- auf die kompetenzrechtlich neutralen Bereiche der finanziellen Förderungen, Privatwirtschaftsverwaltung, Budget- und Regierungspolitik angewiesen. 48 Diese Instrumente sind aber -wie die erfolgreiche Staatspraxis vieler Länder erweist 49 - außerordentlich wirksam; gleichzeitig aber wegen ihrer geringeren rechtlichen Determinierung in hohem Maße Staatsziel- und Grundwert-bedürftig, da sie eine bedeutende persönliche und staatspolitische Verantwortung voraussetzen50, die rechtlich meßbar bleiben muß.
V. Schluß
Verfassungen sind Ausdruck einer bestimmten Verfassungskultur und Verfassungsgesinnung 51 ; als solche sind sie eingebettet in die gesamte politische Kultur eines bestimmten Volkes in einer konkreten historischen und geopolitischen Situation. Insofern ist die Präambel der Tiroler Landesordnung die besondere Artikulation der ihr eigenen Verfassungskultur und ihrer prägenden Grundlagen. Verfassungen haben aber außer ihrer juristischen Bedeutung vor allem auch edukative und integrative Funktionen: Sie sollen die Verfassungsgesinnung eines Volkes prägen und so seine politische Identität auf geistiger Ebene mit begründen und tragen. 52 Zu 47 Vgl. dazu Klecatsky, Das Verhältnis von Staat und Kirche in der Republik Österreich, in: J. List// H. Müller I H. Schmitz, Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 1983, 1081 ff. 48 P. Pemthaler, Kompetenzverteilung in der Krise, 1989, 51 ff. 49 Vgl. dazu die Hinweise bei P. Pemthaler, Die föderalistische Bedeutung der Landes-Hypothekenbanken für die Länder, 1988, 62 ff. 50 Vgl. dazu: P. Sa/adin, Verantwortung als Staatsprinzip, 1984. 51 P. Pemtha/ter, JBI 1986, 482 f. 52 D. Schind/er, Verfassungsrecht und soziale Struktur, 19674, 94; Häberle, FS Broermann, 231 ff.; zur .,edukativen" Funktion des Kärntner Umwelt-Verfassungsgesetzes vgl. die treffenden Ausführungen von R. Unkart, Normenadressat und Norm-
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diesem Zweck müssen Verfassungen Grundziele und Grundwerte formulieren und den Konsens darüber normativ verankern. Eine Entfaltung dieser Funktion der Verfassung setzt allerdings normativ denkende Menschen voraus, die "sich geistige Unabhängigkeit, Werteinsicht und unversehrte Intentions- und Initiativmöglichkeiten bewahrt haben". 53 Ob die Tiroler Präambel die Verfassungs- und Staatspraxis des Landes prägen wird, ist also nicht zuletzt auch ein Indiz für das Maß an normativer Gesinnung und Werteinsicht in diesem Lande.
inhaltals Kriterium der Legistik, in: Th. Öhlinger (Hg.), Recht und Sprache, 1986, 177 ff. 53 H. Huber, Das Recht im technischen Zeitalter, in: derselbe, RechtstheorieVerfassungsrecht - Völkerrecht. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Eichenberger I Bäumlin/Müller, 1971, 57ff. (70f.).
ZUR MEINUNGSFREIHEIT IN KIRCHE UND STAAT Von Johann Schima•, Wien
I. Zum gewählten Thema Wenn ich, ein staatlicher Richter, der sich auch für das Kirchenrecht interessiert, auf engem Raum ein von mir frei gewähltes aktuelles Thema behandle, darf ich zunächst betonen, daß ich der ehrenden Einladung zu einem Beitrag in dieser Festschrift sehr gerne gefolgt bin. Einleitend darf ich an den bischöflichen Wahlspruch unseres Jubilars erinnern: "Justitia et pax". Der (weltliche) Jurist mag diesen Spruch zunächst nicht theologisch deuten, sondern so interpretieren: Gerechtigkeit bringt auch Rechtsfrieden für die staatliche Gemeinschaft. Ein bischöflicherWahlspruchfreilich bedarf der theologischen Auslegung. Göttliche Gerechtigkeit und Frieden - hier verstanden als jener Frieden, um den die Kirche ihren göttlichen Meister Jesus Christus in jeder hl. Messe bittet- sind vor Gott, der nicht nur höchst gerecht, sondern auch die Liebe ist, keine Gegensätze. Mir scheint es demnach legitim, sich in vorliegender Abhandlung weitgehend der rechtlichen Argumentation zu bedienen. • Dieser Aufsatz gibt die Privatmeinung des Verfassers wieder. Dies wird auch im Hinblick auf Can. 227Ietzter Halbsatz CIC 1983 erklärt. Zu den im Aufsatz gebrauchten deutschsprachigen Übersetzungen: Die Zitate aus dem Codex luris Canonici 1983 sind entnommen der lateinisch-deutschen Ausgabe des Codex des kanonischen Rechtes, Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer 1983. Die deutschsprachigen Zitate der Konzilstexte des II. Vaticanum sind entnommen dem Kleinen Konzilskompendium von Karl Rahnerund Herbert Vorgrimler, erschienen in der HerderBücherei, Band 270 bis Band 273. Die deutschsprachigen Zitate von Enuntiationen aus der Zeit der französischen Revolution entstammen dem Goldmann-Taschenbuch, Band 1767, Proklamationen und Manifeste zur Weltgeschichte I (von Cäsar bis Napoleon), herausgegeben von Kar! Heinrich Peter, Seite 148ff. Das Dekret des Konvents gegen Lyon vom 12. Oktober 1793 mit dem Satz "Lyon hat sich gegen die Freiheit erhoben, Lyon ist dem Erdboden gleich" ist auf Seite 161 f. zu finden. Zum Grundrecht der Meinungsfreiheit nach staatlichem österreichischem Recht finden wir in den einzelnen verfassungsrechtlichen bzw. grundrechtliehen Systemen entsprechende Ausführungen. Erwähnt seien statt vieler die Autoren Ludwig Adamovich sen. und jun., Felix Ermacora, Kurt Ringhofer sowie Robert W alter, dieser auch zum Teil in Zusammenarbeit mit Heinz Mayer. Hans R. Klecatsky gibt gemeinsam mit Siegbert Morscher in der großen Manzschen Ausgabe des Österreichischen Bundesverfassungsrechtes eine instruktive Rechtsprechungsübersicht zu den ein-
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Von einer erschöpfenden Behandlung des Themas kann keine Rede sein, das sagt das Wort ,zur' im Titel. Auf einen Anmerkungsapparat mußte aus Raumgründen verzichtet werden. Wenn in der Überschrift von ,Kirche' die Rede ist, so meine ich damit die römischkatholische Kirche, also nicht etwa bloß die .,Kirche von Österreich" oder die .,Kirche von Wien"; diese Ausdrücke halte ich wegen Unterdrückung des Attributes .,römisch-katholisch" für problematisch. Dem I!. Vatikanischen Konzil sind derartige Bezeichnungen fremd. Man sollte vielmehr von der römisch-katholischen Kirche in Österreich oder von der Kirche in Wien bzw. von Teilkirchen reden. Wenn ich im gegebenen Zusammenhang vom ,Staat' spreche, so verstehe ich darunter die Republik Österreich, wobei sich das Thema selbstverständlich auch in anderen westlich-demokratischen Staaten in ähnlicher Weise zur Untersuchung anbietet. Im weiteren Sinn kann man aber auch das Wort ,Staat' im gegebenen Zusammenhang auf den gesamten außerreligionsgemeinschaftlichen, also weltlichen Bereich beziehen. Meinungsfreiheit kann da in vielfacher Weise, wie durch zivilrechtliche Privatautonomie, durch Vereinssatzungen, durch Berufs- und Standespflichten u. dgl. eingeschränkt sein. Das Wort Meinungsfreiheit setzt sich aus dem Grundwort Freiheit und dem Bestimmungswort Meinung zusammen. Es wäre zu billig, hier irgendwelche Definitionen aus Enzyklopädien wiederzugeben. Wie vieldeutig und wie oft mißbraucht ist doch das Wort ,Freiheit'. Man könnte zwischen äußerer und innerer Freiheit unterscheiden. Oft wird dem Freiheitsbegriff von etwas die inhaltserfüllte Freiheit für etwas gegenübergestellt. schlägigen verfassungsgesetzlichen Bestimmungen, insbesondere zu Art. 13 des Staatsgrundgesetzes 1867 (siehe Haupttext) und zu Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (siehe Haupttext). Zur letztgenannten Rechtsquelle existiert selbstredend auch internationale Rechtsprechung und ausländische Literatur. Verwiesen sei auch auf den Artikel ,Meinungsfreiheit' in Herders Staatslexikon. Es ist an dieser Stelle unmöglich, auch nur andeutungsweise auf einschlägige theologische und im besonderen kirchenrechtliche Literatur einzugehen, vor allem, was die Grundrechtsdiskussion in der römisch-katholischen Kirche anlangt. In den Beiträgen im .,Handbuch des Katholischen Kirchenrechts" (Neuauflage des Nachkonziliaren Kirchenrechts), herausgegeben von J. List! u. a., finden wir auch wertvolle Literaturhinweise. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch das Lexikon der christlichen Moral von Kar! Hörmann. Nachbiblische (römisch-katholische) Quellen zur Glaubens- und Sittenlehre in der jeweiligen Originalsprache sind im ,Denzinger' (betitelt .,Encheiridion Symbolorum") zeitlich geordnet zu finden (erschienen in zahlreichen Auflagen, fortgeführt von verschiedenen Mitarbeitern). Für den Hinweis, daß das Wort .,In necessariis unitas ... "nicht von Augustinus, sondern aus dem Anfang des 17. Jh. vom evangelischen Theologen Peter Meiderlin stammt, habe ich dem Augustinus-Forscher Werner Hensellek von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu danken. - Daß freimaurerische Literatur zu ähnlichen Ergebnissen wie mein Aufsatz - wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt kommend und zu einer kritischen Bewertung führend - gelangen kann, beweisen meines Erachtens die Artikel .,Katholizismus, katholische Kirche" und .,Relativismus" im .,Internationalen Freimaurerlexikon" von Eugen Lennhof und Oskar Posner, Nachdruck der Ausgabe 1932, Amalthea-Verlag, Wien/München.
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Erinnert sei an die berühmten Vier Freiheiten des U.S. Präsidenten F. D. Roosevelt: freedom of speech, freedom of religion, freedom from fear and want. Freiheit, religiös-sittlich verstanden, hat mit menschlicher Würde zu tun. In diesem Sinn ist wohl das Dichterwort von Friedrich Wilhelm Weber in ,Dreizehnlinden' zu verstehen: ,.Freiheit ist der Zweck des Zwanges. Wie man eine Rebe bindet, daß sie statt im Staub zu kriechen, froh sich in die Lüfte windet."
In der Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers im Zuge der französischen Revolution im August 1789 - von der französischen Nationalversammlung beschlossen- wird ein bedeutsamer säkularisierter Freiheitsbegriff verwendet. ,.Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was anderen nicht schadet. Also hat die Ausübung der natürlichen Rechte bei jedem Menschen keine anderen Grenzen als die, den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuß der gleichen Rechte zu sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden."
Es ist nicht zu untersuchen, ob es schon geschichtliche - graduell abgestufte - Vorläufer für einen solchen Freiheitsbegriff gibt und inwieweit die Liberte von der Revolution (,.Lyon ist dem Erdboden gleich") verraten wurde. Mit diesem weltlichen Freiheitsbegriff hat die biblische Freiheit der Kinder Gottes von der Sünde (Joh. 8, 32 ff. u. a.) nichts zu tun. Jene weltliche Freiheit erklärt sich aus einer Abwehrhaltung gegenüber staatlichem Despotismus. Dem Gesetzgeber wird in der erwähnten französischen Erklärung nur das Recht eingeräumt, ,.Handlungen zu verbieten, die der Gesellschaft schädlich sind. Was nicht durch das Gesetz verboten ist, darf nicht verhindert werden, und niemand kann gezwungen werden, etwas zu tun, was das Gesetz nicht befiehlt".
Auch der Begriff Meinung ist nicht leicht auszuloten: Meinung stellt eine Ansicht über bestimmte Tatsachen dar, einschlußweise oder direkt verbunden mit einem Werturteil. Meinungsfreiheit umfaßt keineswegs bloß die Freiheit der inneren Gedanken. Wörtlich interpretiert verlangt Marquis Posa in Schillers Don Carlos von König Philipp etwas Selbstverständliches, so wichtig auch die Gedankenfreiheit bei der Vorbereitung der Meinungsbildung sein mag. Integrierender Bestandteil der Meinungsfreiheit ist also sowohl Freiheit der Meinungsbildung als auch Freiheit der Meinungsäußerung und der Meinungsänderung. Ob dazu auch Anspruch auf freie Information zwecks Ermöglichung freier Meinungsbildung gehört, ist umstritten. Auch Meinungslosigkeit erlaubt der Staat. Dem ursprünglichen staatlichen Konzept, nämlich der Verpflichtung des Staates zur bloßen Unterlassung von Eingriffen in dieses Grundrecht, steht eine Verpflichtung zu positivem Handeln seitens des Staates nur ansatzweise zur Seite.
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Verwandte Begriffe der Meinungsfreiheit, wie vor allem die Gewissensfreiheit, die Willensfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit, die Kunstfreiheit, die Medienfreiheit u. dgl. können hier nicht besprochen werden. Pressefreiheit ist eine sehr sensible Art der Meinungsfreiheit. Zu beachten ist, daß der Begriff ,Gewissensfreiheit' in Verbindung mit der Glaubensfreiheit im staatlichen Recht einen anderen Inhalt als im kirchlichen Bereich hat. Eine weitere Überlegung: nach dem Selbstverständnis des säkularisierten demokratischen Rechtsstaates steht die Autonomie menschlicher Ordnung im Vordergrund, wogegen das Christentum, vor allem die römisch-katholische Kirche sowie auch andere Offenbarungsreligionen, nämlich das orthodoxe Judentum und der Islam, die Heteronomie des Menschen, also seine Abhängigkeit von Gott, bekennen. Daß dieser Gegensatz in der Praxis gemildert wird, zumal auch die staatliche Rechtsordnung letztlich nicht ohne Wertbegriffe mit bestimmten religiösen Wurzeln auskommt -so etwa nicht ohne den Rechtsbegriff der Guten Sitten - steht auf einem andern Blatt. Dogmatisch ist das Christentum, im besonderen die katholische Kirche, intolerant, mag es auch - die römisch-katholische Kirche erst in jüngster Zeit - bürgerliche Toleranz, ja sogar die staatsrechtliche Parität der Religionsgemeinschaften gegenüber dem Staat postulieren. Der auch im II. Vatikanischen Konzil aufrechterhaltene Anspruch der römisch-katholischen Kirche, die wahre Kirche zu sein, hat selbstredend auch für die Meinungsbildung in Glaubens- und Sittensachen Bedeutung, wogegen der pluralistische Staat von Meinungsvielfalt, also von einer relativistischindifferenten Grundhaltung ausgeht.
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Hier seien nur die wichtigsten Rechtsquellen angegeben. Art. 13 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867, RGBI. Nr. 142 (StGG), lautet: "Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliehe Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Die Presse darf weder unter Zensur gestellt, noch durch das Konzessionssystem beschränkt werden. Administrative Postverbote finden auf inländische Druckschriften keine Anwendung."
Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBI. Nr. 210/1958 (MRK), lautet: .Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein ... " Dieser Artikel schließt nicht aus, daß die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen. Unter gewissen
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Voraussetzungen kann die Ausübung dieser Freiheiten aus Gründen des Ordre public von Gesetzes wegen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden. StGG und MRK stehen im Verfassungsrang. Über Rechtsvorschriften betreffend den Österreichischen Rundfunk, insbesondere die Sicherung von dessen Unabhängigkeit, über das Medienrecht und über die Presseförderung soll im gegebenen Zusammenhang nicht gesprochen werden. Staatliche Vorschriften, welche das Recht der Meinungsfreiheit beschränken, sind vor allem strafrechtliche Normen, wie etwa Strafbestimmungen zum Schutz der persönlichen Ehre, Strafbestimmungen zum Schutz des religiösen Friedens, Strafbestimmungen gegen Verhetzung, gegen nationalsozialistische Wiederbetätigung, gegen Pornographie und andere mehr. Eine (präventive) Zensur ist in Österreich verboten (StGBl. Nr. 3/1918), nicht aber die sogenannte Nachzensur oder die Überwachung einer Veranstaltung durch die Polizei. Keinesfalls dürfen Landesverfassungsgesetze oder einfache Bundes- oder Landesgesetze soweit gehen, den Kernbereich der Meinungsfreiheit im staatlichen Bereich in seinem Wesensgehalt aufzuheben: Ist doch abweichend vom Art. 13 StGG durch Art. 10 Abs. 2 MRK festgelegt, daß nicht jede einfachgesetzliche Einschränkung schlechthin, sondern nur bestimmte Einschränkungen der Meinungsfreiheit durch den einfachen Gesetzgeber zulässig sind. - Das staatliche Recht auf Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht, das auch Ausländern und nicht bloß Staatsbürgern zusteht. Ob staatliche Konzepte der Grund- und Freiheitsrechte allgemein auf die katholische Kirche übertragen werden können, ist sehr umstritten. Ich klammere diese Frage in meiner Untersuchung aus, in der ich mich auf die Meinungsfreiheit beschränken muß. Daß es in der Kirche ansatzweise subjektive Ansprüche ähnlich wie Grund- und Freiheitsrechte geben kann, glaube ich schon. Gedacht sei hier an den Grundsatz des ,Fair trial' (Art. 6 MRK). Oberster Schutzherr des Rechtes auf freie Meinungsäußerung ist in Österreich der Verfassungsgerichtshof. Eine Darstellung, wie er im einzelnen wirkt, muß ich mir hier leider versagen.
111. Einschlägige kirchliche Quellen 1. Das kirchliche Gesetzbuch 1983 (Codex luris Canonici = CIC) Für unsere Überlegungen stellt sich folgende Frage: Sagt das Kirchenrecht, und zwar das lus universale der römisch-katholischen Gesamtkirche, ausdrücklich oder einschlußweise darüber etwas aus, I 1 Pax et Justitia
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ob es in der Kirche Meinungsfreiheit nach Analogie des staatlichen Rechts gibt? Die Fragestellung erfordert noch eine weitere Präzisierung, nämlich die Konzentration auf den Bereich der Glaubens- und der Sittenlehre, ohne damit das Vorhandensein von Grenzgebieten und die kirchliche Disziplin zu übersehen. Im kirchlichen Bereich werden häufig auch Sachverhalte verwirklicht, welche als wertneutral angesehen werden können. Grenzfälle bereiten oft große Schwierigkeiten. Der betreffende Katholik kann eine bestimmte Angelegenheit möglicherweise als sittlich nicht relevant ansehen und sich hierbei auf seine Gewissensüberzeugung beziehen, wogegen im gleichen Fall die kirchliche Obrigkeit das Recht in Anspruch nimmt, eine andere Grenzziehung zu bestimmen; dabei muß es nicht immer um Fragen des göttlichen Rechts oder um unveränderliche Glaubenssätze und sittliche Gebote gehen. (Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das viele Jahrhunderte für Christen geltende Verbot, als Darlehensgeber Zinsen zu nehmen.) Auch in Fragen des sogenannten ordentlichen kirchlichen Lehramtes des Papstes und der Bischöfe, in denen die kirchliche Obrigkeit nicht Unfehlbarkeit beansprucht, und bei Themen kirchlicher Disziplin mögen Grenzbereiche einer zeitlichen Wandelbarkeit unterliegen; dessen ungeachtet -so aufreizend dies auch heute in manchen Ohren klingen mag - nimmt nach der jeweiligen Situation die "Amtskirche", unberührt durch "zeitlich vorauseilenden" Gehorsam der einen oder durch integralistische Mißverständnisse anderer, ihr Entscheidungsmonopol im obigen Sinn in Anspruch. Mir werden es Vertreter einer pastoralen Linie vielleicht verübeln, wenn ich die gestellte Frage vom Kirchenrecht her zu lösen versuche und die biblisch-kerygmatische Dimension christlicher Freiheit scheinbar außer Betracht lasse. Auf Vorwürfe eines unangebrachten "Juridismus" müßte ich erwidern, daß nach dem Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche auch ihr Recht Heilsfunktion hat und als eine theologische Disziplin zu werten ist. Ontologisch sind Rechtskirche und Liebeskirche keine Gegensätze, mag auch wie im weltlichen Recht bisweilen eine polare Spannung zwischen Normgerechtigkeit und Einzelfallgerechtigkeit schmerzlich in unser Bewußtsein gerückt werden. Papst Johannes Paul li. hat bei Einführung des CIC in seiner Apostolischen Konstitution Sacrae Disciplinae Leges vom 25. Jänner 1983 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es keineswegs der Zweck des CIC sein kann, im Leben der Kirche oder der Gläubigen die Gnade, die Charismen und vor allem die Liebe zu ersetzen. (Diesen ist vielmehr Vorrang eingeräumt.) Eingehend bezieht sich der Hl. Vater in der genannten Konstitution auf das Alte und auf das Neue Testament und nimmt im besonderen auf die Paulinische Rechtfertigungslehre Bezug. - Ein Atheist oder Agnostiker, welcher den Rechtscharakter des CIC möglicherweise überhaupt leugnet, wird wenigstens den statutarischen Charakter des Kirchenrechts ähnlich der Bindungswirkung von Vereinssatzungen anerkennen müssen, oder er wird zumindest bei seinen Untersuchungen über Meinungsfreiheit in der Kirche eine bestimmte Erwartungshaltung bezüglich der Berechenbarkeil kirchlicher Handlungen - vergleichbar mit der erwarteten Einhaltung von Spielregeln - einnehmen.
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Was sagt nun der CIC? Das zweite Buch des CIC (überschrieben: Volk Gottes) handelt im Teil I (Die Gläubigen) unter dem Titel I in den Canones 208 bis 223 von den Pflichten und Rechten aller Gläubigen. Im zweiten Titel (Canones 224 bis 231) werden Pflichten und Rechte der Laien behandelt. Der dritte Titel des zweiten Buches befaßt sich mit den geistlichen Amtsträgern oder Klerikern. Das dritte Kapitel dieses Titels behandelt in den Canones 273 bis 289 die Pflichten und Rechte der Kleriker. Spezifische Verpflichtungen übernehmen die Angehörigen der Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens (Canones 573 bis 746), von denen hier nicht weiter die Rede sein kann.
Zunächst fällt auf, daß anders als in staatlichen Grundrechtskatalogen primär nicht von Rechten, sondern von Pflichten der betreffenden Gläubigen die Rede ist. Gemäß Canon 209 § 1 CIC sind die Gläubigen verpflichtet, auch in ihrem eigenen Verhalten immer die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren. Nach dem zweiten Paragraphen dieses Canons haben sie mit großer Sorgfalt ihre Pflichten zu erfüllen, die ihnen gegenüber der Gesamtkirche wie gegenüber der Teilkirche obliegen, zu der sie gemäß den Rechtsvorschriften gehören. Der im gegebenen Zusammenhang besonders bedeutsame Canon 212 CIC hat folgenden Wortlaut: ,.§ 1 Was die geistlichen Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer des Glaubens erklären oder als Leiter der Kirche bestimmen, haben die Gläubigen im Bewußtsein ihrer eigenen Verantwortung in christlichem Gehorsam zu befolgen. § 2 Den Gläubigen ist es unbenommen, ihre Anliegen, insbesondere die geistlichen, und ihre Wünsche den Hirten der Kirche zu eröffnen. § 3 Entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung haben sie das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und sie unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Personen den übrigen Gläubigen kundzutun."
Diejenigen Gläubigen, die sich theologischen Wissenschaften widmen, besitzen die gebührende Freiheit der Forschung und der klugen Meinungsäußerung in den Bereichen, in denen sie über Sachkenntnis verfügen; dabei ist der schuldige Gehorsam gegenüber dem Lehramt der Kirche zu wahren (Can. 218 CIC). Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist auch Can. 227 CIC zu erwähnen, wonach die Laien- also offenbar nicht die Kleriker- das Recht haben, daß ihnen in den Angelegenheiten des irdischen Gemeinwesens jene Freiheit zuerkannt wird, die allen Bürgern zukommt. Beim Gebrauch dieser Freiheit haben die Laien jedoch dafür zu sorgen, daß ihre Tätigkeiten vom Geist des Evangeliums erfüllt sind, und sich nach der vom Lehramt der Kirche vorgelegten Lehre zu richten; dabei haben sie sich II'
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jedoch davor zu hüten, in Fragen, die der freien Meinungsbildung unterliegen, ihre eigene Ansicht als Lehre der Kirche auszugeben.
Kraft göttlichen und katholischen Glaubens ist gemäß Canon 750 CIC all das zu glauben, was im geschriebenen oder im überlieferten Wort Gottes als dem einen der Kirche anvertrauten Glaubensgut enthalten ist und zugleich als von Gott geoffenbart vorgelegt wird, sei es vom feierlichen Lehramt der Kirche, sei es von ihrem ordentlichen und allgemeinen Lehramt. Nicht Glaubenszustimmung, wohl aber religiöser Verstandes- und Willensgehorsam ist gemäß Canon 752 einer Lehre entgegenzubringen, die der Papst oder das Bischofskollegium in Glaubens- oder Sittenfragen verkündigen, wann immer sie ihr authentisches Lehramt ausüben, auch wenn sie diese Lehre nicht definitiv als verpflichtend zu verkünden beabsichtigen; die Gläubigen müssen also sorgsam alles meiden, was ihr nicht entspricht. Gemäß Canon 753 ClC sind die Bischöfe, die in Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern des Bischofskollegiums stehen ... , wenn sie auch Unfehlbarkeit in der Lehre nicht besitzen, die authentischen Künder und Lehrer des Glaubens für die ihrer Sorge anvertrauten Gläubigen; die Gläubigen sind gehalten, diesem authentischen Lehramt ihrer Bischöfe mit religiösem Gehorsam zu folgen. Canon 754 CIC normiert des näheren die Pflicht zur Befolgung kirchlicher Konstitutionen und Dekrete. Im Sinn des einleitenden Canon 747 CIC, welcher an der Spitze des dritten Buches des CIC "Verkündigungsdienst der Kirche" steht, ist die Kirche nicht nur W ahrerin und Verkünderindes Glaubensgutes (depositum fidei), sie nimmt vielmehr nach dem zweiten Paragraphen dieses Canons auch das Recht für sich in Anspruch, immer und überall die sittlichen Grundsätze auch über die soziale Ordnung zu verkündigen, wie auch über menschliche Dinge jedweder Art zu urteilen, soweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern. Katholische Eltern haben zufolge Can. 793 CIC das Recht und die Pflicht, ihre Kinder katholisch zu erziehen. Unbeschadet der Abschaffung des Index der verbotenen Bücher (siehe auch unten) enthält der CIC im dritten Buch einen Titel (IV) über soziale Kommunikationsmittel, insbesondere Bücher (Canones 822 bis 832 CIC). Die Hirten der Kirche haben in Glaubens- und Sittensachen bezüglich der Massenkommunikationsmittel bestimmte Überwachungsrechte und -pflichten (Can. 823 CIC). Bedeutsam ist auch die Pflicht bestimmter Personen, das Glaubensbekenntnis nach der vom Apostolischen Stuhl gutgeheißenen Formel persönlich abzulegen (Canon 833 CIC). Schließlich erscheinen mir auch für das gestellte Thema verschiedene Strafbestimmungen des CIC von Bedeutung; so vor allem gegen Häresie, Apostasie und Schisma; diese Begriffe werden im Canon 751 CIC erläutert. Die dazugehörige Strafbestimmung (der ipso facto eintretenden Exkommunikation) enthält Canon 1364 CIC.
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Wer öffentlich wegen irgendwelcher Maßnahmen der kirchlichen Gewalt oder eines kirchlichen Amtes Streit der Untergebenen oder Haß gegen den Apostolischen Stuhl oder den Ordinarius hervorruft, oder die Untergebenen zum Ungehorsam gegen diese auffordert, soll (Canon 1373 CIC) mit dem Interdikt oder anderen gerechten Strafen belegt werden. Wer einer Vereinigung beitritt, die gegen die Kirche Machenschaften betreibt, soll zufolge Canon 1374 CIC mit einer gerechten Strafe belegt werden. Wer aber eine solche Vereinigung fördert oder leitet, soll mit dem Interdikt bestraft werden.
Soweit die keineswegs vollständige Aufzählung einschlägiger Bestimmungen des kirchlichen Rechts.
2. Das II. Vatikanische Konzil Es ist legitim, danach zu fragen, ob vorstehende kirchenrechtliche Normen in irgendeinem Punkt dem II. Vatikanischen Konzil widersprechen. Dies schon deshalb, weil sich das kirchliche Gesetzbuch des Jahres 1983 nach seiner einführenden Apostolischen Konstitution als eine Frucht des II. Vatikanischen Konzils versteht. Wie alle schriftlichen Rechtsnormen sind auch kirchliche Gesetze primär gemäß der eigenen Bedeutung ihrer Worte zu verstehen (Canon 17 CJC), die in Text und Kontext zu betrachten ist. Der Vorrang der Wortinterpretation ist also keineswegs ein rechtspositivistisches Postulat. Gegenüber normativen Bestimmungen des II. Vatikanischen Konzils ist das kirchliche Gesetzbuch 1983 das spätere Gesetzbuch. Man kann nicht behaupten, daß die Konzilsbestimmungen nach Analogie des staatlichen Rechtes Verfassungsrang hätten und nur durch ein neues ökumenisches Konzil geändert werden dürften - dies alles unbeschadet der Wahrung des ius divinum. Schließlich geht nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen die spezielle Norm der allgemeinen Vorschrift vor. Aus diesen Gründen scheint es mir nicht angebracht, unter Bezugnahme auf den Geist des Konzils die einzelnen Canones des CIC dahingehend zu hinterfragen, .ob sie mit den Konzilstexten in Einklang stünden". Ganz abgesehen davon, enthält das Konzilsdekret über die sozialen Kommunikationsmittel vom 4. Dezember 1963 ebensowenig wie die Erklärung über die christliche Erziehung vom 28. Oktober 1965 Sätze, die zum kirchlichen Gesetzbuch in Widerspruch stünden.
Nun zu einschlägigen Konzilstexten. Punkt 59 der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute vom 7. Dezember 1965 zeigt verschiedene Gesichtspunkte für die rechte Pflege der Formen menschlicher Kultur auf; er verweist unter anderem darauf, daß es zwei verschiedene Erkenntnisordnungen gibt, nämlich die des Glaubens und die der Vernunft, wobei die Kirche es keineswegs verbietet, daß die menschlichen Künste und Wissenschaften bei ihrer Entfaltung, jede in ihrem Bereich, jede ihre eigenen Grundsätze und ihre eigene Methode
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gebrauchen. In Anerkennung dieser berechtigten Freiheit wird die rechtmäßige Eigengesetzlichkeit der Kultur und vor allem der Wissenschaften von der Kirche bejaht, womit auch gefordert ist, daß der Mensch unter Wahrung der sittlichen Ordnung und des Gemeinnutzes frei nach der Wahrheit forschen, seine Meinung äußern und verbreiten und die Kunst nach seiner Wahl pflegen kann. Schließlich ist gefordert, daß der Mensch wahrheitsgemäß über öffentliche Vorgänge unterrichtet wird.- Diese Konzilssätze beziehen sich aber offensichtlich nicht auf den innerkirchlichen Bereich. Daß den Aussagen des CIC über das außerordentliche und das ordentliche kirchliche Lehramt und über christlichen Gehorsam Parallelstellen in den Texten des li. Vatikanischen Konzils entsprechen, sei hier nur angedeutet. Entgegen weitverbreiteter anderer Ansicht bekennt übrigens das li. Vatikanische Konzil an zwei Stellen, daß die einzige wahre Religion in der katholischen Kirche verwirklicht ist. (Punkt 8 der dogmatischen Konstitution überdie Kirche vom 21. November 1964 und Punkt 1 der Erklärungüber die Religionsfreiheit vom 7. Dezember 1965.) Das li. Vatikanische Konzil hat wohl Bekenntnisse zu bürgerlicher Toleranz, zu (bürgerlicher) Religionsfreiheit und zum Ökumenismus abgelegt, ohne damit den kirchlichen Wahrheitsanspruch dem Grunde nach aufzugeben. Nach heutigem Selbstverständnis des demokratischen Rechtsstaates ist die Lehre vom "wahren Staat" überholt und damit die auch vom Konzil postulierte Meinungsfreiheit für den weltlichen Bereich gegeben. "Meinungsfreiheit" hat im kirchlichen Bereich einen anderen Sinngehalt als das diesbezügliche staatliche Grundrecht, ist doch jene im engen Konnex mit dem christlichen Gehorsam zu sehen, wie obige Ausführungen zeigen. Schon gar nicht darf Meinungsfreiheit begriffsmäßig mit Gewissensfreiheit vermengt werden. Diese hat im staatlichen und im kirchlichen Bereich jeweils einen anderen Begriffsinhalt Innerhalb des kirchlichen Bereiches setzt meines Erachtens recht verstandene Meinungsfreiheit vom Akt der Meinungsbildung her gesehen vor Gott verantwortete Gewissensfreiheit voraus. Diese ist zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für jene. Es gibt auch ein Schweigen im rechten Augenblick.
Das Gewissen des Einzelnen wurde im Gefolge des li. Vatikanischen Konzils bisweilen anstelle mancher amtskirchlicher Entscheidungskompetenzen zum primär verantwortlichen Entscheidungsträger gemacht. Solche Zuständigkeitsverschiebungen haben an Bestand und Sinngehalt objektiver Normen nichts geändert.
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3. Zum moraltheologischen Aspekt der Meinungsfreiheit Man könnte mir entgegenhalten, ich hätte übersehen, daß es heute keinen Index der verbotenen Bücher mehr gebe und damit der freien Meinungsbildung Tür und Tor geöffent wäre. Schon nach dem Dekret der hl. Kongregation für die Glaubenslehre vom 15. November 1966 (Acta Apostolicae Sedis 1966, Seite 1186), dessen Inhalt von Papst Paul VI. ausdrücklich gebilligt wurde, sind zwar Canon 1399 des CIC 1917, aufgrunddessen gewisse Bücher von Rechts wegen verboten gewesen sind, und Canon 2318 CIC 1917 mit entsprechenden Strafbestimmungen kirchenrechtlich aufgehoben worden. Unbeschadet dessen wurde 1966 die moralischeVorschriftals fortbestehend erklärt, wonach es verboten ist, durch Lektüre von Büchern den Glauben oder die Sittlichkeit in Gefahr zu bringen. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, beurteilt primär nicht mehr die kirchliche Obrigkeit, sondern das Gewissen des Einzelnen in sittlicher Verantwortung. Man könnte hierin auch einen Anwendungsfall des - für den kirchlichen Bereich ansonsten umstrittenen- "Subsidiaritätsprinzipes" sehen; freilich darf eine Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf das mündige Gewissen des Einzelnen, also an die Basis der hierarchischen Pyramide- die durch das II. Vatikanum keineswegs umgestoßen wurde - nicht zu der Fehlinterpretation Anlaß geben, die moralische Norm wäre beseitigt worden.
IV. Schlußfolgerungen und Ausblick Staatliche Meinungsfreiheit ist, wie wir gesehen haben, seitens des einfachen Gesetzgebers beschränkbar. Innerhalb dieses Grundrechtes kann man von Rechts wegen, ohne staatliche Sanktionen befürchten zu müssen, selbst absurde Ansichten vertreten, sofern Dritte hierdurch in ihren Rechten nicht berührt werden oder das öffentliche Wohl nicht evident gefährdet ist. Ob derartige Meinungen wahr sind, hinterfragt der Staat nicht. Allerdings kann es statutarische Einschränkungen dieses Rechtes und außerstrafrechtliche Sanktionen bei Verletzung dieser Einschränkungen geben. In einem Fußballclub darf die (vermeintliche) Gesundheitsschädlichkeit des Fußballspielens kein Thema bilden, anderenfalls hätte ein vorlautes Vereinsmitglied mit Recht seinen Ausschluß zu befürchten. Zu beachten ist immer auch der Adressatenkreis freier Meinungsäußerung. Wenn der Leiter einer Justizstrafanstalt im geschlossenen Kreis von Fachleuten die Ansicht äußert, ein bestimmter zu lebenslänglichem Freiheitsentzug verurteilter Häftling seiner Anstalt sei möglicherweise unschuldig, so ist die Grenze der Meinungsfreiheit nicht überschritten. Anders liegt der Fall, wenn derselbe Direktor die Meinung vor hunderHausenden Fernsehern äußert.
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Im innerkirchlichen Bereich gibt aus auf dem Gebiet der Glaubens- "und der Sittenlehre keinen Kernbereich von Meinungsfreiheit: Ist doch diese durch zahlreiche Klauseln und vor allem durch die Gehorsamspflicht des einzelnen Katholiken gegenüber dem außerordentlichen und dem ordentlichen kirchlichen Lehramt beschränkt, so daß für einen solchen Kernbereich nichts übrigbleibt So lautet jedenfalls mein Befund aufgrund der positiven kanonischen Gesetzeslage. Manche werden dieses Untersuchungsergebnis geradezu empörend finden und mir die Frage stellen, ob es hier vielleicht um ,verweigerte Mündigkeit' gehe- so der Titel eines neuen Buches mit dem Untertitel "Politische Kultur und die Kirche" von Josef Niewiadomski. Habe ich vielleicht die eschatologische Dimension des Evangeliums nicht begriffen, kenne ich nicht das Pauluswort von den verschiedenen Gnadengaben? Welche Pressefreiheit hat dann überhaupt noch der katholische Journalist? Wo bleibt die Ökumene?
In meinen Überlegungen geht es ausschließlich um das Problem der Meinungsfreiheit, nicht um die Frage, ob und inwieweit demokratische Strukturen in der Kirche überhaupt möglich sind. Meinungsfreiheit steht in der Nachbarschaft von Meinungsvielfalt, die sich mit dem Wahrheitsanspruch der römisch-katholischen Kirche nicht verträgt. Dem Evangelium sind solche Begriffe völlig fremd, was die Glaubens- und Sittenlehre betrifft. Durch Übernahme des vorgeprägten weltlichen Rechtsbegriffes ,Meinungsfreiheit' in den innerkirchlichen Bereich wird ein profaner Begriff auf gefährliche Weise in kirchlichen "Newspeak" umgemünzt, und es werden falsche Erwartungshaltungen im Volk Gottes geweckt, deren Nichterfüllung für die Kirche ähnliche bedauerliche Folgen wie die Diskussion um den Priesterzölibat in der lateinischen Kirche oder verschiedene Proteste innerhalb der Kirche gegen die Enzyklika "Humanae vitae" haben könnte. Zur Vermeidung von Mißverständnissen: Ich spreche nicht von Gewissensfreiheit, sondern von Meinungsfreiheit, also insbesondere von der Freiheit der Meinungsäußerung. Diese Unterscheidung- die ich selbst lange nicht verstanden und fast als eine gewisse Doppelbödigkeit empfunden habe- macht im Ergebnis zutreffend die in der Kath. Press vom 23. September 1968 abgedruckte sogenannte Maria-TrosterErklärungder Österreichischen Bischöfe zur vorgenannten Eheenzyklika Papst Pauls VI. (Inwieweit diese Bischofserklärung durch die Erklärung vom 29. März 1988 zum damals bevorstehenden Papstbesuch Johannes Pauls II. im Juni 1988 zurückgenommen wurde, sei hier dahingestellt.) In der Maria-Troster-Erklärungwurde dargelegt, es gebe Gewissensfreiheit, aber nicht Freiheit der Gewissensbildung, was heiße, daß die Bildung des Gewissensurteils vom Gesetze Gottes abhängig sei, das bei der konkreten Urteilsbildung nicht übersehen werden dürfe. Nachdem die genannte Erklärung auf die Möglichkeit eingegangen ist, jemand könne unter bestimmten Umständen zu einer vom kirchlichen Lehramt abweichenden Überzeugung gekommen sein, heißt es sodann wörtlich: "Klar bleibt jedoch, daß er in einem solchen Fall nicht berechtigt ist, mit dieser seiner Meinung unter seinen Glaubensbrüdern Verwirrung zu stiften."
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Die Österreichischen Bischöfe sind also auch in dieser umstrittenen "liberalen" Erklärung des Jahres 1968 von der Ansicht ausgegangen, daß es in der Frage der künstlichen Empfängnisregelung keine freie Meinungsäußerung und somit keine Meinungsfreiheit - deren wesentlicher Bestandteil gerade die Freiheit der Meinungsäußerung ist - geben darf. Daß gegen diese bischöfliche Weisung sogar in kirchlichen Medien und Familienberatungsstellen vielfach verstoßen worden ist und wird, steht freilich auf einem anderen Blatt. Halte ich nun Meinungsfreiheit in Glaubens- und Sittensachen für eine bloße Schimäre? Meine Antwort lautet: nein. Meinungsfreiheit ist aber schon deshalb kein kirchliches Grundrecht, weil sie mit Beschränkungen und Pflichten völlig verflochten ist. Das heißt natürlich nicht, daß ein getaufter Katholik in Glaubens- und Sittensachen überhaupt keine Meinung äußern dürfe. Die Festlegung der Grenzen ist freilich nicht dem einzelnen überlassen, sondern fällt in die Zuständigkeit der kirchlichen Obrigkeit, welche eine von ihr vor Gott zu verantwortende richtige Entscheidung zu treffen hat. Ob es im Einzelfall ausnahmsweise vor Gott nicht doch so etwas wie einen heiligen Ungehorsam - oder den Ungehorsam eines wirklichen Heiligen- geben kann, ist hier nicht zu beantworten. Keinesfalls trifft mich der Vorwurf, ich hätte nicht über die Dimension der christlichen Freiheit nachgedacht. Das Phänomen der Entstehung von außergesetzlichem kirchlichem Gewohnheitsrecht habe ich beiseite gelassen, da es nur Randbereiche unseres Themas betreffen kann. Der Wiener Alterzbischof Kardinal König hat kürzlich einen Aufsatz "Die Krise in der Kirche" veröffentlicht (vgl. z. B. Kleine Zeitung Graz vom 28. Oktober 1989). Auf den Inhalt dieses Aufsatzes kann ich hier nicht eingehen. Immerhin wäre ein derartiger Titel noch vor 25 Jahren undenkbar gewesen, weil man damals derartige Thesen als Krankjammern durch einige konservative Außenseiter abgetan hätte. Der Fall Holland hat allerdings manchen die Augen geöffnet. Kardinal König zitiert abschließend Punkt 92 der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, und zwar das -irrigerweise dem Hl. Augustinus zugeschriebene -Wort: Es gelte im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem die Liebe. Aus dem Kontext ("Der Dialog mit allen Menschen") ergibt sich freilich, daß hier vom Konzil keine dogmatische Aussage gemacht werden sollte (sonst wäre sie wohl in einer dogmatischen Konstitution von Vat. II zu finden), sondern es geht vielmehr um die innerkirchliche Vorbereitung für das Gespräch mit den anderen und um die Wahrung kirchlicher Glaubwürdigkeit. Aber selbst als dogmatische Auslegungsregel vorausgesetzt, muß gerade in einer Zeit, in der so viel von Einheit die Rede ist, gesagt werden: Subjektive Zweifel des Einzelnen berechtigen niemanden, Grenzverschiebungen zu Lasten der notwendigen Einheit im Glauben und in der Sittenlehre vorzunehmen. Dem
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innerkirchlichen Sprachgebrauch ist ganz allgemein größte Bedeutung zuzumessen. Selbst überzeugte Katholiken sprechen oft vom Wertewandel, wo in Wahrheit einWandelder Wertvorstellungen vorliegt. Und sehr klug sagte (sinngemäß) der Politologe Heinrich Schneider bei einer unter dem Vorsitz von Kardinal König abgehaltenen Tagung der Vereinigung Nova spes in Laxenburg: DasWort ,Wert' wird oft gebraucht, wo man richtigerweise von Wahrheit sprechen sollte. Diese Überlegung gilt auch für das Thema ,Meinungsfreiheit in der Kirche'.
DIE WIENER EVANGELISCH-THEOLOGISCHE FAKULTÄT Eine gemeinsame (!) Angelegenheit von Staat und Kirche
Von Karl Schwarz, Wien Der Jubilar, dem diese Zeilen als dankbarer Gruß zum 70. Geburtstag gelten, hat in zahlreichen Beiträgen die staatskirchenrechtliche Entwicklung in den Jahren vor und nach dem Österreichischen Staatsvertrag dargelegt und sowohl aus allernächster Zeitzeugenschaft als auch mit überzeugender Sachkompetenz analysiert 1• Das betrifft zumal jene kultuspolitische Epoche, der Heinrich Drimmel seine unverwechselbare Signatur aufgeprägt hat. In diesen Jahren wurden weitgehend parallel die vorbereitenden Arbeiten zur Anerkennung des Konkordates wie zur Neuregelung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und der Evangelischen Kirche, dem sogenannten Protestantengesetz, geleistet 2• Sie erfolgten unter der Losung von der .,freien Kirche im freien Staat" 3, die Bundesminister Drimmel seinen vielfältigen, zunächst allerdings beargwöhnten 4 Initiativen vorausschickte und die er, um den gegen die Cavour'sche Formel vorgebrachten Bedenken den Wind aus den Segeln zu nehmen, durch die dogmengeschichtliche (christologische) Formel .,Nicht Vermischung und nicht Trennung" ergänzte. 1 Alfred Kostelecky, Die Situation Kirche-Staat seit dem Abschluß des Staatsvertrages von 1955, in: Religion, Wissenschaft, Kultur 1958, S. 145ff.; ders., Die Anerkennung des Österreichischen Konkordates vom 5. Juni 1933 und die Verträge der Republik Österreich mit dem Hl. Stuhl von 1960 und 1962, in: Im Dienst der Sozialreform. FS Kar! Kummer, Wien 1965, S. 431 ff.; ders., Kirche und Staat, in: Kirche in Österreich 1918-1945, Bd. 1, Wien/München 1966, S. 201 ff.; ders., Anerkennung und Rechtsgültigkeit des Österreichischen Konkordates vom 5. Juni 1933 durch die Zusatzverträge mit dem Hl. Stuhl in den Jahren 1960 bis 1976, in: Kirche und Staat. FS Fritz Eckert, Berlin 1976, S. 215 ff.; ders., Konkludente Handlungen als Wegbereiter der Anerkennung des Konkordates, in: Recht im Dienste des Menschen. FS Hugo Schwendenwein, Graz/Wien/Köln 1986, S. 601 ff. 2 Vgl. Heinrich Drimmel, Der Weg zum Protestantengesetz, in: Robert Kauer (Hg.), Bilanz für die Zukunft, Wien 1989, S. 97 ff. 3 Heinrich Drimmel, Die freie Kirche im freien Staat, in: Speculum iuris et ecclesiarum. FS Willibald M. Plöchl, Wien 1967, S. 55ff.; vgl. auch Heribert Pranz Köck, Kirche und Staat- zum Problem der Kompetenzabgrenzung in einer pluralistischen Gesellschaft, in: Kirche und Staat. FS Fritz Eckert, Berlin 1976, S. 77 ff. (90). 4 Vgl. Willibald M. Plöchl, Vom Grundrecht der Kirchenfreiheit, St. Pölten 1977, S.28.
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Die weitgehende Parallelität zwischen den beiden Schwesterkirchen betraf nicht nur das im Sommer 1957 eingesetzte ministerielle Verhandlungskomitee, das bei den Verhandlungen mit dem Hl. Stuhl um den Außenminister erweitert wurde, die Parallelität ist auch an einzelnen Sachthemen deutlich zu erkennen. Die folgenden Zeilen widmen sich einem solchen Thema, bei dem die Bestimmungen des Konkordates einen suggestiven Bezugspunkt bildeten, der Frage nach dem Ort einer evangelisch-theologischen Fakultät im Spannungsfeld von Staat und Kirche. I. In knappen vier Absätzen bestimmt das Protestantengesetz 1961 5 1. in Form einer Einrichtungsgarantie, daß der Bund der Evangelischen Kirche "für die wissenschaftliche Ausbildung des geistlichen Nachwuchses sowie zum Zwecke der theologischen Forschung und Lehre" die Fakultät als Teil der Universität Wien zu erhalten hat (mit mindestens sechs ordentlichen "Lehrkanzeln", darunter je eine für Systematische Theologie A. B. und H. B.), wobei dem mehrheitlich lutherischen Charakter der Kirche Rechnung zu tragen ist, 2. daß die Mitglieder des Lehrkörpers konfessionell gebundene Staatsämter bekleiden, also Glieder der Evangelischen Kirche sein müssen, 3. daß hingegen Gastprofessoren, -dozenten und -vortragende, das wissenschaftliche und das nichtwissenschaftliche Personal auch anderen Religionsgemeinschaften, insbesondere Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen, angehören können, sowie 4. den modus procedendi, der bei der Neubesetzung einer "Lehrkanzel" (um diesen seither aus dem hochschulrechtlichen Sprachgebrauch verschwundenen Begriff nochmals zu verwenden) zu beobachten ist: "Fühlungnahme" mit der Kirchenleitung "über die in Aussicht genommenen Personen", ehe der Besetzungsvorschlag der Fakultät an das zuständige Bundesministerium gerichtet wird. 5 Vgl. dazu die Kommentierungen von Otto Fischer, Das Protestantengesetz 1961, Wien 1962, S. 28ff.; Wi/he/m Steinmüller, Staat und Kirche in Österreich, in: Archiv für kath. Kirchenrecht 131 (1962), S. 452 ff. (460); GerhardMay, Die lutherische Kirche und das neue Protestantengesetz, in: Luth. Rundschau 1962, S. 77 ff. (80); Wilhelm Dantine, Erwägungen zum sogenannten "neuen Protestantenpatent" ... (1963/64), jetzt in: ders., Recht aus Rechtfertigung, Tübingen 1982, S. 320 ff. (334 f.); Williba/dM. Plöchl, Das neue Österreichische Protestantengesetz aus dem Jahre 1961, in: Die Ökumene in Theologie und Recht, München 1965, S.65ff. (74); Rieger I Sagburg I Schima, Evangelische Kirche, in: Rechtslexikon. Handbuch des österr. Rechts für die Praxis, 50. Lieferung, Wien 1966, BI. 21; lnge Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien/New York 1971, S. 299f.; Christoph Foerst, Die Verfassung der Evangelischen Kirche A. u. H.B. in Österreich, jur. Diss. München 1973, S.159ff.; Ernst C. Hellbling, Staat und Kirche in Österreich aus evangelischer Sicht, in: Kirche und Staat. FS Fritz Eckert, Berlin 1976, S. 183 ff. (201 f.); Wilhelm Kühner!, Die Rechtsstellung der Wiener Evangelisch-theologischen Fakultät im Kraftfeld von Staat und Kirche, in: Ex aequo et bono. FS Willibald M. Plöchl, Innsbruck 1977, S. 473 ff. (488-490); Christoph Link, Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Kirche in Österreich, in: Theologia scientia eminens practica. FS Fritz Zerbst, Wien 1979,
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Diese recht sparsamen Ausführungen, die im Blick auf die kirchliche Mitbefassung bei der Neubesetzung der Planstellen für ordentliche und außerordentliche Universitätsprofessoren sogar als vage - um nicht zu sagen: als unklar- bezeichnet werden müssen, sind der Reflex auf mehrjährige Verhandlungen 6 , die zunächst auf eine zum Konkordat analoge Lösung des Problems (Nihil obstat, Missio canonica) hinausliefen, schließlich aber unter maßgeblicher Beteiligung des Ministers Drimmel selbst zum skizzierten minimalistischen Ergebnis führten.
A. II. 1. Ein historischer Exkurs muß nicht unbedingt bei der Gründung der Protestantisch-theologischen Lehranstalt (1821) einsetzen und den heftigen Kampf um die Inkorporierung in die Alma mater Rudolfina nachzeichnen, er sollte aber doch diesen Eingliederungsvorgang 1922 benennen 7 und jedenfalls kurz die politischen Rahmenbedingungen klären, unter denen er erfolgte: Vor dem Hintergrund einer massiven Bestandsdrohung der Theologischen Fakultäten, wie sie namentlich in dem Grundrechtsentwurf der Sozialdemokratischen Partei, eingebracht am 7. Juli 1920, zum Ausdruck gebracht worden war 8 , kam es bei der Regierungsbildung in den Jahren 1921 und 1922 zu einer Übereinkunft der Christlichsozialen mit den Großdeutschen, die für ihr Stillhalten in der Kirchenpolitik und als Bedingung für ihren Koalitionsbeitritt nicht nur das für die Ehe-dispens-praxis wichtige Innenressort9 forderten, sondern auch, um die Bestandssicherung der Theologischen Fakultäten mitzutragen, die Aufnahme der Evangelisch-theologischen Fakultät in den Verband der Universität Wien 10 . S. 228 ff. (237 f.); Helmut Schnizer, Diskussionsbei trag, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, 16/1982, S. 129; Hugo Schwendenwein, Die Universität im Spannungsfeld von Kirche und Staat, Wien 1988, S. 23 f. 6 Vgl. dazu Martina Wieninger, Der Dialog zur Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Evangelischer Kirche in Österreich in der Zweiten Republik, masch. Diplomarbeit, Klagenfurt 1985. 1 Bundesgesetz vom 20. Juli 1922, BGBI. Nr. 546; dazu Max von Hussarek-Heinlein, Die kirchenpolitische Gesetzgebung der Republik Österreich, in: A/ois Hudal (Hg.), Der Katholizismus in Österreich, Innsbruck u. a. 1931, S. 27 ff. (38); Kühnert, S.475. 8 Inge Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht 1918 bis 1920, in: Convivium utriusque iuris. FS Alexander Dordett, Wien 1976, S. 367 ff. (369). 9 Vgl. Josef Kremsmair, Der Weg zum Österreichischen Konkordat von 1933/34, Wien 1980, S. 67. 10 Maximilian Liebmann, Kirche und Politik in der Ersten Republik von 1918 bis 1938, in: christliche demokratie 1984/1, S. 20 ff. (26).
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Es kann dieser bewußtseinsstiftende Vorgang nicht hoch genug eingeschätzt werden, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen ist es der .,religionslose" republikanische Staat gewesen (in dem ein prominenter Staatskirchenrechtler durch den Friedensvertrag von St. Germain die .. juristische Balkanisierung" 11 auf den Punkt gebracht sah), der die diskriminierende externe Stellung der Fakultät beseitigte und damit auch die Dimensionen seiner positiven Religionspflege (auf der Grundlage des verfassungsrechtlich rezipierten Art. 15 Staatsgrundgesetz 1867) beurteilte. Zum anderen hat die Inkorporierung auch die Empfindlichkeit der Fakultät verstärkt, daß durch eine extensive kirchliche Bindung womöglich der endlich erlangte Status gefährdet würde. 2. Nur so ist es zu verstehen, daß sich das Professorenkollegium schärfstens dagegen verwahrte, als in den dreißiger Jahren bei den Überlegungen zu einer Protestantenpalent-Novelle von kirchlicher Seite ein Recht des Oberkirchenrates reklamiert wurde, vor Ernennung der Professoren und vor Zulassung der Privatdozenten gutachtlich gehört zu werden. Mit äußerster Schärfe replizierte das Kollegium - nicht gegen die sachliche Intention an sich, die der bisherigen Gepflogenheit entspreche, wohl aber gegen die gesetzliche Festschreibung 12 : "Mit Rücksicht darauf, daß eine solche Wendung sich bisher weder im Protestantenpatent noch in der Kirchenverfassung findet, lehnt es jedoch das Professorenkollegium auf das entschiedenste ab, daß eine solche das Ansehen der Fakultät schädigende Bindung in ein von der Nationalversammlung zu verabschiedendes Gesetz aufgenommen wird."
Analoge Bestimmungen hinsichtlich der katholischen Kirche sowie der evangelischen Landeskirchen in Deutschland könnten nicht auf die singuläre Stellung der Fakultät im Rahmen der Wiener Universität übertragen werden. Die Fakultät würde bei einer solchen gesetzlichen Maßnahme .,zu einer kirchlich in ihrer freien Forschung gebundenen Lehranstalt herabgedrückt werden". Es müsse aber .,im Interesse der gesamten evangelischen Kirche Österreichs" liegen, .,die höchste Bildungsstätte ihrer Theologen in ihrer wissenschaftlichen Höhenlage nicht zu schmälern". Dieser Einwand fruchtete wenig. In allen späteren Entwürfen zu einem Protestantengesetz (1937 /38) blieb diese Formulierung stehen, ja zuletzt sogar mit der noch präziseren Auflage, daß vor Ernennung von Professoren und vor der .,Zulassung" von Dozenten .,vom Bundesminister für Unterricht das Einvernehmen mit dem Oberkirchenrat zu pflegen" sei. Das entsprach auch im wesentlichen der Formulierung des Konkordates (Art. V§ 3) 13 : Hussarek, S. 29. Zit. bei Kar} Schwarz, Aus der Vorgeschichte des Protestantengesetzes. Dokumente zur Stellung der Evangelisch-theologischen Fakultät im Kraftfeld von Staat und Kirche, in: Amt und Gemeinde 1988, S. 162 ff. (163). 11
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"Die Ernennung oder Zulassung der Professoren oder Dozenten ... wird nur nach erfolgter Zustimmung der zuständigen kirchlichen Behörde erfolgen."
3. Als nach dem Einmarsch der deutschen Truppen der zitierte Gesetzentwurf als Ergebnis der ständestaatliehen Protestantenpolitik im Schreibtisch des zuständigen Ministerialbeamten begraben wurde, weil die Kirche kein weiteres Interesse daran zeigte, reklamierte gleichwohl der Oberkirchenrat eine besondere Einflußnahme auf die personelle Auswahl der Professoren. Die Begründung dafür enthält eine besondere Pointe (freilich nicht staatskirchenrechtlicher Natur): weil sich die Kirche vom deutschen "Kirchenstreit" fernhalten wolle und deshalb bei den bevorstehenden Berufungen (der kirchengeschichtliche und der systematisch-theologische Lehrstuhl A. B. waren vakant) besondere Vorsicht geboten sei. Verständlich wird dieses Ansinnen nur vor dem Hintergrund einer gewissen Expansionsabsicht, die Fakultät zu einem theologischen Zentrum für den südosteuropäischen Raum auszubauen 1\ und den dem OKR-Präsidenten Dr. Robert Kauer vorschwebenden "naiv staatskirchlichen" Strukturen, zumal in der Rechtsfigur des staatsbehördlichen Oberkirchenrates 15 . 4. Nach dem 2. Weltkrieg nahm die Evangelische Kirche die Verhandlungen für ein neues Protestantengesetz unverzüglich aufl 6 und knüpfte dabei bewußt bei dem Letztentwurf vom März 1938 an. Die Gespräche führten zu keinem substanziellen Ergebnis, weil zuvor die Konkordatslage geklärt werden sollte. Einen wesentlichen Schritt weiter kamen die Verhandlungspartner im Jahr 1952, konnte doch Bundesminister Dr. Ernst Kolb vor der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht am 15. Jänner 1953 17 vermelden, daß die Gespräche mit der evangelischen Kirche "gerade heute" einen "voll befriedigenden Abschluß" gefunden hätten. In der Tat sind gerade im Blick auf die Evangelisch-theologische Fakultät bemerkenswerte Bestimmungen formuliert worden 18 , die sich deutlich an die Konkordatsbestimmungen anlehnten: Dazu Kremsmair, S. 175ff. Vgl. ein diesbezügliches Memorandum von Dekan Prof. Dr. Gustav Entz (30.6. 1938), jetzt abgedr. in: Gustav Reingrabner I Kar/ Schwarz (Hg.): Quellentexte zur Österreichischen evangelischen Kirchengeschichte zwischen 1918 und 1945, Wien 1989, Nr. 131, S. 334f. 15 Kar/ Schwarz, Der "Anschluß" 1938 und seine unmittelbaren staatskirchenrechtlichen Folgen für die Evangelische Kirche, in: Österr. Archiv für Kirchenrecht 38 (1989), s. 268 ff. 16 Vgl. Wieninger, S. 22 ff. 17 Ernst Kalb, Gegenwärtige Aufgaben der Kultusverwaltung in Österreich, in: Österr. Archiv für Kirchenrecht 4 (1953), S. 38 ff. (39 f.). 18 Bischof D. Gerhard May in seinem Bericht auf der Generalsynode 1955, in: Protokollauszug, Wien 1955, S. 18. 13 14
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a) Bestandsgarantie (wie in der eingangs skizzierten Form). b) Vor Professorenernennung und ,.vor Zulassung anderer Lehrkräfte" wird vom Ministerium ,.das Einvernehmen mit der obersten Kirchenleitung hergestellt". c) ,.Professoren, Dozenten und sonstige Lehrbeauftragte werden im Falle ihres Ausscheidens aus der Evangelischen Kirche von der Ausübung ihrer Lehrtätigkeit enthoben. Desgleichen werden sie enthoben, wenn die oberste Kirchenleitung im Einvernehmen mit der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien ihre Enthebung fordert."
Indes blieben auch diese Verhandlungsergebnisse noch im Entwurfstadium blockiert, weil es nicht opportun erschien, die Rechtsbeziehungen zur Minderheitskirche gesetzlich zu regeln, ohne in der Konkordatsfrage einer Lösung näher gekommen zu sein. Dort aber legte sich der sozialdemokratische Koalitionspartner quer, so daß an Verhandlungen zwischen Wien und Rom vorerst überhaupt nicht zu denken war 19 . 5. Auch wenn es noch bis zum Jahr 1957 dauerte, daß der Ministerrat die Lösung der Konkordatsfrage in Angriff zu nehmen beschloß 20 , so ist jedenfalls nicht zu verkennen, daß mit dem Amtsantritt des Bundesministers Heinrich Drimmel am 1. November 1954 die Dinge eine neue Dynamik erhielten 21 • Hinzu kam der Abschluß des Österreichischen Staatsvertrages 1955, dessen§ 26 die Regierung unter Zugzwang setzte. Die römisch-katholische Kirche präsentierte prompt das im Auftrag der Österreichischen Bischofskonferenz herausgegebene Weißbuch ,.Kirche und Staat" 22 , die Evangelische Kirche folgte im Herbst 1955 mit einer umfassenden Punktation. Was nun die Evangelisch-theologische Fakultät betrifft, so legte sich die Generalsynode auf eine zum Konkordat analoge Schutzregelung fest, daß in dem anzustrebenden Rechtsstellungsgesetz im Abschnitt über die Fakultät der Kirche ,.die gleiche Einflußnahme zugesichert werde, wie sie der römisch-katholischen Kirche im Konkordat Art. V P. 4 eingeräumt ist" 23 . Wenige Tage vorher hatte der Wiener Superintendent Georg Traar vor der Kirchenrechtsgesellschaft (17.11.1955) ebenfalls diese Forderungen deponiert, daß der Staat ,.keinen Professor anstelle oder im Amt belasse, dem die Kirche aus innerkirchlichen Gründen die kirchliche Ermächtigung versagen oder entziehen muß" 24 . Er wurde hierin durch den Staatsrechtslehrer Ernst C. Hellbling 25 bestärkt; dieser löste den (konstruierten) Widerspruch 19
Kostelecky, FS Eckert, S. 239.
° Kostelecky, FS Eckert, S. 229.
2
21
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Plöchl (Anm. 4), S. 28. Franz Jachym (Hg.), Kirche und Staat, Wien 1955.
Protokollauszug d. 5. Generalsynode 1955, S. 10. Georg Traar, Was erwartet die evangelische Kirche in Österreich v?.n der Neuregelung des gesetzlichen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche?, in: Osterr. Archiv für Kirchenrecht 7 (1956), S. 54ff. (57). 23
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zwischen der genannten konkordatgemäßen Forderung der Kirche und dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Freiheitsrecht der Wissenschaft und ihrer Lehre (Art. 17 Abs. 1 StGG) auf. Aus diesem Argumentationsgang kann gleichwohl erschlossen werden, daß zunächst dem Forderungskatalog der Kirche die verfassungsrechtliche Verankerung der Wissenschaftsfreiheit entgegengehalten wurde. Es war aber nicht nur das Ministerium, das reserviert auf jene Forderungen reagierte 26 , sondern vor allem die Evangelisch-theologische Fakultät (unter Dekan Prof. Dr. Georg Fohrer) selbst, die sich vehement gegen die beabsichtigte "Gleichschaltung mit den Bestimmungen für die katholisch-theologischen Fakultäten" 27 stemmte, gegen den verstärkten Einfluß der Kirchenleitung auf die Fakultät, insbesondere gegen eine Regelung, die der Kirchenleitung mehr als ein votum consultativum im Berufungsverfahren zugestand. Die überaus scharfe Auseinandersetzung, die in den Jahren 1955/1956 um diese Frage geführt wurde, wobei die Kirche aus Gründen der Parität auf ihre Forderung um eine evangelische "missio canonica· beharrte, gipfelte in der Vorstellung einer im Vertragswege zwischen Professoren und Kirchenleitung zu treffenden Schutzregelung gegen Irrlehren 28 . Die Brisanz der Problemstellung blieb bis zum Abschluß des Gesetzes erhalten. Allerdings kann auch nicht übersehen werden, daß Bischof May im Herbst 1956, als er noch einmal die kirchlichen Erwartungen auflistete, nur mehr von der "kirchliche(n) Mitwirkung" im Besetzungsverfahren sprach und damit ein gewisses Einlenken signalisierte 29 . Eine Reihe von Besprechungen mit dem Professorenkollegium, das geschlossen gegen eine solche "missio canonica" votierte30, hatte offenbar dieses Einlenken bewirkt. Entscheidend dürfte freilich gewesen sein, daß der Minister auf eine Einigung von Fakultät und Kirchenleitung bestand und nicht seinerseits die konkordatsanaloge Lösung des Problems forcierte, daß er sich - nach einem von Drimmel geprägten 25 Ernst C. Hellbling, Die fünfte evangelische Generalsynode und die sich daraus ergebenden Rechtsfragen, in: Österr. Archiv für Kirchenrecht 7 (1956), S. 187 ff. (1941.); vgl. Kühnert, S.490. 26 V gl. Wieninger, S. 48!. 27 Georg Fohrer, Das Problem von Lehrfreiheit und dogmatischer Bindung in der evangelischen Theologie und Kirche, in: Theologische Zeitschrift 13 (1957), S. 260 ff. (265). (Es handelt sich dabei um einen Vortrag vor der österr. Gesellschaft für Kirchenrecht, 20.12.1956). 28 Vgl. Bericht Bischof May, in: Protokollauszug der Generalsynode 1955, S. 18. 29 Gerhard May, Um Freiheit und Recht der Evangelischen Kirche in Österreich, Wien 1956, S. 18. 3° Freundliche Mitteilung von Herrn Ministerialrat Dr. Günter Sagburg an den Ver!., wofür auch an dieser Stelle herzliehst gedankt wird.
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W ortspiel 31 -als .,evangelischer als die Evangelischen" erwies (so jedenfalls die Meinung der Professoren 32 ). Daraufhin nahm die Kirchenleitung vom ursprünglichen Plan Abstand, nicht ohne die Gefährdung des Ausbildungsstandards durch die Tätigkeit eines .,lrrlehrers" anzusprechen. Der Minister zeigte seine Bereitschaft, in einem solchen (unwahrscheinlichen) Fall substitutive Lehrveranstaltungen einzurichten, was die kirchlichen Verhandlungsführer mit .,großer Befriedigung" zur Kenntnis nahmen 33 . III. Die historische Hinführung hat gezeigt, daß die relativ späte Eingliederung der Fakultät in den Universitätsverband deren Selbstverständnis als einer staatlichen Einrichtung bestärkt hat 34 . Dieses Bewußtsein entsprach protestantischer Tradition, entsprach der .,evangelische(n) Skepsis gegenüber einer kirchlichen Einbindung der Theologie" 35 , entsprach- im Fall der zu regelnden Lehrbeanstandung - der Furcht vor einem sich nach katholischem Verständnis und katholischer Praxis formierenden .,bischöflichen Lehramt".
B. 1. Die staatskirchenrechtliche Beurteilung wird zunächst bei der Frage einsetzen können, ob in § 15 Protestantengesetz eine Paritätsverletzung zu Lasten der Evangelischen Kirche vorliegt 36 . Dagegen ist geltend gemacht worden, daß .,das evangelisch-kirchliche Selbstverständnis bezüglich des 31 Heinrich Drimme/, Staat und Kirche in Österreich in den letzten 100 Jahren, in: Hundert Ji:thre Protestantenpatent 1861-1961, Wien o. J., S. 5 ff. (9); vgl. auch Link, 1979, S. 237. 32 Vgl. Dantine, S. 335; sowie ders., Rezension Foerst, in: Zeitschrift für ev. Kirchenrecht 21 (1976), S.318ff. 33 Auch diesen Hinweis verdanke ich Herrn Ministerialrat Dr. Sagburg. Vgl. Schnizer, S. 129 (zur "Noblesse" des Ministeriums). 34 Fe/ix Ermacora, Österreichisches Hochschulrecht, Bd. I, Wien 2 1972, S. 749, hat hierin sogar den Angelpunkt dafür erblickt, daß die Fakultät nunmehr "zu einer staatlichen Anstalt" geworden sei, die .,allein den staatlichen Rechtsvorschriften und nicht innerkirchlichen Regelungen unterworfen ist". Auch die Generalsynode 1925 scheint dieser Meinung gewesen zu sein, denn sie schritt zu einer Neuordnung des Prüfungswesens und ließ dabei aus der Prüfungskommission für das Examen pro candidatura, dem Fakultätsexamen, die beiden Wiener Superintendenten als externe Prüfer ausscheiden. Aber allein schon der Umstand, daß sich die Synode als kirchlicher Gesetzgeber berufen fühlte, das Prüfungswesen neu zu regeln, beweist doch schon das Gegenteil, daß die Fakultät eben nicht nur den staatlichen Rechtsvorschriften unterworfen war, sondern als eine kirchlich gebundene Einrichtung auch den kirchlichen Rechtsvorschriften. 35 U/rich Kühn, Die Kirche als Ort der Theologie, in: Kerygma und Dogma 31 (1985), S. 98ff. (102). 36 So übereinstimmend Fischer, S. 29, Steinmüller, S. 460, Foerst, S. 161.
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kirchlichen Lehramtes ein anderes als in der katholischen Kirche (sei)" 37 , daß mithin eine sachliche (weil vom kirchlichen Selbstverständnis gebotene) Differenzierung des Gleichheitssatzes vorliege, wenn diese Fakultät anders 38 ihrer Kirche zugeordnet wird als es bei der römisch-katholischen Kirche der Fall ist. In der bundesdeutschen Diskussion dieses Sachverhalts ist in den letzten Jahren die aus dem Selbstverständnis abgeleitete unterschiedliche Ausgestaltung kirchlicher Einflußnahme in Zweifel gezogen worden 39 , ja Martin Heckel hat geradezu von ,.Paritätsverzerrungen" 40 gesprochen, die sich hier auftun. Man kann sich der Stringenz seiner Gedankenführung nicht entziehen, die - wenn ich recht sehe - die Legitimität der hiesigen kirchlichen Forderungen nach einem Vierteljahrhundert durchaus bestätigt. In der Tat: Aus der Perspektive des zu religiöser Neutralität verpflichteten Staates nehmen beide Schwesterfakultäten die gleiche Funktion und Aufgabe wahr, sie widmen sich der Theologie, der ,.Gottesgelehrtheit", und sie bilden den geistlichen Nachwuchs aus, zwei unbestrittenermaßen typisch kirchliche Aufgaben, aber die Verfahrensfragen sind rechtlich höchst unterschiedlich gestaltet und im Konkordat bzw. Protestantengesetz festgelegt. In dem konkreten Österreichischen Beispiel handelt es sich um ein ,.paktiertes Gesetz" 41 (das den Vertragsgedanken zweier gleichberechtigter Vertragspartner durchaus im Blick behält, wenn auch aus mangelnder Völkerrechtssubjektivität der Evangelischen Kirche ein Kirchenvertrag nicht realisiert werden konnte) und das bedeutet, daß die endgültige Textierung eben jenes § 15 nicht vom Staat autoritativ vorgegeben, vielmehr durch kirchliche Gremien, zuletzt durch eine außerordentliche Generalsynode, beglaubigt wurde. Was nun im Staatskirchenrecht in einer paritätsverzerrten Optik erscheint, stellt sich auf der Ebene des inneren Kirchenrechts und des kirchlichen Verfassungsrechts dar als bewußter Ausgleich zwischen einer zu dezisionären Lehrentscheidungen gar nicht berechtigten Kirchenleitung 42 Rieger I Sagburg I Schima, BI. 21. Kühnert, S. 492; Alexander Hollerbach, Die Theologischen Fakultäten und ihr Lehrpersonal im Beziehungsgefüge von Staat und Kirche, in: Essen er Gespräche zum Thema Staat und Kirche 16/1982, S. 69 ff. (81 !.) 39 Ernst-Lüder So/te, Theologie an der Universität, München 1971, S. 183 ff.; Axel von Campenhausen, Staatskirchenrecht, München 21983, S.124f.; ders., Diskussionsvotum, in: Essener Gespräche 16 (1982), S.103ff.; ders., Theologische Fakultäten/Fachbereiche, in: Handbuch des Wissenschaftsrechts, Berlin/Heidelberg 1982, S. 1018 ff. (1029 f.). 40 Martin Hecke/, Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat, Tübingen 1986, S. 90 -dazu Christoph Link, Der Rechtsstatus der Theologischen Fakultäten, in: Theologische Rundschau 53 (1988), S.405ff. 41 Gerhard May, Unerledigte Wünsche im Protestantengesetz, in: Im Dienste des Rechts in Kirche und Staat. FS Franz Arnold, Wien 1963, S. 150 ff. (152). 42 Klaus Sch/aich, Diskussionsbeitrag, in: Essener Gespräche zum Thema Staat 37 38
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und der theologischen Fakultät. Ein dezisives Votum der Kirchenleitung würde demgegenüber die Entscheidung der Fakultät, die am Lehramt der Kirche ja ebenfalls Anteil hat, nicht bloß relativieren, sondern gegebenenfalls aufheben. Ich halte die Entscheidung der Evangelischen Kirche, auf die Rechtsmittel des Nihil obstat und der Missio canonica zu verzichten, aus innerkirchlichen Gründen für sachlich gerechtfertigt und angemessen, kann daher aus diesem Verzicht (auch wenn er unter Beteiligung des Ministers erfolgte) keine Paritätsverletzung ableiten. 2. Im Zusammenhang mit den (konstruierten) verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der kirchlichen Lehrbeanstandung ist bereits kurz die Frage im Raum gestanden, wie sich Art. 17 I StGG zum § 15 Protestantengesetz verhält. Das Protestantengesetz ist ein Ausführungsgesetz zum Art. 15 StGG, dem Kernartikel der Kirchenfreiheit 43 , der die selbständige Ordnung und Verwaltung der inneren Angelegenheiten der Kirche- und dazu gehört zweifellos auch die Ausbildung des geistlichen Nachwuchsesgrundrechtlich absichert, der zudem Besitz und Genuß der für Unterrichtszwecke bestimmten Anstalten garantiert. In diesen Formulierungen kommen allerdings die theologischen Fakultäten expressis verbis nicht vor, weil sie bisher traditionellerweise von der Wissenschaftsfreiheit des Art. 17 I StGG abgesichert wurden. Eine Folge dieser Sichtweise war dann freilich die Behauptung eines ausschließlich staatlichen Status dieser Fakultäten ungeachtet ihrer unbestritten auch kirchlichen Aufgaben (.. Doppelaufgaben-Theorie") 44 . Eine modifizierte Fassung dieser Überlegung begegnet in der .,Rechtsreflex-Theorie" 45 , die Einrichtung und Ausgestaltung der theologischen Fakultäten ausschließlich vom staatlichen Kulturauftrag (.,Teil der staatlichen Leistungsverwaltung zur geistigen und geistlichen Daseinsvorsorge für alle Staatsbürger ... ") begreifen. Da sie aber auch den Kirchen als hinreichende Vorbereitung für den geistlichen Beruf offen stehen, erweisen sie sich als ein die Kirchen .,begünstigender Rechtsreflex", .ohne jedoch der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der theologischen Fakultäten - der Kultur- und Wissenschaftspflege- eine weitere Aufgabe- die der Geistlichenausbildung- hinzuzufügen". und Kirche I 6/1982, S. I I 2 ff.; vgl. auch Wolfgang Huber, Kirche und Öffentlichkeit, Stuttgart 1973, S. 374. 43 Plöchl (Anm. 4), S. 26 f. 44 Christo Sybille Veigel, Der staatsrechtliche Status der theologischen Fakultäten, jur. Diss. Tübingen I 986, S. 59; Heim Mussinghoff, Theologische Fakultäten im Spannungsfeld von Staat und Kirche, Mainz I 979, S. 4 I 0 ff. 45 Veigel, S. 60.
Die Wiener evangelisch-theologische Fakultät
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Aus der Formulierung des§ 15 Protestantengesetz ergibt sich freilich, daß die genannten Theorien hinsichtlich der Wiener Evangelisch-theologischen Fakultät nicht greifen, daß die Generalklausel des ersten Satzes ("der Bund hat der Evangelischen Kirche ... den Bestand der Evangelisch-theologischen Fakultät an der Universität Wien ... zu erhalten") nicht bloß eine "Doppelaufgabe" der Fakultät im Blick hat, sondern einen echten "Doppelstatus" 46 , daß sie wohl staatliche Einrichtung ist und auch der staatlichen Verwaltung untersteht, aber nun eben auch einen "kirchlichen Charakter" besitzt. Diese deutlichere Akzentuierung der theologischen Fakultät als staatliche Einrichtung um der Kirche willen, als Konkretion der Religionsfreiheit hat auch bei den Expertengesprächen zur Ausarbeitung eines neuen Grundrechtskatalogs eine Rolle gespielt und dazu geführt, daß in dem neu formulierten Kirchenartikel dies ausdrücklich ausgesprochen wird 47 : " ... die innere Einrichtung und der Lehr- und Forschungsbetrieb der vom Staat erhaltenen Theologischen Fakultäten der Universitäten obliegt der zuständigen Religionsgenossenschaft"
An der Formulierung fällt auf, daß sie sich nicht nur an jene des Konkordates (Art. V § 1 Abs. 3) anlehnt, sondern sogar überbietet, daß sie der Intention nach aufnimmt, was den kirchlichen Verhandlungspartnern 1933 nicht oder nur in Gestalt einer Kompromißformel 48 gelungen war: Die innere Einrichtung sowie der Lehrbetrieb seien "grundsätzlich"(!) nach kirchlichen Vorschriften ("Deus Scientiarum Dominus") zu regeln. Vom Forschungsbetrieb war an dieser Stelle nicht die Rede. Auch wenn man diese Tendenz in Richtung einer deutlicheren kirchlichen Verankerung der Theologischen Fakultäten lebhaft begrüßen mag, so stellt sich doch die Frage, ob damit die Gewährleistung auf der Folie der Wissenschaftsfreiheit nicht zumindest gefährdet wird. Sollte daher eine Bezugnahme auf diese Grundrechtsverbürgung um des "Doppelcharakters" der Fakultäten wegen nicht zweckdienlich sein? Die Formulierung des Konkordates, die auf die ausdrückliche Benennung des Forschungsbetriebs verzichtet, kommt nicht infrage, und zwar deshalb, weil sie an einer falschen Stelle eine Trennung zwischen dem kirchlichen und staatlichen Charakter der Theologischen Fakultäten andeutet. 3. Die Theologischen Fakultäten werden üblicherweise zu den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche 49 gezählt, deren "ZusamVeigel, S. 61 f.; Campenhausen, Hdb. WissR., S. 1024. Hans R. Klecatsky, Die Religionsfreiheit in der Österreichischen Reform der Grund- und Freiheitsrechte, in: Menschenrechte- Volksgruppen- Regionalismus. FS Theodor Veiter, Wien 1982, S. 1 ff. (9). 48 Dazu Kremsmair, S. 179 f. 49 Albert Stein, Evangelische Kirche im Rechtsstaat Österreich, in: Ethel L. Behrend (Hg.), Rechtsstaat und Christentum, Bd. 2, München 1982, S. 239ff. (241). 46 47
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menwirken ... rechtlich notwendig ist, um die von beiden Seiten verfolgten Zwecke durchsetzen zu können" 50 . Auch wenn gegen diese heuristische Kategorie hierzulande Bedenken angemeldet wurden 5 1 (das Gemeinsame sei kein rechtlichP.s, sondern nur ein faktisches), plädiere ich für ein Beibehalten dieses Begriffs und begründe dies mit den spezifischen Gegebenheiten der Wiener Evangelisch-theologischen Fakultät 52 . Hier tritt der Doppelcharakter dadurch zutage, daß sich kirchliche und staatliche Interessen berühren, daß sich staatlicher und kirchlicher Rechtskreis teilweise überlagern und an neuralgischen Punkten zum Ausgleich gebracht werden: konfessionelle Bindung der Lehrkräfte 53 , "Fragerecht" der Kirchenleitung bei den theologischen Diplomprüfungen 54 • Erst das Zusammenwirken von Staat und Kirche läßt diese Fakultät zustandekommen; dieses Zusammenwirken wiederum setzt eine synchrone und einvernehmliche Regelung durch Kirche und Staat voraus, wie dies am Protestantengesetz und letztlich auch am Studienrichtungsgesetz exemplifiziert wurde.
50 Dirk Ehlers, Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, in: Zeitschrift für ev. Kirchenrecht 32 (1987), S. 158 ff. (173, 184); Franz-Georg von Busse, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978, S. 15; Johann Schima, Die gemeinsamen Angelegenheiten von Kirche und Staat, in: Österr. Juristenzeitung 1965, S. 533 ff., 565 ff.; Hans R. Klecatsky, Die Kirchenfreiheit in Österreich, in: Kirche und Staat. FS Fritz Eckert, Berlin 1976, S. 147ff. (156). 51 Gamp/, Staatskirchenrecht 1971, S. 41 f.; Helmuth Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien/New York 1984, S. 65. 52 Vgl. Schima, S. 541, 566, sowie (mit Vorbehalten) Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte, Wien 1963, S. 482 f. 53 Die etwas diffizile Frage, ob Assistenten zum Lehrkörper oder zum wissenschaftlichen Personal gehören, hat UOG § 70 lit. b so beantwortet, daß dieselben (ungeachtet ihrer nach Art und Umfang genau umschriebenen oder auf bestimmte Lehrveranstaltungen bezogenen Lehrbefugnis) zum wissenschaftlichen Personal i. S. des Protestantengesetzes zu zählen sind, also nicht zwingend der Evangelischen Kirche angehören müssen (kritisch dazu Kühner!, S. 493). Demgegenüber ist auf katholischer Seite dem gewandelten Assistentenbild Rechnung getragen und diese Gruppe in die konkordatäre Regelung eingebunden worden (vgl. Schwendenwein, S. 19, Anm. 82). Seit der Beamtendienstrechtsnovelle (BGBI. Nr. 148/1988) zählen die Universitätsassistenten zu den Hochschullehrern und unterliegen denselben konfessionellen Bindungen. So mit Recht lnge Gampl, Staatskirchenrecht, Wien 1989, S.130. 54 Albert Stein, Diskussion um das Bundesgesetz über das Studium der evangelischen Theologie, in: Österr. Archiv für Kirchenrecht 31 (1980), S.190f.
111. Kirchenrecht
DIÖZESANE GREMIEN DER VERMÖGENSVERWALTUNG IN ÖSTERREICH Von Hans Heimerl, Linz Die Verwaltung des Vermögens der Rechtsperson Diözese trägt in Österreich den Charakter der Vielschichtigkeit. Neben dem Diözesanbischof, seinem Generalvikar und der nichtkollegialen Behörde der Finanzkammer mit dem Ökonomen des can. 494 an der Spitze sind gemeinrechtlich und partikularrechtlich mehrere Gremien dar an beteiligt, deren Natur und Funktion sowie deren Koordinierung es darzustellen gilt. Die partikularrechtliche Situation ist im Flusse, hier ist der Stand vom Sommer 1989 nach den veröffentlichten Dokumenten (diözesane Amtsblätter1 und Schematismen) verarbeitet; darüber hinaus gibt es interne Regelungen, die zwar für die Praxis maßgebend, aber der Öffentlichkeit nicht ohne weiteres zugänglich sind. I. Der Vermögensverwaltungsrat (VVR)
Im Bereich der diözesanen Vermögensverwaltung ist das consilium a rebus oeconomicis das hervorragende Gremium. Der CIC schreibt seinen Bestand vor (can. 492 § 1). Die deutsche Bezeichnung nach der CIC-Übersetzung lautet •Vermögensverwaltungsrat", partikularrechtlich wird der VVR auch "(diözesaner) Wirtschaftsrat", "Vermögensrat" oder "Verwaltungsrat" genannt. Verhältnis zum Partikularrecht. Die Einsetzung des VVR in jeder Diözese ist präzeptiv. Er kann nicht mehr wie nach dem CIC/1917 can. 1520 § 2 durch eine Vorsorge gleichwertiger Art gemäß dem Partikularrecht ersetzt werden. Auch Mindestzahl und Eignung der Mitglieder, Funktionsperiode und Aufgaben sind gemeinrechtlich ihrer Substanz nach festgelegt, also nicht dispositives Recht. Nur in diesem Rahmen kann das Partikularrecht Konkretisierungen und Ergänzungen verfügen, die jedoch eine große Vielgestaltigkeit aufweisen können. Auch das Bestehen anderer Vermögensverwaltungsgremien neben dem VVR ist statthaft, sofern diesem seine gemeinrechtlich fixierten Kompetenzen nicht genommen werden. 1 Die diözesanen Amtsblätter werden hier nur mit Angabe von Diözese, Jahrgang und Seite zitiert.
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Zahl der Mitglieder. Nach can. 492 § 1 sitzt dem VVR der Diözesanbischof oder sein Beauftragter vor und er muß aus wenigstens drei Mitgliedern bestehen. Dieser Dreierzahl ist der Bischof oder sein Vertreter nicht zuzuzählen. Das ergibt sich aus der Änderung gegenüber CIC/1917 can. 1520 § 1: Dort bestand der Rat aus dem Bischof als Vorsitzenden und zwei oder mehr Männern; jetzt aber wird der Vorsitzende stärker von den Mitgliedern abgehoben, aus denen der Rat besteht. Auch sachlich steht der Bischof in den meisten Fällen dem Rat gegenüber, sei es als nicht mitstimmender Konsenswerber bei Veräußerungen (can. 1292 § 1) oder bei Akten der außerordentlichen Verwaltung (can. 1277) 2 , sei es, daß er dem Rat Weisungen über den Haushaltsplan erteilt (can. 493) oder ihm die Rechnungslegung der untergeordneten juristischen Personen zur Prüfung übergibt (can. 1287 § 2). Eignung der Mitglieder. Die Mitglieder des VVR müssen in wirtschaftlichen Fragen sowie (necnon) im weltlichen Recht wirklich erfahren (periti) sein. Der nächstliegende Sinn dieser Bestimmung scheint zu sein, daß jedes Mitglied in jeder der beiden Materien sachverständig sein soll. Man wird sie aber auch so verstehen dürfen, daß die Mitglieder in ihrer Gesamtheit Erfahrungen auf beiden Gebieten aufweisen müssen, aber für das einzelne Mitglied entweder wirtschaftliche oder zivilrechtliche Erfahrung genügt. Die pastorale Zielsetzung des Kirchenvermögens wie auch der gesamten bischöflichen Kurie (can. 469) 3 kann und soll durch Priester, die zugleich in der Seelsorge stehen, als Mitglieder in den VVR eingebracht werden; aber sie müssen ein Mindestmaß der ausdrücklich geforderten Sachkompetenz in wirtschaftlichen und (oder) zivilrechtliehen Fragen mitbringen. Die Ratsmitglieder müssen Gläubige sein, die sich durch Integrität auszeichnen. Diese Integrität wird der Natur des Rates gemäß eine sowohl kirchliche als auch wirtschaftliche sein. Die kirchliche Integrität ist nicht näher umschrieben. Nichtkatholiken können jedenfalls nicht Mitglieder des Rates sein, sondern höchstens als Berater beigezogen werden. Die wirtschaftliche Integrität wird beeinträchtigt durch Verwicklung in Korruptionsfälle, aber auch durch Versagen (z. B. Konkurs). Begründeter Verdacht mangelnder Integrität wird einen Grund für vorzeitige Enthebung abgeben (can. 193 § 2). Vom VVR ausgeschlossen sind Personen, die mit dem Bischof bis zum 4. Grad blutsverwandt oder verschwägert sind (can. 492 § 3). Über die Eignung hat der ernennende Diözesanbischof nach seinem Ermessen zu urteilen. Ihr Fehlen hat nicht die Ungültigkeit der Ernennung, sondern nur ihre Aufhebbarkeit zur Folge (can. 149 § 2). Bestellung der Mitglieder. Die Mitglieder des VVR werden vom Bischof ernannt (can. 492 § 1 und 2). Der verwendete Ausdruck .nominare" beinhal2
3
Responsum der PCI vom 14.5.1985, II.
Vgl. Vat II LG 27.
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tet zwar keinen bestimmten Modus der Bestellung, wohl aber deren entscheidende Abhängigkeit vom Bischof. Da der sonst mitunter anzutreffende Zusatz "libere" nominantur (z. B. can. 497, 3; 547; 557) fehlt, kann partikularrechtlich anderen Gremien (z. B. dem Pastoralrat) ein Vorschlagsrecht zuerkannt werden, das allerdings nicht als verbindliche Präsentation im Sinn der cann. 158ff. verstanden werden darf. Noch weniger ist gegen eine Konsultation dieser Gremien einzuwenden. Statthaft ist eine Mitgliedschaft von Amts wegen, wenn der Bischof mit einem von ihm verliehenen Amt immer die Mitgliedschaft im WR verbindet; in diesem Falle geht ja die Ernennung von ihm aus.
Amtsdauer. Die Mitglieder des WR sind für fünf Jahre zu ernennen; nach Ablauf dieser Zeit können sie aber jeweils für weitere fünf Jahre berufen werden (can. 492 § 2). Die Enthebung vor Ablauf der Funktionsperiode unterliegt den Bestimmungen des can. 193 § 1: schwerwiegende Gründe, Einhaltung der festgelegten Verfahrensweise (mindestens analog der des can. 1720); schriftliche Mitteilung des Dekretes. Es ist nicht anzunehmen, daß die Mitgliedschaft im WR ein nach klugem Ermessen der zuständigen Autorität (ad nutum) übertragenes Amt darstellt. Die für ein solches Amt typischen Ausdrucksweisen des Gesetzes fehlen, vor allem aber könnte dann der Bischof aus gerechtem (nicht schwerwiegendem) Grund ohne besonderes Verfahren die Enthebung aussprechen (can. 193 § 3). Damit hätte er die Möglichkeit, Mitglieder, die ihm nicht genehme Entscheidungen treffen, ohne Schwierigkeit auszuwechseln, was die Abhängigkeit des Rates von ihm verstärken und dessen Zweck schwächen würde.
Fortbestand des früheren Verwaltungsrates? Das diözesane consilium administrationis des CIC/1917, can. 1520, entspricht in Wesen und Aufgaben weitgehend dem WR des geltenden Rechtes. Zwar kommen dem WR nun einige konkrete Kompetenzen zu, die unter den Aufgaben des consilium administrationis nicht genannt werden, die aber in dessen allgemeiner Beratungsfunktion bei wichtigeren Angelegenheiten in nuce enthalten waren. Es kann daher eine Kontinuität zwischen beiden angenommen werden. Wo diese Kontinuität ausdrücklich festgestellt oder praktiziert wurde, ist daher der frühere Verwaltungsrat in den WR des CIC/1983 übergegangen. Er muß allerdings dessen präzeptiven Erfordernissen entsprechen. Die Aufgaben des VVR. Der WR ist unmittelbares Verwaltungsorgan des Diözesanvermögens, teils durch Fällen grundlegender Entscheidungen, teils durch Beispruchsrechte. Außenvertretung kommt ihm nicht zu. Außerdem nimmt der WR durch Beispruchsrechte an der Aufsicht des Ortsordinarius über das Vermögen der ihm untergeordneten juristischen Personen teil.
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Im einzelnen hat er in der Verwaltung des Diözesanvermögens folgende Aufgaben: Haushaltsplan- und rechnung. Der VVR hat jährlich nach den
Weisungen des Diözesanbischofs einen Haushaltsplan über die Einnahmen und Ausgaben aufzustellen, die im kommenden Jahr für die gesamte Leitung der Diözese vorgesehen sind; nach Jahresablauf hat er die Haushaltsrechnung über Einnahmen und Ausgaben zu billigen (can. 493). Nähere Einzelheiten sind durch partikulares Recht, Gewohnheit und Weisungen des Diözesanbischofs zu regeln: Aufteilung in ordentlichen und außerordentlichen Haushalt, Nachtragsbudget u. dgl.
Beispruchsrechte. Der Diözesanbischof bedarf der Zustimmung des VVR zu Akten der außerordentlichen Verwaltung der Diözese, der Anhörung vor dem Setzen von Akten der Verwaltung, die unter Beachtung der Vermögenslage der Diözese von größerer Bedeutung sind (can. 1277). Notwendig ist die Zustimmung des VVR zu Veräußerungen und veräußerungsähnlichen Rechtsgeschäften (can. 1292 § 1; 1295); Anhörung bei Bestellung und Absetzung des Ökonomen (can. 494 § 1.2). Wenn der Ökonom bei Sedisvakanz zum Diözesanadministrator bestellt wird, hat der VVR für diese Zeit einen anderen Ökonomen zu wählen (can. 423 § 2). Der Ökonom muß dem VVR Rechnung legen (can. 494 § 4). Der VVR ist bei Auferlegung einer diözesanen Steuer für die notwendigen Bedürfnisse der Diözese anzuhören (can. 1263).
In der Aufsicht über das Vermögen anderer juristischer Personen kommen dem VVR Beispruchsrechte zu: Zustimmung zu Veräußerungen und veräußerungsähnlichen Rechtsgeschäften (can. 1292 § 1; 1295); Anhörung bei der Festlegung von Akten der außerordentlichen Verwaltung (can. 1281 § 2) sowie bei Anlegen und Veränderung von Stiftungen (can. 1305; 1310 §2); Überprüfung der Rechnungslegung der dem Diözesanbischof unterstehenden juristischen Personen (can. 1287 § 1). Österreichisches Partikularrecht 4
Wien: Zusammensetzung: Diözesanbischof als Vorsitzender, Mitglieder von Amts wegen Generalvikar, die territorialen Bischofsvikare, Kanzler, Ökonom = Leiter der FK, Leiter des Bauamtes, Leiter der Rechts- und Liegenschaftsabteilung. Ernannte Mitglieder: höchstens 2 wirtschaftlich erfahrene Laien. -Aufgaben: Beispruchsrechte gemäß CIC, die näher umschrieben werden; Genehmigung des Haushaltsplanes und des Rechnungsabschlusses der Erzdiözese nach Beratung durch den DKR; Genehmigung der Beschlüsse des DKR über das Ausmaß der Kirchenbei träge; Anordnung von Maßnahmen, die sich aus Prüfungsberichten ergeben; Aufgaben über besondere Zuweisung durch den Ordinarius. Arbeitsweise: Sitzungen min4 Wien 1984, 97; 1987, 3; Linz 1984, 42; St. Pölten 1984, 73; Salzburg 1984, 68; Schematismen: Graz 1986, Gurk 1988; Innsbruck 1985; Eisenstadt 1985.
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destens einmal monatlich; Beschlußfähigkeit bei Anwesenheit des Diözesanbischofs oder Generalvikars und von 4 Mitgliedern; Beschlüsse mit einfacher Mehrheit, bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende. Linz: Der DKR ist mit der Funktion des Wirtschaftsrates (VVR) betraut. St. Pölten: Für den diözesanen Wirtschaftsrat wurde eine Geschäftsordnung erlassen, die auch Wesen und Aufgaben beschreibt.- Wesen: Organ der Diözesankurie gemäß can. 492 ff. -Aufgaben: Gemäß dem allgemeinen oder partikularen Recht oder aufgrundvon Zuweisung durch den Diözesanbischof. -Zusammensetzung: Vorsitzender und 4 weitere Mitglieder. Arbeitsweise: Beschlußfähigkeit bei Anwesenheit von 3 Mitgliedern, Beschlüsse mit absoluter Mehrheit, bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende. Salzburg: Der VVR ist das Konsistorium. Graz-Seckau: Diözesan-Vermögensrat (Wirtschaftsrat), Vorsitzender der Generalvikar, 6 Mitglieder (nicht identisch mit dem •Verwaltungsausschuß"). Gurk: Diözesan-Verwaltungsrat unter Vorsitz des Diözesanbischofs, Leiter der Generalvikar, 8 Mitglieder. lnnsbruck: Der VVR ist mit dem DKR gleichgesetzt. Eisenstadt: Der diözesane Wirtschaftsrat wird noch errichtet.
II. Das Konsultorenkollegium (Domkapitel) und pastorale Gremien Das Konsultorenkollegium ist weder ausschließlich noch primär Organ der diözesanen Vermögensverwaltung. Seine bedeutsamsten Aufgaben hat es bei Behinderung und Vakanz des bischöflichen Stuhles zu erfüllen. Bei besetztem Bischofsamt allerdings kommen ihm nur Funktionen der Vermögensverwaltung zu, jedoch weniger als dem VVR. Es hat nur Beispruchsrechte, nicht aber Entscheidungen zu treffen. Das Konsultorenkollegium besteht aus 6-12 Mitgliedern, die vom Bischof aus dem Priesterrat für fünf Jahre berufen werden. Die Bischofskonferenz kann beschließen, daß die Aufgaben des Konsultorenkollegiums dem Domkapitel übertragen werden (can. 502). Dies ist in Österreich der Falts. Innsbruck und Feldkirch haben keine Domkapitel. Dem Konsultorenkollegium bzw. dem Domkapitel kommen als zweitem Beratungsgremium neben dem VVR folgende Beispruchsrechte in der diözesanen Vermögensverwaltung zu: Anhörung bei Einsetzung und Absetzung 5
Amtsblatt der Österr. Bischofskonferenz 1, n. 8, bzw. 3, n. 33.
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des Ökonomen (can. 494 §§ 1, 2), vor Setzen von Akten der diözesanen Vermögensverwaltung von größerer Bedeutung; Zustimmung zu Akten der außerordentlichen Verwaltung (can. 1277) und zu Veräußerungen (can. 1292 § 1; can. 1295). Der Priesterrat unterstützt den Bischof bei der Leitung der Diözese im Hinblick auf die Pastoral (can. 495 § 1). Unter diesem Gesichtspunkt ist er neben dem VVR vor Auferlegung einer diözesanen Steuer anzuhören, ebenso vor Erlassen von Vorschriften über die Verwendung der Stolgebühren, die einem anderen als dem Pfarrer gegeben werden, und dessen Vergütung (can. 531). Diese vermögensrechtlichen Funktionen sind neben der pastoralen Hauptaufgabe geringfügig, der Priesterrat kann daher nicht als Organ der Vermögensverwaltung angesehen werden. Der diözesane Pastoralrat ist seiner Aufgabenstellung im CIC (can. 511) wie auch seiner partikularrechtliehen Entwicklung nach wesentlich kein Organ der Vermögensverwaltung. Aus der Erkenntnis heraus, daß das pastorale Wirken auch der materiellen Grundlage bedarf, gibt es aber Tendenzen, dem Pastoralrat auch Kompetenzen im Bereich des Vermögensrechtes zuzuordnen, z. B. über das Budget6 . Dadurch die Funktionen der gemeinrechtlich vorgesehenen diözesanen Verwaltungsorgane auszuhöhlen, wäre ungesetzlich. Manche Formen der Einflußnahme wie etwa Vorschlagsrechte oder Verschränkungen mit partikularrechtliehen Organen sind dem Gestaltungsraum des Partikularrechts anheimgestellt.
III. Konsistorium Während unter Konsistorium in manchen deutschen Diözesen das Diözesangericht verstanden wird, war in den alten Österreichischen Diözesen das Konsistorium ein vom Bischof frei gewähltes Ratskollegium, dem meist die Domkapitulare, aber auch andere ernannte Mitglieder angehörten. Als Beratungsgremium unterstützte es den Bischof in allen wichtigen Angelegenheiten der Leitung der Diözese, auch in der Vermögensverwaltung. (Es bildet eine Parallele zum .Allgemeinen geistlichen Rat" in Bayern). - In Salzburg war es nach diözesanem Gewohnheitsrecht für die Genehmigung von Veräußerungen im engeren und weiteren Sinn zuständig, ohne daß das darin integrierte Domkapitel als zweites Gremium sein Beispruchsrecht ausübte 7. In den nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Diözesen Eisenstadt, Innsbruck und Feldkirch besteht kein Konsistorium. Wien weist keines mehr auf, in Linz und St. Pölten ist es mit dem Domkapitel identisch; in Graz6 Vgl. R. Puza, HdbKathKR 902. 7
Salzburg 1974, 120.
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Seckau hat es manche Veränderungen erfahren. In Gurk besteht das Konsistorium aus den Amtsleitern der bischöflichen Kurie, in Salzburg - wo nun das Konsistorium mit dem VVR zusammenfällt - umfaßt es außer den Domkapitularen zwei Priester. 8 Das Konsistorium hat Einfluß auf die Willensbildung (nicht aber die Außenvertretung) des Diözesanvermögens, soweit es der Diözesanbischof zur Beratung heranzieht und in Abgrenzung zu den gemeinrechtlich vorgeschriebenen Organen.
IV. Diözesankirchenrat (DKR) 9 Der DKR ist mit der Einführung der Kirchenbeiträge entstanden und diente ursprünglich und vor allem dazu, deren Ausmaß generell festzusetzen sowie den Haushaltsplan der Diözese im Hinblick auf die Verwendung der Kirchenbeiträge zu beschließen. Er war als Vertretungsorgan der Kirchenbeitragspflichtigen gedacht9•. Durch die verpflichtende Einführung des VVR mußte sich seine Funktion bezüglich des Haushaltsplanes und des Rechnungsabschlusses modifizieren. In Wien ist eine Abgrenzung insofern erfolgt, als der DKR den Haushaltsplan und den Rechnungsabschluß berät, der VVR ihn genehmigt. Über das Ausmaß, in dem die Kirchenbeiträge einzuheben sind, faßt der DKR einen Beschluß, der vom VVR genehmigt wird. Auch bei Maßnahmen der Erzdiözese von größerer wirtschaftlicher Bedeutung berät der DKR den Erzbischof, der nach gemeinem Recht außerdem dem VVR anzugehören hat. Weitere Aufgaben können ihm von Diözesanbischof, vom Wirtschaftsrat oder vom Pastoralen Diözesanrat - dessen Ausschuß er ist - zugewiesen werden. In den Diözesen, deren DKR-Ordnung ihre letzte promulgierte Fassung vor dem neuen CIC erhalten hat, sind seine Aufgaben: Beschlußfassung über Haushaltsplan der Diözese, Beschlußfassung über das Ausmaß, in welchem die Kirchenbeiträge einzuheben sind, Überprüfung der Finanzgebarung der Finanzkamm er, Überprüfung des Rechnungsabschlusses. Außerdem hat der DKR die sonstigen Aufgaben zu erfüllen, welche ihm vom Ordinarius übertragen werden (Eisenstadt, Gurk, Graz, Linz, St. Pölten, Feldkirch). Er wird als das oberste Finanzorgan der Diözese bezeichnet (Gurk, Linz, ähnlich Feldkirch). Vgl. die Schematismen. DKR-Ordnungen: Wien 1988, 90; Salzburg 1986, 145; Eisenstadt 1978, 10; Linz 1975, 163; Graz 1976, 60; Gurk 1979, 46; Feldkirch 1971, 5; St. Pölten vom 1.1.1963, nicht publiziert. 9• S. Ritter, Die kirchliche Vermögensverwaltung in Österreich, Salzburg 1954, 152. 8
9
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Der DKR besteht aus 6-13 Mitgliedern, von denen zwei Drittel Laien sind. Die Bestellung erfolgt durch den Diözesanbischof auf 5 oder 6 Jahre. Mitunter haben Domkapitel (St. Pölten), Priesterrat (Graz, Eisenstadt) oder Diözesaner Pastoralrat (Graz, Gurk) Vorschlagsrechte. In Wien müssen 4 Mitglieder dem Pastoralen Diözesanrat angehören, mit dessen Amtsperiode sich auch die des DKR deckt. Die Bestimmungen über die Arbeitsweise sehen ziemlich einheitlich ein Präsenzquorum von der Hälfte der Mitglieder und Beschlußfassung durch die Mehrheit der Anwesenden vor. Die Beschlüsse bedürfen der Bestätigung durch den Diözesanbischof. Der DKR ist berechtigt, die laufende Gebarung der Finanzkammer zu überprüfen (Feldkirch, Salzburg, Eisenstadt, Gurk, Linz, St. Pölten). - In Wien besteht eine Kontrollstelle, die aber nun ein Organ des VVR ist und die Gebarung aller Diözesan-Dienststellen und Einrichtungen überprüft. Die Prüfungsberichte sind dem DKR zur Kenntnis zu bringen. Die Gültigkeit von Rechtsgeschäften ist nicht von Beschlüssen des DKR abhängig. Ihm kommt keine Außenvertretung zu. V. Verbindung von Verwaltungsgremien Diözesane Organe der Vermögensverwaltung stehen partikularrechtlich mitunter in gemeinrechtlich nicht vorgesehenen Beziehungen. Von der sachlichen Abgrenzung zwischen DKR und WR wurde bereits gesprochen. Personell gibt es die Deckung eines Gremiums mit einem anderen oder deren teilweise Überschneidung, es kommt aber auch vor, daß ein Gremium für einen Teil seiner Aufgaben ein anderes oder einzelne Amtsträger delegiert. In Linz ist der DKR mit der Funktion des Wirtschaftsrates (WR) betraut. Für die Zustimmung zu Veräußerungen wurde ein Ausschuß eingesetzt, dem zwei Domkapitulare (unter 5 Mitgliedern) angehören. In St. Pölten gehören der Vorsitzende (Generalvikar) und 1 Mitglied zugleich dem WR und dem DKR an ... Erfolgt durch den Vorsitzenden (des WR) eine Einladung zu einer Sitzung des DKR, so gilt diese Einladung zugleich als Einladung zu einer Sitzung des diözesanen Wirtschaftsrates mit gleicher Tagesordnung" 10 • In Salzburg wurde mit Berufung auf das Partikularrecht das Konsistorium mit dem WR gleichgesetzt. Dieses delegiert die Genehmigung des Haushaltsplanes und des Jahresabschlusses nach Überprüfung und Stellungnahme zur endgültigen Beschlußfassung an den DKR. Angelegenheiten von 10
Geschäftsordnung des WR § 3.
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geringer Bedeutung bis zu einer bestimmten Höchstgrenze überträgt es dem Vorstand der Finanzkammer. Das Konsistorium, das also zugleich VVR ist, besteht aus dem Dornkapitel und nur zwei weiteren Mitgliedern. Das Domkapitel seinerseits kann sein Anhörungsrecht in einzelnen Agenden delegieren11. In Graz sind einige Domherren Mitglieder des VVR. Statutengemäß können sie vom Gesamtkapitel durch einstimmigen Beschluß auf begrenzte Zeit delegiert werden, die Beispruchsrechte bei Veräußerungennamens des Kapitels auszuüben; dies wird jedoch im Interesse der Trennung der Gremien nicht praktiziert 12 . In anderen Diözesen gehört de facto das eine oder andere Mitglied des VVR zugleich dem Domkapitel an. -Der Direktor der Finanzkammer ist oft auch Mitglied des VVR. - Mitglieder des diözesanen Pastoralrates oder des Priesterrates sind da und dort auch Mitglieder des VVR 13 . Vom Stand des geltenden ius commune ist zu derlei Verbindungen folgendes zu sagen:
Überschneidungen eines gemeinrechtlichen Verwaltungsorganes (collegium consultorum I Domkapitel oder VVR) mit einem partikularrechtliehen Gremium der Vermögensverwaltung oder mit einem an sich nicht mit der Vermögensverwaltung betrauten (z. B. Pastoralrat) stoßen auf keine Einwände. Die Vermeidung einer Multiplizierung von Organen kann dies sogar nahelegen. Insbesondere ist die Gleichsetzung des DKR mit den VVR wegen der gleichen Hauptaufgabe des Diözesanbudgets sinnvoll. Gegen Überschneidungen des Konsultorenkollegiums (Domkapitels) mit dem VVR ist jedoch darauf hinzuweisen, daß der CIC deutlich zwei voneinander unabhängige Gremien mit gewissen Beispruchsrechten ausstatten wollte, um Akte der außerordentlichen Verwaltung besser abzusichern. Die volle Deckung beider Gremien widerspricht sicher dem Buchstaben des gemeinen Rechtes, die Integration des einen in das andere wenigstens dem Sinn des Gesetzes; formell bleibt die Verschiedenheit der Gremien gewahrt, wenn außer dem integrierten Kollegium (faktisch: Domkapitel oder dessen Delegierte) noch andere Mitglieder dem zweiten Gremium (VVR) angehören. Allerdings müßten die Gremien getrennt abstimmen, wenn nicht von vornherein Einstimmigkeit besteht. Die Mitgliedschaft einiger- relativ weniger- Personen in beiden Räten widerspricht nicht deren Verschiedenheit; sie kann sich bei Mangel an geeigneten Persönlichkeiten als naheliegend erweisen. 11 12 13
Salzburg 1984, 14. Statuten und Auskunft Domdechant J. Reinisch. Quellen, wenn nicht anders angegeben, wie für VVR und DKR.
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Das Bedenken, daß das Konsultorenkollegium seiner Konzeption nach vom Diözesanbischof und seiner Kurie unabhängig sein soll, die Mitglieder des Domkapitels jedoch oft in die Kurie eingebunden sind 14 , gibt als Ziel die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Beratungsgremien auch in Vermögensangelegenheiten an. Die praktische Verwirklichung muß sich aber auch nach anderen Gegebenheiten und Traditionen richten und wird sich daher mit der Einhaltung des verpflichtenden gemeinrechtlichen Rahmens begnügen. Die Delegation des größeren Teiles der Kompetenzbereiche dürfte wohl der Intention des Gesetzes widersprechen. Aufgrund des allgemeinen Grundsatzes über die Delegierbarkeit der ausführenden Gewalt (can. 137 § 1) ist aber gewiß die Delegation einiger Teilbereiche statthaft, für weniger wichtige Angelegenheiten auch sinnvoll. Die im Rechtsleben übliche und auch vom Kirchenrat praktizierte Gepflogenheit, gremiale Aufgaben durch Ausschüsse erledigen zu lassen (vgl. can 174; 502 § 1), kann wohl auch in den diözesanen Vermögensverwaltungskollegien angewendet werden. Überdies wird die Delegation in manchen Fällen als bloßer Auftrag zur Durchführung verstanden werden. Der Beschluß, Kompetenzen eines Kollegiums zu delegieren, bedarf der Einstimmigkeit, da dadurch jeder einzelne auf sein Stimmrecht in der Sache selbst verzichtet (vgl. can 119 3°; 174, § 1). Während der CIC das Gewicht aufsachorientierte Gremien legt, bewahrt das Österreichische Partikularrecht daneben Linien der älteren und neueren Tradition, die auch vom Gedanken der Teilhabe des Volkes Gottes geprägt sind. Bei der notwendigen Koordinierung in treuer Durchführung des CIC sollten diese Gesichtspunkte nicht untergehen.
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H. Schmitz, HdbKathKR 359 f.
BETRACHTUNGEN ZUM PROBLEM DES AMTLICHEN VERSPRECHENSEIDES Von Heribert Franz Köck, Linz I. Einleitende Bemerkung
Als Militärordinarius von Österreich ist der Jubilar, dem diese Festschrift gewidmet ist, Seelsorger in einem Bereich staatlicher Tätigkeit, in der der Fahneneid lange Zeit hindurch eine wichtige Rolle als rechtlich-moralisches Instrument gespielt hat 1 . Es erscheint daher nicht unangebracht, im Vorliegenden, vom Problem des Fahneneides angeregt, den amtlichen Versprechenseid ganz allgemein auf seine religiös-sittliche Bedeutung hin zu untersuchen. II. Begriff
Unter einem Versprechenseid wird im folgenden jede Anrufung Gottes als Bürge eines Versprechens verstanden 2 ; unter einem amtlichen Versprechenseid jeder solche Eid, den jemand in Zusammenhang mit einer Würde oder Funktion in Staat oder Kirche abzulegen hat. Zwar hat die fortschreitende Säkularisierung in vielen Staaten dazu geführt, daß dem Eid sein ursprünglich wesensmäßig religiöser Charakter genommen wurde, damit also bloß noch die Worthülse erhalten blieb, soweit nicht auch diese durch den Terminus "Gelöbnis" oder dgl. ersetzt wurde 3. Andererseits hat sich der 1 Handelte es sich doch um eine eidliche Verpflichtung des Soldaten zu Treue und Gehorsam bis zum Tode. Der Name stammt von der Praxis, jeden Soldaten bei Eintritt in den Dienst auf die Fahne schwören zu lassen. Nur der Artillerist legte lange Zeit zwei Finger auf das Geschütz und leistete so seinen Kriegereid. Vgl. Hermann J. Meyer, Neues Konversations-Lexikon, VI (2. Auf!. Hildburghausen 1863), 573. 2 Vgl. Georg Holzherr, .Eid. III. Moraltheologisch.", lose/Höferund Kar/ Rahner (Hrg.), Lexikon für Theologie und Kirche III (2. Auf!. Freiburg 1959), 728. 3 So bestimmt§ 39 des (österreichischen) Wehrgesetzes (wiederverlautbart BGBl 150/1978): Nach erstmaligem Antritt des Dienstes hat jeder Wehrpflichtige ein Treuegelöbnis zu leisten. Das Treuegelöbnis lautet: "Ich gelobe, mein Vaterland, die Republik Österreich, und sein Volk zu schützen und mit der Waffe zu verteidigen; ich gelobe, den Gesetzen und den gesetzmäßigen Behörden Treue und Gehorsam zu
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amtliche Versprechenseid religiösen Charakters noch in zahlreichen Staaten erhalten; und auch dort, wo dies nicht der Fall ist, sieht das staatliche Recht gelegentlich die Möglichkeit der freiwilligen Hinzusetzung einer religiösen Bekräftigung (z. B. .,So wahr mir Gott helfe") vor 4 . Der amtliche Versprechenseid spielt daher auch im staatlichen Bereich noch eine gewisse Rolle 5 ; seine Abverlangung ist ebenso wie die des kirchlichen amtlichen Versprechenseides nach herrschender kirchlicher Lehre 6 grundsätzlich nicht verboten 7. 111. Zweck
Sowohl der staatliche wie der kirchenamtliche Versprechenseid beabsichtigen, eine besondere Bindung des den Eid Ablegenden zu erreichen. Der Eid leisten, alle Befehle meiner Vargesetzten pünktlich und genau zu befolgen und mit allen meinen Kräften der Republik Österreich und dem Österreichischen Volke zu dienen." 4 So bestimmt Art. 62 des Österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 i.d.F. von 1929: (1) Der Bundespräsident leistet bei Antritt seines Amtes vor der Bundesversammlung das Gelöbnis: ,.Ich gelobe, daß ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beoachten und meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde." (2) Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig. 5 So sieht die Österreichische Strafprozeßordnung 1975 in§ 240 die Beeidigung von Schöffen, in§ 305 die Beeidigung von Geschworenen vor, wobei die vom Vorsitzenden vorzu•ragende Eidesformel mit .Sie schwören und geloben vor Gott" beginnt und ,.wie Sie es vor Gott und ihrem Gewissen verantworten können" schließt. Ebenso sind Sachverständige nach§ 121 und 247 StPO zu beeiden. Dasselbe gilt für Sachverständige nach§ 358 der Österreichischen Zivilprozeßordnung 1895. In diesen Fällen sind die Bestimmungen des Gesetzes vom 3. Mai 1868, RGBI. 33/1868, zu beachten. Der Eid beginnt mit den Worten .Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden einen reinen Eid" und endet mit .So wahr mir Gott helfe". Ganz allgemein mit der Verantwortlichkeit der Staatsorgane setzt Herber! Schambeck, .. Verantwortlichkeit nach österreichischem Bundesverfassungsrecht", Humanes und Urbanes. Festschrift für Viktor Wallner (St. Pölten 1982), 117 ff., derartige Eide oder Gelöbnisse in Beziehung und läßt in deren Ablegung die Verantwortlichkeit ihren besonderen Ausdruck finden (auf 120). 6 Vgl. Ho/zhen (oben, Anm. 2), 728 f.; Joseph Lederer, .. Eid. IV. Kirchenrechtlich", ibid., 729. 7 Es verdient Erwähnung, daß beim Aussageeid die im staatlichen Gesetz für Meineid vorgesehenen Strafen im allgemeinen aber auch jene treffen, die (z. B. wegen Konfessionslosigkeit) ihrerseits bei Eidesablegung zu keiner Anrufung Gottes verpflichtet sind. So werden nach der Österreichischen Strafprozeßordnung Personen, die keinem Religionsbekenntnis angehören oder deren Bekenntnis die Eidesleistung untersagt, durch Handschlag verpflichtet, ohne daß sie die Worte: .Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe" sprechen müssen. Trotzdem gilt auch für sie die Strafdrohung des§ 288 (2) des Strafgesetzbuches 1974 gegen Meineid: .Einem Eid steht ... bei
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soll für ihn eine neue Verpflichtung aufgrund der Tugend der Verehrung Gottes schaffen8 , dessen Namen er ja bei der Eidesablegung angerufen hat. IV. Eigenständige oder akzessorische Verpflichtung? Das eigentliche Problem des amtlichen Versprechenseides ist nun, ob die durch ihn zu begründende Verpflichtung für sich selbst bestehen kann, oder ob sie stets nur akzessorisch ist, also lediglich zu einer bereits aufgrundeines bestehenden Pflichtverhältnisses existierenden Verpflichtung hinzutritt. Diese Problematik hat u. a. im deutschen Widerstand gegen Hitler eine Rolle gespielt, wo sich z. B. einzelne Offiziere durch den dem Führer geleisteten Fahneneid wirksam gebunden und damit an einer Widerstandstätigkeit gehindert erachteten 9 . Die gleiche Problematik kann aber auch im kirchlichen Bereich auftreten. War z. B. der früher vor Antritt bestimmter kirchlicher Funktionen abzulegende Antimodernisteneid 10 geeignet, das Prinzip der legitimen theologischen Freiheit einzuschränken 11 , indem er alle, die ihn abgelegt hatten, auf eine bestimmte theologische Schule festlegte bzw. eine solche ausschloß 12 ? Personen, die von der Pflicht zur Eidesleistung befreit sind, die anstelle des Eides vorgesehene Beteuerung gleich." 8 Vgl. Holzherr (oben , Anm. 2), 729. Nach Thomas von Aquin, Summa Theologiae II/2, q. 89, art. 4, ,iuramentum est actus religionis sive latriae". Der Eid sei religiöser Natur, soweit er das göttliche Zeugnis anrufe und bezeuge durch diese Anrufung die Größe Gottes. Daß der Zweck des Eides die Bekräftigung einer Aussage oder eines Versprechens sei, stehe dem nicht entgegen, ,quod omnia quae facimus debemus in Dei reverentiam facere. Et ideo nihil prohibet si in hoc ipso quod intendimus hominem certificare, Deo reverentiam exhibeamus. Sie enim debemus aliquid in Dei reverentiam facereut ex hoc utilitas proximis proveniat: quia etiam Deus operatur ad suam gloriam et nostram utilitatem." 9 V gl. z. B. Hans von Herwarth, Zwischen Hit! er und Stalin. Erlebte Zeitgeschichte 1931-1945 (Frankfurt/M.- Berlin-Wien 1982), 321. 10 Zur Vorgeschichte des Antimodernisteneides vgl. Roger Aubert, "Die modernistische Krise", Hubert Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte Vl/2 (Freiburg-Basel-Wien 1973), 435 ff., bes. Kap. 33: "Eingriff der kirchlichen Obrigkeit und die integralistische Reaktion", 475 ff. Vgl. auchJohannes Chr. Pilz, ,Antimodernisteneid", Höfer/Rahner (oben, Anm. 2) I (1957), 640 f. 11 Vgl. dazu schon Joseph Mausbach Der Eid wider den Modernismus und die Freiheit der Wissenschaft (Münster 1911 ). Es ist im übrigen bemerkenswert, daß die deutschen theologischen Universitätsdozenten auf Ersuchen des Episkopats damals von der Eidesleistung befreit wurden, wohl aus Sorge, Lehre und Forschung der Theologie würde jeden Kredit als wissenschaftliche Disziplin verlieren. Vgl. Aubert (oben, Anm. 10), 484; und Rudolf Lill, ,Der deutsche Katholizismus zwischen Kulturkampf und 1. Weltkrieg", ibid., 515 ff., auf 526. 12 In dem immerhin noch zur Regierungszeit Pius XII. erschienenen I. Band der 2. Auf!. des von Höfer/Rahner hrg. Lexikons für Theologie und Kirche (Freiburg/Br.
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Erst kürzlich hat ein neuer Treueeid 13 samt neuer Fassung des G/aubensbekenntnisses14 für einen großen Kreis kirchlicher Amtsträger 15 sowie der den Bischöfen schon 1972 vorgeschriebene Treueeid 16, dem nunmehr das Glaubensbekenntnis ebenfalls in der neuen Form angeschlossen ist 17 , und der wohl deshalb, vielleicht auch überhaupt erst in Zusammenhang mit der Diskussion um den neu vorgeschriebenen Treueeid 18 größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, die Gemüter erregt. Die einen kritisierten ihn als einen neuen Versuch Roms, die Bischöfe an die Kandare zu nehmen 19 , die anderen verteidigten solche Eide als legitimes Mittel, die kirchlichen Amtsträger zu mehr Gehorsam gegenüber dem Papst zu zwingen 20 . 1. Problemeingrenzung Es kann nicht Aufgabe der vorliegenden Überlegungen sein, in die Diskussion über den Inhalt der genannten Dokumente einzugreifen 21 • Was hier allein interessiert, und zwar - losgelöst von dieser konkreten Problematik -hinsichtlich des amtlichen Versprecheneides überhaupt, ist die Frage, ob 1957) stellt Pilz (oben, Anm. 10) zu dieser Frage fest: "Seine (d. h. des Antimodernisteneides; Anm. des Verf.) innere Verpflichtung ist die, die den darin ausgesprochenen kirchlichen Lehren sonst jeweils zukommt." Auf 640. 13 Text in L'Osservatore Rarnano vom 25. Februar 1989. 14 Text ibid. 15 Er wurde nämlich auch auf die in can. 833 nn. 5-8 CIC genannten Personenkategorien ausgedehnt; die Pflicht zur Ablegung eines Treueeides umfaßt nunmehr alle Teilnehmer eines Konzils, Bischöfe, Generalvikare, Offiziale, Pfarrer, Kirchenrektoren, Ordensobere, Seminar- und Universitätsprofessoren sowie alle Priester und Diakone; für die Bischöfe bleibt die besondere Eidesformel von 1987 in Kraft. 16 Text in Xaverius Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem iuris canonici editae V: Leges anni 1973-1978 editae (Rom 1980), 6440, No. 4161. Eine Übersetzung erschien im Materialdienst Sensheim 40/1989 sowie in der KATHPRESS 078/1989. 17 Nach der der Verlautbarung vorangestellten Formulierung "Formula deinceps adhibenda in casibus in quibus iure praescribitur Professio Fidei"; das sind dann aber dem Wortlaut nach alle Fälle, nicht nur jene, für die der neue Treueeid eingeführt wurde. 18 Vgl. Heiner Boberski, "Der neue Treueeid", Die Furche vom 10. März 1989. 19 "Theologen diskutieren um kirchliche Treueeide", KATHPRESS 078/1989 vom 21. April 1989. 20 Vgl. etwa Günther Weihsenböck, "Keiner wird gezwungen", Die Furche vom 31. März 1989. 21 Die theologische Diskussion darüber, die sich in Wahrheit bloß als Aspekt der Diskussion über Umfang und Grenzen der Kompetenz des kirchlichen Lehramtes überhaupt darstellt, hat ja erst kaum begonnen und wird wohl noch länger weitergehen. Zum Einstieg vgl. etwa D(avid) S(eeber), "Apostolischer Stuhl: Neue Eidesformeln für kirchliche Amtspersonen", 43 Herder-Korrespondenz (1989), 153 f.; auch oben, Anm. 19.
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durch einen solchen Eid eine über die schon an sich kraftAmtesbestehende Verpflichtung noch hinausgehende Treue- (bei Glaubensbekenntnissen wohl auch Glaubens- )Pflicht geschaffen werden kann.
a) Traditionelle Auffassung Eine solche Auffassung von einer von dem zugrundeliegenden Funktionsverhältnis unabhängigen, durch den Eid begründeten Verpflichtung hat im staatlichen wie kirchlichen Bereich Tradition. Ohne sie wegen des beschränkten Umfanges des Vorliegenden mit einer umfassenden Begründung versehen zu können, sei doch die These gewagt, daß diese Tradition einerseits stark vom germanisch-mittelalterlichen Lehensrecht mit seiner Treuebindung zwischen Dienstherrn und Dienstmann 22 , andererseits vom theologisch-juristischen Positivismus 23 beeinflußt ist, der bis zur Reformation in Form des voluntaristischen Nominalismus 24 in der Kirche das herrschende theologisch-kanonistische System darstellte 25 . Letzterer wurde zwar theologisch durch die von der Schule von Salamanca begründete Scholastik der Neuzeit 26 verdrängt; juristisch hat sich aber in der Kirche auch in der Folge der praktische Positivismus durchgesetzt2 7 und wurde durch die Ausbildung des römischen Zentralismus im 19. und 20. Jahrhundert eher noch verstärkt28. 22 Hans Thieme Claudius von Schwerin, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte (Berlin 1950), 27, 87, 161; Heinrich Brunner- Claudius von Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. II (Berlin 1958), 359 ff., bes. 363, 365. 23 Vgl. Alfred Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie (2. Aufl. Wien 1963), 85 und passim. 24 Vgl. auch Fernand Hoffmann, "Nominalismus!.", Joachim Ritter und Karlfried Gründer (Hrg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie VI (Basel 1984), 874 ff. 25 V gl. Erwin Iserloh, "Der Nominalismus. Die Universitäten zwischen via antiqua und via moderna", Hubert Jedin (Hrg.), Handbuch der Kirchengeschichte III/2 (Freiburg-Basel-Wien 1968), 425 ff. 26 Vgl. HubertJedin, "Die erneuerte Scholastik ... ", ibid. IV (1967), 561 ff.; Verdross (oben, Anm. 23), 92 ff.; auch Heribert Pranz Köck, Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten (Berlin 1987), bes. 16 ff. 27 Ein Umsichgreifen "gesetzespositivistischer Argumentation" beklagt gerade für die jüngste Zeit Richard Patz, "Brüderlicher Helfer. Das neue Kirchenrecht brachte eine Aufwertung der Legaten aus Rom", Die Furche vom 25. August 1989. 28 Vgl. dazu Rogert Aubert, .,Fortschritte des Ultramontanismus", Hubert Jedin (Hrg.), Handbuch für Kirchengeschichte VIII (Freiburg-Basel-Wien 1971), 416 ff.; dens., "Der Sieg des Ultramontanismus", ibid., Kap. 42 und 43,761 ff.: "Noch mehrals auf doktrinaler Ebene schien die römische Aktivität aber im praktischen Bereich der Disziplin systematisch vorzugehen. In Rom nahm man jede Gelegenheit wahr, um die von den Ultramontanen in den verschiedenen Ländern entfalteten Anstrengungen für eine engere Bindung an das Zentrum der Christenheit und eine Stärkung der päpstlichen Macht zu unterstützen und anzuregen." Ibid., 766. Dies zeigte auch
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Dies zeigt sich am deutlichsten im Versuch, die Geltung der Iex ecclesiastica ganz in Analogie zu dem seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
theoretisch und vor allem praktisch vorherrschenden "profanen" juristischen Positivismus 29 lediglich von zwei Formalkriterien abhängig zu machen, nämlich der Erlassung seitens des Gesetzgebers und der gehörigen Kundmachung 30 • Zwar hält die Kirchenrechtswissenschaft auch noch am Kriterium der Gemeinwohlgerechtigkeit des Gesetzes fest, sie scheint aber ebenso wie die Vemünftigkeit 31 offenbar präsumiert zu sein, so daß ihnen in der kirchlichen Praxis 32 sowenig wie in der weltlichen 33 eine Bedeutung zukommt.
negative Auswirkungen auf die katholischen Ostkirchen, die mit der fortschreitenden Unterwerfung unterden römischen Zentralismus immer weniger geeignet waren, als Brücke zur Orthodoxie zu dienen. Vgl. ibid., 767 f., sowie dens., .,Die Kirchen des orientalischen Ritus", ibid., 218 ff.- Erst der Pontifikat Leos XIII. brachte hier eine gewisse Wende zum Besseren. Vgl. Bernhard Stasiewski, .,Päpstliche Unionshoffnungen- Die selbständigen und die mit Rom unierten Ostkirchen", Jedin (oben, Anm. 10), Vl/2, 345 ff. -Vgl. auch Kurt Janssen, .,Zentralismus, Römischer Z.", Höfer/Rahner (oben, Anm. 2) X, 1348 f. 29 Vgl. Verdross (oben, Anm. 23), 180 f. und 188 ff.; Heinrich Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie (2. Auf!. München 1977), 486 ff., und die dort angegebene Literatur. 30 Vgl. Codex Iuris Canonici 1917, Can. 8 § 1: .,Leges instituuntur, cum promulgantur." Vgl. auch Codex Iuris Canonici 1983, Can. 7: .,Lex istituitur cum promulgatur." 31 Die Thomas von Aquin auch zu den essentia legis gerechnet hat; vgl. insbes. Summa Theologiae 11/1, qu. 90, Art. 1 und Art. 2. - Zur Auffassung der Schule von Salamanca vom positiven Recht und seiner Verbindlichkeit vgl. Köck (oben, Anm. 26), 48 ff. 32 Vgl. daher die Antinomie in den Ausführungen von Klaus Mörsdorf, .. Gesetz V. Im Kirchenrecht", Höferl Rahner (oben, Anm. 1) IV (1960), 824 f., der auf 825 einerseits die herrschende Auffassung zum Ausdruck bringt, wenn er sagt: .. Das kirchliche Gesetz ist hoheitlich gesetzte Norm und bedarf daher keiner Annahme durch die Gemeinschaft, an die es sich richtet"; andererseits versucht er sich dem positivistischen Dilemma dadurch zu entziehen, daß er fortfährt: .. Als Norm des freien Handeins ist es aber ein Ansprechen der Gemeinschaft, das in freier Entscheidung befolgt sein will. Darum ist die Aufnahme, welche die Gemeinschaft einem Gesetz zuteil werden läßt, bedeutsam für den rechtlichen Bestand des Gesetzes." Daß ihm dies nicht gelingt, nicht gelingen kann, solange er daran festhält, daß der Wille des Gesetzgebers das letztlich Entscheidende ist, zeigt seine Folgerung: ,Ein rein kirchliches Gesetz, das von der Gemeinschaft von Anfang an nicht aufgenommen oder später nicht mehr befolgt wird, verliert seine verpflichtende Kraft und verfällt, sofern der Gesetzgeber nicht auf der Beobachtung des Gesetzes besteht." (Hvhbg. vom Verf.) Der ibid. gegebene Hinweis auf das Gewohnheitsrecht erlaubt zwar eine Beurteilung a posteriori, hilft aber dem Einzelnen, der hic et nunc die Verbindlichkeit einer kirchenrechtlichen Norm für sich entscheiden muß, nichts. Letztlich treten hier dieselben Probleme auf, wie sie im weltlichen Bereich traditionellerweise unter dem Stichwort, Widerstandsrecht" behandelt werden. Vgl. dazu u. a. Herber! Schambeck, , Widerstand", Alfred Klose, Wolfgang Mantl und Valentin Zsifkovits (Hrg.), Katholisches Soziallexikon (2. Aufl. Innsbruck-Wien-München-Graz-Köln 1980), 3343 ff.
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b) Mögliche Gründe für die traditionelle Auffassung
Wenn man dementsprechend die persönliche Treuebeziehung zwischen der Institution bzw. ihrem Repräsentanten und dem Amtsträger für ein so konstitutives Element der Institution selbst ansieht, daß letzterer einer Anordnung der bzw. des ersteren Gehorsam selbst dann zu leisten hat, wenn er - unabhängig von dieser Anordnung - sich aufgrund seines Gewissens anders verhalten würde; oder wenn man davon ausgeht, daß wegen der Irrtumsmöglichkeit im Zuge menschlicher Erkenntnis eigentliche Verbindlichkeiten nur kraftpositiver Verpflichtung, zu der auch die Selbstverpflichtung zählt, bestehen 34 , dann kann der amtliche Versprechenseid freilich als selbständiger, wenn nicht alleiniger Verpflichtungsgrund angesehen werden. Unproblematisch ist der amtliche Versprechenseid auch dann, wenn man davon ausgeht, daß die Anordnungen der Institution bzw. ihres Repräsentanten immer schon deswegen verbindlich seien, weil aufgrundder unwiderleglich zu vermutenden Amtsgnade die ebenso unwiderlegliche Präsumtion besteht, daß diese Anordnungen sachlich richtiger seien als die eigenen Einsichten des Amtsträgers; denn hier kann ein Konflikt zwischen Versprechensinhalt und Gewissensforderung nicht auftreten 35 , der Eid bekräftigt nur eine ohnedies selbstverständliche Pflicht. 33 Zwar anerkennt z. B. das Banner Grundgesetz in Art. 20 Abs. 4- ähnlich wie einzelne deutsche Landesverfassungen - ein sog. Staatsnotwehrrecht, wonach jedermann das Recht hat, zur Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes Widerstand zu leisten, aber: .Hierbei handelt es sich nicht um das sog. klassische Widerstandsrecht, das gegebenenfalls auch gegen die Verfassungsordnung selbst gerichtet sein könnte, wenn diese ihrerseits nach Auffassung des Widerstandskämpfers mit überpositivem Recht unvereinbar ist ... Eine Verfassung, die ein Widerstandsrecht unter Berufung auf überpositives oder außerverfassungsrechtliches Recht zubilligen würde, höbe sich selbst auf." Karl Doehring, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland (2. Aufl. Frankfurt/M. 1980), 278. (Hvhbg. im Original.) 34 Für die Staatsethik läßt sich eine derartige Folgerung vor allem aus Luthers Ansatz von der natura corrupta des erbsündlichen Menschen her ableiten, die bei ihm folgerichtig zu seiner Zwei-Reiche-Lehre geführt hat, nach der der Einzelne auch der ungerechten staatlichen Anordnung unterworfen bleibt. Vgl. Verdross, (oben, Anm. 17), 89 f. Insoweit wird die protestantische Naturrechtslehre der Neuzeit- als .. Naturrechtslehre" an sich systemwidrig -von einem gewissen praktischen Positivismus beherrscht. Dies läßt sich besonders gut anhand der Staatslehre Pufendorfs zeigen. Vgl. ibid., 133. 35 Das entspricht mutatis mutandis ganz der von Pufendorf in seinem zusammenfassenden Werk Oe officio hominis et civis iuxta Iegern naturalem libri duo (1673), II, Cap. IX, § 5, vertretenen Auffassung, .daß die Bürger nicht nur naturrechtlich verpflichtet seien, die bestehende Verfassung zu achten, sondern auch das Staatsoberhaupt zu bewundern und zu verehren und über seine Handlungen nicht nur respektvoll zu sprechen, sondern auch zu denken." Verdross, ibid., 133, der zum Schluß
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c) Widerlegung dieser Gründe Diese traditionelle Auffassung vom amtlichen Versprechenseid erscheint jedoch als nicht haltbar, weil sie in jeder der drei genannten Varianten von Voraussetzungen ausgeht, die nur behauptet, aber nicht bewiesen, ja teilweise sogar widerlegt werden können.
d) Nicht Treue, sondern Gemeinwohlgerechtigkeit So ist das Treueband zwischen Institution bzw. ihrem Repräsentanten und Amtsträger keineswegs das wichtigste konstitutive Element der Institution selbst. Vielmehr steht und fällt jede Institution mit ihrer Fähigkeit, das der betreffenden Gemeinschaft spezifische Gemeinwohl zu verwirklichen 36 . Dieses Gemeinwohl ist aber seinerseits nichts anderes als die gemeinschaftsspezifische gerechte Ordnung 37 • Dementsprechend hat schon Thomas von Aquin festgestellt, daß Anordnungen der Obrigkeit u. a. nur dann verbindlich seien, wenn sie der Verwirklichung des bonum commune dienten38. Ein solches Kriterium kann aber nur dann sinnvoll aufgestellt werden, wenn man dem Rechtsadressaten zumindest grundsätzlich die Fähigkeit und das Recht zuspricht, Anordnungen der Obrigkeit auf ihre Gemeinwohlgerechtigkeit zu prüfen und sie bei negativem Befund nicht zu beachten 39 . Auch einen Amtsträger kann daher kein Treueband verpflichten, gemeinwohlwidrige Anordnungen zu befolgen.
kommt: .Auf diese Weise wird der stolze Bau der ... Naturrechtslehre schließlich entwertet und im wesentlichen zu einer Richtlinie für den aufgeklärten Gesetzgeber der absolutistischen Ära degradiert." 36 Vgl. Johannes Messner, Das Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik (7. Aufl. Berlin 1984), 790 ff. 37 Vgl. ibid., 189 ff. 38 Vgl. Summa Theologiae 11/1, qu. 96, Art. 4: ..... cum aliquis praesidens Ieges imponit onerosas subditis non pertinentes ad utilitatem communem ... " 39 Messner (oben, Anm. 36), 792, fordert für den Wegfall der Gehorsamspflicht die Gewißheit über die Ungerechtigkeit der in Frage stehenden Anordnung auf seiten des Normadressaten. Dafür genügt freilich die sog. moralische Gewißheit, also jene, die man sich nach menschlichem Ermessen in sachkundiger Weise verschafft hat. So auch schon Suarez, Oe legibus ac Deo legislatore I, Cap. 9, n. 9: ..... necessarium esse, ut de iniustitia legis certo moraliter constet: nam si res sit dubia, praesumendum est pro legislatore." Bernhard Häring hat in diesem Zusammenhang für den innerkirchlichen Bereich eine tatsächliche Änderung aufgrund der sich rasch verbreitenden theologischen Bildung reklamiert: .Mut zum Widerspruch. Im Spannungsdreieck von Gewissen, Lehramt und Gehorsam", Die Furche vom 19. Oktober 1989.
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e) Agnostizismus und falsche Autoritätsgläubigkeit Was die Auffassung anlangt, der Mensch sei von Natur aus nicht in der Lage, dieWahrheitund das Rechte zu erkennen, weshalb er auf die positive Anordnung einer Institution oder ihres Repräsentanten angewiesen sei, so widerspricht ein solcher Agnostizismus nicht bloß der traditionellen kirchlichen Naturrechtslehre 40 , sondern steht auch mit der eigenen Schlußfolgerung in Widerspruch, weil eine solche grundsätzliche Erkenntnisschwäche auch die die Verbindlichkeit der Anordnung einer Institution oder ihres Repräsentanten konstituierende Erkenntnis relativieren würde. Und die Auffassung, eine bestimmte Institution bzw. ihr oberster Repräsentant könne aufgrundbesonderer Amtsgnade nicht oder nur weniger irren als der Einzelne, müßte erst den Beweis führen, daß dieser Institution bzw. ihrem Repräsentanten in jedem oder doch zumindest in dem von einer bestimmten Anordnung erfaßten Sachbereich eine entsprechende Amtsgnade mit daraus erfließender Irrtumslosigkeit oder doch jedenfalls "besserer" Einsicht auch tatsächlich zukommt. Für den staatlichen Bereich würde es heute kaum mehr jemand wagen, eine solche These aufzustellen, weil sie aller menschlichen Erfahrung widerspricht; und auch im kirchlichen Bereich zeigt die genaue dogmatische Umschreibung jener Fälle, wo dem kirchlichen Lehramt (und nur diesem! 41 ) Unfehlbarkeit zukommt 42 , daß von einer generellen Irrtumslosigkeit der Institution oder ihres obersten Repräsentanten keine Rede sein kann. 2. Das Kriterium der rationalen Nachvollziehbarkeit Tatsächlich enthebt die Amtsgnade nämlich keinen (staatlichen wie kirchlichen) Amtsträger der Verpflichtung, seine Entscheidungen auf der Grundlage eines nach menschlichem Ermessen umfassend gesicherten 40 Vgl. PhilippDelhaye,PranzBöckleundKarl Rahner, "Naturrecht. 1.-IV.",Höfer/Rahner (oben, Anm. 2), VII (1962), 822 ff.; Pranz Böckle und Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrg.), Naturrecht in der Kritik (Mainz 1973); Johannes Messner, "Naturrecht", Katholisches Soziallexikon (oben, Anm. 32), 1890 ff. Vgl. auch Otfried Höffe, Klaus Demmer undAlexander Hollerbach, ,Naturrecht", Staatslexikon III (7. Aufl., hrg. von der Görres-Gesellschaft, Freiburg-Basel-Wien 1987), 1296 ff. 41 Also nicht z. B. dem Hirtenamt. Vgl. dazu Heribert Pranz Köck, ,Zur Frage der Zuständigkeit der Kirche für das Naturrecht", Alfred Klose, Herbert Schambeck, Rudolf Weiler und Valentin Zsifkovits (Hrg.), Ordnung im sozialen Wandel. Fest-
schrift für Johannes Messner zum 85. Geburtstag (Berlin 1976), 75 ff., auf 88 ff. Vgl. jüngst auch Bernhard Häring, ,Nur kleine Minderheit will absolutes Nein zur Pille", KATHPRESS 200/1989 vom 17. Oktober 1989, 1 f. 42 Vgl. zusammenfassend Alfred Lang, ,Unfehlbarkeit der Kirche", Höfer/Rahner (oben, Anm. 2), X (1965), 482 ff.
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Sachbefundes in rational nachvollziehbarer Weise zu treffen, weil die Gnade die Natur bekanntlich nicht ersetzt, sondern auf ihr aufbaut 43 • Wo eine solche rationale Nachvollziehbarkeit nicht gegeben ist, ja der Amtsträger sich vielleicht sogar über entgegenstehende Expertenmeinungen ohne sachliche Begründung hinweggesetzt hat, muß also die Berufung auf die Amtsgnade ins Leere gehen. Eine entprechende Nachprüfung - sei es aufgrund eigener Sachkenntnis, sei es aufgrundvertrauenswürdiger Sachverständigenbefunde- vorzunehmen 44 , kann keinem mündigen Angehörigen der (staatlichen wie kirchlichen) Gemeinschaft verwehrt werden 45 . 3. Kein selbständiger Verpflichtungsgrund Damit erscheint die Auffassung vom amtlichen Versprechenseid als eines selbständigen Verpflichtungsgrundes gefallen. Er verpflichtet also nur insofern und nur insoweit, als bereits eine entsprechende Verpflichtung aus dem Grundverhältnis-derFunktion (dem "Amt")- besteht. V. Subjektiver und objektiver Sinn eines amtlichen Versprechenseides
Abschließend sei noch kurz die Frage behandelt, ob es erlaubt ist, einen solchen amtlichen Versprechenseid abzulegen, wenn sich aus den Umstän43 "Gratia ordinem naturae non mutat, sed perficit." Vgl. auch Juan Alfaro, "Gratia supponit naturam", Höfer/Rahner (oben, Anm. 2) IV (1960), 1169 ff. 44 Selbst für die sog. (nicht unfehlbar, aber authentisch) vorgelegten Katholischen Wahrheiten- welcher Verbindlichkeitsgrad immer ihnen sonst begründetermaßen überhaupt zugesprochen werden mag - wird traditionell der "Ausnahmefall, daß jemand über einen bei der nicht unfehlbaren Vorlage absolut möglichen Irrtum Sicherheit hätte", zugestanden: er "könnte (und müßte)" dann "die innere Zustimmung suspendieren, bis das Problem, evtl. durch eine unfehlbare Entscheidung, gelöst würde." Johannes Beumer, "Katholische Wahrheiten", Höfer/Rahner (oben, Anm. 2) VI (1961), 88.- In Bereichen, wo es nicht bloß um Glauben, sondern um Handeln geht, kann dann als Richtschnur der Satz herangezogen werden, daß niemand gegen sein Gewissen handeln darf, sondern nach ihm handeln muß. Vgl. auch Bernhard Häring, "Revanche in der Kirche?", Die Presse vom 18. Oktober 1989. 45 Dies ist ja die Voraussetzung jeder selbständigen Entscheidung eines Normadressaten darüber, ob die Norm ihn auch tatsächlich, nicht nur scheinbar, verpflichtet. Eine solche Entscheidung wird aber schon immer zugebilligt; vgl. etwa Thomas von Aquin, Summa Theologiae 11/1, qu. 96, Art. 4, ad 3: "... ratio illa [sc. Ieges humanae non imponunt necessitatem homini quantum ad conscientiam; ibid., 3) procedit de lege quae infert gravamen iniustum subditis: ad quod etiam ordo potestatis divinitus concessus non se extendit. Unde nec in talibus homo obligatur ut obediat legi, si sine scandalo vel maiori detrimento resistere possit." Vgl. auch oben, Anm. 39. - Die Lehre vom passiven Widerstandrecht, welches hier ausgesprochen ist, wurde freilich bisher in erster Linie für den staatlichen Bereich entwickelt, während sie für
Betrachtungen zum Problem des amtlichen Versprechenseides
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den ergeben sollte, daß die Institution selbst bzw. ihr oberster Repräsentant zu einem gegebenen Zeitpunkt, nämlich jenem der Abverlangung des Eides, sehr wohl auf dem Standpunkt steht, dieser begründe eine eigenständige Verpflichtung; oder ob man in diesem Fall auf das Amt verzichten muß. Hier ist zu unterscheiden. Wenn der Eid selbst etwas Unerlaubtes, etwa die Verpflichtung, auch gegen das eigene Gewissen zu handeln, enthält, dann darf er nicht abgelegt werden 46 . Enthält er aber keine solche in sich selbst unerlaubte Formulierung, so hindert der Umstand, daß die Institution bzw. ihr oberster Repräsentant dem Eid einen solchen Sinn geben wollen, seine Ablegung nicht, weil der ihn Ablegende das Recht, ja die Pflicht hat, denselben nicht allein nach dem subjektiven Sinn auszulegen, den ihm der ihn vorschreibende OrganwalteT unterlegen will, sondern nach dem objektiven Sinn, der ihm in Zusammenhang mit der gesamten Rechtsordnung zukommt 47 • Dieser objektive Sinn schließt aber beim amtlichen Versprechenseid hinsichtlich künftig zu erfüllender Verpflichtungen immer den Rechtmäßigkeilsvorbehalt (zu dem auch der Vorbehalt der Gemeinwohlgerechtigkeit zählt) ein. den kirchlichen Bereich weitgehend fehlt. Immerhin hat aber z. B. bereits Thomas von Aquin festgestellt, daß eine ungerechte Exkommunikation nicht verbindlich sei.
46 Wo es sich jedoch um keinen Konflikt mit eindeutigen Gewissenspflichten handelt, kann nach Messner (oben, Anm. 36), 792 f., .,die Einhaltung von Anordnungen und Gesetzen der staatlichen Autorität ... trotzihrer Ungerechtigkeit ... sittlich erlaubt sein aus Gründen der Klugheit, nämlich um sich gegen schwere Strafen, die mit der Gehorsamsverweigerung verbunden sind, vorzusehen; z. B. in totalitären diktatorischen Staaten können Familienväter gezwungen sein, durch äußere Loyalität sich den Arbeitsplatz und damit den Lebensunterhalt für ihre Familie zu sichern. Eine solche Einhaltung von Gesetzen ist jedoch des Charakters des bürgerlichen Gehorsams entkleidet und kann nur äußerlich als solcher erscheinen, da ihre sittliche Grundlage von der des bürgerlichen Gehorsams durchaus verschieden ist. • Dies muß auch für die Ablegung eines amtlichen Versprechenseides gelten, wenn diese angeordnet ist und eine Verweigerung für den Betreffenden oder Dritte mit schweren Nachteilen verbunden wäre. 47 Jede Rechtsordnung- die staatliche wie die kirchliche -ist ja als Einheit zu betrachten, innerhalb derer allfällige Antinomien harmonisch aufgelöst werden müssen. Dies geschieht auf der Grundlage von Interpretationsgrundsätzen, die sich aus der Natur jeder Rechtsordnung ergeben und vielfach auch bereits positiviert worden sind. Derartige positiv-rechtliche Interpretationsregeln sind freilich niemals erschöpfend, schon deshalb, weil sie ihrerseits der Interpretation bedürfen, aber auch, weil sich das rechte Verständnis eines Textes nicht dekretieren läßt. Vgl. dazu allgemein Joachim Hruschka, Das Verstehen von Rechtstexten (München 1972); auch Heribert Pranz Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention (Berlin 1976), Zweiter Teil: .Die Auslegung von Rechtstexten überhaupt", 56 ff. - Um einen Rechtstext- und jeder amtliche Versprechenseid ist ja ein Rechtstext- in seiner Bedeutung richtig zu verstehen, ist insbesondere auch auf die Hierarchie der Normen zu achten, wobei eine Norm höherer Ordnung (wo ein Stufenbau der Rechtsordnung nicht klar erkennbar ist: jene Norm, die den höheren Wert realisiert) jener niedrigerer Ordnung immer vorgeht.
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Jeder amtliche Versprechenseid ist überdies unter Einschluß jener Grundsätze auszulegen und anzuwenden, die jeder Rechtsordnung notwendig zugrundeliegen, die überhaupt den Anspruch erhebt, Rechtsordnung zu sein 48 . Zu diesen Grundsätzen gehört insbesondere die Respektierung der Würde des Menschen im allgemeinen sowie seiner Religions- 49 , Gewissensund Meinungsfreiheit im besonderen. Kein amtlicher Versprechenseid kann so verstanden werden, als schlösse er die Geltung derartiger Grundsätze aus. VI. Ergebnis Aus dem Dargelegten ergibt sich zusammenfassend der Befund, daß -sittlich-religiös betrachtet- der amtliche Versprechenseid heute staatlich wie kirchlich als untaugliches Mittel anzusehen ist, bestimmte Personen in eine Pflicht zu nehmen, zu der sie nicht ohnedies bereits kraft Amtes verbunden sind. Jede Autorität ist mit dieser Einsicht auf jedenfalls eine ihrer unverzichtbaren Grundlagen, nämlich gemeinwohlgerechte Autorität zu sein, zurückverwiesen.
48 Vgl. Augustinus, De civitate Dei IX, c. 4: •... remota igitur iustitia, quid sunt regna nisi magna latrocinia?" 49 Professiones fidei, soweit sie neben einem oder als amtlicher Versprechenseid abzulegen sind, in ihrem Inhalt aber über definiertes Glaubensgut hinausgehen, stellen ein eigenes Problem dar, das hier in allen seinen Aspekten nicht behandelt werden kann. Allgemein gilt für sie jedenfalls, was Pilz hinsichtlich der inneren Verpflichtung des ehemaligen Antimodernisteneides festgestellt hat. Vgl. oben, Anm. 12. In diesem Sinne verpflichten auch sie zu nicht mehr, als ohnedies für jeden Amtsträger, ja für jeden katholischen Christen zu glauben verpflichtend ist.
EPIEIKEIA Kanonistische Erwägungen über einen zentralen Begriff
Von Peter Leisching, Innsbruck Der folgende Beitrag ist Exzellenz Alfred Kostelecky, Titularbischof von Aggar, gewidmet, in dessen Händen seit über dreißig Jahren die Vollziehung der Beschlüsse der Österreichischen Bischofskonferenz liegt und der seit 1986 Österreichischer Militärbischof ist. Seit zehn Jahren bekleidet der namhafte Kirchenrechtier auch das Amt des Judizialvikars des Wiener Metropolitangerichts. Besonders dieser Funktion wurde bei der Wahl der Thematik dieses Beitrages gedacht. Das griechische Wort Epieikeia ist die Wurzel des lateinischen aequitas. Ihm liegt das Wort eikos zugrunde, das Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit, Gleichheit bedeutet und in der Rechtssprache der Kanonistik das Prinzip der Rechtsfindung im Einzelfall zum Ausdruck bringt 1• Der Bedeutung dieses Begriffs für die Entwicklung des kirchlichen Rechts soll im folgenden nachgegangen werden. Zu den folgenreichsten Einflüssen, die das kanonische Recht zur Zeit der Entstehung einer abendländischen Rechtskultur im .juristischen" 13. Jahrhundert ausübte, gehört die schrittweise Humanisierung des Rechtslebens. Dies gilt vor allem für das Bestreben, den durch die allmähliche Rezeption des römischen Rechts verbreiteten Formalismus, den rigor iuris romani, abzubauen oder doch zu beschränken. Ziel dieses Bestrebens war es, eine dem einzelnen Rechtsfall entsprechende sachgerechte Entscheidung zu finden, nicht die strikte Durchsetzung eines Rechtsprinzips an sich. Im Zentrum dieser Bemühung des kirchlichen Rechts standen die Begriffe
misericordia und aequitas. Sah im ersteren die vorchristliche antike Stoa
eine Gemütsbewegung, die dazu angetan war, den Gleichmut der Seele zu erschüttern, so brachte das Christentum, besonders Augustinus, eine Abänderung der Bedeutung vom passiven Gefühl zur aktiven Tat. Der Gottesbegriff des Alten und des Neuen Testaments ist durch die misericordia Gottes bestimmt. Für den Christen folgerte daraus die Pflicht zur tätigen misericordia, gleichnishaft gezeigt am Handeln des barmherzigen Samari1
Vgl. H. Heimerl I H. Pree, Kirchenrecht, Wien/New York 1983,47.
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ters. Dazu trat der eschatologische Gedanke, daß Christus im Jüngsten Gericht nur die Werke der misericordia zählt. So wurde die misericordia seit dem frühen Mittelalter zum leitenden Prinzip der Glaubenspraxis und damit zur Grundlage des die Frömmigkeit des Alltags bestimmenden christlichen Ethos. Da die mittelalterliche Moraltheologie Sünde mit Unrecht, Recht mit Tugend gleichsetzte, wurde auch die Rechtspraxis am Maßstab der misericordia gemessen. So stellt sich die Geschichte des mittelalterlichen christlich-abendländischen Rechts als die einer Begegnung und Verschmelzung mit der Ethik der misericordia dar. Der im germanischen Sprachbereich neu gebildete Begriff .,Barmherzigkeit" hat den Alltag und die Rechtspflege auf dem Wege über die kirchliche Lehre von den guten Werken, über die Beichtpraxis und die Gerichtsbarkeit der Kirche in einem jahrhundertelangen Prozeß grundlegend verändert. Die Kirche vermittelte also die misericordia dem weltlichen Recht. Sie erscheint im Katalog der Tugenden des christlichen Herrschers. Hier bezeichnete sie das königliche Vorrecht, von der Strenge des Rechts abweichen zu können, um Billigkeit und Gnade zum Durchbruch zu bringen. Zur Wahrheit von iustitia et misericordia wurde der Kaiser im Krönungszeremoniell ausdrücklich verpflichtet. Der misericordia-Gedanke hinterließ seine Spuren in zahlreichen Neuschöpfungen des abendländischen Rechts, besonders kam er im Begriff der Billigkeit zum Ausdruck. Er sollte dazu dienen, die Gefahr des summum ius summa iniuria zu bannen. Die abstrakte gerechte gesatzte Norm birgt wegen der Variationsbreite der unter sie subsumierbaren Einzelfälle die Gefahr einer ko.1kret ungerechten Entscheidung in sich. Die Gerechtigkeit fordert die Zuteilung des suum cuique. Das Prinzip der Billigkeit, der aequitas oder epieikeia muß daher zum Recht hinzutreten, damit jeder das Seine erhält, um bei Vollzug der abstrakten Rechtsnorm die Einzelfallgerechtigkeit zu verwirklichen. Auch die Billigkeit hat eine Wurzel in der vorchristlichen Antike, wobei ihr materialer Begriffsinhalt konstant blieb: So verstanden sowohl Aristoteles unter epieikeia, als auch die Denker des Mittelalters unter aequitas eine der beiden Säulen der Gerechtigkeit neben dem Recht. Das Problem der Billigkeit, das es immer neu zu lösen gilt, besteht in der Anpassung des Rechtes an jene, ohne daß es selbst ins Wanken gerät. Es bewirkt dessen Elastizität, ohne zu einerunkontrollierten Ermessensfreiheit zu führen, was einer Beseitigung des Rechts gleichkäme. So erscheint die aequitas als Korrektur und Ergänzung der Iex scripta im einzelnen Fall. Als misericordia tritt die aequitas gegen die Strenge des Rechts auf und verhindert, daß es in seiner abstrakten Starrheit ungerechten Entscheidungen zugrunde liegt.
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Findet sich der Gedanke der Billigkeit auch bereits seit dem 6. Jahrhundert im christlichen Königsrecht und dadurch auch in den germanischen Volksrechten, so war doch die kirchliche Rechtstheorie die treibende Kraft dieser Entwicklung und ihr geistiger Träger. Sie erhob die Gerechtigkeit des Urteilens zur vornehmsten Herrschertugend und räumte damit dem aequitas-Prinzip einen festen Platz in der Idealvorstellung von jeglicher weltlicher Herrschaft ein. Die geistige Grundlage der vom Kirchenrecht im ganzen Mittelalter verbreiteten aequitas canonica lag im antiken epieikeia-Gedanken, wie in dem theologischen Prinzip der Gleichheit aller Menschen vor Gott und daher auch vor dem Recht sowie in der Forderung der Nächstenliebe, die es verbietet, die starre Erfüllung der Norm in allen Fällen zu fordern. Seit dem 12. Jahrhundert entstanden im kanonischen Recht zahlreiche Einzelinstitute und Sonderentwicklungen, die das aequitas-Prinzip in verschiedenen Formen zum Ausdruck brachten. Schon seit dem frühen Mittelalter fühlt sich der Richter der göttlichen Gerechtigkeit verantwortlich und ist sich dessen bewußt, daß er einst vor Gott Rechenschaft abzulegen hat. So erschien das in dieser Überzeugung in den mittelalterlichen Rechtsbüchern aufgezeichnete Recht den Zeitgenossen als gerecht und billig. Gratian verband die Begriffe Billigkeit und Gerechtigkeit mit dem des Naturrechts und die mittelalterliche Kanonistik folgte ihm in dieser Auffassung, so nennt Hostienis die aequitas die .,durch die Süsse der Barmherzigkeit gemilderte Gerechtigkeit". Das mittelalterliche Recht war sohin bemüht, die Idee der Billigkeit zu verwirklichen, und diese hat sich in die Kontinuität der europäischen Rechtsentwicklung bis heute eingefügt 2• Besondere Bedeutung und eigenes Gepräge hat der Grundsatz der aequitas im ostkirchlichen Bereich erlangt, wo sich eine gesonderte Entwicklung ergeben hat. Der für die ganze Kirche gemeinsame Ausgangspunkt liegt im Neuen Testament, in Beschlüssen der frühen Kirchenversammlungen und in den Schriften der Kirchenväter. In Befolgung des Lehrsatzes, daß der Buchstabe des Gesetzes tötet, der Geist aber lebendig macht (2 Kor 3, 6; vgl. dazu Mk 2, 27), hat die orthodoxe Kirche das Prinzip der oikonomia (epieikeia) 2 Vgl. z. B. N. Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus (Forschungen zur neueren Rechtsgeschichte 11 ), Köln/Graz 1968; H. Lange, Ius aequum et ius strictum bei den Glossatoren, in: ZRG RA 71 (1954) 319-357 (wieder abgedruckt in: E. Schragl (Hg.), Das römische Recht im Mittelalter, Darmstadt 1987); F. Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im kanonischen Recht, in: Tübinger Ringsvorlesung, hg. v. J. Esser, Tübingen 1963, 168-190; J. Gaudemet, Equite et droit chez Gratien et !es premiers decretistes, in: La storia del diritto nel quadro delle science storiche, in: Atti del I congresso internazianale della societa italiana di storia del diritto, Florenz 1966, 269-291; F. d'Agostino, La tradizione dell Epieikeia nel' Medievo Latino, Mailand 1976.
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entwickelt und in weitem Umfang angewandt, um einen Ausweg aus einer abnormalen Situation, die durch eine strenge Befolgung des kirchlichen Rechts (akribeia) entstanden ist oder entstehen könnte, zu finden 3• Eine allgemeine theologische Deliniton der Ökonomie-Lehre gibt es in der orthodoxen Kirche nicht und der überwiegende Teil ihrer Theologen ist der Ansicht, daß es eine solche auch gar nicht geben kann 4• Der Grundsatz der Ökonomie im Sinne der morgenländischen Kirche besagt, daß in einem einzelnen Fall die absolute und strenge Anwendung einer kanonischen Norm ausgesetzt wird, ohne dadurch die dogmatischen Grenzen zu verschieben. Ihr Heilsauftrag verpflichtet die Kirche nicht nur in einer von kirchlichen Satzungen geregelten Weise, für ihre Glieder Sorge zu tragen 5. Dies erfolgt nach dem Grundsatz der Billigkeit zum Wohl und Heil eines betroffenen Kirchenglied es. Die Ökonomie wird von der kirchlichen Autorität kraftihrer geistlichen Vollmacht im Namen der Kirche gewährt, und zwar nur bei kirchlichen Gesetzen, die sich auf Leitungsaufgaben und Disziplinarfragen beziehen, niemals in Angelegenheiten des Dogmas. Dieses griechische Wort oikonomia hat mehrfache Bedeutungen: es steht a) für die Hauswirtschaft und die dafür notwendige Sorge, b) für die Verwaltung und Regierung der Polis und schließlich c) für jede Anordnung in irgendeinem Bereich. Aus diesen Begriffsbestimmungen hat die ostkirchliche Theologie verschiedene Metaphern gebildet: 1. die göttliche oikonomia, wie sie in der Hl. Schrift offenbart und bei den Kirchenvätern weiter entwickelt wurde; ferner 2. die oikonomia, verstanden als die geistliche und moralische Leitung der örtlichen wie der gesamten Kirche durch Erklärung des Wortes der Wahrheit. In diesem Sinne gelten die Apostel, ihre Mitarbeiter und ihre Nachfolger als oikonomoi, als Verwalter des Wortes und der Sakramente. 3. Oikonomia als Festlegung und Regelung der Bedingungen des kirchlichen Lebens, der kirchlichen Ordnung und der kirchlichen Verwaltung gemäß den Erfordernissen der Zeit. 3 Zur Ökonomie vgl. P. Rodopoulos, Oikonomia nach orthodoxem Kirchenrecht, in: ÖAKR 36 (1986) 223-231; E. Clu. Suttner, .Ökonomie" und .Akribie" als Normen kirchlichen Handelns, in: Ostkirchl. Studien 24 (1975) 15-26 u. die dort bezogene Literatur; weitere Literaturhinweise bei R. Puza, Katholisches Kirchenrecht, Heidelberg 1986, 64, Anm. 95, insbes. Kanon VI (1983) 15-83. 4 Über die Kontroverse hinsichtlich der Umschreibung des Ökonomiebegriffes durch die geplante Große Synode der Orthodoxie vgl. Suttner, Ökonomie 23-26. 5 So formuliert der Bukarester Kirchenrechtier L. Stan, zit. nach Suttner a.a.O. 22, Anm. 11.
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Letzteres geschieht entweder durch die strenge Einhaltung der Kanones nach strikter Akribie oder durch Ausnahme von den kirchlichen Vorschriften aus Nachsicht. Beide Wege streben nach dem obersten Ziel der Kirche, dem Heil des Menschen und der Welt. Der Begriff der oikonomia im Sinne von Nachsicht und Billigkeit ist durch die alten partikularen und ökumenischen Synoden bezeugt. Er erscheint in dieser Bedeutung ebenso bei den Kirchenvätern und Kirchenschriftstellern, besonders bei Origines (184-254), Gregor den Theologen (4. Jh.), Basilius dem Großen (330-379) undJohannes Chrysostomos (2. Hälfte des 4. Jh.). So lehrte Anastasios Sinaites (gest. nach 700), mittels der oikonomia werde eine Angelegenheit geregelt, die eigentlich nicht sein dürfte; dies geschehe aus Nachsicht und zum Heil des Betreffenden. Die Ostkirchen haben seit früher Zeit die oikonomia zum Heil der Gläubigen angewandt, um der Einzelgerechtigkeit in den konkreten Situationen entsprechen zu können. Diese in der frühchristlichen Tradition theologisch begründete Lehre wirkt in der Orthodoxie bis heute. Da die oikonomia weder definiert oder systematisch erfaßt noch durch kanonische Anordnungen umschrieben wird, ist für ihre Anwendung auch keine Begrenzung möglich. Besondere Bedeutung kommt ihr bei der Sakramentenspendung zu. Dadurch können auch gegen die kanonische Ordnung gespendete Sakramente dieselben Wirkungen für die Empfänger hervorbringen wie solche, deren Spendung den canones gemäß war. Nach der kirchlichen Praxis unterschied der Athener Theologe A. S. Alivizatos je nach dem Zeitpunkt der Gewährung eine vorausgehende von einer rückwirkenden Ökonomie 6 . Besteht erstere in der von der Kirche im vorhinein erteilten Genehmigung der Abweichung von der normierten kirchlichen Ordnung, wird im anderen Fall die Kirche erst tätig, wenn die von der kanonischen Ordnung abweichende Handlung bereits vorgenommen wurde. Bei vorausgehender Anwendung der Ökonomie durch die kirchliche Autorität legt diese das Ausmaß der nichtkanonischen Handlung fest. Hiedurch wird das im Widerspruch mit der kanonischen Norm Stehende samt seiner Wirkung anerkannt. Bei ihrer rückwirkenden Anwendung werden bereits vorgenommene, den canones nicht entsprechende Handlungen so mit allen ihren Wirkungen gültig. Alle diese Wirkungen sanieren nur die Gültigkeit eines einzelnen Falles in seiner Besonderheit, so daß er nicht als Präzedenzfall angesehen werden kann. In der ostkirchlichen Theologie wird die Anwendung des Ökonomie-Prinzips mit dem höchsten Ziel der Kirche, dem Heil der Gläubigen, begründet: damit "alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen" (1 Tim 2,4; vgl. Mt 18, 12ft.). Die Kirche vermittelt dadurch 6
t4•
Vgl. Suttner a.a.O. 21.
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denjenigen die Mittel zum Heil, die sich von der kirchlichen Communio trennen oder bereits getrennt haben. Sie erstrebt hiedurch die größtmögliche geistliche Hilfe für die Gläubigen und versucht so den Schaden abzuwenden, der aus dem Beharren auf der strengen Anwendung der kanonischen Ordnung entstehen würde, falls diese aus besonderen Umständen nicht eingehalten werden könnte 7. Eine kluge und ausgewogene Anwendung der Ökonomie hat zum Ziel, Ärgernis zu vermeiden, das sowohl durch übertriebene Strenge und durch starres Beharren auf der genauen Einhaltung des kanonischen Rechts, als auch durch zuviel Nachgiebigkeit entstünde, da diese zur Gleichgültigkeit und Mißachtung gegenüber der kirchlichen Ordnung führen würde. Das Prinzip der Ökonomie, das nur ganz allgemein erklärt, aber nicht definiert und abgrenzbar erscheint, überschreitet als außerordentliches Heilsmittel die starren kirchlichen Grenzen der Akribeia im sakralen Leben der Kirche 8• Elie Melia sieht darin eine "Übertragung der göttlichen Heilspädagogik auf die Situation und die Zeit der Kirche" und erkennt zwei Bedeutungen oder vielmehr zwei Dimensionen der kirchlichen Ökonomie: ihre pastorale und ihre kanonische. Erstere besteht in der Nichtanwendung disziplinärer Sanktionen, die für eine bestimmte Übertretung oder einen konkreten strafbaren Zustand vorgesehen sind. Die andere Kategorie bilden solche Fälle, in denen die kanonische Gesetzgebung offenkundig nicht in der Lage ist, in Betracht gezogene radikale Änderungen herbeizuführen. Bei Handhabung der oikonomia beruft sich die Kirche auf die Güte Gottes. Diese Zufluchtnahme soll nicht außerhalb der Kirche und des sakramentalen Handeins erfolgen. Dem orthodoxen Seelsorger ist daher eine große Freiheit im forum internum überlassen. Der Akribie der Hl. Orthodoxie in Lehre und Bekenntnis steht die Möglichkeit der Anwendung des ÖkonomiePrinzips auf dem praktischen Gebiet der Moral gegenüber9 . Auf Grundlage des Neuen Testaments und der patristischen Tradition haben sich pastorale Praktiken herausgebildet, die zur Milderung der Strenge des Rechts verhelfen sollen und eine Lösung von Fällen ermöglichen, die der Einzelfallsgerechtigkeit einer konkreten Situation entspricht. Der misericordia- und aequitas-Tradition der lateinischen Kirche steht das ostkirchliche Oikonomia-Prinzip gegenüber. In beiden Bereichen geht es um Vgl. Rodopoulos a.a.O. 228. Vgl. G. Larentzakis, Ehe, Ehescheidung und Wiederverheiratung in der orthodoxen Kirche, in: ThPQS 125 (1977) 250-261, 257 f. 9 E. Melia, Das eheliche Band im Lichte der Sakramenten- und der Moraltheologie der orthodoxen Kirche, in: Metz I Schlick, Die Ehe- Band oder Bund?, Aschaffenburg 1970,87-108, 102-106. 7
8
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dasselbe, nämlich um die Humanisierung des Rechts- sowohl die aequitas als auch die oikonomia beruhen auf dem aristotelischen epieikeia-Begriff, der durch Thomas von Aquin in das christlich-abendländische Denken übernommen wurde. Mit Hilfe der Epieikeia korrigiert und vervollständigt Aristoteles das Gesetz, wenn immer es nötig ist. Da das Gesetz eine generellabstrakte Norm ist und für eine unbestimmte Zahl von Fällen erlassen wurde, gibt es Sachverhalte, die durch eine allgemeine Regelung nicht erfaßt werden können. Epieikeia stellt sich als die bessere Gerechtigkeit dar, auch wenn sie gegen das Gesetz gerichtet ist 10 . Der Aquinate geht vom aristotelischen Epieikeia-Begriff aus: Die auf bestimmte Tatbestände typisierte Norm bedarf in einzelnen Fällen einer Korrektur durch die Billigkeit, wenn ihre wörtliche Auslegung der communis salus schädlich wäre. Die Auslegung der Jex habe daher stets im Lichte des bonum commune zu erfolgen 11 . So stellt sich für Thomas die Rechtssprechung nicht als bloße Gesetzesanwendung, sondern als Rechtsfindung heraus, da sich Jex und ius nicht decken 12 . Die innerhalb der ostkirchlichen Theologie und Kanonistik vorgenommenen Untersuchungen des oikonomia-Begriffes zeigen diesen als ein (nahezu) undefinierbares Prinzip, das sich jeder Umschreibung und Begrenzung entzieht. Er kommt der in der lateinischen Kirche wirksamen aequitas canonica im wesentlichen nahe, diese zeigt sich geradezu als dessen abendländische Erscheinungsform. So atmet nach Eugen Wohlhaupter 13 das ganze Corpus Iuris Canonici den Geist der aequitas. Willibald M. Plöchl wertete die .,gerechte Billigkeit", neben Vernünftigkeit und sittlicher Erlaubtheit, als Kriterium der rechten Gesetzesanwendung 14 . Im Spannungsverhältnis zwischen gerechter Lösung im Einzelfall und richtigem Recht muß im Einzelfall die richtige und gerechte Entscheidung gefunden werden 15 . Zur Erreichung dieses Ziels muß der kirchliche Richter wie jeder, der geistliche Vollzugsgewalt anwendet, das Prinzip der Billigkeit berücksichtigen, das auf der höheren Gerechtigkeit desius divinum beruht 16 : 10 Puza, Kirchenrecht 66 f.; G. Virt, Epikie - verantwortlicher Umgang mit Normen, Mainz 1983, 14-90; vgl. auch ders., Epikie in psychoanalytischer Sicht, in: K. Hörmann I A. LaunIG. Virt (Hg.), Verantwortung und Gehorsam, lnnsbruck/Wien/ München 1978, 105-139. 11 Vgl. die Gesetzesdefinition des Thomas inS. th. 1-11 90, 4. 12 Dazu A. Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 2. Auf!., Wien 1963, 78-83, bes. 82; L.J. Riley, The History, Nature and Use ofEpikeia, Washington 1948; F. Flückiger, Geschichte des Naturrechts I, ZollikoniZürich 1954, 436-475; Virt, Epikie 91-171. 13 E. Wohlhaupter, Aequitas canonica, Paderborn 1931, 56-67. 14 W. M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. II (2. Auf!.), Wien 1962, 74 f. 15 Puza a.a.O. 70. 16 Heimerl I Pree, Kirchenrecht 46.
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Die kanonische aequitas hat immer das übernatürliche Ziel der kirchlichen Gemeinschaft und das Heil des einzelnen Gläubigen im Auge 17 • Das Prinzip der Billigkeit soll also bei der Rechtsfindung im einzelnen Fall den Werten und Gütern besser Rechnung tragen, als es die allgemeine, abstrakte Norm vermag. Dies führt zur Milde gegenüber der Strenge des Rechts, kann aber auch Härte erfordern 18 • Billigkeitserscheinungen sind bei Einzelfallentscheidungen die Ausnahme. Der aequitas canonica kommt aber bei der Interpretation der Rechtsnorm im Dienste der Durchbrechung des rigor iuris 19 , besonders bei der Schließung von Gesetzeslücken (can. 19 CIC) 20, Bedeutung zu. Zu den Grundrechten aller Gläubigen gehört der Anspruch auf ein gerichtliches Urteil, das nach Maßgabe von Recht und Billigkeit (iudicentur servatis iuris praescriptis, cum aequitate applicandis) gefällt wird (can. 221 §2 CIC) 21 . Das aequitas-Prinzip kann aber auch, trotz des Rückwirkungsverbotes des can. 9 CIC, die Rückwirkung aus Rücksicht auf eine höhere Gerechtigkeit gebieten 22 . Dasselbe gilt für die Möglichkeit der Durchbrechung des Grundsatzes nuJJa poena sine lege (can. 1399). Gerade die kanonische Billigkeit kann die Bestrafung notwendig machen 23 . Die aequitas canonica ist ein Grundprinzip des kanonischen Rechts und verpflichtet das Vollzugsorgan, dieses Ziel zu erreichen. In der neuen Kodifikation wird es jedoch nur an wenigen Stellen ausdrücklich bezogen (cc. 19, 122,221 §2,271 §3, 1148§3, 1752). Die Idee des ostkirchlichen oikonomia-Grundsatzes erscheint im Bereich der römisch-katholischen Kirche im aequitas-Prinzip verwirklicht. Sie erscheint auch in verschiedenen Institutionen des kanonischen Rechts, die eine fallgerechte Lösung ermöglichen sollen 24 . Hierher gehören Dispens und Epikie ebenso wie die tolerante Dissimulation. Der Geist der oikonomia liegt ebenso der Sanierungsmöglichkeit ungültiger Ehe und der Legitimation unehelicher Kinder zugrunde wie dem Grundsatz, daß Gesetze im Falle des dubium iuris nicht verpflichten (can. 14 CIC). Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch auf die ergänzende Supplierung fehlender Leitungsgewalt durch die Kirche nach can. 141 CIC hingewiesen. Papst Paul VI., Ansprache an die Rota-Richter am 8.2.1973, AAS 1973, 95-103. Heimerl I Pree a.a.O. 46. 19 Puza, Kirchenrecht 70; Heimerl I Pree 44; J. Listl, Die Rechtsnormen, in: List] I Müller I Schmitz (Hg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 1983, 17
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83-98,95. 20 Vgl. Puza a.a.O. 69; Heimerl I Pree a.a.O. 46. 21 Puza 69. 22 Heimerl I Pree 36. 23 Vgl. R.A. Strigl, Die einzelnen Straftaten, in: Listl I Müller I Schmitz (Hg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 1983, 941-950, 948. 24 Vgl.f. Zuzek, in: Kanon VI (1983) 76.
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Hinsichtlich der Analogie zwischen der griechischen oikonomia und der lateinischen dispensatio weist Panteleiman Rodopoulos darauf hin, daß eine Ähnlichkeit zwar darin besteht, daß in beiden Fällen eine Ausnahme von der präzisen kanonischen Ordnung vorliegt. Er betont aber zwei charakteristische Unterschiede, diebeideBegriffe und die geistig-spirituellen Welten, aus denen sie hervorgegangen sind, treffend kennzeichnen: Die östliche oikonomia wird aus Nachsicht und Duldsamkeit gewährt, um einen Ausweg zu ermöglichen. Die lateinische Dispens hingegen ist juristischer Natur, sie ist daher "judiziabel". Erstere wird von den kirchlichen Organen nach freiem Ermessen entsprechend der jeweiligen Situation gewährt, letztere stellt eine Ausnahme vom Gesetz dar, die genau definiert ist und "als juristische Regelung keine Änderung zuläßt". Weiters unterscheidet Rodopoulos in bezugauf ihre Wirkungen. Diese sind bei aer Dispens für alle Anwendungsfälle genau definiert, während die Wirkungen der oikonomia sehr elastisch und überhaupt nicht festgelegt sind 25 . Die Bedeutung und den Wert der Epikie in Vergangenheit und Gegenwart hat Günter Virt vom moraltheologischen Standpunkt zu Beginn der achtziger Jahre eingehend untersucht 26 . Hier soll nun von kanonistischer Seite her der Begriff kurz umschrieben werden. Im Unterschied zur aequitas wird die Epikie durch das Kirchenglied selbst angewandt. Sie besteht in der subjektiven Annahme des Normunterworfenen, daß das Gesetz keine Anwendung findet, weil Umstände die begründete Feststellung erlauben, der Gesetzgeber hätte diesen konkreten Fall, sofern er ihn zu berücksichtigen gehabt hätte, von der Gesetzesverpflichtung ausgenommen. Dies trifft im besonderen dann zu, wenn der Zweck des Gesetzes weggefallen ist, vor allem bei dessen konkretem Wegfall, d. h., wenn der Sinn des Gesetzes bei dessen Befolgung in das Gegenteil verkehrt würde. Dies trifft ebenso im Falle der Normenkollision und bei der Unmöglichkeit der Gesetzeserfüllung zu 27 • Die Anwendung der Epikie geht sohin von der subjektiven Überzeugung des betroffenen Kirchengliedes aus 28 • Die oikonomia aber wird durch die kirchliche Autorität angewandt, die der Besonderheit einer Notlage Rechnung trägt2 9. Dadurch unterscheidet sie sich von der ostkirchlichen oikonomia, wiewohl sie durchaus deren Geist entspricht. Rodopoulos, Oikonomia 230. Siehe die in Anm. I 0 angegebenen Arbeiten Virts. 27 List/ a.a.O. 92 unter Hinweis auf Mörsdorf, Lehrb. I, 102 ff.; vgl. J. Haring, Lehre von der Epikie, in: LThQ 52 (1899) 585; ders., Grundzüge des katholischen Kirchenrechts, I. Teil (3. Auf!.), Graz 1924, 35. 28 G. Virt, Epikie in psychoanalytischer Sicht (Anm. 9) 105 ff. 29 Virt, Epikie 263 f. 25 26
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Die gemeinsame theologische und philosophische Grundlage des Billigkeitsgrundsatzes in der epieikeia kann auch zu einem vertieften ökumenischen Verständnis dieses Prinzips führen. Das II. Vatikanische Konzil hat in Art. 14 Abs. 2 und in Art. 17 seines Dekretes über den Ökumenismus Unitatis redintegratio ausdrücklich erklärt: .. Es darf ebenfalls nicht unerwähnt bleiben, daß die Kirchen des Orients von Anfang an einen Schatz besitzen, aus dem die Kirche des Abendlandes in den Dingen der Liturgie, in ihrer geistlichen Tradition und in der rechtlichen Ordnung vielfach geschöpft hat ... " (Art. 14 Abs. 2) . .. . . . Gerade gegenüber den authentischen theologischen Traditionen der Orientalen muß anerkannt werden, daß sie in ganz besonderer Weise in der Hl. Schrift verwurzelt sind, ... daß sie genährt sind von der lebendigen apostolischen Tradition und von den Schriften der Väter und geistlichen Schriftsteller des Orients und daß sie zur rechten Gestaltung des Lebens, überhaupt zur vollständigen Betrachtung der christlichen Wahrheit hinführen. Das Hl. Konzil erklärt, daß dies ganze geistliche und liturgische, disziplinäre und theologische Erbe mit seinen verschiedenen Traditionen zur vollen Katholizität und Apostolizität der Kirche gehört; ... " (Art. 17). Eine feste Grundlage für eine stärkere Annäherung der Katholischen Kirche an die Orthodoxie ist im gemeinsamen Epieikeia-Prinzip gegeben. Hier findet sich gemeinsames altes christliches Traditionsgut in bestem Sinne.
ZUM KRITISCHEN POTENTIAL DES THEOLOGISCHEN PERSONBEGRIFFS Von Lothar Lies SJ, Innsbruck
I. Die Frage Die Gedenkfeiern zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution haben kritisch viel Positives, aber auch manches Negative über dieses epochale Ereignis der abendländischen Geschichte zutage gefördert. Nahezu alle Wissenschaften waren und sind noch daran, das Erbe zu wägen. Das soll hier nicht wiederholt werden. Eine Wissenschaft wollte oder konnte sich nicht so recht Gehör verschaffen in den Aufmärschen von rückblickenden Argumenten und vorausposaunenden Prognosen: die Theologie. Es sei nicht als anmaßend verstanden, wenn hier ein Dogmatiker, besser noch Dogmengeschichtler von der Warte seiner Wissenschaft, die ja ganz grob gesagt, zweitausend Jahre umfaßt, Flagge zeigt in dem bunten Reigen von Befreiungsgesängen. Vielleicht gelingt es ihm, einen Farbton zu setzen und ein Signal aufzustellen, die bislang doch zu sehr vergessen waren und die man mit dem Begriff ,.Person" zu markieren hätte. Und vielleicht wäre gerade mit dem Verständnis von Person ein Mühen getroffen, dem der verdiente Jubilar als Jurist, Theologe und schließlich als Bischof der Kirche ein Leben lang gedient hat. Es kommt mir hierbei gar nicht darauf an, den Personbegriff der Französischen Revolution zu kritisieren. Ich möchte auch nichtalldie guten Einsichten, die sich hinter dem Slogan ,.Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" verbergen, heruntermachen oder mißachten. Ich möchte auch nicht erörtern, in welcher Weise die Verdienste des Programms der Revolution zu würdigen sind. Ich möchte auf Gefahren dieses Programmes hinweisen, die wir heute deutlicher sehen, weil sie gerade heute wirkmächtig sind, ganz unabhängig davon, ob das ursprünglich so gemeint war oder nicht. Ich wage die Behauptung, daß ein Programm, und darum handelt es sich ja, seine ,.Wahrheit" vor allem auch in der Geschichte ,.auszeitigt". Die Zeit danach entfaltet, was alles mit dem Slogan verstanden oder mißverstanden gemeint sein kann. Es geht mir also nicht in erster Linie um die Französische Revolution, sondern um die Notwendigkeit, für die heutige Zeit einen Personbegriff zu skizzieren, der dem Menschen gerecht wird und der ganz aus christlichem Glaubensgut entsprungen ist und noch immer entspringen müßte.
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II. Falsche Töne heute 1. Freiheit Der Ruf nach .,Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" wird derzeit von vielen als ein einziger Schrei verstanden und markiert damit, daß sich heute die drei Begriffe gegenseitig spontan erklären. Um diese spontane, nahezu unreflektierte Erklärung soll es gehen. W eieher gesunde Mensch wollte nicht frei sein und in Eigenverantwortung sein Leben gestalten? Wenn aber zugleich dieser Urtrieb und dieses Grundrecht des Menschen mit dem mahnenden .,aber in Gleichheit" näher bestimmt werden muß, dann weiß der Mensch nicht nur, daß die Freiheit des einen an der Freiheit des anderen Menschen ihre Grenze erfährt. Er weiß in einer tieferen Schicht, in der seine Ängste gebündelt sind, daß seine Freiheit zur Gefahr des Mitmenschen und die Freiheit des Mitmenschen zu seiner eigenen Gefahr werden können. Die Psyche und vor allem die Geschichte des Menschen haben vor und nach der Französischen Revolution dies gewußt. Die so verstandene Freiheit läßt noch tiefer in die Seele des Menschen blicken. Eine Freiheit, die vor allem von der Angst vor der anderen Freiheit bestimmt ist, erlebt sich sehr oft als einsam und eingeigelt in ihren sogenannten Freiheitsraum. Aus einem einstigen Sozialwesen Mensch ist heute ein Individualwesen Mensch mit all seiner Isolierung und Skepsis gegenüber einer fremden Freiheit geworden. Nie waren die Menschen unserer Breiten individuell so frei wie heute und nie waren sie so skeptisch gegenüber dem Mitmenschen und in den Beziehungen verarmt. Gegenüber dem heutigen Freiheitsverständnis ist unsere Sprache allzu verräterisch. Wir sprechen oft von der Freiheit des Individuums, von individueller Freiheit und nicht oder nur wenig von personaler Freiheit. Längst haben wir in unserem Bewußtsein den tiefen Sinn des Wortes .,individuell" vergessen ... Individuell" will uns unsere Freiheit unteilbar zusprechen und nicht .,isolierte" Freiheit suggerieren. Gerade die Rede von verantworteter Freiheit macht uns deutlich, daß die uns .,unteilbar", d. h. letztverantwortlich zukommende Freiheit niemals .,isolierte" Freiheit sein darf. Verantwortete Freiheit ist immer auch antwortende Freiheit. Isolierte Freiheit bedeutet Abbruch der Antwort. Wir sind heute mit unserer isolierten Freiheit in einer schlechten Individualität stecken geblieben. Einer .isolierten" Freiheit bleiben zwei Möglichkeiten: einmal kann der Mensch sich in sich einigeln und dort in selbstgewollter oder fremdgewollter Isolationshaft verkümmern. Oder aber der einzelne dockt seinen Freiheitraum an einen anderen isolierten Freiheitsraum an und schließt sich zu einem partiellen Bündnis zusammen. Die erste Möglichkeit gibt eine
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schlechte Individualität ab, die zweite eine Gemeinschaft partieller Interessen, jederzeit lösbar, wenn die Freiheit des einen den Druck und die Dynamik der Freiheit, d. h. die Eigeninteressen des anderen erfährt. Zu leicht deuten wir zudem die schlechte Individualität und Isolierung als lebensunfähige Interesselosigkeit, während wir die schlechte Sozialität als lebenserfüllende Aufgabe mißverstehen. Aus diesem doppelt oberflächlichen Verständnis von individueller Freiheit und Individuum heraus kümmert man sich um die Menschen. Die Isolierten will man in Clubs und vielleicht in Aktionsgruppen zusammenbringen, während man Parteiungen und Interessengruppen als Lebenssteigerung ausgibt. Von einer personalen Gemeinschaft, das heißt von einer die Person ganz engagierenden Gemeinschaft ist kaum die Rede. Es ist nicht verwunderlich, daß Ehe und Familie durch solche losen und partiellen Zweckbindungen auf das Niveau von Clubs absinken, in die man eintreten und die man auch wieder verlassen kann. Auch die politische Geschichte zeigt die gleiche oberflächliche Interpretation der Freiheit. Bei uns im Westen spricht man von Freiheit und immunisiert sie gegen die Gefahr aus dem Osten. Im Osten spricht man von Freiheit des Sozialismus und verteidigt sie in Selbstisolierung gegenüber dem W esten. Die Ordnung des Kalten Krieges lebt ebenfalls von der angstvollen Abgrenzung gegenseitiger .. Freiheiten". Es steht mir nicht zu, ein politisches Urteil über Sinn oder Unsinn solchen Verhaltens in konkreten Stunden der Geschichte abzugeben. Nur eines ist deutlich. Auch in der zwischenstaatlichen Politik gibt es analoge Verhaltensmuster und Verständnisse von .isolierter" Freiheit wie beim .,Individuum". Wie gesagt, hinter unserem Begriff von Freiheit steht oft die Vorstellung des .,isolierten" und so des .,schlechten" Individuums. Und selbst der Begriff der Person wird von dieser schlechten Individualität her interpretiert. Man hat in der Vergangenheit und besonders heute vergessen, daß das Christentum einen ganz anders akzentierten hohen Begriff für den letzten Grund der Freiheit entwickelt hat, den der Person, der den Begriff des Individuums auf eine höhere Verständnisebene hebt. Diesen christlichen Personenbegriff wollen wir herausarbeiten. Er spricht dem Menschen eine noch ganz andere Art von Freiheit zu als wir sie bis jetzt sehen konnten. 2. Gleichheit Niemand, auch ich nicht, wird etwas gegen die Gleichheit der Menschen vor dem öffentlichen Gesetz sagen wollen. Und dennoch müssen wir auf jenes Verständnis achten, das der Gleichheit zukommt, wenn sie im Zusammenhang mit der oben skizzierten Freiheit genannt wird. Nicht nur die Freiheit interpretiert die Gleichheit, auch die Gleichheit deutet die Freiheit.
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Wie interpretiert heute die Gleichheit die Freiheit, wenn letztere auf der eben genannten schlechten Individualität aufbaut? Wenn die Freiheit des einen Individuums ausschließlich an der Freiheit des anderen ihre Grenze erfährt, um sich durch Isolation zu schützen, und zudem diese individuelle Freiheit allen gleichermaßen zukommt, so kann eine so verstandene Freiheit in ihrem individuellen Bereich machen, was sie will. Niemand wird ja durch sie tangiert. Wir haben es dann genau mit der heutigen Mentalität des Individualismus, wie sie in der Bewegung der Singles zum Ausdruck kommt, zu tun. Alles ist .,ex definitione" erlaubt, was nicht unmittelbar den anderen Menschen etwas angeht. Unsere sogenannte .,Subkultur" zeigt dies besonders bei Jugendlichen an. Auch der von einer schlechten Individualität heute oft eingefärbte Begriff des Gewissens weist dies aus. Im persönlichen Bereich, so will man uns vormachen, gibt es kein irriges Gewissen. Niemand wird ja .,tangiert". Die Mentalität der Singles prägt wie selbstverständlich eine individuelle Wertvorstellung. Wertpluralismus meint dann die Wertvorstellungen mehrerer Individuen, wobei die auf das Individuum zentrierten Bedürfnisse die Wertskala markieren. Leider hat man in unserer Zeit nicht die Person, sondern das Individuum entdeckt. Person ist mehr als Individuum. Die Geschichte hat gezeigt, daß das heutige Phänomen der Singles nicht die einzige plakative Interpretation der durch Gleichheit bestimmten .schlechten" Freiheit ist. Unsere Tage zeigen auch den Kollektivismus. Noch existieren die Systeme, in denen die Freiheit, die durch die Gleichheit geschützt werden soll, nur noch ein Epitheton ornans der Gleichheit selbst ist. In den totalitären Systemen marxistischer Prägung sagt man nicht, daß die Menschen gleich sind, wenn sie frei sind, sondern daß sie frei sind, wenn sie gleich sind. Ungleichheit der Menschen, wie sie sich in ökonomischen Klassen ausdrückt, muß überwunden werden. Das faktische Ergebnis dieses Klassenkampfes ist in der Geschichte die Rechtlosigkeit des einzelnen Menschen geworden. Das ist in einer gewissen Weise konsequent. Jedes Individuum könnte sich mit seiner Freiheit ja wieder zum Herrscher aufspielen und andere unterdrücken. Davor sichert man sich im marxistischen System am besten durch eine Art Gleichheit, bei der niemand mehr persönliche Freiheit besitzt. Es gibt nur noch Individuen, die zum Kollektiv zusammengefaßt sind. Man beachte, wie auch hier die Sprache verräterisch ist. Man spricht nicht von Person und Gemeinschaft, sondern von Individuum und Kollektiv. In totalitären Staaten löst das Programm der Einheitspartei (Gleichheit) die persönliche Kreativität ab und untergräbt das persönliche Engagement. In sogenannten freien Systemen beobachten wir mit Schrecken, wie die Persönlichkeit der Politiker gegen Parteiprogramme austauschbar geworden sind. Eine echte Persönlichkeit ist nicht leicht korrumpierbar, ein Programm
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leicht. Allzu schnell sind Kompromißformeln gefunden. Die Politikverdrossenheit der heutigen Jugend kommt ja zu einem guten Teil auch aus ihrer Erkenntnis, daß in der Landschaft des politischen Lebens die Persönlichkeiten durch Individuen ersetzt werden, die austauschbare Sklaven eines politischen Programmes sind. Die Skepsis junger Männer gegenüber diesem Geschehen geht soweit, daß sie auch Hemmungen haben, sich als Priester in den Dienst der Kirche zu stellen. Denn sie meinen leider, daß sie auch dort nur als austauschbare Individuen mißbraucht würden und einem Einheitsprogramm verpflichtet seien. Ich bin der Überzeugung, daß Politikverdrossenheit und Kirchenverdrossenheit ihren gemeinsamen Grund auch in der heute mangelhaften Unterscheidung von schlechtem Individuum und echtem Verständnis von Person haben. 3. Brüderlichkeit Ein anderes Motiv wird benötigt, um die Isolation des einzelnen, die enggeführte Zweckverbundenheit von Gruppen und die Anonymität des Kollektivs überhaupt lebbar zu machen. Man nennt es die Brüderlichkeit. Aber auch hier hat die Geschichte bis in unsere Tage verdeutlichend interpretiert, was das für eine Brüderlichkeit sein kann, wenn man nicht aufpaßt Im individuellen Bereich gab und gibt es immer Verbrüderungen, um die Isoliertheit des Individuums zu überwinden. Sie reichen von Saufbrüdern über Kegelbrüder, Bundes- und Logenbrüder bis hin zu religiösen Brudergemeinschaften. Die Vorstellung von Brüderschaft reicht also von Kumpanei über Geheimbünde bis zur religiösen Berufung. Alle sind von der Idee einer gewissen Art von Gemeinschaft besessen. Der Begriff des Bruders wird aber dadurch nicht eindeutiger. Noch schlimmer, der Begriff des Bruders erfährt auch, so wage ich zu behaupten, im öffentlichen und politischen Bereich eine Uminterpretation. Bruder kann dazu dienen, die gemeinsame Rasse hervorzuheben und ein auf Blut und Boden begründetet Familiengefühl zu suggerieren. Bruder kann zum Genossen umfunktioniert werden. Bruder kann in der Terrorszene Verwendung finden. Der Begriff Bruder ist leer geworden und mit der unauswechselbaren Persönlichkeit des Menschen nicht mehr verbunden. Er dient dazu, dem isolierten oder kollektivierten Individuum den Nymbus einer Art Sozialität zu geben. Aus den voranstehenden Lamentationen sollte eines deutlich werden. Wir haben in unserer Zeit nicht nur den Begriff Person verloren, sondern überhaupt vergessen, was bei diesem Begriff an unaustauschbarem und unverzichtbarem christlichen Gedankengut mitgemeint war und bleibt.
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III. Der christliche Personbegriff Ohne hier zu dozieren, seien einige den Theologen bekannte Dinge genannt. Der wohl aus der etruskischen Sprache stammende Begriff "persona" wurde im Lateinischen in der Theaterwelt zur Bezeichnung einer Theaterrolle oder in der Juristensprache zur Bezeichnung eines Rechtssubjektes verwendet. Im ersten Fall meint dann Person eine individuelle, nicht auswechselbare Rolle im Gesamtplan eines Theaterstückes. Person wird also nicht von der Freiheit des Schauspielers her verstanden, sondern von der Funktion, die der einzelnen Rolle im Gesamt des Theaterstückes zukommt. Person ist von anderswoher bestimmt. Im zweiten Falle meint es eine rechtlich abgrenzbare Wirklichkeit, die ebenfalls nicht mit einer Person in unserem heutigen Sinne verbunden werden muß. Auch eine Nicht-Person kann Rechtssubjekt und so Rechtsperson sein. Erst durch die christliche Theologie hat der Begriff der Person eine Neudeutung erfahren, auf die wir gleich zurückkommen werden. Dem christlichen Begriff des lateinischen "persona" entspricht im Griechischen der Begriff Hypostase. In der vorchristlichen und auch noch frühchristlichen Zeit bis etwa um 300 n. Chr. hatte Hypostase die Bedeutung von Existenz, da und dort auch von Wesen und wurde gerne lateinisch mit Substanz wiedergegeben. Das Griechische kannte aber auch die Bedeutung des lateinischen Persona, soweit es in der Theatersprache verwendet wurde und Maske oder Rolle bezeichnete. Es verwendete dafür den Ausdruck Prosopon, was tatsächlich so viel wie Antlitz, Maske und individuellen, also den für das Gesamtverständnis eines Theaterstückes nicht austauschbaren Charakter bedeutet. Wie kommt es nun zu dem christlichen Begriff der Person, bzw. der Hypostase und welche Elemente sind in diesem Personbegriff von entscheidender christlicher Bedeutung? 1. Person in der Trinität Die Theologie hatte aufgrundder biblischen Rede von dem einen Gott, der Vater, Sohn und Geist ist, zu erklären, wie man sich diese Dreieinheit vorzustellen hat. Einerseits mußte man die Irrlehre abwehren, als ob Vater, Sohn und Geist nur drei Erscheinungsweisen Gottes (Modalismus) seien. Andererseits hatte man zu betonen, daß Vater, Sohn und Geist nicht drei Götter sein können (Tritheismus). Man verwendete nun für Vater, Sohn und Geist den Begriff der Hypostase, bzw. den des Prosopon und meinte damit zunächst, daß Vater, Sohn und Geist drei von einander unterschiedene Wirklichkeiten (Hypostasen) sind. Innerhalb des einen Gottseins kommen Vater, Sohn und Geist drei verschiedene und unverwechselbare aktive
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Rollen (Prosopa) zu, die aber, um die dramatische Einheit Gottes nicht zu gefährden, nicht voneinander getrennt werden dürfen, also nicht im schlechten Sinn Individuen sind. Wenn ein Theaterstück aus einem Guß sein soll, kann man auch keine für das ganze Stück charakteristische Rolle heraustrennen, es sei denn, man zerstört es. Hypostase besagt also, die eigene Identität in offener Beziehung zu finden. Aufgrund der Auskünfte aus der heiligen Schrift und zweier großer Konzilien, des Konzils von Nicäa (325) über die wirkliche Gottheit Christi und des Konzils von Konstantinopel (381) über die Gottheit des Heiligen Geistes versuchte man nun, dieses Verhältnis zu bestimmen. Dabei erschloß sich immer mehr, was es bedeutet, wenn man Vater, Sohn und Geist als Person, als Hypostase, als Prosopon bezeichnet. Eine klassische Formulierung der Einheit in Verschiedenheit und damit der Beziehung lieferte Johannes von Damaskus. Er verrät damit die Tiefe des christlichen Begriffes von Person in kontrapunktischer Weiterentwicklung des heidnischen. Faktisch handelt es sich um eine Neuschöpfung des Begriffes: "Das Ineinanderverweilen und Sitzen der Personen (Hypostasen) bedeutet: Sie sind unzertrennlich und gehen nicht auseinander, und sie besitzen eine unvermischte Durchdringung miteinander, nicht so, daß sie zusammenfließen oder sich vermischen, sondern so, daß sie zusammenhängen. Der Sohn ist nämlich in Vater und Geist und der Geist ist in Vater und Sohn und der Vater ist in Sohn und Geist, ohne daß ein Zusammenfließen oder sich Verschmelzen oder sich Vermischen stattfindet. Eins und identisch ist ihre Bewegung, denn die Hebung und Bewegung der drei Personen ist eine einzige, was man in der geschaffenen Natur nicht bemerken kann." 1 Man nennt dieses Ineinandersein der drei göttlichen Personen "Perichorese". Seitdem ist dieses offene Beziehungsmodell der Perichorese nicht mehr aus den Lehrverkündigungen der Kirche verschwunden. Damit haben wir ein erstes wichtiges Element des christlichen Personenbegriffes gefunden. Der Personbegriff ist in seiner vollen Wirklichkeit in Gott realisiert. Dort hat er seinen Maßstab und seinen Grund. Ein zweites sei sofort genannt. Person ist nicht sosehr definiert von der Vorstellung der abgegrenzten, voneinander getrennten Individuen her. Wäre das bei Gott so, müßten wir Vater, Sohn und Geist als drei individuelle Götter bezeichnen. Person wird, damit die Einheit und Einzigkeit Gottes gewahrt bleibt, von einem Zueinander im Ineinander her beschrieben. Person in Gott ist eine Wirklichkeit, die eine andere Person in sich aufnehmen kann. Was damit gemeint ist, wird verständlich, wenn wir bedenken, daß in Gott alles unendlich ist. Auch der Unterschied der Personen ist damit als unendlich zu verstehen. Der Vater ist unendlich verschieden vom Sohn, vom Heiligen 1 Johannes von Damaskus, De fide orthodoxa I 14: PG 94, 860; Kotter (PTS 12) 42, 11-18. Dt. Text zitiert nach Joh. Auer, Gott- der Eine und Dreieine (Kleine Kath. Dogmatik), Regensburg 1978, 329.
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Geist etc. Das Personsein in Gott ist also eine Wirklichkeit, die eine unendliche Verschiedenheit ihrer selbst so in sich aufnehmen kann, daß diese unendliche Verschiedenheit der anderen Person in ihr Leben und Personalität finden kann. Letztlich wird nur diese Vorstellung der Verkündigung Jesu gerecht, daß er als der Sohn Gottes im Vater ist und der Vater in ihm. Nichts also spricht vom eingegrenzten und eingeigelten, auch nicht vom ausgegrenzten Individuum, alles jedoch von einer Person, deren Beziehung zu der anderen ein Ineinander bedeutet. Ein weiteres ist damit aber auch gesagt, wie Johannes von Damaskus verdeutlicht. Dieses Ineinanderwohnen bedeutet nicht Vermischung oder Selbstauflösung der Personen. Wäre dem so, hätten wir die oben gegen die Auskunft der Heiligen Schrift gerichtete Häresie des Modalismus. Vielmehr bedeutet dieses Ineinanderwohnen der Personen ein Verhältnis der Freiheit. Die eine Person muß sich nicht vor der anderen Person schützen, sondern ist sie selbst gerade dadurch, daß sie in sich die andere Person leben läßt. Person in diesem Sinne hat nichts mit dem sich abgrenzenden und nur so seine Freiheit bewahrenden Individuum zu tun, von dem wir oben gesprochen haben. Freiheit der Personen in Gott ist vielmehr so verwirklicht, daß die eine Person ihren Freiheitsraum und ihre Eigenart in der anderen Person findet. Jede Person ist von egoistischem Selbst frei, sodaß sie die anderen Personen zu ihrer Mitte machen kann. Das entspricht vollkommen der kirchlichen Lehrverkündigung. Denn dort wird gesagt, daß das Vatersein Gottes nur vom Sohn her verstanden wird, das Sohnsein vom Vater her. 2 Die eine Person ist sie selbst in und von der anderen Person her. Personsein in Gott besagt also eine Freiheit von sich, um sich ganz von der anderen Person her zu empfangen. Wenn wir sagen, daß das größte Geheimnis des christlichen Glaubens die Trinität ist, kann man das auch umformulieren und sagen: zum größten Geheimnis des christlichen Glaubens gehört die Verwirklichung der Personalität in Gott. Und wenn wir, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird, diesen Personbegriff analog und abgeleitet auf den Menschen anwenden, dann muß er noch bei aller Unähnlichkeit der Analogie die Spuren seiner Erstverwirklichung an sich tragen.
2 So erklärt die Kirchenversammlung von Toledo im Jahre 675: ,.Hat doch die Dreifaltigkeit selbst sich gewürdigt, uns das deutlich zu zeigen. Denn gerade in den Namen, in denen ihrem Wunsch gemäß die Personen einzeln erkannt werden sollten, hat sie dafür gesorgt, daß die eine Person ohne die andere nicht begriffen werden kann. Denn der Vater läßt sich nicht ohne den Sohn begreifen, und es gibt keinen Sohn ohne den Vater. Schon die Bezogenheit in einer Personbezeichnung verbietet, die Personen zu trennen. Wenn eine solche sie auch nicht (alle) zusammen nennt, weist sie doch zugleich auf sie (alle) hin. Niemand kann eines dieser Worte hören, ohne notwendig auch die anderen mitzuverstehen" (NR 276).
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2. Person in der Christologie Nachdem der Begriff der Person in der Trinitätstheologie eingeführt war, mußte man sich nun auch Gedanken machen über das Zueinander der Göttlichen Person des Sohnes und seiner Menschheit. Das Konzil von Chalcedon stellt dazu im Jahre 451 fest: "Wir bekennen einen und denselben Christus, den Sohn, den Herrn, den Einziggeborenen, der in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert besteht. Niemals wird der Unterschied der Naturen wegen der Einigung aufgehoben, es wird vielmehr die Eigentümlichkeit einer jeden Natur bewahrt, indem beide in eine Person und Hypostase zusammenkommen. Wir bekennen nicht einen in zwei Personen getrennten und zerrissenen, sondern einen und denselben einziggeborenen Sohn, das göttliche Wort, den Herrn Jesus Christus, wie schon die Propheten es vor ihm verkündet und der Herr Jesus Christus selbst es uns gelehrt und das Glaubensbekenntnis der Väter es uns überliefert hat" (NR 178). Im Klartext sagt das Konzil ein Doppeltes: Einmal umfaßt die Person des Sohnes Gottes die göttliche Natur des Logos, mit der sie der Gottheit nach identisch ist, und zudem die Menschheit Jesu, die geschaffen ist. Göttliche Person birgt in ungetrennter und untrennbarer Einheit Gottheit und Menschheit. Zum anderen kann aber diese Personalität des Sohnes Gottes die beiden Wirklichkeiten Gottheit und Menschheit unvermischt belassen. Die göttliche Person des Sohnes Gottes kann also nicht nur eine andere göttliche Person umgreifen und ihr Lebensraum gewähren. Sie kann auch eine menschliche Wirklichkeit in sich aufnehmen, ohne sich selbst dadurch zu verendlichen oder gar die menschliche Wirklichkeit zu zerstören. So bleibt in der Einheit mit der göttlichen Personalität und ihrer Freiheit die menschliche Freiheit erhalten. 3 Vielmehr birgt die göttliche Person, insofern sie Person ist, eine menschliche Wirklichkeit, hier die Freiheit. Das christologische Dogma sagt uns, daß der Sohn Gottes so Person ist, daß er sich nicht vor der Fremdheit irdischer Wirklichkeit scheuen muß. 4 Im Kreuzesereignis zeigt der Sohn Gottes, daß er sogar dem Tod in sich Raum geben kann, indem der Mensch Jesus stirbt, ohne daß dadurch die göttliche Person Schaden leidet. 5 In der Auferstehung zeigt Christus, daß seine göttliche Personalität 3 Das 3. Konzil von Konstantinopel (680-681) erklärt: •... Auch wir verkünden, daß gemäß der Lehre der heiligen Väter zwei natürliche Willen und zwei natürliche Wirkweisen ungetrennt, unverändert, ungeteilt und unvermischt in ihm (Christus) sind" (NR 220). 4 Das gleiche Konzil: "Wir geben in keinem Falle zu, daß Gott und sein Geschöpf ein und dieselbe Wirkweise haben, damit wir nicht das Geschöpf in die göttliche Wesenheit erheben und das Erhabene der göttlichen Natur auf den der Schöpfung gebührenden Platz herabdrücken" (NR 221). 5 Das gleiche Konzil neuerlich: .Das Leiden und die Wunder schreiben wir einem
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die Menschheit Jesu neuerlich umgreift. Die göttliche Person des Logos ist also eine Wirklichkeit, die bei Aufnahme von endlicher Geistigkeit und auch von Leiblichkeit, damit sogar von Materie nicht stirbt, sondern diesem allem Raum und personales Leben und Freiheit geben kann. Nichts also von Selbstverschlossenheit des Individuums, sondern Offenheit der Person, um anderen Freiheit und Personalität zu gewähren. IV. Christliche Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit Auf dem Hintergrund des christlichen Personbegriffes müßte nun das Programm von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf eine neue, christliche Basis gestellt werden. Ich gehe davon aus, daß der theologische Begriff der Person noch etwas von seinen göttlichen Dimensionen offenbaren muß, wenn er auf den Menschen angewendet wird. 1. Freiheit a) Trinität
Freiheit soll nun nicht wie oben vorgeführt, vom Begriff des Individuums her verstanden werden, sondern vom christlichen Begriff der Person her. Menschliche Freiheit wäre dann gemäß der Trinitätstheologie vor allem die Freiheit der Person, anderen Personen in sich Freiheit und Lebensraum zu geben. Wir hätten eine offene, auf den anderen als der Alternative zu mir selbst ausgerichtete Individualität. Letztlich wäre das in irdischer Verwirklichung jene Freiheit des Menschen, sich von einem anderen, auch von einem Bettler, den man aufnimmt, beschenken zu lassen. Zugleich müßten wir aber auch eine Freiheit der Person dazu hin anerkennen, in einer anderen Person ihren Lebenssinn und ihren eigenen Grund zu finden. Welche Perspektiven für Ehe, Familie, Gemeinschaft mit Christus etc. ergäben sich daraus! Die aus der Persönlichkeit entspringende menschliche Freiheit wäre dann gegeben, wenn sie sich zutraut, freigelassen und Freiheit gewährend, nicht partielle, sondern personumfassende innigste Gemeinschaft zu leben. b) Christologie
Freiheit christlicher Persönlichkeit vollzieht sich nach der Personvorstellung des Konzils von Chalcedon mutatis mutandis dort, wo der Mensch sein und demselben zu, (freilich) je nach der Verschiedenheit seiner Naturen, aus denen und in denen er besteht, wie der ehrwürdige Cyrill sagt .. ." (NR 221).
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Personsein einem anderen Menschen öffnet und ihn so zu der ihm naturhaft zukommenden personalen Würde befreit (Kind - Eltern, Freund - Feind). Freiheit der Person ereignet sich auch, wenn die menschliche Person dem eigenen, zunächst Nicht-Personalen personalen Raum anbieten kann, etwa dem eigenen Leib, dem eigenen Leben, der eigenen Natur etc. Personale Freiheit vollzieht sich auch dort, wo der Mensch sogar einem fremden Leibe in sich Raum, den Raum der Freiheit geben kann (Ehe). Und noch weiter: Freiheit der Person ereignet sich dort, wo der Mensch sogar seinem Feind als der aggressivsten Alternative zu sich selbst Raum gewähren (Verzeihung) und sich sogar gemäß der Botschaft vom Kreuz dem Tode ausliefern kann, ohne dabei zu fürchten, dar an eine Ewigkeit lang zugrunde zugehen (Martyrium). 2. Gleichheit a) Trinität
Der christliche Begriff der Person ist nicht primär von einem in sich selbst gegründeten, solipsistischen Individuum her bestimmt. Vielmehr zeigt die Trinitätstheologie, daß sich die eine göttliche Person gerade als sie selbst von der anderen Person her versteht. Wie erläutert, ist der Vater vom Sohn her und der Sohn vom Vater her zu verstehen. Dieses Verständnis wirft auf den Begriff der Gleichheit ein neues Licht. Es handelt sich immer um eine von einer anderen Freiheit geschenkte und in Liebe gewährte Gleichwürdigkeit bei echter personaler Alternative und Andersartigkeit Denn der Sohn ist nicht der Vater, aber er ist "Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott." Der christliche Glaube kennt also einen Person begriff, der die Gleichheit und Gleichwürdigkeit in Unterschiedenheit und unendlicher Verschiedenheit zur anderen Person ausdrückt. 6 Soll nun der christliche Begriff der Person auf den Menschen Anwendung finden, scheidet zunächst die Vorstellung des Kollektivs oder des Kollekti6 Die erwähnte Kirchenversammlung von Toledo sagt dazu: .Obwohl wir drei Personen bekennen, bekennen wir doch nicht drei Wesenheiten, sondern eine Wesenheit, aber drei Personen. Insofern nämlich der Vater Vater ist, ist er nicht zu sich, sondern zum Sohn hin. Und insofern der Sohn Sohn ist, ist er nicht zu sich, sondern zum Vater hin. Auf gleiche Weise wird auch der Heilige Geist nicht auf sich, sondern auf den Vater und den Sohn bezogen, dadurch nämlich, daß er der Geist des Vaters und des Sohnes genannt wird ... Man muß also bekennen und glauben, daß jede einzelne Person für sich vollkommen Gott ist und daß alle drei Personen zusammen ein Gott sind. Sie besitzen die eine und ungeteilte und selbige Gottheit, Majestät oder Macht, die in den einzelnen nicht vermindert und in allendreiennicht vermehrt wird. Denn sie ist nicht geringer, wenn jede einzelne Person für sich Gott genannt wird, sie ist nicht größer, wenn man alle drei Personen zusammen Gott nennt" (NR 271).
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vismus aus. Die Trinität ist kein Kollektiv. Der Kollektivismus beachtet nicht, wie sehr die Person als solche in ihrer Urverwirklichung in Gott als unendlich verschieden von der anderen Person verstanden werden muß und doch die gleiche Würde in der anderen Person findet und von ihr her erhält.1 Der christliche Personbegriff läßt aber auch den Individualismus nicht zu. Der Individualismus täuscht den Menschen über seine Herkunft als Person. Der einzelne Mensch erhält sich und sein Personsein dagegen stets von einer anderen Freiheit und findet gerade in der Liebe dieser anderen Freiheit sein Selbstsein. Der christliche Personbegriff fordert diese Gemeinschaft in freigesetzter Verschiedenheit. Die Gleichwürdigkeit der menschlichen Personen liegt in der sie umgreifenden Dreipersonalität Gottes begründet. b) Christologie
Auch vom Personbegriff, wie ihn die Christologie verwendet, fällt neues Licht auf den Begriffsinhalt von Gleichheit. Die Menschheit Jesu wird in der Personalität des Logos auf die Ebene Gottes gehoben, ohne Gott zu werden. Unvermischt mit Gottheit und ungesondert von der Gottheit ist Jesus der eine Sohn des Vaters. Person läßt also eine Identität in Differenz zu, besser gesagt, schafft eine Einheit in Differenz. Die Person des Menschen als analoge Verwirklichung der Personalität des Gottmenschen ist mit ihrer Leiblichkeit nicht identisch, niemals aber von ihr getrennt. Daher ist ein politisch-ökonomisches Prinzip, das den Menschen allein von seiner ökonomischen Bedürftigkeit her zu verstehen sucht, antipersonaL In gleicher Schärfe gilt aber auch das Umgekehrte: Wer die menschliche Person von nur geistigen Bedürfnissen her bestimmt und so definiert, wie eine falsche Gnosis, ein gewisser Neuplatonismus, der Manichäismus oder der Doketismus und die Katharer oder die Waldenser des Mittelalters dies taten, und wer den Leib verachtet und als nicht zum Menschen gehörend betrachtet, der wird dem Personverständnis des christlichen Grunddogmas der Inkarnation und seiner analogen Anwendung auf den Menschen nicht gerecht. Von der inkarnatarisch verstandenen Person her kann es die verschiedensten Bedürftigkeiten des Menschen bei gleicher Würde und so auch gleiche Würde bei verschiedenen Verwirklichungen von Person geben. Es gibt unter den Menschen Ungleichheit bei gleicher personaler Würde. Damit soll nicht gegen einen freien sozialen und ökonomischen Ausgleich unter den Menschen und den Völkern geredet werden. Und dennoch gilt: Ein gesunder Mensch besitzt die personale Würde auf andere Weise als ein kranker Mensch. Ein Volk besitzt seine Kultur und seine Geschichte anders als ein anderes. 7
hin.
Vgl. Anm. vorher: Der Vater ist auf den Sohn hin und der Sohn ist auf den Vater
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3. Brüderlichkeit
In der kirchlichen Verkündigung spricht man viel von Brüderlichkeit. Dieser Begriff ist oft seiner theologischen Tiefe beraubt und vor allem sehr oft nicht geklärt. So kann er sich nicht gegen säkulare Depravation wehren. Auch hier scheint mir die theologische und genuin christliche Vorstellung von Person entschieden Abhilfe schaffen zu können. a) Trinität
Wenn wir auch zugeben müssen, daß der Begriff der Brüderlichkeit in der Trinitätstheologie nicht vorkommt, so kann aber doch der trinitarische Personbegriff helfen, die Vorstellung dessen, was Bruder bedeutet, zu erhellen. Wie die eine göttliche Person bei aller Wertgleichheit und Erhabenheit in ihrer Eigentümlichkeit darin besteht, wie sie ihr Wesen verschenkt und erhält, 8 so ist eigentlich der Bruder nach dem Neuen Testament nicht der, der von Natur aus Bruder ist, also durch Blutsbande, sondern durch freie Erwählung Gottes selbst. Bruder hat nämlich etwas mit der Begnadung durch den dreifaltigen Gott zu tun: "Friede sei mit den Brüdern, Liebe und Glaube von Gott, dem Vater, und Jesus Christus, dem Herrn" (Eph. 6, 23). Bruder ist tatsächlich der, der mir von Gott zum Bruder erwählt wurde (1 Thess 1, 4). Bruder ist nicht der mir durch Blut, sondern durch Gnade Vorgegebene. Ich muß mich als Bruder von ihm her verstehen. Bedenkt man nun, was diese Vorgegebenheit durch Gott bedeutet, dann stellt sich auch wieder der christliche Personbegriff in biblischer Färbung ein. Das Johannesevangelium läßt Jesus zum Vater für die Glaubenden beten, daß alle eins seien, wie der Vater im Sohn und der Sohn im Vater, wie der Sohn in den Glaubenden und der Vater in Christus. 9 Die Begnadung des Menschen heißt also, daß der Mensch seine eigene Person umgriffen findet von der Dreipersonalität Gottes. Oder auch, daß die menschliche Person so ist, daß sie sich so von sich entleeren kann, daß der dreipersonale Gott in ihr Wohnung nehmen kann. Hier ist eine Brüderlichkeit der Erwählung angesprochen, bei der gerade der Unterschied zwischen der Würde der drei göttlichen Personen und der Personalität des Menschen betont wird, also keine Kumpanei entsteht und 8 IV. Laterankonzil1215: "Es ist also klar, daß der Sohn ohne alle Einschränkung in seiner Geburt das Wesen des Vaters empfing und daß so Vater und Sohn dasselbe Wesen haben• (NR 279). 9 Joh 17, 20-23: Aber ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damitdie Welt glaubt, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir.
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dennoch die Brüderlichkeit gewahrt wird. 10 Person ist ihrem Wesen nach auf Gemeinschaft angelegt, ist gerade in ihrer je verschieden gearteten Offenheit auf andere Personen von gleicher Würde. b) Christologie
Jesus macht in seiner Verkündigung deutlich, daß der Begriff Bruder mit ihm und von ihm her eine ganz neue Bedeutung erhält, die nicht mehr innerweltlich begründet ist: .,Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden" (Mt. 5, 47)? Bruder ist der andere, der eben nicht durch die Blutsbande einzufangen ist: •Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter" (Mt. 12, 15). Die Bruderschaft stammt aus dem Verhältnis des Menschen zu Gott. Daher ist auch der Fremde, der ganz andere, der Geringe mir Bruder: .,Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt. 25, 40)! Die Brüderlichkeit im Christentum ist also nicht nur eine theologische, sondern auch eine christologische Kategorie. Natürliche Bruderschaft kann sogar Hindernis der Nachfolge Christi und damit der wahren Brüderlichkeit sein (MK 10, 29; Lk 14, 26). Die Bruderschaft unter Menschen ist in der Vaterschaft Gottes und in der besonderen Sohnschaft Christi begründet: .Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott" (Joh 20, 17). Die christologisch-trinitarische Bedeutung der Bruderschaft charakterisiert Paulus sehr schön, wenn er sagt: •... denn alle, die er (Vater) im Voraus erkannt hat, die hat er auch im Voraus dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern sei" (Röm 8, 29). Einer ist mir Bruder, weil Christus für ihn gestorben ist (1 Kor 8, 11 f.). Bruder kann für die anderen sogar Abglanz Christi sein (2 Kor 8, 23), letztlich weil Christus die Brüder in seinem Tode entsühnt hat: .. Darum mußte er in allem seinen Brüdern gleich sein, um ein barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott zu sein und die Sünden des Volkes zu sühnen" (Hebr 2, 17). Auch hier zeigt sich der christliche Person begriff. Der Mensch ist nur dann jene Person, die den Bruder aufnehmen kann, wenn er selbst frei ist von Eigendünkel, Selbstgerechtigkeit und dem Gedanken der Selbsterlösung, letztlich frei von der schlechten Individualität. Der Mensch ist nur dann fähig für Brüderlichkeit, wenn er frei ist, den von Gott, von Christus geschenkten Bruder aufzunehmen. Das ist er aber nur dann, wenn er auch für Gott frei ist. 10 IV. Laterankonzil (1215) gegen Joachim von Fiore: .Wenn aber die (ewige) Wahrheit für die Gläubigen zum Vater betet: Ich will, daß sie in uns eins seien, wie auch wir eins sind (Joh 17, 22), so wird hier das Wort ,eins' für die Gläubigen in dem Sinne genommen, daß darunter die Liebeseinheit in der Gnade, für die göttlichen Personen aber, daß darunter die Einselbigkeit der Natur verstanden wird" (NR 280).
Zum kritischen Potential des theologischen Personbegriffs
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Christliche Person ist jene Person, die für den persönlichen Gott offen ist und infolgedessen auch für den Menschen .,ohne Ansehen der Person" offen sein kann. Man kann das auch umgekehrt formulieren: Wahre Brüderlichkeit liegt eben nicht im Menschen, sondern in Gott begründet. Brüderlichkeit wird nicht gemacht, ist auch nicht durch die Natur vorgegeben, sondern von Gott geschenkt.
V. Schlußbemerkung Besinnt sich die lehrende und zugleich glaubende Kirche wieder auf den Begriff, mit dem sie die Personalität Gottes verkünden sollte, in ihrem Alltag, dann wäre eine Möglichkeit gegeben, jene psychologischen und geschichtlich gewordenen Engführungen eines Programms der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit neu und auf ihre Weise zum Heil der Menschen zu beleben. Es hätten die Glaubenssätze zur Trinität und zur Christologie wieder einen konkreten, sogar politischen Sitz im Leben des Menschen. Wie reizvoll und zum Wohl aller wäre es nun für die Fachleute, aufgrunddieser theologischen Vorgaben die oben angeführten Lamentationen zu entkräften und eine neue christliche Ordnung zum Wohl der Menschen und zur Verherrlichung Gottes zu entwerfen.
DIE BISTUMSGRENZEN IN DEUTSCHLAND
Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Überlegungen zu ihrer Neuumschreibung Von Joseph Listl, Augsburg
Aus zwei Gründen ist die Diözesanzirkumskription in Deutschland seit längerer Zeit Gegenstand vielfältiger Erörterungen. Die größtenteils nach dem Wien er Kongreß im Zuge der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse festgelegten Diözesangrenzen entsprechen in großräumiger Betrachtung in vieler Hinsicht nicht mehr den heutigen seelsorglichen und sozioökonomischen Verhältnissen und decken sich vielfach auch nicht mehr mit den Grenzen der jeweiligen Bundesländer und der staatlichen Verwaltungsbezirke. Insbesondere im Hinblick auf die Bestimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils, das in dem Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche "Christus Dominus" Veränderungen in der Bistumsstruktur überall dort empfohlen hat, wo dies aus pastoralen Gründen erforderlich ist, wurde auch in der Bundesrepublik Deutschland eine Angleichung der Diözesangrenzen an die gewandelten Verhältnisse empfohlen. Ferner bildet die vom Heiligen Stuhl aus wohlerwogenen Gründen immer wieder aufgeschobene Neugliederung der kirchlichen Verwaltungsbezirke in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands ein seit langer Zeit vieldiskutiertes und ungelöstes pastorales, rechtliches und kirchenpolitisches Problem. Mit diesen Fragestellungen befaßt sich der vorliegende Beitrag. Er wurde abgeschlossen am 19. Februar 1990. Die spätere gesamtdeutsche Entwicklung konnte nicht mehr berücksichtigt werden. I. Die historischen Grundlagen der gegenwärtigen Diözesanzirkumskription in Deutschland
Die gegenwärtige deutsche Diözesanorganisation kann nur auf dem Hintergrund des Verlaufs der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zutreffend verstanden werden'. Nach dem Untergang des Heiligen 1
Die gegenwärtige Diözesanverfassung der katholischen Kirche in Deutschland
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Römischen Reichs Deutscher Nation und dem damit verbundenen Zusammenbruch der von Kaiser Otto I., dem Großen (936-973), geschaffenen einstmals so glanzvollen deutschen Reichskirche bedurfte auch die Diözesanorganisation der katholischen Kirche in den Staaten des Deutschen Bundes einer grundlegenden Neuordnung. Diese erfolgte im Anschluß an den Wiener Kongreß im Wege vertraglicher Abmachungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den einzelnen deutschen Staaten, und zwar im Falle des Königreichs Bayern durch ein Konkordat und bei den übrigen deutschen Staaten durch sog. päpstliche Zirkumskriptionsbullen, deren Inhalt in allen Fällen vorher in eingehenden und zum Teil sehr langwierigen Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem jeweiligen Staat des Deutschen Bundes vereinbart wurde. Diese Zirkumskriptionsbullen wurden in dem Gesetzblatt des jeweiligen Staates veröffentlicht und erhielten durch die landesherrliche Sanktion auch innerstaatlich den verpflichtenden Charakter eines staatlichen Gesetzes. In ihren wesentlichen Grundlagen beruht die Festlegung der Bistumsgrenzen in Deutschland auch heute noch weitgehend auf den nach dem Wiener Kongreß getroffenen Vereinbarungen. Dies trifft insbesondere für Süddeutschland zu. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde 1921 für das Land Sachsen das Bistum Meißen mit Sitz in Bautzen neu errichtet. 1929 erfolgte im Preußischen Konkordat die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse für Preußen mit der Errichtung der Diözesen Aachen und Berlin. 1957 wurde das Bistum Essen gegründet. Auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik erfuhren nach dem Zweiten Weltkrieg die kirchlichen Verhältnisse nur eine vorläufige Regelung. Eine endgültige Festlegung der Diözesangrenzen ist hier bisher noch nicht erfolgt. Im einzelnen beruht die gegenwärtige Diözesanzirkumskription in Deutschland auf folgenden rechtlichen Grundlagen: 1. Bayerisches Konkordat vom 5.6.1817 Für den Bereich des Königreichs Bayern erfolgte die Neuordnung der Diözesanorganisation nach dem Wiener Kongreß durch die Übereinkunft vom 5.6.1817 zwischen Sr. Heiligkeit Papst Pius VII. und Sr. Majestät Maximi/ion I. Joseph, König von Bayern2. Durch das Konkordat wurden in Bayern ist dargestellt bei Karl-Eugen Schlief, Die Organisationsstruktur der katholischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph List!, Bd. 1, Berlin 1974, S. 299-325. 2 Deutscher Wortlaut des Bayerischen Konkordats bei Ernst Rudolf Huber I Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. I: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution, Berlin 1973, S. 170 ff. Die genaue Umschreibung der Grenzen der bayerischen Diözesen und ihrer inneren
Die Bistumsgrenzen in Deutschland
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zwei Kirchenprovinzen errichtet, nämlich die Kirchenprovinz München und Freising mit dem Erzbistum München und Freising und mit den Suffraganbistümern Augsburg, Regensburg und Passau sowie die Kirchenprovinz Bamberg mit dem Erzbistum Bamberg und den Suffraganbistümern Eichstätt, Speyer und Würzburg. Die Festlegung der Diözesangrenzen erfolgte gemäß dem später von allen Staaten des Deutschen Bundes praktizierten Grundsatz, daß die Diözesangrenzen sowohl gegenüber dem Ausland als auch gegenüber den anderen Staaten des Deutschen Bundes in aller Regel mit den Staatsgrenzen zusammenfallen sollten. Eine historisch begründete Ausnahme bildete im Bayerischen Konkordat lediglich das Bistum Würzburg, zu dem bis zum heutigen Tag auch das Gebiet des benachbarten Sachsen-Meiningen gehört 3• 2. Die Zirkumskriptionsbulle "De salute animarum" vom 16.7.1821 für Preußen Von großer Tragweite für die Neuordnung und die Stabilisierung der Verhältnisse der katholischen Kirche in Deutschland wurde die Zirkumskriptionsbulle "De salute animarum" vom 16.7.1821 4• Durch sie wurden nach dem Modell der Regelungen im Bayerischen Konkordat im Königreich Preußen ebenfalls zwei Kirchenprovinzen errichtet, nämlich die Kirchenprovinz Köln mit dem Erzbistum Köln und den Suffraganbistümern Trier, Münster und Paderborn im Westen und die Kirchenprovinz Gnesen-Posen mit dem vereinigten Erzbistum Gnesen-Posen und dem Suffraganbistum Kulm im Osten. Die beiden Diözesen Breslau und Ermland blieben exemt, d. h. nach wie vor unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt. 3. Oberrheinische Kirchenprovinz Nach besonders schwierigen und langwierigen Verhandlungen kam durch die Zirkumskriptionsbulle .Provida solersque" vom 16.8.1821 eine Regelung Gliederung erfolgte durch die aufgrunddes Konkordats vom 5.6.1817 für das Königreich Bayern erlassene Organisations- und Zirkumskriptionsbulle .Dei ac Domini nostri Jesu Christi" vom 1. April 1818, amtlich verkündet und damit wirksam am 8. September 1821 (vgl. Huber I Huber, ebd., S. 196). 3 Über den historisch begründeten Sonderstatus von Sachsen-Meinirrgen im Diözesanverband des Bistums Würzburg s. Alfred Wendehorst, Das Bistum Würzburg 180311957, Würzburg 1965, S. 73ff. 4 Deutscher Wortlaut bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. 1 (Anm. 2), S. 204 ff. Die Bulle .De salute animarum" hat auch das Gebiet des früheren Herzogtums Oldenburg dem Bistum Münster eingegliedert Durch die Konvention von Oliva vom 5.1.1830 wurde für Oldenburg in Vechta ein eigener Bischöflicher Offizialatsbezirk
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der Diözesaneinteilung für die bis heute bestehende sog. Oberrheinische Kirchenprovinz zustande 5. Zu dieser Kirchenprovinz gehörten das Erzbistum Freiburg und die Suffraganbistümer Mainz, Fulda, Rottenburg und Limburg. Die Festlegung der Diözesangrenzen erfolgte auch hier nach dem Leitgrundsatz, daß, sofern irgendwie möglich, stets die Diözesangrenzen mit den Landesgrenzen zusammenfallen mußten. Das Erzbistum Freiburg umfaßte deshalb .das ganze Gebiet des Großherzogtums Baden", das Bistum Mainz .das ganze Gebiet des Großherzogtums Hessen", das Bistum Fulda .das ganze Kurfürstentum Hessen" sowie neun Pfarreien im Großherzogtum Sachsen-Weimar, das Bistum Rottenburg "das ganze Königreich Württemberg", das Bistum Limburg "das ganze Herzogtum Nassau" und zugleich auch das Gebiet der freien Stadt Frankfurt, in der damals allerdings nur eine einzige katholische Pfarrei, nämlich die Dompfarrei St. Bartholomäus, bestand. 4. Königreich Hannover Durch die Zirkumskriptionsbulle ",mpensa Rarnanorum Pontificum" vom
26.3.1824 wurden im Königreich Hannover die beiden exemten Bistümer
Hitdesheim und Osnabrück geschaffen und ihr Gebiet, wiederum in Übereinstimmung mit den Landesgrenzen, neu umschrieben 6 . Das Gebiet des ehemaligen Herzogtums Braunschweig wurde erst durch Konsistorialdekret vom 2. 7.1834 dem Bistum Hitdesheim zugewiesen. 5. Bistum Meißen
Durch die Apostolische Konstitution .Sollicitudo omnium Ecclesiarum" vom 24.6.1921 wurde das 968 auf Vorschlag Kaiser Ottos I. von Papst Johannes XIII. gegründete und 1581 aufgehobene Bistum Meißen als exemtes Bistum für das Land Sachsen wiedererrichtet Es trat damit an die Stelle des bisherigen Apostolischen Vikariats Sachsen und der Apostolischen Präfektur der Lausitz. Sitz des Bischofs wurde Bautzen 7. geschaffen, der bis heute dem Bischof von Münster unmittelbar unterstellt ist und dem innerhalb des Bistums Münster ein Sonderstatus zukommt. 5 Deutscher Wortlaut der Zirkumskriptionsbulle bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. 1 (Anm. 2), S. 246 ff. 6 Deutscher Wortlaut der Zirkumskriptionsbulle bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. 1 (Anm. 2), S. 299 ff. 7 Wortlaut der Apostolischen Konstitution .Sollicitudo omnium Ecclesiarum" in: Acta Apostolicae Sedis, Bd. 13 (1921), S. 409 ff.
Die Bistumsgrenzen in Deutschland
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6. Bayerisches Konkordat vom 29.3.1924 Das Bayerische Konkordat vom 29.3.1924 hat die durch das erste Bayerische Konkordat vom 5.6.1817 geschaffene Diözesanorganisation und -Zirkumskription erneut bestätigt. Sie erfuhr keine Veränderungen mehr 8• 7. Preußisches Konkordat vom 14.6.1929 Durch das historisch bedeutsame Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Preußen vom 14.6.19299 wurde die Diözesanzirkumskription in Preußen zum Teil neu geordnet und den im Gefolge des Ersten Weltkriegs veränderten politischen Verhältnissen angepaßt. In Preußen wurde im Westen das Bistum Aachen neu errichtet und der Kirchenprovinz Köln angegliedert. Ebenso wurden die Bistümer Limburg und Osnabrück als Suffraganbistümer der Kölner Kirchenprovinz zugeteilt. Die Kirchenprovinz Paderborn wurde neu geschaffen. Dem zum Erzbistum erhobenen bisherigen Bistum Paderborn wurden die Diözesen Hildesheim und Fulda als Suffraganbistümer zugewiesen. Im Osten wurde die Kirchenprovinz Breslau errichtet, zu der neben dem zum Erzbistum erhobenen bisherigen Fürstbistum Breslau das neu errichtete Bistum Berlin, das Bistum Ermland und die Freie Prälatur Schneidemühl als Suffraganbezirke gehörten 10 • 8. Errichtung des Bistums Essen Gewissermaßen in Ergänzung zum Preußischen Konkordat erfolgte durch den Vertrag des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Heiligen Stuhl vom 19.12.1956 die Errichtung des Bistums Essen, das aus Gebietsteilen der Erzdiözesen Köln und Paderborn sowie der Diözese Münster gebildet wurde 11 • 8 Deutscher und italienischer Wortlaut des Bayerischen Konkordats nach dem Stand vom 1.7.1987 bei Joseph List/ (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis. Bd. 1, Berlin 1987, S. 474 ff. 9 Deutscher und italienischer Wortlaut des Preußischen Konkordats bei List/, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 8), Bd. 2, S. 709 ff. 10 Die Festlegung der Grenzen der Kirchenprovinzen und die Neuumschreibung der Diözesen im Preußischen Staat erfolgten im einzelnen durch die Zirkumskriptionsbulle .Pastoralis officii nostri" vom 13.8.1930. Lateinischer und deutscher Wortlaut bei List/, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 8), Bd. 2, S. 740 ff., 746 ff. 11 Wortlaut des Vertrags bei List}, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 8), Bd. 2, S. 230 ff.
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9. Niedersächsisches Konkordat vom 26.2.1965 Durch das bisher letzte größere deutsche Landeskonkordat, das am 26.2.1965 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Niedersachsen zustande kam, wurden innerhalb Niedersachsens zwischen den Bistümern Hildesheim und Osnabrück zum Zwecke der Grenzbereinigung einige kleinere Gebietsveränderungen vorgenommen. Ausdrücklich wurde dabei festgelegt, daß eine wesentliche Änderung der Diözesanzirkumskription einer ergänzenden Vereinbarung zwischen den Konkordatspartnern bedarf1 2. 10. Reichskonkordat vom 20.7.1933 Ausführliche Bestimmungen über die Zirkumskription der deutschen Diözesen enthält Art.11 des Reichskonkordats vom 20.7.1933. Danach bedürfen die Errichtung eines Bistums oder einer Kirchenprovinz sowie Änderungen der Diözesanorganisation und -Zirkumskription innerhalb eines deutschen Landes einer vertraglichen Zustimmung der Regierung des betreffenden Landes. Änderungen, die über die Grenzen eines Landes hinausgehen, erfordern eine Verständigung mit der Reichsregierung, der es überlassen bleibt, die Zustimmung der in Frage kommenden Landesregierungen herbeizuführen. Gleiches gilt für die Errichtung oder Änderung von Kirchenprovinzen, sofern mehrere deutsche Länder daran beteiligt sind 13 . Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß die Diözesanorganisation und -Zirkumskription sowohl in sämtlichen Länderkonkordaten als auch im Reichskonkordat durchgehend eine bedeutsame Regelungsmaterie darstellt. Wer eine Änderung der Diözesanzirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland fordert, muß bedenken, daß alle Änderungen der Diözesangrenzen und auch der Grenzen der Kirchenprovinzen innerhalb eines Landes der vertraglichen Zustimmung der zuständigen Landesregierung und, sofern die Änderung mehrere Bundesländer betrifft, der Zustimmung der betreffenden Landesregierungen und im Falle von Änderungen, die die Grenzen eines Landes überschreiten, auch der vertraglichen Zustimmung der Bundesregierung bedürfen.
12 Wortlaut des Niedersächsischen Konkordats bei List/, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 8), Bd. 2, S. 5 ff. 13 Wortlaut des Reichskonkordats bei List/, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 8), Bd. 1, S. 34 ff.
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II. Die Diskussion über eine zeitgemäße Umschreibung der Grenzen der deutschen Diözesen auf der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg (1971-1975) 1. Die Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils Neben verschiedenen anderen ,.heißen Eisen" hat die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, die von 1971 bis 1975 in Würzburg stattfand, auch die Thematik ,.Überlegungen zu einer Neuumschreibung der Bistumsgrenzen in der Bundesrepublik Deutschland" aufgegriffen. Die Synode konnte sich dabei auf einen ausdrücklichen Auftrag des Zweiten Vatikanischen Konzils berufen. Das Konzil hat in Nr. 22 des Dekrets über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche ,.Christus Dominus" dazu aufgerufen, möglichst bald mit Umsicht eine Überprüfung der Abgrenzung der Diözesen vorzunehmen, soweit das Heil der Seelen dies verlange. Dabei sollen, wie das Konzil erklärt hat, Diözesen geteilt, abgetrennt oder zusammengefügt, ihre Grenzen geändert oder ein günstigerer Ort für die Bischofssitze bestimmt werden. Schließlich sollen die Bistümer, besonders wenn es sich um Diözesen handelt, die aus größeren Städten bestehen, eine neue innere Organisation erhalten 14 . Jede Diözese soll aus einem zusammenhängenden Gebiet bestehen. Im Hinblick auf die Größe des Diözesangebiets und die Zahl der Gläubigen schwebt dem Konzil offensichtlich eine Diözese eher kleineren bis mittleren Umfangs als Ideal vor Augen, in der der Bischof, wenn auch von anderen unterstützt, imstande ist, die bischöflichen Amtshandlungen und Pastoralvisitationen persönlich vorzunehmen, die gesamte Seelsorgstätigkeit der Diözese in gebührender Weise zu leiten und zu koordinieren und insbesondere seine Priester kennenzulernen sowie auch die im Dienste der Diözese tätigen Ordensleute und Laien. Auf der anderen Seite soll der Diözese, wie das Konzil erklärt, aber auch ein hinreichendes und geeignetes Arbeitsfeld zur Verfügung stehen, in dem sowohl der Bischof als auch die Kleriker unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Gesamtkirche alle ihre Kräfte nutzbringend für den kirchlichen Dienst einsetzen können. Schließlich weist das Konzil auch darauf hin, und dies ist von entscheidender Bedeutung, daß jeder Diözese nach Zahl und Eignung wenigstens genügend Kleriker zur Verfügung stehen müssen, um das Volk Gottes recht zu betreuen. Insbesondere müssen die für die Teilkirche wesentlichen und erfahrungsgemäß für ihre ordnungsgemäße Leitung und seelsorgliche Betreuung notwendigen Ämter, Einrichtungen und Werke vorhanden sein. Schließlich muß die Diözese auch in wirtschaftlicher Hinsicht existenzfähig 14 Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche .Christus Dominus", Nr. 22.
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sein, d. h. die Mittel zum Unterhalt des Personals und der Einrichtungen müssen entweder schon vorhanden sein oder dürfen wenigstens nach kluger Voraussicht späterhin nicht fehlen 15 . Unter ausdrücklicher Berufung auf die Anweisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils wurden in Italien durch entsprechende Dekrete der Kongregation für die Bischöfe vom 30.9.1986 16 insgesamt 97 im Laufe der Zeit vakant gewordene und nicht mehr besetzte Bistümer und kirchliche Verwaltungsbezirke mit anderen Diözesen vereinigt. Damit wurde nach jahrzehntelanger Vorbereitung die Zahl der italienischen Diözesen von einem Tag auf den anderen von früher 325 auf nunmehr 228 reduziert. In den meisten Fällen wurden zwei, verschiedentlich aber auch drei und mehr Klein- und Kleinstdiözesen zu einem neuen Bistum zusammengeschlossen. Die Veränderungen beschränkten sich ausschließlich auf Mittel- und Süditalien, während Norditalien mit seinen durchschnittlich größeren Diözesen von dieser Neuordnung überhaupt nicht betroffen wurde. Viele der mit einem anderen Bistum vereinigten Diözesen hatten weniger als 50 000 Gläubige. Die Mehrzahl der vereinigten neuen Bistümer ist auch nach dieser Reform im Hinblick auf die Zahl ihrer Gläubigen erheblich kleiner als die zahlenmäßig kleinste der deutschen Diözesen, nämlich das Bistum Eichstätt mit 439 696 Katholiken. Nach wie vor bestehen in Italien zahlreiche Kleindiözesen 17 . 2. Änderungsvorschläge der Würzburger Synode zur Neuumschreibung der Bistumsgrenzen in der Bundesrepublik Deutschland Das Problem einer Neuzirkumskription der deutschen Diözesen hat auch die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg beschäftigt. Die Synode erteilte der hierfür zuständigen Sachkommission IX .,Ordnung pastoraler Strukturen", die unter der Leitung des Aachener Domkapitulars Prälat Philipp Boonen stand, den Auftrag zur 15 Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe (Anm. 14), Nr. 23. 16 Die einzelnen Dekrete der Kongregation für die Bischöfe sind veröffentlicht in: Acta Apostolicae Sedis 79 (1987), S. 625-828. 17 Vgl. hierzu die kritische Anmerkung von David Andreas Seeber, Kleine Lösung. Italien mit weniger Diözesen, in: Herder-Korrespondenz, 40. Jg. (1986), S. 511. In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse, daß sich der Heilige Stuhl in den Artikeln 16 und 17 des Lateran-Konkordats mit Italien vom 11.2.1929 verpflichtet hatte, die Zirkumskription der italienischen Diözesen nach Möglichkeit mit derjenigen der Staatsprovinzen in Übereinstimmung zu bringen und damit im Ergebnis die Zahl der italienischen Bistümer auf insgesamt 95, entsprechend der Zahl der italienischen Provinzen, zu reduzieren. Vgl. hierzu: Die Lateran-Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien vom 11. Februar 1929. Italienischer und deutscher Text.
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Erarbeitung einer Synodenvorlage ,.Neuumschreibung der Bistumsgrenzen in der Bundesrepublik Deutschland". Die Kommission nahm sich des ihr zuteil gewordenen Auftrags mit Bravour, einem von der damals in der Bundesrepublik Deutschland auch im kommunalen und staatlichen Bereich herrschenden Planungseuphorie beflügelten Reformeifer und mit deutscher Gründlichkeit an. Sie untersuchte die gegenwärtige Diözesanzirkumskription in Deutschland, sprach sich für die Notwendigkeit einer grundlegenden Neuordnung der Diözesen aus und entwickelte auch Kriterien für eine Neuumschreibung der Bistumsgrenzen. Die Kommission gelangte zu dem Ergebnis, daß die damaligen und auch derzeit noch bestehenden Bistumsgrenzen den von ihr entwickelten Kriterien ,.häufig nicht mehr gerecht" werden und daher dringend reformbedürftig seien. Allerdings sah sich die Kommission, wie sie selbst eingestand, nicht in der Lage, der Synode einen vollständigen Plan zur Neuordnung der Bistumsgrenzen vorzulegen, da insbesondere die staatliche und kommunale Neugliederung noch nicht in allen Bereichen zu Ende geführt sei. Der Hauptgrund dafür, daß der Plan der Ausarbeitung einer Beschlußvorlage zur Neuordnung der Bistumsgrenzen in der Bundesrepublik Deutschland von der Gemeinsamen Synode in Würzburg nicht weiterverfolgt wurde, lag in der Teilung Deutschlands und in der besonders prekären Situation des geteilten Bistums Berlin. Wohl nicht zu Unrecht entstand bei maßgeblichen Synodenmitgliedern die Befürchtung, ein Beschluß über eine Synodenvorlage zu einer neuen Diözesanzirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland könnte der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik eine willkommene Handhabe bieten, ihrerseits vom Heiligen Stuhl die Vornahme der endgültigen Neuregelung der Bistumsgrenzen auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik zu fordern. Gerade das entsprach aber nicht den Absichten der Gemeinsamen Synode. Es kam daher nicht zu der von der Sachkommission ursprünglich ins Auge gefaßten Synodenvorlage, die von der Gemeinsamen Synode hätte beschlossen werden können. Die Sachkommission IX beschränkte sich deshalb darauf, ,.ihre durch den Auftrag von Konzil und Synode veranlaßten Überlegungen" wenigstens in einem am 13./14. Juni 1975 verabschiedeten und den Mitgliedern des Präsidiums der Gemeinsamen Synode zur weiteren Veranlassung überreichten ,.Arbeitspapier" niederzulegen, als dessen Adressaten sie vor allem die Bischofskonferenz und die Bischöflichen Generalvikariate Autorisierte Ausgabe mit einer Einleitung des Päpstlichen Nuntius Eugenio Pacelli in Berlin. Mit 5 Karten. Freiburg/Br. 1929, S. 50 ff. Im italienischen Konkordat von 1984 ist diese Verpflichtung des Heiligen Stuhles nicht mehr erwähnt. Auch bei einer Reduktion der Zahl der italienischen Diözesen auf 95 wären, wie Seeber feststellt, in Italien, abgesehen von den Großstädten Rom, Mailand, Turin, Neapel und Palermo immer noch keine Groß-, geschweige denn Mammutdiözesen entstanden. 16 Pax et Justitia
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bzw. Ordinariate in der Bundesrepublik Deutschland bezeichnete 18 • Die Erwägungen und Ergebnisse der Sachkommission IX der Würzburger Synode können auch für künftige Überlegungen über eine Neustrukturierung der Diözesanorganisation der deutschen Bistümer von Bedeutung und Interesse sein. a) Beurteilung der gegenwärtigen Lage der deutschen Bistumsgrenzen
Das Arbeitspapier geht davon aus, daß die Industrialisierung, die einschneidenden Ergebnisse der beiden Weltkriege und nicht zuletzt der durch den Zweiten Weltkrieg ausgelöste Flüchtlingsstrom und die Aussiedlungen das politische und soziale Gefüge sowie die Siedlungs-, Erwerbs- und konfessionelle Struktur in der Bundesrepublik Deutschland stark verändert haben. Infolge der innerdeutschen Grenzziehung zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik seien die Bistümer Berlin, Fulda, Hildesheim, Osnabrück, Paderborn und Würzburg in "verschiedene Sektoren" zerschnitten. Mehrere Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland bildeten keine territoriale Einheit. So gehörten zu den Erzbistümern Freiburg, MünchenFreising und Paderborn und zu den Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Trier kleine Gebiete inmitten anderer Diözesen (Exklaven). Die Bistümer Mainz, Münster und Osnabrück bestünden aus getrennten Gebietsteilen. Diese durch die geschichtliche Entwicklung gewachsene Situation erweise sich infolge des Entstehens neuer Siedlungsräume und Industriegebiete sowie der mit ihnen neu wachsenden Sozialstrukturen als geradezu anachronistisch. Nach den Planungsvorstellungen der Sachkommission IX sollten wirtschaftliche und soziale sog. "Verdichtungsräume" aus pastoralen Gründen jeweils zu einer Diözese zusammengeiaßt werden. In diesem Sinne stellt die Kommission fest, daß die Verdichtungsräume Harnburg und Nürnberg zu je 18 Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Sachkommission IX. Arbeitspapier "Überlegungen zu einer Neuumschreibung der Bistumsgrenzen in der Bundesrepublik Deutschland", verabschiedet am 13./14. Juni 1975. 20 Seiten. Das Synodenpapier ist nicht veröffentlicht. Ein kurzer Auszug wurde publiziert in: SYNODE. Amtliche Mitteilungen der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. vom Sekretär der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Josef Homeyer, Bann, Jg. 1974, Heft 5, S. 10. Das Arbeitspapier beruht in seinen wesentlichen Aussagen und Ergebnissen auf Vorarbeiten eines von dem Münsteraner Pastoraltheologen Prof. Adolf Exeler geleiteten Doktoranden-Kolloquiums des Seminars für Pastoraltheologie an der Universität Münster. Der Ertrag dieser Überlegungen ist veröffentlicht in dem Beitrag von Hartmut Bartsch und Klemens Sieverding, Zur Neuordnung der Diözesangrenzen, in: Diakonia, 4. Jg. (1973), S.108-117.
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zwei Diözesen gehören, nämlich Harnburg zu Osnabrück und Hitdesheim und Nürnberg zu Eichstätt und Bamberg. Für den Raum Bremen seien sogar drei Diözesen zuständig, nämlich Hildesheim, Osnabrück und Münster, ebenso für den Raum Ingotstadt die Diözesen Augsburg, Eichstätt und Regensburg. Das Ballungsgebiet Frankfurt am Main gehöre zu den Diözesen Limburg, Mainz und Fulda. In Städten, die zu einem Verdichtungsraum zusammengewachsen seien, wie Mainz/Wiesbaden, Mannheim/Ludwigshafen, Ulm/Neu-Ulm, werde die Problematik derzeitiger Bistumsgrenzen überdeutlich 19 . Wichtige Großstädte in der Bundesrepublik Deutschland hätten noch keine angemessene kirchliche Vertretung. Und viele Bischofssitze befänden sich nicht an dem Ort mit der höchsten zentralörtlichen Qualität im Bistum und seien geographisch und verkehrsmäßig ungünstig gelegen. Hier verweist das Arbeitspapier insbesondere auf die Bischofsstädte Eichstätt, Limburg und Rottenburg. Dagegen sitze, um nur die wichtigsten Beispiele anzuführen, in Großstädten wie Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, Dortmund, Hannover und Nürnberg kein Bischof. Die Zugehörigkeit einer Reihe von Diözesen zu verschiedenen Bundesländern erschwere die Zusammenarbeit staatlicher und kirchlicher Verwaltungsstellen. Schließlich unterschieden sich, wie das Arbeitspapier anhand einer beigefügten Tabelle illustriert, die Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland auch hinsichtlich ihrer Flächengröße, Katholikenzahl, Priesterzahl und ihres Kirchensteueraufkommens wesentlich. b) Notwendigkeit und Kriterien einer Neuumschreibung der Diözesangrenzen
Bei der Entwicklung von Kriterien für eine Neuumschreibung der Bistumsgrenzen tat sich die Sachkommission IX offensichtlich schwer. In Hinblick auf die theologischen Grundlagen einer Neuzirkumskription der deutschen Bistümer stellt die Sachkommission in Übernahme einiger allgemeiner Aussagen des Dekrets über die Bischöfe des Zweiten Vatikanischen Konzils lediglich fest, daß sich die Größe des Bistums nach pastoralen Erfordernissen bestimmen müsse. Wo dies nicht der Fall sei, müßten bis zu einer Neuordnung der Bistumsgrenzen geeignete Übergangslösungen gefunden werden. Doch ist damit noch nichts Inhaltliches ausgesagt. Deutlich artikuliert die Kommission dagegen die sozioökonomischen Gesichtspunkte, die eine Änderung der bestehenden Diözesangrenzen nahelegen. Sie nennt dabei an erster Stelle die Notwendigkeit eines zusammenhängenden Diözesangebiets, ferner den freilich inhaltlich schwer zu 19
Arbeitspapier .Überlegungen zu einer Neuumschreibung der Bistumsgrenzen"
(Anm. 18), S. 4. 16'
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bestimmenden Grundsatz der ,.Überschaubarkeit der Diözese" nach der Zahl der Bewohner und der Koordinationsmöglichkeit der Seelsorgetätigkeiten. Eine Tendenz zur Aufteilung und Verkleinerung der größeren deutschen Diözesen ist unverkennbar, wenn die Kommission erklärt, daß die Größe des Bistums nach Gebietsumfang, Bevölkerung und Katholikenzahl eine ,.obere Begrenzung" habe. Der Bischof müsse in der Lage sein, seine Entscheidungen ,.sachgerecht und in engem Kontakt mit den Gläubigen seines Bistums und seinen Mitarbeitern zu treffen". Nur so könne er den Dienst für die Einheit seines Bistums wirksam leisten. Die Untergrenze der Größe eines Bistums werde dadurch bestimmt, daß die spezialisierten pastoralen Dienste durch qualifizierte Kräfte und rationelle Ausnutzung der notwendigen Einrichtungen angeboten werden können. Schließlich müsse jedes Bistum hinsichtlich seiner Finanzkraft über ausreichende finanzielle Mittel für den pastoralen Dienst verfügen. Daß den Erwägungen der Sachkommission eine egalisierende Tendenz zugrunde liegt, beweist die Feststellung, daß auch die unterschiedliche finanzielle Situation der Bistümer die Neuordnung der Bistumsorganisation erfordere. Erst an letzter Stelle nennt das Arbeitspapier auch die Notwendigkeit der Berücksichtigung geschichtlich gewachsener Bindungen. Die kulturellen, historischen, politischen, psychologischen und gesellschaftlichen Bindungen sollten in ihren Auswirkungen auf die Menschen bei einer Neuordnung nicht außer acht gelassen werden 20 •
c) Schritte zur Verwirklichung der Neuumschreibung der Bistümer Die Kommission gelangte einerseits zu dem Ergebnis, daß die derzeitigen Bistumsgrenzen den von ihr entwickelten Kriterien häufig nicht mehr gerecht würden und deshalb dringend reformbedürftig seien. Wegen der bisher noch nicht beendeten ,.staatlichen und kommunalen Neugliederung" sah sie sich, wie bereits angemerkt, jedoch andererseits auch nicht in der Lage, einen vollständigen Plan zur Neuordnung der Bistumsgrenzen vorzulegen. Dabei bleibt freilich offen, was die Kommission unter .staatlicher" Neugliederung verstanden hat. Vermutlich bezog sie sich auf die zu Beginn der siebziger Jahre vieldiskutierte Frage einer Neugliederung des Bundesgebietes. Jedoch ist heute davon keine Rede mehr. Niemand denkt gegenwärtig noch ernsthaft daran, die Grenzen der Bundesländer zu verändern. Als vorläufige Maßnahmen empfiehlt die Kommission, in Städten und Landkreisen, die durch Bistumsgrenzen durchschnitten werden, interdiözesane grenzüberschreitende Pastoralräume zu schaffen. Ferner sollten bis zur 20 Arbeitspapier .Überlegungen zu einer Neuumschreibung der Bistumsgrenzen" (Anm.18), S.8f.
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Neuordnung der Bistumsgrenzen pastoral praktikable Übergangslösungen verwirklicht werden, etwa kleinere Korrekturen der Bistumsgrenzen im Nahbereich. Auch die Metropolitanverfassung und die Gliederung der Kirchenprovinzen sollten in die Reformdiskussion miteinbezogen werden. Abschließend spricht die Sachkommission IX der Gemeinsamen Synode gegenüber der Deutschen Bischofskonferenz die Empfehlung aus, zum Zwecke der Neuumschreibung der Bistumsgrenzen entsprechend dem Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils "Christus Dominus" eine Kommission einzusetzen, die aus je einem Vertreter der Diözesen und aus Fachleuten der kirchlichen und staatlichen Verwaltung besteht. Diese Kommission sollte in Absprache mit der Evangelischen Kirche in Deutschland tätig werden und über die Ergebnisse rechtzeitig auch die anderen nichtkatholischen Kirchen informieren. Der Kommission erschien es zum damaligen Zeitpunkt noch nicht möglich, Detailvorschläge auszuarbeiten, weil die notwendigen Vorarbeiten nicht geleistet seien und es auch an einer "entsprechenden Bewußtseinsbildung in den Diözesen" fehle. DieSachkommission empfiehlt ferner die Erarbeitung eines Modells einer Neuumschreibung, das wegen der Kulturhoheit der Länder die Landesgrenzen und die innerhalb eines Landes gezogenen Verwaltungsgrenzen berücksichtigt. Ferner empfiehlt die Sachkommission die Vorlage von je einem Modell, das von der "Deckungsgleichheit eines Bistums mit den Verflechtungsbereichen mehrerer Oberzentren" ausgeht bzw. von der "Deckungsgleichheit eines Bistums mit dem Verflechtungsbereich eines Oberzentrums". Bei allen Modellen sei auf die Lage und den Zentralitätsgrad des Bischofssitzes zu achten. Dies bedeute konkret, daß auf jeden Fall Oberzentren in großen Verdichtungsräumen als Bischofssitze in Erwägung gezogen werden müßten. Dies gelte z. B. für Stuttgart, Harnburg und Frankfurt2 1•
3. Die heutige Beurteilung der Diözesanzirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland Die zahlreichen Anregungen der Sachkommission IX der Gemeinsamen Synode zu einer Neuordnung der Bistumsgrenzen und zur Bildung einer mit dieser Aufgabe zu betrauenden interdiözesanen Fachkommission sind von der Deutschen Bischofskonferenz nicht aufgegriffen und weiterverfolgt worden. Ganz offensichtlich haben die von den Grundsätzen staatlicher Raum21 Arbeitspapier .Überlegungen zu einer Neuumschreibung der Bistumsgrenzen" (Anm. 18), S. 10 f. Die Kommission verweist hier ausdrücklich darauf, daß ein solches Modell nach dem zweiten Vorschlag versucht worden sei in der Veröffentlichung von Hartmut Bartsch und K/emens Sieverding, Zur Neugliederung der Bistümer in Nordrhein-Westfalen, in: Diakonia, 4. Jg. (1973), S. 193-201.
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planungher denkenden und eher nach säkularen Maßstäben technokratisch argumentierenden Reformer die Bedeutung der in Jahrhunderten gewachsenen Bindungen der Gläubigen an ihre Diözese nicht genügend in Rechnung gestellt. Wie die Verfasser des Arbeitspapiers selbst mit einem Unterton des Bedauerns bemerkt haben, fehlte auch nach ihrer Einschätzung im Hinblick auf eine grundlegende Neuumschreibung der Diözesangrenzen schon zur Zeit der Würzburger Synode "eine entsprechende Bewußtseinsbildung in den Diözesen". Auch heute ist ein brennendes Verlangen nach einer Änderung der Diözesangrenzen in der Bundesrepublik Deutschland weder bei den Bistumsleitungen noch bei den Gläubigen festzustellen. Die Katholiken des Erzbistums Freiburg z. B. leiden keineswegs darunter, daß ihre Erzdiözese bis zum heutigen Tag auf den Quadratmeter genau mit dem Territorium des früheren Großherzogtums Baden deckungsgleich ist und sich, noch dazu mit einigen Exklaven, vom Bodensee und von den Toren Basels den Rhein entlang bis in die Nähe von Würzburg erstreckt. Auch in den Diözesen Rottenburg-Stuttgart, Osnabrück und Limburg besteht ganz offensichtlich weder in den bischöflichen Ordinariaten noch bei den Gläubigen ein ausgeprägtes Verlangen, den Bischofssitz und die Bistumsverwaltung von Rottenburg nach Stuttgart, von Osnabrück nach Harnburg und von Limburg in die Finanzmetropole Frankfurt am Main zu verlegen. Zwar würde mit Sicherheit der heilige Bonifatius, wenn er im Jahre 1990 die Diözesanorganisation in Deutschland neu zu errichten hätte, die Bischofssitze nicht mehr in allen Fällen in dieselben Städte verlegen wie vor eintausendzweihundertfünfzig Jahren. Aber es ist etwas anderes, historisch gewachsene und von den Gläubigen uneingeschränkt akzeptierte Bindungen ohne dringende und allgemein empfundene Notwendigkeit zu durchschneiden, als neue Diözesen zu gründen. Die Vorschläge der Verfasser des Arbeitspapiers der Würzburger Synode zielten auf eine erhebliche Verkleinerung der von ihnen in der Regel als zu groß empfundenen deutschen Diözesen im Sinne einer wie auch immer im einzelnen verstandenen pastoralromantischen Vorstellung einer angeblichen "Überschaubarkeit" der Bistümer. So sollten nach dem Vorschlag der beiden Autoren Hartmut Bartsch und KJemens Sieverding, auf den sich die Verfasser des Arbeitspapiers ausdrücklich als Modell beziehen, in Nordrhein-Westfalen auf der Basis einer Neugliederung der Diözesen nach zentralörtlichen Bereichen die bisherigen fünf (Erz- )Diözesen Köln, Aachen, Essen, Münster und Paderborn in vierzehn neue Diözesen aufgeteilt werden, nämlich in die (Erz-)Diözesen Münster, Bielefeld, Paderborn, Siegen, Hagen, Dortmund, Essen, Duisburg, Krefeld-Mönchengladbach, Aachen, Bonn, Köln, Wuppertal, Düsseldorf22 • Es muß jedoch sehr bezweifelt werden, ob bei 22 BartschI Sieverding, Zur Neugliederung der Bistümer in Nordrhein-Westfalen (Anm. 21), S. 193 f. (mit Kartenskizze).
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Verwirklichung dieses Vorschlags pastoral, spirituell und theologisch lebensfähige Diözesen entstehen würden. Im Gegensatz zu diesen Vorstellungen hat Kar/ Rahner überzeugend ausgeführt, daß die da und dort sich in Mitteleuropa zeigende Tendenz zu einer möglichsten Verkleinerung der Bistümer unter theologischer Rücksicht wirklichkeitsfremd und anachronistisch ist. Ein Bistum, das kein eigenes Priesterseminar tragen könne und in dem nicht als solchem das ganze Leben der Kirche einigermaßen in Theologie, Liturgie, Ordensleben, Kunst usw. zur Erscheinung kommen könne, sei eigentlich kein Bistum. Wo innerhalb eines Bistums nur ein deutlich begrenztes Teilstück des Lebens der Kirche gelebt werden könne, sei eigentlich seinem echten Sinn nach auch kein Bistum gegeben 23 . Die pastorale Entwicklung verlangt für die Gegenwart eher größere und leistungsfähige Diözesen, in denen auf liturgischem, seelsorglich-katechetischem und sozial-karitativem Gebiet den Seelsorgern und den Gläubigen alle die spezialisierten Dienste angeboten werden können, die in der Bundesrepublik Deutschland in der gegenwärtigen Zeit von der Kirche allgemein erwartet werden und daher erbracht werden müssen. Diese zum Teil hochspezialisierten Dienste können von größeren Diözesen besser erbracht werden als von kleineren. Im übrigen scheint es auch fraglich, ob sich der Sitz des Bischofs notwendig in der jeweils größten Stadt des betreffenden Bistums befinden muß. Ebensowenig wie die Bundeshauptstadt Bonn die größte Stadt des Bundesgebietes ist, muß im Gegensatz zu der Auffasung der Verfasser des Arbeitspapiers die Leitung der Bistümer Rottenburg-Stuttgart, Osnabrück und Umburg in den Metropolen Stuttgart, Harnburg und Frankfurt am Main liegen.
III. Die Diözesen und kirchlichen Verwaltungsbezirke in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik 1. Vorläufiger Charakter der Diözesanzirkumskription in der Deutschen Demokratischen Republik Wegen der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten vorgenommenen Teilung Deutschlands in die Bundesrepublik und in die Deutsche Demokratische Republik bilden die Grenzen der Diözesen und der kirchlichen Jurisdiktionsbezirke auf dem Territorium des bisherigen Staatswesens der Deutschen Demokratischen Republik ein besonderes Problem, das erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands befriedigend gelöst wer23 Kar/ Rahner, Über das ius divinum des Episkopats, in: Kar! Rahnerund Joseph Ratzinger, Episkopat und Primat(= Quaestiones Disputatae, Bd. 11 ), Freiburg/BaseilWien 1961, S. 114f.
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den kann. Die Grenzziehung der Diözesen und der übrigen kirchlichen Verwaltungsbezirke in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik hat daher bis zur Gegenwart nur einen vorläufigen Charakter. Nach dem Stand vom 1. März 1990 umfaßt die katholische Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik sieben Jurisdiktionsbezirke, nämlich die beiden Bistümer Berlin (Ostteil157 000 Katholiken) und Dresden-Meißen (274 000), die Apostolische Administratur Görlitz (67 000) und die von drei Apostolischen Administratoren im Bischofsrang geleiteten Jurisdiktionsbezirke bzw. "Bischöflichen Ämter" Magdeburg (261 000), Schwerin (85000), Erfurt und Meinungen (zusammen 250 000), wobei der Apostolische Administrator von Erfurt in Personalunion auch den kleinen Jurisdiktionsbezirk Meiningen mitverwaltet Die sieben Jurisdiktionsbezirke in der Deutschen Demokratischen Republik sind nicht zu einer Kirchenprovinz zusammengeschlossen, sie unterstehen vielmehr unmittelbar dem Heiligen Stuhl. Ihre Ordinarien bilden jedoch die Berliner Bischofskonferenz, deren Statut am 25.9.1975 vom Apostolischen Stuhl bestätigt wurde 24 . Von den Jurisdiktionsbezirken der katholischen Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik hat nur das Bistum Meißen, das 1980 in DresdenMeißen umbenannt wurde 2 S, hinsichtlich seines territorialen Umfangs den Zweiten Weltkrieg und die Gebietsverluste des früheren Deutschen Reiches unverändert überstanden. In allen übrigen Fällen kam es nach dem Ab24 Einzelheiten beiloseph List/, Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph List/, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 323; ferner beiA/exander Hollerbach, Rechtsprobleme der Katholischen Kirche im geteilten Deutschland, in: Gottfried Zieger (Hrsg.), Die Rechtsstellung der Kirchen im geteilten Deutschland. Symposium 1./3. Oktober 1987 (=Schriften zur Rechtslage Deutschlands. Hrsg. von Gottfried Zieger, Bd. 14), Köln/Berlin/Bonn/München 1989, S. 133 ff.; ders., Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, S. 1072 ff.; ders., Art. Kirche und Staat, VII. Kirche und Staat in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. III, Freiburg/Br. 1987, Sp. 499 ff.; Hubert Kirchner, Art. Deutsche Demokratische Republik (DDR), VIII. B. Die röm.-kath. Kirche, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl., Bd. I, Stuttgart 1987, Sp. 553ff.- Vgl. hierzu die Mitteilung in: Archiv für katholisches Kirchenrecht (ArchKathKR), Bd. 145 (1976), S. 565. Der Bischof von Berlin ist im Hinblick auf den Anteil seiner Diözese in West-Berlin zugleich auch Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz. Die Angaben über die Katholikenzahl der Diözesen und Jurisdiktionsbezirke in der Deutschen Demokratischen Republik sind dem Päpstlichen Jahrbuch 1984 entnommen. 25 Dekret der Kongregation für die Bischöfe vom 15.11.1979, in: Acta Apostolicae Sedis 72 (1980), S. 93 f. Der Sitz des Bistums wurde von Bautzen nach Dresden verlegt. Über die geschichtliche Entwicklung der ostdeutschen Diözesen in der Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart im allgemeinen vgl. den Beitrag von Paul Mai, Das Verhältnis von Staat und Kirche in den deutschen Ostgebieten-Die Katholische Kirche, in: Zieger (Hrsg.), Die Rechtsstellung der Kirchen im geteilten Deutschland (Anm. 24), S. 41 ff.
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schluß des Deutsch-Polnischen Vertrages vom 7.12.1970 26 und nach dem Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21.12.1972 27 zu erheblichen Veränderungen. Im Zuge der Neuordnung der Diözesanverhältnisse in den ehemals deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße durch die Apostolische Konstitution .. Episcoporum Poloniae" vom 28.6.1972 28 wurde das Bistum Berlin, das dadurch einen Teil seines früheren Gebietes verlor, aus dem Breslauer Metropolitanverband ausgegliedert und unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt 29 . Aus dem in der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Restgebiet des früheren deutschen Erzbistums Breslau wurde die Apostolische Administrator Görlitz gebildet30 . Die auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Teilgebiete der Erzdiözese Paderborn und der Diözesen Osnabrück, Hildesheim, Fulda und Würzburg wurden unter Aufrechterhaltung der rechtlichen Zugehörigkeit dieser Gebiete zu ihren bisherigen Diözesen, aber unter Suspendierung der jurisdiktionellen Abhängigkeit von ihnen im Interesse der Gewährleistung einer geordneten seelsorglichen Betreuung der Gläubigen in sog. Bischöfliche Ämter umbenannt und Apostolischen Administratoren im Bischofsrang unterstellt. Aus dem in der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Gebietsteil des Bistums Osnabrück wurde der Jurisdiktionsbezirk Schwerin, aus dem Gebietsteil des Erzbistums Paderborn der Jurisdiktionsbezirk Magdeburg und aus dem Gebietsteil des Bistums Fulda der Jurisdiktionsbezirk Erfurt geschaffen, und zwar letzterer mit der Maßgabe, daß der Apostolische Administrator von Erfurt auch den zum Bistum Würzburg gehörenden Jurisdiktionsbezirk Meiningen in Personalunion mitverwaltet 31 • Von den sechs zum Bistum Hildesheim gehörenden 26 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen vom 7. Dezember 1970, BGBl. 1972 II, S. 362. Der Vertrag ist in Kraft seit dem 3.6.1972. 27 Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21.12.1972, in: BGBI. 1973 II, S. 423. Der Vertrag ist in Kraft seit dem 21.6.1973. 28 Veröffentlicht in: Acta Apostolicae Sedis 64 (1972), S. 657 ff. 29 Dekret der Kongregation für die Bischöfe vom 28.6.1972, abgedr. in: ArchKathKR, Bd. 141 (1972), S. 509. Zur Sondersituation des Bistums Berlin im geteilten Deutschland vgl. die Abhandlung von Murtin Höllen, Kirchenpolitische Probleme der Einheit des Bistums Berlin, in: Zieger (Hrsg.), Die Rechtsstellung der Kirchen im geteilten Deutschland (Anm. 24), S. 147 ff. 30 Dekret der Kongregation für die Bischöfe vom 28.6.1972, in: Acta Apostolicae Sedis 64 (1972), S. 737f., abgedr. auch in: ArchKathKR, Bd. 141 (1972), S. 509 f. 31 Vgl. hierzu das Schreiben des Staatssekretariats vom 14.7.1973, in: ArchKathKR, Bd. 142 (1973), S. 471 f.
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Pfarreien auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik hat der Heilige Stuhl vier dem Bischöflichen Amt Magdeburg und je eine dem Bischöflichen Amt Schwerin und dem Bischöflichen Amt Erfurt zur Mitbetreuung zugeteilt. Der Heilige Stuhl hat sich dem Drängen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik auf eine Abtrennung der in der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Jurisdiktionsbezirke Schwerin, Magdeburg und Erfurt-Meiningen und auf Vornahme einer endgültigen Diözesanzirkumskription vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart stets verschlossen. Die unter dem Pontifikat Papst Pauls VI. im Jahre 1978 bereits abgeschlossenen und kurz vor ihrer Verwirklichung stehenden Planungen zu einer Abtrennung der kirchlichen Jurisdiktionsbezirke in der Deutschen Demokratischen Republik von ihren Mutter-Diözesen in der Bundesrepublik und zur endgültigen Errichtung der Diözesanorganisation auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik gelangten wegen des am 6.8.1978 erfolgten Todes des Montini-Papstes nicht mehr zur Ausführung und wurden mit Beginn des Pontifikats Papst Johannes Pauls II. sofort gestoppt. Erst nach Abschluß der Vereinigung der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik mit der Bundesrepublik Deutschland und nach einer international anerkannten Stabilisierung der politischen Verhältnisse im Hinblick auf das wiedervereinigte Deutschland wird der Heilige Stuhl, wie dies seiner historisch bewährten Praxis entspricht, darangehen, auf dem Gebiete der heutigen Deutschen Demokratischen Republik anstelle der bisherigen provisorischen Verhältnisse eine endgültige Festlegung der Diözesangrenzen vorzunehmen. Erst die künftige Entwicklung wird erweisen, in welcher Form dies geschehen wird. Es liegt dabei nahe, daß nach der Aufhebung der innerdeutschen Grenze zwischen der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland die bisher der Jurisdiktion der Apostolischen Administratoren unterstellten Jurisdiktionsbezirke bzw. Bischöflichen Ämter Schwerin, Magdeburg und Erfurt-Meiningen wieder unter die Jurisdiktion ihrer Diözesanbischöfe zurückkehren, möglicherweise mit der Maßgabe, daß in Schwerin, Magdeburg und Erfurt in Zukunft ständige Weihbischöfe dieser Diözesen tätig sein werden. Über die Zugehörigkeit der Bischöflichen Ämter Schwerin, Magdeburg und Erfurt-Meiningen zu ihren angestammten Diözesen hat der Bischof von Osnabrück, Ludwig Averkamp, erklärt: •Wir brauchen uns nicht wiederzuvereinigen, wir waren nie getrennt." Zugleich betonte er jedoch, daß bei einer Neufestlegung der Diözesangrenzen nicht alte Rechte der Bistümer ausschlaggebend sein dürften, sondern die pastoralen Bedürfnisse der Gläubigen in der Deutschen Demokratischen Republik 32 .
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Bei der Errichtung neuer Diözesen auf dem Gebiete der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik und der Vornahme der endgültigen Diözesanzirkumskription wird sich auch die Frage stellen, ob auf dem Territorium der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik das Reichskonkordat und das Preußische Konkordat fortgelten werden. 2. Zur Frage der Fortgeltung des Reichskonkordats und des Preußischen Konkordats auf dem Gebiete der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik Die oft gestellte Frage nach der Geltung des Reichskonkordats und auch des Preußischen Konkordats in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik ist ungeklärt. Während sich die Bundesrepublik Deutschland stets als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches betrachtet hat und für dessen Verbindlichkeiten eingestanden ist, hat sich die Deutsche Demokratische Republik zwar auch von Anfang an auf ihrem Gebiet als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches betrachtet, ohne jedoch für ihren Teil und gemäß ihrem Anteil generell Außenverpflichtungen des Deutschen Reiches anzuerkennen und zu übernehmen. Bereits im Jahre 1968 hat Hollerbach festgestellt, daß das in der Deutschen Demokratischen Republik in Gestalt des Preußischen Konkordats und des Reichskonkordats überkommene Konkordatsregime weder förmliche Anerkennung noch förmliche Ablehnung gefunden habe. In seiner Unterstellung unter das System sozialistischer Staatskirchenhoheit sei es aber auch nicht fortgebildet worden 33 . Nicht der völkerrechtlichen Lage entspricht die Auffassung Mörsdorfs, daß in der 32 Vgl. Osnabrücker Zeitung vom 1.2.1990: Bischof Averkamp: Neuordnung deutscher Bistümer möglich. ,.Bedürfnisse der Gläubigen in der DDR ausschlaggebend". Nach Pressemeldungen hat der Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, erklärt, er halte eine .generelle Neustrukturierung" der katholischen Kirche in Deutschland für möglich. Der Kardinal bezog sich nach dem Kontext seiner Aussage hierbei ersichtlich nur auf die Diözesen und Jurisdiktionsbezirke in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik. Er gab der Überzeugung Ausdruck, daß es bald wieder eine gesamtdeutsche .Deutsche Bischofskonferenz" geben werde. Es sei zu erwarten, daß der Vatikan einer Auflösung der Berliner Bischofskonferenz, des Zusammenschlusses der Bischöfe der Deutschen Demokratischen Republik und Berlins, zustimmen werde, ,.wenn die Zeit reif" sei. Auch der kirchliche Jurisdiktionsbezirk Magdeburg, der rechtlich immer zum Erzbistum Paderborn gehört habe, werde in der Praxis schon bald wieder unter die Leitung des Erzbischofs von Faderborn zurückkehren. Entsprechendes gelte auch für das Bischöfliche Amt Schwerin, das zum Bistum Osnabrück gehöre. Vgl. hierzu: Münchener Merkur vom 8.2.1990: Kötner Kardinal Meisner rechnet mit gesamtdeutscher Bischofskonferenz. Magdeburg soll wieder ins Erzbistum Paderborn- .Generelle Neustrukturierung". 33 Vgl. Alexander Hollerbach, Dieneuere Entwicklung des Konkordatsrechts, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, N.F., Bd.17 (1968), S.144f.
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Deutschen Demokratischen Republik das Preußische Konkordat und das Reichskonkordat .,als nicht existent betrachtet" würden und daß Akte, die kirchliche Stellen in Erfüllung der Konkordate setzten, staatlicherseits zwar entgegengenommen würden, aber ohne Anerkennung der Rechtsgrundlage, auf die sich die Kirche stütze 34 . Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann weder ausgesagt werden, daß das Reichskonkordat und das Preußische Konkordat in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik gelten, noch kann festgestellt werden, daß diese Konkordate dort nicht gelten. Über die Geltung des Reichskonkordats und auch des Preußischen Konkordats auf dem Gebiet der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik kann vielmehr nur ausgesagt werden, daß sich die Geltung dieser Konkordate dort gegenwärtig in einem Schwebezustand befindet und daß das Reichskonkordat und ebenso auch das Preußische Konkordat in der Deutschen Demokratischen Republik gegenwärtig keine Anwendung finden 35 . Die Regierung der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik hätte es jedoch jederzeit in der Hand, das Reichskonkordat und ebenso auch das Preußische Konkordat von 1929 und ferner auch den mit den evangelischen Landeskirchen abgeschlossenen Preußischen Kirchenvertrag von 1931 wieder für anwendbar zu erklären. In diesem Sinne hat die Deutsche Demokratische Republik am 16.4.1959 über die Wiederanwendung multilateraler internationaler Abkommen bekanntgemacht, daß sie im Zeitraum von 1952 bis 1959 insgesamt 39 internationale Übereinkommen wieder anwendet 36 • 34 Vgl. Klaus Mörsdorf, Art. Konkordat, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Auf!., Bd. VI, Freiburg/Br. 1961, Sp. 458. Zum Staatsrecht der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Stand von 1987 vgl. die umfassende Darstellung von Georg Brunner, Das Staatsrecht der Deutschen Demokratischen Republik, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Josef Isensee und Paul Kirchhof, Bd. I, Heidelberg 1987, S. 385-447. 35 Unzutreffend ist die Auffassung von Hollerbach, Rechtsprobleme der Katholischen Kirche (Anm. 24), S. 130, daß davon auszugehen sei, daß das Reichskonkordat, obwohl von der DDR nicht anerkannt, jedenfalls als kirchliches Partikularrecht fortgelte, was insbesondere für Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Reichskonkordats Bedeutung habe. Danach besitze das Domkapitel von Dresden-Meißen in entsprechender Anwendung der Regeln des Badischen Konkordats das Recht, den Bischof zu wählen. Nachdem die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik das Reichskonkordat nicht angewandt hat, sah auch der Heilige Stuhl keine Notwendigkeit, bei der Besetzung des Bischofsstuhls von Dresden-Meißen die Bestimmungen des Reichskonkordats zu beobachten. Der gegenwärtige Diözesanbischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt, ist deshalb nicht gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Reichskonkordats gewählt, sondern vom Papst frei ernannt worden. 36 Vgl. die Bekanntmachung über die Wiederanwendung multilateraler internationaler Übereinkommen vom 16.4.1959, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I vom 16.5.1959, S. 505 f. Danach hat die DDR als ersten internationalen Vertrag mit Wirkung vom 18.11.1952 den Internationalen Vertrag zum
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Auch im Falle einer Vereinigung der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik mit der Bundesrepublik Deutschland könnte ohne weiteres nach dem sogenannten Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen, nach dem sich der Anwendungsbereich eines internationalen Vertrages ausrichtet nach dem jeweiligen territorialen Hoheitsbereich der Vertragspartner, die Geltung des Reichskonkordats auf das Territorium der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik erstreckt werden37 • Im Hinblick auf die Bedeutung des Reichskonkordats für die östlich von Oder und Lausitzer Neiße gelegenen Gebiete Deutschlands in seinen Grenzen vom 31.12.1937 ist nach den Grundsätzen des Völkerrechts davon auszugehen, daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht aus der rechtlichen Zugehörigkeit zu Deutschland entlassen sind. Die endgültige Regelung dieser Fragen muß einem Friedensvertrag vorbehalten bleiben 38 .
Schutz der unterseeischen Telegraphenkabel vom 14.3.1884 (RGBI. 1888, S. 151) wieder anerkannt. Allein im Jahre 1958 hat die DDR 32 internationale Abkommen wieder anerkannt. In der Bekanntmachung vom 16.4.1959 über die Wiederanwendung multilateraler internationaler Übereinkommen wird als chronologisch letzter Vertrag unter Nr. 39 die Internationale Übereinkunft zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebs unzüchtiger Veröffentlichungen vom 12.9.1923 (RGBI. 1925 II, S. 287) aufgeführt. 37 Über den sog. Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen vgl. die Ausführungen von Wilhelm Kewenig, Hat der Vatikan gegen Regeln des Völkerrechts verstoßen?, in: Die Welt, Nr. 167, Ausgabe vom Freitag, 21.7.1972, S. 8. Zum Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen im allgemeinen vgl. Krystyna Marek, Art. Vertragsgrenzen, Grundsatz der beweglichen, in: Wörterbuch des Völkerrechts, begr. von Kar! Strupp, 2. Auf!. hrsg. von Hans-Jürgen Schlochauer, Bd. 3, Berlin 1962, S. 553. 38 Vgl. hierzu im einzelnen Dieter Blumenwitz, Zur Bedeutung des Reichskonkordats für die Neuregelung der Diözesen in den Oder-Neiße-Gebieten durch den Heiligen Stuhl, in: Recht und Rechtsbesinnung. Gedächtnisschrift für Günther Küchenhoff (1907-1983), Berlin 1987, S. 185-193; ferner die Ausführungen von Rudolf Jestaedt, Fortwirkende Probleme des Reichskonkordats von 1933, in: Zieger (Hrsg.), Die Rechtsstellung der Kirchen im geteilten Deutschland (Anm. 24), S. 73 ff.
RELIGIONSFREIHEIT AN DER WENDE ZUM DRITTEN JAHRTAUSEND Von Richard Potz, Wien I. Alfred Kostelecky hat durch seine langjährige Tätigkeit in der Österreichischen Bischofskonferenz das Verhältnis von Staat und Katholischer Kirche in Österreich mitgestaltet und als Lehrbeauftragter und Prüfungskommissar in der Zeit eines personellen Engpasses dem Institut für Kirchenrecht an der rechtswissenschaftliehen Fakultät der Universität Wien sein Wissen und seine Erfahrung zur Verfügung gestellt. Diesem seinem Wirken seien die folgenden Überlegungen zur zukünftigen Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche vor dem Hintergrund der Entfaltung globaler Menschenrechtsgarantien gewidmet.
II. Nach dem 2. Weltkrieg begann mit der Erklärung der allgemeinen Menschenrechte 1948 und deren schrittweiser vertragsrechtlicher Konkretisierung ein Prozeß der Weiterbildung von Menschenrechtsgarantien, der 1966 mit dem Verabschieden der UN-Pakte über staatsbürgerliche und politische Rechte, bzw. über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte seinen vorläufigen Abschluß fand. Diese umfassende Menschenrechtskodifikation der UNO enthält die Garantie der Religionsfreiheit als integralen Bestandteil. Bezüglich der Menschenrechtsentwicklung in Europa lassen auch die Abschlußdokumente der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Helsinki 1975 und der Nachfolgekonferenzen Belgrad 1978, Madrid 1983 und Wien 1988 eine stete Entfaltung und Verdichtung der religiösen Grundrechte erkennen. Das Madrider Abschlußdokument brachte bereits wesentliche Fortschritte mit dem Konsultationsrecht religiöser Bekenntnisse, Institutionen und Organisationen, die im verfassungsmäßigen Rahmen ihres jeweiligen Landes wirken; weiters die Zusage wohlwollender Prüfung von Anträgen religiöser Gemeinschaften von Gläubigen, die im verfassungsmäßigen Rahmen ihres Staates wirken oder zu wirken bereit sind, den Status zu erhalten, der in ihrem jeweiligen Land für religiöse Bekenntnisse, Institutionen und Organisationen vorgesehen ist. Das Wiener Abschlußdokument räumt dem Bereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit besonders breiten Raum ein, wobei der Deterrninierungs-
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gradder Bestimmungen bemerkenswert hoch ist 1 ; sie lassen, so der Kommentar der Herder-Korrespondenz, in dieser Beziehung tatsächlich nichts zu wünschen übrig 2• Punkt 16.4 umschreibt dabei den Kernbereich kirchlicher bzw. religionsgemeinschaftlicher Selbstverwaltung folgendermaßen: Einrichtung und Erhaltung frei zugänglicher Andachts- und Versammlungsorte; Organisation nach eigenen hierarchischen und institutionellen Strukturen; Wahl, Ernennung und Austausch des Personals in Übereinstimmung mit jeweiligen Erfordernissen und Normen der religiösen Gemeinschaft bzw. entsprechend freiwillig mit dem Staat vereinbarten Regelungen; Erbitten und Entgegennehmen freiwilliger Beiträge in finanzieller oder anderer Form 3. Diese geistesgeschichtlich bedeutsame neuerliche Zuwendung zur Religionsfreiheit am Ende des 20. Jahrhunderts, am "Ende der Neuzeit" ist ein Phänomen, dem besonderes Augenmerk zu schenken ist. Von den vielschichtigen Ursachen möchte ich kurz einige herausheben, da sie für die zukünftige Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche grundlegende Bedeutung erlangen werden. Beginnen möchte ich mit der wichtigen historischen Dimension, da die Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu den zentralen Themen der europäischen Neuzeit gehört. 1. Das Verwobensein der Religionsfreiheit mit der neuzeitlichen Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche. Zu den historischen Voraussetzungen des Verhältnisses von Staat und Kirche in seiner gegenwärtigen Ausprägung gehört, daß sowohl der neuzeitliche Staat als auch die institutionell verfaßte(n) Kirche(n) der Beziehung zueinander wesentliche Elemente ihrer Gestalt verdanken. Mit anderen Worten: In der Auseinandersetzung miteinander sind Staat und Kirche zu dem geworden, wie sie sich uns zu Ende des 20. Jahrhunderts darstellen. Im Zuge der mittelalterlichen Auseinandersetzung von imperium und sacerdotium in machtpolitisch erfahrbaren institutionellen Größen des Kaiser- und Papsttums erfolgte bereits die Entsakralisierung der weltlichen Gewalt. Damit war der neuzeitlichen Säkularisierung der Anfang gemacht. 4 Die Welt und die Herrschaft in der Welt war unwiderruflich dabei, weltlich zu werden, wie das Scheitern des kirchen- bzw. staatspolitischen Kon1 Vgl. Hannes Tretter, Menschenrechte im Wiener KSZE-Abschlußdokument, in: EuGRZ 16/1989, S. 82. 2 Herder Korrespondenz 43/1989, S. 108. 3 An diesen Formulierungen fällt auf, daß der Zehnpunktekatalog der Delegation des Heiligen Stuhles, am 30. Jänner 1987 vorgelegt, damit im Schlußdokument einen deutlichen Niederschlag gefunden hat. 4 Vgl. Walter Kaspar, Religionsfreiheit als theologisches Problem, in: Freiheit der Religion- Christentum und Islam unter dem Anspruch der Menschenrechte, hgg. von Johann Schwartländer, Mainz 1990 (im Druck).
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zepts Bonifaz VIII. deutlich macht. Damit wurden aber die Päpste des 13. Jahrhunderts, von Innozenz III. bis Bonifaz VIII., zu Mitverursachern des säkularen neuzeitlichen Staates. Andererseits hatte die Kirche im Rahmen der mittelalterlichen Ordnung mit der von den gregorianischen Reformern postulierten libertas Ecclesiae eine funktional mit den neuzeitlichen Freiheitsrechten vergleichbare Garantie eines Freiraumes erhalten. Dieser Freiraum war aber im Rahmen der mittelalterlichen ordo ein ständisch bestimmter Rechtskreis und wurde so Voraussetzung einer Reduktion von Kirche auf den Klerikalstand. Die Freiheit der Kirche, d. h. des sacerdotiums von imperium, wurde also unter den Bedingungen der mittelalterlichen ständischen Ordnung mit der Klerikalisierung der Kirche in der Neuzeit erkauft. Der endgültige Zusammenbruch des Universalismus, tragisch erfahrbar in den Religionskriegen, führte zur Suche nach neuen Möglichkeiten der Sicherung des gesellschaftlichen Friedens, der mit Hilfe der religiösen Gesinnung nicht mehr herstellbar war. Um dieses Ziel zu erreichen, unterwarf der Staat die religiöse Wahrheitsfrage der Staatsräson und postulierte religiöse Einheit aus politischen Gründen. In dieser Phase versuchte der absolute Monarch, noch mit der modellhaft-vertragstheoretisch begründeten Staatsräson eine objektive Ordnung aufrechtzuerhalten, in der die politische Gesinnung an die Stelle der religiösen trat. Da die religiöse Gesinnung jedoch nicht eliminiert werden konnte, gebot die Staatsräson, sie auszugrenzen. Damit war aber der mit einer vorgegebenen objektiven Ordnung verbundene Totalitätsanspruch nicht mehr aufrechtzuerhalten. Auf der politischen Gesinnung gegenüber dem souveränen Fürsten ließ sich unter Neutralisierung der religiösen Wahrheitsfrage jedoch kein dem mittelalterlichen ordo-Denken vergleichbares politisches System begründen. Um seine Herrschaft als absolute weiter begründen zu können, klammerte der Staat die religiöse Wahrheitsfrage aus Gründen der Staatsräson aus; damit aber mußte der Staat eine herrschaftsfreie Sphäre zugestehen. Dieser innere Widerspruch einer absoluten Herrschaft mit herrschaftsfreier Sphäre war für den absoluten Staat auf Dauer jedoch nicht zu bewältigen. Unter dem Druck des Widerspruchs setzte die Transformation des absoluten Staates ein. Was in den Staatsutopien, angefangen von Thomas Morus und Tomaso Campanella, als intellektuelles Spiel erschien, drängte nunmehr in die politische Realität. Wenn auch diese Entwicklung- v. a. durch die konfessionellen Unterschiede bedingt- nicht einheitlich verlief, so ist doch allen Formen neuzeitlich-westlicher politischer Ordnung die bereits von den Päpsten des 13. Jahrhunderts vorbereitete "Ablösung der Legitimität staatlicher Herrschaft von ihren religiösen Grundlagen, also die religiöse Entzauberung politischer Herrschaft" gemeinsam. "Dort, wo diese Entzauberung gelingt, wird die 17 Pax et Justitia
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Verrechtlichung politischer Herrschaft zu einem offenen Problem" 5 . Dieser Zusammenhang ist wohl auch ein Grund dafür, der Entfaltung von Religionsfreiheit im Rahmen der Entwicklung des neuzeitlichen Staates einen besonderen Stellenwert zu geben; ein Aspekt, der m. E. bei der Diskussion der berühmten These Georg Jellineks 6 , wonach die Religionsfreiheit allen anderen Freiheiten vorausgegangen sei, zu wenig beachtet wird. 7 Das erste theoretische Konzept der Garantie eines religiösen Freiraumes, das auch praktisch-politisch umgesetzt wurde, war die Idee der religiösen Toleranz. Sie stellt einen wichtigen Ansatzpunkt dar, der auch heute noch - zumindestens als persönliche Haltung im Umgang mit Andersdenkenden - von großer praktischer Bedeutung ist. Aber auch die Toleranzidee der Aufklärung und ihre Realisierung im aufgeklärten Absolutismus war nur ein weiterer Schritt in der neuzeitlichen Freiheitsgeschichte und unterscheidet sich deutlich von der modernen Idee der Religionsfreiheit. Dieser Toleranzbegriff beruht einerseits auf dem eigenen Wahrheitsanspruch und andererseits auf einer strategischen Moral, wonach Andersgläubige zu dulden sind, um nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit die Duldung von katholischen Minderheiten in anderen Staaten zu sichern. So stößt etwa das josephinische Toleranzdenken nicht zum Individualrecht vor, sondern gewährt aus pragmatischen Gründen die Toleranz bestimmten Konfessionen. Nicht die Überzeugung des einzelnen wird toleriert, sondern aus wirtschaftlichen oder religiösen taktischen Gründen das Vorhandensein von andersgläubigen Gemeinschaften. Der einzelne gerät nur in den Genuß religiöser Freiheitsrechte, wenn er einer akzeptierten Konfession angehört. Mit der umfassenden Verrechtlichung im Rahmen der positiven Verfassungsordnungen kommt es zur Formulierung von Grundrechten als Bündel von Mitwirkungs- und Abwehrrechten zur Sicherung der rechtlichen Gleichheit aller Bürger. 8 Diese ursprünglichen .,Menschenrechte der ersten Dimension" 9 bestehen also aus zwei innig miteinander verwobenen Komplexen: 5 6
Klaus Eder, Geschichte als Lernprozeß? 1985, Frankfurt/Main 1985, S. 329 f. Georg Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Ein Beitrag zur
modernen Verfassungsgeschichte, Leipzig 1895. 7 Es ist beachtenswert, daß sich bei Papst Johannes Paul II. die These Jellineks in systematischem Begründungszusammenhang wiederfindet, vgl. Peter Krämer, Die Idee der Menschenrechte und Grundrechte in der katholischen Tradition, in: Österr. Archiv f. Kirchenr. 37 (1987/88), S. 233. 8 Aus der umfangreichen Literatur zur Entwicklung der Freiheitsrechte seien für unseren Zusammenhang hervorgehoben: Felix Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, Bd. 1: Historische Entwicklung der Menschenrechte und
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Die Garantie der Mitwirkungsrechte schuf eine Legitimationsbasis für staatliches Handeln, und die Garantie der Abwehrrechte trat an die Stelle der durch göttliches Recht gegebenen Begrenzung der Machtausübung und des daraus resultierenden Widerstandsrechtes. Im Rahmen dieser Menschenrechte der ersten Dimension dominierten im mitteleuropäischen Staatskirchenrecht zunächst jedoch die den Kirchen korporativ gewährten Grundrechte, die allerdings mit staatlichen Aufsichtsrechten im Rahmen des Systems der Staatskirchenhoheit verbunden waren. Mit diesen Gegebenheiten waren die Kirchen zunächst durchaus zufrieden, zu sehr hatten sie sich an die mit derartiger Privilegierung einhergehende staatliche Kontrolle gewöhnt. Damit verbunden war die Gefahr, mit den dadurch bestimmten politischen Strukturen identifiziert zu werden. Der Übergang zu dem System des freiheitlich-demokratischen Verfaswar jedoch dort mit katastrophalen Fehlentwicklungen verknüpft, wo die Bewertung des demokratischen Rechtsstaates - oft auch seitens kirchlicher Kreise - kritisch-ablehnend war. Den sich solcherart entwickelnden totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts blieb es vorbehalten, mit dem Begriff der nichts neben sich duldenden Weltanschauung- so eine Bezeichnung des Nationalsozialismus durch Adolf Hitler in ,Mein Kampf' -in verbrecherischer Weise die Wiedererrichtung einer- gegen Religion gerichteten - vorgegebenen objektiven Ordnung mit den technischen und gesellschaftlichen Mitteln der späten Neuzeit zu versuchen. In diesem System bestand aber weder der Schutz seitens einer durch göttliches Recht bestimmten Beschränkung der Machtausübung noch der Schutz durch grund- oder menschenrechtliche Garantien. Hier war kein Platz für Religionsfreiheit und für das institutionelle Wirken der Kirchen in der Gesellschaft vorgesehen. sungsstaat~s
Die Erfahrungen des Totalitarismus und des 2. Weltkrieges führten schließlich zu einer Neukonzeption und weltweitem Durchbruch der Menschenrechte. Diese Erfahrungen waren es auch, die Religionsfreiheit in den westlichen Verfassungsstaaten immer mehr zu einem Menschenrecht werden ließen, das die religiöse Dimension als einen Grundstatus menschlicher Befindlichkeit vorbehaltlos akzeptiert. Parallel dazu verschob sich durch die Internationalisierung der Menschenrechte v. a. nach dem 2. Weltkrieg im Völkerrecht das Fundament seiner Geltung immer mehr von den Staaten zu den Menschen. Durch diese Entwicklung kommt es zu einer Harmonisierung von innerstaatlichem und internationalem Recht, die den Handlungsspielraum der Staaten zunehmend einschränkt. Spätestens jetzt kann man über das Verhältnis von Staat und Kirche nicht mehr sprechen, ohne das Menschenrecht auf Religionsfreiheit in das Zen17"
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trum der Überlegungen zu stellen. Nicht mehr staatliche Toleranz, politischer Ausgleich zwischen institutionellen Größen, überkommene Privilegierung bestimmt das Verhältnis von Staat und Kirche, sondern die Garantie eines zentralen unveräußerlichen Menschenrechtes.
2. Die Öffnung der katholischen Kirche gegenüber der Religionsfreiheit. Nach einer langen Phase des sich Verschließens gegen die neuzeitliche Entwicklung von Grundrechten seitens der katholischen Kirche 10 hat Leo XIII. 11 (lmmortale Dei vom 1.11.1885) zunächst das Toleranzprinzip des 18. Jahrhunderts konsequent auf die Duldung Andersgläubiger übertragen; eine Position, die bis Pius XII. (Toleranzansprache vom 6.12.1953) in der päpstlichen Lehre maßgebend blieb. 12 Durch .,Pacem in terris" und das Religionsfreiheitsdekret des 2. Vatikanums wurde der entscheidende Schritt von der größere Übel vermeiden wollenden Toleranz zu der auf der Würde der menschlichen Person beruhenden Religionsfreiheit getan. 13 Es geht nunmehr um ein Positivum, ein Seinsollendes, nicht um ein Negativum, das bloße Ertragen eines Nicht-seinsollenden.14 Damit wurde das reine Toleranzdenken, wie wir es vom aufgeklärten Absolutismus, von der vorkonziliaren päpstlichen Lehre, aber beispielsweise auch aus der islamischen Tradition kennen, überwunden. Die Grundfreiheiten, Wien 1974; Ludger Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte -Studie zur ideengeschichtlichen Bestimmung eines politischen Schlüsselbegriffs, München 1987; Gerhard Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, Berlin 1978 (2. Auf!.); Eibe Riede/, Menschenrechte der dritter. Dimension, in: EuGRZ 16/1989, S. 9ff. 9 Zu diesem Begriffs. u. 10 Vgl. dazu auch: Die Kirche und die Menschenrechte. Arbeitspapier der Päpstlichen Kommission, Justitia et Pax, München/Mainz 1977 (2. Aufl.). 11 Leo XIII. war es auch, der sich der Sache nach in seiner Soziallehre der Menschenrechtsidee erstmals zuwandte. Es ist bemerkenswert, daß die Kirche sich damit zuerst gegenüber den .,sozialen" Grundrechten und erst später- nach den Erfahrungen mit faschistischen und kommunistischen Unrechtssystemen - den .,liberalen" Grundrechten öffnete. 12 Aus der umfangreichen Literatur zum Thema Kirche und Menschenrechte sei aus jüngster Zeit der Beitrag von Krämer, S. 229 ff. mit weiteren Literaturverweisen hervorgehoben. -Eine überzeugende Darstellung einer katholischen theologischen Begründung von Religionsfreiheit gibt Waller Kasper in seinem im Druck befindlichen Beitrag zu Freiheit der Religion (vgl. o. Anm. 4). 13 Willibald Plöchl hat immer wieder herausgestellt, daß sich am Konzil damit ein Anliegen amerikanischer Konzilsväter gegen v. a. aus Spanien kommende Bedenken durchgesetzt hat und daß es die positive amerikanische Erfahrung mit religionsfreundlichen Menschenrechtsgarantien war, die den Anstoß zur Sicht des 2. Vatikanums gegeben hat. Vgl. Willibald Plöchl, Das Religionsfreiheitsdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: FS Charalampos Fragistas, Thessaloniki 1968, S. 222 ff. 14 Kasper (Anm. 4).
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Leidensgeschichte des Verhältnisses zwischen katholischer Kirche und der Entwicklung neuzeitlichen Menschenrechtsdenkens ist damit zu einem Ende gekommen. Es gehört zu den tragischsten Aspekten der Kirchengeschichte, daß genuin Christliches - wie die Option für ein Mehr an Humanität und Menschenwürden - in der europäischen Neuzeit gegen die durch die konfessionelle Spaltung verunsicherte etablierte Kirche zur Geltung gebracht werden mußte. Um so bedeutsamer ist die Tatsache, daß die Sicherung der Religionsfreiheit als Menschenrecht ein zentrales Anliegen des gegenwärtigen Papstes ist und daß sich der Heilige Stuhl daher nunmehr im Rahmen seiner Tätigkeit bei internationalen Organisationen bedingungslos für die Garantie der Religionsfreiheit einsetzt. Es wird damit der durch das 2. Vatikanum gewiesene Weg der klaren Option für den auf der Garantie von Menschenrechten beruhenden Rechtsstaat fortgesetzt. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß mit dem weltweiten Ausbau der Rechtsstaatlichkeil und der entsprechenden Anerkennung religiöser Menschenrechte auch Rückwirkungen auf innere kirchliche Strukturen verbunden sind. Für die Ortskirchen bedeutet die Befreiung von staatlichen Zwängen und die Entlassung aus der staatlichen Aufsicht, daß sie in ihrem Wirken immer besser der Ekklesiologie des 2. Vatikanums, der Sicht der Kirche als communio ecclesiarum entsprechen können. Die Durchbildung der kirchlichen Rechtsordnung im Rahmen der societas-perfecta-Lehre mit der Betonung der hierarchischen Struktur hatte als Instrument der Abwehr der Eingriffe seitens des allumfassende Zuständigkeit beanspruchenden neuzeitlichen Staates eine bedeutsame Funktion: Sie dienten dazu, einen kirchlichen Freiraum zu schaffen. Regelungen, die ursprünglich die Aufgabe hatten, die Freiheit der kirchlichen Selbstbestimmung vor staatlichen Eingriffen zu schützen, müssen jedoch mit der Umgestaltung staatlicher Strukturen neu überdacht werden, was auch eine Herausforderung für die Kirchenrechtswissenschaft bedeutet. 15 3. Die Anerkennung von Religionsfreiheit seitens der sozialistischen Staaten. In den sozialistischen Staaten wurde bis vor kurzem ein fundamental unterschiedliches Menschenrechtskonzept vertreten, in dem vor allem die religiöse Betätigungsfreiheit aus ideologischen Gründen - Religion wurde als Ausdruck der Entfremdung in der Klassengesellschaft angesehen- eine völlig untergeordnete Rolle spielte. 15 Wie wenig alle Beteiligten mit dieser neuen Situation zurechtkommen, läßt sich am Beispiel der jüngsten .. Kölner Wirren" zeigen. Konkordatäre Regelungen,
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Angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen bedarf es keiner weiteren Erläuterungen hinsichtlich der Bedeutung der durch den KSZE-Prozeß mit in Gang gesetzten Transformation der sozialistischen Staaten zu auf der Garantie von Grundrechten aufbauenden Rechtsstaaten. Damit hat sich weltweit ein .Gegenkonzept zur aufklärerisch-freiheitlichen Menschenrechtsposition"16 als inadäquat und unbrauchbar erwiesen. Die Religionsfreiheit steht mit an der Wiege dieser politischen Prozesse. Dies zeigt sich in der Selbstverständlichkeit und in dem Erfolg, mit denen oppositionelle Gruppen, auch wenn sie nicht im kirchlichen Raum beheimatet waren, kirchliche Einrichtungen als Forum benützten. Wie sehr die Garantie von Religionsfreiheit als Maßstab der menschenrechtliehen Entwicklung in den sozialistischen Staaten genommen wird, wurde an dem weltweit als entscheidendes Signal gewerteten Treffen Papst Johannes Paul II. mit Staatspräsident Gorbatschow schlagartig deutlich gemacht. Ein Gelingen dieser Transformation vor allem in der Sowjetunion kann in seinen weltweiten Konsequenzen für eine neue Ära des Verhältnisses von Staat und katholischer Kirche nicht hoch genug eingeschätzt werden, entläßt es doch die Ortskirchen in diesen Staaten in einen Status der Selbstbestimmung ohne staatliche Bevormundung. Was die orthodoxen Kirchen Osteuropas betrifft, müssen sie mit einer ihnen völlig neuen Situation, die am ehesten mit der Lage der evangelischen Kirche Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg vergleichbar ist, fertig werden. 4. Das Beharren des Islam auf seinem überkommenen Toleranzprinzip als religiös begründetes Alternativ-Modell zur Religionsfreiheit als Menschenrecht.
Aus seinem religiösen Selbstverständnis heraus hat der Islam bekanntlich bereits seit seinen Anfängen gegenüber den Angehörigen der Buchreligionen eine tolerante Haltung eingenommen. Daraus ergab sich im islamischen Bereich bis weit in die Neuzeit hinein ein Mehr an religiöser Freiheit. Diesen seinen historischen Vorsprung hat der Islam jedoch mit der Unfähigkeit, den Schritt von der Toleranz zu Menschenrechten zu vollziehen, verloren, und er gerät auf diese Weise in ein immer stärker werdendes Spannungsverhältnis mit globalen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Selbstverständlich vollzieht die Mehrheit der islamischen Staaten (so wie deren wesentliche Funktion in der Sicherung des Wirkens der Ortskirchen durch vertragliche Garantien des Staates gegenüber dem Papst als Träger gesamtkirchlicher Verantwortung liegt, werden richtiggehend umfunktioniert. Der Heilige Stuhl argumentierte mit dem Konkordat gegen die Ortskirchen, diese wiederum suchten beim Staat als Vertragspartner des Heiligen Stuhles Hilfe, so daß sich schließlich staatliche Funktionäre bemüßigt fühlten, entsprechend aufzutreten. 16 Kühnhardt, S. 333.
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übrigens auch alle anderen Länder außerhalb der westeuropäischen Tradition) nicht die historischen Entstehungsbedingungen neuzeitlicher Entwicklungen und v. a. der Industrialisierung nach, unter denen schließlich auch die "westlichen Menschenrechte" originär konzipiert wurden. Tatsache aber ist, daß zahlreiche Erscheinungen der spätneuzeitlichen Industriegesellschaft (wenn auch oft nur in Ansätzen, mit regional unterschiedlicher Intensität und in manchen islamischen Ländern auch nicht aufgrundder Bestrebungen der dortigen Bevölkerung selbst) heute im islamischen Raum verbreitet sind, von neuen Formen der Verstädterung, Lohnarbeitsmarkt, Auseinanderbrechen der Großfamilien auch durch Wohnarchitektur westlichen Typs bis zur Anwendung neuer und neuester T echnologien. Es bleibt jedoch die entscheidende Frage, wie weit unter diesen Verhältnissen auf - den neuzeitlich-westlichen Bedingungen entsprechenderechtliche Schutzmechanismen, die im Westen in einem mühsamen, mit verheerenden Rückschlägen verbundenen Prozeß ausgebildet wurden, verzichtet werden kann und sollY Für das Verhältnis des modernen Verfassungsstaates zum Islam bedeutet dies: Die Herausforderung, die u. a. durch den Islam und die zunehmende Wahrscheinlichkeit, daß Muslime auch in Zukunft in größerer Zahl unsere Mitbürger sein werden, für unsere Grundrechtsordnung besteht, muß aufgenommen werden. Sie darf jedoch nicht dazu führen, daß die Grenzen der Freiheitsrechte wieder enger gesteckt werden. Diese Situation ist auch als Chance zu sehen, auf diese Weise unser politisches System zu einer gerechteren Gesellschaft weiterzuentwickeln, in der nicht hinter allem, was (angeblich) gewachsenen Traditionen widerspricht, Rechtsgutgefährdungen gewittert werden. Das bedeutete, die Möglichkeit der Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft nicht von vornherein auszuschließen, denn dies stünde durchaus in unserer Tradition und nicht gegen unsere Tradition. Daß unser politisches System sich dadurch notwendig weiter in eine Richtung bewegt, die u. a. gerade von vielen Muslimen als eine der Fehlentwicklungen Europas bezeichnet wird, darf uns von diesem Ziel der Einlösung des Anspruches europäischer neuzeitlicher politischer Ordnung nicht abhalten.18 17 Für den Islam gilt es in besonderer Weise auch die Feststellung Raimondo Panikkars (ls the Notion of Human Rights a Western Concept?, in: Diagenes 120 (1982), S. 75 ff.) zu bedenken, daß die Menschenrechte eine unabdingbare Voraussetzung menschenwürdigen Lebens in der westlich geprägten technologischen Zivilisation darstellen. 18 Zu dieser politischen Ordnung gehört es, daß der Staatmuslimischen Kindern im Rahmen der Schulbuchaktion den Koran zur Verfügung stellt und daß es durch das religiöse Empfinden anderer bestimmte Grenzen für die Ausübung von Grund-
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Umgekehrt ist es ein Problem, mit dem sich unsere muslimischen Mitbürger, aber auch der Islam als ganzes auseinandersetzen müssen: Wie wird der Islam mitgestaltende Kraft an einem säkularen pluralistisch-demokratisch ausgerichteten politischen System, in dem Religionsfreiheit einen konstitutionellen Grundstatus darstellt. Die Chance dazu darf dem Islam nicht genommen werden. Er hat einen Anspruch darauf, sein Selbstverständnis einzubringen. Ob der Islam diese Möglichkeit nützt bzw. überhaupt von seinem Selbstverständnis her nützen kann, ist Sache des Islam. 5. Das Verwobensein der religiösen Grundrechte mit der Entwicklung einer dritten Dimension von Menschenrechten. Die Ausgestaltung der hier angesprochenen Menschenrechte ist ein besonderes Anliegen der Entwicklungsländer, und dementsprechend steht die Garantie eines Rechtes auf Entwicklung im Mittelpunkt dieses Konzeptes. 19 Es ist im Westen auf vielfache Kritik gestoßen 20 , v. a. weil es zunächst als Generationenfolge gedeutet wurde (Menschenrechte der .,dritten Generation"), was eine Ablösung von einander folgenden Grundrechtsschichten implizierte. Dem wurde der Begriff der Menschenrechte der .,dritten Dimension" entgegengehalten 21 , der deutlich macht, daß diese Schichten aufeinander aufbauen und einander ergänzen 22 . Für unseren Zusammenhang ist bemerkenswert, daß in der Aufzählung, die von der UN-Menschenrechtskommission zur Umschreibung des Rechtes auf Entwicklung vorgenommen wurde, das .,Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, sowie das Recht auf Partizipation, das zur Ausübung dieser und anderer genannter Rechte unerläßlich ist", gehören. 23 Ausdrücklich wird auch der Bezug des Rechtes auf Entwicklung zu anderen bereits früher definierten Menschenrechten herausgestellt. 24 rechten gibt, aber ebenso, daß mit der Religionsfreiheit der Glaubenswechsel und auch das Recht auf Abfall von einem bestimmten Glauben zu den fundamentalen, vom Staat zu schützenden Grundrechten gehört. 19 Riede/, S. 9. 2° Kühnhardt, S. 311 ff. 21 Riede/, S. 11. 22 Daher ist gegenüber den Entwicklungsländern ebenso wie gegenüber der islamischen Konzeption darauf zu verweisen, daß nach Übernahme wesentlicher Elemente der westlichen Gesellschaft (v. a. im technologischen Bereich) ein Beharren auf alten in der eigenen kulturellen Tradition entstandenen Rechtsschutzmechanismen unweigerlich in Entfremdung und Unfreiheit führt. 23 Religionsfreiheit wird so weltweit auch zur Sicherung religiös-kultureller Identität in der Entwicklung von Stammesgesellschaften- besonders in Nordamerika und Australien - relevant; vgl. dazu die einschlägigen Beiträge in Law and Anthropology- Jahrbuch für Rechtsanthropologie, 111987-4/1990. 24 Zitiert nach Riede/, S. 14.
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Wenn es sich bei diesen Menschenrechtsgarantien der dritten Dimension derzeit auch um .,soft law" 25 handelt, so ist ihre Bedeutung doch nicht zu unterschätzen. Menschenrechte sind durch eine zunehmende Verrechtlichungstendenz charakterisiert, was sie letztlich in die Tradition der europäischen Geistes- und Rechtsgeschichte seit dem Hochmittelalter stellt. 26 III. Schlußfolgerungen für das Staatskirchenrecht Die sich in diesen Entwicklungen abzeichnende Dynamik ist für die Entfaltung der Religionsfreiheit und damit für das Wirken der Kirchen und Religionsgemeinschaften in Staat und Gesellschaft von eminenter Bedeutung. Es wird damit deutlich, daß es ebenso verfehlt wäre zu versuchen, ein bestimmtes historisch gewachsenes Verhältnis von Staat und Kirche für immer festzuschreiben wie die historischen Bedingungen, unter denen sich Staat und Kirche in der westlichen Neuzeit entwickelt haben, außer Acht zu lassen. Dies gilt v. a. auch für das System der Privatisierung des Religiösen im Sinne des französischen Laizismus, das sich immer mehr als anachronistisch erweist. Das Kennzeichen dieses Systems war ursprünglich die Entlassung des Religiösen aus den umfassenden Staatszwecken des zentralisierten bürgerlichen Staates. Dieser Staat ist unter anderem aus der Emanzipation von religiös-kirchlicher Legitimation entstanden, er kennt kaum eine Sphäre nichtstaatlicher Öffentlichkeit. Dies führt zur Eliminierung des Religiösen aus der Sphäre staatlicher Öffentlichkeit und damit auch zur Privatisierung des Religiösen. Mit der universellen Anerkennung von Menschenrechten - und damit auch der Religionsfreiheit - muß dieses Staatsmodell zwangsläufig eine entscheidende Umgestaltung erfahren . .,Der Staat verliert seine Omnipotenz - wenn er sie je innehatte - und wird völkerrechtlich funktionalisiert. Souveränität wird somit zu einem relativen Begriff; oder, wie Christian Tomuschat es treffend formulierte: ,Der Staat ist kein Selbstzweck, er ist eine Hülle für legitime Staatsziele'." 27 Dies entspricht eher dem in den Vereinigten Staaten entwickelten Trennungskonzept, wo Freiheit und Pluralität der Bekenntnisse als produktive Bedingung der Entfaltung religiösen Lebens betrachtet werden. Der Staat bleibt deshalb außerhalb der Sphäre religiöser Konflikte. Religiöses war und ist hier ein wichtiger Aspekt nichtstaatlicher Öffentlichkeit und wird damit auch zum Garanten einer pluralistischen Gesellschaft. 28 Zum Begriff .soft law" vgl. Riede/, S. 17. Vgl. Riede/, S. 10. 27 Riede/, S. 9. 28 Die Tendenzen zu einer falsch verstandenen Privatisierung des Religiösen zeichneten sich in den letzten beiden Jahrzehnten auch in Österreich ab (vgl. Richard Potz, Öffentlichkeitsrecht- Verbandstätigkeit- Öffentlichkeitsauftrag, in: Convi25
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Aus diesen Veränderungen ergeben sich daher Herausforderungen nicht nur für die Staaten, sondern auch für die Kirchen; nicht nur für die Wissenschaft des Kirchenrechts und des staatlichen Verfassungsrechtes, sondern auch für kirchliche Praxis in einer freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung.
vium utriusque iuris - FS Alexander Dordett, hgg. von Scheuermann I Weil er I Winkler, Wien 1976, S. 360 f.). Zu einem der bekanntesten Beispiele in der jüngsten Österreichischen Gesetzgebung hat sich auch der Jubilar literarisch zu Wort gemeldet: Alfred Kostelecky, Religionsbekenntnis und Personenstand, in: Österr. Archiv f. Kirchenrecht, 3111980, S. 273 ff. Derzeit ist in diesem Zusammenhang die Frage der weiteren Aufnahme des Religionsbekenntnisses in die Volkszählung (1991) aktuell, mit der Argumentation, Religion sei Privatsache und daher in eine staatliche Volkszählung nicht aufzunehmen. Daß hier seltsame Allianzen möglich sind, zeigt sich, wenn von bestimmter kirchlicher Seite der Vorschlag kommt, eine Austrittserklärung aus der Kirche vor einer staatlichen Behörde nicht mehr zuzulassen. Dies hätte wohl die Konsequenz der völligen Aufgabe der Relevanz des Religionsbekenntnisses im staatlichen Personellstandsrecht im Sinne einer laizistischen Privatisierung.
UNA SACRA POTESTAS IN ECCLESIA Zum potestas-Begriff der Kirche
Von Ernst Pucher, Wien
A. Einleitung und Begriffsbestimmung Im Frühjahr 1985 erschien unter dem Titel "Ist die Nachkonzilszeit zu Ende?" ein Aufsatz von H. J. Pottmeyer in der Zeitschrift "Stimmen der Zeit". 1 Pottmeyer erkennt darin nach den Phasen des Überschwanges und der ernüchternden Enttäuschung über die negativen Auswirkungen, die das Vat. II auch brachte, eine dritte Phase im Rezeptionsprozeß des letzten Konzils, die zur Zeit voll im Gange ist. In dieser dritten Phase geht es nun darum, den Streit der selektiven Konzilsinterpretation zu beenden und das II. Vatikanische Konzil als jenes Konzil zu deuten, welches es in Wahrheit gewesen ist: als Konzil des Überganges. Darin sieht Pottmeyer den hermeneutischen Schlüssel zum rechten Verständnis des Konzils. Was an der vorkonziliaren Theologie verbindlich sei, muß jetzt auf der neu gewonnenen Basis einer .Communio-Ekklesiologie" und einer christlichen Anthropologie angeeignet werden. Gerade die Treue zum II. Vatikanischen Konzil verlangt, die traditionellen und die neuen Lehren ernst zu nehmen und ihr Nebeneinander in einer vertieften theologischen Reflexion und einer erneuerten kirchlichen Praxis in einer weiterführenden Synthese zu vermitteln. Als ein bescheidener Versuch in diesem Sinn will auch dieser Beitrag verstanden werden. Denn einerseits herrscht auch in der Kanonistik (einer theologischen Disziplin!) Begriffsverwirrung, folglich bedarf es einer Klärung der Begriffe, andererseits sind die Verhältnisse der Begriffe- diese einmal geklärt- zueinander zu bestimmen: potestas- munus- officium haben ja in der Tat eine Bedeutungsgeschichte nicht zuletzt durch die Erkenntnisse und die Akzentuierungen des letzten Konzils.
1 H. J. Pottmeyer, Ist die Nachkonzilszeit zu Ende?, in: Stimmen der Zeit 110 ( 1985), 219-230.
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I. Potestas duplex: der traditionelle, vor dem Val II dominante potestas-Begriff Damit ist nicht gesagt, daß immer nur die Zweiheit von potestas ordinis und potestas iurisdictionis vor dem Vat. li in Theologie und Kanonistik vertreten wurde, aber diese Zweiteilung der Kirchengewalt läßt sich explicite bis ins hohe Mittelalter zurückverfolgen. Thomas von Aquin 2 mag hier als prominentester Zeuge genannt sein. Somit läßt sich eine Linie durch die Geschichte der Kirchenrechtswissenschaft ziehen, so daß als Ergebnis der traditionelle Doppelbegriff von potestas ordinis und potestas iurisdictionis vor uns steht. 3 Belebende (potestas ordinis) und ordnende (potestas iurisdictionis) Gewalt in der Kirche stehen nebeneinander und bilden doch eine tiefe Einheit in ihrem Ursprung und Grund: in Jesus Christus, dem Herrn der Kirche, dem alle Macht und Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, auf den sich jede Gewalt in der Kirche zurückführen lassen können muß, um wahrhaft "kirchliche" Gewalt zu sein. Traditionellerweise wird auch die Lehrgewalt der Kirche unter die poteslas iurisdictionis subsumiert, da es ja um ein autoritatives Lehren geht, das jedes Glied der Kirche verpflichtet- auch rechtlich. Geschichtlich gesehen ist es ja auch von Bedeutung, daß die canones ihren Ursprung und Bezugspunkt im Dogma - vom Konzil definiert - hatten. Wer vom Dogma abwich, den trafen die canones, die das Anathem verhängten. Freilich gab es daneben auch immer rein disziplinäre Bestimmungen - canones, doch sollten auch diese der um ihre innere und äußere Einheit ringenden Kirche dienen. Die Unterscheidung, nicht Trennung der einen Kirchengewalt in potestas ordinis und potestas iurisdictionis ist - wie schon oben erwähnt - die herkömmliche kanonistische Lehre, die auch nicht vom Vat. li oder vom CIC 1983 aufgehoben wurde. Hier kommt wohl eine andere, neue Sichtweise der einen Kirchengewalt zum Tragen, ohne aber die alte, traditionelle Lehre deswegen zu verdrängen. II. Munus triplex: Heiligen- Lehren- Leiten Hier kann, was die ideengeschichtliche Entwicklung der Trilogie von munus sanctificandi - munus docendi - munus regendi betrifft, auf die grundlegenden Studien von L. Schick 4 verwiesen werden. Schick geht in Thomas von Aquin, bes. S. th. Ila-IIae, q. 39 art. 3. Vgl. dazu die gängigen Lehr- und Handbücher des Kirchenrechts vor dem II. Vat., für die unser Doppelbegriff ein .Iocus communis" ist! 4 L. Schick, Das Dreifache Amt Christi und die Kirche. Zu Entstehung und Ent2
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dankenswerter Weise von verschiedenen Bedeutungen dieser Trilogie nach. Es sei nur erwähnt, daß die tria munera ihren Ursprung in der Christologie Calvins haben, dann über F. Walterund G. Phillips Eingang fanden in die katholische Theologie und Kanonistik und bei Franzelin und Billot eine katholische Ausprägung erhielten. Das Vat. II griff diese Trilogie dann auf. Was hier aber interessiert, ist vor allem der neue Aspekt, den das Vat. II und in dessen Gefolge das erneuerte Kirchenrecht im CIC 1983 in die Ekklesiologie - und da wiederum besonders in die Lehre von der Vollmacht der Kirche, einbrachte. Wir verstehen also die tria munera in diesem Zusammenhang als ekklesiologischen Begriff. Die Kirche hat von Christus, ihrem Herrn, die Aufgaben des Heiligens, Lebrens und Leitens erhalten und soll diese in Vollmacht ausüben. Das Vat. II legt den Akzent auf die Aufgaben der Kirche, die es als Dienst an der Welt versteht. Es war ja ein .,Pastoralkonzil", dem es vor allem darum ging, das Mysterium Kirche - sicherlich auch tiefer zu erfassen- in seiner Bedeutung für die Menschen von heute darzustellen. Diese Zielrichtung der Konzilstexte ist stets zu beachten. Wie allgemein bekannt ist, hat das Vat. II keine einzige Definition vorgenommen, wohl aber seine Lehren mit der Autorität eines ökumenischen Konzils verkündet. Es spricht in unserem Zusammenhang immer von munera, nicht von potestates. Damit ist auch klar, daß in der Frage der potestas ecclesiae keine verbindliche Entscheidung vorliegt. Der Raum des Forschens, Suchens bleibt. Freilich: welche Konzeption kirchlicher Vollmacht wird der Tendenz des Vat. II am besten gerecht? Wie können also die tria munera und die beiden potestates (im traditionellen Sinn) vermittelt werden? Fest steht nur, daß munus und potestas nicht identisch sind. Diese negative Feststellung mag immerhin von vornherein dem fundamentalen Mißverständnis wehren, das munus mit potestas verwechselt. Beide Begriffe sind voneinander zu distinguieren. Nicht immer werden die munera der Kirche mit potestas - Vollmacht - ausgeübt. Dies möge beachtet bleiben. 111. Una sacra potestas Damit ist die fundamentale, ontologische Einheit jeglicher Vollmacht in der Kirche angesprochen. Diese liegt in Jesus Christus selbst, der alle Gewalt innehat. Er ist theologischer Grund jeder potestas. Von dieser kirchlichen Vollmacht (potestas in actu prima) sind dann die potestates - in actu secundo - zu unterscheiden. Dabei ist kontrovers, wie diese potestas wiekJung der Trilogien, Frankfurt!Main 1982; ders., Die Tria-Munera in den Schriften George Phillips und in den Dokumenten des Il. Vatikanischen Konzils, in: ÖAKR 32 (1981), 59-78. Siehe auch meinen eigenen Beitrag in FS Schwendenwein: TriaMunera Christi Ecclesiae a Christoper Petrum dantur, Graz/Wien/Köln 1986, 245259.
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- potestates - in actu secundo mitgeteilt wird - werden: bloß und ausschließlich sakramental oder auch auf andere Weise: missione. Hier ist dann der Ort, von potestas ordinis und iurisdictionis zu sprechen. IV. Officium Im kirchlichen Amt und in dessen Ausübung wird potestas ecclesiastica konkret. Das ist auch völlig unbestritten, soweit die Verleihung eines kirchlichen Amtes Teilnahme an der potestas regiminis seu iurisdictionis verleiht, und dies in Form einer potestas ordinaria. Anders steht es in der kanonistischen Wissenschaft um die Wirkung der durch das Sakrament der Weihe übertragene potestas: Die Diskussion geht darum, ob in der Weihe nur sakramentale potestas ordinis übertragen wird oder ob in der Weihe überhaupt erst die Befähigung erteilt wird, jegliche Art von potestas zu empfangen, somit auch die Befähigung zur Erlangung eines kirchlichen officium im Weihesakrament begründet liegt. Weiters ist es auch eine Frage der Perspektive: geht es um die Gesamtsicht des Amtes, das immer Anteil hat an allen munera der Kirche, so steht konsequenterweise die Einheit des Amtes und somit auch der potestas im Vordergrund (so im Vat. II); geht man aber von der potestas (den potestates) aus, so stellt sich die Frage nach deren Übertragung in aller Schärfe: wie erhält der einzelne Amtsträger die für die Ausübung seines Amtes erforderliche(n) Vollmacht(en)? Stets ist die Beziehung der einzelnen munera zueinander in deren Perichorese zu beachten, ebenso auch die Nichtidentität von munus und potestas, die wohl im Amtsträger (in officio concreto) eine Einheit bilden, begrifflich aber zu unterscheiden sind.
B. Potestas im CIC 1983 - das positive Recht I. "Potestas" im geltenden Recht des CIC 1983 im Vergleich zum CIC 1917: ein Befund
.Sacra potestas" ist keinterminusdes CIC, anders als noch im Schema der Lex Ecclesiae FundamentaUs (LEF) . •Potestas regiminis" 5 bezieht sich im neuen Codex bloß mehr auf die
äußere Leitung. Nur ausnahmsweise, wenn es im Gesetz ausdrücklich so
bestimmt ist, bezieht sich potestas regiminis auch auf das forum internum
non- sacramentale: vgl. can. 130 CIC 1983!
5 V gl. dazu H. Müller, Zur Frage der kirchlichen Vollmacht im CIC 1983, in: ÖAKR 35 (1985), 83-106!
Una Sacra Potestas in Ecclesia
271
Anders als im CIC 1917 hat es potestas regiminis de se nur mehr mit dem forum externum zu tun. Potestas-Vollmacht ist sowohl für die Sendung der Kirche als auch für ihre Verfassung ein Grundbegriff. Keine Rede ist mehr von iurisdictio bei Beichte, Predigt, Firmung und Trauungsassistenz; dafür verwendet der neue Codex den Terminus .. facultas". 6 Offen bleibt freilich der genaue Inhalt der .. sacra potestas". Von großer Bedeutung erscheint das systematische Argument, das Urrutia7 beibringt: die Frage der potestas ist im CIC 1983 keine Frage des Personenrechts: Potestas wird unter den normae generales behandelt, daraus schließt Urrutia, daß alle Träger der potestas iurisdictionis sein können. Im CIC 1917 war nur im Liber II- de personis von potestas iurisdictionis die Rede, nicht aber in den normae generales. 1. Zusammenstellung der einzelnen Canones im CIC 1983 und im CIC 1917
mit
CIC 1983
CIC 1917
can. 129 can. 134 § 1 can. 150 (can. 521, can. 546) can. 228 § 1 can. 274 § 1 can. 292 can. 332 § 1 can. 336 can. 339 § 1 can. 368 can. 379 can. 381 § 2 can. 382 can. 293 § 2 und can. 313 can. 391 (iudices!) can. 409 § 2 can. 443 can. 450 can.478 can. 527
can. 118 can. 198 § 1 can. 154 can. can. can. can. can.
118 213 (Fehlmeldung) 109 u. can. 219 223 223
can. 334
can. can. can. can. can.
355 § 2 (Fehlmeldung) 282 292 367 461
Vgl. Communicationes (Comm.) 10 (1978), 56! F.J. Urrutia, Illibro 1: Le norme generali, in: I! nuovo Codice di diritto canonico. Studi, Torino 1985, 35. 6
7
272
Ernst Pucher CIC 1983
can. can. can. can. can. can. can. can. can. can. can. can.
527 596 617 618 631 699 700 729 746 759 805 812
can. 882 can. 883, 3° can. 999, 2° can. can. can. can.
1282 1283 § 1 1421 § 2 1425
CJC 1917
can. 501 § 1
can. 1328 can. 1381 § 3 can. 892 § 2 can. 872 cc. 1520 f. can. 1574 § 1 can. 1574 § 1
2. Zur Entstehung der wesentlichen canones des CIC 1983, welche die Fähigkeit, Träger von potestas regiminis zu sein, betreffen: can. 129, can. 274 § 1, can. 1421 § 2 8 a) Schema der Lex Ecclesiae FundamentaUs (LEF)
Der erste Gesetzestext, der hier interessiert, ist can. 71 § 4 des Entwurfs aus dem Jahr 1972: .,potestate regiminis in Ecclesia gaudent qui gubernationis ministerio divinitus in eadem instructi sunt, atque in eadem exercenda partem habent ii qui eam ad normam iuris legitime obtinuerint." Aus diesem Text wird immerhin deutlich, daß es zwei Kategorien von Gewaltträgern in der Kirche gibt: einerseits jene, die Kraft göttlichen Rech8 Was die Entstehungs- und Redaktionsgeschichte betrifft, ist die vorliegende Arbeit auf die Veröffentlichung der Codexreformkommission angewiesen; diese finden sich in der Zeitschrift .Communicationes". Pontificia commissio Codici luris Canonici Recognoscendo, Romae 1969 ff!- Nützliche Vorarbeiten bei der Sichtung des in .Communicationes" unübersichtlich veröffentlichten Materials bietet der Aufsatz von G. Ghirlanda, De natura, origine et exercitio potestatis regiminis iuxta novum codicem, in: Periodica 74 (1985), 109-164. Ich kann mich der von ihm vorgegebenen sachgemäßen Ordnung anschließen.
Una Sacra Potestas in Ecclesia
273
tes ein Leitungsamt in der Kirche innehaben, das sind solche, die die hl. Weihe empfangen haben, und andererseits diejenigen, die ohne Weihekraft positiven kirchlichen Rechtes an der Leitungsgewalt beteiligt sind. Auch Laien können also Träger kirchlicher Leitungsgewalt sein. Damit scheint auch klar zu sein, daß Leitungsgewalt nicht durch das Weihesakrament übertragen wird. Als Fundament findet sich dafür im II. Vatikanischen Konzil LG 33: "(Sc. laici) aptitudine gaudent ut ad quaedam munera ecclesiastica, ad finem spiritualem exercenda, ab hierarchia adsumantur." Als Frage bleibt nur, welche "munera ecclesiastica ad finem supematuralern exercenda" Laien übertragen werden können. Zur Klärung dieser Frage wurde die Glaubenskongregation angegangen. 9 Dabei darf munus ebensowenig mit potestas verwechselt werden wie das sakramentale Fundament der potestas mit deren sakramentaler Wurzel. 10 b) Schemata CIC
Schema 1977, can. 96: "Potestatis regiminis in Ecclesia, ad normam, praescriptorum iuris, habiles nunt, qui ordine sacro sunt insigniti; in exercitio eiusdem potestatis, quatenus quidem eodem ordine sacro non innititur, ii qui ordine sacro non sunt insigniti eam tantum partem habere possunt quam singulis pro causis auctoritas Ecclesiae suprema ipsis concedit." Schema 1980, can. 126: "Potestatis regiminis, quae quidem ex divina institutione est in Ecclesia et etiam potestas iurisdictionis vocatur, ad normam praescriptorum iuris, habiles sunt, qui ordine sacro sunt insigniti; in exercitio eiusdem potestatis, quatenus eodem ordine sacro non innititur, christifideles laici eam partem habere possunt, quam singulis pro causis auctoritas Ecclesiae suprema ipsis concedit." Hier ist der Unterschied zu der absoluten Norm des can. 118 CIC 1917 zu beachten, wo ja nur Kleriker potestas iurisdictionis erhalten konnten. Freilich ist der Klerikerbegriff ein völlig anderer, denn der CIC 1917 ging vom Eintritt in den Klerikerstand mit dem Empfang der ersten Tonsur aus. Nun aber wird jemand Kleriker durch den Empfang des Diakonates. Die Formulierung "soli clerici obtinere possunt, officia ad quarum exercitium requiritur potestas ordinis aut potestas iurisdictionis ecclesiasticae in ordine sacro innixa" galt in den Redaktionsarbeiten als provisorisch bis zu einer endgültigen Entscheidung der Frage, ob Laien potestas iurisdictionis übertragen werden könne. Diese Formulierung wurde aus dem can. 126, Schema 1980 gestrichen, blieb aber unverändert im can. 244 desselben Schemas, über9 10
Comm. 9 (1977), 293. Vgl. Ghirlanda, 114 f.!
18 Pax et Justitia
274
Ernst Pucher
nommen aus dem Schema 1977, can. 128 (im Abschnitt über die Rechte der Kleriker). 11 Im Prozeßrecht lautet der can 20 § 1, Schema 1977, so: "In dioecesi constituantur ab Episcopo iudices dioecesani qui sint clerici. Necessitate suadente potest Conferentia Episcopalis permittere ut collegium iudicans constet ex uno viro laico et ceteris clericis." Schon das M. P. Causas matrimoniales kannte ja Laienrichter. Zur Klärung etwa noch vorhandener Zweifel formulierte dann can. 1371
§ 1, Schema 1980: "In dioecesi constituantur ab Episcopo iudices dioecesani
qui sint clerici.
§ 2 Episcoporum Conferentia permittere potest ut etiam viri laici iudices constituantur, ex quibus, suadente necessitate, unus assumi potest ad collegium efformandum."
Dieser Text hielt dann, es wurde nur noch das Wort "viri" gestrichen, so daß nach can. 1421 2 CIC 1983 Laien ohne Unterschied des Geschlechtes in einem Richterkollegium erkennende Richter sein können. c) Letzte Periode der Arbeiten am neuen CIC
Vom 20. bis 28. Oktober 1981 fand die Vollversammlung (Plenaria) der Codexreformkommission in Rom statt. Aufgabe dieser Plenaria war es, alle Einwände und Vorschläge, die am Schema 1980 noch vorgenommen worden waren, zu besprechen und entsprechende Antworten zu finden. Hierbei kamen sechs Fragen ex officio, 40 Anfragen wurden von den Mitgliedern der Kommission gestellt. Die erste Frage, 12 die ex officio den Vätern der Kommission gestellt wurde, lautete so: "Utrum cann. 126, 244 et 1373, § 2, quatenus admittunt quod Suprema Ecclesiae Auctoritas laicis concedere possit quandam participationem in exercitio potestatis regiminis ordine sacro non innixae retineri debeant, aut potius immutandi sint eo sensu quod nulla concedatur participatio propter doctrinam quae a quibusdam tradita dicitur a Concilio Vaticano II circa originem sacramentalem omnis potestatis ecclesiasticae regiminis in inscindibilem unitatem ,potestatis sacrae' in Ecclesia?" Es geht also darum ob zwischen potestas ordinis und potestas regiminis eine absolute und automatische Verbindung besteht oder eben nicht. Die Frage, ob Laien potestas regiminis übertragen werden kann, läßt sich auf diese Alternative bringen. Vgl. Ghirlanda, 118 f., mit weiteren Verweisen! Vgl. F. d'Ostilio, Epronto il nuovo Codice di Diritto Canonico, Libreria Editrice Vaticana 1982, 63. 11
12
Una Sacra Potestas in Ecclesia
275
Wir werden hier Zeugen einer dogmatischen Diskussion innerhalb der Plenaria, und obwohl es sicher nicht Aufgabe des CIC ist, dogmatische Fragen zu lösen, so war es doch nötig, Klarheit darüber zu bekommen, wie die Frage nach der Potestasfähigkeit des Laien im künftigen Codex entschieden werden sollte. 13 Jene Kommissionsmitglieder, die behaupten, daß der Ursprung jeglicher potestas im Weihesakrament liege, verlangten die Abänderung der cc. 126 und 244, Schema 1980, und die W eglassung des can. 1373, § 2, Schema 1980. Der Gegenvorschlag jener vier Kommissionsmitglieder, deren Namen in der "Relatio" 14 angegeben sind, lautete für can. 126 "Potestatis regiminis, quae quidem ex divina institutione est in Ecclesia et etiam potestas iurisdictionis vocatur, ad normam praescriptorum iuris, habiles sunt qui ordine sacro sunt insigniti". Für can. 244: "Soli clerici obtinere possunt officia, ad quorum exercitium requiritur potestas ordinis aut potestas regiminis, quae quidem semper est ordine sacro innixa." Diese Kommissionsmitglieder stützten sich hierbei auf die Lehre des II. Vat., die sie in LG 21 bundauch in LG 28a vorfänden und in der Nota "Explicativa Praevia" interpretiert wäre. Nach ihrer Meinung hätte es eine irrige Teilung der potestas publica gegeben, was aber konträr zur Verfassung der Kirche sei. Sie führen hier die historische Entwicklung an, die von der absoluten zur relativen Ordination im ersten christlichen Jahrtausend geführt hätte. Darin sei die Wurzel der anderen, ihrer Meinung nach irrigen Auffassung zu sehen. So hätte das II. Vat. die Einheit aller potestas sacra gelehrt, die potestas presbyteri ist Teilhabe an der bischöflichen potestas, die potestas episcopi ordinis et iurisdictionis liegt im Weihesakrament begründet. "ldea autem participationis laicorum in ,potestate sacra' est aliena a Concilio." 15 Aber auch die gegenteilige Ansicht wurde in der Plenaria vertreten: so wollte ein Kommissionsmitglied, 16 daß auch die Bischöfe, nicht nur die oberste Autorität der Kirche potestas regiminis an Laien übertragen könne. 17 Der Laie als Richter gemäß M. P. Causas Matrimoniales sei nicht mit der Konzilslehre zu vereinbaren. 18 Der Laie ist nach dieser Meinung unfähig, potestas zu erwerben, und zwar aus theologischen Gründen. Er kann potestas nicht ausüben, weil er sie nicht besitzen kann. Zum Folgenden s. Comm. 14 (1982), 146 ff. Relatio complectens synthesim animadversionum, Typis Polyglottis Vaticanis 1981, 38: Ratzinger, Hume, Freeman, O'Fiaich. 15 Comm. 14 (1982), 148. 16 Relatio 40: Marty. 17 Comm. 14 (1982), 149. 18 Relatio 40: Ratzinger. 13
14
18'
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Die Plenaria sollte nun über beide Standpunkte entscheiden. 19 Brisant wurde die Frage, ob der can. 1373 § 2, Schema 1980- der Laienrichter -, nun gestrichen werden sollte oder nicht. Zwei Mitglieder der Kommission 20 sprachen sich vehement für die Streichung dieses Paragraphen aus, denn er entbehre jeglichen theologischen Fundamentes. Zur Stützung ihrer Ansicht zitieren sie den auctor probatus, Schmalzgrueber, leider aber unvollständig und ziehen darüber hinaus noch falsche Schlußfolgerungen. Das Zitat aus Schmalzgrueber: Ius ecclesiasticum universum tom. I, pars altera, Romae 1844, 175, ist abgedruckt in Comm. 16 (1984), 55: ..... dicendum laicos ad causas spirituales et ecclesiasticas, etiam cum Clericis de iure delegari non posse. Ita communis cum Hostiensi ... Addidi de iure non posse; nam Pontifex, qui est supra omne ius ecclesiasticum, ex certa scientia et Papalis potestatis plenitudine laico committere etiam causarum universitatem potest, non tantum temporalium, quae inter Clericos intercedunt, sed etiam spiritualium qualiumcumque, ut cum communi notat Hostiensis ... " .,Dub. 6. An laicus iure delgato possit de causis spiritualibus cognoscere? Respond. distinguendo: potest ex delegatione Summi Pontificis non vero ex delegatione alterius Praelati ecclesiastici ... " .,Pars 1a patet ex plenitudine potestatis, quam Universalissimam Papa habet, ut per se vel per alios cognoscat de omni causa spirituali, modo illi, per quos cognoscit, non sint iure divino inhabiles. Atqui laicus non est iure divino inhabilis ad cognoscenda spiritualia, si id agat non proprio sed alieno nomine. lgitur per illos, tamquam delegatos suos potest ea Papa cognoscere et iudicare. Pars. 2a constat ex eo quod Episcopus vel alius Papa inferior nequit id, quod iure superiori constitutum est abrogare .. ." (Schmalzgrueber, L. II tit. 1, n. 56). Aus diesen beiden Texten geht klar hervor, daß die Unfähigkeit der Laien, potestas zu erhalten, rein menschlichen Rechtes ist. Der Laie kann kraft Delegation durch den Papst als die oberste Autorität in der Kirche Jurisdiktion haben: denn dann- als Delegat- handelt der Laie nicht in eigenem, sondern in fremdem Namen. Damit ist mit Schmalzgrueber die Frage nach der Postestasfähigkeit der Laien zu beantworten: der Laie kann Träger von potestas delegata sein, nicht aber von potestas ordinaria. Nun ist aber auf die schon erwähnte Anfrage der Codexreformkommission, gerichtet an die Glaubenskongregation über die Potestasfähigkeit der Laien, kurz einzugehen. Der Studienkreis der Codexreformkommission .,De normis generalibus" stellte am 12. März 1976 folgende Fragen an die Glaubenskongregation: .Utrum laici, utpote baptismate suo modo munerum Christi participes facti, adsumi possint, sub ductu quidem Episcoporum, ad aliqua munera regiminis seu iurisdictionis, participationem nempe secum19
20
Comm. 16 (1984), 54 f.; Relatio 308 f. Relatio 309: Ratzinger, Hume.
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277
ferentia in potestatibus legislativa, exsecutiva vel iudiciali; et, si affirmative, quaenam sint haec munera ecclesiastica ad finem spiritualem exercenda quae etiam committi possunt?" Diese Anfrage wurde von der Glaubenskongregation am 15. Dezember 1976 behandelt, das Ergebnis am 17. Dezember vom Papst approbiert und von der Glaubenskongretation der Codexreformkommission am 8. Februar 1977 mitgeteilt: "Dogmatice, laici exclunduntur a solis officiis intrisece hierarchicis, ad quae exercenda capacitas cum receptione sacramenti Ordinis connectitur. Dogmaticamente, i laici sono esclusi soltanto dagli uffici intrinsecamente gerarchici, Ia cui capacita e legata alla recezione del sacramento dell' ordine. "21 Diese Antwort wurde bedauerlicherweise nicht im offiziellen Organ der Codexreformkommission, in den "Communicationes", veröffentlicht, sondern nur in einem offiziellen Schreiben an die Codexreformkommission mitgeteilt, welches Betti in seinem Artikel zitiert. Aus der Antwort der Glaubenskongregation ergibt sich, daß nur solche Ämter für Laien verschlossen bleiben, die in sich hierarchisch verfaßt sind, d. h. zu deren Ausübung Weihegewalt unbedingt benötigt wird. Verwiesen sei jedenfalls auch hier auf die Norm des can. 150 CIC 1983 wie auch schon auf die Norm des can. 154 CIC 1917, beide bestimmen, daß die Priesterweihe für die Erlangung solcher Ämter erfordert ist, die volle Seelsorge mit sich bringen. Nach der Vollversammlung der Codexreformkommission im Jahr 1981 wurde das sogenannte Schema Novissimum aus dem Jahr 1982 erstellt. Dieses Schema 1982 ist das Ergebnis der Beratungen und Änderungsvorschläge in der Plenaria. Folgende Änderungen wurden hier vorgenommen: Can. 129, Schema 1982: .Postestatis regiminis, quae quidem ex divina institutione est in Ecclesia et etiam potestas iurisdictionis vocatur, ad normam praescriptorum iuris, habiles sunt qui ordine sacro sunt insigniti; in exercitio eiusdem potestatis, christfideles laici tarnen eam partem habere possunt, quam singulis pro causis auctoritas Ecclesiae suprema ipsis concedit." Can. 273, Schema 1982: "Soli clerici obtinere possunt officia ad quorum exercitium requiritur potestas ordinis, firmo praescripto can. 129." Der endgültige Text des CIC 1983 bringt dann nochmals Änderungen: can. 129 wird in zwei Paragraphen geteilt, in §2 werden die Worte "tarnen eam partem habere possunt, quam singulis pro causis auctoritas ecclesiae suprema ipsis concedit" ersetzt durch die Worte "ad normam iuris cooperari possunt". In can. 274 wird wieder der Passus "aut potestas regiminis ecclesiastici" eingefügt. Can. 1421 § 2 bleibt unverändert. Damit ist auch klar, daß 21 U. Betti, In margine al nuovo Codice di Diritto Canonico, in: Antonianum 58 (1983), 641, auch in Anm. 36.
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der Laienrichter in allen Fällen, nicht nur in Ehenichtigkeitsprozessen, erkennder Richter sein kann. 22 Der CIC 1983 ersetzt in can. 129 den Terminus "partem habere" des Schemas 1982 durch den Terminus "cooperari", ohne daß dadurch substantiell etwas geändert würde. Gewiß erscheint der Ausdruck cooperari etwas schwächer zu sein, aber aus der Redaktionsgeschichte ergibt sich, daß beide termini im wesentlichen ident sind. Kardinal Ratzinger beantragte nämlich die Änderung des Textes des can. 129 § 2: "In exercitio eiusdem potestatis ii, qui ordine sacro non sunt insigniti, suo modo ad normam iuris adiuvare et cooperari possunt." Diese Änderung wurde nicht akzeptiert, da sie der völligen Elimination des § 2 gleichgekommen wäre und Laien völlig von der Partizipation und der Ausübung der potestas iurisdictionis ausgeschlossen hätte. 23 Weiters wurden die termini cooperatio und participatio auch sonst mit gleicher Bedeutung gebraucht, der Unterschied darf daher nicht überinterpretiert werden, gemeint ist im Grunde das Gleiche. Darauf weist vor allem A. del Portillo hin. 24 Die Kardinalsplenaria strich ferner aus dem can. 129 den Passus "quatenus eodem ordine sacro non innititur", und aus dem can. 274 den Passus "ordine sacro innixa". Damit sollte eindeutig klargestellt werden, daß es in der Kirche nur eine sacra potestas gibt. Jede Doppelung der Kirchengewalt in eine potestas naturalis und in eine potestas sacra ist damit ausgeschlossen. Can. 129 hat in seiner ganzen Redaktionsgeschichte immer den Passus "in exercitio eiusdem potestatis", was bedeutet, daß die potestas regiminis, die von Laien und von Klerikern ausgeübt wird, dieselbe ist. Wenn die potestas regiminis dieselbe ist, so muß sie denselben Ursprung haben, muß zu denselben übernatürlichen Zielen verliehen werden. Die potestas, die Laien übertragen wird, hat nicht die Taufe als Quell, wohl aber wird in der Taufe die Befähigung verliehen, kirchliche Ämter mit der nötigen Kirchengewalt zu erhalten. Dies gilt für alle Ämter, die nicht "intrinsece hierarchia" sind. Diese hingegen bleiben den Klerikern, die die hl. Weihe empfangen haben, gemäß der Antwort der Glaubenskonkregation aus dem Jahr 1977 vorbehalten. Beide, Kleriker und Laien, üben dieselbe - eadem - potestas aus, die ihnen ad normam iuris übertragen wird. In diesem Zusammenhang sei auch auf can. 228 § 1 CIC 1983 verwiesen, der in allgemeiner Weise die Befähigung der Laien, kirchliche Ämter zu erhalten, bejaht. Dieser Kanon spricht aber nicht von potestas, dies ist eine 22 Ebd., 628, Anm. 4: die Endredaktion besorgte der Papst selbst mit vier Beratern: Casaroli, Ratzinger, Jubany Arnau und Fagiolo. 23 Ebd., 636. 24 A. del Portillo, Gläubige und Laien in der Kirche, Paderborn 1972, 178.
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andere Frage, die nach den cc. 129 und 274 § 1 CIC 1983 zu lösen ist. Der Kleriker hat gern. can. 274 § 1 ein Recht, Ämter mit potestas ordinis und potestas regiminis zu erhalten, der Laie ist zwar durch die Taufe dazu befähigt, hat aber an sich kein Recht, die Übertragung eines Kirchenamtes zu verlangen, wohl aber zu erbitten. Sache der zuständigen kirchlichen Autorität ist es dann, dieser Bitte je nach Lage der Dinge und der Umstände zu entsprechen. 3. Zur Natur der potestas in den iustitia vitae consecratae und in den societates vitae apostolicae Hier sind die cc. 596, 618 und 134 in Betracht zu ziehen. Can. 596 betrifft die Institute des gottgeweihten Lebens, can. 618 die Ordensinstitute, can. 134 die Ordensinstitute und die Gesellschaften des apostolischen Lebens. Weiters sind in Betracht zu ziehen die cc. 732 und 734, die sich auf die Gesellschaften des apostolischen Lebens beziehen und in unserem Zusammenhang in Verbindung mit can. 596 bzw. can. 618 zu sehen sind; daher gilt all dies, was in diesen Canones über die Institute des gottgeweihten Lebens ausgesagt wird, auch für die Gesellschaften des apostolischen Lebens. Das ganze Problem der Potestasfähigkeit der Laien kristallisiert sich hier. Es sei auch hier verwiesen auf die Antwort der Glaubenskongregation, in der diese feststellte, daß Laien fähig sind, potestas iurisdictionis zu besitzen, wann immer die höchste Autorität der Kirche für Einzelfälle sie diesen überträgt. Schema 1977: can. 25 unterschied zwischen einer potestas, die nicht spezifiziert war und einer potestas ecclesiastica regiminis, sowohl für das forum externum als auch das forum internum. Diese letztere der potestas regiminis kam aber nur den instituta clericalia zu. Außerdem kannte das Schema 1977 auch noch eine potestas ecclesiastica plenior, welche aber nur die exempten Institute innehaben sollten. In der Codexreformkommission waren sich aber alle Mitglieder darüber einig, daß es sich bei jeglicher potestas in einem Ordensinstitut oder einem Säkularinstitut oder einem Institut des apostolischen Lebens nicht um eine private potestas handle oder um eine potestas dominativa, wie sie noch der CIC 1917 in can. 501 § 1 nannte. Dennoch wollte die Kommission diese potestas nicht als potestas ecclesiastica definieren, um keine Definition der Natur dieser potestas geben zu müssen. Can. 96, Schema 1977: .§ 1. Institutorum Moderatores et Capitula in sodales sua gaudent potestate ad normam iuris universalis et Constitutionum; in institutis autem
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clericalibus iuris pontificii pollent insuper potestate ecclesiastica regiminis pro foro tarn externo quam interno, firmo tarnen praescripto canonis. § 2. Moderatores omnes erga sodales ipsorum curae commissos suam adimpleant missionem suamque potestatem exerccant ad normam Constitutionum et iuris universalis. § 3. In Institutis exemptis ad normam can. 17, Moderatores pleniorem obtinent potestatis ecclesiasticae participationem et eiusdem liberum usum ad normam iuris universalis et Constitutionum exercendum." 25 In bezug auf die klerikalen Säkularinstitute kam die Codexreformkommission zu dem Ergebnis, daß deren Obere nicht potestas ecclesiastica regiminis besitzen, da Säkularinstitute Kleriker grundsätzlich nicht inkardinieren.26 Can. 523, Schema 1980: ..Institutorum Superiores et Capitula in sodales ea gaudent potestate quae iure universaH et Constitutionibus definitur, in Institutis autem religiosis clericalibus iuris pontificii pollent insuper potestate ecclesiastica regiminis pro foro tarn externo quam interno." 27 Hier fällt auf. daß der § 3 des can. 25, Schema 1977, gestrichen wurde. Dieser§ 3 handelte über die vollere Teilhabe an der potestas ecclesiastica bei den exempten Instituten. Die Codexreformkommission beabsichtigte jedoch, die Exemptionen zu verringern. Aus diesem Grund bestätigte die Kommission die prinzipielle Möglichkeit einer Exemption bloß in allgemeiner Form, wie sie sich jetzt in can. 591 CIC 1983 findet. 28 Weiters ist zu beachten, daß nur mehr in klerikalen Ordensinstituten päpstlichen Rechtes die Oberen potestas ecclesiastica regiminis sowohl für das äußere als auch für das innere Forum besitzen, nicht mehr die Oberen in Säkularinstituten. Nach der Kardinalsvollversammlung wurde dieser Canon nochmals geändert, da ihm ein dritter Paragraph von großer Bedeutung zugefügt wurde. Auf die potestas, die gern. can. 596 § 3 CIC 1983 die Oberen und die Kapitel aller Institute ausüben, werden die cc. 131, 133 und 137-144 angewandt, welche die potestas regiminis regeln. Festzuhalten ist, daß es sich bei der potestas in allen Instituten des gottgeweihten Lebens, wie auch bei den Gesellschaften des apostolischen Lebens, um öffentliche potestas handelt, die die Oberen vom obersten 25 26 27
28
Comm. 11 (1979), 305 f. Ebd., 306 !.; Comm. 15 (1983), 64. Comm. 11 (1979), 305 und 308. Comm. 15 (1983), 62 !.; 7 (1975), 87 f.
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Gesetzgeber, d. i. vom Papst, empfangen. Vgl. dazu can. 618 CIC 1983! Die Formulierung dieses Canons findet sich bereits im can. 544, Schema 1980. 29 Can. 26, Schema 1977, lautete noch viel unbestimmter: "Potestas qua singuli Moderatores praediti sunt ad decernendum et praecipiendum quae agenda sunt eis a Deo conceditur ... " Aus der Formulierung des can. 618 CIC 1983 folgt klar, daß die Oberen in den Ordensinstituten ihre potestas von Gott durch den Dienst der Kirche empfangen. Dies gilt gern. can. 734 CIC 1983 auch für die Gesellschaften des apostolischen Lebens, auch in ihnen wird potestas publica ausgeübt. Aus demselben Grund ist daher auch jede potestas, die von Laienoberen ausgeübt wird, öffentliche potestas, die durch den Dienst der Kirche - durch den Papst- vermittelt- den Oberen übertragen- transmittiert wird. Logische Konsequenz daraus ist, daß die potestas der Ordensoberen derselben Natur sein muß wie die potestas regiminis ecclesiastici. 30
C. Skizzierung einer Lösung mit Blick auf das Ganze des Kirchenrechts: "Ministerialität" und "bewegliches System"
Nach H. Müller 31 ist eine allgemeine potestas-Theorie s. str. nicht möglich, da der Begriff der potestas im Gesamt des Kirchenrechts nicht univok, sondern analog erscheint. Dies gilt um so mehr, als das II. Vat. den hermeneutischen Horizont für das Verständnis des CIC 1983 absteckt, 32 dessen "letztes Dokument" er nach den Worten Papst Johannes Pauls II. darstellt. Zudem bezieht sich das, was man unter "sacra potestas-Lehre" des Il. Vat. bezeichnen kann, im strikten Sinn nur auf den Episkopat, wie H. Müller aufgezeigt hat. Allgemein gilt nur- im Sinne von LG 8 a- die Analogie ad instar mysterii incarnati zwischen potestas ordinis und potestas iurisdictionis, 33 diese Analogie wiederum eingebettet in die Grundsakramentalität der Kirche nach LG 1. Celeghin 34 sieht eine Lösung im Begriff der "Ministerialität der Kirche", welche er als ekklesiologisches Prinzip betrachtet, geeignet, das Gesamt von Comm. 12 (1980), 145. Ebd., 145-147. 31 Mül/er, 106. 32 Vgl. Ap. Konst. "Sacrae Disciplinae Leges", AA 75 (1983), XI! 33 Dazu Mül/er, 90 f. 34 A. Celeghin, Origine e natura della potesta sacra. Posizioni postconciliari, Brescia 1987, 470 ff., bes. 491 f.; ders., Sacra potestas: quaestio postconciliaris, in: Per MCL 74 (1985), 165-225. 29
30
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Kirche zu durchwirken und scheinbar miteinander unversöhnliche Positionen doch zu vermitteln. Er versteht darunter die der Kirche von Christus verliehene Grundfähigkeit, die Menschen zum Heil zu führen. Demgemäß kann die Kirche die vom Herrn empfangene potestas ausweiten oder einschränken, je nachdem, wie sie ihr Ziel, dem sie immer zu dienen hat, besser erreichen kann: die salus animarum, die ihr oberstes Gesetz ist. 35 Die Geschichte der Kirche und ihres Rechts zeugt für die so verstandenen .. elastischen Grenzen" der potestas. Das II. Vat., das sich selbst immer als innerhalb der Geschichte der Kirche stehend ansah und daher auch nur so wirklich zu verstehen ist, wollte de proposito auch in der potestas-Frage nicht letzte Klarheit schaffen, sondern das Feld der Arbeit den Theologen (zu denen auch die Kanonisten zu zählen sind) überlassen. Der Ursprung jeglicher potestas sacra ist primär Christus, sekundär einzig die Kirche, welche die potestas einerseits durch Weihe und missio (vgl. PO 1 u. 7!), andererseits nur durch missio überträgt, dies immer in Anwendung ihrer Ministerialität, was auch die Gültigkeit gesetzter Handlungen betreffen kann. So ist z. B. die Priesterweihe durch Priester ungültig, wohl aber kann ein Laie als Richter Träger von potestas (iudicialis) sein. Schematisch könnte man die una sacra potestas folgendermaßen aufschlüsseln: poleslas sacra
-
Genusbegriff
(I) potestas sacramentalis (2) potestas non-sacramentalis
Speciesbegriff
(I) wird im Sakrament (der Weihe) übertragen (2) wird in der missio übertragen, wobei die Befähigung, potestas durch missio zu empfangen, in der Tatsache des Getauftseins zu sehen ist, 37 ohne daß der Laie ein Recht auf Empfang von potestas erwirbt (can. 274 §I CIC).
Allein der Hierarchie der Kirche steht die Handhabung der Übertragung von potestas gemäß dem leitenden Prinzip der Ministerialität zu. 38 Laien sind im theologischen Sinn fähig, kirchliche Ämter zu erhalten (z. B. can. 230: Lektor, Akolyth, cc. 1282, 1283 § 1: Administrator von KirchenS. can. 1752 CIC! Vgl. J. Beyer, Die Vollmacht in der Kirche, in: FS Schwendenwein, hg. von K. Lüdicke, H. Paarhammer u. D. A. Binder, Graz/Wien/Köln 1986, 287-298, bes. 295 u. 297 (Anm. 24). Vgl. insbesondere auch LG 22, 21, 24 u. die NEP! 37 Vgl. ebd., 290; Celeghin, 489 f. 38 Ce/eghin, 488. 35 36
Una Sacra Potestas in Ecclesia
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gütern, can. 1421 § 2 in Verbindung mit can. 391 § 2: Richter), verschlossen bleiben ihnen nach dem oben zitierten Antwortschreiben der Glaubenskongregation freilich alle jene Ämter, die "instrinsece hierarchica" sind. 39 Mit der Leitidee der Ministerialität bewegen wir uns in Richtung einer topischen Kanonistik, wir finden ein "bewegliches System" 40 der Gewaltenlehre, und ich möchte behaupten: der gesamten Kanonistik vor, ist doch die Frage nach der potestas in der Kirche eine ganz zentrale und formgebende. Was freilich bei solcher Konzeption leidet, das ist die Schärfe des klassischen Begriffs. Man kann sich allerdings fragen, ob nicht diese letzte Unschärfe - doch niemals Verwaschenheit -, die ein "bewegliches System" in der Kanonistik mit sich bringt, dem Wesen der Kirche als bleibendes Geheimnis besser entspricht und damit auch dem Wesen des Kirchenrechts angemessener ist. Dem Wirken des fleischgewordenen Herrn und Seines Geistes in Seiner Kirche - dem Grundsakrament der gesamten Menschheit (LG 1), ohne daß damit unterschiedslos jedes Handeln der Kirche kurzschlüssig als sakramental postuliert noch die Übertragung und Ausübung von potestas als solcher gleichsam als "8. Sakrament" angenommen werden müßte 41 - könnte somit ein höheres Maß an Offenheit, Gehorsam und Beweglichkeit unsererseits entgegentreten.
39 In diesem Sinne durfte ich am 29. Oktober 1984 auch ein Gespräch mit dem Präfekten der Glaubenskongregation, Kard. Ratzinger, in Rom führen. Kard. Ratzingersah die Möglichkeit, Laien potestas zu übertragen, als nicht gegeben an, was die Legislative betrifft; er ließ die Frage offen, was die Exekutive anlangt, und bejahte sie im Sinne von c. 1421 §2 CIC, was die judikative Gewalt angeht. 40 Der Grazer Professor für Zivilrecht W alter Wilburg hat in anderem Zusammenhang, nämlich für den Aufbau des Schuldrechts, von einem "beweglichen System" gesprochen, zuletzt in seinem Beitrag: Zusammenspiel der Kräfte im Aufbau des Schuldrechts, in: AcP 163 (1963), 346 ff.; s. auch F. Byd/inski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, Wien/New York 1982, bes. 529-543. 41 Vgl. dazu auch meinen eigenen Beitrag in FS Schwendenwein, bes. 255!
SCHATZKAMMER UND WALLFAHRT- OPFER UND KULT Von Helmut Schnizer, Graz Nicht nur das Österreichische Nationalheiligtum Mariazell, sondern die meisten Wallfahrtskirchen verfügen über eine eigene "Schatzkammer" 1. Häufig handelt es sich dabei nicht um irgendeinen beliebigen, als Depot oder Ausstellung zufällig eingerichteten Raum, sondern um eine geplante Anlage. Uns Österreichern so geläufige Wallfahrtsstätten wie Maria TaferF, Maria Plain bei Salzburg 3, Mariahilf in Graz4, Mariahilf in Wien 5 oder Altötting6 sind da zu nennen. Es hängt mit dem Wesen der Wallfahrt zusammen, daß an der geweihten Stätte geopfert und diese Gaben in einer besonderen Weise nicht nur verwahrt, sondern auch als "Schatz" präsentiert werden 7. Die so gesammelten Dinge gewinnen ihren besonderen Wert nicht 1 Dehio-Handbuch, Die Kunstdenkmäler Österreichs, Steiermark, Hrg. K. Woisetschläger und P. Krenn, Wien 1982, hier 286. G. Rodler, Mariazell, Geschichte und Beschreibung ... der Schatzkammer, Mariazell 1932. H. Appuhn, Schatzkammern, Hermes Handlexikon 10028, Düsseldorf 1984, 168 f. Diverse Beiträge des verstorbenen Stiftshistorikers P. 0. Wonisch OSB in den Mariazeller Jahrbüchern, Mariazell 1947 f. Grundsätzlich J. Schlosser, Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance, Leipzig 1908, bes. 12 und 16 f., Appuhn (wie vor), 7 f., St. Krenn, Geistliche Schatzkammer, in: Weltliche und Geistliche Schatzkammer, Führer durch das Kunsthistorische Museum 35, Wien 1987, 225 f. Umfassend und anschaulichE. Scheueher und J. Willsberger, Die Kunst- und Wunderkammern der Habsburger, Wien/München/Zürich 1979. G. Gugitz, Österreichs Gnadenstätten in Kult und Brauch, 5 Bde, Wien 1956f. Meinen Freunden lnge und Kurt Woisetschläger danke ich wie so oft für viele Hinweise und Überlassung von gedrucktem und ungedrucktem Material zur Kunstgeschichte. 2 Appuhn (Anm. 1), 168. 3 Dehio-Handbuch, Salzburg, Hrg. B. Euler, R. Gobiet u. a., Wien 1986, 228. 4 Dehio-Handbuch, Graz, bearbeitet von H. Schweigert, Wien 1962, 162. 5 Literaturhinweise in Josephinische Pfarrgründungen in Wien, 92. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien (Katalog), Wien 1985, 75f.; DehioHandbuch, ... Wien, bearb. von A. Mazku und E. Neumann, Wien 1978, 128. Neuestens Siefan Müller SDS, Wundersüchtiges Barock?, Beilage zum Wiener Diözesanblatt 30 (1989), 47f. 6 Appuhn (Anm. 1), 21 f. 7 Schlosser (Anm. 1), 12; E. Stephany in Einführung zu E. G. Grimm, Der Aachener Domschatz, Aachener Kunstblätter 42 (1972), VIf. 00.
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durch ihre materielle, künstlerische oder historische Qualität, obwohl sich darunter vieles befindet, das nach diesen Kriterien hoch anzuschlagen ist. Zum Schatz dieser heiligen Stätte werden sie vielmehr als Zeugnis des Glaubens. Hinter jeder dieser großen oder geringen Gaben steht ein höchstpersönliches Motiv, eine Opferintention, ein Akt des Kultes. Die damit öffentlich kundgetane Gottesverehrung macht die farbige Vielfalt der an der heiligen Stätte niedergelegten Dinge zum Schatz. Opfer ist untrennbar mit dem W allfahrtsgedanken verbunden. Häufig bezeugt der Wallfahrer durch besondere Votive eine persönlich empfundene Situation der Gotteserfahrung. Mindestens nimmt er mit der Teilnahme an der Wallfahrt das Glaubenszeugnis Vieler an, die durch ihr Pilgern der Gemeinschaft der Gottsuchenden Nachricht von der Erfahrung geben, daß Gott einen konkreten Ort spürbar mit seiner Nähe auszeichne. Wallfahrt, Opfer, Kult, und wie ich noch näher, zumindest in einigen Aspekten zu zeigen versuchen werde, sogar "Schatz-Kammer", hängen vielfach und komplex zusammen 8 • Dies sollte auch den Kanonisten veranlassen, die Orientierungen aufzusuchen, die die Jurisprudenz so wesentlichen Realitäten des christlichen Gemeinschaftslebens zuzuwenden vermag. Der neue Kodex enthält im Unterschied zum alten eine namentliche Regelung des Rechts der Wallfahrtsstätten. Ihnen ist ein eigenes Kapitel III in der Pars "De locis et temporibus sacris" gewidmet 9 • Wie ein großer Kenner des so inhaltsreichen, geschichtsmächtigen und über die christliche Kultur hinaus weltgestaltenden Phänomens der W aBfahrt, der Rechtshistoriker, Kanonist und Volkskundler L. Carlen als wahrscheinlich zeigt 10 , hat Papst Johannes Paul II. persönlich auf den Inhalt dieses neuen Kapitels im universalen Gesetzbuch Einfluß genommen. Die ausdrückliche Erwähnung und der nun durch das positive Recht gewährleistete Schutz der Votive taucht in den Vorarbeiten und Entwürfen nirgends auf; der betreffende§ 2 des c. 1234 muß 8 Al fresco möchte ich auf die Zusammenhänge hinweisen, die etymologisch, semiotisch oder begriffsgeschichtlich mit den Ausdrücken sanctuarium, scrinium und allenfalls secretarium zusammenhängen. Aus dem Deutschen sind die Bezugsworte Schatz und Schrein zu nennen. Alle diese Worte kreisen um die Sachverhalte von abgrenzen, wertvoll, heilig und dazu dienliche Vorkehrungen wie Gebäude oder Kästen. Eine erste Verifikation dieser Zusammenhänge ergibt die Einsicht in Standardlexika, wovon ich nur zitiere F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 21. Aufl., Berlin/New York 1975, 638; Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 5, Mannheim/Wien/Zürich v. Schatz; W. Freund, Wörterbuch der lateinischen Sprache, Bd. 4, Leipzig 1840, 246, 309; weiter bei Anm. 16; ferner Carlen (Anm. 10), 45 f., mit weiteren Literaturhinweisen, ferner Puschmann (Anm. 12) und Anm.15. 9 Ce 1230-1234. Gute Kommentierung, bearbeitet von Reinhardt, im Münsterischen Kommentar zum CIC, 6. Ergänzungslieferung, Oktober 1987. 10 L. Carlen, Wallfahrt und Recht im Abendland, Freiburger Veröff. aus dem Gebiete von Kirche und Staat 23, Freiburg/Schweiz 1987, 193.
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wohl erst bei der persönlichen Durchsicht des Textes durch den Summus Legislator eingefügt worden sein 11 . Der Kodex überschreibt das Kapitel mit dem in der kurialen Praxis schon lange alsterminusgeprägten Fachausdruck .,Sanctuarium" 12 . Im Eingang des normativen Textes wird dieser Ausdruck nun legaldefiniert Ein Ort ist deshalb in einem qualifizierten Sinn als .,Heiligtum" zu benennen, weil er wegen eines besonderen Titels, .,ob peculiarem pietatis causam", häufig von Pilgern aufgesucht wird 13 . Die Legaldefinition nimmt die orthafte und die personal-soziale Komponente der Wallfahrt auf und schließt sie mit dem Element eines besonderen, amtlich anerkannten Kults zum vollen Statusbegriff zusammen. Mit Kult ist immer Opfer verbunden. Bei derWallfahrt nimmt dieses Opfer aber ganz spezifische Formen an, und dies führt dazu, daraus eine besondere Form herzeigbaren Schatz zu bilden. Es ist wohl nicht verfehlt, in unsere Überlegungen auch einen Hinweis auf die Wortgeschichte von .,sanctuarium" einzuwerfen. Unter vielen hat das auch in der Antike schon prominente Wort oftmals die Bedeutung Schatzkammer 14 . Nun hat der CIC 1983, vielleicht in Anlehnung an den italienischen Sprachgebrauch .,santuario" 15 , den Begriff ausdrücklich definiert; mir scheint diese Definition im Deutschen ilm besten mit Wallfahrtsstätte wiedergegeben 16 . Die Regelung der cc. 1230-1234 enthält einige Grundsätze; der Verzicht auf detaillierte Normen war angesichts der höchst unterschiedlichen tatsächlichen Verhältnisse sehr zweckmäßig. Der Inhalt des caput III .,De sanctuariis" läßt sich so summieren: Schutz des Namens und damit des Rechtsstatus; Statuten und deren Pflichtinhalt; kompetente kirchliche Ho11 V gl. List/ I Müller I Schmitz, Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 1983, 39. 12 B. Puschmann, Der Begriff des Sanktuariums, TThZ, Jg. 1949, 138f.; Carlen (Anm. 10), 45f. 13 c. 1230. 14 Siehe Anm. 8, 15 und 16. 15 Enciclopedia Italiana, Bd. 30, Rom 1936; Dizinario enc. ital., Bd. 10, Rom 1970, v. santuario. Auch im französischen Sprachgebrauch ist .,sanctuaire" beheimatet, cf. R. Naz, v. ex-voto, DDC 5, c. 789 bis 790. 16 In der offiziösen deutschsprachigen Ausgabe des CICI1984 2 , die im Auftrag der Bischofskonferenzen von einem Team unter der Leitung von W. Aymans erarbeitet wurde, ist die Übersetzung wörtlich gehalten: .. Heiligtümer". Die von der Canon Law Society of America herausgegebene Text- und Kommentarausgabe .. The Canon Law" übersetzt sanctuarium mit .. shrine", obwohl dem Englischen .. sanctuary" durchaus geläufig ist; vgl. Webster's New World Dictionary, 2° ed., New York 1980, 1259 und 1320. Das aus dem Germanischen stammende Wort Schrein ist im Englischen offenbar volkstümlicher. Die etymologische Nähe dieses Begriffes zu Schatztruhe ist im Zusammenhang mit der oben im Text und bei Anm. 8 angesprochenen Komplexität bemerkenswert.
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heitsträger; Vorsorge für die besonderen Aufgaben einer Wallfahrtsseelsorge und - besonderer Schutz für Votivgaben und bestimmte Zeichen. Aus diesen Regelungen möchte ich vorwiegend das herausgreifen, was für das Thema diees Beitrages Ansatzpunkte bietet. Vorweg ist zu bemerken, daß es für die bestehendenWallfahrtsortekaum Statuten im technischen Sinn gibt 17 • Der Gesetzgeber hat auch davon abgesehen, die Schaffung von Statuten zur Pflicht zu erheben. Er folgt damit den Erwägungen der Konsultorenkommission 18 . Man sollte aber vielleicht die Tatsache, daß der Gesetzgeber auf Statuten Bedacht nimmt, als Einladung ansehen, über die möglicherweise sogar in der Schaffung von Normen versteckte Chance schwierige Aufgaben besser zu lösen, nachzudenken 19 . Sicher gibt es für die großen traditionellenWallfahrtsortediverse besondere Normen, wie päpstliche und andere Privilegien, oft auch gedruckte oder plakatierte Anordnungen, die den äußeren Rahmen betreffen, z. B. Gehord17 Offenbar versteht der Gesetzgeber hier ,.statuta" nicht im Sinne der Legaldefinition von c. 94. Demnach sind Statuten im eigentlichen Sinn das, was wir Satzung nennen; sie beziehen sich auf die innere Ordnung einer verfaßten Personen- oder Sachgesamtheit; Adressaten solcher Statuten sind nur die Mitglieder der betreffenden Gemeinschaft bzw. die Leiter einer Stiftung oder Ansta!~ Anders ausgedrückt, es handelt sich um die autonom erlassene Verfassung juristischer Personen.§ 3 can. cit. erweitert die Statutendefinition auf Vorschriften der genannten Art, die von Inhabern gesetzgebender Gewalt erlassen sind. Die eine und die andere Definition passen nicht zu der Zweckumschreibung von Statuten in c. 1232, aber auch nicht zu Absicht und Ziel des ganzen Caput De sanctuariis. Die da intendierte Ordnung des Wallfahrtswesens zielt in erster Linie auf die Pilger, also einen großen unbestimmten Adressatenkreis. Der Gebrauch des Ausdrucks Statuten ist nur insofern verständlich, als Walilahrtsorte ein Eigenleben entwickeln und die Pilger für die Zeit ihrer Wallfahrt in eine durch konkreten Zweck und festes Brauchtum geformte Gemeinschaftsbeziehung eintreten. Oft werden die Sanktuarien von Orden getragen und die Aufgaben der Wallfahrtssorge gehen in deren Eigenrecht ein, kombiniert mit päpstlichen oder aus dem Herkommen entstandenen Privilegien (cf. c. 76 § 2). Die Statuten des Caput De sanctuariis haben andererseits auch viel vom Charakter einer Anstaltssatzung an sich. Die bei einer W allfahrtsstätte dem Träger obliegenden Vorkehrungen wären typisch für Organisation und Struktur einer Anstalt. Der durch c. 1232 § 2 vorgegebene Pflichtinhalt geht auch viel mehr in diese Richtung. Es ist wohl richtig, im Innenverhältnis eher die Parallele zur Anstalt zu sehen, im Außenverhältnis dagegen zur Korporation. Ich würde den Statutenbegriffces c. 1232 so interpretieren, daß die regelmäßig bei jeder Wallfahrt feststellbaren, de facto wie eine Rechtspersönlichkeit agierenden sozial-realen Kräfte ein Antrags- und Vorschlagsrecht an die zuständige kirchliche Autorität haben. Mit anderen Worten, die Autorität soll die Kräfte einer gewachsenen Gruppendynamik initiativ werden lassen. Unter Umständen handelt es sich ohnehin um eine Ordensgemeinschaft, in deren Eigenrecht auch das Wallfahrtsstatut, mit Außenwirkung für die Pilger, insofern als Statut im Sinne des c. 94, inkorporiert ist. 18 Communicationes 12 (1980), 343. 19 Siehe den Text unten bei Anm. 38.
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nung, Prozessionswege, Silentium, ausgezeigte Plätze für das Aufstellen von Lichtern usw. Vieles ist durch Brauch, Herkommen oder im Volk lebende Überlieferung in die nötige Form gebracht. Oft könnte über die tatsächliche Übung hinaus Gewohnheitsrecht im kanonischen Sinn entstanden sein. Ein geschlossenes Corpus praescriptorum wird sich aber kaum irgendwo finden. Selten dürfte es auch eine Anerkennung als Wallfahrtsort expressis verbis geben. Sicher gibt es aber für die alten Wallfahrtsorte eine Vielzahl konkludenter Anerkennungen, z. B. im Rahmen der Gewährung von Ablässen oder der Übernahme von Funktionen durch hohe und höchste kirchliche Würdenträger usw. Die Vorschriften des Caput "De sanctuariis" über die Approbation, die Namensführung und die Statuten sind primär auf die Zukunft gerichtet2°; sie sollen Wildwuchs und Mißbräuche bei der Entstehung neuer W allfahrtsstätten hintanhalten. In ihnen stecken jedoch auch gesetzgeberische Wertungen, die Anhaltspunkte für die Beantwortung durch unser Thema berührte Fragen geben. Unmittelbar anzuwendendes Recht stellen jedenfalls die Vorschriften über die besondere seelsorgliche Betreuung 21 und über die Behandlung der Votivgaben und der Frömmigkeitszeichen dar 22 . Vor allem diese letzte Vorschrift ist eine für unser Thema wichtige Quelle. Zusammen mit der im wesentlichen Gehalt aus dem alten Kodex übernommenen Norm über den Schutz von Reliquien und durch besondere Verehrung ausgezeichneten Bildern führt sie zum Kernbereich der besonderen rechtlichen Bewertung des "Schatzes" einer Wallfahrtsstätte 23 . "Wundertätige" Gnadenstatuen oder Gnadenbilder, Heiligengräber oder "insignia reliquia" bilden den Anlaß, daß eine Wallfahrt entsteht. Der spezifische Sinn einer Wallfahrt zum Unterschied von anderen Formen des religiösen Kultes liegt in der Verehrung durch Gebetserhörung ausgezeichneter Dinge 24 . Am
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2 Carlen (Anm. 10), 29 f. und 46 f. Für diese Auffassung spricht schon der Gebrauch des deklatorisch-lehrhaften Prädikats "intelleguntur" in c. 1230; weiters der Verzicht auf eine Verpflichtung zur Schaffung von Statuten (siehe vorvorige Anmerkung und Text hierzu). Die Auslegung von c. 1230 läßt sich durch den Vergleich mit den ähnlichen Materien der cc. 216, 300, 803 und 808 unterstützen. Gewichtiger als diese Textexegese scheint mir allerdings die Beachtung der Realität: Es existieren als solche bezeichnete nationale und internationale Wallfahrtsstätten schon seit vielen Jahrhunderten. Deren Namen und Status ist durch mindestens konkludente Approbation geschützt; ihnen kommt der Schutz wohlerworbener Rechte nach c. 4 und die Rechtsvermutung erteilter Privilegien nach c. 76 § 2, und allgemein, die gegen die Rückwirkung von Gesetzen (arg. ex c. 9) zugute. 21 c. 1234 § 1. 22 C. 1234 § 2. Nach Wortwahl und Regelungsziel ist die unmittelbare Anwendbarkeit von c. 1234 evident. 23 Ce. 1189, 1190 CIC/1983; cc. 1280 bis 1289, bes. 1281 CIC/1917: siehe auch L. Ferraris I J. Bucceroni, Bibliotheca canonica, iuridica ... , Rom (1885) f., Bd. 1, v. Alienatio, 177 n. 7 "nomine mobilium pretiosorum, quae alienari non possint, quae sunt de thesauro ecclesiae ... ". 24 V. Wallfahrt, LThK 2, Bd. 10, c. 941 f.; Carlen (Anm. 10), 1 f.; J. Neuhardt, Die
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Anschaubaren orientiert sich das Suchen nach - dem oft nur sehr undeutlich - geglaubten Transzendenten. Die eigentliche W aBfahrt, die "verlobte Wallfahrt", wie der im Süden des deutschen Sprachraumes übliche Ausdruck für die nach Art eines Gelübdes versprochene Pilgerfahrt lautet2 5, findet einen Höhepunkt in der Hinterlegung eines Votivs. Fast immer werden dazu typische Werke des Kunstgewerbes oder des Druckes verwendet, z. B. kleine Eisentiere bei der Leonhardwallfahrt2 6 , Wachsbilder von Gliedmaßen oder graphisch gestaltete Dankformeln 27 . Die typischen Votivgaben symbolisieren entweder den besonderen Kult, indem sie Attribute eines Heiligen darstellen oder die besondere Wallfahrtsintention, indem Dank oder Bitte durch einen zeichenhaften Bezug auf eine Heilung oder ein Gebrechen veranschaulicht werden 28 . Diese Votivgaben finden verständlicherweise das Interesse verschiedenster Forschungsdisziplinen: der Kunsthistoriker, der Volkskundler, der Symbolforscher und vieler anderer. Die Aussagen all dieser Disziplinen interessieren den Kanonisten über seinen notwendigen Kontakt zur Rechtsgeschichte hinaus auch bei der Beurteilung aktueller Fragen, und zwar deshalb, weil die rechtliche Bewertung der geschützten Sachen sehr häufig von der Tatsachenbeurteilung der Sachverständigen, z. B. über den künstlerischen Wert oder die Eigenschaft als typisches Votiv ausgehen muß 29 . In den seltensten Fällen liegt eine ausdrückliche Deklaration des Gebers vor, einmal vielleicht doch gemachte Aufzeichnungen, wie z. B. Inventarien oder Mirakelbücher sind verlorengegangen usw. Besser ist die Beweislage eher bei besonders kostbaren Votiven, die dann meist Inschriften tragen oder mit förmlichen Stiftsbriefen ausgerichtet wurden. Die auffallendsten und von den Gläubigen am meisten beachteten W allfahrtsgaben sind sicherlich die Votivbilder. Ihnen schenkt auch die Publizistik die größte Beachtung 30 . Sehr oft enthalten die Wallfahrt im Leben der Christenheit, in: Salzburgs Wallfahrten in Kult und Brauch, Katalog der XI. Sonderschau des Dommuseums zu Salzburg, Hrg. J. Neuhardt, Salzburg 1986, 7 f. 25 Vgl. K. Beitl, Votivbilder, Zeugnisse einer alten Volkskunst, Salzburg 1973, 9. 26 W. Zinner, Leonhardverehrung im Bezirk Murau, Diplomarbeit vom Jänner 1989 (ungedruckt, UB Graz, Sign. II 435.641 ), bes. 113 f.; Katalog "Steirische Eisenvotive", hrg. vom Stmk. Landesmuseum Joanneum, Steirisches Volkskundemuseum, bearbeitet von E. Grabner und M. Kundegraber, Graz 1984. 27 Neuhardt (Anm. 24), 12 f., und Katalog "Steirische Eisenvotive" (Anm. 26). 28 Hierzu besonders beachtlich die Untersuchungen des Heidelberger Ophtalmologen W. Jaeger, von denen ich nur das Bildtafelwerk "Augenvotive", Sigmaringen 1979, zitiere. 29 Eine verläßliche Beurteilung ist wirklich nur durch eine breite Heranziehung von Sachverständigen gewährleistet; siehe oben im Text bei Anm. 25 und passim. 30 L. Kriss-Rettenbeck, Das Votivbild, München 1959; E. Harvolk, Votivtafeln, München 1979; F. Baer, Votivtafeln und Geschichten, Rosenheim 1976. Beachtlich die ungedruckte volkskundliche Dissertation von H. Krobath, Beispiele der Gebär-
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Votivbilder einen Bildbericht über das Ereignis, das Anlaß zur Wallfahrt gab. In großen Wallfahrtsstätten sind sietrotzarger Verluste noch in hunderten Stücken vorhanden. Sie werden als eine Fundgrube der Forschung von Volkskunde, Symbolforschung, Rechtsarchäologie, Kunstgeschichte und vielen anderen Disziplinen verwertet. Ihre eigentliche Bedeutung liegt aber in ihrer aus dem Vertrauen der Votanten gewachsenen Bildpredigt, die sie in die Nähe der Biblia pauperum rückt. Ihre Betrachtung gehört zum eingelebten Brauch jeder Wallfahrt. Mit ihrer zeugnishaften Aussage gehen sie in die pastorale und kultische Werthaftigkeit der Wallfahrt ein. Sie verdienen zweimal Schutz: nicht nur wegen ihrer dem Votanten gelegenen Einlösung einer Schuld "ex voto" 31 , sondern auch wegen ihres Gemeinschaftsbezuges. Die Zurschaustellung der Votivbilder ist eine Pflicht der Kirche und ihres Rektors. Die große Zahl kann zum Problem werden, auch die grundsätzlich gebotene Erhaltung. Doch darüber soll am Ende dieses Artikels gesprochen werden. Hier möchte ich mit der Feststellung abschließen, daß die Votivbilder einen besonders signifikanten Teil der religiösen Substanz im Wallfahrtsgeschehen ausmachen. Die Klärung der Vorfragen durch jeweils zuständige Sachverständige ist bedeutsam, denn das kanonische Recht weist den Votivgaben einen außerordentlichen Stellenwert zu. Dies äußert sich nicht nur in der vom Wert unabhängigen Reservation der licentia de alienando an den Apostolischen Stuhl_32 , sondern auch in der Verpflichtung des zuständigen kirchlichen Rechtsträgers, die Votive zu konservieren und den Wallfahrern zugänglich zu erhalten 33 . Liegt eine besondere Widmung zum Kult vor, z. B. Bekrönung denspracheauf steirischen Votivbildern, Graz 1978, UB Graz, Sign. 11367.713; über das unmittelbar gesteckte Ziel hinaus liefert die Untersuchung viele Belege für die rechtliche Deutbarkeit von Votivtafeln. Ausführungen und Bildmaterial ferner in den bereits zitierten Publikationen von Zinner (Anm. 26), Jaeger (Anm. 28), Beitl (Anm. 25) und den Katalogpublikationen, ,.Steirische Eisenvotive" (Anm. 26) und Salzburgs Wallfahrten (Anm. 24). 31 C. 1192 §3, cf. auch cc. 1191 und 1193. 32 C. 1292 § 2. Die gleiche, auf praepositiven Quellen beruhende Rechtslage stellte die Konzilskongregation mit der Resolution vom 12.7.1919, AAS 11 (1919), 416-419, (auch abgedruckt bei X. Ochoa, Leges Ecclesiae, Bd. 1, Rom 1967, n. 194) in Ergänzung des CIC/1917 klar. Siehe des weiteren unten Anm. 34. 33 C. 1234 § 2. Typische Votive, nämlich kleine Tierfiguren oder Nachbildungen von Gliedmaßen, kommen allerdings auch in einer Art vor, die nichts mit einer Intention auf Dauer zu tun hat. Da werden z. B. am Leonhardsfest solche Opfergaben in Modeln, die der Kirche gehören, serienmäßig gegossen und den Gläubigen zum Kauf angeboten. Beim gebräuchlichen Opfergang werden dann diese Tiere u. dgl. auf einer eigenen Tafel neben dem Altar geopfert. Die fiskalische Komponente des Opferns liegt in dem vorher an die Kirche entrichteten Kaufpreis, der symbolische Aspekt drückt sich in der Figur, der kultische im feierlichen Opfergang während der Liturgie aus (Zinner, oben Anm. 26). Ähnliche Vorgänge können sich z. B. beim Kerzenopfer finden, wenn die Kerzen bei der Kirche gekauft und diese in den 19'
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eines Gnadenbildes, so ist auch diese Funktion unversehrt zu erhalten 34 . Das positive Recht gewährleistet damit den Schutz mehrerer schutzwürdiger Güter: die auch synallagmatisch zu deutende Rechtsbeziehung des Votanten, die einen etwaigen Eingriff auch in Wahrnehmung der Interessensphäre des verehrten Heiligen abzuwehren hat 35 , überdies aber auch die Sicherung der W allfahrtsidee gegenüber dem gläubigen Volk 36 . Auf diese innere Begründung der besonderen rechtlichen Behandlung der Votive ist in der weiteren Darstellung noch zurückzukommen. Votive finden sich zunächst meist an einem typischen Ort, z. B. an bestimmten Wänden des Seitenschiffes oder in Kapellen von W allfahrtskirchen37, oder in situ, wenn sie unmittelbar zum Schmuck oder zur persönlichen Ausstattung des Gnadenbildes dienen, z. B. Bekleidung oder Kronen. Gerade die persönliche Ausstattung von Gnadenstatuen ist jedoch oft in vielen Stücken vorhanden und dann wandert sie in die Schatzkammer und wird dort gemeinsam mit anderen Votiven aufbewahrt und nach Möglichkeit ausgestellt. Ein Besuch in der Schatzkammer einer bedeutenden W allfahrtsstätte, z. B. Mariazell, oder ebenso die Durchsicht der lnventare 38 zeigt, daß auch andere Opfer als die beschrifteten oder in ihrer Eigenart typischen Votive ihren Platz in der Schatzkammer finden. Man sieht dort Ringe, Ketten, Uhren, Münzen und andere profane Wertgegenstände, oft so reichbereitgestellten Kasten wieder zurückgegeben werden. Ein solches, in teilweiser Anlehnung an altes Brauchtum entwickeltes Verfahren ist in großen Wallfahrtsorten unter Umständen der einzige praktikable Ausweg, um dem Massenandrang entgegenzukommen. Das mehrmalige Verkaufen geopferter Massenartikel muß per se also kein Mißbrauch sein. Wie weit eine solche Praxis denWallfahrernbekannt ist, oder bekanntgemacht werden müßte, und welche Reaktionen allenfalls eintreten könnten, scheint mir eine heikle Frage aufzuwerfen. 34 C. 1300. SC. Conc. wie Anm. 32: "... ita, ex intentione donantis nexu indissolubili donarium mancipatur cultui sacrae iconis cui donatur, et quodammodo extra omne comercium humanum ponitur. Inter est igitur bono publico, seu integritati et profectui sacri cultus, fidelis conservatio donarierum in eo statu eisque terminis in quibus a voluntate donantis ponuntur ... " (418 in fine, 419). 35 SC. Conc. lc.: "... non tarn in proprietate quam potius in custodia donaria ipsa habere .... ex parte donantis, qui proprietate rei donatae sese omnino expoliavit et quidem non in favorem humanae personae, se potius in obsequium personae beatae aut divinae, cui rem donatam, interposita voti religione, sacravit." (419). 36 Cf. c. 1190 § 3. 37 Besonders bekannt der eindrucksvolle Umgang der Gnadenkapelle in Altötting, wo das älteste Bild mit ISO! zu datieren ist (Appuhn (Anm. 1), 22). Vgl. auch die erste Abbildung bei L. Kriss-Rettenbeck (Anm. 30) über die Gnadenkapelle von Sammerei. 38 Rodler (Anm. I), 56 f. Die gesamte Literatur zu den Wallfahrtsstätten und über die Votivbilder enthält viele Hinweise auf gedruckte und ungedruckte Quellen zu den Schatzkammerbeständen. Viele Hinweise stecken auch in den gedruckten oder ungedruckten Mirakelbüchern; vgl. z. B. W. lngenhaeff-Berenkamp, Wallfahrt St. Georgenberg, Schwaz 1986, Textausgabe des St. Georgener Mirakelbuchs, S. 92 f.
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lieh, daß sie einfach in Schüsseln abgelegt werden. Solche Gaben sind selten als Votive anzusehen. Sie werden vom Spender in aller Regel kaum in der Absicht geopfert, daß sie ein dauerndes Zeugnis seiner Pilgerfahrt geben sollen. Den Wallfahrer motivierte vielmehr die Absicht, der geweihten Stätte etwas Geldwertes zuzuwenden, um damit einen Beitrag zu den Bedürfnissen der Kirche zu leisten. Bei der Hergabe irgendwelcher Wertgegenstände kann man von der Annahme ausgehen, dem Spender sei nicht dar an gelegen, sein Opfer ident auf Dauer in der Kirche zu hinterlegen. Sicherlich läßt die Trennung von einem Wertgegenstand darauf schließen, daß es sich nicht um ein alltägliches Opfer handle. Die Erfahrung legt nahe, daß der Geber ein außergewöhnliches Opfer geben wollte, einen Gegenstand, der ihm etwas bedeutet. Das paßt zu der inneren Haltung, die bei einem Wallfahrer und zu einem nicht alltäglichen Anlaß wahrscheinlich ist. Die Absicht, das Opfer als dauernde reale Bekundung einer religiösen Hinwendung niederzulegen, müßte aber ausdrücklich oder gleichwertig erklärt werden. Als gleichwertige Erklärung für freie Zuwendung käme es in Betracht, wenn die Opfergabe auf der Tafel für das gewöhnliche Opfer gegeben wird; vice versa, wenn ein eigener Platz für besondere Widmungen bezeichnet oder durch allgemeine Übung eingeführt ist. Ich meine also, daß aus den Umständen der Niederlegung und der Beschaffenheit des geopferten Gegenstandes zu erschließen ist, ob die Widmung als gewöhnliche Spende in das freie Kirchenvermögen fällt oder gegenteilig als eine der Erhaltungs- und Präsentationspflicht unterliegende Votivgabe anzusehen ist 39 . Beabsichtigt der Spender eine nach dem äußeren Sachverhalt nicht anzunehmende Bindung oder umgekehrt Freistellung, so muß er diese abweichende Absicht ausdrücklich erklären. Die Zuordnung der einzelnen Opfergaben an einer Wallfahrtsstätte ist unter den Bedingungen von Massenandrang und Großveranstaltungen zu sehen. Deshalb muß die Entgegennahme und rechtmäßige Verwendung der Opfergaben nach generellen äußeren Kriterien vor sich gehen. Wegen der quantitativen Dimension ist dies nicht anders zu bewältigen. Trotz der zeitlichen Nähe können auch da schon Diffizilitäten wegen der richtigen Zuordnung von Opfergaben auftauchen, denn es gehört zur Amtspflicht des Kirchenrektors und seiner Mitarbeiter, die jeweils zutreffende Disposition mit den niedergelegten Gaben zu besorgen 40 . Hier könnten Statuten hilfreich sein, die für Pilger und Wallfahrtsseelsorger offenkundig festlegen, welche Wertung ihre Opfergaben erfahren werden, je nach dem Platz der Deposition, der erkennbaren Beschaffenheit als Votivgabe usw. 39 40
Cf. c.1234 §2 verbis "vota et documenta spectabilia servantur". Argurnenturn ex cc. 1232 § 2, 1234 § 2, 1284 § 2 n. 3, 1300 und 1301 § 2.
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Schwieriger wird die Frage des gehörigen Umgangs mit den Opfergaben bei den historischen Beständen, die die ganze Kirche, vor allem aber die Schatzkammer, zieren. Eine eingehende rechtliche Wertung ist vor allem dann erforderlich, wenn die Veräußerung von Stücken des Schatzes beabsichtigt ist. In Frage kommen folgende rechtliche Zuordnungen: 1. Freies Kirchenvermögen, weil es sich um nicht spezifizierte Geld- oder Sachspenden handelt. 2. Stücke, die .,legitima assignatione" 41 Stammvermögen der Kirche geworden sind. Dann ist das vom Schätzwert abhängige, verschiedenen Kompetenzen und Vorgangsweisen zugeordnete Alienationsverfahren einzuleiten42. 3. In Rede stehen Stücke, die besonderen Material-, Kunst- oder historischen Wert aufweisen. Dann ist zur gültigen Veräußerung immer die Erlaubnis des Apostolischen Stuhls nötig 43 . 41 C. 1291 CIC/1983 formuliert den Schutz des Stammvermögens neu. Die parallele Stelle c.1530 CIC/1917 verwendet noch die aus dem Dekretalenrecht entnomene Formel ,.res, quae servando servari possunt". Die herrschende Lehre verstand darunter schon seit langem das Stammvermögen. Das neue Gesetzbuch spricht unmittelbar verständlich, für das alte war das Schutzobjekt der alienatio stricte dicta erst durch Nachschlagen in der Fachliteratur erfaßbar. Man kann annehmen, daß c. 1291 CIC/1983 im Verhältnis zu c. 1530 CIC/1917 nur eine Bereinigung der Rechts~prache darstellt. Eine wesentliche Veränderung des normativen Sinnes, d. h. eine Anderung des Kreises der geschützten Güter, ist nicht erfolgt. Allerdings ist die Klärung der Sach- und/oder Beweisfrage, was aufgrundeiner gesetzmäßigen Zuordnung Stammvermögen sei, bei Wallfahrtskirchen schwieriger als bei anderen Kirchen. Die weitgespannte Unterschiedlichkeit der gespendeten Sachen hindert eine rasche Zuordnung bloß nach dem äußeren Erscheinungsbild oder der allgemeinen Gebrauchsfunktion. Gelegentlich erleichtern Inventarbücher und andere Aufzeichnungen des Schatzmeisters oder des Sakristans die sachliche und/oder die rechtliche Zuordnung. Die spezifische Situation einer Wallfahrtskirche kann im Vergleich zu anderen Kirchen für oder gegen die Qualität als Stammvermögen sprechen. Die Eingliederung in den ausgestellten Schatzkammerbestand wird eher für die Zuweisung zum Stammvermögen sprechen. Zum neuen Vermögensrecht insgesamt H. Schnizer, Kirchliches Vermögensrecht nach dem CIC/1983- Rechtsträger und Rechtsgeschäfte in Österreich, in: FS Ritter, Salzburg 1987,2191. 42 C. 1292 CIC/1983, C. 1532 CIC/1917. Wegen der Zugehörigkeit jeder Wallfahrtsstätte zum Seelsorgebereich und der die Eigenart einer Wallfahrtsstätte substantiell ausmachenden Beziehung zu einem Ort, zum locus sacer, ist der Ortsoberhirte auch dann um seinen Konsens zu bitten, wenn nach Sachenrecht Eigentümer (cf. c. 1256, früher c. 1499 § 2) eine exemte Gemeinschaft sein sollte und deshalb ein Veräußerungsverfahren nach Ordensrecht, c. 638 § 3, in Betracht käme. In der Regel fallen die Zuwendungen der Gläubigen in das Eigentum der Wallfahrtskirche (c. 531 in Verbindung mit c. 19), die nach c. 99 CIC/1917 jedenfalls selbständige Rechtspersönlichkeit hat (vgl. H. Schnizer, Das neue Gesetzbuch und das vergessene Gotteshaus, in: FS Baltl, Graz 1988, 463 I.). Die großen Wallfahrtskirchen sind alle vor dem 26. Nov. 1983 dediziert, deshalb besitzen sie kanonische Rechtspersönlichkeit Nur
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4. Zur Veräußerung von Votivgaben ist immer eine besondere Erlaubnis des Apostolischen Stuhls nötig 44, weil es sich über die Vermögensveränderung hinaus um einen Eingriff in die besondere Schutzzone des Gelübderechts handelt. Die Ermächtigung zur Veräußerung muß deshalb auch eine Lösung der Bindung ex voto enthalten, z. B. durch permutatio. Mit der Annahme des Votivstückes ist der Rechtsträger der W allfahrtsstätte in den Gelübdenexus eingetreten. Er ist nur Treuhänder 45 ; will er von der bestimmungsgemäßen Verwendung der Votivgabe abweichen, so benötigt er dazu ein päpstliches Indult, weil ein solcher Eingriff nur dem Inhaber der petrinischen Schlüsselgewalt zusteht. Die Zustimmung des Votanten, auch wenn dieser noch erreichbar sein sollte, würde dazu nicht genügen, weil dieser nicht Herr über sein Votum ist 46 • Andererseits ist der Heilige Stuhl nicht an den Votanten gebunden. Er muß ihn an dem Verfahren gar nicht beteiligen, auch wenn er noch leben sollte 47 . 5. Schließlich ist die Veräußerung von Gnadenbildern oder -statuen, das sind solche, die sich großer Verehrung des Volkes erfreuen, nur mit päpstlicher Bewilligung zulässig 48 . Diese ist auch nötig, wenn zwar nicht das Gnadenbild selbst, aber wesentliche Teile seiner Ausstattung oder seines Schmuckes veräußert werden sollen. 6. Überdies finden sich in W allfahrtsheiligtümern, nicht nur in deren Schatzkammern, sondern auch in den Kirchen oder im heiligen Bezirk Stiftungen. Oft sind gerade die zentralen Bereiche durch Stiftungen gestaltet. So geht die heutige Form der Gnadenkapelle in Mariazell mit dem kostbaren Silbergitter auf Stiftungen der Habsburger oder die barocke Edelmetallausstattung des Oktogons in Altötting auf solche der Wittelsbacher zurück. Gerade die Zimelien, z. B. Schatzkammeraltäre, Prunkornate, Monstranzen oder andere vasa sacra wurden durch förmliche Stiftung dediziert. Die Abänderung von Stiftungen ist dem Apostolischen Stuhl vorbehalten, wenn ausnahmsweise wäre an eine nachträgliche Entziehung der Rechtspersönlichkeit zu denken, wie dies bedauerlicherweise durch das Italienische Konkordat von Villa Madama 1984 geschah. Das Eigentumsrecht am Kirchengebäude oder anderen Inventarstücken besagt für sich allein noch nichts gegen eine ,.legitima assignatio" zum eigenen Stammvermögen der jedenfalls rechtsfähigen ecclesia aus. 43 Ce. 1292 §2 CIC/1983, 1532 § 1 n. 1 CIC/1917. 44 C. 1292 § 2, ebenso das frühere Recht; dazu Resolution 1919 (oben Anm. 32) und passim. Siehe auch SC. pro Clericis, Instruktion vom 11.4.1971, Communicationes 3 (1971 ), 40 f.; in dieser Instruktion an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen wurde sehr nachdrücklich die Erhaltung der bestehenden Kirchenausstattung urgiert, Hintangabe auch dann, wenn Einrichtungsstücke durch die Liturgiereform derzeit entbehrlich werden, verboten und gesichertes Depot angeordnet. 45 SC. Conc. 1919, oben Anm. 32. 46 c. 1196. 47 Siehe Resolution 1919 (Anm. 32). 48 C. 1190 § 3, cf. auch c. 1189; früher c. 1281 § 1.
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nicht der Stifter dem Ordinarius ausdrücklich die Abänderung zugestanden hat 49 . Die Akzeptation einer pia voluntas schließt nicht nur Veräußerung der übernommenen Vermögenswerte aus, sondern auch schon Veränderungen im Gebrauch 50 . Deshalb ist z. B. wesentliche Veränderung des Standortes einer gestifteten Statue, wenn der Standort vom Stifter festgesetzt wurde, ohne Intervention des Apostolischen Stuhls unzulässig 51 . Einer eigenen Erwähnung bedarf noch einmal die Präsentations- und Aufbewahrungspflicht von volkskünstlerisch gestalteten Votiven und Frömmigkeitszeichen. Eine Veräußerung dieser in Aussehen und materiellem Wert oft bescheidenen Dinge dürfte kaum in Betracht kommen. Es scheint mir auch nicht eindeutig, daß der diese Zeichen schützende § 2 des c. 1234 Votive im eigentlichen Sinn, d. h. in Einlösung eines Gelübdes erbrachte Leistungen, meint. Der Ausdruck Votiv wird in sehr unterschiedlichem Sinn gebraucht52 . Sollte es sich in Einzelfällen wirklich um "echte Votive" handeln, so ist ihnen der qualifizierte Schutz der Votivgaben, wie oben unter 4. ausgeführt, zuzuwenden. Sonst unterliegen sie der im übrigen eigenständigen Regelung des c. 1234 § 2 und sind deshalb sichtbar und gesichert aufzubewahren 53 . Meine Überlegungen möchte ich nun nicht mit dieser Klassifizierung der Dinge in einem W allfahrtsheiligtum beenden. Die Einteilung war notwendig, um Klarheit zu schaffen. Sie soll aber nicht den Blick dafür trüben, daß eine W allfahrtsstätte ein gewachsenes Ganzes ist. Aus vielen großen und kleinen Dingen ist ein Gesamtwerk gewachsen, das von der Verehrung des Volkes gestaltet wurde und auf diese Verehrung wieder zurückwirkt. Der von einer 49
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C. 1300, zum folgenden auch cc. 1190 und 1189. C. 1300, Resolution 1919 (Anm. 32). 52 Vgl. Neuhardt (Anm. 24), 13 f.; Car/en (Anm. 10), 185 f., sowie die in allen Bildtafelwerken (oben Anm. 30) auftauchenden, je nach fachlichem Standort und Zusammenhang unterschiedlichen Begriffsbestimmungen. 53 Die Präsentations- und Aufbewahrungspflicht bedarf einer situationsbezogenen Konkretisierung. In großen Wallfahrtsorten werden so viele Gaben und Dokumente niedergelegt, daß nicht alles auf ewige Zeiten aufbewahrt oder ausgestellt werden kann. Die aequitas canonica gestattet es, nicht zu den besonders geschützten Sachen gehörende Votive oder Frömmigkeitszeichen je nach den Umständen dem natürlichen Verfall preiszugeben oder, ähnlich wie dies bei der Pflege der vasa sacra vorgesehen ist, unbrauchbar Gewordenes auf eine nicht entehrende Art zu verbrennen. Die Limitierung der Pflichten hängt von einem abwiegenden Urteil ab. Darin ist der Verlauf der Zeit, die finanzielle Zumutbarkeit, die zu vermutende Erwartung der Gläubigen und der Sinn einer auch an die Gemeinschaft der Wallfahrer gerichteten Bezeugung einzubeziehen. Das Erfordernis der öffentlichen Kundgabe ist nicht verletzt, wenn von älteren Gaben nur eine den Eindruck gewährleistende Auswahl erhalten bleibt. Für die Auswahl sind in gleicher Weise Kriterien des kulturellen und des religiösen Bereichs maßgeblich. 50 51
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nicht mehr überschaubaren Zahl dargebrachte Kult geht in die Transzendenz, die hinter der orthaftkonkreten Wallfahrtsidee steht, ein. Die Wallfahrtsstätte ist ein aus körperlichen und unkörperlichen Realitäten gewachsener Organismus. Sein konstitutives Element ist die konkrete, im Kult unzählige Male angenommene und je persönlich aktualisierte W allfahrtsidee. Das W allfahrtsheiligtum lebt, es gibt und fordert.
IV. Bischofskonferenz
ÜBERLEGUNGEN ZUM ENTWURF EINES DOKUMENTES DER BISCHOFSKONGREGATION ÜBER DEN THEOLOGISCHEN UND JURIDISCHEN STATUS DER BISCHOFSKONFERENZEN Von Gerhard Fahrnberger, St. Pölten I. Das Ziel des Entwurfes
Die Kurienkongregation für die Bischöfe hat mit Schreiben vom 12. Jänner 1988 der Österreichischen Bischofskonferenz ein "Instrumentum laboris" genanntes Arbeitspapier mit dem Titel "Status theologicus et iuridicus conferentiarum episcopalium" zur Stellungnahme bis Jahresende 1988 übersandt. Das Arbeitspapier möchte dem Vollzug der Schlußfolgerungen der Außerordentlichen Bischofssynode 1985 dienen und wurde auf Weisung des Papstes von der Kongregation für die Bischöfe in enger Zusammenarbeit mit den Kongregationen für die Glaubenslehre, für die Orientalischen Kirchen und für die Evangelisierung der Völker sowie dem Generalsekretariat der Bischofssynode durch eine Studiengruppe erarbeitet. Das Arbeitspapier ist ein Hektogramm und besteht aus zwei Teilen, einem umfangreichen theologischen Teil ("Der theologische Status der Bischofskonferenzen", S. 313) und einem kleineren juridischen Teil ("Der juridische Status der Bischofskonferenzen, S. 13-15). Eine Einführung (S. 1-3) mit einem kurzen Abriß über die jüngste normative Entwicklung des Rechtsinstituts der Bischofskonferenz und über Entstehung, Sinn und Zweck des Arbeitspapiers ist vorangestellt. Ein Katalog von 11 Fragen am Schluß (S. 16) soll dazu dienen, weitere Klärungen und Erhellungen zu gewinnen'. Das Arbeitspapier ("Instrumentum") bezeichnet sich zwar als gründlich erarbeitet und zweckentsprechend, will aber trotzdem nicht endgültig sein, weswegen die Verbesserungsvorschläge der Bischofskonzerenzen eingeholt werden (vgl. den Begleitbrief). Neben dem theologischen Status der Bischofskonferenzen soll vor allem das Problem ihrer Lehrautorität geklärt werden durch Auslegung von CD 38 und cc.447 und 753 CIC, wie es der Schlußbericht der Bischofssynode ausgesprochen hatte. 1 H. Schmitz, Bischofskonferenz und PartikularkonziL Rechtsinstitutionen unterschiedlicher Natur, Struktur und Funktion, in: Die Bischofskonferenz. Theologischer und juridischer Status. Herausgegeben von H. Müller und H. J. Pottrneyer, Düsseldorf 1989, S. 178-235; 178.
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II. Grundlegendes über den theologischen Status der Bischofskonzerenzen
1. Die Unterscheidung zwischen effektiver Kollegialität und affektiver Verbundenheit Eine theologische Standortbestimmung der Bischofskonzerenzen, wie sie das Instrumenturn versucht, muß sich natürlich um eindeutige Kriterien bemühen, aufgrund deren sich die formal autoritative Natur der Akte des Bischofskollegiums feststellen läßt, damit beurteilt werden kann, in welchem Grad bei den verschiedenen Tätigkeiten der Bischofskonzerenzen die Kollegialität der Bischöfe sich verwirklicht, d. h. in welchem Sinn bzw. Intensitätsgrad diese Akte als Verwirklichung der bischöflichen Kollegialität anzusehen sind. Die Frage ist von Bedeutung: Je dichter sich die bischöfliche Kollegialität selber in den Akten der Bischofskonzerenzen verwirklicht, desto höher ist deren Autorität; besteht doch zwischen den beiden grundlegenden Formen der communio, der allgemeinen der Kirche selber und der besonderen der Bischöfe, die vom gleichen Geist zusammengehalten werden, ein inneres und unzerreißbares Band. Die Kollegialität der Bischöfe ist im Grunde nichts anderes als die kirchliche communio, wie sie sich auf der Ebene der Hirten ausprägt (Instrumentum, S. 4, Punkt I 3). D~raus folgt, vereinfacht gesagt, je dichter der Verwirklichungsgrad der Kollegialität, desto mehr liegt "Kirche" bzw. kirchlicher Selbstvollzug vor. Für die Bestimmung des Verwirklichungsgrades der Kollegialität des bischöflichen Amtes selber in den Tätigkeiten der Bischofskonzerenzen bedient sich das Instrumenturn einer nicht unbekannten, aus der Nota explicativa praevia zu Lumen Gentium (Ne 2 c) stammenden Unterscheidung zwischen Kollegialität im eigentlichen oder strikten Sinn (effektiver Kollegialität) und affektiver Kollegialität (LG 23), wobei es sich nur bei ersterer um Ausübung von Kollegialität im strikt rechtlichen Sinn handelt, weil nur bei ihr eine actio collegialis ins Werk gesetzt wird, während im zweiten Fall der affectus collegialis wirksam wird und man nur im analogen, uneigentlichen Sinn von Kollegialität sprechen kann. Im zweiten Fall würde man darum besser von Mitverantwortung reden, die freilich auch, wenn auch in geringerem Grad, auf die Verwirklichung der communio hinzielt. Außerdem gibt es eine gewisse Verschlingung: Zur streng kollegialen Handlung kommt immer auch der affectus bereichernd hinzu; und von der affektiven Kollegialität sind bestimmte "effectus" nicht ausgeschlossen (S. 6, Punkt II 2). Das Instrumenturn zieht aus der angeführten Unterscheidung zwischen effektiver, eigentlicher Kollegialität als organischer, rechtlich strukturierter Größe (Ne 2 c) und bloß affektiver Kollegialität auch jene Konsequenzen, denen diese Unterscheidung dienlich sein soll: Kollegialität im strengen
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Sinn liegt nur auf dem Ökumenischen Konzil vor bzw. bei einem echten, aber in seinen Voraussetzungen schwer bestimmbaren kollegialen Akt des über die ganze Welt verteilten Kollegiums gemäß c.337 § 2 CIC. Damit ist die strikt kollegiale Handlungsmöglichkeit des Bischofskollegiums, wenn man von der eher schwer vorstellbaren Möglichkeit eines "Briefkonzils" absieht, auf das Ökumenische Konzil eingeschränkt. Die auf einer Bischofskonzerenz vereinigten Bischöfe vertreten ja das gesamte Bischofskollegium nicht; sie können darum jene oberste und höchste Vollmacht, die ihnen als universales Kollegium mit dem Papst und unter ihm für die ganze Kirche zukommt, nicht ausüben. Man spricht darum bei der Bischofskonzerenz ungenau von einer kollegialen Ausübung der bischöflichen Vollmacht (S. 10, Punkt IV 2). Durch diese theologisch unbestreitbare Feststellung möchte das Instrumentum aber die Tätigkeit der Bischofskonzerenzen keineswegs aus der maßgeblichen Wirklichkeit rechtlicher Kollegialität ausschließen und auf den nichtjuristischen, rechtlich nicht relevanten "gefühlsmäßigen" Bereich affektiver Kollegialität und moralischer Mitverantwortung einschränken. Eine solche, manchmal befürchtete Einschränkung würde nach dem Instrumenturn ja der Tatsache widersprechen, daß die Kollegialität eine ontologisch-sakramentale Wirklichkeit ist, die von der Bischofsweihe und der hierarchischen Struktur herkomt (LG 22 b; CD 4 a), und daß das Kollegium auch seine eigene feste Existenz hat, wenn es nicht in einer streng kollegialen Handlung tätig wird (vgl. NE 4). Diese reale theologische Wirklichkeit des immer existierenden, wenn auch nicht immer in actu pleno befindlichen, tätigen Bischofskollegiums drängt die Bischöfe, ihre Mitverantwortung für die Leitung der Gesamtkirche durch Organe zum Ausdruck zu bringen, der echte, aber teilweise Kollegialität zuzuschreiben ist. Das Instrumenturn bringt somit eine ausreichend differenzierte Abstufung bei der Bewertung des kollegialen Charakters der Akte der versammelten Bischöfe. Im strengen Sinn kollegial sind sie nur sehr selten, im Rahmen eines Ökumenischen Konzils und als über die ganze Welt verteiltes Kollegium gemäß c.337 § 2 CIC. Dabei ist die Autorität der einzelnen Bischöfe über jede persönliche Autonomie hinaus in die höhere Autorität des Kollegiums integriert. Einen gewissen, teilweise kollegialen Charakter besitzen auch jene Akte des Bischofs, die innerhalb von Strukturen für die Bischöfe wie die Bischofssynode oder die nationalen Konferenzen vollzogen werden. Auch hier ist die persönliche Autonomie des Bisebois in die Autorität dieser anderen bischöflichen Instanzen integriert (echte, aber teilweise Kollegialität). Immerhin bezeichnet das Instrumenturn nur diese beiden Formen kollegialen Handeins als verantwortliche Subjekte für kollegiale Entscheidungen, freilich auf verschiedenen Ebenen (S. 8, Punkt III 2). Von diesen beiden Arten kollegialer Akte sind darum jene gemeinschaftlichen bischöflichen Akte zu unterscheiden, die entweder von den einzelnen stammen, aber zusammenstimmen, wie die Ausübung des ordentlichen Lehramtes durch den einzelnen Bischof in Gemeinschaft mit
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dem römischen Papst, oder kollektive Akte sind, wie die Konzelebration einer Eucharistiefeier. Selbstverständlich müssen auch diese Akte im Rahmen der .,organischen Wirklichkeit" der communio erfolgen. Dieser theologische Ausgangspunkt einer echten, aber teilweise Kollegialität, die zwischen der Kollegialität im Vollsinn der Ausübung höchster Vollmacht durch das Gesamtkollegium mit und unter seinem Haupt und bloß zusammenstimmender oder kollektiver Handlungsweisen anzusetzen ist, erscheint für die Bestimmung des kollegialen Charakters der Akte der nationalen Bischofskonferenzen durchaus brauchbar zu sein. Denn das Instrumentum spricht ausdrücklich auch jenen Akten der einzelnen Bischöfe kollegialen Charakter zu, bei denen deren Autorität nicht in die Autorität des Kollegiums selber, sondern in die anderer bischöflicher Instanzen integriert wird (Bischofssynode, nationale Bischofskonferenzen). Hier liegt aber offenbar ein theologisches Fundamentalprinzip vor, bei dessen rechtlicher Konkretisierung im Detail dem Gesetzgeber viel arbiträrer Spielraum bleibt. Es muß darum gefragt werden, ob dieser Ansatz einer echten, aber gegenüber einem kollegialen Akt im strengen Sinn nur teilweisen Kollegialität im Instrumenturn selber durchgehalten wird, zumal dieses den bloß pastoralpraktischen Charakter der nationalen Bischofskonferenzen eher abwertend stark betont (z. B. gegenüber den Partikularsynoden) und die persönliche Autorität des einzelnen Bischofs mit Berufung auf dessen ,,ius divinum" deutlich hervorhebt. Die konkreten Normen müssen zeigen, ob aus der echten, wenn auch nur teilweisen Kollegialität nicht bloß doch nur eine moralische Mitverantwortung im Sinn einer bloß affektiven Verbundenheit geworden ist 2• 2. Der Vorrang des personalen Charakters des bischöflichen Amtes vor seiner kollegialen Struktur Das Instrumenturn zeigt sehr deutlich, wie der Gesetzgeber vor der grundlegenden Schwierigkeit steht, wie das Amt des einzelnen Bischofs mit seinem Ursprung im göttlichen Recht überhaupt in eine höhere Struktur bloß kirchlichen Rechts integriert werden kann. Das Instrumenturn kommt dabei zu so engen Grenzen für die Möglichkeit einer Integration der Autorität des einzelnen Bischofs in die Bischofskonferenz, daß gefragt werden muß, ob deren rechtliche Kompetenzen, besonders im Bereich der Lehrverkündigung, überhaupt noch an den Leitbegriff einer echten, wenn auch nur teilweisen Kollegialität heranreichen. Der übertrieben strapazierte Gedanke 2 G. Alberigo, Institutionen für die Gemeinschaft zwischen dem Gesamtepiskopat und dem Bischof von Rom, in: G. Alberigo, Y. Congar, H.J. Pottmeyer, Kirche im Wandel. Eine kritische Zwischenbilanz nach dem Zweiten Vatikanum, Düsseldorf
1982, S. 241-274; 252-256.
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der Christusrepräsentation durch den einzelnen Bischof kraft der Weihe nährt diesen Verdacht. Die theologische Argumentation des Dokumentes lautet dabei wie folgt: Einerseits drängt das ständige Bestehen der realen Kollegialität der Bischöfe auch ohne Tätigwerden in einem strikt kollegialen Akt, daß sie ihre Mitverantwortung für die Leitung der Gesamtkirche durch Organe wie die Bischofssynode und die nationalen Bischofskonferenzen zum Ausdruck bringen, denen echte, aber teilweise Kollegialität zuzusprechen ist; andererseits ist aber das Bischofsamt seiner Natur nach nicht nur kollegial, sondern auch persönlich bestimmt, insofern der einzelne Bischof kraft seiner Weihe den Herrn darstellt und ihn als Haupt seines Volkes präsent macht. Während das Bischofskollegium als ganzes in beiden Weisen eines strikt kollegialen Aktes die Kirche selber darzustellen hat, auch wenn es höchste Vollmacht über die Kirche besitzt, schafft die sakramentale Weihe ein Verhältnis zwischen Christus und dem einzelnen Bischof, kraftdessen er den Herrn in der genannten Weise darstellt, so daß sich nach dem Instrumenturn das Geheimnis des Heiles im eigentlichen Sinn nur durch den Dienst des einzelnen Bischofs verwirklichen kann. Das dreifache Amt Christi ist in der Weihe dem einzelnen Bischof gegeben mit der Vollmacht für die authentische Verkündigung des Wortes und die "Verwaltung" der Sakramente, auch wenn die Ausübung dieser Vollmacht ihm als Mitglied des Kollegiums in Gemeinschaft mit diesem und seinem Haupt aufgetragen ist (S. 7/8, Punkt III 1). Das Bischofskollegium als solches kann darum nicht die Sakramente "verwalten": eine von mehreren Bischöfen konzelebrierte Eucharistiefeier ist kein kollegialer, sondern ein kollektiver Akt, den die Zelebranten als einzelne setzen, um eine gemeinsame Wirkung hervorzubringen, und wobei sie nicht als höheres handelndes Subjekt betrachtet werden können, in das sie aufgenommen und integriert sind. Der personale Charakter des bischöflichen Amtes wird gegenüber dem kollegialen stark hervorgehoben und dadurch die Aussage, das Bischofsamt sei sowohl personal als auch kollegial, zuUngunsten des kollegialen Charakters modifiziert. Als theologisches Verständnismodell dient dabei der Gedanke der Christusprägung des einzelnen Bischofskraft der Weihe und die dadurch gegebene Christusrepräsentation, während das Kollegium nur die Kirche repräsentieren kann. Demgegenüber muß wohl auf das .göttliche Recht" auch des kollegialen Charakters des Bischofsamtes verwiesen werden. Das Instrumenturn hebt jedoch die Stellung des einzelnen Bischofs gegenüber der Bischofskonferenz sehr hervor: Jeder der Konferenz angehörende Diözesanbischof ist "iure divino" ordentlicher und eigener Hirte seiner Einzelkirche und dort sogar Stellvertreter Christi, ja sogar Verlängerung und konkretes Werkzeug des auferstandenen Herrn, der neues Leben und Heil schenkt (S. 10/11, Punkt IV 2). Deswegen kommt dem Bischof im geistlichen und pastoralen Bereich Überlegungspflicht und Entscheidungsvollmacht zu hinsichtlich des Gesamtwohles seiner Diözese.• Diese Wirk20 Pax et Justitia
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lichkeit bestimmt Natur und begrenzt den Spielraum der Bischofskonferenzen." Sie sind darum bloß .,nützliche Organe für die Prüfung, Besprechung und Koordinierung umfassender kirchlicher Probleme auf nationaler oder überregionaler Ebene" (S. 11, Punkt IV 2). Somit ist das ius divinum des einzelnen Bischofs eine definitorische Grenze für die Bestimmung der Natur und die Begrenzung des Spielraumes der Bischofskonferenzen. Sicher ein gewichtiges Argument; es dürfte aber mehr zum Tragen kommen bei der Frage des Dissenses eines einzelnen Bischofs innerhalb der Konferenz. Ob ein einhelliges gemeinsamesVorgehen notgedrungen von so viel geringerer Autorität ist als die Position des einzelnen Bischofs, müßte noch gründlicher überlegt werden. Das römische Dokument, das die Stellung der Diözesanbischöfe sicherstellen will, spricht aber den dafür so wichtigen Aspekt nicht an, daß den Diözesanbischöfen aufgrund ihrer herausragenden Stellung als Vorsteher einer Partikularkirche in der Konferenz nach geltendem Recht ein Sonderstatus zukommt, der es ihnen ermöglicht, durch die Erstellung bzw. Änderung der Statuten ihre Verantwortung als personale Vorsteher einer Partikularkirche sicherzustellen. Die Bischofskonferenz besitzt Satzungsautonomie (c. 451 CIC). Stimmrecht für die erstmalige Erstellung wie auch für jede spätere Änderung der Statuten, die den Rang kirchlichen Rechts besitzen (c. 94 §§ 1, 2) und den Vorschriften der Canones über die Gesetze unterstehen (c. 94 § 3), haben seit Inkrafttreten des CIC/1983 in keinem Fall mehr alle Mitglieder der Bischofskonferenz, sondern nur noch die Diözesanbischöfe (und die ihnen Gleichgestellten sowie die Koadjuten), so daß nunmehr, von wenigen universalkirchlichen Vorgaben abgesehen, ihnen allein Zuständigkeit und Verantwortung für den Inhalt der Statuten zukommt. Die Frage nach dem rechtlichen Verhältnis der Bischofskonferenz und Diözesanbischöfen in der Kirchenverfassung wird konkret in den nach kodikarischem Recht nur von den Diözesanbischöfen des Gebiets beschlossenen Statuten entschieden. Die Bischöfe besitzen darum eine ausreichende Kompetenz, durch Gestaltung und Änderung der Statuten für den rechten Ausgleich zwischen legitimer Autonomie der Partikularkirche und dem notwendigen Zusammenwirken der Bischöfe des Partikularkirchenverbandes selber Sorge zu tragen 3. 3. Die vorrangig pastoral-praktische Natur der Bischofskonferenzen Nach dem Urteil des Instrumenturn zeigen Entstehungsgeschichte, die Sicht des Konzils (CD 38, 1), die nachkonziliare Gesetzgebung (das Motu3 H. Müller, Zum Verhältnis zwischen Bischofskonferenz und Diözesanbischof, in: Die Bischofskonferenz (Anm. 1), S. 236-255; 250; 2541255.
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proprio Papst Pauls VI. ,.Ecclesiae Sanctae" vom 6. August 1966) und das kirchliche Gesetzbuch {c.447 CIC), daß die Bischofskonferenzen vor allem bloß Beratungsorgane praktisch-pastoraler Natur sind. Freilich sind auch gemeinsame Stellungnahmen zu Fragen aus dem politischen und sozialen Bereich vorgenommen und darum möglich. Bei ihnen ging es um die Autonomie und die Freiheit des Wirkens der Kirche. Damit sind der Lehrkompetenz indirekt sehr enge Grenzen gezogen (vgl. S. 9, Punkt IV 2). Die Bischofskonferenzen werden im Instrumenturn im Rang den Partikularkonzilien nachgestellt und untergeordnet. Denn bei letzteren wird die Zugehörigkeit mehr von der sakramentalen Ordnung her bestimmt: Mitglieder mit vollem Recht sind nur die geweihten Bischöfe der Region; zu den Bischofskonferenzen gehörenjedoch auch Prälaten ohne Bischofsweihe. Das II. Vatikanische Konzil wünschte eine Aufwertung der Partikularkonzilien. Wenn die Bedeutung der Partikularkonzilien hervorgehoben und deren Wiederbelebung gewünscht wird, die Schwerfälligkeit solcher Synoden und ihr eher seltenes Zusammentreten aber keine Erwähnung findet, während die Bischofskonferenzen aber nur dem pastoralen Meinungs- und Erfahrungsaustausch dienen sollen, so bedeutet das in der Praxis, daß der Kollegialität auf regionaler Ebene nur wenig Spielraum zukommen kann. Daß die Bischofskonferenzen mit ihrer Gesetzgebungsbefugnis nicht mit den Partikularkonzilien vergleichbar sind, ist unbestrittene kanonistische Lehre, wie sie sich aus der päpstlichen Gesetzgebung ergibt {Paul VI., Motuproprio Ecclesiae Sanctae, vor allem I 41 ). In den besonderen Bestimmungen dieses Motuproprio .. Ecclesiae Sanctae" für die Missionsländer wurde der praktisch-pastorale Charakter als gemeinsames Bemühen, vor allem auch in der Durchführung der Anpassung an die jeweiligen soziokulturellen Gegebenheiten, deutlich herausgestellt {Motuproprio Ecclesiae Sanctae III 18, 19). Trotzdem wertete die Kanonistik die nachkonziliare Neugestaltung der Bischofskonferenzen als eine Ausgestaltung zu Gremien mit verfassungsrelevanter Stellung in der Kirche 4• Wird ihnen jedoch, im Rahmen ihrer Kompetenzen, eine ordentliche und eigentliche hoheitliche Leitungsgewalt (potestas regiminis) im Sinne der cc.129ff. CIC zugesprochen mit der Aufgabe, das Volk Gottes im Bereich der in der jeweiligen Bischofskonferenz zusammengeschlossenen Diözesen auf den ihrer Tätigkeit unterliegenden Gebieten zu heiligen, zu lehren und zu leiten, wie es Kanonisten von Rang tun {J. List!, in: HdbkathKR, S. 313), so wird dieser Sicht im Instrumenturn direkt widersprochen. Die genannte Stellung kann nur dem einzelnen Bischof in seiner Diözese zukommen. In Publikationen des romanischen Sprachraums wird die praktisch-pastorale Aufgabe der gemeinsamen Beratung als Hauptaufgabe gesehen, die Gesetzgebung durch Erlaß formaler 4 U. Mosiek, Verfassungsrecht der lateinischen Kirche. Band Il. Strukturen der Kirche im überdiözesanen Bereich, Freiburg 1978, S. 171.
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Dekrete im engen Rahmen des Gesetzes (c.455 CIC) als Ausnahmefunktion, wie es auch die Beschreibung der Bischofskonferenz in c. 447 CIC nahelegt 5 • In dieser kanonistisch kontroversen Beurteilung der Bischofskonferenzen schließt sich das Instrumenturn entschieden jener Linie an, die sie nicht als hierarchische Instanz, sondern als praktisch-pastorales Beratungsgremium sieht. Das Arbeitspapier der Bischofskongregation wertet die Bischofskonferenz als eine .,nicht notwendige Struktur, die vom Recht geregelt wird, aber nicht jene dogmatischen Grundlagen besitzt, deren sich die Strukturen göttlicher Einsetzung erfreuen, darunter gewiß das Bischofskollegium cum et sub Petro" (S. 13, Punkt V). Diese Einschätzung hat herbe Kritik gefunden. Die konziliare Lehre der Kirchenkonstitution führt das Zusammenwachsen von Ortskirchen zu organisch verbundenen Gemeinschaften im Lauf der Geschichte auf die göttliche Vorsehung zurück (LG 23) und erkennt damit dieser Struktur eine Qualität zu, die mehr ist als nur menschliches Recht. Die konziliare Lehre ist für die ganze Kirche verbindlich und stellt eine Norm mit verfassungsrechtlichem Rang für die Kirche zu jeder Zeit dar. Sie erkennt in der Tat der Struktur zwischen Partikular- und Universalkirche dogmatisch und verfassungsrechtlich einen sehr hohen Rang zu, der die allzu simple Gleichung: hier unbegrenztes, unbedingtes und deshalb jederzeit willkürlich änderbares oder gar aufhebbares ius humanum, hinter sich läßt. In der Wertung der Bischofskonferenz als nicht notwendiger Struktur setzt das Arbeitspapier jene oberflächliche Konzeption jedoch unbeirrt voraus und übersieht ganz, daß die in der Bischofskonferenz innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches zur Ausübung kommende kirchliche Autorität nicht anders als die des Diözesanbischofs in einer von Gott gegebenen Gewalt wurzelt und eine wahre bischöfliche Vollmacht teilkirchlicher Art ist, nämlich für alle Teilkirchen ihrer regionalen Zuständigkeit und nicht nur für die eigene Diözese. Die Vollmacht, die die Bischöfe dabei ausüben, ist göttlichen Rechts, ihre formale Zuständigkeitsumschreibung ist kirchlichen Rechts. Das II. Vatikanische Konzil hat durch sein Verständnis der Kirche als communio ecclesiarum und durch seine Lehre von der Kollegialität des Episkopats die theologischen Voraussetzungen geschaffen, um von hier aus die Kompetenz der durch die höchste kirchliche Autorität, das Ökumenische Konzil, als hierarchische Zwischeninstanz eingerichteten Bischofskonferenz als bischöfliche Vollmacht, näherhin als potestas ordinaria propria zu charakterisieren. Ihre Vollmacht ist darum weder eine von der höchsten Autorität delegierte noch eine diese höchste Autorität vertretende. Ihre formale Einrichtung geschieht zwar kraft höchster kirchlicher Autorität, aber die Vollmacht selbst, die bei dieser Einrichtung organisiert, d. h. auf die verschiedenen Organe verteilt wird, ist eine wahre bischöfliche Vollmacht6• 5 A. Abate, La sacra gerarchia nel nuovo Codice di diritto canonico, in: La nuova legislazione canonica. Studia Urbaniana 19, Roma 1983, S. 181-242; 221-227. 6 H. Müller, Zum Verhältnis zwischen Bischofskonferenz und Diözesanbischof, in:
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Obwohl das Dokument den Bischofskonferenzen in der grundsätzlichen Bewertung echte, wenn auch nur teilweise Kollegialität zuspricht, scheint doch die Tendenz auf, diese Form der Kollegialität zu einem bloßen "affectus collegialis" herabzumindern, dessen Werkzeug die Bischofskonferenzen sein sollen, damit sie die "kollegiale Gesinnung zu konkreter Verwirklichung führen" (LG 23 d, CD 6; S. 10, Punkt IV 1). Ausdrücklich wird ihnen die pastorale Leitungsfunktion für die Nation abgesprochen; ebenso wird verneint, daß sie eine Art höhere oder parallele Leitung sind, die die Diözesanbischöfe ersetzen soll; vielmehr haben sie ihnen gegenüber bloß eine Hilfsfunktion. Die gesetzgebenden Funktionen, die der CIC ihnen zuschreibt, stellen offenbar eine Ausnahmesituation dar für Fälle, in denen das Gesetz oder die höhere Autorität eine verpflichtende Koordination für notwendig halten (S. 10, Punkt IV 1). Dabei sollen sie soweit wie möglich "die Freiheit achten, die ein Gut in der bürgerlichen Gesellschaft und auch in der Kirche ist" (ebd.). Auch die sprachliche Unschärfe, mit der die Bischofskonferenzen manchmal als kollegiale Organe, häufiger jedoch nur als Gremien des Meinungsaustausches und der Beratung beschrieben werden, ist auffallend. Mit aller Deutlichkeit werden auch die Gefahren aus den Bischofskonferenzen herausgestellt: Bürokratische Entscheidungsstrukturen könnten die gründlichen Überlegungen der Bischöfe einzeln und miteinander einschränken und diese zu bloßen ausführenden Organen degradieren. Besonders die ständigen Organe und Kommissionen könnten die Freiheit des einzelnen Bischofs auch psychologisch einschränken, so daß sie die Konferenzen als eine Art Super-Regierung der Diözesen ansehen und ihnen ihre eigene Berechtigung und Pflicht opfern, zusammen mit den Priestern die Probleme ihrer einzelnen Kirchen zu lösen. Die Konferenzen könnten sich zu kirchlichen Stellen entwickeln, die eine ungeziemende Autorität gegenüber dem Apostolischen Stuhl beanspruchen und sich diesem und seinen lehrmäßigen und disziplinären Weisungen entgegenstellen. Das Dokument bringt aber auch einige praktische und vernünftige Koordinations- und Strukturprinzipien, die diese Gefahren vermeiden helfen sollen. Hinsichtlich der Koordnination: Bei juridisch verbindlichen Entscheidungen der Konferenz ergibt sich eine jener Einschränkungen der Vollmachten des Diözesanbischofs, die im Recht vorgesehen sind (c.381 § 1 CIC). Beim viel komplexeren Problem der rechtlich nicht verbindlichen Entscheidungen bleibt die Zuständigkeit des einzelnen Diözesanbischofs ungeschmälert erhalten. Im Fall der NichtDie Bischofskonferenz (Anm. 1), S. 242-244. G. Greshake, .Zwischeninstanzen" zwischen Papst und Ortsbischöfen als notwendige Voraussetzungen für die Verwirklichung der Kirche als "communio ecclesiarum", in: Die Bischofskonferenz (Anm. 1), S. 88-115. 0. Saier, "Communio" in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, München 1973, S. 174. H. J. Pottmeyer, Was ist die Bischofskonferenz? Zur Diskussion um den theologischen Status der Bischofskonferenzen, in: StZ 206 (1988), S. 435-446; 436.
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zustimmung einiger kann weder die Konferenz noch der Vorsitzende im Namen aller sprechen. Freilich besitzen die juridisch nicht verbindlichen Entscheidungen auch moralische Autorität für die nicht zustimmenden Bischöfe, die für ihren Dissens schwerwiegende Gründe haben müssen, die sie im Herrn erwogen haben. Hinsichtlich der Struktur bildet die Vollversammlung das konstitutive, wesentliche und entscheidende Organ, das alle Rechte der Bischofskonferenz ausübt und mit ihr identifiziert werden kann. Die ständigen Organe bereiten nur die Entscheidungen vor und führen sie durch. Freier Meinungsaustausch, vertiefender Dialog und Austausch der verschiedenen Erfahrungen muß möglich sein. Für die juridisch nicht verbindlichen Entscheidungen ist eine höhere Stimmenzahl erforderlich als die bloße Mehrheit der Anwesenden; der Konsens hat größeres Gewicht als die einfache numerische Mehrheit. Die Hilfsorgane der Konferenz (Kommissionen, Büros) sollen so bezeichnet sein, daß eine Verwechslung mit der Bischofskonferenz nicht möglich ist (S. 14/15, Punkte II und III). 111. Die lehramtliche Autorität der Bischofskonferenzen 1. Die grundsätzliche Wertung der Lehrautorität der Bischofskonferenzen Von besonderem Gewicht sind die Äußerungen des Dokumentes über die lehramtliche Autorität der Bischofskonferenzen, die ja ein erklärtes Hauptziel darstellen. Grundaussage ist, daß die Bischofskonferenz kein Organ des Lehramtes im strengen Sinn ist (S. 17, Frage 10). In verschiedenen Formulierungen wurde diese These schon vorher angeführt: Dieses Lehramt (d. h., das Lehramt des einzelnen Bischofs) im eigentlichen Sinn besitzen jedoch die Bischofskonferenzen als solche nicht. Die Bischofskonferenzen sind keine Lehrinstanz und besitzen keine Zuständigkeit für die Festlegung dogmatischer und moralischer Inhalte (S. 13, Punkte V). In den Fragen am Schluß des Dokuments wird das Problem aufgeworfen, wie man den Gläubigen klarmachen kann, daß die Stellungnahmen der Bischofskonferenzen "im Lichte der bereits dargelegten Lehre" des Papstes bzw. des Bischofskollegiums zu deuten sind und daß "vertretbare Aussagen, die von einer subjektiven Bewertung der Dinge abhängen, als solche vorläufigen Charakter haben" (S. 17, Frage 10). Es wird die Tendenz sichtbar, den Äußerungen der Bischofskonferenzen den Iehramtlichen Charakter im eigentlichen Sinn abzusprechen, ihre Interpretation an der gesamtkirchlichen Linie zu orientieren, die Autorität der Bischofskonferenzen in den Augen der Gläubigen zu mindern und bestimmte Stellungnahmen abschwächend als subjektive Bewertung der Dinge mit vorläufigem Charakter, die vervollkommnet werden können oder nur Denkanstöße bilden, einzustufen.
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Dieser Tendenz dient wiederum das theologische Argument einer starken Aufwertung der Lehrkompetenz des einzelnen Bischofs, dem kraft der Bischofsweihe das Lehramt "ex opere operato" als ontologisches Geschenk des Geistes der Wahrheit verliehen wird, so daß er in seiner einzelnen Kirche (anders als die Konferenz) das ganze Bischofskollegium darstellt, und dem, freilich in treuem Gehorsam gegenüber dem römischen Papst, die Bewahrung und authentische Weitergabe der doctrina fidei in der Weiterführung des Apostelkollegiums zusteht. Wiederum wird die "Christusförmigkeit" des einzelnen Bischofs stark betont und hervorgehoben (S. 12/13, Punkt V). Kanonisch problematisch bei dieser Tendenz ist jedoch die restriktive Interpretation von c.753 CIC, der sowohl die einzelnen Bischöfe als auch die auf Partikularkonzilien oder Bischofskonferenzen versammelten Bischöfe als authentische Künder und Lehrer des Glaubens für die Gläubigen, deren Lehramt diese mit religiösem Gehorsam zu folgen haben, bezeichnet. Gesetzestext und Kommentare unterscheiden hier nicht und werten die kollegiale Autorität gegenüber der personalen nicht ab. Sicherlich stellen die Bischofskonferenzen (und die Partikularkonzilien) keine notwendigen Strukturen dar; besitzen sie nicht jene dogmatischen Grundlagen, deren sich die Strukturen göttlicher Einsetzung wie das Bischofskollegium selber und der einzelne Bischof erfreuen; es können sich die Konferenzen auch nicht an die Stelle des einzelnen Bischofs setzen, der durch die Weihe authentischer Lehrer des Glaubens geworden ist. Es ist aber schwer einzusehen, warum die stark betonte Autorität der einzelnen Bischöfe sosehr vermindert werden soll, wenn sie ihr Amt in den Strukturen kirchlichen Rechts gemeinsam ausüben, noch dazu, wo das Gesetzbuch selber keine Unterscheidung anbringt. Kirchenpolitisch notwendige Maßnahmen hätten als solche deklariert und nicht hinter einer theologischen Argumentation versteckt werden sollen. Außerdem ist die Vorgangsweise einer Gesetzesänderung durch restriktive Interpretation auf dem Verwaltungsweg formalrechtlich problematisch. Gesetzesänderungen solchen Gewichts sollte der oberste Gesetzgeber selber vornehmen. Die Kritik an den Aussagen des Arbeitspapieres über die lehramtliche Autorität der Bischofskonferenzen kommt darum zu folgendem Ergebnis: Das Arbeitspapier spricht den Bischofskonferenzen als solchen ein Lehramt schlechthin ab. Es stützt sich dabei auf c.753 CIC und führt im einzelnen aus: "Dieses Lehramt (scil. wie es in c.753 CIC normiert ist) besitzen jedoch im eigentlichen Sinn die Bischofskonferenzen als solche nicht. Sie stellen sich ihrer Natur nach operative, pastorale und soziale, aber nicht direkt die Lehre betreffende Ziele. Aufgabe der Bischofskonferenz ist die Beschäftigung mit den Weisen, Werkzeugen und Trägern der Evangelisierung und Katechese, und in diesem Zusammenhang, wegen der innerlichen Verbindung von Pastoral und Lehre, ,ist es Pflicht und Recht der Hirten der Kirche, darüber zu wachen, daß nicht durch Schriften oder den Gebrauch der sozialen Kommu-
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nikationsmittel Glaube oder Sitten der Gläubigen Schaden nehmen' (c.823 CIC; vgl. auch cc. 772 § 2; 775 § 2; 825; 830 § 1; 831 § 2). Die Bischofskonferenzen sind daher keine Lehrinstanz und besitzen keine Zuständigkeit für die Festlegung dogmatischer und moralischer Inhalte" (S. 13, Punkt V). Gleichwohl kann das Arbeitspapier nicht umhin, den Bischofskonferenzen ein Lehramt im uneigentlichen Sinn und eine gewisse, wohl eingeschränkte Befugnis zu Erklärungen Iehramtlichen Charakters zuzugestehen, wofür konkrete Anweisungen gegeben werden. Die Ablehnung der Lehrautorität der Bischofskonferenzen ist in der Sicht der Kritik Folge der kanonistisch sowohl im kanonistisch-sakramentaltheologischen wie im kanonisch-rechtlichen Sinn unzutreffenden Argumentation des Arbeitspapiers, die Bischofskonferenzen seien keine bischöflichkollegialen Organe und bei ihren Entscheidungen handle es sich nicht um kollegiale Akte, sondern um kollektive Akte der Einzelbischöfe, die eine gemeinsame Wirkung hervorbrächten und sich im Rahmen der Vollmachten bewegten, die jeder Bischof für seine Diözese habe. Wenngleich die Bischofskonferenzen kirchlichen Rechts sind, haben sie ein Fundament im göttlichen Recht. Sie sind .. iure ecclesiastico, aber cum fundamento in iure divino." Die Vollmacht, welche die Bischöfe auf den Bischofskonferenzen wahrnehmen, ist wahre bischöfliche Vollmacht teilkirchlicher Art, die nicht für die eigene Diözese, sondern für den ganzen Bereich, d. h., für alle Teilkirchen ausgeübt wird, für welche die Bischofskonferenz zuständig ist. Die auf den Bischofskonferenzen wahrgenommene Vollmacht ist ihrem Inhalt nach eine Vollmacht göttlichen Rechts, die nicht aus der höchsten Autorität der Kirche abgeleitet ist, sondern aus der bischöflichen teilkirchlichen Autorität erfließt. Ihre formale Umschreibung (z. B. die gesetzliche Einrichtung der Bischofskonferenzen, ihre konkrete Errichtung, die Festlegung der Zuständigkeiten) ist kirchlichen Rechts 7 • Diese theologische Wertung der Bischofskonferenzen wird vom Arbeitspapier nicht oder wenigstens nicht voll geteilt. 2. Die Grenzen der Lehrautorität der Bischofskonferenzen nach dem Arbeitspapier Nach geltendem Recht fassen die Partikularkonzilien ihre Beschlüsse in Sachfragen, aber auch in Fragen der Glaubensverkündigung in Wahrnehmung ihrer Lehrautorität gemäß c.753 CIC in kollegialer Weise durch Abstimmung mindestens der Mehrheit der Teilnahmeberechtigten mit absoluter Mehrheit der anwesenden Teilnehmer, sofern im allgemeinen Recht 7 H. Schmitz, Die Lehrautorität der Bischofskonferenz gemäß c.753 CIC, in: Die Bischofskonferenz (Anm. 1), S. 196-199. H. J. Pottmeyer, Was ist eine Bischofskonferenz? (Anm. 6), in: StZ 206 ( 1988), S. 436, 443. H. J. Pottmeyer, Der theologische Status der Bischofskonferenz -Positionen, Klärungen und Prinzipien, in: Die Bischofskon-
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oder in partikularen Ordnungen nichts anderes vorgesehen ist (c.119 n.2 CIC). Die Glaubensdekrete der Partikularkonzilien sind nach Überprüfung durch den Apostolischen Stuhl und nach rechtmäßiger Promulgation rechtsverbindlich. Die Partikularkonzilien entscheiden somit auch in Glaubensfragen in kollegialer Weise durch Mehrheits beschluß, benötigen aber die Recognitio durch den Apostolischen Stuhl. Die Bischofskonferenzen müssen die Beschlüsse in Sachfragen, in denen sie gemäß c.455 § 1 CIC allgemeine Gesetzgebungskompetenz besitzen, in der in c.455 § 2 vorgeschriebenen kollegialen Weise mit wenigstens Zweidrittelmehrheit der ihr mit entscheidendem Stimmrecht angehörenden Mitglieder fassen. Die Beschlüsse erhalten erst Rechtskraft, wenn sie nach Überprüfung durch den Apostolischen Stuhl rechtmäßig promulgiert sind. In Glaubensfragen besitzen die Bischofskonferenzen eine allgemeine Kompetenz zu solcher rechtsverbindlicher Beschlußfassung gemäß c.455 §§ 1-2 nicht. Eine solche ist in c.753 CIC nicht enthalten, der die Lehrautorität des partikularrechtliehen Lehramtes, wenn auch in bestimmtem Umfang und in bestimmter Reichweite, umschreibt. Nur für näher bestimmte Fälle überträgt das kirchliche Gesetzbuch den Bischofskonferenzen die Kompetenz zu solcher rechtsverbindlicher Beschlußfassung in Fragen der Glaubenslehre, in Form von Dekreten in Glaubensfragen, selbstverständlich nicht für Glaubensgesetze im eigentlichen Sinn (Dogmen), die als Glaubenswahrheiten ihrer Natur nach unteilbar sind und nur für die Gesamtkirche erlassen werden können. Authentische Äußerungen über Glaubensfragen ohne Anspruch auf Unfehlbarkeit sind keine Glaubensgesetze im vorgenannten Sinn. Sie sind nicht dem universalkirchlichen Lehramt vorbehalten, sondern stehen allen Trägern des authentischen Lehramtes zu. Konkret überträgt das geltende Gesetzbuch den Bischofskonferenzen sechzehn Einzelkompetenzen in Glaubensfragen, und zwar allgemeine Normsetzungskompetenzen (cc.772 § 2, 788, 831§2 als Mußkompetenzen, cc.755 §2, 766,775 §2, 804 § 1 als KannKompetenzen), Verwaltungskompetenzen für Einzelfälle (cc.775 § 3, 792, 809, 810 §2 und 818, 821, 823 §2, 830 § 1, als Kann-Kompetenzen), und Mitwirkungsrechte (c.825 § 1 und§ 2 als Kann-Kompetenzen) 8 . Abgesehen von diesen Einzelkompetenzen gilt darum für Äußerungen der Bischofskonferenzen in Glaubensfragen die Bestimmung des c.455 § 4: Rechtsverbindlichkeit kommt einer Äußerung der Bischofskonferenz in Glaubensfragen nur zu, wenn ihr alle Bischöfe gemeinsam ihre Zustimmung gegeben haben. ferenz (Anm. 1), S. 44-87. H. Müller, Zum Verhältnis zwischen Bischofskonferenz und Diözesanbischof, in: Die Bischofskonferenz (Anm. 1), S. 241. P. Krämer, Theologischrechtliche Begründung der Bischofskonferenz, in: ZEvKR 32 (1987), S. 402-410; 405/406. A. Anion, EI estatuto teologico de las conferencias episcopales, in: Naturaleza y futurodelas conferencias episcopales, hrsg. von H. Legrand, J. Manzanares, A. Garcia y Garcia, Salamanca 1988, S. 233-268. 8 H. Schmitz, Die Lehrautorität der Bischofskonferenzen gemäß c.753 CIC, in: Die Bischofskonferenz (Anm. 1), S. 226-230.
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Nach gut begründeter Meinung ist die Einstimmigkeit aller Bischöfe, die Mitglieder der Bischofskonferenz mit entscheidendem Stimmrecht sind, erforderlich, nicht nur die Einstimmigkeit der Diözesanbischöfe. Eine auf Konsens zielende Lösung ist für den Bereich der Glaubensfragen sicher angemessen, da die Bischöfe auf den Konzilien in Glaubensfragen im Gegensatz zu disziplinären Angelegenheiten sich immer um Einmütigkeit bemüht haben. Ob aber die in c.455 § 4 geforderte Einstimmigkeit das nach Einmütigkeit strebende Konsensprinzip nicht übersteigt oder gar überzieht, kann in Anbetracht der anderen Regelung bei den Partikularkonzilien mit Recht gefragt werden 9. Obwohl das Dokument die lehramtliche Kompetenz der Bischofskonferenzen beträchtlich einschränkt, rechnet es mit der Herausgabe von Dokumenten mit lehramtlichem Charakter und bringt dazu unter dem Titel der pastoralen Autorität der Bischofskonferenzen, abgehoben von ihrer gesetzgeberischen Zuständigkeit, "einige nützliche Bemerkungen", die in Wirklichkeit Forderungen darstellen, die diese Kompetenz eingrenzen und umschreiben. Diese acht Forderungen, die das Arbeitspapier der Kongregation für die Bischöfe für die Herausgabe von Lehrdokumenten seitens der Bischofskonferenzen erhebt, haben eine differenzierte Beurteilung gefunden. Nur zum Teillassen sie sich aus der Grundnorm des c.753 CIC oder aus anderen Stellen des Gesetzbuches ableiten. Zum Teil werden sie als überzogen zugunsten einer "sana doctrina" und zum Nachteil für eine "sana communio fidei" angesehen. Andererseits enthalten sie auch durchaus wünschenswerte Weisungen 10 . Die Forderung nach Unterordnung jeder Lehrfunktion der Bischofskonferenz unter das Lehramt der universalen Kirche (Nr. 1) erweist sich als selbstverständlich, da die Lehrautorität der Bischofskonferenz in das universalkirchliche Lehramt eingebunden ist und nur in Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern des Bischofskollegiums ausgeübt werden kann (c.743 CIC). Daß Bischöfe und Bischofskonferenzen auch einen spezifischen Aspekt der Gemeinschaft des Glaubens der betreffenden Teilkirchen in die communio fidei der Gesamtkirche einbringen können, schränkt diesen Schrankenvorbehalt wiederum ein. Darum ist die Forderung Nr. 3, daß sich die Lehrautorität der Bischofskonferenzen auf Äußerungen zur Anwendung der Aussagen des Lehramtes der universalen Kirche zu beschränken hat, einseitig von einem zentralistisch-unitaristischen Verständnis des gesamtkirchlichen Lehramtes des Papstes geprägt. Unterordnung unter das gesamtkirchliche Lehramt wäre dann Einbindung. Andererseits gibt es die Lehrmeinung, die das teilkirchliche Lehramt der Bischöfe nur dann als authentisch ansieht, wenn es das päpstliche Lehramt zum Bezugspunkt hat 11 . Dieser Lehrmeiebd., S. 214-216. ebd., S. 230-234. E. Tejero, Kommentar zu c.753 CIC, in: Codigo de Derecho Canonico, a cargo de
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nung scheint das Arbeitspapier zuzuneigen. Die Forderung, die der Bischofskonferenz ausdrücklich die Kompetenz abspricht für "Äußerungen, die ihrer Natur nach oder durch ausdrücklichen Vorbehalt der höheren Autorität direkt oder in Auswirkung die universale Kirche betreffen" (Nr. 2), könnte in dieser Sicht als Generalvorbehalt verstanden werden, der letztlich jede Äußerung der Bischofskonferenzen, aber einschlußweise auch der Partikularkonzilien, ja sogar der einzelnen Bischöfe unterbindet. Denn es gibt kaum Äußerungen lehramtliehen Charakters, die nicht in ihrer Auswirkung die Gesamtkirche betreffen. Das Recht des Papstes, einen ausdrücklichen Vorbehalt auch bezüglich der Äußerungen zu Glaubensfragen zu statuieren, ist selbstverständlich unbestritten. Selbstverständlich ist auch, daß wegen des größeren Gewichts der Lehraussagen sich Partikularkonzilien und Bischofskonferenzen eine größere Zurückhaltung auferlegen müssen. Daß diese Lehräußerungen der Unterstützung für das Lehramt des einzelnen Bischofs zu diesen haben (Nr. 5), entspricht der Natur und Funktion von Partikularkonzilien und Bischofskonferenzen. Die Forderung nach "Zweidrittelmehrheit der zur Abstimmung Berechtigten" (Nr. 6) und nach "Anerkennung durch den Heiligen Stuhl" (Nr. 4) erkennt über c. 753 CIC hinaus der Bischofskonferenz eine Zuständigkeit zu Äußerungen mit lehramtlichem Charakter zu, die als allgemeine Gesetzgebungskompetenz gemäß c.455 §§ 1-2 gekennzeichnet ist. Unter Anerkennung ist darum hier nicht bloß Überprüfung, sondern echte Billigung gemeint. Die schwer verständliche Forderung, daß das zu verfolgende Ziel mit moralisch einmütiger Zustimmung bezeichnet werden soll (Nr. 7), ist vermutlich darauf abgestellt, daß Äußerungen der Bischofskonferenz mit lehramtlichem Charakter den Grad der Verbindlichkeit angeben sollen. Die Forderung, daß die wichtigeren Lehrfragen, die eine Nation als solche betreffen, den Partikularkonzilien überlassen werden sollen (Nr. 8), ist angesichts des vollständigeren Teilnehmerkreises verständlich, angesichtsdes seltenen Zusammentretens dieser Kirchenversammlungen aber schwer durchführbar. Den berechtigten Desideraten aus diesem Forderungskatalog könnte der Gesetzgeber durch eine entsprechende Ergänzung des c.753 CIC Raum geben. Für Dekrete in Glaubensfragen müßte als Abstimmungsquorum die Zweidrittelmehrheit aller Mitglieder des Partikularkonzils und der Bischofskonferenz mit beschließendem Stimmrecht zur Gültigkeit verlangt werden; als weitere Voraussetzung wäre das Streben nach Einmütigkeit nach Kräften zu verlangen sowie Kenntnisnahme oder Bestätigung durch den Apostolischen Stuhl' 2 • P. Lombardia, J. I. Arrieta, Pamplona 1983, S. 475. D.Dario, Kommentar zu c.753 CIC, in: Commento al Codice di diritto canonico, a cura di P. V. Pinto, Roma 1983, S. 474. 12 H. Schmitz, Status theologicus et iuridicus conferentiarum episcopalium. Kanonistische Bemerkungen zu einem Arbeitspapier der Kurienkongregation für die Bischöfe, in: AfkKR 156 (1987), S. 515-521. H. Schmitz, Die Lehrautorität der Bischofskonferenz gemäß c.753 CIC, in: Die Bischofskonferenz (Anm. 1), S. 234.
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Dadurch könnte das widersprüchliche Ergebnis des Arbeitspapiers der Kurienkongretation für die Bischöfe, das den Bischofskonferenzen einerseits ein Lehramt im eigentlichen Sinn abspricht, andererseits aber ein Lehramt im uneigentlichen Sinn und eine genau umschriebene Kompetenz zur Herausgabe von Dokumenten Iehramtlichen Charakters zugesteht, vermieden werden. Daß die angedeuteten Kontroversen über Ursprung und Natur der Vollmacht der Bischofskonferenzen in nächster Zukunft geklärt werden können, ist wohl nicht zu erwarten. Freilich haben diese Kontroversen einen beträchtlichen Einfluß auf Rezeption und Wirkungsgeschichte des II. Vatikanischen Konzils. Letztlich handelt es sich auch nicht um eine Frage nach Vollmachten, ihrem Ursprung und ihrer Natur, sondern nach dem Verhältnis von Teilkirche, Teilkirchenverbänden und Gesamtkirche, somit nach der Verwirklichung der kirchlichen "communio".
ZUR PROMULGATION VON GESETZEN DER BISCHOFSKONFERENZ Anmerkungen zu einem formalen Aspekt bischöflichkollegialer Gesetzgebung
Von Stephan Haering, München Seit Jahrzehnten übt Bischof Dr. Alfred Kostelecky das verantwortungsvolle Amt des Sekretärs der Österreichischen Bischofskonferenz aus und hat diese Aufgabe auch beibehalten, nachdem er am 12. November 1986 zum Titularbischof von Aggar und Militärordinarius für Österreich ernannt worden war und am 14. Dezember desselben Jahres die Bischofsweihe empfangen hatte. Schon bevor er selbst Mitglied dieses bischöflichen Kollegiums wurde, hat er als Sekretär der Konferenz seit langem das Vertrauen der Oberhirten Österreichs genossen und besonders mit den Vorsitzenden der Konferenz eng zusammengearbeitet. In seinen Aufgabenbereich fallen vor allem die Vorbereitung der Sitzungen dieses Gremiums sowie die Bewältigung der anfallenden Nacharbeit 1 und damit die Mitwirkung bei der Durchführung der Beschlüsse und Maßnahmen der Konferenz. Dr. Alfred Kostelecky war als Sekretär der Bischofskonferenz nicht nur ein wichtiger Gesprächspartner im Kontakt mit staatlichen Stellen, sondern hat als erfahrener Kanonist auch die kirchenrechtlich relevanten Handlungen und Initiativen der Bischofskonferenz mitgeprägt Durch das Zweite Vatikanische Konzil ist die Bedeutung der Bischofskonferenzen kirchenamtlich anerkannt und damit deren Stellung aufgewertet worden; insbesondere wurden ihnen auch gesetzgeberische Kompetenzen übertragen. Bei der Wahrnehmung dieser neuen Aufgaben durch die Österreichische Bischofskonferenz war Prälat Kostelecky stets in wichtiger Position beteiligt. So mag es gestattet sein, in diesem Rahmen sich einer formalen Frage im Zusammenhang mit der gesetzgeberischen Funktion der Bischofskonferenz 2 zu 1 Vgl. Statut der Österreichischen Bischofskonferenz § 11, endgültig approbiert am 12.5.1979, abgedruckt bei: Romeo Astorri, Gli statuti delle conferenze episcopali, I. Europa, Padova 1987, 59-64. 2 Die Institution Bischofskonferenz hat gerade in der jüngsten Vergangenheit wieder verstärktes Interesse gefunden. Die außerordentliche Bischofssynode von 1985 regte an, ihren Status näher zu untersuchen. Die römische Congregatio pro Episcopis übersandte im Jahr 1988 den Bischofskonferenzen ein Arbeitspapier unter
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nähern und dabei zunächst allgemein die Bedeutung von Gesetz und Gesetzespromulgation im kanonischen Recht in den Blick zu nehmen (1), danach die Stellung der Bischofskonferenz als Gesetzgebungsorgan darzulegen (II), um endlich die von den deutschsprachigen Bischofskonferenzen für ihre Gesetze gewählten Promulgationsmodi vorzustellen und kritisch zu befragen (III). Zusammenfassende Erwägungen (IV) schließen diese kanonistischen Anmerkungen ab.
I. Gesetz und Gesetzespromulgation 1. Kanonisches Gesetz Das kanonische Recht kennt keinen autoritativ vorgegebenen Gesetzesbegriff oder eine amtliche Gesetzesdefinition 3. Der CIC verzichtet in auffallenderWeise darauf, die in ihm selbst und in anderen kirchlichen Gesetzeswerken wirksame Vorstellung von den Wesensmerkmalen des Gesetzes wenigstens in formeller Hinsicht ausdrücklich zu beschreiben, sondern setzt vielmehr einen im Gesetzbuch selbst nicht zusammengeiaßt bestimmten Gesetzesbegriff voraus 4• Es ist keineswegs selbstverständlich, daß es sich im dem Titel .Der theologische und juridische Status der Bischofskonferenzen" mit der Bitte um Stellungnahme dazu. Eine Frucht dieser neu belebten Diskussion ist u. a. der vor kurzem erschienene Sammelband: Die Bischofskonferenz. Theologischer und juridischer Status, hrsg. von Hubert Müller und Hermann J. Pottmeyer, Düsseldorf 1989, und enthält Beiträge von lvo Fürer, Gisbert Greshake, Franz-Xaver Kaufmann, Peter Krämer, Peter Leisching, Hubert Müller, Hermann J. Pottmeyer, Heribert Schmi,z, Hermann Josef Sieben, Remigiusz Sobanski; das Arbeitspapier ist in diesem Band in seinem Aufbau knapp dargestellt bei Heribert Schmitz, Bischofskonferenz
und PartikularkonziL Rechtsinstitutionen unterschiedlicher Natur, Struktur und Funktion, 178-195, 178 f. mit Anm. 4. Die Diskussion spiegelt sich auch wider in den Akten des internationalen Kolloquiums in Salamanca vom 3. bis 8. Januar 1988: Naturleza y futuro de las conferencias episcopales, ed. Herve Legrand, Julio Manzanares y Antonio Garcia y Garcia, Salamanca 1988. 3 Noch im Blick auf den CIC/1917 stellt Heribert Schmitz, Die Gesetzessystematik des Codex Iuris Canonici Liber I-III (Münchener Theol. Stud., III. Kan. Abt., Bd. 18), München 1963, 15 zwar fest, daß der Gesetzgeber kein Lehrbuch zu schreiben habe, wünscht aber doch einen formalen Gesetzesbegriff (ebd. 16). 4 Winfried Aymans, Lex Canonica. Erwägungen zum kanonischen Gesetzes begriff, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht(= AfkKR) 153 (1984) 337-353,337 (auch in spanischer Sprache erschienen: Lex Can6nica. Consideraciones sobre el concepto de Ley Can6nica, in: Ius Canonicum 25 [1985)463-4 78); auf der Grundlage des CIC/1917 Klaus Mörsdorf, De actibus administrativis in Ecclesia, in: Ius Populi Dei. Miscellanea in honorem Raymundi Bidagor, Rom 1972, Bd. III, 7-26, 11 (neuerdings abgedruckt bei Klaus Mörsdorf, Schriften zum Kanonischen Recht, hrsg. von Winfried Aymans I KarlTheodor Geringer I Heribert Schmitz, Paderborn/WieniMüncheniZürich 1989, 696715, 700).
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neuen CIC so verhält, denn insgesamt besehen erweist sich dieses Gesetzbuch durchaus geneigt, Begriffsdefinitionen vorzunehmen 5, und noch in den Schemata von 1980 und 1982 für das zu erlassende Gesetzbuch, die dem CIC unmittelbar vorausgegangen sind, war eine Legaldefinition des (kanonischen) Gesetzes enthalten 6 . Die Entscheidung, auf die Aufnahme einer Gesetzesdefinition zu verzichten, die offensichtlich erst in der Phase der Endredaktion des CIC gefallen ist, wurde von der Fachwelt unterschiedlich bewertet und sowohl mit Zustimmung als auch mit Bedauern bedache. Im Ergebnis blieb es also - wie schon vor dem Codex des Jahres 19838 - der Kirchenrechtswissenschaft überlassen, den im gesatzten Recht unbestimmt vorhandenen Gesetzesbegriff freizulegen und überdies aufgrund rechtstheologischer Überlegungen eine umfassende Gesetzesdefinition für den Bereich des kanonischen Rechts zu entwickeln. Bei diesem Bemühen konnte man sich auf die überkommene Unterscheidung von äußeren und inneren Wesensmerkmalen 9 des kanonischen Gesetzes stützen. Hinsichtlich der äußeren Wesensmerkmale bietet der CIC selbst Anhaltspunkte für das kanonische Gesetz in c. 7 über die Gesetzespromulgation und in c. 29 im Zusammenhang mit den Normen über die Generaldekrete 10 . Bei der Bestimmung der inneren Wesenselemente des Gesetzes sucht die kanonistische Doktrin vor allem Anhalt bei scholastischen Autoren und schreibt 5 Winfried Aymans, Erwägungen zu Geist und Gestalt des neuen Gesetzbuches der lateinischen Kirche, in: Ministerium Iustitiae. FS für Heribert Heinemann, hrsg. von Andre Gabriels und Heinrich J. F. Reinhardt, Essen 1985, 35-50, 38. 6 C. 7 hatte in beiden Schemata jeweils folgenden Wortlaut: .,Lex, norma scilicet generalis ad bonum commune alicui communitati a competenti auctoritate data, instituitur cum promulgatur." 7 Zusammenfassend zur Frage einer Gesetzesdefinition im CIC siehe Lothar Wächter, Gesetz im kanonischen Recht. Eine rechtssprachliche und systematischnormative Untersuchung zu Grundproblemen der Erfassung des Gesetzes im Katholischen Kirchenrecht (München er Theol. Stud., III. Kan. Abt., Bd. 43), St. Ottilien 1989, 150-164; Bewertungen des CIC durch die Autoren in dieser Frage zusammengeiaßt ebd. in den Anm. 41 und 42. 8 Für die wissenschaftliche Erörterung dieser Periode stellvertretend Georg May, Das Glaubensgesetz, in: Jus Sacrum, FS für Klaus Mörsdorf, hrsg. von Audomar Scheuermann und Georg Mey, München/Paderborn/Wien 1969, 349-372; die traditionelle Doktrin zur Natur des kirchlichen Gesetzes lehrbuchartig dargeboten bei Gammarus Michiels, Normae Generales Juris Canonici, Bd. I, Paris/Tournai/Rom 2 1949, 153-192. 9 Z. B. Joseph List/, Die Rechtsnormen, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hrsg. von Joseph List/ I Huber! Müller I Heribert Schmilz, Regensburg 1983 (= HdbKathKR), 83-98, 88; Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. I, München/Paderborn/Wien 11 1964, 83-87. 10 In diesem Zusammenhang sind nur die Generaldekrete (decreta generalia, allgemeine Dekrete) im engen Sinn bedeutsam, von denen die cc. 29 und 30 CIC handeln, nicht aber die allgemeinen Ausführungsdekrete (decreta generalia exsecutoria, cc. 31-33).
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deren Entwürfe auf der Grundlage einer erneuerten und vom Zweiten Vatikanischen Konzil geprägten theologischen Sicht der Kirche fort 11 . Winfried Aymans, der sich auf dieser Basis ausführlich mit der Problematik befaßt hat, entwickelte aufgrundvon Überlegungen, welche die herkömmliche Doktrin vertiefen, einen kanonischen Gesetzesbegriff, der äußere und innere Wesensmerkmale berücksichtigt. Er beschreibt das kanonische Gesetz in umfassender Weise "als eine auf die Förderung des Lebens der Communio ausgerichtete und mit den Mitteln der Vernunft als allgemeine, rechtsverbindliche Vorschrift gestaltete Glaubensweisung, die von der zuständigen Autorität für eine passiv gesetzesfähige Personengesamtheit erlassen und gehörig promulgiert ist" 12 . Nicht nur hinsichtlich der sachlich-inhaltlichen Seite bedarf das kanonische Gesetz der wissenschaftlichen Abklärung, sondern auch hinsichtlich seiner rechtssprachlichen Erfassung. Der CIC verwendet durchaus nicht immer den Terminus "Iex", wenn er von einem Gesetz im rechtstechnischen Sinn spricht, sondern gebraucht daneben Begriffe wie z. B. ,.statutum", "canon", ,.praescriptum", "ius", "ordinatio" und andere, um Gesetze zu bezeichnen 13 . Ebenso vielfältig sind die Bezeichnungen für Gesetze, die der Apostolische Stuhl in seiner übrigen Gesetzgebungspraxis verwendet 14 . Ähnlich groß ist die begriffliche Vielfalt bei der Bezeichnung von Gesetzen teilkirchlicher Gesetzgeber etwa in bundesdeutschen Diözesen bzw. auf überdiözesaner Ebene im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz, wo bisweilen sogar ein und derselbe Terminus für die Benennung von echten Gesetzen und Erlassen oder Verordnungen anderen Rechtscharakters verwendet wird (,.Ordnung", "Anordnung", ,.Dekret", "Erlaß", ,.Verfügung" u. a.) 15 . Der begriffliche Wirrwarr macht es dann im Einzelfall selbst für den Fachmann oft zum schwierigen Problem, ein Gesetz von anderen Vorschrif11 Dazu besonders Winfried Aymans, Erwägungen über die inneren Merkmale eines kanonischen Gesetzesbegriffs, in: Pro fide et iustitia. FS für Agastino Kardinal Casaroli, hrsg. von He1bert Schambeck, Berlin 1984, 193-204; Eugenio Corecco, .Ordinatio rationis" oder .ordinato fidei"? Zur Definition des kanonischen Gesetzes, in: IKZ Communio 6 (1977) 481-495. 12 W. Aymans, Lex Canonica (Anm. 4), 353. 13 L. Wächter, Gesetz im kanonischen Recht (Anm. 7), 13-35. 14 Ebd. 36-54. Hierbei fällt besonders auf, daß der Terminus .Iex" in der Gesetzgebung des Apostolischen Stuhls nicht zur Bezeichnung von Gesetzen verwendet wird. Als Grund dafür vermutetWächtereine erwünschte Abhebung des kirchlichen Gesetzes vom weltlichen Gesetz (ebd. 50). Auf diesem Hintergrund bleibt aber unklar, warum PapstJohannes Paul Il. gerade in den exponierten Anfangsworten der Apostolischen Konstitution zur Promulgation des CIC Sacre disciplinae Ieges die gesetzlichen Normen der kirchlichen Lebensordnung mit dem Begriff ,.Iex" erfaßt. 15 Dazu L. Wächter, Gesetz im kanonischen Recht (Anm. 7), 55-108, wo die Amtsblätter der bundesdeutschen Diözesen etwa seit Anfang der siebziger Jahre akribisch ausgewertet sind.
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ten und Weisungen zu unterscheiden, und trägt mehr zur Rechtsunsicherheit als zu einer transparenten Rechtsordnung bei. 2. Promulgation von kirchlichen Gesetzen Das kirchliche Gesetzbuch stellt lapidar fest, daß die Promulgation 16 für ein Gesetz existenzbegründend ist: .,Lex instituitur cum promulgatur." (c. 7 CIC) Auch die kanonistische Lehre zählt, wie gezeigt werden konnte, die Promulgation zu den (äußeren) Wesensmerkmalen des kanonischen Gesetzes17. Näherhin stellt die Promulgation das letzte Stadium in der dreiphasigen Genese eines Gesetzes dar; ihr gehen zunächst die Feststellung des Gesetzesinhalts und die Ausfertigung des Gesetzes (Erteilung des Gesetzesbefehls) voraus 18 . Die Promulgation schließt den Gesetzgebungsvorgang ab und macht das bisher erst in Vorstufen existierende Gesetz zur gesetzlichen Norm, ohne daß das Gesetz in der Regel auch schon gleichzeitig in Rechtskraft tritt. Der Zeitpunkt der Rechtsverbindlichkeit eines Gesetzes liegt gewöhnlich erst eine angemessene Zeitspanne nach der Promulgation, um es dadurch den Betroffenen zu ermöglichen, den Gesetzesinhalt zur Kenntnis zu nehmen und sich auf das Gesetz einzustellen. Begrifflich ist unter der Promulgation die amtlich-autoritative Verkündung des Gesetzes zu verstehen, nicht einfach nur die tatsächliche Veröffentlichung des Gesetzeswortlauts. Durch den Promulgationsvorgang muß deutlich gemacht werden, daß der rechtmäßige Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt eine verbindliche gesetzliche Vorschrift erläßt. Zweitrangig ist es, ob die vom Gesetz Betroffenen durch die Promulgation als solche Kenntnis vom Gesetz erhalten, wenngleich es freilich höchst wünschenswert ist, daß dies im Zusammenhang mit der amtlichen Verkündung geschieht. Außerdem liegt es vor allem im Interesse des Gesetzgebers selbst, daß die angesprochene gesetzesfähige Personengesamtheit möglichst authentisch und rasch Kenntnis von dem erlassenen Gesetz erhält und es rezipiert. Es erscheint daher angemessen, daß der Gesetzgeber selbst es übernimmt, die Betroffenen vom Gesetz in Kenntnis zu setzen, und auf diese Weise Promulgation und (Erst)Publikation eines Erlasses in aller Regel zusammenfallen. 16 V gl. auch Klaus Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici (Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, Heft 74), Paderborn 1937 (Nachdruck 1967), 74 f.; ders., Art. Promulgation, in: LThK 2 VIII, 793; Georg May I Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, 156 f. 17 W. Aymans, Lex Canonica (Anm. 4), 342; J. List/, Die Rechtsnormen (Anm. 9), 88. 18 Hans Heimerl I Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht, WieniNew York 1983, 34; J. List/, Die Rechtsnormen (Anm. 9), 88; Hugo Schwendenwein, Das neue Kirchenrecht, Graz/WieniKöln 21984, 75.
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Der CIC schreibt den kirchlichen Gesetzgebern keinen zwingenden Modus für die Promulgation ihrer Gesetze vor. Hinsichtlich jener Gesetz, die für die gesamte lateinische Kirche erlassen werden, sieht c. 8 § 1 CIC vor, daß diese gewöhnlich durch Publikation in den Acta Apostolicae Sedis promulgiert werden. Zeitpunkt der Promulgation ist jener Tag, dessen Datum der entsprechenden Nummer der AAS aufgedruckt ist. Ausdrücklich ist jedoch festzuhalten, daß der Codex an der genannten Stelle selbst für diesen Gesetzestyp einen anderen Promulgationsmodus zuläßt 19 , dessen Bestimung dann im Einzelfall vom Gesetzgeber vorzunehmen ist. Für den Fall, daß ein anderer Promulgationsmodus gewählt wird, ist es aus Gründen der Rechtssicherheit wünschenswert, explizit darauf hinzuweisen, daß die amtliche Verkündung im Sinne von c. 7 in dieser vom Regelfall abweichenden Form erfolgt2°. Auf jeden Fall ist kenntlich zu machen, unter welchem Datum die Promulgation ergeht, damit keine Unsicherheit darüber aufkommt, von welchem Zeitpunkt an das betreffende Gesetz Verpflichtungskraft erhält2 1• Bezüglich partikularer Gesetze verzichtet der CIC völlig darauf, einen Promulgationsmodus wenigstens als Regelfall vorzusehen (c. 8 § 2). Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang, ob ein teilkirchlicher Gesetzgeber, gleich welcher Art, oder der gesamtkirchliche Legislator das Gesetz erläßt. Dem Gesetzgeber selbst steht es völlig frei, ein ihm geeignet erscheinendes Verfahren für die amtliche Verkündung des Gesetzes zu wählen. Im Interesse der Rechtssicherheit hat der betreffende Gesetzgeber auf jeden Fall auch hier auf eine deutliche Kenntlichmachung des Zeitpunkts der Promulgation zu achten 22 • II. Die Bischofskonferenz als Gesetzgeber Die Bischofskonferenz ist eine der jüngsten Institutionen der kirchlichen Verfassungsstruktur. Ihre Anfänge liegen in informellen BischofsversammIungen, die seit dem 19. Jahrhundert einigermaßen regelmäßig stattfanden und der Koordination der Tätigkeit der Oberhirten einer bestimmten Region 19 Es steht außer Frage, daß der universalkirchliche Gesetzgeber auch ohne diese Klausel einen von der Publikation in den AAS abweichenden Promulgationsmodus für einzelne Gesetze wählen könnte. Durch die ,.nisi" -Bestimmung zum Promulgationsmodus von c. 8 § 1 CIC wird aber deutlich, daß der Gesetzgeber sich mit ausdrücklicher Bestimmung andere Promulgationsweisen offen halten will. 20 Vgl. L. Wächter, Gesetz im kanonischen Recht (Anm. 7), 321 f. 21 Siehe dazu die an gleicher Stelle (c. 8 § 1) eingeordneten Bestimmungen über die vacatio /egis universalkirchlicher Gesetze. 22 Vgl. zum Problem von Promulgation und Promulgationsmodus im CIC/1983 allgemein die kritischen Bemerkungen von L. Wächter, Gesetz im kanonischen Recht (Anm. 7), 321-329; auf die ebd. 325-329 angesprochenen Spezialbestimmungen zum Promulgationsverfahren einzelner Gesetzgeber kann hier nicht eingegangen werden.
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oder eines Landes dienten 23 . Mit Funktionen der teilkirchlichen Gesetzgebung ist die Bischofskonferenz erst durch das Zweite Vatikanische Konzil betraut worden 24 . Nach der ersten Zuweisung einer gesetzgebefischen Aufgabe an die Bischofskonferenzen bezüglich des Gebrauchs der Muttersprache in der Liturgie durch die Konstitution Sacrosanctum Concilium Art. 38 § 325 hat das Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe Christus Dominus Art. 38 Ziff. 4 26 die allgemeine rechtliche Basis gelegt für die Tätigkeit der Bischofskonferenzen als Gesetzgebungsorgane und einen neuen teilkirchlichen Legislator erzeugt 27 . Dadurch wurde eine .,hierarchische Zwischeninstanz" eigener Prägung zwischen der Ebene der Gesamtkirche und der Ebene der (diözesanen) Teilkirche geschaffen 28 , deren Zuständigkeit aber trotz ekklesiologisch weitreichender Möglichkeiten eng begrenzt blieb 29 . 23 Zur geschichtlichen Orientierung siehe Rudolf Lill, Die ersten deutschen Bischofskonferenzen, Freiburg 1964, auch publiziert in: Römische Quartalschrift 59 (1964) 127-185 und 60 (1965) 1-75; Peter Leisching, Die Bischofskonferenz. Beiträge zu ihrer Rechtsgeschichte mit besonderer Berücksichtigung ihrer Entwicklung in Österreich (Wiener Rechtsgeschichtliche Arbeiten, Bd. 7), Wien/München 1963; knapp auch ders., Die Bischofskonferenz in der Kodifikation von 1983, in: Die Bischofskonferenz (Anm. 2), 158-177, 158-160. 24 Vgl. Marianne Pesendorfer, Partikulares Gesetz und partikularer Gesetzgeber im System des geltenden lateinischen Kirchenrechts (Kirche und Recht, Bd. 12), Wien 1975, 104-127. 25 AAS 56 (1964) 97-138, 109f.; schon im Anschluß an diese Bestimmung hat Heribert Schmitz, Erwägungen zur Gesetzgebungstechnik der Bischofskonferenzen, in: Trierer Theologische Zeitschrift 73 (1964) 285-301 auf Fragen um das Gesetzgebungsverfahren der Bischofskonferenz aufmerksam gemacht und Lösungsvorschläge unterbreitet. 26 AAS 58 (1966) 673-701, 693. 27 WinfriedAymans, Das synodale Element in der Kirchenverfassung (Münchener Theol. Stud., III. Kan. Abt., Bd. 30), München 1970, 170 f.; vgl. auch Wilhelm Bertrams, De capacitate iuridica Conferentiae Episcoporum, in: Jus Populi Dei (Anm. 4), Bd. II, 75-87. 28 Winfried Aymans, Wesensverständnis und Zuständigkeiten der Bischofskonferenz im Codex luris Canonici von 1983, in: AfkKR 152 (1983) 46-61, 46; ders., Gliederungs- und Organisationsprinzipien, in: HdbKathKR (Anm. 9), 239-247, 243. 29 Vgl. Oskar Saier, .,Communio" in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils (Münchener Theol. Stud., III. Kan. Abt., Bd. 32), München 1973, 176-180, P. Leisching, Kodifikation 1983 (Anm. 23), 160 f. Vornehmlich über den theologisch-ekklesiologischen Stellenwert der Bischofskonferenz ist infolge der Bischofssynode 1985 und des Arbeitspapiers der Bischofskongregation (siehe Anm. 2) gerade in jüngster Zeit in der Literatur viel gehandelt worden, z. B.: Henrie Teissier, Die Bischofskonferenzen und ihre Funktion in der Kirche, in: Concilium (dt. Ausg.) 22 (1986) 481-486; Donald A. Murray, The Legislative Authority of the Episcopal Conference, in: Studia canonica 20 (1986) 33-47; Peter Leisching, Grenzen der heiligen Gewalt. Erwägungen über die Bischofskonferenz als hierarchische Zwischenstruktur, in: ÖAKR 36 (1986) 203-222; Walter Kasper, Der theologische Status der Bischofskonferenzen, in: Theologische Quartalschrift 21'
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Im CIC finden die Vorbehalte gegen die gesetzgeberische Funktion der Bischofskonferenz in dem Umfang ihren Niederschlag, der vom Konzil vorgezeichnet worden ist. Gemäß c. 455 § 1 besitzt die Bischofskonferenz nur dann die Zuständigkeit zum Erlaß allgemeiner Dekrete, wenn dies vom allgemeinen Recht ausdrücklich vorgesehen ist oder wenn ein besonderer Auftrag des Apostolischen Stuhls dazu erteilt wurde. Unverkennbar ist die Sorge, daß durch eine allgemeine Kompetenz der Bischofskonferenz die rechtliche Stellung und Vollmacht des einzelnen Diözesanbischofs ausgehöhlt werden könnte (vgl. c. 455 § 4) 30 . In ihrer Gesetzgebungskompetenz ist die Bischofskonferenz also an jenen Katalog gebunden, den der CIC vorlegt31, soweit nicht ein besonderes Mandat den sachlichen Zuständigkeitsbereich erweitert. Die Gesetzgebung der Bischofskonferenz ist durch ein besonderes Verfahren geprägt. Es ist vorgeschrieben, daß der Gesetzentwurf von einer ZweiDrittel-Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder der Konferenz beschlossen und danach dem Apostolischen Stuhl zur Überprüfung vorgelegt werden muß 32 . Erst nach dieser Überprüfung kann die Bischofskonferenz ihren Erlaß promulgieren; es steht der Konferenz zu, über das Promulgationsverfahren und den Zeitpunkt der rechtlichen Verbindlichkeit frei zu entscheiden (c. 455 § 3). Der Vollständigkeit wegen muß zum Schluß noch ergänzt werden, daß dieses Verfahren nicht nur beim Erlaß von Gesetzen und allgemeinen Dekreten (Rechtsverordnungen), sondern auch bei allgemeinen Ausführungsdekreten (Ausführungsverordnungen) 33 und wohl auch bei Instruktio(= ThQ) 167 (1987) 1-6; ders., Nochmals: Der theologische Status der Bischofskonferenzen, in: ThQ 168 (1988) 237-240; Peter Krämer, Theologisch-rechtliche Begründung der Bischofskonferenz, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 32 (1987) 402-410; Ulrich Ruh, Wenn Kollegialität konkret wird. Die Diskussion über die Bedeutung der Bischofskonferenzen, in: Herder-Korrespondenz 42 (1988) 245-248; Hermann J. Pottmeyer, Was ist eine Bischofskonferenz? Zur Diskussion um den theologischen Status der Bischofskonferenzen, in: Stimmen der Zeit 206 (1988) 435-446; die entsprechenden Beiträge in: Die Bischofskonferenz (Anm. 2). 30 Hubert Müller, Diözesanbischof Bischofskonferenz. Kanonistische Aspekte eines verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses, in: ThQ 168 (1988) 215-229, 215f.; ders., Zum Verhältnis zwischen Bischofskonferenz und Diözesanbischof, in: Die Bischofskonferenz (Anm. 2), 236-255, 236-238. 31 W. Aymans, Wesensverständnis (Anm. 28), 55-58, wo unter den Zuständigkeiten für eine Normsetzung durch Allgemeindekret auch die Gesetzgebungskompetenzen eingereiht sind, ohne als solche ausdrücklich kenntlich zu sein; die Zusammenstellung von Joseph List/, Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: HdbKathKR (Anm. 9), 304-324, 314-320, beschreibt nur die sachliche Zuständigkeit der Bischofskonferenz für bestimmte Bereiche, hebt aber nicht hervor, in welcher Rechtsform die Bischofskonferenz tätig werden muß. 32 J. List/, Plenarkonzil und Bischofskonferenz (Anm. 31), 312; zur rechtlichen Bedeutung der recognitio vgl. analog auch die Ausführungen bei H. Schmitz, Gesetzgebungstechnik (Anm. 25) 287-296.
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nen zur Anwendung kommen muß 3 \ für Instruktionen (c. 34) verlangt das Gesetzbuch allerdings keine Promulgation. 111. Die Promulgationsverfahren der Bischofskonferenzen des deutschen Sprachraums Eine vergleichende Übersicht über die Verfahren, welche die deutschsprachigen Bischofskonferenzen seit lokrafttreten des neuen CIC bei der Promulgation ihrer Gesetze 35 zur Anwendung bringen, zeigt, daß diese verschiedenen bischöflichen Kollegien eine je eigene Gesetzgebungstechnik entwickelt haben. 1. Deutsche Bischofskonferenz Die Deutsche Bischofskonferenz regelt das Verfahren der Promulgation ihrer Gesetze und übrigen allgemeinen Erlasse im Statut der Konferenz 36 . In Art. 16 Abs. 1 des Statuts heißt es, daß die Promulgation der Partikulargesetze in der Form der Zustellung an die einzelnen Diözesen durch den Vorsitzenden der Konferenz geschieht. Die Diözesen haben in der Regel die Bestimmungen in ihren Amtsblättern abzudrucken 37 , wenn der Vorsitzende 33 Alle Zweifel diesbezüglich wurden beseitigt durch die Entscheidung der Pontificia Cornrnissio Codici iuris canonici authentice interpretando vom 5. 7.1985, in: AAS 77 (1985) 771; dazu L. Wächter, Gesetz im kanonischen Recht (Anm. 7), 336-343. 34 W. Aymans, Wesensverständnis (Anm. 28), 51 f.; im genannten Responsum der PCI (Anm. 33) wird auf Instruktionen nicht Bezug genommen. 35 An dieser Stelle ist deutlich darauf hinzuweisen, daß der CIC das Erfordernis der Promulgation nicht nur für eigentliche Gesetze (leges, decreta genera/ia) vorsieht, sondern auch für allgemeine Ausführungsdekrete (c. 31 § 2). Wenn im folgenden allgemein von Gesetzespromulgation die Rede ist, kann einschlußweise auch auf die Promulgation von allgemeinen Ausführungsdekreten Bezug genommen sein. Es wäre jeweils im Einzelfall zu untersuchen, welcher Rechtsnatur die Erlasse sind, worauf die Antwort häufig nicht leicht zu geben sein dürfte. Weil es in unserem Zusammenhang aber nur um den formalen Aspekt des Promulgationsvorgangs geht, kann dieses Problem hintangestellt werden. - W. Aymans, Wesensverständnis (Anm. 28), 51, spricht von "allgemeinen Normsetzungsvollmachten" der Bischofskonferenz, um die Kompetenz dieser Institution für den Erlaß von Gesetzen, allgemeinen Dekreten, allgemeinen Ausführungsdekreten und Instruktionen zusammenzufassen, nicht ohne selbst diesen Begriff als Wortungetüm zu qualifizieren. 36 Statut der Deutschen Bischofskonferenz, approbiert am 22.1.1985, abgedruckt bei: R. Astorri, Statuti (Anm. I), 81-95; AfkKR 155 (1986) 143-154; zusammen mit anderen Satzungen und Geschäftsordnungen in einem Faszikel auch hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, April 1986, 1-13; im Jahr 1986 auch abgedruckt in den Amtsblättern der bundesdeutschen Diözesen. 37 Peter Krämer, Bischofskonferenz und Apostolischer Stuhl, in: AfkKR !56 ( 1987)
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es nicht anders angeordnet hat. Bei der Publikation in den Amtsblättern ist der Zeitpunkt anzugeben, zu dem der betreffende Erlaß Rechtskraft erlangt38. Dieser Promulgationsmodus wirft einige Fragen auf. Zunächst ist festzuhalten, daß die .. Zustellung" eines Erlasses an die Diözesen zweifellos eine mögliche und zulässige Form der amtlichen Verkündung darstellt, doch bleibt sie zeitlich nicht ganz exakt bestimmbar, zumal das Dekret einer Vielzahl von Adressaten zugestellt werden muß. Um Unklarheiten über den Eintritt der Rechtskraft zu vermeiden, muß daher bei der Promulgation in jedem Fall - nicht nur bei jenen Gesetzen, die in den Amtsblättern publiziert werden, wie es die Formulierung von Art. 16 des Statuts nahelegt ausdrücklich der Zeitpunkt angegeben werden, zu dem die Vorschriften Rechtsverbindlichkeit erlangen. Ein anderes Problem kann sich eventuell mit der Frage ergeben, wer über die Promulgation eines Gesetzes zu entscheiden habe. An der genannten Stelle bestimmt das Statut in indikativischer Formulierung, daß die Promulgation geschehe, indem der Vorsitzende der Konferenz das Gesetz den Diözesen zustellt. Ein Gesetzesbeschluß der Bischofskonferenz, der vom Apostolischen Stuhl rekognosziert wurde, ist noch immer Gesetzesentwurf und wird erst mit der Promulgation zum Gesetz 39 . Soll hier dem Vorsitzenden der Konferenz die Entscheidung überlassen werden, die Beschlüsse zu promulgieren und damit zum Gesetz zu machen oder dies nicht zu tun? Das kann keineswegs der Fall sein, denn die Promulgation geschieht durch den Gesetzgeber, und Gesetzgeber ist die Bischofskonferenz als Kollegium 40 . Im Statnt der Konferenz ist direkt nichts darüber ausgesagt, wodurch die Bischofskonferenz jeweils den Promulgationsbefehl erteilt; ebenso wenig äußert sich die Geschäftsordnung der Konferenz dazu 41 • Vernünftigerweise kann es sich nur so verhalten, daß der Promulgationsbefehl bereits darin besteht, daß die Bischofskonferenz einen promulgationsbedürftigen Erlaß beschließt, und in der Folge der Vorsitzende nach der Rekognoszierung des Beschlusses durch den Apostolischen Stuhl aufgrund des Statuts amtlich verpflichtet ist, die Zustellung und damit die Promulgation abzuwickeln 42 . Eine eigenständige Promulgationskompetenz des Vorsitzenden der Bischofskonferenz bleibt dabei ausgeschlossen. 127-139, 137, und ebenso ders., Das Verhältnis der Bischofskonferenz zum Apostolischen Stuhl, in: Die Bischofskonferenz (Anm. 2), 256-270, 268, unterstellt fälschlich, daß die Veröffentlichung in den Amtsblättern den Promulgationsakt ausmache. 38 Statut der Deutschen Bischofskonferenz (Anm. 36) Art. 16 Abs. I Satz 3. 39 W. Aymans, Lex Canonica (Anm. 4), 342. 40 Siehe c. 455 § 3 CIC. 41 Geschäftsordnung der Deutschen Bischofskonferenz, abgedruckt in: AfkKR 155 (1986) 155-165; auch im Faszikel des Sekretariats der Konferenz (Anm. 36), 14-24.
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Ein weiterer Aspekt, auf den hingewiesen werden muß, ist die Tatsache, daß in diesem Verfahren Promulgation und Publikation der Normen auseinanderfallen. Das ist ohne Zweifel im kanonischen Recht gesetzgebungstechnisch zulässig und kann im Fall einer besonders gelagerten Gesetzesmaterie sogar wünschenswert sein. In der Regel aber macht es doch wenig Sinn, wenn gesetzliche Bestimmungen den Diözesen, d. h. in der Praxis dem Diözesanbischof und seiner Kurie, amtlich verkündet werden, wo sie inhaltlich ohnehin längst bekannt sind. Es erscheint normalerweise zweckmäßiger, wenn ein Gesetz mit der Promulgation der angesprochenen Rechtsgemeinschaft tatsächlich und in authentischer Form 43 bekannt gemacht wird. Die verschiedenen Fragen, die im Zusammenhang mit dem Promulgationsverfahren für Gesetze der Deutschen Bischofskonferenz auftreten, ließen sich am einfachsten lösen durch die Herausgabe eines eigenen amtlichen Promulgationsorgans der Konferenz, wie es seit langem gefordert wird 44 . Die Promulgation könnte mit Ausnahme höchst seltener Sonderfälle durch Abdruck der Erlasse in diesem Amtsblatt vorgenommen werden und die Verordnungen kämen auf diesem Weg tatsächlich zur Kenntnis der Betroffenen 45 . Daß bis heute kein eigenes Amtsblatt der Deutschen Bischofskonferenz existiert, liegt kaum an den dabei anfallenden geringen Kosten, sondern wohl vor allem an sachlich unbegründeten Bedenken, daß dem Sekretariat der Bischofskonferenz mit diesem Organ zu großer Einfluß zuwachse46. Hinter solche Überlegungen tritt das Anliegen der größeren Rechtssicherheit zurück, die durch ein Amtsblatt gefördert würde. 42 Vgl. Heribert Schmitz, Vom schwierigen Umgang mit Beschlüssen der Deutschen Bischofskonferenz, in: AfkKR 147 (1978) 406-423, 422. 43 Die zum 1.8.1986 in Kraft getretenen Partikularnormen der Deutschen Bischofskonferenz wurden in dreiundzwanzig deutschen Amtsblättern veröffentlicht. Daß allein in vier von diesen Organen späer Berichtigungen zur Publikation der Normen abgedruckt werden mußten, sollte zu denken geben. Siehe die Zusammenstellung bei Pranz Kalde, Die Paarformel ,.Iides - mores". Eine sprachwissenschaftliche und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung aus kanonistischer Sicht, Diss. lic. iur. can., maschinenschr., LMU München 1989, 20 (wird demnächst veröffentlicht). 44 Alexander Hollerbach, Neuere Entwicklungen des katholischen Kirchenrechts (Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, Heft 118), Karlsruhe 1974, 18 bes. Anm. 34. 45 Hans Heimerl, Einige formale Probleme des postkonziliaren allgemeinen Rechts, in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht(= ÖAKR) 24 (1973) 139-159, 156, spricht im Zusammenhang der nur schwer faßbaren Promulgation und Veröffentlichung einiger Dekrete des Apostolischen Stuhls kritisch von ,Geheimerlassen' und fordert: ,.Schon die natürliche Gerechtigkeit verlangt, daß alle Betroffenen davon Kenntnis erhalten und daß ihnen der Wortlaut der sie angehenden Bestimmungen zugänglich ist." Allerdings unterscheidet Heimerl hier nicht genügend deutlich zwischen Promulgation und Publikation. 46 H. Schmitz, Vom schwierigen Umgang (Anm. 42), 422 mit Anm. 46.
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2. Berliner Bischofskonferenz
Die Berliner Bischofskonferenz, die im Jahr 1976 errichtet wurde, besitzt Zuständigkeit für den Bereich der Deutschen Demokratischen Republik 47 . Über das Verfahren zur Promulgation von Gesetzen trifft das Statut der Konferenz keine Entscheidung 48 ; damit beläßt sich der Gesetzgeber die Freiheit, eventuell in jedem Einzelfall anders über den Promulgationsmodus zu befinden. Die Berliner Bischofskonferenz hat nach dem lokrafttreten des CIC/ 1983 am 8. September 1985 49 , am 4. Oktober 198550 , am 29. April 198651 , am 2. März 1987 52 und am 3. Juni 198753 Partikulargesetze erlassen. Die Vorgehensweise war dabei stets dieselbe. Die von der Bischofskonferenz gefaßten Beschlüsse wurden unter Angabe von Datum und Nummer des Konfirmationsdekrets, das die römische Kongregation für die Bischöfe ausgestellt hat, in den Amtsblättern publiziert. Unterzeichnet sind sie vom Vorsitzenden und vom Generalsekretär der Konferenz. Die Promulgation wird jeweils mit folgendem Vermerk geregelt: "Die von der Berliner Bischofskonferenz erlassenen oben aufgeführten allgemeinen Dekrete treten mit der Promulgation im ,Kirchlichen Amtsblatt' bzw. für den Ostteil des Bistums Berlin in den ,Amtlichen Mitteilungen, vom ... in Kraft." 54 Mit dieser Formel macht der Gesetzgeber einschlußweise deutlich, daß der Promulgationsakt in der Publikation der Gesetze in den genannten Organen besteht. Darüber hinaus ist bemerkenswert, daß dieses Verfahren keine Frist der Gesetzesschwebe zwischen Promulgation und Eintritt der Rechtsverbindlichkeit vorsieht. Die Gesetze treten mit der Veröffentlichung in den gleichzeitig jeweils am Monatsersten erscheinenden Amtsblättern in Kraft. Daher kann kein Zweifel über den Termin entstehen, an dem die Normen verbindlich werden. 47 Vgl. Statut der Berliner Bischofskonferenz Art. 1, approbiert am 7.4.1984, abgedruckt bei: R. Astorri, Statuti (Anm. 1), 96-102. Bemerkenswerterweise spricht das Statut vom "Bereich der Deutschen Demokratischen Republik" als Konferenzgebiet der Berliner Bischofskonferenz, um Ost-Berlin einzubeziehen; mit dieser Formulierung sollen offensichtlich politische Festlegungen und die Stellungnahme zu völkerrechtlichen Fragen vermieden werden. 48 V gl. ebd. Art. 11. 49 Kirchliches Amtsblatt der Ordinariate und Bischöflichen Ämter in der DDR (= KAhl) 34 (1985) 41 f.; auch abgedruckt in: AfkKR 154 (1985) 536-538. (Das KAhl erscheint in verschiedenen Ausgaben für die einzelnen Jurisdiktionsbezirke mit einem Stammteil für das Gesamtgebiet der DDR.) 50 KAbl34 (1985) 45; auch abgedruckt in: AfkKR 154 (1985) 538 f. 51 KAbl35 (1986) 25; auch abgedruckt in: AfkKR 155 (1986) 497. 52 KAbl36 (1987) 17; auch abgedruckt in: AfkKR 156 (1987) 164 f. 53 KAbl36 (1987) 30; auch abgedruckt in: AfkKR 156 (1987) 527. 54 Am 3. Juni 1987 wurde nur ein Dekret erlassen und dieser Text (siehe Anm. 53) entsprechend modifiziert verwendet.
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Der Promulgationsmodus der Berliner Bischofskonferenz hat freilich auch seine Tücken, die in der Verwendung von zwei Promulgationsorganen begründet liegen 55. Die Konferenz promulgiert ihre Normen in ihrem territorialen Vollmachtsbereich primär - so legt es der angeführte Wortlaut der Promulgationsweisung nahe - im Kirchlichen Amtsblatt der Ordinariate und Bischöflichen Ämter in der DDR. Davon ist jedoch ein Teil des Konferenzgebiets ausgenommen, nämlich der Ostteil des Bistums Berlin, für den die Promulgation mittels der dort erscheinenden Amtlichen Mitteilungen erfolgt. Aufgrund der Formulierung der Promulgationsweisung drängt sich die Ansicht auf, daß die Bischofskonferenz hier nicht einen einzigen Promulgationsakt setzt in Gestalt der parallelen Veröffentlichung in zwei Organen, sondern daß der Gesetzgeber das Konferenzgebiet gleichsam teilt und für jede Teilregion eigenständig ein freilich völlig identisches Gesetz amtlich verkündet und in Geltung setzt. Damit verknüpft sich die m. W. bisher unerörterte Frage, ob die Bischofskonferenz überhaupt Gesetze erlassen kann, die nur für einen Teil ihres Territoriums gelten sollen; ihre Behandlung kann hier unterbleiben, da sie nur mittelbar mit dem formalen Aspekt der Gesetzespromulgation zusammenhängt. Hinter dem Promulgationsverfahren, das die Berliner Bischofskonferenz bisher regelmäßig für ihre Erlasse verwendet hat, steht wahrscheinlich das Anliegen, die durch das Gesetz Verpflichteten möglichst rasch und unmittelbar zu erreichen, indem Promulgation und Publikation in eins fallen. Dabei tun sich aber Fragen auf, die z. B. dadurch vermieden werden könnten, daß die Promulgation der Gesetze allein durch die so qualifizierte Form der Veröffentlichung im Kirchlichen Amtsblatt geschieht, während dieselben Normen gleichzeitig in den Amtlichen Mitteilungen in einfacher, für das Gesetzgebungsverfahren als solches belangloser Weise publiziert werden. 3. Österreichische Bischofskonferenz Die Österreichische Bischofskonferenz, deren Statut nichts über das Verfahren zur Promulgation ihrer Gesetze enthält 56 , hat sich nach dem Erlaß des neuen CIC zur Schaffung eines eigenen Amtsblattes entschlossen und zum ersten Jahrestag der Promulgation des CIC am 25. Januar 1984 die erste Ausgabe dieses offiziellen Organs herausgebracht 57 . In dem Dekret vom 20. 55 Auch beim Promulgationsverfahren der Schweizer Bischofskonferenz (siehe unten III.4) bestehen die Schwierigkeiten in der Einbeziehung mehrerer Amtsblätter, sind aber doch anders gelagert. 56 Vgl. Statut der Österreichischen Bischofskonferenz (Anm. 1). 57 Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz Nr. 1 vom 25. Jänner 1984; dazu Hugo Schwendenwein, Die Durchführung des CIC durch die Österreichische Bischofskonferenz, in: ÖAKR 35 ( 1985) 178-198, 182 f.
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Dezember 1983 über die Herausgabe des Amtsblattes, das die Unterschriften von Kardinal Pranz König als Vorsitzendem und Dr. Alfred Kostelecky als Sekretär der Bischofskonferenz trägt 58 , heißt es, daß dieses Amtsblatt als Promulgationsorg an der Konferenz dient, "in dem gemäß can. 8 § 2, can. 29 und can. 455 § 3 alle ihre Gesetze, allgemeinen Dekrete, Ausführungsbestimmungen und Instruktionen veröffentlicht werden" 59 . Es bleibt somit kein Zweifel, daß jene Erlasse der Österreichischen Bischofskonferenz, die promulgationsbedürftig sind, durch die Publikation in diesem Organ amtlich verkündet werden. Im selben Dekret ist verfügt, daß die Bestimmungen jeweils an dem Tag Rechtskraft erlangen, dessen Datum die entsprechende Nummer des Amtsblatts trägt. Bis heute hat die Österreichische Bischofskonferenz am 1. Juni 1984 60 und am 15. April 1989 61 noch zwei weitere Nummern ihres Amtsblatts herausgegeben und sich dabei erneut dieses zweckmäßigen Instruments zur Promulgation ihrer Dekrete bedient.
4. Schweizer Bischofskonferenz Die Schweizer Bischofskonferenz legt sich in ihrem Statut nicht auf einen bestimmten Modus für die Promulgation ihrer Gesetze fest 62 und behält so eine große Freiheit, bei jedem einzelnen gesetzgeberischen Akt das Promulgationsverfahren zu bestimmen. In einem ersten Dekret der Konferenz mit vorläufigen "Ausführungsbestimmungen zum neuen Kirchenrecht", erlassen am 29. November 1983 63 , ist eine Bestimmung über die Promulgation dieser 58 Amtsblatt (Anm. 57), I; auch abgedruckt in: AfkKR 153 (1984) 160, sowie in: ÖAKR 34 (1983/84) 375. 59 Ebd.; bei den angeführten Canones hätte der Vollständigkeit wegen auch c. 31 über die allgemeinen Ausführungsdekrete aufgenommen werden sollen, denn es ist aufgrund der Erwähnung der niedriger einzustufenden Instruktionen (c. 34) nicht anzunehmen, daß die Bischofskonferenz sich prinzipiell nicht auf die Veröffentlichung der promulgationsbedürftigen allgemeinen Ausführungsdekrete festlegen wollte, zumal diese unter dem Begriff "Ausführungsbestimmungen" im Text des Dekrets selbst vermutlich erlaßt sein sollen. 60 Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz Nr. 2; die Dekrete der Konferenz aus dem Jahr 1984 (Amtsbläter Nr. I und Nr. 2) sind in einer der Systematik des CIC folgenden Anordnung auch abgedruckt in: ÖAKR 34 (1983/84) 375-406. 61 Amtsblatt Nr. 3. (Die einzelnen Kundmachungen des Amtsblattes wurden bisher fortlaufend numeriert und die Seiten unabhängig vom Erscheinungsjahr durchpaginiert.) 62 Vgl. Statut der Schweizer Bischofskonferenz, approbiert am 20.9.1975, abgedruckt bei R. Astorri, Statuti (Anm. 1), 196-198. 63 Schweizerische Kirchenzeitung (= SKZ) 151 (1983) 764. Es ist wichtig festzuhalten, daß mit "Ausführungsbestimmungen" hier wegen der einleitenden Berufung auf
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gesetzlichen Vorschriften nicht enthalten. Dieses Dekret ist unter dem Datum des 9. Dezember 1983 vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz unterzeichnet und in der Nummer 51-52/1983 der Schweizerischen Kirchenzeitung vom 22. Dezember 1983 abgedruckt. Als Promulgationsverfahren kommen allem Anschein nach drei Vorgänge in Frage: a) der ,.Erlaß" des Dekrets durch die Bischofskonferenz64 ; b) die Unterzeichnung durch den Vorsitzenden; c) die Publikation in der Kirchenzeitung. Ein Zeitpunkt für das Inkrafttreten ist nicht festgesetzt, doch legt es sich aus der Natur der Sache (Fortgeltung des im Rahmen der Zuständigkeit der Bischofskonferenz bzw. der Diözesanbischöfe stehenden bisherigen Rechts bis zum Erlaß neuer Bestimmungen) nahe, daß dieses ,.Dekret" sofort Rechtskraft erlangen soll. Daher ist es wohl am zutreffendsten, wenn man unterstellt, daß die Schweizer Bischofskonferenz diese Bestimmung mit dem Erlaß zugleich promulgieren und ohne Gesetzesschwebe in Kraft setzen wollte. Über die Frage des Promulgationsverfahrens hinaus ist kritisch anzumerken, daß diese explizit von der Bischofskonferenz erlassenen und von ihrem Präsidenten unterzeichneten Vorschriften sich auch auf den Kompetenzbereich der einzelnen Diözesanbischöfe beziehen und die Unterscheidung der verschiedenen Gesetzgeber, die hier tätig sind, nicht deutlich erkennbar wird. Am 3. Juli 1985 erließ die Bischofskonferenz erneut ein Dekret, mit dem eine erste Serie ergänzender Partikularnormen zum CIC geschaffen wurde 65 • Die Promulgation dieser gesetzlichen Bestimmungen erfolgte ausdrücklich mit der Publikation in der Schweizerischen Kirchenzeitung am 18. Juli 198566 • An gleicher Stelle tut die Bischofskonferenz ihre Absicht kund, künftig weitere Partikularnormen im Sinn von c. 455 CIC durch gleichzeitige Veröffentlichung in den kirchlichen Amtsblättern ,.Schweizerische Kirchenzeitung", ,.Evangile et Mission" und ,.Il Monitore ecclesiastico della diocesi di Lugano" zu erlassen 67 . In Anlehnung an das ausdrücklich statuierte Promulgationsverfahren für die Normen vom 3. Juli 1985 hat als Promulgationsakt für solche künftigen Gesetze wahrscheinlich jeweils die Publikation in der Schweizerischen Kirchenzeitung zu gelten, da das Datum der entsprechenc. 455 § 2 CIC nicht nur .,decreta generalia exsecutoria" im Sinn von cc. 31-33 CIC gemeint sind, sondern vor allem auch Gesetze. 64 Eine recognitio des Dekrets durch den Apostolischen Stuhl, wie sie von c. 455 § 2 CIC verlangt wird, war in diesem Fall nicht nötig, da sich die Konferenz auf Richtlinien des Staatssekretariats (N. 120.568/236) berufen konnte. Offenbar handelt es sich hier um jenen Brief vom 8.11.1983 an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen, der die Ermächtigung erteilte, entsprechend tätig zu werden. Siehe James H. Provost in: The Code of Canon Law. A Text and Commentary, ed. by James A. Coriden I Thomas J. Green I Donald E. Heintschel, New YorkiMahwah 1985, 369 Anm. 33. 65 SKZ 153 (1985) 472-474; auch abgedruckt in: AfkKR 154 (1985) 540-548. 66 Ebd. (Nr. 5 des Dekrets). 67 Ebd. (Nr. 1 des Dekrets).
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den Nummer dieses Organs den Zeitpunkt der Promulgation58 und damit der einen Monat später eintretenden Rechtsverbindlichkeit 69 der Partikulargesetze bestimmt. Leider wird ausdrücklich nur gesagt, daß die Publikation in der Schweizerischen Kirchenzeitung den Zeitpunkt der Promulgation bestimmt, nicht aber, daß dies der Promulgationsakt selbst ist. Die Formulierung des genannten Dekrets (Nr. 1: " ... Partikularnormen zum CIC werden durch gleichzeitige Veröffentlichung in den drei kirchlichen Amtsblättern ... erlassen.") läßt auch die Ansicht zu, daß die Promulgation durch die dreifache Publikation erfolge. Wenn es sich so verhält, dann kann gegebenenfallstrotzder Veröffentlichung eines Gesetzes der Bischofskonferenz in der Schweizerischen Kirchenzeitung kein Promulgationsakt gesetzt sein, wenn nämlich aufgrund eines Versehens die Publikation in einem der beiden anderen Organe unterlassen wurde. Freilich ist noch eine Heilung des unvollständigen Promulgationsakts durch nachträglichen Abdruck des Gesetzes möglich, wobei sich jedoch Unklarheiten über den Zeitpunkt der amtlichen Gesetzesverkündung ergeben müssen. Und wie steht es, wenn der Herausgeber oder die Redaktion eines Organs die Publikation eines Gesetzes verweigern und damit die Promulgation blockieren? Die Bischofskonferenz wird dann wohl nicht umhin können, ein anderes Promulgationsverfahren festzulegen. Aus diesen Überlegungen wird ersichtlich, daß die Formulierungen des Dekrets der Schweizer Bischofskonferenz vom 3. Juli 1985 bezüglich der Promulgation ihrer Gesetze zumindest nicht ganz eindeutig und befriedigend sind. Eine klare Festlegung des Promulgationsakts auf die Gesetzesveröffentlichung etwa in der Schweizerischen Kirchenzeitung wäre wünschenswert und würde der Rechtssicherheit dienen. Eine Verbesserung des nur unscharf zu fassenden Promulgationsverfahrens für Gesetze der Bischofskonferenz ist auch im Zusammenhang des Erlasses weiterer Schweizer Partikularnormen am 21. Januar 198670 , am 9. April 198771 , am 2. Februar 198872 , am 30. November 198873 und am 15. März 198974 nicht vorgenommen worden. Vielmehr wurde hinsichtlich der Veröffentlichung und des Inkrafttretens dieser Normen stets auf das oben erwähnte Dekret vom 3. Juli 1985 verwiesen und damit das dort beschriebene, aus kanonistischer Sicht nicht voll zufriedenstellende Promulgationsverfahren regelmäßig zur Anwendung gebracht. Ebd. (Nr. 2 des Dekrets). Ebd. (Nr. 3 des Dekrets). Die Bischofskonferenz legt in Anwendung von c. 455 § 3 CIC als Zeitraum der Gesetzesschwebe einen Monat fest; das entspricht der Ordnung von c. 8 § 2, wo diese Frist für partikulare Gesetze als Regelfall vorgesehen ist. 70 SKZ 154 (1986) 70f.; auch abgedruckt in: AfkKR 155 (1986) 498-500. 71 SKZ 155 (1987) 309; auch abgedruckt in: AfkKR 156 (1987) 165 f. 72 SKZ 156 (1988), 109-117. 73 SKZ 157 (1989) 98 f. 68
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IV. Zusammenfassung und Ergebnis Die allgemeine Normsetzung im Bereich des kanonischen Rechts ist durch ein eigenartiges Nebeneinander von gesetzlichen, gesetzesgleichen, gesetzesausführenden und die Anwendung von Gesetzen regelnden Bestimmungen geprägt, die häufig kaum voneinander zu unterscheiden sind, weil ein amtlich-objektiver Gesetzesbegriff fehlt und kein einheitliches begriffliches System zur Benennung der verschiedenen Normen in Gebrauch ist. Nicht selten werden durch den Gesetzgeber Erlasse verschiedenen Rechtscharakters mit ein und demselben Begriff (z. B. "Dekret") bezeichnet; bisweilen kann man sich sogar des Eindrucks nicht erwehren, daß das rechtsetzende hoheitliche Organ sich selbst nicht ganz darüber im klaren ist, mit welchem Mittel aus dem zur Verfügung stehenden Instrumentarium es seine Absicht rechtlich zur Durchsetzung bringt und ob es beispielsweise auf dem Feld der Gesetzgebung oder der Verwaltung tätig wird. Eine Untersuchung des formalen Vorgehens hilft bei der Klärung dieser Fragen nicht immer weiter; oft bleibt die Unsicherheit über den Rechtscharakter einer Vorschrift bestehen, in den meisten Fällen jedoch ohne daß dadurch deren Verbindlichkeit in Zweifel zu ziehen wäre. Leider unterscheiden sich die Bischofskonferenzen als Gesetzgeber hierin nicht von anderen kirchlichen Legislatoren 75 . Die Promulgation zählt zu den äußerlich-formalen Merkmalen des kirchlichen Gesetzes und stellt das letzte unverzichtbare Stadium des Gesetzgebungsverfahrens dar. Hier wurde im besonderen untersucht, welche Rolle die Gesetzespromulgation im Normsetzungsverfahren vergleichsweise junger Gesetzgebungsorgane spielt und wie die vier deutschsprachigen Bischofskonferenzen den Promulgationsakt konkret gestaltet haben. Aus den dabei angestellten Überlegungen lassen sich für die Promulgation als autoritative Gesetzeskundmachung allgemein zwei Forderungen erheben: 1. Der Promulgationsakt muß formal und zeitlich genau bestimmt und eindeutig sein, denn von der rechtmäßigen Promulgation hängt die Verpflichtungskraft eines Gesetzes ab (Lex non obligat nisi promulgata) und vom Zeitpunkt der Promulgation leitet sich gewöhnlich der Eintritt der Rechtsverbindlichkeit einer Vorschrift her. 2. Zwischen Promulgation und Publikation eines Gesetzes soll ein enger Zusammenhang bestehen. Die staatliche Rechtsordnung beispielsweise der Bundesrepublik Deutschland verlangt mit der Autorität des Verfassungsrechtes diesen Zusammenhang sogar zwingend, wenn das Grundgesetz Art. 82 Abs. 1 vorschreibt, daß alle Gesetze durch den Bundesrpräsidenten im Bundesgesetzblatt verkündet werden müssen 76 . Eine gesetzliche Vorschrift 74
SKZ 157 (1989) 547.
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V gl. dazu die Anregungen von H. Schmitz, Vom schwierigen Umgang (Anm. 42),
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kann die mit ihr verknüpfte Absicht nur dann entfalten, wenn sie den Betroffenen auch tatsächlich und in verläßlicher Form bekannt wird. Das liegt in der ureigenen Intention des Gesetzgebers; die Verwirklichung geschieht am zuverlässigsten dann, wenn der Gesetzgeber selbst und unmittelbar für die Veröffentlichung und Verbreitung seiner Vorschriften sorgt. Außerdem hat jedes Gesetz wesenhaft einen Öffentlichkeitscharakter und verlangt seiner Natur entsprechend nach Publizität unter den betroffenen Rechtsgenossen. Im Hinblick auf die Gesetzgebung der Bischofskonferenzen lassen sich diese beiden Anliegen am besten mit Hilfe eines Amtsblattes erfüllen, in welchem grundsätzlich die gesetzlichen Normen durch Veröffentlichung promulgiert werden 77 . Dieses Verfahren würde auch der regelmäßig angewandten Praxis des Apostolischen Stuhles entsprechen, der sich prinzipiell der Acta Apostolicae Sedis zur amtlichen Verkündung seiner Normen bedient. In ganz seltenen Ausnahmefällen könnte die Bischofskonferenz aufgrund besonderer Umstände trotzdem noch von diesem Modus abweichen und ein anderes Promulgationsverfahren wählen, das jedoch ausdrücklich als solches zu kennzeichnen wäre. Im Regelfall aber wird durch die Publikation eines Erlasses im Amtsblatt der Bischofskonferenz seine Promulgation zum Ausdruck gebracht. Zugleich wird aus einem eigenen Vermerk im Erlaß (bzw. aus dem Ausgabedatum des Amtsblattes in Verbindung mit einer generell festgesetzten Frist der Gesetzesschwebe) ersichtlich, wann die betreffenden Normen Rechtskraft erlangen. Wenn sich eine Bischofskonferenz jedoch aus irgendwelchen Gründen nicht zur Herausgabe eines eigenen Amtsblattes entschließen kann, sollte sie wenigstens eindeutig ein schon bestehe~1des offizielles Organ oder eine Publikationsreihe 78 zusätzlich mit der Funktion betrauen, Gesetze der Bischofskonferenz durch Veröffentlichung zu promulgieren. Unter den hier im einzelnen untersuchten Bischofskonferenzen des deutschen Sprachraums ist es allein der Österreichischen Bischofskonferenz gelungen, mit der Herausgabe eines eigenen Amtsblattes ein einwandfreies Verfahren für den Regelfall der Gesetzespromulgation zu schaffen 79 . Es steht 76 Es handelt sich um eine generelle Gültigkeitsvoraussetzung, der selbst Notstandsgesetze unterliegen. Theodor Maunz in: Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz (Lfg. 1-27), München 1989, Art. 82 Rdnr. 8. 77 SoauchH. Heimerl I H.Pree, Kirchenrecht (Anm. 18), 35; P.Krämer, Verhältnis (Anm. 37), 268. 78 Für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz käme z. B. die vom Sekretariat der Konferenz herausgegebene Reihe "Die Deutschen Bischöfe" in Frage. 79 Über eigene Amtsblätter verfügen auch die Französische und die Spanische Bischofskonferenz. L. Wächter, Gesetz im kanonischen Recht (Anm. 7), 327. Für die USA muß J. H. Provost (Anm. 64), 373, im Jahr 1985 bedauernd feststellen, daß Erlasse der Bischofskonferenz weder in einem amtlichen Organ publiziert sind noch in einer offiziellen Sammlung vorliegen.
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zu hoffen, daß andere Bischofskonferenzen diesem Beispiel folgen und eine zweckmäßigere Gesetzgebungstechnik entwickeln. Sie könnten auf einfache Weise wenigstens hinsichtlich der amtlichen Gesetzesverkündung einen Beitrag zur größeren Durchschaubarkeit der durch viele Fragen gekennzeichneten Normsetzung und damit zur höheren Rechtssicherheit leisten.
DER AD-LIMINA-BESUCH DES BISCHOFS
Zur neueren Entwicklung der rechtlichen Grundlagen Von Johann Hirnsperger, Salzburg Bischof Dr. Alfred Kostelecky ist vor allem aufgrund seiner Tätigkeit als Militärordinarius von Österreich und als langjähriger Sekretär der Österreichischen Bischofskonferenz mit der Einrichtung des Ad-limina-Besuchs in Theorie und Praxis bestens vertraut. In den folgenden Ausführungen sollen nach dem rechtsgeschichtlichen Überblick die wichtigsten der zur Zeit geltenden rechtlichen Grundlagen dieser im Leben der Teilkirchen und der Weltkirche sehr bedeutsamen Einrichtung skizziert werden. Die mit diesem Beitrag verbundenen Intentionen wären erfüllt, wenn es gelänge, das Verständnis für Sinn und Bedeutung des Ad-limina-Besuchs zu fördern und ihn für eine breitere Öffentlichkeit transparenter zu machen. I. Rechtsgeschichtliche Entwicklungsgänge
Mit ,.visitatio liminum Apostolorum" bzw. ,.visitatio ad limina Apostolorum" bezeichnet man zunächst in einem allgemeinen Sinn dieWallfahrt zu den Grabstätten der heiligen Apostel Petrus und Paulus und zu anderen Kirchen in der Stadt Rom. 1 In spezifisch kanonistischem Sinn ist mit diesem Fachausdruck jener Besuch beim Apostolischen Stuhl bzw. beim Papst gemeint, den Bischöfe und andere kirchliche Oberekraft kanonischer Vorschrift in regelmäßigen zeitlichen Abständen durchführen müssen. Ursprünglich verstand man unter ,.limina martyrum" die Eingangstür oder die Schwellen der Tür zu den Grabstätten der heiligen Märtyrer. In der Zeit der Spätantike nahm im kirchlichen Sprachgebrauch das Wort ,.limina" auch die Bedeutung von Kirche im Sinn von Gotteshaus an. Davon ausgehend wurde ,.limina Apostolorum" zum stehenden Fachterminus für die römischen Basiliken, besonders für die Kirchen St. Peter und St. Paul. 1 Zum folgenden vergleiche besonders V. Carce/ Orti, Nota storico-giuridica, in: Direttorio per Ia visita "ad limina", Typ. Pol. Vat. 1988, S. 30ff.; K. Schrod, Art.: Visitatio liminum Apostolorum, in: Wetzerund Welte's Kirchenlexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hülfswissenschaften, Bd. XII, Freiburg i. Br. 1901, Sp. 1011 ff.; H. Straub, Art.: Visitatio liminum (Apostolorum), in: LThK 2, Bd. X, Sp. 812 f.; F. Claeys-Bouuart, Art.: Eveques, in. DDC, tom. V, Sp. 569 ff.
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Schon in frühchristlicher Zeit reisten Bischöfe nach Rom, um an den Grabstätten der Apostel zu beten und um ihre Verbundenheit mit dem Nachfolger des hl. Petrus zu bekunden. Romfahrten dienten aber auch dazu, kirchliche, besonders seelsorgliche Fragen von großer Tragweite mit den höchsten kirchlichen Stellen zu erörtern und zu entscheiden. Romfahrten gaben den Bischöfen stets Gelegenheit, den Papst über die Lage der Kirche in ihren Heimatgebieten persönlich unterrichten zu können oder notwendige Vollmachten zu erbitten. Bereits im vierten Jahrhundert sind pflichtmäßig vorgeschriebene Romfahrten bezeugt. 2 Für die Bischöfe Italiens und der benachbarten Inseln bestand die Vorschrift, alljährlich zum Provinzialkonzil nach Rom zu kommen oder wenigstens Vertreter zu entsenden. Papst Gregor der Große (590 -604) dehnte schließlich den Termin auf alle fünf Jahre aus. Bei der römischen Synode im Jahr 743 wurde festgelegt, daß vom Papst geweihte und nahe bei Rom residierende Bischöfe sich jährlich im Mai nach Rom begeben müssen. Entsprechende Verpflichtungen jener Bischöfe, deren Residenzort weiter entfernt war, regelten sich nach dem Inhalt des bei der Weihe gegebenen Versprechens. Unter den Päpsten Paschalis II. (1099 - 1118) und Innozenz 111. (1198- 1216) wurden zunächst die Metropoliten und schließlich alle Bischöfe zur jährlichen "visitatio ad limina" verpflichtet. Gemäß der in die Dekretalensammlung Gregors IX. (1227 - 1241) aufgenommenen Eidformel mußten die Bischöfe das Versprechen abgeben, entweder persönlich oder durch einen Abgesandten der Verpflichtung zum jährlichen Ad -liminaBesuch nachzukommen. (V gl. c. 4 x 2, 24) 3 Diese strenge Disziplin erwies sich in der Praxis als äußerst unbefriedigend und belastend, so daß in der Folgezeit sehr häufig um Dispensen nachgesucht werden mußte. Im Zuge der Verwirklichung der vom Trieuter Konzil (1545 - 1563) angeregten Reformen ordnete Papst Sixtus V. (1585- 1590) in der Apostolischen Konstitution "Romanus Pontifex" vom 20. Dezember 1585 den Ad-liminaBesuch rechtlich neu. 4 Einen beträchtlichen Zuwachs an Bedeutung gewann diese Institution durch die Anordnung, daß die Bischöfe in regelmäßigen zeitlichen Abständen über den geistlichen und materiellen Zustand ihrer Diözesen nach Rom zu berichten haben. Der Papst erhielt dadurch authentische Informationen und gewann einen umfassenden Einblick in die Lage der 2 Vgl. J. B. Sägmüller, Die Visitatio liminum ss. apostolorum bis Bonifaz VIII., in: ThQ 82 (1900), s. 69 ff.
3 Vgl. Corpus Iuris Canonici. Hrsg. v. E. Friedberg, pars II, Graz 1955, unv. Nachdr. der Ausg. von Leipzig 1879, Sp. 360. Zur Interpretation der Stelle siehe J. Cottier, Elements nouveaux des normes de Ia visite .ad limina. et leur valeur juridique respective, des Decretales au Concile de Trente, in: EIC 8 (1952), S. 174 ff. 4 Der Text der Apost. Konstitution ist abgedruckt in Magnum Bullarium Romanum. Bullarium privilegiorum ac diplomatum Romanerum amplissima collectio, tom. IV, pars IV, Graz 1965, unv. Nachdruck d. Ausg. von Rom 1747, S. 173 ff.
Der Ad-Limina-Besuch des Bischofs
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einzelnen Diözesen. Er wurde auf diese Weise in die Lage versetzt, die Bemühungen in den Teilkirchen um die Festigung der katholischen Religion besser zu unterstützen. Was den Rombesuch anging, traf Papst Sixtus V. folgende Regelungen: Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe und Bischöfe mußten genauso wie die Kardinäle vor dem Empfang der Weihe bzw. der Übergabe des Palliums oder vor der Transferierung auf einen anderen Bischofsstuhl unter Eid versprechen, den Ad-limina-Besuch persönlich durchzuführen und dabei den Papst über ihren Seelsorgedienst zu unterrichten sowie notwendige Instruktionen einzuholen. Die Vertretung durch einen Prokurator oder Delegaten war nur im Falllegitimer Verhinderung erlaubt. Um die Bischöfe zu entlasten und die Abwicklung der Ad-limina-Besuche zu erleichtern, setzte Sixtus V. die Fristen neu fest: In jedem dritten Jahr sollten die Bischöfe Italiens, der benachbarten Inseln und Küstengebiete nach Rom kommen, alle vier Jahre die der West- und mitteleuropäischen Diözesen bis zur Nord- und Ostsee sowie von Großbritannien. Ein Fünfjahrerhythmus galt für die Bischöfe der übrigen europäischen Diözesen und der im nördlichen Afrika sowie auf den Inseln im Atlantik gelegenen Bistümer. Alle übrigen Bischöfe mußten alle zehn Jahre nach Rom reisen. Um Aufschübe des Ad-limina-Besuchs nach Möglichkeit auszuschließen, wurde vom Papst festgelegt, daß die Bischöfe bereits ab dem Zeitpunkt des Weiheempfangs, dem Erhalt des Palliums oder der Transferierung zum Besuch beim Papst verpflichtet sind und Zeiten der Sedisvakanz nicht als Unterbrechung der jeweiligen Fristen gelten dürfen. Bei Verstößen gegen die Bestimmungen von "Romanus Pontifex" waren schwere Kirchenstrafen, vor allem die ipso facto eintretende Suspendierung von der Verwaltung der Diözese vorgesehen. Den neuen Vorschriften entgegenstehende Privilegien, Dispensen und Konzessionen wurden durch eine entsprechende Derogationsklausel aufgehoben. Die Kontrolle der Ad-limina-Besuche und die Prüfung der bischöflichen Berichte über ihre Diözesen fielen in den Kompetenzbereich der von Papst Sixtus V. mit der Apostolischen Konstitution "Immensa aeterni Dei" vom 22. Jänner 1588 ins Leben gerufenen Konzilskongregation. 5 Die tiefgreifenden Reformen von Papst Sixtus V. bedeuteten nicht nur eine Weichenstellung für die weitere rechtsgeschichtliche Entwicklung der Einrichtung des Ad-limina-Besuchs, sondern machten ihn zu einem vorzi!g_lichen und segensreichen Instrument bei der Erneuerung der Kirche im Sinne der Reformbeschlüsse des Trienter Konzils. 5 Der Text von .Immensa aeterni Dei" ist veröffentlicht in Magnum Bullarium Romanum (Anm. 4), S. 392 ff.
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Die von den Päpsten in der folgenden Zeit durchgeführten Reformen beließen die wesentlichen Elemente des Ad-limina-Besuchs, wie sie Papst Sixtus V. festgelegt hatte, unverändert: Besuch und Verehrung der Grabstätten der heiligen Apostel Petrus und Paulus in den betreffenden Basiliken, Begegnung mit dem Heiligen Vater und Vorlage des Berichts über den Zustand der Diözese. Papst Benedikt XIV. (1740- 1758) errichtete 1740 an der Konzilskongregation die "Congregatio particularis super statu ecclesiarum". 6 Aufgabe dieser bis zur Kurienreform 1908 bestehenden Kurialstelle war es unter anderem, die Berichte der Bischöfe über die Diözesen entgegenzunehmen und zu prüfen. Seit der Errichtung der Kongregation für die Glaubensverbreitung am 22. Juni 1622 waren die Bischöfe der meisten Missionsgebiete verpflichtet, ihre Berichte entsprechend der neuen Kompetenzverteilung an dieses Dikasterium zu senden. In einer von Papst Benedikt XIII. (1724 - 1730) erlassenen und von Papst Benedikt XIV. bestätigten einschlägigen Instruktion wurde angeordnet, daß die bischöflichen Berichte über folgende Punkte Aufschluß geben müssen: materielle Situation der Kirche und ihrer Einrichtungen; persönliche Pflichterfüllung der Bischöfe; Zustand des Welt- und Regularklerus, der Frauenklöster, des Seminars, der Kirchen, Bruderschaften und milden Stiftungen, des Volkes insgesamt; schließlich die sogenannten postulata, also Bitten um päpstliche Gunsterweise, Vollmachten u. ä. 7 Dieser detaillierte Fragenkatalog war notwendig geworden, weil sich viele Bischöfe mit kurz gefaßten, wenig aufschlußreichen Angaben über ihre Diözesen in den Berichten begnügt hatten. Papst Benedikt XIV. legte auch die Termine für die Ad-limina-Besuche neu fest. Die Bischöfe der Diözesen Italiens und der benachbarten Inseln sollten künftig alle drei Jahre, die übrigen Bischöfe alle fünf Jahre nach Rom kommen. Auf dem I. Vatikanischen Konzil äußerten die Bischöfe den Wunsch nach einem verbesserten, den veränderten Zeiterfordernissen angemesseneren Fragenschema für die Berichte über die Diözesen. Die vorzeitige Beendigung des Konzils verhinderte die weitere Behandlung dieser Materie. Das Anliegen wurde, wenn auch verspätet, insofern erfüllt, als die Konsistorialkongregation zusammen mit dem am 31. Dezember 1909 erlassenen Dekret "Oe relationibus diocesanis et visitatione Ss. Liminum" ein überarbeitetes Fragenformularvorlegte.8 Im Zuge dervon Papst PiusX. (1903- 1914) durchge6 Zur Geschichte dieser Kongregation siehe N. del Re, La Curia Romana. Lineamenti storico-giUridici, 3. ed., Rom 1970 (= Sussidi eruditi 23), S. 405 f. 7 Vgl. J. H. Bangen, Die Römische Kurie, ihre gegenwärtige Zusammensetzung und ihr Geschäftsgang, Münster 1854, S. 177 ff. 8 Das Dekret ist gedruckt in den AAS 2 (1910), S. 13 ff.
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führten Kurienreform war die Zuständigkeit in Fragen des Ad-limina-Besuchs von der Konzilskongregation auf die für die bischöfliche Verwaltung kompetente Konsistorialkongregation übergegangen. Die unter der Überschrift .,Ordo servandus in relatione de statu ecclesiarum" zusammengestellten 150 Fragen nahmen Bezug auf jene Bereiche, die bereits in der Instruktion von Benedikt XIII. genannt waren. 9 Jetzt mußten auch Angaben gemacht werden über Jugenderziehung, Tätigkeiten von Bruderschaften und frommen Vereinigungen, karitative und soziale Unternehmungen, Pressewesen und zum Problem der Lektüre verbotener Schriften. Hinsichtlich der zeitlichen Abstände zwischen den Ad-limina-Besuchen brach die Konsistorialkongregation mit der alten Disziplin und legte fest, daß die Bischöfe unabhängig davon, in welchem Teil der Erde ihre Diözese liegt, grundsätzlich alle fünf Jahre den Ad-limina-Besuch unter Einhaltung der von diesem Dikasterium vorgeschriebenen Reihenfolge zu absolvieren hätten. Diese Regelung trat ab 1. Jänner 1911 in Kraft. Der Codex Iuris Canonici des Jahres 1917 normierte den Ad-limina-Besuch in den cc. 340, 341 und 342 im Rahmen der kodikarischen Umschreibung der zentralen Amtspflichten der Bischöfe. Der Kodex nahm keine wesentliche Änderung an der bestehenden Disziplin vor. Gern. c. 340 § 1 waren alle Bischöfe verpflichtet, in jedem Quinquennium einen Bericht über den Zustand ihrer Diözesen an den Papst einzusenden. Bei seiner Abfassung mußte sich der Bischof an das vom Apostolischen Stuhl ausgearbeitete Fragenformular halten. Bezüglich der Reihenfolge der Berichtsjahre galt weiterhin die seit 1. Jänner 1911 eingeführte Ordnung: Im ersten Jahr war der Bericht zu erstatten von den Bischöfen Italiens, Korsikas, Sardiniens, Siziliens, Maltas und der anderen benachbarten kleineren Inseln. Im zweiten Jahr war der Quinquennalbericht einzusenden von den Bischöfen Spaniens, Portugals, Frankreichs, Belgiens, Hollands, Englands, Schottlands, Irlands mit den anliegenden Inseln. Im dritten Jahr erfolgte die Berichterstattung von den übrigen Bischöfen Europas und der anliegenden Inseln. Im vierten Jahr waren die Bischöfe von ganz Amerika und den benachbarten Inseln an der Reihe. Im fünften Jahr hatten die Bischöfe Afrikas, Asiens, Australiens und der dazugehörenden Inseln ihre Berichte einzusenden. (Vgl. c. 340 § 2) Eine Pflicht zur Ausfertigung des Berichts bestand nicht, wenn die für die Berichterstattung festgesetzte Zeit ganz oder teilweise in die ersten zwei Jahre nach der Besitzergreifung von der Diözese fiel. (Vgl. 340 § 3) Weniger rigoros war die Verpflichtung gefaßt, im Berichtsjahr nach Rom zu reisen zur Verehrung der Apostelgräber und zum Besuch beim Papst: Nur für die Bischöfe in Europa galt die Vorschrift, alle fünf Jahre den Ad-liminaBesuch durchzuführen. Die Bischöfe in außereuropäischen Gebieten mußten 9
Vgl. ebd. S. 17 II.
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nur alle zehn Jahre die Romreise antreten. (Vgl. c. 341) Hatte der Bischof einen Koadjutor, so war es ihm freigestellt, ob er den Ad-limina-Besuch persönlich durchführen oder den Koadjutor entsenden wollte. Unter gewissen Voraussetzungen war sogar die Vertretung durch jedweden geeigneten, in der Diözese wohnhaften Priester zulässig. (Vgl. c. 342) Ein Jahr nach dem Erscheinen des CIC legte die Konsistorialkongregation ein revidiertes, auf das Kodexrecht abgestimmtes Fragenformular für den Quinquennalbericht vor. Auch die Kongregation für die Glaubensverbreitung veränderte den Fragenkatalog für die Berichte aus den Missionen entsprechend der kanonischen Gesetzgebung. 10 Durch Dekret vom 28. Februar 1959 dehnte die Konsistorialkongregation die Verpflichtung zur Erstellung des Ouinquennalberichts und zur Durchführung des Ad-limina-Besuchs auf die Militärbischöfe aus. 11 II. Die neueste Gesetzgebung In den nach dem II. Vatikanischen Konzil erlassenen Dokumenten des Apostolischen Stuhls wird der Ad-limina-Besuch vermehrt unter dem Aspekt der Begegnung und der persönlichen Kontaktnahme zwischen dem Papst und den Bischöfen gesehen. Das im Jahr 1973 von der Bischofskongregation herausgegebene Direktorium über den Hirtendienst der Bischöfe bewertet den Ad-limina-Besuch als eine der Formen des persönlichen Zusammenwirkens des Bischofs mit dem Papst und erklärt: "Visitationem ad limina peragens laetam arripit occasionem videndi Petrum (cf. Gal 1, 18), cum eoque de rebus suae particularis necnon universalis Ecclesiae fraterne colloquendi." 12 Die Verpflichtung zur Erstellung des Quinquennalberichts wird im Direktorium erst an zweiter Stelle erwähnt. Die nachkonziliare Sichtweise kommt besonders deutlich zum Ausdruck in dem von der Bischofskongregation am 29. Juni 1975 erlassenen Dekret "Ad Romanam Ecclesiam", das den Titel trägt: "Oe visitatione Ss. Liminum deque relationibus diocesanis". 13 Im ersten Teils des Dekrets werden theologisch-ekklesiologische Prinzipien dargelegt, der zweite enthält die neuen gesetzlichen Dispositionen. Mit Bezugnahme auf die Lehren des heiligen Irenäus und das Dekret des II. Vatikanischen Konzils "Unitatis redintegratio" wird die Notwendigkeit betont, die Einheit zwischen den Teilkirchen und der Kirche von Rom zu Vgl. AAS 14 (1922), S. 287 ff. Vgl. AAS 51 (1959), s. 272 ff. 12 Directorium de Pastorali Ministerio Episcoporum vom 22. Februar 1973, Typ. Pol. Vat. 1973, S. 51, 13 Der Text ist abgedruckt in AAS 67 (1975), S. 674 ff. 10
II
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wahren und zu festigen. 14 In Rom befindet sich der Bischofsstuhl des hl. Petrus, der das Fundament der Einheit der Bischöfe und der Gläubigen ist. Wie schon Papst Leo der Große gelehrt hat, ist die Aufgabe des hl. Petrus, nämlich Prinzip und Fundament der Einheit zu sein, auf seine Nachfolger übergegangen. Das II. Vatikanische Konzil hat diese Lehre bestätigt, als es in der dogmatischen Konstitution über die Kirche "Lumen gentium" erklärte, daß der Stuhl Petri der gesamten Liebesgemeinschaft vorsteht, die rechtmäßige Verschiedenheit schützt und zugleich darüber wacht, daß die Besonderheiten der Einheit nicht nur nicht schaden, sondern ihr vielmehr dienen. 15 Entsprechend den Aussagen im Konzilsdekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe "Christus Dominus" muß der Papstaufgrund seiner Sendung nicht nur für das Gemeinwohl der Gesamtkirche sorgen, sondern auch für das der einzelnen Kirchen. 16 Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, daß er in den verschiedenen Teilen der Erde in entsprechender Weise persönlich zugegen ist, um die Bedürfnisse und die konkreten Gegebenheiten in den einzelnen Kirchen aus der Nähe kennenzulernen. Wie das Dekret ausführt, ist es dem Papst aufgrund der nunmehr zur Verfügung stehenden Hilfsmittel ermöglicht worden, sich auch in weit entfernte Gebiete zu begeben, um seine Söhne und Brüder zu besuchen. Dennoch muß auch jenen Übungen, in denen sich die kirchliche Gemeinschaft gleichsam auf höchster Ebene seit jeher darstellte, weiterhin größte Bedeutung zukommen. Der Vertiefung der Gemeinschaft zwischen dem Papst und den Bischöfen dienen neben den anderen Möglichkeiten des Kontaktes vor allem die Ad-limina-Besuche. Unter Anspielung auf das Bild des Leibes betont das römische Dekret, in der Kirche müsse jener Bewegung, die von der Mitte zu den Gliedern hin gehe und in gewisser Weise alle Kirchen, ihre Hirten und Gläubigen erreiche, eine Bewegung im entgegengesetzten Sinne zum Zentrum, zum Herzen der Kirche hin entprechen. 17 Der zweite Teil des Dekretes ist der Modifizierung der rechtlichen Grundlagen des Ad-limina-Besuchs gewidmet. Deren Revision ist besonders deswegen geboten, weil infolge der Vermehrung der Zahl der Diözesen und der 14 Folgende Stellen werden zitiert bzw. es wird darauf Bezug genommen: Irenaeus, Adversus haereses, III, 3, 2: PG 7, 848; Decr. de Oecumenismo .Unitatis redintegratio", n. 2: AAS 57 (1965), S. 92. Vgl. AAS 67 (1978), S. 674. 15 Im Text des Dekrets "Ad Romanam Ecclesiam" wird verwiesen auf S. Leo Magnus, Sermo V in anniversario ipsius assumptionis ad Pontificatum, 4: PL 54, 155 und zitiert aus der Const. dogm. de Ecclesia .Lumen gentium", n. 13: AAS 57 (1965), S. 18. Vgl. AAS 67 (1975), S. 674. 16 Zitiert werden Stellen aus dem Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche .Christus Dominus" n. 2: AAS 58 (1966), S. 673. AAS 67 (1975), S. 674. 17 Das Dekret verweist in diesem Zusammenhang auf das apostolische Schreiben von Papst Paul VI. .Sollicitudo omnium Ecclesiarum" vom 24. Juni 1969: AAS 61 (1969), S. 475. Vgl. AAS 67 (1975), S. 675.
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Hirten sowie aufgrund der erleichterten Reisemöglichkeiten in manchen Jahren die Bischöfe scharenweise zum Ad-limina-Besuch kommen, so daß Einzelgespräche mit dem Heiligen Vater oftmals kaum mehr möglich sind. Die in fünf Punkte untergliederten Normen haben in erster Linie die Neueinteilung der Gebiete zum Gegenstand, deren Bischöfe in den dafür vorgesehenen Jahren den Quinquennalbericht vorlegen bzw. den Ad-limina-Besuch durchführen müssen. Die Reform tangiert unmittelbar nur c. 340 § 2 CIC/1917. Wie ausdrücklich festgehalten wird, bleiben die einschlägigen Rechtsnormen in den cc. 340 §§ 1, 3; 341 und 342 CIC/1917 weiterhin in Geltung. Entsprechend der ab 1. Jänner 1976 geltenden Abfolge muß die Berichterstattung im ersten Jahr durchgeführt werden von den Bischöfen Italiens, Spaniens, Maltas, Nordafrikas (Äthiopien, Marokko, Ägypten, Libyen, Algerien, Spanisch-Sahara, Somaliland und Sudan), Westafrikas (Dahomey, Gambia, Ghana, Guinea, Liberia, Elfenbeinküste, Mali, Mauretanien, Sierra Leone, Niger, Nigeria, Senegal, Togo, Obervolta) und Ostafrikas (Kenia, Malawia, Tansania, Uganda, Zambia). Im zweiten Jahr ist der Bericht von den übrigen Bischöfen Europas und Afrikas einzusenden. Im dritten Jahr haben die Bischöfe Nord- und Mittelamerikas, der karibischen Inseln und Ozeaniens die Berichte zu erstellen. Im vierten Jahr sind die Bischöfe der Länder Südamerikas mit Ausnahme von Brasilien, die Bischöfe Südasiens (Bangladesh, Indien, Iran, Pakistan, Sri-Lanka) und des mittleren Orients (Arabien, Irak, Kuwait, Libanon, Palästina, Syrien, Türkei, lateinisches Patriachat von Jerusalem) an der Reihe. Im fünften Jahr berichten die Bischöfe Brasiliens und der übrigen Regionen Asiens. 18 Neben der territorialen Neueinteilung werden im Dekret .Ad Romanam Ecclesiam" besondere Vorkehrungen dafür getroffen, die Ad-limina-Besuche besser vorzubereiten und zu koordinieren. Dem zuständigen päpstlichen Gesandten wird die Aufgabe übertragen, einige Monate vor Beginn des Jahres, in dem der Ad-limina-Besuch fällig ist, die Bischöfe darauf aufmerksam zu machen und die Vorsitzenden der Bischofskonferenz einzuladen, nach Beratung mit den Bischöfen eine Liste mit der Angabe von ein oder mehreren Zeiträumen zu erstellen, in denen sich die Bischöfe entweder einzeln oder bei entsprechenden Umständen auch gruppenweise beim Papst einfinden wollen. Nach Vorliegen dieser Liste ist es Aufgabe derselben Legaten, in Beratungen mit der Präfektur des päpstlichen Hauses einzutreten, um die Termine endgültig zu fixieren. Die Präfektur hat dabei darauf Bedacht zu nehmen, daß die Besuche der Bischöfe beim Papst über das ganze Jahr hin gut verteilt sind. 19 18 Vgl. AAS 67 (1975), S. 675 f.; U. Mosiek, Verfassungsrecht der Lateinischen Kirche. Band III: Der Bischof und die Teilkirche, Freiburg 1978 (= rombach hochschul paperhack 91), S. 28.
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Im Dekret wird schließlich an die Pflicht zur Erstellung der Quinquennalberichte erinnert und nachdrücklich der Wunsch ausgesprochen, die Bischöfe mögen die Berichte angemessene Zeit vor der Romreise an den Apostolischen Stuhl einsenden. 20 Der neue Kodex des kirchlichen Rechts, der sich noch mehr als sein Vorgänger darauf beschränkt, in der gegenständlichen Materie bloßes Rahmenrecht anzugeben, verändert den bis zu seinem lokrafttreten am 29. November 1983 erreichten Stand der Rechtsentwicklung nur wenig. Gemäß c. 399 § 1 ist der Diözesanbischof verpflichtet, alle fünf Jahre dem Papst über die ihm anvertraute Diözese Bericht zu erstatten. Form und Zeit werden dabei vom Apostolischen Stuhl festgelegt. Was die Aufeinanderfolge, in der die Quinquennalberichte einzureichen sind, bzw. die ihr zugrundeliegende territoriale Einteilung betrifft, enthält der neue CIC keine näheren Angaben, sodaß davon auszugehen ist, daß die einschlägigen Bestimmungen des Dekrets "Ad Romanam Ecclesiam" weiterhin gelten. Auch nach neuem Recht kann der Diözesanbischof von Erstellung und Vorlage des Berichts absehen, wenn das für die Berichterstattung festgesetzte Jahr ganz oder teilweise in die zwei ersten Jahre seiner Diözesanleitung fällt. (Vgl. c. 399 § 2) Aufgrund von c. 400 § 1 ist der Diözesanbischof gehalten, im Jahr der Berichterstattung sich nach Rom zu begeben, um die Gräber der heiligen Apostel Petrus und Paulus zu verehren und sich dem Papst zu stellen. Durch die Klausel "sofern vom Apostolischen Stuhl nichts anderes vorgesehen ist" wird die Möglichkeit außerkodikarischer Regelungen angedeutet. Da in "Ad Romanam Ecclesiam" die Weitergeltung der einschlägigen Bestimmungen des CIC/1917 ausdrücklich festgestellt wird, ist davon auszugehen, daß die außereuropäischen Bischöfe auch künftig nur alle zehn Jahre zur Durchführung des Ad-limina-Besuchs gehalten sind. (Vgl. c. 341 § 2 CIC/1917) Im Unterschied zum früheren Recht verlangt das neue Kodexrecht, daß der Diözesanbischof den Ad-limina-Besuch grundsätzlich persönlich durchzuführen hat. Nur im Fall einer rechtmäßigen Verhinderung kann er sich von einem Koadjutor, Auxiliarbischof oder einem in seiner Diözese wohnhaften, geeigneten Priester vertreten lassen. (Vgl. c. 400 § 2) Die sich schon in den nachkonziliaren Dokumenten zeigende neue Sichtweise des Ad-limina-Besuchs tritt ganz besonders deutlich in der von Papst Johannes Paul Il. am 28. Juni 1988 erlassenen Apostolischen Konstitution über die Römische Kurie "Pastor bonus" zutage. 21 Bereits in der Nr. 10 der Einleitung wird hervorgehoben, daß dem Adlimina-Besuch im Lichte der ekklesiologischen und pastoralen Prinzipien, von denen die Apostolische Konstitution ausgeht, eine besondere Bedeu19 20
21
Vgl. AAS 67 (1975), S. 676. Vgl. ebd. Der Text der Apost. Konstitution ist gedruckt in AAS 80 (1988), S. 841 ff.
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tung zukommt. 22 Die Ad-limina-Besuche bilden einen zentralen Bereich des Dienstes, der dem Papst anvertraut ist. Er tritt dabei in seiner Eigenschaft als Hirte der Gesamtkirche mit den Hirten der Teilkirchen in Kommunikation. So kann er seine Sorge für alle Kirchen verwirklichen, die Bischöfe können ihrerseits an der Ausübung des päpstlichen Dienstamtes teilnehmen. Gemeinschaft und Einheit im innersten Leben der Kirche werden durch die Ad-limina-Besuche überaus gefördert. Darüber hinaus bieten sich den Bischöfen gute Gelegenheiten dazu, mit den kompetenten Dikasterien der Römischen Kurie Belange der Lehre und der Seelsorge, apostolische Initiativen oder auch Schwierigkeiten in ihrem Dienste zu besprechen und zu untersuchen. Die große Bedeutung, die den Ad-limina-Besuchen bei der Erfüllung des höchsten kirchlichen Leitungsdienstes zukommt, zeigt sich allein schon daran, daß in "Pastor bonus" im Rahmen der "normae generales" in den Art. 28 bis 32 unter dem Titel "Oe visitationibus ad limina" über diese Einrichtung ausführlich gehandelt wird. 23 In Art. 28 hält der Papst fest, es entspräche einer ehrwürdigen Tradition und der Rechtsvorschrift, daß Bischöfe, die Teilkirchen vorstehen, die Apostelgräber zu bestimmten Zeiten aufsuchen und bei dieser Gelegenheit dem Papst einen Bericht über den Zustand der Diözese vorlegen. In Art. 29 wird erklärt, daß die Ad-limina-Besuche gleichsam einen Gipfelpunkt in den Beziehungen zwischen den Hirten der Teilkirchen und dem Papst bilden. Er begegnet dabei seinen Brüdern im Bischofsamt und behandelt mit ihnen Dinge, die das Wohl der Kirchen und den Hirtendienst der Bischöfe betreffen. Er stärkt und festigt seine Brüder im Glauben und in der Liebe. Die Bande der kirchlichen Gemeinschaft werden dadurch gestärkt, die Katholizität der Kirche und die Einheit des Bischofskollegiums kommen nach außen hin zum Ausdruck. In Art. 30 unterstreicht der Papst, daß bei den Ad-limina-Besuchen den Gesprächen in den verschiedenen Dikasterien der Römischen Kurie großes Gewicht zukommen muß. Sie sollen der Vertiefung des Dialogs zwischen den Bischöfen und dem Apostolischen Stuhl dienen und den Informationsaustausch fördern. Sie eröffnen Gelegenheiten zur Beratung in Fragen, die Wohlergehen und Fortschritt der Kirche oder dieWahrungder allgemeinen kirchlichen Disziplin betreffen. Gern. Art. 31 ist der Ad -limina-Besuch in drei Stufen zu vollziehen, die jeweils sorgfältiger Vorbereitung bedürfen, um den gewünschten Erfolg zu zeitigen. Es sind dies: die Pilgerfahrt zu den Gräbern der Apostelfürsten, die Begegnung mit dem Papst und die Gespräche bei den Dikasterien der Kurie. Im Art. 32 wird angeordnet, daß der Bericht über den • 22
23
Vgl. ebd. S. 853 f. Vgl. ebd. S. 867 ff.
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Stand der Diözese sechs Monate vor dem für den Ad-limina-Besuch in Aussicht genommenen Termin einzureichen ist. Er ist von den zuständigen Dikasterien sorgfältig zu prüfen und zu bearbeiten. Eine Synthese all jener Inhalte ist anzulegen, die bei den Aussprachen von Bedeutung sind. Wenn Teilkirchen der Sorge der Bischofskongregation anvertraut sind, hat sie alle Dinge zu regeln, welche den Ad-limina-Besuch betreffen. Sie prüft die Ouinquennalberichte gern. Art. 32. Sie steht den nach Rom kommenden Bischöfen zur Seite, um besonders das Zusammentreffen mit dem Papst, die Aussprachen und den Besuch der Apostelgräber gut vorzubereiten. Nach Abschluß des Ad-limina-Besuchs teilt sie den Diözesanbischöfen die ihre Diözese betreffenden Schlußfolgerungen schriftlich mit. (V gl. Art. 81)24
In einem umfangreichen, sieben Punkte umfassenden Annex zu .. Pastor bonus" geht der Papst auf die pastorale und ekklesiologische Relevanz des Ad-limina-Besuchs ein. 25 Im folgenden soll versucht werden, die komplexen Inhalte zumindest fragmentarisch darzustellen: - Die Ad-limina-Besuche bieten den Bischöfen dazu Gelegenheit, den Sinn für die hierarchische Gemeinschaft mit dem Nachfolger des heiligen Petrus zu schärfen. Die untrennbare Verbindung zwischen dem universalen Dienstamt des Heiligen Vaters und dem der Bischöfe kommt dadurch zum Ausdruck. - Sie dienen vor allem dem lebendigen Austausch zwischen der Universalkirche und den Teilkirchen, der von den Theologen als .,Perichorese" bezeichnet wird oder mit jenen Bewegungen des Blutes im menschlichen Körper zu vergleichen ist, die vom Herzen zu den Gliedern und wieder zurück verlaufen. Dieser Lebensaustausch in der Kirche wird bereits in apostolischer Zeit bestätigt. Als Spur und Beispiel für den Ad-liminaBesuch sind jene Besuche des hl. Apostels Paulus bei Petrus bzw. bei den Aposteln in Jerusalem anzusehen, an die Paulus im Brief an die Galater erinnert. (Gal 1, 18; 2, 2) - Die folgenden Reflexionen rücken zentrale Bereiche dieses lebendigen Austausches in das Blickfeld. Der Papst ist der erste Hüter des von den Aposteln tradierten Depositums der Wahrheit. Seine Begegnung mit den Bischöfen zielt darauf hin, die Einheit in demselben Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu stärken und das unermeßliche Erbe an geistlichen und moralischen Gütern, das die ganze Kirche in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom überall in der Welt ausgebreitet hat, mehr und mehr zu erkennen und zu schätzen. Wenn Papst und Bischof einander begegnen, ist gewissermaßen die Gesamtheit der Gläubigen gegenwärtig. Denn im Geheimnis des Leibes Christi ist ein einziges •wir" 24 Vgl. ebd. S. 880. 25 Vgl. ebd. S. 913 ff.
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konstituiert. Daher treten in der Begegnung von Papst und Bischof die ihnen anvertrauten Gläubigen in Kommunikation, genauso wie die Gesamtkirche mit der Teilkirche. -Der Ad-limina-Besuch ist eine besondere Form der Verwirklichung der pastoralen Sorge der Kirche und des ihr aufgetragenen Apostolates. Das ganze Bischofskollegium und jeder einzelne Bischof sind Träger der Heilssorge Christi, des Guten Hirten. Ihnen obliegt in erster Linie das Apostolat der Kirche, das aber auch die Hilfe aller umfaßt, die am Aufbau des Leibes Christi mitarbeiten. - Sehr ausführlich kommt die Relevanz der Ad-limina-Besuche für die Förderung der Kommunikation in der Kirche zur Sprache. In einer Welt, die immer mehr auf Einheit hinstrebt, und in einer Kirche, die sich als .,Zeichen undWerkzeugfür die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" (LG 1) versteht, scheint es unabdingbar notwendig zu sein, die ständige Kommunikation zwischen den Partikularkirchen und dem Apostolischen Stuhl zu intensivieren, um gegenseitig Informationen auszutauschen und sich in den seelsorglichen Bemühungen wechselseitig zu unterstützen. Das Zusammentreffen der Hirten in Rom führt zum gegenseitigen Austausch von Gütern. Die Bewegung bei diesem gegenseitigen Austausch verläuft in zwei Richtungen. Einerseits ist es eine Bewegung zum Mittelpunkt und sichtbaren Fundament der Einheit hin, andererseits dient das Dienstamt, das .,vom Herrn ausschließlich dem Petrus, dem ersten der Apostel, übertragen wurde" (LG 20), der kirchlichen Gemeinschaft und der Erfüllung ihrer missionarischen Sendung. Das Zusammenwirken beider Bewegungen soll umfassend sicherstellen, daß der Schutz der Einheit des Glaubens und der allgemeinen kirchlichen Disziplin gewahrt bleibt, und das Bewußtsein mehr und mehr erstarkt, daß die Sorge um die weltweite Verkündigung des Evangeliums in erster Linie dem Kollegium der Hirten anvertraut ist. - Zusammenfassend wird die Bedeutung des Ad-limina-Besuchs unter drei Gesichtspunkten gewürdigt. Er hat heilige Bedeutung, insoferne er eine Wallfahrt zu den Grabstätten der heiligen Apostel Petrus und Paulus ist. Er hat persönliche Bedeutung, weil der einzelne Bischof mit dem Nachfolger des heiligen Petrus von Angesicht zu Angesicht spricht. Schließlich gewinnt er kuriale Bedeutung, wenn die Bischöfe mit den Leitern der Kurialeinrichtungen zusammenkommen. Dabei ist die Kurie einerseits bei der Klärung anstehender Fragen behilflich, andererseits führt sie die Bischöfe der Teilkirchen in Belange der Gesamtkirche ein. Der Papst kündigt an, daß die Bischofskongregation nach Beratungen mit anderen betroffenen Kongregationen ein Direktorium herausgeben wird, das geeignete Regelungen für die Vorbereitung und Durchführung des Adlimina-Besuchs enthalten soll.
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- Im letzten Punkt lädt der Papst die Bischöfe nachdrücklich dazu ein, die Ad-limina-Besuche zu den festgesetzten Zeiten durchzuführen. Soweit Bischofskonferenzen bestehen, sollen die betreffenden Bischöfe diesen Besuch gemeinsam durchführen. Der Papst sichert umfassende Unterstützung bei Vorbereitung und Abwicklung des Ad-limina-Besuchs durch die Einrichtungen des Apostolischen Stuhls zu. In einer knappen Zusammenfassung der im Annex entfalteten Gedanken wird die pastorale Bedeutung des Ad-limina-Besuchs erneut unterstrichen und betont, daß er ein höchst nützliches Werkzeug dafür ist, die Katholizität der Kirche und die Einheit des Bischofskollegiums, die im Nachfolger des hl. Petrus ihren Grund haben und durch die heiligen Stätten des Martyriums der Apostelfürsten bezeichnet werden, sichtbar zum Ausdruck zu bringen. 111. Die praktische Durchführung des Ad-limina-Besuchs Im einschlägigen, mit 29. Juni 1988 datierten Direktorium der Bischofskongregation ist vorgesehen, daß dem eigentlichen Ad-limina-Besuch Phasen der entfernteren und der unmittelbaren Vorbereitung vorausgehen müssen.26 1. Die entferntere Vorbereitung
Sie umfaßt die geistliche Vorbereitung, die Ausarbeitung und Einsendung des Quinquennalberichts und die Kontaktaufnahme mit dem päpstlichen Repräsentanten. Dem Ad-limina-Besuch muß eine Zeit der Besinnung und des Gebetes vorausgehen. Das Direktorium sieht darin die beste Form der Vorbereitung. Der Bischof muß sich dabei bewußt machen, daß er den Ad-limina-Besuch nicht bloß zum Nutzen der eigenen Diözese durchführt, sondern für das Wohl der ganzen Kirche, vor allem um die Einheit, die Liebe und die Solidarität im Glauben und im Apostolat zu fördern. Es ist seine Aufgabe, eine Bestandsaufnahme der gegebenen Situation zu machen und nach kritischer Prüfung vor Gott die für das Wohl der Kirche notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Da der Ad-limina-Besuch ein kirchlicher Akt ist, soll er in diese Besinnung und in das Gebet die ganze Diözesangemeinschaft einbeziehen, besonders die klausurierten Klöster und andere Zentren des Gebetes und der Buße. Sehr eingehend regelt das Direktorium die Ausarbeitung des Quinquennalberichts. Er muß über den Zustand der dem Ordinarius anvertrauten 26
Zum folgenden vergleiche Direttorio (Anm. 1), S. 7 ff.
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kirchlichen Zirkumskription Aufschluß geben. Bei seiner Ausarbeitung ist daher höchste Sorgfalt aufzuwenden. Unter Hinweis auf die Bestimmungen in c. 399 § 2 CIC wird angeordnet, daß zur Erstellung des Berichts alle jene Ordinarien verpflichtet sind, die zumindest zwei Jahre lang im festgesetzten Quinquennium im Amt waren. Vor allem aus Gründen der Arbeitserleichterung und der redaktionellen Einheitlichkeit kann sich der Ordinarius des von der Bischofskongregation bereitgestellten Schemas für den Quinquennalbericht bedienen. Nach diesem Formular ist über folgende Bereiche des kirchlichen Lebens der Diözese zu berichten: pastorale und administrative Organisation; allgemeine religiöse Situation; wirtschaftliche Lage; Liturgie; Klerus; Ordensgemeinschaften und Säkularinstitute; missionarische Zusammenarbeit; Seminare und Universitäten; Katechese; katholischer Unterricht; Laien {Leben und Apostolat); Ökumenismus-Nichtchristliche Religionen-Nichtglaubende; Gerechtigkeit und Liebe {soziale Dienste); andere pastorale Fragen {Familienseelsorge, Problem der Ehescheidung, Geburtenkontrolle, Schwangerschaftsabbruch, Seelsorge an Menschen unterwegs, Probleme der Säkularisierung, Volksfrömmigkeit u. a.). Die darüber hinaus zu machenden statistischen Angaben betreffen folgende Einrichtungen bzw. Gebiete: Pastoralrat; Priesterrat; Diözesan- und Regionalgericht; Verlagswesen und Veröffentlichungen; Katechese; katholische Grund- und Hauptschulen; Gruppen, Vereinigungen und Bewegungen des Laienapostolates; Konfessionsgruppen und Gruppen der Nichtglaubenden. 27 Die Angaben im Quinquennalbericht sollen sich durch Kürze, Klarheit und Genauigkeit auszeichnen. Sie sollen konkret und objektiv die tatsächliche Lage beschreiben und Probleme aufzeigen. Besonders berücksichtigt werden müssen die Beziehungen zu den nichtkatholischen und nichtchristliehen Gemeinschaften sowie zur bürgerlichen Gesellschaft und zur staatlichen Autorität. Bei der Erstellung des Berichts kann der Ordinarius kompetente Personen seines Vertrauens zur Mitarbeit heranziehen. Dabei darf allerdings die gebotene Vertraulichkeit nicht verletzt werden. 28 Die Quinquennalberichte sind in der Regel an die Bischofskongregation ungefähr sechs Monate, keinesfalls jedoch weniger als drei Monate vor dem Ad-limina-Besuch einzusenden. Bei der Bischofskongregation werden sie studiert und für die Vorlage beim Heiligen Vater zusammengeiaßt Er soll dadurch die Möglichkeit bekommen, noch vor dem Ad-limina-Besuch sich ein Bild vom Zustand und von den Problemen der betreffenden Kirche zu Vgl. Formular für den Ouinquennalbericht, Typ. Pol. Vat. 1981, S. 5 ff. In the Code of Canon Law. A text and commentary. Hrsg. v. J. A. Coriden, Th. J. Green u. D. E. Heintschel, London 1985, S. 335 wird vorgeschlagen, mit der Vorbereitung des Quinquennalberichts die Diözesansynode oder den diözesanen Pastoralrat zu befassen. 27 28
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machen. Nach Möglichkeit sollten drei Ausfertigungen des Berichts erstellt werden oder wenigstens Auszüge für die verschiedenen Dikasterien. Was die Zusammenarbeit mit dem päpstlichen Repräsentanten angeht, wiederholt das Direktorium inhaltlich im wesentlichen die einschlägigen Weisungen des Dekrets der Bischofskongregation vom 29. Juli 1975: Er ist dazu verpflichtet, einige Monate vor Beginn des Jahres, in dem der Ad-limina-Besuch ansteht, die einzelnen Bischöfe darauf aufmerksam zu machen. Gleichzeitig muß er den Vorsitzenden der Bischofskonferenz einladen, im Einvernehmen mit den Bischöfen eine oder mehrere Zeitspannen im betreffenden Jahr festzulegen, in denen die Bischöfe einzeln oder bei entsprechenden Umständen auch gruppenweise nach Rom zum Ad-limina-Besuch kommen möchten. Dabei ist zu beachten, daß die Termine stets der Bestätigung durch den Papst bedürfen. Schließlich ist der päpstliche Vertreter verpflichtet, die Ordinarien an die Übersendung der Quinquennalberichte zu erinnern.
2. Die unmittelbare Vorbereitung Die in dieser Phase zu treffenden Absprachen mit der Bischofskongregation, bei der ein eigenes Koordinationsbüro für die Besuche (ufficio di coordinamento delle visite) eingerichtet ist, gelten der Festlegung des genauen Datums und der Regelung von Einzelheiten des Ad-limina-Besuchs. 29 Um die Koordinierung mit den römischen Stellen zu erleichtern, sollte die Bischofskonferenz eine in Rom wohnhafte Person namhaft machen, die an Ort und Stelle verantwortlich bei der Vorbereitung und Durchführung des Adlimina-Besuchs mitzuwirken hat. Aufgabe des Verantwortlichen ist es vor allem, Kontakt zwischen den Bischöfen und dem Koordinationsbüro zu halten. Von einer eventuellen Beauftragung mit dieser Aufgabe soll das Koordinationsbüro informiert werden. Das Datum des Ad-limina-Besuchs wird zwischen dem Sekretariat der Bischofskonferenz und der Präfektur des päpstlichen Hauses ausgemacht, welche den Termin dem Koordinationsbüro bekanntgibt Normalerweise wird ein gemeinsamer Termin für ein und dieselbe Kirchenprovinz oder pastorale Region festgelegt, so daß sich alle Bischöfe dieses Gebiets zur gleichen Zeit in Rom einfinden können. Dadurch darf jedoch der persönliche Charakter des Besuches nicht verdunkelt werden. Das Sekretariat der Bischofskonferenz sendet eine Beschreibung der Gruppe, die den Besuch durchführen will, an das Koordinationsbüro. Dabei sind Zahl und Identität der Teilnehmer anzugeben. Auf die soziopastorale Situation in den Heimatgebieten, spezifische Probleme, vorgeschlagene Lö29
Vgl. Direttorio (Anm. 1), S. 9 ff.
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sungen usw. ist einzugehen. Diese Informationen oder auch eventuell vorhandene Fragen an den Apostolischen Stuhl sind rechtzeitig dem Koordinationsbüro mitzuteilen. Weiters ist es Aufgabe des Sekretariats der Bischofskonferenz, mit dem Koordinationsbüro die Begegnungen der Bischöfe bei den Dikasterien der Römischen Kurie zu vereinbaren. Den einzelnen Bischöfen bleibt es jedoch unbenommen, Begegnungen dieser Art direkt zu erbitten und ihre Anliegen vorzutragen. Sehr ausführlich beschreibt das Direktorium den vielfältigen Aufgabenbereich des bereits mehrmals erwähnten Koordinationsbüros an der Bischofskongregation. Das Büro bietet zunächst den Bischöfen seine Hilfe an. Es erörtert mit dem Sekretariat der Bischofskonferenz oder mit dem Verantwortlichen alle Fragen im Zusammenhang mit Vorbereitung und Durchführung des Ad-limina-Besuchs, besonders die terminliehe Planung, das Programm und den Zeitplan für die Zelebrationen und die einzelnen Gespräche mit den römischen Stellen und Dikasterien. Darüber hinaus hat das Koordinationsbüro die Aufgabe, die Dikasterien zu unterstützen, bei denen während des Ad-limina-Besuchs Begegnungen mit Bischöfen stattfinden. Es teilt den Dikasterien die für das jeweilige Semester in Aussicht genommenen Besuchstermine mit, informiert sie rechtzeitig über die aus den Kontakten mit den Sekretariaten der Bischofskonferenzen oder dem Verantwortlichen gewonnenen Daten und übersendet an die jeweils zuständigen Dikasterien Auszüge aus den Quinquennalberichten mit den Punkten, die für sie von Interesse sind. Außerdem gibt es Anfragen von Seiten der Bischöfe an die Dikasterien weiter und verhandelt über die Festlegung der Termine für die Begegnungen mit den Bischöfen. Das Koordinationsbüro bringt aber auch in Erfahrung, ob die Dikasterien von sich aus Begegnungen mit bestimmten Bischöfen wünschen. Besteht eine solche Absicht, dann benachrichtigt das Büro das Sekretariat der betreffenden Bischofskonferenz oder den Verantwortlichen. Unter Umständen kann es sich aber auch direkt an den Bischof wenden. Bei Begegnungen dieser Art ist das Büro bemüht, für das Dikasterium möglichst umfassende Informationen einzuholen. Die Kompetenz für Festlegung und Mitteilung der Termine für die Zusammenkunft der Bischöfe mit dem HeiligenVater liegt allein bei der Präfektur des päpstlichen Hauses. Das Koordinationsbüro übersendet alljährlich an die Präfektur ein vollständiges Verzeichnis jener Bischöfe, die zum Ad-limina-Besuch verpflichtet sind, und teilt die von ihnen gemachten Terminvorschläge mit. Die Präfektur gibt ihrerseits den Terminplan für die Audienzen der Bischöfe beim Papst dem Koordinationsbüro frühzeitig bekannt. Dieses unterrichtet davon die Dikasterien. Das Koordinationsbüro ist auch zur Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen der Kongregationen für die Ostkirchen und für die Evangelisierung
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der Völker verpflichtet, wenn diesen Dikasterien zugeordnete Bischöfe die Ad-limina-Besuche absolvieren. 3. Der Ablauf des Ad-limina-Besuchs
Das Direktorium weist darauf hin, daß der Ad-limina-Besuch die Pilgerfahrt zu den Grabstätten der Apostel und deren Verehrung, die Begegnung mit dem Heiligen Vater und die Kontakte mit den Dikasterien der Römischen Kurie umfaßt. Als weiteres Element kann das Kennenlernen der pastoralen Wirklichkeit der Kirche von Rom hinzukommen. 30 Die Verpflichtung zu Besuch und Verehrung der Apostelgräber erfüllen die Bischöfe, indem sie in den betreffenden Kirchen einen Gottesdienst feiern. Durch diese Gottesdienstfeier soll die kirchliche Gemeinschaft gefestigt und die dar an teilnehmenden Personen, seien es Bischöfe oder Gläubige oder andere zufällig anwesende Personen, religiös gestärkt werden. Das Koordinationsbüro ist dafür zuständig, im Einvernehmen mit dem Sekretariat der Bischofskonferenz oder mit dem Verantwortlichen Kontakte zu den Patriachalkirchen St. Peter und St. Paul herzustellen und Zeit und Ort für die Zelebration der heiligen Messe oder gegebenenfalls auch für das Stundengebet oder einen Wortgottesdienst festzulegen. Außerdem muß das Koordinationsbüro hinsichtlich der personellen und sachlichen Voraussetzungen dafür Sorge tragen, daß die liturgischen Handlungen würdig vollzogen werden können und die Zwecksetzung des Ad-limina-Besuchs zeichenhaftzum Ausdruckt kommt. Das für die Verwendung beim Gottesdienst vorgeschlagene Rituale ist dem Direktorium als Anhang beigegeben. Wenn Bischöfe in den Patriachalkirchen Santa Maria Maggiore und San Giovanni in Laterano zelebrieren wollen, können sie sich an das Koordinationsbüro wenden, damit der Zeitplan festgelegt wird und die notwendigen Vorbereitungen in die Wege geleitet werden. Das Direktorium empfiehlt, daß aus den Heimatdiözesen und -regionen kommende Pilger und andere in Rom oder Italien wohnhafte Landsleute an den liturgischen Zelebrationen teilnehmen sollten. Auf diese Weise werden die Einheit im Glauben und in der kirchlichen Gemeinschaft an den Gräbern der Apostel und bei der Kathedra des hl. Petrus gemeinsam mit den Hirten bezeugt. Die im Rahmen des Ad-limina-Besuchs vorgesehene Begegnung mit dem HeiligenVater besteht vor allem im persönlichen Gespräch des Bischofs mit dem Papst. Der Präfekt des päpstlichen Hauses legt Tag und Stunde dafür fest. Wenn ein gemeinsamer Gottesdienst oder eine kollektive Begegnung mit dem Papst möglich ist, werden Ort und Zeit den Beteiligten oder dem Verantwortlichen mitgeteilt. 30
Vgl. ebd. S. 11 ff.
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Johann Hirnsperger
Das Direktorium unterstreicht die besondere Bedeutung des Besuchs der Bischöfe bei den Dikasterien der Römischen Kurie wegen der engen Verbindung zwischen dem Papst und den Organen der Kurie, die ordentliche Instrumente des Petrusdienstes sind. Die einzelnen Bischöfe oder auch Gruppen bzw. Kommissionen von Bischöfen sollen sich daher im Rahmen des Ad-limina-Besuchs bei den verschiedenen Dikasterien einfinden, um Probleme und Fragen vorzulegen, Informationen einzuholen, Erklärungen zu geben oder eventuell Fragen zu beantworten. Die Vorsitzenden der einzelnen Kommissionen sollten die entsprechenden Dikasterien besuchen. Alles möge im Geist der Gemeinschaft, in Wahrheit und Liebe geschehen. Um einen fruchtbaren Verlauf der Gesprächs zu gewährleisten, sind die Dikasterien im Rahmen ihres Kompetenzbereichs über die Quinquennalberichte im voraus zu benachrichtigen. Aufgabe des Koordinationsbüros ist es, rechtzeitig je nach Kompetenz die Unterlagen zur Verfügung zu stellen und über besondere Fragen zu informieren, welche die Bischöfe persönlich behandeln wollen. Tag, Stunde und Modalitäten der Besuche sollen unter Mithilfe des Koordinationsbüros fixiert werden, das dabei nach Möglichkeit die Wünsche der Bischöfe zu berücksichtigen hat. Außerdem muß es die Bischöfe mit Rat und Tat unterstützen, wenn Unklarheiten über Zuständigkeiten von Dikasterien, Vorgangsweisen usw. auftauchen sollten. Wenn der Besuch bei einem Dikasterium in kollegialer Form geschieht, soll ein Bischof die Teilnehmer vorstellen, die pastorale Situation des betreffenden Gebietes skizzieren und die Fragen behandeln, die in die Kompetenz dieses Dikasteriums fallen. Befindet sich der Vorsitzende der Bischofskonferenz oder einer Kommission unter den Teilnehmern, dann mögen diese die Vorstellung machen und referieren. Die Erklärungen und Antworten der Leiter der Dikasterien haben nicht den Rang offizieller Aussagen, solange sie nicht in der gewohnten Form der Römischen Kurie geschrieben und protokolliert sind. Sie sind jedoch Informationen, Ratschläge, Orientierungen und Anleitungen zur Lösung von Problemen. Ein viertes Element des Ad-limina-Besuchs kann die Kontaktaufnahme mit der kirchlichen und pastoralen Wirklichkeit in der Stadt Rom bilden. Soweit Bischöfe es wünschen, haben sie die Möglichkeit zu Begegnungen mit einer Pfarrei in Rom oder einer anderen bedeutenden Kommunität oder mit Zentren religiöser, kultureller oder karitativer Art. Dabei soll besonders die eigene Nationalkirche, Personalpfarren oder die Titelkirche eines Kardinals berücksichtigt werden, vor allem wenn sie Zentren pastoraler Aktivitäten sind. Die Begegnungen sollen zur Förderung der Gemeinschaft zwischen den Teilkirchen und der Kirche von Rom beitragen und dem gegenseitigen Kennenlernen sowie dem pastoralen Erfahrungsaustausch dienen. Eine konkrete Frucht des Ad-limina-Besuchs wäre es, wenn aus diesen Kontakten sich Formen der Zusammenarbeit auf pastoraler und karitativer Ebene
Der Ad-Limina-Besuch des Bischofs
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entwickelten. Aufgabe des Koordinationsbüros ist es, bei der Durchführung solcher Begegnungen behilflich zu sein, namentlich bei der Herstellung der erforderlichen Kontakte mit den zuständigen pastoralen Zentralstellen des Vikariats von Rom, bei der Auswahl der Orte und Personen und bei der Festlegung geeigneter Tage.
IV. Abschließende Bemerkungen Die rechtliche Neuordnung des Ad-limina-Besuchs berechtigt zur Behauptung, daß diese alte Einrichtung der Kirche auch in der Zukunft als bedeutendes Instrument in der Verwirklichung des Sendungs- und Heilsauftrages der Kirche gelten wird. Durch die bessere Verankerung im Recht und in der Struktur der Kurie wurde die Basis dafür geschaffen, daß dem Papst der Ad-limina-Besuch als besonders bedeutendes und geeignetes Hilfsmittel bei der Erfüllung seines Hirtendienstes für die ganze Kirche zur Verfügung steht. Dabei konnte das Odium der bloßen Berichterstattung oder des pflichtmäßigen Rapports endgültig überwunden werden. Dieser Besuch wird nunmehr ganz unter dem Aspekt der Begegnung zwischen den Hirten der Teilkirche und dem Nachfolger des hl. Petrus gesehen. Er ist eine hervorragende Möglichkeit des wechselseitigen Austauches und der gegenseitigen Unterstützung bei der Erfüllung des je eigenen, von Jesus Christus übernommenen Sendungsauftrags. 31 Der Ad-limina-Besuch will in seiner revidierten Rechtsgestalt Ausdruck der Einheit der Teilkirchen mit der Kirche von Rom und zugleich Mittel und Weg zur Wahrung und Festigung der Einheit der Kirche sein. Es ist sehr zu wünschen, daß die rechtlichen Möglichkeiten und Intentionen im Leben der weltumspannenden katholischen Kirche reiche Frucht tragen und daß sich der Ad-limina-Besuch auch in Zukunft als segensreiche Einrichtung für die Kirche erweisen möge.
31 Papst Johannes Paul li. greift in den Ansprachen bei den Ad-limina-Besuchen häufig Fragen des bischöflichen Dienstes, oder andere aktuelle pastorale Probleme der Teilkirchen auf und gibt Weisungen oder Ratschläge. Vgl. Papst Johann~s Paul II. über das kirchliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland (oder: Uber den Auftrag der Kirche in der Bundesrepublik Deutschland). Drei Ansprachen beim Rombesuch der deutschen Bischöfe im Januar 1988, Bonn 1988 (=Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 80).
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V. Frieden und Friedenssicherung
DER FRIEDE ALS IMMER WIEDER NEU ZU ERFÜLLENDE AUFGABE Dienst und Auftrag des Soldaten heute
Von Franz Kardinal Hengsbach, Essen
Es gehört zum Wesen des Friedens, daß Friede nie endgültiger Besitz wird, sondern Aufgabe bleibt (Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" des Vaticanum II, Nr. 78; künftig zit.: GS). Diese Aufgabe stellt sich nicht nur ständig, sie stellt sich auch immer wieder neu. Anders stellte sich diese Aufgabe zu Zeiten des Kalten Krieges und anders in einer Phase zunehmender Abrüstungsbereitschaft Kriegsverhinderung zwischen militärisch hochgerüsteten Blöcken stellt andere Aufgaben als Friedenssicherung durch UNOTruppen in regional begrenzten Konfliktzonen der sogenannten blockfreien Welt. Es liegt auf der Hand, daß in diesem Zusammenhang auch die Stellung des Soldaten Wandlungen ausgesetzt ist. Vor 25 Jahren (1965) befand das Zweite Vatikanische Konzil: "Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei" (GS, Nr. 79). Nach 25 Jahren zeichnet sich ab, daß mit den in diesen beiden Sätzen vermittelten Impulsen, Perspektiven, Warnungen auch neue Wege gewiesen wurden, den Frieden in der Welt von heute zu fördern und aufzubauen. Das betrifft auch Dienst und Auftrag des Soldaten.
I. Impulse und Perspektiven
Es ist oft betont worden, daß die Bischöfe des Zweiten Vatikanischen Konzils (und ihre Berater) Dienst und Auftrag des Soldaten nicht nur im Zusammenhang mit militärischer Gewaltanwendung gesehen haben, sondern auch mit dem Frieden als immer wieder neu zu erfüllender Aufgabe. Dabei lautete das übergeordnete Thema, wie in der gegenwärtigen Welt der Friede zu fördern (pax fovenda), wie zu festigen (pax servanda, pax stabilienda), wie aufzubauen (pax aedificanda) sei. Auch bei diesen Überlegungen nahm das Konzil jenen Dialog auf, der die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Welt in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auf neue Grundlagen gestellt hat: als "Dialog von kompetenten Leuten" und als Dialog zwischen Kompetenten,
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die .,mit unterschiedlicher Auffassung" oder .,von einem anderen Ausgangspunkt her" nach Lösungen suchen für so drängende Weltprobleme wie die Förderung des Friedens in der gegenwärtigen Welt. Gerade auch bei diesen schwierigen Fragen, so wurde in der Konzilsaula ausgeführt, müsse man .,alle Aspekte in ihrer Gesamtheit zusammenfassen" und die moralischen Aspekte .,in dieses Ganze integrieren" (vgl. LThK: Das Zweite Vatikanische Konzil III, S. 537). Wer sich die Mühe macht, von Zeit zu Zeit sich erneut in die Konzilstexte zu vertiefen (auch um in den brennenden Fragen der Weltverantwortung nicht den Anschluß an den dort erreichten Erkenntnisstand zu verlieren), wird feststellen können, daß es gerade in den Fragen des Weltfriedens einige für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg typische Impulse gibt, die schon im Zweiten Vatikanischen Konzil zu bedenken und in den Dialog mit der Welt einzubringen waren. Zu diesen typischen Impulsen gehört vor allem der Wille, den Krieg zu ächten, und zwar jeglichen Krieg absolut zu ächten (vgl. GS, Nr. 82). Künftig müßten Meinungsverschiedenheiten auf eine Art und Weise gelöst werden, .,die des Menschen würdiger ist" als Gewaltanwendung oder Erpressung aufgrund militärischer Überlegenheit. Selbst wenn und wo es um die" Wahrungvon Rechten" gehe, könne manjenen "Anerkennung nicht versagen", die auch in diesem Falle .,darauf verzichten, Gewalt anzuwenden" (GS, Nr. 78). In diese Richtung weist auch der Appell des Konzils, die Regierungen sollten mit einer humanen Gesetzgebung der Tatsache Rechnung tragen, daß Menschen den Militärdienst verweigern, weil ihr Gewissen ihnen keine andere Wahlläßt (GS, Nr. 79). In den endgültigen Konzilstexten stehen diese Impulse nun nicht isoliert, sondern sind mit sittlichen Aspekten der Moraltheologie bzw. der kirchlichen Soziallehre in Verbindung gebracht. Gewaltverzicht wird gebunden an die Voraussetzung, .,daß dies ohne die Verletzung der Rechte und Pflichten anderer oder der Gemeinschaft möglich ist (GS, Nr. 78). Voraussetzung für die absolute Ächtung jedes Krieges wäre, daß es eine .,von allen anerkannte Weltautorität" gibt, die über .,wirksame Macht" verfügt, um .,für alle Sicherheit, Wahrung der Gerechtigkeit und Achtung der Rechte zu gewährleisten" (GS, Nr. 82). Als Voraussetzung für humane Gesetze zum Schutz jener, die aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigern, wird die Bereitschaft zu einer anderen Form eines "Dienstes an der menschlichen Gemeinschaft" genannt (GS, Nr. 79). Auch der Dienst des Soldaten wird an ethische Maxime gebunden. Man spürt dabei das Gewicht der oben genannten Impulse. Das "Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung" rechtfertigt nicht .jeden militärischen oder politischen Gebrauch" des vorhandenen .Kriegspotentials". Das gelte auch für den Fall, daß .unglücklicherweise ein Krieg ausgebrochen ist". Der Einsatz militärischer Mittel und Kräfte sei das letzte Mittel (der Verteidigung), zuvor
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müßten ,.alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung" ausgeschöpft werden. Mit spürbarem Bedauern werden alle diese Ausführungen mit der Feststellung eingeleitet: ,.Allerdings - der Krieg ist nicht aus der Welt geschafft." Mit deutlicher Zurückhaltung wird vom ,.Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung" gesagt, daß man einer ,.Regierung" es ,.nicht absprechen kann"; denn - und diese Begründung wiegt schwer - eine Regierung sei ,.verpflichtet, das Wohl der ihnen anvertrauten Völker zu schützen", und die Regierenden ,.sollen diese ernste Sache ernst nehmen" (GS, Nr. 80). Diesen Restriktionen der militärischen Gewaltanwendung folgt (nicht nur drucktechnisch abgesetzt) der Appell an die Soldaten. Sie sollen sich ,.betrachten" als ,.Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker". Auch dieser Appell scheint zunächst nur die genannten Restriktionen militärischer Gewaltanwendung zu konkretisieren, weil eben nur in diesem Zusammenhang und nur bei dieser Zielsetzung der Dienst des Soldaten als ,.Beitrag zur Festigung des Friedens" anerkannt wird. Aber gerade die Form des persönlichen Appells an die Soldaten vermittelte auch eine Perspektive. Die Soldaten sollten selbst diesen ihren Dienst auf die Festigung des Friedens beziehen und entsprechend ausrichten. II. Probleme und Warnungen
Es versteht sich von selbst, daß im Dialog zwischen Kirche und Welt Grundaussagen eines Konzils nicht losgelöst von Zeit und Raum eingebracht werden können. In der Bundesrepublik Deutschland fand zunächst die Beschränkung des Einsatzes militärischer Mittel auf den Fall sittlich erlaubter Verteidigung in der Öffentlichkeit weite Zustimmung. Bis in die Verfassung (GG Art. 87 a) war festgeschrieben, daß Streitkräfte einzig der Verteidigung wegen aufzustellen seien. So ließ sich der verfassungsmäßige Auftrag der Streitkräfte und die Konzilsaussage ohne Schwierigkeit aufeinander beziehen. Die Soldaten der Bundeswehr konnten von sich sagen, daß sie der Sicherheit und Freiheit derVölkerdurch ihre Verteidigungsbereitschaft und durch Verteidigungsfähigkeit dienten. Doch hatte das Konzil im gleichen Zusammenhang auch an die Soldaten appelliert, sie sollten diesen ihren Dienst an der Sicherheit und Freiheit der Völker ,.recht erfüllen" (recte fungi). Damit wurde an eine Reihe von Problemen und Warnungen erinnert, die nicht erst und nicht nur aus dem Konzil stammten, sondern auch ,.in der Welt" diskutiert wurden. Alle diese Probleme und Argumente waren zu bedenken und im .Dialog der Kompetenten" zu berücksichtigen. Das Konzil entschloß sich zu einerWarnungvor einer. besonderen Gefahr des modernen Krieges", und zwar im Zusammenhang mit den neuen .wis-
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senschaftlichen" Waffen. Mit dem .Besitz" dieserWaffensei immer auch die ,.Gelegenheit" geschaffen, daß sie zur Anwendung kommen. DieseWarnung steht im gleichen Kapitel wie die Verwerfung des totalen Krieges (de bello totali), wie sie bereits Pius XII., Johannes XXIII. und Paul VI. ausgesprochen hatten. Das Konzil wiederholt: ,.Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist." Das Konzil hat nicht den Besitz der neuen ,.wissenschaftlichen" Waffen verworfen, aber es hat vor jeder Art Anwendung dieser Waffen gewarnt, die ,.Kriegshandlungen" auslösen würde, die unter den Tatbestand des totalen Krieges fallen würden. Das Konzil hat auch vor Situationen gewarnt, die ,.in einer Art unerbittlicher Verstrickung den Willen des Menschen zu den fürchterlichsten Entschlüssen treiben" könnten. Diese Warnungen wollten nicht diskriminieren, sondern das Konzil appellierte an ,.die Regierenden und die militärischen Befehlshaber", sich ,.jederzeit der großen Verantwortung bewußt zu sein, die sie vor Gott und der ganzen Menschheit tragen". Den gleichen Appell richtete das Konzil: an ,.alle", also auch an jene Gruppierungen, die wir ,.Öffentlichkeit" oder ,.Gesellschaft" nennen (GS, Nr. 80). Die hier aufgezeigten Probleme haben in den vergangenen Jahrzehnten Öffentlichkeit und Gesellschaft in vollem Umfang erregt und bewegt, wie die ,.Friedensbewegung" auf ihrem Höhepunkt zu Beginn der 80er Jahre zeigte. Doch auch und gerade die politisch und militärisch Verantwortlichen sind auf diese Warnungen im Dialog der Kompetenten eingegangen. Das Ziel der ,.Kriegsverhütung" gewann unter kompetenten Politikern und ihren militärischen Beratern an Rang und Bedeutung. Kriegsverhütung (de bello vitando) war auch in den Überlegungen des Konzils die eine Seite der Friedensförderung (vgl. GS, den ersten der beiden Abschnitte über die Förderung des Friedens, Nr. 79-82). Gegen die ,.Methode der Abschreckung" hatte das Konzil Bedenken und Warnungen angemeldet. Der weit verbreiteten Meinung, Abschreckung sei das ,.wirksamste Mittel, einen gewissen Frieden zwischen den Völkern zu sichern", hatte sich das Konzil - schon vor heute 25 Jahren - nicht anschließen mögen. Konkret bezog sich die Warnung auf die Auswirkungen des ,.Rüstungswettlaufes", wie ihn die Methode der Abschreckung zur Folge habe. Offensichtlich sei die Voraussetzung für eine wirksame Abschreckung das militärische ,.Gleichgewicht". Um dieses Gleichgewicht nicht zu verlieren oder es wiederzugewinnen, eskaliere die Rüstung zu einem förmlichen Wettlauf. Schon in der Mitte der 60er Jahre stellte das Konzil daher folgende Thesen auf: ,.Der Rüstungswettlauf (ist) kein sicherer Weg, den Frieden zu sichern." Und: ,.Das sich daraus ergebende Gleichgewicht (ist) kein sicherer und wirklicher Frieden" (GS, Nr. 81). Die Gründe für diese Thesen haben 25 Jahre später an
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Aktualität eher gewonnen als verloren. Das Geld für die Herstellung ,.immer neuer Waffen" fehle bei der Bekämpfung des Elends in der heutigen Welt. Der ,.Schrecken der Waffen" sei nicht geeignet, vorhandene ,.Spannungen" zwischen den Völkern ,.wirklich und gründlich zu lösen". Abschreckung versetze die Menschen in Angst, und Angst sei kein Wegbereiter des Friedens. Und im Blick auf die Dritte Welt bezeichnete das Konzil den Rüstungswettlauf- wegen der Priorität von Verteidigungskosten in den staatlichen Haushalten- als ,.Ärgernis" und ,.unerträglich für die Armen" (GS, Nr. 81). Eine weitere Warnung betrifft die Dringlichkeit, den Zeitfaktor. Die Welt von heute (in allen Gruppierungen und Strukturen) müsse ,.die Frist, die uns noch von oben gewährt wurde, nützen, um mit geschärftem Verantwortungsbewußtsein Methoden zu finden, unsere Meinungsverschiedenheiten auf eine Art und Weise zu lösen, die des Menschen würdiger ist" (ebd.). Es wäre unrichtig und auch ungerecht, wollte man sagen, diese W arnungen seien wirkungslos geblieben, die ,.Frist" sei nicht genutzt worden. So ist z. B. das Postulat, Verteidigungsanstrengungen mit Bemühungen um politische Entspannung zu kombinieren, gemeinsam von Politikern und Militärs (1967) erarbeitet worden. Es war ein Schritt, der die ,.Gefahr", Atomwaffen anwenden zu müssen, mindern wollte. Zunehmend wurde fortan ,.Verteidigungspolitik" als ,,Sicherheitspolitik" angegangen. Seit den 70er Jahren heißt auch in offiziellen Dokumenten die Aufgabe der Streitkräfte: Friedenssicherung. Militärische Friedenssicherung ist die eine Seite der Sicherheitspolitik, die damit korrespondierende Seite ist die ,.politische" Friedenssicherung. Ziel der militärischen Friedenssicherung wird- politisch und strategischdie Kriegsverhütung. Es ist hier nicht der Ort und auch nicht der Sinn dieser zeitgeschichtlichen Betrachtung, Anteil oder Beteiligung der Kirchen, insbesondere auch der (christgläubigen) .Laien", an dieser Entwicklung nachzuweisen. Doch soll wenigstens erwähnt werden, daß noch während des Zweiten Vatikanischen Konzils Papst Paul VI. zu einer Ansprache vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen anläßlich des 20jährigen Bestehens der UNO (4. Oktober 1965) eingeladen war und sich weitere Papst-Reden und Botschaften an dieses Gremium unter Papst Johannes Paul II. angeschlossen haben. Erinnert werden soll auch daran, daß die ,.Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (Helsinki 1975) auch vom Heiligen Stuhl (durch den vatikanischen ,.Außenminister", Erzbischof Agastino Casaroli) unterzeichnet ist. Von der Deutschen Bischofskonferenz wurden für die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1972-1975) hohe Offiziere als Synodale hinzugewählt, gerade wegen ihrer Kompetenz in den aktuellen Problemen der Friedensarbeit Von kaum zu überschätzender Wirkung ist schließlich, daß katholische Soldaten und Offiziere aller Dienstgrade sich die Aspekte des Konzils zu den Problemen
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von Krieg und Frieden zu eigen gemacht haben, diese Aspekte auch im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben vorzubringen wußten. Die Soldaten, die heute ihren Dienst tun, sagen gelegentlich von sich, daß sie "Spannungen aushalten" müßten. Der Soldat, wenn er der Sicherung des Friedens dient, muß üben und muß gerüstet sein und muß tun lernen, "was er hofft, nie vollziehen zu müssen"; denn durch seinen Dienst will er ja "Kriegsverhütung" bewirken und in Spannungszeiten die Sinnlosigkeit eines Angriffes auf sein Land demonstrieren, um Verhandlungen als das bessere Mittel zur Regelung von Konflikten "anzuraten". Im "Wort der Deutschen Bischofskonferenz zum Frieden" (1983) haben wir Bischöfe nichts von den W arnungen des Zweiten Vatikanischen Konzils hinwegnehmen können. Wir haben - konkreter als das Konzil - die ethischen Aspekte des soldatischen Dienstes heute beschrieben und gesagt: Der Dienst des Soldaten in unseren Streitkräften ist "unverzichtbar und ethisch gerechtfertigt", "wenn (!) und solange (!) die Sicherheitspolitik (1.) ethisch zulässige, ja verpflichtende Ziele - Verhinderung des Krieges, Verteidigung der sittlich-politischen Wertordnung gegen totalitäre Bedrohung, Ermöglichung von Abrüstungverfolgt und (2.) sich dabei ethisch annehmbarer Methoden und Mittel bedient" ("Gerechtigkeit schafft Frieden", 5.3.3.). Das bedeutet für die Soldaten in der Tat, daß sie Spannungen aushalten müssen. Und Soldaten, die sich dessen bewußt sind, tragen gerade dadurch "zur Festigung des Friedens" bei. In unserem "Wort zum Frieden" haben wir deutschen Bischöfe sagen können: "Der Soldat trägt selbst durch ein waches Bewußtsein seiner moralischen Verantwortung zum Dienst am Frieden bei. Die Teilnahme an der politischen und ethischen Meinungs- und Urteilsbildung ist Ausdruck seines Verantwortungsbewußseins" (ebd.)
111. Neue Wege und Schritte Aus den Erfahrungen unseres Jahrhunderts haben wir gelernt, daß es in der Welt von heute .Ursachen der Zwietracht" gibt, die "zum Krieg führen", auch wenn sie sich zunächst als .Spannungen" und "Auseinandersetzungen" äußern. Das Konzil sagt, daß die .Förderung des Friedens" genau hier anzusetzen habe .• Um den Frieden aufzubauen" (ad pacem aedificandam), müßten diese Ursachen kommender Kriege "beseitigt" werden. Konkret handle es sich dabei um •Ungerechtigkeiten", um .allzu große wirtschaftliche Ungleichheiten", um •Verzögerung der notwendigen Hilfe". Gefährliche Situationen könnten auch aus .Herrschsucht", aus .Mißachtung der Menschenwürde" oder aus .egoistischen Leidenschaften" entstehen. Es gebe offenbar ein Maß an .Unordnung", das der Mensch "nicht ertragen kann". Die Folge sei, .daß die Welt auch ohne das Wüten des Krieges dauernd von
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zwischenmenschlichen Spannungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen vergiftet wird" (GS, Nr. 83). Es entspricht der Sprache und dem Stil des Konzils, daß derart typische Situationen zwar beschrieben, die Adressaten jedoch nicht genannt werden. Ähnlich werden, ohne die Adressaten zu nennen, typische Beispiele .,unerträglicher Unordnung" aufgezählt: übertriebenes Gewinnstreben, nationales Prestige, politische Herrschsucht, militaristische Überlegungen und Machenschaften zur zwangsweisen Verbreitung von Ideologien (GS, Nr. 85). Als Felder der Friedensförderung, zugleich der Bewährung für die Kirche, für die Christen, für die "hochentwickelten Länder" werden immer wieder die "aufstrebenden Entwicklungsländer" genannt, aber auch "Flüchtlinge in der ganzen Welt" und "Auswanderer und ihre Familien" (GS, Nr. 84). Das Konzil hat als Weg für die Förderung des Friedens den "Aufbau der Völkergemeinschaft" empfohlen. Auf zwei Gleisen sei dieser Weg zu gehen: 1. gelte es, Kriege zu vermeiden; 2. sei die "internationale Gemeinschaft" aufzubauen, auszubauen und zu intensivieren (vgl. die Gliederung von GS, Tl. II, 5. Kap.). Gerade diese Art der Friedensförderung, Frieden aufzubauen durch internationale Zusammenarbeit zum Abbau von Kriegsursachen bestätigt uns, wie sehr der Friede wirklich eine immer wieder neu zu erfüllende Aufgabe bleibt. In den letzten Jahrzehnten ist die Geschichte des Friedens förmlich zu einer Geschichte weltweiter Zusammenarbeit geworden. Das Spektrum solcher Zusammenarbeit ist breit gefächert: Zusammenarbeit in den Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Technik sowie der Umwelt, Zusammenarbeit in humanitären Bereichen, Zusammenarbeit und Austausch im Bereich der Kultur und der Bildung (vgl. die "Schlußakte" der KSZE von 1975). Zusammenarbeit setzt Übereinstimmung in wichtigen Prinzipien voraus. Besondere Bedeutung haben gegenwärtig die Enthaltung von Gewaltanwendung und -androhung, die Gleichberechtigung und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, die Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen. Ethisch wird die Verpflichtung zu dieser weltweiten Zusammenarbeit aus der Einheit des Menschengeschlechtes abgeleitet. Die Entwicklung der Völker, wenn sie friedlich verlaufen soll, kann nur als solidarische Entwicklung geleistet werden (Papst Paul VI. in seiner Enzyklika (1967) "Populorum progressio", Nr. 43). Erste Erfahrungen mit dieser solidarischen Zusammenarbeit sammelten wir in unserer Kirche, als .Entwicklungshilfe" die Form der .Hilfe zur Selbsthilfe" gewann. Solidarität beginnt nicht erst angesichts von Katastrophen oder Hungersnöten. Solidarität besteht in kontinuierlicher Zusammenarbeit in den oben genannten Bereichen und auf der Grundlage gemeinsamer Prinzipien. Nur dann .fördert Zusammenarbeit Frieden". Zusammenarbeit ist der
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Alltag des Friedens. Auch das Konzil hat sich zu diesem Alltag des Friedens bekannt: ,.Die Kirche muß in der Völkergemeinschaft präsent sein, um die Zusammenarbeit unter den Menschen zu fördern und anzuregen"- durch ihre ,.öffentlichen Institutionen", durch eine ,.umfassende und aufrichtige Zusammenarbeit aller Christen" und deren ,.Mitarbeit" in den internationalen Institutionen (GS, Nr. 89 f.). Zu den Früchten der vielen neuen Wege und Schritte der Zusammenarbeit (nicht nur in Europa) gehört auch die Erwartung von Fortschritten in der Abrüstung. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte seine Warnung vor den Folgen eines Rüstungswettlaufes mit der Mahnung verbunden: ,.Man soll wirklich mit der Abrüstung beginnen, nicht einseitig, sondern in vertraglich festgelegten gleichen Schritten und wirksamen Sicherungen" (GS, Nr. 82). Als Voraussetzung dafür hatte das Konzil im Jahre 1965 den Abbau vonVorurteilenund den Aufbau einer Atmosphäre des Vertrauens genannt (ebd. ). Es gehört zu den ermutigenden Erfahrungen der letzten Jahre, daß mit der Intensivierung von Zusammenarbeit sich auch dort Vertrauen zu entwickeln begonnen hat, wo Mißtrauen vorherrschte. In der KSZE-Schlußakte von Helsinki (1975) beschloß man daher auch und gerade ,.vertrauensbildende Maßnahmen" im militärischen Bereich (u. a. Austausch von Beobachtern bei militärischen Übungen, Militärdelegationen). Diese Maßnahmen sollten Vertrauen bilden, die militärische Konfrontation ,.vermindern" und die politische Entspannung ,.ergänzen". Dies alles seien Schritte auf dem Wege zu einer ,.allgemeinen und vollständigen" Abrüstung ,.unter internationaler Kontrolle", Schritte auf dem Weg zur ,.Festigung des Friedens und der Sicherheit in der ganzen Welt". Wäre damit der Dienst des Soldaten ,.überholt"? Zunächst- Abrüstung ist nicht Verzicht auf Verteidigungsfähigkeit In seiner Ansprache beim Neujahrsempfang 1988 für das diplomatische Corps erklärte Papst Johannes Paul II. dazu: ,.Auch da (bei Fortschritten in der Abrüstung) muß die Sicherheit gewährleistet werden können auf dem geringsten Niveau der Rüstung und der Streitkräfte, das mit den vernünftigen Forderungen der Verteidigung vereinbar ist, und auf der Basis des Gleichgewichts zwischen den Parteien, die sich gegenüberstehen." Abrüstung heute erstrebt militärische Friedenssicherung auf neuen Wegen. Eine Sachverständigengruppe der Deutschen Kommission ,.Justitia et Pax" hat in einem Gutachten (Februar 1989) einen neuen Ausgangspunkt empfohlen. Auch bei der militärischen Friedenssicherung sei .die Sicherheit nicht nur der eigenen Seite, sondern aller Betroffenen zu fördern und zu verbessern" (Gutachten, S. 4). Das sei eine sinnvolle Anwendung der kirchlichen Soziallehre vom •weltweiten Umfang des Gemeinwohls" (GS, Nr. 26). Wie die Friedensförderung eine Aufgabe der .Zusammenarbeit" sei, könne auch ,.Friedenssicherung" besser als bisher ,.in Zusammenarbeit" (der Beteiligten)
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geleistet werden. Das in der Zusammenarbeit zur friedlichen Förderung der Völker gewachsene Vertrauen ermögliche auch Zusammenarbeit in der Friedenssicherung. Ähnlich hat Papst Johannes Paul II. in seiner Botschaft vom 2.6.1988 an die Generalversammlung der Vereinten Nationen empfohlen, "zu einer Lage ausgewogener Defensivrüstung überzugehen auf möglichst niedrigem Niveau, das mit der gemeinsamen (sie!) Sicherheit vereinbar ist". Das alles zeigt, daß "Sicherheit" noch immer Sicherheit vor militärischer Gewaltanwendung bedeutet, doch eben nicht nur das. Sicherheit bedeutet zunehmend, ein Klima zu garantieren, in dem friedliche Zusammenarbeit möglich ist. Friedenssicherung ermöglicht Friedensförderung. Übrigens haben auch katholische Soldaten diese neue Legitimation des soldatischen Dienstes formulieren helfen (vgl. "Soldat für den Frieden", in: "Wenn Soldaten Frieden sagen", hrsg. im Auftrag der "Gemeinschaft katholischer Soldaten", Würzburg 1974, 2 1980). IV. Schlußbemerkung Seit einiger Zeit haben Soldaten und Streitkräfte eine, wie man sagt, gesellschaftliche Akzeptanzkrise auszuhalten. Die Ursachen dafür liegen weder im Auftrag der Streitkräfte noch im Selbstverständnis der Soldaten. Wir leben in einer Gegenwart, in der die Koppelung von Friedenssicherung und Friedensförderung Krieg vermieden hat und ein Klima wachsen konnte, in dem Zusammenarbeit in Freiheit und Sicherheit die Möglichkeiten der Friedensförderung vermehrt und gesteigert hat. Das Konzept vom Soldaten, der dadurch zur Festigung des Friedens beiträgt, daß er sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker betrachtet, hat sich bewährt. Bewährt hat sich auch, daß das Konzil dieses Konzept mit der Auflage verknüpfte, diesen Dienst "richtig" (mit wacher Aufmerksamkeit für das ethisch Vertretbare) zu erfüllen. Mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz von Streitkräften und Soldaten hat nicht ihre Ursache bei denen, die heute diesen Dienst leisten. Bis heute gibt es kein praktikables Konzept für eine Friedensförderung ohne Friedenssicherung. Gerade der Aufbau des Friedens als immer wieder neu zu erfüllende Aufgabe braucht stabile Verhältnisse, die zu garantieren heute zur vornehmsten Aufgabe der Soldaten gehört.
GEFÄHRDUNGEN DES FRIEDENS IN DER MODERNEN WELT Von Elmar Maria Kredel, Bamberg Das Zweite Vatikanische Konzillegte im Vorwort seiner Pastoralkonstitution über "Die Kirche in der Welt von heute" eine grundsätzliche Verhältnisbestimmung zwischen dem Heilsdienst der Kirche und ihrem innerweltlichen Engagement vor: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihre Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden" 1. In diesen Worten bekennt sich die Kirche nachdrücklich und verbindlich zur Weltverantwortung der christlichen Gemeinschaft, und dies aus dem Zentrum ihrer Theologie heraus. Sie begründet damit das Fundament ihrer sozialethischen Aussagen und Stellungnahmen, zu denen sie sich angesichts der Nöte und Gefährdungen, mit denen die Menschheit der Gegenwart zu ringen hat, immer neu herausgefordert sieht. Dem ethischen Anspruch der Wirklichkeit vermag sie dabei nur gerecht zu werden, indem sie zunächst die Strukturen dieser Wirklichkeit analysiert und das Ergebnis solcher Analyse vorurteilslos zur Kenntnis nimmt; erst in einem zweiten Schritt wendet sich ihre Argumentation an die Wirklichkeit zurück, um tragfähige ethische Antworten auf drängende Anfragen zu versuchen. In diesem Sinne werden in der folgenden kurzen Abhandlung Analyse und ethische Argumentation miteinander verwoben sein. Gerade für die Friedensethik gilt, daß sie nur dann Hilfestellung zu leisten vermag, wenn sich die ihr zugrundeliegende Problemsicht im Dialog mit Sachkundigen und Verantwortlichen auch außerhalb des kirchlichen Raumes bewähren kann.
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Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" Nr. 1.
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I. Die Verflechtung der Probleme
Frieden zu erhalten oder überhaupt erst zu schaffen, ist eine Aufgabe, zu deren Bewältigung es in besonderer Weise auf eine Gesamtsicht komplexer und miteinander verflochtener Problemstellungen ankommt. Keineswegs sind etwa die Faktoren, die den Frieden heute bedrohen, durch eine bloße Bilanzierung der Quantitäten militärischer Rüstung schon zureichend bestimmt. Die Eskalation der Rüstungsdynamik, die der gegenwärtige Papst bei vielen Gelegenheiten beklagt und vor deren Folgen für den internationalen Frieden zu warnen er nicht müde wird 2, läßt sich ohne eine Analyse der politischen Ursachen für die zugrundeliegenden Konflikte nicht angemessen verstehen. Gleichwohl wissen wir, daß die Rüstungsentwicklung - insbesondere im Ost-West-Verhältnis - nicht lediglich die Intensität solcher politischer Konflikte widerspiegelt, sondern daß ihr eine eigenständige Dynamik innewohnt. Eben darum bedeutet Rüstung mit modernen Waffen ein hohes Risiko auch für denjenigen, der sich mit ihrer Hilfe vor fremder Gewalt zu schützen hofft; hier gilt heute mehr denn je die Feststellung des Konzils, "daß der Rüstungswettlauf, zu dem nicht wenige Nationen ihre Zuflucht nehmen, kein sicherer Weg ist, den Frieden zu sichern, und daß das daraus sich ergebende sogenannte Gleichgewicht kein sicherer und wirklicher Friede ist" 3. Ungezügelte Rüstungsdynamik hat selbst friedensgefährdenden Charakter. Deswegen undangesichtsder katastrophalen Folgen eines Versagens der Kriegsverhinderung durch Abschreckung nimmt die Frage danach, welche Antriebskräfte von Unfrieden und damit von Rüstungsprozessen es zu beseitigen gilt, an Dringlichkeit zu. Nur wenn es gelingt, Krieg als Mittel politischer Konfliktaustragung dauerhaft auszuschließen, besteht schließlich auch berechtigte Hoffnung darauf, daß die übrigen großen Probleme der heutigen Menschheit sich lösen lassen werden. Die Europäische Ökumenische Versammlung in Basel (Pfingsten 1989) und in ihrem Vorfeld vergleichbare Foren auf nationaler Ebene waren dem Zusammenhang zwischen der Erhaltung und Förderung des internationalen Friedens, der Schaffung von mehr Gerechtigkeit in weltweitem Maßstab und der Bewahrung der natürlichen Umwelt als Gottes Schöpfungswerk gewidmet. Im Beziehungsgeflecht zwischen diesen drei Themenfeldern, die im folgenden um der analytischen Differenzierungwillen je für sich abgehandelt werden sollen, lassen sich die wesentlichen heute relevanten Bedrohun2 Vgl. z. B. seine Ansprache vor dem Friedensdenkmal in Hiroshima am 25.2.1981, abgedruckt in: Dienst am Frieden. Stellungnahmen der Päpste, des II. Vatikanischen Konzils und der Bischofssynode, hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2. Aufl. 1982 (=Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 23), 275 ff. 3 Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" Nr. 81.
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gendes Friedens formulieren. Dabei wird rasch deutlich werden, daß sich die Fragerichtung häufig auch umkehren läßt: so stellen Verletzungen des Friedens durch kriegerische Gewalt in weitem Umfang auch Verstöße gegen die Gerechtigkeit und Gefährdungspotentiale größten Ausmaßes für den Erhalt der Natur dar. II. Frieden als Erhaltungs- und Gestaltungsauftrag
Unmittelbar nehmen wir Bedrohungen des Friedens aus einander entgegenstehenden politischen Interessen und Ansprüchen zwischen Staaten und Völkern wahr. Die Tatsache, daß Nachbarn hochgerüstet sind, erscheint häufig weniger für sich betrachtet als vielmehr in Verbindung mit bekannten oder vermuteten uniriedliehen politischen Absichten dieser Nachbarn als Quelle begründeter eigener Besorgnis. Im Ost-West-Verhältnis kam über Jahrzehnte der letztlich weltanschaulich-ideologischen Grundlage politischer Spannungen dominante Bedeutung zu; würde eine militärische Supermacht - so fragten viele im Westen -, die sich den Prinzipien marxistisch-leninistischer politischer Theorie und Praxis verpflichtet fühlte, auf längere Sicht am Grundsatz der friedlichen Koexistenz festhalten? Und würde sie diesen Grundsatz im eigenen Herrschaftsbereich auf eine Weise mit Leben erfüllen, die dem wachsenden Menschenrechtsethos der Staatenwelt nach dem Zweiten Weltkrieg akzeptabel wäre? Heute sind wir Zeuge einer Entwicklung in Ost- und Ostmitteleuropa, an der überdeutlich abzulesen ist, daß sich elementare Persönlichkeitsrechte grundsätzlich nur um den Preis einer schon mittelfristig tiefen moralischen und politischen Diskreditierung des Inhabers der Macht unterdrücken lassen. Gleichzeitig mehren sich die Anzeichen dafür, daß die bisherige weitgehend konfrontative Ost-West-Konstellation im Bereich militärischer Vorkehrungen durch eine Verhandlungspolitik abgelöst werden kann, die glaubwürdiger als bisher auf wechselseitige Sicherheit hin orientiert ist. Damit bestehen erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs realistische Chancen dafür, in gegenseitigem Einvernehmen zwischen den beteiligten Nationen und Bündnissen einer dringenden Notwendigkeit zu entsprechen, die Papst Johannes Paul II. vor den Vereinten Nationen unlängst so formulierte: "Ein globaler Abrüstungsentwurf muß ohne Einschränkungen vereinbart werden in der Absicht, wenigstens von einer gefährlichen Lage offensiver Überrüstung zu einer Lage ausgewogener Defensivrüstung überzugehen auf dem niedrigsten Niveau, das mit der gemeinsamen Sicherheit vereinbar ist. "4 4 Botschaft an die Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Dritten Außerordentlichen Sitzung über Fragen der Abrüstung vom 2.6.1988, veröffentlicht in: L'Osservatore Rarnano- Dt. Wochenausgabe, 2.9.1988.
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Denn neben den schwerwiegenden Risiken, die das heutige hohe Niveau nuklearer, chemischer und konventioneller Rüstungen mit sich bringt, verbieten es auch die immensen Kosten dieser Methode der Friedenssicherung, sie als Mittel der Kriegsverhinderung auf Dauer zu stellen 5 . Nicht nur materielle, sondern auch wertvolle geistige Ressourcen, die von der Einhegung der Ost-West-Spannung absorbiert sind, stehen zur Bewältigung und schließliehen Beseitigung anderer potentieller Kriegsursachen nicht mehr zur Verfügung. Gleichzeitig sind moderne, immer tödlichere Rüstungsgüter, die häufig im Kontext der Ost-West-Konfrontation erst verfügbar wurden, offenbar weltweit immer mehr Interessenten ohne nennenswerte Schwierigkeiten zugänglich. Solche Waffen verschaffen allenthalben nur zu leicht die Gelegenheit, die Brisanz latenter oder offen ausgetragener Konflikte in anderen Weltregionen in ihrer Bedrohlichkeil für den internationalen Frieden noch wesentlich zu steigern und die Zahl ihrer Opfer in die Höhe zu treiben. -Worin aber haben solche Konflikte in anderen Weltgegenden, vor allem in den Ländern des Südens, ihre Wurzeln? 111. Internationale Gerechtigkeit Bei der Suche nach den Ursachen des internationalen Konfliktpotentials stoßen wir alsbald auf weitere Dimensionen eines menschenrechtlich 6 orientierten Zugangs zum Friedensproblem. Im Zentrum der Ost-West-Konkurrenz stehen die persönlichen und politischen Freiheitsrechte des Einzelnen sowie sein berechtigter Anspruch darauf, angemessene Möglichkeiten zur Teilhabe am Prozeß der politischen Gestaltung des Staatswesens zu erhalten. Die meisten Länder des Südens haben für diese Auseinandersetzung um so weniger Verständnis, je drängender sie elementare materielle Notlagen bei sich selbst erfahren müssen. Auch wenn es zweifellos zutrifft, daß gelungenes menschliches Leben nicht mit materieller Saturiertheil identisch ist, so bleiben doch Informations- und Meinungsfreiheit für denjenigen, dem das zum Leben Notwendigste fehlt, formale Rechte, die in der praktischen Wirklichkeit seines Lebens leerlaufen. In diesem Sinn erweist sich eine erträgliche soziale Basis der individuellen Existenz als Bedingung der Möglichkeit für dieWahrnehmungvon Freiheitsund Teilhaberechten. Gerade demjenigen, dem eine freiheitliche, demokratische, dem Prinzip der Gewaltenteilung und der .,Checks and Balances" verpflichtete Verfassungsgesetzgebung auch in heute autoritär regierten 5 Vgl. die Stuttgarter Erklärung .,Gottes Gaben- unsere Aufgabe" des bundesdeutschen Ökumenischen Forums zu Frieden, Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung, Ziff. 3.321. 6 Zur Bedeutung der Menschenrechte im Kontext einer christlichen Soziallehre vgl. Papst Johannes Paul II., Enzyklika .Redemptor Hominis", bes. Nr. 17.
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Staaten ernsthaft am Herzen liegt, muß es konsequenterweise ein Hauptanliegen sein, Armut, Elend, Hunger und Unterentwicklung weltweit entschlossen zu bekämpfen. Nur dadurch läßt sich auch wirksam der Gefahr begegnen, daß Menschen, die schließlich an der Aussichtslosigkeit ihrer Lage verzweifeln, in der Anwendung kriegerischer oder terroristischer Gewalt und in einer leichtfertigen Übernahme von Ideologien einen Ausweg suchen. Der Beitrag der Länder des Nordens zu einer derartigen Politik der Kriegsursachenbekämpfung ist dringend einzufordern und kann in seiner Bedeutung schwerlich überschätzt werden 7 . Unter dem Gesichtspunkt des Friedenserhalts entspricht eine solche, auf mehr internationale Gerechtigkeit gerichtete Politik zudem bereits den längerfristigen nationalen Eigeninteressen der entwickelten Länder, noch bevor eine ausdrücklich moralische Argumentationsfigur ins Spiel kommt. Daran gilt es auch im Hinblick auf Tendenzen zu erinnern, politische und wirtschaftliche Unterstützung für reformpolitische Bestrebungen auf die Länder Osteuropas zu beschränken und die Völker der südlichen Halbkugel ihrem Schicksal zu überlassen. Freilich ist eine Politik, die aus menschenrechtsorientierter Begründung lebt, mit mancherlei politischen Selbstverständlichkeiten und insbesondere mit nationalen Egoismen bereits im Ansatz unvereinbar. Dies schließt ein, daß der Gedanke zurückgewiesen wird, enggeführte nationale Interessen durch die Beteiligung an zwar supranationalen, aber immer noch regional begrenzten politischen Zusammenschlüssen nur wirksamer umzusetzen. Internationale Gerechtigkeit basiert darauf, daß die Personwürde aller betroffenen Menschen - unabhängig von Nationalität, Religion, Hautfarbe oder Rasse- respektiert wird; ein diskriminierender Umgang mit Fremden jedweder Herkunft verbietet sich daher. "Menschenrechte sind unteilbar": diese Formel erinnert auch an den allen Menschen gemeinsamen Grund ihrer Würde und die Reichweite ihrer Solidarverpflichtungen, die sich nicht nach Belieben oder politischer Opportunität bestimmen und begrenzen läßt. Die Zielperspektive kirchlicher Friedenslehre ist eine Welfriedensordnung in Recht und Gerechtigkeit 8 . Einer ihrer tragenden Pfeiler muß eine internationale Rechtsordnung sein, die überall auf der Welt einklagbar ist und deren Normen durchgesetzt werden können, um weltweit die Schwächeren gegen eine sonst möglicherweise übermächtige Interessenvertretung seitens einzelner Nationen oder Mächtegruppen zu schützen. Das bedeutet aber, daß die rechtlichen Prinzipien heutiger Menschenrechtskonventionen in globalem Maßstab Akzeptanz und Respekt bei den politisch Verantwort7 Papst Johannes Paul li., Botschaft zum Weltfriedenstag 1986, Nr. 4, stellt fest, "daß Aussöhnung, Gerechtigkeit und Friede ... nicht bloß ein ehrenwerter Appell für einige Idealisten ist, sondern eine Bedingung für das Überleben des Lebens selbst". 8 Vgl. Pastoralkonstitution .,Gaudium et Spes" Nr. 83 ff.
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liehen finden müssen. Insofern stellen juristische Systeme regionalen Menschenrechtsschutzes, wie sie seit geraumer Zeit in Europa und mittlerweile auch in anderen Kulturkreisen vorzufinden sind, Meilensteine eines Entwicklungsprozesses auf ein verändertes internationales Ethos hin dar, ohne welches eine neue Weltfriedensordnung nicht realisierbar sein dürfte. Überhaupt liegt die Bedeutung supranationaler Konsenstindung in gegenwärtigen internationalen Institutionen in derselben Argumentationslinie. Die Leistungsfähigkeit solcher Institutionen im Hinblick auf die Aufgaben der Friedensförderung hängt allerdings entscheidend davon ab, ob und inwieweit die in ihnen mitarbeitenden Staatenvertreter über ihren partikulären Interessenhorizont hinauszublicken bereit und in der Lage sind. Auch von hier wird einsichtig, daß eine Strukturreform des internationalen Systems, die nicht letztlich von einer erneuerten ethischen Grundeinstellung der Akteure begleitet würde, in ihrer befriedenden Wirkung weit hinter dem Maß des Möglichen zurückbleiben müßte. Wie die Wahrung des Weltfriedens, ja als eine seiner Vorbedingungen, erfordert also eine dem Recht des Menschen in Gottes Schöpfung verpflichtete Politik einen umfassenden BewußtseinswandeL Die faktische Interdependenz aller heute wesentlichen übernationalen Problemlagen läßt es nicht zu, daß sich einzelne Staaten der Mitarbeit an der Bewältigung globaler Gefährdungen entziehen, auch wenn dies zunehmend zu einer Relativierung nationaler Souveränitätsansprüche führen wird. Ein Problemfeld, dem erst seit kurzem und vielleicht fast schon zu spät die erforderliche Aufmerksamkeit der Politik gilt, ist die Bewahrung unserer natürlichen Umwelt. IV. Bewahrung der Schöpfung Gegenwärtig wird uns an vielen Einzelbeispielen erfahrbar, daß der Auftrag Gottes an den Menschen, dieser solle sich die Erde untertan machen (Gen 1, 28), in scharfem Kontrast zum tatsächlichen Umgang des Menschen mit dem ihm umgebenden Schöpfungswerk der Natur steht. Diese Beauftragung durch den Schöpfer war ja keineswegs ein Mandat zu rücksichtslosem Raubbau an den Schätzen der belebten und unbelebten Umwelt. Prinzipien des menschlichen Umgangs mit der Natur sollten vielmehr deren schonende, pflegliche Gestaltung und ein Verantwortlichkeitsbegriff sein, dem es um eine von Aspekten fürsorglicher Verwaltung begrenzte Entfaltung der in der Schöpfung angelegten Möglichkeiten ging. Der konkret erfahrbaren heutigen Wirklichkeit erliegen jedoch alle Illusionen, daß sie Weltgestaltung entlang diesen Prinzipien vollzogen haben könnte. Die Menschheit sieht sich stattdessen im Hinblick vor allem auf zukünftige Generationen von den zunehmend unübersehbar werdenden Rückwirkungen ihres Raubbaus an der natürlichen Umwelt in wachsendem Maße existentiell bedroht.
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Boden, Luft und Wasser erweisen sich als in je unterschiedlicher Weise in diese Gefährdungssituation einbezogen. Gleichzeitig mit der Tatsache, daß die Analyse dieser Problematik geschärfte Aufmerksamkeit findet, gewinnt allerdings in weiten Kreisen der politisch Verantwortlichen, der im Detail Kundigen und einer informierten Öffentlichkeit die Befürchtung Raum, es sei für eine Abwehr solcher Gefahren im Grunde bereits zu spät. So sind uns zum einen manche gravierenden Auswirkungen vergangeneo Raubbaus erst mit beträchtlicher Verzögerung spürbar geworden; entsprechend dürften Korrekturversuche ebenfalls häufig erst langfristig zu einer positiven Trendwende führen können. Zum anderen besteht in nicht wenigen Bereichen bereits über die Frage ökologisch vertretbarer Alternativverfahren zur heutigen technischen und industriellen Nutzung natürlicher Ressourcen eine beträchtliche Unsicherheit. Drittens steht ein konsequent konzipierter Umweltschutz auch dort, wo er in prinzipiell praktikable Verfahren ausgearbeitet ist, vor der Hürde widriger politischer Rahmenbedingungen spätestens im supranationalen Bereich, die seine Durchsetzbarkeil außerordentlich erschweren. Zu diesen erschwerenden Bedingungen gehört nicht zuletzt die Tatsache, daß gerade in Situationen zunehmender Verelendung die Versuchung fast unabweisbar stark werden kann, um des nackten kurzfristigen Überlebens willen Formen der Naturnutzung zu betreiben, die mittel- und längerfristig den Charakter des Raubbaus haben. Entwicklung, zunehmende internationale Gerechtigkeit und ein menschenwürdiges Dasein für alle stehen daher nicht nur mit der Frage des Friedenserhalts, sondern auch mit derjenigen eines ökologisch vertretbaren Umgangs mit der Schöpfung in engem Zusammenhang. Auch unter diesem Gesichtspunkt wird deutlich, daß in zunehmendem Maße Politik unter den Prärogativen nationaler Egoismen als kontraproduktiv schon auf einer von ethischen Imperativen noch nicht durchtränkten Reflexionsebene zu erkennen ist. Immer stärker erweisen sich zudem Problemlösungsansätze, deren Reichweite sich auf ausschließlich nationale Gestaltungsmöglichkeiten beschränkt, als inadäquatangesichtsder faktischen internationalen Verflochtenheit der Handlungszusammenhänge. Und schon innerhalb solcher national begrenzter Korrekturversuche der Umweltkrise scheinen die Strukturen politischer und administrativer Entscheidungstindung dem Anspruch, der jeweiligen Gesamtproblematik und nicht nur partiellen Rücksichten angemessen Rechnung zu tragen, bei weitem nicht genügen zu können 9 • Trotz erheblicher politischer und technischer Restriktionen, die einem zeitgerechten, wirksamen Umweltschutz heute entgegenstehen, dürfen jedoch tieferliegende Gründe für die Umweltkrise der Gegenwart nicht über9 V gl. die Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz .,Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung" (1985), Nr. 91.
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sehen werden. Ehrfurcht vor dem Eigenwert der belebten und unbelebten Natur als dem Werk des Schöpfers, damit auch ein ethisch bestimmtes Verhältnis des Menschen zum Tier, das dieses nicht wie einen empfindungslosen Gegenstand behandeln läßt, sind Grundhaltungen, die uns weithin abhanden gekommen sind 10 . Unser heutiges technisch-instrumentelles und politisch-strategisches Können überschreitet darüber hinaus bei weitem den Horizont unseres Vermögens, die mit solchermaßen gewachsenen Fähigkeiten verbundenen ethischen Herausforderungen denkerisch wie praktisch zu bewältigen. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, daß wir häufig schon dann vor nicht geringen Schwierigkeiten stehen, wenn es gilt, konkrete Verantwortlichkeiten für oftmals gravierende Fehlentwicklungen im technischen wie politischen Bereich überhaupt erst festzustellen. Inwieweit bedeutet der Rücktritt eines einzelnen zuständigen Ressortchefs noch eine tatsächliche Übernahme von Verantwortung, wenn dessen übergreifende Zuständigkeit zuvor in so viele Einzelkompetenzen aufgeteilt wurde, daß auf allen Ebenen um die Tragweite der tatsächlichen Gesamtverantwortung immer weniger gewußt werden kann? V. Einige grundlegende Orientierungen
Wie die voranstehende Untersuchung gezeigt hat, wird die Brisanz jedes einzelnen Aspekts, der für die Erhaltung des Weltfriedens bedeutsam ist, angesichtsder Verknüpfung dieser Einzelgesichtspunkte zu einem einheitlichen Wirkungszusammenhang in nochmals gesteigertem Maße sichtbar. Im Blick auf diesen Gesamtzusammenhang lassen sich über das bereits im jeweiligen Kontext der Teilaspekte Gesagte hinaus einige grundsätzliche ethische Maxin:.cü benennen, denen in allen Einzelbereichen zu entsprechen wäre. Im Kontext der Friedensthematik hat sich herausgestellt, daß ein erfolgversprechendes Konzept der Rüstungsbegrenzung und Rüstungsminderung sich nicht auf die Festlegung von Obergrenzen des jeweils schon existierenden Rüstungsniveaus beschränken kann. Neue Verhandlungsansätze sind vielmehr zunehmend von dem Gedanken geprägt, die Dynamik der Weiterentwicklung technischer Möglichkeiten und durch sie eröffneter strategischer Optionen dadurch einzufangen und womöglich zu revidieren, daß die Verhandlungspartner zu einem Konsens über stabile Strukturen des Kriegsverhütungssystems zwischen Ost und West gelangen, denen die beiderseitige Rüstungspolitik anzupassen wäre. Vorausschauende Risikoabwehr erweist sich als überlegen gegenüber einem Rüstungskontrollkonzept, das direkte Eingriffe in die Dynamik der wechselseitigen Rüstungsent10
Vgl. die Erklärung von EKD und DBK (Anm. 9), bes. Ziff. 4.2.3.
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wiekJung möglichst auszusparen trachtete und daher auf eine .. Kur am Symptom" mit bestenfalls kurzfristigem und daher sehr begrenztem Erfolg verwiesen blieb. Derselbe Grundgedanke läßt in der Forderung nach langfristig orientierter Technikfolgenabschätzung wiedererkennen. Hier wie dort geht es darum, zwar ungewollte, aber besonders längerfristig mögliche negative Konsequenzen heutiger Entscheidungen bewußt zu antizipieren, um diese Risiken nach Möglichkeit durch alternative Entscheidungen zu umgehen, wenigstens aber sie erträglich halten zu können. Vorausschauende Gefahrenabwehr und aktive Suche nach Alternativen 11 sind allerdings nur dort praktikabel und sinnvoll, wo nicht durch schon getroffene, weitreichende und nahezu irreversible Entscheidungen die Handlungsspielräume unerträglich eingeschränkt wurden. Insofern gilt auch im politischen Bereich ein Vorsichtsprinzip, das sich im Zweifelsfall nicht an der Möglichkeit des Erfolgs, sondern am Risiko des Mißlingens des Gewollten orientiert 12 und daher begrenzte, korrigierbare Entscheidungen mit möglicherweise durchaus einschneidenden, aber überschaubaren Effekten bevorzugt. Solche Vorsicht ist im Grunde nichts anderes als die direkte Konsequenz aus der Erkenntnis, daß zwischen dem, was Menschen heute vermögen, und ihrer Fähigkeit, dafür die Verantwortung zu tragen, eine besorgniserregende Diskrepanz besteht. Auch an der seit geraumer Zeit geführten Diskussion über Kriterien und Strategien der Entwicklungshilfe, die sich wesentlich einem zunehmenden Bewußtwerden der Unzulänglichkeiten und teils sogar kontraproduktiven Wirkungen herkömmlicher Konzepte verdankt, lassen sich durchaus ähnliche Problemlagen aufzeigen. Eher globale Lösungsansätze, deren Befürworter sich rasche, durchgreifende Korrekturen an der verzweifelten Lage von Millionen notleidender Menschen mit einem sehr begrenzten Spektrum von Maßnahmen erhofften, scheinen tatsächlich weit weniger bewirken zu können als eine Vielzahl lokaler, am Gedanken der .. Hilfe zur Selbsthilfe" orientierter Entwicklungsprojekte, die je für sich betrachtet zunächst eine eher begrenzte Reichweite haben. Die hier gegebene Möglichkeit, Erfahrungen Betroffener unmittelbar in die konzeptionelle Weiterentwicklung von derartigen Projekten einzubeziehen, kommt nachhaltig der Korrektur- und Anpassungsfähigkeit solcher Ansätze zugute. 11 Explizit und mit besonderem Nachdruck fordern die deutschen Bischöfe eine solche Alternativensuche im Hinblick auf die Überwindung des Abschreckungssystems, vgl. ihr Friedenswort .,Gerechtigkeit schafft Frieden" (1983), S. 54. 12 Vgl. die gemeinsame Erklärung von EKD und DBK (Anm. 9), Nr. 36: .,Im Zweifelsfall ist daher eher nach der Überlegung zu handeln, ein gewagtes Unternehmen könne mißlingen, als nach der gegenteiligen Überlegung, es werde schon alles gut gehen."
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Das Motto des Weltfriedenstages 1990 lautet ,.Friede mit Gott dem Schöpfer, Friede mit der gesamten Schöpfung". Es erinnert dar an, daß die Erde mit allen Gütern, die sie enthält, ein gemeinsames Erbe für die ganze Menschheit ist. Im Licht dieses Grundsatzes dürfen die Mitglieder der Völkergemeinschaft die irdischen Güter nicht für egoistische Zwecke mißbrauchen, die einzig und allein auf Profit oder Macht ausgerichtet sind. Vielmehr sind alle für das Gemeinwohl mitverantwortlich. Wo immer sie sich dieser Herausforderung stellen, dienen sie auch dem Frieden in hervorragender Weise. Jeder Vorschlag hingegen, der drohenden Gefahren für ein Überleben der Menschheit in Frieden und Gerechtigkeit abhelfen will, aber dabei den weltumspannenden Rahmen heutiger Solidaritätspflichten verkennt, droht aus eben diesem Grunde zu scheitern. In seiner Enzyklika ,.Sollicitudo Rei Socialis" ( 1987) hat Papst Johannes Paul II. betont, in wie starkem Maße es in der heutigen Menschheitskrise erneuerter sittlicher Grundhaltungen der Menschen bedarf. Der Auftrag, daran zu erinnern und die Umsetzung solcher Haltungen in entschlossenes Handeln - gegen alle Versuchungen zur Resignation angesichts vorhersehbarer Rückschläge und Mißerfolge immer neu anzumahnen, wird auch zukünftig zu den vornehmsten Aufgaben der Kirche gehören.
PAX ET JUSTITIA Zum Wahlspruch von Militärbischof Dr. Alfred Kostelecky
Von Kar! Majcen, Wien Am 24. 9. 1989 hielt Papst Johannes Paul II. beim Treffen mit der 46. Luftbrigade in Pisa eine Ansprache. Darin führte der Hl. Vater unter anderem aus: "So fordere ich Sie also auf, mit hochherziger und offener Gesinnung Ihre Pflicht weiterhin zu erfüllen. Diejenigen unter Ihnen, die sich ausdrücklich zum christlichen Glauben bekennen, mögen sich dazu angehalten sehen, gegenüber den Kameraden in beispielhafter Weise Zeugnis zu geben, was die zuverlässige Erfüllung der Aufträge und Missionen angeht, die Ihnen anvertraut sind. Wer Ihren Glauben nicht teilt, muß durch Ihr Verhalten veranlaßt werden, sich nach der Quelle Ihres Enthusiasmus und Ihres Opfergeistes zu fragen. Das Christentum ist und bleibt immer eine große Schule der Menschlichkeit, auch wenn es sich nicht darauf beschränkt, weil es den Menschen über sich hinaushebt zur Würde eines Kindes Gottes." 1 Immer wieder, wenn der Papst zu Soldaten spricht, kommt dieses sein Grundanliegen zum Ausdruck: den Militärdienst als Friedensdienst für die Gemeinschaft zu erklären und im Militärdienst zum rechten Zusammenleben mit anderen aufzufordern, den Dienst recht zu versehen, damit auch daraus ein Werk des Friedens werde. Dieser Papst hat entsprechend der Konstitution "Spirituale Militum Curae" 2 den hochwürdigsten Herrn Prälaten Dr. Alfred Kostelecky zum Militärbischof von Österreich ernannt. Als seinenWahlspruchnannte unser Militärbischof: "Pax et Justitia". Anläßlich seiner Bischofsweihe am 14. Dezember 1986 ging Dr. Kostelecky auch auf die genannte Konstitution ein und sagte folgendes: "Ist es nicht denkbar, daß der Papst, an dessen weltumspannenden Friedensappellen doch niemand zweifeln kann, sich gerade durch diese Neuregelung erhofft, daß seine Absichten für Befriedung und Konfliktentschärfung auch in den nationalen Heeren verwirklicht werden könnten?" Siehe Wochenausgabe L'Osservatore Romano Nr. 42/89. Apostolische Konstitution von Papst Johannes Paul II. über die Militärseelsorge; gegeben zu Rom, am 21. Apri11986. (Originallat. im L'Osservatore Romano 5./6. Mai 1986) 1
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Viele sehen heute Frieden und Gerechtigkeit sehr knapp vor Verwirklichung in dieser Welt, manche meinen, als einziges Hindernis stehe nurmehr die Existenz nationaler Streitkräfte im Wege. Was soll also heute noch ein Gedanke verschwendet werden, gar aus der Sicht eines ,.modernen" Christen, auf das Amtsverständnis eines Militärbischofs, auf Militärseelsorge oder auf das Wirken von Christifideles unter Soldaten? 300 Jahre nach dem ,.Geburtsjahr der Militärseelsorge der gesamten Armee" 3, 30 Jahre nach Ernennung von Kardinal Dr. Franz König zum Militärvikar (21.2.1959)3 und knapp vor dem 30. Geburtstag des Militärvikariates (5.4.1960) 3 sowie vor dem Hintergrund des Rufes nach Neuevangelisierung wäre eine solche Frage wohl nur verständlich, wenn die Abschaffung des Bundesheeres bevorstünde und/ oder wenn man gerade dieser ursprünglichsten Form der kategorialen Seelsorge die Existenzberechtigung absprechen möchte. Hier und heute soll der Versuch unternommen werden, einige ,.Anmerkungen" zumWahlspruchunseres Militärbischofs, einige Gedanken zu ihrer Verwirklichung unter den Diözesanen festzuhalten. Sie mögen sowohl als Lebenszeichen des Laienapostolates verstanden werden als auch als eine Antwort auf das Wollen unseres Bischofs heute und in Zukunft. ,.Schafft Bedingungen, die den Glauben erleichtern!" So rief der Heilige Vater 1988 den im Stephansdom Versammelten zu, und dieser Aufforderung nachzukommen, muß auch für das Militärordinariat von Österreich gelten. Pax et Justitia können und sollen daher unter den Österreichischen Gegebenheiten für die Militärseelsorge die beiden tragenden Pfeiler, sie können Zentralpunkte eines Pastoralkonzeptes sein. Sind diese Pfeiler so tragfähig wie Dr. Kostelecky in Fortführung des Bemühens seiner Vorgänger sie zu bauen sich bemüht, dann wird auch die gesellschaftliche Verantwortung der Laien so zum Tragen kommen, wie sie die Bischofssynode sieht. Wie kann das sein? Msgr Dr. Heinrich Schnuderl meint dazu unter dem Stichwort ,.Impulse des Papstbesuches" u. a., daß die Kirche wieder entdecken müsse, wie wichtig ,.organisierte Arbeit" ist, weil gesellschaftliche Präsenz und Wirksamkeit nur von Einzelpersonen hier nicht weiterhelfen kann. 4 Dies sieht wohl auch Exzellenz Kostelecky so, denn das Wirken bzw. die Förderung der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Soldaten (AKS) ist sein besonderes Anliegen. Dies kommt u. a. in einem Schreiben an die Kommandanten und Dienststellenleiter im Advent 1988 zum Ausdruck, wo es u. a. heißt: ,.Als Militärbischof von Österreich bitte ich Sie aber auch neuerlich, die Arbeitsgemeinschaft 3 Siehe: .Militärordinariat der Republik Österreich" in ,.Militum Curae Pastoralis", Heft 2/88. Hrsg. Koordinierungsbüro der Militärbischöfe bei der Bischofskongregation, Rom. 4 Heinrich Schnuderl, .Die kath. Kirche in Österreich nach dem Papstbesuch 1988", in: .KAÖ" Mitteilungen Nr. 3/88; Hrsg. kath. Aktion Österreichs, 1010 Wien.
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Katholischer Soldaten und damit die Militärseelsorge in ihren Bestrebungen zu unterstützen. "5 Es ist an dieser Stelle vielleicht angebracht, kurz auf die AKS einzugehen, damit auch im Wege dieses Beitrages Informationen über diese Organisation verbreitet werden. Sie ist nach eigener Darlegung "eine Gemeinschaft von Soldaten und von zivilen Angehörigen des Bundesheeres sowie deren Familienangehörigen, die - danach streben, ihr Leben nach dem Evangelium auszurichten, - sich in einer Gemeinschaft entfalten und nicht in einer anonymen Masse verlieren wollen, - sich der Verantwortung an ihrem Arbeitsplatz im Bundesheer und in ihrer privaten Sphäre bewußt sind, - sich nicht passiv mit Mißständen abfinden, sondern zur Überzeugung gelangt sind: Auch ich muß etwas tun, damit sich die Dinge zum Besseren wenden, - beim Aufbau der christlichen Gemeinde mitwirken wollen, indem sie das Evangelium anderen, besonders aber jenen, die vom Militärpfarrer nicht erreicht werden, bringen und - die sich für die Gestaltung aller Bereiche des Lebens, wie es dem Willen des Schöpfers entspricht, einsetzen". 6 Ihre rechtliche Situation ist durch klare und auch amtlich verlautbarte Sta tuten geregelt. 7 Aber auch im Bereich des Einsatzes der Militärgeistlichen achtet der Bischof auf .organisierte Arbeit", indem er Pfarrbereiche neu regelt und überhaupt seine Diözese im Sinne einer vollwertigen ordnet: "Frieden durch Ordnung und Gerechtigkeit!" "Gerechtigkeit schafft Frieden!" So übertitelten die deutschen Bischöfe ihren Hirtenbrief, mit dem sie sich 1983 in der damals heftig geführten Friedensdiskussion zu Wort meldeten. 8 "Justitia et Pax" heißt eine beim Heiligen Stuhl eingerichtete Kommission. Hat die andere Reihenfolge im Wahlspruch des Österreichischen Militärbischofs etwas zu bedeuten und ist daher zu beachten? Univ. Prof. Dr. Schambeck sagte dazu in einem Festvortrag: "Der Friede sollte vielmehr stets das Werk der Gerechtigkeit sein. In 5 Schreiben des Militärbischofs anläßlich des Erscheinens der Broschüre: .Die AKS- Ziele und Wege". Hrsg. Präsidium der AKS, 1070 Wien. 6 A.a.O., S. 6. 7 Siehe Verlautbarungsblatt I des BMLV, Nr. 212/1985. 8 .Gerechtigkeit schafft Frieden". Worte der Deutschen Bischofskonferenz zum Frieden. 18. April 1983; Hrsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 5300 Bonn.
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diesem Sinne lautet auch derWahlspruchvon Exzellenz Kostelecky: Pax et Justitia- Friede und Gerechtigkeit. Der Friede bedarf der Anerkennung der Freiheit und Würde jedes Menschen sowie der gemeinwohlgerechten Förderung der kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, damit ein Fortschritt erzielt wird, der möglichst allen Staaten, und das nicht bloß materiell, sondern auch ideell, zugute kommt. Es wäre aber eine falsche Sicht der praktischen Verhältnisse im allgemeinen und der Existenzbedingungen eines Staates im besonderen, annehmen zu wollen, daß in einer Völkergemeinschaft mit einer Pluralität politischer Systeme Friede und Freiheit eines Staates alleine durch eine ausgewogene innere Ordnung gewährleistet sei, es bedarf auch des Schutzes seiner Sicherheit nach außen. Darum gilt nach wie vor der Satz: ,Jedes Volk hat eine Armee, entweder die eigene oder eine andere."' 9 Im Vorwort zur erwähnten Informationsschrift über die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Soldaten grüßt der Ordinarius mit den Worten seines Wahlspruchs: ,.Friede und Gerechtigkeit". Ohne nähere Erklärungen zur Reihenfolge fügte er an: ,.Dies ist der Sendungsauftrag für unsere Zeit und der Heilsauftrag an die Menschen unserer Heimat, denen unser Dienst gilt." Und es soll nicht in den Anmerkungen ,.verschwinden", was er weiter schreibt: ,.Mit euch bin ich Christ- für euch bin ich Bischof! Damit ist auch unser Apostolat umschrieben. Es ist jede Tätigkeit des mystischen Leibes und seiner Glieder zur Verwirklichung des Zieles unserer Kirche. Dieses Ziel aber ist die Durchdringung und Vervollkommnung der zeitlichen Ordnung mit dem Geist des Evangeliums. Dieses Apostolat der Christen gehört wesentlich zur Kirche. Will unsere Kirche heute wirksam inmitten der Gesellschaft sein, braucht sie das Engagement des einzelnen für die Gemeinschaft. Wer erkennt diesen Auftrag mehr und besser, wenn nicht der Mitarbeiter in der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Soldaten? Aus dieser Erkenntnis heraus lade ich Sie ein und bitte Sie, im Geiste des Evangeliums aus der Kraft der Sakramente, auf die ihnen eigene Weise zusammen mit der Hierarchie unserer Kirche zu leben und zu wirken, so, daß in unseren Reihen, unter den Soldaten, die Gemeinschaft der Kirche beziehungsweise Kirche als Gemeinschaft wirksam und sichtbar werde." 10 Damit ist eigentlich ein Programm umschrieben, ein Bischof charakterisiert. In welcher Stunde aber sind diese Worte gesagt, mit welchen Umständen ist bei der Umsetzung zu rechnen? Hier mag ein Rekurs auf den ,.Fünfjahresbericht 1982-1987" über den Stand der gesellschaftlichen Wirksamkeit der kath. Kirche in Österreich angebracht sein. Er ist aus Gründen des leichteren Zuganges diesem Beitrag im Volltext angefügt. 11 Und wo 9 Univ. Prof. Dr. Herbert Schambeck, Vizepräsident des Bundesrates, hielt diesen Vortrag am 2. Juli 1987 anläßlich des Festkommers bei der CV-DANUBIA.
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stehen wir heute? Wohl nach wie vor dort, wie es Dr. Koste/ecky am Ende eines Referates über .,Österreichs Verteidigungspolitik seit 1945 aus der Sicht der kath. Kirche" nach einem ausführlichen Eingehen auf die relevanten Artikel von .,Gaudium et Spes" festhält .,Diese Aussagen des Il. Vatikanischen Konzils über die Landesverteidigung und Friedenserhaltung sind nach wie vor für die in der Verteidigungspolitik unseres Landes Verantwortlichen Hilfe und für die Militärseelsorge verbindliche Richtschnur." 12 Das ist etwas, womit den seiner Sorge anvertrauten Angehörigen des Bundesheeres ein Halt gegeben wird: .,Für Euch bin ich Bischof!" Unter Bezugnahme auf eben diese Aussage des II. Vatikanischen Konzils über den Frieden postuliert Valentin Zsifkovits für einen .,eindeutigen Orientierungsvorrang der Friedensethik gegenüber der Wehrethik". Letztere sieht er allerdings als integrierenden Bestandteil einer umfassenden Friedensethik Damit ist sowohl zum Stichwort Frieden aus dem Wahlspruch unseres Militärbischofs als auch zur zitierten Forderung des Heiligen Vaters: .,Schafft Bedingungen, die den Glauben erleichtern!" ein Punkt erreicht, den Dr. Herbert Scharnbeck am 2. Juli 1987 im erwähnten Festvortrag zur Inthronisation von Dr. Kostelecky so formulierte: .,Wir sollten uns mehr als bisher über unser Gewissen ein Wissen machen und unserem Glauben privat, beruflich und politisch mehr als bisher ethische Maßstäbe anlegen, die von unserem Glauben künden." Es sei beim Wissen verblieben. Für den Österreichischen Soldaten hat dazu der frühere Generaltruppeninspektor, General Scharff, in einer Auseinandersetzung mit dem Wehrdienst als Friedensdienst überzeugend formuliert: .,Als Soldaten sind wir aber verpflichtet, Sicherheit und Frieden in unserem Raum auf realen Grundlagen zu erhalten. Gerade deshalb haben wir auch - realitätsbezogen - jene Beiträge zu leisten, die unsere Sicherheitspolitik glaubwürdig machen und damit zur Friedenserhaltung beitragen. Welches Land, außer der Schweiz, hat sich für alle Zeiten als neutral, also als nicht kriegsführend erklärt? Und welche Armee, außer der schweizerischen, kann noch behaupten, daß sie im Frieden in einsatzfähiger Form gar nicht existiert, daß sie nur eine Armee für die Notwehr ist und ihre Rüstung auf einem dieser Zielsetzung angepaßten Minimum hält? Unsere Soldaten kennen als einzige Einsatzform den Friedensdienst im Rahmen der Vereinten Nationen und die Notwehr im Falle des Angriffes auf das eigene Land." 11 Im .,Fünfjahresbericht 1982-1987 über den Stand der gesellschaftlichen Wirksamkeit der katholischen Kirche in Österreich". Vorgelegt vom Präsidium der Kath. Aktion Österreichs. Hrsg. KAÖ, 1010 Wien, schreibt Kar/ Macjen unter 3.2.11. Siehe Anlage. 12 Allred Kostelecky, .Österreichs Verteidigungspolitik seit 1945 aus der Sicht der katholischen Kirche", in: .Militär und Ethik- verteidigungspolitische Konzeptionen
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Aufbauend auf dieser hochqualifizierten Aussage und vielen anderen vergleichbaren läßt sich somit auch die Feststellung wagen, die der Militärkommandant von Wien anläßtich der Angelobung von Jungmännern am 25. Oktober 1989 traf: "Sie können als Österreichische Soldaten eindeutig, und zwar sowohl von der politischen Vorgabe als auch den militärischen Planungen her, ihren Dienst als Kriegsverhinderungsdienst sehen. Wer etwas anderes behauptet, hat die Idee unserer Landesverteidigung entweder nicht begriffen oder er will sie nicht begreifen." 13 Doch kehren wir zurück zum Wahlspruch des Militärbischofs. Was soll also in einer so gesicherten Bewußtseinslage das viele Gerede von Frieden. Sagte doch Exzellenz Kostelecky selbst am Schluß der Einleitung seines schon zitierten Referates: "Ansonsten steht im Vordergrund der Bemühungen seitens der katholischen Kirche die seelsorgliche Betreuung der zum Wehrdienst in der Republik Österreich Gerufenen." 14 Und er interpretierte diese Seelsorge als eine, "die immer vor Augen hat, jungen Menschen seelsorglichen Beistand zu leisten, und sich nicht zur Wehrpolitik berufen fühlt, ... " Nun, wir stehen heute in einer Zeit, die uns täglich mit Nachrichten und Behauptungen konfrontiert, die ängstliche Naturen, und nicht nur diese, in den Ruf einstimmen läßt, wir seien Zeugen eines kompletten Umbruchs. Dies verlangt Festigkeit und immer wieder Auseinandersetzung mit den die Diskussion beherrschenden Begriffen. Einer davon ist Frieden - und nicht erst seit den KSZE-Verhandlungen- immer in Kombination mit Gerechtigkeit, heute vielfach unter dem Titel Menschenrechte "verborgen". Gilt das auch für den Österreichischen Soldaten, der seiner ganzen Aufgabenstellungnach als Soldat für den Frieden gesehen werden kann? Der Katholik kann wohl angesichts der Aufgabenstellung des Bundesheeres sicher guten Gewissens Soldat sein - und er könnte sich damit zufrieden geben. Doch von ihm kann man wohl mehr verlangen, von ihm wird man mehr erwarten dürfen - z. B. das Zusammenkommen zum Gebet. Nun wissen wir zwar als Christen, daß wir kaum gewichtigeres als unser Gebet in die Friedensbemühungen einbringen können, unter den Lebensregeln unserer Gesellschaft müssen wir aber nicht nur für das Gespräch mit Gott gerüstet sein, sondern wir müssen auch uns und anderen über unseren konkreten Friedensbeitrag in der Welt Rechenschaft geben können. Worin also könnte dieser Beitrag katholischer Soldaten bestehen? Sicher nicht nur aus dem theoretischen Befassen mit dem Thema Frieden allein, oder gar nur und christliche Ethik". Hrsg. Institut für mil. Sicherheitspolitik an der Landesverteidigungsakademie, 1070 Wien. 13 Ansprache, gehalten anläßlich der Angelobung der Jungmänner der Garnison Wien am 25.10.1989 in Simmering. 14 Aliied Kostelecky, a.a.O., S. 100.
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aus dem Rufen nach Frieden verbunden mit Appellen jeweils an Andere. Hilfreich kann hier ein Wort des Weihbischofs von Freising aus dem Jahre 1973 sein, mit dem er die Teilnehmer an einem Treffen des Apostolat Militaire International (AMI) begrüßte. Dabei sagte er u. a.: .Sie haben diese Freisinger Tagung unter das Leitwort gestellt ,Friede ist möglich'. Es darf als Christen nicht neu sein, daß Friede unter den Menschen in dem Maß möglich ist, als diese guten Willens sind und in ihrem Lebenskreis ständig um ihn bemüht sind. Hier sind aber schon Einschränkungen angedeutet, die auch der heilige Paulus ausdrückte, wenn er den Römern rät: ,Soweit es möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden.' Der Frieden hat also seine Voraussetzungen, und wo diese im Zusammenleben der Völker fehlen, erhält Ihr Soldatenberuf nicht nur seine Berechtigung, sondern auch seine Notwendigkeit. In Ihren Zusammenkünften ist sehr viel von Frieden die Rede, und ich erlaube mir, die Meinung zu äußern, vielleicht ein wenig arg viel oder vielleicht sogar zu viel. Es klingt so ein wenig, als wollten Sie Ihrer Umgebung immer wieder von neuem beweisen: Wir sind zwar Soldaten, aber glaubt es uns, ganz bestimmt keine Militaristen, denn wir denken an den Frieden. Und ich frage Sie, muß das, was sich für katholische Soldaten zumal, von selbst versteht, muß das immer wieder von neuem betont werden? Es bleibt wohl die Tatsache, daß das Soldatsein eben doch seinen Sinn aus der Notwendigkeit einer Wehrbereitschaft im wahren Sinne des Wortes bezieht und es hat wenig Sinn, dies mit Rücksicht auf den Zeitgeist verschleiern zu wollen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß der Verteidigungswille in der westlichen Welt im Schwinden ist. Dazu kommt ein modischer Pazifismus, dem um so schwerer zu begegnen ist, als er sich ganz besonders gern mit theologischen Begründungen schmückt und von seinen Anhängern mit einer geradezu missionarischen Hartnäckigkeit, oft gegen allen politischen Hausverstand, verfochten wird. Ich wünsche Ihnen angesichtsdes in vieler Hinsicht gefährlichen Zeitgeistes unserer Tage eine große Gelassenheit in Ihrem soldatischen Selbstverständnis. Je mehr man Sie angesichts einer erhofften politischen Zukunft für überflüssig hält, um so wichtiger wird Ihr Dienst für die Erhaltung der Freiheit der Völker gegenüber gewalttätiger Expansion. Gerade weil Sie Ihre Berufsaufgabe in dieser Gemeinschaft, in der Sie hier versammelt sind, aus dem Licht des Glaubens sehen, können Sie sich auch dem verfänglichen religiösen Pazifismus stellen und auf die Wachsamkeit hinweisen, zu der der Herr die Seinen oft genug aufgerufen hat. Vergessen Sie auch nicht die kostbare Möglichkeit, die Ihnen gegeben ist, unter jungen Menschen, die Ihnen anvertraut sind, das Zeugnis des Glaubens und der Liebe aufzurichten. Auch das mag hie und da Gegenstand Ihrer Beratungen sein." 15 15
Heinrich Graf von Soden, .Begrüßung zum Empfang", in: .Auftrag Nr. 62/63",
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Nun, heute sind die kath. Soldaten Österreichs so weit, daß sie sich in Übereinstimmung mit dem militärbischöflichen Wahlspruch und der Mahnung des Heiligen Vaters, Bedingungen für den Glauben zu schaffen, dem Thema stellen: "Geht hinaus und bringt den Frieden! Der Friedensgruß, verwirklicht im täglichen Dienstbetrieb des Soldaten." In einem Beitrag zu einer solchen Festschrift sei es aber auch gestattet, den Weg nachzuzeichnen, den die AKS in dieser Thematik in den letzten Jahren gegangen ist. Wenn dabei mehr bekenntnishaftformuliert wird, möge dies als ein Dankeschön an den Jubilar ertragen werden. Als Mitte der 60er Jahre sich so etwas wie eine Keimzelle der AKS bildete, wurde im Zusammenhang mit dem sogenannten Weltlaienkonzil zwischen katholischen Soldaten einiger europäischer Länder das Friedensthema als Aufarbeitung von "Gaudium et Spes" diskutiert. Dadurch war Ende der 60er Jahre schon einiges theoretisches Material erstellt - doch offenbar noch kein Bedarf dafür gegeben, ja die Beschäftigung mit der heute unverändert gebliebenen Grundproblematik konnte einem manch scheelen Blick eintragen.- Und es gab auch damals schon den sehr konkreten Friedensdienst österreichischer Soldaten für die Vereinten Nationen - beides also Anfänge, die nicht vergessen werden sollen. Das Thema "Christ und Landesverteidigung" wurde in den folgenden Jahren durch die AKS in bewährter Zusammenarbeit mit den Militärseelsorgern bundesheerintern-nicht zuletzt durch Feiern zum jährlichen Weltfriedenstag- und im Gespräch mit den verschiedensten katholischen Gruppierungen unseres Landes auf der Tagesordnung gehalten. Es darf dazu vielleicht aus dem Vorwort der Broschüre "Dr. Franz ZAK" 10 Jahre Militärbischof - 10 Jahre Christ und Landesverteidigung- zitiert werden: "Die Auswahl der Beiträge erfolgte nicht unter dem Gesichtspunkt der Vollständigkeit, sondern mit dem Ziele, Entwicklungslinien in der Leitthematik nachzuzeichnen. Wenn dabei der Begriff Frieden dominiert, so soll das verdeutlichen, in welchem Bezugsfeld der Österreichische Soldat als Christ seinen Dienst sieht. Dieser Standpunkt wird damit auch eingebracht in die immer wieder aufflammende Diskussion um die Zulässigkeil des Wehrdienstes aus katholischer Sicht. Damit soll dem Einzelnen, den katholischen Organisationen, aber auch der Allgemeinheit die Möglichkeit geboten werden, zu erkennen, daß man auf derselben Glaubensbasis aufbauend, sich als österreichischer Staatsbürger diesem Land als Soldat mit gutem Gewissen zur Verfügung stellen kann. Damit soll auch ein Beitrag zum innerkatholischen Dialog in der Frage der Landesverteidigung geleistet werden, damit niemals gesagt werden kann, Österreichs Katholiken hätten ohne Debatten GedankenAMI-Sonderheft, Bann 1974, S. 16 f.
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modelle übernommen und als Handlungsmuster gewählt, die dem Land letzten Endes geschadet hätten." 16 Damit sei unterstrichen, daß die AKS sich schon sehr lange mit der Friedensfrage auseinandergesetzt hat. Wie sehr sie vielleicht zur Bildung offizieller Bundesheermeinung beigetragen hat, mögen Berufenere beurteilen. Jedenfalls muß man bei der Auseinandersetzung mit dem Sinn des Soldatseins in Österreich auf die Frage des Friedens stoßen. Konsequenterweise landet man immer wieder bei einem Ergebnis, das das II. Vaticanum in den schon so oft zitierten Schlüsselsätzen zusammengeiaßt hat: .,Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei." 17 Diese beiden Sätze seien weder als Rettungsanker zur Rechtfertigung zitiert, was leider unreflektiert zu oft geschieht, noch sei zugelassen, wenn ihnen ein: .,Noch gilt" vorgesetzt und durch entsprechende Betonung zu suggerieren versucht wird, es habe damit so etwas auf sich, wie mit dem .,unzeitgemäßen" Zölibat oder den angeblich längst überholten Lehren der Kirche in Fragen der Ethik und Moral. Der AKS war es immer ein Anliegen, nicht nur auf den wichtigen Zusammenhang der beiden zitierten Sätze aufmerksam zu machen, sondern im Rahmen ihrer bescheidenen Kräfte auch zu deren Verständnis beizutragen. Dies sei auch hier nochmals versucht. Dabei kann man die Aussage des ersten Satzes als eine Aufforderung werten, die unter den Bedingungen der internationalen politischen und strategischen Gegebenheiten, der Österreichischen Verteidigungsdoktrin und unserer Tätigkeit im Rahmen der Vereinten Nationen, in jeder Hinsicht für einen Katholiken als österreichischer Soldat nachvollziehbar ist. Es hieße also wirklich Eulen nach Athen tragen, wenn man darüber noch allzu viele Worte verlöre- außer der Feststellung, daß wir nicht irgendeinen Frieden meinen, sondern einen Frieden in Freiheit- und, daß wir diesen Dienst an der Gemeinschaft leisten in der Überzeugung, daß sowohl die Bereitstellung des militärischen Instrumentes im Sinne der .,ultima ratio" verstanden wird als auch die Entscheidung über dessen Einsatz von den politisch Verantwortlichen im Bewußtsein der schweren Verantwortung erwartet werden darf. Der Hinweis auf den Zusammenhang der beiden zitierten Sätze sei an dieser Stelle wiederholt. 16 Siehe .. Christ u. Verteidigung", in: .. 10 Jahre Militärbischof Dr. F. Zak und die AKS". 17 .. Gaudium et spes", Nr. 79, in: Kar/ Rahner I Herbert Vorgrimmler, Kleines Konzilskompendium, Freiburg/Basel/Wien, S. 539.
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Der schon mehrfach erwähnte zweite Satz " ... Indem er diese Aufgabe recht erfüllt ... " meint doch wohl, daß die Wirkung des Friedensbeitrages eines Soldaten im Dienste seines Vaterlandes direkt proportional zur Qualität seiner Aufgabenerfüllung ist. Hier eröffnet sich dem Soldaten erst die wahre Dimension seines .,Fürden-Frieden-seins", und hier können möglicherweise katholische Soldaten aus ihrer Lebens- und Glaubenseinstellung Haltungen in den Dienst einbringen, die sich so auswirken, daß wir nicht nur im übertragenen politischmilitärischen Sinn, sondern konkret und jeden Tag Soldaten für den Frieden sind. (.,Feichtlbauer-These Nr. 12: Für den Frieden muß man beten, aber auch etwas tun.") Die Frage des konkreten Beitrages der Soldaten für die Festigung des Friedens wurde schon 1972 anläßlich einer Konferenz des Apostolat Militaire International in Wr. Neustadt gestellt, und es konnten dabei auf der Grundlage des Referates von Generalmajor Spannocchi vor und mit ausländischen Kameraden einige, damals neue, Einsichten gewonnen werden. Wir suchen auch heute noch Rezepte, wie nun dieses Rechterfüllen der Aufgabe, dieses Rechtversehen des Dienstes zu höchster Friedenswirksamkeit zu bringen sei. (Das Jahresthema 1990 wird der AKS weiterhelfen!) Vielleicht können folgende Gedanken, aus der Dienstgesinnung der AKS heraus, zum Nachdenken darüber anregen, wie wir als .,Soldaten für den Frieden" vor jeden hintreten können. Als eine Grundvoraussetzung dafür muß man sich wohl folgender Spannung bewußt werden und mit ihr zu leben lernen- und dieses Damit-leben-können auch Anderen verständlich zu machen vermögen; nämlich das, was die Österreichische Wehrpolitik in die Formel kleidet: Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen. In dieser Formel steckt ja beim ersten Hinsehen nicht die Aufforderung zur Friedfertigkeit, sondern sie drückt die bekannte Volksweisheit aus, daß ein Soldat, der nicht kämpfen kann, sein Geld nicht wert ist. Ein schlecht ausgebildeter und ausgerüsteter Soldat, auch das ist eine Binsenweisheit, kann seinen Beitrag zur Festigung des Friedens effizient weder in der Einsatzform des Dienstes im Rahmen der UN, noch in der Notwehr im Falle des Angriffes auf das eigene Land leisten. Es entspricht also dem in .,Gaudium et Spes" formulierten Rollenverständnis vom Diener für Sicherheit und Freiheit der Völker, wenn der Soldat nach höchster Einsatzbereitschaft strebt - und aus seiner Fachkenntnis auch nach den dafür erforderlichen Mitteln in nüchterner Bedachtnahme auf seine Aufgabe im Rahmen der staatlichen Gesamtaufgaben verlangt. Die Behauptung zu entkräften, ein Soldat könne nicht gleichzeitig für Perfektion in seinem Handwerk und für Frieden sein, ist sicherlich eine Herausforderung für unsere Ausbildung. Dem bewußten katholischen Soldaten sollte es jedenfalls keine Mühe machen, ein guter Soldat und für den Frieden zu sein. In Abwandlung einer Wortschöpfung von Rudolf Henz könnte man also vom
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Dennochsoldaten sprechen. Worin und wodurch können wir aber dennoch Soldaten für den Frieden sein? Indem man sich nicht nur die soldatischtechnischen Fertigkeiten im bestmöglichen Maße aneignet, sondern auch, indem man sich um die Aneignung und Anwendung jener Tugenden im dienstlichen Bereich bemüht, die sowohl soldatische im hergebrachten Sinn als auch charakterlich-menschlich hochwertige sind. Deshalb freut es uns, daß manches Stichwort der katholischen Soziallehre, mit dem sich die AKS in den letzten Jahren auseinandergesetzt hat, auch aus den Leitsätzen für den Kommandanten, wie sie im Richtlinienerlaß für die staats- und wehrpolitische Bildung formuliert sind, spricht. 18 (Vielleicht gelingt es uns auch, die Kardinaltugenden wieder zur Geltung zu bringen!) Soldaten tun etwas für den Frieden, durch beispielhaftes Vorleben von Verantwortungsbewußtsein, richtiges Anwenden des Subsidiaritätsprinzips und kooperatives Verhalten im Zeichen des Selbstbewußtseins als Aufgabenträger der Gemeinschaft und des rechten Verstehens menschlicher Würde. Soldat für den Frieden kann man auch dadurch sein, daß man seinen Blick für internationale Zusammenhänge schärft und auch über die Grenzen hinweg freundschaftliche Begegnungen und Beziehungen mit Soldaten anderer Länder sucht, wie dies beispielsweise durch die Teilnahme an internationalen Pilgerfahrten, durch Treffen im Rahmen des Apostolats Militaire International u. a. seitens der AKS geschieht bzw. gefördert wird. Zu diesem Verständnis des Internationalen zählt sicher auch das Bereitsein, Aufgaben beim Aufbau grenzüberschreitender Beziehungen zu übernehmen, aber auch das Mitmachen bei Einsätzen im Rahmen der UN- das alles kann heißen: Soldaten für den Frieden. Zum Dienst-recht-versehen gehört wohl auch die Einstellung der Bevölkerung den "Zivilisten" gegenüber, dazu zählt sicher die Förderung des Zusammenhaltes innerhalb der verschiedenen Soldatengruppen, auch unter Einbeziehung der Familien. Auf diesem Gebiet sind die unterschiedlichen Initiativen in unserer Diözese sicher ein Beitrag für den Frieden. Natürlich bringt auch die Auseinandersetzung mit dem Thema "Frieden" den Soldaten dazu, über die Zusammenhänge von Frieden, Freiheit und Sicherheit nachzudenken und so das Verständnis für den Frieden zu fördern. Im Konkreten zeigt sich das z. B. durch die laufenden Gespräche, die die AKS innerhalb der katholischen Aktion über die Erfordernisse des Friedens führt. Es kann dabei nicht im Vordergrund stehen, wie erfolgreich sie im Sinne der Förderung der militärischen Landesverteidigung ist, sondern es kommt vor allem darauf an, eine Allianz der Kräfte guten Willens zum gemeinsamen Dienst am Frieden zu finden. Es darf in diesem Zusammenhang auf die 18
Siehe dazu Richtlinienerlaß BMLV Zl. 32.000/853-3.14/82, Wien, März 1982.
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Hütteldorfer Thesen verwiesen werden, und auch auf die Fortsetzungsarbeit Auch das gehört zum Recht-versehen-des Dienstes, wenn man zur Information in unserem Gemeinwesen darüber beiträgt, was Zielsetzung und Aufgabe eines Österreichischen Soldaten heute ist. In dieser Stunde stehen wir nicht nur unter der Aufforderung zur Neuevangelisierung, sondern wir erleben u. a. den konziliaren Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung! Auch darin ist die AKS eingebunden, nicht nur, indem sie sich mit einem Beitrag ihres Generalsekretärs im Behelf der KAÖ zum Thema "Bundesheer und Frieden" zu Wort meldete 19 (im übrigen finden dort auch die schon zitierten "Hütteldorfer Thesen" ihren Abdruck), sondern auch, indem sie aktiv an der Vorbereitung teilnahm und ein Mitglied der Österreichischen Delegation in Basel stellte. Etliches ist dabei wieder aufgebrochen, was als Beweis dafür gelten kann, daß soldatischer Dienst unter Berufung auf den Glauben bzw. auf Glaubensaussagen abwertend gesehen und die Totalverweigerung als die wahre christliche Alternative propagiert wird. 20 Eines also verdient vermehrt unseren Einsatz, wollen wir Soldaten für Frieden sein: das Bewußtsein bei uns und anderen zu schaffen, daß der Österreichische Soldat wirklich Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker ist. Vor allem aber für uns selbst gilt es, diesen Dienst recht, d. h. anständig, korrekt, vorbildlich, menschlich, als Dienst an der Gemeinschaft demokratisch gesinnter Mitmenschen und Staatsbürger zu leisten. Wie antwortete Bischof Dr. Kostelecky auf eine Frage, die den Gegensatz zwischen Pflicht zum Wehrdienst und Recht auf Wehrdienstverweigerung aufwarf: "Wenn jemand eine Ausnahme für sich in Anspruch nimmt, dann muß er sich bewußt sein, daß er in der Gemeinschaft unter Umständen einen anderen belastet. Ich habe am Anfang gesagt: Die Landesverteidigung geht alle an! Es ist eine Verpflichtung für alle, auch für den, der sagt, er könne aus Gewissensgründen eine Waffe nicht angreifen. "21 Prof. Kremer sagte in einem Vortrag anläßlich des Weltfriedenstages 1981: "Zum Einsatz für den Frieden in dieser Welt gehört vor allem, daß jeder einzelne sich bemüht, als Christ zu leben, ob im privaten Bereich oder in der Politik ... " und ich darf ein historisches Beispiel anführen: Von Kar! V. sagt man, er habe in Thomas von Kempens "Nachfolge Christi" am öftesten das Kapitel gelesen, mit dem Auftrag: Lebe mit der Umwelt in Frieden, das so 19 Roll Urrisk, .Bundesheer: Sein Beitrag zum Frieden", in: .Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung". Hrsg. KAÖ 1988, S. 30. 20 Vgl. dazu: .Als Soldat auf dem Weg nach Basel", in: "Pfarrblatt der Dekanatspfarre beim Armeekornmando", März 1989, S. 9. 21 Aufzeichnungen aus der Diskussion mit dem Militärbischof über sein Referat gern. Anm. 12).
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anfängt: .,Bewahre zuerst in Dir selbst Frieden, dann kannst Du auch anderen Frieden bringen." Und schließlich sagte der Heilige Vater bei der Messe mit den Schweizer Gardisten am 6. Mai 1982 nach dem Hinweis auf das Johannesevangelium von der Aufnahme der Gesandten: .,Auch wenn einige ohne Glauben und kühl sich unseren Toren und Türen nähern, so tragen sie doch wenigstens Fragen in sich, Fragen an die Kirche, Fragen an uns Christen, Fragen an die Jünger Jesu: ,Sie sind von Jesus gesandt!' Wenn ihr sie mit Liebe und Achtung aufnehmt, nehmt ihr in ihnen also Jesus selbst auf. Eine solche Sicht und Verhaltensweise ist jedoch nur möglich, wenn jemand bewußt Christ sein will, wenn er aus der Kraft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu leben bereit ist. Eure Ausbildung und Dienstordnung sind 'Nichtig; noch wichtiger ist aber, daß ihr bewußte Katholiken und Christen seid." Dem Militärbischof soll mit diesem Beitrag zu seinem 70. Geburtstag gesagt werden, daß sein Wahlspruch in seiner Diözese sehr wohl registriert wurde und er weiterhin besonders mit der AKS rechnen kann. Wir danken ihm für sein Christsein mit uns und sein Bischofsein für uns, das sich im Beten mit uns, im Verständnis für das Soldatsein und durch seine wegweisenden Worte ausdrückt. Wir wissen: Die Pax Christi muß, soll sie universell werden, in uns selbst anfangen. Beten wir also auch für den Frieden in uns, damit wir besser fähig werden, etwas für den Frieden zu tun. Wir können als sicher annehmen, daß wir unserem Bischof eine große Freude machen, wenn wir seinen Geburtstag zum Anlaß nehmen, uns ganz besonders darum zu bemühen. Auf dem Umschlagbild der Broschüre über die AKS ist die Begebenheit mit dem Hauptmann von Kafarnaum dargestellt. Dieser Beitrag sei zur Freude unseres Militärbischofs mit dem dazugehörigen Text (auf der Innenseite) abgeschlossen: .,Da antwortete der Hauptmann: Herr ich bin es nicht wert, daß du mein Haus betrittst; sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund. Auch ich muß Befehlen gehorchen, und ich habe selber Soldaten unter mir; sage ich nun zu einem: Geh! so geht er; und zu einem andern: Komm!, so kommt er, und zu meinem Diener: Tu das!, so tut er es. Jesus war erstaunt, als er das hörte, und sagte zu denen, die ihm nachfolgten: Amen, das sage ich euch: Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemand gefunden!" Reflektieren wir über die von den Evangelisten Matthäus (8, 5-13) und Lukas (7, 1-10) beschriebene Begegnung des Hauptmannes von Kafarnaum mit Jesus Christus, entdecken wir in diesem Offizier einen beinahe idealen
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christlichen Soldaten: Er hat als Offizier eine klare und eindeutige Haltung zu Verantwortung, Über- und Unterordnung und zur Befehlstreue. Er fühlt sich als Vorgesetzter für seinen Diener verantwortlich und ist bemüht, soweit er kann, zu helfen. Er muß seine Aufgabe in Kafarnaum in einer Weise erfüllt haben, die ihm die Achtung der dort lebenden Menschen eingebracht hat. Er gehört als Heide einer anderen Religion an, achtet aber den Glauben der Juden in so hohem Maß, daß er ihnen sogar eine Synagoge baut. Er hat den vorbehaltlosen und unbedingten Glauben, daß Jesus seine Bitte erfüllen wird. Gerade diese Einstellung macht ihn für uns heute zum Vorbild. Der Glaube eines Menschen, dieses Hauptmannes von Kafarnaum, hat einem anderen Menschen Heilung gebracht! Seine an Jesus Christus gerichteten Worte "Herr, ich bin nicht würdig, daß du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird mein Diener gesund" sprechen wir in jeder heiligen Messe; nur das Wort "Diener" wurde durch "Seele" ersetzt. Anhang 3.2.11 In der "zehnten" Diözese ... . . . gab es in den fünf Jahren seit 1982 Entwicklungen und Vorgänge, die, teilweise analog zu den übrigen Diözesen, teilweise davon abweichend verliefen. Zu letzteren darf man Diskussionen über die Landesverteidigung bzw. das Bundesheer zählen, in die auch die Militärseelsorge einbezogen wurde; (damit sollte sie wohl die Funktion des Sackes übernehmen, den man schlägt, wenn die Aussicht besteht, damit den Esel einer in Frage gestellten Legitimität soldatischen Dienstes zumindest mitzutreffen). Dies aber war und ist, auch nach eher künstlichen Aufregungen um die Bestellung eines Militärbischofs als Ordinarius Proprius, angesichts der seelsorglichen Wirklichkeit im Bundesheer und der Beurteilung des Ablaufes und des Echos der Diskussionen kein Anlaß, die folgende Feststellung aus einem Text des Österreichischen Pastoralinstitutes aus 1978 abändern zu müssen: "Da in Österreich nicht- wie in manchen Ländern - die Errichtung der Militärseelsorge in Frage steht, geht es hier um eine möglichst gute Ausgestaltung dieser kategorialen Seelsorge und um eine wirksame Zusammenarbeit mit den Pfarren und Diözesen, mit der Katholischen Jugend und anderen Trägern des Apostolates." (In diesem Sinne waren wohl auch Bemerkungen aus dem Kreise der Verantwortlichen für die Friedensdemonstration im Mai 1982 zu verstehen, auch wenn der Zusammenhang mit der Aufstellung von Mittelstreckenraketen auf westlicher Seite kaum jemandem verständlich war.) Und so brachte das Jahr 1983 im Zusammenhang mit dem Katholikentag einen eindrucksvollen Beweis für das Leben der Diözese Bundesheer (und auch der Arbeitsgemeinschaft katholischer Soldaten/AKS, die seit 1962 Vollmitglied der Katholischen Aktion Österreichs ist) und ihr Eingebettetsein in der katholischen Kirche Österreichs. Exzellenz Dr. Franz Zak, die Militärseelsorger und die Verantwortlichen in der AKS konnten bei dieser Gelegenheit die Frucht einer konsequenten, oft
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unbedankten Arbeit sehen und sich auch durch ein nachfolgendes Schreiben des Heiligen Stuhles für die weitere Arbeit ermutigt fühlen. In diesem Klima des Grundkonsenses auf der Basis des gemeinsamen Glaubens war und ist es daher immer wieder möglich, innerhalb der KAÖ, mit den Vertretern der Jugend und anderen, das Gespräch über Grundfragen der Landesverteidigung, des soldatischen Dienstes, aber auch des Zivildienstes zu führen. Die Gefahr, bei dieser Diskussion in die Rolle des fachbezogenen Stichwort- bzw. Faktenlieferanten bzw. der .,Militärpartei" gedrängt zu werden, besteht naturgemäß; die Vertreter der zehnten Diözese konnte ihr dank dem Verständnis der Verantwortlichen der KAÖ aber bisher entgehen. So konnte .,Kirche unter den Soldaten" nach innen und außen immer wieder ihre Integrationsaufgabe wahrnehmen. Der Dank gebührt dabei vor allem den Militärseelsorgern, die sich durch das Tragen der Uniform für die Solidarität mit jenen entscheiden, die das auch tun, für die sie Seelsorger sein wollen und es auch sind. Sie in ihrer Arbeit zu unterstützen, ist eines der Hauptanliegen der AKS, die sich daher nach einiger Zeit der intensiven Auseinandersetzung mit den Hauptpunkten der katholischen Soziallehre angesichts der bevorstehenden Bischofssynode im Berichtszeitraum der Problematik des Laienapostolates zuwandte und noch zuwendet. Sie ist dabei auch Mitträger dieser Arbeit im Bereich des Apostolat Militaire International (AMI), dessen Generalsekretariat seinen Sitz in Österreich hat und als dessen Präsident für weitere drei Jahre ein Österreicher fungiert. Diese internationale Arbeit führte auch zu einer frühzeitigen Information über die neue Apostolische Konstitution .,Spirituale Militum Curae", und im Gefolge ihrer Auswertung, zu deren fast friktionsfreier Rezeption bei den Diözesanen und innerhalb des Bundesheeres. Die damit im Zusammenhang gebrachte Bestellung eines neuen Militärbischofs war, da Bischof Dr. Zak in dieser Funktion nicht mehr, und offenbar auch kein anderer Bischof, zur Verfügung stand, notwendig geworden und sie wurde zur Sicherstellung des Kontinuums in der Leitung der Militärseelsorge begrüßt. Für viele katholische Soldaten bestürzend waren im ersten Moment jene Stimmen, die in der Ernennung eines eigenen Militärbischofs, entsprechend der neuen Konstitution, partout den Aspekt der Aufwertung des Militärs sehen wollten, ohne zu beachten, daß neben der durch das II. Vatikanische Konzil angestrebten Dezentralisierung päpstlicher Aufgaben, vor allem das Anliegen des Heiligen Vaters zum Ausdruck kommen mag, in den nun einmal vorhandenen nationalen Streitkräften durch die Militärseelsorge, soweit eine solche überhaupt möglich ist, vermehrt den Grundsätzen von Befriedung und Konfliktentschärfung Gehör zu verschaffen. (Dies gilt es auch und besonders jetzt zu beachten, wo so manche Diözesanen die vorrangige Aufgabe darin zu sehen meinen, daß die Strukturen und Einrichtungen einer .,ordentlichen" Diözese geschaffen werden.) Im Zentrum aller Bemühungen der Militärseelsorger (dazu zählen auch die der Reserve, von denen besonders jene zu erwähnen sind, die sich als Subsidiare zur Verfügung stellen) und der Mitglieder des Laienapostolates steht das pastorale Bemühen um die Soldaten (und ihre Angehörigen) als einer Gruppe von Menschen, die zufolge der ihnen übertragenen Aufgaben in der Ausbildung, noch mehr aber im Einsatz, in Situationen kommen können, wo sie der speziellen seelsorglichen Betreuung bedürfen. Es darf daher freuen und mit Stolz erfüllen, daß die Militärseelsorger (katholisch und evangelisch) bei einer vielzitierten Umfrage unter Soldaten hervor-
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ragend abschnitten; auch die Beteiligung von mehr als 40% bei den Pfarrgemeinderatswahlen ist ein Zeichen dafür, daß ,Kirche unter den Soldaten" in Österreich lebt und auf ihrem Weg durch die Zeit nicht außer Tritt gekommen ist. So ist sie pastoral wirksamer als vielfach anerkannt wird; wie es weiter geht, wird neben den fortdauernden Bemühungen einer erfreulichen Anzahl von Laien vor allem davon abhängen, wie weit die übrigen Diözesanbischöfe und Ordensoberen dem Aufruf der Apostolischen Konstitution über die Militärseelsorge folgen, ,.dem Militärordinariat in ausreichender Zahl Priester und Diakone zu(zu)gestehen, die sich für die Aufgabe eignen". Nichtsdestoweniger wird Militärseelsorge im Gespräch bleiben, und es wird wohl auch nach dem kommenden Studientag der Katholischen Medienakademie zu diesem Thema so sein, daß sie sich vorwiegend mit oberflächlichen Argumenten gegen ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit auseinandersetzen wird müssen. Sie hat, nicht zuletzt dank der einrückenden Jungmännerund waffenübenden Soldaten, ein gutes Wissen über die pastorale Wirksamkeit anderer Bereiche der Kirche Österreichs. Damit weiß sie auch, daß das Nutzen der pastoralen Chance bei den Soldaten unverzichtbar ist- und sie hat die Hoffnung, daß diese Erkenntnis sich verstärkt bei Österreichs Katholiken durchsetzen wird. Jene, die sich als Getaufte aufgerufen fühlen, nach ihren Fähigkeiten möglichst konkret als Apostel in ihrem Dienstbereich zu wirken, sind jedenfalls dankbar dafür, daß ihr Tätigwerden in Österreichs Bundesheer ermöglicht wird, ja, daß dort eine Militärseelsorge eingerichtet ist, die zwar ihre spezielle Aufgabe im Blick hat, dabei aber nicht vergiBt, daß sie Teil der katholischen Kirche Österreichs ist, die ihren Platz und Rang auch in der Weltkirche zu finden hat. Daher kann man auch die Unterstützung der katholischen Kirche erwarten, sich für die gute Militärseelsorge im Lande einzusetzen und Bestrebungen zu fördern, daß katholischen Soldaten ihr Recht auf Seelsorge nirgendwo auf der Welt vorenthalten wird.
ZUM ETHOS DER BEWAFFNETEN VERTEIDIGUNG IM EUROPA DER NEUNZIGERJAHRE Von Robert Prantner, Wien Das letzte Jahrzehnt des 2. Jahrtausends nach der Geburt Christi, das sich mit dem Septuagenarium des Militärordinarius von Österreich und Sekretär der Österreichischen Bischofskonferenz Bischof Mag. theol. et Dr. iur. can. Alfred Kostelecky kaiendarisch überdecken wird, bedeutet für den obersten Seelsorger der bewaffneten Streitkräfte eines neutralen Mittelstaates im Schnittpunkt der Koordinatenachse Europas eine doppelte Herausforderung. Um das religiöse Bewußtsein und die kirchliche Praxis der katholischen Soldaten steht es nicht besser als um den Durchschnitt der Gesamtbevölkerung Österreichs. Neben der Verdünnung des sakramentalen Lebens auf Grund einer sich verflüchtigenden Glaubenssubstanz beherrscht die vielfach unbeantwortete Sinnfrage des Lebens und im besonderen Falle einer möglichen bewaffneten Verteidigung des Landes die Seelsorge des Militärordinarius und seiner geistlichen Kameraden im pastoralen Dienste des Bundesheeres. Beide großen .,Fragezeichen" teilen die Präsenzdiener wie das Kaderpersonal mit ihren Familienangehörigen und allen Mitbürgern der staatlichen Gemeinschaft. Tatsächlich geriet zum Ende des neunten Jahrzehnts das Verständnis für die Notwendigkeit des militärischen Waffengebrauchs an sich in eine, übrigens geschichtlich betrachtet, nicht allzu neue Entscheidungsphase. Doch scheinen im konkreten Verfallsprozeß einer vaterländisch und heimatbewußten Verteidigungsbereitschaft junger und älterer Menschen im europäischen Raume vielschichtige und durchaus heterogene Ursachen bestimmend auf das ethische Bewußtsein einzuwirken. Der Erhellung dieses aktuellen Sachverhaltes sei diese Überlegung gewidmet. Zunächst scheint in der Perspektive eines Christen die ethische Legitimität eines Dienstes mit der Waffe zur Verteidigung von immateriellen und materiellen Gütern im Bedrohungsfall unbestritten, ja nicht einmal diskutabel. Formulieren doch die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils betreffend das Selbstverständnis eines Soldaten: .Wer als Soldat im Dienste des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei."' Somit wird der Gewissensbereitschaft zu einer .Kultur
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der Verteidigung" im Gefüge der Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit zur staats- und gesellschaftspolitischen Kultur überhaupt ein fester Standort zugeschrieben. In der praktischen Umsetzung dieser zitierten Geneigtheit des Willens und der Gefühle in einen tatsächlichen Dienst mit der Waffe - zu welchem in erster Linie das Training für den Ernstfall zählt - sind drei verschiedene Einstellungsweisen des Menschen, der zum Heer gerufen wird, zu konstatieren: 1. reflexionslose Bereitschaft und/oder irrationale Gier nach bedenkenloser Befehlserfüllung bezüglich jeder denkbaren Kampfsituation; 2. der Verweigerungsstandpunkt eines Dienstes mit der Waffe, ja sogar des Wehrdienstes überhaupt, flankiert von der Bereitwilligkeit, einen humanitär oder administrativ dominierten Ersatzdienst als Zivilist auszuüben, im Extremfall aber eine .. Totalverweigerung"; 3. die Realisierung einer naturrechtlich und allenfalls auch christlich motivierten Verteidigungsbereitschaft Zum ethischen Handeln zählen dann Gesinnungsethik und Verantwortungsethik in untrennbarer Zusammengehörigkeit. 1. Die reflexionslose Bereitschaft und/oder irrationale Gier nach bedenkenloser Befehlserfüllung bezüglich jeder denkbaren Kampfsituation
Das historisch realisierte Modell einer Lust am Kampf und korrespondierender Gier nach Krieg zählt zu den dunkelsten Rastern einer wechselvollen Menschheitsgeschichte. Vor allem werden die Gelegenheit zur mannhaften Selbst- und Fremdbestätigung, aber auch die .bleibende Tat" der Tapferkeit, des Heldentums, ja das Fanal des Kriegertodes am Schlachtfeld ins Treffen geführt. Werte, an und für sich genommen, naturrechtlich und auch im Lichte der übernatürlichen Offenbarung des Christentums positiv besetzt, geraten absolut genommen infolge des Bezugsverlustes zur Wirklichkeit in die trüben Gewässer offenkundiger oder latenter Ideologien. Denn ethische Prinzipien müssen aus der jeweiligen Situation ausgelegt werden, um realitätskonforme Handlungsfähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten zu ermitteln.2 Zu den fragwürdigsten Aphorismen der Weltliteratur zählt jenes Axiom des römischen Dichters Horaz, das von der Süße und Zierde des Sterbens für das Vaterland Zeugnis ablegen will: .Duke et decorum est pro patria mori". 1
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Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 80.
Johann Berger, Gesellschaftspolitisches Handeln und Ethik, in: Wehrethik I,
1986, 4.
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Demgegenüber - .Naturam expellas furca tarnen usque recurrit" - zogen es Menschen allemal vor, für ihr Vaterland zu leben, was aber nicht die Bereitschaft, das Leben im Extremfall zu opfern, ausschließt. Die ideologische Verselbständigung von Werten, die mit der Verteidigung des Vaterlandes in Beziehung stehen oder auch als präventive Legitimierung eines Angriffskrieges dienen, findet sich vorwiegend bei Menschen, die das Unvorhersehbare, Flexible, Unerwartete und damit den Mangel an klaren Zukunftsvisionen nicht bewältigen. Wer den gesellschaftspolitischen Prozeß ,.vermeiden" will, muß notfalls mit Gewalt .stabile Verhältnisse", auf Langzeit angelegt, erzwingen. Damit findet sich die Problematik im Kerne rechtsextremistischer Ideologien und totalitärer Staaten. Die Führerpersönlichkeit mit ,.starker Hand" verlangt nach allzeit bereiten Kämpfern, die in unbedachtem Gehorsam in den Kampf ziehen. Als Preis wird Stabilität in Ruhe und Ordnung versprochen. 2. Der Verweigerungsstandpunkt eines Dienstes mit der Waffe, ja sogar des Wehrdienstes überhaupt, flankiert von der Bereitwilligkeit, einen humanitär oder administrativ dominierten Ersatzdienst als Zivilist auszuüben, im Extremfall aber eine "Totalverweigerungu 2.1. Der nicht-gemeinwohlorientierte Pazifist Die klassische Form der Wehrdienstverweigerung rührt aus einem Mangel an Gemeinwohlsinn. Sie reduziert sich auf eine ,.Ohne mich"-Gesinnung und fand in der Neuen Linken der Alternativen und Autonomen ihre gleichermaßen zynische wie plakative Formulierung: .Stell' dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin". Die praktische Abstinenz gegenüber dem Verteidigungsauftrag kleidet sich in vielerlei tatsächliche persönliche Gründe, aber auch in das Gewand von Vorwänden, um nicht Entsagungen und Opfer sich aufzubürden. Psychische Labilitäten, verschrobene Lebenseinstellungen laufen auf einen gemeinsamen Nenner hinaus: in Unbeschadetheit sein privates Dasein leben zu können. Karl Hörmann 3 zeichnet den Typ des Pazifisten, bei dem man bezweifeln kann, ob er der Sache des Friedens einen wirklichen Dienst erweist: jenen, der selbstgefällig die Menschen früherer Zeiten und die Vertreter anderer Ansichten aburteilt; der geneigt ist, den Andersdenkenden die ernste Sorge um den Frieden abzusprechen und sie nur für sich in Anspruch zu nehmen; der nicht dessen gewahr wird, daß er allzu primitiv, vielleicht sogar falsch argumentiert; der einen faulen Frieden vertritt und so tut, als ob das Leibesleben der Güter Höchstes wäre, dessen Einsatz auf keinen Fall gefordert 3
Kar/ Hörmann, Friede, in: Lexikon der christlichen Moral, 1976, 508f.
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werden darf und der den Krieg mehr wegen der damit verbundenen physischen Übel als wegen seiner Ungerechtigkeit verabscheut. Der verantwortungsvolle friedlich orientierte Mensch und Christ legt weniger Wert auf das Reden als auf das Tun zur Annäherung der Völker, ist auch umsichtig darauf bedacht, jene Kräfte, die sich sonst kriegerisch auswirken könnten, friedlichen Aufgaben zuzuführen. Er scheut nicht vor nüchternen Maßnahmen und mühseliger Kleinarbeit zurück. Er weiß, daß wirklicher Friede nur aus Gerechtigkeit und Liebe stammt, wegen der wechselnden Verhältnisse niemals endgültiger Besitz ist, sondern immer wieder neu errungen werden muß. 4 Der christliche Zivilist wie der christliche Soldat erwarten sich Frieden nicht allein aus menschlichen Bemühungen, sondern aus der Hoffnung auf Gott, von dem er den Frieden erbittet. 5 Die staatliche Gewalt aber hat unter der Voraussetzung, daß sie und der von ihr geleitete Staat legitim sind, die Pflicht und das Recht, von den Staatsbürgern das zur Erhaltung des Staates Notwendige zu fordern. Dazu gehört die Schaffung einer militärischen Macht, mit deren Hilfe die Staatsgewalt das Recht durchzusetzen, zu verteidigen und zu sichern hat. Der notwendige Umfang dieser Macht hängt vom Wert der bedrohten Güter, vom Grad der Bedrohung und vom technischen Stand der Angriffs- und der Verteidigungsmittel ab. Daraus ergibt sich, daß die Staatsbürger die Pflicht haben, den Militär(Wehr)gesetzen Folge zu leisten, wenn diese gerecht sind; das heißt, den Bürgern nicht mehr als die notwendigen Lasten auferlegen und auf die Leistungsfähigkeit der einzelnen Rücksicht nehmen. 6 Papst Pius XII. schlußfolgert in logischer Ableitung: .Wenn also eine Volksvertretung und eine durch freie Wahl zustandegekommene Regierung in äußerster Not mit den legitimen Mitteln der Außen- und Innenpolitik Verteidigungsmaßnahmen beschließen und die ihrem Urteil nach notwendigen Vorkehrungen dazu treffen, so handeln auch sie nicht unmoralisch, so daß ein katholischer Bürger sich nicht auf sein Gewissen berufen kann, um den Kriegsdienst zu verweigern und die vom Gesetz festgelegten Pflichten nicht zu erfüllen." 7 Dieser Feststellung treten die unermüdlichen Appelle gegen das zügellose Wettrüsten, ja für eine allgemeine Abrüstung nicht entgegen, wie sie von allen Nachfolgern im Petrusamt von Benedikt XV. bis Johannes Paul II. energisch erhoben wurden. 2.2. Werte, Wertewandel und Paradigmenwechsel Den eher vordergründigen und durchsichtigen Absagen an Wehrethos und Wehrdienst vor allem junger Menschen liegen Orientierungslosigkeit, Gaudium et spes, Nr. 78. Vgl. Papst Pius XII., Utz-Groner, 3874 und 4194 und Papst Johannes XXIII., Pacem in terris, 168 und 171. 6 Kar/ Hörmann, Wehrpflicht, in: a.a.O., 1701 ff. 4
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Neuorientierung nach anderen (alternativen) Werten und mitunter ein umfassender, alle Lebensbereiche entsprechender "Paradigmenwechsel" bei einer Vielzahl von "Skeptikern" bezüglich einer sittlich legitimierten militärischen Prävention in Friedenszeiten - und erst recht im Kriegsfall zugrunde. Wurden ethische Normen als objektive Leitbilder immer schon akzeptiert oder übertreten, so registriert unsere Gesellschaft im ausgehenden Jahrtausend nunmehr einen Bruch der "Wertetafeln" selbst. Der Mensch selbst inthronisiert seine Konstituanten der Person, nämlich Vernunft und Willensfreiheit, zur letzten und einzigen Norm seines Verhaltens. Theonomie und Heteronomie werden zurückgewiesen, der autonome Mensch als sein eigener Gesetzgeber und zugleich Normadressat ist geblieben. Varianten des Marxismus, der Psychoanalyse, des Existentialismus, des Wissenschaftshumanismus und ein atheistisch-kosmisch-monistisches Gottes-, Menschen- und Weltbild des New Age begründen diese alles relativierende Autonomie zu einem subjektivistischen Syndrom, das zu einer totalen Billdungsverweigerung an Vorgegebenes verleitet. Der einzelne Mensch versucht sich selber zu verwirklichen. Das Prinzip einer schrankenlosen Lustmaximierung, als Hedonismus ein Erbe der philosophischen Irrwege der Menschheitsgeschichte, widersagt dem herausfordernden Dienst in der Kaserne, bei Manövern und an der Front des Ernstfalls. Das Prinzip des pausenlosen, rotierenden Aktionismus im Run zu vermeintlichen Lebensgipfeln duldet keine Beschränkung persönlicher Verfügungsmöglichkeiten im "way of life". Im besonderen aber zementiert eine mythologisierte Verzerrung des Traumes von der "Volksherrschaft" die Unterordnung unter ein Reglement, ein Kommando, einen konkreten Befehl. Das "Demokratieprinzip" als dynamisierter Begriff "Demokratisierung" zerstört im letzten alle legitimen Autoritäten. Wird "Demokratie" nicht als Regierungssystem, sondern als ein alles durchwaltendes Lebens- und Gesellschaftsfanal verstanden, hat ein Ethos von Landesverteidigung, das jeden Bürger zum Wohle der Menschenwürde und der Freiheitsrechte aller verpflichtet, keinen Bestand mehr. In der Folgewirkung als Prinzip der Mehrheitsbildung zerstört das Demokratieprinzip auch jede Effizienz von Konzepten, Plänen, von Strategien und Taktik einer Armee. Denn jeder Soldat will selbst bestimmen. Zumeist aber liegt dem als Vorgabe die Ablehnung der Verteidigung überhaupt zugrunde.8 Am wirkungsvollsten dürften allerdings die neue Betrachtungsweise des Lebens im Sinne des NewAge mit seiner .sanften Verschwörung" nicht allein den militärischen Dienst, sondern die naturrechtlich-christliche GeVgl. Papst Pius XII., Utz-Groner, 4413. Vgl. Robert Prantner, Neue Werte und ihr Einfluß auf das katholische Leben, hrsg. v.d. Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände, Wien 1989. 7
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meinwohlordnung der Gesellschaft allgemein in Frage stellen. Wer Gut und Böse, Recht und Unrecht, Ordnung und Zerstörung nicht mehr unterscheidet, vermag einer militärischen Verteidigungsorganisation keinen Sinn abzugewinnen. Der Paradigmenwechsel ist von einer sogenannten "ganzheitlichen und ökologischen Sicht" geprägt. Das neue Paradigma als Ersatz für die aus der menschlichen Natur entwurzelten Werte umfaßt neue Konzepte von Raum, Zeit und Materie aus der subatomaren Physik, eingebracht von Fritjof Capra, dem "Propheten" eines Endes des naturwissenschaftlichen Zeitalters und Verkünders des "Tao der Physik". Es umschließt neue Systembegriffe des Lebens, des Geistes, des Bewußtseins und der Evolution, den entsprechenden ganzheitlichen Zugang zur Gesundheit und zum Heilen, die Integration westlicher und östlich-indischer bis fernöstlich-chinesischer Anwendungsmethoden von Philosophie, Psychologie und Psychotherapie, ein neues Konzept für Wirtschaft und Technologie und eine ökologische und feministische Betrachtungsweise, die von "Spiritualität" geprägt sei. Dies alles aber im Netzwerk magisch-esoterischer, mitunter archaisch überkommener Kulte der Selbsterlösung, die durch Zärtlichkeit und die Dominanz sanfter Gefühle die Welt zu verändern vorgeben. Wer Gnosis, Magie und Mythos thematisiert, steht fassungslos einem Stellungsbefehl zur bewaffneten Streitmacht seines Heimatlandes gegenüber. Dieamerikanische Alternativdozentin des NewAge Marilyn Ferguson bezieht sich auf jene "Verschwörung der Liebe", von der Pierre Teilhard de Chardin gesprochen habe: eine Con-Spiration, ein Zusammenatmen festigen ein .neues Bewußtsein", die Aufbereitung einer "wahren Befreiung des Geistes" von alten Wertezwängen. Es gelte auch den Symbolgehalt dieses die christ1 ich-abendländische Kultur durchdringenden Traumes zu berücksichtigen: es sei der Gedanke, daß die gegenwärtige Generation und jene nach der Jahrtausendwende nach dem dunklen, christlich-gewalttätigen, .militaristischen" Fische-Zeitalter eine Ära der Sanftmut, der Liebe und des Lichtes beschritten werde, das Zeitalter des Wassermannes, "the Age of Aquarius", das NewAge. Damit haben Konflikte, Bedrohungen, gewaltsame Auseinandersetzungen ausgespielt. Jeder Mensch habe auch die dunkle Seite seiner Natur liebevoll zu integrieren und zu leben und für alle gesellschaftlichen Spektren gelte das gleiche. Der Begriff der Sünde sei mit der "Grausamkeit der biblischen Lehre von der Erbschuld" im zweiten Jahrtausend versunken, nunmehr versteht sich der Geist des einzelnen Menschen als Teil eines in gesellschaftliches Bewußtsein eingebetteten Geistes. Fritjof Capra beschreibt diese .neue Wertebasis" so: in der geschichteten Ordnung der Natur sei der jeweilige individuelle menschliche Geist in den umfassenderen menschlichen Geist gesellschaftlicher und ökologischer Systeme integriert, in den .Geist von Gaia", der griechischen Göttin Erde. Dieses planetare
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System müsse letztlich an irgendeiner Art von universalem oder kosmischem Geist teilhaben. Kulturelle und zivilisatorische Abgrenzungen, geopolitische Schwerbereiche und sicherheitsbedingte Überlegungen verblassen und verschwinden schließlich in einer einen Welt von Brüderlichkeit zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen, den Elementen und dem kosmischen Raum. Damit sei ein unumstößlicher, dauernder Friede gesichert. Junge Menschen, die ohne zu wissen, wovon sie sprechen, soldatische Tugenden als faschistoide Lügen der Vergangenheit verunglimpfen, wissen sich einem grün-alternativen und magisch-irrationalen bis esoterischen Naturalismus, Biologismus, Evolutionismus verbunden. Patriotismus und der diesem Sammelbegriff zugrunde liegende Einstellungsradius des Bürgers zu Heimat und Vaterland, zu Tradition und Geschichte, zu politischer Abgrenzung und nationaler Selbstbehauptung widersprechen der .kosmischen Offenheit" und unbedachten Fraternisierung mit allem und jedem. Verflüchtigen sich aber einmal die Grundzüge der eigenen kulturellen Identität, die geistigen und kulturellen Werte der Familie, der engeren Heimat, des größeren Vaterlandes und der kontinentalen, durch supranationale Strukturen verbundenen Gemeinsamkeiten, so gleicht das Wort von der Landesverteidigung dem sinnlosen Stammeln eines Narren, der seiner Sinne nicht mächtig ist. Freiheit und Sicherheit werden zu Worthülsen; Zügellosigkeit, Bequemlichkeit, Denkfaulheit und ordnungspolitischer Verzicht verdrängen jene höchsten Wertvorstellungen, die der Natur von Menschen und Gesellschaft entsprechen. Verkleinerung und Schwäche werden verkultet, der technologiefeindliche Abbau des zivilisatorischen Ordnungssystems in Politik und Volkswirtschaft entspricht der Grundorientierung, das Bildungsmodell Alternativer postuliert den kleinsten gemeinsamen Nenner, den auch Asoziale, notorisch Kriminelle und Grenzdebile akklamieren. Die Totalverweigerung betrifft den ganzen Menschen, die ganze Gesellschaft. Wie folgerichtig, daß Militärdienst wie Zivildienst dazu gehören. 9 2.3. Das Verblassen des europäischen Bedrohungsbildes Die in den beiden vorangegangenen Abschnitten dargelegten Ursachen für die Verdünnung, ja das Verschwinden einer ethisch begründeten Wehrund Verteidigungsbereitschaft sollten in ihrer Breitenwirkung weder unternoch überschätzt werden. Bedeutungsvoller jedoch scheint zu Beginn der Neunzigerjahre das tatsächliche Verblassen, aber auch die subversiv manipulierte Vertuschung des europäischen Bedrohungsbildes, vor allem durch ein globales und daher auch europarelevantes Konzept der Falschinformation. 9 Vgl. Robert Prantner, a.a.O., und ders., Esoterische Tore zur Erfüllung des Lebens, hrsg. v.d. Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände, Wien 1988.
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Die Medien präsentieren eine Gefahrenskizze, die nahezu auf den Nullwert reduziert ist. Der scheinbare oder tatsächliche Zusammenbruch politischer Systeme im traditionellen Satellitenbereich der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, die sogenannte "offizielle Beendigung" des Kalten Krieges, der die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts kennzeichnete, lassen die aus den vorerwähnten Ursachen ohnedies nicht sehr große Wehrbereitschaft noch weiter sinken. An deren Stelle engagieren gewiß sehr wichtige ökologische Fragestellungen und die Herausforderung, die sich aus dem Nord-Süd-Gefälle seitens der Entwicklungsländer aufdrängt. Für die Lösung deren Probleme wird die Umwidmung der allseits kleinen Verteidigungsbudgets vehement von der europäischen Linken und der Linksalternativen und Autonomen gefordert. Wie Norbert Fürstenhofer 10 in einem Versuch einer adäquaten Standortbestimmung feststellte, treten die sich abzeichnenden Erfolge der auf verschiedenen Ebenen laufenden Truppenabbaugespräche hinzu, so daß man auf den ersten Blick die Meinung vertreten könnte, nun sei tatsächlich die Zeit dafür reif, Schwerter in Pflugscharen umzuschmieden. Große Teile der Bürger in westeuropäischen Staaten teilen diese Meinung. Selbst in der Schweizer Eidgenossenschaft votierten im Rahmen einer Volksabstimmung 35% der Teilnehmer gegen den Fortbestand ihrer Armee. Der langjährige Generalinspekteur der Deutschen Bundeswehr General i. R. Ulrich de Maiziere rührte angesichts des so stark empfundenen Bedrohungsrückgangs an schlüssige Gedankengänge: Wenn heute im europäischen Raum Krieg als nicht mehr zulässiges Mittel zur Erreichung politischer Ziele gesehen wird, sollte daneben zumindest die Notwendigkeit des Schutzes der staatlichen Gemeinschaft anerkannt werden. Überdies muß auch das Ziel einer ethisch gerechtfertigten Verteidigung die Wiederherstellung von Friede und Gerechtigkeit sein. Die Mittel dazu haben sich in angemessenen und vor allem notwendigen Grenzen zu bewegen.11 Aber welchen Bürgern ist bezüglich dieser Notwendigkeit denn schon rechter Einblick gegeben? Eine umfassende Studie hat Ernest König 12 dieser Problematik gewidmet. Im Österreichischen Raum, dem der Jubilar und Adressat dieser Festschrift, Bischof Alfred Kostelecky, zugehört, hatten im Jahre 1983 noch fünf Sechstel der Staatsbürger die Bedeutung der Streitkräfte hoch eingeschätzt, im Jahre 1989 aber nur mehr zwei Drittel. In der Bundesrepublik Deutschland liegen 10 Vgl. Norbert Fürstenhofer, Bundesheer 90 Versuch einer Standortbestimmung, in: Der Soldat, 14.2.1990, 3. 11 Ulrich de Maiziere, Wehrdienst mit gutem Gewissen -zur politischen und ethischen Legitimation der Verteidigung, Vortrag vor der Osterreichisch-deutschen Kulturgesellschaft, Wien, 10.10.1989, Manuskript. 12 Ernest König, Abrüstungseuphorie- Bedrohungsbewußtsein (Die Auswirkungen von Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik auf Bedrohungsbewußtsein und Verteidigungsbereitschaft), in: Österreichische Militärische Zeitschrift, 1989, 5, 1 ff.
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die Vergleichszahlen deutlich darunter. Dort werden darüber hinaus die Verteidigungsausgaben von 43% der Bevölkerung 1989 als zu hoch eingeschätzt, im Jahre 1980 waren es rund 25 %, die nach einer Umschichtung des Bundeshaushaltsplanes verlangten. Zunehmend und nachhaltig hinterfragt wird die atomare Abschreckung selbst, was insbesondere im Zusammenhang mit einem deutlich abnehmenden Empfinden für einen drohenden Angriff zu sehen ist. In der Bundesrepublik Deutschland waren es vor 25 Jahren noch knapp zwei Drittel, heute empfindet weniger als ein Sechstel der Bundesbürger diese Bedrohung. In Großbritannien ist es etwa ein Viertel, in Frankreich knapp ein Drittel der Menschen, in denen in etwa ein Gefahrenbewußtsein noch ausgeprägt ist. Vorrangig empfunden werden persönliche Bedrohungen wie Unfall, Feuer, Arbeitslosigkeit oder aber Opfer einer kriminellen Straftat zu werden: insbesondere dann, wenn derartige Ereignisse medienwirksam ins Bewußtsein gerückt werden. Gefahren für den eigenen Staat selbst werden dann als bedrohlich empfunden, wenn sie direkt oder indirekt selbst erlebt wurden oder werden. Dazu zählen an vorderer Stelle Wirtschaftskrisen, aber auch Umweltkatastrophen und Umweltschäden größeren Ausmaßes. Die Kriegsbedrohung selbst wird eher nach hinten gereiht, während Wirtschaftskrieg, Subversion und Terrorismus als wahrscheinlicher erachtet werden. Bedeutungsvoll ist es auch, daß eine Überzeichnung von Bedrohungen, wenn es sich um kriegerische handelt, eher zur Auslösung eines Verdrängungsmechanismus führen. Mit aller Eindringlichkeit - eben um ihrer Erkenntnismöglichkeit willen-ist allerdings eine bestimmte Verursachung des Schwindensan westeuropäischem Bedrohungsbewußtsein und damit des Wehrwillens zu untersuchen, die auf ideologischen, strategischen und taktischen Normen und Verhaltensweisen der Führung der UdSSR in den Jahren 1989 und 1990 hinsichtlich der Europapolitik beruhen. Vielfach wird ignoriert, daß das genuin .,sozialistische System in Theorie und Praxis überaus flexibel ist, soweit es sich um Moral und Fairneß der internationalen Politik handelt. Jedes Mittel, Vorteile über die freie Welt zu erreichen (einschließlich Subversion, Sabotage, Lügen, Verletzung bilateraler und internationaler Vereinbarungen), wird als moralisch betrachtet, wenn sie in der Sache des Sozialismus in der Welt nutzen". 13 Diese Festschreibung des langjährigen sowjetischen Funktionärs des Komitees für Staatssicherheit der UdSSR Stanislav Levchenko entspricht der präzisen Kursangabe Wladimir Iljitsch Lenins bezüglich der Einflußnahme auf die europäischen Staaten des Westens. Lenin erblickt in der elastischen Handhabung der Medien eine Notwendigkeit zur Beeinflussung breiter Schichten der Völker. Er fordert eine Umgestaltung der Presseorgane (Perestrojka) und Durchsichtigkeit (Glasnost) auch für Beobachter aus dem Westen: .,Wir müssen unsere Presse 13
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Stanislav Levchenko, On the wrong side- My Life in KGB, 1989, 266.
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umändern ... in ein Instrument für die wirtschaftliche Umerziehung der Massen, in ein Instrument, das die Massen mit der Notwendigkeit eines neuen Arbeitsstils vertraut macht. Die Einführung von Glasnost in diesem Bereich wird an sich schon eine enorme Form sein und wird die Einbeziehung der breiten Massen in eigenverantwortliche Beteiligung an der Lösung der eigenen Probleme erweitern." 14 Die Völker des Westens würden darin einen Vertrauensbeweis zugunsten der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution erblicken. Michail Gorbatschow hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß Lenins Prinzipien für ihn verbindliche Richtschnur sind. In seiner Rede vom 18.2.1988 erklärte Gorbatschow die Fundamente seines "Neuen Denkens": "Das Neue Denken stützt sich auf die Leninsche Theorie des Imperialismus, auf die von Lenin unternommene Erforschung der Natur des Imperialismus, die sich niemals zum Guten wandeln wird. In dieser Frage gab und gibt es bei uns keine Illusionen. Das zentrale Glied des neuen Denkens ist die neue Rolle der allgemeinen menschlichen Werte. Auf ihre Bedeutung haben sowohl Marx als auch Lenin hingewiesen ... unsere großen Lehrer haben die objektive Grundlage der allgemein menschlichen Werte aufgedeckt und sie dialektisch in sozial-klassenmäßige vereinigt. Jetzt wird alles dies zur Hauptlinie der praktischen Politik." 15 In seinem Buch .Perestrojka" legt Michail Gorbatschow unmißverständlich dar, daß es keineswegs eine Krise des Sozialismus als gesellschaftliches System gebe, die den Stillstand herbeigeführt habe, sondern daß umgekehrt die sozialistischen Prinzipien bisher nicht konsequent genug angewandt und durchgesetzt worden sind. 16 Bereits Wladimir Iljitsch Lenin hatte von Perestrojka auch im Kontext zu Volkswirtschaft, Verwaltung, Bürokratie gesprochen. Lenin akzentuierte aber im besonderen die Notwendigkeit einer "Peredyshka", einer "Atempause", die dem Kräfteschöpfen dienlich sein soll. Durch das für die freie Staatenwelt so eingängige "Neue Denken" Michail Gorbatschows solle der Westen der UdSSR die notwendige "Peredyshka" gewähren, um der "Perestrojka" der Wirtschaft zur Festigung der Grundlagen der sowjetischen Weltmachtgeltung zum Durchbruch zu verhelfen: "Ohne eine Beschleunigung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes lassen sich unsere Positionen in der internationalen Arena nicht aufrechterhalten. Der Schlüssel für den Erfolg in den außenpolitischen Angelegenheiten liegt in der Verläßlichkeit und Festigkeit der Etappe, in der Gesundheit der sowjetischen Gesellschaft und unserer Wirtschaft." 17 14 Wladimir Iljitsch Lenin, Ansprache im Monat März 1918, zit. nach "Neuer Zürcher Zeitung", 22.3.1987. 15 Michail Gorbatschow, in: Kommunist, 1988, 4, 29. 16 Michail Gorbatschow, Perestrojka, 1987, 33. 17 Michail Gorbatschow vor den Mitgliedern des sowjetischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten am 23.5.1986, in: Vestnik Ministerstva inostrannych
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Die bislang wirksamste Methode sowjetischer Irreführung im Bereiche der westlichen, vor allem europäischen Welt, ist in der .Desinformation" zusammengefaßt. Diese psychologische Beeinflussungsstrategie wird allgemein als psychologische Kriegführung bezeichnet. Schon Felix Dserschinsky, der Begründer des sowjetischen Geheimdienstes, baute in der Tscheka, dem heutigen KGB, eine Geheimabteilung zur .Demoralisierung des Westens" ein, unter der Leitung von Yacov Saulovitsch Agranow. Seit Mai 1959 forderte der Chef des KGB, Alexander Scheljepin, die psychologische Entwaffnung des Westens durch Entspannung und friedliche Koexistenz.18 Dies wurde seit 30 Jahren praktiziert. Die sowjetische Desinformationsstrategie (Desinformazia) wurde zum entscheidenden Kampfpfeiler im politischen langfristigen Konzept der W eltbeherrschung. Angesichts der während einer funktionierenden nuklearen Abschreckung bestehenden Unwahrscheinlichkeit einer militärischen Auseinandersetzung ist die umfassende Beeinflussung über die öffentliche Meinung zum entscheidenden Mittel der psychologischen Kriegführung geworden: .Die Kriegsgefahr reduziert sich auf fast Null, man kann daher auch die Streitkräfte reduzieren, das Bedrohungsbild ist verblaßt." Folge einer desinformativen Von-Mund-zuMund-Beatmung von Ost nach West ist dann die Überzeugung, man dürfe nur noch gemeinsame Ziele verfolgen, von der Entwicklung der DrittenWelt bis zum Überleben der Menschheit, und hieraus erfolgt dann die Wirtschaftshilfe und finanzielle Mund-zu-Mund-Beatmung in der anderen Richtung, nämlich von West nach Ost, und die Lebensverlängerung des sowjetischen Systems nimmt ihren Fortgang. 19 Der Pferdefuß ist dem offenkundig, der die marxistisch-leninistische Terminologie nicht mit westlichen, freiheitlichen Denkinhalten erfüllt, sondern mit den ihr eigenen. So gibt die Sowjetunion nach ihrer Selbstinterpretation den allgemeinen menschlichen Werten, dem menschlichen Leben Vorrang und verteidigt eine gewaltlose Welt. Sie verneint aber keineswegs den partei- und klassenmäßigen Ansatz bezüglich gesellschaftlicher Prozesse und Kriege: .Die KPdSU unterstützt die internationale Arbeiter-, die kommunistischen nationalen Befreiungsbewegungen und führt einen unversöhnlichen Kampf gegen den Klassenfeind. Marxisten sind keine Pazifisten. Sie betrachten gerechte Befreiungs- und Verteidigungskriege als natürlich und gesetzmäßig. • So Professor N. Afanassjew in der .Prawda" im Namen Michail Gorbatschows. 20 Außenminister E. A. Schewardnadse setzt dies für die Verhaltensweise sowjetischer diplomatischer Repräsentanten in westlichen Ländern um: del SSSR, Nr. I (5.8.1987, 4 ff., zit. in: Gerhard Wettig, Gorbatschow auf Leninkurs? -Dokumente zur neuen sowjetischen Politik, Köln 1988, 37f.). 18 Vgl. Hans Graf Huyn, Die Doppelfalle, 1989, 57 ff. 19 a.a.O., 70. 20 Prof. N. Afanassjew, in: Prawda, Moskau, 5.12.1986.
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,.Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten war und bleibt in höchstem Maße parteiliches, ideologisch reines, klar organisiertes und arbeitsfähiges Organ der Sowjetmacht ... In dieser Theorie (der sowjetischen Außenpolitik) darf es keinen trennenden Gegensatz zwischen dem Proletarischen und dem Allgemeinmenschlichen geben ... Diese Konzeption ist dazu berufen, folgende Gesetzmäßigkeit zum Ausdruck zu bringen: Unsere Klasseninteressen bestimmen den Kampf für die allgemein menschlichen Ideale." 21 Die außenpolitische Orientierung der UdSSR ist nicht von Pazifismus und Ächtung des Krieges als Mittel der grenzüberschreitenden Politik geprägt. Die Friedenseuphorie in den westlichen Staaten und damit die Unlust, weil Uneinsehbarkeit in die Sinnhaftigkeit, Wehrdienst zu leisten, beruhen auf einer nahezu perfekten Fehlinformation und Täuschung. Die außenpolitischen Ziele der Weltherrschaft, die bereits Karl Marx dem Rußland seiner Tage zugeschrieben hatte, befestigte die UdSSR in Artikel 28 ihrer neuen Verfassung, für jeden, der die marxistisch-leninistische Semantik zu deuten weiß, erkennbar: ,.Der Sowjetstaat wird konsequent die leninistische Friedenspolitik befolgen und sich für die Konsolidierung der Sicherheit der Völker und der Zusammenarbeit einsetzen. Die Außenpolitik der UdSSR ist gerichtet auf die Sicherstellung günstiger internationaler Bedingungen für den Aufbau des Kommunismus in der UdSSR, die Stärkung der Positionen des Weltsozialismus, die Unterstützung des Kampfes der Völker um nationale Befreiung und sozialen Fortschritt, die Verhinderung von Aggressionskriegen und die konsequente Verwirklichung des Grundsatzes der friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlichen sozialen Systemen." 22 .Sozialer Fortschritt" bedeutet Errichtung eines sozialistischen Systems unter sowjetischer Oberherrschaft. .Frieden" bedeutet Kampf um die Vergrößerung der Macht der Sowjetunion und Ausübung der Sowjetherrschaft.23 .Friedliche Koexistenz" bedeutet Klassenkampf im Weltmaßstab einschließlich der .Mobilisierung für den aktiven Kampf und Ausnutzung der ganzen Macht des Sozialismus". 24 Die "friedliche Koexistenz" findet ihr parteipolitisches Gegenstück durch den "proletarischen Internationalismus", welcher sozialistischen Parteien gebietet, einander zur Seite zu stehen, um mit allen Mitteln dem .Kapitalismus" - der freien Welt, dem freiheitlichen Rechtsstaat und der plurali21 E.A. Schewardnadse, Ansprache am 3.5.1987 vor den Diplomaten seines Ministeriums, in: Vestnik Ministerstva inostrannych del SSSR, Moskau, Nr. I, 5.8.1987, 18. 22 Verfassung der UdSSR von Juni 1977, Art. 28. 23 M. Rapoport, Das Wesen des modernen Völkerrechts, in: Sowjetstaat und Recht, Moskau 1941. 24 Artikel im Auftrag des Zentral-Komitees der KPdSU, Prawda, Moskau, 9.10. 1979.
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stischen Gesellschaft- den Todesstoß zu versetzen, sowie "nationale Befreiungsbewegungen" in jeder Form, einschließlich des "organisierten Terrorismus", zu unterstützen. 25 Drei sich erweiternde Kreise machen die außenpolitischen Schritte des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow deutlich: 1. Die unmittelbare geopolitische Sicherung des sowjetischen Imperiums (in Übereinstimmung mit der zaristischen Außenpolitik der Romanows): volkswirtschaftlich, nationalitätenpolitisch, militärpolitisch, sicherheitspolitisch im Inneren. Dazu zählen die Entlassung der ehemaligen sozialistischen Satellitenstaaten in einen (allerdings sehr weit) begrenzten Freiheitsraum, der Verzicht auf ein kommunistisches Ostdeutschland zugunsten eines vereinten Doppelstaates mit neutralem Status oder eines gemeinsamen Deutschland, auf dessen westlicher Hälfte keine NATO-Truppen nichtdeutseher Herkunft sich befinden und dessen östlicher Traktkraft des Gesetzes von den kommunizierenden Gefäßen auf das volkswirtschaftliche Niveau des Westteiles sich anhebt; weiters die volle Sanierung der wirtschaftlich am Zusammenbruch stehenden UdSSR mit westlicher Finanz- und W arenhilfe, was eine Auferstehung des zusammengefallenen Marxismus-Leninismus bedeuten soll. Perestroika meint vor allem äußeres Eingehen auf westliche ideelle Wünsche um den Preis der Rückkehrhilfe zur russischen Großmachtrolle. 2. Daraus resultiert die Erringung einer hegemonialen Stellung durch die UdSSR in Europa, dem "gemeinsamen europäischen Haus", welches nunmehr keinen amerikanischen Zubau mehr besitzt. Der Kontinent über dem Atlantik wird seines europäischen Bezuges enthoben. 3. In sehr weiter Ferne stehen dann infolge sozialistischer Konvergenzen zwischen gemäßigten totalitären Sozialisten des europäischen Ostens mit linksalternativ eingefärbten Sozialdemokraten des Westens die Übernahme der Europa-Herrschaft als Vorstufe zur Herrschaft über Asien, Afrika und allenfalls auch das ibero-lusitanische Südamerika. Der Faktor "Volksrepublik China" bleibt vorerst ausgeklammert, weil die konstanten Größen zu einer sicherheitspolitischen Wahrscheinlichkeitsrechnung schwanken. 26 Der Leiter des schweizerischen Ostinstitutes in Bern, Peter Sager, kommt zu dem Schluß, daß diese drei Ziele mit abnehmender Intensität parallel verfolgt werden, weil ein Teilerfolg zum zweiten Ziel einen Erfolg zum ersten darstellt und ein Teilerfolg zum dritten Ziel Annäherung an die beiden ersten erlaubt. 25 26
Hans Graf Huyn, a.a.O., 143. Peter Sager, Die sowjetische Außenpolitik unter Gorbatschow und nach
Tschernobyl- Krise im Ost-West-Spannungsfeld, Ursachen und Lösungsmöglichkeiten, in: SOl-Sonderdruck 24, Bern 1986, 30.
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Um das Bedrohungsbild Europas des Jahres 1989 und 1990 in der Ära Michail Gorbatschows nochmals zu verdeutlichen: ,.Strategisches Ziel der sowjetischen Weltpolitik ist es, das freie Europa von Amerika und insbesondere die Bundesrepublik Deutschland von ihren westlichen Partnern langfristig psychologisch und militärisch abzukoppeln. Hat diese Strategie Erfolg, so wäre dies der entscheidende Schritt, um Europa über eine Neutralisierung und Finnlandisierung schließlich in eine Sowjetisierung zu führen. Eine Abkoppelung des freien Europa von den Vereinigten Staaten wäre der entscheidende Schritt Moskaus zur Vorherrschaft in der Welt; er würde langfristig die Überlegenheit der UdSSR über die USA sicherstellen."27 In dieser Perspektive des deutschen Politikers und Politikwissenschafters Hans Graf Huyn stellt sich das Placet Moskaus zur deutschen Wiedervereinigung nach 45 Jahren Spaltung als Köder zur Entamerikanisierung des europäischen NATO-Traktes dar. Zu beachten ist auch die Kette der nationalistisch geschürten regionalen Bedrohungsfaktoren, vor allem am Balkan, die Europa nicht als Paradies des Friedens erkennbar machen und jeden Staat, der seine Freiheit und Sicherheit liebt, zur Wachsamkeit und Verteidigungsbereitschaft anhält. Das Verblassen des europäischen Bedrohungsbildes beruht also in letzter Konsequenz auf einer psychologisch verbreiteten, kurzschlüssigen Täuschung, nicht aber auf dem Verschwinden der tatsächlichen Bedrohungsquellen. Michael Stürmer, der Historiker und Leiter des Instituts für Wissenschaft und Politik in Ebenhausen, vermag der sogenannten Entspannung keine Glaubwürdigkeit abzugewinnen: ,.Daß da ein Leninist, Michail Gorbatschow, die Sowjetmacht durch eine Revolution von oben befähigen will, im 21. Jahrh.mdert Weltmacht zu sein, ist aber in Wahrheit kaum ein Anlaß für ungehemmte Vorfreude, sondern eher ein Grund, darüber nachzudenken, wie eine strategische Pause zu nutzen wäre für Stabilität und Berechenbarkeit der Beziehungen, den Ausgleich der gegensätzlichen Interessen und nachhaltige Besserung des Loses der östlichen Nachbarn." 28 3. Die Realisierung einer naturrechtlich und allenfalls auch christlich motivierten Verteidigungsbereitschaft Dem obersten Militärseelsorger eines Staatswesens ist es anheimgestellt, das Bewußtsein für die in der menschlichen Natur eingestifteten Freiheitswerte wachzuhalten, deren Respektierung eine unabdingbare Notwendigkeit zur Entfaltung der dem Menschen wesenhaften Lebenszwecke und 27 Hans Graf Huyn, a.a.O., 152. 28 Michael Stürmer, Die Deutschen und der Westen, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, Frankfurt, 10.3.1989, 1.
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damit zur vollmenschlichen Seinserfüllung bedeutet. Diese "Freiheiten", deren Summe die Menschenwürde qualifiziert, sind gesellschaftlicher Natur. Sie werden auch als Menschenrechte bezeichnet und verdienen jede Art von Schutz vor Schmälerung, Unterdrückung und mitunter Aufhebung durch gewaltsamen Eingriff. Sie motivieren den Wehrdiener zu einem Friedensdienst, der Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit zum Ziele hat. Zu diesen Freiheitsrechten zählen die Freiheit des Gewissens, der Religionsausübung, das Recht auf das eigene Leben, auf die Vollachtung der Person, das Recht zu Ehe und Familie, zur Erziehung der eigenen Kinder, das Recht zum Unterhaltserwerb, d. h. zur Sicherung des Lebensunterhalts durch Arbeit. Das Recht auf Eigentum, auf die Heimat, auf Asyl, freie Berufswahl, das Recht zur Persönlichkeitsentfaltung (d. h. zur Erreichung der existentiellen Lebenszwecke), das Recht der freien Meinungsäußerung, der freien Vereinigung, das Recht zur Mitbestimmung in der Ordnung und Verwaltung des Gemeinwesens beanspruchen jedweden Schutz vor inneren und äußeren Beschädigungen. Die Summe der immateriellen und materiellen Güter sind dem Soldaten zur Verteidigung in der Stunde der Bedrängnis anvertraut. In ihr liegt das Kernmotiv eines naturrechtliehen und christlichen Wehrethos beschlossen. Die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes", die am 7.12.1965 verlautbart worden war, spiegelt nach dem Willen des Zweiten Vatikanischen Konzils die gegenwärtige Sichtweise auch der Katholischen Kirche zum Ethos des Verteidigungskrieges und damit zur aktuellen Problematik der W ehrethik. Die christliche Sichtweise des Friedens ist Grundlage der Überlegungen: "Der Friede besteht nicht darin, daß kein Krieg ist; er läßt sich auch nicht bloß durch das Qeichgewicht entgegengesetzter Kräfte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot eines Starken; er heißt vielmehr mit Recht und eigentlich ,Werk der Gerechtigkeit' (lsaias 32, 7). Er ist die Frucht der Ordnung, die ihr göttlicher Gründer selbst in die menschliche Gesellschaft eingestiftet hat und die von den Menschen durch stetes Streben nach immer vollkommenerer Gerechtigkeit verwirklicht werden muß. "29 Der Begriff .bellum iustum" (gerechter Krieg) wird durch diesen friedenstheologischen Text des Zweiten Vatikanischen Konzils zwar nicht inhaltlich entleert, jedoch als zwielichtige Wertungsunterscheidung durch die Kriterien "Angriffskrieg" und "Verteidigungskrieg" ersetzt. Den Regierungen wird das Recht auf Defensive keineswegs abgesprochen, kollektive Notwehr ist nicht nur erlaubt, sie ist sittliche Pflicht zur Werte-Erhaltung. Verteidigung mit angepaßten Instrumentarien technologischer Natur bzw. adäquaten Kampfmitteln ist nicht nur ethisch erlaubt, sondern sogar geboten: sind doch die Regierenden für das Wohl der ihnen anvertrauten Völker verantwortlich. 30 29
Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 78.
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Einen Staat verteidigungsbereit zu erhalten, die entsprechenden finanziellen Ressourcen für Rüstungszwecke in ausreichendem Maße bereitzustellen sowie die notwendige Instruktion der Wehrdien er durchzuführen, wird als sittlich erlaubt und als sittlich geboten bezeichnet. Der Soldat, im Dienste seines Vaterlandes, betrachtet und versteht sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Er trägt zur wahren Festigkeit des Friedens bei. Johann Bergerunterstreicht die Auffassung der Konzilsväter, daß die Menschheit sich stärker auf allen Ebenen um die Lösung von Konfliktursachen bemühen muß, da Kriege ja nur Folgen von Konflikten sind. Gemäß der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" wird nach Auffassung der katholischen Kirche ein Verteidigungskrieg dann als gerecht und geboten angesehen, - wenn er von der staatlichen Autorität angeordnet und geführt wird; - wenn er die Abwehr eines unberechtigten Angriffs auf lebenswichtige Güter eines Staates bewirkt; - wenn zuvor die Ausschöpfung aller Möglichkeiten einer friedlichen Beilegung des Streites erfolgte; - wenn die eingesetzten Kampfmittel dem Verteidigungszweck angemessen sind; -wenn die Art und Weise der Kriegführung dem Naturrecht und dem Völkerrecht entspricht. 31 Zur Bewältigung der Entscheidungsphase in Konfliktsituationen bedarf es neben einem tiefen Problembewußtsein, der Fähigkeit, Abgrenzungen zu ziehen und Unterschiede wahrzunehmen, einer Verantwortung aus Wissen und Gewissen. Denn ein "waches Gewissen erfordert häufiger Entscheidungen, aber dieses allein gibt dem Leben mehr Würde und Klarheit, es allein ermöglicht uns letzten Endes ein menschenwürdiges Dasein". 32 Die Österreichischen Bischöfe, deren gemeinsame Konferenz vom hohen Jubilar als deren Sekretär seit vielen Jahren betreut wurde, veröffentlichten bereits im November 1981 eine Erklärung zur Friedensproblematik, welche das Wehrethos des Dienstes an der Landesverteidigung bekräftigt: "Der Einsatz für den Frieden hat seine Wurzeln im Evangelium Jesu Christi, der seinen Jüngern den Auftrag zur Brüderlichkeit gegeben und diese durch seine Menschlichkeit begründet hat. Er hat der Welt den Frieden versprochen, wie sie ihn selbst nicht geben kann. So sehen wir in den ehrlichen Bemühungen um den Frieden eine Verwirklichung der Nachfolge Christi in einer Welt, die anders denkt. 30 Vgl. Johann Berger, Vom "Heiligen Krieg" zur Friedenstheologie, in: Wehrethik li, 1986, 1 ff. 31
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Vgl. a.a.O., 16.
P. Lothar Groppe S.J., Wissen und Verantwortung, in: Wehrethik I, 1986, 24.
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Dies verpflichtet uns aber auch, ernsten, kritischen und zum Teil ungelösten Fragen nicht auszuweichen: So muß gefragt werden, wie sich Frieden, Gewaltlosigkeit einerseits und berechtigte Notwehr andererseits zueinander verhalten. Das führt zur Frage, welche Werte auch unter Opfern verteidigungswürdig sind, ja verteidigt werden müssen. Zu undifferenziert erscheint uns die öfter geäußerte Meinung, als dürften staatliche Unabhängigkeit, Freiheit und Menschenrechte unter allen Umständen nur durch absolute Gewaltlosigkeit verteidigt werden. Weder aus der Heiligen Schrift noch aus der Lehre der Kirche kann abgeleitet werden, daß Beruf und Dienst des Soldaten in sich unehrenhaft seien. Die Friedensbewegung unserer Tage birgt großen Idealismus und zugleich mitunter auch Kurzsichtigkeilen in sich und könnte in Gefahr sein, politisch mißbraucht zu werden." 33 Ein altes Sprichwort des Römischen Reiches formuliert eine umstrittene Verhaltensregel zur Erhaltung des Friedens: .,Si vis pacem para bellum". Wenn du den Frieden willst, mußt du zum Kriege rüsten. Papst Paul VI. stellte dem ein Thema zum Weltfriedenstag der Kirche entgegen: .,Si vis pacem para pacem". Darin liegt nur zum Scheine eine Antinomie. Denn jedeWachsamkeitund Bereitschaft für den Fall eines feindlichen Angriffs bedingt sorgsame Vorbereitung, um zur Verteidigung befähigt, gerüstet zu sein. Friedenssorge ist also auch Sorge für eine effiziente Verteidigungs-Kriegsbereitschaft Nur Sorglosigkeit auf allen Ebenen führt in die Katastrophe, in Unterdrückung, Unfreiheit, Versklavung. Man muß für den Frieden rüsten, wenn man ihn sichern, wenn man ihn .,haben will". Si vis pacem, para bellum et habebis pacem. Aber nur das Wollen liegt allein bei den Menschen, der Erfolg, die .,Vollendung" ist Gott anheimgestellt. Er ist der wahre und wirkliche Urheber des Friedens. Er ist selbst der Friede.
33 Hirtenbrief der Erzbischöfe und Bischöfe Österreichs zur Friedensproblematik, November 1981.
GEWALT UND GEWALTLOSIGKEIT Zur Geschichte der Österreichischen Friedensbewegung
Von Manfried Rauchensteiner, Wien Ich bin kein Pazifist! Denn der radikale Pazifismus hat so viele militaristische, gewaltsame und alles andere ausschließende Tendenzen an sich, daß ich ihm nicht anhängen kann, denn ich bin auch kein Militarist! Und die wenigsten von uns sind Pazifisten oder Militaristen im strengen Wortsinn. Wohl aber sind wir alle Betroffene und müssen umdragen, ob Krieg und Frieden mit der Unabänderlichkeit von Tag und Nacht, Winter und Sommer oder welch anderer Regelmäßigkeit auch auf uns zukommen. Wir sind uns darüber einig, daß jeder Krieg seine Ursachen hat. Doch noch kaum jemand hat den Begriff Friedensursachen verwendet. Und doch sollte auch der Frieden seine Ursachen haben. Unbeschadet dessen bringen es die Fragen nach Krieg und Frieden sowie nach ihren jeweiligen Ursachen mit sich, daß wir uns auch dafür interessieren, welche Strukturen und welche Tendenzen Krieg und Frieden fördern. 1 In dem Augenblick aber, da wir diese Fragestellung auf Österreich anwenden, begegnen wir einer merkwürdigen Unsicherheit. Denn wem ist schon bewußt, daß nicht nur die Gewalt, sondern auch die Friedensbewegung in Österreich eine große Tradition haben? Bei der Suche nach herzeigbaren Vertretern einer Österreichischen Spielart der Friedensbewegung stößt man sehr rasch auf Bertha von Suttner. 2 Es sollten auch relativ viele wissen, daß sie einen der ersten Friedensnobelpreise bekommen hat. Würde man aber nach dem Namen des zweiten Österreichischen Friedensnobelpreisträgers fragen, ist eher zu erwarten, daß die UNO-Truppen genannt werden, die als .Soldaten für den Frieden" an 1 Als grundsätzlich für das weitere sei auf folgende Publikationen verwiesen: Überlegungen zum Frieden, hg. Manfried Raucheosteiner (Wien 1987), mit Beiträgen von Thomas Desch, Renate Flieh, Franz-Michael Gansriegler, Joachim Giller und Christoph Gütermann; ferner Friedensbewegungen: Bedingungen und Wirkungen, hg. Gernot Heiß und Heinrich Lutz (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 11, Wien 1984). Die Überlegungen stützen sich ferner auf ein Wiener Vorlesungsmanuskript des Verfassers aus dem Sommersemester 1986. 2 Dazu die Biographie von Brigitte Hamann, Bertha von Suttner. Ein Leben für den Frieden (München 1986), ferner die erste gründliche Suttner-Biographie, die bereits die wesentlichsten Hinweise enthält: Beatrix Kempf, Bertha von Suttner (Wien 1964).
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Brennpunkten eingesetzt sind, als daß jemandem Alfred Hermann Fried einfällt. 3 Die weit verbreitete Unkenntnis seines Namens ist aber nur ein Symptom dafür, daß die Verwobenheit Österreichs mit der Geschichte der Gewaltlosigkeit kaum bekannt ist. Vielleicht ist es auch diese weit verbreitete Unkenntnis von der Existenz und von den Ideen der Österreichischen Antikriegsbewegung gewesen, die uns hilflos werden ließ, als im Zusammenhang mit der atomaren Rüstung und Nachrüstung in Europa Anfang der Achtziger Jahre etwas auf Österreich überzugreifen begann, zu dem wir keinen oder einen nur geringen Bezug hatten. Statt aber eine eigene Position erkennbar werden zu lassen, wurden wieder einmal Parolen entlehnt und Standpunkte kritiklos übernommen, da wurde agitiert und mitmarschiert, daß es eine Freude war. In einer kaum beachteten Anschlußbewegung wurde in Österreich ein Bewußtsein für die Bedrohung des Friedens geweckt, weil dieser Frieden durch die Atomrüstung gefährdet schien, und es setzte sich nur zögernd die Erkenntnis durch, daß es ja nicht die Waffen an sich, sondern die Absichten dahinter sind, die als mehr oder weniger friedensbedrohend angesehen werden müssen. 4 Die meisten erinnern sich noch recht gut an die großen Friedensdemonstrationen am 15. Mai 1982 und am 22. Oktober 1983; an die Menschenkette und die mehr oder weniger gut formulierten bis verzweifelten Aufschreie der Redner. Alles das war zwischen Argumentation und Agitation angesiedelt, hatte aber zweifellos weit mehr als politische Randgruppen erfaßt. 5 Und plötzlich herrschte dort Bewegung, wo sich vorher nichts bewegt hatte, sondern bestenfalls Aktivitäten zu beobachten gewesen waren. Ein Jahr später sollte der Friedenstag 1984 abgehalten werden. Rund 4 000 Menschen sind nach Linz gekommen und kündeten schon allein durch ihre Zahl, daß das, was sich kurzzeitig bewegt hatte, wieder zum Stillstand gekommen war. Wir erlebten das Ende einer Bewegung. Dies sollte aber nicht Anlaß zu besonderer Niedergeschlagenheit sein, denn was 1983/84 endete, war nur die besondere Ausformung einer ganz bestimmten international in Bewegung geratenen Szenerie, deren Zusammenhänge mit der ost-westlichen Rüstungsproblematik unübersehbar waren. Es war aber vorher etwas dagewesen und es kam nachher etwas, ja wahrscheinlich war beides solider, als die sich plötzlich überhitzende "Friedenskonjunktur". Die "Frieden-schaffen- ohne-Waffen" -Bewegung hatte kaum Tiefgang, auch wenn sie sehr stark Fried erhielt 1911 den Friedensnobelpreis. Zu diesem Problemkreis sei auf den Aufsatz des Verfassers, Kriterien einer Defensiven Rüstung, hingewiesen, in: Frieden ohne Rüstung?, hg. Clausewitz-Gesellschaft (Herford/Bonn 1989). 5 Das wies Heinrich Schneider in seinem Beitrag nach: Friedensbewegung in Österreich. Probleme von Identität und Differenz in einer komplexen Gruppierung, in: Wiener Blätter zur Friedensforschung, Nr. 32/33 (Wien 1984), 49-56. 3
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emotionalisierte, und insbesondere hatte sie keine Österreichischen Wurzeln. Denen nachzugehen ist jedoch ein durchaus lohnendes Unternehmen. Fast jeder kennt sie, die Bertha von Suttner, die Baronin, die "Friedensbertha", die zur Leitfigur der Österreichischen Antikriegsbewegung vor dem Ersten Weltkrieg wurde. Sie war die Tochter eines Grafen Kinsky und einer Baronin Körner und wuchs nach dem noch vor ihrer Geburt erfolgten Tod ihres Vaters im Dunst von Spielkasinos auf.6 Die Mutter war eine Spielerin. Nach einem kurzen Intermezzo als Sekretärin bei dem schwedischen Industriellen Alfred Nobel in Paris brannte sie mit dem Sohn einer bankrott gegangenen lndustriellenfamilie, Arthur Gundaccar von Suttner, in den Kaukasus durch. Während des russisch-türkischen Krieges 1877/78 begannen beide Suttners zu schreiben, vor allem Kriegs berichte. Bertha von Suttner schrieb aber wohl einen gefälligeren Stil als ihr Mann und wurde zumindest soviel gelesen, daß sie damit das Auskommen des Ehepaares sichern konnte. Nach ihrer Rückkehr aus dem Kaukasus lüftete sie ihr bis dahin gewahrtes Pseudonym und begann sich in der literarischen Welt einzurichten. Bei einer Reise nach Paris und während eines Aufenthaltes in Venedig traf sie auf einer der zahlreichen gesellschaftlichen Veranstaltungen auf Vertreter einer Bewegung, die ihr bis dahin fremd gewesen war. Sie traf auf sogenannte Friedensagenten, Peace agents, die Künder einer schon bald ein Jahrhundert alten Tradition waren. 7 Denn dieWanderpredigerdes Friedens waren etwas, das aus den Vereinigten Staaten und aus Großbritannien kam. Sie verkündeten eine teilweise religiös, teilweise ausschließlich philanthropisch fundierte Lehre von der Vermeidbarkeit von Kriegen, riefen zu Zusammenschlüssen und vor allem zur Schaffung von Friedens- und Schiedsgerichtsvereinigungen auf. Sie waren davon durchdrungen, daß sich der Frieden organisieren und der Krieg abschaffen ließen. Den organisatorischen Rückhalt dieses W anderpredigertums bildeten tausende Vereinigungen, vor allem in den USA und in Großbritannien, die einstmals gegründet worden waren, um gegen die Sklaverei anzukämpfen, und die sich nun, nachdem dieses Ziel im großen und ganzen erreicht war, einer anderen Aufgabe zugewandt hatten - dem Frieden. Nun war das etwas, das gerade in Österreich, dem Land des Metternichsehen Systems, das ja eine Friedensordnung gewesen ist, auf fruchtbaren Boden fiel. Bald nach 1866 wurden in Österreich auch aus einem anderen Grund Stimmen laut, die von der Habsburger Monarchie eine prinzipiell friedenserhaltende Politik forderten. Die Niederlage im Krieg gegen Preußen hatte nämlich die Meinung nach sich gezogen, die Monarchie würde einen Zur Biographie wieder Hamann, Suttner, hier bes. 11-117. Eine systematische Darstellung der Wurzeln der internationalen Friedensbewegung vor dem Ersten Weltkrieg findet sich vor allem in Allred Hermann Fried, Handbuch der Friedensbewegung, 2 Bde, 2. Auf!. (Berlin 1911-1913). 6
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weiteren Krieg nicht mehr aushalten, sie würde zerfallen. Aus diesem Gefühl der Schwäche, ja der scheinbaren Ohnmacht heraus setzten Überlegungen ein, wie die Monarchie künftighin aus größeren Kriegen herausgehalten werden könne. Als gangbarster Weg erschien dabei eine Art Rüstungsübereinkommen, wonach alle kontinentalen Mächte ihre Rüstung auf einem niedrigeren Niveau einfrieren sollten. 8 Waffen sollten freilich nicht generell verboten, wohl aber die Truppenmassen reduziert werden. Es ging also nicht um eine materielle, sondern um eine personelle Demobilisierung (MBFR a la 1870/75). Die Initiativen blieben zwar schon im Ansatz stecken, doch dann gab es eine Entwicklung, die von der Österreichischen Antikriegsgruppe als großer Fortschritt und als indirekte Erfüllung ihrer Forderungen angesehen wurde: Die europäischen Staaten schlossen sich zusammen. Im Zweibund zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland, der dann 1882 zum Dreibund mit Italien erweitert wurde, ebenso wie in der Entente Cordiale zwischen England und Frankreich, wurden wesentliche Schritte zur Konfliktverhütung gesehen, weil es damit supranationale Zusammenschlüsse gab, die auf eine Staatenkonföderation hindeuteten. In dieser Phase europäischer Politik, in der Handelsbeschränkungen abgebaut, Zollvereine gegründet und die europäische Staatenwelt erstmals in Blöcken organisiert wurde, schien der Frieden erstmals auch machbar zu sein. Bertha von Suttner kam mit dieser angloamerikanischen und mittlerweile auch westeuropäischen Bewegung in Berührung. Und sie versuchte, den sie faszinierenden Ideen durch ein eigenes Buch Ausdruck zu verleihen. Es hieß: .Die Waffen nieder". Was geschildert wurde, war ein österreichisches Schicksal, das 1859 seinen Ausgang nahm, über 1866 zum deutschfranzösischen Krieg führte und darin mündete, daß sich die Titelheldin, Martha von Tilling, und ihr Mann, hinter denen leicht das Ehepaar Suttner zu erkennen war, der internationalen Friedens- und Schiedsgerichtsassoziation anschloß, da ihnen bewußt geworden war, daß man dem Untergang im Krieg nur durch die Vereinigung der Staaten auf gewaltfreier Basis vorbeugen konnte. 9 Nach einigen Mißerfolgen, einen Verleger zu finden, erschien das Buch der Frau von Suttner in Dresden und wurde ein unwahrscheinlicher Erfolg. Bertha von Suttner wurde zur Berühmtheit. Sie badete sich im Erfolg, ging den einmal beschrittenen Weg konsequent weiter, indem sie ganz im Sinn der angloamerikanischen und westeuropäischen Friedens- und Schieds8 Eine für diesen Zeitabschnitt knappe Darstellung in dem ansonsten sehr wesentlichen Beitrag von Christoph Gütermann, Die Geschichte der Österreichischen Friedensbewegung 1891-1985, in: Überlegungen zum Frieden, 13-132. 9 Ergänzend zur bisher genannten Literatur über Bertha von Suttner: Hunnelore Dengg, Bertha von Suttner und ihr publizistischer Beitrag zur Geschichte der Österreichischen Friedensbewegung, Diss. (Wien 1983).
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gerichtsbewegung eine Österreichische Teilorganisation ins Leben rief, deren Präsidentin sie wurde. Allerdings war es ihr nur gegeben, ihre Österreichische Vereinsgründung in einer bestimmten Gesellschaftsschicht anzusiedeln. Zum Kreis um die Suttner gehörten Angehörige des hohen bis niederen Adels, des Bankwesens, Nationalökonomen und vor allem auch Schriftsteller; Naturwissenschaftler vom Rang eines Kar! Ritter von Scherzer oder Richard Freiherr von Krafft-Ebing; Literaten wie Peter Rosegger gehörten der Vereinigung an, später stießen Marie Ebner-Eschenbach, Marianne Hainisch, der Flugpionier Wilhelm Kress, Wilhelm Exner, Ludwig Mauthner-Markhof, Julius Mein! und viele andere dazu, nicht zuletzt zahlreiche Lehrer und Organisationen der Lehrerschaft, schließlich der Zentralverband der Österreichischen Staatsbeamten, dem rund 50 000 Mitglieder angehörten, und eine ganze Ordensprovinz. 10 Frau von Suttner hatte aber die Friedens- und Schiedsgerichtsbewegung nicht ungefiltert übernommen, sondern entkleidete sie ihres religiösen Aspekts. Statt dessen verquickte sie das Übernommene mit materialistischen, sozialrevolutionären und sozialdarwinistischen Gedanken. Sie wollte auf den Verstand und nicht das Gefühl zielen- und das in einem gefühlsbetonten Zeitalter. Sie wollte den Krieg abschaffen. Mit den Mitteln der Propaganda sollte ein moralischer, manchmal auch nur moralisierender Feldzug gegen alle jene geführt werden, die den Krieg verherrlichten und ihn als Notwendigkeit beschworen. Der zum Schlagwort gewordene Buchtitel .,Die Waffen nieder" richtete sich gegen ähnliche Schlagworte wie den Krieg als .,Schule der Nation" oder das "Stahlbad", durch das man gehen müsse, oder das "Volk in Waffen". Die Adressaten dieser propagandistischen und semantischen Offensive waren Militärs und Militärtheoretiker vom Zuschnitt eines Colmar Freiherrn von der Goltz, eines C. F. Scherif oder eines Pierre Joseph Proudhon, der den Krieg als das "erhabenste und tiefste Phänomen unseres moralischen Lebens" bezeichnet hatte. Sie richtete sich gegen George Sore! oder Heinrich Leo und seinen .,frischen fröhlichen Krieg", mit dem das .,skrofulöse Gesindel" hinweggefegt werden sollte, und andere mehr. 11 Frau von Suttner, der bewußt war, daß sie mit der Antikriegsbewegung gleichgesetzt wurde, begann herumzureisen und zahllose Vorträge zu halten. Sie wurde selbst zum .,Peace agent". Damit brachte sie es zustande, daß 10 Über die organisatorische Entwicklung der Österreichischen Friedensgesellschaft informieren die von Suttner herausgegebene Zeitschrift .Die Waffen nieder" (Dresden/Wien 1892-1899) und die im Anschluß daran von Fried herausgegebene Zeitschrift .Die Friedens-Warte" (Berlin/Wien 1899-1914). 11 Die vollständigen Zitate in Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hg.), Bereiten wir den falschen Frieden vor?(= Herder Initiative 13, München 1976), Vorwort des Herausgebers, 7-16.
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ihre Vereinsgründung verhältnismäßig rasch bekannt wurde und auch einen mitunter erstaunlichen Zulauf erlebte. Allerdings hätte sie zur Kenntnis nehmen sollen, daß die Bereitwilligkeit zur Unterstützung ihrer Ziele mit der schwindenden Kenntnis von der wahren Struktur des Vereins und der geistigen Einstellung seiner Präsidentin zunahmY In Dalmatien etwa, wo man nicht wußte, daß die Suttner Atheistin war, trat eine ganze Ordensprovinz der Friedensgesellschaft bei. Dort, wo man nicht wußte, daß Frau von Suttner einer von ihrem Mann gegründeten philosemitischen Vereinigung beigetreten war, fühlten sich auch christlichsoziale Parteigänger angezogen. Dort, wo man nicht wußte, daß die Baronin Suttner durch den Fürsten Wrede, durch die Grafen Coronini und Hoyos und andere Angehörige der Aristokratie gefördert und subventioniert wurde, traten wohl auch sozialdemokratische Arbeiter bei, und wo man nicht wußte, daß als eines der Vereinsziele absoluter Supranationalismus zu gelten hatte, traten auch prononcierte Vertreter der Nationalitäten der Gesellschaft der Friedensfreunde bei. In der Österreichischen Reichshälfte aber waren es vor allem zwei Nationalitäten, die sich stärker angezogen fühlten, das waren die Deutschen und die Polen. Sie erkannten wahrscheinlich am deutlichsten, daß diese Antikriegsbewegung dem Zerfall der Monarchie entgegenarbeiten sollte. Kein Wunder, daß man in ihr daher bald so etwas wie die "erste k. u. k. privilegierte Friedensgesellschaft" sah. Die Attraktivität der Frau von Suttner reichte schließlich aus, das viel schwierigere Werk als die Österreichische Vereinsgründung, nämlich eine deutsche Gründung zustande zu bringen. Im Deutschen Reich war ja nicht nur gegen eine Stimmung anzukämpfen, wie sie in dem bissigen Epigramm von Felix Dahn zum Ausdruck kam: "Die Waffen hoch! Das Schwert ist Mannes eigen. Wo Männer reden, hat das Weib zu schweigen." 13 Man karikierte die Suttner als Anführerin von polnischen Juden. Dazu kam, daß in Deutschland einige der wesentlichsten Voraussetzungen für das Erstarken einer Friedensbewpgung wegfielen: Preußen-Deutschland war von Sieg zu Sieg geeilt und hatte es nur seinen militärischen Erfolgen zu verdanken, daß es zu einem Nationalstaat und einer europäischen Großmacht geworden war. Österreich-Ungarn sah sich durch den Krieg in seiner Existenz bedroht. Deutschland aber gründete seine Existenz auf dem Krieg. Kein Wunder also, daß der Boden für die Friedensbewegung nicht in vergleichbarer Weise vorbereitet war. Dennoch waren die Bemühungen der Frau von Suttner nach einiger Zeit erfolgreich. Derjenige, der ihr schließlich in Berlin zum Durch12 Daß die irrige Zuordnung der Frau von Suttner aber nicht nur ein Problem ihrer Zeitgenossen, sondern auch mitunter der Nachlebenden sein konnte, beweist William M. Johnston in seiner Österreichischen Kultur- und Geistesgeschichte (Wien/Köln/Graz 1974), der Frau von Suttner taxfrei zur Reformkatholikin machte; vgl. 319ff. 13 Bertha von Suttner, Memoiren, Hg. F. Böttger (Berlin 1969), 183.
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bruch verhalf, war der aus Wien stammende Alfred Hermann Fried. Im Augenblick aber, als diese beiden Menschen ihre Aktivitäten vereinten, begann sich ein Wandel abzuzeichnen. Fried hatte keine Möglichkeit, in die "Gesellschaft" zu wirken. Die Baronin Suttner konnte das. Doch Fried war der wesentlich schärfere Denker, und er begann allmählich, Frau von Suttner zu überflügeln und sie gewissermaßen mit seinen Ideen zu programmieren. 14 An der Wende vom Gefühlspazifismus Suttnerscher Prägung zu jenem Frieds, der bemüht war, den Pazifismus mit neuen Inhalten zu versehen, ihm eine Geschichte, eine Struktur, aber auch eine eigene Begrifflichkeit zu geben, stand die erste Haager Konferenz 1899. Sie wurde zu einem persönlichen Triumph der Frau von Suttner, die im Haag regelrecht Hof hielt. Die Haager Konferenz, die von der internationalen Friedensbewegung als Friedenskonferenz bezeichnet wurde, und zwar so wirkungsvoll, daß wir auch heute noch von der Haager Friedenskonferenz sprechen, endete mit zwei Ergebnissen. Das eine war das Übereinkommen über die Installierung eines Schiedsgerichtshofs im Haag, der bei internationalen Streitfällen angerufen werden sollte. Das andere Ergebnis bestand in der Festlegung der Regeln für den Landkrieg, der "Haager Landkriegsordnung", und hatte mit den Zielsetzungen der Friedensbewegung nichts gemeinsam. 15 Die Haager Konferenz war aber in vieler Hinsicht eine Wende: Zum einen war die ältere Friedensbewegung um ein großes Ziel ärmer geworden. Denn zunächst hatte man auf den Interparlamentarismus hingearbeitet, der mit der Gründung der Interparlamentarischen Union und der Abhaltung jährlicher Kongresse erreicht war. Dann war auf die Schiedsgerichtsbarkeit hingearbeitet worden, die mit der Schaffung des Internationalen Gerichtshofs ihre Verwirklichung fand. Und wie immer, wenn ein Ziel erreicht ist, sind diejenigen, die es erreicht haben, um eine Idee und um ein Ziel ärmer geworden. Zum anderen waren die Pazifisten alter Prägung auch enttäuscht. Ihnen war es nicht um eine Verrechtlichung des Krieges, sondern um eine solche des internationalen Zusammenlebens gegangen. Daher sah die Friedensbewegung in der Haager Konferenz primär ein Debakel ihrer Bemühungen. Für Fried war damit der Augenblick gekommen, da er nicht mehr an den Symptomen herumdoktern wollte, sondern an die Wurzeln des Übels ging. 16 Diese sah er aber nicht etwa in der marxistischen These, daß Krieg und 14 Vgl. die noch immer eingehendste, wenngleich sehr tendenziöse Darstellung bei lose! Bauer, Die Österreichische Friedensbewegung, phil. Diss. (Wien 1949), hier vor allem 73-124. 15 Die Abläufe und Texte zusammengestellt bei Christian Meurer, Die Haager Friedenskonferenz, 2 Bde (München 1905 und 1907). 16 Die erste größere Arbeit Frieds, in der dieser Neuansatz erkennbar wird, war das Buch: Der kranke Krieg (Leipzig 1909). Das weiterführende Buch, in dem auch bereits die Begrifflichkeit voll entwickelt ist, war: Die Grundlagen des revolutionären Pazifismus (neu: Leipzig 1980).
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Frieden ein Ausfluß von Klassenunterschieden seien. Fried führte die Kriege auf die herrschende internationale Anarchie zurück und wollte durch eine noch viel stärkere Verrechtlichung und Staatenverknüpfung dieser Anarchie entgegen arbeiten. Dabei begann er freilich auf eine recht eigenartige Weise Kulturnationen von solchen zu scheiden, die kulturell seiner Meinung nach noch nicht denselben Stand erreicht hatten. Trotz dieser kaum haltbaren Unterscheidung begann sich die von Fried als "ursächlicher" oder "revolutionärer" Pazifismus bezeichnete Antikriegsbewegung nun viel schärfer abzuzeichnen. Doch auch Fried blieb der Österreichischen Tradition zutiefst verbunden. Das Bild der Antikriegsbewegung vor 1914 fügt sich nicht nur in Friedländers Schilderung vom "letzten Glanz der Märchenstadt" oder jenes vom "Nervous Splendor" eines Frederic Morton, sondern macht dieses Bild erst vollständig. Zum Kronprinzenmord, zum Einigungsparteitag der Sozialdemokraten, zu Billroth und W agner-Jauregg, zu Lueger und der kurzen Zeit, in der WienWeltstadt war, zu Klimt und Felix Saiten, die alle um 1889 Geschichte machten oder Wesentliches schufen, gehörte auch die Gesellschaft der Friedensfreunde. Sie stellte auch immer wieder Verbindungen zum Kaiserhaus her. Stephan Verosta fand heraus, daß der Ehrenpräsident des Akademischen Friedensvereins und bedeutende Österreichische Völkerrechtler, Heinrich Lammasch, den Thronfolger Franz Ferdinand mit den Gedanken der Friedensbewegung vertraut machte. 17 Es gab auch wiederholt Kontakte zu Kaiserin Elisabeth. 18 Doch all das war selbstverständlich nur möglich, weil der Österreichische Pazifismus grundsätzlich staatsbejahend war und sich darauf beschränkte, Alternativen zum Krieg anzubieten. Keineswegs wollte er eine friedliche Gesellschaft auf den Trümmern der Monarchie aufbauen. Die Friedensbewegung knüpfte Verbindungen zum Freimaurertum 19 und war maßgeblich dafür verantwortlich, daß 1904 der Beschluß gefaßt wurde, die Freimaurer sollten sich an die Spitze der Friedensbewegung stellen. Ein besonderes Verhältnis bestand auch zwischen der Friedensbewegung und dem Philosemitismus, was soweit ging, daß Theodor Herzl, damals noch Feuilletonredakteur der .Neuen Freien Presse", Bertha von Suttner den Aufenthalt bei der ersten Haager Konferenz ermöglichte. Bertha von Suttner knüpfte starke Kontakte zur frauenemanzipatorischen Bewegung und kann auch da als eine Vorreiterin derselben angesehen werden. Doch so sehr sich die Friedensbewegung auch bemühte, den Kontakt zu den Massenparteien, 17 Stephan Verosta, Theorie und Realität von Bündnissen. Heinrich Lammasch, Kar! Renner und der Zweibund (1897-1914), (Wien 1971). 18 Hamann, Suttner, 388 ff. 19 Dazu Allgemeines Handbuch der Freimaurerei, 2 Bde (Leipzig 1900).
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den Christlichsozialen wie den Sozialdemokraten, herzustellen, so sehr wurde sie enttäuscht. 20 A. H. Fried nahm das dann zum Anlaß, insbesondere mit der Sozialdemokratie abzurechnen. Er hielt ihr vor, daß sie gerade in der Friedensfrage und bei der Erörterung der friedenserhaltenden Maßnahmen um rund ein Jahrzehnt nachhinkte, da sie zu einen Zeitpunkt noch die Schieds.gerichtsbarkeit als ein probates Mittel pries, als sich die Friedensbewegung von der Schiedsgerichtsbarkeit bereits wieder abgewandt hatte. Die Friedensbewegung hatte auch ein anderes Verhältnis zum Streik als Mittel der Kriegsverhinderung und sah sich durch den auf dem internationalen Friedenskongreß in Kopenhagen 1910 gefaßten Beschluß, den Streik als Mittel der Kriegsverhinderung zu verwerfen, bitter enttäuscht. Die italienischen Sozialdemokraten hatten beispielsweise ins Treffen geführt, daß ein Beschluß, einen Kriegsbeginn durch Streik verhindern zu wollen, in Italien den Selbstmord jeder Partei bedeuten würde. Als die Österreichischen und die deutschen Friedensgesellschaften eine Fragebogenaktion durchführten, mit der die prinzipielle Auffassung der Arbeiterbewegung zu den Fragen Krieg und Frieden erforscht werden sollte, kam nicht allzuviel heraus. Am trefflichsten fiel wohl die Antwort des Verbandes der Bäckereiarbeiter, Österreichische Zentrale, Wien, aus, denn der Verband schrieb auf den Fragebogen, daß zu sämtlichen Krieg und Frieden betreffenden Fragen ohne Anweisung der Gewerkschaftskommission weder ablehnend noch zustimmend geantwortet werden könne. 21 Punkt um. Als schließlich Karl Renner im "Kampf" 1910 schrieb: "Eine Macht wird das Proletariat nicht durch eine Hingabe an eine entnervende Friedensduselei ... Mit dem Krieg ist zu rechnen nach innen und nach außen. Es geziemt der Arbeiterbewegung nicht die weichmütige Schlaffheit der Pazifisten im Charakter, noch deren Illusionen im Intellekt. Mit dem Krieg ist zu rechnen als Tatsache, nicht als Ideal. Wohl aber muß verstanden werden, daß der Kampf das einzige Mittel ist, um den endlichen Frieden der Menschheit zu erringen und zu behaupten" -als Renner dieses schrieb, war eigentlich klar, daß es keine Brücke von dem von Fried so benannten "revolutionären" oder "ursächlichen" Pazifismus zur Sozialdemokratie gab. 22
Dem Ende der Antikriegsbewegung vor 1914 stand eine merkwürdige Symbiose prononcierter Militärkreise etwa um Gustav Ratzenhafer oder Conrad von Hötzendorf und linker bis revolutionärer Gruppen eines FriedGütermann, Geschichte der Friedensbewegung, 43-47. Zu den mitunter skurrilen Äußerungen und deren Verarbeitung durch die Österreichische Friedensgesellschaft vgl. die Jahrgänge der Friedens-Warte, vor allem 1909 bis 1914. Diese Zeitschrift stellt eine der wertvollsten Quellen zur historischen Friedensforschung dar. 22 Zur Auseinandersetzung Frieds mit den Äußerungen Renners vgl. Gütermann, Geschichte der Friedensbewegung, 45 f. 20
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rich Adler, Otto Bauer oder Julius Deutsch Pate. Letztere warfen der Antikriegsbewegung vor, sie sei zu bürgerlich. Doch gerade dieser Vorwurf traf nicht eigentlich ins Ziel. Richtiger wäre es gewesen, die Friedensbewegung generell als konservativ einzustufen. Oberstes Ziel dieser Bewegung war die Erhaltung der Monarchie, weil vielleicht mehr intuitiv als analytisch erfaßt worden war, daß sie eine Friedensordnung verkörperte, die es zu bewahren galt. Für den September 1914 wurde in Wien der 21. Internationale Friedenskongreß vorbereitet. Er sollte der todkranken Bertha von Suttner eine Bestätigung ihrer Arbeit und einen letzten Triumph bringen. Es gelang ihr noch einmal, ihre Verbindungen spielen zu lassen und ein Präsidium und einen Ehrenschutz für den Kongreß zusammen zu bringen, in dem nur der Kaiser nicht aufschien, da er seine Patronanz wohl als unvereinbar mit seiner Eigenschaft als oberster Befehlshaber der gesamten bewaffneten Macht ansah. Doch Außen- und Finanzminister, der Österreichische Ministerpräsident, Honoratioren wie Gelehrte jeglicher Abstufung konnten für ihre Teilnahme an der auch als Friedensdemonstration gedachten Veranstaltung gewonnen werden. Noch einmal triumphierte der Reichsgedanke, der ja auf der Friedensordnung aufbaute. Doch dann ging es Schlag auf Schlag. Am 21. Juni 1914 starb Bertha von Suttner. Eine Woche später fielen die Schüsse von Sarajewo. Einen Monat später begann der Erste Weltkrieg und im September 1914, als der Weltfriedenskongreß hätte stattfinden sollen, beherrschten Schlachten, Siege und Niederlagen das Denken, nicht aber das Problem der Verrechtlichung oder der friedlichen Konfliktbeilegung. Nach einigen Monaten, in denen Fried noch versucht hatte, die Zeitschrift der Österreichischen und der deutschen Friedensbewegung, die "FriedensWarte", herauszubringen, floh er in die Schweiz. Er spielte aber immer wieder eine Rolle, wenn dann im Verlauf des Krieges versucht wurde, informelle Friedensfühler auszustrecken. 23 Vom Reich blieben schließlich nach 1918 nur die Amputationsschmerzen und der ja bis in unsere Tage fortwirkende Reichsgedanke. Die Ohnmacht Deutsch-Österreichs und der Ersten Österreichischen Republik führten allerdings nicht dazu, die Friedfertigkeit zu fördern. Und wenn man sich vergegenwärtigt, was von einer zahlenmäßig imposanten und gesellschaftlich außerordentlich wirksamen Friedensbewegung übriggeblieben war, dann unterstrich dies nicht nur den eingetretenen Wandel in der Staatlichkeit, sondern auch im Bewußtsein. · Nach dem Weltkrieg hieß es nicht, daß es einer neuer Friedensbewegung bedurfte, sondern es hieß, das ganze sei ohnedies nutzlos gewesen, da ja 23 Anhand der Akten des Ministeriums des Äußeren aus dem Ersten Weltkrieg läßt sich der Wandel in der Einstellung gegenüber Fried sehr schön herauslesen.
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auch die Friedensbewegten - wie man gesehen habe - den Krieg nicht zu verhindern vermocht hatten. Ein kleines Häuflein von nicht einmal eintausend Mitgliedern, die meisten davon "Karteileichen", war übriggeblieben. Und als sie dar an gingen, zehn Jahre nach dem nicht zustandegekommenen Weltfriedenskongreß in Wien, 1924, eine internationale Veranstaltung ähnlichen Zuschnitts abzuhalten, da beteiligten sich nicht allzu viele. 24 Der kleinen pazifistischen Gruppe, der vor allem der Grazer Theologe Professor Johannes Ude zuzuzählen war, gereichte es besonders zum Schaden, daß sie zwar das Gefühl der Angst und auch eine religiös motivierte antimilitaristische Tendenz deutlich machen konnte, aber nach wie vor bei keinem der großen politischen Lager wirklich Anlehnung fand. 25 Auch lgnaz Seipel, der sicherlich pazifistischen Gedankengängen aufgeschlossen gegenüberstand, konnte nie für eine gezielte Aktivität gewonnen werden. Ude sprach beispielsweise bei einer Veranstaltung, die sich dagegen aussprach, daß am 7. Oktober 1928 in Wiener Neustadt eine Kraftprobe zwischen Republikanischem Schutzbund und Heimwehr stattfinden sollte. Doch er wurde nicht gehört. Als der Präsident der Österreichischen Friedensgesellschaft, der Wiener Rechtsanwalt Dr. Bruno Schönfeld, dann nach dem Februar 1934 bei einer Reihe von Prozessen als Verteidiger der Februarkämpfer hervortrat, war der Kredit der Pazifisten im" bürgerlichen" Lager vollends verspielt. 26 Da sich die Pazifisten andererseits gleich anfangs der Heeresdebatte gegen ein Milizheer ausgesprochen hatten und auch später nicht bereit waren, Konzessionen in Richtung Sozialdemokratie zu machen, war es klar, daß sie auch von dieser Seite keine Unterstützung zu gewärtigen hatten. Einem wirkungsvolleren Auftreten der Antikriegsbewegung in der Zwischenkriegszeit stand auch die mittlerweile stattgefundene Aufsplitterung entgegen. Außer der Gesellschaft der Friedensfreunde und zahlreicher Splittergruppen, die irgendwo, meist links, angesiedelt waren, traten links von der Österreichischen Sozialdemokratie die Jungpazifisten auf, zu denen etwa der "Bund der Kriegsdienstgegner", die "Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit", aber auch der "Versöhnungsbund" gehörten. Aus dem noch vor dem Krieg gegründeten und zunächst noch von Bertha von Suttner mitgetragenen Verband "Para Pacem in Austria Nova" ging die Österreichische Völkerbundliga hervor. Es gab katholische und wenige protestantische Gruppen. Die konservativsten und auch ein wenig imperialistischen Anhänger der Friedensbewegung fanden sich in der Paneuropabewegung. 27 24 Über die Friedensbewegung in der Zwischenkriegszeit informiert wieder Gütermann, Geschichte der Friedensbewegung, hier bes. 68-87. 25 Vgl. dazu Maximi/ion Liebmann, Johannes Ude- sein Leben, sein Wirken und seine Lehre, in: Ausseer Beiträge zur Zeit- und Kulturgeschichte 7, hg. Hans Michael Roithner (Bad Aussee 1985), 127-143. 26 Gütermann, Geschichte der Friedensbewegung, 87. 27 Dazu Richard Coudenhove-Kalerghi, Geschichte der Paneuropabewegung
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Allen gemeinsam war die Ablehnung des Friedensvertrages von St. Germain. Für die Katholiken Österreichs und vor allem auch für die katholische Kirche hatte der Weltkrieg aber eindeutig eine Wende dargestellt. War vor dem Krieg die pazifistische Bewegung im großen und ganzen als eine hochbis spätliberale Entwicklung mit stark freidenkerischen Tendenzen zu bezeichnen gewesen, so begann sich während des Krieges und wohl ausgelöst durch die Friedensbotschaft Papst Benedikt XV. eine Besinnung auf die augustinisch-thomistische Schule abzuzeichnen. 28 Es entstand eine österreichisch-ungarische Sektion der "Ligue international des Catholiques pour la Paix", der z. B. auch Heinrich Lammasch angehörte. Es gab in Österreich eine Sektion des "Weltfriedensbundes vomWeißen Kreuz". Nach dem Krieg wurde der" Friedensbund österreichischer Katholiken" gegründet, in dessen Vorstand der durch die Neulandbewegung bekanntgewordene Theologe Michael Pfliegler saß. 29 In der in die Vorkriegszeit zurückreichenden Organisation "Para Pacem" war lgnaz Seipel vertreten, dessen nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik an der Wiener Universität gehaltener Vorlesungszyklus "Der Friede als sittliches und gesellschaftliches Problem" dann auch in Buchform erschien. 30 Einer der interessantesten Beiträge zur Friedensfrage, der in der Zwischenkriegszeit erschien, stammte aber nicht von einem Vertreter derbereits genannten Gruppen, sondern von Sigmund Freud. Er wurde am 30. Juli 1932 von Albert Einstein gebeten, die Frage zu beantworten, ob es eine Möglichkeit gäbe, die psychische Entwicklung des Menschen so zu leiten, daß sie den Psychosen des Hasses und der Vernichtung gegenüber widerstandsfähig werde. Gibt es einen Weg, fragte Einstein, die Menschen vom Verhängnis des Krieges zu befreien? 31 In seiner mittlerweile schon berühmt gewordenen Antwort vom September 1932 warf Freud die Gegenfrage auf, warum wir uns gegen den Krieg so wehrten. "Er scheint doch naturgemäß, biologisch wohlbegründet und praktisch kaum vermeidbar". Es sei auch nicht möglich, reale Macht durch die Gewalt der Ideen zu ersetzen. Das Recht, so Freud, "war einmal rohe Gewalt 1922-1963 (Basel1962). 28 Über die Rolle des Vatikan in den Friedensbemühungen während des Ersten Weltkriegs vor allem Wolfgang Steglich, Die Friedenspolitik der Mittelmächte 1917/18, Bd. I (Wiesbaden 1964), 117-231. 29 Der "Friedensbund" gab in Wien von 1933 bis 1935 die Zeitschrift "Weckrufe" heraus. Hier sind die wichtigsten Angaben zur Entwicklung dieser Organisation zu finden. 30 Innsbruck 1937. 31 Briefwechsel Einstein-Freud, August/September 1932, in: Albert Einstein, Über den Frieden (Bern 1975), 204-219.
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und bedarf auch weiterhin zu seiner Stützung der Gewalt". (In diesem Punkt traf sich Freud vollinhaltlich mit Max Weber). Eine Kriegsverhütung sei daher nur möglich, wenn es eine entsprechende Zentralgewalt gäbe. Freud untermauerte seine Ansicht mit Forschungsergebnissen aus der Trieblehre und glaubte, nur die eine Zukunftsperspektive wagen zu können, daß er meinte: Die mit dem Kulturprozeß einhergehenden psychischen Veränderungen, Verschiebungen der Triebziele und Einschränkungen der Triebregungen, würden den Menschen allmählich friedlicher machen. Und er schloß mit der Formulierung: .. Alles was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg." Es ist sehr zu zweifeln, daß Freud je die Aufsätze von Alfred Hermann Fried gelesen hatte, in denen Fried vom .,kranken Krieg" schrieb. Doch die Aussagen sind merkwürdig ident: Fried, der davon ausgegangen war, daß die Kulturnationen Europas aufgrund ihrer Entwicklung und ihrer Verrechtlichung in ein Stadium gelangt seien, in dem die Wahrscheinlichkeit des Krieges schon stark abgenommen habe und nur mehr der Krieg gegen kulturell weniger weit entwickelte Völker möglich schien; und Freud, der in der kulturbedingten Abnahme des Aggressionstriebes einen Hoffnungsschimmer zu sehen glaubte und sich im seihen Atemzug, in dem er den Krieg als einen biologisch wohlbegründeten und kaum vermeidbaren Akt bezeichnete, einen Pazifisten nannte. Fried und Freud lagen mit ihrer evolutionären Sicht nicht allzuweit auseinander. Der eine formulierte seine Gedanken am Vorabend des Ersten Weltkriegs; der andere gewissermaßen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Es wäre aber zu billig, sie wegen ihres Fehlurteils zu kritisieren. Denn was Fried und Freud, aber auch Suttner, Lammasch, Seipel oder wer immer geben wollten, das war Hoffnung. Und gerade diese Hoffnung ist etwas, das sowohl im Zeitalter der Weltkriege als auch danach immer wieder fehlte. Denn war das wirklich Hoffnung, wenn davon gesprochen wurde, der Aggressions- und Machttrieb hätten zwar die Dominanz über die anderen Triebe, die Erweiterung von Herrschaftsbereichen und den Gewinn von Einfluß und Ziel, nicht aber die totale und die Selbstvernichtung? Ist es Hoffnung, wenn die Friedensbewegung das Einfrieren der atomaren Arsenale forderte? Berechtigte es wirklich zur Hoffnung, wenn durch dieSALT-Abkommen ein Vertrag der Supermächte zustandekam, in dem angesichts einer bereits produktionsreif gewordenen neuen Generation vonWaffendie ältere Generation stückmäßig begrenzt wurde? Das alles waren keine Hoffnungen! Die Friedensbewegung hat gerade nach dem Zweiten Weltkrieg kaum einmal Hoffnung geben können, sondern drückte meistens nur ohnmächtigen Protest aus. 32 Als in den Fünfziger 32 Zu diesem Abschnitt wieder Gütermann, Geschichte der Friedensbewegung, 88-118, samt weiterführender Literatur. Dazu auch vom seihen Autor der Beitrag:
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Jahren Wien noch Sitz des Weltfriedensrates war (bis 1957), da empfand man größtenteils die dort behandelten Probleme als nicht relevant und die Masse der Mitglieder dieser kommunistischen Organisation als nicht repräsentativ. Weltfriedensräte und Weltkongresse haben es gelegentlich an sich, daß sie alles andere verkörpern, nur nicht die Welt. Zwischen 1963 und 1968, den Gärungsjahren der Österreichischen Politik, in denen wir Abschied von der Nachkriegszeit genommen haben, wurde die Ostermarschbewegung auch in Österreich zu einem Teil der studentischen Bewegung. Dann war es wieder vorüber. Die Ostermarschbewegung zerfiel am Ende der Sechziger Jahre und wich der Vietnambewegung. Wie dies geschah, ist eigentlich ein Schulbeispiel dafür, wie eine an sich idealistisch fundierte Bewegung manipulativ verändert werden kann. In der Erinnerung eines Beteiligten liest sich die Umwandlung der Ostermarschbewegung zur Vietnamplattform folgendermaßen: "Eines Tages sagte ich: es ließe sich wegen Vietnam etwas machen. Da gibt es die Ostermarschbewegung, ein sehr braver, etwas konservativer Verein von Friedensfreunden - da könnte man doch hineingehen und versuchen, in die Bewegung etwas Schwung hineinzutragen. Wir haben sozusagen einen kleinen Aufstand inszeniert im Vorstand, mit dem Erfolg, daß wir sofort integriert wurden als Neue." 33 Das war dann 1968 der Fall, und in der Darstellung desselben Beteiligten liest sich der Ostermarsch vom 27. April 1968 wie folgt: Die "Umfunktionierung führte dazu, daß die älteren Marschteilnehmer, denen der Atem zum Hüpfen und Rennen, Brüllen und Johlen fehlte und die sich wahrscheinlich furchtbar geniert haben, einfach nach Hause gegangen sind". Aus Ostern war Vietnam geworden. Doch die Vietnambewegung kann nicht als Friedensbewegung hingestellt werden, auch wenn sie die Forderung nach einem Frieden in Vietnam erhob. Denn dieser Bewegung fehlten grundsätzliche Voraussetzungen einer Friedensbewegung. Sie agierte ohne jegliche persönliche Betroffenheit. Und sie war nicht konservativ. Denn jede wirkliche und effiziente Friedensbewegung muß eigentlich eine konservative Bewegung sein, da sie ja bei einiger Konsequenz ihres Wollens davon ausgehen muß, daß sie kriegerische Veränderungen ablehnt und lediglich eine evolutionäre Entwicklung akzeptiert. Sie muß also konservierend, konservativ, sein, das aber nicht im parteipolitischen Sinn, sondern dem ursprünglichen Wortsinn entsprechend. Was dann als neue Österreichische Friedensbewegung entstand, hatte eine zunächst gar nicht als solche erkennbare Wurzel, nämlich die AntiZwentendorf-Abstimmung vom 5. November 1978. Hier bildete sich eine alternative ~zene heraus, die über das unmittelbare Anliegen hinweg besteFriedensbewegungennach dem zweiten Weltkrieg, in: Friedensbewegungen, 152164. 33 Zitiert nach Gütermann, Geschichte der Friedensbewegung, 105.
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hen blieb. Sie hatte organisatorische Erfahrungen sammeln können und vor allem hatte sie etwas erlebt, was z. B. der 68er Bewegung kaum beschieden war: Die Anti-Zwentendorf-Bewegung hatte Erfolg. Etliche Gruppen, die sich gegen Zwentendorf formiert hatten, fanden sich dann wieder in der Agitation gegen den Verkauf von Steyr-Panzern an Chile. 34 1981 konstituierte sich in Wien das .,Komitee für Frieden, Entspannung und Abrüstung", aus dem im Jahr darauf die .,Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Friedensinitiativen" hervorging. 35 Diskutiert wurde in der Folge manches, ebenso schnell kam es aber auch zu Differenzen, so daß eine in sich gespaltene Friedensbewegung am 27. Juni 1981 zum ersten Friedensmarsch aufrief. an dem sich rund 5 000 Menschen beteiligten. Die KPÖ und der Österreichische Friedensrat nahmen daran nicht teil, wohl aber begannen unmittelbar danach Versuche zur Umfunktionierung der .,Unabhängigen Friedensinitiativen" und zur Dominierung derselben durch die KPÖ. Eine derartige Dominanz ist nie gelungen, wenngleich die KP-Vertreter im schließlich zustande gekommenen Koordinationsausschuß einen unverhältnismäßig großen Anteil hatten. Es sollte aber noch einmal unterstrichen werden, daß die neue Österreichische Friedensbewegung nicht als Anti-Nachrüstungsbewegung begonnen hat, sondern andere Wurzeln hatte. Doch sie waren nicht sehr stark. Zumindest reichten sie nicht aus, um dann, als die Anti-Nachrüstungsbewegung zum Synonym für die europäische Friedensbewegung schlechthin wurde, sich dem in Österreich zu widersetzen. Wohl aber gelang es dadurch, daß über die diversen Plattformen und Koordinationsausschüsse hinausgegangen wurde und bei zwei Gelegenheiten eine breite Teilnahme zustande kam, die - und hier präsentierte sich die Österreichische politische Landschaft von ihrer besten Seite - diese Anti-Nachrüstungswelle zu einer eindrucksvollen Demonstration werden ließen. Ähnliches gilt für den Friedensappell der Österreichischen Bischöfe, der die Sicherung der Menschenrechte und die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellte. Er zählte schließlich punktuell die Gefahren der Massenvernichtungsmittel auf und sprach dem Krieg den lange geltenden Platz im politischen Verkehr ab. 36 Doch als dann die beiden Friedensdemonstrationen vorbei waren, zerfiel die große Gemeinschaft und übrig blieb jene Gruppe der neuen Friedensbewegung, die es sich freilich sagen lassen mußte, daß sie sich die allerschmalste Basis gewählt hat, nämlich die Agitation gegen das eigene Heer. Und das hat nicht einmal den Liberalen der sechziger und siebziger Jahre des vorigen 34 Eine Analyse der ~usammenhänge findet sich in dem Beitrag: Die unabhängige Friedensbewegung in Osterreich. Versuch einer Dokumentation, in: Wiener Blätter zur Friedensforschung, Nr. 32/33 (1982), 49-56. 35 Gütermann, Geschichte der Friedensbewegung, 113. 36 Kathpress 14.4.1983.
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Jahrhunderts auf Dauer Erfolg gebracht. Denn diese Friedensbewegung übersieht, daß sie nur dort breitere Zustimmung finden kann, wo sie sich von der billigen Polemik löst und ein größeres Anliegen vertritt. Seit dem jähen Absturz der Friedensbewegung rätselte man darüber, weshalb es so plötzlich still um sie geworden war, weshalb sich Friedensmärsche und Menschenketten nicht wiederholen ließen, und was überhaupt passiert ist, um diese Bewegung international erstarren und von anderen Bewegungen überholen zu lassen. Denn es wäre ja vermessen, wollte sich die Friedensbewegung die plötzlichen Veränderungen in Ost- und Ostmitteleuropa auf die Fahnen schreiben. Die haben ihre Wurzeln wohl ganz woanders, nicht zuletzt auch in einem Übermaß an Gewalt, das politisch nicht mehr einsetzbar war. Die Gründe für das längere Zeit kaum merkliche Engagement der Friedensbewegung können gleich in mehrerem gesehen werden. Zum einen reichten die Argumente wohl nicht aus, um über das momentane Anliegen hinaus wirksam zu werden. Nachdem das Anliegen der neuen Friedensbewegung, die Stationierung von "Pershing 2" und Maschflugkörpern zu verhindern, gescheitert war, stand die "alternative" Friedensbewegung wieder dort, wo sie schon vorher gestanden war. Ein großer Teil der für sie engagierten Menschen wandte sich anderen Zielen zu, vor allem der Ökologiebewegung, deren Ziele wesentlich konkretisierbarer waren als diejenigen des Friedens. Mittlerweile wurde die Friedensbewegung auch durch die Realität der Abrüstungsschritte in Europa und die erklärte Absicht der großen Bündnisse, ihre militärischen Strukturen auf die Bedürfnisse einer defensiven Rüstung einzuschränken, überholt. Doch es wäre falsch und äußerst verkürzend, wenn man feststellen wollte, die Friedensbewegung sei für alle Zeiten tot. Sie hat sich gewandelt und sie hat sich vor allem so entwickelt, daß sie wiederum dessen entkleidet ist, was nur temporär zu ihr gestoßen ist, während nun wieder stärker die pazifistischen Grundströmungen spürbar werden. 37 Vielleicht hat dazu auch ein gewandeltes Verständnis für Neutralität beigetragen. Für den Völkerbund hatte es noch als mit dem "Wesen der kollektiven Sicherheit" unvereinbar gegolten, neutral zu sein. Mao Tse Tung meinte nach dem Zweiten Weltkrieg, Neutralität sei eine Art Betrug, und der amerikanische Außenminister John Foster Dulles wußte ein Jahr nach der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags über Neutralität nur zu sagen, daß sie einem unmoralischen und kurzsichtigen Konzept entspreche. 38 Er nahm zwar die Schweiz und Österreich aus, doch die prinzipielle Ablehnung blieb wohl bestehen. 37 Eine Analyse der Strömungen der achtziger Jahre findet sich bei Joachim Giller, Friedenspolitik und Friedensbewegung. Politische Bedingungen und Möglichkeiten österreichischer Friedensinitiativen, in: Überlegungen zum Frieden, 322-409.
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Der Wandel in der Einschätzung von Neutralität kommt vielleicht am besten in den Schlagworten deutscher und schwedischer Friedensforscher zum Ausdruck, die, wie Johan Gattung, von der "Verösterreicherung" als dem wünschenswerten Weg für Westeuropa und von "Austrianismus" als drittem Weg für Mitteleuropa sprechen. 39 Es läge aber an uns, diesen Weg der Austrianisierung und Verösterreicherung vorzuleben, vielleicht in dem Bestreben, uns selbst ähnlicher zu werden. Das könnte dann mit der nicht uninteressanten historischen Theorie erklärt werden, daß ja nicht nur die Vergangenheit in die Gegenwart hereinwirkt, sondern auch die Zukunft, dann nämlich, wenn man daran geht, seine Handlungen bewußt auf die Zukunft und das zukünftige Urteil der Geschichte auszurichten. Genau dieses "Vorleben" der Österreichischen Spielart der Friedenspolitik blieb die Österreichische Friedensbewegung aber schuldig, ja mußte sie schuldig bleiben, da sie den politischen Bereich nur teilweise bis gar nicht darzustellen imstande war. Die Österreichische Friedensbewegung übersah - und vielleicht ist das eine weitere Erklärung für ihr jähes Ende-, daß sie im Gegensatz zu den allermeisten, wenn nicht allen Friedensbewegungen in Europa vom Endpunkt und Wunschziel der internationalen Friedensbewegungs her diskutierte und agitierte. Die Österreichische Bewegung adaptierte die Argumente der anderen lediglich und wußte zu wenig, daß die anderen Österreich als ihr friedenspolitisches Credo im Munde führten. Als in der BRD 1982 eine Untersuchung über die westdeutsche Friedensbewegung angestellt wurde, sahen insgesamt 35% der Befragten in einer Neutralität der Bundesrepublik "nach dem Beispiel Österreichs" das anzustrebende Ideal. Bei den aktiven Anhängern der Friedensbewegung und bei den "Grünen" schnellte dieser Prozentsatz noch dramatisch nach oben. Von den aktiven Anhängern der Friedensbewegung wollten 70% eine Neutralität, wie sie von Österreich gehandhabt wird, und bei den "Grünen" waren es 82%. 40 Seither unterlag dieser Prozentsatz gewiß einigen Schwankungen. Eines bleibt aber sicherlich bestehen, daß nämlich das neutrale Österreich für die internationale Friedensbewegung ein Ideal ist und das Ende der geforderten Transformation darstellt. Die Ergänzung dieser westeuropäischen Tendenzen findet sich in den ganz woanders wurzelnden ostmitteleuropäischen Tendenzen, wo zwar vordergründig die Neutralität lediglich als ein Mittel angesehen wird, Pakt38 Grundsätzliches zur Entstehung und Beurteilung der Österreichischen Neutralität bei Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945-1955. Österreichs Weg zur Neutralität. Studienausgabe (Graz/Wien/Köln 1985), 93-156. Dazu auch vom Verfasser, Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945-1966 (Wien 1987). Hier auch die Zitate. 39 Zitiert nach Giller, Friedenspolitik, 364. 40 Ebenda.
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truppen außer Landes zu bringen, darüber hinaus aber auch eine neue Friedensordnung angestrebt wird. Bertha von Suttner hatte es geträumt, Alfred H. Fried hatte es gedacht, Seipel sah es noch als unrealisierbar an - doch eine Generation später ließ sich durch die Neutralität eine Transformierung der Gewalt vornehmen. Das kann klarerweise nicht mit Gewaltlosigkeit gleichgesetzt werden, denn Gewaltlosigkeit kann gerade ein Neutraler nicht vorleben. Hier werden wir es wohl mit Max Weher zu halten haben, der gemeint hat, daß jeder Staat nur durch ein Mindestmaß an Gewalt geschaffen und am Leben gehalten werden kann. Will er diese Gewalt nicht mehr ausüben, zerfällt er. 41 Die Neutralität war eine Transformation der Gewalt. ,.Austrianisierung" würde also mit einer vergleichbaren Umwandlung zu erklären sein. Dabei ist Neutralität aber keineswegs die Voraussetzung, wohl aber schafft sie gerade für ein Programm wie jenes, welches von der Strukturellen Nichtangriffsfähigkeit ausgeht, ideale Bedingungen. In diesem Bereich kann auch die Friedensbewegung immer wieder Ansätze finden und müßte sich durchaus nicht abdrängen lassen, weder durch Argumente noch durch Organisationen. Sie verliert aber dort ihre Glaubwürdigkeit, wo sie durch einen Mangel an Visionen und durch eine falsche Rezeption dessen, was im Ausland gedacht wird, ihre Basis ganz entscheidend schmälert. Und sie wird zum reinen Politikum, wo sie sich vor den Karren des Antimilitarismus spannen läßt. Die Demonstrationen vom Mai 1982 und Oktober 1983 waren ja nicht deshalb so machtvoll, weil plötzlich 70 und 100 000 Menschen in Frage gestellt hätten, daß auch ein kleiner neutraler Staat Gewalt haben muß. Diese Demonstrationen waren deshalb so bedeutend, weil sie Demonstrationen für die Verösterreicherung Mitteleuropas waren. Damit ließ sich aber auch schon etwas entwerfen, was als neue Vision für die Konzepte der Gewaltlosigkeit im internationalen Verkehr herhalten kann. Österreich ist, wie wir fast täglich erfahren, noch nicht aus seiner ,.Reichshaftung" entlassen worden. Wir stehen noch immer dafür ein, was einmal marchia orientalis, Babenbergermark und Habsburgerreich gewesen ist. Und ich glaube auch nicht, daß das Reich selbst je seine Glaubwürdigkeit und seine Funktion verloren hat. Ob dies nun das von Forst de Battaglia so genannte Zwischeneuropa oder etwas anderes ist, vielleicht das von Heinrich Drimmel immer wieder beschworene Transitorium - es existiert noch immer. Wir besitzen ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit und sicher ein geringeres Maß an Macht als irgendein uns umgebender vergleichbarer Staat. Wir haben weniger als der Westen und mehr als der Osten vergessen, daß Recht und Freiheit keine Voraussetzungen, sondern Ziele sind. Und wir 41
Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 2 (Köln/Berlin 1964), 664.
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leben seit 1945 einen Sonderfall vor, den mitzuleben schon eine Reihe von Staaten versucht hat. Wir sollten sie immer wieder ermuntern und uns selbst als Gestalter einer Friedensordnung anbieten. Nicht mit den Allüren des radikalen Pazifismus freilich, wohl aber in dem Bewußtsein, auf eine inhaltsreichere Tradition der Gewaltlosigkeit zurückgreifen zu können, als irgendein europäischer Staat. Und auch das Motto der Österreichischen Friedensbewegung scheint noch immer Gültigkeit zu besitzen: Si vis pacem- para mentem!
FRIEDEN ...
.... . bei den Menschen seiner Gnade" (Lk 2, 14) Von Hannes Schopf, Wien 12. November 1989. Die sich überstürzenden Entwicklungen in der Deutschen Demokratischen Republik mit der Öffnung der innerdeutschen Grenzen überschatten ein Geschehen von nicht geringerer historischer Bedeutung, das sich in Polen ereignet. Im niederschlesischen Kreisau - heute Krzyzowa in der Woiwodschaft Wrodaw (Breslau) - feiert der Bischof von Opole (Oppeln), Alfons Nossol, mit 8 000 Menschen unter freiem Himmel an diesem Spätherbstsonntag die Eucharistie, die Mitte christlichen Lebens. Sie bildet Gemeinschaft, die Gemeinschaft derer, die an Jesus Christus glauben. Zwei Männer feiern und danken mit: der polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl. ,.Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch" (Joh 14, 27). Die Einladung zum Friedensgebet, tausendfach an diesem Sonntag ausgesprochen, weist mit einem Mal weit über die Alltäglichkeit -oftmals auch Gedankenlosigkeit, mit der sie aufgenommen wird- hinaus, Form füllt sich mit Inhalt: ,.Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung". Mazowiecki und Kohl reichen sich die Hand, umarmen sich in christlicher Verbundenheit: ,.Der Friede sei mit Dir." Ein geschichtlicher Augenblick an einem historischen Ort. Denn nach Kreisau war der 1942 aus Konservativen, Sozialdemokraten und Vertretern beider Konfessionen gebildete Widerstandskreis des mit anderen 1944 hingerichteten Grafen Helmuth James von Moltke gegen die Nationalsozialisten benannt, zu dessen innerem Zirkel auch die Jesuitenpatres Alfred Delp und Augustin Rösch gehörten. Nicht nur die Beseitigung des Nationalsozialismus und seiner Führung- wobei über die Art des Vorgehens durchaus die Meinungen geteilt waren - hatten sich die Männer zum Ziel gesetzt, sondern zugleich die Vorbereitung einer erneuerten und humanen Lebensordnung .... Eine erneuerte und humane Lebensordnung: Der Friedensgruß, der Gruß der Versöhnung, in dem sich die Regierungschefs Polens und der Bundes28 Pax et Justitia
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republik Deutschland an diesem Ort als Christen begegnen, ist zeichenhaft, auch wenn noch kein Friedensvertrag zwischen den beiden Staaten existiert. Drei Wochen später, am ersten Adventsonntag des Jahres 1989, berichtet die erste Lesung aus dem Buch Jesaja von der Weissagung über das messianische Friedensreich: "Am Ende der Tage wird es geschehen ... " Und die Worte des Propheten aus dem achten vorchristlichen Jahrhundert, in denen er die Rettung für Juda und Israel nicht von politischer Kunst oder militärischer Macht, sondern von Gott erwartet, berührten Menschen zu allen Zeiten in ihrer Ursehnsucht nach Frieden: "Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist die Nationen zurecht. Dann schmieden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen um und ihre Lanzen zu Winzermessern. Nicht mehr zieht Volk gegen Volk das Schwert, und nicht mehr übt man für den Krieg" (Jes 2, 4). An diesem 3. Dezember 1989 machten sie im guten Wortsinn betroffen: Die Vertreter der Supermächte, der amerikanische Präsident George Bush und der Staatschef der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, ziehen bei ihrem Gipfeltreffen in Malta einen Schlußstrich unter Jahrzehnte des Kalten Krieges und des gegenseitigen Niederrüstens. Und zwei Tage zuvor ist es zu jener historischen Zusammenkunft im Vatikan- "in dem gemeinsamen Haus für alle Vertreter der Völker der Erde" (L'Osservatore Romano)- gekommen, die als "ein magischer Augenblick der Geschichte" (Radio Vatikan) gelten darf: die Begegnung von Papst Johannes Paul II. mit Michail Gorbatschow. Das Wort Gottes in Menschenwort und in Menschenhand. Sein Frieden ist Heil, unser Frieden ist "von Gott geschenkte Tat des Menschen" (Valentin Zsifkovits), hier und heute. Und schon vom Anfang der Frohen Botschaft an ist uns mit der Geburt Christi verkündet: "Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede den Menschen seiner Gnade" (Lk 2, 14). Auf Erden Friede. Frieden ist, oft gesagt, mehr als die Abwesenheit von Krieg. "Frieden" definiert die neueste Brockhaus-Enzyklopädie (Band 7, Mannheim 1988) als "Zustand eines verträglichen und gesicherten Zusammenlebens von Menschen sowohl innerhalb sozialer Einheiten als auch im äußeren Verhältnis von Gruppen, Gesellschaften oder Organisationen. Im Gegensatz zum Frieden stehen der Krieg als ein Zustand fortwährender und Gewalt als eine zum Teil temporäre Form der Lebensbedrohung". Etymologisch verweist die Redaktion auf althochdeutsche Wurzeln, auf "Schutz", "Sicherheit". Unserem Friedensbegriff mag das genügen, erfaßt aber nur einen Teilaspekt des Friedens, vor allem seine politische Dimension. Frieden aber im Vollsinn auch unseres Wortes, das ursprünglich den Zustand der Freundschaft, Versöhntheit, und in seiner indogermanischen Wortwurzel "lieben" eingeschlossen hat, entspricht mehr als wir wahrhaben wollen, dem friedensverheißenden alten hebräischen Schalom, Menschlich-
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keit, Ganzheit, Wohlergehen, Gutes, Fülle und Heil umfassend: "Der Friede sei mit euch." Das ist der Inbegriff eines gottgesegneten Daseins. Der Friede ist "ein Geschenk Gottes" und "den Menschen anvertraut" (Johannes Paul II.), den Menschen, so die Botschaft von Bethlehem, seiner Gnade. Auf Gnade baut dieser Frieden. Und die Ereignisse im Ausklang der achtziger Jahre, die - weit über die eingangs zitierten Begegnungen hinaus- Europa verändert haben, wären ohne sie nicht möglich gewesen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" (GS) 1965 ein Verständnis geprägt, das aus glaubender Zuversicht heute unser Bewußt-Sein leitet: "Friede besteht nicht darin, daß kein Krieg ist; er läßt sich auch nicht bloß durch das Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot des Starken; er heißt vielmehr mit Recht und eigentlich ein ,Werk der Gerechtigkeit' (Jes 32, 17). Er ist die Frucht der Ordnung, die ihr göttlicher Gründer selbst in die menschliche Gesellschaft eingestiftet hat und die von den Menschen durch stetes Streben nach immer vollkommenerer Gerechtigkeit verwirklicht werden muß. Zwar wird das Gemeinwohl des Menschengeschlechtes grundlegend vom ewigen Gesetz Gottes bestimmt, aber in seinen konkreten Anforderungen unterliegt es dem ständigen Wandel der Zeiten; darum ist der Friede niemals endgültiger Besitz, sondern immer wieder neu zu erfüllende Aufgabe. Da zudem der menschliche Wille schwankend und von der Sünde verwundet ist, verlangt die Sorge um den Frieden, daß jeder dauernd seine Leidenschaft beherrscht und daß die rechtmäßige Obrigkeit wachsam ist. Dies alles genügt noch nicht. Dieser Friede kann auf Erden nicht erreicht werden ohne Sicherheit für das Wohl der Person und ohne daß die Menschen frei und vertrauensvoll die Reichtümer des Geistes und des Herzens miteinander teilen. Der feste Wille, andere Menschen und Völker und ihre Würde zu achten, gepaart mit einsatzbereiter und tätiger Brüderlichkeit- das sind unerläßliche Voraussetzungen für den Aufbau des Friedens. So ist der Friede auch die Frucht der Liebe, die über das hinausgeht, was die Gerechtigkeit zu leisten vermag. Der irdische Friede, der seinen Ursprung in der Liebe zum Nächsten hat, ist aber auch Abbild und Wirkung des Friedens, den Christus gebracht hat und der von Gott dem Vater ausgeht. Dieser menschgewordene Sohn, der Friedensfürst, hat nämlich durch sein Kreuz alle Menschen mit Gott versöhnt und die Einheit aller in einem Volk und in einem Leib wiederhergestellt. Er hat den Haß an seinem eigenen Leib getötet, und durch seine Auferstehung erhöht, hat er den Geist der Liebe in die Herzen der Menschen ausgegossen. Das ist ein eindringlicher Aufruf an alle Christen: die Wahrheit in Liebe zu tun und sich mit allen wahrhaft friedliebenden Menschen zu vereinen, um den Frieden zu erbeten und aufzubauen. 28'
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Vom gleichen Geist bewegt, können wir denen unsere Anerkennung nicht versagen, die bei Wahrung ihrer Rechte darauf verzichten, Gewalt anzuwenden, sich vielmehr auf Verteidigungsmittel beschränken, so wie sie auch Schwächeren zur Verfügung stehen, vorausgesetzt, daß dies ohne Verletzung der Rechte und Pflichten anderer oder der Gemeinschaft möglich ist. Insofern die Menschen Sünder sind, droht ihnen die Gefahr des Krieges, und sie wird ihnen drohen bis zur Ankunft Christi. Soweit aber die Menschen sich in Liebe vereinen, überwinden sie auch die Gewaltsamkeit, bis sich einmal die Worte erfüllen: ,Dann schmieden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen um und ihre Lanzen zu Winzermessern. Nicht mehr zieht Volk gegen Volk das Schwert, und nicht mehr übt man für den Krieg' (Jes 2,4)" (GS Nr. 78). Frieden, ein .,Werk der Gerechtigkeit". Eine Grundüberzeugung, die sich im bischöflichen Wahlspruch Alfred Kosteleckys ausdrückt: .,Pax et Justitia". Gerechtigkeit ist das Wesenselement eines Friedens, der nicht Gegenstand von Drohmaßnahmen sein, der aber auch nicht um den Preis der Unterdrückung und Unterwerfung erkauft werden kann: weder aus noch durch Furcht und Angst und Schrecken. Der Zusammenbruch des Kommunismus im Osten Europas hat nicht nur im ökonomischen Desaster, nicht nur im freiheits- und damit menschenverachtenden System, sondern wohl auch darin seine Ursachen. Wenn das .,Gleichgewicht des Schreckens" Europa eine Epoche beschert hat, die wir für uns .,Nachkriegszeit"- weltweit haben freilich seit 1945 über 200 blutige Kriege millionenfach Tod, Leid, Elend und Verheerung gebracht- nennen, war das em Frieden der .,Vernunft"- unter Anführungszeichen gesetzt, weil atomares Wettrüsten und Kalter Krieg der Vernunft ohne Anführungszeichen widersprochen haben-, sicherlich aber nicht das Werk der Gerechtigkeit. Eher wurde Cicero beherzigt: .,Ich höre nicht auf, zum Frieden zu mahnen; denn ein ungerechter Friede ist immer noch besser als ein gerechter Krieg." Die europäischen Friedenshoffnungen unserer Tage- nicht zuletzt von den vertrauensbildenden Maßnahmen im Rahmen des KSZE-Prozesses mitgetragen- sind von anderer Qualität. Der Abbruch der Mauer, das Niederreißen des Eisernen Vorhanges, damit die Überwindung der Zweiteilung des Kontinents, hat neue Voraussetzungen geschaffen. Denn Friede ist nur Friede, wenn er in Freiheit gewählt wird. Unsere europäische Perspektive - fixiert auf den Ost-West-Konfliktdarf freilich nicht dazu verleiten, die Welt, sie im Vollsinn des Wortes gemeint, aus den Augen zu verlieren. Denn der Frieden in der Welt wird im nächsten Jahrtausend davon bestimmt sein, daß zuerst wir ihn als Werk der Gerechtigkeit gegenüber der sogenannten Dritten Welt begreifen. Sonst
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tickt die Zeitbombe Nord-Süd-Konflikt explosiv weiter. "Um den Frieden aufzubauen, müssen vor allem die Ursachen der Zwietracht in der Welt, die zum Krieg führen, beseitigt werden, an erster Stelle die Ungerechtigkeiten. Nicht wenige entspringen allzu großen wirtschaftlichen Ungleichheiten oder auch der Verzögerung der notwendigen Hilfe. Andere entstehen aus Herrschsucht und Mißachtung der Menschenwürde und, wenn wir nach den tieferen Gründen suchen, aus Neid, Mißtrauen, Hochmut und egoistischen Leidenschaften. Da der Mensch so viel Unordnung nicht ertragen kann, folgt daraus, daß die Welt auch ohne das Wüten des Krieges dauernd von zwischenmenschlichen Spannungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen vergiftet wird" (GS Nr. 83). Friedenmachen heißt: mit Ungerechtigkeiten aufräumen. Heißt aber auch, mit Unsicherheit, ja sogar mit Mißtrauen leben können. Und mit Konflikten. Das setzt aber Toleranz und Respekt vor der Andersartigkeit, vor dem Fremden voraus, verlangt, den anderen überhaupt einmal ernstzunehmen, Vorurteile abzulegen und Feindbilder abzubauen. Das erfordert Wahrhaftigund Gewissenhaftigkeit, umfassende Solidarität und Partnerschaft. Das bedeutet aber auch, sich auf Schuld und Versöhnung, auf Vergessen und Verzeihen einzulassen. Das führt jäh zur Wortwurzel unseres Wortes Frieden zurück. Eine Ahnung von der Geborgenheit, die sich darin ausdrückt, vermittelt Vaclav Havel in seinen "Briefen an Olga" (1983). Der Schriftsteller, vom kommunistischen Regime serienweise inhaftierter Wortführer der "Charta 77" und im Dezember 1989 Leitfigur der friedlichen Revolution in der Tschechoslowakei, schildert darin seine Gedanken, die ihn an einem wolkenlosen Sommertag im trostlosen Gefängnishof von Hermanice- in die Krone eines mächtigen Baumes blickend - bewegt haben: "Ich betrachtete das unmerkliche Beben seiner Blätter auf dem Hintergrund des unendlichen Himmels, und allmählich beherrschte mich völlig ein schwer zu beschreibendes Gefühl. Mir schien, daß ich mich auf einmal hoch über alle Koordinaten meines momentanen Daseins auf der Welt erhoben hatte in eine Art ,Über-Zeit' der totalen Gegenwart alles Schönen, das ich je gesehen oder erlebt hatte. Eine versöhnte, ja fast zärtliche Zustimmung zu dem unausweichlichen Lauf der Dinge, wie sie mir dieser Standpunkt eröffnete, verband sich mir mit der sorglosen Entschlossenheit, bis zum Ende all dem entgegenzutreten, dem man entgegentreten muß ... Ich war durchflutet von einer Art höchst glücklichem Einklang mit der Welt und mir selbst, mit diesem Augenblick, mit allen Augenblicken, die er mir vergegenwärtigte, auch mit all dem Unsichtbaren, das hinter ihm ist und Bedeutung trägt." Da wird eine Veränderung der Welt und der Geschichte angesprochen, die aus dem Inneren erwächst, aus individueller Geborgenheit. Angst, die von Situation und Ort her erklärbar wäre, ist überwunden.
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Angst begleitet die Menschen durch Leben und Geschichte. Angst mündet nicht selten in Aggressivität. Die Psychologie erklärt sie als Folge des Verlustets an Urvertrauen. Auch ein Verlust an Gottvertrauen? Unermüdlich mahnt uns daher die Heilige Schrift: ,.Fürchtet euch nicht!" Gezählte 53 Mal heißt es ,.Fürchte dich nicht!", an 33 Stellen ,.Fürchtet euch nicht!" Ängstlich hatten sich auch die Jünger nach Christi Kreuzestod und Auferstehung eingesperrt: ,.Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesu, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Der Friede sei mit euch!" (Joh 20, 21). Frieden ist ein Segen Gottes, einWerk seiner Gerechtigkeit. Das Gleichnis vom gütigen Arbeitsherrn (Mt 20, 1-15) offenbart uns freilich dramatisch den Unterschied zwischen dem, was wir als menschengerecht betrachten, und dem, was gottesgerecht ist. Gottes Güte erscheint uns Menschen da, auch uns Christen, vielleicht sogar als Härte. Die, die als letzte in den Weinberg gegangen sind, werden nicht anders entlohnt als jene, die den ganzen Tag über ,.die Last der Arbeit und die Hitze ertragen" haben. Jene, die sich ihr ganzes bisheriges Leben nicht um Gottes Gebote gekümmert haben, werden am Ende denen gleichgestellt, die sie ein Leben lang befolgt haben. Erahnen wir, deren Maßstab von Recht und Gerechtigkeit im Vergleichen fußt, was uns da an Werken der Gerechtigkeit eigentlich abverlangt wird? ,.Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als jene der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen" (Mt 5, 20). Aber ,.die Erfahrung der Vergangenheit und auch unserer Zeit lehrt, daß die Gerechtigkeit allein nicht genügt, ja, zur Verneinung und Vernichtung ihrer selbst führen kann, wenn nicht einer tieferen Kraft - der Liebe - die Möglichkeit geboten wird, das menschliche Leben in seinen verschiedenen Bereichen zu prägen" (Johannes Paul Il.). Friedfertigkeit ist aber keine Haltung passiven Hinnehmens der Geschehnisse, setzt nicht absolute Gewaltlosigkeit voraus, sondern verlangt auch aktiven Widerstand gegen Unterdrückung und Unrecht sowie Vorkehrung gegen die möglichen Bedrohungen der humanen und demokratischen Gesellschaft. Gerade das neutrale Österreich mit seiner Verpflichtung, daß es diese Neutralität .,mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen" wird, ist auf seine eigenen Sicherheitsanstrengungen verwiesen. Wenn es auch keinen gerechten Krieg gibt, so gibt es doch eine gerechte und auch sittlich gerechtfertigte Verteidigung. Freilich, und das ist das Verständnisproblem unserer Tage: Je länger der Friedenszustand anhält und hoffentlich gesichert wird, der Bedrohungsverlust gegen Ende der achtziger Jahre hat ganz Europa aufatmen lassen, desto weniger fühlen sich Menschen bedroht. Aber desto weniger verstehen sie die Notwendigkeit einer Landesverteidigung als Dienst dafür, daß der Friede auch Bestand hat. Denn .,der Krieg ist nicht aus der Welt geschafft. Solange die Gefahr von
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Krieg besteht und solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen. Die Regierenden und alle, die Verantwortung für den Staat tragen, sind verpflichtet, das Wohl der ihnen anvertrauten Völker zu schützen, und sie sollen die Sache ernst nehmen. Der Einsatz militärischer Mittel, um ein Volk rechtmäßig zu verteidigen, hat jedoch nichts zu tun mit dem Bestreben, andere Nationen zu unterjochen. Das Kriegspotentiallegitimiert auch nicht jeden militärischen oder politischen Gebrauch. Auch wird nicht deshalb, weil ein Krieg unglücklicherweise ausgebrochen ist, damit nun jedes Kampfmittel zwischen den gegnerischen Parteien erlaubt. Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei" (GS Nr. 79). Frieden heißt nicht, daß die Welt - auch unsere kleine - konfliktfrei wird. Interessengegensätze und -abgrenzungen wird es immer geben. "So weit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden" (Röm 12, 18). Dem Frieden dient auch nicht eine fingierte Kultur der Konfliktfreiheit, eine bloße Harmonisierung, die - gerade in Österreich augenfällig ausgeprägtInteressengegensätze unter den Teppich zu kehren versucht, wo sie dann unbewältigt liegen bleiben. Vielmehr geht es darum, mit Konflikten leben zu lernen. Das setzt eine "Konfliktkultur" voraus, bei der nicht der Streit- und davon waren zahlreiche Auseinandersetzungen in Staat, Kirche und Gesellschaft auch bei uns zuletzt gekennzeichnet - zum Selbstzweck wird. Umrisse einer "Konfliktkultur", die dem Frieden dient, findet man bei Paulus: "Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält" (Eph 4, 2-3). Einander in Liebe ertragen, zuerst einmal ertragen lernen: das "Tor zur Humanität" (Rudolf Weil er) des Friedens ist dafür die Familie. Dieser Frieden beginnt- Altbundespräsident RudolfKirchschläger hat den Gedanken als Buchtitel gewählt - tatsächlich im eigenen Haus, muß gerade von Christen im Miteinander in der kleinen wie in der großen Menschheitsfamilie täglich neu begonnen werden. Mit den Worten Josef Dirnbecks: Friede, der noch fehlt muß erst gemacht werden. Uns ist gegeben, einander etwas zu geben, was es noch gar nicht gibt, wenn wir uns Frieden geben.
VI. Militärseelsorge
DIE ANFÄNGE DER HEERES-SEELSORGE IN ÖSTERREICH• Von Peter Gradauer, Linz I. Feldprediger als "außerordentliche" Heeres-Seelsorger Seit dem ausgehenden Mittelalter stürmten die Türken immer wieder als Erbfeind der Christenheit gegen die Ostgrenze des "Heiligen Römischen Reiches". Österreich fiel in erster Linie die Aufgabe zu, diesen Feind abzuwehren. In den Feldlagern dieser Heere wirkten auch Feldprediger und andere Seelsorger zur geistlichen Betreuung der Soldaten; sie waren nicht selten auch geistliche Berater und Diplomaten an den Fürstenhöfen, um die Abwehrhaltung wachzuhalten. Einige sind zur Ehre der Altäre erhoben worden, von anderen hat sich die Erinnerung an sie und ihre Leistungen im Volke bis in unsere Tage erhalten. Drei verdienen unsere besondere Beachtung. 1. Johannes von Capestrano wurde am 24. Juni 1386 in Capestrano in den Abruzzen geboren; er studierte Jus und wurde schon mit 24 Jahren Richter in Perugia. Bei einem Überfall der berüchtigten Söldnersippe der Malatesta wurde er gefangen genommen. Das bewirkte eine völlige Gesinnungsänderung. Wieder in Freiheit, ließ er seine zwar geschlossene, aber noch nicht vollzogene Ehe wieder lösen und trat in den Franziskanerorden ein. Mit dem hl. Bernhardin von Siena zählte er sodann zu den größten Wanderpredigern des 15. Jahrhunderts. 40 Jahre lang hat er Europa durchpredigt, von Sizilien, Neapel, Rom, Mailand bis zu den Niederlanden, von Bayern und Thüringen nach Polen, Böhmen und Mähren; er wirkte auch im Österreichischen Raum für die Reinerhaltung des katholischen Glaubens. Die Capestran-Kanzel am Siefansdom in Wien erinnert heute noch an seine Tätigkeit in der Kaiserstadt Wien ab 1451. Er verstand es, alle Menschen anzusprechen, mitzureißen und zu begeistern. Als Gelehrter und Ratgeber von Fürsten und Päpsten hatten seine Predigten auch größten Einfluß auf die Politik. Er nahm an den Reichstagen in Frankfurt 1454 und Wien er Neustadt 1455 teil. Ihm ist sodann der Sieg von Belgrad 1456 zu verdanken, der die Türken damals noch • Bei der Suche nach Material betreffend die Verwaltung der Sakramente nach dem Konzil von Trient fand ich im oö. Landesarchiv und im Diözesan-Archiv Linz auch Kopien von päpstlichen Breven für die Heeres-Seelsorge im 18. Jh., die mich anregten, dieser Materie noch weiter nachzugehen.
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von Europa fernhielt In llok an der Donau, im heutigen Jugoslawien, ist er noch im selben Jahr, am 23. Oktober 1456 gestorben; sein Grab ist verschollen, 1690 wurde er heiliggesprochen, sein Gedenktag ist am 23. Oktober. 1 2. Laurentius von Brindisi ist als Giulio Cesare Russo am 22. Juli 1559 in Brindisi geboren; er trat bei den Kapuzinern ein; er war hochbegabt und wissenschaftlich vielseitig interessiert, seine überragende Gelehrsamkeit und sein reiches Schrifttum stellte er ganz in den Dienst des Apostolates und der Kirche; er war Friedensvermittler unter katholischen Fürsten und zugleich abwechselnd Leiter verschiedener Kapuziner-Ordensprovinzen. So führte er auch die Kapuziner in Österreich und Böhmen ein. Wegen seines Beitrages zum Sieg von Stuhlweißenburg 1601 gewann er Einfluß auf die Religionspolitik der katholischen Fürsten, besonders Maximilians I. von Bayern, dem er bei der Bildung der "Heiligen Liga" der katholischen Fürsten Deutschlands entscheidend half. Er starb, genau 70 Jahre alt, an seinem Geburtstag in Lissabon. 1881 wurde er heiliggesprochen, 1959 zum Kirchenlehrer erhoben; sein Gedenktag ist am 21. Juli. 2 3. Markus von Aviano ist am 17. November 1631 zu Aviano in Friaul, Venetien, als Carlo Domenico Cristofori geboren. Er wurde im Görzer Jesuitenkonvent erzogen, trat aber bei den Kapuzinern ein, wurde 1655 Priester, seit 1665 hinreißender Prediger in Venetien, seit 1676 als Wundertäter gefeiert. Auf Wunsch der katholischen Fürsten kam er 1680 zur ersten Missionsreise über Tirol und Bayern auch an den Kaiserhof, dann nach Schwaben, Franken bis Düsseldorf, 1681 über Turin bis vor Paris, dort wurde er aber verhaftet und abgeschoben. Weltgeschichtliche Bedeutung gewann sein Wirken als päpstlicher Legat seit 1680 im Türkenkriege. Sein Feuereifer, die Christenheit vom drohenden Untergang zu retten, ließ ihn größten Anteil nehmen am Entsatz der Stadt Wien 1683 durch Versöhnung der streitenden Kriegshäupter und durch Beschleunigung der Operationen; 5 weitere Feldzüge brachten die Einnahme von Ofen und Belgrad unter schwersten Opfern. Entscheidenden Einfluß hatte Markus auch am Zustandekommen der "Heiligen Liga" mit Venedig und an der Verhütung eines Bruches mit Rom, den die kaiserlichen Minister heraufbeschworen hatten. Gegen die schwankende Uneinigkeit der Fürsten hielt er unverbrüchlich am Hause Österreich fest, in welchem er das Fundament des Christentums sah. Er starb am 13. August 1699 zu Wien im Rufe der Heiligkeit, in Anwesenheit des Kaiserpaares. Sein Grab ist in der Wien er Kapuzinerkirche, sein Seligsprechungsprozeß wurde 1912 eingeleitet. 3 Diese Priester, Ordenspriester, waren Wanderprediger, im heutigen Sinn Volksmissionare, auch Feldprediger, die zu Soldaten sprachen und predig1 2
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LThK 2, V, 1014. LThK 2, VI, 829. LThK 2, VII, 10.
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ten, welche im Einsatz standen; dazu waren sie Berater der Fürsten und Heerführer und hatten auf diese Weise auch Einfluß auf die Operationen der Feldzüge, auf das Kriegsgeschehen, auf die Erfolge und Siege. Sie können und müssen als außerordentliche Heeres-Seelsorger bezeichnet werden, die in Zeiten der Kriegsnot auftraten und wirkten. Die hier genannten kamen aus Italien und gehörten der franziskanischen Ordensfamilie an - im Gegensatz zu den ordentlichen Heeres-Seelsorgern, die seit der Einführung der Sparte dieser Seelsorge hauptsächlich dem Jesuitenorden angehörten.
II. Die ordentliche Heeres-Seelsorge Seit den Zeiten Karls des Großen finden sich Nachrichten, daß bei Kriegshandlungen Geistliche die kirchlichen Funktionen bei den Heeren besorgten. Der Ursprung der heutigen Heere ist im mittelalterlichen Lehenswesen zu suchen, das zu persönlichem und unentgeltlichem Waffendienste verpflichtete. Bald wurde aber die persönliche Heerfolge zu beschwerlich; der Ritter schickte Ersatzleute, seine Knechte; diese mußten mit einem Sold bezahlt werden und wurden so Söldner. Aus dieser Praxis entwickelte sich - hauptsächlich zur Zeit des Kaisers Maximilian I. - das Landsknechtwesen. Die Landsknechte waren aber noch keine ständigen Truppen, sie wurden nur auf Kriegsdauer geworben und bildeten unter ihren Feldobristen einen bald stärkeren, bald schwächeren, in Unterabteilungen gegliederten Körper, den .Landsknechthaufen". Solange diese Verhältnisse herrschten, konnte von einer eigentlichen Heeres- oder Militärseelsorge keine Rede sein. Der Dreißigjährige Krieg, der in vieler Hinsicht eine Verschiebung zur Folge hatte, blieb auch auf die Entwicklung des Heereswesens- und damit auch die Heeres-Seelsorge - nicht ohne Einfluß. Fochten zu Beginn der langen Kämpfe noch die Banden und Fähnlein der Landsknechte, so standen am Ende des Krieges Regimenter im Solde und unter den direkten Befehlen des Landesfürsten, der das Regiment auflösen und umgestalten konnte. Während früher die Landsknechte und auch die für sie eingesetzten Kapläne nach jedem Friedensschluß verabschiedet wurden und jeder einzelne der eingegangenen Verpflichtung frei und ledig war, behielt nun der Landesfürst auch im Frieden die Regimenter in Sold und Eid, so daß die Staaten zur Wahrung ihrer Rechte nach außen, zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Inneren, wie zur Durchsetzung höherer Ziele über ein Heer gebieten konnten. Der Kaiser war der oberste Kriegsherr, er übte über die Truppen seiner Hausmacht unbeschränktes Verfügungsrecht aus. Dazu setzte Kaiser Ferdinand I. mit Dekret vom 17. November 1556 einen .steten Kriegsrath" als
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erste selbständige oberste Militär-Verwaltungsbehörde ein und gab diesem mit der Instruktion oder Kanzlei-Ordnung vorn Jahre 1564 die Benennung ,.Hofkriegsrat". 4 Nach dem Abschluß des Westfälischen Friedens wurde von Kaiser Ferdinand III. im Jahre 1649 angeordnet, daß neun Regimenter zu Fuß und zehn Regimenter zu Pferd ,.auf dem Fuße stehen zu bleiben haben"; damit wurde das stehende Heer geschaffen, und damit beginnt auch die eigentliche Geschichte der Militär-Seelsorge und der militärgeistliehen Hierarchie. Im kaiserlichen Heer gehörte die Mehrzahl der Soldaten der katholischen Religion an; es durfte daher auch in der Öffentlichkeit nur der katholische Gottesdienst ausgeübt werden. Den Angehörigen anderer Konfessionen war jedoch gestattet, ihren Religionsübungen außer dem Rahmen des Heeres nachzugehen. Wenn protestantische HUfstruppen in das kaiserliche Heer übernommen wurden, so war diesen vertragsmäßig Religionsfreiheit zugesichert. Ihre Prediger durften sich beim Heere aufhalten, nur mußten sie den Einrichtungen der katholischen Kirche die vorgeschriebenen Ehrenbezeugungen leisten und durften ihren Gottesdienst nicht öffentlich abhalten. 5 Für die katholischen Soldaten waren die täglichen religiösen Übungen -vorn Morgengebet bis zur Abend-Betstunde - sowie die Mitfeier der Liturgie während des ganzen Kirchenjahres genau geregelt und vorgeschrieben. Die Sorge der kirchlichen Leitung und auch der katholischen Fürsten war stets darauf gerichtet, daß für die Soldaten, die fern von ihrer Heimat und fern von ihren eigenen Seelsorgern für ihren Kriegsherrn, für ihr Vaterland und nicht selten auch zur Verteidigung der Kirche in den Krieg ziehen mußten, auch in seelsorglicher Hinsicht gesorgt werde, und das in möglichst geregelten Bahnen. So wurde im 16. Jahrhundert für die Armee schon ein eigenes Generalvikariat errichtet und für diese auf die Dauer eines Krieges ein Bischof oder Prälat als Delegat des Apostolischen Stuhles berufen. Eine erste Nachricht darüber gibt es aus dem Jahre 1554; aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges sind mehrere Generalvikare bekannt. Unregelmäßigkeit und Mißstände, die in den wirren Zeiten des Dreißigjährigen Krieges auch in der Seelsorge einrissen, bewogen Kaiser Ferdinand III., den Jesuitenorden mit der Leitung der Militärseelsorge zu betrauen. Auf sein Ansuchen hin übertrug Papst Urban VIII. durch ein Breve vorn 18. September 1643 an den Beichtvater des Kaisers die bischöfliche Jurisdiktion über die kaierliche Armee für die Dauer des Krieges hinsichtlich aller Personen, ,.qui in castris degunt et castra sequuntur". Von dieser Zeit an bis zur Aufhebung des Jesuitenordens im Jahre 1773 haben stets die Beichtväter des jeweiligen Kaisers die geistliche Jurisdiktion 4 Emmerich Bielik, Geschichte der k. u. k. Militär-Seelsorge und des Apostolischen Feld-Vicariates, Wien 1901, S. 1-3. 5 Bielik, 7, 11.
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über die kaiserliche Armee ausgeübt. Sie residierten in Wien, erhielten ihre Bezahlung vom Hofe und führten den Namen CapeBanusmajor castrensis, Großkaplan. Zur Besorgung der Amtsgeschäfte wurde ihnen ein Hilfspriester als Kaplan aus der Gesellschaft Jesu beigegeben. Die Beichtväter der Kaiser Ferdinand III., Leopold I. und Joseph I. (1643-1711) waren sehr einflußreiche Persönlichkeiten; ihre militärgeistliehe Tätigkeit beschränkte sich jedoch auf Ratschläge in Sachen Militär-Seelsorge und Übertragung der geistlichen Amtsgewalt oder Jurisdiktion auf ihre Stellvertreter, die unter dem Namen eines Superiors - auch Vikars oder Kaplans - die Leitung der praktischen Seelsorge besorgten und mit den weitestgehenden Ehrenrechten und Privilegien wie der Beichtvater selbst ausgestattet waren. Mitunter erhielten sie die Jurisdiktion auch direkt vom Apostolischen Nuntius in Wien. Alle geistlichen Angelegenheiten und Streitigkeiten mußten dem Feld-Superior zur Entscheidung vorgelegt werden. Auch die Pflege der kranken und verwundeten Soldaten war seiner Obsorge anvertraut. 6 So stellt das Jahr 1643 mit der Errichtung der ,.Obersten Feldkaplanei" einen Wendepunkt in der Geschichte der militär-geistlichen Hierarchie in Österreich dar. Die Vollmachten dieses ,.Obersten Feldkaplans" bzw. des Feld-Superiors wurden ständig erweitert. Damals war man in bezug auf Vollmachten, Kompetenzen und Dienstgrade sehr empfindlich. Die Übergabe der Heeres-Seelsorge an die Jesuiten löste beim Weltklerus und bei anderen Orden Mißstimmung und Proteste aus. So wurde eine Änderung und Regelung in der Weise getroffen, daß neben den Feld-Superior auch ein Generalvikar aus dem Weltklerus treten sollte. 1689 verlieh der Papst seinem jeweiligen Nuntius auch für Friedenszeiten die bischöfliche Jurisdiktion über die Armee mit der Vollmacht, jederzeit den Beichtvater des Kaisers als seinen Stellvertreter delegieren zu können; auch sein Titellautete Großkaplan, Capellanus maior castrensis. In späteren päpstlichen Breven erhielt der Kaiser das Recht, selber einen Apostolischen Vikar seines Vertrauens mit der Seelsorge zu beauftragen. Da es jedoch ständig Differenzen und Kontroversen mit den Diözesanbischöfen gab, entzog Papst Clemens XI. (1700-1721) im Jahre 1720 die kaiserliche Armee für immer der geistlichen Jurisdiktion der Bischöfe; diese wurde unmittelbar der päpstlichen Obergewalt so unterstellt, daß in Zukunft nur der vom Kaiser ernannte Großkaplan als delegierter Apostolischer Feldvikar die bischöfliche Jurisdiktion über die Armeeangehörigen auf 7 Jahre auszuüben hatte; nach Ablauf dieser Zeit mußte er um Erneuerung dieser Vollmachten beim Papst ansuchen; sein Titel war •Vicarius Apostolicus castrensis vel campestris". Der Nachfolgerpapst Innozenz XIII. (1721-1724) 6
Bielik I, 1-21.
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bestätigte die Entscheidung seines Vorgängers Clemens XI. und erließ in einem Breve vom 25. September 1722 an den damaligen Apostolischen Nuntius in Wien die Weisung und die Vollmacht, die bischöfliche Jurisdiktion über die gesamte kaiserliche Armee und ihre Hilfstruppen demjenigen zu übertragen, den der Kaiser zu diesem Amte ernennen würde. Ein ähnliches Breve erließ Papst Benedikt XIV. (1740-1758) am 10. März 1741 an seinen Nuntius von Wien, worin er diesen ermächtigte, dem von Ihrer Majestät, der Kaiserin Maria Theresia, bestimmten Obersten Feldkaplan der kaiserlichen Armee die bischöfliche Jurisdiktion samt allen jenen Fakultäten zu erteilen, die zur Ausübung seines Amtes erforderlich sind; diese werden auch in dem Breve einzeln genannt und angeführt. Papst Clemens XIV. (1769-1774) erließ am 22. Dezember 1773 ein der Form nach zwar ähnliches, aber dem Inhalt nach schwerwiegendes Breve an den Apostolischen Nuntius in Wien, um dem damaligen Bischof von Wiener Neustadt, Dr. Heinrich Johann Kerens, die geistliche Jurisdiktion über die kaiserliche Armee in Kriegs- und Friedenszeiten zu übertragen. Diese Regelung war notwendig geworden; denn der Papst hatte unter dem Druck politischer Mächte und um einem drohenden Schisma zu begegnen, nach langer Überlegung durch das Breve .,Dominus ac Redemptor noster" vom 21. Juli 1773 die Aufhebung der Gesellschaft Jesu verfügt. Da bisher die Militär-Seelsorge fast ausschließlich dem Jesuitenorden und die geistliche Militär-Jurisdiktion dem Beichtvater des Kaisers aus demselben Orden als dem Capellanus maior der Armee anvertraut war, beschloß im Jahre 1773 Kaiserin Maria Theresia, ein eigenes, selbständiges Apostolisches Feld-Vikariat zu errichten, und ordnete mit Dekret der kaiserlichen böhmisch-österreichischen Hofkanzlei vom 4. Dezember 1773 an, daß die oberste Feld-Kaplanei-Stelle dem Bistum Wiener Neustadt einverleibt und der dortige Bischof Heinrich Johann von Kerens zum Apostolischen Feldvikar ernannt werde; zur Führung der militär-geistlichen Geschäfte wurde gleichzeitig ein eigenes Feld-Consistorium unter der Leitung des Bischofs Kerens errichtet; bei diesem wurden außerdem ein Canonicus Auditor, ein Theologus, zwei Advokaten als Beisitzer sowie ein Cursor angestellt. Diese Entschließung wurde mit dem Hofkriegsrätlichen Reskript vom 6. März 1774 dem neuen Apostolischen Feldvikar, Bischof Kerens, hinsichtlich der Organisierung des Feld-Consistoriums bekannt gemacht; zugleich wurde in dieser Entschließung das Apostolische Feldvikariat dem k. k. Hofkriegsrat untergeordnet und der Gang der Geschäftsführung vorgeschrieben. Da die bisher durch die Apostolischen Nuntien in Wien dem jeweiligen Apostolischen Feldvikar erteilte geistliche Jurisdiktion in manchen Fällen zu beschränkt und abhängig war, ersuchte die Kaiserin Maria Theresia den Apostolischen Stuhl um eine Erweiterung dieser Jurisdiktion und um Ver-
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mehrung der päpstlichen Fakultäten. Papst Pius VI. (1775-1799) erfüllte diese Bitte in einem eigenen Breve vom 12. Oktober 1778 an den Bischof von Wien er Neustadt und an alle seine Nachfolger im Amte eines Apostolischen Feldvikars. Diese Regelung stand dann durch mehrere Jahrzehnte in Kraft. Der jeweilige Feldbischof oder Armeebischof, auch der Apostolische Feldvikar, der jedoch nicht unbedingt die Bischofswürde haben mußte, waren damit mit den für ihr Amt erforderlichen Fakultäten versehen. Im Zuge der neuen kirchlichen Einteilung Österreichs wurde im Jahre 1785 das Territorium der Diözese Wiener Neustadt der Erzdiözese Wien einverleibt. Das Bistum und das Domkapitel wurden nach St. Pölten übertragen. Bischof Kerens und seine drei Nachfolger auf dem bischöflichen Stuhl von St. Pölten leiteten auch das Apostolische Feldvikariat; dieses war jedoch dem Bistum St. Pölten nicht inkorporiert; die Apostolischen Feldvikare waren ab dem Jahr 1826 dann auch- durch mehrere Jahrzehnte- nicht mehr Bischöfe von St. Pölten. 7 111. Inhalt und Umfang der Vollmachten der Militärkapläne im 18. Jahrhundert
Es ist sehr aufschlußreich und interessant, nachzuforschen, welche Vollmachten und Fakultäten die genannten päpstlichen Schreiben den Militärkaplänen zur Ausübung ihrer Tätigkeit zugestanden. Dabei verwundert, wie sehr die Regeln für die Seelsorge an den Soldaten, die wir als "rauhe Burschen" ansehen, bis ins Detail gehen und wie stark sie auch die Zeitumstände widerspiegeln, die Glaubensspaltung und ihre Folgen auf der einen, und die tiefe Pietät, die selbstverständliche Religionsausübung auf der anderen Seite. Aus den Vollmachten, die der Apostolische oberste Feldkaplan auf 7 Jahre vom Papst erhalten hat, gibt dieser an die Kapläne für 3 Jahre weiter, wie er einleitend allgemein sagt: Vollmachten zu dispensieren und zu absolvieren, was Gelübde, Eide, Irregularitäten, Exkommunikationen, Suspensionen und Interdikte betrifft; sowohl Streitfälle, die vor ein kirchliches Gericht jedweder Art gehören, anzuhören, zu entscheiden und zu einem gebührenden Ende zu bringen, als auch gerichtlich vorzugehen bis zu Zensuren und Kirchenstrafen, diese zu erschweren, zu erleichtern und die Hilfe des weltlichen Armes anzurufen, und dies nicht nur für Soldaten, die im Einsatz stehen, sondern auch für solche, die im Winter oder im Sommer unter anderen Bedingungen leben, sich in Standlagern aufhalten. 7 loh. Michael Leonhard, Verfassung der Militär-Seelsorge in denk. k. Österreichischen Staaten, Wien 1842, S. 5-7; Viktor Lipusch, Österreich-Ungarns katholische Militärseelsorge im Weltkriege, Wien 1938, S. 1-10.
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Peter Gradauer
1. Sie haben die Vollmacht, außer Firmung und Priesterweihe alle Sakramente der Kirche, auch die, welche sonst nur durch die Pfarrer gespendet zu werden pflegen, zu verwalten, d. h. zu spenden, und auch die anderen pfarrlichen Funktionen und Aufgaben auszuüben.
2. Die Vollmacht, von Häresie, Apostasie und Schisma loszusprechen, und zwar auch geistliche Personen sowohl aus dem Weltpriester- als auch aus dem Ordensstand, welche zum selben Lager gehören, jedoch nur im Gewissensbereich. 3. Die Vollmacht, zu absolvieren von jedweden Exzessen und Delikten, wie groß und enorm auch immer sie sind, auch in Fällen, die dem obersten Hirten (dem Papst) und dem Apostolischen Stuhl in besonderer Weise reserviert sind und die auch im Schreiben enthalten sind, das am Gründonnerstag alljährlich vorgelesen zu werden pflegt ("Bulla in Coena Domini"). 4. Die Vollmacht, verbotene Bücher von Häretikern oder Ungläubigen, die ihre religiöse Auffassung vertreten, aufzubewahren und zu lesen, diese mit Erfolg zu bekämpfen sowie Häretiker und Ungläubige, die sich zufällig im Lager aufhalten, zum rechten Glauben zu bekehren; ausgenommen sind die Werke von Carolus Molinaeus 8 , Nicolaus Macchiavelli 9, und die Bücher, die von der abergläubischen Astrologie 10 handeln, und zwar so, daß die genann8 Charles Dumoulin (1500-1566, Paris) war Bahnbrecher des internationalen Privatrechts und quellenkundiger Kanonist; von schwankendem und maßlosem Charakter bekannte er sich zum Calvinismus, dann zum Luthertum, fand aber vor seinem Tod zum Katholizismus zurück; nach Eröffnung eines Inquisitionsprozesses gegen ihn floh er nach Deutschland und in die Schweiz; er war ein scharfer Gegner der Jesuiten und des Konzils von Trient, dessen Nichtigerklärung er forderte. (L ThK 2, II, 599). 9 Niccoln
b) Ferner gehören auf Grund einer solchen nachgesuchten und erteilten Bestätigung der K. A. an: 1. Christlich-deutscher Elternverein ,Frohe Kindheit'; 2. Katholischer Landesarbeitsbund; 3. Franz-Xaver-Missionsverein; 4. Christlich-deutsche Turnerschaft, Land Steiermark; 5. Borromäus-Verein für die Diözese Seckau; 6. Diözesan-Cäcilien-Verein; 7. Paulus-Verein; 8. Bonifatius-Verein der Diözese Seckau; 9. Christkönigsgesellschaft vom Weißen Kreuz; 10. Katholisches Glaubensapostolat; 11. Verein ,Kindergroschen'; 12. Katholischer Schulverein der Diözese Seckau; 13. Grazer Leogesellschaft; 14. Verein
Katholische Aktion und Ständestaat
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vom hl. Vinzenz von Paul; 15. Katholische Frauenorganisation für Steiermark; 16. Steiermärk. Karitas-Verband für Wohlfahrtspflege und Fürsorge; 17. Diözesanverband für unentgeltliche Hauskrankenpflege; 18. Katholischer Verein der Kinderfreunde; 19. Katholischer Frauenverein der werktätigen christlichen Liebe; 20. Katholischer Paramenten- und Anbetungsverein; 21. Kindheit-Jesu-Verein; 22. Steiermärkischer Katechetenverein; 23. Esperantoverein ,Emil Peltier'; 24. Karl-Vogelsang-Bund." 35 IV. Die Idylle der Vereinskirche ist vorbei Der weitere Aufbau der neuen KA wurde durch das NS-Regime, das mit März 1938 an die Macht kam, ungemein erschwert, wenn nicht überhaupt gestoppt. Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang auch bleiben, daß die katholischen Vereine von manchen Vorkämpfern dieser neuen, d. h. klerikalisierten Katholischen Aktion als derart im Wege stehend angesehen wurden, daß sie für deren Auflösung durch das NS-Regime direkt dankbar waren. Dieser pastorale Eros und die Faszination des pastoralen Prinzips der Katholischen Aktion motivierten z. B. keinen Geringeren als Michael PfliegJer im April 1938, als das nationalsozialistische Regime in Österreich daran war, die katholischen Vereine zu liquidieren, öffentlich dafür zu danken, daß diese aufgelöst wurden bzw. werden. So schrieb er im April 1938 in der Zeitschrift "Der Seelsorger": "Die Idylle der Vereinskirche ist endgültig vorbei. Sagen wir es nur ehrlich: Gott sei Dank! Wie oft hatten wir verlangt, die katholischen Vereine sollten Mittel der Seelsorge werden. Sie waren vielfach ihr, wenn auch unschuldiges, Hindernis. Die Katholische Aktion hätte in den katholischen Vereinen ihre eigentlichen Kerntruppen haben sollen; wäre es zu dieser Umstellung gekommen, sie wären auf wenige wahrhaft apostolische Laien zusammengeschmolzen. Aber es kam meist nicht zum Umbau, die katholischen Vereine blieben bis zum Schluß vielfach das Haupthindernis der Katholischen Aktion .... Wir wollen die neue Lage der Seelsorge nicht als Heimsuchung, sondern als eine Schickung Gottes betrachten .... Wir müssen die Sachlage nicht als eine Bedrückung, sondern auch als eine Befreiung erkennen, eine Befreiung von Hemmungen und Belastungen, die allmählich jede Gewinnung der Seelen außerhalb der Vereinskirehe lahmlegten." 36 Kirchliches Verordnungs-Blatt (Anm. 32), S. 147 f. Dieser Artikel Pflieglers erschien auch in: .Die Schönere Zukunft", 13. Jg., 24. IV. 1938, S. 787-789; Fortsetzung ebd., 1. V. 1938, S.815-817. 35 36
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Maximilian Liebmann
Abschließend sei kurz die Frage aufgeworfen, ob bei der Neustrukturierung der KA faschistisches oder faschistoides Ideengut Pate stand. Dazu sei dem bedeutendsten KA-Theologen Österreichs, Ferdinand Klostermann, das Wort gegeben: .Von daher gesehen, erledigt sich auch schon die Behauptung, die Katholische Aktion sei nur aus der Not der faschistischen Bedrückung zu verstehen und nie für normale Zeiten gedacht gewesen. Tatsächlich ist ihre Geschichte weit älter als der Faschismus, und ihre entscheidenden Ideen sind längst vor dem Faschismus allmählich herangereift. Gerade die entscheidenden Wandlungen geschahen 1915 und im Jänner 1919, während der Faschismus überhaupt erst 1919 gegründet wurde und erst am 28. Oktober 1922 zur Macht kam. "37
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Klostermann, Katholische Aktion (Anm. 3), S. 313.
DIE AKTUALITÄT DER GESTALT PlUS V. (1566-1572) Von Joseph Kardinal Ratzinger, Vatikanstadt Auf den ersten Blick scheint Pius V. alles andere als eine zeitgemäße Figur zu sein. Ökumenismus im heutigen Sinn ist ihm zweifellos fremd gewesen. Nicht nur seine Politik gegenüber Elisabeth I. von England, auch seine Forderungen an die katholischen Fürsten zeigen, daß ihm auch die Idee der weltanschaulichen Toleranz fremd gewesen ist, die wir heute zu den Grundelementen einer Zivilisation der Freiheit zählen. So ist es verständlich, daß viele in Pius V. eher den Inbegriff einer überwundenen reaktionären Haltung sehen als eine Figur, die auch der Kirche von heute und der Welt von heute etwas zu sagen hat. Aber wie immer beim Umgang mit der Geschichte ist es nicht damit getan, eine Gestalt oder eine Zeit eilfertig und oberflächlich an den Maßstäben der Gegenwart zu messen, sie dann zu klein zu befinden und sich selbst triumphierend über die vergangene Welt zu erheben. Um Geschichte verstehen und von ihr lernen zu können, muß man sie von innen her zu erfassen versuchen, aus ihrer lebendigen Wirklichkeit heraus. Erst dann überschreiten wir uns selbst, erst dann lernen wir mit dem Begegnen auch Gegenwart und Zukunft besser zu verstehen. Was hat der Gestalt Pius V., dem nur ein sechsjähriger Pontifikat beschieden war, eine solche Eindruckskraft auf die Menschen seiner Zeit und eine solche Wirkmacht in der Geschichte gegeben? Zunächst scheint es mir von großer Bedeutung zu sein, daß Pius V. - Micheie Ghislieri - aus einer sehr armen Familie kam. Armut war für ihn nicht eine Theorie, auch nicht eine Option, die er sich erst auferlegen mußte - sie war die Erfahrung seiner Kindheit wie seiner Jugend und sie ist die prägende Form seines ganzen Lebens geblieben . .,Von seinen Almosen behielt er nicht so viel für sich, um sich einen Mantel machen zu lassen; gegen die Hitze des Sommers, fand er, sei das beste Mittel, wenig zu genießen": So schildert Ranke den Kardinal G\1islieri, um hinzuzufügen: .,Er lebte auch als Papst in der ganzen Strenge seines Mönchtums ... ; er erlaubte sich kein Kleid von feinerem Zeug ... ; er hielt keine Sieste; mit dem Frühesten war er auf." Dem entspricht es, daß er seinen Hausgenossen sagte, sie müßten glauben, daß sie in einem Kloster wohnten. 1 1
Leopold von Ranke, Die Geschichte der Päpste (Neudruck Wiesbaden 1957), 155.
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Hier ist der tiefe Einschnitt offenkundig, den Pius V. gegenüber den Päpsten der Renaissance bedeutete: Die Residenz des Papstes hört mit ihm auf, ein Fürstenhof nach weltlichen Maßstäben zu sein. Dem Fürstlichen gegenüber tritt das Apostolische, das Religiöse in seiner ganzen Reinheit als das allein bestimmende Element hervor. Papsttum ist nicht mehr weltliche Herrschaft, sondern priesterlicher Dienst aus der einzigen Kraft des Glaubens heraus. Wir könnten es sehr modern so ausdrücken: Nicht Macht, sondern Dienst prägt das Erscheinungsbild und das Wirken dieses Papstes, der damit eine ganze Periode abschließt und zum eigentlichen Durchbruch der Erneuerung in der Kirche wird, ja, die Markierung dafür bleibt, was eigentlich Erneuerung in der Kirche ist. Hier wird zweierlei sichtbar, was mir von großer Bedeutung zu sein scheint. Zunächst zeigt sich die große Funktion, die den Bettelorden in der Soziologie der Kirche zukam. Daß es sie gab, bedeutete, daß in der Kirche das Prinzip der Adelsherrschaft, d. h. das soziologische Grundmodell jener Zeit, überquert war durch ein anderes, rein aus dem inneren Wesen der Kirche aufsteigendes Prinzip, nämlich die Dominanz des Glaubens. In der Kirche konnte auch in jener Zeit der Bettler "Fürst" werden, wie wenig später erneut die Gestalt Sixtus' V. zeigen wird. Die Bettelorden, die sich immer wieder aus dem einfachen Volk rekrutierten, waren nicht nur ein Quell frischen Blutes und frischer Intuitionen für die geistige Führung in der Kirche; sie hielten nicht nur Theologie, Verkündigung und Frömmigkeit in lebendigem Kontakt mit dem einfachen Volk. Sie sorgten dafür, daß die Barriere des Standes nicht undurchdringlich wurde, sondern der Glaube selbst eine Tür zu den Ämtern in der Kirche öffnete. Da& zweite Element betrifft die Person Pius V. selbst. Daß hier ein Papst aus der Armut kommt, der die Armut nicht als widerwärtiges Joch, sondern als Raum des Glaubens erfahren hatte, befreite die Kirche von dem, was in ihr Nicht-Kirche war und sie sich selbst entfremdete. In seinem eigenen Leben war Armut zum Vehikel des Glaubens geworden: Sie hatte ihm jene innere Einfachheit und Größe gegeben, die ihn freimachte von den Maßstäben des Besitzes und der Karriere. Ranke weist darauf hin, wenn er unterstreicht, daß Pius V. fand, das Papsttum sei ihm zur Frömmigkeit nicht förderlich, und wenn er umgekehrt daran erinnert, daß das Glück einer inbrünstigen Andacht das einzige gewesen ist, dessen er fähig war. 2 In dieser Freiheit von Ambition wurde Papsttum als Dienst glaubhaft, weil es Dienst war und weil es seinem Inhaber um nichts als um dessen wahren Inhalt, nämlich die Botschaft Jesu Christi und die Einheit seiner Kirche, ging. Ich glaube, daß man nur von hier aus auch die politische Grundoption Pius' V. verstehen kann. Diese Grundoption aber scheint mir von höchst aktueller Bedeutung, wie sehr man auch einzelne politische Entscheidungen 2
Ebd.
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des Papstes kritisieren mag. Pius V. hat in den Verwirrungen seiner Zeit letztlich nichts anderes versucht als die Einigung Europas von einem geistigen Prinzip her. Die politische Philosophie Machiavellis war inzwischen mehr oder minder zum eigentlich bestimmenden Prinzip des politischen Handeins in den meisten Staaten Europas geworden. Das bedeutete, daß Moral als politisches Prinzip außer Kraft gesetzt war und entscheidend der Erfolg bzw. das Eigeninteresse, der Nutzen und die Machterweiterung des betreffenden Staates als Maß der politischen Entscheidungen fungiertendas also, was man beschönigend die .. Staatsräson" nannte. 3 Diese" Vernunft" war eine Vernunft ohne Moral und auch gegen die Moral. Der Machtegoismus der einzelnen Staaten, der so das politische Geschehen immer vollständiger prägte, führte in Wirklichkeit auch zur Schwächung der Staaten selbst; nicht nur weil er den Verfall der inneren Einheitskräfte im Staat beschleunigen mußte, sondern vor allem auch, weil das so zerrissene Europa dem Ansturm der islamischen Großmacht nichts Wirksames entgegenzusetzen hatte. In dieser tragischen Situation einer voranschreitenden Selbstzerstörung Europas durch den Egoismus der Machtpolitik war- wie Pastor gezeigt hat - der Heilige Stuhl die einzige Institution von politischem Gewicht, die nicht auf eigene Interessen hin handelte, sondern eine auf das Ganze gerichtete Politik verfolgte. 4 In Pius V. hatte die Moral des Politischen gegen alle bloßen Sonderinteressen ihren einzigen wirklichen Anwalt. Der Heilige Stuhl war sozusagen das Gewissen in der Politik, und Pius V. hat damit etwas vom Grundauftrag der Kirche gegenüber der Politik in Distanz und Verantwortung zugleich deutlich werden lassen, das sicher nicht in den Formen jener Zeit nachgeahmt werden kann, aber als Option von bleibendem Gewicht ist. Ich werde auf die Frage der Stellung des Papstes zur Politik, auf ihre Grenzen und ihren bleibenden Gehalt, nochmals zurückkommen, möchte aber zunächst wenigstens mit ein paar Andeutungen auf sein innerkirchliches Wirken hinweisen, ohne das auch sein politisches Wollen nicht wirklich verständlich werden kann. Ich muß mich dabei freilich auf Stichworte beschränken, deren ich vier nennen möchte: 1. In die Geschichte eingegangen ist Pius V. bekanntlich vor allem durch seine Reform der kirchlichen Liturgie. Die Reformation hatte weithin zu einer liturgischen Anarchie geführt, in der nicht mehr die Gemeinsamkeit des Ritus, sondern die Kreativität der einzelnen Gruppen tonangebend war. Man 3 Vgl. dazu D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik I (Insel Verlag 1978), 159-265; wichtig bes. die Gegenüberstellung Aristoteles-Macchiavelli, S. 172-190, sowie die Argumente von Kardinal Pole, S. 230-236. 4 Ludwig von Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. VIII; vgl. F. X. Seppelt, Geschichte der Päpste V: Das Papsttum im Kampf mit Staatsabsolutismus und Aufklärung. Neu bearbeitet von G. Schwaiger (München 19592), 148f.
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muß sich ja bewußt sein, daß sich keineswegs von Anfang an das Katholische und das Protestantische als zwei fest umschriebene Größen gegenüberstanden. Die reformatorische Bewegung erschien über eii1e lange Periode hin als eine Reformbewegung in der Kirche; es hing von den Äbten, von den Ordensoberen, von den Pfarrern oder auch von den weltlichen Obrigkeiten ab, in welchem Maß man sich neuen liturgischen Formen und neuen Formen des Glaubenssbekenntnisses zuwandte, wobei die unterschiedlichsten Mischtypen entstanden. W. Zeeden hat gezeigt, daß die Form des ",nterkonfessionalismus" die Zeit des Trienter Konzils weit überdauert hat. 5 So gab es je nach örtlichen Verhältnissen Privatliturgien verschiedenster Art, deren katholischer oder nicht mehr katholischer Charakter für den einzelnen Gläubigen häufig kaum festzustellen war. In dieser Situation hat die Ausdehnung des stadtrömischen Missale auf die ganze lateinische Kirche ihre präzise Funktion. Pius V. hat bekanntlich keineswegs ein neues Missale geschaffen (ein Tridentinisches Missale oder auch ein Missale Pius' V. gibt es nicht); er hat das Missale der Stadt Rom als unzweifelhaft katholisch von geeigneten Experten durcharbeiten lassen unter dem Gesichtspunkt, es möglichst streng nach der eigentlich römischen Tradition von Einflüssen fremder Provenienz zu reinigen, und er hat dieses Missale für die ganze lateinische Kirche verbindlich gemacht, freilich mit dem Vorbehalt, daß Liturgien, die älter als 200 Jahre und damit ebenfalls unzweifelhaft katholisch waren, auch weiterhin bestehen bleiben dürften. Insofern gehört zu seiner Reform ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Vereinheitlichung und Pluriformität. Des weiteren ist kennzeichnend für diese Reform das Bemühen um Traditionsgemäßheit und Kontinuität des liturgischen Erbes. Damit verbindet sich die Bevorzugung des römischen Typs mit seiner klassischen Nüchternheit und Einfachheit gegenüber den wortreicheren und gefühlsbetonteren liturgischen Typen gallischer oder germanischer Provenienz. Aber das eigentlich Prägende scheint mir doch die Verbindung von Toleranz und Festigkeit, von fester geschichtlicher Bindung und Bereitschaft zu formender Gestaltung aus den Grundprinzipien heraus zu sein. Nur so ist es zu verstehen, daß die Rezeption des Missale praktisch ohne Auseinandersetzungen vor sich ging und damit von der gottesdienstlichen Mitte her auch die Glaubensgestalt der Kirche ihre Eindeutigkeit und ihre einende Kraft zurückgewann. 2. Neben der liturgischen Reform steht die katechetische Erneuerung. Allein die Tatsache, daß Pius V. diese beiden Schwerpunkte setzte, weist ihn als einen Papst aus, dem der Blick auf dasWesentliche eignet. Luther hatte 5 Vgl. von den verschiedenen Arbeiten Zeedens zum Thema z. B.: Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Formen der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe (München/Wien 1965); Das Zeitalter der Gegenreformation (Herderbücherei 1967).
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seine positive religiöse Wirkung zum einen durch die Kraft des Kirchenliedes und seiner Gottesdienstordnung, zum anderen durch seine Katechismen erzielt; auch heute noch ruht die religiöse Kraft des Luthertums auf diesen beiden Grundpfeilern. Wenn der Katholizismus die Herzen der Menschen wieder erreichen wollte, mußte er auf diesen beiden Ebenen Entsprechendes schaffen. Der Catechismus Romanus hatte die Höhe, die angesichts dieser Herausforderung notwendig war. Man hatte sowohl das scholastische Fragenschema wie die scholastische Sprache verlassen. Die sprachliche Austeilung durch den Humanisten Giulio Poggiani kann der Leser auch heute noch wohltuend empfinden. Vor allem tritt das Buch ganz aus der abstrakten Schematik der Schulfragen heraus; es lebt vor allem aus der Tradition Augustins und mit ihm von der Zuwendung zur heiligen Schrift. Wer diesen Katechismus liest, sieht, daß die Bibel gerade dann verständlich wird, wenn man sie katholisch liest. Aus einer solchen positiven Summe, die eben in ihrer Einfachheit tief ist, konnten die Pfarrer wieder verkündigen, denen mit den scholastischen Lehrbüchern wenig gedient gewesen war. 6 3. Im Geist des Konzils von Trient hat Pius V. die Figur des Bischofs als Seelsorger definiert und vor allen Dingen auf drei Merkmalen insistiert: auf
einer wirklich apostolischen Lebensform, auf der Residenzpflicht und auf der Pflicht zur Visitation in der Diözese. Schließlich war es kein Zufall, daß Karl Borromeo sich am entschiedensten für dieWahldes Kardinals Ghislieri zum Papst eingesetzt hatte: Pius V. hat sich gemüht, jene Form des bischöflichen Amtes in der ganzen Kirche durchzusetzen, die Borromeo exemplarisch vorgelebt hatte. 7 4. Pius V. hat sehr stark den Anspruch des päpstlichen Primats unterstrichen. Er konnte es, weil es ihm ersichtlicherweise nicht um Machtausdehnung des Papsttums, sondern um Dienst an der Einheit ging. Die Sorge um die Einheit hatte ihren Kontext in der Sorge um die Heiligkeit und um die Apostolizität der Kirche. In de'Il Nexus von einig-heilig-katholisch-apostolisch trägt eins das andere; Pius hat jedem davon sein Gewicht und seinen Rang gegeben. Im übrigen wurde Primat religiös realisierbar, weil Pius die konkreten Faktoren der Einheit - die Gemeinsamkeit des Gottesdienstes und die Gemeinsamkeit der Glaubensaussage - in ihr gebührendes Recht gesetzt hatte.
Mit diesen Feststellungen kehren wir noch einmal zum politischen Aspekt seiner Amtsführung zurück. Wie man weiß, hat Pius V. den Primat nicht nur innerkirchlich, sondern vor allem auch den weltlichen Mächten gegenüber mit großer Entschiedenheit zur Geltung gebracht, so daß er in harte Konflikte 6 Vgl. zum Catechismus Romanus: P. Rodriguez IR. Lanzetti, EI Catecismo Romano: Fuentes e historia del texto y de Ia redacci6n (Pamplona 1982); L. Andrianopoli, II Catechismo Romano. Commentario (Milano 1983). 7 Vgl. Ranke, a.a.O., 154; Seppelt, 120 ff.
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auch mit den beiden wichtigsten katholischen Herrschern, dem Kaiser und mit Philipp Il. von Spanien, geriet. Aber dabei leitete ihn keinerlei Machtstreben. Ihm ging es einfach um die entschiedenste Absage an das Staatskirchentum, das gerade auch bei den katholischen Mächten blühte. Er hatte denselben Kampf zu bestehen, der bereits im konstantinischen Zeitalter begann, der Gregor VII. und seine Nachfolger in Atem hielt und der immer gerade da nötig sein wird, wo Staat und Kirche in eine zu enge Verflechtung zu geraten drohen. Was Pius V. abwies, war der Versuch des Staates, auch die Religion in seine Dienste zu nehmen, sie zu einer Funktion des Staatsinteresses zu degradieren und von dorther auch zu normieren. Wo solches geschieht, wird die fundamentale moralische Kraft des Glaubens ausgelöscht, der mit keiner Gesellschaft identisch werden darf, sich nicht in ihr Weltbild und ihre Ordnung einebnen läßt, sondern ihr als eigene Kraft entgegentreten muß, als ihr Gewissen, das die Mächtigen ebenso kritisiert wie die moralischen Standards, in denen der Durchschnitt sich gegenseitig rechtfertigt. Wie leicht bei solchen Verschmelzungen Religion zur Legitimation des Unrechts werden kann, zeigt die Fähigkeit der Theologen, Hexenglauben und Sklaverei theologisch zu rechtfertigen, damals, heute die wachsende Bereitschaft, Übel unserer Zeit wie Abtreibung und Euthanasie mit moralischen Gründen zu unterbauen oder ihnen wenigstens Verständnis entgegenzubringen. Insofern war die Grundoption Pius' V., d. h. der Widerstand gegen jede Art von Staatskirchentum, durchaus berechtigt. Freilich muß man hier auch die Grenze dieses Papstes erkennen, denn er hat die Doppelseitigkeil dieses SachvP-rhalts nicht zu sehen vermocht. Wenn Kirche dem Staat untersagen muß, sich der Religion zu bedienen, so darf natürlich umgekehrt auch die Kirche nicht den weltlichen Arm für ihre Zwecke in Anspruch nehmen. Sie kann dann auch ihrerseits den Irrtum nicht durch den Dienst der politischen Macht bekämpfen, sondern muß es auf die ihr gemäße geistige und religiöse Weise tun. Gewiß kann man in der Situation von damals viele Entschuldigungen für die Einseitigkeit des Papstes in dieser Hinsicht finden. Man kann z. B. nicht übersehen, daß der französische Calvinismus Glaubensgemeinschaft und politische Machtgruppe zugleich war, die nicht nur als Endziel die Alleinherrschaft des calvinischen Bekenntnisses erstrebte, sondern als Staat im Staat auch eine selbständige Innen- und Außenpolitik betrieb. 8 In ähnlicher Weise ging es bei der Ausbreitung des Protestantismus in Italien keineswegs nur um religiöse Probleme. Insofern muß man bei einer Kritik der religiösen Intoleranz des Papstes von den heutigen Schemata her außerordentlich vorsichtig sein; man kann nun einmal nicht einfach Erkenntnisse einer Periode glatt als Handlungsmaximen in eine andere übertragen. 8
Vgl. Seppe/t, a.a.O., 136.
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Richtig aber bleibt, daß das Prinzip, von dem der Papst sich leiten ließ, von innen her auf eine Zweiseitigkeit der Anwendungen hindrängt. Insofern darf sich das Vatikanum ll mit seinen neuen Überlegungen über das Verhältnis von Macht und Wahrheit durchaus in der Linie Pius' V. wissen, auch wenn die politischen Entscheide, zu denen es führt, äußerlich in Widerspruch stehen zu politischen Entscheiden, die Pius V. fällte. Solche äußerlichen Vergleiche sind oberflächlich; wer tiefer blickt, kann erkennen, daß die eigentlich leitenden Intentionen dieselben sind und daß es daher keinen Gegensatz, sondern Kontinuität geschichtlicher Entwicklung zwischen dem Reformpapst des 16. Jahrhunderts und den wirklichen Absichten des Konzils aus dem 20. Jahrhundert gibt. Auch hier bleibt übrigens das Verhältnis noch einmal doppelseitig: Das Zweite Vatikan um hat manches entfaltet, das Pius V. so noch nicht sehen konnte. Aber umgekehrt wird man dieses Konzil notwendig mißverstehen, wenn man es gegen die Geschichte liest. Erst wenn wir es mit der ganzen Geschichte und gerade auch mit Pius V. lesen, können wir es ganz verstehen und recht anwenden. Pius V. ist nicht überflüssig geworden; wir haben auch heute noch von ihm zu lernen.
BEDENKJAHR FÜR DIE KIRCHE IN ÖSTERREICH FÜNFZIG JAHRE KIRCHENBEITRAG* Von Sebastian Ritter, Salzburg Die katholische Kirche Österreichs blickt in diesem Jahr auf 50 Jahre Kirchenbeitrag zurück. Die Finanzkammern der Österreichischen Diözesen haben dieses 50-Jahr-Gedenken in einer Dokumentation festgehalten. 50 Jahre sind in der Kirchengeschichte eine kleiner Periode, in der Geschichte eines Landes aber ein respektabler Zeitraum. Er macht es möglich, einen Überblick zu gewinnen und eine Bilanz zu erstellen. I. Der Kirchenbeitrag-Erbe und Last seit fünfzig Jahren Das Kirchenbeitragsgesetz (KBG) vom 28.4.1939 wurde ein Jahr nach dem Einmarsch Hitlers und dem Anschluß Österreichs an das Großdeutsche Reich erlassen und mit Wirkung vom 1. Mai 1939 in Kraft gesetzt. Es bildet seitdem die Grundlage für die Einhebung von Kirchenbeiträgen in Österreich. Dies gilt für die katholische Kirche, für die evangelische Kirche augsburgischen und helvetischen Bekenntnisses und für die altkatholische Kirche. Viele Bürger unseres Landes fragen nun: Warum ist heute noch das NS-Gesetz maßgebend? Warum konnte in diesen 50 Jahren nicht ein österreichischer Weg der kirchlichen Bedarfsdeckung gefunden werden? Bereits im ersten Jahrzehnt nach Kriegsende wurde das Unrecht des Hitler-Gesetzes aufgezeigt. Die Bestrebungen um eine Wiedergutmachung sind in drei Richtungen gegangen: Wiedergutmachung, d. h. Wiederherstellung der früheren Rechtslage; Ersatz der Kirchenbeiträge durch eine Kirchensteuer oder eine Kultussteuer; Verbesserungen für die Kirchenbeitragseinhebung.
• Erweiterte Fassung des Referates anläßlich der Präsentation der Festschrift .Kirchliches Finanzwesen in Österreich - Geld und Gut im Dienste der Seelsorge" am 9. Oktober 1989 in der Probstey St. Gerold, Vorarlberg.
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Sebastian Ritter
1. Die volle Wiedergutmachung Gewaltakte des NS-Regimes gab es viele: Diverse Einrichtungen der Diözesen wie Seminare, Verwaltungs- und Wohngebäude, Klöster, Vereine, Pfarreien waren betroffen durch Beschlagnahme und Enteignung von Kirchengut. Der folgenschwerste Rechtsbruch war die Einstellung aller Leistungen des Staates und staatlicher Fonds gemäߧ 5 des KBG. Die Verpflichtungen, die mit dem KBG aufgehoben wurden, waren folgende: Die Baulastnormalien, die Verpflichtungen der öffentlichen Patronate, die Religionsfonds, die Kongrua-Gesetze. Die staatliche Kongruaergänzung hat bis 1939 der Seelsorgsgeistlichkeit und den priesterlichen Beamten der Ordinariate, Seminare usw. ein standesgemäßes Mindesteinkommen nach staatlichen Riebtsätzen sichergestellt. Die umfassende Wiedergutmachung wurde zwar oft im Volk diskutiert, aber nie von der Kirche offiziell eingefordert. Der Klerus und viele Laien hatten noch zu lebhaft in Erinnerung, wie ungenügend vor dem Jahre 1939 diese ganze kirchliche Einnahmenwirtschaft war, wie mühsam jeweils der Kampf um die zeitgemäße Angleichung der Klerusbesoldung in den Kongrua-Gesetzen und die Verhandlungen um die Drittel-Leistungen der öffentlichen Patrone für die Bau- und Sanierungsmaßnahmen vor sich gegangen sind. Das eben wieder erstandene Österreich, das um seine Selbständigkeit und um wirtschaftliches Überleben kämpfte, war ja den vier Besatzungsmächten unterstellt; alle Vermögenswerte, die sich der NS-Staat angeeignet hatte, waren von den Besatzungsmächten als deutsches Eigentum erklärt und damit bis zum Abschluß eines Friedensvertrages jedem Zugriff entzogen. Die Wir~schaft des Landes war ausgeblutet, Städte waren zerbombt, die Ernährung mußte erst allmählich gesichert werden. In einer solchen Zeit konnte man nicht mit massiven Forderungen an den Staat herantreten, schon gar nicht von seiten der Kirche. Vielmehr wurde erwartet, daß die Kirche weiterhin großzügigst und fast unentgeltlich Kirchengründe zur Verfügung stellt für den Bau von Wohnungen und Eigenheimen. Es wäre lohnend, in einer Übersicht zu erfahren, in welchem Ausmaß die Kirche Österreichs in dieser Nachkriegszeit Baugründe für Siedlungszwecke zu Billigstpreisen abgetreten hat. 2. Kirchenbeitrag oder Kirchensteuer Noch viel öfter wurde eine andere Lösung erörtert: Die Kirchenbeiträge ersetzen durch eine Kirchensteuer nach dem Muster vieler Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Hitler aber hatte der .ins Reich heimgekehrten Ostmark" diese Form der kirchlichen Umlagenerhebung ausdrücklich verwehrt und dafür den Kirchenbeitrag geschaffen. Eine Kirchensteuer wäre
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für die Kirche viel günstiger, ertragreicher und leichter zu handhaben gewesen. Die Neueinführung einer solchen Steuer stieß naturgemäß beim Fiskus auf Ablehnung, aber auch auf seiten der Steuerzahler war Widerstand zu erwarten. In der Kirche selbst gab es Befürworter, aber auch Bedenken und Sorgen. Es fehlte offensichtlich auch der Mut, ein Kirchensteuergesetz in einer solchen Notzeit ernst zur Diskussion zu stellen und parlamentarisch durchzusetzen. 3. Kirchenbeitrag belassen, aber verbessern Nach den fünfzigerJahrensetzte in Österreich bereits fühlbar eine positive Entwicklung ein. Die Stabilisierung der Preise und Löhne und der steigende allgemeine Wohlstand hat dazu beigetragen, daß die Einhebung des Kirchenbeitrages mehr und mehr als eine Gegebenheit, als Gewohnheit akzeptiert und angenommen wurde. Gleichzeitig aber gab es immerfort Bestrebungen, das System der Kirchenbeiträge zu erleichtern und zu verbessern. Die folgenden Anliegen wurden immer wieder diskutiert und vorgetragen, aber nur zum Teil erreicht: a) Die Anerkennung des Kirchenbeitrages als steuerliche Abzugspost; b) die Gewährung von staatlichen Subventionen für den Denkmalschutz, staatliche Bezahlung des Religionsunterrichtes, staatliche Stützung der katholischen Privatschulen; c) ein verbesserter Zugang zu den Melde- und Personaldaten der staatlichen Ämter; d) die vereinfachte exekutive Einhebung im Verwaltungsverfahren bei säumigen Beitragszahlern. 4. Die Lage nach dem Vermögensvertrag von 1960 Das Jahr 1955 war für Österreich geradezu ein neuer Anfang: der Staatsvertrag. Damit verbunden war die Frage der Wiedergutmachung an alle vom NS-Regime Geschädigten durch die Österreichische Republik. Auch die Kirche Österreichs hatte massive Forderungen anzumelden. Diese Bemühungen führten nach fünfjährigen Verhandlungen zum Abschluß eines Vermögensvertrages zwischen dem Hl. Stuhl und dem Österreichischen Staat. Dieser kirchliche Vermögensvertrag vom 23. Juni 1960 spricht in Art. II Abs. 4 ausdrücklich vom Kirchenbeitrag: .Kirchenbeiträge werden weiter eingehoben. Über ihre Erträgnisse kann die katholische Kirche frei verfügen." Der Vermögensvertrag brachte also nicht - wie viele erwartet hatten - das Ende des Kirchenbeitrages oder wenigstens ein neues austrifiziertes Beitragsgesetz, sondern hat die bisherige Beitragseinhebung einfach gutge-
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heißen und für die Zukunft abgesichert. Neu war lediglich der Zusatz, daß nunmehr die Kirche über ihre Erträgnisse frei verfügen kann. Die kirchenfeindlichen Verfügungen des KBG 1939 wurden eliminiert: die staatsaufsichtsbehördliche Genehmigung der Kirchenbeitragsordnung und der die Kirchenbeiträge festsetzenden Beschlüsse, die Vorlage des Haushaltsplanes und des Rechnungsabschlusses vor der staatlichen Behörde, die Einsicht in die Vermögensverwaltung der Kirche, die Verpflichtung, über jeden Haushaltsposten Auskunft zu geben, das Recht der Streichung von solchen Haushaltsposten. Mit Berufung auf das Staatsgrundgesetz 1867 und das Konkordat 1934 wurden diese Bestimmungen fallengelassen. Im übrigen aber wurde an der Fassung des Kirchenbeitragsgesetzes von 1939 nichts geändert. Der Vermögensvertrag von 1960, der als Anhang zum Konkordat des Jahres 1934 gesehen werden muß, hat ohne Zweifel eine gewisse Rechtssicherheit gebracht. Hinsichtlich der eigentlichen Wiedergutmachung hat die Kirche aber große Zurückhaltung geübt, praktisch einen großzügigen Verzicht geleistet. Auf kirchlicher Seite standen doch sehr bedeutsame Verluste an Grund und Boden bei den inkammerierten Religionsfonds und vielen andereP enteigneten Kirchengütern sowie die Aufkündigung vielfältiger staatlicher Leistungen für den Personal- und Sachbedarf der Kirche, die seit vielen Jahrzehnten in Recht und Gesetz verankert waren. Als Wiedergutmachung gesteht der Vermögensvertrag lediglich eine relativ bescheidene, jährlich wiederkehrende Abgeltung der Republik an die gesamte Kirche Österreichs zu. Dazu kommt noch die Übergabe des Forstgutes Weyer an die Kirche Österreichs, deren Erträgnisse einen Erhaltsbeitrag für eine Reihe von zurückerstatteten Gebäuden darstellen soll. Diesen großzügigen Verzicht in der Frage der "Wiedergutmachung" konnte die Kirche offenbar nur im Vertrauen auf die Bereitwilligkeit des katholischen Volkes zur Leistung der Kirchenbeiträge zugestehen.
Besonders schmerzlich aber war nach wie vor, daß das KBG des Jahres 1939 gesetzliche Grundlage für die Einhebung von Kirchenbeiträgen geblieben ist. In zweimaligem Anlauf wurde auf Initiative der Finanzkammern der Diözesen ein neues österreichisches KBG entworfen und zur Behandlung in den gesetzgebenden Körperschaften eingebracht, zum erstenmal im Jahre 1968 und sodann noch einmal im Jahre 1982. Beiden Versuchen war kein Erfolg beschieden. Ich möchte es hier dahingestellt sein lassen, inwieweit dabei staatliche oder kirchliche Schwierigkeiten und Hemmnisse das Übergewicht hatten. II. Der Kirchenbeitrag in positiver Sicht
1. 50 Jahre Kirchenbeitrag heißt: Die Kirche hat durch 50 Jahre in dieser Form und auf dieser Rechtsgrundlage ihre finanziellen Mittel eingefordert
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und hat davon im wesentlichen ihren Unterhalt bestritten. Das Kirchenbeitragsaufkommen macht in den einzelnen Diözesen einen Prozentsatz von 85 bis 90% des Haushaltes aus. Es muß mit Genugtuung festgehalten werden: die Katholiken haben in allen Diözesen den ihrem Einkommen angemessenen Beitrag geleistet und damit diese Herausforderung angenommen, sowohl in der nazistischen Ära, wie auch in der Zeit der Republik. Die Kirche hat mit diesen Finanzmitteln eine geordnete Klerusbesoldung gewährleistet. Sie hat einen noch nie dagewesenen Stab von Laienmitarbeitern angestellt und gehaltlieh abgesichert. Sie hat ihren ganzen Verwaltungs- und Organisationsapparat finanziert. Sie hat darüber hinaus eine große Palette sozialcaritativer Aktionen und Einrichtungen neu aufgebaut und erhalten. Sie hat ein Bauprogramm durchgeführt, wie dies nur in den baufreudigsten Perioden der Kirchengeschichte nachgewiesen werden kann. Sie hat in einer großen Anzahl von Siedlungen und Stadtvierteln neue pfarrliche Zentren und Gotteshäuser errichtet. Das alles ist eine Bilanz, eine kirchengeschichtliche Tatsache, die für die Effektivität des Kirchenbeitrages spricht. 2. Es besteht heute nach Aufdeckung der ganzen Vorgänge kein Zweifel mehr: Der nationalsozialistische Staat wollte mit dem KBG der Kirche einen geradezu tödlichen Schlag versetzen. Ohne dies zu wollen, sind daraus der Kirche aber auch bedeutende Vorteile erwachsen. Diese konnten freilich erst auf der Rechtsbasis des Vermögensvertrages von 1960 so recht wirksam werden. a) Die Kirche ist heute frei und unabhängig in der Errichtung ihrer Ämter, Pfarreien und Seelsorgsstationen. Sie kann nach freiem Ermessen und eige-
nem Bedarf neue Seelsorgszentren, Pfarren und Seelsorgsbezirke errichten, aufteilen, zusammenlegen, neu abgrenzen. Welche providentielle Bedeutung diese Änderung der Rechtslage für die Kirche in einer Zeit so ausgedehnter Siedlungsbewegung und Städteplanung hat, kann kaum abgesehen werden. Die einzelnen Diözesen konnten neue Ämter, Referate, Häuser und Schulen einrichten, mit den nötigen Posten ausstatten und so die pastorelle Struktur ausweiten auf neue Gebiete der sozialen Dienste, der Bildung, der Fürsorge und Beratung, die in der Gesellschaft von heute gefragt werden. Und das alles konnte die Kirche in eigener Verantwortung tun, weil sie über eigene Mittel verfügte und nicht mehr vom Placet staatlicher Stellen abhängig war.
b) Die Kirche ist frei und unbehindert in der Verleihung ihrer Ämter und Seelsorgspfründen. Wenn in Österreich vor dem Jahre 1939 die freie bischöf-
liche Verleihung nur die verschwindende Ausnahme war, so konnte diese weitgehende staatliche Mitwirkung in der kirchlichen Ämterbesetzung überhaupt nur in einem solchen Staat berechtigt erscheinen, der sich in seiner Verfassung und Verwaltung als ein katholischer Staat präsentiert. Im religiös-neutralen Staat aber ist eine Mitwirkung staatlicher Stellen in der
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kirchlichen Ämterverleihung rechtlich unverantwortlich und sachlich untragbar. Ein Blick über die Grenzen nach Osten in die Staaten des Warschauer Paktes mag uns zeigen, in welcher Weise Machtstrukturen des Staates durch Einfluß in der Ämterbesetzung von Pfarren und Bischofssitzen das Leben und Wirken der Kirche steuern, hemmen, ja knebeln können. c) Die Kirche ist schließlich frei geworden von staatlicher Aufsicht und Bevormundung in vielen Bereichen der Amtsführung. Denken wir zurück:
Bis 1939 konnte der Staat die kirchlichen Stolordnungen erlassen, er hatte das Recht wirksamer Einwendungen bei der Besetzung aller, auch der nichtbepfründeten Ämter: staatliche Organe haben die Einführung der Seelsorger in die Temporalien vorgenommen; haben die Prüfungsordnung für Pfarrkonkurse vorgeschrieben; der Staat konnte die Amtsenthebung eines Seelsorgers verlangen und hinsichtlich der finanziellen Versorgung sogar selber verfügen, er konnte die Vorlage aller bischöflichen Erlässe und Hirtenbriefe verlangen. So umfassend war das Ausmaß staatlicher Einmischung. Ein gedeihliches Wirken der Kirche in unseren Tagen und in der heutigen Gesellschaft wäre unter einer solchen staatlichen Bevormundung nicht mehr denkbar. Es müßte doch zu denken geben: Das kommunistische Regime, das in der CSSR besonders hart und brutal gegen die Kirche vorgeht, beruft sich darauf, daß ja nur Gesetze der österreichisch-ungarischen Monarchie zur Anwendung kommen, die weithin aus der Ära des josephinischen Staatskirchenturns stammen. Dieselben Gesetze und Praktiken wirken aber sehr verschieden, wenn sie von einem katholischen Monarchen oder einem atheistischen R"'gime gedeutet und angewendet werden. 3. Das Kirchenbeitragssystem in Österreich hat sicher seine Schwächen, Beschwernisse und Unzulänglichkeiten, aber auch seine Vorzüge. Im großen gesehen ist es kein überaltertes, sondern eher ein modernes Finanzierungssystem, das aus der neuzeitlich entwickelten Finanzwirtschaft herausgewachsen ist. Die kirchliche Vermögensverwaltung der Bistümer hat sich vor allem im deutschen Raum weithin zu einer richtigen Finanzwirtschaft entwickelt, die die Grundsätze einer öffentlichen und treuhänderischen Vermögensverwaltung rezipiert hat. Sie ist so über die ehemals stark privatrechtlieh ausgerichtete Vermögensverwaltung des kanonischen Rechtes weit hinausgewachsen. 4. In Österreich ist der Kirchenbeitrag zwar die stärkste Stütze der kirchlichen Einkommensbeschaffung, aber durchaus nicht die einzige. Der Kirebenheitrag ist darauf angelegt und berechnet, den Grundstock des kirchlichen Personal- und Sachbedarfes abzudecken, kann aber nicht die ganze Palette aller kirchlichen Aktivitäten finanziell versorgen. Neben dem Kirebenheitrag gibt es auch noch andere Formen der Einkommensbeschaffung. Grund und Boden und seine Erträgnisse spielen mancherorts auch heute
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noch eine gewisse Rolle bei Pfarrpfründen, bei Klöstern und Stiften. Die einzelnen Pfarren bestreiten ihre laufenden Betriebskosten in der Hauptsache aus Tafelsammlungen und Spenden der Gemeindeglieder. Der Staat entlohnt den kirchlichen Religionsunterricht und das Personal der theologischen Fakultäten und der kirchlichen Privatschulen. Die Dienste der Caritas, ihre Hitsaktionen und Anstalten werden weithin durch freie Spenden abgedeckt. Das gleiche ist zu sagen von der Unterstützung der Weltmission und der Dritten Welt. Die aus freien Spenden resultierenden Finanzmittel stellen in Summe auch eine beträchtliche Größe dar; sie werden über die Kirchenbeiträge hinaus von den Gläubigen zur Verfügung gestellt. Es muß mit Dankbarkeit festgehalten werden: Die regelmäßigen und häufigen Kirchenbesucher leisten über den Kirchenbeitrag hinaus noch sehr viel mehr für das Wirken und die Anliegen der Kirche. 111. Der Kirchenbeitrag als Chance und Herausforderung Der KB ist keine leicht zu nehmende Einkommensart Er fordert einen hohen und vielfältigen Einsatz der ganzen Kirche. Der KB wurde in Österreich der Kirche durch ein Gewaltregime aufgezwungen, die Einführung gelang in einer Zeit der Bedrängnis und der Verfolgung. Es braucht aber auch einen umfassenden Einsatz der ganzen Kirche, um eine solche verpflichtende Umlagenerhebung in einer Zeit des Wohlstandes, der religiösen Verflachung und kirchlicher Krisensymptome durchzuhalten und verständlich zu machen. Schlagwortartig seien einige Gesichtspunkte aufgezeigt, in welcherWeise der KB eine ernste Herausforderung, aber auch eine echte Chance für die Kirche darstellt, gerade auch im Rückblick auf 50 Jahre Kirchenbeitrag. 1. Das KBG ist ein staatliches Gesetz. Die KBO der einzelnen Diözesen ist eine innerkirchliche Satzung, die sich auf das staatliche Recht stützt. Die Kirche selber kann diese KBO in allen Details immer wieder neu fassen und der Zeit anpassen. 2. Der Errechnung des KB beim einzelnen Beitragspflichtigen wird das steuerpflichtige Einkommen zugrundegelegt Der KB ist ein solidarischer Beitrag der Katholiken für die Bedürfnisse der Kirche, der nicht nach Gutdünken, nicht nach Selbsteinschätzung, sondern nach dem steuerpflichtigen Einkommen der einzelnen Pflichtigen bemessen wird. Das steuerpflichtige Einkommen ist trotz aller Mängel und Verschleierungsmöglichkeiten doch der am ehesten objektive und sachgerechte Maßstab, um die wirkliche Leistungsfähigkeit aller Einkommensschichten in etwa erfassen zu können. 3. Die Einhebung des KB geschieht durch kirchliche Organe. Diese werden von der Kirche ausgewählt, geschult und bestellt. Der Beitragszahler
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verhandelt jeweils mit einem Vertreter der Kirche. Diese Organe sind die Angestellten der KB-Stellen; sie müssen freilich nach heutiger Sicht durch eine Riege von ehrenamtlichen Mitarbeitern in den Pfarren verstärkt werden. 4. Der KB-Zahler hat ein Recht darauf, in angemessener Weise über den kirchlichen Finanzbedarf und die geordnete Finanzverwaltung informiert zu werden. Diese Informationspflicht muß den Diözesen ein ernstes Anliegen sein. 5. Der KB gewährleistet, daß die Kirche eigentlich nur einen Mäzen hat: Den Kirchenbeitragszahler, das Kirchenvolk als ganzes. Die Kirche ist in keiner Weise abhängig von sonstigen geldstarken Mäzenen, von staatlichen und finanziellen Machthabern. 6. Der Kirchenbeitrag wird immer wieder in Zusammenhang gesehen mit den Kirchenaustritten. Oft genug ist natürlich ein solcher Zusammenhang gegeben. Die Kirchenbeitragszahlung ist nun einmal eine immer wiederkehrende Herausforderung für jeden Katholiken. Jeder Katholik wird, ob er will oder nicht, vor die Frage gestellt: Wo ist mein Standort in der Kirche? Will ich überhaupt noch in dieser Kirche bleiben? Was bedeutet mir diese Kirche eigentlich noch? Viele haben und melden ihre Schwierigkeiten mit dem KB, erklären aber: Nein, austreten will ich nicht! 7. Der KB zeigt uns ständig die Realität der Kirche, Kirchennähe oder Kirchendistanz weiter Kreise. In der Kirchenbeitragsarbeit stellt sich die ganze Bandbreite des katholischen Volkes dar. Gerade um die Kritischen, die Fernstehenden müssen wir noch viel mehr besorgt sein! 8. Die Tatsache der gerichtlichen Klagen, die Zahl der Exekutionen berühren zwar nur wenige Prozente der Beitragszahler, aber sie belasten und verdunkeln das Bild der Kirche. Der sukzessive Abbau der Zwangsmittel, die Reduzierung der Klagen und Exekutionen muß vordergründiges Ziel aller Kirchenbeitragsarbeit, aber auch der pastorellen Bestrebungen in Pfarre und Diözese sein und bleiben! 9. Wenn wir den Alltag einer Kirchenbeitragsstelle durchleuchten, so besteht kein Zweifel darüber: Eine dauernde Schärfung und Weckung der Gewissen ist unerläßlich. Es ist verständlich und berechtigt, daß jeder Mensch rechnet und kalkuliert, daß keiner zuviel zahlen will. Es ist aber sicher eine sittliche Pflicht, daß jeder Katholik seinem Einkommen entsprechend für die Bedürfnisse der Kirche beiträgt. Es ist sicher nicht christlich, seine Zugehörigkeit zur Kirche zu verleugnen oder sein wahres Einkommen zu verschleiern oder abzuleugnen. 10. Es müßte für die Kirche in Österreich klar sein: Wir stehen zum Kirchenbeitrag, der uns vor 50 Jahren aufgezwungen wurde, den wir aber nunmehr durch 50 Jahre praktiziert haben. Die Kirche Österreichs soll mit
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Vertrauen und Verantwortungsbewußtsein, in Einheit und Geschlossenheit hinter diesem Anliegen stehen. Gewicht und Stellenwert der Kirche im seelsorglichen und kulturellen, sozialen und caritativen Bereich ist auch heute noch groß. IV. Ist der KB ein Modell für andere Länder? 1. Zum Bedenken über 50 Jahre Kirchenbeitrag ist- wie schon eingangs erwähnt- auf Initiative der Finanzkammern der Österreichischen Diözesen durch Prof. Dr. Hans Paarhammer die Dokumentation mit dem Titel "Kirchliches Finanzwesen in Österreich- Geld und Gut im Dienste der Seelsorge" erschienen. In gut fundierten Beiträgen werden historisch und sachlich viele Fragen, Wege und Einwände zu diesem Problemkreis behandelt und der Öffentlichkeit vorgestellt. So wird das Werk für Österreich sicher von großer Bedeutung sein und bleiben. Über Österreich hinaus sieht man in europäischen Ländern zumeist mit einer gewissen Skepsis auf das Österreichische Beitragssystem. Das sei eben die Österreichische Variante der Einkommensbeschaffung, mehr aber nicht. Dieses System habe Österreich selber ja gar nicht gewollt, sondern sei der Kirche durch ein diktatorisches Gewaltregime aufgezwungen worden. All diese Jahrzehnte- so meint man- konnte es nur mit einer gewissen Mühe aufrecht erhalten werden, immer wieder wurde es von verschiedenen Seiten in Frage gestellt. Wenn es auch den kirchlichen Finanzbedarf ausreichend zu decken vermochte, so kann man doch nicht übersehen, daß es gesamtösterreichisch doch Hunderttausende sind, die mit dem System ihre Schwierigkeiten haben. Die auf- und niedergehende Zahl der Kirchenaustritte hat zwar sehr vielfache Ursachen, in vielen Fällen ist aber ein Zusammenhang mit dem KB nicht abzustreiten. Jedenfalls ist der Kirchenaustritt eine ernste Sorge der Kirche Österreich~. 2. Wird nun die dargelegte Argumentation zum Kirchenbeitrag über Österreich hinaus Interesse finden? Etwa in den Ländern, die seit langem eine Kirchensteuer einheben oder in der Hauptsache von staatlichen Zuschüssen leben? Oder in Ländern, wo vorwiegend sogenannte freie Spenden und Gaben der Gläubigen in gewohnheitsmäßig gewachsener Form den kirchlichen Bedarf abzudecken vermögen oder gar noch ansehnliche Erträgnisse aus kirchlichem Realbesitz, als aus Grund und Boden, für die kirchlichen Bedürfnisse zur Verfügung stehen? Die Systeme der Bedarfsdeckung sind zwar in ihrer Art und Herkunft sehr verschiedenartig, haben doch auch manches gemeinsam. Jedes Finanzierungssystem kommt aus einem je eigenen Umfeld und ist nur in diesem Zusammenhang zu erklären und durchzuhalten. Sie sind immer in die Gesamtwirtschaft eines Landes eingebunden und mit der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes engst verknüpft. Sie
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haben alle ein gewisses Beharrungsvermögen und sind nicht so leicht gegeneinander auszuwechseln. Sie werden immer wieder einmal zur Diskussion gestellt, kommen dann und wann ins politische Kreuzfeuer, müssen immer wieder reorganisiert und den Zeitumständen angepaßt werden. Mehr noch als die Form der Einkommensbeschaffung selber ist es die Effektivität, die auf dem Prüfstand steht. Es geht um die Frage: Ist die kirchliche Bedarfsdeckung wirklich in befriedigender Weise gesichert? Ist der standesgemäße Unterhalt des Klerus garantiert? Ist die Anstellung und Besoldung von notwendigen Laienkräften gewährleistet in Verwaltung, Organisation und Seelsorge und Bildungswesen? In welcher Weise werden die baulichen Aufgaben- sei es Neubauten, Erhaltung und Restaurierung -finanziell abgedeckt oder etwa vernachlässigt? Wie steht es um den Baubefund aller kirchlichen Gebäude im sakralen und profanen Bereich? Und schließlich die ernstzunehmende Frage: Kann die Kirche in den zu ihrem Wesen gehörigen Aufgaben frei abwägen und entscheiden, oder bestehen belastende Abhängigkeiten gegenüber staatlichen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Größen und Instanzen? Wenn wir in den westlichen Industrieländernall diesen Fragen kritisch nachgehen wollten, so könnten wir jedenfalls feststellen: Die Kirche Österreichs steht in einer solchen Umschau nicht schlecht da. Das ist das Ergebnis dieser 50 Jahre. Es wäre reizvoll, reihum Wertungen und Vergleiche anzustellen, dazu fehlen leider die nötigen Unterlagen und Statistiken. In Folge der ausgedehnten Touristik aber bilden sich heute weite Schichten des Volkes selbst ein Urteil auch über die finanzielle Lage der Kirche eines Landes, etwa der Bundesrepublik oder der Schweiz, von Italien und Frankreich, von ::>panien oder Griechenland, von Schweden oder Großbritannien. Am Sonntag der Weltmission sammelt die Kirche weltweit bei allen Gottesdiensten für jene Diözesen, die nicht in der Lage sind, sich aus eigenem zu erhalten. Ihre Zahl wird mit etwa 1000 angegeben. Die Kirche Österreichs ist in der Lage, sich selbst zu erhalten. Darüber hinaus fließen noch ansehnliche Mittel durch die päpstlichen Missionswerke, durch Orden oder Patenschaften hinaus in Zonen, wo die Kirche arm, ja in aller Form notleidend ist. 3. In diesen Monaten wendet sich unser Auge infolge der umstürzenden Ereignisse vorzüglich in die Länder des Ostens, zu den Kirchen des kommunistischen Machtbereiches. Wir leben und leiden mit der Kirche in der DDR, der CSSR und von Polen, von Ungarn, Jugoslawien, Albanien, Bulgarien und Rumänien, schließlich von Rußland vordringlich mit den Krisengebieten der Ukraine und der Baltischen Staaten. Es ist bekannt, daß in der DDR die katholische und evangelische Kirche bereits eine Umlage von ihren Gläubigen in der Form des Österreichischen
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KB erhebt, freilich ohne die Möglichkeit der gerichtlichen Klage. Die Kirchen in Polen, in Ungarn und Litauen sind sich bereits heute sehr deutlich bewußt, daß die Demokratisierung des politischen Lebens und die Liberalisierung der Wirtschaft für die Kirche Auswirkungen größten Ausmaßes bringen wird, gerade auch für die Finanzlage der Kirche. Wenn nämlich die Kirche nicht mehr eine verfolgte Kirche ist, sondern mehr und mehr Freiheit erlebt, wenn die Menschen durch die Belebung der Wirtschaft mehr Konsumgüter bekommen, so ist damit zu rechnen, daß die bislang großzügige Spendentätigkeit schrumpft und die Kirche zur Deckung der vielfältigen Bedürfnisse nicht mehr das notwendige Geld aufbringt. Man hält darum seit Jahren Umschau nach Modellen, Wegen, Praktiken, die für eine freie Kirche der Zukunft gangbar sein könnten. Und hier sieht man mit besonderem Interesse nach Österreich. Für die Kirche in den Oststaaten drängen sich die folgenden Überlegungen in dieserwelthistorisch bedeutsamen Umbruch-Situation auf: a) Es wird notwendig sein, die Katholiken in ihrer Gesamtheit zu einer Art von Pflichtbeitrag zu motivieren, weil die freie Spendentätigkeit nicht mehr ausreicht. b) Man wird Wege suchen und finden müssen, die Katholiken zu einem Beitrag gemäß ihrem jeweiligen Einkommen zu bewegen, weil nur dies auf die Dauer für den Bedarf genügen und die Spender selber befriedigen kann. c) Für Veranlagung und Einhebung der Beiträge muß die Kirche eigene Organe bereitstellen. Für eine Heranziehung des staatlichen Apparates fehlt jegliches Vertrauen. Was Freiheit für die Kirche wert ist, wissen die Kirchen des Ostens aus leidvoller Erfahrung. d) Eine solche Umlagenerhebung einzuführen ist sicher sehr schwer und problematisch. Es schiene uns günstig, die Phase des Aufatmens im Erleben der neuen Freiheit dafür zu nützen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Kar! Lehmann, schrieb zum Thema und zur Bedeutung des Kongresses in Königstein im Jahr 1989:" ... ,Christen im Osten- Hoffen auf Europa ?' -unter dieses Thema haben Sie den diesjährigen Kongreß gestellt. Die Lage der Gläubigen in den Staaten Osteuropas ist in Bewegung geraten -wie die Gesellschaft dort in ihrer Gesamtheit. Zugeständnisse der Herrschenden, für die zwei Generationen von Christen gebetet und gelitten haben, stellten sich in einigen Ländern dort in erstaunlichem Umfang ein. Solange die künstlich aufrechterhaltene Abgrenzung zu Westeuropa unüberwindlich schien, war die Kirche, und hier besonders die katholische Kirche, eines der wichtigsten Hoffnungszeichen für die Bewahrung der geistigen Einheit Europas. Heute, da der Eiserne Vorhang an vielen Stellen durchlässig geworden ist, dürfen gerade die Christen im Westen 41 Pax et lustitia
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die Hoffnungen dieser Menschen nicht enttäuschen. Erst jetzt zeigt sich doch oft, wie sehr sich Denkweise und Lebensstil im Westen und im Osten auseinandergelebt haben und zur Quelle neuer Vorurteile und Entfremdungsprozesse werden können. Die Botschaft, die die Kirche verkündet, vollendete einst die Grundlage der europäischen Kultur. Als Kirche sind wir heute an diesem vielleicht entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte Europas mehr denn je aufgerufen, Zeichen und Werkzeug der Einheit unter den Menschen zu sein ... " Prof. Dr. Adolf Hampel (Hungen) hat im Schlußvortrag des Kongresses festgestellt: ,.Das Gebot der Stunde für die Christen Europas ist es nicht, sich angesichts des Bankrotts des Sozialismus triumphalistisch zu berauschen. Die Probleme unserer Kirchen, unserer Gesellschaft, unserer Menschheit sind zu groß, als daß wir uns selbstgefällig ausruhen könnten." Es ist darum wohl keine Träumerei und kein Zweckoptimismus, sondern vielleicht eine realistische Vorahnung: Die Darstellung über das Finanzwesen der Kirche in Österreich ist nicht nur für unsere Österreichische Kirche bedeutungsvoll, sondern sie könnte ein Dienst an der Weltkirche werden, eine Gabe vor allem für unsere Brüder im Glauben hinter dem nunmehr zerbröckelnden eisernen Vorhang. Sie sind auf dem Weg in eine neue Freiheit, in eine neue Epoche ihrer Geschichte, die zu gestalten für sie eine Herausforderung sondergleichen sein wird.
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MARKGRAF LEOPOLD VON ÖSTERREICH• Von Opilio Kardinal Rossi, Rom Der Babenberger Markgraf Leopold, der vor etwas mehr als fünfhundert Jahren, nämlich am 6. Jänner 1485, heiliggesprochen wurde, ist der österreichischste aller Heiligen unserer Kirche. Er ist der Patron des Landes Niederösterreich, in dem auch der Bischofsstuhl Seiner Exzellenz, des hochwürdigsten Herrn Militärordinarius Dr. Alfred Kostelecky steht. Er war der Landesvater des Herzstückes Niederösterreichs, und das bedeutet mehr als nur sein Herrscheramt .,Leopoldus, Markgraf von Austria, wurde der Fromme genannt, und nicht ohne Verdienst", heißt es in der Chronik von Klosterneuburg, dieses schon damals berühmten Stiftes, das ihn als Gründer verehrt. Halten wir zuerst inne bei dem Wort .,Markgraf", dem Titel, der ihn als Landesfürst ausweist, zugleich als einen der maßgeblichen Männer im Reich. Im Vokabular unserer Tage könnten wir Leopold einen führenden Politiker, einen Staatsmann von Rang nennen. Seine politischen Schritte und Entscheidungen im einzelnen zu erforschen, zu deuten und zu beurteilen, ist Sache der Historiker, nicht des Seelsorgers. Uns hingegen bewegt die Frage: Was kann und soll der Markgraf des elften und zwölften Jahrhunderts den Menschen und insbesondere den politisch Verantwortlichen in einem demokratischen Staatsgefüge des späten zwanzigsten Jahrhunderts sagen und bedeuten? Für Leopold bestand nicht der geringste Zweifel dar an, daß er sein Herrscheramt unmittelbar dem Auftrag Gottes verdankte. Der Politiker von heute empfindet sich mit Recht dem Volk verpflichtet, von dem er gewählt ist und von dem der Verfassung gemäß alle Macht ausgeht. Aber es wäre eine falsche und gefährliche Schlußfolgerung, der gewählte Politiker unserer Zeit sei deshalb von der Verpflichtung und Verantwortung gegenüber Gott, dem Herrn, unabhängig; er bedürfe nicht der Gnade. Christliche Politiker in unserer Zeit - Männer und Frauen, Mandatare in lokaler oder staatsweiter Funktion- wissen um ihre Mündigkeit. Doch diese beinhaltet ja gerade, daß sie unter erschwerten Umständen besonders sensibel auf die Stimme ihre Gewissens zu hören haben - eines Gewissens, das ihnen als hohes Gut • Der Beitrag basiert auf einer Homilie, die S. E. Opilio Kard. Rossi am 6. Jänner 1985 im Stift Klosterneuburg anläßlich des Hochamtes zum 500. Jahrestag der Heiligsprechung des Markgrafen Leopold gehalten hat.
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gegeben ist und das zu pflegen und zu bilden sie verpflichtet sind. Dieses Gewissen zu orientieren und zu messen an der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche bedeutet nicht Beeinträchtigung der Freiheit, sondern- ganz im Gegenteil- Stütze und Hilfe zu seiner vollen Entfaltung. Besonders diejenigen, denen mit der Verantwortung auch ein großes Maß an Macht übertragen wurde, dürfen niemals außer acht lassen, daß zu ihrem Selbstverständnis und ihrem Dienst auch das Erkennen und Respektieren der göttlichen Ordnung gehört. Markgraf Leopold ist hierin ein nachahmenswertes Beispiel: Weil das Motiv auch seines politischen Handeins letztlich im Glauben verankert war, hat er sich immer wieder einer strengen Selbstprüfung gestellt. So ist ihm das Regieren auch nie zu einer Routine des Privilegierten geworden. Im rein menschlichen Sinne .,anständig" zu sein, immun gegen Korruption, Machtmißbrauch, fair in der politischen Auseinandersetzung, und die Menschenwürde jedes Mitbürgers zu respektieren- das muß für den christlichen Politiker selbstverständlich sein. Aber er ist aufgerufen, darüber hinaus Gottes Plan mit Menschheit und Schöpfung zum Tragen zu bringen. Der mittelalterliche Markgraf mag gerade hierin das Vorbild sein. Leopold der Heilige war, wie die jüngsten Babenberger-Forschungen bestätigen, der Vater einer großen Familie. Wir wissen, daß seine Ehe mit der Kaisertochter und Kaiserschwester Agnes auch aus reichspolitischen Motiven geschlossen worden ist und doch zu einer beispielhaften Gemeinschaft wurde. Papst Johannes Paul II. hat bei seinem Gedenken an die heilige Hedwig einmal einen Gedanken geäußert, der sehr wohl auch für Leopold gilt. Wenn nämlich die Menschen vergangeuer Zeit oftmals ihre Ehen nicht in freier Wahl geschlossen haben, sondern sich in Entscheidungen fügen mußten, an denen sie kaum Anteil hatten, und doch daraus vorbildliche liebende Gemeinschaften erwuchsen, die ausgestrahlt haben in die gesamte Umwelt- um wieviel mehr sind Ehepaare von heute, die frei und bewußt zueinander gefunden haben, dazu verpflichtet, als Christen Vorbilder in ehelicher und elterlicher Liebe zu sein! Der Landesvater Leopold war beispielgebend auch als Familienvater. Das gilt nicht nur für seine Zeit, sondern sollte auch hineinstrahlen in unsere Gesellschaft, die man- traurigerweise zu recht- eine .,vaterlose" nennt. Gewiß wurde er zu seiner Zeit von einem Vaterverständnis getragen, das manches erleichterte. Doch seine Pflichten als Landesherr und Reichsfürst, seine häufige Abwesenheit vom Markgrafenhof, eine Fülle von politischen Aufgaben hätten auch seinen Familiensinn zerstören können. Wer auf ihn schaut, wird berufliche Überlastung kaum als Entschuldigung für die Vernachlässigung der väterlichen Aufgaben geltend machen können. Fernab aller romantischen Verklärung des Lebens an einem mittelalterlichen Markgrafenhof läßt sich an der Lebensgestaltung und Lebensbewältigung unserer Heiligen vieles ablesen, das über Jahrhunderte hinweg gültig
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bleibt. Möge die Fürsprache des Landespatrons hineinwirken in die Österreichische Gegenwart und unser Volk erneut die Wertschätzung familiärer Gemeinschaft lehren. Leopold, Markgraf von Österreich, wurde schon zu Lebzeiten .. der Fromme" genannt. Wenn wir ehrlich sind, werden wir zugeben müssen, daß dieser Beiname heute nicht vielen Christen erstrebenswert scheint, besonders wenn sie als Laien mitten in der Welt stehen. Es mag ja sein, daß dem Wort .. fromm" etwas von der Süßlichkeit, ja Bigotterie und Weltuntüchtigkeit anhaftet, die ihm im vergangenen Jahrhundert zugeschrieben worden ist. Es mag aber auch von einer oberflächlichen, ja falschen Unterscheidung der Rolle von Laien einerseits, Priestern und Ordensleuten andererseits herrühren, daß Frömmigkeit nur den Männern und Frauen geistlichen Standes zugedacht wird. Dieser Trugschluß ist um so erstaunlicher, als gerade in unseren Tagen eine theologisch zutreffende Zeichnung des Laien von so vielen in Angriff genommen wird. Und wieder zeigt sich uns der heilige Leopold, über Jahrhunderte hinweg und unter Berücksichtigung der vielen seither erfolgten gesellschaftlichen Veränderungen, als Vorbild. Er stand in der Welt, um in den irdischen Dingen seinen Beitrag zur Verwirklichung der Botschaft Jesu Christi zu leisten. Als ein zutiefst Gläubiger und Frommer hat er seine Sendung in der Geschichte ausgeübt. In der Demokratie unserer Tage kann und soll jeder Christ teilnehmen an der christlichen Gestaltung von Gesellschaft und Welt, im engsten persönlichen und beruflichen Umfeld ebenso wie in den politischen Lebenskreisen, in denen er steht. Nützen katholische Laien diese Möglichkeit genügend, um dem göttlichen Auftrag, der an sie ergeht, wirklich gerecht zu werden? Besteht nicht die Gefahr, daß dieselben Katholiken, die innerkirchlich ihre Mündigkeit betonen, gegenüber dem weltlich-gesellschaftlichen Bereich zurückgezogen und still darauf warten, daß Papst, Bischöfe und Priester die Initiative ergreifen? Ist es nicht oft so, daß das auch nach außen hin sichtbare Christsein sich auf die Erfüllung der Sonntagspflicht beschränkt, in der Alltags- und Berufswelt aber verdrängt wird? Es geht darum, die Auferstehungsbotschaft des Herrentages in das ganze, ungeteilte Leben hinauszutragen, wie es einstens der Markgraf getan hat, den sie den Frommen nannten. Markgraf Leopold als Modell für die Laien auch unserer Zeit: Das bedeutet nicht, eine gewaltsame Aktualisierung einer historischen Persönlichkeit vorzunehmen, sondern eine bleibende Realität zu würdigen und daraus die Konsequenzen zu ziehen. Zum Abschluß soll noch auf etwas verwiesen werden, das untrennbar zur Person und zum Wesen des Heiligen Leopold als vorbildlichen Laien gehört und das gerade an dieser Stätte nicht unerwähnt bleiben kann. Zwei Söhne
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des Markgrafen sind der Berufung zum Priestertum gefolgt, Otto von Freising als Ordensmann und zuletzt Bischof von Freising, Konrad als Weltpriester und zuletzt Erzbischof von Salzburg. Ohne den Stellenwert der gesellschaftlichen Verhältnisse des zwölften Jahrhunderts auszuklammern, wird man doch zu der Fe5tstellung kommen, daß die gläubige Atmosphäre des Elternhauses das Fundament für den geistlichen Lebensweg der Söhne gelegt hat. So sind Leopold und seine Gattin Agnes auch Zeugen der Verantwortung der Laien für den Priesterberuf - einer Verantwortung, die in unserer Ära des Priestermangels erst recht aktuell ist. Gewiß, die Berufung zu Priesteramt und Ordensleben ist ein Gnadenruf Gottes- aber den Weg zu bereiten, ist nicht die geringste unter den Aufgaben christlicher Väter und Mütter. Leopold, der Politiker, der Familienvater, der katholische Laie: das sind drei Aspekte des Lebens eines großen Heiligen, die in direkter Beziehung stehen zum Leben und zur Realität im Österreich von heute und morgen. Haben wir doch keine Angst davor, das Beispiel dieses Mannes anzunehmen- auch wenn irgendjemand aus purer Verständnislosigkeit uns bloßer Orientierung an lang Vergangenern bezichtigen könnte. Seien wir vielmehr glücklich und dankbar, daß auch aus diesem Lande Bleibendes und zeitlos Gültiges gewachsen ist, und streben wir nach dem, was uns sein Vorbild lehrt. Es ist wahrhaftig nicht wenig!
VERZEICHNIS DER HERAUSGEBER UND MITARBEITER
Felix Ermacora, Dr. iur., Abgeordneter zum Österreichischen Nationalrat, 0. Univer-
sitätsprofessor für Staatslehre und österreichisches Verfassungsrecht, Verwaltungslehre und österreichisches Verwaltungsrecht an der Universität Wien.
Gerhard Fahrnberger, Mag. theol., Dr. iur. can., Monsignore, Konsistorialrat, Dom-
kapitular, Hochschulprofessor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten, Offizial des bischöflichen Diözesangerichtes St. Pölten.
Karl-Theodor Geringer, Dr. iur., lic. iur. can., Universitätsprofessor für Kirchenrecht
an der Universität München.
Peter Gradauer, Dr. theol., Dr. iur. can., Prälat, Kanonikus, Domkapitular, tit. Ao.
Hochschulprofessor für Kanonisches Recht an der Katholisch-Theologischen Hochschule Linz, Offizial des bischöflichen Diözesangerichtes Linz.
P. Stephan Haering OSB, Mag. theol., Dr. theol., Rechtsreferent der Bayerischen
Benediktinerkongregation.
Johann Heimerl, Dr. theol., Dr. iur. can., Univ.-Doz. (0. Universitätsprofessor i.R.) für
Kirchenrecht an der Johannes Kepler Universität Linz.
Pranz Kardinal Hengsbach, Dr. theol., Dr. theol. h.c., Dr. iur. h.c., Dr. hum. h.c., Bischof
von Essen, ehemaliger Militärbischof für die Bundesrepublik Deutschland.
Johann Hirnsperger, Dr. theol., Universitätsassistent am Institut für Kirchenrecht der
Universität Salzburg.
Ferdinand Holböck, Dr. theol., lic. phil., Prälat, Domkapitular, em. 0. Universitäts-
professor für Dogmatik an der Universität
Salzbur~.
Felix Jonak, Dr. iur., Ministerialrat, Leiter des Kultusamtes im Bundesministerium
für Unterricht, Kunst und Sport.
Hans Walther Kaluza, Dr. iur., Hofrat des Bundesamtes für Eich- und Vermessungs-
wesen, Honorarprofessor für Technisches Recht an der Universität für Bodenkultur Wien, Ehrenpräsident der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände.
Rudolf Kirchschläger, Dr. iur., Dr. h. c. mult., Altbundespräsident der Republik
Österreich.
Hans R. Klecatsky, Dr. iur., Bundesminister für Justiz a.D., 0. Universitätsprofessor
für Öffentliches Recht an der Leopold-Franzens-Universität lnnsbruck.
Alfred Klose, Dr. iur., Dr. rer. pol., Dr. phil., Univ.-Doz., tit. Ao. Universitätsprofessor
für Gesellschaftspolitik und politische Theorie an der Universität Wien, Rechtskonsulent der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft.
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Verzeichnis der Herausgeber und Mitarbeiter
Heribert Franz Köck, Dr. iur., M.C.L., 0. Universitätsprofessor für Völkerrecht an der
Johannes Kepler Universität Linz, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät.
Elmar Maria Krede/, Dr. theol., Bischof von Bamberg, Militärordinarius für die Bun-
desrepublik Deutschland, Mitglied des zentralen Büros für die pastorale Koordination der Militärordinariate.
Klaus Küng, Dr. med. univ., Dr. theol., Bischof von Feldkirch. Stefan Lasz/6, Dr. theol., Dr. iur. can., Dr. theol. h.c., Bischof von Eisenstadt Peter Leisching, Dr. iur., 0. Universitätsprofessor für Kirchenrecht an der Leopold-
Franzens-Universität Innsbruck.
Maximilian Liebmann, Dr. theol., 0. Universitätsprofessor für Kirchengeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz. P. Lothar Lies S. J., Dr. theol., 0. Universitätsprofessor für Dogmatik und Ökumeni-
sche Theologie an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.
Joseph List/, Dr. iur., Universitätsprofessor für Kirchenrecht an der Universität Augs-
burg, Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Bonn.
P. Emmanuel Longin-Moederndorff, Dr. theol., Militärkurat der Militärpfarre beim
Militärkommando Kärnten.
Kar/ Majcen, Divisionär, Militärkommandant von Wien, Präsident der Arbeits-
gemeinschaft Katholischer Soldaten.
Siegbert Morscher, Dr. iur., 0. Universitätsprofessor für Öffentliches Recht an der
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.
Johannes Paarhammer, Dr. theol., Konsistorialrat, Domkapitular, 0. Universitäts-
professor für Kirchenrecht an der Universität Salzburg, Dekan der KatholischTheologischen Fakultät, Offizial des Diözesan- und Metropolitangerichtes Salzburg.
Peter Pernthaler, Dr. iur., 0. Universitätsprofessor für Verfassungs- und Verwaltungs-
recht an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.
Pia Maria Plechl, Dr. phil., Stv. Chefredakteur der Wien er Tageszeitung .. Die Presse", Vizepräsidentin des Katholischen Laienrates Österreichs, ehern. Mitglied des Päpstlichen Rates für die Laien. Franz Pototschnig, Mag. theol., Dr. iur., 0. Universitätsprofessor für Kirchenrecht an
der Universität Salzburg.
Richard Potz, Dr. iur., 0. Universitätsprofessor für Kirchenrecht an der Universität
Wien.
Robert Prantner, Dr. theol., Dr. rer. pol., Dr. h.c., Ao. Gesandter und bevollmächtigter
Minister des Souveränen Malteser-Ritterordens, Hochschulprofessor für Ethik und Gesellschaftslehre an der Philosophisch-Theologischen Hochschule öffentlichen Rechts des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz, NÖ., Studienleiter an der Politischen Akademie der Österreichischen Volkspartei.
Verzeichnis der Herausgeber und Mitarbeiter
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Ernst Pucher, lic. iur. can., Mag. theol., Dr. iur., Monsignore, Kanzler des erzbischöflichen Ordinariats Wien. Joseph Kardinal Ratzinger, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Präsident der Päpstlichen Bibelkommission und der Internationalen Theologischen Kommission. Manfried Rauchensteiner, Dr. phil., Univ.-Doz. für Österreichische Geschichte an der Universität Wien, Leiter des Referates Militärhistorischer Dienst im Bundesministerium für Landesverteidigung.
Sebastian Ritter, Dr. iur. can., Prälat, Konsistorialrat, Domkapitular, Direktor der erzbischöflichen Finanzkammer Salzburg. Opilio Kardinal Rossi, Präsident der Kardinalskommission für die päpstlichen Heiligtümer in Pompeji, Loreto und Bari und des Päpstlichen Komitees für die Internationalen Eucharistischen Kongresse; Apostolischer Nuntius in Österreich 19611976.
Herbert Schambeck, Dr. iur., 0. Universitätsprofessor für Öffentliches Recht, Politische Wissenschaften und Rechtsphilosophie an der Johannes Kepier Universität Linz, Vizepräsident des Österreichischen Bundesrates. Johann Schima, Dr. iur., Senatspräsident des Verwaltungsgerichtshofes. Helmut Schnizer, Dr. iur., 0. Universitätsprofessor für Kirchenrecht und Römisches Recht an der Karl-Franzens-Universität Graz. Hannes Schopf, Chefredakteur der Wochenzeitung .Die Furche".
Kar/ Schwarz, Dr. theol., Univ.-Doz. für Kirchenrecht an der Universität Wien. Hugo Schwendenwein, Dr. iur., Dr. iur. can., 0. Universitätsprofessor für Kirchenrecht an der Kari-Franzens-Universität Graz. Johannes Singer, lic. phil., lic. theol., Dr. theol., Monsignore, Prälat, 0. Hochschulprofessor für Fundamentaltheologie, Rektor der Katholisch-Theologischen Hochschule Linz. Sigmar Stad/meier, Mag. iur., Universitätsassistent am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Johannes Kepler Universität Linz. Reinhold Stecher, Dr. theol., Bischof von Innsbruck. Ernst Waldstein-Wartenberg, Präsident des Katholischen Laienrates Österreichs. RudolfWeiler, Dr. theol., Dr. rer. pol., Monsignore, 0. Universitätsprofessor für Ethik und Sozialwissenschaften an der Universität Wien.