Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligungsgesetz: Die Beteiligung des Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr [1 ed.] 9783428529551, 9783428129553

Auslandseinsätze der Bundeswehr stellen ein fortwährend aktuelles Thema dar, das auch in Zukunft weiter an Bedeutung gew

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Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligungsgesetz: Die Beteiligung des Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr [1 ed.]
 9783428529551, 9783428129553

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Beiträge zum Parlamentsrecht Band 66

Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligungsgesetz Die Beteiligung des Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr

Von

Tobias M. Wagner

Duncker & Humblot · Berlin

TOBIAS M. WAGNER

Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligungsgesetz

Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von

Ulrich Karpen, Heinrich Oberreuter, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Berndt Oschatz, Hans-Peter Schneider

Band 66

Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligungsgesetz Die Beteiligung des Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr

Von

Tobias M. Wagner

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 978-3-428-12955-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Ilva

Vorwort Die Arbeit hat der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg im Sommersemester 2008 als Dissertation vorgelegen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2008 zum AWACS-Einsatz in der Türkei wurde berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Ulrich Hufeld, der die Arbeit angeregt, betreut und durch wertvolle Hinweise gefördert hat und das Erstgutachten in kürzester Zeit angefertigt hat. Frau Prof. Dr. Ute Mager danke ich für die ebenso schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Zu großem Dank bin ich ferner der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und dem Auswärtigen Amt verpflichtet. Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat die Erstellung der Dissertation mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Das Auswärtige Amt hat die Drucklegung der Arbeit mit einem großzügigen Zuschuss unterstützt. Herzlicher Dank gebührt schließlich meiner Ehefrau Ilva, die mich während meiner Promotion durch gute und schwierigere Zeiten begleitet hat, und nicht zuletzt meinen Eltern, Christa und Wolfgang Wagner, die mir meine gesamte Ausbildung ermöglicht haben. Karlsruhe, im September 2009

Tobias M. Wagner

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Historischer Hintergrund und Einführung

13

I. Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Die AWACS-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Bundeswehreinsätze in Somalia und Jugoslawien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Die AWACS-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 III. Die Entstehung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 IV. Zielsetzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Zweiter Teil Der Parlamentsvorbehalt

21

I. Grundgesetz und Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Die Argumentation des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 a) Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 b) Die Wehrverfassung des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Die Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Die auswärtige Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Internationaler Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 c) Wesentlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 d) Art. 115a Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Das Verhältnis zu anderen Kontrollrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Allgemeine Kontrollrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Besondere Kontrollrechte auf dem Gebiet der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Haushaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

10

Inhaltsverzeichnis 4. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

III. Parlamentsvorbehalt und Übertragung von Hoheitsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Dritter Teil Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

44

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Streitkräfte und Polizeieinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Auslandseinsätze von Polizeieinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Parlamentarische Mitwirkung bei internationalen Polizeieinsätzen . . . . . . . . 47 c) Militärische und polizeiliche Einsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Bewaffneter Einsatz und bewaffnete Unternehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Bewaffnung des einzelnen Soldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 c) Defensive Einsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 d) Keine Beschränkung auf out-of-area-Einsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 e) Einsätze geringer Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Die Gefahr konkreter Kampfhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4. Das Erwarten einer bewaffneten Unternehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 5. Selbstverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Umgrenzung des Begriffs der Selbstverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 c) Militärspezifische Bewaffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 6. Humanitäre Einsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 7. Vorkommandos, Vorbereitende Maßnahmen und Planungen . . . . . . . . . . . . . . . . 66 8. AWACS-Einsätze und mittelbare Einbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Die AWACS-Verwendung in den USA im Jahr 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 aa) Meinungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Die AWACS-Verwendung in der Türkei im Jahre 2003/AWACS II . . . . . . . . 74 aa) Die AWACS II-Entscheidung/Einstweilige Anordnungen . . . . . . . . . . . . 74 bb) Die Rechtmäßigkeit des AWACS-Einsatzes in der Türkei . . . . . . . . . . . . 81 (1) Meinungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Inhaltsverzeichnis

11

(2) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (3) Das Urteil in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 9. Verwendung deutscher Soldaten in integrierten Verbänden und Stäben . . . . . . . . 85 II. Der Beschluss des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Einzelfallbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Bestimmtheit von Antrag und Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Einsatzbeschluss im Bündnisfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 c) Vorratsbeschlüsse und Vorwegverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 d) Vereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Das Initiativrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Bundesregierung als Kollegialorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Kein Initiativrecht des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Initiativrecht und Verpflichtungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 cc) Organadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 dd) Schlichter Parlamentsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Die Modifizierung eines Regierungsantrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Stimmen für ein parlamentarisches Abänderungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Initiativ- und Modifizierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Protokollerklärungen der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) Stimmen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 bb) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 cc) Nachträgliche Protokollerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 dd) Kompetenzzuweisung innerhalb der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . 121 d) Parlamentarische Protokollnotizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4. Das Rückholrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Gegner des Rückholrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Befürworter des Rückholrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 cc) Befürworter eines eingeschränkten Rückholrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Einschränkungen der Rückholrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

12

Inhaltsverzeichnis d) Beschlussfassung auf erneuten Antrag der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . 141 e) Rechtsfolgen des Rückrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5. Nachträgliche Zustimmung bei eil- und geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen . 142 a) Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 bb) Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 cc) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Geheimhaltungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 6. Das vereinfachte Zustimmungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Einsätze geringer Intensität und Tragweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Einsatzarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Verlängerung von Einsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Vierter Teil Rechtsschutz

165

I. Rechtsschutz gegenüber der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Organstreitverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Inzidente Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Rechtsschutz gegenüber dem Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Organstreitverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Abstrakte Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 I. Der Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 II. Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 III. Das parlamentarische Zustimmungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 IV. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

Erster Teil

Historischer Hintergrund und Einführung I. Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland Nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten die alliierten Siegermächte eine Politik der „völligen Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands“.1 Neben der vollständigen Demobilisierung der Wehrmacht und der Vernichtung der industriellen Rüstungskapazitäten sollte die gesamte Wirtschaft strukturell geschwächt werden.2 Der amerikanische Außenminister Byrnes schlug auf der Pariser Außenministerkonferenz im Jahre 19463 vor, die Entmilitarisierung für 25 oder 40 Jahre aufrechtzuerhalten.4 Eine Wiederbewaffnung Deutschlands oder zukünftige Auslandseinsätze einer deutschen Armee waren zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar. Der spätere Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) erklärte gar, dass jedem Deutschen, der jemals wieder ein Gewehr in die Hand nehme, der Arm verdorren solle.5 Aufgrund der sich wandelnden politischen und strategischen Lage der beiden Weltmächte USA und UdSSR begann in den Jahren 1948/1949 in amerikanischen, britischen und deutschen Militärkreisen eine Diskussion über einen deutschen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas.6 Die von der Sowjetunion ausgehende Bedrohung ließ die von Deutschland ausgehende Gefahr immer mehr in den Hintergrund treten.7 Das am 23. Mai 1949 verkündete Grundgesetz enthielt noch keine die Wiederbewaffnung betreffenden Klauseln, da die alliierten Vorbehaltsrechte militärische Aktivitäten Deutschlands verboten.8 Die Diskussion um eine Remilitarisierung erhielt jedoch Nahrung, als im Juni 1950 der Korea-Krieg ausbrach. Der Einmarsch nordkoreanischer Truppen in Südkorea ließ auch in Europa einen neuen Krieg möglich erschei1

Vgl. das „Potsdamer Abkommen“ vom 02. 08. 1945, Teil 3, A, 3., (I.). Vgl. Behnen, Lexikon der deutschen Geschichte, 2. Band, Stichwort: Demilitarisierung, S. 135. 3 1. Sitzungsperiode: 25.04.–16. 05. 1946; 2. Sitzungsperiode 15.06.–12.07.1946. 4 Lehmann, Deutschland-Chronik, S. 22; Elze/Repgen, Studienbuch Geschichte, Band 2, S. 610. 5 www.franz-josef-strauss.de. 6 Vgl. Behnen, Lexikon der deutschen Geschichte, 2. Band, Stichwort: Wiederbewaffnung (Bundesrepublik), S. 662. 7 Gebhardt/Wolfrum, Handbuch der deutschen Geschichte, Band 23, S. 153. 8 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 87a, Rn. 2; Behnen, Lexikon der deutschen Geschichte, 2. Band, Stichwort: Wehrverfassung (Bundesrepublik), S. 655. 2

14

1. Teil: Historischer Hintergrund und Einführung

nen. Die Amerikaner sprachen jetzt offen aus, dass Westeuropa ohne die Aufstellung deutscher Truppen nicht zu verteidigen sei.9 Dennoch stieß eine deutsche Remilitarisierung insbesondere in Frankreich, aber auch in Deutschland auf scharfe Ablehnung. Erst nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) im August 1954 wurde mit den Pariser Verträgen vom 23. Oktober 1954 eine Lösung gefunden, die den Bedenken Frankreichs durch Rüstungskontrolle und einem deutschen Verzicht auf ABC-Waffen Rechnung trug. Am 9. Mai 1955 wurde die Bundesrepublik Deutschland als 15. Mitglied in die NATO10 aufgenommen. Auch innenpolitisch konnte Bundeskanzler Konrad Adenauer seinen Plan zur Wiederbewaffnung Deutschlands gegen eine breite Oppositionsbewegung durchsetzen.11 Gestärkt durch seinen Sieg bei der Bundestagswahl am 6. September 1953 bildete Adenauer eine Koalition aller bürgerlichen Bundestagsparteien, die zusammen über eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag verfügten.12 Gegen die Stimmen der SPD verabschiedete der Bundestag am 26. Februar 1954 die 1. Wehrergänzung des Grundgesetzes13, durch die in Art. 73 GG dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz in Verteidigungs-, Wehrpflicht- und Zivilschutzangelegenheiten zugewiesen wurde. Am 27. Februar 1955 ratifizierte der Bundestag – erneut gegen die Stimmen der SPD – die Pariser Verträge. Die Errichtung der Bundeswehr war damit beschlossene Sache. Durch das Ausscheiden des BHE14 aus der Regierungskoalition im Juli 1955 verlor die Regierung ihre bisherige Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Die Bundesregierung war nunmehr auf die oppositionelle SPD angewiesen, die jedoch zu einer Zusammenarbeit bereit war, um die „Demokratie bei den Streitkräften“ zu wahren.15 Mit ihrem Konzept einer „Parlamentsarmee“ nahm die SPD wesentlichen Einfluss auf die weitere Wehrgesetzgebung.16 Anders als die Reichswehr sollten die Streitkräfte in den demokratischen Rechtsstaat integriert und parlamentarisch kontrolliert werden.17 Mit Zustimmung der SPD verabschiedete der Bundestag am 6. März 1956 schließlich die 2. Wehrergänzung18, durch die die Wehrverfassung ins Grundgesetz eingefügt wurde.19 1968 wurde die Wehrverfassung durch das 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes – die sogenannte Notstands9

Pleticha, Deutsche Geschichte, Band 12, S. 99. North Atlantic Treaty Organisation. 11 Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, S. 232 ff. 12 Wahlergebnis der BT-Wahl vom 6. September 1953: CDU/CSU 45,2 %, SPD 28,8 %, FDP 9,5 %, BHE (Flüchtlingspartei) 5,9 %. 13 4. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, BGBl. 1954 I, S. 45. 14 Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (Flüchtlingspartei). 15 Lehmann, Deutschland-Chronik, S. 121. 16 Kleßmann, Zwei Staaten, eine Nation, S. 147. 17 Behnen, Lexikon der deutschen Geschichte, 2. Band, Stichwort: Wehrverfassung (Bundesrepublik), S. 655. 18 7. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, BGBl. 1956 I, S. 111. 19 Martens, Grundgesetz und Wehrverfassung, S. 19. 10

II. Die AWACS-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

15

verfassung – modifiziert. Dabei wurden die heutigen Regelungen zum Verteidigungsfall eingearbeitet.20

II. Die AWACS-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts21 1. Bundeswehreinsätze in Somalia und Jugoslawien Schon im Jahre 1960 begann die Bundeswehr, sich an internationalen Militäreinsätzen zu beteiligen. Seither hat die Bundeswehr weltweit an über 130 internationalen Einsätzen mitgewirkt. Der erste Einsatz betraf dabei Hilfsleistungen der Luftwaffe für die im Februar 1960 durch ein Erdbeben zerstörte Stadt Agadir in Marokko. Bei diesem und später folgenden Einsätzen handelte es sich zunächst ausschließlich um humanitäre Hilfsaktionen. Diese Einsatzbeschränkung lockerte sich mit Beginn der Neunzigerjahre. Während absolute militärische Zurückhaltung im geteilten Deutschland noch Staatsraison war22, konnte dies nach der Wiedervereinigung nicht mehr aufrecht erhalten werden. Der internationale Druck auf Deutschland, sich adäquat an internationalen Einsätzen zu beteiligen, wuchs beständig.23 Im Januar 1991 verlegte die Luftwaffe im Rahmen des sich anbahnenden Golfkrieges24 212 Soldaten und 18 Kampfflugzeuge des Typs „Alpha Jet“ nach Erhac in die Türkei, um einen Beitrag für den Schutz der Türkei vor Angriffen aus dem Irak zu leisten. Damit war erstmals die Grenze zum rein humanitären Einsatz überschritten. Die innenpolitische Frage, ob das Grundgesetz Auslandseinsätze der Bundeswehr zulässt und welche Instanz über einen Einsatz entscheidet, war damit aber noch keineswegs geklärt. Der eskalierende Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien und die durch rivalisierende Clans ausgelöste Hungersnot in Somalia heizten die innenpolitische Diskussion weiter an. Innerhalb eines Jahres kam es zu drei stark umstrittenen Entscheidungen der Bundesregierung. Am 15. Juli 1992 beschloss die Bundesregierung, eine gemeinsame Aktion von WEU und NATO25 zur Durchsetzung des von den Vereinten Nationen gegen Rest-Jugoslawien26 verhängten Waffen- und Handelsembargos27 zu unterstützen. Hierzu 20

Art. 115a ff. GG. BVerfGE 90, 286 ff. Für die Entscheidung sind verschiedene Bezeichnungen gebräuchlich – zum Teil wird sie auch Blauhelm-, Streitkräfte- oder Auslandseinsätze-Entscheidung genannt. 22 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt (2003), S. 9; Leicht, Expedition in Niemandsland, Die Zeit vom 14. 08. 2003 (Nr. 34). 23 Vgl. Schroeder, JuS 1995, S. 398 (399). 24 Auch zweiter Golfkrieg genannt; gemeint ist der im Januar/Februar 1991 zur Befreiung Kuwaits geführte Krieg zwischen dem Irak und einer von den USA angeführten Militärallianz. 25 Beschlüsse des NATO-Außenministerrats und des WEU-Ministerrats vom 10. 07. 1992 in Helsinki. 26 Serbien und Montenegro. 21

16

1. Teil: Historischer Hintergrund und Einführung

stellte sie drei Seeraumüberwachungsflugzeuge sowie den Zerstörer „Bayern“ bereit, der später durch die Fregatte „Niedersachsen“ abgelöst wurde. Im April 1993 hatte die Bundesregierung über zwei weitere Auslandseinsätze zu befinden. Gegenstand des ersten Beschlusses war die Durchsetzung eines vom VN-Sicherheitsrat angeordneten Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina.28 Am 2. April erklärte die Regierung gegen die Stimmen der FDP-Minister ihr Einverständnis, dass der zur Luftraumüberwachung eingesetzte NATO-AWACS-Verband29 auch unter deutscher Beteiligung an der Durchsetzung des Flugverbotes mitwirken dürfe. Der zweite Beschluss betraf die Beteiligung deutscher Soldaten an UNOSOM II, einer vom VN-Sicherheitsrat aufgestellten Streitmacht zur Herstellung friedlicher Verhältnisse in Somalia.30 Die Bundesregierung beschloss am 21. April, die Operation UNOSOM II durch Entsendung eines verstärkten Nachschub- und Transportbataillons zu unterstützen.31 Die Soldaten der Bundeswehr hatten dabei – unter Wahrung des Rechts auf Selbstverteidigung – ausdrücklich nicht die Aufgabe, militärischen Zwang anzuwenden oder bei der Ausübung solchen Zwangs durch andere mitzuwirken. Während die den Bürgerkrieg in Jugoslawien betreffenden Auslandseinsätze vollständig ohne Mitwirkung des Bundestages zustande kamen, nahm der Bundestag am 21. April einen Entschließungsantrag32 der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP an, wonach er der deutschen Beteiligung an UNOSOM II zustimme. Im Nachlauf der Regierungsentscheidungen kam es zu verschiedenen Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Die FDP-Bundestagsfraktion wandte sich gegen die deutsche Beteiligung an den über Bosnien-Herzegowina eingesetzten AWACS-Verbänden.33 Dies ist bemerkenswert, da die FDP selbst an der Regierung beteiligt war – auch wenn ihre Minister gegen den Einsatz gestimmt hatten. Die SPD-Bundestagsfraktion wandte sich gegen alle drei Auslandseinsätze.34 Zur Begründung trugen die Antragsteller vor, die Auslandseinsätze seien sowohl materiell als auch formell verfassungswidrig. Art. 87a Abs. 2 GG bestimme, dass die Bundeswehr außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden dürfe, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulasse. Auslandseinsätze seien in der Verfassung aber nicht vorgesehen. Jedenfalls sei die Bundesregierung nicht berechtigt, aus eigener Kompetenz über einen Auslandseinsatz zu entscheiden. Art. 115a Abs. 1 GG, der für diese Frage direkt oder analog anzuwenden sei, erfordere einen parlamentarischen Beschluss. 27

SR-Resolutionen Nr. 713 vom 25. 09. 1991 und Nr. 757 vom 30.05.1992. SR-Resolutionen Nr. 781 vom 09. 10. 1992 und Nr. 816 vom 31.03.1993. 29 AWACS ist die Abkürzung für ein luftgestütztes Frühwarn- und Leitsystem der NATO: Airborne Warning And Control System. 30 SR-Resolution Nr. 814 vom 26.03.1993. 31 Bulletin Nr. 32 vom 23. 04. 1993, S. 280. 32 BT-Drs. 12/4759. 33 Organstreit 2 BvE 5/93. 34 Organstreits 2 BvE 3/92 (Embargo-Überwachung), 2 BvE 7/93 (AWACS) und 2 BvE 8/93 (UNOSOM II). 28

II. Die AWACS-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

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2. Die AWACS-Entscheidung Bereits in einer einstweiligen Anordnung entschied das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer Folgenabwägung, dass der Bundeswehr-Einsatz in Somalia (UNOSOM II) vorläufig nur bei konstitutiver Zustimmung des Parlaments fortgeführt werden dürfe.35 Der am 21. April 1993 vom Bundestag angenommene Entschließungsantrag genügte dem Gericht hierfür nicht: „Während der Bundestag in seinen früheren Entschließungen die Bundesregierung in ihrer bereits getroffenen Entscheidung bestärkte und diese politisch bekräftigte, ohne selbst eine Entscheidungskompetenz zu beanspruchen, ist dem Bundestag nunmehr aufgegeben, in eigener Verantwortlichkeit zu bestimmen, ob und in welchem Umfang der Beschluß der Bundesregierung vom 21. April 1993 (…) bis zur Entscheidung der Hauptsache verwirklicht werden darf.“36

In seiner „AWACS-Entscheidung“ vom 12. Juli 199437 urteilte das Bundesverfassungsgericht schließlich, dass friedenssichernde Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen, der NATO und der WEU nach dem Grundgesetz grundsätzlich zulässig seien. Der Bundestag sei an der Einsatzentscheidung der Regierung aber zu beteiligen – bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr unterlägen der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Parlaments. Art. 24 Abs. 2 GG ermächtige den Bund, sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen und in die damit verbundenen Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einzuwilligen. Diese Ermächtigung biete die verfassungsrechtliche Grundlage für die Erfüllung der mit einem solchen System typischerweise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfänden.38 Neben den Vereinten Nationen seien auch die NATO und die WEU als Systeme kollektiver Sicherheit zu klassifizieren.39 Art. 87a Abs. 2 GG schließe den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems nicht aus – es sei nicht ersichtlich, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber durch nachträgliches Einfügen des Art. 87a GG bereits zugelassene Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte beschränken wollte.40 Für den militärischen Einsatz von Streitkräften sei dem Grundgesetz das Prinzip eines konstitutiven Parlamentsvorbehaltes zu entnehmen. Die grundgesetzlichen Re35 Für die AWACS-Einsätze in Bosnien-Herzegowina hatte das BVerfG eine einstweilige Anordnung noch abgelehnt, da der BRD schwere Nachteile drohten, wenn der Einsatz vorläufig untersagt würde, sich später aber herausstellte, dass er verfassungsrechtlich zulässig gewesen sei; BVerfG, Entscheidung v. 8.4.1993, 2 BvE 5/93 und 2 BvE 11/93. 36 BVerfGE 89, 38 (47). 37 BVerfGE 90, 286 ff. Zur Namensgebung der Entscheidung vgl. Fn. 21. 38 BVerfGE 90, 286 (345). 39 BVerfGE 90, 286 (349 ff.). 40 BVerfGE 90, 286 (355 ff.).

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1. Teil: Historischer Hintergrund und Einführung

geln über die Wehrverfassung sähen für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich eine Beteiligung des Parlaments vor. Die Verfassung sei darauf angelegt, die Bundeswehr als Machtpotential nicht allein der Exekutive zu überlassen, sondern als „Parlamentsheer“ in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzugliedern.41 Eine Grundsatzverantwortlichkeit des Parlaments für die Streitkräfte begründe insbesondere Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG, der die inhaltlichen Anforderungen des – die Streitkräfte betreffenden – Haushaltsplans steigere. Wie sich aus der Kompetenz zur Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115a Abs. 1 GG ergebe, weise das Grundgesetz dem Parlament auch konkrete Entscheidungen über die Verwendung der Streitkräfte zu. Der Parlamentsvorbehalt entspreche zudem seit 1918 deutscher Verfassungstradition.42

III. Die Entstehung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes Das Bundesverfassungsgericht erklärte schon in der AWACS-Entscheidung, dass es Sache des Gesetzgebers sei, die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten. Zwar gelte der Parlamentsvorbehalt ungeachtet näherer gesetzlicher Ausgestaltung unmittelbar kraft Verfassung. Jenseits der formulierten Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehaltes seien das Verfahren und die Intensität der Beteiligung des Bundestages in der Verfassung aber nicht im Einzelnen vorgegeben.43 Der Gesetzgeber ließ mit der Ausarbeitung eines Gesetzes jedoch auf sich warten. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gab es bis zum Jahre 2004 ca. 50 Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland, die ohne nähere gesetzliche Regelung gefasst wurden.44 Das Verfahren zur Beteiligung des Bundestages richtete sich ausschließlich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der entstandenen parlamentarischen Übung, die dem Gesetzgebungsverfahren nachgebildet worden war.45 Die Erfahrungen zeigten aber, dass Bedarf für verbindliche Regelungen bestand, auf die sich Bundestag und Bundesregierung einstellen und verlassen konnten.46

41

BVerfGE 90, 286 (381 ff.). Vgl. zur Begründung des BVerfG ausführlich unten 2. Teil, I. 1. 43 BVerfGE 90, 286 (389 f.). 44 BT-Drs. 15/2742, Entwurf eines Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz), Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, S. 1. 45 BT-Drs. 15/2742, S. 1. 46 BT-Drs. 15/1985, Entwurf eines Gesetzes zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr (Auslandseinsätzemitwirkungsgesetz), 12. 11. 2003, S. 1 und 4. 42

IV. Zielsetzung der Untersuchung

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Nach diversen Vorstößen und Entschließungsanträgen47 brachte die Bundestagsfraktion der FDP im November 2003 fast zehn Jahre nach dem Streitkräfteurteil als erste Fraktion einen Gesetzesentwurf für ein Auslandseinsätzemitwirkungsgesetz ein.48 Ziel des Entwurfes war es, Rechtssicherheit zu schaffen und den Anwendungsbereich des Parlamentsvorbehaltes schärfer zu fassen. Neben einem Rückholrecht des Bundestages, § 4 des Entwurfs, sah der Gesetzesentwurf die Schaffung eines besonderen Ausschusses für Auslandseinsätze vor, der bei Geheimhaltungsbedürftigkeit, Gefahr im Verzug oder bei Einsatz nur einzelner Soldaten anstelle des Bundestages entscheiden sollte, § 5 bis § 7 des Entwurfs. Anfang 2004 folgten die Regierungsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem Gesetzesentwurf zu einem Parlamentsbeteiligungsgesetz49. Anders als der FDP-Entwurf sah der Entwurf der Regierungsfraktionen keinen besonderen Entsendeausschuss vor. Stattdessen wurde für Einsätze geringer Intensität und Tragweite ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren vorgeschlagen, § 4 des Entwurfs. Bei Geheimhaltungsbedürftigkeit und Gefahr im Verzug sollte ein nachträgliches Zustimmungsverfahren zum Zuge kommen, § 5 des Entwurfs. Im Übrigen gab es zwischen den beiden Entwürfen keine wesentlichen Abweichungen. Dies war dem Umstand geschuldet, dass beide Entwürfe stark am Streitkräfteurteil ausgerichtet waren. Nach der Beratung beider Entwürfe in den Ausschüssen, verabschiedete der Bundestag am 3. Dezember 2004 in dritter Lesung den leicht veränderten Entwurf der Regierungsfraktionen.50 Die Verkündung im Bundesgesetzblatt erfolgte am 23. April 2005.51

IV. Zielsetzung der Untersuchung Die vorliegende Arbeit soll die Beteiligung des Bundestages bei der Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr aus verschiedenen Perspektiven durchleuchten. Zunächst werden die rechtlichen Grundlagen des Parlamentsvorbehalts untersucht (2. Teil). In diesem Rahmen werden auch andere Einflussmöglichkeiten des Parlaments wie das Budgetrecht und allgemeine Kontrollrechte besprochen. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Rechtslage nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz (3. Teil). Schließlich werden die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die verschiedenen Entscheidungsarten untersucht (4. Teil). 47 BT-Drs.14/9402 (12. 06. 2002) und 15/36 (06. 11. 2002), Entschließungsanträge der FDPFraktion, in denen die Bundesregierung aufgefordert wurde, ein „Gesetz zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ auszuarbeiten; Positionspapier der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen zum Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 03. 11. 2003, www.gruene.de. 48 BT-Drs. 15/1985. 49 BT-Drs. 15/2742. 50 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht – 15. Wahlperiode – 146. Sitzung, 03. 12. 2004, S. 13652. 51 BGBl. I 2005, 775.

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1. Teil: Historischer Hintergrund und Einführung

Auch wenn das Parlamentsbeteiligungsgesetz den Zweck hatte, Rechtssicherheit zu schaffen, lässt es viele durch die AWACS-Entscheidung entstandene Fragen offen. Dies ist darauf zurückführen, dass der Gesetzgeber vornehmlich die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts positiviert hat. Die über das Streitkräfteurteil hinausgehenden Präzisierungen lassen ihrerseits wieder viele Interpretationen zu. Soweit das Gesetz tatsächlich zur Lösung von Problemen – wie beispielsweise der Frage eines Rückholrechts – angesetzt hat, bleibt die Frage bestehen, inwieweit dem einfachen Gesetzgeber überhaupt das Recht zur verbindlichen Beantwortung zusteht. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt als solcher soll von der Arbeit nicht in Frage gestellt werden. Neben ausdrücklicher Zustimmung wurde dieser in der Literatur zwar großteils als „Erfindung“ des Bundesverfassungsgerichts scharf kritisiert.52 Trotz anhaltender Kritik an der Begründung wird die Existenz des Parlamentsvorbehalts inzwischen aber weitgehend akzeptiert.53 Wegen der den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zukommenden Bindungswirkung, § 31 BVerfGG, ist es für Praxis und Wissenschaft ergiebiger, die aus dem Parlamentsvorbehalt folgenden Fragen und Probleme in den Vordergrund zu stellen und die Kritik an der Begründung zurücktreten zu lassen.54 Nichtsdestotrotz behalten Kritik und Begründung des Parlamentsvorbehalts ihre Bedeutung für die Bestimmung des Umfangs der Zustimmungsbedürftigkeit. Die Arbeit geht zudem nicht der Frage nach, ob und wann Auslandseinsätze der Bundeswehr materiell-rechtlich zulässig sind. Auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz enthält sich jedweder Regelung zu den Voraussetzungen der materiellen Rechtmäßigkeit eines Auslandseinsatzes.55 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner AWACS-Entscheidung aufgezeigt, unter welchen Voraussetzungen Auslandseinsätze der Bundeswehr möglich sind56 – dass das Grundgesetz Auslandseinsätze zulässt, wird heute auch nicht mehr ernsthaft angezweifelt.57 Die vorliegende Arbeit setzt die Möglichkeit materiell rechtmäßiger Einsätze voraus und beschäftigt sich von dort ausgehend mit den Aspekten des Verfahrens – insbesondere der Rolle des Bundestages.

52 Vgl. für viele: Roellecke, Der Staat 1995, S. 415 (427), der von einem verfassungsändernden Urteil spricht; mit weiteren Nachweisen: Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (84); Oeter, NZWehrr 2000, S. 89 (96). 53 Vgl. Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt (2003), S. 27 ff.; Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (84); Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 210. 54 In diesem Sinne: Lutze, DÖV 2003, S. 972 (973). 55 Vgl. § 1 ParlBetG und BT-Drs. 15/2742, S. 4 f. 56 BVerfGE 90, 286 (344 ff.). 57 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 186; Raap, JuS 1996, S. 980 (982); Schroeder, JuS 1995, S. 398 (399); Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 74; vgl. auch P. Kirchhof, Der Verteidigungsauftrag der deutschen Streitkräfte, FS für Bernhardt, S. 797.

Zweiter Teil

Der Parlamentsvorbehalt Der Umfang und die Auswirkungen des Parlamentsvorbehalts können nicht losgelöst von seiner Begründung betrachtet werden. Erst mit der dogmatischen Herleitung kann seine eigentliche Konkretisierung erfolgen. Neben der Herleitung des Parlamentsvorbehalts aus dem Grundgesetz lohnt sich auch ein vergleichender Blick auf die Regelungen in den Verfassungssystemen anderer Staaten, um den Einfluss des Deutschen Bundestages in einen größeren Rahmen einordnen zu können. Hieraus lassen sich insbesondere Erkenntnisse für das Entwicklungspotential des Grundgesetzes gewinnen.

I. Grundgesetz und Parlamentsvorbehalt Das Bundesverfassungsgericht hat die Existenz des parlamentarischen Zustimmungsvorbehalts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr auf zwei Begründungssäulen aufgebaut. Einerseits ergebe eine systematische Auslegung der gegenwärtigen Regelungen des Grundgesetzes, dass das Parlament bei der Verwendung bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich zu beteiligen sei: „Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes sind – in den verschiedenen Stufen ihrer Ausformung – stets darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern als ,Parlamentsheer in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen, d. h. dem Parlament einen rechtserheblichen Einfluss auf Aufbau und Verwendung der Streitkräfte zu sichern.“1

Zum anderen seien die Vorschriften des Grundgesetzes auch unter dem Gesichtspunkt auszulegen, dass ein Parlamentsvorbehalt bei militärischen Einsätzen seit 1918 deutscher Verfassungstradition entspreche: „Die hiernach in den Vorschriften des Grundgesetzes auf dem Hintergrund der deutschen Verfassungstradition seit 1918 zum Ausdruck kommende Entscheidung für eine umfassende parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte lässt ein der Wehrverfassung zugrundeliegendes Prinzip erkennen, nach dem der Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven, grundsätzlich vorherigen Zustimmung des Bundestages unterliegt“.

Der Richterspruch löste in der Literatur ein mittleres Erdbeben aus, hatte die herrschende Meinung doch bisher vertreten, dass die Einsatzkompetenz als Teil der aus-

1

BVerfGE 90, 286 (382).

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2. Teil: Der Parlamentsvorbehalt

wärtigen Gewalt allein der Regierung zustünde.2 Nur vereinzelt wurde eine parlamentarische Beteiligung aufgrund der existenziellen Bedeutung der Entscheidung als verfassungspolitisch sinnvoll erachtet.3 Verfassungspolitisch sinnvoll bedeutet aber eben nicht verfassungsrechtlich geboten. Das AWACS-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sah sich daher im Punkt des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen überwiegend deutlicher Kritik ausgesetzt.4 Die ablehnende Kommentierung reichte dabei von „verfassungsänderndem Urteil“5, über „Erfindung“ des Bundesverfassungsgerichts6, bis zur „autosuggestiven Wirkung“ der mehrfachen Wiederholung des angeblichen Grundsatzes.7 Zum Teil fand die Entscheidung zum Erfordernis parlamentarischer Zustimmung allerdings auch ausdrückliche Zustimmung.8 Soweit die Konstruktion des Parlamentsvorbehalts für nicht tragfähig gehalten wurde, akzeptierte die Literatur aber zumindest die Verbindlichkeit der Gerichtsentscheidung und damit die Rechtswirklichkeit – „Karlsruhe locuta, causa finita“.9 In der Staatspraxis wird die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts angesichts der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG ohne weiteres umgesetzt. In neueren Abhandlungen wird die Existenz des Parlamentsvor-

2 Vgl. etwa K. Ipsen, DÖV 1971, S. 583 (587); Stein, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen, in: Frowein/Stein, Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen (1990), S. 17 (26); Riedel, DÖV 1991, S. 305 (311); Pechstein, Jura 1991, S. 461 (467); Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt (1986), S. 218. A.a. Bartke, Der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr (1991), S. 234; Fuchs, Die Entscheidung über Krieg und Frieden (1981), S. 297. 3 K. Ipsen, DÖV 1971, S. 583 (588); Kersting, NZWehrr 1982, S. 84 (91); Riedel, DÖV 1991, S. 305 (310 f.). 4 Dau, NZWehrr 1994, S. 177 (182); Roellecke, Der Staat 1995, S. 415 (427); W. Schroeder, JuS 1995, S. 398 (404); Oeter, NZWehrr 2000, S. 89 (96); Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (84); Heintzen, Die Wehr- und Notstandsverfassung, http://www.jura.fu-berlin.de/einrichtun gen/we3/professoren/ls_heintzen/veranstaltungen/0102ws/v_bezuege_des_GG_heinzen/Die_ Wehr__und_Notstandsverfassung.pdf; Epping, AöR 1999, S. 423 (445 ff.); Scholz, in: Badura/ Dreier, Festschrift 50 Jahre BVerfG, Band 2, S. 663 (674); Stein/Kröninger, Jura 1995, S. 254 (261); Kreß, ZaöRV 1997, S. 329 (355); Bähr, MDR 1994, S. 882 (883). 5 Roellecke, Der Staat 1995, S. 415 (427). 6 Vgl. Heintzen, Die Wehr- und Notstandsverfassung, http://www.jura.fu-berlin.de/ein richtungen/we3/professoren/ls_heintzen/veranstaltungen/0102ws/v_bezuege_des_GG_heinzen /Die_Wehr__und_Notstandsverfassung.pdf. 7 Stein/Kröninger, Jura 1995, S. 254 (261). 8 Arndt, NJW 1994, S. 2197 (2198); Heun, JZ 1994, S. 1073 (1074); Kriele, ZRP 1994, S. 103 (106); Kokott, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 87a, Rn. 35 ff. Schon vor dem Urteil: Rieder, Die Entscheidung über Krieg und Frieden nach deutschem Verfassungsrecht (1984), S. 337 ff. 9 So etwa Oeter, NZWehrr 2000, S. 89 (96); Kreß, ZaöRV 1997, S. 329 (355); vgl. auch Krings/Burkiczak, DÖV 2002, S. 501 (506).

I. Grundgesetz und Parlamentsvorbehalt

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behalts dementsprechend zumeist nicht mehr grundlegend diskutiert und hinterfragt, sondern als Grundlage für eine weitere Diskussion genommen.10 1. Die Argumentation des Gerichts Das Bundesverfassungsgericht verankerte die Begründung des Parlamentsvorbehalts in einer Reihe von grundgesetzlichen Regelungen, wenngleich die Frage einer parlamentarischen Zustimmung im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt ist. a) Historische Entwicklung Ausgangspunkt der Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts war der im Jahre 1968 aufgehobene Art. 59a Abs. 1 GG a.F.11, der die Feststellung des Verteidigungsfalles dem Bundestag vorbehielt. Nach damaliger Auffassung habe dies bedeutet, dass die Streitkräfte allgemein nur auf der Grundlage eines Parlamentsbeschlusses eingesetzt werden durften.12 Schon nach der Reichsverfassung von 1871 habe der Kaiser – außer im Falle eines Angriffes auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten – für eine Kriegserklärung oder einen Friedensschluss die Zustimmung des Bundesrates benötigt, Art. 11 Abs. 2 ReichsV (1871). Nach dem Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem im Oktober 1918 seien Kriegserklärung und Friedensschluss in allen Fällen – also auch im Verteidigungsfall – vom zustimmenden Votum des Bundesrates und des Reichstages abhängig gemacht worden.13 Art. 45 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung habe diesen Grundgedanken aufgegriffen und Kriegserklärung und Friedensschluss der Legislative im Wege der Verabschiedung eines Reichsgesetzes zugewiesen.14 Die gesetzgebenden Körperschaften seien damit von einem bloß zustimmenden

10 Vgl. etwa Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 79; Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt (2003), S. 29; Lutze, DÖV 2003, S. 972 (973). 11 In der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. 03. 1956, BGBl. I 56, 111: „(1) Die Feststellung, daß der Verteidigungsfall eingetreten ist, trifft der Bundestag. Sein Beschluß wird vom Bundespräsidenten verkündet.“ 12 BVerfGE 90, 286 (382) mit Verweis auf Martens, GG und Wehrverfassung (1961), S. 174; von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. II, 2. Aufl. 1964, Art. 59a Anm. 3 und Willms, Parlamentarische Kontrolle und Wehrverfassung (1959), S. 160. 13 Art. 11 Abs. 2 der Reichsverfassung wurde durch das Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung vom 28. 10. 1918 (RGBl. S. 1274) folgendermaßen gefasst: „Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist die Zustimmung des Bundesrates und des Reichstages erforderlich“. 14 Art. 45 Abs. 2 WRV (1919): „Kriegserklärung und Friedensschluß erfolgen durch Reichsgesetz.“

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2. Teil: Der Parlamentsvorbehalt

Teil zum „Herren des Geschäfts“ geworden, ohne dass es aber im akuten Verteidigungsfall eines Reichsgesetzes bedurft hätte.15 Der grundgesetzändernde Gesetzgeber habe im Jahre 1956 mit der Einfügung von Art. 59a GG die Bestimmung der Weimarer Reichsverfassung fortentwickelt. Erst die nach dieser Norm zu treffende Feststellung des Verteidigungsfalles habe die rechtliche Voraussetzung schaffen sollen, die vom Bund aufgestellten Streitkräfte einsetzen zu dürfen. An die Stelle der Gesetzesform sei ein einfacher Mehrheitsbeschluss gemäß Art. 42 Abs. 2 GG getreten.16 Dem schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses sei zu entnehmen, dass auch der Verteidigungseinsatz im Rahmen eines Bündnisfalles von einem Feststellungsbeschluss des Bundestages abhängig gewesen sein sollte.17 Mit der Aufhebung des Art. 59a GG und Neuregelung des Verteidigungsfalles in Art. 115a ff. GG18 habe der verfassungsändernde Gesetzgeber diesen Regelungsgehalt nicht ändern wollen.19 b) Die Wehrverfassung des Grundgesetzes Auch in den geltenden Vorschriften des Grundgesetzes spiegele sich das Prinzip des Parlamentsvorbehaltes wider. Die Verfassung behalte dem Bundestag hinsichtlich der Streitkräfte in einer Reihe von Regelungen die Kontrolle und grundsätzliche Steuerung von Planung und Entwicklung vor. Art. 45a GG gewährleiste durch Einrichtung eines ständigen parlamentarischen Ausschusses für Verteidigung, der zugleich die Rechte eines Untersuchungsausschusses besitzt, eine permanente Überwachung der Regierung auf dem Gebiet des Verteidigungswesens. Art. 45b GG bestimme zur Unterstützung der parlamentarischen Kontrolle die Berufung eines Wehrbeauftragten. Eine weitere zentrale Norm, die die Grundsatzverantwortlichkeit des Bundestages für die Streitkräfte verdeutliche, sei ferner Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG. Der vom Bundestag als Gesetz zu beschließende Staatshaushalt20 muss demnach – über die allgemein für das Haushaltsrecht geltenden Anforderungen hinaus – die zahlenmäßige Stärke und Grundzüge der Organisation der Streitkräfte festlegen. In anderen Regelungen gestehe die Verfassung dem Parlament sogar die konkrete Entscheidung über die Verwendung der Streitkräfte zu.21 Art. 115a Abs. 1 GG knüpfe die Feststellung des Verteidigungsfalles an einen Zustimmungsbeschluss von Bun15 BVerfGE 90, 286 (383 f.) unter Berufung auf Anschütz, Die Verf. des Dt. Reichs v. 11. 8. 1919, 14. Aufl. (1933), Art. 45, Anm. 5 und 7, S. 260 f. 16 BVerfGE 90, 286 (384). 17 BVerfGE 90, 286 (384) unter Verweis auf den Zweiten Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses, BT-Dr II/2150, S. 4. 18 Die Neuregelung führte insbesondere eine Beteiligung des Bundesrates und das Erfordernis der 2/3-Mehrheit ein. 19 BVerfGE 90, 286 (383). 20 Art. 110 GG. 21 BVerfGE 90, 286 (386 f.).

I. Grundgesetz und Parlamentsvorbehalt

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destag und Bundesrat. Zwar bewirke diese Feststellung unmittelbar nur den Übergang von der Normal- zur Notstandsverfassung, also eine Anpassung des Staatsorganisationsrechts an die zu bewältigende Krise. Voraussetzung für einen Verteidigungseinsatz der Bundeswehr sei die Feststellung nicht. Dennoch beinhalte der Beschluss zugleich die Ermächtigung zum militärischen Einsatz, was sich insbesondere am Übergang der Befehlsgewalt auf den Bundeskanzler nach Art. 115b GG zeige. Ein nach Art. 87a Abs. 4 GG möglicher Einsatz der Streitkräfte zum Schutz ziviler Objekte und zur Bekämpfung militärisch bewaffneter Aufständischer sei einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen. Einsätze im Rahmen bundeslandübergreifender Naturkatastrophen oder Unglücksfälle seien nach Art. 35 Abs. 3 GG zu beenden, wenn der Bundesrat es verlange. Die im Grundgesetz angelegte umfassende parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte führe damit im Falle eines konkreten Auslandseinsatzes zum konstitutiven Parlamentsvorbehalt.22 2. Die Kritik Die scharfe Ablehnung in der Literatur bezog sich vor allem auf die vom Bundesverfassungsgericht vorgebrachte Begründung und weniger auf das Ergebnis, das wenigstens zum Teil als politisch oder rechtlich durchaus sinnvoll betrachtet wurde.23 Das Bundesverfassungsgericht habe zuvor selbst festgestellt, dass das grundgesetzliche System der Gewaltenteilung nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehaltes unterlaufen werde dürfe.24 Es sei überzeugender, die grundgesetzliche Kompetenz zum Auslandseinsatz der Bundeswehr als auswärtige Angelegenheit bei der Exekutive angesiedelt zu sehen und dem Bundestag allenfalls ein Rückholrecht zuzugestehen.25 Über den bewaffneten Einsatz hätten die Träger der Kommando- und Befehlsgewalt zu entscheiden, also im Verteidigungsfall der Bundeskanzler, Art. 115b GG, ansonsten der Verteidigungsminister, Art. 65a GG, sofern nicht Kanzler- oder Kollegialprinzip zum Tragen kämen, Art. 65 Satz 1 und 3 GG.26 Auch unter der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Maßgabe, dass staatliche Entscheidungen von den Organen zu treffen seien, die hierfür nach Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise am besten geeignet seien,27 könne der Bundestag nicht als das richtige Entscheidungsorgan für Auslandseinsätze bezeichnet werden.28 22

BVerfGE 90, 286 (387). Vgl. etwa W. Schroeder, JuS 1995, S. 398 (404). 24 Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (84) mit Verweis auf BVerfGE 49, 89 (125) und 68, 1 (87); Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 55 f. 25 Roellecke, Der Staat 1995, S. 415 (424 ff.); Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (84). 26 Epping, AöR 1999, S. 423 (445). 27 BVerfGE 68, 1 (86). 28 Epping, AöR 1999, S. 423 (448). 23

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2. Teil: Der Parlamentsvorbehalt

Aus dem Umstand, dass frühere deutsche Verfassungen in bestimmten Fällen eine Mitwirkung des Parlaments vorgesehen hätten, lasse sich nicht schließen, dass auch vor einem Streitkräfte-Einsatz nach Art. 24 Abs. 2 GG eine parlamentarische Entscheidung notwendig sei.29 Die herangezogene Tradition sei nicht demokratischen, sondern ständischen Ursprungs und damit als Beleg für einen demokratischen Parlamentsvorbehalt ungeeignet.30 Die zitierten Vorschriften beträfen außerdem nur die Kriegserklärung, nicht aber notwendig den Streitkräfteeinsatz.31 Die Ausrufung des Kriegszustandes hatte zwar völkerrechtliche Folgen und bewirkte innerstaatlich eine gravierende Umstellung der Rechtsordnung im Sinne einer Kompetenzverschiebung zugunsten der Regierung – mit dem Einsatz der Streitkräfte habe das aber wenig zu tun.32 Die vom Gericht herangezogenen Normen der Art. 45a, 45b und Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG seien Instrumente der parlamentarischen Kontrolle, die sich allein auf eine grundsätzliche Steuerung von Planung und Einrichtung der Streitkräfte beschränkten und nicht konkrete Einsätze zum Gegenstand hätten.33 Zudem habe der zwingend einzurichtende Verteidigungsausschuss zwar die Rechte eines Untersuchungsausschusses, Art. 45a Abs. 2 Satz 1 GG – hierdurch würde die Beteiligung des Bundestages aber gerade eingeschränkt, da er auf dem Gebiet der Verteidigung neben dem permanenten Ausschuss folglich keinen Untersuchungsausschuss einsetzen dürfe, Art. 45a Abs. 3 GG.34 Aus den allgemeinen parlamentarischen Kontrollfunktionen einen Parlamentsvorbehalt abzuleiten, hieße letztlich, dass alle exekutiven Handlungen einem Parlamentsvorbehalt zu unterwerfen wären – ein Ergebnis, das unzweifelhaft nicht mit der Gewaltenteilung vereinbar sei.35 Die Fälle, in denen das Grundgesetz eine konkrete parlamentarische Entscheidung für den Einsatz von Streitkräften vorsehe (wie etwa bei Art. 87a Abs. 4 Satz 2 oder Art. 35 Abs. 3 Satz 2 GG), behandelten ausschließlich Einsätze der Bundeswehr im Inneren, nicht hingegen Auslandseinsätze.36 Des Weiteren ordneten diese Bestimmungen nicht die vorherige Zustimmung des Bundestages an, sondern nur ein nachträgliches Rückholrecht.37 Art. 115a Abs. 1 GG – der Verteidigungsfall – sei für Einsätze der Streitkräfte nicht direkt anwendbar.38 Anstatt entsprechend dieser Regelung 29

W. Schroeder, JuS 1995, S. 398 (404). Epping, AöR 1999, S. 423 (446). 31 Stein/Kröninger, Jura 1995, S. 254 (261). 32 Stein/Kröninger, Jura 1995, S. 254 (261); Epping, AöR 1999, S. 423 (447). 33 Dau, NZWehrr 1994, S. 177 (182); Stein/Kröninger, Jura 1995, S. 254 (261); Epping, AöR 1999, S. 423 (446). 34 Epping, AöR 1999, S. 423 (446). 35 Epping, AöR 1999, S. 423 (446); Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 55 f. 36 Dau, NZWehrr 1994, S. 177 (182); Stein/Kröninger, Jura 1995, S. 254 (261). 37 Krings/Burkiczak, DÖV 2002, S. 501 (506). 38 Dau, NZWehrr 1994, S. 177 (182). 30

I. Grundgesetz und Parlamentsvorbehalt

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einen Parlamentsvorbehalt abzuleiten, könne mit gleichem Recht e contrario gefolgert werden, dass bei nicht hierunter fallenden Einsätzen gerade kein Parlamentsbeschluss erforderlich sei.39 Für einen Analogieschluss fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage. So sei die Kommando- und Befehlsgewalt im Grundgesetz klar geregelt; bei Auslandseinsätzen gehe es anders als beim Verteidigungsfall nicht um die Existenz Deutschlands.40 Die fehlende Vergleichbarkeit schlage sich auch im erforderlichen Quorum nieder: für die Feststellung des Verteidigungsfalles bedürfe es wie bei der Verfassungsänderung einer 2/3-Mehrheit in Bundestag und -rat, während bei einem Auslandseinsatz nach Ansicht des Gerichts eine einfache Mehrheit im Bundestag ausreiche.41 Art. 115a GG beträfe überdies – ebenso wie früher die Ausrufung des Kriegszustandes – allein die Umstellung der Rechtsordnung, nicht aber den Einsatz der Streitkräfte.42 Bundestag und Bundesrat entschieden bei der Feststellung des Verteidigungsfalles nur in einem wichtigen Fall über die Voraussetzungen des Einsatzes, nicht aber über den Einsatz selbst.43 Die vom Gericht angeführten Bestimmungen enthielten zudem auch korrespondierende Rechte des Bundesrates, sodass sich hieraus nicht auf einen exklusiven Parlamentsvorbehalt schließen lasse.44 Zudem zeige die Begründung des Bundesverfassungsgerichts durchgängig nur eine punktuelle und gerade keine „umfassende“ parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte.45 3. Bewertung Sosehr die Kritik am Mangel einer dogmatisch sauberen Begründung berechtigt sein mag, sprechen doch etliche Gesichtspunkte für die Existenz eines Parlamentsvorbehalts. Die erforderliche Legitimierung bewaffneter Einsätze durch das Parlament bewirkt nicht nur eine politisch wünschenswerte breite Zustimmungsbasis und Rechtssicherheit für die eingesetzten Soldaten, sondern ist überdies demokratisch gut begründbar.46 a) Die auswärtige Gewalt Die auswärtige Gewalt gilt im Grundsatz – auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts – als eine Kompetenz der Exekutive, da allein diese im Sinne der Organadäquanz in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisa39

W. Schroeder, JuS 1995, S. 398 (404). Krings/Burkiczak, DÖV 2002, S. 501 (506); Epping, AöR 1999, S. 423 (447). 41 Epping, AöR 1999, S. 423 (447 f.). 42 Stein/Kröninger, Jura 1995, S. 254 (261); Epping, AöR 1999, S. 423 (447); Kersting, NZWehrr 1982, S. 84 (87 ff.). 43 Epping, AöR 1999, S. 423 (445). 44 W. Schroeder, JuS 1995, S. 398 (404). 45 Oeter, NZWehrr 2000, S. 89 (96). 46 Stein/Kröninger, Jura 1995, S. 254 (262) zu Einsätzen jenseits der Bündnisverpflichtungen; Dau, NZWehrr 1994, S. 177 (182). 40

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2. Teil: Der Parlamentsvorbehalt

torischen Möglichkeiten verfügt, um auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren.47 Diese Zuordnung ist keine vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeitete Novität, sondern eine Konstante, die sich seit dem Aufkommen der Idee der Gewaltenteilung durch die Systematik der staatlichen Kompetenzverteilung zieht. Schon Montesquieu wies die Außenpolitik „blauäugig als Ausführung des Völkerrechts der Regierung zu“.48 John Locke stellte demgegenüber etwas nüchterner fest, die außenpolitische Gewalt sei mit Blick auf die Verfassungswirklichkeit meistens mit der exekutiven Gewalt verbunden, während Thomas Jefferson, der dritte Präsident der USA, nur knapp urteilte: „Foreign affairs is executive altogether“.49 Auch das preußische allgemeine Landrecht von 1794 und in schwächerer Form die preußische Verfassung von 1850 wiesen die auswärtige Kompetenz – insbesondere das Recht, Kriege zu führen – dem Monarchen zu.50 Mit der fortschreitenden Demokratisierung und Parlamentarisierung seit Beginn der Aufklärung ist diese absolute Zuordnung zum exekutiven Handlungsbereich nach heutigen Maßstäben in der westlichen Welt inzwischen überholt. Die auswärtige Gewalt weist heute in den meisten demokratischen Staaten die Wesenszüge einer kombinierten Gewalt auf – den Parlamenten sind vielfach Einflussmöglichkeiten auf das außenpolitische Wirken der Regierung eingeräumt.51 Auch nach dem grundgesetzlichen System der Gewaltenteilung steht die auswärtige Gewalt keineswegs ausschließlich der Bundesregierung zu. Insbesondere über Art. 59 Abs. 2 GG, der die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge durch den Gesetzgeber vorschreibt, wird der Bundestag an der Gestaltung der auswärtigen Angelegenheiten beteiligt. Erst durch das Zustimmungsgesetz werden völkerrechtliche Verträge auch innerstaatlich anwendbar.52 Es ist daher naheliegender, die auswärtige Gewalt zwar überwiegend als eine Angelegenheit der Exekutive einzuordnen, insgesamt aber als eine kombinierte oder gemischte Gewalt zu verstehen, die Regierung und Parlament zur gemeinsamen

47 BVerfGE 68, 1 (85 f.); Warg, Jura 2002, S. 806 (808); J. Ipsen, Staatsrecht I, 9. A., Rn. 1096; Pechstein, Jura 1991, S. 461 (467); Blumenwitz, NZWehrr 1988, S. 133 (145); Kokott, DVBl. 1996, S. 937 (937 ff.); vgl. hierzu auch ausführlich unten beim Initiativrecht 3. Teil, II. 2. b) cc). 48 Riklin, Machtteilung (2006), S. 178. 49 Riklin, Machtteilung (2006), S. 417. 50 Zweiter Teil, Dreizehnter Titel, § 5 PrALR: „Die Verteidigung des Staats gegen auswärtige Feinde anzuordnen; Kriege zu führen; Frieden zu schließen; Bündnisse und Verträge mit fremden Staaten zu errichten, kommt allein dem Oberhaupte des Staats zu.“ Art. 48 der Pr. Verf. (1850): „Der König hat das Recht, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, auch andere Verträge mit fremden Regierungen zu errichten. Letztere bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der Kammern, sofern es Handelsverträge sind, oder wenn dadurch dem Staate Lasten oder einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen auferlegt werden.“ 51 K. Ipsen, DÖV 1971, S. 583 (588); Menzel, Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, VVDStRL 12 (1954), S. 197. 52 Sog. Transformationsfunktion des Zustimmungsgesetzes, vgl. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2. A., § 26 II 2.a), S. 131.

I. Grundgesetz und Parlamentsvorbehalt

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Hand übertragen ist.53 Aus dem Umstand, dass die Kompetenz zum Auslandseinsatz der Streitkräfte der auswärtigen Gewalt zuzuweisen ist54, kann damit nicht zwangsläufig geschlossen werden, dass die Bundesregierung alleiniger Entscheidungsträger ist.55 Hierin liegt auch kein Widerspruch zur angeführten Organadäquanz, da der Bundestag nach der Konzeption des Parlamentsvorbehalts weder selbst einen Auslandseinsatz veranlassen kann, noch für die Einsatzplanung und -leitung verantwortlich ist.56 Der Bundestag ist mit der Zustimmung oder Ablehnung eines Regierungsantrags keinesfalls überfordert, zumal es sich hierbei vornehmlich um eine politische Entscheidung handelt, für die das Parlament sogar prädestiniert ist. Der im Vergleich zur Regierung trägeren Arbeitsweise des Bundestages kann – wie vom Bundesverfassungsgericht festgestellt – durch Sonderreglungen bei eilbedürftigen Entscheidungen abgeholfen werden.57 b) Internationaler Vergleich Ein internationaler Vergleich zeigt, dass auch in anderen Ländern konkrete parlamentarische Mitbestimmungsrechte bei Auslandseinsätzen existieren – wenngleich das nicht der Regelfall ist.58 Dennoch unterstützt dies die These, dass die Einsatzkompetenz als Teilbereich der auswärtigen Gewalt nicht zwangsläufig bei der Exekutive liegen muss. Freilich kann das grundgesetzliche Verständnis der auswärtigen Gewalt von dem anderer Verfassungssysteme abweichen. Da hinter der Zuordnung der Einsatzkompetenz aber die universelle Idee der Gewaltenteilung steht, lassen sich dennoch Rückschlüsse für das bundesrepublikanische System ziehen. So kommt die Verfassungsrechtlage in den Niederlanden dem deutschen Parlamentsvorbehalt sehr nahe: die „Twede Kamer“ muss vor einem Auslandseinsatz ihre Zustimmung geben.59 In Ungarn herrschte bis zu einer Verfassungsänderung im Jahre 2003 ein strikter Parlamentsvorbehalt, nach dem bewaffnete Einsätze von der Nationalversammlung mit 2/3-Mehrheit beschlossen werden mussten. Mit Blick auf die NATO-Mitgliedschaft Ungarns wurde nunmehr eine Bestimmung in 53

Biermann, ZRP 2004, S. 607 (610): „Von einer Alleinzuständigkeit der Exekutive, die die parlamentarische Mitwirkung als ,Störung ihrer Handlungsfreiheit begreift, kann im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik mithin nicht die Rede sein“; Wolfrum, VVDStRL 56 (1996), S. 38 (40); ders., in: Dreier/Badura, Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001), 2. Band, S. 693 (696 ff.); Menzel, VVDStRL 12 (1954), S. 179 (197); Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt, S. 115 ff.; zum Meinungsstand vgl. Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 179 ff. 54 Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 196. 55 Vöneky und Wolfrum sprechen hinsichtlich des Parlamentsvorbehalt von einer Durchbrechung des allgemeinen Grundsatzes, dass die Ausübung der auswärtigen Gewalt der Exekutive zusteht, ZaöRV 2002, S. 569 (599). 56 Vgl. hierzu unten zum Initiativrecht, 3. Teil, II. 2. b). 57 Vgl. hierzu unten zu Gefahr im Verzug, 3. Teil, II. 5. a). 58 Vgl. ausführlich Maillet, Die parlamentarische Kontrolle von Auslandseinsätzen in den Mitgliedsländern der Europäischen Union (1999). 59 Biermann, ZParl 2004, S. 607 (623).

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2. Teil: Der Parlamentsvorbehalt

die Verfassung eingefügt, nach der die Regierung befugt ist, die Beteiligung an NATO- und VN-Einsätzen ohne Parlamentsvotum zu beschließen.60 Auch in Schweden ist ein Zustimmungsvorbehalt des Reichstages bekannt. Außer im Falle des Angriffs auf den schwedischen Staat, bedarf ein Einsatz der Streitkräfte grundsätzlich der Billigung des Parlaments. Diese Regelung wird aber dadurch deutlich abgeschwächt, dass die Zustimmung nicht im Einzelfall ergehen muss, sondern auch allgemein durch ein Gesetz erteilt werden kann, das die Einsatzvoraussetzungen generell regelt. Zudem bedarf es keiner weiteren Zustimmung, wenn der Einsatz Teil einer völkerrechtlichen Verpflichtung ist, die mit Billigung des Reichstages zustande gekommen ist.61 In der überwiegenden Zahl der Staaten liegt die Kompetenz zum Einsatz der Streitkräfte allerdings allein bei der Exekutive. Die Parlamente sind zumeist auf allgemeine Kontrollrechte beschränkt. In Frankreich hatte die Nationalversammlung bis vor kurzem nur mittelbare Beteiligungsrechte – sie übte Kontrolle ausschließlich über das Haushaltsrecht und die Möglichkeit eines Misstrauensvotums aus.62 Seit einer Verfassungsänderung im Juli 2008 kann der Präsident nicht mehr völlig unkontrolliert über Auslandseinsätze entscheiden. Spätestens drei Tage nach Beginn des Einsatzes muss die Nationalversammlung jetzt über den Einsatz informiert werden. Dauert der Einsatz länger als vier Monate, so muss die Fortführung vom Parlament gebilligt werden.63 Im Vereinigten Königreich unterfällt die Einsatzkompetenz der „königlichen Prärogative“, die heute durch den Premierminister ausgeübt wird. Die Regierung entscheidet über den Einsatz der Streitkräfte und informiert üblicherweise die Königin und das Parlament. Premierminister Blair bat das Parlament vor dem Irakkrieg im Jahre 2003 zwar um Zustimmung zu seinen Einsatzplänen – der Abstimmung wurde allerdings nur politische und keine rechtliche Wirkung beigemessen.64 Nach der Supremacy of Parliament-Doktrin ist das Parlament aber befugt, Einsätze allgemein oder im Einzelfall durch Gesetz zu verbieten.65 Auch der US-amerikanische Präsident handelt bei der Truppenentsendung autonom und informiert das Parlament lediglich.66 Der vom amerikanischen Kongress nach den Erfahrungen des VietnamKrieges beschlossene War Power Act sieht zwar vor, dass der Präsident nur bis zu 60

Keller, Welchen Einfluss hat der Europäisierungsprozess auf die ungarische Sicherheitspolitik?, in: Cyrus Salimi-Asl u. a. (Hrsg.): Die Transformation nationaler Politik, Europäisierungsprozesse in Mitteleuropa, DGAP-Schriften zur internationalen Politik (2005), S. 115 (125); Biermann, ZParl 2004, S. 607 (623). 61 Kapitel 10, § 9 Regeringsformen (Regeringsformen ist das Verfassungsgesetz zur Regierungsform); vgl. Maillet, Die parlamentarische Kontrolle von Auslandseinsätzen in den Mitgliedsländern der Europäischen Union (1999), S. 65. 62 Vgl. Kimmel, Verfassungsordnung und außenpolitische Entscheidung in der V. Republik, in: Elsenhans u. a. (Hg.): Frankreich – Europa – Weltpolitik (1989), S. 107 ff.; Art. 49 und 50 der Verfassung der V. Republik. 63 Vgl. FAZ vom 22. 07. 2008: „Eine kleine französische Revolution“. 64 The Guardian vom 19.03.2003. 65 Padfield, British Constitution, 3rd Ed., S. 95. 66 Biermann, ZParl 2004, S. 607 (623).

I. Grundgesetz und Parlamentsvorbehalt

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60 Tage ohne Zustimmung des Kongresses im Ausland militärisch intervenieren darf. Die Regelung wurde von den nachfolgenden Präsidenten aber nie anerkannt.67 Der mächtigste Hebel des Kongresses bleibt damit das Haushaltsrecht, mit dem er einem Auslandseinsatz die finanzielle Grundlage entziehen kann. Der internationale Vergleich zeigt also, dass das Prinzip der Gewaltenteilung und die Kompetenzzuordnung in der auswärtigen Gewalt sowohl ein Alleinentscheidungsrecht der Regierung als auch einen parlamentarischen Zustimmungsvorbehalt zulassen.68 .

c) Wesentlichkeitstheorie Ein weiteres Argument, das für eine rechtserhebliche parlamentarische Beteiligung bei der konkreten Einsatzentscheidung spricht, liegt in der vom Bundesverfassungsgericht begründeten Wesentlichkeitstheorie.69 Erstaunlicherweise hat das Gericht in seinem AWACS-Urteil hierauf keinen Bezug genommen. Die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts besagt, dass Rechtsstaats- und Demokratieprinzip den Gesetzgeber verpflichten, „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen“.70 Fundamentale, für das Gemeinwohl wichtige Fragen muss das Parlament selbst regeln.71 Eine Übertragung dieser ständigen und anerkannten Rechtsprechung auf die Einsatzentscheidung bei Auslandseinsätzen ist allerdings nicht ohne Überwindung einiger Stolpersteine möglich. Einerseits bezieht sich die Rechtsprechung allein auf die Gesetzgebung und nicht auf einfache Parlamentsbeschlüsse. Der Bundestag ist auch nicht „der Gesetzgeber“, sondern neben dem Bundesrat nur dessen wichtigste Komponente. Schließlich führt das Demokratieprinzip auch nicht dazu, dass das Parlament im Sinne eines Gewaltenmonismus eine Allzuständigkeit im Rahmen der Gewaltenteilung erlangen würde. Mit einem solchen Verständnis wäre die Gewaltenteilung praktisch aufgehoben. Es spricht aber nichts dagegen, den hinter der Wesentlichkeitstheorie stehenden Rechtsgedanken – über die Gesetzgebung hinaus – auf andere rechtserhebliche

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Riklin, Machtteilung (2005), S. 411. Wolfrum geht noch etwas weiter und sieht im internationalen Vergleich den Nachweis, dass „ein Einsatz von Streitkräften in einem demokratisch verfassten Staate nicht der alleinigen Entscheidung der Exekutive vorbehalten bleiben kann“, HStR VIII, § 192, Rn. 51. 69 Vgl. Heun, JZ 1994, S. 1073 (1074); Epping, AöR 1999, S. 423 (448); Kokott, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 87a, Rn. 38. A.A. Baldus, in: Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. A. § 87a Abs. 2, Rn. 66; Wolfrum, HStR VIII, § 192, Rn. 52; Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 56; Blumenwitz, NZWehrr 1988, S. 133 (145). 70 Degenhart, Staatsrecht I, 16. A.; Rn. 335; ständige Rechtsprechung, BVerfGE 40, 237 (248 ff.); 49, 89 (126). 71 J. Ipsen, Staatsrecht I, 9. A. Rn. 778, 808. 68

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2. Teil: Der Parlamentsvorbehalt

Akte auszudehnen.72 Letztlich geht es nicht allein darum, dem Gesetzesvorbehalt zu genügen, sondern auch um die Frage, welche Entscheidungen wegen ihrer herausragenden Bedeutung vom einzigen unmittelbar demokratisch legitimierten Verfassungsorgan – dem Bundestag – getroffen werden müssen. Die Form der Entscheidung ist dabei von nachgeordneter Bedeutung. Da es sich bei der Zustimmung zu einem Auslandseinsatz nicht um Gesetzgebung handelt, ist es auch folgerichtig, dass nicht der Gesetzgeber, sondern allein der Bundestag als Parlament zur Beschlussfassung berufen ist. Die Entscheidung über einen Auslandseinsatz der Bundeswehr ist auch als „wesentlich“ für das Gemeinwohl einzustufen, da sie für den Bestand der Bundesrepublik fundamentale Bedeutung hat.73 Der Einsatz setzt Deutschland der Gefahr eines militärischen Gegenschlages aus und kann damit im Ergebnis zum Eintritt des Verteidigungsfalles führen.74 Eine solch schicksalhafte Frage über Krieg und Frieden gehört selbst nach Ansicht mancher, die den Parlamentsvorbehalt ablehnen, eigentlich in die Hand des Parlaments.75 Die Einsatzentscheidung betrifft zudem in beträchtlichem Maße die Rechtsgüter der verwendeten Soldaten und weist damit erhebliche Grundrechtsrelevanz auf.76 Andererseits birgt die Ableitung aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip gewisse Gefahren. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in anderen demokratischen Ländern wie Frankreich77, dem Vereinigten Königreich oder den USA kein Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen besteht, fällt es schwer zu behaupten, dass das Demokratieprinzip in Deutschland eine parlamentarische Entscheidung zwingend notwendig mache. Natürlich gilt auch hier, dass das Demokratieverständnis des Grundgesetzes von dem anderer Verfassungssysteme abweichen kann; dies gilt umso mehr, als es sich bei Frankreich und den USA um Präsidialdemokratien handelt. Die Begründung des Parlamentsvorbehalts mit den in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätzen bringt diesen außerdem bedenklich in die Nähe der „Ewigkeitsklausel“ des Art. 79 Abs. 3 GG. Schriebe das Demokratieprinzip den parlamentarischen Zustimmungsvorbehalt zwingend vor, könnte die Einsatzentscheidung auch nicht durch Grundgesetzänderung alleine der Exekutive zugewiesen werden. Es ist aber völlig 72 In diesem Sinne wohl auch Kokott, die die Beschränkung der Wesentlichkeitstheorie auf die Gesetzgebung erkennt, sie aber dennoch anwendet, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 87a, Rn. 38. 73 Blumenwitz, NZWehrr 1988, S. 133 (145). 74 Kersting, NZWehrr 1982, S. 84 (86); K. Ipsen, DÖV 1971, S. 583 (588). 75 Kersting, NZWehrr 1982, S. 84 (86); K. Ipsen, DÖV 1971, S. 583 (588). 76 Baldus, in: Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. A. § 87a Abs. 2, Rn. 66; ders., Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 2 und 12. 77 Seit einer Verfassungsänderung im Juli 2008 existiert auch in Frankreich ein eingeschränkter Parlamentsvorbehalt: der Präsident hat zunächst ein Alleinentscheidungsrecht; dauert der Einsatz länger als vier Monate, bedarf die Fortführung einer Zustimmung der Nationalversammlung, vgl. oben 2. Teil, I. 3. b).

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unbestritten, dass eine solche Verfassungsänderung möglich wäre.78 Das Bundesverfassungsgericht führt zum Demokratieprinzip aus: „Zu dem gemäß Art. 79 Abs. 3 GG nicht antastbaren Gehalt des Demokratieprinzips gehört, daß die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse sich auf das Staatsvolk zurückführen lassen und grundsätzlich ihm gegenüber verantwortet werden. Dieser notwendige Zurechnungszusammenhang läßt sich auf verschiedene Weise, nicht nur in einer bestimmten Form, herstellen. Entscheidend ist, dass ein hinreichend effektiver Gehalt an demokratischer Legitimation, ein bestimmtes Legitimationsniveau, erreicht wird.“79

Auch die Bundesregierung ist nach der Ordnung des Grundgesetzes hinreichend – wenn auch nur mittelbar – demokratisch legitimiert.80 Dem Demokratieprinzip wird nicht allein durch Entscheidungen des Parlaments genügt. Auch sei erneut ein Hinweis auf die in anderen demokratischen Ländern geltenden Regelungen erlaubt, die schwerlich als undemokratisch bezeichnet werden können.81 Eine Lösung dieser Probleme bietet der Ansatz, dass Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip die parlamentarische Zustimmung bei Auslandseinsätzen zwar nicht zwingend vorschreiben, angesichts keiner ausdrücklichen Regelung im Grundgesetz einen Parlamentsvorbehalt aber nahe legen. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber steht es frei, die Frage in anderer Weise zu regeln. Obgleich man der Wesentlichkeitstheorie für sich allein genommen also keine ausschlaggebende Bedeutung zumessen kann, stützt sie in einer Gesamtschau doch die vom Bundesverfassungsgericht gefundene Lösung. d) Art. 115a Abs. 1 GG Auch der Versuch einer Analogie zu Art. 115a Abs. 1 GG, also der Feststellung des Verteidigungsfalles durch Bundestag und -rat, begegnet einigen Schwierigkeiten. Allerdings fehlt es nicht schon unbedingt – wie häufig behauptet – an einer planwidrigen Regelungslücke.82 Eine solche lässt sich noch damit begründen, dass das Grundgesetz jedenfalls nicht ausdrücklich regelt, welches Verfassungsorgan die Entscheidung über den Einsatz der Streitkräfte trifft.83 Die Regelungslücke muss auch als planwidrig gelten, da bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr im Jahre 1968 78

Vgl. etwa Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (135 f.); Weiß, NZWehrr 2005, S. 100 (106), Kersting, NZWehrr 1982, S. 84 (91). 79 BVerfGE 89, 155 (182). 80 Riedel, DÖV 1991, S. 305 (309). 81 Vgl. oben 2. Teil, I. 3. b). 82 A.A. Krings/Burkiczak, DÖV 2002, S. 501 (506); Heun, JZ 1994, S. 1073 (1074); Epping, AöR 1999, S. 423 (447); Schroeder, JuS 1995, S. 398 (404). 83 Kokott, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 87a, Rn. 35; a.A. Roellecke, nach dem das Grundgesetz die Organkompetenz „glasklar“ zu Gunsten der Exekutive regele, Der Staat 34 (1995), S. 415 (423).

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2. Teil: Der Parlamentsvorbehalt

– dem Zeitpunkt der Ergänzung der Art. 115a ff. GG – außerhalb der ausdrücklich geregelten Einsatzfälle praktisch nicht denkbar und damit damals im Gegensatz zu heute nicht regelungsbedürftig waren.84 Auch eine vergleichbare Interessenlage lässt sich auf den ersten Blick noch konstruieren. Bewaffnete Auslandseinsätze können – ebenso wie der Verteidigungsfall selbst – den Bestand der Bundesrepublik Deutschland bedrohen, da ein Einsatz zu einem militärischen Gegenschlag und damit letztlich zum Eintritt des Verteidigungsfalles führen kann.85 Ein Vergleich scheitert aber aus anderen Gründen. Die Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115a Abs. 1 GG regelt nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen Streitkräfte zur Verteidigung eingesetzt werden dürfen, sondern betrifft unmittelbar nur die innerstaatliche Anpassung des Rechtssystems, um der äußeren Gefahrenlage zu begegnen.86 Dies äußert sich etwa in der Umstellung des Gesetzgebungsverfahrens, Art. 115c f. GG. Der Unterschied zu dem vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Parlamentsvorbehalt zeigt sich auch an den Voraussetzungen des Art. 115a Abs. 1 GG: nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundesrat muss der Feststellung des Verteidigungsfalles zustimmen. Zudem bedarf es einer 2/3-Mehrheit – für den Zustimmungsbeschluss zu einem Auslandseinsatz reicht nach dem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts eine einfache Mehrheit nach Art. 42 Abs. 2 GG aus. Andererseits hat die Feststellung des Verteidigungsfalles auch konkrete Folgen für die Wehrverfassung. Der Übergang der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler, Art. 115b GG, zeigt, dass mit der Feststellung des Verteidigungsfalls auch eine Ermächtigung zum Einsatz der Bundeswehr erfolgt.87 Diese nur mittelbare Verknüpfung von Art. 115a GG mit einer konkreten Einsatzermächtigung begründet indes keine hinreichend vergleichbare Interessenlage, um eine unmittelbare analoge Anwendung des Art. 115a GG zu rechtfertigen. Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht dies auch nicht getan, da es den Parlamentsvorbehalt gerade nicht an die gleichen Voraussetzungen wie Art. 115a Abs. 1 GG geknüpft hat. Die Regelung über die Feststellung des Verteidigungsfalles lässt somit allenfalls in Verbindung mit den übrigen vom Gericht angeführten Normen ein allgemeines Prinzip der Parlamentsbeteiligung erkennen. Bei den konkreten Entscheidungsbefugnissen nach Art. 87a Abs. 4 GG und Art. 35 Abs. 3 GG fällt freilich auf, dass das Grundgesetz gerade keine vorherige Zustimmung des Bundestages bzw. -rates vorsieht, sondern nur die Befugnis, die Bundeswehrverwendung nachträglich zu beenden. Das schlüssigste Argument des Bundesverfassungsgerichts bleibt damit Art. 59a a.F. GG, dessen Regelungsinhalt – die für jeden Einsatz erforderliche Parla84

So auch BVerfGE 90, 286 (382). Vgl. oben S. 24; Kersting, NZWehrr 1982, S. 84 (86); K. Ipsen, DÖV 1971, S. 583 (588); a.A. Epping, AöR 1999, S. 423 (447). 86 Kersting, NZWehrr 1982, S. 84 (87). 87 So BVerfGE 90, 286 (387); Raap, JuS 1996, S. 980 (982). 85

II. Das Verhältnis zu anderen Kontrollrechten

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mentszustimmung – durch die Neuregelung in den Art. 115a ff. GG nicht geändert werden sollte. Das Gericht weicht mit diesem zentralen Punkt seiner Begründung aber von der selbst vorgegebenen Linie ab, die Verfassungsauslegung betont auf objektiven Kriterien aufzubauen und historische Ansätze allenfalls ergänzend heranzuziehen.88

II. Das Verhältnis zu anderen Kontrollrechten Neben dem parlamentarischen Zustimmungsvorbehalt existieren auch andere Kontrollrechte des Bundestages, mit denen er Einfluss auf die Verwendung der Streitkräfte nehmen kann. Erst anhand eines Vergleichs mit diesen Kontrollinstrumenten lässt sich die eigentliche Bedeutung des Parlamentsvorbehalts und der damit verbundene Machtgewinn des Bundestages verstehen. 1. Allgemeine Kontrollrechte Art. 43 Abs. 1 GG regelt das Zitier- und Interpellationsrecht. Der Bundestag und seine Ausschüsse können demnach die Anwesenheit des Bundeskanzlers oder der Bundesminister verlangen. Die Verpflichtung zum Erscheinen korrespondiert mit der Pflicht, „Rede und Antwort zu stehen“.89 Fragen der Abgeordneten sind von den Regierungsmitgliedern umfassend, präzise und wahrheitsgemäß zu beantworten.90 Das eng mit dem Zitierrecht verbundene Interpellationsrecht beinhaltet die Befugnis des Bundestages, Anfragen an die Regierung zu stellen. Das genaue Verfahren ist in den §§ 100 ff. GeschO-BT normiert.91 Die Bedeutung des Zitier- und Interpellationsrechts liegt vornehmlich in der Öffentlichkeitswirkung. Daneben bewirken Anfragen in der Ministerialbürokratie eine „heilsame Unruhe“, die der Kontrollfunktion des Parlaments dienlich ist.92 Der Bundestag kann sich ferner jenseits förmlicher Rechtsinstitute zu allen Themenbereichen, die sich im Rahmen der Bundeskompetenz bewegen, in der Form eines schlichten Parlamentsbeschlusses äußern.93 Die Entscheidungen sind zwar unverbindlich, für das politische Leben aber dennoch bedeutsam, da sich in ihnen die Mehrheitsmeinung des Bundestages spiegelt.94 Auch Regierungsakte und andere exekutive Entscheidungen können Gegenstand eines Parlamentsbeschlusses sein, da auf88

Epping, AöR 1999, S. 423 (447). Ständige Rechtsprechung, BVerfGE 1, 299 (300); 62, 1

(45). 89

J. Ipsen, Staatsrecht I, 9. A. Rn. 157. Maurer, Staatsrecht I, 5. A. Rn. 128. 91 Es werden drei verschiedene Anfragetypen unterschieden: die Große Anfrage, §§ 100 ff. GeschO-BT; die Kleine Anfrage, § 104 GeschO-BT und die Fragestunde, § 105 GeschO-BT. 92 So J. Ipsen, Staatsrecht I, 9. A. Rn. 157. 93 Vgl. ausführlich unten beim Initiativrecht, 3. Teil, II. 2. b) dd). 94 J. Ipsen, Staatsrecht I, 9. A. Rn. 169. 90

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2. Teil: Der Parlamentsvorbehalt

grund der Regierungsverantwortung, Art. 65 Satz 1 und 2 GG, gerade hier Bedarf für eine parlamentarische Kontrolle besteht.95 Schärfstes Kontrollrecht des Bundestages stellt das konstruktive Misstrauensvotum dar, Art. 67 GG.96 Durch Wahl eines Nachfolgers kann der Bundestag den amtierenden Bundeskanzler samt seiner Regierung abberufen. Das konstruktive Misstrauensvotum stellt aber nur das allerletzte Mittel dar, die ultima ratio. Es setzt voraus, dass sich die Regierungsfraktionen wenigstens zum Teil gegen den eigenen Bundeskanzler wenden.97 Eine solche Situation ist nur unter außergewöhnlichen Umständen denkbar, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Regierungsfraktionen und Regierung nachhaltig gestört ist. 2. Besondere Kontrollrechte auf dem Gebiet der Verteidigung Im Verteidigungsbereich hat die allgemeine parlamentarische Kontrolle eine auffallende Verstärkung erfahren. Der verfassungsändernde Gesetzgeber sah offensichtlich besonderen Bedarf für eine Überwachung der Bundeswehr.98 Art. 45a Abs. 1 GG sieht die zwingende Einrichtung eines Verteidigungsausschusses vor. Das Regierungshandeln auf dem Gebiet der Verteidigung unterliegt damit einer ständigen parlamentarischen Begleitung und Begutachtung. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass der Verteidigungsausschuss auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses besitzt, Art. 45a Abs. 2 GG. Zwar kann der Bundestag damit nicht mehr von seinem allgemeinen Recht Gebrauch machen, einen auf einen konkreten Untersuchungsgegenstand gerichteten Untersuchungsausschuss einzusetzen, Art. 45a Abs. 3, 44 Abs. 1 GG. Dafür sieht sich die Regierung in Form des Verteidigungsausschusses praktisch einem permanenten Untersuchungsausschuss für Verteidigungsangelegenheiten gegenüber. Der Ausschuss kann sich zur Aufklärung ungeklärter Sachverhalte der Mittel der Strafprozessordnung bedienen, Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG, und beispielsweise von Amts wegen Zeugen vernehmen und auch vereidigen. Gerichte und Verwaltungsbehörden sind zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet, Art. 44 Abs. 3 GG. Das Parlament hat damit eine effektive Handhabe, um für die Regierung unangenehme Sachverhalte an das Licht der Öffentlichkeit zu tragen.

95

Ausführlich unten, 3. Teil, II. 2. b) dd). Maurer weist zu Recht darauf hin, dass das Misstrauensvotum genau genommen kein Kontrollakt ist, sondern die Sanktion, die sich aus der vorhergehenden Kontrolle und der sich daraus ergebenden Missbilligung ergibt, Staatsrecht I, 5. A. Rn. 126. 97 Es ist natürlich auch denkbar, dass sich die Mehrverhältnisse innerhalb einer Legislaturperiode geringfügig, aber ausschlaggebend ändern. Ein hierauf basierendes Misstrauensvotum stellt aber keinen Kontrollakt gegenüber der amtierenden Regierung dar, sondern eine Anpassung der Regierung an die neue Mehrheit im Bundestag. 98 Maurer, Staatsrecht I, 5. A. Rn. 132. 96

II. Das Verhältnis zu anderen Kontrollrechten

37

Auch die Berufung eines Wehrbeauftragten „zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle“, Art. 45b GG, stellt ein besonderes Kontrollinstrument auf dem Gebiet der Verteidigung dar.99 Der Wehrbeauftragte ist der Figur des schwedischen Ombudsmann nachgebildet. Sie beruht auf dem Gedanken, dass die Kontrolle durch eine Person, die sich allein dieser Aufgabe widmet, sehr viel effektiver wahrgenommen werden kann als von einem großen Gremium.100 Dem Wehrbeauftragten, der für jeweils fünf Jahre vom Bundestag gewählt wird, stehen umfassende Ermittlungsrechte zu.101 Er kann unter anderem vom Verteidigungsminister und allen diesem unterstellten Dienststellen Auskunft und Akteneinsicht verlangen, Zeugen und Sachverständige vernehmen und jederzeit ohne Anmeldung Truppenteile, Stäbe und Dienststellen besuchen. Über seine Erkenntnisse erstattet er dem Bundestag jedes Jahr einen schriftlichen Gesamtbericht, § 2 Abs. 1 WBeauftrG. Deckt der Wehrbeauftragte Missstände auf, kann er diese aber nicht selbst abstellen, da er weder Einzelfälle entscheiden noch Weisungen an Bundeswehrdienststellen erteilen darf.102 Er kann lediglich die zuständige Stelle zur Bereinigung veranlassen, vorgesetzte Dienststellen informieren oder dem Verteidigungsausschuss berichten. 3. Haushaltsrecht Eine Sonderstellung nimmt auch das Budgetrecht des Gesetzgebers ein, das im Grundgesetz auf dem Gebiet der Verteidigung ebenfalls eine besondere Ausgestaltung erfahren hat, Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG.103 Das Budgetrecht stellte im Konstitutionalismus die parlamentarische Kompetenz schlechthin dar104 – es ist auch heute das klassische Instrument der Parlamente, um Einfluss auf die Verteidigungspolitik der Exekutive zu nehmen. Indem das Parlament über die finanziellen Mittel für Sach- und Personalaufwand der Exekutive entscheidet, übt es eine indirekte, aber wirksame Kontrolle über die Tätigkeit der Regierung aus.105 Die Bedeutung des Haushaltsrechts für die Militärpolitik zeigte sich in der deutschen Geschichte etwa am preußischen Verfassungskonflikt, der sich im Jahre 1861 an der vom preußischen Prinzregenten Wilhelm – dem späteren König und Kaiser Wilhelm I. – geplanten Heeresreform entzündete.106 Die Reform sah eine Erhöhung der Truppenstärke von 150.000 auf 220.000 Mann vor; gleichzeitig sollte innerhalb 99 Ausführlich Busch, Der Wehrbeauftragte – Organ der parlamentarischen Kontrolle (1991). 100 Maurer, Staatsrecht I, 5. A. Rn. 133. 101 Vgl. das Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Gesetz zu Art. 45b GG), Sart. Nr. 635. 102 Raap, JuS 1996, S. 980 (982). 103 Vgl. hierzu unten 2. Teil, II. 3. 104 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 3, 3. A., S. 99 f. 105 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 87a, Rn. 11. 106 Vgl. zu allem: Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 356 ff.; Mickel/Wiegand, Geschichte, Politik und Gesellschaft, 3. Aufl. 1995, S. 124 f.

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2. Teil: Der Parlamentsvorbehalt

der Armee die Landwehr, die seit den Freiheitskriegen als Bürgerheer verstanden wurde, zu Gunsten des regulären Berufsheers reduziert werden. Zudem weigerte sich Wilhelm, die dreijährige Dienstzeit um ein Jahr zu verkürzen. Die liberaldemokratische Mehrheit im preußischen Abgeordnetenhaus107, die gerade für eine Verkürzung der Dienstzeit eintrat und sich gegen den Bedeutungsverlust der Landwehr wandte, lehnte die Bereitstellung der für die Umstrukturierung notwendigen Mittel im Haushaltsplan ab. Am 15. Mai 1860 stimmte das Abgeordnetenhaus schließlich einem Kompromiss zu und bewilligte die erforderlichen Mittel. Im Gegenzug versicherte die Regierung, die provisorische Bewilligung nicht für eine unumkehrbare Reorganisation der Armee zu verwenden. Nachdem Wilhelm die Vereinbarung nicht einhielt, lehnte das Abgeordnetenhaus weitere provisorische Bewilligungen ab. Der mittlerweile zum König gekrönte Wilhelm löste das Abgeordnetenhaus daraufhin am 11. März 1861 auf – aus der Neuwahl gingen die liberalen Kräfte zum Leidwesen des Königs allerdings gestärkt hervor. Als sich eine Lösung des Konflikts nicht mehr abzeichnete, fand König Wilhelm in Otto von Bismarck einen Ministerpräsidenten, der bereit war, gegebenenfalls auch ohne parlamentarisch beschlossenes Budget zu regieren. Das Abgeordnetenhaus verweigerte auch dem neuen Ministerpräsidenten jegliche Mittel für die Umstrukturierung des Heeres. Bismarck ließ hierauf den Landtag schließen und begann das „budgetlose Regiment“.108 Erst nach dem preußischen Sieg über Österreich bei Königgrätz am 3. Juli 1866 und der sich abzeichnenden deutschen Einigung bahnte sich eine Lösung des seit Jahren schwelenden Widerstreits an. Die nationalliberale Partei wollte nunmehr Bismarcks deutsche Politik unterstützen. Im September 1866 endete der Verfassungskonflikt mit der nachträglichen Legalisierung des budgetlosen Regiments durch den Landtag.109 Auch wenn sich in diesem Beispielsfall letztlich die Exekutive durchsetzte, konnte das Parlament – selbst in einer keinesfalls dem heutigen Demokratieverständnis genügenden Monarchie – die Regierungsarbeit über das Budgetrecht so erheblich stören, dass sich der König kurzzeitig mit dem Gedanken trug, auf den Thron zu verzichten.110 Die Stellung des Bundestages in der Ordnung des Grundgesetzes ist heute ungleich stärker als die des preußischen Abgeordnetenhauses. Hierzu trägt auch die Möglichkeit der Durchsetzung eigener Rechte vor dem Bundesverfassungsgericht bei. 107 Während sich in Preußen die erste Kammer vor allem aus dem höheren Adel zusammensetzte (Herrenhaus), stellte die zweite Kammer, das Abgeordnetenhaus, die eigentliche Volksvertretung dar. Das für die zweite Kammer geltende Drei-Klassen-Wahlrecht bewirkte aber auch hier, dass das Volk nicht verhältnismäßig repräsentiert war. 108 Bismarck griff die Ablehnung des Haushalts in seiner berühmten „Eisen und Blut“-Rede vom 30. 09. 1862 scharf an: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut“, vgl. Huber, Dokumente II, Nr. 46. 109 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 360; zur Frage, ob das budgetlose Regiment wegen einer Verfassungslücke ohnehin rechtmäßig war (sog. Lückentheorie), vgl. Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 361. 110 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 359.

II. Das Verhältnis zu anderen Kontrollrechten

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Art. 110 Abs. 2 GG sieht die Verabschiedung des Haushaltsplans als Gesetz vor. Es handelt sich dabei um ein Einspruchsgesetz im Sinne des Art. 77 Abs. 2 GG, sodass der Bundestag mit entsprechender qualifizierter Mehrheit notfalls auch gegen den Bundesrat entscheiden kann, Art. 77 Abs. 4 GG. Anders als im regulären Gesetzgebungsverfahren steht die Budgetinitiative allerdings allein der Bundesregierung zu, Art. 110 Abs. 3 GG.111 Dem Bundestag ist es dennoch gestattet, während der Haushaltsberatungen Änderungen der Haushaltsansätze vorzunehmen, da von seinem Budgetrecht sonst nicht viel übrig bliebe.112 Änderungen, die die Ausgaben des Haushaltplans erhöhen, bedürfen nach Verabschiedung des Haushaltsgesetzes aber der Zustimmung der Bundesregierung, Art. 113 Abs. 1 GG. Kürzungen sind ohne Beteiligung der Regierung möglich, solange – etwa im Bereich des Verteidigungsetats – eine wirksame militärische Verteidigung nicht gefährdet wird.113 Gemäß Art. 114 Abs. 1 GG hat der Bundesfinanzminister dem Bundestag und Bundesrat zur Haushaltskontrolle und Entlastung der Regierung über Einnahmen und Ausgaben Rechnung zu legen. Bundestag und Bundesrat können damit durch die Entscheidung über die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr entscheidenden Einfluss auf die Militärpolitik der Bundesregierung nehmen. Besondere Anforderungen im Bereich der Verteidigung ergeben sich für das Haushaltsgesetz zudem aus Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG. Die zahlenmäßige Stärke der Streitkräfte und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben. Der Gesetzgeber hat damit maßgebenden Einfluss auf Umfang und grundsätzliche Gliederung der Streitkräfte. Die Norm ist allerdings aus ihrer haushaltsrechtlichen Zielsetzung zu interpretieren – der Haushaltsplan ist kein Organisationsgesetz der Bundeswehr.114 Überdies enthält der Haushaltsplan lediglich eine Ermächtigung für die Exekutive, die bewilligten Mittel einzusetzen. Er stellt nur ein oberes Limit dar; die Regierung ist nicht verpflichtet, die Mittel wirklich voll auszuschöpfen.115 Die Festlegung der zahlenmäßigen Stärke betrifft damit nur die maximale Friedenspräsenzstärke der Bundeswehr.116 Die Darstellung der grundsätzlichen Organisation der Bundeswehr zeigt sich in einer Spezifizierung der Haushaltstitel. Die Verteidigungsausgaben müssen im Haushaltsplan nach ihrer jeweiligen Zweckbestimmung aufgeschlüsselt werden.117 Aus Art. 87a GG ergibt sich für den Bundestag somit ein Zustimmungsrecht zu allen grundlegenden Veränderungen in der Organisation der Streitkräfte.118 Verstößt die Regierung gegen den im Haushaltsplan festge111

Vgl. J. Ipsen, Staatsrecht I, 9. A. Rn. 447. J. Ipsen, Staatsrecht I, 9. A. Rn. 452. 113 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 87a, Rn. 19. 114 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 87a, Rn. 15 und 18. 115 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 87a, Rn. 13. 116 Auf völkerrechtlicher Ebene ist die Truppenstärke der Bundeswehr durch den Zweiplus-Vier-Vertrag auf 370.000 Soldaten begrenzt. 117 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 87a, Rn. 15 f. 118 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung (1964), S. 324. 112

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2. Teil: Der Parlamentsvorbehalt

legten Etat, handelt sie nicht nur rechtswidrig in Hinsicht auf das Haushaltsgesetz, sondern aufgrund von Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG auch verfassungswidrig.119

4. Bewertung Die allgemeinen parlamentarischen Kontrollrechte stellen wesentlich schwächere Instrumente als der parlamentarische Zustimmungsvorbehalt dar, durch den der Bundestag einen Auslandseinsatz in rechtlicher Hinsicht verhindern kann. Im Gegensatz zum Parlamentsvorbehalt ermöglichen die allgemeinen Kontrollrechte nicht den Zugriff auf eine konkrete Entscheidung, sondern bieten im Wesentlichen nur die Möglichkeit, politischen Druck aufzubauen. Zitier- und Interpellationsrecht sowie die Möglichkeit eines schlichten Parlamentsbeschlusses bieten zwar eine effektive Öffentlichkeitswirkung. Eine bestimmte Entscheidung der Regierung kann hierdurch in rechtlicher Beziehung aber weder verhindert noch erzwungen werden. Das konstruktive Misstrauensvotum bietet dem Bundestag immerhin eine konkrete Entscheidungskompetenz. Dieses bezieht sich aber allein auf die Personal- und nicht eine Sachfrage. Auch der neu gewählte Bundeskanzler ist nicht verpflichtet, sich allein wegen des vorherigen Misstrauensvotums nach dem Willen des Parlaments zu richten. Der Bundestag bleibt auch hier von der Entscheidung der Regierung über die – in den Kompetenzbereich der Exekutive gehörenden – Sachfragen abhängig. Ähnliches gilt für die wehrspezifischen Kontrollinstrumente des Verteidigungsausschusses und des Wehrbeauftragten. Der Bundestag kann hier zwar enorme Informations- und Ermittlungsrechte wahrnehmen – diese dienen aber vorrangig der Sachverhaltsaufklärung. Das Parlament kann nicht von sich aus rechtliche Konsequenzen an die Aufklärung knüpfen und Missstände selbst abstellen. Auch hier ist das Parlament an die Mitwirkung der entscheidungstragenden Stellen gebunden. Eine Ausnahme bildet das Haushaltsrecht in seiner verteidigungsspezifischen Ausgestaltung. Der Gesetzgeber hat hier wie beim Parlamentsvorbehalt ein echtes Entscheidungsrecht – ohne Zustimmung des Bundestags und Bundesrats kann der von der Regierung vorgeschlagene Wehretat nicht ergehen. Der Gesetzgeber muss die wichtigen Sachfragen der Truppenstärke und der grundsätzlichen Organisation der Streitkräfte selbst entscheiden. Allerdings betrifft der Staatshaushalt nur die groben Strukturen der Verteidigung; Entscheidungen über konkrete Maßnahmen der Streitkräfte sind auch dem Budgetrecht entzogen. Durch die verfassungsgerichtliche Feststellung des konstitutiven Parlamentsvorbehalts bei bewaffneten Auslandseinsätzen wurde die Stellung des Bundestages deutlich gestärkt. Das Parlament entscheidet im konkreten Einzelfall, ob die Exekutive die bewaffnete Macht im Ausland einsetzen darf oder nicht. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass die übrigen Kontrollrechte vom Parlamentsvorbehalt vollständig 119

Martens, Grundgesetz und Wehrverfassung, S. 186.

III. Parlamentsvorbehalt und Übertragung von Hoheitsrechten

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überlagert würden. Vielmehr ergänzt der Zustimmungsvorbehalt die parlamentarischen Rechte auf dem Sondergebiet der bewaffneten Einsätze der Bundeswehr. In den übrigen Bereichen der Verteidigungspolitik ist der Bundestag auf die allgemeinen Kontrollrechte verwiesen. Im Gegensatz zum Parlamentsvorbehalt sind die allgemeinen Kontrollrechte ferner auch häufig als Minderheitenrechte ausgestaltet. Das Zitierrecht etwa kann von jeder Fraktion oder fünf Prozent der Abgeordneten ausgeübt werden, § 42 GeschO-BT. Fragen können sogar von jedem einzelnen Mitglied des Bundestages an die Regierung gerichtet werden, § 105 GeschO-BT. Der Verteidigungsausschuss übernimmt schließlich die Funktion eines Untersuchungsausschusses, wenn ein Viertel seiner Mitglieder es beantragt, Art. 45a Abs. 2 Satz 2 GG. Demgegenüber stellt der Parlamentsvorbehalt – ebenso wie Haushaltsrecht, konstruktives Misstrauensvotum und schlichter Parlamentsbeschluss – ein klares Recht der Parlamentsmehrheit und damit in der Regel der Regierungsfraktionen dar. Es zeigt sich damit auch eine unterschiedliche Zweckrichtung der Rechtsinstitute.

III. Parlamentsvorbehalt und Übertragung von Hoheitsrechten Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Parlamentsvorbehalt im Grundgesetz verankert sieht, muss auch der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkung dies auf das Entwicklungspotential im Rahmen der europäischen Integration hat. Die Idee einer Europäischen Armee wird seit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft im Jahre 1954 in regelmäßigen Abständen diskutiert.120 Kurz vor der 50-Jahr-Feier der Europäischen Union im März 2007 gab Bundeskanzlerin und EU-Ratspräsidentin Merkel die Richtung vor: „In der EU selbst müssen wir einer gemeinsamen europäischen Armee näher kommen“.121 Auch wenn dieses Ziel nicht kurzfristig verwirklicht werden wird, ist es gut vorstellbar, dass sich in der EU im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mittel- oder langfristig die Bereitschaft zum Aufbau einer gemeinsamen Armee ergibt. Wie steht hierzu der deutsche Parlamentsvorbehalt? Würden bei deutscher Beteiligung auch Einsätze einer solchen Europäischen Armee dem Zustimmungsvorbehalt des deutschen Parlaments unterliegen? Könnte der Parlamentsvorbehalt durch eine Europäische Armee umgangen werden? Ausgangspunkt einer Lösung muss Art. 23 Abs. 1 GG sein, der die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union regelt. Denn darum würde es sich bei dem Verzicht auf die eigene Verteidigungshoheit zugunsten der EU handeln. Regelmäßig reicht für die Übertragung ein vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats beschlossenes Gesetz aus, Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG. Wird durch die Übertragung der Hoheitsrechte das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt, so sind die 120

Vgl. vor kurzem etwa Hofmann, der für die Einrichtung einer europäischen Armee plädiert: Die Zeit 12/2007, Die bewaffnete Venus. 121 Vgl. Die Zeit 13/2007, Eine Armee für Europa.

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2. Teil: Der Parlamentsvorbehalt

für eine Verfassungsänderung geltenden Vorschriften des Art. 79 Abs. 2 und 3 GG anzuwenden. Das Gesetz bedarf in diesem Fall einer qualifizierten 2/3-Mehrheit in Bundestag und -rat, Art. 79 Abs. 2 GG; zudem gilt für die Übertragung staatlicher Kompetenzen auf die EU die „Ewigkeitsklausel“ des Art. 79 Abs. 3 GG. Die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die in den Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze dürfen also auch durch eine Verlagerung von Kompetenzen auf europäische Ebene nicht umgangen werden. Für eine Bewertung der Grundgesetzmäßigkeit einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft unter deutscher Beteiligung kommt es auf deren konkrete Ausgestaltung an. Vor allem die Entscheidungsstrukturen und die Frage, ob die nationalen Parlamente oder das Europäische Parlament an der Entscheidung beteiligt werden, können für die Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsrechten nach dem Grundgesetz von Belang sein. Grundsätzlich gilt, dass die Schaffung einer Europäischen Armee auf deutscher Seite den Inhalt einer Verfassungsänderung hätte, so dass die Maßstäbe des Art. 79 Abs. 2 und 3 GG anzuwenden wären. Das Grundgesetz sieht Streitkräfte nämlich nur unter der Hoheit des Bundes vor, Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG. Unabhängig davon, ob die Bundeswehr in einer Europäischen Armee aufginge oder als reduzierte nationale Armee daneben bestehen bliebe, würde die Einrichtung europäischer Streitkräfte unter deutscher Beteiligung wenigstens eine Ergänzung des Grundgesetzes darstellen. Nicht zu verwechseln ist diese Konstellation mit der Schaffung multinationaler integrierter Verbände, bei denen die einzelnen Soldaten die Zugehörigkeit zu ihren jeweiligen nationalen Streitkräften behalten, also deutsche, französische, etc. Soldaten bleiben.122 Solche Verbände stellen keine aus eigener Kompetenz der EU123 aufgestellte Europäische Armee dar, sondern ein Zusammenwirken der selbständigen Armeen mehrerer Mitgliedstaaten.124 Hierfür müssen keine Hoheitsrechte übertragen werden. Für die deutsche Beteiligung an einer Europäischen Armee wäre somit eine qualifizierte Mehrheit nach Art. 79 Abs. 2 GG erforderlich. Die Frage, ob bei der Errichtung europäischer Streitkräfte auf den Zustimmungsvorbehalt des Bundestages bei bewaffneten Einsätzen verzichtet werden kann, ist anhand von Art. 79 Abs. 3 GG zu beantworten. Das Grundgesetz verbietet nämlich nicht jede Übertragung von Hoheitsrechten, die das Grundgesetz in der Folge verändern würde. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG stellt klar, dass allein solche Kompetenzverlagerungen unzulässig sind, die zu einer Abweichung von den in Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Prinzipien führen würden. Das Fehlen eines Zustimmungsvorbehalts des Bundestages bei Einsätzen einer Europäischen Armee wäre nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG letztlich nur dann unzulässig, wenn hierin ein Verstoß gegen Art. 20 GG, insbesondere gegen das Demo-

122 123 124

Vgl. zum Parlamentsvorbehalt bei integrierten Verbänden, unten 3. Teil, I. 9. Durch Übertragung der Kompetenzen von den teilnehmenden Ländern. Ein Beispiel hierfür ist das Eurokorps.

III. Parlamentsvorbehalt und Übertragung von Hoheitsrechten

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kratieprinzip, läge.125 Wie zuvor schon bei den Erörterungen zur Wesentlichkeitstheorie festgestellt, schreibt das Demokratieprinzip einen Parlamentsvorbehalt aber nicht zwingend vor. Der verfassungsändernde Gesetzgeber könnte die Entscheidung über Auslandseinsätze auch unter Berücksichtigung des Art. 79 Abs. 3 GG alleine der Bundesregierung zuweisen.126 Das wiederum bedeutet, dass der Parlamentsvorbehalt auch bei Schaffung einer europäischen Armee nicht zwangsläufig erhalten bleiben muss. Um dem Demokratiegebot gerecht zu werden, muss die Entscheidung über den Einsatz der Armee aber hinreichende Rückkoppelung zum Souverän, dem Volk, aufweisen.127 Hierfür würde es ausreichen, dass die demokratisch legitimierten nationalen Regierungen im Ministerrat über den Einsatz entscheiden; auch eine Mitentscheidung des Europäischen Parlaments – oder der nationalen Parlamente – ist denkbar.

Vgl. zu dem von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Demokratieprinzip und der Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU: Hufeld, Die Verfassungsdurchbrechung (1997), S. 129 f. 126 Vgl. oben S. 25. 127 Vgl. das Maastricht-Urteil, BVerfGE 89, 155 (184 f.). 125

Dritter Teil

Das parlamentarische Zustimmungsverfahren Die Entstehung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist direkt auf die AWACSEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführen. Erst durch die „Entdeckung“ des parlamentarischen Zustimmungsvorbehaltes bei Auslandseinsätzen der Streitkräfte wurde die Regelung des Zustimmungsverfahrens notwendig. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar – unmittelbar kraft Verfassung geltende – Anforderungen für die Ausübung des Parlamentsvorbehaltes formuliert, zugleich aber eine gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrens angeregt.1

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte Als auslösendes Moment der parlamentarischen Zustimmungspflicht erkannte das Bundesverfassungsgericht den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland.2 § 1 Abs. 2 ParlBetG positiviert diesen Grundsatz: „(2) Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bedarf der Zustimmung des Bundestages.“

Der Regelung kommt besondere Bedeutung zu, da sie die Umstände benennt, mit denen die Zustimmungspflicht steht und fällt. § 2 ParlBetG bemüht sich weiter um eine Legaldefinition des bewaffneten Einsatzes von Streitkräften: „Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt vor, wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist.“

Der Gesetzgeber hat auch hier eine Formulierung des Bundesverfassungsgerichts übernommen, das ebenfalls nach der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen differenziert.3 Viel gewonnen ist durch die Legaldefinition freilich nicht, da der Begriff des „bewaffneten Einsatzes“ schlicht durch den der „bewaffneten Unternehmung“ ersetzt wird.

1 2 3

BVerfGE 90, 286 (389 f.); vgl. Röttgen, ZRP 2003, S. 20 (22). BVerfGE 90, 286 (381 f., 387). BVerfGE 90, 286 (388).

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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1. Streitkräfte und Polizeieinheiten Erste Voraussetzung der Zustimmungspflicht ist die Verwendung deutscher Streitkräfte. Unter den Streitkräften im klassischen Sinn wird überwiegend das in der Bundeswehr organisierte militärische Instrument der Bundesrepublik verstanden.4 Zum Teil werden die Streitkräfte abstrakter als alle militärischen Verbände definiert, die unter der Befehls- und Kommandogewalt des Verteidigungsministers oder im Verteidigungsfall des Bundeskanzlers stehen.5 Unter die Streitkräfte fallen demnach alle Einheiten der Bundeswehr mit ihren Untergliederungen in Heer, Luftwaffe und Marine. § 2 Abs. 1 ParlBetG greift diese Umgrenzung auf – ein Einsatz der Streitkräfte liegt vor, sobald Soldaten der Bundeswehr an Unternehmungen beteiligt sind. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz stellt damit klar, dass seine Anwendung auf Bundeswehreinsätze beschränkt ist und weder Polizeieinheiten noch zivile Mitarbeiter betrifft. Zudem bezieht sich der Parlamentsvorbehalt nur auf deutsche Streitkräfte, § 1 Abs. 2 ParlBetG.6 Sollte die Bundesregierung an einem Beschluss über die Entsendung ausländischer Streitkräfte beteiligt sein – etwa im Rahmen einer Resolution des VN-Sicherheitsrates oder des NATO-Rates – so muss keine vorherige Zustimmung des Bundestages eingeholt werden. In diesen Fällen würde es derzeit allerdings auch schon an einem Beschluss über einen konkreten Einsatz fehlen, da der tatsächliche Einsatz der ausländischen Streitkräfte in der Hand des jeweiligen Staates liegt; Resolutionen des Sicherheitsrates oder NATO-Ratsbeschlüsse haben nur legitimierende Funktion. a) Auslandseinsätze von Polizeieinheiten Der Auslandseinsatz von Polizeikräften wirft trotz (oder gerade wegen) des klaren Wortlauts des Parlamentsbeteiligungsgesetzes Probleme auf. Insbesondere polizeiliche Spezialeinheiten wie die GSG 97 sind in der Lage, Teile der Aufgaben der Bundeswehr wahrzunehmen, wie auch die Bundeswehr im Ausland häufig Polizeiaufgaben wahrnimmt. Seit 1989 haben über 4700 deutsche Polizeibeamte an 20 verschiedenen Auslandseinsätzen der UNO, OSZE, WEU und EU teilgenommen.8 Auf der Grundlage des Beschlusses der Ständigen Konferenz der Innenminister des Bundes und der Länder vom 25. November 1994 sind neben Beamten der Bundespolizei auch Polizeivollzugsbeamte aus den Bundesländern und des Bundeskriminalamtes an den Einsätzen beteiligt. Im Rahmen des Wiederaufbaus im Irak wurden zum Schutz der Einsatzkräfte des THW9 nicht Bundeswehrkräfte, sondern BGS10-Eliteeinheiten ein4

Maunz/Dürig, Art.87a GG, Rn. 9. Dreier/Heun, Grundgesetz-Kommentar, Art. 87a, Rn. 9. 6 Auch das Streitkräfteurteil bezieht sich allein auf deutsche Streitkräfte. 7 Die Grenzschutzgruppe 9 ist die polizeiliche Spezialeinheit der Bundespolizei zur Bekämpfung von Terrorismus und schwerster Gewaltkriminalität. 8 Stand: 17. 10. 2006; Quelle: Auslandseinsätze der Polizei – Informationsblatt Historie, www.bundespolizei.de. 9 Technisches Hilfswerk. 5

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

gesetzt.11 Während der Kampf gegen den Terror in Afghanistan militärisch geführt wird, werden in Algerien und im Irak Polizeieinheiten eingesetzt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der für die Streitkräfte bestehende Parlamentsvorbehalt durch den Einsatz von Polizeieinheiten umgangen werden könnte und welche rechtlichen Konsequenzen hieraus zu ziehen sind. Obwohl die Problematik bekannt war, wurden Polizeieinheiten bewusst nicht in den Anwendungsbereich des Parlamentsbeteiligungsgesetzes aufgenommen.12 Dies führt dazu, dass die gleiche Aufgabe – je nachdem ob die Bundeswehr oder eine Polizeieinheit eingesetzt wird – nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz einmal der Zustimmung des Bundestages bedarf und einmal nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil zu dem Problem nicht geäußert, da streitgegenständlich nur über Auslandseinsätze der Bundeswehr zu entscheiden war. Die Begründung des Parlamentsvorbehaltes hat das Gericht jedoch gerade auf der Stellung der Streitkräfte im deutschen Verfassungssystem aufgebaut – eine Übertragung auf Polizeieinheiten ist damit nicht ohne weiteres möglich. Die Bundestagesabgeordneten Ole Schröder13 und Eckart von Klaeden14 (beide CDU/CSU) haben schon in den Beratungen zum Parlamentsbeteiligungsgesetz ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass durch den Einsatz von Polizeieinheiten eine Umgehung des Parlamentsvorbehaltes ermöglicht würde. Die Regierung könne, wenn sie in bestimmten Fällen die parlamentarische Diskussion scheue, BGS-Einheiten ins Ausland schicken, obwohl auch Stabilisierungskräfte der Bundeswehr die Aufgabe wahrnehmen könnten. Fischer-Lescano befürchtet, dass polizeiliche Eingreiftruppen mehr und mehr paramilitärische Züge entwickeln und zu einem funktionalen Äquivalent des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr werden könnten.15 Scholz weist darauf hin, dass eine klare Abgrenzung polizeilicher und militärischer Aufgaben heute nicht mehr möglich sei und sich diese bei Auslandseinsätzen immer mehr vermischten.16 Da der Parlamentsvorbehalt verfassungshistorisch im Kriegsrecht wurzele, sei die Ausdehnung des Zustimmungsvorbehalts auf Polizeieinsätze aber nicht angeraten. Wieland und Wiefelspütz sehen den Parlamentsvorbehalt nicht betroffen, da die Polizei keine militärischen Aufgaben wahrnehme.17 Baldus betont, dass das Bundesverfassungsgericht den konstitutiven Parlamentsvorbehalt auf 10 11

Heute: Bundespolizei. Vgl. Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004,

S. 23. 12

Vgl. Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004,

S. 23. 13

Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 23. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 15/146, 146. Sitzung vom 03. 12. 2004, S. 13646 f. 15 Fischer-Lescano, Kritische Justiz 2004, S. 67 (75). 16 Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 27. 17 Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 26; Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 15/146, 146. Sitzung vom 03. 12. 2004, S. 13646 f. 14

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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wehrverfassungs- und nicht auf polizeiverfassungsrechtliche Normen gestützt habe. Auch bei besonderer Gefährdung der eingesetzten Polizisten biete das Grundgesetz keinen Anhaltspunkt, der es erlaubte, ein dem „Parlamentsheer“ analoges Konzept einer „Parlamentspolizei“ zu entwickeln.18 b) Parlamentarische Mitwirkung bei internationalen Polizeieinsätzen Auslandseinsätze der Bundespolizei unterliegen auch jetzt schon einer Kontrolle des Bundestages.19 § 8 Abs. 1 des Bundespolizeigesetzes20 regelt die Verwendung der Bundespolizei im Ausland und das einzuhaltende Verfahren.21 Die Entscheidung über die Auslandsverwendung trifft demnach allein die Bundesregierung, § 8 Abs. 1 Satz 3 BPolG. Der Bundestag ist über die beabsichtigte Verwendung aber zu unterrichten – durch Beschluss kann er verlangen, dass die Verwendung beendet wird, § 8 Abs. 1 Satz 4 und 5 BPolG. Auf der Ebene der Bundespolizei scheint die Gefahr einer Umgehung des Parlamentsvorbehalts somit relativiert. Die Kontrolldichte entspricht jedoch nicht der des Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Anders als beim Einsatz der Bundeswehr bedarf es keines konstitutiven Beschlusses des Bundestags – dem Parlament steht nur ein Rückholrecht zu. Für die Streitkräfte hat das Bundesverfassungsgericht gerade dies für nicht zulässig erklärt und eine vorherige Zustimmung des Bundestages gefordert.22 Trotz des eingeschränkten Parlamentsvorbehaltes bleibt die Umgehungsgefahr also bestehen, da bei Polizeieinsätzen eine parlamentarische Diskussion vor dem Einsatz unterbleibt. Die Frage, ob ein Auslandseinsatz bewaffneter Einheiten dem vorherigen Zustimmungsvorbehalt des Bundestages unterliegt, kann jedenfalls nicht allein an der Zugehörigkeit der eingesetzten Einheit zu Bundeswehr oder Polizei festgemacht werden. Der Zustimmungsvorbehalt wäre damit von der willkürlichen institutionellen Zuordnung der Einheit abhängig. Auch Polizeieinheiten können abweichend von ihrer eigentlichen Funktion funktional als Streitkräfte eingesetzt werden. Dies wird dadurch verdeutlicht, dass die Beamten des Bundesgrenzschutzes bis 1994 ausdrücklich Kombattantenstatus hatten, § 64 BGSG a.F., also völkerrechtlich an einem bewaffneten internationalen Konflikt teilnehmen durften. Für den vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Parlamentsvorbehalt kann das formale Kriterium der 18

Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (58 f.). 19 Baldus spricht von einem Parlamentsvorbehalt in rudimentärer Form: Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 31. 20 BPolG; Wortgleich mit § 8 Abs. 1 BGS-Gesetz a.F. 21 Fischer-Lescano sieht in der Auslandsverwendung der Bundespolizei einen Verstoß gegen das Grundgesetz; § 8 BGSG a.F. (wortgleich mit § 8 BPolG) sei verfassungswidrig. Art. 87 Abs.1 Satz 2 GG ermächtige nur zur Schaffung eines Grenzschutzes, nicht aber zur Schaffung einer Eingreiftruppe des Bundes für Auslandseinsätze, Kritische Justiz 2004, S. 67 (71, 73 f.). 22 BVerfGE 90, 286 (387).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Verbandszugehörigkeit der eingesetzten Einheit nicht vorrangig ausschlaggebend sein, da dem Bundestag sonst der Einfluss auf das militärische Instrument der Bundesrepublik entzogen werden könnte. Werden neben den regulären Streitkräften Einheiten aufgebaut, die militärische Aufgaben im Ausland ausführen können und dies auch tun, fallen diese ebenso unter den Parlamentsvorbehalt wie die Bundeswehr. Die Begrenzung des Parlamentsvorbehalts auf Einsätze der Streitkräfte ist also funktional zu verstehen. Streitkräfte im funktionalen Sinne sind alle Einheiten, die militärische Einsätze ausführen.23 Im Ausland bedürfen diese Einsätze stets der vorherigen Zustimmung des Bundestages, auch wenn sie von Polizeieinheiten durchgeführt werden. § 8 Abs. 1 BPolG beschränkt die Auslandsverwendung von Polizisten zwar auf nicht-militärische Aufgaben. Die Frage, ob Polizeieinsätze militärischer Art dem Parlamentsvorbehalt unterliegen, wird damit aber nicht obsolet. Die Diskussion über die Umgehung des Parlamentsvorbehalts durch Austausch der Bundeswehr durch Polizeieinheiten zeigt, dass solche – gegen § 8 Abs. 1 BPolG verstoßende – Einsätze wenigstens im Bereich des Möglichen liegen. Nur unter der Prämisse, dass der Bundestag grundsätzlich allen militärischen Einsätzen im Ausland – auch solchen der Polizei – konstitutiv zustimmen muss, liegt in diesem Fall neben dem Verstoß gegen § 8 BPolG eine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte des Bundestages vor, die dieser im Wege eines Organstreitverfahrens einklagen kann. Dies wäre bei einer reinen Verletzung des einfachen Polizeirechts nicht möglich. Auch das in § 8 BPolG normierte Rückholrecht erübrigt die Diskussion nicht. Zwar kann der Bundestag damit einen unrechtmäßigen militärischen Einsatz sofort beenden. Eine Feststellung des rechtswidrigen Handelns der Bundesregierung ist hiermit jedoch nicht verbunden, da der Rückruf gerade für rechtmäßige Einsätze konzipiert ist. Zudem macht es einen Unterschied, ob – wie beim Rückholrecht – eine Mehrheit gegen den Einsatz gefunden werden muss oder ob – wie bei der vorherigen Zustimmung – eine Mehrheit für den Einsatz zu erreichen ist. Als Grundsatz lässt sich also festhalten, dass militärische Auslandseinsätze stets zustimmungsbedürftig sind, gleich wer sie ausführt. Einsätze der Bundeswehr sind daneben auch dann zustimmungsbedürftig, wenn der Einsatz im Wesen zunächst rein polizeilicher Natur erscheint.24 So wie sich die Unterscheidung verschiedener Arten von Friedenstruppen verbietet, da die Grenzen zwischen traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden sind25, so ist bei der Verwendung der Bundeswehr in der Realität eine Differenzierung zwischen polizeilichem und militärischem Einsatz

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Zum militärischen Einsatz siehe unten 3. Teil, I. 1. c) und 3. Teil, I. 2. a). A.A. Wiefelspütz, NVwZ 2005, S. 496 (497) zum „materiell-funktional (…) polizeilichen Unternehmen“ der Rettungsaktion LIBELLE in Tirana/Albanien im Jahr 1997. 25 BVerfGE 90, 286 (387 f.). 24

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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kaum möglich.26 Der auswärtige Einsatz der Streitkräfte ist immer mit der Frage von Krieg und Frieden verknüpft, da die Entsendung von Soldaten einen erheblichen Eingriff in die Souveränität des betroffenen Staates darstellt. Selbst wenn ein Auftrag zunächst auf polizeiliche Aufgaben beschränkt ist, haben die dislozierten Truppenteile das Potential, militärisch tätig zu werden – hierin besteht ihre eigentliche Funktion, für die sie ausgebildet wurden. Ein bewaffneter Bundeswehreinsatz hat stets eine potentiell militärische Natur. Nur der Bundestag ist nach den Grundsätzen der Wesentlichkeitstheorie befugt, eine solch weitreichende Entscheidung zu treffen. Dementsprechend umfasst der Parlamentsvorbehalt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts alle bewaffneten Einsätze der Bundeswehr, wogegen Auslandseinsätze der Polizei nur bei konkret militärischem Inhalt zustimmungsbedürftig sind. c) Militärische und polizeiliche Einsätze Die Abgrenzung, wann ein militärischer und wann ein polizeilicher Einsatz vorliegt, bereitet allerdings Probleme. Die Aufgabenbereiche von Militär und Polizei vermischen sich insbesondere bei der Begegnung mit dem Terrorismus.27 Für die Unterscheidung kommt es nicht darauf an, ob die Bundeswehr eine Aufgabe grundsätzlich wahrnehmen könnte. Nur weil Streitkräfte eine polizeiliche Aufgabe wahrnehmen können, bedeutet dies nicht, dass die Unternehmung damit die Qualität eines konkret militärischen Einsatzes erlangt. Der Schutz des THW28 im Irak durch BGS-Beamte stellt nicht per se einen militärischen Einsatz dar, nur weil in anderen Fällen die Bundeswehr diese Aufgabe übernommen hat. Militärische Einsätze sind auf die Begegnung verschiedener Streitmächte ausgelegt, insbesondere im Rahmen eines Krieges, während polizeiliche Einsätze nach innen gegenüber den Bürgern wirken und der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung, also der Gesetzesdurchsetzung dienen.29 Zur Grenzziehung bietet sich ein Rückgriff auf das Völkerrecht an.30 Ein militärischer Einsatz liegt dann vor, wenn die eingesetzten Einheiten an 26 Vgl. auch Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 27. 27 Vgl. zur Frage, wann die Abwehr terroristischer Anschläge auf Deutschland vom Verteidigungsauftrag der Bundeswehr gedeckt ist: Wiefelspütz, AöR 2007, S. 44 (70). 28 Technisches Hilfswerk. 29 Vgl. F. Kirchhof, Bundeswehr, in: HStR III, 2. A., § 78, Rn. 3. 30 Eine Heranziehung des Völkerrechts zur Grundgesetzauslegung ist nicht unproblematisch, da die Gesetzeshierarchie von Völkerrecht und Grundgesetz umstritten ist. Art. 25 GG bestimmt, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, hierunter fällt insbesondere das Gewohnheitsrecht, Teil des Bundesrechts sind und den Gesetzen vorgehen. Eine Ansicht schließt hieraus, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Überverfassungsrang haben (vgl. von Brentano, Herrenchiemseer Konvent, Hauptausschuss, Stenographische Berichte, S. 750); eine weitere Ansicht geht von Verfassungsrang aus, während eine dritte Meinung von einem Rang zwischen den formellen Gesetzen und der Verfassung ausgeht (vgl. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2. A., § 31 IV). Folgte man der Meinung, die das Grundgesetz gegenüber dem Völkerrecht als höherrangig ansieht, so könnte das Völkerrecht nicht ohne weiteres als Auslegungsmaßstab für die Verfassung herangezogen werden. Auch in diesem Fall

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

einem bewaffneten Konflikt teilnehmen, der die Anwendung des Kriegsvölkerrechts auslöst.31 Der Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen hat seinen historischen Ursprung zwar in der Beteiligung an einem klassischen Krieg und nicht an jedem bewaffneten Konflikt. Die Ausdehnung des ius in bello über erklärte Kriege hinaus auf alle bewaffneten Konflikte resultiert aber daraus, dass „moderne Kriege“ nicht mehr förmlich erklärt werden und oft sukzessive eskalieren. Auch das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass unter den heutigen politischen Bedingungen das historische Bild des Kriegseintritts nicht mehr existiert und es daher für den Zustimmungsvorbehalt alleine auf den Einsatz bewaffneter Streitkräfte und nicht die Beteiligung an einem Krieg ankomme.32 Liegt ein bewaffneter internationaler (oder unter bestimmten Voraussetzungen nicht-internationaler)33 Konflikt vor, ist völkerrechtlich das „Recht im Kriege“34 anwendbar, so dass nicht von einem polizeilichen Einsatz gesprochen werden kann.35 Die Beteiligung an einem solchen Konflikt stellt immer einen den Parlamentsvorbehalt auslösenden militärischen Einsatz dar und wird funktional von Streitkräften ausgeführt. Bei klassischen internationalen bewaffneten Konflikten zwischen zwei oder mehreren Staaten, insbesondere erklärten Kriegen, ist die Feststellung eines militärischen Einsatzes relativ einfach. Kommen die eingesetzten Einheiten bestimmungsgemäß mit den Streitmächten der Konfliktparteien in Berührung und ist eine Konfrontation wenigstens denkbar, ist ein militärischer Einsatz gegeben. Schwieriger ist die Abgrenzung bei den heute überwiegenden bewaffneten Konflikten nicht-internationaler Art, bei denen keine regulären Streitkräfte verschiedener Staaten einander gegenüber stehen. Hierunter fallen Bürgerkriege wie etwa im ehemaligen Jugoslawien, unter gewissen Voraussetzungen auch die Bekämpfung des Terrorismus. Auch nicht-internationale Konflikte können gemäß Art. 1 des Zusatzprotokolls II zu den Genfer Abkommen die Geltung des ius in bello auslösen, sodass eine Beteiligung hieran als militärischer Einsatz zu werten ist. Auch Auslandseinsätze im Rahmen rein innerstaatlicher Konflikte können damit unter den Parlamentsvorbehalt fallen. Das Problem wird auf die Ebene verlagert, wann ein bewaffneter Konflikt im Sinne des Kriegsvölkerrechts behält das Völkerrecht für das Grundgesetz aber eine gewisse Bedeutung. Soweit allgemeine Regeln des Völkerrechts schon bei Verabschiedung des Grundgesetzes bestanden haben, können sie zu dessen Auslegung herangezogen werden, da das Grundgesetz auch unter ihrem Eindruck formuliert wurde. Im Rahmen einer dynamischen Auslegung der Verfassung können spätere Entwicklungen der allgemeinen Völkerrechtsregeln berücksichtigt werden. Hierfür spricht die völkerrechtsfreundliche Ausgestaltung des Grundgesetzes, vgl. z. B. Art. 24 f. GG, und der Umstand, dass das Völkergewohnheitsrecht universal gültige allgemeine Rechtsgedanken enthält. 31 Sog. ius in bello; im Gegensatz zum „Recht zum Kriege“, sog. ius ad bellum. 32 BVerfGE 108, 34 (43). 33 Vgl. Zusatzprotokoll II zu den Genfer Abkommen, nach dem auch nicht-internationale, also interne Konflikte dem Kriegsvölkerrecht unterfallen können. 34 Sog. ius in bello, vgl. Fn. 31. 35 Gemeinsamer Art. 2 der Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 und Art. 1 Abs. 3 des Zusatzprotokolls I; vgl. auch Kalshoven, Constraints on the waging of war, 1987, S. 26 f.

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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und wann ein einfacher Polizeieinsatz zur Wiederherstellung der Ordnung vorliegt. Was die eine Seite als einen polizeilichen Einsatz gegen gewöhnliche Kriminelle – zum Beispiel Terroristen – betrachtet, ist für die andere Seite ein Befreiungskrieg, der damit dem Kriegsvölkerrecht unterliegen könnte. Art. 1 ZP II versucht diesen Konflikt aufzulösen: „Dieses Protokoll (…) findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung (…), die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder einer anderen organisierten bewaffneten Gruppe stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchzuführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen. Dieses Protokoll findet nicht auf Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen Anwendung, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten.“

Erste Voraussetzung ist demnach, dass die Regierung des betroffenen Staates an dem Konflikt beteiligt sein muss. Die Gegenseite muss aus einer organisierten bewaffneten Gruppe bestehen, die die Kontrolle über einen Teil des Landes ausübt. Zudem sind vereinzelte Auseinandersetzungen nach Absatz 2 nicht als bewaffneter Konflikt zu klassifizieren. Art. 1 ZP II zielt somit auf eine kriegsähnliche Auseinandersetzung, in der – gleichsam wie in internationalen Konflikten – von verschiedenen bewaffneten Gruppen beherrschte Landesteile einander gegenüberstehen. Das zweite Zusatzprotokoll findet also keine Anwendung auf Konflikte mit im Untergrund agierenden Guerilla-Gruppen, die nur von Zeit zu Zeit Aktionen nach dem „hit and run“Prinzip ausführen.36 Für die aktuellen Auslandseinsätze im Rahmen der Terrorismusbekämpfung bedeutet dies, dass das Kriegsvölkerrecht nur dann anwendbar ist, wenn die terroristischen Gruppen hierarchisch gegliedert sind und in begrenzten Gebieten die Hoheitsgewalt ausüben. Dies kann man in einigen immer noch von den Taliban beherrschten Gebieten in Afghanistan annehmen. Bewaffnete Einsätze gegen solche Gruppen unterliegen dem ius in bello und sind somit militärischer Natur. Da in Afghanistan Bundeswehreinheiten eingesetzt werden, bestehen in dieser Hinsicht keine rechtlichen Bedenken. Im Gegensatz dazu stehen terroristische Einzelaktionen, die nicht von der gefestigten Position eines beherrschten Landesteiles ausgehen. Einzelne aus dem Untergrund getätigte Anschläge, wie sie vielfach im Irak zu sehen sind, unterfallen nicht dem Kriegsrecht sondern nationalem Recht. Aktionen, die gegen solche Anschläge gerichtet sind, haben damit polizeiliche Natur.37 Der präventive und repressive Einsatz von deutschen Polizeikräften, zum Beispiel zum Schutz des THW, richtet sich demnach zulässigerweise allein nach den Vorgaben des Bundespolizeigesetzes, sodass eine vorherige Zustimmung des Bundestages nicht erforderlich ist. Eine Veränderung der Machtverhältnisse im Irak kann aber zu einer anderen Be36

Kalshoven, Constraints on the Waging of War, S. 138. A.M. für die Lage im Irak: Fischer-Lescano, der einen rechtswidrigen militärischen Einsatz des BGS annimmt, Kritische Justiz 2004, S. 67 (77, 80). 37

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

wertung der Einsatzqualität führen. Hierbei kann eine unterschiedliche Bewertung verschiedener Landesteile und verschiedener terroristischer Gruppen angebracht sein. Auf den Kombattantenstatus der eingesetzten Einheiten kommt es nicht an, da dieser willkürlich zugewiesen werden kann. Angehörige der Polizei sind grundsätzlich keine Kombattanten, sondern als Zivilpersonen völkerrechtlich geschützt.38 Ebenso wenig wie eine militärische Aktion gegen sie gerichtet werden darf, dürfen sie selbst militärische Aktionen abwehren – sie unterfallen nicht dem Streitkräftebegriff des Art. 43 ZP I. Nach Absatz 3 dieser Norm können Polizisten aber – wie beim BGS bis 1994 der Fall, § 64 BGSG a.F.39 – durch völkerrechtliche Notifikation permanent oder für die Dauer eines bewaffneten Konflikts in die Streitkräfte aufgenommen werden.40 Die jeweilige Regierung kann demnach frei entscheiden, ob Polizeieinheiten Kombattantenstatus erhalten oder nicht. Der Kombattantenstatus betrifft nur die Rechte und Pflichten der betroffenen Person, nicht aber die tatsächlichen Aufgaben, die diese Person ausübt. Nichtkombattanten sind nicht berechtigt, an Kampfhandlungen teilzunehmen – tun sie es dennoch, unterliegen sie als unrechtmäßige Kombattanten mit ihren Handlungen dem allgemeinen Strafrecht. Auslandseinsätze der Polizei, die militärischer Natur sind, bergen demnach die Gefahr, dass die Polizisten völkerrechtlich als Freischärler oder Partisanen zu betrachten sind.41 2. Bewaffneter Einsatz und bewaffnete Unternehmung Die Frage, wann ein Einsatz der Streitkräfte vorliegt, wurde bis zum Streitkräfteurteil des Bundesverfassungsgerichts nur im Rahmen des Art. 87a Abs. 2 GG, dort aber sehr kontrovers diskutiert.42 Nach dieser Norm dürfen Streitkräfte außer zur Verteidigung nur dann eingesetzt werden, wenn das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Der Kern der Problematik liegt darin, ob der Verfassungsvorbehalt jedwede nicht vom Grundgesetz vorgesehene Verwendung der Bundeswehr verbietet43 oder ob nur spezifische Bundeswehreinsätze (also militärische Einsätze) von dem Verbot umfasst sind.44 Es existiert ein breites Meinungsspektrum, wonach entweder allein die bewaffnete Verwendung als Einsatz betrachtet wird45, auf die Verwendung im Rahmen der 38

Walter, NZWehrr 1990, S. 58 (62). Vgl. Fischer-Lescano, Kritische Justiz 2004, S. 67 (77). 40 So etwa die französische Gendamerie Nationale oder die italienischen Carabinieri; vgl. Brune/Göbel, NZWehrr 2001, S. 241 (242). 41 So Fischer-Lescano in Bezug auf die zum Schutz des THW eingesetzten BGS-Beamten im Irak, Kritische Justiz 2004, S. 67 (77); vgl. auch Brune/Göbel, NZWehrr 2001, S. 241 (244). 42 Vgl. etwa Bähr, ZRP 1994, S. 97 (100 f.); Lutze, NZWehrr 2001, S. 117 (118 ff.). 43 So z. B. Bähr, ZRP 1994, S. 97 (101). 44 Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, Art. 87a Rn. 36. 45 Kokott, in: Sachs, GG, Art. 87a, Rn. 14; Hernekamp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 87a, Rn. 13. 39

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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militärischen Befehlsgewalt – unabhängig von der Bewaffnung – abzustellen ist46 oder jedes hoheitliche Handeln47 oder jedes Handeln, das einen Grundrechtseingriff mit sich bringt48 als Einsatz zu klassifizieren ist. Nach ganz überwiegender Meinung stellt nicht jede Tätigkeit der Bundeswehr einen Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG dar. Genauso wenig soll der Einsatzbegriff aber nur Kampfhandlungen der Bundeswehr umfassen.49 Allgemein nicht als Einsätze im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG werden etwa verstanden: Verwendungen im Rahmen der Kriegsgräberfürsorge, der Musik- und Traditionspflege, bei der Stellung von Ehrenformationen anlässlich eines Staatsbesuches, bei der Bereitstellung von Krankentransportmöglichkeiten sowie bei Aktionen des Umweltschutzes.50 Es stellt sich die Frage, ob die Diskussion über den Einsatzbegriff im Rahmen des Art. 87a Abs. 2 GG ohne weiteres auf den Einsatzbegriff des Parlamentsbeteiligungsgesetzes übertragen werden kann. Ein Unterschied liegt offenkundig darin, dass sich der Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen allein auf bewaffnete Einsätze bezieht, während Art. 87a Abs. 2 GG diese Einschränkung nicht (ausdrücklich) vornimmt. Zudem betrifft der Parlamentsvorbehalt ausschließlich Auslandseinsätze, während Art. 87a Abs. 2 GG nach einer stark vertretenen Ansicht nur für innere Einsätze gilt.51 Auch besteht inhaltlich eine unterschiedliche Zielrichtung: der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG regelt, unter welcher Voraussetzung ein Einsatz der Streitkräfte materiell-rechtlich zulässig sein kann – nämlich nur dann, wenn die Einsatzform im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen ist; der Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen hingegen betrifft die Frage, wer – unter der Prämisse, dass der Auslandseinsatz materiell-rechtlich zulässig ist – über diesen zu entscheiden hat. Wiefelspütz moniert daher zu Recht, dass die beiden Einsatzbegriffe zu leichtfertig verwechselt oder gleichgesetzt werden.52 Der Begriff des bewaffneten Einsatzes deutscher Streitkräfte ist aus sich selbst heraus und aus seiner Bedeutung für den Parlamentsvorbehalt zu interpretieren.

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F. Kirchhof, HStR III, § 78, Rn. 29; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Abs. 2, Rn. 62. 47 Kriele, ZRP 1994, S. 103 (105); Arndt, DVBl. 1969, S. 729 (730). 48 Gornig, JZ 1993, S. 123 (126); Wild, DÖV 2000, S. 622 (624). 49 Vgl. hierzu Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 32. 50 Vgl. Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (83). 51 Vgl. F. Kirchhof, Bundeswehr in HStR III, 2. A., § 78 Rn. 29; offen gelassen von BVerfGE 90, S. 286 (355). 52 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 32. Keine hinreichende Differenzierung der Begriffe „Einsatz“ und „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ sieht Wiefelspütz beispielsweise bei: Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (83 f.); Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (115); Wild, DÖV 2000, S. 622 (624); Oeter, NZWehrr 2000, S. 89 (97).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

a) Allgemein Ein bewaffneter Einsatz ist nach Bundesverfassungsgericht und Parlamentsbeteiligungsgesetz dann gegeben, wenn die verwendeten Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind. Das Bundesverfassungsgericht hat den Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen zudem ausdrücklich auf militärische53 und bewaffnete54 Einsätze der Streitkräfte beschränkt. Für den Einsatzbegriff des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, der sich ebenfalls ausdrücklich nur auf bewaffnete Einsätze bezieht, § 1 Abs. 2 ParlBetG, ist damit klar, dass nicht jedwede Verwendung der Bundeswehr umfasst ist. Nur wenn die Bundeswehr als militärisches Instrument mit ihrer spezifischen Ausrüstung und ihren spezifischen Fähigkeiten genutzt wird, unterliegt ihre Verwendung der vorherigen parlamentarischen Zustimmung. Die Literatur stellt zur Abgrenzung des Einsatzbegriffes zumeist auf den militärischen Charakter der Verwendung ab.55 Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Einsatzbegriff unterbleibt aber in der Regel. Fischer-Lescano sieht die parlamentarische Zustimmungspflicht maßgeblich davon bestimmt, ob die Kontingente als nach außen auftretende vollziehende Gewalt mit militärtypischen Funktionen in fremde Rechtssphären eingreifen.56 Für Oeter kommt es auf die hoheitliche Verwendung der Streitkräfte als bewaffnete Vollzugsorgane an.57 Wiefelspütz hingegen will nur Unternehmungen, die mit Kriegsgeschehen gleichzusetzen sind, dem Parlamentsvorbehalt unterstellen, da der Parlamentsvorbehalt seine Begründung gerade in der Entscheidung über eine kriegsähnliche Verstrickung der Bundesrepublik habe.58 Einsätze im Frieden – auch bewaffnete Einsätze in Friedenzeiten – seien ausschließlich Sache der Bundesregierung. Ausschlaggebendes Merkmal für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung. Nicht richtig ist der (vielleicht naheliegende) Gedanke, dass hierunter jede Auslandsverwendung fällt, bei der die Bundeswehr Waffen mit sich führt. Weitere Voraussetzung des Einsatzbegriffes ist nämlich, dass ein militärischer Einsatz vorliegen muss; die Bundeswehr kann aber auch bei nicht-militärischen Einsätzen Waffen mit sich führen.59 Die Bewaffnung muss gerade Ausdruck dafür sein, dass die Bundeswehr militärisch tätig wird. Diese Verknüpfung fehlt etwa bei militärischen Übungen oder Ehrenformationen, bei denen die Soldaten gegebenenfalls Waf53

BVerfGE 90, 286 (383). BVerfGE 90, 286 (387). 55 Vgl. z. B. Brenner/Hahn, JuS 2001, S. 729 (730); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 8. A., Art. 87a, Rn. 11; Hillgruber, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. II, 2002, Art. 87a, Rn. 34. 56 Fischer-Lescano, NVwZ 2003, S. 1474. 57 Oeter, NZWehrr 2000, S. 89 (97). 58 Wiefelspütz, NVwZ 2005, S. 496 (497). 59 In diesem Sinne auch die Gesetzesbegründung, die den Parlamentsvorbehalt auf militärische Aktionen beschränkt, BT-Drs. 15/2742, S. 15 zu § 2. 54

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fen tragen, diese aber nicht als nach außen wirkendes militärisches Mittel eingesetzt werden. Eine bewaffnete Unternehmung ist somit nicht jegliche bewaffnete Verwendung, sondern nur eine militärische Verwendung, zu deren Ausführung Waffen mitgeführt werden. Die Bundeswehr muss dafür (1.) als militärisches Instrument mit ihrer spezifischen Ausrüstung und ihren spezifischen Fähigkeiten genutzt werden; (2.) muss die Bewaffnung konkret der Erfüllung ihres militärischen Auftrages dienen. b) Bewaffnung des einzelnen Soldaten Auf die Bewaffnung des einzelnen Soldaten kommt es nicht an – es ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Auch ein an sich unbewaffneter Soldat kann in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen sein, wenn er Teil einer Verwendung ist, in deren Rahmen Waffen Verwendung finden. So ist ein an sich unbewaffneter Mechaniker oder Aufklärer schon dann in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen, wenn er mit seiner Verwendung bewaffnete Einheiten bei ihrem Auftrag unterstützt. Dies gilt in gleichem Maße für unbewaffnete Stabsoffiziere, die die Aktionen bewaffneter Einheiten planen und lenken. Die gelenkten Einheiten liegen gleichsam wie Werkzeuge in den Händen der Entscheidungsträger. Auch ist es nicht entscheidend, ob durch die Verwendung ein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr oder ein bewaffneter Einsatz anderer verbündeter Streitkräfte unterstützt wird. Ebenso wie ein deutscher Soldat, der ein Waffensystem eines verbündeten Staates unmittelbar bedient, in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen ist, gilt dies auch für einen Soldaten, der dieses Waffensystem durch Aufklärungsarbeit oder Stabsarbeit „lediglich“ lenkt und unterstützt. c) Defensive Einsätze Defensive Einsätze werden vom Begriff des bewaffneten Einsatzes in gleichem Maße umfasst wie offensive Einsätze. Eine andere Auffassung vertritt hier zuweilen die Bundesregierung – wenn auch ohne nähere Begründung.60 Das Bundesverfassungsgericht hat den allgemeinen Parlamentsvorbehalt bei bewaffneten Einsätzen gerade auch an der von Art. 115a Abs. 1 GG angeordneten Feststellung des Verteidigungsfalles durch Bundestag und Bundesrat festgemacht.61 Der Verteidigungsfall als klassischer defensiver Einsatz unterfällt demnach wie jeder andere bewaffnete Einsatz dem Parlamentsvorbehalt – die Feststellung des Verteidigungsfalls nach Art. 115a Abs. 1 GG schließt die Zustimmung des Parlaments zu einem bewaffneten Einsatz schon ein.62 Nichts anderes gilt für andere defensive bewaffnete Bundeswehreinsätze. Weder die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts noch das Parlamentsbeteiligungsgesetz lassen eine Beschränkung des Parlamentsvorbehaltes auf 60 61 62

So ihr Vortrag im AWACS II-Verfahren, vgl. BVerfGE 108, 34 (39). BVerfGE 90, 286 (384, 386). BVerfGE 90, 286 (387).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

offensive Einsätze erkennen. Anknüpfungspunkt ist allein die Bewaffnung und die militärische Verwendung der eingesetzten Einheiten. Eine parlamentarische Kontrolle des Machtpotentials der bewaffneten Streitkräfte ist bei defensiven Verwendungen ebenso geboten wie bei offensiven Einsätzen. Genau genommen lassen sich defensive und offensive Einsätze auch nur schwer voneinander trennen. Jede effektive Verteidigung beinhaltet auch eigene Angriffe auf gegnerische Ziele. Nur solche Angriffshandlungen, die der Verteidigung dienen, sind nach dem Grundgesetz überhaupt erlaubt – reine Angriffskriege sind verfassungswidrig und unter Strafe gestellt, Art. 26 GG, §§ 80, 80a StGB. Eine unterschiedliche Bewertung defensiver und offensiver Einsätze ist daher nicht zulässig. d) Keine Beschränkung auf out-of-area-Einsätze Für den konstitutiven Parlamentsvorbehalt ist es weiterhin nicht entscheidend, ob ein bewaffneter Einsatz innerhalb oder außerhalb des NATO-Bündnisgebietes durchgeführt wird.63 Zwar ist der Zustimmungsvorbehalt auf Auslandseinsätze beschränkt, nicht aber auf sogenannte out-of-area-Einsätze.64 Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind alle bewaffneten Auslandseinsätze der Bundeswehr zustimmungspflichtig65 – dies gilt unabhängig davon, ob sie in einem anderen NATOStaat stattfinden. Entscheidend ist allein die Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung. Man stelle sich vor, ein NATO-Bündnispartner wird angegriffen und Deutschland schickt Bodentruppen in diesen NATO-Staat, um den Angriff zurückzuschlagen. Es wäre absurd zu behaupten, dieser Einsatz sei nicht zustimmungspflichtig, weil er nicht out-of-area stattfinde. Auch im Bündnisfall ist eine parlamentarische Entscheidung über den konkreten Einsatz erforderlich.66 Der Umstand, ob eine Verwendung innerhalb oder außerhalb des Bündnisgebiets stattfindet, kann aber Bedeutung für die Frage erlangen, ob überhaupt ein bewaffneter Einsatz vorliegt. Der Parlamentsvorbehalt ist in der Begründung auf das historische Bild des Kriegseintritts zugeschnitten – nur weil Kriege unter den heutigen politischen Bedingungen nicht mehr erklärt werden und sukzessive eskalieren, knüpfte das Bundesverfassungsgericht die Zustimmungspflicht an jeden bewaffneten Einsatz im Ausland.67 Verwendungen zu Friedenszeiten sollen damit aber dennoch nicht unter den Parlamentsvorbehalt fallen. Routinemäßige Überwachungsaufgaben zu Frie63 So aber die Bundesregierung im Rahmen des AWACS-Einsatzes in den USA im Jahre 2001 (Operation Eagle Assist), vgl. Bundeskanzler Gerhard Schröder, Frankfurter Rundschau vom 17. 09. 2001; Verteidigungsminister Rudolf Scharping, Netzzeitung.de am 08. 10. 2001 und der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Wilhelm Schmidt, Die Zeit 41/2001; vgl. unten 3. Teil, I. 8. a). 64 „Out-of-area“ sind solche Einsätze, die außerhalb des NATO-Bündnisgebietes stattfinden. 65 BVerfGE 90, 286 (387). 66 BVerfGE 90, 286 (387). 67 BVerfGE 108, 34 (43).

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denszeiten erfordern ebenso wenig einen Parlamentsbeschluss wie unbewaffnete humanitäre Einsätze, die nur auf die Organisationsstruktur, nicht aber auf das militärische Machtpotential der Bundeswehr zurückgreifen.68 Was sich im Bündnisgebiet als routinemäßige Verwendung zu Friedenszeiten darstellt, kann out-of-area aber durchaus eine bewaffnete Unternehmung sein. Durch die Mitgliedschaft in der NATO wird die routinemäßige Überwachung über das eigene Staatsgebiet hinaus auf das gesamte Bündnisgebiet ausgedehnt – hierdurch verändert sich aber nicht die Qualität der Überwachungsmaßnahmen. Routinemäßige Überwachungsflüge, die über eigenem Gebiet zustimmungsfrei sind, werden nicht dadurch zustimmungspflichtig, dass nunmehr das gesamte Bündnisgebiet zu überwachen ist. Die routinemäßige Überwachung des Luftraums über dem Bündnisgebiet ist keine zustimmungspflichtige Verwendung, weil die Bundeswehrsoldaten nicht als Teil einer fremden Streitmacht agieren, sondern gemeinsam mit den anderen Bündnispartnern das gemeinsame Bündnisgebiet kontrollieren. Das Machtpotential der Bundeswehr wird nicht nach außen eingesetzt, sondern nach innen zur Sicherung des Bündnisgebiets in Friedenszeiten. Diese Klassifizierung kann aber gegebenenfalls dann nicht vorgenommen werden, wenn die gleiche Verwendung über einem NATO-fremden Staat durchgeführt wird oder wenn sich die Aktion außerhalb der Routine in einem konkreten Fall gegen einen außerhalb des Bündnisgebiets gelegenen Aggressor richtet.

e) Einsätze geringer Bedeutung Schließlich unterfallen auch solche bewaffneten Einsätze dem Parlamentsvorbehalt, an denen nur wenige Soldaten beteiligt sind oder denen nur geringe Bedeutung beigemessen wird. Wiefelspütz sieht dies allerdings anders. Er betont, dass der Parlamentsvorbehalt auf dem historischen Bild des Kriegseintritts beruhe.69 Dies belege, dass erst eine militärische Operation von einigem Ausmaß und Gewicht eine Zustimmung des Parlaments erfordere – die Beteiligung an Einsätzen geringer Intensität und Bedeutung sei damit wehrverfassungsrechtlich zustimmungsfrei. Dem steht aber entgegen, dass unter den heutigen politischen Bedingungen Kriege nicht mehr förmlich erklärt werden und die sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleichsteht.70 Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb ausdrücklich festgestellt, dass grundsätzlich jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung unterliegt.71 Entscheidendes Kriterium ist allein das Vorliegen eines bewaffneten Einsatzes. Es gibt dabei keine Geringfügigkeitsschwelle, da sich potentiell jeder bewaffnete Auslandseinsatz ausweiten und ohne weiteres Zutun dem historischen Bild des Kriegseintritts 68

Vgl. zu humanitären Einsätzen ausführlich unten 3. Teil, I. 6. Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 37 f.; ders., NZWehrr 2004, S. 133 (134); ders., NZWehrr 2003, S. 133 (140); ders., BayVBl 2003, S. 609 (612). 70 So das Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 108, 34 (43). 71 BVerfGE 108, 34 (43). 69

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

annähern kann. Fischer und Fischer-Lescano weisen darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht bei Einsätzen geringer Bedeutung zwar eine nähere Umgrenzung der parlamentarischen Kontrolle empfohlen habe72 – es bleibe aber jedenfalls solange bei Zustimmungspflichtigkeit aller Einsätze, bis der Gesetzgeber etwas anderes beschließe.73 Das Parlamentsbeteiligungsgesetz geht davon aus, dass grundsätzlich alle bewaffneten Einsätze – gleich welcher Bedeutung – dem Parlamentsvorbehalt unterfallen. Die einzige Einschränkung, die bei Einsätzen geringer Intensität und Tragweite vorgenommen wird, liegt darin, dass das vereinfachte Zustimmungsverfahren gemäß § 4 ParlBetG angewandt werden kann. Verlangt der Bundestag nicht innerhalb einer Woche seine konstitutive Befassung, gilt der im vereinfachten Verfahren gestellte Zustimmungsantrag als genehmigt.74 3. Die Gefahr konkreter Kampfhandlungen In der Literatur wird der Begriff der bewaffneten Unternehmung zum Teil mit der Gefahr der Verwicklung in konkrete Kampfhandlungen verbunden. So soll nach Wiefelspütz und Gilch ein Einsatz erst dann zustimmungspflichtig werden, wenn die Verstrickung deutscher Soldaten in Kampfhandlungen unausweichlich erscheint.75 Die abstrakte Gefahr einer militärischen Verstrickung sei keine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung, sondern nur eine ungewisse, eher fern liegende Möglichkeit, in ein militärisches Kampfgeschehen verstrickt zu werden.76 Dreist unterscheidet nach dem Grad der Gefahr der Einbeziehung deutscher Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung, in der sich ein militärtypisches und damit staatsrechtlich relevantes Kriegsrisiko oder – in Friedensmissionen – das Risiko bewaffneter Auseinandersetzungen von einigem Gewicht verwirklicht.77 Demgegenüber entnimmt Wild dem Umstand, dass der Parlamentsvorbehalt nicht an den Zweck des Einsatzes, sondern an das formale Merkmal der Bewaffnung geknüpft ist, dass allein die Bewaffnung schon die abstrakte Gefahr einer gewaltsamen Eskalation mit sich bringt und somit die Zustimmungspflicht auslöst.78 Fischer-Lescano stellt auf das Vorhandensein eines potentiellen militärischen Einsatzes ab, der durch das Mitführen von

72

BVerfGE 90, 286 (389). Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (120). 74 Vgl. ausführlich zum vereinfachten Zustimmungsverfahren unten 3. Teil, II. 6.; vgl. auch Nowrot, NZWehrr 2003, S. 65 (73), der bei Einsätzen geringer Bedeutung schon vor Verabschiedung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes für eine Abstufung der Kontrollbefugnisse des Bundestages eintrat. 75 Wiefelspütz, NVwZ 2005, S. 496 (498); Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2005, S. 117; Röben, ZaöRV 2003, S. 585 (592), genügt die konkrete Gefahr einer Verwicklung in Kampfhandlungen. 76 Wiefelspütz, NVwZ 2005, S. 496 (497). 77 Dreist, KritV 2004, S. 79 (91). 78 Wild, DÖV 2000, S. 622 (624). 73

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kampfbereiten Waffen indiziert werde.79 Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liege nicht erst vor, wenn die Gewalt eskaliere, sondern schon dann, wenn das spezifische Gewaltpotential der Streitkräfte eingesetzt werde – hierfür reiche es, vom Militär zur Drohung, zur defensiven Abschreckung oder zur Vorbereitung von Gegenmaßnahmen Gebrauch zu machen. Bringe ein Einsatz die abstrakte Gefahr einer gewaltsamen Eskalation mit sich, so sei er zustimmungspflichtig.80 Ebenso sieht Lutze das entscheidende Kriterium darin, ob die Verwendung unter der abstrakten Gefahr einer gewaltsamen Eskalation steht.81 Das Bundesverfassungsgericht hat den Parlamentsvorbehalt wie das Parlamentsbeteiligungsgesetz an die Teilnahme an einem bewaffneten Einsatz oder an die Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung geknüpft.82 Eine bewaffnete Unternehmung ist dabei nicht mit einer aktiven Kampfhandlung gleichzusetzen.83 „Bewaffnet“ bedeutet, dass die eingesetzten Truppen Waffen mit sich führen, ohne dass die Waffen zwangsläufig eingesetzt werden müssen. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist in seiner Begründung zwar auf das historische Bild des Kriegseintritts zugeschnitten84. Er liegt aber ebenso darin begründet, dass die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes darauf angelegt sind, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern als „Parlamentsheer“ in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzugliedern, um dem Parlament einen rechtserheblichen Einfluss auf die Verwendung der Streitkräfte zu sichern.85 Auch ohne tatsächliche Kampfhandlungen kann die Bundeswehr als militärisches Machtinstrument verwendet werden, etwa durch Nutzung des militärspezifischen Drohpotentials. Dem Parlament muss auch auf dieses Machtpotential Einfluss gesichert werden. Häufig wird es sogar das Ziel einer bewaffneten Unternehmung sein, nicht in konkrete Kampfhandlungen verstrickt zu werden. Der – unbestritten zustimmungspflichtige – Bundeswehreinsatz im Kongo zur Überwachung der dortigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juli 2006 wäre wahrscheinlich nicht zustande gekommen, wenn die Beteiligung an konkreten militärischen Kampfhandlungen unausweichlich erschienen wäre. Der Einsatz war vielmehr von der Hoffnung getragen, dass es durch die Truppenpräsenz erst gar nicht zu Kampfhandlungen kommen würde. Die Zustimmungspflicht hängt nicht von der Wahrscheinlichkeit ab, ob es zu einer bewaffneten Kampfhandlung der Bundeswehr kommt, sondern allein davon, ob die Bundeswehr mit ihrem spezifischen Gewaltpotential – also in ihrer Funktion als Streitmacht – eingesetzt wird.86 Bewaffnete Einsätze bringen für die verwendeten 79 80 81 82 83 84 85 86

Fischer-Lescano, NVwZ 2003, S. 1474 (1475). Fischer-Lescano, NVwZ 2003, S. 1474 (1476). Lutze, DÖV 2003, S. 972 (973). BVerfGE 90, 286 (387); BVerfGE 108, 34 (43). So jetzt auch das BVerfG, Urteil vom 07. 05. 2008, 2 BvE 1/03, Rn. 75. BVerfGE 108, 34 (43). BVerfGE 90, 286 (382). Vgl. oben 3. Teil, I. 2. und unten 3. Teil, I. 6.

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Soldaten (und damit auch für Deutschland) stets die abstrakte Gefahr mit sich, in Kampfhandlungen verwickelt zu werden. Diese jeder bewaffneten militärischen Unternehmung immanente Gefahr ist gerade einer der Gründe für die Zustimmungsbedürftigkeit. Bewaffnete Einsätze bedürfen unabhängig von einer konkreten Gefahrenprognose der vorherigen parlamentarischen Zustimmung. Wiefelspütz bestreitet zwar ausdrücklich, dass eine abstrakte Gefahr für die Auslösung des Parlamentsvorbehaltes ausreiche. Er gesteht aber ein, dass – unabhängig von unausweichlichen Kampfhandlungen – auch der Einsatz in einem kriegsbefangenen Territorium zur Zustimmungspflicht des Parlaments führe, da die Soldaten dort untrennbar in das Kriegsgeschehen einbezogen seien.87 Der Verzicht auf eine konkrete Gefahrenprognose in diesem Fall zeigt aber, dass selbst Wiefelspütz eine abstrakte Gefahr für den Parlamentsvorbehalt ausreichen lässt – wenngleich er als Anknüpfungspunkt dieser abstrakten Gefahr einen Einsatz in kriegsbefangenem Territorium heranzieht und nicht jeden militärischen bewaffneten Einsatz genügen lässt.

4. Das Erwarten einer bewaffneten Unternehmung Eine Prognoseentscheidung ist allerdings in anderem Zusammenhang zu treffen. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz unterscheidet zwei Varianten des bewaffneten Einsatzes. Ein bewaffneter Einsatz liegt nach § 2 Abs. 1 ParlBetG dann vor, wenn deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder wenn dies zu erwarten ist. Es kommt demnach nicht darauf an, dass die eingesetzten Truppen später tatsächlich in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind. Es ist vielmehr eine Prognoseentscheidung zu treffen, die die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung berücksichtigt. Die bisher bestehende Literatur macht zwischen den beiden Tatbestandsalternativen keinen Unterschied. Dies ist zum Teil dem Umstand geschuldet, dass die Differenzierung erst durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz eingeführt wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat die Erwartung der Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung nicht ausdrücklich erörtert. „Erwarten“ bedeutet dabei, dass von einer hohen Wahrscheinlichkeit der Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung auszugehen ist. Eine Einbeziehung muss wahrscheinlicher sein als die Nicht-Einbeziehung. Da für die Klassifizierung als bewaffnete Unternehmung eine konkrete Gefahrenprognose nicht erforderlich ist, müssen auch beim „Erwarten“ einer bewaffneten Unternehmung keine konkreten Kampfhandlungen befürchtet werden. Die Prognoseentscheidung ist allein darauf gerichtet, ob die Bundeswehr mit ihrem Gewaltpotential als Streitmacht militärische Verwendung findet – mit oder ohne Kampfhandlungen. Wenngleich die Erwartung konkreter Kampfhandlungen kein Erfordernis für das Vorliegen einer bewaffneten Unternehmung ist, so kann man aus einer solchen Befürchtung dennoch Rückschlüsse ziehen. Militärische Kampfhandlungen stellen stets eine bewaffnete Unterneh87

Wiefelspütz, NVwZ 2005, S. 496 (498).

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mung dar – ist mit solchen Kampfhandlungen zu rechnen, bedeutet dies zugleich, dass auch eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist. In der Regel wird die Frage nach dem Vorliegen einer bewaffneten Unternehmung eindeutig zu beantworten sein, da schon vor dem Einsatz offensichtlich ist, in welcher Weise die Bundeswehr eingesetzt werden wird. Beinhaltet ihr Auftrag die Nutzung ihrer spezifischen Fähigkeiten und Bewaffnung als Militär, liegt eine bewaffnete Unternehmung vor. Die Tatbestandsalternative der „Erwartung der Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung“ – und die daraus folgende Notwendigkeit einer Prognoseentscheidung – ist nur in solchen Konstellationen von Bedeutung, in denen die Bundeswehr eigentlich nicht oder zunächst nicht in militärischer Funktion verwendet werden soll. In erster Linie handelt es sich hierbei um humanitäre Einsätze – es sind aber auch andere Fälle denkbar, in denen Einheiten etwa nur zu Übungen oder Beobachtungsmissionen entsandt werden. Ist in einer solchen Situation zu erwarten, dass die zunächst nicht als bewaffnete Unternehmung einzustufende Verwendung in eine bewaffnete Unternehmung umschlägt, so muss schon zu Beginn die Zustimmung des Bundestages eingeholt werden. Sinn der Regelung ist es, eine faktische Überholung des ursprünglichen Einsatzauftrages, ohne dass der Bundestag hierzu seine konstitutive Zustimmung gegeben hat, zu vermeiden. Schickt die Bundesregierung beispielsweise nur zur Selbstverteidigung bewaffnete Hilfstruppen in ein Katastrophengebiet und ist zu erwarten, dass die Truppen trotz ihres beschränkten Auftrages in militärische Kampfhandlungen verwickelt werden und dann militärspezifisch agieren werden, so muss der Bundestag schon dem Hilfseinsatz zustimmen, der an sich nicht zustimmungsbedürftig wäre. Bei der Einschätzung, ob eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist, handelt es sich um eine Prognoseentscheidung, in deren Rahmen der Bundesregierung eine Einschätzungsprärogative bzw. ein Beurteilungsspielraum zusteht.88 Wie bei der Feststellung einer Gefahr im Polizeirecht obliegt dem Entscheidungsträger – hier der Bundesregierung – eine sorgfältige und umfassende Analyse der gegenwärtigen Situation und eine Prognose der weiteren Entwicklung.89 Bei der Prognose besteht ein von Fall zu Fall verschieden weiter Beurteilungsspielraum der Bundesregierung, da ein ungewisses Geschehen prognostiziert wird und verschiedene Deutungen der jeweils bestehenden Lage denkbar sind. Die Bewertung muss sich aber an objektivnachvollziehbaren Kriterien orientieren. Rechtmäßig ist eine solche Einschätzung, die die Bundesregierung bei verständiger Würdigung der Sachlage aus ihrer Sicht zum Zeitpunkt der Entscheidung treffen konnte. Stellt sich die Prognose der Bundesregierung nachträglich als unzutreffend heraus – schlägt also beispielsweise ein rein humanitärer Einsatz entgegen der früheren Erwartung der Bundesregierung doch in eine bewaffnete Unternehmung um –, so bedeutet dies nicht zwingend, dass die frü88

In diesem Sinne auch Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (379); vgl. auch Urteil des BVerfG vom 07. 05. 2008, 2 BvE 1/03, Rn. 72; zum Beurteilungsspielraum bei Prognoseentscheidungen vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A., § 7 Rn. 37 und 41. 89 So Tettinger/Erbguth, Besonderes Verwaltungsrecht, 8. A., Rn. 464 zur Prognoseentscheidung bei der polizeirechtlichen Gefahr.

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

here Entscheidung rechtswidrig war. Bei einer späteren rechtlichen Bewertung der Entscheidung ist vielmehr eine ex ante-Betrachtung vorzunehmen. Durfte die Bundesregierung nach früherer Sicht der Dinge keine Entwicklung zur bewaffneten Unternehmung erwarten, so bleibt der Einsatz (zunächst) rechtmäßig, auch wenn der Bundestag seine Zustimmung nicht erteilt hat. Eine Veränderung der Einsatzumstände – und hierzu zählt das Umschlagen in einen bewaffneten Einsatz – zwingt die Bundesregierung aber unverzüglich zu einem neuen – oder hier ersten – Antrag gemäß § 3 ParlBetG. Hat die Bundesregierung die ursprünglich nicht militärisch eingesetzten Truppen wegen Gefahr in Verzug später ausdrücklich zu einem militärischen Einsatz beauftragt, so liegen die Voraussetzungen des nachträglichen Zustimmungsverfahrens vor – der Antrag auf Zustimmung ist gemäß § 5 Abs. 3 ParlBetG unverzüglich nachzuholen. In jedem Fall muss dem Bundestag unverzüglich Gelegenheit zur Entscheidung gegeben werden. Unterbleibt die unverzügliche Stellung des Antrages, wird die weitere Verwendung der Soldaten rechtswidrig. Alternativ kann die Bundesregierung die Truppen zurückziehen. Dies gilt ebenso für den Fall, dass sich nachträglich Gründe herausstellen, die die Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung erwarten lassen, ohne dass dies bereits geschehen ist. Sobald die Bundesregierung Anlass hat, eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten, muss sie auch während einer laufenden Verwendung die Zustimmung des Bundestages einholen. 5. Selbstverteidigung Sind die eingesetzten Soldaten nur zur reinen Selbstverteidigung bewaffnet, fehlt die Verbindung zwischen Bewaffnung und militärischer Tätigkeit.90 Selbstverteidigung ist ein Recht, das jedem Menschen zusteht und stellt keine spezifisch militärische Aufgabe dar. Reine Selbstverteidigungsmaßnahmen stellen damit nach weitverbreiteter Meinung grundsätzlich keine bewaffnete Unternehmung dar.91 Dies gilt nicht nur im Rahmen humanitärer Einsätze, § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBetG, sondern im Grundsatz bei jeder Verwendung, beispielsweise Beobachtermissionen im Rahmen der UNO oder OECD. Führen die eingesetzten Soldaten Waffen nur zur Selbstverteidigung mit sich, bedarf es somit keiner konstitutiven Zustimmung des Bundestages. a) Problem Der Begriff der Selbstverteidigung benötigt allerdings eine Umgrenzung. Zum Teil wird Selbstverteidigung in einem aktiven Sinne dahin interpretiert, dass sie auch Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließt, die Truppen an der Ausführung ihres Auftrages zu hindern.92 Im Grunde sind außerdem auch defensive Kampf90 Im Ergebnis anders: Oeter, DÖV 2000, S. 622 (624), der auch bei Bewaffnung zur Selbstverteidigung eine hoheitliche Verwendung der Bundeswehr annimmt. 91 So auch Dreist, ZaöRV 2004, S. 1001 (1032) und Wiefelspütz, NZWehrr 2003, S. 133 (142); a.A. wohl Wild, DÖV 2000, S. 622 (627). 92 Vgl. hierzu BVerfGE 90, 286 (388).

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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einsätze nichts anderes als staatliche Selbstverteidigung.93 Nach deutschem Strafrecht beschränkt sich die Selbstverteidigung (Notwehr, § 32 StGB) zudem nicht auf die Verteidigung der eigenen Person, sondern umfasst auch die Verteidigung von Rechtsgütern anderer Personen (sog. Nothilfe).94 Soldaten dürften im Rahmen der Selbstverteidigung damit auch ihre Kameraden und auch ausländische Zivilisten oder deren Eigentum mit Waffengewalt verteidigen. Die Selbstverteidigung könnte damit ohne weiteres in Kampfhandlungen mit einer anderen bewaffneten Streitmacht ausarten. Genau solche Verwendungen sollen nach der Intention des Parlamentsbeteiligungsgesetzes und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aber dem Parlamentsvorbehalt unterfallen.95 Das Bundesverfassungsgericht hat eine unterschiedliche Bewertung defensiver und offensiver Militäreinsätze abgelehnt.96 Der Verteidigungsfall, Art. 115a Abs. 1 GG, ist sogar der klassische Fall einer bewaffneten militärischen Unternehmung. Die Aussage, dass Selbstverteidigungsmaßnahmen keinen bewaffneten Einsatz darstellen, ist demnach zu ungenau. Zum Teil wird in der Literatur zwischen Selbstverteidigung und Selbstschutzkomponenten unterschieden, wobei nur letztere dem Parlamentsvorbehalt unterfallen sollen.97 Eine genaue Differenzierung der Begriffe unterbleibt aber; unter Selbstschutzkomponenten werden offenbar solche Verteidigungsmaßnahmen verstanden, die über die reine Notwehr des einzelnen Soldaten hinausgehen.98 Der Sprachgebrauch ist jedoch uneinheitlich.99 b) Umgrenzung des Begriffs der Selbstverteidigung Richtigerweise ist danach zu unterscheiden, ob sich die Selbstverteidigung als solche darstellt, wie sie jeder Person – insbesondere auch Angehörigen ziviler Hilfsorganisationen – zusteht oder ob sie darüber hinaus geht und spezifisch militärische Aufgabe ist. Soweit es allein um die eigene körperliche Integrität eines Soldaten geht, fallen Notwehrmaßnahmen nicht unter den Begriff des bewaffneten Einsatzes – der Soldat handelt als einfache Person. Geht es um den Schutz fremder Rechtsgüter oder gar um die Durchsetzung des Auftrages wird es diffiziler. Auch ein normaler Bürger ist im Rahmen der Nothilfe berechtigt, fremde Rechtsgüter zu schützen. Im Unterschied hierzu ist ein Soldat im Rahmen seines Auftrages aber verpflichtet, frem93 Zum völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht eines Staates vgl. Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen. 94 Das deutsche Strafrecht findet auch im Ausland auf deutsche Soldaten Anwendung, § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB; vgl. auch Hermsdörfer, Die NATO-geführte Operation Harvest in der Republik Mazedonien, NZWehrr 2004, S. 23 (28). 95 So auch Lutze, DÖV 2003, S. 972 (975). 96 BVerfGE 90, 286 (387 f.). 97 Vgl. Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 43 und Lutze, DÖV 2003, S. 972 (975). 98 Vgl. Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz, S. 137. 99 MdB van Essen versteht unter der Selbstschutzkomponente offensichtlich auch die reine Selbstverteidigung der Soldaten, vgl. Protokoll der Bundestagssitzung vom 14. 11. 2002, S. 633 (C).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

de Rechtsgüter zu schützen. Er ist im strafrechtlichen Sinne Garant und begeht eine Unterlassungstat, wenn er der zu schützenden Person nicht zu Hilfe eilt.100 Im schlimmsten Fall ist der Soldat wegen Mordes oder Totschlags durch Unterlassen strafbar. Ein einfacher Bürger muss sein Unterlassen dagegen nur am Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung, § 303c StGB, messen lassen – bei Gefahr für eigene Rechtsgüter (insbesondere die eigene körperliche Integrität) ist eine Hilfeleistung in aller Regel aber nicht zumutbar.101 Es kommt daher auf den Inhalt des Einsatzauftrages an, ob eine Bewaffnung zur Selbstverteidigung aus der Verwendung einen bewaffneten Einsatz macht. Sind die eingesetzten Soldaten Garanten für fremde Rechtsgüter – sollen sie fremde Rechtsgüter also auftragsgemäß schützen – liegt keine reine Selbstverteidigung vor, sondern ein militärischer bewaffneter Einsatz. Gleiches gilt, wenn Waffengewalt zur Durchsetzung des Auftrages genutzt wird. Ein solcher Einsatz bedarf der vorherigen Zustimmung des Bundestages. Betrifft der Auftrag einen nicht-militärischen Bereich – z. B. Katastrophenhilfe – und führen die Soldaten auftragsgemäß Waffen nur mit, um die eigene Person zu verteidigen, liegt keine bewaffnete Unternehmung vor. Auch in diesem Fall sind die Soldaten im Rahmen der Nothilfe zwar strafrechtlich berechtigt, fremde Rechtsgüter zu schützen – sie sind für diese fremden Rechtsgüter aber keine Garanten. c) Militärspezifische Bewaffnung Ob sich der Einsatzauftrag auf reine Selbstverteidigung beschränkt, muss auch unter Berücksichtigung der mitgeführten Waffen entschieden werden. Geht die Bewaffnung der Soldaten über einfache Handfeuerwaffen hinaus, lässt sich schwer von einem nicht-militärischen Einsatz sprechen. Zwar können auch spezifische Kriegswaffen auftragsgemäß nur der Selbstverteidigung der Soldaten dienen. Führen die Soldaten schwere Waffen wie etwa Maschinengewehre oder gepanzerte Waffensysteme mit sich, hat der Einsatz aber unvermeidlich einen – über die jeder Person zustehende Selbstverteidigung hinausgehenden – militärischen Charakter. Die militärspezifische Bewaffnung geht mit der Drohung einher, dass diese auch genutzt wird. Unabhängig von einem auf Selbstverteidigung beschränkten Auftrag, kommt damit das spezifische Gewaltpotential der Bundeswehr zur Anwendung. Mittelbar hängt die Zustimmungspflichtigkeit eines Einsatzes damit auch von der Gefahr der Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung ab. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit konkreter Kampfhandlungen kein Prüfstein für die Frage, ob ein bewaffneter Einsatz vorliegt.102 Je höher die Gefährdung ist, umso schwerer wird bei verantwortungsvoller Einsatzplanung aber auch die Bewaffnung ausfallen. Wird trotz erhöhter Wahrscheinlichkeit von Kampfhandlungen auf militärische Bewaffnung verzichtet, ist der Einsatz nicht allein aufgrund der Gefährdung zustim100 101 102

Vgl. Jescheck in Leipziger Kommentar, 11. A., § 13 Rn. 29. Wohlers, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 323c StGB, Rn. 11. Vgl. oben 3. Teil, I. 3.

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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mungspflichtig. Hier kann nicht anderes gelten als bei einem gefahrträchtigen Einsatz von Zivilisten, etwa Botschaftspersonal. Nur wenn zu erwarten ist, dass die Verwendung in einen bewaffneten militärischen Einsatz umschlägt und das spezifische militärische Gewaltpotential zum Tragen kommt, bedarf es schon von Anfang an der parlamentarischen Zustimmung.103

6. Humanitäre Einsätze Ausdrücklich vom Parlamentsvorbehalt ausgenommen hat das Bundesverfassungsgericht Hilfsdienste und Hilfeleistungen (sog. Humanitäre Einsätze), bei denen die Soldaten nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind.104 Als humanitäre Einsätze werden insbesondere Hilfe bei Hungersnöten, medizinische Versorgung der Bevölkerung, Unterstützung bei Naturkatastrophen (Erdbeben, Waldbrände, Überschwemmungen), aber auch das Räumen von Minen verstanden.105 Das Parlamentsbeteiligungsgesetz hat die Beschränkungen des Zustimmungsvorbehalts bei humanitären Einsätzen in § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBetG leicht verändert übernommen: sie bedürfen keiner Zustimmung, wenn Waffen nur zur Selbstverteidigung mitgeführt werden und die Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen nicht erwartet wird. Nach der oben gefundenen Abgrenzung der bewaffneten Unternehmung zu nicht zustimmungspflichtigen Unternehmungen ist diese Beschränkung zwingend. Bei rein humanitären Einsätzen agieren die verwendeten Soldaten nicht in ihrer spezifischen Funktion als Teil der Streitkräfte, sondern übernehmen Aufgaben, die auch zivile Organisationen ausführen könnten. Es wird lediglich auf die Organisationsstruktur der Bundeswehr zurückgegriffen.106 Zwar sind auch Soldaten solcher Einsätze in der Regel bewaffnet – nämlich zur Selbstverteidigung; diese Funktion der Bewaffnung führt jedoch – wie oben erläutert – nicht zu einer Einstufung als bewaffnete Unternehmung. Humanitäre Einsätze stellen damit grundsätzlich keine bewaffneten Einsätze der Streitkräfte dar. Oeter wirft den Gedanken auf, dass außergewöhnlich umfangreiche humanitäre Aktionen dem Parlamentsvorbehalt unterfallen könnten, wenn sie mit einer erheblichen Gefährdung der beteiligten Soldaten verbunden oder geeignet sind, politische Verwicklungen auszulösen.107 Er selbst verwirft die Idee jedoch mit dem Hinweis darauf, dass das Bundesverfassungsgericht den Parlamentsvorbehalt auf die Verantwortung des Bundestages für die militärische Verwendung der Streitkräfte gestützt habe und nicht auf die Wesentlichkeit eines Auslandseinsatzes für die Grundrechte der Soldaten. Der Gedanke findet sich aber in § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 ParlBetG wieder, wonach humanitäre Einsätze dann zustimmungs103 104 105 106 107

Vgl. oben 3. Teil, I. 4. BVerfGE 90, 286 (388). Vgl. Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz, S. 136. In diesem Sinne auch Oeter, DÖV 2000, S. 622 (624). Oeter, DÖV 2000, S. 622 (624).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

bedürftig sind, wenn zu erwarten ist, dass die eingesetzten Truppen in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden. Die Formulierungen des AWACS-Urteils und des Parlamentsbeteiligungsgesetzes sind hinsichtlich humanitärer Einsätze missverständlich. Die Betonung, dass nur solche humanitäre Einsätze nicht dem Parlamentsvorbehalt unterfallen, bei denen die Soldaten nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind108, dies nicht zu erwarten ist oder bei denen Waffen nur zur Selbstverteidigung mitgeführt werden, § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBetG, ließe den Schluss zu, dass auch andere humanitäre Einsätze denkbar sind. Tatsächlich wäre ein Einsatz, der eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen beinhaltete oder bei dem Waffen nicht nur zur Selbstverteidigung getragen würden, kein rein humanitärer Einsatz. Neben der Hilfskomponente enthielte ein solcher Einsatz auch militärische Komponenten, sodass ein bewaffneter Einsatz im Sinne des Bundesverfassungsgerichts gegeben wäre. Urteil und Gesetz sind daher in klarstellendem Sinne zu verstehen, dass die fehlende Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung und die Beschränkung der Waffenanwendung auf Selbstverteidigung konstituierendes Merkmal eines rein humanitären Einsatzes darstellen. Darüber hinausgehende militärische Aufgaben unterfallen dem Parlamentsvorbehalt. Klassisches Beispiel eines humanitären Einsatzes ist dabei die Katastrophenhilfe wie beispielsweise die Fluthilfe in Mosambique im März 2000 oder der Einsatz deutschen Sanitätspersonals nach der Tsunami-Katastrophe am zweiten Weihnachtstag im Jahr 2004. Sobald Katastrophenhilfe allerdings gewaltsam mit Waffen durchgesetzt werden muss – Waffen also nicht nur Selbstverteidigungszwecken dienen –, wird die Schwelle zum bewaffneten Einsatz überschritten. Der Einsatz erhält dadurch eine militärische Facette. Aus eben diesem Grund unterfiel die deutsche Hilfe bei der Hungersnot in Somalia im Jahr 1993 (UNOSOM II) dem Parlamentsvorbehalt.109

7. Vorkommandos, Vorbereitende Maßnahmen und Planungen Das Parlamentsbeteiligungsgesetz schließt darüber hinaus vorbereitende Maßnahmen und Planungen vom Einsatzbegriff des Gesetzes aus, § 2 Abs. 2 Satz 1 ParlBetG. Eine Zustimmung des Bundestages ist hier nach dem Gesetz nicht erforderlich. Demgegenüber sollen Erkundungskommandos unter den Einsatzbegriff fallen – führt das Kommando Waffen lediglich zur Selbstverteidigung mit sich, soll in der Regel ein Einsatz geringer Intensität und Tragweite vorliegen, sodass das vereinfachte Zustimmungsverfahren durchgeführt werden kann, § 4 Abs. 3 Spiegelstrich 1 ParlBetG.110 Wie sind diese Regelungen verfassungsrechtlich einzuordnen? Die Literatur geht einhellig davon aus, dass der verfassungsrechtlich verankerte Parlamentsvorbehalt grundsätzlich jedenfalls auch für Vorkommandos im Vorfeld eines Einsatzes gilt. Lutze sieht in der Verwendung von Erkundungskommandos und unterstützenden 108 109 110

BVerfGE 90, 286 (388). Vgl. zu UNOSOM II die Einleitung, oben 1. Teil, II. 1. Vgl. hierzu unten 3. Teil, II. 6.

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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Fernmelde-, Stabs- und Sicherungskräften einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte, da es sich bei diesen Unternehmungen um unmittelbare Vorbereitungen für einen bevorstehenden Einsatz handele.111 Eine andere Bewertung sei aber dann angebracht, wenn Vorauspersonal an einem anderen Ort als dem vorgesehenen Einsatzgebiet auf seine Operation warte. Wiefelspütz will kleinere Vorkommandos (Fact-Finding-Missionen) von den zustimmungspflichtigen Einsätzen ausnehmen.112 Dies beruht aber nicht auf der Auffassung, dass Vorkommandos grundsätzlich keine bewaffneten Einsätze seien, sondern auf der Ansicht, dass Einsätze erkennbar geringer Bedeutung den Parlamentsvorbehalt nicht auslösen würden.113 Größere Vorkommandos sind auch nach Wiefelspütz zustimmungspflichtig.114 Nach Dreist folgt aus dem AWACS-Urteil, dass auch „Vorauspersonal“ nicht in ein Einsatzgebiet außerhalb der Bundesrepublik Deutschland entsandt werden darf, solange die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages nicht vorliegt.115 Dogmatischer Ausgangspunkt einer Lösung muss stets der Begriff des „bewaffneten Einsatzes deutscher Streitkräfte“ sein. Auch die Zustimmungspflichtigkeit von Vorauskommandos, vorbereitender Maßnahmen und Planungen ist allein hieran zu messen. Als Grundsatz gilt dabei, dass nur der Einsatz selbst, nicht aber Vorbereitungshandlungen dem Parlamentsvorbehalt unterfallen.116 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Vorbereitungshandlung selbst schon als bewaffneter Einsatz zu klassifizieren ist. Danach können Vorauskommandos zustimmungsfreie Vorbereitungshandlung darstellen, aber auch schon Teil des bewaffneten Einsatzes selbst sein. Es ist stets im Einzelfall zu untersuchen, ob die konkrete Verwendung der Bundeswehr eine nach außen gerichtete Nutzung des spezifischen militärischen Machtpotentials darstellt oder nur eine solche spätere Verwendung vorbereiten soll – eine pauschale Einstufung verbietet sich. Vorbereitungsmaßnahmen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland sind dabei nie zustimmungspflichtig, da sich der Parlamentsvorbehalt allein auf Auslandseinsätze bezieht. Solange es zu keiner militärischen Machtentfaltung im Ausland kommt, fallen Vorbereitungen in den alleinigen Kompetenzbereich der Regierung, auch wenn hierdurch ein bewaffneter Auslandseinsatz erst ermöglicht wird. Planungen, Truppenzusammenziehungen und Bereithaltung von Wehrmaterial bedürfen daher keiner Zustimmung des Bundestages. Erst durch einen konkreten Auslandsbezug gelangt man in den Anwendungsbereich des Parlamentsvorbehalts.

111

Lutze, DÖV 2003, S. 972 (975). Wiefelspütz, NZWehrr 2003, S. 133 (141); anders aber zur Rechtslage nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz: Wiefelspütz, NVwZ 2005, S. 496 (497). 113 So aber praktisch allein Wiefelspütz, vgl. oben 3. Teil, I. 2. e). 114 Wiefelspütz, NZWehrr 2003, S. 133 (141). 115 Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (144). 116 Vgl. Blumenwitz, Das Parlamentsheer nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994, in: FS für Ritter, S. 311 (316). 112

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Bei vorbereitenden Maßnahmen im Ausland muss weiter differenziert werden. Die Verwendung im Ausland ist ja nur eines der für den Zustimmungsbedarf erforderlichen Kriterien. Ebenso wichtig ist, dass die verwendeten Streitkräfte mit ihrem spezifischen militärischen Machtpotential eingesetzt werden. Gerade bei Vorbereitungshandlungen, die im Vorfeld des eigentlichen Einsatzes liegen, wird es hieran häufig mangeln. Die Verlagerung deutscher Truppen ins Ausland – etwa um einen möglichen Einsatz nach Zustimmung des Parlaments schneller durchführen zu können – ist vor allem dann noch nicht zustimmungspflichtig, wenn die Truppen außerhalb des Einsatzgebietes auf ihre eigentliche Verwendung warten.117 Beim OsttimorEinsatz der Bundeswehr in den Jahren 1999 und 2000 sandte die Bundesregierung beispielsweise ein Vorauskommando mit der Auflage nach Australien, dass es vor einem Bundestagsbeschluss nicht in Osttimor eingesetzt werden dürfe.118 Der bewaffnete Einsatz beginnt in einem solchen Fall erst dann, wenn die Truppen in das eigentliche Einsatzgebiet verlagert werden und ihre spezifisch militärische Aufgabe beginnt. Das Abwarten in einem befreundeten Staat stellt selbst noch keinen bewaffneten Einsatz dar, wird in diesem Staat doch kein spezifisch militärischer Auftrag durchgeführt. Ein Parlamentsbeschluss muss in einem solchen Fall erst dann ergehen, wenn die Truppen in das Einsatzgebiet geschickt werden sollen. Aber auch Vorauskommandos im Einsatzgebiet selbst, die der Erkundung oder der Vorbereitung der Ankunft größerer Truppenkontingente dienen, fallen nicht zwangsläufig unter den Parlamentsvorbehalt. Auch hier ist wieder nach der Verwendung des militärischen Gewaltpotentials zu unterscheiden. Einzelne – etwa unter dem Schutz ausländischer Truppen stehende und selbst nur zur reinen Selbstverteidigung bewaffnete – Soldaten, die mit Zustimmung des betroffenen Staates einen geeigneten Lagerplatz erkunden sollen, üben keine spezifische militärische Gewalt aus. Für diese Aufgabe könnte man auch Zivilisten entsenden. Ein solches Erkundungskommando ist nicht-zustimmungspflichtige Vorbereitungsmaßnahme. Anders liegt der Fall, wenn das Vorauskommando spezifisch militärische Bewaffnung mit sich führt und für den Schutz des Kommandos selbst verantwortlich ist. Es wird dann nicht nur auf die Organisationsstruktur der Bundeswehr zurückgegriffen, sondern auch das spezifische Gewaltpotential des Militärs genutzt. Schließlich ist auch der Fall denkbar, dass das Abwarten in einem anderen Gebiet als dem Einsatzgebiet schon einen zustimmungspflichtigen bewaffneten Einsatz darstellt. Dies gilt immer dann, wenn eben nicht allein ein reines Abwarten vorliegt, sondern schon mit der Verlagerung ein konkreter militärischer Zweck und Auftrag verfolgt wird. Vom spezifischen militärischen Gewaltpotential wird beispielsweise dann Gebrauch gemacht, wenn die Sicherheitslage im Lagergebiet schon vor der Verlegung 117 Eine solche – vor der Stellung des Regierungsantrages veranlasste – Verlagerung deutscher Truppen kann sogar verfassungsrechtlich geboten sein, wenn das Einsatzbedürfnis vorhersehbar ist und durch die frühzeitige Verlagerung eine Gefahr-im-Verzug-Situation verhindert werden kann, vgl. unten 3. Teil, II. 5. a) aa). 118 Operation INTERFET, BT-Drs. 14/1719; vgl. Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (144 f.) und Lutze, DÖV 2003, S. 972 (975).

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ins eigentliche Einsatzgebiet Angriffshandlungen erwarten lässt und damit (wenigstens vorsorglich) militärische Abwehrmaßnahmen gebietet. Gleiches gilt, wenn das Zusammenziehen von Bundeswehrkräften an der Grenze des Nachbarstaates im potentiellen Einsatzgebiet einen Bedrohungsdruck aufbauen soll. Auch hierdurch wird das militärische Machtpotential der Bundeswehr genutzt und das Eskalationspotential zugleich erhöht.119 Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt gerade nicht erst dann vor, wenn tatsächlich von den mitgeführten Waffen Gebrauch gemacht wird. 8. AWACS-Einsätze und mittelbare Einbeziehung Besondere Bedeutung hat in den letzten Jahren die Kontroverse darüber gewonnen, ob eine mittelbare Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen die Zustimmungspflicht des Bundestages auslöst und wann von einer solchen mittelbaren Einbeziehung auszugehen ist. Konkret geht es um die Frage, ob – an sich unbewaffnete und an einem Konflikt nicht direkt beteiligte – deutsche Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen sind, wenn sie einen kriegsgefährdeten Verbündeten aus konkretem Anlass bei der militärischen Aufklärung unterstützen oder es ihm durch die Übernahme von Friedensaufgaben ermöglichen, weitere Kapazitäten für bewaffnete Konflikte einzusetzen. Der Streit entfachte sich an zwei AWACS-Einsätzen der Bundeswehr in den Jahren 2001 und 2003. Am 8. Oktober 2001 beschloss der NATO-Rat mit Zustimmung Deutschlands, fünf NATO-AWACS-Flugzeuge von Deutschland in die USA zu verlegen (Operation Eagle Assist), um dadurch die amerikanische Anti-Terror-Kampagne nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu unterstützen. Die Aufgabe der auch mit deutschen Soldaten bemannten Flugzeuge bestand darin, den amerikanischen Luftraum zu überwachen und es den amerikanischen Streitkräften hierdurch zu ermöglichen, freie Kapazitäten in anderen Unternehmungen gegen den Terrorismus – insbesondere in Afghanistan – einzusetzen.120 Im Rahmen des Irak-Krieges kam es im Februar 2003 zu einer weiteren Verwendung von NATO-AWACS-Einheiten unter deutscher Beteiligung – diesmal in der Türkei. Als sich der militärische Konflikt im Irak schon abzeichnete, berief sich die Türkei auf Art. 4 des NATO-Vertrages, der zu Konsultationen verpflichtet, wenn „die Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht sind“. Um den Bedenken der Türkei vor etwaigen Angriffen aus dem Irak Rechnung zu tragen, wurden vier AWACS-Flugzeuge von ihrem Standort in Geilenkirchen auf den Luftwaffenstützpunkt Konya in der Türkei verlegt, um den Luftraum in der Grenzregion zwischen Türkei und Irak zu überwachen.

119

Vgl. Fischer-Lescano, NVwZ 2003, S. 1474 (1476). Mitteilung der Bundesregierung vom 09. 10. 2001: http://archiv.bundesregierung.de/ bpaexport/artikel/68/59068/multi.htm. 120

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

a) Die AWACS-Verwendung in den USA im Jahr 2001 Die Bundesregierung hielt eine Zustimmung des Bundestags zur Verwendung der deutschen Soldaten in den USA für nicht erforderlich. Die angeforderten Maschinen würden in den USA nicht out-of-area eingesetzt; innerhalb des NATO-Gebietes sei nach der Verfassungslage ein Bundestagsmandat für die deutschen Soldaten nicht nötig.121 Die präventive Luftraumüberwachung des Bündnisgebietes gehöre zudem zu den regulären Aufgaben des Bündnisses und stelle keinen bewaffneten Einsatz im Sinne des Parlamentsvorbehaltes bei Auslandseinsätzen dar. Die Anforderung der USA sei völlig anders gelagert als der AWACS-Einsatz im Rahmen der Kosovo-Operation 1999, da die AWACS dort ein Element in einem militärischen Kampfeinsatz bildeten. Zugleich teilte die Bundesregierung mit, dass die deutsche Marine amerikanische Flottenverbände im Mittelmeer ablöse. „Die Entscheidung folgt, ähnlich der AWACS-Entscheidung (…), einem Ersuchen der US-Regierung zur Unterstützung der Militärschläge in Afghanistan. NATO-Truppen werden demnach nicht direkt an den Militäreinsätzen teilnehmen, durch die Ablösung gebundener amerikanischer und britischer Einheiten jedoch indirekt Unterstützung gewähren.“122 Der Verteidigungsausschuss wurde über die Entscheidung unterrichtet – der Bundestag widersprach der Rechtsauffassung der Regierung nicht.123 aa) Meinungen in der Literatur Bei Fischer und Fischer-Lescano stieß die Vorgehensweise der Bundesregierung auf Widerspruch. Der Parlamentsvorbehalt gelte nicht nur für Einsätze außerhalb des NATO-Gebietes, sondern für jeden Einsatz der Bundeswehr.124 Die AWACS-Einsätze hätten den USA durch Entlastung ihrer Streitkräfte die Vornahme weiterer militärischer Maßnahmen in Afghanistan ermöglicht – bereits hierdurch sei der Einsatz zustimmungspflichtig geworden. Auch gewaltneutrales Tätigwerden stelle einen zustimmungspflichtigen Einsatz dar, wenn dadurch eine andere Institution bei der hoheitlichen Machtentfaltung unterstützt werde.125 Entscheidend sei eine Gesamtbetrachtung. Der AWACS-Einsatz finde seine Grundlage in der Beistandsverpflichtung des Art. 5 des NATO-Vertrags126 und sei daher Teil der Maßnahmen zur Bekämpfung 121 So auch ausdrücklich Bundeskanzler Gerhard Schröder, Frankfurter Rundschau vom 17. 09. 2001; Verteidigungsminister Rudolf Scharping, Netzzeitung.de am 08. 10. 2001 und der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Wilhelm Schmidt, Die Zeit 41/ 2001. 122 Mitteilung der Bundesregierung vom 09. 10. 2001: http://archiv.bundesregierung.de/ bpaexport/artikel/68/59068/multi.htm. 123 Vgl. hierzu Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 54. 124 Fischer / Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (114). 125 Fischer / Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (118). 126 „Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen (…) als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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des internationalen Terrorismus und nicht Teil einer ständigen Präventivmaßnahme.127 Ebenso neigt Dreist dazu, den AWACS-Einsatz dem Parlamentsvorbehalt zu unterwerfen. Die Beteiligung an der Operation Eagle Assist stelle aus völkerrechtlicher Sicht die Beteiligung an einem bewaffneten Konflikt dar.128 Unterstütze eine Nation die Partei eines bewaffneten Konflikts durch eigene militärische Maßnahmen, verletze sie das kriegsrechtliche Neutralitätsgebot und werde selbst zur Kriegspartei.129 Die in den USA zum Zwecke der gemeinsamen Luftverteidigung eingesetzten AWACS-Besatzungen hätten somit Kombattantenstatus, was es schwerlich gestatte, ihren Einsatz als Routinedienst einzustufen.130 Werde ein Einsatz aufgrund von Konsultationen nach Art. 4 des NATO-Vertrages oder in Zusammenhang mit einem Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages beschlossen, liege ein zustimmungspflichtiger bewaffneter Einsatz vor.131 Wiefelspütz hingegen hält die AWACS-Entsendung nicht für zustimmungspflichtig.132 Auch wenn die Flugzeuge nationale Einheiten der USA ersetzten, die dann bei einer anderen militärischen Operation eingesetzt wurden, seien die deutschen Soldaten dadurch nicht Teil dieser militärischen Operation geworden. Präventive Bündnisverteidigung habe eine völlig andere Qualität als die unmittelbare oder auch nur mittelbare Beteiligung an einer militärischen Operation in einem bewaffneten Konflikt. Die AWACS seien nicht integraler Teil eines Unternehmens mit Kampfauftrag gewesen. Klein sieht in der Sicherung des Flugraums über den USA eine Routineaufgabe, die nicht zustimmungspflichtig ist.133 bb) Bewertung Der Parlamentsvorbehalt ist entgegen der damals geäußerten Auffassung der Bundesregierung jedenfalls nicht auf Einsätze außerhalb des NATO-Bündnisgebietes beschränkt.134 Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind alle bewaffneten

eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen (…) der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich (…) die Maßnahmen (…) trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen (…)“. 127 Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (119). 128 Dreist, ZaöRV 2004, S. 1001 (1036). 129 Dreist, ZaöRV 2004, S. 1001 (1009). 130 Dreist, ZaöRV 2004, S. 1001 (1020). 131 Dreist, ZaöRV 2004, S. 1001 (1039). 132 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 54. 133 Klein, Interview in der taz vom 23.01.2003. 134 So auch Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (114); Klein, Interview in der taz vom 23.01.2003.

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Auslandseinsätze der Bundeswehr zustimmungspflichtig135 – dies gilt unabhängig davon, ob sie in einem anderen NATO-Staat stattfinden.136 Entscheidende Bedeutung erlangt aber die Frage, ob es sich bei der Operation Eagle Assist um einen routinemäßigen Einsatz der AWACS-Flugzeuge zu Friedenszeiten handelte. Ein solcher Einsatz würde nämlich keine Zustimmung des Parlaments erfordern.137 Gegen die Annahme einer routinemäßigen Verwendung spricht auf den ersten Blick der Umstand, dass die in Deutschland stationierten Flugzeuge außerplanmäßig in die USA verlegt wurden, um deren konkretes kriegerisches Vorgehen in Afghanistan zu unterstützen. Diese Betrachtung greift aber zu kurz. Zwar wurde der AWACS-Einsatz in den USA anlässlich einer besonderen Situation beschlossen, es wurden aber nur amerikanische Flugzeuge ersetzt, die diesen Dienst normalerweise verrichteten. Die Entsendung erfolgte nicht, um einer erhöhten Gefährdungslage entgegenzutreten, sondern um – durch Übernahme einer Routineaufgabe – Freiräume für die amerikanischen AWACS-Verbände zu schaffen. Die Verwendung blieb damit routinemäßig, auch wenn nicht-routinemäßig andere Flugzeuge eingesetzt wurden. Aus dieser Perspektive gesehen, handelte es sich um eine nicht zustimmungspflichtige Verwendung zu Friedenszeiten. Allerdings bedarf es weiterer Klärung, ob das Tätigwerden nach Art. 5 des NATO-Vertrages (Bündnisfall) oder ob der Umstand, dass die USA – durch Freistellung amerikanischer Kapazitäten – bei ihren militärischen Operationen in Afghanistan unterstützt werden sollten, zu einer Bewertung der Verwendung als bewaffneter Einsatz führen muss. Waren die AWACS-Aufklärer in den USA in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen, weil hierdurch die amerikanische Kampagne in Afghanistan unterstützt wurde? Entscheidend ist eine Gesamtbetrachtung. Auch unbewaffnete Soldaten, die nicht unmittelbar an Kampfhandlungen teilnehmen, können in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen sein, wenn sie bewaffnete Soldaten bei einer solchen Unternehmung unterstützen. So verhielt es sich etwa bei dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall des Einsatzes deutscher Soldaten in AWACS-Flugzeugen über Bosnien-Herzegowina im Jahr 1993. Die eingesetzten AWACS-Flugzeuge waren selbst unbewaffnet – sie dienten aber als Frühwarn- und Feuerleitsystem der bewaffneten Kampfeinheiten, die ihrerseits das Flugverbot über Bosnien-Herzegowina – notfalls gewaltsam – durchsetzen sollten. Als wesentlicher unterstützender Faktor waren damit auch die AWACS in die bewaffnete Unternehmung einbezogen. Bei der Operation Eagle Assist in den USA lag der Fall jedoch etwas anders. Die AWACSEinheiten wurden hier nicht unmittelbar zur Unterstützung der amerikanischen Truppen in Afghanistan eingesetzt, sondern nur mittelbar, indem die USA ihre eigenen frei gewordenen AWACS-Einheiten in der bewaffneten Unternehmung verwenden konnten. Fischer, Fischer-Lescano und Dreist reicht diese indirekte Unterstützung, um die Verwendung als bewaffneten Einsatz einzuordnen. Dreist argumentiert damit, dass 135 136 137

BVerfGE 108, 34 (43). Vgl. oben 3. Teil, I. 2. d). Vgl. oben 3. Teil, I. 2. d).

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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Deutschland wegen Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot selbst Kriegspartei wurde.138 Es bestehen jedoch vielfältige Möglichkeiten, eine Kriegspartei indirekt zu unterstützen und dadurch das Neutralitätsgebot zu verletzen, ohne dass dies dem Parlamentsvorbehalt unterfiele – etwa durch Waffenlieferungen, finanzielle Zuwendungen oder einfache politische Unterstützung. Natürlich geht es bei den genannten Beispielen nicht um Verwendungen der Bundeswehr – sie zeigen aber, dass es nicht auf die Verletzung des Neutralitätsgebots oder indirekte Unterstützung als solche ankommt. Kann man gewaltneutrales Tätigwerden der Bundeswehr anders als nicht zustimmungspflichtige zivile Unterstützungshandlungen beurteilen? Würde man jedwede indirekte Unterstützung durch die Bundeswehr als bewaffneten Einsatz klassifizieren, so müssten auch die Übernahme von Wachdiensten oder die Ersetzung amerikanischer Soldaten bei rein humanitären Einsätzen, durch die freie amerikanische Kapazitäten geschaffen würden, dem Parlamentsvorbehalt unterfallen. Dies hieße, Verwendungen der Bundeswehr, die eigentlich ausdrücklich nicht zustimmungspflichtig sind, plötzlich der Zustimmungspflicht zu unterwerfen, weil sie subjektiv mit einem bewaffneten Einsatz der USA verknüpft werden. Was wäre, wenn Deutschland schon vorher Soldaten in einen humanitären Einsatz geschickt hätte, weil die USA ihre Kräfte schonen wollten? Würde ein solcher Einsatz der Bundeswehr nachträglich zustimmungspflichtig, wenn die USA ihre aufgesparten Einheiten später plötzlich in einen bewaffneten Einsatz schicken? Der Parlamentsvorbehalt soll dem Bundestag allein die Kontrolle des Machtpotentials der Bundeswehr ermöglichen und nicht die Gestaltung der Außenpolitik – diese bleibt der Bundesregierung vorbehalten. Bei der Frage, ob ein bewaffneter Einsatz vorliegt, ist allein danach zu entscheiden, ob es um den Einsatz des Machtpotentials der Bundeswehr geht. Dies ist nicht der Fall, wenn lediglich bei anderen Staaten freie Kapazitäten für einen bewaffneten Einsatz geschaffen werden. Nur wenn die Unterstützung selbst den Charakter einer bewaffneten Unternehmung hat, etwa direkt der bewaffneten Unternehmung eines anderen Staates dient, fällt die Verwendung unter den Parlamentsvorbehalt. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Operation Eagle Assist nach Art. 5 des NATO-Vertrages beschlossen und als Bündnisfall deklariert wurde. Zunächst kommt es für den Parlamentsvorbehalt des Grundgesetzes nicht darauf an, ob die Bündnispartner selbst vom Vorliegen des Bündnisfalles ausgehen. Von der gemeinsamen Feststellung kann zwar eine Indizwirkung ausgehen – für die Verfassungsrechtslage ist aber entscheidend, ob der Bündnisfall objektiv vorliegt, und nicht, ob die Bündnispartner diesen explizit ausrufen. Gerade nach den Anschlägen vom 11. September 2001 waren die NATO-Partner auf Symbolwirkung bedacht – die Ausrufung des Bündnisfalles war vor allem auch politisch motiviert. Dass durch die Anschläge der Bündnisfall ausgelöst wurde, war nicht unbestritten.139 Hiervon unabhängig hat aber auch das tatsächliche Bestehen des Bündnisfalles nicht zur Folge, dass Verwendungen der Bundeswehr zwangsläufig als bewaffneter Einsatz anzuse138 139

Dreist, ZaöRV 2004, S. 1001 (1009). Vgl. z. B. Winter, „Kein Recht zum Krieg“ in der taz vom 02.10.2001.

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

hen wären oder keine zustimmungsfreie Routineaufgabe mehr darstellen können.140 Art. 5 verpflichtet die Parteien zu „Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt“, um die Sicherheit des NATO-Gebiets wiederherzustellen. Die Formulierung zeigt, dass die durchzuführenden Maßnahmen nicht auf Waffengewalt (also militärische Maßnahmen) beschränkt sein sollen. Auch ein Handelsembargo oder ein geschlossenes Vorgehen im VN-Sicherheitsrat können geeignete unterstützende Maßnahmen darstellen – ebenso die Übernahme von Routineaufgaben oder anderer militärbindender Verwendungen, damit der betroffene Staat wieder freie Kapazitäten erhält. Es zeigt sich auch hier, dass die jeweilige Verwendung unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden muss, ob sie als solche eine bewaffnete Unternehmung darstellt oder eine andere Unterstützungsmaßnahme. b) Die AWACS-Verwendung in der Türkei im Jahre 2003/AWACS II Während die ohne Zustimmung erfolgte AWACS-Entsendung in die USA vom Bundestag klaglos hingenommen wurde, kam es anlässlich des Einsatzes in der Türkei zu einer Kontroverse zwischen Bundesregierung und den Oppositionsfraktionen im Bundestag. Ein Entschließungsantrag der FDP-Bundestagsfraktion, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, unverzüglich einen Antrag zur parlamentarischen Zustimmung zu stellen, wurde am 20. März 2003 – dem Kriegsbeginn im Irak – bei sechs Enthaltungen mit 274 zu 303 Stimmen abgelehnt.141 Die FDPFraktion wandte sich daraufhin mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung an das Bundesverfassungsgericht. Die Bundesregierung sollte angewiesen werden, unverzüglich um eine parlamentarische Zustimmung zu dem Einsatz zu ersuchen oder den Einsatz zu unterbrechen. Das Verfahren führte zur sogenannten AWACS II-Entscheidung.142 aa) Die AWACS II-Entscheidung/Einstweilige Anordnungen Die Bundesregierung hielt auch hinsichtlich des Türkei-Einsatzes eine parlamentarische Zustimmung für überflüssig.143 Die NATO-AWACS-Flugzeuge würden über dem Territorium der Türkei nur Routineflüge durchführen – ihre Aufgabe sei zudem strikt defensiv auf die Luftraumüberwachung ausgerichtet. Nach den Rules of Engagement seien die Flugzeuge von den Militäroperationen im Irak räumlich getrennt – für Einsätze im oder gegen den Irak werde keine Unterstützung gewährt. Der Bundestag habe mit der Abstimmung vom 20. März 2003 zudem gezeigt, dass er mit der Ver-

140

So aber Dreist, ZaöRV 2004, S. 1001 (1039). Die Regierungsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen verfügten über insgesamt 306 von 603 Sitzen im Bundestag. 142 Vgl. BVerfGE 108, 34. 143 Vgl. Bundeskanzler Gerhard Schröder, Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 15/35, 35. Sitzung vom 19. 03. 2003, S. 2727 (D). 141

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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wendung unter den gegeben Umständen einverstanden sei und habe damit seine Zustimmung vorweggenommen.144 Nach Auffassung der FDP-Fraktion stellte die AWACS-Verwendung einen bewaffneten Einsatz dar.145 Der Einsatz sei keine Routinemaßnahme wie die Überwachung der Grenzen in Friedenszeiten. Die Bitte der Türkei um Schutzmaßnahmen zeige, dass der Einsatz militärische Bedeutung in einem bewaffneten Konflikt habe und Schutz vor einer konkreten militärischen Gefährdung bieten solle. Der Einsatz in der Türkei sei nicht von den Aktionen im Irak zu trennen, umso mehr als auch türkische Truppen im Nordirak engagiert seien. Das Bundesverfassungsgericht lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Dies bedeutet aber nicht, dass der Türkei-Einsatz nach Auffassung des Gerichts nicht zustimmungspflichtig gewesen wäre – die Entscheidung erging allein aufgrund einer Folgenabwägung. In der Hauptsache-Entscheidung vom 7. Mai 2008 gelangte das Gericht dann auch tatsächlich zu einer Zustimmungspflicht und damit einem Verfassungsverstoß durch die Bundesregierung.146 Im einstweiligen Rechtsschutz berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht die Begründetheit des Hauptsacheantrages hingegen nur bedingt. Lediglich bei offensichtlicher Begründetheit oder Unbegründetheit der Hauptsache richtet sich das Ergebnis nach der materiellen Rechtslage.147 Ist der Antrag der Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich (un)begründet, wägt das Gericht die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Maßnahme später aber für verfassungswidrig erklärt würde, gegen diejenigen Nachteile ab, die entstünden, wenn die Maßnahme nicht in Kraft träte, sie sich aber im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erwiese.148 Das Bundesverfassungsgericht hielt den Antrag der Hauptsache jedenfalls nicht für offensichtlich unbegründet. Es sei nicht auszuschließen, dass die AWACS-Verwendung in der gegenwärtigen geopolitischen Lage einen Einsatz darstelle, der die konstitutive Zustimmung des Bundestages erfordere.149 Im Hauptsacheverfahren sei insbesondere der Frage nachzugehen, ob ein den Parlamentsvorbehalt auslösender bewaffneter Einsatz vorliege, wenn NATO-AWACS-Verbände den Luftraum eines Bündnispartners überwachten, dessen Staatsgebiet unmittelbar an ein kriegsbefangenes Territorium angrenze, oder wenn sich die Überwachung darüber hinaus auf das Territorium eines an dem bewaffneten Konflikt beteiligten Staates erstrecke.150 Ferner könnte klärungsbedürftig sein, inwieweit die mittelbare Einbeziehung in eine be144

Vgl. BVerfGE 108, 34 (39). Vgl. die Antragsbegründung, BVerfGE 108, 34 (37). 146 Vgl. unten 3. Teil, I. 8. b) bb) (3). 147 Berkemann, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. A., § 32 BVerfGG, Rn. 200 und 205. 148 Ständige Rechtssprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 86, 390 (395); 88, 173 (179); 104, 23 (28). 149 BVerfGE 108, 34 (42). 150 BVerfGE 108, 34 (43). 145

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

waffnete Unternehmung den Parlamentsvorbehalt auslöse. Dies gelte insbesondere, wenn Entwicklungen möglich seien, dass der geschützte Bündnispartner selbst zu einer kriegsführenden Partei werde. Zur Abwägung der möglichen Nachteile und damit den tragenden Gründen der Ablehnung führte das Gericht aus:151 „Der konstitutive Parlamentsvorbehalt hat ein hohes Gewicht, weil die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Die Bundeswehr ist dadurch in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung eingefügt. Die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen ohne Zustimmung des Bundestages greift deshalb prinzipiell tief in die Rechte des Parlaments ein. Auf der anderen Seite steht die außenpolitische Verantwortung der Exekutive mit ihrem Kernbereich eigener Entscheidungsfreiheit. (…) Die Bundesregierung müsste sich bei Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung in einer aktuellen außenpolitischen Krisensituation entweder um eine – in Wahrheit nicht erforderliche – politische Zustimmung des Bundestages bemühen oder aber (…) die deutschen Soldaten aus den betreffenden integrierten NATOVerbänden abziehen. Ein solcher Zwang griffe tief in den Kernbereich der außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung der Bundesregierung ein. (…) Es lässt sich nicht feststellen, dass (…) die Rechte des Bundestages deutlich überwiegen. Die Abwägung dieser Positionen ist im Ergebnis offen.“

Die Entscheidung überraschte wenigstens teilweise.152 Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht 1993 im Rahmen des AWACS-Einsatzes über Bosnien-Herzegowina in ähnlicher Weise entschieden – die Abwägung erfolgte auch hier zum Nachteil des Bundestages, da die AWACS-Verbände ohne deutsche Beteiligung erheblich in ihrer Einsatzfähigkeit beschränkt seien. Solange die Verfassungsrechtsfrage des Parlamentsvorbehaltes offen sei, drohten der Bundesrepublik Deutschland durch eine einstweilige Anordnung schwere Nachteile, da das Vertrauen, das sich Deutschland innerhalb des Bündnisses durch seine stetige Mitwirkung in dem AWACS-Verband erworben habe, aufs Spiel gesetzt würde. Durch Abbruch der Aktion würde die Bundesregierung die durch ihr bisheriges Verhalten begründete Erwartung enttäuschen und einen nicht wiedergutzumachenden Vertrauensverlust bei den Bündnispartnern herbeiführen.153 Im Rahmen des Somalia-Einsatzes im Jahre 1993 (UNOSOM II) hatte das Bundesverfassungsgericht aber eine Kehrtwende vollzogen und einem Antrag auf einstweilige Anordnung stattgegeben.154 Dort führte das Gericht zur Abwägung der möglichen Nachteile aus:155 „Erginge eine einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich später aber die Mitwirkung deutscher Soldaten am UNO-Einsatz in Somalia ohne die beanspruchte Beteiligung des Bundes151

BVerfGE 108, 34 (44). A.A. Gramm, UBWV 2003, S. 161 (162), für den die Entscheidung verfassungsrechtsdogmatisch keine Überraschung darstellt. 153 BVerfGE 88, 173. 154 BVerfGE 89, 38. 155 BVerfGE 89, 38 (45 f.). 152

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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tages als verfassungswidrig, so hätte der Bundestag sein Recht auf Mitwirkung bei der Entscheidung über die Entsendung deutscher Soldaten nach Somalia größtenteils oder – je nach Dauer des Somalia-Auftrags – schlechthin nicht wahrnehmen können. Eine solche Kompetenzverletzung wöge besonders schwer, weil die beanspruchte Entscheidung die Stellung Deutschlands in der UNO und in der Völkerrechtsgemeinschaft bestimmt (…). Hinzu kommt, daß hier – insoweit abweichend von dem der Entscheidung des Senats vom 8. April 1993 (AWACS) zugrunde liegenden Sachverhalt – nicht unerhebliche Gefahren einzuschätzen und zu bewerten sind, die den Soldaten bei der Erfüllung des UNO-Mandats in Somalia an Leib und Leben drohen. Auch stünde eine später sich als notwendig erweisende parlamentarische Beschlußfassung unvermeidlich unter dem Druck inzwischen geschaffener tatsächlicher Verhältnisse und etwa eingetretener Entwicklungen. Demgegenüber wögen die Nachteile der hier getroffenen einstweiligen Anordnung weniger schwer, wenn es sich später im Hauptsacheverfahren erwiese, daß die Mitwirkung deutscher Soldaten bei der Erfüllung des UNO-Mandats in Somalia von der Bundesregierung beschlossen wurde, ohne Rechte des Bundestages zu verletzen. Dann hätte zwar der Bundestag an einer Entscheidung mitgewirkt, die in die Kompetenz der Bundesregierung fällt – dies allerdings in der Eigenschaft eines Verfassungsorgans, dem die Bundesregierung für ihre Entscheidungen auch im außen- und sicherheitspolitischen Bereich parlamentarisch verantwortlich ist.“

In der Literatur wurde die Begründung der AWACS II-Entscheidung wenig thematisiert – das Hauptinteresse bezog sich auf die im Hauptverfahren zu entscheidende Frage, ob der Einsatz in materieller Hinsicht zustimmungspflichtig sei oder nicht.156 Allein Krajewski fragte sich, ob das „Parlamentsheer“ zum Kollateralschaden des Irak-Krieges geworden sei und es bei einem „Parlamentsheer“ nicht angemessener sei, im Zweifel dem Willen des Parlaments zu folgen.157 Im Ergebnis würden die Rechte des Bundestages völlig ausgeschaltet. Auf den ersten Blick konnte die AWACS II-Entscheidung als Abkehr von der im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen Entscheidung zur Beteiligung an UNOSOM II verstanden werden. Tatsächlich scheint es aber so, dass das Bundesverfassungsgericht keine klare Linie verfolgt und unter dem Eindruck aktueller politischer Entwicklungen entscheidet.158 An der AWACS II-Entscheidung ist bemerkenswert, dass das Gericht im Rahmen der Folgenabwägung zu einem Bewertungspatt159 gelangt, für die Begründetheit der einstweiligen Anordnung – wegen des strengen Prüfungsmaßstabes bei gerichtlichen Eingriffen in die Autonomie eines Verfassungsorgans160 – aber ein deutliches Überwiegen der Rechte des Bundestages für erforderlich hält. Damit nimmt das Gericht eine Begründungslastregel zu Lasten des Antragstellers an. Nolte weist darauf hin, dass es auch denkbar gewesen wäre, dass das Gericht 156

Siehe hierzu unten 3. Teil, I. 8. b) bb). Krajewski, AVR 2003, S. 419 (419, 423). 158 In diesem Sinne auch Krajewski, AVR 2003, S. 419 (423), der hinter der Entscheidung auch den Einfluss der „NATO-Krise“ vom Februar 2003 und die starke Kritik der USA und ihrer Verbündeten an der Politik der Bundesregierung vermutet. 159 Nolte, NJW 2003, S. 2359 (2360). 160 BVerfGE 104, 23 (27). 157

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

seiner vereinzelten Argumentationslinie folgt, wonach sich bei einem Begründungspatt der status quo ante vor der angegriffenen Maßnahme durchzusetzen habe – die Truppen also zurückzurufen gewesen wären.161 Die Unterschiede der tatsächlichen Umstände bei UNOSOM II und den AWACSEinsätzen über Bosnien-Herzegowina und der Türkei rechtfertigen keine im Ergebnis abweichende Abwägung. Gegenstand der Abwägung ist allein die Frage, ob die Nachteile überwiegen, wenn die Regierung den Bundestag nachträglich gesehen zu Unrecht um Zustimmung zum Auslandseinsatz bitten muss oder wenn die Regierung nachträglich gesehen zu Unrecht allein über den Einsatz entscheidet. Um welche Nachteile handelt es sich dabei konkret? In seiner ersten Entscheidung zum AWACS-Einsatz über Bosnien-Herzegowina geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass bei Befragung des Bundestages die Bündnisfähigkeit und das Vertrauen in die deutsche Sicherheitspolitik gefährdet seien. Ohne deutsche Beteiligung seien die AWACS-Flugzeuge nur beschränkt einsatzfähig – der Abbruch der Aktion würde zu einem irreparablen Vertrauensverlust führen.162 Diese Betrachtung ist schon im Ansatz nicht richtig. Das Gericht unterstellt damit, dass der Bundestag gegen den Einsatz votieren und ihn somit verhindern werde. Dies ist nicht nur eine unzulässige Spekulation – in aller Regel wird der Bundestag, in dem die Regierungsfraktionen die Mehrheit haben, dem Regierungsantrag sogar zustimmen. Selbst bei dem in der Regierungskoalition hoch umstrittenen Einsatz im Kosovo im Jahre 1999 gelang es Bundeskanzler Gerhard Schröder durch Verbindung der Abstimmung mit der Vertrauensfrage, eine eigene Mehrheit zu erreichen. Die reine Möglichkeit, dass der Bundestag trotz Mehrheit der Regierungsfraktionen den Einsatz verhindern könnte, ist nicht relevant. Auch die Bundesregierung könnte sich plötzlich gegen den Einsatz entscheiden – beispielsweise unter öffentlichem oder politischem Druck von Seiten des Bundestages. Es kann nicht unterstellt werden, dass der Bundestag hinsichtlich der Bündnisfähigkeit Deutschlands unvernünftigere Entscheidungen trifft als die Bundesregierung oder gar das Bundesverfassungsgericht. Der eigentliche Nachteil des Erlasses einer einstweiligen Anordnung liegt schlichtweg darin, dass der Bundestag um Zustimmung gebeten werden muss. Dies bringt eine gewisse Zeitverzögerung und eine parlamentarische Debatte mit sich. Vor allem aber würde eine (nachträglich gesehen möglicherweise nicht zuständige) Institution über das „Ob“ des Einsatzes entscheiden. Durch eine einstweilige Anordnung könnte damit in den Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis der Bundesregierung eingegriffen werden. Die durch einen Bundestagsbeschluss verursachte Zeitverzögerung ist als Nachteil zu vernachlässigen. Sobald ein konkreter Regierungsantrag vorliegt, hat der Bundestag bisher nur zwischen einem Tag und vier Tagen benötigt, um über die Vorlage zu entscheiden.163 Die Zeitverzögerung hängt also im Wesentlichen 161

Nolte, NJW 2003, S. 2359 (2360); vgl. etwa BVerfGE 71, 350 (353); 82, 310 (314). BVerfGE 88, 173 (181 f.). 163 Vgl. hierzu Bartels, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 11. 162

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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davon ab, wie viel Zeit die Bundesregierung zur Ausarbeitung ihres Antrags benötigt – dies hat die Regierung aber selbst in der Hand. Bei Gefahr im Verzug könnte die Bundeswehr zunächst auch ohne Parlamentsbeschluss eingesetzt werden, § 5 Abs. 1 ParlBetG. Zudem könnte das Bundesverfassungsgericht anordnen, dass zur Wahrung der Bündnisfähigkeit ein schon begonnener Einsatz bis zur parlamentarischen Abstimmung auch ohne Bundestagsmandat fortzuführen ist. Eine parlamentarische Debatte mit nachfolgender Abstimmung mag für die Bundesregierung zwar politisch gesehen einen Nachteil darstellen. In rechtlicher Hinsicht ist eine parlamentarische Debatte nicht nur kein Nachteil, sondern wesentlicher Ausdruck einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie. Einzig relevanter Nachteil einer nachträglich gesehen zu Unrecht ergangenen Anordnung ist somit der Eingriff in den Kernbereich eigener Entscheidungsfreiheit der Bundesregierung. In seiner AWACS II-Entscheidung hat sich das Bundesverfassungsgericht auch auf diesen abwägungsrelevanten Punkt konzentriert. Dem Kernbereich eigener Entscheidungsfreiheit der Bundesregierung steht der Parlamentsvorbehalt gegenüber, der bei Ausbleiben der einstweiligen Anordnung und nachträglichem Erfolg der Hauptsache leer liefe. Eine Verletzung des Parlamentsvorbehalts greift prinzipiell tief in die Rechte des Parlaments ein, da sich die Bundeswehr durch dieses Prinzip in die demokratische, rechtsstaatliche Verfassungsordnung einfügt.164 Nach der vom Bundesverfassungsgericht richtigerweise noch im Somalia-Beschluss vertretenen Linie wiegt der Nachteil für den Kompetenzbereich der Regierung weniger schwer, da der Bundestag – auch wenn seine Zustimmung nachträglich gesehen nicht erforderlich ist – jedenfalls in der Eigenschaft eines Verfassungsorgans entscheidet, dem die Bundesregierung für ihre Entscheidungen auch im außen- und sicherheitspolitischen Bereich parlamentarisch verantwortlich ist.165 Verkürzt heißt das, dem Bundestag würde sein Zustimmungsrecht völlig genommen, während die Bundesregierung ohnehin vom Bundestag kontrolliert wird. Stimmt der Bundestag dem Auslandseinsatz zu, so entsteht, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Verwendung nicht zustimmungspflichtig war, kein relevanter Schaden – die Bundeswehr wurde ja gerade so verwendet wie die Bundesregierung es wollte. Stimmt der Bundestag trotz Mehrheit der Regierungsfraktionen gegen den Einsatz, so entspräche die Regierung mit einem Rückzug der Truppen jedenfalls dem Willen der parlamentarischen Mehrheit. In einer parlamentarischen Demokratie ist dieser Eingriff in die Entscheidungsbefugnis der Regierung nicht so schwerwiegend wie die völlige Aussetzung des konstitutiven Parlamentsvorbehalts. Das Bundesverfassungsgericht verfolgte mit seiner Abwägung zudem das Ziel, der Entscheidung über Auslandseinsätze – solange die Verfassungsrechtsfrage des Parlamentsvorbehaltes noch offen war – eine den Kompetenzstreit überbrückende Grundlage zu geben.166 Die Beantwortung der Verfassungsrechtsfrage im AWACS-Urteil mit 164 165 166

So BVerfGE 108, 34 (44). BVerfGE 89, 38 (46). BVerfGE 89, 38 (46).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

dem grundsätzlichen Ergebnis eines Parlamentsvorbehalts spricht heute umso mehr für eine Abwägung zugunsten der Rechte des Bundestages. Will man dem Bundestag eine effektive Kontrolle der militärischen Verwendung der Bundeswehr im Sinne einer „Parlamentsarmee“ zugestehen, muss sich der Parlamentsvorbehalt auch im vorläufigen Rechtsschutz durchsetzen. Dem Bundesverfassungsgericht scheinen diese Argumente indes nicht zu genügen, um grundsätzlich einstweilige Anordnungen zum Schutz des Parlamentsvorbehalts zu erlassen. Bei den AWACS-Einsätzen über Bosnien-Herzegowina und der Türkei lehnte es die beantragten Anordnungen ab. In seiner einstweiligen Anordnung zum Somalia-Einsatz betonte das Gericht, dass abweichend vom AWACS-Einsatz über Bosnien-Herzegowina nicht unerhebliche Gefahren für die eingesetzten Soldaten bestünden.167 Das Gericht scheint hierin den entscheidenden Grund für den Erlass der einstweiligen Anordnung und der Abwägung zugunsten des Bundestages zu sehen. Auf die Gefährdungslage der eingesetzten Soldaten kommt es im Rahmen der Abwägung aber nicht entscheidend an. Wie oben dargelegt, ist die Abwägung auch ohne besondere Gefährdung der Soldaten zugunsten des Parlamentsvorbehalts zu entscheiden – eine konkrete Gefährdung der Soldaten kann dieses Ergebnis allenfalls weiter unterstützen. Da nicht ohne weiteres unterstellt werden kann, dass der Bundestag den Einsatz verhindern werde, hängt die Gefährdung als solche nicht vom Erlass der einstweiligen Anordnung ab – auch mit zustimmendem Bundestagsbeschluss tritt die Gefährdung ein. Der Nachteil der Gefährdung als solcher kann damit nicht zugunsten des Parlamentsvorbehalts in die Waagschale gelegt werden. Allerdings könnte der Parlamentsvorbehalt durch die Gefährdung der Soldaten an Gewicht gewinnen. Die Schwere der Kompetenzverletzung des Bundestages richtet sich aber nicht nach der Höhe des Gefährdungsgrades der eingesetzten Soldaten. Die parlamentarische Zustimmungspflicht besteht immer dann, wenn das spezifische Machtpotential der Bundeswehr im Ausland eingesetzt wird. Auf die Gefahr konkreter Kampfhandlungen und damit eine Gefährdung der Soldaten kommt es grundsätzlich nicht an. Zwar wird der Parlamentsvorbehalt – neben den Bestimmungen der Wehrverfassung – auch durch eine entsprechende Anwendung der Wesentlichkeitstheorie gestützt.168 Demnach muss der Gesetzgeber (oder hier der Bundestag) in den für das Verhältnis von Staat und Bürger grundlegenden Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen.169 Für die Begründung des Parlamentsvorbehalts hat die Wesentlichkeitstheorie aber nur untergeordnete Bedeutung – das Bundesverfassungsgericht hat seine AWACS-Entscheidung allein auf die Wehrverfassung des Grundgesetzes gestützt. Die aktuelle Gefährdungslage kann damit nur ergänzend, nicht aber als entscheidendes Kriterium herangezogen werden.

167

BVerfGE 89, 38 (45). Vgl. Sachs, Art. 87a GG, Rn. 30. Vgl. zur Bedeutung der Wesentlichkeitstheorie für den Parlamentsvorbehalt oben 2. Teil, I. 3. c). 169 Badura, Staatsrecht, 3. A., Kapitel D Rn. 56; BVerfGE 49, 89 (126 ff.); BVerfGE 84, 212 (226). 168

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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bb) Die Rechtmäßigkeit des AWACS-Einsatzes in der Türkei Auf einem anderen Blatt steht die materielle Frage, ob der AWACS-Einsatz in der Türkei ohne parlamentarische Zustimmung rechtswidrig war. Die Literatur vertritt hier fast einhellig die Auffassung, dass der AWACS-Einsatz der Zustimmung des Bundestages bedurft hätte. Auch das Bundesverfassungsgericht gelangte in seiner Hauptsache-Entscheidung vom 7. Mai 2008 letztlich zu dem Ergebnis, dass der Einsatz dem Erfordernis einer parlamentarischen Zustimmung unterlag.170 (1) Meinungen in der Literatur Für Fischer-Lescano ist entscheidend, dass die AWACS-Entsendung im Rahmen von Art. 4 des NATO-Vertrages erfolgte.171 Bei der Verwendung habe es sich um eine Beistandsleistung in einer konkreten Bedrohungssituation gehandelt. Ein solcher Einsatz sei zustimmungspflichtig, weil er Gegenmaßnahmen, insbesondere den Abschuss angreifender Flugzeuge, ermöglichen solle und keinen routinemäßigen Einsatz in Friedenszeiten darstelle. Die Türkei sei zudem in den bewaffneten Konflikt im Irak einbezogen gewesen, da das türkische Parlament die Nutzung des türkischen Luftraums gestattet172 und damit amerikanische Luftangriffe aus dem Norden ermöglicht habe.173 Die AWACS-Aufklärer hätten damit das Staatsgebiet einer kriegsbefangenen Konfliktpartei geschützt. Dreist sieht in dem AWACS-Einsatz in der Türkei – in gleicher Weise wie in der Operation Eagle Assist – die Beteiligung an einem bewaffneten Konflikt.174 Die Gefahr gegen die Türkei gerichteter irakischer Kampfhandlungen und die Zweckrichtung der AWACS, die Türkei hiervor zu sichern und zu schützen, führe im Rechtssinne zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte. Ebenso stellt Gilch auf die Gefährdungslage in der Türkei ab.175 Im Falle eines Angriffs würden die AWACS-Flugzeuge als Feuerleitsystem eingesetzt werden, was unzweifelhaft ein bewaffneter Einsatz der deutschen Soldaten wäre. In dieser Situation sei die Bundesregierung berechtigt, den Einsatz wegen Gefahr im Verzug einstweilen ohne Zustimmung des Bundestages durchzuführen. Die erst nachträgliche Befassung des Parlaments werde damit billigend in Kauf genommen. Wenn eine sicherheitspolitische Situation vorliege, die die Beteiligung an Kampfhandlungen möglich erscheinen lasse, sei die zustimmungslose Verwendung von Bundeswehrsoldaten nicht mit der Funktion des Parlamentsvorbehaltes zu vereinbaren.

170

Vgl. unten 3. Teil, I. 8. b) bb) (3). Fischer-Lescano, NVwZ 2003, S. 1474 (1475). 172 Nicht gestattet hat das türkische Parlament hingegen den Aufmarsch von US-Bodentruppen. 173 Fischer-Lescano, NVwZ 2003, S. 1474 (1476). 174 Dreist, ZaöRV 2004, S. 1001 (1036). 175 Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz, S. 120. 171

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Lutze sieht Überwachungsflüge im Luftraum eines Bündnispartners – im Gegensatz zu Patrouillenflügen in Friedenszeiten – dann als bewaffneten Einsatz an, wenn das Hoheitsgebiet des Bündnispartners an kriegsbefangenes Gebiet angrenze.176 Zwar seien mit den Flugzeugen keine unmittelbaren Eingriffe verbunden – dies geschehe erst bei ihrer Aktivierung als Feuerleitsystem für Kampfflugzeuge. Die Verwendung beinhalte aber – für den Fall der Abwehr eines Angreifers – potentielle Eingriffshandlungen, deren Eintritt nur von einer von außen auszulösenden Handlung abhänge. Klein begründet die Zustimmungspflicht damit, dass die Flugzeuge den Auftrag hätten, Gefahren zu melden und der Türkei und ihren Bündnispartnern gegebenenfalls militärische Gegenwehr zu ermöglichen.177 Wiefelspütz kämpft auf einsamem Posten für die Rechtsauffassung der Bundesregierung und sieht die Grenzlinie zum zustimmungspflichtigen Einsatz noch nicht überschritten.178 Die Flüge hätten nicht über kriegsbefangenem Territorium stattgefunden und keiner kriegsführenden Partei gedient. Der Wendepunkt liege erst dort, wo sich militärische Einheiten an Kampfhandlungen, Kriegshandlungen oder kriegsähnlichen Operationen beteiligten und nicht dort, wo Verwendungen lediglich Ausdruck einer erhöhten Verteidigungsbereitschaft seien.179 Allein der Umstand, dass Soldaten Gefahren melden sollen, um eine militärische Gegenwehr zu ermöglichen, mache diese Soldaten nicht zum Teil einer bewaffneten Unternehmung – Gefahren zu melden, sei die Aufgabe aller NATO-AWACS-Flugzeuge, die über dem Bündnisgebiet eingesetzt würden. Auch die Angrenzung der Türkei an den kriegsbefangenen Irak und die Überwachung von Teilen kriegsbefangenen Territoriums ändere nichts an dieser Einschätzung, da die Türkei durch die Überwachungsflüge nicht Kriegspartei geworden sei.180 (2) Bewertung Für die Beantwortung der Frage, ob der AWACS-Einsatz in der Türkei einen bewaffneten Einsatz im Sinne des Parlamentsvorbehaltes darstellte, ist nach der allgemeinen Einsatzdefinition entscheidend, ob die Bundeswehr nach außen mit ihrem spezifischen Machtpotential eingesetzt wurde. Der räumliche Bezug der Verwendung zu einem kriegsbefangenen Territorium – in diesem Falle dem Irak – ist dabei nur von sekundärer Bedeutung. Während es bei einem Einsatz über kriegsbefangenem Territorium zwar schwer fällt, die Soldaten nicht als Teil des Konflikt zu betrachten, ist diese Verknüpfung bei einer Verwendung über einem angrenzenden Territorium 176

Lutze, DÖV 2003, S. 972 (974). Klein, Interview in der taz vom 23.01.2003. 178 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 56; NZWehrr 2003, S. 133 (143 ff.). 179 Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (379). 180 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 58. 177

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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oder einem „Hineinschauen“ in das kriegsbefangene Gebiet nicht zwingend. Droht von einem bewaffneten Konflikt keine unmittelbare Gefahr für das Bündnisgebiet und ist die NATO nur neutraler Beobachter, so wäre ein reiner AWACS-Beobachtungs-Einsatz, der über einem Nachbarstaat erfolgt, nicht als bewaffneter Einsatz anzusehen. Dies gilt auch dann, wenn sich die Überwachung zum Teil auf das kriegsbefangene Gebiet erstreckt. Da die AWACS-Flugzeuge selbst unbewaffnet sind, überschreitet ihre Verwendung erst dann die Schwelle des bewaffneten Einsatzes, wenn sie zur Unterstützung anderer bewaffneter Einheiten eingesetzt werden. Dies wiederum zeigt, dass auch eine AWACS-Verwendung außerhalb kriegsbefangenen Territoriums einen bewaffneten Einsatz darstellen kann – nämlich dann, wenn das AWACSSystem in einem konkreten Fall auch als Feuerleitsystem dienen soll.181 Das Problem verdichtet sich auf die Frage, ob die Bundeswehr mit ihrem spezifischen nach außen gerichteten Machtpotential eingesetzt wurde. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Verwendung lediglich eine routinemäßige Überwachung des Bündnisgebietes darstellte.182 Damit läge eine Verwendung zu Friedenszeiten vor, die keinen Bezug zu einem konkreten bewaffneten Konflikt hätte. Die Bundesregierung argumentierte auch in diesem Sinne. Dem Argument ist zuzugestehen, dass sich die Überwachung des Bündnisgebietes durch AWACS-Flugzeuge grundsätzlich als Routineaufgabe in Friedenszeiten darstellen kann – auch ohne besondere Bedrohungssituation werden solche Flüge ständig über dem Bündnisgebiet durchgeführt. Dies bedeutet aber nicht, dass jegliche Überwachung des Bündnisgebietes eine solche Routineaufgabe darstellt und zustimmungsfrei wäre. Kommt es zu einem konkreten Konfliktfall oder Krieg, von dem das Bündnisgebiet betroffen ist, stellt die Verwendung von AWACS-Flugzeugen im Rahmen dieses Konflikts einen bewaffneten Einsatz dar. Rechtlich gesehen macht es keinen Unterschied, ob kämpfende Bodentruppen und Flugverbände eingesetzt werden oder ob AWACS-Flugzeuge bewaffnete Einheiten unmittelbar bei der Erfüllung ihres Auftrages durch Aufklärung unterstützen. Dieses wie jenes ist die Beteiligung an einer bewaffneten Unternehmung.183 Bei der Frage, ob Überwachungsflüge über dem Bündnisgebiet zustimmungspflichtig sind, ist danach zu unterscheiden, ob die AWACS-Flugzeuge im Frieden oder im Zusammenhang mit einem konkreten bewaffneten Konflikt verwendet werden. Der Einsatz im Jahre 2003 erfolgte aufgrund der Befürchtung der Türkei, dass die Unversehrtheit ihres Staatsgebietes wegen des sich anbahnenden Irak-Krieges gefährdet sei, Art. 4 NATO-Vertrag. Für die Bedrohungslage ist bezeichnend, dass der Verteidigungsplanungsausschuss der NATO am 19. Februar 2003 neben der Bereitstellung der AWACS-Flugzeuge die militärischen Behörden der NATO auch dazu ermächtigte, Systeme zur Abwehr von Angriffen mit chemischen und biologischen Waffen in der Türkei zu stationieren.184 Anders als von der Regierung Schröder dargestellt, waren Deutschland 181 182 183 184

Anders aber wohl Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (379). Vgl. hierzu oben 3. Teil, I. 2. d). Vgl. hierzu oben 3. Teil, I. 2. b). Vgl. BVerfGE 108, 34 (35).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

und die Türkei in den Irak-Konflikt zudem auch wenigstens mittelbar einbezogen und nicht neutral. Die Gewährung von Überflugrechten über Deutschland und der Türkei, die Erlaubnis der kriegsbedingten Nutzung amerikanischer Stützpunkte in Deutschland (wie etwa den Militärflughafen Rammstein) und die Schaffung freier amerikanischer Kapazitäten durch die Übernahme von Wachaufgaben in Deutschland stellten konkrete Unterstützungshandlungen für die amerikanische Militäroperation im Irak dar. Die Aufgabe der AWACS-Flugzeuge lag schließlich auch nicht allein darin, Verletzungen des türkischen Luftraums festzustellen – die automatische Konsequenz einer solchen Verletzung wäre die Einleitung von Gegenmaßnahmen gewesen, bei denen die AWACS-Flugzeuge im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu den NATO-Streitkräften als Feuerleitsystem gedient hätten. Von einer routinemäßigen Verwendung zu Friedenszeiten lässt sich damit nicht mehr sprechen. Die Verwendung stellte eine Machtdemonstration der NATO dar, die das konkrete Ziel verfolgte, den möglichen Aggressor Irak von einem Angriff auf die Türkei abzuhalten und einen möglichen Angriff abzuwehren. Es ging nicht allein um eine – wie Wiefelspütz meint – erhöhte Verteidigungsbereitschaft der Streitkräfte, sondern um eine außerhalb der Routine liegende Verlegung von Bündnisflugzeugen, um einer konkreten Gefahr zu begegnen. Die AWACS-Flugzeuge waren damit in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen, sodass der Einsatz der Zustimmung des Bundestages bedurft hätte. Für die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit ist es im Übrigen nicht von Bedeutung, ob der Einsatz nur der Verteidigung des Bündnisgebietes diente. Auch defensive Verwendungen können einen bewaffneten Einsatz darstellen und der Zustimmungspflicht unterfallen.185 Auch das Argument, dass der Einsatz keiner kriegsführenden Partei diente – also insbesondere nicht die Kriegsführung der USA gegen den Irak unterstützen sollte –, geht wenigstens zum Teil an der Sache vorbei. Richtig ist, dass eine solche Unterstützung aus der Verwendung unbestreitbar einen bewaffneten Einsatz gemacht hätte, da kämpfende Truppen unterstützt worden wären. Umgekehrt lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass ohne eine solche Unterstützung kein bewaffneter Einsatz vorliegen könne. Die AWACS-Flugzeuge sollten nämlich auch die Bündnistruppen unterstützen, die einen für möglich gehaltenen irakischen Angriff auf die Türkei mit Waffengewalt zurückgeschlagen hätten. Für einen bewaffneten Einsatz kommt es gerade nicht darauf an, dass die eingesetzten Soldaten tatsächlich an konkreten Kampfhandlungen – in welcher Form auch immer – teilnehmen. Der Wendepunkt liegt schon dort, wo deutsches Militär auch ohne Beteiligung an Kampfhandlungen mit seinem spezifischen Machtpotential eingesetzt wird.186 Kaum diskussionswürdig ist das Argument der Bundesregierung, der Bundestag habe – indem er es ablehnte, die Regierung zu einem Zustimmungsantrag aufzufordern – seine Zustimmung zu dem Einsatz vorweggenommen. Gegenstand des Bundestagsbeschlusses war nicht der Einsatz als solcher, sondern dessen Zustimmungs185 186

Vgl. hierzu oben 3. Teil, I. 2. c). Anders Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (379).

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bedürftigkeit. Aus dem ablehnenden Votum des Parlaments kann nicht geschlossen werden, dass der Einsatz auch inhaltlich mitgetragen wurde. Dies gilt umso mehr, als das Zustimmungsverfahren aus gutem Grund einen detaillierten Antrag der Bundesregierung voraussetzt.187 Nur bei einer dem Bestimmtheitserfordernis gerecht werdenden Konkretisierung des durchzuführenden Einsatzes kann der Bundestag seiner Zustimmungs- und Kontrollfunktion gerecht werden. (3) Das Urteil in der Hauptsache188 Während das Bundesverfassungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Jahr 2003 noch abgelehnt hatte, sah es in seinem Urteil vom 7. Mai 2008 nunmehr die Rechte des Bundestages dadurch verletzt, dass die Bundesregierung keine parlamentarische Zustimmung zu dem Einsatz eingeholt hatte. Das Gericht stellte ausdrücklich klar, dass der Parlamentsvorbehalt im Zweifel parlamentsfreundlich auszulegen sei;189 einer Regel dem das Gericht jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutz selbst nicht nachgekommen war. Eine Zustimmungspflicht ergebe sich bei der konkreten Verwendung in der Türkei daraus, dass greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen bestanden hätten.190 Der AWACS-Einsatz sei Teil konkreter militärischer Schutzmaßnahmen gegen einen befürchteten Angriff gewesen und habe damit außerhalb der alltäglichen Praxis ohne konkreten Bezug zu einer bewaffneten Auseinandersetzung („Bündnisroutine“) gestanden.191 Deutsche Soldaten wären im Falle eines Angriffs unmittelbar an Abwehrmaßnahmen beteiligt gewesen und Deutschland damit unmittelbar kämpfende Partei geworden. Auch habe die Einbeziehung in eine bewaffnete Auseinandersetzung unmittelbar bevorgestanden, da sie nur davon abhing, ob der Irak einen Angriff unternehmen würde. Deutschland hatte hierauf keinen Einfluss, so dass alle grundsätzlichen Entscheidungen über die Anwendung von Waffengewalt auf deutscher Seite bereits getroffen waren.192 9. Verwendung deutscher Soldaten in integrierten Verbänden und Stäben Der parlamentarische Zustimmungsvorbehalt umfasst grundsätzlich alle bewaffneten Auslandseinsätze der Bundeswehr. Damit sind prinzipiell auch Verwendungen deutscher Soldaten in integrierten multinationalen Verbänden und Stäben der NATO, der EU oder der Vereinten Nationen zustimmungspflichtig, soweit es sich um einen 187

Heute geregelt in § 3 ParlBetG; zum Bestimmtheitsgebot vgl. unten 3. Teil, II. 1. a). Urteil des BVerfG vom 07. 05. 2008, 2 BvE 1/03. 189 Urteil des BVerfG vom 07. 05. 2008, 2 BvE 1/03, Rn. 72; vgl. auch Burkiczak, NVwZ 2008, 752. 190 Urteil des BVerfG vom 07. 05. 2008, 2 BvE 1/03, Rn. 84. 191 Urteil des BVerfG vom 07. 05. 2008, 2 BvE 1/03, Rn. 85. 192 Urteil des BVerfG vom 07. 05. 2008, 2 BvE 1/03, Rn. 90 f. 188

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

bewaffneten Einsatz mit Auslandsbezug handelt.193 Unter integrierten Verbänden sind dabei Einheiten zu verstehen, die multinational besetzt sind, deren Einsatz von einem multinationalen Gremium beschlossen wird und die einem internationalen Kommando unterstehen. Klassische Beispiele hierfür sind die seit 2006 einsatzbereite NRF (NATO Response Force), die binnen fünf Tagen Truppen in jedes Krisengebiet der Welt verlagern kann, oder die Deutsch-Französische Brigade als Teil des Eurocorps. Das Parlament hat der Verwendung der Bundeswehr dabei zwar schon allgemein durch die Ratifizierung der jeweiligen völkerrechtlichen Verträge gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt. Dies entbindet aber nicht von dem für den konkreten Einsatz erforderlichen Parlamentsbeschluss.194 Nimmt ein integrierter multinationaler Verband unter Beteiligung deutscher Soldaten außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik an einer bewaffneten Unternehmung teil, bedarf die Verwendung der Bundeswehrsoldaten nach den allgemeinen Regeln einer vorherigen Zustimmung des Bundestages.195 Es macht verfassungsrechtlich keinen Unterschied, ob die deutschen Soldaten einem internationalen oder einem rein deutschen Kommando unterstehen, solange die Soldaten spezifische Angehörige des deutschen Militärs und damit Teil der Bundeswehr sind.196 Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn die Soldaten zwar deutsche Staatsangehörige, aber Teil einer internationalen Armee (etwa einer noch zu schaffenden Europäischen Armee) und nicht Teil der Bundeswehr wären. Die Bundesregierung hätte auf diese Soldaten keinen direkten Zugriff, sodass ihre Verwendung nicht die Ausübung deutschen militärischen Machtpotentials darstellen würde. Für die Verwendung deutscher Soldaten in ständigen internationalen Stäben geht das Parlamentsbeteiligungsgesetz in seiner Begründung allerdings von einer generellen Zustimmungsfreiheit aus: 193

Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (82); Pofalla, ZRP 2004, S. 221 (224). 194 Vgl. BVerfGE 90, 286 (387). Das Gericht führt weiter aus: „Dabei kann es angezeigt sein, im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen, in der die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet ist.“, BVerfGE 90, 286 (389). Durch Gesetz könnte der Parlamentsvorbehalt bei einer bewaffneten Verwendung deutscher Soldaten in integrierten Verbänden oder Stäben also eingeschränkt werden – beispielsweise durch ein abgekürztes Zustimmungsverfahren. Das derzeitige Parlamentsbeteiligungsgesetz sieht eine solche Einschränkung aber nicht vor. Vgl. hierzu auch Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (82 f.). 195 So auch Klein, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 93 (100) und Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (82). 196 Vgl. zu VN-Friedenstruppen: Frowein, Der völkerrechtliche Status von VN-Friedenstruppen und seine Bedeutung für das deutsche Recht, in: Frowein/Stein, Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen (1990), S. 1 (9).

I. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte

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„Nicht als Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Sinne des Gesetzes angesehen wird, ebenfalls der bisherigen Praxis entsprechend, die Beteiligung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr an ständigen integrierten sowie multinational besetzten Stäben und Hauptquartieren der Organisation des Nordatlantikvertrages (NATO) und anderer Organisationen gegenseitiger kollektiver Sicherheit, während bei einer Verwendung in eigens für konkrete bewaffnete Einsätze gebildeten Stäben und Hauptquartieren der NATO und anderer Organisationen kollektiver Sicherheit der Vorbehalt der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages besteht.“

Wiefelspütz pflichtet dieser Auffassung bei.197 Die parlamentarische Zustimmung zum Beitritt zu einem kollektiven Sicherheitssystem schließe die Befugnis ein, deutsche Soldaten in den typischerweise vorgesehenen Führungsstrukturen einzusetzen.198 Diese Zustimmung für ständige Hauptquartiere und Stäbe müsse bei der Einbeziehung der Führungseinheiten in eine konkrete bewaffnete Unternehmung nicht erneuert werden. Anderes gelte aber bei eigens für konkrete bewaffnete Einsätze gebildete Stäbe.199 In die gleiche Richtung argumentiert Gilch, der die Verwendung in integrierten Stäben auch aus Gründen der Bündnisfähigkeit generell für nicht zustimmungspflichtig hält.200 Erhalte ein ständiges Hauptquartier zusätzlich die Funktion eines Hauptquartiers für ein bewaffnetes Unternehmen, so würden nur bestehende Strukturen verwandt und nicht eigens eine neue Führungsstelle begründet. Hierfür eine parlamentarische Zustimmung zu verlangen, bedeute ständig integrierte Stäbe und Hauptquartiere unter einen Dauervorbehalt zu stellen.201 Auch die derzeitige Praxis geht dahin, dass die Bundesregierung auch dann keinen Antrag auf parlamentarische Zustimmung stellt, wenn deutsche Soldaten in ständigen Stäben an der Führung bewaffneter Einsätze beteiligt sind. Der Bundestag nimmt dies unwidersprochen hin.202 Diese Auffassung ist dogmatisch nicht haltbar. Die Unterscheidung zwischen ständigen und ad hoc gebildeten Stäben entbehrt hinsichtlich des konstitutiven Parlamentsvorbehalts jeder verfassungsrechtlichen Grundlage. Natürlich hat der Bundestag durch die Ratifizierung beispielsweise des NATO-Vertrages der Schaffung ständiger Stäbe und damit auch der Bereitstellung deutscher Soldaten hierfür allgemein zugestimmt. Das bedeutet aber keinesfalls zwingend, dass die in diesen Stäben eingesetzten Bundeswehrsoldaten auch in konkrete bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden dürfen, ohne dass der Bundestag erneut seine Erlaubnis geben müsste. Der Bundestag hat mit dem Beitritt zu einem Verteidigungsbündnis wie der NATO auch grundsätzlich dem bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Bündnisfall zugestimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat aber ausdrücklich festgestellt, 197

Wiefelspütz, NVwZ 2005, S. 496 (498). In diesem Sinne auch Scholz und Wieland, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 17. 199 Wiefelspütz, NZWehrr 2004, S. 133 (134). 200 Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 133. 201 Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 132. 202 Vgl. hierzu Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (372). 198

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

dass es auch im Bündnisfall einer – regelmäßig vorhergehenden – parlamentarischen Entscheidung über den konkreten Einsatz nach Maßgabe der bestehenden Bündnisverpflichtung bedarf.203 Das Gericht bringt damit zum Ausdruck, dass für den Parlamentsvorbehalt eine allgemeine Zustimmung zu einem Bündnissystem nicht ausreicht, sondern jeder konkrete bewaffnete Einsatz einer eigens erteilten Zustimmung bedarf. Es ist nicht ersichtlich, warum die Verwendung in Stäben, also die militärische Führung, anders behandelt werden sollte als die Durchsetzung der von der Führung angeordneten Maßnahmen. Es kommt gerade nicht darauf an, dass der einzelne eingesetzte Soldat selbst bewaffnet ist, sondern nur darauf, ob er die Ausübung spezifischer militärischer Gewalt im Ausland unterstützt.204 Dies trifft auch für die Verwendung in Stäben zu, die einen konkreten bewaffneten Einsatz im Ausland leiten. Der Parlamentsvorbehalt gebietet einen effektiven Zugriff des Parlaments auf jede Verwendung deutscher Soldaten im Rahmen eines bewaffneten Einsatzes. Warum sollte der Bundestag keinen direkten Zugriff auf die Verwendung deutscher Soldaten haben, die in einem ständigen Stab etwa an der Leitung von Kriegsgeschehen beteiligt sind? Auch der FDP-Entwurf zu einem Entsendegesetz enthielt in seiner Begründung den Hinweis, dass die „Beteiligung deutscher Soldaten in bi- und multinationalen militärischen Stäben oder Truppenkörpern, die nicht unter nationalem Kommando stehen, an militärischen Einsätzen“ als bewaffneter Einsatz zustimmungspflichtig sei.205 Verwendungen in ständigen integrierten Stäben und Hauptquartieren sind damit nur solange zustimmungsfrei, wie die Bundeswehrsoldaten nicht an der konkreten Führung eines bewaffneten Einsatzes beteiligt sind. Erst recht zustimmungspflichtig sind demzufolge Verwendungen in eigens für bewaffnete Einsätze gebildete Stäbe. Für den allgemeinen Dienst in internationalen Stäben bedarf es hingegen keiner parlamentarischen Zustimmung. Dies nicht nur, weil der Bundestag mit dem Zustimmungsgesetz, Art. 59 Abs. 2 GG, der Errichtung der Stäbe schon allgemein zugestimmt hat, sondern weil die Verwendung zu Friedenszeiten schon gar nicht einen den Parlamentsvorbehalt auslösenden bewaffneten Auslandseinsatz darstellt. Die heraufbeschworenen Nachteile dieser Regelung für die Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschlands werden durch verschiedene Faktoren relativiert. Einerseits bedarf es der parlamentarischen Zustimmung nur, wenn deutsche Soldaten konkret an der Leitung eines bewaffneten Einsatzes beteiligt sind. Die Vorbereitung einer Unternehmung206 fällt hierunter ebenso wenig wie der allgemeine Stabsdienst, der den Einsatz nicht zielgerichtet, sondern nur beiläufig durch die auch in Friedenszeiten laufende Stabsarbeit unterstützt. Denn hier fehlt es an einer spezifischen Verwendung für die konkrete bewaffnete Unternehmung. Sollen 203 BVerfGE 90, 286 (387). „Wegen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts [ist] jeder Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO sowohl zur kollektiven Verteidigung als auch zur Krisenreaktion von der Zustimmung des Bundestags abhängig“, 2 BvE 6/99 vom 22. 11. 2001, Absatz 150. 204 Vgl. oben 3. Teil, I. 2. b). 205 BT-Drs. 15/1985, S. 5 (zu § 1). 206 Zu vorbereitenden Maßnahmen vgl. oben 3. Teil, I. 7.

II. Der Beschluss des Bundestages

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neben den Stabsoffizieren zudem auch bewaffnete Einheiten der Bundeswehr eingesetzt werden, bedarf es ohnehin eines Bundestagsbeschlusses. Bleibt es beim isolierten Einsatz weniger deutscher Soldaten in den ständigen Stäben, liegt in aller Regel ein Einsatz geringer Intensität und Tragweite vor, sodass das vereinfachte Zustimmungsverfahren zur Anwendung kommt, § 4 ParlBetG.207 Bei Gefahr im Verzug können deutsche Soldaten in ständigen Stäben schließlich nach den allgemeinen Regeln vorläufig auch ohne parlamentarische Zustimmung zur Leitung eines bewaffneten Einsatzes verwendet werden.

II. Der Beschluss des Bundestages Handelt es sich bei einer Verwendung der Bundeswehr nach den oben gefundenen Maßstäben um einen bewaffneten Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland, kommt das detaillierte Verfahren des Parlamentsbeteiligungsgesetzes zur Anwendung. Es finden sich hier Regelungen zum Antrag (§ 3 Abs. 1 und 2 ParlBetG), zur Beschlussfassung (§ 3 Abs. 3 ParlBetG) und zum abgekürzten Verfahren bei Gefahr im Verzug (§ 5 ParlBetG), Einsätzen geringer Intensität und Tragweite (§ 4 ParlBetG) sowie bei Verlängerung bereits genehmigter Einsätze (§ 7 ParlBetG). Diese Vorschriften beschreiben den Weg zu einem Zustimmungsbeschluss des Bundestages, also das eigentliche Zustimmungsverfahren. Daneben normiert das Gesetz aber auch Rechte und Pflichten, die während eines laufenden Einsatzes bestehen: die Bundesregierung hat eine Unterrichtungspflicht (§ 6 ParlBetG), während dem Bundestag ein Rückholrecht zugestanden wird (§ 8 ParlBetG). Das Zustimmungsverfahren bei Auslandseinsätzen stellt eine echte staatsrechtliche Novität dar.208 Mit dem Erfordernis der parlamentarischen Zustimmung hat das Bundesverfassungsgericht eine neue, atypische Kategorie rechtswirksamer parlamentarischer Entscheidungen geschaffen.209 Während schlichte Parlamentsbeschlüsse bisher nur als unverbindliches politisches Kontrollinstrument existierten210 und der Bundestag nach außen rechtsverbindliche Entscheidungen nur in Gesetzesform fassen konnte, kann der Bundestag nun mit einfachem Beschluss verbindlich über die Zustimmung zu einem Auslandseinsatz entscheiden.211 Der zuweilen verwendete Begriff des „bindenden Parlamentsbeschlusses“212 ist jedoch nicht ganz treffend, da der Beschluss die Regierung nicht bindet, sondern ihren Handlungsspielraum durch die

207

Vgl. zum vereinfachten Zustimmungsverfahren unten 3. Teil, II. 6. So Stein/Kröninger, Jura 1995, S. 254 (261). 209 Vgl. Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 5 und Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (373). 210 Vgl. unten 3. Teil, II. 2. b) dd). 211 Stein/Kröninger, Jura 1995, S. 254 (261). 212 Lutze, DÖV 2003, S. 972 (979). 208

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Zustimmung nur erweitert. Eine Bindung ist nicht Gegenstand des Beschlusses – die Regierung wird nicht verpflichtet, den Auslandseinsatz durchzuführen.213 1. Einzelfallbeschluss Der konstitutive Parlamentsvorbehalt erfordert eine vorhergehende Entscheidung des Bundestages über die konkreten Auslandseinsätze der Bundeswehr.214 Die Zustimmung des Bundestages geht damit über ein allgemeines Kontrollrecht hinaus und stellt eine echte Mitwirkung bei der Entscheidung über einen Auslandseinsatz im Einzelfall dar. Einzelfall in diesem Sinne bedeutet aber nicht, dass der Bundestag über alle Details eines Einsatzes entscheidet – die Einsatzleitung und die Modalitäten des Einsatzes werden allein von der Regierung bestimmt.215 Es lässt sich damit eine Abstufung der Konkretisierung erkennen: Der Bundestag befasst sich mit den wesentlichen formgebenden Elementen des Einsatzes auf Antrag des Bundeskabinetts; der Bundesverteidigungsminister besitzt die Kommandogewalt und damit die Einsatzleitung, Art. 65a GG; das Einsatzführungskommando der Bundeswehr leitet die Auslandseinsätze auf operativer Ebene216 und die eingesetzten Soldaten konkretisieren die durch die Führung gemachten Vorgaben schließlich auf den tatsächlichen Einzelfall. a) Bestimmtheit von Antrag und Beschluss Da sich der Parlamentsvorbehalt auf konkrete Einsätze der Bundeswehr bezieht, müssen der Regierungsantrag und der sich darauf beziehende Bundestagsbeschluss so bestimmt sein, dass der Bundestag tatsächlich in einem konkreten Einzelfall zustimmt und keine Generalvollmacht erteilt. Auch das Rechtsstaatsprinzip erfordert, dass der Antrag und der parlamentarische Zustimmungsbeschluss als rechtliche Grundlage des Einsatzes hinreichend bestimmt gefasst sind.217 Der Bundestag muss die Möglichkeit haben, die wesentlichen Teile eines Einsatzes zu erfassen, um eine der Bedeutung des Auslandseinsatzes angemessene Entscheidung treffen zu können. Andererseits folgt aus dem Umstand, dass allein die Bundesregierung „über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer des Einsatzes und die notwendige Koordination in und mit Organen internationaler Organisationen“218 entscheidet, dass das Mandat des Bundestages auch nicht zu detailliert sein darf.219 Der der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver 213

Vgl. unten 3. Teil, II. 2. b) aa). BVerfGE 90, 286 (385, 387 f.). 215 BVerfGE 90, 286 (389). 216 Vgl. www.einsatz.bundeswehr.de. 217 Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (371); allgemein zum Bestimmtheitsgebot: Degenhart, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 349 ff. 218 BVerfGE 90, 286 (389). 219 So auch Lutze, DÖV 2003, S. 972 (975). 214

II. Der Beschluss des Bundestages

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Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit gebietet, dass der Exekutive ein hinreichender Entscheidungsspielraum für die Einsatzleitung verbleibt. Zu den wesentlichen Elementen eines Einsatzes, die schon im Zustimmungsbeschluss vorgezeichnet werden müssen, zählen vor allem das Ziel, also der Auftrag des Einsatzes, das Einsatzgebiet, die geplante Dauer, die rechtlichen Grundlagen – also vor allem die Frage, ob der Einsatz durch einen Beschluss des VN-Sicherheitsrates legitimiert ist – und, besonders wichtig, die maximale Zahlenstärke und Art der einzusetzenden Streitkräfte.220 Hierbei handelt es sich um die entscheidenden Parameter, die einen Einsatz konkretisieren. § 3 Abs. 2 ParlBetG greift diese inhaltlichen Anforderungen auf221 und ergänzt sie durch das Erfordernis von Angaben zu den Kosten und der Finanzierung des Einsatzes. Die Kosten und die Finanzierung stellen allerdings keine verfassungsrechtlich gebotene Konkretisierung dar.222 Sie betreffen nicht den militärischen Einsatz als solchen und lassen sich aus dem Parlamentsvorbehalt nicht als Erfordernis ableiten. Dieser strebt eine Aufteilung des Machtpotentials der Bundeswehr an – die konkret eingesetzte militärische Gewalt bestimmt sich aber nicht aus den Kosten und der Finanzierung des Einsatzes. Nichtsdestoweniger ist die Angabe auch dieser Faktoren sinnvoll, da der Bundestag das Budgetrecht hat und den Einsatz bei Unkenntnis der geplanten Finanzierung ablehnen könnte. Ein Bundestagsbeschluss ohne diese Angaben wäre aber nicht zu unbestimmt und damit nicht verfassungswidrig. Bei § 3 Abs. 2 ParlBetG handelt es sich zudem um Mindestangaben – es steht der Regierung frei, weitere Festlegungen in ihren Antrag aufzunehmen.223 Das Parlamentsbeteiligungsgesetz hat damit die Staatspraxis kodifiziert, die sich seit dem AWACS-Urteil herausgebildet hat.224 Zum Teil wird weiter angezweifelt, ob der Parlamentsvorbehalt tatsächlich eine Festlegung der übrigen genannten Parameter erfordert. Während von Klaeden sogar auf eine Verfassungswidrigkeit von § 3 ParlBetG schließt225, weil der dort vorgesehene Antragsinhalt die Einsatzleitung zu detailliert vorwegnehme, überlegen Gilch226 und Scholz227, ob sich die Bindungswirkung des Parlamentsbeschlusses 220

In diesem Sinne auch Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (371). Zur „Art der Streitkräfte“ gehört insbesondere die Festlegung, ob Heer, Luftwaffe oder Marine eingesetzt werden. Diese Angabe findet sich in den „Fähigkeiten der einzusetzenden Streitkräfte“ gemäß § 3 Abs. 2 ParlBetG wieder. 222 Anders etwa Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (70) und Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (371); andere Autoren verzichten hingegen auf Angaben zu den Kosten und Finanzierung, vgl. Wild, DÖV 2000, S. 622 (624). 223 Der Antrag der Regierung enthält nach § 3 ParlBetG „insbesondere“ die aufgelisteten Angaben. 224 Vgl. Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (371). 225 Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Protokoll der 100. Sitzung vom 25. 03. 2004, S. 8980 (C). 226 Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 213 f. 227 Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 3. 221

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

auf den gesamten Regierungsantrag beziehe oder gegebenenfalls nur auf die unerlässlichen zur Konkretisierung notwendigen Kernelemente. Gilch sieht insbesondere eine angegebene Höchstdauer des Einsatzes und Angaben zu Art und Umfang der zum Einsatz kommenden Streitkräfte als rein informative Aussagen, die nur deklaratorischen Charakter hätten.228 Gegen eine rein informatorische Wirkung spricht aber, dass die Zustimmung zu den Kernelementen des Regierungsantrages – also Zeit, Ort und Auftrag – nicht losgelöst von den übrigen Spezifizierungen betrachtet werden kann. Der Bundestag stimmt dem Regierungsantrag im Ganzen zu und macht seine Zustimmung damit auch vom gesamten Inhalt abhängig. Wenn die Bundesregierung den Einsatz durch besondere Festlegungen konkretisiert und damit Einfluss auf die Zustimmungsbereitschaft des Parlaments nimmt, muss sie sich nach dem Zustimmungsbeschluss an diesen Festlegungen festhalten lassen. Dies gilt im Übrigen auch für die Angaben zu Kosten und Finanzierung, die nach der hier vertretenen Ansicht verfassungsrechtlich nicht zur Konkretisierung eines Einsatzes erforderlich sind. Der konstitutive Beschluss bezieht sich folglich auf alle beantragten Vorgaben der Bundesregierung.229 Das Bestimmtheitsgebot endet auch nicht allein damit, dass Angaben zu allen in § 3 Abs. 2 ParlBetG aufgelisteten Parametern gemacht werden. Ebenso wichtig ist es, dass die Angaben selbst wiederum bestimmt genug sind. Es ist schwierig, allgemeine Regeln aufzustellen, die jeweils vorgeben, wie bestimmt ein jeweiliger Parameter beschrieben sein muss.230 Hier kommt es stark auf den jeweiligen Einzelfall an – Einsätze, die gegen einen Regime gerichtet sind, das in einem fest umrissenen (Staats-) Gebiet herrscht, können genauer gefasst werden als Einsätze gegen den internationalen Terrorismus, der unsichtbar agiert und nicht auf ein konkretes Gebiet begrenzt ist. Die Bundesregierung darf zwar keine Generalermächtigung erhalten – um einen Einsatzzweck zu erreichen, kann es aber erforderlich sein, das Bundestagsmandat flexibel zu formulieren. Auch kann die detailreiche Konkretisierung eines Parameters dazu führen, dass es in einer anderen Kategorie weniger detailreicher Ausführungen bedarf. Richtschnur muss jedenfalls sein, dem Bundestag eine ausreichende Informationsbasis zu geben, um eine verantwortungsvolle Entscheidung zu ermöglichen. Der Einsatzauftrag muss jedenfalls soweit konkretisiert sein, dass sich ableiten lässt, in welchem Maße deutsche Soldaten in Kampfhandlungen verwickelt werden könnten. Für das Wesen eines Einsatzes ist entscheidend, ob er offensive, friedensschaffende oder friedenserhaltende Ziele verfolgt. Die zahlenmäßige Stärke der Streitkräfte ist mit einer Oberzahl zu begrenzen, da die Bedeutung eines Einsatzes wesentlich von der Truppenstärke abhängt. Welche konkreten Truppen hingegen eingesetzt werden, liegt grundsätzlich in der Hand der Exekutive – die Bundesregierung ist in ihren Anträgen allerdings zum Teil dazu übergegangen, die Truppenstruktur genau aufzu228

Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 214. So auch Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 38. 230 Einen Versuch der Konkretisierung unternimmt F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 298 ff. 229

II. Der Beschluss des Bundestages

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schlüsseln.231 Wenngleich das Parlamentsbeteiligungsgesetz mit dem Erfordernis von Angaben zu den „Fähigkeiten der einzusetzenden Streitkräfte“ eine gewisse Aufschlüsselung der Truppenstruktur nahe legt, erscheint dies verfassungsrechtlich nicht im Detail geboten. Es genügt, wenn die Truppenstruktur grob dargestellt wird, also insbesondere die Angabe, ob Land-, Luft- oder Seestreitkräfte eingesetzt werden. Im Übrigen obliegt es der Bundesregierung zu entscheiden, mit welchen Truppen sie das Auftragsziel erreichen will, denn sie bestimmt die Modalitäten des Einsatzes.232 Macht die Regierung weitergehende Angaben, ist sie hieran aber gebunden.233 Das Parlamentsbeteiligungsgesetz kann ohne weiteres in diesem Sinne ausgelegt werden, sodass es nicht unzulässig in den Eigenbereich exekutiver Verantwortung eingreift. Ein Beispiel herausragender Unbestimmtheit stellte der ursprüngliche Regierungsantrag zur Operation Enduring Freedom (2001) in Afghanistan dar, der zwar Angaben zu allen erforderlichen Kategorien enthielt, diese zum Teil aber so vage umschrieb, dass der Bundestag eine Zustimmung zunächst verweigerte. Zu Auftrag und Einsatzgebiet enthielt der Regierungsantrag folgende Angaben234 : „Deutsche Streitkräfte wirken mit den USA und Partnerstaaten (…) bei der militärischen Bekämpfung des internationalen Terrorismus zusammen. Dazu beteiligt sich die Bundeswehr an der Operation ENDURING FREEDOM. Diese Operation hat zum Ziel, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.“ „Einsatzgebiet ist das Gebiet gemäß Artikel 6 des Nordatlantikvertrags, die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete.“

Auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten einen Einsatz gegen den internationalen Terrorismus zu konkretisieren, war dieser Regierungsantrag zu unbestimmt. Mit dem vorliegenden Bundestagsmandat hätte die Bundesregierung die Ermächtigung gehabt, „Terroristen“ – gleich welcher Art – in einem Einsatzgebiet zu bekämpfen, das neben den Gebieten der 26 NATO-Mitgliedsstaaten in Europa und Nord-Amerika mehr als 25 weitere Staaten in Afrika und Asien umfasste. Paech sieht dementsprechend die erbetene Ermächtigung für beliebige Einsätze im „Dreieck zwischen Tunesien, der Türkei und Indien“ als „Blankoscheck für unkontrollierbare Kriegsziele und Einsatzoptionen, die einer unzulässigen Generalermächtigung“

231 Vgl. z. B. die Aufschlüsselung in BT-Drs. 14/7296: „– ABC-Abwehrkräfte, ca. 800 Soldaten, – Sanitätskräfte, ca. 250 Soldaten, – Spezialkräfte, ca. 100 Soldaten, – Lufttransportkräfte, ca. 500 Soldaten, – Seestreitkräfte einschließlich Seeluftstreitkräfte, ca. 1800 Soldaten, – erforderliche Unterstützungskräfte, ca. 450 Soldaten.“ 232 BVerfGE 90, 286 (389). 233 Vgl. oben 3. Teil, II. 1. a). 234 BT-Drs. 14/7296.

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

gleichkomme.235 Fischer und Fischer-Lescano stimmen zwar zu, dass der Einsatzauftrag der Terroristenbekämpfung zu allgemein gefasst sei und eine Fülle möglicher Einsatzoptionen decken würde.236 Die Festlegung des Einsatzgebietes werfe aber keine verfassungsrechtlichen Bedenken auf. Das vom Regierungsantrag bezeichnete Einsatzgebiet sei zwar umfangreich, aber eindeutig bezeichnet. Die Festlegung eines großen Einsatzgebietes dürfe nicht mit der Festlegung eines unbestimmten Einsatzgebietes verwechselt werden. Dem kann so aber nicht zugestimmt werden. Mit dieser Argumentation wäre auch ein Einsatzgebiet bestimmt genug, das präzise alle sieben Kontinente einschließlich der angrenzenden Weltmeere bezeichnet. Tatsächlich wäre man damit aber weit von der Zustimmung zu einem konkreten Einsatz entfernt. Es ginge nicht mehr um eine – gerade auch durch den Aktionsort definierte – bestimmte Verwendung der Bundeswehr, sondern um eine unbestimmte Zustimmung zu weltweitem Agieren der Streitkräfte. Aus der Festlegung eines großen Einsatzgebietes kann man im Einzelfall also durchaus auf ein unbestimmtes Einsatzgebiet schließen. Um den Bedenken des Parlaments Rechnung zu tragen, erklärte sich die Bundesregierung schließlich bereit, den Antrag durch Protokollerklärung auf das terroristische Netzwerk Al Quaida und zunächst auf den Einsatzraum Afghanistan einzuschränken.237 Dies zeigt, dass eine weitere Konkretisierung von Einsatzauftrag und -gebiet sehr wohl möglich war. Der Inhalt eines Einsatzbeschlusses – und damit auch die Antwort auf die Frage seiner ausreichenden Bestimmtheit – unterliegt zudem der Auslegung. Ebenso wie ein Gesetz kann auch der Einsatzbeschluss nicht jeden denkbaren Fall ausdrücklich regeln. Solange der Inhalt durch Auslegung ermittelt werden kann, ist dem Bestimmtheitsgebot aber Genüge getan. Auslegungskriterien sind wie bei der Anwendung von Gesetzen der Wortsinn, der Bedeutungszusammenhang, die Regelungsabsicht von Regierung (als Antragsteller) und Parlament (als Beschlussorgan), der objektive Zweck des Beschlusses und das Gebot der verfassungskonformen Auslegung.238 b) Einsatzbeschluss im Bündnisfall Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich klargestellt, dass es der vorherigen parlamentarischen Zustimmung regelmäßig239 auch dann bedarf, wenn der Bundestag im Falle eines Angriffs auf einen Bündnispartner „der Beistandsverpflichtung schon in Form des nach Art. 59 Abs. 2 GG erforderlichen Gesetzes zugestimmt und damit grundsätzlich gebilligt (hat), dass deutsche Streitkräfte bei Eintritt des Bünd235 Paech, Afghanistan-Krieg, Bundeswehreinsatz und Völkerrecht, Ein Gutachten zum Antrag der Bundesregierung, http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Voelkerrecht/gutachten.html. 236 Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (123). 237 Vgl. zu Protokollerklärungen unten 3. Teil, II. 3. c). 238 Vgl. zu den Kriterien des Gesetzesauslegung: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. A., Kapitel 4, 2. 239 Ein Ausnahmefall ist insbesondere bei Gefahr im Verzug gegeben.

II. Der Beschluss des Bundestages

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nisfalles zum Einsatz kommen“.240 Dies ergibt sich zwingend aus der Machtbalance, die das Bundesverfassungsgericht mit dem Parlamentsvorbehalt angestrebt hat. Die Regierung kann die Bundeswehr nicht nach eigenem Ermessen einsetzen, sondern benötigt in jedem einzelnen Fall die Zustimmung des Bundestages. Soweit es um einen Streitkräfteeinsatz aufgrund einer Bündnisverpflichtung geht, kann die Kontrollfunktion des Bundestages auch nicht mit der Begründung versagt werden, dass das – mit Zustimmung des Bundestages entstandene – Völkerrecht die Entscheidung ohnehin zwingend vorgebe.241 Einerseits ergibt sich aus der völkerrechtlichen Verpflichtung allenfalls, dass Deutschland Beistand leisten muss, nicht aber wie der konkrete Einsatz auszusehen hat. Bei der Bestimmung der wesentlichen Züge des Einsatzes ist der Bundestag in seiner Entscheidungsbefugnis nicht eingeschränkt. Im Übrigen ist die Bündnisverpflichtung in NATO- und WEU-Vertrag souveränitätsschonend angelegt.242 Art. 5 des NATO-Vertrages sieht im Falle des Angriffs auf einen Bündnispartner nicht automatisch die Verpflichtung zu einer Beistandsleistung vor. Die Vertragsparteien haben lediglich die Maßnahmen zu treffen, „die sie für erforderlich erachte(n), um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen“. Die Vertragsparteien haben also einen Ermessensspielraum, der in Deutschland durch Bundesregierung und Bundestag gemeinschaftlich ausgeübt wird. Art. V des WEU-Vertrages243 geht zwar weiter als der NATO-Vertrag: die Parteien verpflichten sich bei einem bewaffneten Angriff auf einen Bündnispartner in Europa, im Rahmen des kollektiven Selbstverteidigungsrechts der VN-Charta244 „alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige Hilfe und Unterstützung (zu) leisten“. Auch im WEU-Bündnisfall bedarf es aber der innerstaatlichen Feststellung, dass der Bündnisfall überhaupt eingetreten ist – es sind Umstände denkbar, in denen die Bewertung eines militärischen Zwischenfalls streitig ist. Der Bundestag nimmt an dieser Beurteilung teil, indem er über den Einsatzantrag der Bundesregierung entscheidet. Eine völkerrechtliche Verpflichtung betrifft im Übrigen allein die Frage, wie der Bundestag entscheiden „darf“, nicht aber wie der Bundestag innerstaatlich entscheiden „kann“.245 Das Parlament ist im Bündnisfall zwar gegebenenfalls rechtlich verpflichtet, einem Regierungsantrag zuzustimmen; es kann ihn aber dennoch (insoweit völkerrechtswidrig) ablehnen.246

240

BVerfGE 90, 286 (387). Stein und Kröninger halten es mangels Spielraum für eine negative Entscheidung für sinnvoller, den Bündnisfall ganz aus dem Erfordernis erneuter parlamentarischer Zustimmung herauszunehmen, Jura 1995, S. 254 (261). 242 Röben, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 14. 243 Auch Brüsseler Vertrag. 244 Art. 51 VN-Charta. 245 Vgl. hierzu ausführlicher beim Widerrufsrecht, unten 3. Teil, II. 4. c). 246 In diesem Sinne wohl auch Pofalla, ZRP 2004, S. 221 (225), der für das Parlamentsbeteiligungsgesetz eine Zustimmungsvermutung für den Fall anregte, dass ein Einsatz völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands entspricht. Eine „Vermutung“ beinhaltet 241

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

c) Vorratsbeschlüsse und Vorwegverweigerung Der Umstand, dass der Parlamentsvorbehalt die Zustimmung zu konkreten Auslandseinsätzen der Streitkräfte erfordert, wirft weiterhin die Frage auf, ob sogenannte Vorratsbeschlüsse des Bundestages möglich sind und ob er bestimmte Kategorien von Auslandseinsätzen kategorisch vorweg verweigern kann. Der Begriff des Vorratsbeschlusses wird dabei nicht einheitlich verwendet. Einerseits wird hierunter die Zustimmung zu einem Auslandseinsatz verstanden, wenn noch kein autorisierender Beschluss des VN-Sicherheitsrates oder des NATORates vorliegt247 oder wenn die Bundesregierung andere erforderliche Angaben noch nicht machen konnte.248 Anderseits wird der Begriff auch für einen Beschluss verwendet, der zu Beginn einer Wahlperiode gefasst wird, um einer Beteiligung der Bundeswehr an Einsätzen integrierter Verbände vorab und generell zuzustimmen.249 Der Bundestag würde sich im Einsatzfall dadurch selbst auf sein Rückholrecht beschränken. In welchem Rahmen Vorratsbeschlüsse verfassungsrechtlich zulässig sind, wird in der Literatur mit unterschiedlichen Ergebnissen beantwortet.250 Tatsächlich ist hier keine pauschale Lösung möglich. Entscheidendes Kriterium ist, ob der Bundestag einem konkreten, ausreichend bestimmten Einsatz zustimmt oder eine Generalermächtigung für ein bestimmtes Einsatzfeld erteilt. Dabei gelten die oben zur Bestimmtheit des Regierungsantrages und des Parlamentsbeschlusses gefundenen Kriterien. Scheitert ein vollständiger Einsatzbeschluss allein an einem noch ausstehenden Beschluss des VN-Sicherheitsrates oder des NATO-Rates, ist ein Vorratsbeschluss ohne weiteres verfassungsrechtlich zulässig. Die Regierung kann den Einsatz unter der Bedingung beantragen, dass der angestrebte Beschluss bei UNO oder NATO tatsächlich gefasst wird und damit die völkerrechtliche Grundlage für den Einsatz gegeben ist. Dem Bestimmtheitsgebot ist mit einem solchen Antrag Genüge getan. Geht es um andere Parameter, zu denen die Bundesregierung noch zwangsläufig, dass sie – durch insoweit völkerrechtswidrigen Bundestagsbeschluss – widerlegt werden könnte. 247 Biermann, ZParl 2004, S. 607 (617 f., Fn. 37): Er führt als Beispiel die Zustimmung zum IFOR-Einsatz an, die schon am 06. 12. 1995 erfolgte, obwohl der VN-Sicherheitsrat seine autorisierende Resolution erst am 15. 12. 1995 verabschiedete. Ziel war es, mit der Truppenverlegung schon vor dem offiziellen Friedensschluss für Bosnien-Herzegowina beginnen zu können. 248 Lutze, DÖV 2003, S. 972 (975). 249 So Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (386) zu Einsätzen der NATO Response Force aufgrund einer Entscheidung des NATO-Rates. 250 Lutze, DÖV 2003, S. 972 (975) nimmt unvollkommene Mandate hin, um die Bündnisfähigkeit Deutschlands zu erhalten. Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 363 (371, 386) lehnt Vorratsbeschlüsse zwar grundsätzlich als zu unbestimmt ab, lässt aber eine generelle Ermächtigung für integrierte Verbände am Anfang der Legislaturperiode zu. Röben hält eine Vorabermächtigung für bestimmte Einsatzarten für möglich, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 29. Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz, S. 107 weist darauf hin, dass Vorratsbeschlüsse je nach Situation die parlamentarische Kontrolle aushebeln könnten.

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keine genauen Angaben machen kann oder will, so ist im Einzelfall zu entscheiden, ob der Antrag in seiner Gesamtheit konkret genug ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antrag gerade nicht alle Details vorzeichnen muss, sondern der Regierung die Entscheidung über die Modalitäten des Einsatzes belassen muss. Keinesfalls zulässig ist aber ein einfacher Parlamentsbeschluss zu Beginn einer Legislaturperiode, durch den beliebigen Einsätzen in integrierten Verbänden etwa auf Beschluss des NATORates vorab und generell zugestimmt wird. Der Bundestag würde dadurch nicht mehr bei der Entscheidung über die konkreten Einsätze mitwirken. Zwar bestünde auch in diesem Fall noch immer ein Rückholrecht für den konkreten Einsatz251; das Bundesverfassungsgericht hat aber ausdrücklich eine vorherige Zustimmung gefordert.252 Durch ein Gesetz könnte eine Vorabermächtigung für Einsätze deutscher Soldaten, die in internationalen Verbänden integriert sind, aber – in Grenzen – erteilt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zu diesem Themenkomplex ausgeführt: „Es ist Sache des Gesetzgebers, die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten. Je nach dem Anlass und den Rahmenbedingungen des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte sind unterschiedliche Formen der Mitwirkung denkbar. Insbesondere im Hinblick auf unterschiedliche Arten der Einsätze, vor allem bei solchen, die keinen Aufschub dulden oder erkennbar von geringer Bedeutung sind, empfiehlt es sich, den Zeitpunkt und die Intensität der Kontrolle des Parlaments näher zu umgrenzen. Dabei kann es angezeigt sein, im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen, in der die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet ist.“253

Ist Deutschland also völkerrechtlich verpflichtet, integrierte Streitkräfte für einen Auslandseinsatz bereitzustellen und ist die Art des Einsatzes schon völkerrechtlich konkretisiert, bedarf es verfassungsrechtlich nicht zwingend der vollständigen parlamentarischen Beteiligung im Sinne eines vorherigen – konstitutiven – Zustimmungsbeschlusses. Denn völkerrechtlich hat der Bundestag bei seinem Beschluss dann eigentlich keine Wahl.254 Nicht zu verwechseln ist diese Situation mit der des Bündnisfalls, bei dem die Konkretisierung des Einsatzes zunächst innerstaatlich erfolgen muss – das Bundesverfassungsgericht hat hier ausdrücklich einen Zustimmungsbeschluss des Bundestages gefordert.255 Eine gesetzliche Regelung zur Abstufung der Beteiligung des Bundestages – etwa in der Art, dass dem Bundestag bei solchen Programmen militärischer Integration nur ein Rückrufrecht zusteht – würde sich noch innerhalb des von der Verfassung gewährten Spielraums bewegen. Das Grundgesetz ist insoweit offen. Solange der Gesetzgeber von seinem Gestaltungsrecht aber keinen 251

Vgl. unten 3. Teil, II. 4. BVerfGE 90, 286 (387). 253 BVerfGE 90, 286 (389). 254 Tatsächlich kann der Bundestag aber sehr wohl eine völkerrechtswidrige Entscheidung treffen, vgl. 3. Teil, II. 4. c). 255 Vgl. oben 3. Teil, I. 9.; durch Grundgesetzänderung wäre aber auch hier eine abweichende Regelung möglich. 252

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Gebrauch macht, gilt die allgemeine Regel, dass jeder konkrete Einsatz der Zustimmung bedarf. Die Vorwegverweigerung bestimmter Einsatzarten durch das Parlament folgt demgegenüber anderen Regeln. Dürfte der Bundestag beispielsweise generell entscheiden, dass die Bundeswehr nicht an peace-keeping Operationen der Vereinten Nationen teilnehmen darf ? Im Rahmen eines einfachen Parlamentsbeschlusses macht eine solche Verweigerung keinen Sinn. Es bliebe der Bundesregierung unbenommen, im konkreten Fall – selbst wenn der Bundestag eine Einsatzart zuvor durch einen einfachen Beschluss ausgeschlossen hätte – erneut einen konkreten Zustimmungsantrag zu stellen.256 Diesem Antrag könnte der Bundestag ohne weiteres – insoweit abweichend von seinem ersten Beschluss – zustimmen, da er sich durch den vorherigen Beschluss nicht selbst bindet. Eine Vorwegverweigerung durch einfachen Beschluss hätte also praktisch keine rechtliche Wirkung. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob der Bundestag durch Gesetz bestimmte Arten von Auslandseinsätzen verweigern könnte. Für Wild sprechen die überwiegenden Gründe für eine solche Möglichkeit – so könne etwa jede Art von UNO-Kampfeinsatz für unzulässig erklärt werden.257 Mit Ausnahme der personellen Verteidigung und der Bündnisverteidigung lasse sich weder aus dem Grundgesetz noch aus dem System der Vereinten Nationen eine Pflicht der Bundesrepublik ableiten, an gewaltsamen friedensschaffenden Maßnahmen oder Blauhelmmaßnahmen teilzunehmen. Bei der Frage, ob Deutschland verpflichtet ist, an militärischen Einsätzen der Vereinten Nationen teilzunehmen, handelt es sich aber nur um einen Teil des Problems. Verfassungsrechtlich kommt es ebenso auf die Frage an, ob der Bundestag sich der Verantwortung einer konkreten Entscheidung im Einzelfall entziehen darf und ob sich die durch ein Gesetz verlorene Flexibilität mit der Bündnisfähigkeit Deutschlands vereinbaren lässt.258 In der Tat spricht der Parlamentsvorbehalt zunächst scheinbar für die Möglichkeit, bestimmte Arten von Auslandseinsätzen kategorisch auszuschließen. Warum sollte der Bundestag, wenn er jeden konkreten Einsatzantrag ablehnen kann, gewisse Einsatzarten nicht schon vorweg durch Gesetz für unzulässig erklären können?259 Anders als bei einer generellen Vorabermächtigung würde durch die Verweigerung auch nicht 256 Dies gilt ebenso, wie die Regierung einen abgelehnten Zustimmungsantrag erneut einbringen könnte. 257 Wild, DÖV 2000, S. 622 (630). 258 Wollte der Bundestag einen Einsatz doch ermöglichen, müsste zuvor eine Gesetzesänderung durchgeführt werden. 259 Die Gesetzgebungskompetenz wäre gem. Art. 73 Nr. 1 GG grundsätzlich gegeben. Zwar ist der Bundestag, dem der Parlamentsvorbehalt zusteht, nicht mit dem Gesetzgeber gleichzusetzen, da es bei Gesetzen der Mitwirkung des Bundesrates bedarf. Auch das den Parlamentsvorbehalt konkretisierende Parlamentsbeteiligungsgesetz wurde unter Mitwirkung des Bundesrates verabschiedet. Im Rahmen der Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen ist der Bundestag aber das Hauptgesetzgebungsorgan – der Bundesrat hat nur ein Einspruchsrecht, Art. 77 Abs. 3 GG. Ebenso wie der Bundestag das Verfahren im Parlamentsbeteiligungsgesetz regeln konnte, könnte er also möglicherweise auch durch Gesetz generell bestimmte Arten von Auslandseinsätzen ausschließen.

II. Der Beschluss des Bundestages

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die Kontrollfunktion des Bundestages ausgehöhlt – der Handlungsspielraum der Regierung würde ja eingeschränkt. Mit dem verfassungsrechtlichen Erfordernis der konkreten parlamentarischen Zustimmung zu Auslandseinsätzen im Einzelfall korreliert aber auch die Pflicht des Bundestages, sich im konkreten Fall mit dem Regierungsvorhaben auseinander zu setzen.260 Das Grundgesetz schreibt nicht nur die Aufstellung von Streitkräften vor, Art. 87a GG, es erlaubt auch deren Einsatz im Ausland.261 Bei der Entscheidung über die Durchführung solcher Einsätze sieht die Verfassung eine Machtteilung vor, die durch das alleinige Antragsrecht der Bundesregierung und eine folgende Zustimmung des Bundestages verwirklicht wird.262 Dieses System würde durch ein generelles gesetzliches Verbot bestimmter Einsätze ausgehebelt. Der Bundestag wird durch die Beschränkung auf eine konkrete Befassung auch nicht in seinen Rechten beschnitten, da es ihm unbenommen bleibt, einen Auslandseinsatz im Einzelfall abzulehnen. Durch das Erfordernis der Einzelfallentscheidung bleibt auch die internationale Bündnis- und Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik gewahrt, da mit Krisen flexibel umgegangen werden kann. d) Vereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 1 GG Nach Ansicht Dreists wirkt der Bundestagsbeschluss wie ein Gesetz, ohne eines zu sein.263 Dies widerspricht auf den ersten Blick dem Einzelfallcharakter des Zustimmungsbeschlusses, der anders als ein Gesetz im materiellen Sinne keine allgemein verbindlichen, „abstrakt-generellen“ Regelungen enthält.264 Das Grundgesetz geht jedoch von einem formellen Gesetzesbegriff aus. Gesetz im Sinne des Grundgesetzes ist nicht nur die „abstrakt-generelle“ Regelung, sondern auch die in Gesetzesform erlassene Regelung, die konkrete Maßnahmen trifft.265 Man kann dem rechtsverbindlichen Zustimmungsbeschluss daher durchaus die Wirkungen eines Gesetzes beimessen, da er verbindlich regelt, ob die Regierung Streitkräfte im Ausland einsetzen darf oder nicht. Damit stellt sich aber auch die Frage, inwieweit ein parlamentarischer Zustimmungsbeschluss mit Art. 19 Abs. 1 GG vereinbar ist, der Einzelfallgesetze jedenfalls dann ausschließt, wenn sie ein Grundrecht einschränken. Zwar fällt ein Zustimmungsbeschluss des Bundestages nicht direkt unter Art. 19 Abs. 1 GG, da er gerade kein Gesetz darstellt. Weil die Wirkungen mit denen eines Gesetzes vergleichbar sind, muss aber an eine Übertragung des Verbots gedacht werden. Auch eine Grundrechtseinschränkung ist nicht völlig von der Hand zu weisen, da der Bundestag die

260 Bei den gesetzlich zulässigen Vorabermächtigungen, vgl. oben S. 107, würde diese Pflicht durch das Rückholrecht des Bundestages gewahrt. 261 BVerfGE 90, 286 (344 ff.). 262 Vgl. BVerfGE 90, 286 (387, 389). 263 Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (144). 264 Vgl. Degenhart, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 244, 264. 265 Degenhart, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 263 f.

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Regierung dazu ermächtigt, deutsche Truppen im Ausland einzusetzen.266 Ein Auslandseinsatz geht mit der Gefährdung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der einzusetzenden Soldaten einher, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Diese Grundrechte unterfallen gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG dem Eingriffsvorbehalt im Sinne von Art. 19 Abs. 1 GG, so dass eine Beschränkung durch Einzelfallgesetz ausgeschlossen ist.267 Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Zustimmungsbeschluss des Bundestages zwar einen konkreten Fall betrifft, aber keineswegs alle Details des Einsatzes im Sinne einer Einzelfallregelung bestimmt. Nach dem Grundgesetz obliegt insbesondere die Entscheidung über die Modalitäten des Einsatzes – und damit auch die Festlegung, welche Soldaten konkret eingesetzt werden – allein der Bundesregierung.268 Gleiches gilt für die Frage, ob die Regierung den genehmigten Einsatz überhaupt durchführt. Adressat der Zustimmung ist allein die Bundesregierung – der Bundestagsbeschluss hat zwar eine gewisse Außenwirkung, aber eben nur gegenüber der Regierung.269 Welcher konkrete Soldat von einem Auslandseinsatzeinsatz betroffen ist, liegt nicht in der Entscheidungskompetenz des Bundestages, sodass er insoweit auch keine grundrechtseinschränkende Einzelfallregelung treffen kann. Zudem sieht das Grundgesetz durchaus Gesetze vor, die eine konkrete Maßnahme treffen, ohne dass diese unter das Verbot der Einzelfallgesetze fallen.270 Typische Beispiele hierfür sind die Verabschiedung des Bundeshaushalts durch Gesetz, Art. 110 Abs. 2 GG oder die Errichtung einer Bundesbehörde nach Art. 87 Abs. 3 GG. Solange die weiter notwendige Konkretisierung auf den Einzelfall der Exekutive überlassen bleibt, ist die Zustimmung zu einem konkreten Auslandseinsatz nach dem Grundgesetz auch unter dem Gesichtspunkt des Verbots von Einzelfallgesetzen zulässig. 2. Das Initiativrecht Im Problemfeld des Initiativrechts geht es nicht allein um die Frage, welchem Staatsorgan die Einleitung des förmlichen Zustimmungsverfahrens zukommt. Auch die Frage, ob der Bundestag einen Antrag der Bundesregierung abändern darf oder ob ihm während eines laufenden Einsatzes das Recht zukommt, die Streitkräfte zurückzurufen, sind Facetten des gleichen Problems. In welchem Umfang ist es dem Bundestag gestattet, von sich aus tätig zu werden und eigene politische Vorstellungen einzubringen, ohne in den Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortung der Bundesregierung einzugreifen? 266

Baldus sieht in der Gefährdung soldatischer Rechtsgüter sogar den eigentlichen Grund für den Parlamentsvorbehalt als solchen, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 2, 12. 267 Zur Beschränkung des Verbots von Einzelfallgesetzen gem. Art. 19 Abs. 1 GG auf Fälle des ausdrücklichen Eingriffsvorbehalts vgl. Degenhart, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 267. 268 BVerfGE 90, 286 (389). 269 So auch Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 35. 270 Sog. Maßnahmegesetze, vgl. Degenhart, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 264 f.

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Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 hierzu ausgeführt: „Der Zustimmungsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte verleiht dem Bundestag keine Initiativbefugnis (…); der Bundestag kann lediglich einem von der Bundesregierung beabsichtigten Einsatz seine Zustimmung versagen (…), nicht aber die Regierung zu solch einem Einsatz verpflichten.“271

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz greift diese Vorgabe in der Weise auf, dass nur die Bundesregierung den Antrag auf Zustimmung zum Auslandseinsatz der Streitkräfte stellen kann, § 3 Abs. 1 ParlBetG. Der Bundestag darf dem Antrag nur zustimmen oder ihn ablehnen; Änderungen des Antrags sind unzulässig, § 3 Abs. 3 ParlBetG. Die Abstimmung über den Antrag im Ganzen soll der Verantwortung der Bundesregierung für den Auslandseinsatz Rechnung tragen.272 § 8 ParlBetG bestimmt schließlich, dass der Bundestag seine Zustimmung zu einem Auslandseinsatz widerrufen kann. Die Bundesregierung kann also durch einseitigen Beschluss des Bundestages zur Beendigung eines Einsatzes gezwungen werden. a) Bundesregierung als Kollegialorgan Völlig unstreitig hat jedenfalls die Bundesregierung im parlamentarischen Zustimmungsverfahren ein Initiativrecht für den Zustimmungsantrag zu einem Auslandseinsatz.273 Wer aber ist „die Bundesregierung“? Kann ein Auslandseinsatz nur von der gesamten Regierung als Kollegialorgan veranlasst werden oder steht dieses Recht unter Umständen auch einzelnen Regierungsmitgliedern wie dem Bundeskanzler oder dem Verteidigungsminister zu? Gemäß Art. 65a GG hat der Bundesminister der Verteidigung die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte. Hieraus könnte man gegebenenfalls auch auf eine alleinige Initiativbefugnis schließen. Nach Schmidt-Radefeldt ist der Oberbefehl jedoch von der Einsatzkompetenz zu unterscheiden und bezieht sich nur auf die Umsetzung eines Einsatzes.274 Art. 62 GG bestimmt zudem: „Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern“. Wird als Träger einer Aufgabe oder Befugnis „die Bundesregierung“ genannt, ist damit typischerweise die Bundesregierung als Kollegialorgan gemeint.275 Wenn das Bundesverfassungsgericht von einem Initiativrecht der Bundesregierung ausgeht, so bezieht sich diese Aussage auf das gesamte Bundeskabinett. Diese Kompetenzzuordnung entspricht auch den übrigen Wertungen der deutschen Staatsrechtsordnung. Auch bei der – dem Auslandseinsatz verwandten – Situation 271

BVerfGE 90, 286 (389). Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 15/2742, S. 5. 273 So auch BVerfGE 90, 286 (389). 274 Schmidt-Radefeldt, Jura 2003, S. 201 (202); a.A. Epping, AöR 1999, S. 423 (453). 275 BVerfGE 11, 77 (85) und 91, 148 (166); Degenhart, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 537; als Kollegialorgan entscheidet die Regierung nach dem Mehrheitsprinzip, § 24 Abs. 2 GO-BReg. 272

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

des Verteidigungsfalls steht das Initiativrecht für dessen Feststellung der Bundesregierung, also dem Kollegialorgan zu, Art. 115a Abs. 1 Satz 2 GG. Gleiches gilt für den inneren Einsatz der Bundeswehr gemäß Art. 87a Abs. 4 GG und Art. 35 Abs. 3 GG. § 15 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung, deren Verfassungsmäßigkeit nicht angezweifelt wird, bestimmt zudem, dass alle Angelegenheiten von allgemeiner innen- oder außenpolitischer Bedeutung der Bundesregierung zur Beschlussfassung zu unterbreiten sind. Beschlüsse werden dabei in gemeinschaftlicher Sitzung des Bundeskabinetts gefasst, § 20 Abs. 1 GO-BReg. Auslandseinsätzen der Bundeswehr kommt solche allgemeine Bedeutung zu, da sie erheblichen Einfluss auf die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland haben und damit eine ganz grundlegende Frage betreffen.276 Die Befehls- und Kommandogewalt des Verteidigungsministers wird durch die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und das Kollegialprinzip der Bundesregierung eingeschränkt.277 Der Beschluss obliegt damit dem gesamten Kabinett.278 Es ist aber fraglich, ob diese Regel in jedem denkbaren Fall gilt oder ob ein Beschluss bei besonderem Anlass auch von einem verkleinerten Regierungskreis gefasst werden kann, etwa bei Gefahr im Verzug oder Geheimhaltungsbedürftigkeit. Die Operation „Libelle“ etwa, bei der im Jahre 1997 deutsche Staatsbürger aus der albanischen Hauptstadt Tirana evakuiert wurden, wurde nicht von der gesamten Regierung, sondern nur von Bundeskanzler, Außen- und Verteidigungsminister beschlossen. Ebenso wie der Bundestag billigte die vollständige Regierung den Einsatz zwar nach dessen Ende – es bleibt aber die Frage, ob sich hieraus eine allgemeine Regel für ein verkleinertes Beschlussgremium ableiten lässt. Schröder hegt keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine Entscheidung in verkleinertem Regierungskreis.279 Dies ergebe sich aus § 24 Abs. 1 GO-BReg, der es für die Beschlussfähigkeit der Bundesregierung ausreichen lässt, wenn die Hälfte der Bundesminister einschließlich des Vorsitzenden anwesend ist. Er regt bei Gefahr im Verzug daher einen Beschluss des bereits formlos bestehenden Sicherheitsrates280 an. Für Epping reicht ohnehin ein Beschluss des Verteidigungsministers, so dass sich

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So auch Pechstein, wenn auch ohne nähere Begründung: Jura 1991, S. 461 (467). Lorse, DÖV 2004, S. 329 (330). 278 So auch Stein, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen, in: Frowein/Stein, Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen (1990), S. 17 (26); Riedel, NZWehrr 1989, S. 45 (51); F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 295; Stein/Kröninger, Jura 1995, S. 254 (257); von Bülow, Der Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung (1984), S. 213; K. Ipsen, DÖV 1971, S. 583 (587) zum Bündnisfall; a.A. Epping, AöR 1999, S. 423 (453 ff.). 279 F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 295 ff. 280 Bundeskanzler, Chef des Kanzleramtes, Bundesminister für Verteidigung, Äußeres, Inneres, Justiz, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Finanzen und Wirtschaft. 277

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für ihn das Problem eines Kabinettsbeschlusses nicht stellt.281 Dreist plädiert für die Schaffung eines Kabinettsausschusses282 – bestehend aus Kanzler, Justiz-, Verteidigungs- und Außenminister –, der zusammentritt, wenn eil- oder geheimhaltungsbedürftige Entscheidungen zu treffen sind.283 § 24 Abs. 1 GO-BReg lässt sich jedenfalls nicht zur Begründung eines kleineren Entscheidungsgremiums heranziehen. Zwar reicht gemäß § 24 GO-BReg für die Beschlussfähigkeit der Bundesregierung die Hälfte der Bundesminister aus – das heißt aber nicht, dass die Beschlussfassung ganz ohne Kenntnis der nicht anwesenden Minister ablaufen darf. Der Kanzleramtsminister kann nicht nach eigenem Gutdünken einige Bundesminister zu Kabinettssitzungen einladen und andere nicht, solange nur das Quorum des § 24 GO-BReg erfüllt ist. Gemäß § 21 GO-BReg sind die Sitzungen der Bundesregierung ordnungsgemäß einzuberufen und vorzubereiten. Dazu gehört insbesondere, dass alle Regierungsmitglieder eingeladen werden und dass die Beratungsthemen in einer Tagesordnung mitgeteilt werden, § 21 Abs. 1 Satz 2 GO-BReg. Die Minister müssen also Gelegenheit haben, an der Sitzung teilzunehmen. Erst wenn trotz ordnungsgemäßer Einberufung und Vorbereitung der Sitzung Regierungsmitglieder fernbleiben, kommt die Beschlussfähigkeitsregel zum Tragen.284 Dennoch muss es bei Gefahr im Verzug möglich sein, eine sofort erforderliche Entscheidung auch ohne Beteiligung aller Kabinettsmitglieder zu treffen – nur so lässt sich die Handlungsfähigkeit der Regierung bewahren. Es kann nichts anderes gelten als beim Parlamentsvorbehalt selbst.285 Das Bundesverfassungsgericht hat hier bei Gefahr im Verzug eine nachträgliche Befassung des Bundestages für zulässig erachtet, um die militärische Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht zu beeinträchtigen.286 Die Regierung darf also zunächst alleine entscheiden – der Bundestagsbeschluss ist unverzüglich nachzuholen. Auf die Ebene der Regierungsentscheidung verlagert bedeutet dies, dass grundsätzlich zwar alle Regierungsmitglieder an einer Einsatzentscheidung zu beteiligen sind. Ist eine solche Beteiligung aus zeitlichen Gründen nicht möglich, reicht zunächst aber auch ein kleineres Entscheidungsgremium – die Entscheidung der gesamten Regierung ist dann ebenso wie der Parlamentsentscheid unverzüglich nachzuholen. Neben dem Bundeskanzler sollten aber wenigstens auch Verteidigungs- und Außenminister an der Einsatzentscheidung beteiligt werden, da ihre Ressorts von der Entscheidung in besonderem Maße betroffen werden.287 Nur in einer absoluten – fast nicht vorstellbaren – 281

Epping, AöR 1999, S. 423 (454). In der Geschäftsordnung der Bundesregierung. 283 Dreist, KritV 2004, S. 79 (102). 284 Dies gilt im baden-württembergischen Kommunalrecht selbst für die Beschlussfassung des Gemeinderates, vgl. §§ 37 Abs. 1 und Abs. 4, 34 Abs. 1 Gemeindeordnung-BW. 285 So auch Dau, NZWehrr 1998, S. 89 (97). 286 BVerfGE 90, 286 (388). 287 Für diese Wertung spricht auch § 8 Abs. 2 Satz 3 BPolG, der bei gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben die Entscheidung über einen Auslandseinsatz der Bundespolizei dem Innenminister im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt zuweist. 282

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Notsituation, in der selbst eine Abstimmung dieser drei Personen zeitlich nicht möglich erscheint, kann der Bundesverteidigungsminister als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, Art. 65a GG, die Einsatzentscheidung alleine treffen. Es ist weiter zu bedenken, dass sich der Begriff der Eilbedürftigkeit bei der Regierungsentscheidung von dem bei der Parlamentsbeteiligung unterscheidet. Der Bundestag arbeitet mit seinen derzeit 613 Mitgliedern deutlich schwerfälliger als das aus 16 Mitgliedern bestehende Bundeskabinett.288 Ist eine Befragung des Bundestages in zeitlicher Hinsicht nicht möglich, bedeutet dies noch lange nicht, dass kein ordentlicher Kabinettsbeschluss ergehen kann. Muss ein Einsatzbeschluss beispielsweise innerhalb eines Tages gefällt werden, wird dies nicht mehr für eine vorherige Beteiligung des gesamten Bundestages ausreichen, sehr wohl können aber die Bundesminister rechtzeitig zusammentreten. Ob diese Maßstäbe bei der Operation „Libelle“ am 14. März 1997 eingehalten wurden, ist mehr als fraglich.289 Schon am 5. März hatte das Auswärtige Amt den deutschen Staatsbürgern empfohlen, das Land zu verlassen. Am 11. März folgte die Aufforderung, das Land sofort zu verlassen. Am 14. März wurden zudem die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, die Vorsitzenden und Obleute des Verteidigungs- und des Auswärtigen Ausschusses über den Einsatzbeschluss informiert; diese haben dem Einsatz vorab zugestimmt.290 Unter diesen Umständen ist es sehr zweifelhaft, ob nicht auch die übrigen Regierungsmitglieder hätten beteiligt werden können, auch wenn damit eine weitere Verzögerung verbunden gewesen wäre. Der Einsatzbeschluss dürfte damit formell rechtswidrig gewesen sein. Demgegenüber stellt die Geheimhaltungsbedürftigkeit eines Einsatzes keinen Grund für ein verkleinertes Entscheidungsgremium dar.291 Zwar wird auch in diesem Fall bei der Entscheidung des Bundestages eine Ausnahme vom Erfordernis der vorherigen Zustimmung gemacht.292 Diese Ausnahme kann aber nicht auf die Ebene der Bundesregierung übertragen werden. Im Gegensatz zu einem Bundestagsbeschluss wird die Ausführung eines geheimhaltungsbedürftigen Einsatzes durch eine Entscheidung der vollständigen Regierung nicht gefährdet. Sitzungen des Bundestages sind einschließlich der der Abstimmung vorausgehenden Aussprache in der Regel öffentlich, Art. 42 Abs. 1 GG, § 19 GO-BT. Nur der Bundestag selbst kann die Öffentlichkeit mit Zweidrittelmehrheit ausschließen, Art. 42 Abs. 1 Satz 2 GG. Demgegenüber sind Sitzungen der Bundesregierung nicht nur nicht öffentlich, sondern auch vertraulich, § 22 Abs. 3 GO-BReg. Die Geheimhaltung ist damit grundsätzlich gewährleistet. Auch die Größe der Bundesregierung mit ihren derzeit 16 Mitgliedern macht eine Geheimhaltung im Vergleich zum Bundestag deutlich einfacher. Eine Abwei288

Stand: 07.08.2007. Vgl. auch Epping, AöR 1999, S. 423 (455). 290 Vgl. hierzu Epping, AöR 1999, S. 423 (424). 291 A.A. wohl Dreist, KritV 2004, S. 79 (102) und F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 295. 292 Vgl. unten 3. Teil, II. 5. b). 289

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chung von dem Grundsatz, dass die Regierung als Kollegialorgan in seiner Gesamtheit entscheidet, ist damit nicht gerechtfertigt. b) Kein Initiativrecht des Bundestages Dem Bundestag steht demgegenüber nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz und der in Literatur und Wissenschaft herrschenden Meinung kein Initiativrecht zu. Es ist praktisch unbestritten, dass der Bundestag nicht von sich aus das Zustimmungsverfahren für einen Auslandseinsatz einleiten darf.293 Die Begründung hierfür erschöpft sich jedoch regelmäßig in dem Verweis auf das Diktum des Bundesverfassungsgerichts und dem Argument, der Bundestag könne die Regierung eben nicht zur Durchführung eines Einsatzes verpflichten. Ein Initiativrecht des Bundestages laufe dem durch die Verfassung gewährten Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis im Rahmen der Außenpolitik zuwider. Hummel folgert, dass die fehlende „Initiativbefugnis des Bundestages für den Einsatz“ das alleinige Initiativrecht der Bundesregierung „für den Antrag auf Zustimmung zum Einsatz“ nach sich ziehe.294 Wild betont die primäre Verantwortlichkeit der Exekutive für Einsätze der Streitkräfte. Hieraus folge, dass dem Bundestag weder hinsichtlich des „Ob“ noch hinsichtlich des „Wie“ eines Einsatzes ein Initiativrecht zukomme. Der Parlamentsvorbehalt beschränke sich auf die Billigung oder Ablehnung des gesamten von der Regierung vorgelegten Pakets.295 Die bisherigen Ansätze vermögen in der Begründung allerdings nur teilweise zu überzeugen. aa) Initiativrecht und Verpflichtungskompetenz Die gegen ein Initiativrecht des Bundestages vorgebrachten Argumente gehen zu einem großen Teil an der Sache vorbei. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Tat ausdrücklich festgestellt, dass der Bundestag kein Initiativrecht habe. Es begründet seine Ansicht aber damit, dass der Bundestag die Regierung eben nicht zu einem Auslandseinsatz verpflichten könne.296 Noch deutlicher wird Baldus, der das Initiativ-

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Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (69, 71); Dau, NZWehrr 1994, S. 177 (183); Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (147); ders. ZaöRV 2004, S. 1001 (1023); Hummel, NZWehrr 2001, S. 221 (224); Lutze, DÖV 2003, S. 972 (978 f.); Röben, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 103 (104); F. Schröder, NJW 2005, S. 1401 (1401); Wiefelspütz, ZaöRV 2004, S. 362 (375); Wild, DÖV 2000, S. 622 (629). 294 Hummel, NZWehrr 2001, S. 221 (224). 295 Wild, DÖV 2000, S. 622 (629). 296 BVerfGE 90, 286 (389).

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recht explizit mit dem Recht des Bundestages, die Bundesregierung zu einem konkreten Einsatz zu verpflichten, gleichstellt.297 Akzeptiert man diese Verknüpfung von Initiativrecht und Verpflichtungskompetenz, muss dem Bundestag tatsächlich ein Initiativrecht verweigert werden. Durch die Möglichkeit, die Regierung zu einem Einsatz zu verpflichten, würde der Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit verletzt. Denn die letzte Entscheidung darüber, ob deutsche Streitkräfte im Ausland eingesetzt werden, liegt allein bei der Bundesregierung. Sie ist hierfür das richtige Organ, das die notwendigen Fachkenntnisse und Entscheidungsstrukturen mit sich bringt. Der Bundestag kann einen geplanten Militäreinsatz durch eine verweigerte Zustimmung nur verhindern, nicht aber einen solchen ohne die Mitwirkung der Bundesregierung durchführen.298 Der Bundestag ist nicht „Feldherr“299, sondern Kontrollinstanz für die Einsatzentscheidung der Bundesregierung. Aus diesem Grunde ist auch die vom Bundesverfassungsgericht gewählte Bezeichnung „Parlamentsheer“ zumindest irreführend. Selbst wenn der Bundestag durch den Zustimmungsvorbehalt eine Schlüsselposition bei Auslandseinsätzen der Streitkräfte besetzt, so bleibt die Bundeswehr doch eine Armee unter exekutiver Leitung und Verantwortung. Der Bundestag kann die Bundesregierung rechtlich nicht zu einem Auslandseinsatz verpflichten. Die Möglichkeit des Bundestages einen Auslandseinsatz zu verhindern, erinnert lediglich an ein VetoRecht, wenngleich diese Bezeichnung der Stellung des Bundestages nicht völlig gerecht wird. Ein wesentlicher Unterschied zu einem Veto-Recht im eigentlichen Sinne liegt darin, dass der Bundestag mit einer Mehrheitsentscheidung in die Entsendung der Streitkräfte konstitutiv einwilligen muss. Würde ihm nur ein reines Veto-Recht zustehen, so müsste ein Mehrheitsbeschluss gegen den konkreten Einsatz zustande kommen. bb) Kritik Aus diesen Überlegungen folgt aber nicht zwingend, dass dem Bundestag ein Initiativrecht für Auslandseinsätze der Streitkräfte zu versagen ist. Das Initiativrecht ist von der Frage, ob der Bundestag die Bundesregierung zu einem Auslandseinsatz verpflichten kann, grundlegend verschieden. Das Initiativrecht betrifft allein die Frage, welches Staatsorgan die Einleitung des Zustimmungsverfahrens veranlassen kann, also im rechtlichen Sinne den ersten Anstoß geben darf. Hierdurch wird aber noch keine Antwort darauf gegeben, in welcher Weise die übrigen Staatsorgane durch diese Initiative verpflichtet werden. Aus der These, dass der Bundestag die Bundesregierung nicht zu einem Auslandseinsatz der Bundeswehr ver-

297 Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (71). 298 BVerfGE 90, 286 (389); Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (142). 299 So die Befürchtung von Schmidt, Der Bundestag als Feldherr, in: Biermann (Hrsg.), Deutsche Konfliktbewältigung auf dem Balkan, S. 103.

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pflichten darf, können keine Rückschlüsse auf eine fehlende Initiativbefugnis des Bundestages gezogen werden. Im Haupttätigkeitsfeld des Bundestages – der einfachen Gesetzgebung – verhält es sich zwar so, dass der Bundestag auch ohne Einwilligung der Bundesregierung eine Gesetzesinitiative einbringen und beschließen kann. Die Bundesregierung ist dann an das Gesetz gebunden, ohne dass sie diesem zustimmen musste. Allerdings ist der Bundestag auch hier gemäß Art. 77 GG an eine Mitwirkung des Bundesrats und gegebenenfalls gemäß Art. 77 Abs. 1 Satz 4 GG an eine Mitwirkung der Bundesregierung gebunden. Zudem handelt es sich bei der Vereinigung des Initiativrechts mit der Möglichkeit, andere Staatsorgane durch einen der Initiative folgenden Beschluss zu binden, nicht um den Regelfall. Auch die Bundesregierung und der Bundesrat können Gesetzesinitiativen einbringen – die einzige hieraus folgende Verpflichtung des Bundestages besteht aber darin, dass er sich mit der Initiative befassen muss. Gleiches gilt auf europäischer Ebene, wo die Kommission das alleinige Initiativrecht für die europäische Gesetzgebung innehat; der Ministerrat kann dennoch frei entscheiden, ob er der Initiative folgt oder nicht. Schließlich ist auch unbestritten, dass die Bundesregierung – wenn der Bundestag einem Regierungsantrag zugestimmt hat – keinesfalls verpflichtet ist, den beschlossenen Einsatz durchzuführen.300 Der Bundestagsbeschluss wirkt nur als Genehmigung, verpflichtet die Regierung aber nicht. Warum sollte dann aber ein auf eigene Initiative des Bundestages erfolgter Beschluss für die Bundesregierung verpflichtend sein? Mit dieser Argumentation lässt sich eine Initiativbefugnis des Bundestages nicht ablehnen. cc) Organadäquanz Andererseits existieren schwerwiegende Argumente gegen ein Initiativrecht des Bundestages. Mit dem Begriff der „Kompetenz“ – hierum handelt es sich bei einem Initiativrecht – ist nicht nur die durch die Verfassung festgesetzte Aufgabenverteilung, sondern sind auch die Begriffe „Eignung“ und „Fähigkeit“ verbunden.301 Die Kompetenzzuordnung des Grundgesetzes ist darauf ausgerichtet, dass das Staatsorgan handelt, das für die Entscheidung am besten geeignet ist.302 Diese funktionsgerechte Aufgabenzuweisung bezweckt letztlich die Richtigkeit der Entscheidung303 – es steht die Vermutung, dass das geeignete Organ richtig entscheidet.

300

Vgl. BVerfGE 90, 286 (389); Hummel, NZWehrr 2001, S. 221 (224). Hufeld, Der Bundesrechnungshof und andere Hilfsorgane des Bundestages, in: HStR III, 3. A., § 56 Rn. 11. 302 Vgl. Wieland, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 7. 303 Hufeld, Die Vertretung der Behörde, 2003, S. 94 f., 158 f., 399 f. 301

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Das Bundesverfassungsgericht verweist regelmäßig auf den Gedanken der Organadäquanz.304 Schon in seiner Entscheidung vom 18. Dezember 1984 zur Stationierung von Pershing-Raketen in Deutschland stellte das Gericht fest, dass die vom Grundgesetz angelegte Gewaltenteilung nicht allein der Verteilung von politischer Macht und Verantwortung und deren Kontrolle dient.305 Staatliche Entscheidungen sind von den Organen zu treffen, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen, um zu möglichst richtigen Entscheidungen zu gelangen. Auch in der AWACS-Entscheidung zieht das Bundesverfassungsgericht den Rechtsgedanken der Organadäquanz zur Abgrenzung der Kompetenzen von Bundestag und Bundesregierung heran. Die Modalitäten, der Umfang und die Dauer eines Auslandseinsatzes sowie die notwendige Koordination in und mit internationalen Organisationen obliegt demnach allein der Bundesregierung.306 Für den konkreten Einsatz der Bundeswehr im Ausland bedeutet dies folgendes: Die Bundesregierung verfügt – insbesondere durch das Bundesministerium der Verteidigung – über die notwendigen Fähigkeiten und Entscheidungsstrukturen, um einen Einsatz effektiv planen und durchführen zu können. Die Fähigkeiten der einzusetzenden Streitkräfte und die damit verbundene Möglichkeit, den Einsatzauftrag zu erfüllen, lassen sich nur mit den Planungsstrukturen der Bundeswehr und der Bundesregierung beurteilen. Der Bundestag auf der anderen Seite kann diese Aufgaben nicht alleine bewältigen. Aus der fehlenden Fähigkeit, einen Einsatz effektiv zu planen, folgt, dass der Bundestag kein Initiativrecht für einen solchen Einsatz besitzen kann. Denn durch das Initiativrecht und den Antrag im Zustimmungsverfahren wird der Einsatz schon in den wesentlichen Elementen vorgezeichnet. Der Bundestag darf nicht von sich aus das Zustimmungsverfahren für einen Auslandseinsatz einleiten, sondern hat sich auf die Kontrolle der von der Bundesregierung geplanten Auslandseinsätze zu beschränken. Dies gilt auch für die isolierte Frage, ob überhaupt ein Auslandseinsatz in einer bestimmten Region der Erde durchgeführt werden soll. Zwar kann man dem Bundestag in diesem Bereich eine gewisse Kompetenz nicht absprechen. Denn es handelt sich hierbei vornehmlich um eine politische Entscheidung, für die die Planungsstrukturen von Bundesregierung und Bundeswehr auf den ersten Blick nicht benötigt werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ein Auslandseinsatz wesentlich von seinen Modalitäten wie Truppenstärke, Einsatzauftrag und -ziel bestimmt wird. Ohne die nähere Umschreibung des Einsatzes würde ein Beschluss nur eine inhaltsleere Hülle darstellen. Das „Ob“ und das „Wie“ eines Einsatzes sind nicht voneinander zu trennen, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Aus dem Bestimmtheitsgebot folgt, dass die Einsatzgenehmigung

304 305 306

BVerfGE 68, 1 (86); 90, 286 (363 f., 389); 95, 1 (15); 98, 218 (251 f.); 104, 151 (207). Sog. Pershing-Entscheidung, BVerfGE 68, 1 (86). BVerfGE 90, 286 (389).

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hinreichend umrissen sein muss.307 Um diesem Erfordernis gerecht zu werden, enthält auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz in § 3 Absatz 2 einen Katalog der regelmäßigen Angaben, die ein Antrag und damit auch die Zustimmung zu einem Auslandseinsatz enthalten muss.308 Ein Initiativrecht des – an sich nicht kompetenten – Bundestages würde für sich alleine genommen zwar nicht unmittelbar schaden. Denn die letzte Entscheidung über die Durchführung des Auslandseinsatzes liegt allein bei der Bundesregierung. Sie muss einer mangelbehafteten Einsatzgenehmigung nicht folgen, sondern könnte diese verweigern und gegebenenfalls einen eigenen Antrag einbringen. Allerdings macht es verfahrensökonomisch keinen Sinn, zunächst eine an sich inkompetente Stelle den Einsatz in den wesentlichen Elementen vorzeichnen zu lassen, um erst dann die eigentlich kompetente Instanz zu befassen. Organadäquanz ist auch im Sinne einer negativen Kompetenzzuweisung zu verstehen: die Staatsorgane sind auf die Aufgaben beschränkt, die sie nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise bewältigen können. Ob eine fehlerhafte Entscheidung korrigiert werden kann, ist für diese Aufgabenverteilung irrelevant. Das Verbot parlamentarischer Initiativen durch § 3 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist damit die einzige verfassungsrechtlich zulässige Lösung. dd) Schlichter Parlamentsbeschluss Dem Bundestag ist es allerdings nicht verwehrt, die Bundesregierung durch einen schlichten Parlamentsbeschluss zu einem Auslandseinsatz aufzufordern, wenn seine Mehrheit einen Einsatz der Bundeswehr für geboten hält.309 Der schlichte Parlamentsbeschluss kann dabei alle Elemente beinhalten, die auch ein Antrag im förmlichen Zustimmungsverfahren enthalten würde. Dies stellt keinen Verstoß gegen die Gewaltenteilung und das alleinige Initiativrecht der Bundesregierung dar. Die auswärtige Gewalt ist im Grundsatz zwar eine Kompetenz der Exekutive.310 Solange sich der Bundestag im Rahmen der Verbandskompetenz des Bundes bewegt, kann er aber zu jedem Gegenstand seine Auffassung bekunden. Dies schließt Regierungsakte und andere exekutivische Entscheidungen mit ein.311

307 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 44 f. 308 § 3 Abs.2 ParlBetG: „Der Antrag der Bundesregierung enthält Angaben insbesondere über – den Einsatzauftrag, – das Einsatzgebiet, – die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes, – die Höchstzahl der einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten, – die Fähigkeiten der einzusetzenden Streitkräfte, – die geplante Dauer des Einsatzes, – die voraussichtlichen Kosten und die Finanzierung.“ 309 So auch Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 59. 310 BVerfGE 1, 369; J. Ipsen, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 1083. 311 J. Ipsen, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 215.

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Vereinzelt finden sich zwar Stimmen, die schlichte Parlamentsbeschlüsse im Kompetenzbereich der Regierung ablehnen. Nach Auffassung Leibholz greife der Bundestag mit solchen Resolutionen in die verfassungsmäßige Entscheidungsgewalt der Bundesregierung ein.312 Münch wendet ein, dass ein Weisungsrecht des Parlaments zu einer Richtlinienkompetenz für die Regierungspolitik führen würde.313 Diese Meinungen haben aber gemein, dass sie nicht zwischen Zulässigkeit und Verbindlichkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse unterscheiden. Die These der Unzulässigkeit baut auf der angenommenen Verbindlichkeit der Beschlüsse auf. Demgegenüber unterscheidet die ganz herrschende Meinung zwischen Zulässigkeit und Verbindlichkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse und geht zu Recht davon aus, dass schlichte Parlamentsbeschlüsse generell zulässig – aber nicht verbindlich – sind.314 Eine der wesentlichen Funktionen des Bundestages stellt die Kontrolle der Bundesregierung dar. Es handelt es sich hierbei um die Kehrseite der parlamentarischen Verantwortung und Abhängigkeit der Regierung.315 Der Bundeskanzler wird nicht nur vom Bundestag gewählt; er kann durch konstruktives Misstrauensvotum des Bundestages auch wieder abgelöst werden. Um seiner Kontrollfunktion gerecht zu werden, muss sich der Bundestag mit Themen, die im Zuständigkeitsbereich des Bundes liegen, befassen und seine Meinung in Form von Resolutionen äußern dürfen. Das Parlament muss in der Lage sein, die Unterschiede zwischen der Politik der Regierung und dem parlamentarischen Willen zu artikulieren.316 Dies gilt auch und gerade für solche Gegenstände, die im alleinigen Zuständigkeitsbereich der Regierung liegen – denn gerade hier besteht Bedarf für parlamentarische Kontrolle. Die Gewaltenteilung wird dadurch gewahrt, dass schlichte Parlamentsbeschlüsse für die Bundesregierung nicht verbindlich sind. Für die Bundesregierung stellt sich ein solcher Beschluss in rechtlicher Hinsicht als eine Anregung dar, der sie folgen kann aber nicht folgen muss. Es liegt alleine in den Händen der Exekutive, ob sie Planungen für einen Auslandseinsatz aufnimmt und einen Antrag nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz stellt. Die Möglichkeit, die Bundesregierung durch einen schlichten Parlamentsbeschluss zu einem Auslandseinsatz aufzufordern, gibt dem Bundestag nur auf politischer – nicht aber auf rechtlicher – Ebene die Möglichkeit, die Initiative zu ergreifen und gegebenenfalls seinen Willen politisch durchsetzen. Die Bundesregierung muss vor einem zustimmungspflichtigen Auslandseinsatz stets selbst einen Antrag nach § 3 ParlBetG stellen, auch wenn sie zu dem Auslandseinsatz vom Parlament aufgefordert wurde. Dies gilt ebenso dann, 312

Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 163. Münch, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 16, S. 133 (135). 314 Vgl. mit weiteren Nachweisen: Achterberg, Parlamentsrecht, S. 738 (741); Friesenhahn, VVDStRL 16, 10 (38, 70); Grewe, VVDStRL 12, 129 (259 f.); J. Ipsen, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 215; Klein, JuS 1964, S. 181; Lerche, NJW 1961, S. 1758; Maurer, Staatsrecht I, 3. A., § 13 Rn. 134; Schneider, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 12, 248; M. Schröder, JuS 1967, S. 321; Sellmann, Der schlichte Parlamentsbeschluss, S. 23 f., 30, 41. 315 Klein, Stellung und Aufgaben des Bundestages, HStR III, 3. A., § 50 Rn. 33. 316 M. Schröder, JuS 1967, S. 321 (323). 313

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wenn der Parlamentsbeschluss schon so detailliert ist, dass die Regierung ihn wortgleich als eigenen Antrag übernehmen kann. Auf den ersten Blick erscheint ein wortgleicher Antrag der Bundesregierung überflüssig – der Bundestag hat dem konkreten Einsatz ja schon zugestimmt; der schlichte Parlamentsbeschluss könnte als Vorwegermächtigung verstanden werden. Um die Grenzen zwischen politischem und rechtlichem Initiativrecht nicht zu verwischen, ist aber auch hier das förmliche Zustimmungsverfahren durchzuführen. Das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten kann bei einem unverbindlichen einfachen Beschluss durchaus anders ausfallen als im förmlichen Zustimmungsverfahren. 3. Die Modifizierung eines Regierungsantrages Die Frage, ob und in welcher Weise der Bundestag einen Antrag der Bundesregierung modifizieren darf, wird demgegenüber in der Literatur differenzierter betrachtet. Auch hier überwiegt jedoch bei weitem die – auch in § 3 Abs. 3 ParlBetG positivierte – Ansicht, dass der Bundestag den Regierungsantrag nur als Ganzes annehmen oder ablehnen darf.317 Dies sei eine logische Schlussfolgerung aus dem versagten Initiativrecht. a) Stimmen für ein parlamentarisches Abänderungsrecht Es finden sich aber auch Stimmen, die dem Bundestag nach den Wertungen des Grundgesetzes und abweichend vom Parlamentsbeteiligungsgesetz wenigstens in Grenzen ein Abänderungsrecht zugestehen. Raap erkennt zwar an, dass der Bundestag den Regierungsantrag nur insgesamt annehmen oder ablehnen dürfe, also nicht einzelne Elemente verwerfen oder hinzufügen könne. Es bliebe dem Bundestag aber unbenommen, einen vom Antrag der Bundesregierung abweichenden Beschlussvorschlag zur Abstimmung zu stellen.318 Finde dieser Antrag eine Mehrheit, so sei er als Anregung gegenüber der Regierung zu verstehen. Um das ausschließliche Initiativrecht der Bundesregierung zu wahren, liege es nun an dieser, ob sie den veränderten Antrag erneut einbringen möchte. Wiefelspütz bestreitet, dass der Bundestag zu einem Antrag der Bundesregierung nur „Ja“ oder „Nein“ sagen dürfe. Zwar könne der Bundestag den von der Regierung verantworteten Antrag nicht verändern; kraft der Parlamentsautonomie sei der Bun-

317 Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (69, 71); Biermann, ZParl 2004, S. 607 (617); Klein, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 93 (96 f.); Lutze, DÖV 2003, S. 972 (976); Schmidt-Jortzig, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 107 (109 f.); Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 115 (123); F. Schröder, NJW 2005, S. 1401 (1402); Wild, DÖV 2000, S. 622 (629). 318 Raap, JuS 1996, S. 980 (983).

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destag in der näheren Ausgestaltung seiner Zustimmung aber frei.319 Der Bundestag könne eine modifizierte Zustimmung erteilen, indem er die parlamentarische Genehmigung auf bestimmte Modifikationen des beantragten Einsatzes beschränke. Ebenso geht Röben davon aus, dass der Bundestag seine Zustimmung konstitutiv in zwei Richtungen modifizieren könne. Grundsätzlich liege es zwar an der Regierung, ihren Antrag zu modifizieren, wenn er nicht die Zustimmung des Parlaments finde. Der Bundestag könne aber auch ein Minus genehmigen oder die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen klarstellen.320 Hummel will dem Bundestag jedenfalls das Recht zubilligen, einen Antrag der Bundesregierung unter Hinzufügung einer auflösenden Befristung anzunehmen.321 Unter der Prämisse, dass der Bundestag seine einmal erteilte Zustimmung zurücknehmen darf322, sei kein Grund ersichtlich, warum er dies nicht auch schon zuvor durch eine Befristung bewirken dürfe.

b) Initiativ- und Modifizierungsrecht Ist ein Modifikationsrecht des Bundestages mit der Versagung des Initiativrechts vereinbar? Auf den ersten Blick erscheint eine solche Verbindung widersprüchlich. Der Bundestag soll gerade nicht eigene Vorstellungen im rechtlichen Sinne initiieren können. Soll er dann aber einzelne Details aus dem Antrag der Regierung herausgreifen können, um diese abzuändern? Für einzelne Elemente des betreffenden Auslandseinsatzes könnte der Bundestag damit ein echtes Initiativrecht im rechtlichen Sinne erlangen. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz bestimmt dementsprechend, dass der Bundestag dem Antrag der Bundesregierung nur ganz zustimmen oder ihn ablehnen kann, § 3 Abs. 3 ParlBetG. Abänderungen des Antrags sind unzulässig. Dies entspricht grundsätzlich der oben zum Initiativrecht gefundenen Lösung. Die Planung eines Auslandseinsatzes fällt in den Kompetenzbereich der Bundesregierung, da nur diese über die entsprechenden Planungskapazitäten verfügt.323 Die Übernahme der für das Initiativrecht geltenden Regeln für das Modifikationsrecht ist allerdings nicht zwingend. Es macht einen Unterschied, ob der Bundestag die komplette Planung eines Auslandseinsatzes übernehmen will oder ob er unter wesentlicher Bewahrung des Regierungsantrages kleine Änderungen vornehmen oder nur ein Minus genehmigen möchte. Unzulässig sind jedenfalls solche Änderungen, die den Einsatz in Kern und Wesen verändern würden, wie etwa die Verlegung des Einsatzgebietes von einer Region in eine andere oder die Abänderung der einzusetzenden 319 Wiefelspütz, NZWehrr 2004, S. 133 (136); ders., NVwZ 2005, S. 496 (499); vgl. auch Kretschmer, Festschrift Helmrich (1994), S. 537 (544 ff.). 320 Röben, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 103 (104). 321 Hummel, NZWehrr 2001, S. 221 (225). 322 Heute geregelt in § 8 ParlBetG. 323 s. oben 3. Teil, II. 2. b) cc).

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Truppengattung (bspw. Bodentruppen statt Luftwaffe). Damit würde ein neuer Auslandseinsatz initiiert, wozu der Bundestag nicht berechtigt ist. Auf dem Wege eines nicht bindenden schlichten Parlamentsbeschlusses kann der Bundestag die Regierung aber zur Beantragung des abgeänderten Auslandseinsatzes auffordern. Nicht so klar ist die Rechtslage, wenn der Regierungsantrag im Wesentlichen stehen bleibt und nur einzelne Regelungen modifiziert werden, wie etwa die Ergänzung einer zeitlichen Befristung oder die geringfügige Veränderung der einzusetzenden Truppenzahl.324 Wiefelspütz weist zu Recht darauf hin, dass der Bundestag in der Ausgestaltung seiner Zustimmung grundsätzlich frei sei, so dass zwar nicht der Regierungsantrag geändert werden könne, der Bundestag aber auch nicht auf ein Ja oder Nein beschränkt sei.325 Das Parlament könne in Form einer begrenzten Zustimmung die Einsatzbedingungen modifizieren. Dem mag man zunächst noch zustimmen können. Es ist damit aber noch nicht gesagt, welche Folgen aus der modifizierten Zustimmung zu einem Regierungsantrag erwachsen. Einerseits könnte – wie Wiefelspütz es wohl anstrebt326 – die Abänderung als zulässiger Teil des Zustimmungsverfahrens verstanden werden. Der Bundestagsbeschluss genehmigt den Auslandseinsatz in der abgeänderten Form. Die Bundesregierung dürfte den Einsatz dann ohne weiteren Antrag in der genehmigten Fassung durchführen. Andererseits kann die Abänderung eines Regierungsantrages auch als unverbindliche Aufforderung im Sinne eines schlichten Parlamentsbeschlusses verstanden werden. Der Regierungsantrag würde durch die Abänderung abgelehnt – will die Bundesregierung den Einsatz in der modifizierten Form durchführen, müsste sie einen neuen Antrag stellen. Insbesondere wenn sich die Modifikation – wie eine Befristung oder Verringerung der Truppenzahl – nur als Minus des Regierungsantrages darstellt, ist der Gedanke berechtigt, dass sich der Bundestag noch innerhalb seiner grundgesetzlichen Kompetenzen im Zustimmungsverfahren bewegen könnte.327 Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Beschränkung nicht das Wesen des Einsatzes verändert. Bei der Genehmigung eines Minus ging die Initiative des Antrages komplett von der Regierung aus – allein bestimmte vom Bundestag umrissene Detailplanungen werden nicht genehmigt. Die modifizierte Zustimmung stellt sich dann als teilweise Ablehnung des Regierungsantrages dar. Gegen eine solche Betrachtung spricht allerdings, dass die Bundesregierung den Antrag im Ganzen zur Abstimmung stellt und auch mit den Detailplanungen einen bestimmten Zweck verfolgt. Die Initiative der Bundesregierung bezieht sich immer auf den gesamten Antrag. Eine Erweiterung oder Beschränkung einzelner Punkte verändert die als Gesamtplan vorgelegte Initiative der Regierung. Selbst wenn die Änderung einer Detailplanung nicht das Wesen des gesamten Einsatzes ver324 Größere Modifikationen der Truppenzahl (bspw. 10.000 statt 500 Soldaten oder umgekehrt) würden den Einsatz hingegen in seinem Wesen so stark verändern, dass der Bundestag hiermit unzulässigerweise einen neuen Einsatz initiieren würde. 325 Wiefelspütz, NZWehrr 2004, S. 133 (136); ders., NVwZ 2005, S. 496 (499). 326 Wiefelspütz, NZWehrr 2004, S. 133 (136). 327 In diesem Sinne Röben, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 103 (104).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

ändert, kann die Bundesregierung den Einsatz nicht wie geplant durchführen, sondern müsste sich vereinzelt nach den Planungen des Bundestages richten. Dies wiederspricht dem oben gefundenen Grundsatz, dass die Planungskompetenz alleine der Bundesregierung zusteht, da das Parlament nicht die Befähigung zur effektiven Planung eines Auslandseinsatzes besitzt. Es lässt sich hier auch eine Parallele mit der Rechtsgeschäftslehre im Zivilrecht ziehen. § 150 Abs. 2 BGB bestimmt zu Angebot und Annahme: „Eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag“. Staatsorganisationsrecht und Zivilrecht sind zwar in sich wesensverschieden328 – der genannten Regelung liegt aber ein allgemeiner Rechtsgedanke zugrunde. Ein Gesamtpaket kann nicht einseitig verändert werden – es bedarf einer Kooperation der beteiligten Parteien. Zwar kann der Bundesregierung im rechtlichen Sinne ohnehin kein modifizierter Einsatz aufgezwungen werden, da sie letztendlich darüber entscheidet, ob der Einsatz tatsächlich durchgeführt wird oder nicht. Der Bundestag kann einen Regierungsantrag aber auch nicht einseitig abändern – nur die Bundesregierung selbst kann bestimmen, was sie aufgrund ihrer Planungen beantragt und was nicht. Dies widerspricht auch nicht der im allgemeinen Verwaltungsrecht vorgesehenen Möglichkeit und damit verbundenen Wertung, dass Verwaltungsakte mit Nebenbestimmungen versehen oder gar modifizierende Auflagen erlassen werden dürfen, vgl. § 36 Abs. 2 VwVfG. Auf das Verhältnis Bundesregierung – Bundestag lässt sich diese einfachgesetzliche Wertung nicht übertragen, da sich dieses spezielle Verhältnis vorrangig nach den grundgesetzlichen Kompetenzregeln richtet und kein Über-/Unterordnungsverhältnis wie zwischen Verwaltung und Bürger besteht. Eine Modifizierung durch den Bundestag ist im Zustimmungsverfahren daher nicht möglich – sie stellt eine Ablehnung des gesamten Regierungsantrages und gleichzeitig die Aufforderung an die Regierung dar, einen neuen, der Abänderung entsprechenden Antrag einzubringen. Dies mag in Fällen völlig untergeordneter Modifikationen ineffizient wirken – durch das Institut der unten zu erläuternden Protokollerklärung kann das Zustimmungsverfahren aber dennoch zu einem schnellen Ende gebracht werden.329 Ebenso wie das Initiativverbot entspricht das Modifizierungsverbot des § 3 ParlBetG damit den zwingenden grundgesetzlichen Vorgaben. Das Modifizierungsverbot gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Dies wird verständlich, wenn man sich darauf besinnt, dass das Modifizierungsverbot seine Wurzel im grundsätzlich fehlenden Initiativrecht des Bundestages hat. Im Umkehrschluss heißt dies aber, dass der Bundestag einen Antrag der Regierung sehr wohl ergänzen darf, wenn er im zu ergänzenden Bereich von sich aus – ohne einen vorherigen Antrag der Bundesregierung – tätig werden darf. Namentlich gilt dies für das Rückholrecht 328 Während die Parteien bei einem zivilrechtlichen Vertragsschluss grundsätzlich mit gleichen Rechten versehen sind, bestimmen sich die Rechte von Bundesregierung und Bundestag aus dem Grundgesetz. Im Rahmen des Zustimmungsverfahrens für Auslandseinsätze ist ein wesentlicher Unterschied, dass nur die Bundesregierung einen Einsatz im rechtlichen Sinne initiieren darf. 329 Siehe unten 3. Teil, II. 3. c).

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des Bundestages. Gemäß § 8 ParlBetG kann der Bundestag die Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte widerrufen.330 Nach der Genehmigung eines von der Bundesregierung beantragten Auslandseinsatzes kann das Parlament also jederzeit den Beschluss fassen, dass der Einsatz für die Zukunft nicht mehr genehmigt ist und die Truppen zurückzurufen sind. Die Initiative für einen solchen Beschluss kann nur aus der Mitte des Bundestages kommen – das Recht zur Initiative folgt dem Recht zum verbindlichen Beschluss. Für die Bundesregierung wäre ein Initiativrecht überflüssig, da sie den Einsatz auch ohne Parlamentsbeschluss jederzeit beenden kann.331 Wenn der Bundestag einen Einsatz aber einseitig beenden darf, so darf er den Einsatz auch von Anfang an befristen. Die Befristung stellt nichts anderes als den auf einen bestimmten Zeitpunkt terminierten Widerruf der Einsatzgenehmigung dar.332 Es spricht nichts dagegen, diesen Widerruf schon mit der Genehmigung zu verbinden, da inhaltlich das gleiche Thema betroffen ist und die Befristung die Genehmigung des Einsatzes erleichtern soll.333 Diese Form der Modifikation ist auch mit § 3 Abs. 3 ParlBetG in Einklang zu bringen, der Änderungen des Regierungsantrages eigentlich verbietet. Genau genommen geht es ohnehin nicht um die Änderung des Regierungsantrages – nur der Antragsteller selbst kann seinen Antrag ändern –, sondern um eine Änderung der Beschlussvorlage. Dem Regierungsantrag wird ein eigenständiger Teil – die Befristung – beigefügt. Die Abstimmung umfasst damit zwei verschiedene Entscheidungsgegenstände in einem – einmal den Regierungsantrag, der – soweit ein alleiniges Initiativrecht der Bundesregierung besteht – nicht betroffen wird und einmal den Antrag zu einem auf einen bestimmten Zeitpunkt festgelegten Widerruf der gleichzeitig erteilten Genehmigung.

c) Protokollerklärungen der Bundesregierung Eine Besonderheit stellt zudem das Institut der sogenannten Protokollerklärung dar. Hierbei handelt es sich um eine offiziell zu Protokoll gegebene Zusage der Bundesregierung, die den Inhalt des Zustimmungsantrages betrifft und diesen ergänzt oder klarstellt. Die Protokollerklärung ist eine Reaktion auf Änderungswünsche der Parlamentsmitglieder und soll die Zustimmung zu einem Auslandseinsatz ermöglichen, ohne dass die Bundesregierung formell einen neuen, geänderten Zustimmungsantrag einbringt. 330 Zur Streitfrage, ob das Grundgesetz ein Rückholrecht des Bundestages zulässt, siehe unten 3. Teil, II. 4. 331 Dies bedeutet aber nicht, dass die Regierung nicht selbst die Befristung einer Einsatzgenehmigung initiieren dürfte, um dem Bundestag die Zustimmung zu erleichtern – nur bei einem nachträglichen Widerruf der Zustimmung ist für ein Initiativrecht der Regierung kein Bedarf. 332 A.A. Raap, Deutsches Wehrrecht (1999), S. 13 f., der dem Bundestag für eine Befristung kein Initiativrecht zugesteht. 333 Insoweit liegt ein anderer Fall vor als bei der Verbindung von Zustimmungsantrag und Vertrauensfrage durch den Bundeskanzler. Diese Konstellation ist umstritten, da inhaltlich zunächst kein offensichtlicher Zusammenhang der beiden Fragen steht.

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So konnte bei der an sich unbefristeten Verlängerung des KFOR-Einsatzes im Jahre 2000 eine Zustimmung des Bundestages erst erreicht werden, nachdem Außen- und Verteidigungsminister übereinstimmend zu Protokoll erklärt hatten, dass die Bundesregierung im Falle der Fortdauer des Mandats alle zwölf Monate den Bundestag befassen werde. Ebenfalls im Jahre 2000 gab die Bundesregierung zur Fortsetzung der Operation JOINT GUARDIAN II im Kosovo die Protokollerklärung ab: „Falls eine der Fraktionen es wünscht, wird entgegen dem Wortlaut des Beschlusses vor Ablauf von 12 Monaten erneut eine konstitutive Befassung des Bundestages erfolgen.“

Vor der Abstimmung über den Auslandseinsatz deutscher Soldaten im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM334 – die allgemein Einsätze gegen Terroristen im NATO-Gebiet, der arabischen Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-OstAfrika umfasste – gab die Bundesregierung im November 2001 zu Protokoll335 : „1. Zusicherung der kontinuierlichen Unterrichtung BT. Spätestens nach 6 Monaten bilanzierender Bericht. 2. Ziel der Operation: Nur Al Qaida-Netzwerk und Bin Laden und diejenigen, die es beherbergen und unterstützen. 3. Bei wesentlichen Abweichungen von der zahlenmäßigen Aufgliederung der eingesetzten Kräfte. Vorherige Konsultation der Fraktionen des BT oder in Sitzungswochen der Fachausschüsse des BT. 4. Keine Absicht der BReg, in Ländern außerhalb Afghanistans, in denen es derzeit keine Regierung gibt, deutsche bewaffnete Streitkräfte ohne Befassung des Deutschen Bundestages einzusetzen. 5. Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten außer im Falle von Soldaten in Austauschprogrammen nur unter deutschem Kommando.“

Es zeigt sich, dass Protokollerklärungen nicht nur Erläuterungen enthalten, die man ohne weiteres durch Auslegung auch dem Zustimmungsantrag selbst entnehmen könnte. Häufig soll der Inhalt des Zustimmungsantrages gerade entgegen seines ausdrücklichen Wortlautes geändert werden, um eine Zustimmung des Bundestages zu erreichen. Es drängen sich daher verschiedene Fragen auf: Sind Protokollerklärungen zulässig? Immerhin wird durch sie die Regel durchbrochen, dass der Bundestag einen Regierungsantrag nur im Ganzen annehmen oder ablehnen darf. Wie sind Protokollerklärungen rechtlich zu fassen? Stellen sie nur unverbindliche politische Versprechungen der Bundesregierung dar oder ist die Regierung an sie rechtlich gebunden? Was gilt, wenn die Bundesregierung gegen eine Protokollerklärung verstößt? 334

BT-Drs. 14/7296. Vgl. Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 52; BT-Drs. 14/7447. 335

II. Der Beschluss des Bundestages

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aa) Stimmen in der Literatur Während sich das Bundesverfassungsgericht noch gar nicht mit Protokollerklärungen auseinandersetzen musste, wird das Problem in der Literatur vereinzelt angesprochen, ohne dass aber eine abschließende Klärung erfolgt. Wiefelspütz beschränkt sich darauf, die Existenz von Protokollerklärungen zu beschreiben und akzeptiert sie ohne weitere Diskussion als Rechtswirklichkeit.336 Schröder zweifelt an der Rechtmäßigkeit von Protokollerklärungen, da der Grundsatz der vollständigen Annahme oder Ablehnung umgangen werde. Er spricht den Protokollerklärungen als solchen keine Bindungswirkung zu – ein Verstoß führe als venire contra factum proprium aber zu einem außerordentlichen Rückholrecht des Bundestages gemäß der clausula rebus sic stantibus.337 Biermann sieht in Protokollerklärungen ein rechtlich unverbindliches politisches Entgegenkommen der Regierung.338 Klein stellt fest, dass sich der Beschluss des Bundestages jedenfalls auch auf die Protokollerklärungen beziehe – er scheint hieraus eine Bindung der Regierung abzuleiten.339 Nach Schmidt-Jortzig darf die Bundesregierung ihren Antrag zu jedem Zeitpunkt modifizieren – ob dies durch eine förmliche Änderung oder eine Protokollerklärung erfolge, sei zweitrangig.340 Scholz und Baldus gestehen der Bundesregierung das Recht zu, ihren Zustimmungsantrag durch eine Protokollerklärung zu modifizieren.341 Protokollerklärungen der Bundesregierung werden also weitgehend akzeptiert, wenngleich unterschiedliche Rechtsfolgen zugemessen werden. Tatsächlich verhält es sich so, dass Protokollerklärungen der Regierung zulässig sind und nicht gegen das Modifizierungsverbot des Parlaments verstoßen. Zwar entstehen Protokollerklärungen stets, um Wünschen des Parlaments Rechnung zu tragen. Anders als bei einer echten Modifizierung durch den Bundestag geht die Protokollerklärung aber von der Regierung aus. Nicht der Bundestag zwingt die Modifizierung rechtlich auf – die Regierung beschließt rechtlich selbständig, dem Parlament inhaltlich entgegenzukommen und die Einsatzbedingungen selbst zu modifizieren. Hinsichtlich des Initiativrechts ist die Lage hier nicht anders, als wenn die Bundesregierung formal ihren Zustimmungsantrag verändern oder ganz neu einbringen würde.

336

Wiefelspütz, NZWehrr 2003, S. 133 (147 f.); NVwZ 2005, S. 496 (498). F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis, 2005, S. 302 f.; NVwZ 2005, S. 1401 (1402). 338 Biermann, ZParl 2004, S. 606 (620). 339 Klein, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 93 (96). 340 Schmidt-Jortzig, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 107 (109 f.). 341 Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 115 (123); Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (71). 337

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Protokollerklärungen widersprechen auch nicht dem durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz eingeführten förmlichen Zustimmungsverfahren. Die Existenz von Protokollerklärungen war im Gesetzgebungsverfahren bekannt – dennoch wurden sie vom Gesetz nicht ausgeschlossen. In der Gesetzesbegründung heißt es im Rahmen des Modifizierungsverbotes ausdrücklich, dass die bisherige Praxis der Erstellung von Protokollerklärungen von dem Verbot nicht berührt werde.342 bb) Bindungswirkung Es bleibt aber weiter klärungsbedürftig, in welchem Maße die Bundesregierung an Protokollerklärungen gebunden ist. Das mögliche Spektrum der Wirkung solcher Erklärungen reicht von einer rechtlich verbindlichen Änderung des Zustimmungsantrages bis zu einem rein politischen, rechtlich aber unverbindlichen Versprechen der Bundesregierung. Die vermittelnde Ansicht von Schröder, wonach Protokollerklärungen zwar nicht bindend sind, ein Verstoß aber ein außerordentliches Rückholrecht begründet, leidet unter zwei Fehleinschätzungen. Einerseits basiert sie auf der Annahme eines grundsätzlich fehlenden Rückholrechts des Bundestages. Folgt man der hier vertretenen343 und auch im Parlamentsbeteiligungsgesetz niedergelegten Auffassung, hat der Bundestag ohnehin ein uneingeschränktes Rückrufrecht. Unter dieser Voraussetzung hat eine Protokollerklärung nach Schröder keine weiterreichende rechtliche Wirkung als das Parlamentsbeteiligungsgesetz ohnehin zugesteht. Zum anderen ist die clausula rebus sic stantibus auf Fälle des Verstoßes gegen Protokollerklärungen nicht anwendbar. Ebenso wie bei dem der clausula verwandten Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist grundlegende Voraussetzung, dass die Veränderung der zugrundegelegten Umstände von keiner Partei vorausgesehen wurde.344 Die Geschäftsgrundlage wird unterschwellig als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Im Gegensatz dazu entstehen Protokollerklärungen in der Regel gerade dadurch, dass der Bundestag seine Unzufriedenheit mit Teilen des Regierungsantrages ausdrücklich artikuliert. Parlament und Regierung sind sich bewusst, dass das Parlament die ursprüngliche Regelung nicht akzeptiert und diese durch die Protokollerklärung modifiziert werden soll, um eine Zustimmung zu erreichen. Eine Protokollerklärung entspringt Verhandlungen zwischen Parlament und Regierung und erinnert damit eher an eine vertragliche Vereinbarung als an eine unbewusst bestehende Geschäftsgrundlage. Gegen eine rein politische Wirkung spricht der Umstand, dass Protokollerklärungen der Regierung wesentliche Bedeutung für die Beschlussfassung des Parlaments haben. Sie werden gerade abgegeben, damit der Bundestag den Zustimmungsantrag nicht ablehnt. Das Parlament stimmt nicht isoliert über den Regierungsantrag ab, son342

BT-Drs. 15/2742, S. 5 zu § 3. Vgl. unten 3. Teil, II. 4. b). 344 Vgl. Palandt, § 313 BGB, Rn. 18 und Harris, Cases and Materials on International Law, 5th ed., S. 845. 343

II. Der Beschluss des Bundestages

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dern unter Berücksichtigung der Regierungszusagen. Könnte die Bundesregierung nach der Genehmigung die zu Protokoll gegebenen Erklärungen außer Acht lassen, wäre der Zweck der Erklärungen ausgehebelt. Zwar könnte der Bundestag nach einem Verstoß von seinem Rückholrecht Gebrauch machen. Auch hier gilt aber wieder, dass es einen Unterschied macht, eine Mehrheit für oder gegen einen Auslandseinsatz zu finden. Nur weil die Parlamentsmehrheit ohne die Protokollerklärung nicht zustande gekommen wäre, bedeutet dies nicht, dass sich auch eine Mehrheit gegen den Einsatz finden würde. Das Rückholrecht reicht demnach nicht aus, um eine rein politische Wirkung zu rechtfertigen. Im Gesetzgebungsverfahren zum Parlamentsbeteiligungsgesetz wurden Protokollerklärungen von den herangezogenen Experten zudem durchweg als zulässiges Mittel zur Modifizierung eines Zustimmungsantrages erachtet.345 Unter diesem Eindruck wird in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass die Praxis der Protokollerklärungen durch das Gesetz nicht verändert werden soll.346 Protokollerklärungen stellen damit mehr als politische Absichtserklärungen dar. Auch die Bundesregierung geht offenbar von einer Bindungswirkung von Protokollerklärungen aus. Bei der unveränderten Verlängerung bereits laufender Einsätze verweist sie im Zustimmungsantrag regelmäßig auch auf die „Fortgeltung der Regelungen (…) der Protokollnotiz der Bundesregierung vom …“.347 Andererseits bewirkt eine Protokollerklärung auch keine formelle Antragsänderung. Der Regierungsantrag und damit die Vorlage, über die der Bundestag beschließt, bleiben als solche unverändert bestehen. Wollte die Regierung ihren Antrag tatsächlich formal ändern, so kann sie dies als Herrin über ihren Antrag zu jedem Zeitpunkt tun.348 Sie könnte ihren Antrag ja auch zurückziehen und einen neuen veränderten Antrag einreichen. Dieser Weg wird mit einer Protokollerklärung aber gerade nicht gewählt. Dennoch stellt auch eine Protokollerklärung eine für die Regierung verbindliche Regel dar. Sie steht zwar außerhalb des Zustimmungsantrages, aber nicht außerhalb des Zustimmungsverfahrens. Der Grund für die Wahl einer Protokollerklärung und nicht einer formellen Antragsänderung liegt nicht darin, dass die Beteiligten hieraus andere Rechtsfolgen ableiten wollen, sondern dient allein der Beschleunigung des Verfahrens und dem Umstand, dass der Bundestag von sich aus keine Modifikationen vornehmen darf. Protokollerklärungen sind neben dem Zustimmungsantrag stehende Zusatzabsprachen, auf die sich der Beschluss des Bundestages ebenso bezieht wie auf den Antrag selbst. Die Zusatzabsprachen sind genauso bindend wie der Hauptantrag. Die Wirkung einer Protokollerklärung stellt sich daher

345

Vgl. oben 3. Teil, II. 3. c) aa). BT-Drs. 15/2742, S. 5 zu § 3. 347 Vgl. etwa BT-Drs. 16/2700, S. 1 und BT-Drs. 16/2900, S. 1 und 3. 348 In diesem Sinne auch Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 115 (123), Klein, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 93 (96) und Schmidt-Jortzig, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 107 (109 f.). 346

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

praktisch wie die Änderung des Regierungsantrages dar.349 Bis zur Abstimmung im Bundestag kann die Regierung eine Protokollerklärung daher auch ohne Mitwirkung des Bundestages widerrufen – ebenso wie sie ihren Antrag ohne Zutun des Parlaments ändern kann. Ist der Bundestag mit dem Widerruf nicht einverstanden, so muss er den Auslandseinsatz ablehnen. Die rechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen eine Protokollerklärung sind mit ihrer Rechtsnatur vorgegeben. Die Genehmigung des Parlaments umfasst sowohl den Hauptantrag als auch die in den Protokollerklärungen niedergelegten Zusatzabsprachen – der Inhalt der Genehmigung ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung. Hält sich Bundesregierung nicht an eine Protokollerklärung, so handelt sie ohne Zustimmung des Bundestages; sie führt den Auslandseinsatz – soweit gegen die Erklärung verstoßen wird – unter Verletzung des Parlamentsvorbehalts. Die Nichtbeachtung einer Protokollerklärung stellt somit zugleich eine Verletzung des Grundgesetzes dar. Das Parlament kann sich hiergegen im Rahmen eines Organstreitverfahrens wehren. cc) Nachträgliche Protokollerklärungen Grundsätzlich denkbare nachträgliche Protokollerklärungen fallen nicht unter die bindenden Nebenabsprachen. Kommt es nach der Abstimmung über einen Auslandseinsatz zu einem Streit über die inhaltliche Auslegung der Genehmigung und gibt die Bundesregierung auf Wunsch des Parlaments eine Protokollerklärung ab, dass sie den Einsatz nur in einer bestimmten Weise führen werde, so hat diese Erklärung nur politische Wirkung. Die Verbindlichkeit von (vor der Abstimmung erfolgten) Protokollerklärungen ergibt sich gerade daraus, dass der Bundestag sein Abstimmungsverhalten von den Modifizierungen abhängig macht. Die Abstimmung bezieht sich nicht allein auf den isolierten Regierungsantrag, sondern auch auf die in den Protokollerklärungen verkörperten Nebenabsprachen. Erst durch die Verknüpfung von Abstimmung und Protokollerklärung werden diese rechtlich relevant. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass nachträgliche Erklärungen, auf die sich die Abstimmung zeitlich gesehen gar nicht beziehen konnte, rechtlich irrelevant sind.350 Dem Bundestag bleibt im Falle eines Verstoßes nur der Rückgriff auf das allgemeine Rückholrecht aus § 8 ParlBetG oder aber ein Organklageverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, wenn er der Auffassung ist, dass die Einsatzführung nicht mit dem ursprüngli349 Auch ein Vergleich zu Nebenbestimmungen und modifizierenden Auflagen im allgemeinen Verwaltungsrecht könnte dieses Ergebnis stützen, da auch hierdurch der Grundverwaltungsakt rechtlich wirksam verändert wird. Ein wichtiger Unterschied besteht freilich darin, dass die Modifizierung bei Protokollerklärungen von der Regierung, also dem Antragsteller selbst vorgenommen wird, während Nebenbestimmungen grundsätzlich von der entscheidenden Behörde erlassen werden und der Verwaltungsakt hierdurch im Gegensatz zur Protokollerklärung auch formal ergänzt oder verändert wird. 350 Aus dem Entstehungsprozess der nachträglichen Protokollerklärung lassen sich aber möglicherweise Rückschlüsse auf die Auslegung des eigentlichen Parlamentsbeschlusses ziehen – etwa wenn die Bundesregierung erklärt, der Antrag sei schon immer im Sinne der abzugebenden Protokollerklärung gemeint gewesen.

II. Der Beschluss des Bundestages

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chen Parlamentsbeschluss vereinbar ist.351 Dies ist nicht unbillig, da dem Bundestag auch dann, wenn die Regierung die nachträgliche Erklärung verweigert hätte, nur diese Möglichkeiten geblieben wären. dd) Kompetenzzuweisung innerhalb der Bundesregierung Wer aber kann für die Bundesregierung überhaupt eine Protokollerklärung abgeben? Der formelle Zustimmungsantrag für einen Auslandseinsatz wird von der Bundesregierung gestellt – es bedarf hierfür in der Regel eines Beschlusses des gesamten Kabinetts.352 Da eine Protokollerklärung eine Inhaltsänderung des Auslandseinsatzes bewirkt, kann auch die Kompetenz zur Abgabe solcher Erklärungen eigentlich nur beim Bundeskabinett liegen. Die Praxis zeigt aber, dass Protokollerklärungen stets durch die Bundesminister des Äußeren oder der Verteidigung ergehen. Eine solche Vorgehensweise ist für die Bundesregierung dann verbindlich, wenn die Bundesminister entweder eine Vertretungsbefugnis für die Bundesregierung besitzen353 oder Protokollerklärungen aus eigener Kompetenz abgeben können. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung sieht vor, dass die von der Bundesregierung beschlossenen Vorlagen vor den gesetzgebenden Körperschaften durch den in der Sache zuständigen Bundesminister vertreten werden, § 28 GO-BReg.354 Soweit Angehörige der Bundesministerien an Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse teilnehmen, vertreten sie die Auffassung der Bundesregierung und sind an die ihnen gegebenen Weisungen gebunden, § 27 Abs. 2 der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien. Der Formulierungszusammenhang der Vorschriften zeigt allerdings, dass mit der angeordneten Vertretung keine Vertretung im rechtlichen Sinne gemeint ist, sondern dass die Minister und Ministeriumsangehörige nur in der Sache Sprachrohr der Bundesregierung sein sollen, ohne diese aber rechtlich binden zu können. Nicht die Bundesregierung selbst wird vertreten, sondern „die beschlossenen Vorlagen“ und die „Auffassung“ der Bundesregierung. Über eine in den Geschäftsordnungen angeordnete Vertretungsbefugnis lässt sich das Kabinettsprinzip also nicht überwinden. Das Kollegialprinzip steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zu dem Ressortprinzip. Danach leiten und verwalten die Bundesminister selbständig den einzelnen, ihnen zugewiesen Geschäftsbereich der Bundesregierung, Art. 65 Satz 2 GG.355 Erlaubt das Ressortprinzip dem zuständigen Minister möglicherweise, einen Regierungsantrag durch Protokollerklärung abzuändern? Dem Bundeskabinett steht ein 351 Weicht die Bundesregierung von der parlamentarischen Zustimmung ab, handelt sie unter Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt. 352 Vgl. oben 3. Teil, II. 2. a). 353 Also ein fremdes Recht (das des Bundeskabinetts) geltend machen. 354 Diese Vorschrift bezieht sich nach dem Wortlaut zwar nur auf die Gesetzgebung, kann aber auf das Zustimmungsverfahren bei Auslandseinsätzen übertragen werden. 355 Vgl. auch Degenhart, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 537.

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Beschlussrecht immer dann zu, wenn die Bundesregierung als Kollegium zu entscheiden hat, wie etwa nach Art. 65 Satz 3 und 4 GG. Wird als Träger einer Aufgabe oder Befugnis die Bundesregierung genannt, so ist damit typischerweise das Kollegialorgan gemeint.356 Gemäß § 15 Abs. 1 GO-BReg sind der Bundesregierung zur Beratung und Beschlussfassung alle Angelegenheiten von „allgemeiner innen- oder außenpolitischer, wirtschaftlicher, sozialer, finanzieller oder kultureller Bedeutung“ zu unterbreiten. Alle Aufgaben, die nicht dem Kollegium zu unterbreiten sind, unterfallen dem Ressortprinzip.357 Kurz gesagt: wichtige, allgemein bedeutende Entscheidungen trifft die Bundesregierung als Ganzes; weniger bedeutende Entscheidungen darf der jeweilige Minister in seinem Ressort selbst treffen. Für Protokollerklärungen bedeutet dies Folgendes: Wird der Regierungsantrag in seinem grundlegenden Inhalt getroffen, also wesentlich abgeändert, kann der Bundesminister nicht selbst, sondern nur mit Ermächtigung des Bundeskabinetts eine wirksame Protokollerklärung abgeben. Kleinere Abänderungen im Detail unterfallen hingegen dem Ressortprinzip. Insbesondere bei Beschränkungen des ursprünglichen Regierungsantrages kann eher von einer weniger bedeutenden Abänderung ausgegangen werden. Aber selbst wenn ein Bundesminister seine Befugnisse bei einer Protokollerklärung überschritten hat, kann sich die Bundesregierung später nicht ohne weiteres auf das Kollegialprinzip und eine fehlende Vertretungsbefugnis berufen. Es ist der Regierung nämlich zuzumuten, dass sie – sobald sie von einer nicht von ihr getragenen und eigentlich nur durch Kabinettsbeschluss möglichen Protokollerklärung Kenntnis erlangt – diesen Einwand unverzüglich geltend macht. Dies gebietet das Prinzip der Verfassungsorgantreue. Lässt die Bundesregierung den Bundestag unter dem Eindruck der Protokollerklärung beschließen, ist ihr die spätere Berufung auf den Mangel der Protokollerklärung verwehrt. d) Parlamentarische Protokollnotizen Von den soeben erläuterten Protokollerklärungen der Bundesregierung ist die Situation zu unterscheiden, dass der Bundestag, Fraktionen desselben oder einzelne Abgeordnete eine Protokollnotiz abgeben, um erst dann einen Auslandseinsatz zu genehmigen. Eine solche Protokollnotiz gab es beispielsweise im Jahre 2003. Der Präsident der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien hatte die EU darum gebeten, die bisher durch die NATO-geführte Operation ALLIED HARMONY zu übernehmen, um einen Beitrag zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses zu leisten. Der von der Bundesregierung zur Abstimmung im Bundestag vorgelegte Antrag bestimmte, dass der Einsatz zum 31. 03. 2003 beginnen und solange fortdauern sollte, wie ein Ersuchen der mazedonischen Regierung, ein entsprechender Beschluss der

356

Degenhart, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 537. Es sei denn, die Entscheidung fällt unter die Richtlinienkompetenz des Kanzlers, Art. 65 Satz 1 GG. 357

II. Der Beschluss des Bundestages

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EU und die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages vorlägen.358 Die Operation war damit zeitlich nicht befristet. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP gaben daraufhin im Auswärtigen Ausschuss unwidersprochen folgende Protokollnotiz ab: „1. Die Zustimmung der Nichtbefristung kann nicht als Präzedenzfall für Folgemandate der EU gesehen werden. 2.

Bei Zuspitzung der Sicherheitslage in Mazedonien halten wir eine erneute Befassung des Bundestages für erforderlich.

3.

Bitte um regelmäßige Berichterstattung.“359

Anders als die Bundesregierung hat das Parlament grundsätzlich kein Initiativrecht und nicht die Befugnis, einen Zustimmungsantrag zu modifizieren – die inhaltliche Veränderung eines Auslandseinsatzes durch den Bundestag ist in der Regel ausgeschlossen. Für Protokollnotizen des Parlaments ergibt sich daher eine völlig andere Situation als bei Protokollerklärungen der Regierung. Antragsmodifizierende Protokollnotizen des Parlaments sind jedenfalls nicht möglich, soweit eine inhaltliche Modifizierung durch das Parlament unzulässig ist.360 Röben hält Protokollnotizen des Bundestages allerdings für wirksam und bindend, wenn durch sie einschränkend nur ein Minus genehmigt wird oder die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen klargestellt werden sollen.361 Allerdings gesteht er dem Parlament – abweichend von der hier vertretenen Ansicht362 – insoweit auch ein Modifikationsrecht zu. Seine Auffassung ist demnach zwar folgerichtig, im Ergebnis aber dennoch abzulehnen. Selbst in dem Bereich, in dem der Bundestag einen Antrag beschränken darf – nämlich bei der Frage der zeitlichen Befristung363 –, ist dies nicht durch eine Protokollnotiz möglich. „Den“ Bundestag, der eine Protokollnotiz abgeben könnte, gibt es nämlich gar nicht. Im oben angeführten Fall wurde die Erklärung von den beiden Oppositionsfraktionen (CDU/CSU und FDP) abgegeben. Eine Minderheit im Parlament kann aber den Inhalt eines von der Mehrheit genehmigten Antrages nicht verändern, indem sie zuvor eine Erklärung abgibt. Aber auch die mehrheitshaltenden Fraktionen können keine bindende Protokollnotiz abgeben. Protokollerklärungen werden näm358

BT-Drs. 15/696. 12. Sitzung des Auswärtigen Ausschusses vom 20. 03. 2003 laut Wiefelspütz, NZWehrr 2003, S. 133 (149). 360 In diesem Sinne auch Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 6 und Schriftliche Stellungnahme, S. 115 (123); Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (71). 361 Röben, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 36 f. und Schriftliche Stellungnahme, S. 103 (104). 362 Siehe oben 3. Teil, II. 3. b). 363 Siehe oben 3. Teil, II. 3. b). 359

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

lich schlicht zu Protokoll gegeben – über sie findet keine Abstimmung im Plenum statt. Es lässt sich also nicht feststellen, ob die Protokollnotiz von der Mehrheit der Abgeordneten getragen wurde oder nicht. Auch bei Erklärungen der Regierungsfraktionen, die ja in der Regel die Mehrheit im Bundestag stellen, kann eine solche Mehrheit nicht unterstellt werden. Zur Genehmigung des Regierungsantrages bedarf es nämlich einer Mehrheit der Abgeordneten im Plenum und nicht einer Genehmigung der Mehrheitsfraktionen – gleiches muss dann aber auch für antragsmodifizierende Protokollnotizen gelten. Protokollnotizen des Bundestages stellen daher keine verbindlichen Antragsänderungen oder Nebenabsprachen dar. Sie sind für die Bundesregierung nicht bindend und rechtlich als reine Interpretationserklärungen oder politische Aufforderungen einzustufen. Der Inhalt eines genehmigten Auslandseinsatzes ist in diesem Fall allein am Wortlaut des Regierungsantrages zu messen. Kommen verschiedene Auslegungen des Regierungsantrages in Betracht, kann eine vorherige Interpretationserklärung berücksichtigt werden, ohne aber ein zwingendes Ergebnis vorzugeben.364 Letztlich bleibt die Erklärung ein politisches Instrument, das über die vor der Beschlussfassung bestehende Rechtsauffassung des Erklärenden Auskunft gibt. Der Inhalt des Zustimmungsantrages wird hiermit nicht verändert.

4. Das Rückholrecht Eine weitere Problematik im Rahmen des Initiativrechts ist die Frage eines Rückholrechts des Bundestags. Darf das Parlament, nachdem es einen Bundeswehreinsatz genehmigt hat, die Zustimmung ohne Zutun der Bundesregierung mit der Folge widerrufen, dass der Einsatz abzubrechen ist? In der Literatur, aber auch in der Politik, ist über diese Frage nach dem AWACSUrteil ein reger Streit ausgebrochen. Während der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Merz im Jahre 2001 vor dem Beschluss über den Afghanistan-Einsatz davor warnte, dass ein späterer Rückruf der Truppen nicht möglich sei,365 vertrat der SPD-Fraktionsvorsitzende Struck vor dem Bundestag die Auffassung, dass das Parlament die Zustimmung jederzeit widerrufen könne.366 Die widerstreitenden Positionen liegen im Wesentlichen darin begründet, dass dem Bundestag mit einem Rückholrecht in gewisser Weise ein Initiativ- und Alleinentscheidungsrecht zugestanden 364 Ähnlich der unverbindlichen „understanding short of reservation“ im Völkerrecht, vgl. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2. A., § 20 V 1. 365 Unterstützung erfuhr Merz durch MdB Rupert Scholz, vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/202 vom 16. 11. 2001, S. 19859 D und 19865 C und D. 366 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/202 vom 16. 11. 2001, S. 19862 C. Es erscheint zunächst widersprüchlich, dass der Vorsitzende der Regierungsfraktion Struck die Rechte des Bundestages anscheinend stärken und der Oppositionsführer Merz die Rechte des Bundestages schwächen wollte. Verständlich wird die Situation, wenn man bedenkt, dass die Regierung den eigenen Fraktionen die Zustimmung erleichtern wollte, während die Opposition den Beschluss möglichst als endgültige Entscheidung darstellen wollte.

II. Der Beschluss des Bundestages

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würde, andererseits ein Rückholrecht wesentlicher Faktor einer „Parlamentsarmee“ sein könnte. Die Gegner stützen sich zudem auf verschiedene Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts, die ein Rückholrecht ausschließen sollen. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz gesteht dem Bundestag in § 8 ParlBetG ein Rückholrecht zu. Die Gesetzesbegründung erklärt vollmundig, dass die Vorschrift die bestehende Unsicherheit über die Frage beenden würde. Tatsächlich kann ein einfaches Gesetz hierüber keine Entscheidung treffen, wenn ein Rückholrecht verfassungsrechtlich ge- oder verboten ist. Verstößt ein Rückholrecht des Parlaments gegen die grundgesetzliche Kompetenzordnung367, so kann der Bundestag dieses Recht nicht durch Verabschiedung eines einfachen Gesetzes an sich reißen. Gleiches würde für den umgekehrten Fall gelten, dass das Grundgesetz eine Rückholbefugnis enthielte, das Parlamentsbeteiligungsgesetz einen Widerruf der Zustimmung aber ausschlösse. Nur wenn sich dem Grundgesetz keine verbindliche Antwort zum Rückholrecht entnehmen ließe, bliebe gesetzgeberischer Spielraum, um die Frage durch ein einfaches Gesetz zu beantworten. Dies wird aber von praktisch keiner der vertretenen Meinungen angenommen.368 Das Gesetz löst die Frage also nicht, sondern erweitert sie um den Aspekt, ob § 8 ParlBetG verfassungswidrig ist. a) Meinungsstand Befürworter und Gegner eines Rückholrechts halten sich zahlenmäßig die Waage. Unter den Befürwortern existiert eine starke Fraktion, die nur für ein begrenztes Rückholrecht eintritt. aa) Gegner des Rückholrechts Da das Parlament auf die reine Kontrolle der Regierungsentscheidung beschränkt sei, mithin keine Initiativbefugnis habe, gesteht Oeter dem Bundestag kein Rückholrecht zu.369 Habe der Bundestag dem Einsatz ordnungsgemäß zugestimmt, könne er sich eine periodische Kontrolle nur über eingebaute Befristungen sichern. Dreist verneint ein Rückrufrecht unter Hinweis auf das fehlende Initiativrecht des Bundestages.370 Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sehe bei Auslandseinsätzen ein Rückrufrecht nur für den Ausnahmefall vor, dass ein Einsatz wegen Gefahr im Verzug von der Bundesregierung ohne vorherige Zustimmung des Bundestages begonnen wurde.371 Für vom Bundestag genehmigte Einsätze billige das Urteil gerade kein Rückholrecht zu – das Parlament sei an die Zustimmung gebunden. Zudem sei der plötzliche Abbruch eines internationalen Einsatzes tatsächlich kaum durchführ367

Insbesondere das fehlende Initiativrecht des Bundestages. Einzige Ausnahme bildet hier Schmidt-Jortzig, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 36. 369 Oeter, NZWehrr 2000, S. 89 (98). 370 Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (147). 371 Vgl. BVerfGE 90, 286 (388). 368

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

bar und von weitreichenden außenpolitischen Folgen begleitet – die Bündnispartner müssten sich auf die Zusagen der Bundesregierung verlassen können.372 Scholz spricht sich gegen eine Rückholbefugnis des Bundestages aus, wenngleich er ein solches Recht politisch für sinnvoll erachtet.373 Die fehlende Initiativbefugnis könne aber nicht mit dem Aspekt des actus contrarius überspielt werden. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, dass „der Bundestag bei seiner Beschlussfassung an die mit seiner Zustimmung zustande gekommenen rechtlichen Festlegungen über den Einsatz gebunden“374 sei, würden ein Rückholrecht „ebenso eindeutig wie definitiv“ ausschließen.375 Nach Wieland hat ein Rückholrecht keine verfassungshistorische Grundlage – auch falle ein solches Recht sachgerecht in den Zuständigkeitsbereich der Exekutive.376 Zudem sei es außenpolitisch und militärisch problematisch, wenn der Bundestag in der Mitte eines komplexen Auslandseinsatzes plötzlich einen Rückruf der deutschen Soldaten beschließen würde. Habe das Parlament einmal zu einem Einsatz Ja gesagt, könne es daher nicht nachträglich jederzeit wieder Nein sagen.377 Für Gilch überwiegen die Argumente, die gegen ein Rückholrecht des Bundestages sprechen – § 8 ParlBetG, der ein ebensolches Recht vorsieht, sei verfassungswidrig und nichtig.378 Das Grundgesetz gestehe die Befehls- und Kommandogewalt der Exekutive zu. Die Entscheidung über die Dauer des Einsatzes treffe demnach ausdrücklich allein die Regierung. Ebenso wenig wie der Bundestag den Einsatz an sich beschließen könne, habe er das Recht dessen Ende zu beschließen. Dem Bundestag stehe eben kein Initiativrecht zu – er sei hierfür nicht das „funktionsgerechte“ Organ. Auch sei eine Rückholentscheidung nicht einfach ein actus contrarius. Während die Genehmigung eines Einsatzes keine rechtsverbindliche Entscheidung darüber enthielte, ob der Einsatz tatsächlich durchgeführt werde, ließe ein Widerruf der Exekutive keinen eigenen Entscheidungsraum mehr. Für die wichtigere Entscheidung, ob der Einsatz überhaupt begonnen werde, hätte der Bundestag damit weniger Rechte als bei der Frage der Beendigung des Einsatzes. Dies entspreche nicht der Systematik des Grundgesetzes.379 372

Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (150 f.). Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 6. 374 „Freilich ist der Bundestag bei seiner Beschlussfassung an die mit seiner Zustimmung zustande gekommenen rechtlichen Festlegungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte gebunden.“, BVerfGE 90, 286 (388). 375 Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 115 (130). 376 Wieland, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 26. 377 Wieland, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 34. 378 Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 158 ff., 222 ff. 379 Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 161 f. 373

II. Der Beschluss des Bundestages

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Limpert schließt aus dem fehlenden Initiativrecht, dass dem Bundestag auch kein Revokationsrecht zustehe.380 Das Bundesverfassungsgericht habe zudem festgestellt, dass der Bundestag an die mit seiner Zustimmung zustande gekommenen rechtlichen Festlegungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte gebunden sei.381 Diese Bindung bezieht er auch auf den Zustimmungsbeschluss. Das Gericht habe ein Rückholrecht allein für den Fall vorgesehen, dass der Bundestag wegen Gefahr im Verzug zunächst nicht um Zustimmung gebeten werden konnte. Der Grundsatz der Verfassungsorgantreue verpflichte den Bundestag zur Einhaltung des der Bundesregierung gegebenen Wortes. Zudem dürfe der Bundestag nicht die Einhaltung der außenpolitischen Verpflichtungen desavouieren, insbesondere dann, wenn sie auf völkerrechtlichen Verträgen beruhten. Spies sieht aufgrund der verfassungsgerichtlichen Äußerungen zu Initiativrecht und Dauer des Einsatzes keinen Spielraum für ein Rückholrecht des Bundestages.382 Selbst bei wesentlicher Änderung der tatsächlichen oder völkerrechtlichen Verhältnisse könne das Parlament die Regierung nicht zu einem Rückzug zwingen. Die sachgerechte Lösung für den Fall, dass sich die Regierung dem politischen Willen des Bundestages wiedersetze, liege derzeit allein in einem konstruktiven Misstrauensvotum. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber bleibe es aber unbenommen, ein Rückholrecht durch eine Grundgesetzänderung zu ermöglichen. bb) Befürworter des Rückholrechts Wild sieht in einem parlamentarischen Rückholrecht demgegenüber keine rechtswidrige Einschränkung des exekutiven Verantwortungsbereichs.383 Das Initiativrecht verbleibe bei der Bundesregierung – gegen ihren Willen könne ein Einsatz weder begonnen noch fortgeführt werden. Sie könne den Einsatz auch jederzeit beenden, so dass sie in jedem Fall wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert über die „Dauer der Aktion“ entscheide. Auf der anderen Seite seien Tragweite und Auswirkung einer Einsatzentscheidung nicht immer abzusehen. Um das Ziel des Parlamentsvorbehalts zu erreichen, „Kabinettskriege“ zu verhindern und Auslandseinsätze nur dann zuzulassen, wenn sie von der Parlamentsmehrheit gebilligt werden, müsse man dem Parlament ein Rückholrecht zugestehen.384 Burkiczak will den Parlamentsvorbehalt ohnehin am liebsten über ein Rückholrecht des Bundestages bei vorheriger Alleinentscheidungsbefugnis der Bundesregie-

380

Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 58 f. BVerfGE 90, 286 (388). 382 Spies, Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligung bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland, in: Festschrift für Dieter Fleck, Krisensicherung und Humanitärer Schutz, S. 550 ff. 383 Wild, DÖV 2000, S. 622 (630). 384 Wild, DÖV 2000, S. 622 (629). 381

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rung verwirklichen.385 Betrachte man den Parlamentsvorbehalt aber im Sinne der Notwendigkeit einer vorherigen Zustimmung des Bundestages, ergebe sich ein unkonditioniertes Rückrufrecht über einen Erst-Recht-Schluss.386 Er verweist auf die Regelungen der Art. 35 Abs. 3 Satz 2 und Art. 87a Abs. 4 Satz 2 GG, nach denen der Einsatz von Streitkräften im Inland auf Verlangen des Bundestages bzw. Bundesrates einzustellen sei.387 Ohne Rückrufrecht würde zudem bei Geltung eines Entsendebeschlusses über das Ende der Legislaturperiode hinaus die Entscheidungsbefugnis des nächsten Bundestages beschnitten.388 Hummel gesteht dem Bundestag ein Initiativrecht zur Beendigung von bewaffneten Einsätzen der deutschen Streitkräfte zu.389 Dies ergebe sich aus einer Analogie zu den Regeln des Verteidigungsfalls, Art. 115a ff. GG, wonach die Bundesregierung nur für die Feststellung des Verteidigungsfalls durch das Parlament ein ausschließliches Initiativrecht habe. Das Ende des Verteidigungsfalls könne der Bundestag „jederzeit“, also auch ohne Initiative der Bundesregierung feststellen. Der Parlamentsvorbehalt bezwecke zudem, die Streitkräfte als „Parlamentsheer“ auch dem Einfluss des Bundestages zu unterstellen. Dies bedeute, dass die Zustimmung des Bundestages nicht nur punktuell zu Beginn eines Einsatzes vorliegen müsse, sondern während des gesamten Einsatzes. Von der einmal in der Vergangenheit geäußerten Zustimmung könne nur dann auf ein Fortdauern der Zustimmung geschlossen werden, wenn der Bundestag die Möglichkeit habe, sich selbständig von dem Beschluss für die Zukunft zu lösen.390 Schmidt-Jortzig überlässt ein allgemeines Rückholrecht der Gestaltungsfreiheit des einfachen Gesetzgebers.391 Ein Rückrufrecht stelle die Kehrseite des konstitutiven Parlamentsvorbehalts dar – nehme der Bundestag diesen ernst, so sei er sich die Möglichkeit eines Rückrufes schuldig. Die Einführung der Widerrufsmöglichkeit in § 8 ParlBetG ist nach Ansicht Schmidt-Jortzigs damit verfassungsgemäß. Fischer und Fischer-Lescano entnehmen der Wehrverfassung – insbesondere den Rückrufregelungen bei Verteidigungsfall und innerem Einsatz der Bundeswehr392 –, dass es dem Bundestag auch bei Entsendung deutscher Soldaten ins Ausland möglich sein müsse, jederzeit die Zustimmung zu entziehen.393

385

Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (84). Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (86). 387 Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (86, Fn. 72). 388 Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (86, Fn. 72). 389 Hummel, NZWehrr 2001, S. 221 (226). 390 Hummel, NZWehrr 2001, S. 221 (226 f.). 391 Schmidt-Jortzig, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 36. 392 Art. 115 l Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 87a Abs.4 Satz 2 GG. 393 Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (124 ff.). 386

II. Der Beschluss des Bundestages

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Für Schultz sprechen praktische Erwägungen für eine Rückholbefugnis des Parlaments.394 Da sich die Zustimmung des Bundestags nur auf eine grundsätzliche Einsatzbefugnis erstrecke, während die konkrete Leitung bei der Regierung verbleibe, komme dem Rückholrecht eine ausgleichende Funktion für die „Blankovollmacht“ zu. Einige Verfassungsnormen, aus denen das Bundesverfassungsgericht den Parlamentsvorbehalt abgeleitet habe,395 sähen auch ausdrücklich die Beendigung des Einsatzes durch den Bundestag vor. Es spreche nichts dagegen diese Normen auch im Sinne einer allgemeinen Rückholbefugnis auszulegen. cc) Befürworter eines eingeschränkten Rückholrechts Eine weitere häufig vertretene, vermittelnde Ansicht will den Widerruf der Zustimmung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulassen. Ein Rückruf soll einerseits nur bei (wesentlicher) Änderung der Einsatzumstände möglich sein. Die Anforderungen an die Qualität der Änderung werden dabei unterschiedlich weit gefasst. Weiterhin soll ein Widerruf nur möglich sein, wenn sich Deutschland damit noch im Rahmen seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen bewegt. Zum Teil wird der dogmatische Ansatz gewählt, dass nicht ein bestehendes Widerrufsrecht eingeschränkt wird, sondern ein solches prinzipiell ausgeschlossen wird und lediglich bei wesentlicher Änderung der Umstände eine Ausnahme zugelassen wird. Nach Ansicht Pofallas ist ein Rückholrecht sachgerecht – auch stehe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht entgegen.396 Das Recht finde seine Grenze aber in den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Sei Deutschland völkerrechtlich an die militärische Mitwirkung an einem Auslandseinsatz gebunden, stehe dem Bundestag kein Rückholrecht zu. Das Verbot des venire contra factum proprium und der Grundsatz der Verfassungsorgantreue bewirkten zudem, dass das Parlament seine Zustimmung nur widerrufen könne, wenn es dafür triftige Gründe vorweise – hierfür müssten sich die Einsatzumstände fundamental geändert haben. Wiefelspütz bejaht ein Rückholrecht, will seine Ausübung aber nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulassen.397 Wenn der Bundestag den Verteidigungsfall jederzeit für beendet erklären könne und sogar Gesetze wieder aufheben dürfe, müsse er auch das Recht haben, die Zustimmung zu einem bewaffneten Einsatz zurückzunehmen.398 Das Recht dürfe aber nicht willkürlich ausgeübt werden, sondern nur bei sach-

394 Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung (1998), S. 442 f. 395 Art. 35 Abs. 3, Art. 80a Abs. 3, Art. 87a Abs. 4 und Art. 115 l Abs. 2 GG. 396 Pofalla, ZRP 2004, S. 221 (224). 397 Wiefelspütz, NVwZ 2005, S. 496 (500). 398 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt (2003), S. 67.

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

lich erheblichen Gründen. Dem Bundestag komme bei dieser Bewertung allerdings ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Nach Klein folgt ein Rückholrecht des Bundestages grundsätzlich und zwingend aus dem vom Bundesverfassungsgericht mehrfach unterstrichenen Charakter der Bundeswehr als einem „Parlamentsheer.399 Jedenfalls sei ein Rückholrecht nicht verfassungswidrig.400 Einem Widerruf aus beliebigem Grund stünden aber der Grundsatz der Verfassungsorgantreue, das Verbot des venire contra factum proprium und bestehende rechtliche Verpflichtungen wie völkerrechtliche Verträge entgegen.401 Ebenso tritt Baldus für ein limitiertes Rückholrecht ein.402 Eine Bindung des Bundestages entstehe etwa durch völkerrechtliche Verträge oder durch das Prinzip der Verfassungsorgantreue. Es sei aber sinnwidrig, die Bundeswehr als Parlamentsarmee zu betrachten, dann aber ein Rückholrecht zu verweigern. Ansonsten mutiere die Parlamentsarmee nach der parlamentarischen Zustimmung zu einer Kanzler- oder Regierungsarmee. Ein Parlament, das jedes Gesetz unter Beachtung der Rückwirkungsdogmatik wieder aufheben könne, müsse prinzipiell auch das Recht haben, Willensäußerungen zurückzunehmen, die in anderen Rechtsformen ergehen.403 Röben schließt aus Gründen des Inter-Organ-Respekts ein völlig freies Ermessen des Parlaments beim Widerruf einer erteilten Zustimmung aus.404 Erforderlich sei eine Änderung der Umstände, worunter aber auch Änderungen in der politischen Einschätzung des Einsatzes fielen. Schmidt-Radefeldt gesteht dem Bundestag die ungeschriebene verfassungsrechtliche Kompetenz zu, von der Bundesregierung die Rückholung eingesetzter Truppe zu verlangen.405 Er sieht dieses Recht im Grundsatz des „Parlamentsheeres“ und in den vergleichbaren Regelungen zum Verteidigungsfall begründet. Durch das Verfassungsstrukturprinzip der Organtreue verliere das Rückholrecht jedoch seinen absoluten Charakter und finde letztlich im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz seine Grenze – dies könne insbesondere bei laufenden Einsätzen im Rahmen von integrierten NATO-Streitkräften relevant werden, wenn ein Rückruf militärisch nicht praktikabel

399 Klein, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 93 (101). 400 Klein, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 2004, S. 30. 401 Klein, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 93 (102). 402 Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 2004, S. 32. 403 Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (88). 404 Röben, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 103 (106). 405 Schmidt-Radefeldt, Jura 2003, S. 201 (204).

17. Juni 17. Juni 17. Juni 17. Juni 17. Juni 17. Juni

II. Der Beschluss des Bundestages

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sei. Der Bundestag könne dann als ultima ratio der Regierung aber immer noch gem. Art. 67 Abs. 1 GG das Misstrauen aussprechen.406 Schröder zweifelt an der Rechtmäßigkeit eines allgemeinen, undifferenzierten Rückrufrechtes.407 Bei der Befugnis zur Entsendung deutscher Soldaten handele es sich um ein von Regierung und Parlament kooperativ auszuübendes Recht. Jede Seite müsse sich dabei auf die Bestandskraft der Maßnahmen der jeweils anderen Seite verlassen dürfen.408 Durch ein unbedingtes Rückholrecht des Bundestages würde aus dem kombinierten Recht ein alleiniges Recht der Legislative. Bei grundloser Rücknahme der Zustimmung würde zudem das Prinzip der Verfassungsorgantreue verletzt. Bei wesentlicher Änderung der Einsatzumstände könne der Bundestag seine Zustimmung allerdings jederzeit zurücknehmen.409 Lutze sieht durch ein allgemeines Rückholrecht das dem Parlament eigentlich nicht zustehende Initiativrecht berührt.410 Das Gericht habe ein Initiativrecht des Bundestages explizit ausgeschlossen und „die Entscheidung über (…) die Dauer der Einsätze“411 dem Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis der Bundesregierung zugesprochen. Nur die Bundesregierung habe über die Dauer des Einsatzes zu entscheiden – der Bundestag habe keine aktive, gestaltende Funktion, sondern eine kontrollierende. Der Grundsatz, dass der spätere Gesetzgeber die Freiheit haben müsse, Entscheidungen des vorherigen wieder aufzuheben, könne sich nur auf den Gesetzgeber der nachfolgenden Legislaturperiode beziehen. Eine Rückholbefugnis sei aber bei wesentlicher Änderung der Einsatzumstände zuzugestehen, wenn die Grundlage der parlamentarischen Zustimmung verlassen werde.412 b) Stellungnahme Zunächst bleibt festzustellen, dass sich das Bundesverfassungsgericht weder explizit noch implizit dazu geäußert hat, ob dem Bundestag ein allgemeines Rückholrecht zusteht oder nicht.413 Schon gar nicht schließt das Streitkräfte-Urteil ein Rückholrecht „ebenso eindeutig wie definitiv“414 aus. 406

Schmidt-Radefeldt, Jura 2003, S. 201 (204, Fn. 33). F. Schröder, NJW 2005, S. 1401 (1404). 408 F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 291 ff. 409 F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 293. 410 Lutze, DÖV 2003, S. 972 (978). 411 BVerfGE 90, 286 (389). 412 Lutze, DÖV 2003, S. 972 (979). 413 In diesem Sinne auch Klein, der als mitentscheidender Richter besonderen Einblick in die Urteilsfindung des Bundesverfassungsgerichts hatte, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 4. 414 So Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 115 (130). 407

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass der „Bundestag bei seiner Beschlussfassung an die mit seiner Zustimmung zustande gekommenen rechtlichen Festlegungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte gebunden“415 sei, begründet keine spätere Bindung an den Einsatzbeschluss selbst. Die Formulierung bezieht sich offenkundig auf eine Bindung beim Zustimmungsbeschluss und nicht auf danach liegende Entscheidungen. Der Formulierung kann nicht entnommen werden, dass der Bundestag bei späteren Entscheidungen nicht von einem früheren Zustimmungsbeschluss abweichen darf, beispielsweise durch Widerruf der Zustimmung. Das Bundesverfassungsgericht wollte vielmehr deutlich machen, dass auch das Parlament – ebenso wie die Bundesregierung – inhaltlich nicht völlig frei entscheiden kann, sondern an das geltende Recht gebunden ist. Hierunter fallen insbesondere völkerrechtliche Verträge wie beispielsweise militärische Beistandspakte. Ist die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich zu einer militärischen Beistandsleistung verpflichtet, so darf der Bundestag die Hilfe nicht verweigern, indem er einen entsprechenden Regierungsantrag ablehnt. Dies bedeutet aber nicht, dass der Bundestag einen solchen Einsatz nicht verweigern könnte.416 Möglicherweise wollte das Gericht auch auf die Bindung an ein vom Parlament später zu verabschiedendes Gesetz über die Parlamentsbeteiligung hinweisen. Die Festlegung des Bundesverfassungsgerichts, dass allein die Bundesregierung über „die Dauer des Einsatzes“417 zu entscheiden habe, ist so zu verstehen, dass der Bundestag die Bundesregierung nicht gegen ihren Willen zwingen kann, einen Einsatz fortzuführen – die Regierung kann einen Einsatz jederzeit auch gegen den Willen des Parlaments abbrechen. Die Formulierung erfolgte zur Konkretisierung des Initiativverbots und des Verbots, die Bundesregierung zu einem Auslandseinsatz zu verpflichten. Bei der Bemerkung zur „Dauer des Einsatzes“ geht es um die Verpflichtungssituation und nicht um den Abbruch des Einsatzes. Die Aussage kann in diesem Zusammenhang nicht auf ein Rückholrecht des Parlaments bezogen werden – über den erzwungenen Abbruch eines Auslandseinsatzes wurde nicht entschieden. Auch aus dem Umstand, dass das Gericht dem Parlament in denjenigen Fällen ein Rückholrecht zubilligt, in denen die Bundesregierung einen Einsatz wegen Gefahr im Verzug ohne Zustimmung des Bundestages begonnen hat,418 kann nicht geschlossen werden, dass in allen anderen Fällen kein Rückholrecht besteht. Über die Frage eines allgemeinen Rückholrechts hatte das Gericht schlichtweg nicht zu entscheiden und hat dies auch nicht getan. Bei dem vom Gericht zugebilligten Rückholrecht ging es substantiell um eine andere Frage. Hat das Parlament einem Einsatz wegen Gefahr im Verzug zunächst nicht zustimmen müssen, stellt die spätere Möglichkeit, zu dem Einsatz doch Nein zu sagen, nur die nachträgliche Geltendmachung des eigentlichen 415 416 417 418

BVerfGE 90, 286 (388). Zur Unterscheidung des „Dürfen“ und „Können“ des Bundestages vgl. 3. Teil, II. 4. c). BVerfGE 90, 286 (389). BVerfGE 90, 286 (388).

II. Der Beschluss des Bundestages

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Parlamentsvorbehalts dar. Auf einem anderen Blatt steht es, ob eine bereits erteilte Zustimmung widerrufen werden kann, ob der Parlamentsvorbehalt also nur einmalig ausgeübt werden darf oder während des gesamten Einsatzes. Das Gericht wollte keineswegs alle möglichen Fälle eines Rückholrechts abhandeln, sondern nur die verschiedenen Ausformungen des Parlamentsvorbehalts. Bei Gefahr im Verzug kann dieser eben nur nachträglich oder durch ein Rückholrecht verwirklicht werden. Das dem Parlament grundsätzlich nicht zustehende Initiativrecht stellt für die Annahme eines Rückholrechts eine höhere Hürde dar. Ein großer Teil der Literatur vertritt hier schlicht die Auffassung, dass der einseitige Rückruf eingesetzter Truppen eine Initiative im Sinne des AWACS-Urteils darstellen und damit unter das ausdrückliche Initiativverbot des Bundesverfassungsgerichts fallen würde.419 Tatsächlich handelt es sich hierbei um das Hauptargument, dass gegen ein Rückrufrecht vorgebracht wird. So einfach wie es scheint, ist die Rechtslage indes nicht. Es kann durchaus hinterfragt werden, ob der Widerruf der parlamentarischen Zustimmung überhaupt eine Initiative im Sinne des AWACS-Urteils darstellt und damit unzulässig ist. Wenn das Bundesverfassungsgericht im AWACS-Urteil nämlich vom Initiativrecht spricht, so ist damit stets die Initiative für einen Auslandseinsatz gemeint und nicht eine Initiative zum Rückruf der Truppen. Mit einem allgemeinen Revokationsrecht hat sich das Gericht wie oben erläutert nämlich nicht befasst. Ob das Initiativverbot auf einen Widerruf der Zustimmung übertragen werden kann, ergibt sich nicht zwingend und bedarf einer näheren Untersuchung. Handelt es sich bei einem Widerruf überhaupt um eine parlamentarische Initiative im rechtlichen Sinne oder stellt er nur ein nachträgliches Nein zur Initiative der Bundesregierung dar? Richtigerweise wird man den Rückruf oder besser den Antrag auf Widerruf der Zustimmung als Initiative des Parlaments betrachten müssen.420 Das formelle Zustimmungsverfahren des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist mit dem Zustimmungsbeschluss des Parlaments zunächst abgeschlossen. Erst durch eine neue Initiative kann ein neue Abstimmung erreicht werden. Ebenso wie ein Aufhebungsgesetz im normalen Gesetzgebungsverfahren eine Initiative braucht, gilt dies auch für die Aufhebung – also den Widerruf – des Zustimmungsbeschlusses. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass eine solche Initiative des Parlaments verfassungswidrig und nach dem AWACS-Urteil verboten ist. Eine Parallele zur verbotenen Initiative für einen Einsatz liegt zwar darin, dass das Parlament ohne Willen der Regierung tätig wird und diese gar zu einer bestimmten Handlungsweise zwingen könnte. Andererseits bestehen auch gravierende Unterschiede. Das ausschlaggebende Argument für das Initiativverbot bei der Einleitung eines Aus419

Vgl. etwa Lutze, DÖV 2003, S. 972 (978); Oeter, NZWehrr 2000, S. 89 (98); Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (147); Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 6 und Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 58 f. 420 In diesem Sinne auch Hummel, NZWehrr 2001, S. 221 (226), der dem Parlament ausdrücklich ein Initiativrecht zur Beendigung eines Auslandseinsatzes zugesteht. Anderer Auffassung ist wohl Wild, DÖV 2000, S. 622 (629 f.), der das Initiativrecht allein der Bundesregierung zuweist, dieses durch ein Rückholrecht aber nicht betroffen sieht.

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

landseinsatzes ist das Prinzip der Organadäquanz.421 Die Initiative für einen Einsatz ist eine rein exekutivische Angelegenheit, da nur die Regierung die Planungs- und Leitungsstrukturen besitzt, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Ganz anders verhält es sich jedoch bei der Entscheidung über den Rückruf der eingesetzten Truppen. Gilch bestreitet zwar, dass der Bundestag für einen Rückruf das funktionsgerechte Organ sei,422 dieser Ansatz ist aber schon in sich widersprüchlich. Der vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Parlamentsvorbehalt gesteht dem Bundestag die Kompetenz zu, zu einem von der Bundesregierung initiierten Auslandseinsatz Nein zu sagen – der Bundestag ist für diese Kontrolle das funktionsgerechte Organ. Warum sollte der Bundestag während des laufenden Einsatzes die Frage des „Ob“ plötzlich nicht mehr bewältigen können? Durch den Widerruf der Zustimmung wird die Planung und Leitung des Auslandseinsatzes als solche nicht betroffen. Die Frage, ob ein Bundeswehreinsatz abgebrochen wird, ist vornehmlich eine politische – der Bundestag ist hierfür genauso kompetent (im Sinne der Eignung) wie die Bundesregierung. Die Strukturen von Verteidigungsministerium und Bundeswehr sind für die Entscheidung nicht erforderlich. In den exekutiven Handlungsspielraum wird durch ein Rückholrecht nicht eingegriffen, da der Bundestag den Einsatz in gleicher Weise schon von Anfang an hätte verhindern können. Das vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochene Initiativverbot kann somit nicht auf ein Rückholrecht des Bundestages übertragen werden. Auch das Argument, durch ein Rückholrecht des Bundestages würde aus dem – von Regierung und Parlament kooperativ auszuübenden – Recht zur Auslandsentsendung deutscher Soldaten plötzlich ein alleiniges Recht des Bundestages,423 ist nicht überzeugend. In die gleiche Richtung stößt der Vorwurf, dass das Parlament durch ein Rückholrecht für die wichtigere Entscheidung, ob der Einsatz überhaupt begonnen werde, weniger Rechte habe als bei der Frage der Beendigung des Einsatzes.424 Zwar ist es richtig, dass der Bundestag bei einer Widerrufsmöglichkeit einen Auslandseinsatz einseitig ohne Beteiligung der Bundesregierung beenden kann. Das ist aber direkter Ausfluss des Parlamentsvorbehalts als solchem. Dieser sieht nun einmal vor, dass der Bundestag einen von der Regierung geplanten Auslandseinsatz einseitig verhindern kann. Es ist gerade Wesen des kooperativ auszuübenden Rechts, dass weder Regierung noch Parlament ohne den jeweils anderen Partner deutsche Soldaten im Ausland einsetzen können. Der Bundestag hat bei einer Rückholentscheidung nicht mehr Rechte als auch zu Beginn – er kann zu dem Einsatz schlichtweg Nein sagen. Das Argument, der Bundestag könne Deutschland durch eine Rückrufentscheidung außenpolitisch in eine schwierige Lage bringen, da internationale Partner auf 421

Siehe oben 3. Teil, II. 2. b) cc). Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 161. 423 So F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 292. 424 Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 161 f. 422

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eine deutsche Beteiligung an dem jeweiligen Einsatz vertrauten, wird der Stellung des Bundestages im deutschen Verfassungssystem nicht gerecht. Es kann nicht unterstellt werden, dass der Bundestag weniger verantwortungsvoll mit internationalen Verpflichtungen umginge als die Bundesregierung selbst. Aus einem fehlenden Verantwortungsbewusstsein des Bundestages gar ein Rückrufverbot ableiten zu wollen, würde den Bundestag zur „Quasselbude“ im Bismarckschen Sinne degradieren. Tatsächlich ist der Bundestag als einziges direkt vom Volk legitimierte Verfassungsorgan des Bundes in der Ordnung des Grundgesetzes das primäre Forum politischer Willensbildung.425 Dies bedeutet zwar nicht, dass der Bundestag im Sinne eines Gewaltenmonismus für alle Entscheidungen auf Bundesebene zuständig wäre – in wesentlichen Fragen, die für das Gemeinwesen von maßgebender Bedeutung sind, darf jedoch nicht am Parlament vorbei entschieden werden.426 Das Parlament ist damit für die Frage des Abbruchs eines Auslandseinsatzes ebenso geeignet wie die Regierung. Das Recht des Bundestages, frühere Gesetze ohne Einschränkung wieder aufzuheben, bedeutet anderseits auch nicht zwingend, dass auch die Einsatzgenehmigung bei Auslandseinsätzen widerrufen werden können muss.427 Der Vergleich hinkt insoweit, als der Bundestag bei Gesetzen sowohl für das erste Zustandekommen als auch für das Aufhebungsgesetz eindeutig ein Initiativrecht besitzt, Art. 76 Abs. 1 GG. Demgegenüber hat der Bundestag schon für den Zustimmungsantrag bei einem Auslandseinsatz kein Initiativrecht. Warum sollte der Bundestag aber dann den actus contrarius – also den Widerruf – ohne Mitwirkung der Bundesregierung veranlassen können? Auf europäischer Ebene, wo Initiativrecht (Kommission) und Beschlussrecht (Rat)428 in ähnlicher – wenn auch differenzierterer – Weise auseinanderfallen wie beim deutschen Parlamentsvorbehalt, kann der Rat auch nicht ohne Mitwirken der Kommission eine Verordnung oder Richtlinie einseitig aufheben.429 Es bedarf hierfür erneut einer Initiative der Kommission. Der Schluss von der parlamentarischen Aufhebungskompetenz bei Gesetzen auf die Widerrufskompetenz bei der Zustimmung zu einem Auslandseinsatz ist also alles andere als zwingend. Andererseits wäre es in der Tat bedenklich, wenn das Parlament – selbst nach einer neuen Bundestagswahl – keine Möglichkeit hätte, den Zustimmungsbeschluss eines früheren Bundestages aufzuheben. Kann es sein, dass ein Bundestagsbeschluss alle später zusammentretenden Abgeordneten bindet und diese keinen gegenteiligen Beschluss fällen kön425

Degenhart, Staatsrecht I, 16. A. , Rn. 460. Degenhart, Staatsrecht I, 16. A. , Rn. 66. 427 So etwa Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (88); Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt (2003), S. 67. 428 Vgl. Art. 250 Abs.1, 251 Abs.2, 252 a) EG. 429 Vgl. bspw. die Initiative der Kommission zur Aufhebung der Richtlinie 71/304/EWG: „Eine Richtlinie, die selbst nicht befristet worden ist, kann nur förmlich durch einen Rechtsakt aufgehoben werden.“ Der aufhebende Rechtsakt „beruht auf den gleichen Bestimmungen des EG-Vertrags wie die aufzuhebende Richtlinie und umgekehrt. Diese Rechtsgrundlagen erfordern eine Richtlinie.“ Für diese Richtlinie bedarf es einer Initiative der Kommission. 426

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nen? Dies widerspricht eigentlich dem Grundsatz, dass ein früherer Bundestag nicht mehr Rechte besitzt als ein späterer. Um eine Bindung im engeren Sinne geht es aber auch gar nicht – die Frage ist, ob ein neuer Bundestag überhaupt Gelegenheit hat, über die Frage abweichend zu entscheiden, ob es also zu einem neuen Antrag und damit Beschluss kommen kann. Verstünde man die parlamentarische Zustimmung als einmaligen Kontrollakt, der den Regierungsantrag auf seine Berechtigung prüft, so ließe sich mit einer Unabänderbarkeit der Zustimmung leben. Auch wenn der Bundestag einen völkerrechtlichen Vertrag einmal ratifiziert hat, entfaltet dieser für Deutschland fortan seine Wirkung – ein späterer Bundestagbeschluss kann die Ratifizierung und Bindung nicht rückgängig machen.430 Es zeigt sich also, dass nicht rückgängig zu machende Kontrollakte durchaus existieren. Die besseren Argumente sprechen indes dafür, die Zustimmung des Bundestages nicht als einmaligen Kontrollakt zu verstehen, sondern als eine während des gesamten Auslandseinsatzes vorzuliegende Voraussetzung. Der Vergleich zur Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge ist nicht ganz treffend, da es sich hierbei um Verträge handelt, die den Zweck verfolgen, eine verbindliche Regelung für die Parteien zu treffen. Es gilt der Grundsatz pacta sunt servanda. Die Zustimmung zu einem Auslandseinsatz stellt demgegenüber keinen Vertrag dar, der den Bundestag zugleich zur Aufrechterhaltung seiner Zustimmung verpflichtet. Der Bundestag verpflichtet sich nicht, den Einsatz auch in Zukunft zu erlauben, sondern erlaubt der Regierung lediglich, den Einsatz durchzuführen, ohne eine Aussage über spätere Entscheidungen zu treffen. Sinn der Zustimmung ist es nicht, eine endgültige Regelung zu schaffen, sondern eine Aufteilung der Machtbefugnisse. Das eigentliche Argument für eine Widerrufsbefugnis des Bundestages liegt aber in der grundgesetzlichen Stellung der Bundeswehr als „Parlamentsarmee“ begründet. Dieser Begriff ist in seiner Absolutheit zwar irreführend,431 er beschreibt aber dennoch zutreffend den Umstand, dass das Machtpotential der Bundeswehr nicht zur alleinigen Verfügung der Bundesregierung steht.432 Die Bundeswehr fügt sich als „Parlamentsheer“ in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung ein – dem Parlament muss rechtserheblicher Einfluss auf Aufbau und Verwendung der Streitkräfte gesichert werden.433 Nimmt man diese Verfassungsposition ernst, kann der konkrete Einfluss des Parlaments auf Verwendungen der Bundeswehr nicht mit der Zustimmung zu einem Auslandseinsatz enden. Die Frage, ob ein Einsatz der Bundeswehr durchgeführt wird, ist eine von Bundesregierung und Bundestag kooperativ zu fällende Entscheidung434 – die Regierung schlägt vor, der Bundestag muss zustim430 Rückgängig gemacht werden kann nur das Umsetzungsgesetz, das den Rechtsanwendungsbefehl für den deutschen Rechtraum enthält – hierdurch entfällt aber nicht die völkerrechtliche Verpflichtung. 431 Vgl. oben 3. Teil, II. 2. b) aa). 432 BVerfGE 90, 286 (382). 433 BVerfGE 90, 286 (382). 434 In diesem Sinne auch Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (89).

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men. Ebenso wie die Bundesregierung einen Einsatz jederzeit und ohne Zutun des Parlaments abbrechen kann, muss auch der Bundestag eine Beendigung erzwingen können – nur so bleibt der kooperative Charakter der Einsatzentscheidung gewahrt. Es widerspräche der Systematik des Parlamentsvorbehalts, das Machtpotential der Bundeswehr nach der Zustimmung des Bundestages allein der Exekutive zu überlassen und dem Parlament jeden direkten Zugriff zu verweigern.435 Die Entwicklung und politische Bedeutung eines Auslandseinsatzes lassen sich zu Beginn häufig nicht sicher einschätzen. Es handelt sich um dynamische Prozesse, die Veränderungen unterliegen. Der Bundestag kann seiner Kontrollfunktion nur dann gerecht werden, wenn er auf diese Veränderungen reagieren und seine Zustimmung notfalls gegen den Willen der Regierung widerrufen kann. Diese Kontrolle ist umso wichtiger, als die Leitung des Einsatzes – und damit die Frage des „Wie“ – im alleinigen Kompetenzbereich der Regierung liegt. Zuweilen wird eingewandt, die Rechte des Bundestages würden ausreichend dadurch gewahrt, dass er die Regierung durch ein Misstrauensvotum zum Einlenken zwingen könne.436 Hierdurch erhält der Bundestag allerdings keinen direkten Zugriff auf die Verwendung der Bundeswehr. Auch nach einem Misstrauensvotum bliebe das Parlament vom Wohlwollen der dann neuen Regierung abhängig, die den Auslandseinsatz beenden kann, aber nicht beenden muss. Mit dem Argument der Kontrolle über ein Misstrauensvotum könnte man zudem auch schon den Parlamentsvorbehalt als solchen in Frage stellen – das Bundesverfassungsgericht hat jedoch ausdrücklich für einen direkten parlamentarischen Zugriff bei Auslandseinsätzen entschieden. Auch der Vergleich zu ähnlichen Rückrufregelungen bei Verteidigungsfall und innerem Einsatz der Bundeswehr437 spricht für die Möglichkeit eines Widerrufs der parlamentarischen Zustimmung. Während die Feststellung des Verteidigungsfalls durch Bundestag und Bundesrat nur auf Antrag der Bundesregierung erfolgen kann, Art. 115a Abs. 1 GG, kann dessen Ende jederzeit ohne Regierungsinitiative erklärt werden. Auch bei einem inneren Einsatz der Bundeswehr – wenn Gefahr für den Bestand oder die freiheitlich demokratische Grundordnung des Bundes besteht, Art. 87a Abs. 4 GG – kann der Bundestag die Einstellung des Einsatzes verlangen.438 Gilch 435 Dies wird auch durch die im Parlamentsbeteiligungsgesetz verankerte Unterrichtungspflicht der Bundesregierung verdeutlicht, § 6 Abs. 1 ParlBetG. Sie bringt zum Ausdruck, dass sich die Verantwortung des Bundestages nicht in der Zustimmung erschöpft, sondern auch auf den Vollzug des Einsatzes erstreckt (Rau, AVR 2006, S. 93 [106 f.]). 436 Vgl. etwa Spies, Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligung bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland, in: Festschrift für Dieter Fleck, Krisensicherung und Humanitärer Schutz, S. 551 f. 437 Art. 115 l Abs.2 Satz 1 und Art. 87a Abs.4 Satz 2 GG. 438 Das Bundesverfassungsgericht versteht ebenso Art. 35 Abs. 3 Satz 2 GG als Hinweis auf eine umfassende parlamentarische Kontrolle des Streitkräfteeinsatzes (BVerfGE 90, 387). Nach dieser Norm sind Streitkräfte, bei Verwendung als Helfer im Rahmen einer bundeslandübergreifenden Katastrophe, jederzeit auf Verlangen des Bundesrates zurückzurufen. Mit dem Parlamentsvorbehalt oder einem parlamentarischen Rückrufrecht hat diese Regelung allerdings nichts zu tun. Einerseits ist der Bundesrat staatsrechtlich gesehen kein Parlament,

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

bemängelt zwar, dass das Grundgesetz bei anderen Einsatzarten gerade kein Rückrufrecht zugestehe.439 So fehle in den Fällen des Art. 87a Abs. 2 und 3 GG (Verteidigungseinsatz und Objektschutz) ein Hinweis auf eine Rückrufbefugnis des Bundestages. Im Rahmen der Katastrophenhilfe, Art. 35 Abs. 2 und 3 GG, könne zudem allenfalls der Bundesrat – und dieser auch nicht immer – das Ende einer Verwendung der Streitkräfte fordern. Gilch übersieht dabei allerdings, dass Art. 87a Abs. 2 GG allein den allgemeinen Verfassungsvorbehalt bei Bundeswehreinsätzen betrifft – die Frage, wem die Entscheidungskompetenz zufällt, wird nicht berührt.440 Art. 87a Abs. 3 GG sieht als Anwendungsvoraussetzung zudem den Verteidigungsoder Spannungsfall vor, sodass der Bundestag über Art. 115 l Abs. 2 und 80a Abs. 2 GG die Verwendung sehr wohl beenden kann. Die Katastrophenhilfe nach Art. 35 GG stellt keinen militärischen Einsatz der Bundeswehr dar, sodass die Verwendung schon gar nicht unter den Parlamentsvorbehalt fiele – ein Rückholrecht des Bundestages wäre damit sogar systemwidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat den von ihm festgestellten Parlamentsvorbehalt ausdrücklich gerade auch auf einen Vergleich zu den Regelungen des Verteidigungsfalls und des inneren Einsatzes gestützt.441 Es ist damit naheliegend, auch die Rückrufregelungen auf Auslandseinsätze der Bundeswehr zu übertragen. Das Widerrufsrecht des Bundestages ergibt sich damit zwingend aus der Verfassung selbst. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz positiviert in § 8 ParlBetG den einzigen verfassungsrechtlich möglichen Zustand. c) Einschränkungen der Rückholrechts Der Bundestag unterliegt bei der Ausübung des Rückholrechts auch keiner praktisch relevanten Einschränkung. Zum Teil wird ein Rückrufrecht nur bei einer grundlegenden Änderung der Einsatzumstände442 bejaht oder vertreten, dass es wegen des Grundsatzes der Organtreue eines besonderen Grundes443 seitens des Bundestages besondern Vertretung der Bundesländer. Zudem betrifft das Rückrufrecht des Bundesrates nur den Fall, dass die Bundesregierung die Katastrophenhilfe zwangsweise anordnet – fordert ein Bundesland die Hilfe der Streitkräfte freiwillig an, Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, sieht das Grundgesetz kein Rückrufrecht vor. Das Rückrufrecht besteht also nicht wegen einer Verwendung der Streitkräfte, sondern wegen des Eingriffs der Bundesregierung in eine Angelegenheit der Bundesländer. 439 Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 158 f. 440 „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt“; vgl. oben 3. Teil, I. 2. 441 BVerfGE 90, 286 (386 f.). 442 Vgl. etwa Lutze, DÖV 2003, S. 972 (979); F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 293; Pofalla, ZRP 2004, S. 221 (224); Nolte, ZaöRV 1994, S. 653 (681 ff.). 443 Vgl. F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 293; Pofalla, ZRP 2004, S. 221 (224); Wiefelspütz, NVwZ 2005, S. 496 (500); Schmidt-Radefeldt, Jura 2003, S. 201 (204).

II. Der Beschluss des Bundestages

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dürfe. Auch völkerrechtliche Verträge und sich daraus ergebende Verpflichtungen würden die Rückholbefugnis des Parlaments einschränken.444 Der Grundsatz der Organtreue verpflichtet die Verfassungsorgane zwar zur wechselseitigen Rücksichtnahme bei Ausübung ihrer Kompetenzen.445 Dies bedeutet aber nicht, dass der Bundestag sich stets nach der Auffassung der Bundesregierung richten müsste. Die Entscheidungskompetenz bei Auslandseinsätzen der Streitkräfte ist gerade zwischen Parlament und Regierung aufgeteilt; soll der Bundestag seiner Kontrollaufgabe – auch während eines laufenden Einsatzes – gerecht werden, muss er den Abbruch eines Auslandseinsatzes auch gegen den Widerstand der Bundesregierung durchsetzen können. Der Bundestag darf dabei zwar nicht willkürlich vorgehen oder die Bundesregierung in desavouierende Situationen bringen,446 eine weitere Beschränkung ergibt sich hieraus aber nicht. In der Praxis wird eine solche Begrenzung kaum zum Tragen kommen – sie stellt nur eine absolute Notbremse dar. Für einen berechtigten Widerruf der Zustimmung reicht es schon aus, dass das Parlament schlichtweg seine Meinung geändert hat. Die Entscheidung über den militärischen Einsatz deutscher Soldaten im Ausland ist gerade wegen der Nähe zur Beteiligung an einem Krieg447 für das Wohl der Bundesrepublik Deutschland von fundamentaler Bedeutung. Man muss dem Bundestag – als primärem Forum politischer Willensbildung und Kontrollinstanz für Auslandseinsätze – das Recht zugestehen, eine frühere Einsatzentscheidung zu revidieren; sei dies, weil sich die Einsatzumstände verändert haben, der Einsatz sich anders als erwartet entwickelt, die politische Stimmung in der Bevölkerung gegen den Einsatz umschlägt oder auch einfach nur, weil sich unter den Abgeordneten die Auffassung verdichtet, der Einsatz sei doch keine kluge Entscheidung gewesen. Der Bundestag muss Gelegenheit haben, eine falsche Einsatzentscheidung zu korrigieren, auch ohne dass sich die tatsächlichen Umstände geändert haben. Für eine solche Betrachtung spricht auch der Vergleich zur Regelung beim Verteidigungsfall, Art. 115 l Abs. 2 Satz 1 GG, wonach der Verteidigungsfall „jederzeit“ für beendet erklärt werden kann und dies eben nicht besonders begründet werden muss. Die Wichtigkeit der Entscheidung verbietet eine Einschränkung auf besondere Fälle. Auf der anderen Seite wird zum Teil vertreten, der Fall der grundlegenden Änderung der Einsatzumstände sei schon gar kein Fall des Rückholrechts, sondern führe aus sich heraus dazu, dass eine neue Legitimierung durch den Bundestag erforderlich sei.448 Bei grundlegender Änderung der Umstände sei der Einsatz nicht mehr vom Zustimmungsbeschluss des Bundestages gedeckt. Dies ist aber nicht überzeugend. So444 Pofalla, ZRP 2004, S. 221 (224); Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 58 f. 445 Degenhart, Staatsrecht I, 16. A., Rn. 484. 446 Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (89); vgl. auch Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht (2001), S. 299 ff., 369 ff. 447 So BVerfGE 108, 34 (43). 448 So Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 157 f.

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

wohl beim Völkerrechtsinstitut des fundamental change of circumstances449 als auch bei dem damit verwandten deutschen Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage450 ist die Folge einer wesentlichen Änderung der Umstände nicht, dass die Parteien automatisch von ihren Pflichten entbunden werden. Art. 62 der Wiener Vertragsrechtskonvention und § 311 BGB sehen für einen solchen Fall lediglich die Möglichkeit eines Rücktritts vom Vertrag vor. Auf den parlamentarischen Zustimmungsbeschluss bei Auslandseinsätzen übertragen, bedeutet dies, dass die Zustimmung des Bundestages bei einer Änderung der Einsatzumstände nicht automatisch erlischt, sondern der Bundestag von seinem allgemeinen Rückholrecht Gebrauch machen muss, wenn er eine Fortführung des Einsatzes unter den neuen Umständen nicht billigt. Hiervon zu unterscheiden ist die Situation, dass die Regierung auf neu eingetretene Umstände mit Mitteln reagieren möchte, die nicht vom Bundestagsbeschluss gedeckt sind. Hier ist klar, dass eine Abweichung von der parlamentarischen Zustimmung – sei es die Erweiterung des Einsatzgebietes, die Erhöhung der Truppenzahl oder die Änderung des Auftrages – nur bei neuer Befragung des Bundestages zulässig ist. Auch Gilch, der bei wesentlicher Änderung der Umstände einen neuen Bundestagsbeschluss für erforderlich hält, führt als Beispiel für wesentliche Änderungen die Truppenaufstockung und die Änderung des Einsatzzieles an.451 Tatsächlich handelt es sich hierbei natürlich nicht um eine Änderung der Einsatzumstände, sondern schlicht um eine Abweichung von der Zustimmung des Bundestages.452 Ob der Boden des Zustimmungsbeschlusses durch die Einsatzleitung der Bundesregierung verlassen wird, ergibt sich dabei aus dem Bundestagsbeschluss selbst. Wie bei einem Gesetz bedarf es hierfür einer Auslegung des Beschlusses. Schließlich können auch völkerrechtliche Verträge das Recht des Bundestages, seine Zustimmung zu widerrufen, nicht einschränken. Es ist zwischen der nach außen wirkenden völkerrechtlichen Verpflichtung und der innerstaatlichen Kompetenzverteilung zu unterscheiden. Während die erste Ebene bestimmt, wie Deutschland in völkerrechtlicher Hinsicht entscheiden muss, bestimmt die zweite Ebene, welches Organ die Entscheidung innerhalb der deutschen Verfassungsordnung trifft. Auf der einen Seite geht es um das völkerrechtliche „Dürfen“, auf der anderen Seite um

449 Die sogenannte clausula rebus sic stantibus, kodifiziert in Art. 62 der Wiener Vertragsrechtskonvention. 450 Kodifiziert in § 313 BGB. 451 Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 157, Rn. 612 unter Verweis auf Wild, DÖV 2000, S. 622 (629), der selbst aber nicht von einer Änderung der Einsatzumstände, sondern von „wesentliche Abweichungen“ vom Einsatzplan spricht. 452 Eine einfache „wesentliche Änderung“ der Einsatzumstände, die als solche keinen neuen Bundestagsbeschluss erfordert, wäre beispielsweise gegeben, wenn sich die Sicherheitslage deutscher Friedenstruppen durch die Einmischung einer dritten Partei deutlich verschlechtert. Hier muss der Bundestag bei gleichem Einsatzauftrag nicht erneut gefragt werden, er kann auf die neue Situation aber mit einem Rückruf reagieren.

II. Der Beschluss des Bundestages

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das staatsrechtliche „Können“.453 Eine völkerrechtliche Bindung Deutschlands bedeutet nicht, dass der Bundestag deutsche Truppen nicht zurückrufen könnte. Zwar ist Deutschland als Völkerrechtssubjekt verpflichtet, die eingegangenen Verträge einzuhalten – verstößt Deutschland gegen diese Pflicht, greifen aber lediglich die völkerrechtlichen Durchsetzungsmechanismen. Eine Entscheidung kann völkerrechtswidrig, aber innerstaatlich wirksam sein. Zwar ist eine solche Entscheidung aufgrund des Rechtsanwendungsbefehls des Zustimmungsgesetzes, Art. 59 Abs. 2 GG, auch innerstaatlich rechtswidrig – sie ist aber nicht gerichtlich überprüfbar, da sie nicht in Rechte anderer Staatsorgane oder Staatsbürger eingreift. Es existiert damit kein Klageverfahren, in dem die Rechtsverletzung mit der Folge geltend gemacht werden könnte, dass der Widerruf der Zustimmung unwirksam ist.454 Im Übrigen könnte sich auch die Bundesregierung – würde man dem Bundestag ein Widerrufsrecht verweigern – für die völkerrechtswidrige Beendigung des Einsatzes entscheiden, ohne dass sie innerstaatlich zu einer Fortführung gezwungen werden könnte. Aus dem Verstoß gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung kann man daher keine Rückschlüsse auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung oder eine Beschränkung des parlamentarischen Rückrufrechts ziehen. d) Beschlussfassung auf erneuten Antrag der Bundesregierung Keinen Fall des Widerrufs stellt die Situation dar, dass die Bundesregierung während eines laufenden Einsatzes eine erneute Befragung des Bundestages anstrebt, obwohl eine erneute Beschlussfassung eigentlich nicht erforderlich wäre. Dies ist bei unbefristeten Einsätzen denkbar, bei denen die Regierung beispielsweise wegen veränderter politischer Umstände eine neue Legitimierung durch das Parlament für opportun hält. Der Bundestagsbeschluss zur Fortführung des KFOR-Einsatzes im Jahr 2001 erfolgte so in einer Situation, in der die unbefristete Mandatierung aus dem Jahre 2000 noch Bestand hatte. Stellt die Regierung das noch gültige Mandat selbst zur Disposition, so ist sie an das Votum des Bundestages gebunden, auch wenn der Bundestag seine Zustimmung jetzt verweigert.455 Über den Einsatz wird ganz neu entschieden. Selbst wenn man ein allgemeines Rückholrecht des Bundestages verneinte, müsste der Einsatz nach der verweigerten Zustimmung beendet werden. Der Beschluss kam auf freiwillige Initiative der Bundesregierung zustande, so dass auch diese Meinung nicht von einem Eingriff in den Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis ausgehen kann. Diese Terminologie wird üblicherweise im Rahmen der Vertretung gebraucht, um zwischen Innen- und Außenverhältnis zu unterscheiden. Sie lässt sich vorliegend aber auch auf das Verhältnis von völkerrechtlicher Verpflichtung zu innerstaatlicher Kompetenz übertragen. 454 Es existiert kein Recht auf Auslandseinsatz der Bundeswehr, das beispielsweise in einem Organstreitverfahren geltend gemacht werden könnte. Insbesondere die Bundesregierung ist nicht in ihren Rechten verletzt, wenn der Bundestag einen von ihr geplanten Auslandseinsatz völkerrechtswidrig ablehnt – das Grundgesetz sieht nämlich gerade eine Aufteilung der Einsatzkompetenz vor. Zur Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle vgl. unten 4. Teil, II. 2. 455 Vgl. Hummel, NZWehrr 2001, S. 221 (225) und Lutze, DÖV 2003, S. 972 (979). 453

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

e) Rechtsfolgen des Rückrufs Die Konsequenz eines Truppenrückrufs seitens des Bundestages liegt darin, dass die Bundesregierung verpflichtet ist, den Auslandseinsatz zu beenden. Tatsächlich geht es gar nicht um einen Rückruf durch den Bundestag456 – das Parlamentsbeteiligungsgesetz formuliert zutreffend, dass das Parlament seine Zustimmung lediglich widerrufen kann. Mit dem Widerruf entfällt die vorherige Legitimierung des Auslandseinsatzes, so dass die Regierung, wenn sie den Einsatz nicht beendet, unter Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt und damit das Grundgesetz handelt. Nicht der Bundestag selbst holt die eingesetzten Truppen zurück, er entzieht der Regierung nur die rechtliche Grundlage für den weiteren Einsatz. Der Widerruf wirkt dabei nur ex nunc – für die Zeit vor dem Rückruf bleibt der vorherige Zustimmungsbeschluss als Rechtsgrundlage für den Auslandseinsatz bestehen. Der Einsatz ist damit nicht von Beginn an rechtswidrig, sondern wird es erst mit dem Widerrufsbeschluss des Bundestages. Zudem ist der Bundesregierung eine angemessene Frist zuzugestehen, um den Rückzug durchzuführen. Dies ist einerseits dem Umstand geschuldet, dass ein sofortiger Abbruch des Einsatzes häufig nicht möglich sein wird, sondern eines gewissen logistischen Aufwands bedarf. Zudem liegt die Entscheidung über die Modalitäten des Einsatzes sowie die notwendige Koordination in und mit Organen internationaler Organisationen allein bei der Bundesregierung.457 Dies gilt auch für die Frage, wie die Beendigung des Einsatzes durchzuführen ist. Der Bundestag kann nur vorschreiben, dass der Einsatz zu beenden ist, nicht aber wie. Unter das „Wie“ der Beendigung fällt insbesondere die genaue Organisation und der genaue Zeitplan der Rückführung der Truppen. Selbst eine kurzfristige Verzögerung zur Koordinierung des Rückzugs mit den Bündnispartnern ist dem Parlament noch zuzumuten. Die Bundesregierung darf nach dem Widerruf der Zustimmung allerdings auch keine Maßnahmen vornehmen, die der Beendigung des Einsatzes zuwiderlaufen oder widersprechen. Reine Verteidigungsmaßnahmen bleiben den Truppen bis zum endgültigen Abzug aber erlaubt. Die Regierung muss unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern – für den Rückzug der Truppen sorgen. Erst nach Ablauf einer angemessenen – der jeweiligen Situation angepassten – Frist ist der Verbleib der Truppen im Ausland als rechtswidrig und als Verstoß gegen Parlamentsvorbehalt und Grundgesetz zu werten. 5. Nachträgliche Zustimmung bei eil- und geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seinem AWACS-Urteil festgestellt, dass die vorherige Beteiligung des Bundestages nicht in jedem Fall erforderlich ist:

456 457

So aber die gesetzliche Überschrift zu § 8 ParlBetG. BVerfGE 90, 286 (389).

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„Die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Bundestages bei konkreten Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte darf die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigen. Deshalb ist die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug berechtigt, vorläufig den Einsatz von Streitkräften zu beschließen und an entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen oder internationalen Organisationen ohne vorherige Einzelermächtigung durch das Parlament mitzuwirken und diese vorläufig zu vollziehen. Die Bundesregierung muss jedoch in jedem Fall das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen. Die Streitkräfte sind zurückzurufen, wenn es der Bundestag verlangt.“458

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz regelt die nachträgliche Zustimmung durch den Bundestag in § 5: „(1) Einsätze bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden, bedürfen keiner vorherigen Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen, solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde. (2) Der Bundestag ist vor Beginn und während des Einsatzes in geeigneter Weise zu informieren. (3) Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist unverzüglich nachzuholen. Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz zu beenden.“

Besonders eilbedürftige Einsätze oder solche, die der Geheimhaltung bedürfen, um die Rettung von Menschen nicht zu gefährden, benötigen demnach keine vorherige Zustimmung des Bundestages. Es genügt, den Bundestag vor dem Einsatz zu informieren und die Zustimmung unverzüglich nachzuholen. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz geht dabei über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinaus, das sich zu geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen selbst nicht ausdrücklich geäußert hat. Seit dem AWACS-Urteil hat die Bundesregierung nur in zwei Fällen eine Notentscheidung getroffen und den Bundestag erst nachträglich um seine Zustimmung gebeten. Die erste Situation betraf die Operation Libelle im Jahre 1997, in deren Rahmen deutsche Staatsbürger aus der krisengeschüttelten albanischen Hauptstadt Tirana evakuiert wurden.459 Im zweiten Fall stockte die Bundesregierung 2002 das ISAFKontingent in Afghanistan kurzfristig auf, um der sich verschärfenden Sicherheitslage gerecht zu werden.460 Beide Eilentscheidungen wurden vom Bundestag nachträglich gebilligt. a) Gefahr im Verzug Es wird in der Literatur nicht angezweifelt, dass die Bundesregierung461 bei Gefahr im Verzug die Streitkräfte vorläufig auch ohne Zustimmung des Bundestages im Aus458 459

BVerfGE 90, 286 (388). Vgl. zur Operation Libelle oben 3. Teil, II. 2. a), 3. Teil, II. 5. a) bb) und BT-Drs. 13/

7233. 460 461

Vgl. BT-Drs. 14/9246. Zur regierungsinternen Entscheidung bei Gefahr im Verzug, vgl. 3. Teil, II. 2. a).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

land einsetzen darf.462 Nur auf diesem Wege kann die Wehr- und Bündnisfähigkeit, also insgesamt die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland bewahrt werden. Der Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis umfasst zwingend auch die Befugnis, Eilentscheidungen zu treffen.463 Trotz des grundsätzlich konstitutiven Parlamentsvorbehalts ist die Regelung im Parlamentsbeteiligungsgesetz damit verfassungsgemäß. aa) Begriff Voraussetzung für den Verzicht einer vorherigen Zustimmung des Bundestages ist das Vorliegen von „Gefahr im Verzug“. Was ist hierunter zu verstehen? Das Bundesverfassungsgericht knüpft offenkundig an den polizeirechtlichen Gefahrenbegriff an.464 Im allgemeinen Polizeirecht bezeichnet der Terminus „Gefahr im Verzug“ eine Sachlage, bei der ein rechtzeitiges Einschreiten des sachlich zuständigen Aufgabenträgers zur Gefahrenabwehr objektiv nicht möglich ist und ohne sofortiges Einschreiten einer eigentlich unzuständigen Stelle der drohende Schaden einträte.465 Das Rechtsinstitut legitimiert ausnahmsweise ein Tätigwerden, wenn der reguläre Kompetenzträger nicht rechtzeitig eingeschaltet werden kann.466 Auf den Parlamentsvorbehalt übertragen bedeutet dies, dass die Regierung immer dann vorläufig ohne den Bundestag entscheiden darf, wenn eine Befassung des Bundestages den Erfolg eines Einsatzes in zeitlicher Hinsicht (!) verhindern würde. Die Dauer des Zustimmungsverfahrens muss dem sofortigen Handlungsgebot entgegenstehen. Der Begriff „Gefahr im Verzug“ impliziert, dass eine Gefahr – also ein drohender Schadenseintritt – für ein zu schützendes Rechtsgut vorliegen muss. Hierunter fallen alle Rechtsgüter, die den Einsatz der Streitkräfte materiell rechtfertigen können, für deren Schutz die Rechtsordnung also militärische Mittel vorsieht.467 Dies gilt insbesondere für die In462

Lutze, DÖV 2003, S. 972 (977); Pofalla, ZRP 2004, S. 221 (223); F. Schröder, NJW 2005, S. 1401 (1403); Burkiczak, ZRP 2003, S. 82 (85); Biermann, ZParl 2004, S. 607 (622); Dau, NZWehrr 1994, S. 177 (183); Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (146); Wiefelspütz, NVwZ 2005, S. 496 (499); Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr 2002, S. 59 ff.; Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (77); Röben, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 103 (105); Schmidt-Jortzig, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 107 (111); Scholz, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 115 (124 ff.). 463 So wohl auch Schmidt-Jortzig, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 107 (111). 464 Pofalla, ZRP 2004, S. 221 (223). 465 Tettinger, Besonderes Verwaltungsrecht 1, 5. A., Rn. 318 mit Verweis auf: Drews/ Wacke/Vogel/ Martens, Gefahrenabwehr, 9. A., S. 118 f., 127. 466 Tettinger, Besonderes Verwaltungsrecht 1, 5. A., Rn. 318. In diesem Sinne auch das Bundesverfassungsgericht zu Wohnungsdurchsuchungen ohne richterliche Genehmigung, BVerfGE 51, 97 (111). 467 So auch Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (81).

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tegrität des NATO-Bündnisgebiets, die Wahrung des internationalen Friedens aufgrund von VN-Sicherheitsratsbeschlüssen468 oder etwa den Schutz der körperlichen Integrität von Personen durch Evakuierungsmaßnahmen.469 Eine darüber hinausgehende gesteigerte Gefahr – etwa in der Hinsicht, dass das Leben von Menschen akut gefährdet sein muss – ist für die Anwendung der Regeln über Gefahr im Verzug nicht erforderlich. Klein und Pofalla fordern zwar eine erhebliche Gefahr, die sich auf ein besonders wichtiges Rechtsgut beziehen müsse.470 Dem kann allerdings so nicht zugestimmt werden. Eine Eilzuständigkeit bei Gefahr im Verzug stellt keine höhere Anforderung an die Form der Gefahr oder die Qualität des zu schützenden Rechtsguts als bei der Regelzuständigkeit selbst.471 Immer dann, wenn Deutschland Streitkräfte im Ausland materiell-rechtlich einsetzen darf, kann die Bundesregierung bei besonderer Eilbedürftigkeit auch vorläufige Maßnahmen treffen. Nicht zu verwechseln ist die Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut mit einer Gefahr für die Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Die Bewahrung der Wehr- und Bündnisfähigkeit ist der Grund für die Eilentscheidungskompetenz der Bundesregierung, wenn Rechtsgüter akut bedroht sind, und nicht zu schützendes Rechtsgut selbst.472 Wann aber ist ein Einsatz konkret eilbedürftig? Wann würde eine Befassung des Bundestages den Einsatzerfolg gefährden? Es bedarf hierfür einer Prognoseentscheidung der Bundesregierung – sie muss anhand objektiver Kriterien abwägen, ob bei weiterem Abwarten das Ziel des Einsatzes wahrscheinlich nicht mehr erreicht werden kann. Die eigentliche Frage ist jedoch, wie wahrscheinlich ein Scheitern des Einsatzziels (wegen Durchführung der Parlamentsbefragung) sein muss, um eine Eilentscheidung der Regierung zu rechtfertigen. Mit der Annahme von Gefahr in Verzug ist jedenfalls Vorsicht geboten. Je früher ein Auslandseinsatz begonnen wird, umso besser wird er in der Regel sein Ziel erreichen. Dies gilt sowohl bei Verteidigungsmaßnahmen als auch bei Blauhelm-Missionen, durch die etwa friedliche Verhältnisse in einer Region hergestellt werden sollen. Je schneller man handelt, umso eher können die gefährdeten Rechtsgüter geschützt werden. Aus dieser effizienteren Erreichung des Ziels stets das Vorliegen von Gefahr im Verzug ableiten zu wollen, hieße aber, den konstitutiven Parlamentsvorbehalt auf einen Ausnahmefall für Situationen zu reduzieren, in denen Zeit wirklich keine Rolle spielt. Der verfassungsgerichtlichen Vor468 Zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit kann der VN-Sicherheitsrat Maßnahmen nach Kapitel VII der VN-Charta beschließen. Hierunter fällt etwa die peace-keeping Mission im Kosovo, die aufgrund der Resolution 1244 vom 10.06.99 durch die KFOR (Kosovo Force) durchgeführt wird. 469 Wie bei der Operation Libelle, vgl. 3. Teil, II. 2. a). 470 Klein, in: FS für Schmitt Glaeser, S. 245 (262); Pofalla, ZRP 2004, S. 221 (223). 471 So z. B. auch bei § 105 StPO: „Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten angeordnet werden“. Die Eilzuständigkeit greift immer dann, wenn der Richter die Anordnung erlassen dürfte, er aber nicht erreichbar ist. In materieller Hinsicht bestehen keine höheren Anforderungen als bei einer Anordnung des Richters. 472 A.A. wohl Hermsdörfer, Einsatz bewaffneter Streitkräfte vor Zustimmung des Deutschen Bundestages, UBWV 2003, S. 404 (408).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

gabe einer konstitutiven Parlamentszustimmung würde man damit nicht gerecht. Regel- und Ausnahmefall würden umgekehrt. Es müssen besondere – also nicht regelmäßige – Gründe für ein sofortiges Handeln der Regierung vorliegen. Die Vereitelung des Einsatzziels muss praktisch wahrscheinlich und nicht nur theoretisch möglich sein. Als Leitfaden bietet sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Vorliegen von „Gefahr im Verzug“ bei Wohnungsdurchsuchungen an (Leitsätze):473 „1. a) Der Begriff ,Gefahr im Verzug in Art. 13 Abs. 2 GG ist eng auszulegen; die richterliche Anordnung einer Durchsuchung ist die Regel, die nichtrichterliche die Ausnahme. b) ,Gefahr im Verzug muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus. 2. Gerichte und Strafverfolgungsbehörden haben im Rahmen des Möglichen tatsächliche und rechtliche Vorkehrungen zu treffen, damit die in der Verfassung vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters auch in der Masse der Alltagsfälle gewahrt bleibt. (…)“

Diese Rechtsprechung ist zwar auf die Verwirklichung des Richtervorbehalts bei Wohnungsdurchsuchungen bezogen, sie kann aber grundsätzlich auch auf den Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen übertragen werden.474 Neben dem übereinstimmenden Begriff der „Gefahr im Verzug“ bezwecken auch beide Vorbehalte die Überprüfung einer schwerwiegenden exekutivischen Entscheidung. Art. 13 Abs. 2 GG betrifft einen schweren Grundrechtseingriff, während es beim Parlamentsvorbehalt um die Beteiligung an einem militärischen Auslandseinsatz geht, der wiederum erhebliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung der eingesetzten Soldaten und der im Einsatzgebiet betroffenen Personen hat. Anders als bei der Frage, ob ein Rechtsgut grundsätzlich die Regelungen über Gefahr im Verzug auslösen kann475, kommt es bei der Frage, ab welcher Schadens-Wahrscheinlichkeit (bei weiterem Abwarten) ein sofortiges Eingreifen gerechtfertigt ist, auch auf die Qualität des Rechtsgutes an. Je höherwertig das zu schützende Rechtsgut ist, umso geringer darf die Wahrscheinlichkeit sein, dass die Durchführung des Zustimmungsverfahrens das Einsatzziel vereitelt – bei geringwertigen Rechtsgütern benötigt man entsprechend eine hohe Wahrscheinlichkeit bis hin zur Gewissheit. Geht es um die Rettung von Menschenleben, können andere Maßstäbe angesetzt werden, als wenn nur die Integrität des Bündnisgebiets betroffen ist, ohne dass es zu Kampf473

BVerfGE 103, 142. In diesem Sinne auch Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 62; Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (81) zweifelt zwar an der Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf den Parlamentsvorbehalt. Er behauptet aber auch nicht das Gegenteil. 475 Hierfür ist jedes Rechtsgut geeignet, das militärisch geschützt werden darf, s. o. 3. Teil, II. 5. a) aa). 474

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handlungen kommt.476 Auf der anderen Seite darf auch der Zeitfaktor nicht überschätzt werden. Der Bundestag kann zwar schon allein aufgrund seiner Größe nicht so schnell arbeiten wie die Bundesregierung. Der Zeitraum zwischen einem Antrag der Bundesregierung und dem Parlamentsbeschluss lag bisher aber erstaunlicherweise nur zwischen einem (also Beschlussfassung am Tag des Antrags) und vier Tagen.477 Nur wenn die Verzögerung weniger Tage für das Einsatzziel entscheidend ist, darf ein Einsatz zunächst ohne den Bundestag veranlasst werden. Kann der Bundestag – etwa in einer Sitzungswoche – besonders schnell zusammentreten, ist auch dies bei der Prognose zu berücksichtigen. Darf sich die Bundesregierung auch dann auf Gefahr im Verzug berufen, wenn sie die eilbedürftige Situation erst durch eigenes Abwarten geschaffen hat? Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu im Rahmen von Gefahr im Verzug bei Wohnungsdurchsuchungen aus:478 „Gefahr im Verzug kann im Rechtssinne auch nicht dadurch entstehen, dass die Strafverfolgungsbehörden ihre tatsächlichen Voraussetzungen selbst herbeiführen. Sie dürfen nicht so lange mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter zuwarten, bis die Gefahr eines Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten ist, und damit die von Verfassungs wegen vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen.“

Klar ist jedenfalls, dass die Bundesregierung einen Zustimmungsantrag nicht absichtlich verzögern darf, um eine Eilentscheidung ohne vorherige Zustimmung des Bundestages treffen zu dürfen.479 Hierdurch würde der konstitutive Parlamentsvorbehalt ausgehebelt. Andererseits liegt es grundsätzlich im Aufgabenbereich der Bundesregierung zu entscheiden, wann konkrete Planungen für einen Auslandseinsatz aufgenommen werden und wann das Zustimmungsverfahren eingeleitet wird. Der Bundesregierung steht insoweit ein Ermessenspielraum zu. Hierfür sind auch außenpolitische Einschätzungen relevant. So kann eine mögliche Krise in einem anderen Staat schon im Voraus erkennbar sein – etwa aufgrund einer an einem bestimmten Termin stattfindenden, umkämpften Parlamentswahl –, ohne dass die Bundesregierung die Lage verschärfen möchte, indem sie vorab die Dislozierung deutscher Truppen zur möglichen Evakuierung deutscher Staatsbürger beantragt. Zwar kann die Bundesregierung deutsche Truppen zur Evakuierung vorab in Stellung bringen, da eine solche Vorbereitungsmaßnahme in der Regel keinen zustimmungspflichtigen Einsatz darstellt.480 Im Fall einer Eskalation bleibt für das parlamentarische Zustimmungsverfahren aber möglicherweise keine Zeit mehr, obwohl der Regierung die Gefahr schon lange bekannt war. Eine Eilentscheidung ist in einem solchen Fall rechtEtwa bei reinen Überflügen fremder Flugzeuge über das Bündnisgebiet. So MdB Bartels, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, S. 11. 478 BVerfGE 103, 142 (155). 479 So auch Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 62 unter Verweis auf BVerfGE 103, 142 (155). 480 Vgl. oben 3. Teil, I. 7. 476 477

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

mäßig, wenn sich die Verzögerung des Zustimmungsantrages nicht als rechtsmissbräuchlich darstellt, die Regierung ihr Ermessen zur Einleitung des Zustimmungsverfahrens also fehlerfrei ausgeübt hat. In das Ermessen ist neben den Gründen für ein Abwarten insbesondere auch der Gesichtspunkt einzustellen, dass grundsätzlich eine konstitutive Zustimmung des Bundestages erforderlich ist und Eilentscheidungen eine Ausnahme bleiben sollen. bb) Folgen Die Entscheidung über einen Einsatz bei Gefahr im Verzug ist nur vorläufiger Natur. Die Bundesregierung handelt alleine, ohne die Zustimmung des eigentlich zuständigen Bundestages einzuholen. Diesem ist von der Bundesregierung daher unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern – Gelegenheit zu geben, seine Entscheidung nachzuholen. Dies geschieht im Rahmen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes auf zwei verschiedene Weisen. Einerseits ist der Bundestag noch vor Durchführung des Einsatzes in geeigneter Weise zu informieren, § 5 Abs. 2 ParlBetG. Sinnvoll ist hier – wie bei der Operation Libelle geschehen481 – eine Benachrichtigung der Fraktionsvorsitzenden und der Vorsitzenden und Obleute des Verteidigungs- und des Auswärtigen Ausschusses. Zum anderen muss das parlamentarische Zustimmungsverfahren schnellstmöglich nachträglich durchgeführt werden, § 5 Abs. 3 ParlBetG. Die vorherige Information des Bundestages ist als eine reine Benachrichtigung zu verstehen. Rein rechtlich ist weder eine Zustimmung der benachrichtigen Abgeordneten zu dem Einsatz erforderlich, noch muss ihnen Gelegenheit gegeben werden, ihre Einschätzung der Lage darzustellen. Praktisch gesehen werden die Parlamentarier jedoch gehört – bei der Operation Libelle haben die informierten Abgeordneten dem Einsatz sogar vorab zugestimmt. Der Sinn der vorherigen Information liegt nicht nur darin zu verhindern, dass die Regierung heimlich am Bundestag vorbei Truppen im Ausland einsetzt, sondern auch darin, dass der Bundestag schon in der Entscheidungsphase des Einsatzes politischen Einfluss auf die Regierung nehmen kann. Zudem wird der Bundestag erst durch das Wissen um den Einsatz in die Lage versetzt, schnellstmöglich einen Abbruch zu veranlassen, wenn er ihn inhaltlich nicht mitträgt. Solange die Regierung keinen Zustimmungsantrag gestellt hat, ist wegen des fehlenden Initiativrechts des Parlaments zwar eigentlich keine Abstimmung im Bundestag möglich. Auch das Rückholrecht, das gemäß § 8 ParlBetG nur einen Widerruf der Zustimmung darstellt, ist im Fall einer noch gar nicht vorliegenden Zustimmung nicht anwendbar. Dennoch wird man dem Bundestag – bei einem rechtmäßig ohne seine Zustimmung begonnenen Einsatz – über das Parlamentsbeteiligungsgesetz hinaus ein echtes Rückholrecht zugestehen müssen, solange die Regierung noch nicht nachträglich um Zustimmung gebeten hat.482 Der verfassungsrechtlich gebotene Parlamentsvorbehalt verbietet bewaffnete Auslandseinsätze gegen den Willen des Bun481 482

Vgl. unten 3. Teil, II. 2. a). Nach dem Zustimmungsantrag kann der Bundestag diesen einfach ablehnen.

II. Der Beschluss des Bundestages

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destages – die Regeln über Gefahr im Verzug sollen nur eine vorläufige Regelung gestatten, bis der Bundestag selbst einen Beschluss fassen kann. Beschließt der Bundestag aufgrund der ihm nach § 5 Abs. 2 ParlBetG mitgeteilten Informationen einen Rückruf der Truppen, ist die Regierung hieran gebunden.483 Ein Beschluss des Bundestages zeigt, dass spätestens ab diesem Zeitpunkt kein Fall der Gefahr im Verzug mehr vorliegt. Zugegebenermaßen ist der Fall eines Rückrufs vor Stellung des Regierungsantrages eher unwahrscheinlich. Denn die Bundesregierung muss unverzüglich das Zustimmungsverfahren einleiten. Die Frage, in welcher Zeit der Bundestag über einen Antrag entscheiden kann, ist hierfür völlig unbeachtlich – der Antrag ist so schnell wie möglich zu stellen. Die erlaubte Verzögerung bei der Stellung des Antrages bestimmt sich allein aus der Vorbereitungsdauer des Antrages selbst. Die Bundesregierung ist befähigt, einen Antrag binnen weniger Stunden zu formulieren. Die wesentlichen Angaben sind durch die tatsächliche Durchführung des Einsatzes schon vorweggenommen, so dass es insoweit keines größeren Planungsaufwands bedarf. Selbst wenn der Einsatz bei Gefahr im Verzug nur den Beginn eines längeren Engagements darstellt, kann sich der Antrag zunächst auf den tatsächlich durchgeführten Einsatz beschränken. Längerfristige Planungen können in einem späteren Antrag nachgeholt werden. Bei der Evakuierung deutscher Staatsbürger aus der albanischen Hauptstadt Tirana am 14. 03. 1997 beantragte die Bundesregierung allerdings erst am 18. 03. 1997, also vier Tage später, die nachträgliche Zustimmung des Bundestages.484 Dies ist nach den beschriebenen Maßstäben eindeutig zu spät. Zwar ist zuzugestehen, dass der Einsatz nur wenige Stunden dauerte, die Parlamentsbefragung also einen erledigten Einsatz betraf. Auch erledigte Einsätze müssen dem Bundestag aber unverzüglich zur Abstimmung vorgelegt werden.485 Der Beschluss hat dann zwar allein eine politische Funktion – es geht nur noch um die Billigung oder Nicht-Billigung des Einsatzes, ohne dass dies rechtliche Konsequenzen hätte. Eine zeitnahe, unverzügliche Einleitung des Zustimmungsverfahrens ist aber erforderlich, um eine effektive politische Kontrolle der Regierung durch den Bundestag zu ermöglichen. Die Regierung wird dadurch bei Eilentscheidungen angehalten, auf die voraussichtliche Meinungsbildung im Bundestag Rücksicht zu nehmen. Es ist wesentlicher Teil des Kontrollmechanismus, dass der Regierung bewusst ist, dass sie sich später dem Votum des Parlaments stellen muss – auch wenn der Einsatz bis dahin schon erledigt ist.486 Es ist auch denkbar, dass ein Einsatz bei Gefahr im Verzug tatsächlich erst nach Stellung des Zustimmungsantrages, aber vor Beschlussfassung des Bundestages ein483

Hiervon geht wohl auch das Bundesverfassungsgericht aus, BVerfGE 90, 286 (388). Vgl. BT-Drs. 13/7233. 485 Zweifel haben hier Genrich, JuS 1999, S. 207 und Kreß, ZaöRV 1997, S. 329 (356). 486 In diesem Sinne auch F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 280; Lutze, DÖV 2003, S. 972 (978) und Dau, NZWehrr 1998, S. 89 (99); zweifelnd: Kreß, ZaöRV 1997, S. 329 (356) und Genrich, JuS 1999, S. 207. 484

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

geleitet wird. Die eigentliche Zeitverzögerung entsteht hier durch den Verfahrensablauf im Bundestag und nicht durch die Antragsstellung. Dass genügend Zeit für den Regierungsantrag verbleibt, steht der Annahme von Gefahr im Verzug also nicht entgegen, wenn die Fassung des Parlamentsbeschlusses zu lange dauern würde. In diesem Zusammenhang kann es auch vorkommen, dass sich die Eilbedürftigkeit erst nach Antragsstellung ergibt oder dass der Bundestag länger als erwartet für seine Beschlussfassung benötigt. Auch wenn von der Regierung zunächst kein Einsatz wegen Gefahr im Verzug angestrebt wurde, ist während des laufenden Zustimmungsverfahrens eine Eilentscheidung der Regierung jederzeit möglich. Der Bundestag hat es dann seinerseits in der Hand, den Regierungsantrag möglichst schnell zu bearbeiten. Der nachträgliche Bundestagsbeschluss hat keinen direkten Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des bisherigen Auslandseinsatzes. Unabhängig vom späteren Votum des Bundestages ist ein sofortiger Streitkräfteeinsatz (in Bezug auf den Parlamentsvorbehalt) rechtmäßig, wenn die Vorschriften über Gefahr im Verzug eingehalten wurden. Auch wenn der Bundestag dem Einsatz nachträglich nicht zustimmt, bleibt der Einsatz bis zur Abstimmung rechtmäßig.487 Die Regierung ist nach einem ablehnenden Bundestagsbeschluss verpflichtet, den Einsatz unverzüglich abzubrechen.488 Erst wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommt, handelt sie rechtswidrig und unter Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt. cc) Rechtsschutz Wie kann sich der Bundestag gegen eine Eilentscheidung der Bundesregierung wehren, wenn die Voraussetzungen für eine Entscheidung aufgrund Gefahr im Verzug nicht vorgelegen haben? Die nachträgliche Zustimmung oder deren Verweigerung ist in einem solchen Fall nicht allein geeignet, die Rechte des Bundestages zu sichern. Einerseits ist mit der Ablehnung eines Zustimmungsantrages nicht die Feststellung verbunden, dass keine Gefahr im Verzug vorgelegen hat und der Einsatz ohne parlamentarische Zustimmung damit rechtswidrig war. Zum anderen kann der Bundestag einen – möglicherweise noch laufenden – Einsatz durchaus inhaltlich mittragen, zugleich aber die Entscheidung der Regierung, zunächst ohne parlamentarische Beteiligung zu handeln, missbilligen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Ent487 Spies, Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligung bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland, in: Festschrift für Dieter Fleck, Krisensicherung und Humanitärer Schutz, S. 531 (550); Dau, NZWehrr 1998, S. 89 (99). A.A. wohl F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 281, der einen im Organstreitverfahren feststellbaren Rechtsbruch der Bundesregierung annimmt, der aber ohne konkrete juristische Konsequenz bliebe. Damit weicht Schröder allerdings ohne nähere Begründung vom anerkannten und übertragbaren polizeirechtlichen Grundsatz ab, dass die Rechtmäßigkeit einer Eilentscheidung nicht von der späteren Entscheidung des eigentlichen Kompetenzträgers abhängt, da Gefahr im Verzug eine eigenen Notkompetenz begründet, vgl. etwa Reichert/Ruder/Fröhler, Polizeirecht, 5. A., Rn. 222. 488 Für den Rückzug der Truppen gelten die gleichen Regeln, wie wenn der Bundestag von seinem allgemeinen Rückholrecht Gebrauch macht, vgl. oben 3. Teil, II. 4. e).

II. Der Beschluss des Bundestages

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scheidung zu Gefahr im Verzug bei Wohnungsdurchsuchungen, Art. 13 Abs. 2 GG, festgestellt (Leitsätze):489 „3. a) Auslegung und Anwendung des Begriffs ,Gefahr im Verzug unterliegen einer unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die Gerichte sind allerdings gehalten, der besonderen Entscheidungssituation der nichtrichterlichen Organe mit ihren situationsbedingten Grenzen von Erkenntnismöglichkeiten Rechnung zu tragen.“

Ebenso ist eine verfassungsgerichtliche Überprüfung in einem Organstreitverfahren möglich, ob die Bundesregierung nach den Regeln über Gefahr im Verzug ohne Zustimmung des Bundestages Truppen im Ausland einsetzen durfte. Lagen die Voraussetzungen hierfür nicht vor, handelte die Regierung unter Verstoß gegen Parlamentsvorbehalt und Grundgesetz. Gleiches gilt, wenn zwar grundsätzlich Gefahr im Verzug vorgelegen hat, die Bundesregierung aber nach den beschriebenen Maßstäben nicht unverzüglich das nachträgliche Zustimmungsverfahren eingeleitet hat – dies gilt auch bei einem schon erledigten Einsatz. Die unverzügliche nachträgliche Zustimmung ist ebenso wie die vorherige Zustimmung Ausdruck des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen. Auch ein Verstoß hiergegen stellt damit einen Verfassungsverstoß dar. Bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit einer Einsatzentscheidung der Regierung ist eine ex ante-Perspektive zugrunde zu legen. Die Gerichte müssen den „situationsbedingten Grenzen von Erkenntnismöglichkeiten Rechnung (…) tragen“.490 Hat die Regierung die Lage im Zeitpunkt ihrer Entscheidung zutreffend eingeschätzt, durfte die Regierung bei ihrer Entscheidung aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Tatsachenbasis also von Gefahr im Verzug ausgehen, wird die getroffene Maßnahme nicht deshalb rechtswidrig, weil die Entwicklung später anders als prognostiziert verläuft.491 b) Geheimhaltungsbedürftigkeit Anders als zur vorläufigen Entscheidungskompetenz bei eilbedürftigen Einsätzen, hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht dazu geäußert, ob die Regierung auch bei geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen zunächst ohne Zustimmung des Bundestages deutsche Soldaten im Ausland einsetzen darf. Zum Teil wird ein Geheimhaltungsbedürfnis allerdings schon als Gefahr im Verzug aufgefasst, sodass eine Notentscheidung der Regierung schon nach dem AWACSUrteil möglich sei.492 Das Urteil sehe „einen Fall von Gefahr im Verzug als gegeben an, wenn ansonsten eine Beeinträchtigung der Wehrfähigkeit oder der Bündnisfähig489

BVerfGE 103, 142. BVerfGE 103, 142. 491 So zum allgemeinen Polizeirecht: BVerwGE 59, 36 (41 ff.). 492 So etwa Lutze, DÖV 2003, S. 972 (977) und Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (146); wohl auch Klein, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 93 (99), der sich Geheimhaltungsbedürftigkeit nur bei einer Gefahr im Verzug-Situation vorstellen kann. 490

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

keit der Bundesrepublik gegeben wäre“.493 Dies könne bei einer erforderlichen Geheimhaltung zutreffen. Ein solches Verständnis ist jedoch weder mit dem Rechtsinstitut der Gefahr im Verzug noch mit den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts vereinbar. Die Erhaltung der Wehr- und Bündnisfähigkeit ist nur die Begründung dafür, dass Eilentscheidungen bei Gefahr im Verzug möglich sein müssen. Keinesfalls bedeutet dies aber, dass immer ein Fall von Gefahr im Verzug vorliegt, wenn die Wehr- und Bündnisfähigkeit gefährdet ist. Ein Geheimhaltungserfordernis fällt nicht unter die Regelungen über Gefahr im Verzug, weil letztere eine vorläufige Entscheidung nur wegen eines zeitlichen Elements („Verzug“) – also eine Eilentscheidung – zulässt. Die Geheimhaltung löst aber nicht ein zeitliches Problem, sondern die Situation, dass das Einsatzziel durch Offenlegung der Pläne im Bundestag vereitelt würde. Dies ist beispielsweise bei Einsätzen möglich, deren Erfolg mit dem Überraschungsmoment steht und fällt, ohne dass sie in unmittelbarer zeitlicher Nähe durchgeführt werden müssten. Geheimhaltungsbedarf ist damit zwar nicht mit Gefahr im Verzug identisch, dennoch können die Situationen möglicherweise gleichgestellt werden. Es handelt sich jedoch um ein eigenständiges Rechtsinstitut. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz regelt dementsprechend in § 5 Abs. 1 Satz 2, dass die für Gefahr im Verzug geltende Sonderregelung in § 5 Abs. 1 Satz 1 ParlBetG auch für geheimhaltungsbedürftige Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen gilt. Es ist in der Literatur auch unbestritten, dass die Bundesregierung bei Geheimhaltungsbedarf in der Lage sein muss, eine Notentscheidung ohne parlamentarische Zustimmung zu treffen.494 Der Grund hierfür liegt ebenso wie bei Gefahr im Verzug darin, dass der Parlamentsvorbehalt so ausgestaltet werden muss, dass die Wehr- und Bündnisfähigkeit Deutschlands keinen Schaden nimmt. Bestimmte Einsatzarten, die ein überraschendes Agieren voraussetzen, könnten ansonsten nicht von der Bundeswehr ausgeführt werden – die Regierung wäre in ihrer Handlungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Geheimhaltungsbedarf kann dabei aber nur mit der Gefährdung des Einsatzziels begründet werden, da nur dies die Wehr- und Bündnisfähigkeit Deutschlands betrifft. Keinesfalls darf die Regierung eine vorherige Zustimmung des Bundestages auslassen, um eine ihr unliebsame politische Diskussion zu unterbinden, wenn sie den Einsatz also aus politischen Gründen lieber geheim halten will. Es fällt auch auf, dass das Parlamentsbeteiligungsgesetz keineswegs alle geheimhaltungsbedürftigen Einsätze der vorherigen parlamentarischen Zustimmung entzieht, sondern ausschließlich solche, die sich auf die Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen beziehen. Klassisches Beispiel hierfür ist etwa die Evaku493

Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (146). Epping, AöR 1999, S. 423 (455 f.); Burkiczak, ZRP 2002, S. 82 (86); Lutze, DÖV 2003, S. 972 (977); Dreist, NZWehrr 2002, S. 133 (146); Wiefelspütz, NVwZ 2005, S. 496 (499); Baldus, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 39 (78); Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 138 ff., 220 f.; F. Schröder, Das Parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis (2005), S. 284 f. 494

II. Der Beschluss des Bundestages

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ierung von Menschen aus einem Krisengebiet, wenn die Veröffentlichung der Evakuierungspläne die zu rettenden Menschen gefährden würde. Was ist aber mit den darüber hinausgehenden Fällen? Gewährt die Verfassung der Regierung vielleicht ein weiterreichendes Notentscheidungsrecht bei geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen? Bei dieser Überlegung ist aber – ebenso wie bei Eilentscheidungen wegen Gefahr im Verzug – Vorsicht geboten. Der militärische Überraschungseffekt wird in vielen denkbaren Fällen einen Einsatz erleichtern und dessen Erfolgsaussichten verbessern. Dies gilt insbesondere bei gezielten Einsätzen des Kommandos Spezialkräfte.495 Es besteht die Gefahr, dass bei einer allzu weit gefassten Notkompetenz bei Geheimhaltungsbedarf der eigentliche Regelfall der vorherigen parlamentarischen Zustimmung zu einem Ausnahmefall werden könnte. Die Beschränkung auf Situationen, in denen es um die Rettung von Menschen geht, gewährleistet, dass der konstitutive Parlamentsvorbehalt als solcher erhalten bleibt. Der Geheimhaltungsbedarf anderer Einsätze wird dadurch relativiert, dass – auch wenn der jeweilige Einsatz hinreichend konkretisiert sein muss496 – die konkrete Einsatzleitung der Regierung überlassen bleibt und der Bundestag nur dem Rahmen des Einsatzes, nicht aber den operativen Details zustimmen muss. In einem außergewöhnlichen Einzelfall, in dem ein für die Wehr- und Bündnisfähigkeit bedeutender Einsatz bei öffentlicher Darlegung der Pläne scheitern würde, ohne dass es um die Rettung von Menschen geht, wird man sich aber dem Gedanken nicht verschließen können, dass das Grundgesetz über die Regelungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes hinaus eine nachträgliche Zustimmung des Bundestages genügen lässt. Ebenso wie bei Gefahr im Verzug ist die Zustimmung des Bundestages unverzüglich nachzuholen, § 5 Abs. 3 ParlBetG, da dieser der eigentliche Entscheidungsträger ist. Bei Geheimhaltungsbedarf kommt es allerdings nicht darauf an, das Zustimmungsverfahren so schnell wie möglich einzuleiten – der Regierungsantrag muss erst dann gestellt werden, wenn die Bekanntmachung des Einsatzes dessen Erfolg nicht mehr gefährdet. Dies ist spätestens dann der Fall, wenn der Einsatz abgeschlossen ist, aber auch schon dann, wenn der Überraschungseffekt abgeklungen ist. Geheimhaltung bedeutet in diesem Zusammenhang auch keine absolute Verheimlichung vor dem Bundestag. Ebenso wie bei Eilentscheidungen ist der Bundestag vorab über den Einsatz zu informieren, § 5 Abs. 2 ParlBetG. Diese Regelung ist auch verfassungsrechtlich geboten, da eine vollkommene Ausschaltung des Parlaments den Zustimmungsvorbehalt in unzulässiger Weise einschränken würde. Die Wehr- und Bündnisfähigkeit wird bei geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen nur durch das formelle Zustimmungsverfahren samt seiner öffentlichen Abstimmung im Plenum gefährdet, nicht aber durch die Information einzelner ausgewählter Ab-

495 Vgl. Der Spiegel 14/1997, S. 54 (55) unter Berufung auf ein internes Papier des Verteidigungsministerium: Bei KSK-Einsätzen „werde die vorherige Befassung des Parlaments in der Regel nicht möglich sein“. 496 Vgl. oben 3. Teil, II. 1. a).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

geordneter.497 Durch die Benachrichtigung des Bundestages wird dieser in die Lage versetzt, einen Einsatz, den er inhaltlich nicht mitträgt, vorzeitig zu unterbinden.498 Anders als bei Gefahr im Verzug wirft die selbständige Unterbindung eines geheimhaltungsbedürftigen Einsatzes durch den Bundestag allerdings Probleme auf. Durch die Anberaumung und Durchführung einer Abstimmung im Parlament würde der Einsatz – unabhängig vom späteren Ausgang der Abstimmung – veröffentlicht und der Erfolg damit gefährdet oder gar verhindert. Dies ist aber genau der Grund, warum es der Bundesregierung erlaubt ist, bei Geheimhaltungsbedarf ohne das förmliche Zustimmungsverfahren Truppen einzusetzen. Diese Wertung würde durch eine aus der Mitte des Bundestages eingeleitete Abstimmung ausgehebelt. Die vom Gesetzesentwurf der FDP-Fraktion angestrebte Einrichtung eines besonderen Ausschusses, der anstelle des gesamten Bundestages bei Geheimhaltungsbedürftigkeit entschiede, hätte hier durchaus seine Vorteile gehabt.499 Mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz hat sich der Gesetzgeber aber ausdrücklich gegen diese Lösung entschieden. Bedeutet dies, dass der Bundestag nun stumm zuschauen muss, wenn die Regierung einen geheimhaltungsbedürftigen – dem parlamentarischen Willen widersprechenden – Einsatz durchführen will? Dies wird dem Parlamentsvorbehalt nicht gerecht. Im geheimhaltungsbedürftigen Bereich dürfte die Regierung damit ohne Rücksicht auf das Parlament agieren, wie sie wollte – eine spätere Ablehnung des Einsatzes durch den Bundestag macht diesen ja nicht ex tunc rechtswidrig, sondern hat nur politische Wirkung.500 Der Geheimhaltungsbedarf bewirkt aber nicht, dass der Bundestag seine Kompetenz verliert; seine Zustimmung bleibt grundsätzlich erforderlich. Es wird lediglich so lange auf das förmliche Zustimmungsverfahren verzichtet, wie das öffentliche Verfahren den eigentlich auch vom Bundestag erwünschten Einsatzerfolg gefährdet. Will der Bundestag einen geplanten Einsatz verhindern, gebietet es der Parlamentsvorbehalt, dass der Bundestag hierzu auch die Möglichkeit haben muss. Um geheimhaltungsbedürftige Einsätze – und damit auch die Wehr- und Bündnisfähigkeit Deutschlands – nicht zu gefährden, ist die Einleitung einer Abstimmung im Bundestag aber nur dann zulässig, wenn schon vor der Abstimmung eine Ablehnung des Einsatzes gesichert oder wenigstens hoch wahrscheinlich ist. In allen anderen Fällen, wenn eine Ablehnung des Einsatzes nur möglich oder gar unwahrscheinlich erscheint, ist der Bundestag auf eine nachträgliche Kontrolle beschränkt, da die öffentliche Abstimmung unabhängig von ihrem Ausgang vollendete Tatsachen schaffen würde. Das Problem wird aber dadurch relativiert, dass eine Abstimmung jedenfalls dann zulässig ist, wenn der Überraschungseffekt abgeklungen ist und die Regierung eigentlich unverzüglich den nachträglichen Zustimmungsantrag stellen müsste. Nach Klein ist dies in der Regel spätestens innerhalb von 24 Stunden nach Einsatzbeginn

497 498 499 500

Zur Frage, welche Abgeordneten zu informieren sind, vgl. oben 3. Teil, II. 5. a) bb). Vgl. hierzu die entsprechende Situation bei Eilentscheidungen, oben 3. Teil, II. 5. a) bb). § 5 und § 6 Abs. 1 a des Gesetzesentwurfs der FDP-Fraktion, BT-Drs. 15/1985. Vgl. oben 3. Teil, II. 5. a) bb).

II. Der Beschluss des Bundestages

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der Fall, da ein Bundeswehreinsatz schwerlich über längere Zeit verheimlicht werden könne.501 Will der Bundestag den Einsatz nicht von sich aus verhindern, ist das parlamentarische Zustimmungsverfahren unverzüglich durch die Bundesregierung einzuleiten, sobald eine Veröffentlichung des Einsatzes dessen Erfolg nicht mehr gefährdet – dies gilt spätestens und auch dann, wenn der Einsatz inzwischen erledigt ist.502 Unabhängig vom Votum des Bundestages bleibt der Einsatz bis zur Abstimmung rechtmäßig, wenn die Bundesregierung eine Notentscheidung ohne vorherige parlamentarische Zustimmung treffen durfte.503 Lagen die Voraussetzungen für einen geheimhaltungsbedürftigen Einsatz nicht vor oder verzögert die Bundesregierung die nachträgliche Zustimmung über das erlaubte Maß, verstößt das Vorgehen der Regierung gegen den konstitutiven Parlamentsvorbehalt und das Grundgesetz. Der Bundestag kann diesen Verstoß im Wege des Organstreitverfahrens vom Bundesverfassungsgericht feststellen lassen.504 6. Das vereinfachte Zustimmungsverfahren § 4 Abs. 1 Satz 1 ParlBetG bestimmt, dass bei „Einsätzen von geringer Intensität und Tragweite“ die Zustimmung des Bundestages in einem vereinfachten Verfahren erteilt werden kann. § 4 Abs. 1 ParlBetG regelt weiter: „Die Bundesregierung hat begründet darzulegen, aus welchen Gründen der bevorstehende Einsatz von geringer Intensität und Tragweite ist. Die Präsidentin oder der Präsident des Deutschen Bundestages übermittelt den Antrag an die Vorsitzenden der Fraktionen sowie die Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses und je einen von jeder in diesen Ausschüssen vertretenen Fraktionen benannten Vertreter (Obleute) und lässt den Antrag als Bundestagsdrucksache an alle Mitglieder des Bundestages verteilen. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach der Verteilung der Drucksache von einer Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages eine Befassung des Bundestages verlangt wird. Wird die Befassung des Bundestages verlangt, entscheidet dieser.“

§ 7 Abs. 1 ParlBetG erweitert die Anwendung des vereinfachten Verfahrens auf die Verlängerung solcher Einsätze, die inhaltlich nicht geändert werden. Anders als bei Einsätzen geringer Intensität und Tragweite, tritt die Genehmigungsfiktion hier allerdings schon mit Stellung des Regierungsantrages ein, um ungenehmigte Zwischenzeiten des bereits laufenden Einsatzes zu vermeiden, § 7 Abs. 2 ParlBetG.505 501

Klein, Protokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung u. a. am 17. Juni 2004, Schriftliche Stellungnahme, S. 93 (99). 502 Vgl. oben 3. Teil, II. 5. a) bb). 503 Vgl. oben 3. Teil, II. 5. a) bb). 504 Vgl. zum Rechtsschutz, oben 3. Teil, II. 5. a) cc). 505 Vgl. hierzu unten 3. Teil, II. 6. b).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

In praktischer Hinsicht spielt das vereinfachte Verfahren bei der Verlängerung von Einsätzen eine deutlich größere Rolle als bei Einsätzen geringer Intensität und Tragweite. Seit der Schaffung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes versuchte die Bundesregierung in bisher506 neun Fällen Rückgriff auf das vereinfachte Verfahren zu nehmen. Bei allen Fällen handelte es sich um Anträge zur Fortsetzung eines bereits laufenden Einsatzes507 – die geringe Intensität und Tragweite eines Einsatzes wurde bisher nicht geltend gemacht.508 In vier Fällen hatte das Bestreben nach Durchführung des vereinfachten Verfahrens Erfolg509 ; in den übrigen fünf Fällen kam es zur regulären parlamentarischen Zustimmung durch einen Bundestagsbeschluss.510 Die Bundesregierung ist auch nicht gezwungen, das vereinfachte Verfahren durchzuführen, wenn dessen Voraussetzungen gegeben sind – bei § 4 Abs. 1 ParlBetG handelt es sich um eine Kann-Vorschrift. Die Staatspraxis zeigt, dass keineswegs alle Einsatzverlängerungen im vereinfachten Verfahren betrieben werden, sondern je nach der Bedeutung des Einsatzes auch das reguläre Zustimmungsverfahren durchgeführt wird.511 . a) Einsätze geringer Intensität und Tragweite § 4 Abs. 2 ParlBetG nimmt eine Legaldefinition der „Einsätze geringer Intensität und Tragweite“ vor: „Ein Einsatz ist dann von geringer Intensität und Tragweite, wenn die Zahl der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten gering ist, der Einsatz auf Grund der übrigen Begleitumstände erkennbar von geringer Bedeutung ist und es sich nicht um die Beteiligung an einem Krieg handelt.“ . .

506

Stand 11.09.2007. Die Anträge betrafen ausschließlich die beiden im Sudan laufenden Einsätze UNMIS und AMIS; vgl. BT-Drs. 15/5423, 15/5997, 16/100, 16/1052, 16/1508, 16/2900, 16/3652, 16/ 4861, 16/5436. 508 Anderes behauptet etwa die hib-Meldung 236/2005 des Deutschen Bundestages zur Verlängerung des Einsatzes in Darfur/Sudan gemäß BT-Drs. 16/100. Tatsächlich wurde das vereinfachte Verfahren laut Regierungsantrag eindeutig auf § 7 ParlBetG gestützt. 509 BT-Drs. 15/5423, vgl. Plenarprotokoll, 15. WP, 176. Sitzung, S. 16664 (C); BT-Drs. 15/ 5997, vgl. Das Parlament Nr. 40 vom 04. 10. 2005, Kategorie: Plenum und Ausschüsse; BTDrs. 16/1508, vgl. BT-Drs. 16/1609; BT-Drs.16/2900, vgl. Plenarprotokoll, 16. WP, 58. Sitzung, S. 5755(A). 510 BT-Drs. 16/100, vgl. Plenarprotokoll, 16. WP, 9. Sitzung, S. 603 (B); BT-Drs. 16/1052, vgl. Plenarprotokoll, 16. WP, 33. Sitzung, S. 2778 (D); BT-Drs. 16/3652, vgl. Plenarprotokoll, 16. WP, 74. Sitzung, S. 7450 (A); BT-Drs. 16/4861, vgl. Plenarprotokoll, 16. WP, 95. Sitzung, S. 9715 (B); BT-Drs. 16/5436, vgl. Plenarprotokoll, 16. WP, 102. Sitzung, S. 10518 (B). 511 So wurde die Verlängerung des Kosovo-Einsatzes am 13. 06. 2007 trotz unverändertem Inhalt im regulären Zustimmungsverfahren beantragt, BT-Drs. 16/5600. 507

II. Der Beschluss des Bundestages

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§ 4 Abs. 3 ParlBetG bestimmt weiter: „In der Regel liegt ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite vor, wenn es sich um ein Erkundungskommando handelt, das Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mit sich führt, einzelne Soldatinnen oder Soldaten betroffen sind, die auf Grund von Austauschvereinbarungen Dienst in verbündeten Streitkräften leisten, oder einzelne Soldatinnen oder Soldaten im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt, verwendet werden.“

Zum Teil wird in der Literatur allerdings bezweifelt, ob die genannten Einsatzarten überhaupt dem Parlamentsvorbehalt unterfallen oder ob sie nicht schon aus sich heraus im Eigenbereich exekutivischer Verantwortung liegen. Vor allem Wiefelspütz betont, dass der Parlamentsvorbehalt auf dem historischen Bild des Kriegseintritts beruhe.512 Dies belege, dass erst eine militärische Operation von einigem Ausmaß und Gewicht eine Zustimmung des Parlaments erfordere – die Beteiligung an Einsätzen geringer Intensität und Bedeutung sei damit wehrverfassungsrechtlich zustimmungsfrei. Dem steht aber entgegen, dass unter den heutigen politischen Bedingungen Kriege nicht mehr förmlich erklärt werden und die sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleichsteht.513 Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb ausdrücklich festgestellt, dass grundsätzlich jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung unterliegt.514 Entscheidendes Kriterium ist allein der bewaffnete Einsatz. Es gibt dabei keine Geringfügigkeitsschwelle, da sich potentiell jeder bewaffnete Auslandseinsatz ausweiten kann.515 Obwohl auch Einsätze geringer Intensität und Tragweite also dem Parlamentsvorbehalt unterliegen, ist die durch das vereinfachte Verfahren angeordnete Einschränkung der vorherigen Zustimmung mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat im AWACS-Urteil ausgeführt: „Jenseits dieser Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehalts sind das Verfahren und die Intensität der Beteiligung des Bundestages in der Verfassung nicht im einzelnen vorgegeben. Es ist Sache des Gesetzgebers, die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten. Je nach dem Anlaß und den Rahmenbedingungen des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte sind unterschiedliche Formen der Mitwirkung denkbar. Insbesondere im Hinblick auf unterschiedliche Arten der Einsätze, vor allem bei solchen, die keinen Aufschub dulden oder erkennbar von geringer Bedeutung sind, empfiehlt

512 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, S. 37 f.; ders., NZWehrr 2004, S. 133 (134); ders., NZWehrr 2003, S. 133 (140). 513 So das Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 108, 34 (43). 514 BVerfGE 108, 34 (43). 515 Vgl. hierzu auch oben 3. Teil, I. 2. e).

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

es sich, den Zeitpunkt und die Intensität der Kontrolle des Parlaments näher zu umgrenzen.“516

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag also bei Einsätzen geringer Bedeutung das Recht zugestanden, eine besondere Form der Mitwirkung zu schaffen, die nicht zwingend in einem dem Einsatz vorgelagerten Zustimmungsbeschluss liegen muss. Je weiter sich ein Auslandseinsatz vom klassischen Bild des Kriegseintritts entfernt, umso schwächer kann die Kontrolle durch das Parlament ausfallen. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz hat – der Anregung des Bundesverfassungsgerichts folgend – eine verfassungsrechtlich zulässige Regelung gefunden. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt wird durch das vereinfachte Verfahren nicht völlig ausgeschaltet – es wird vielmehr dem Bundestag überlassen, ob er über den Einsatz verbindlich abstimmen möchte oder nicht. Verfahrensökonomisch macht dies Sinn, weil der Bundestag bei weniger bedeutenden Auslandseinsätzen nicht gezwungen wird, das komplette förmliche Zustimmungsverfahren durchzuführen. Gleichzeitig werden die parlamentarischen Rechte durch die Möglichkeit einer Befassung des Bundestages gewahrt. aa) Einsatzarten Welche Einsätze fallen nun aber konkret unter das Prädikat „geringe Intensität und Tragweite“? Neben einem geringen Ausmaß der Gefahren und Zwangskompetenzen der Soldaten (Intensität) muss der Einsatz in seinen (außen)politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen eine völlig untergeordnete Bedeutung (Tragweite) haben. Die Legaldefinition des § 4 Abs. 2 ParlBetG fordert einerseits eine geringe Anzahl einzusetzender Soldaten, andererseits eine erkennbar geringe Bedeutung des Einsatzes und den Ausschluss einer Kriegsbeteiligung. Allein aus der geringen Anzahl der einzusetzenden Soldaten kann man jedenfalls nicht auf eine geringe Intensität und Tragweite schließen. So kann der Einsatz einer kleinen Spezialeinheit – wie etwa des Kommandos Spezialkräfte – weiterreichende Folgen haben als die Dislozierung eines größeren Peace-keeping Kontingents.517 Aus den „übrigen Begleitumständen“ muss sich daher auch insgesamt eine „geringe Bedeutung“ des Einsatzes ergeben, § 4 Abs. 2 ParlBetG. Mit diesem Kriterium der Legaldefinition ist freilich nur wenig geholfen, da es ebenso abstrakt bleibt wie die zu definierende „geringe Intensität und Tragweite“. § 4 Abs. 3 ParlBetG versucht dieses Manko mit Regelbeispielen auszugleichen.518 Naturgemäß ist die Auflistung der Regelbeispiele dabei weder abschließend noch zwingend.519 Zunächst soll nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz ein Einsatz geringer Intensität und Tragweite in der Regel dann vorliegen, wenn es sich um ein Er516

BVerfGE 90, 286 (389). F. Schröder, NJW 2005, S. 1401 (1403). 518 Zum Wortlaut der Regelbeispiele vgl. oben 3. Teil, II. 6. a). 519 Vgl. zu Regelbeispielen im Strafrecht Wessels / Beulke, Strafrecht – Allgemeiner Teil, 28. A. Rn. 112. 517

II. Der Beschluss des Bundestages

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kundungskommando handelt, das Waffen nur zur Selbstverteidigung mitführt. Diese Bestimmung ist allerdings schon deswegen unglücklich formuliert, da Erkundungskommandos in der Regel schon gar nicht unter den Parlamentsvorbehalt fallen.520 Bewaffnete Einsätze erfordern eine nach außen wirkende Verwendung des spezifischen militärischen Machtpotentials. Vorbereitungsmaßnahmen – und hierunter fallen in der Regel Erkundungskommandos – stellen für sich allein genommen noch keinen bewaffneten Einsatz dar. Reine Selbstverteidigung ist im Grundsatz keine militärspezifische Maßnahme, da sie primär nicht der Verwirklichung des Auftrages, sondern dem Schutz der eigenen Person dient.521 Weiterhin soll der Einsatz einzelner Soldaten in der Regel dann im vereinfachten Verfahren beschlossen werden können, wenn die Verwendung im Rahmen einer Austauschvereinbarung mit verbündeten Streitkräften oder im Rahmen eines Einsatzes einer internationalen Organisation aufgrund eines Auftrages der Vereinten Nationen erfolgt. Anders als bei der allgemeinen Definition der geringen Intensität und Tragweite fallen hierunter aber nur einzelne Soldaten und nicht schon eine geringe Zahl von Soldaten. Während die „geringe Zahl“ auch kleine Gruppen oder Einheiten umfassen kann, bedeutet „einzelne Soldaten“, dass die Verwendung der Soldaten personenbezogen ist. Sie werden nicht als Teil einer Gruppe eingesetzt, sondern die Entscheidung betrifft konkret eine einzelne Person. Der Einsatz einer kleinen Kommando-Einheit oder einer anderen kleinen Gruppe kann damit nicht als Einsatz einzelner Soldaten klassifiziert werden. Der explizite Hinweis in § 4 Abs. 2 ParlBetG, dass die Beteiligung an einem Krieg keinen Einsatz geringer Intensität und Tragweite darstellen kann, ist wenig geeignet, den Anwendungsbereich des vereinfachten Zustimmungsverfahrens schärfer zu umreißen. Im Völkerrecht hat der Begriff des Krieges schon lange seine frühere Bedeutung verloren. Zentrale Voraussetzung für die Anwendbarkeit des „Rechts im Kriege“522 ist allein das Vorliegen eines „bewaffneten internationalen Konflikts“ und nicht das Vorliegen eines formellen Krieges.523 Auch das zwischenstaatliche Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 der VN-Charta ist nicht auf Kriege beschränkt. Diese Entwicklung resultiert daraus, dass „moderne Kriege“ nicht mehr förmlich erklärt werden und oft sukzessive eskalieren. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass unter den heutigen politischen Bedingungen das historische Bild des Kriegseintritts nicht mehr existiert und es daher für die Auslösung des Parlamentsvorbehalts alleine auf den Einsatz bewaffneter Streitkräfte ankommt.524 Das in die Legaldefinition des „Einsatzes geringer Intensität und Tragweite“ eingefügte Kriterium der fehlenden Beteiligung an einem Krieg wirkt daher etwas antiquiert und unbestimmt. Zudem 520

Vgl. oben 3. Teil, I. 7. Vgl. oben 3. Teil, I. 5. 522 Sog. ius in bello; im Gegensatz zum „Recht zum Kriege“, sog. ius ad bellum. 523 Kalshoven, Constraints on the waging of war, 1987, S. 26 f.; vgl. auch Art. 2 Abs. 1 des III. Genfer Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen. 524 BVerfGE 108, 34 (43). 521

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

kann die Beteiligung an einem internationalen bewaffneten Konflikt schon aus sich heraus nicht als Einsatz geringer Tragweite gedeutet werden. Auch wenn die Bundesrepublik eine Konfliktpartei nur mit wenigen Soldaten bei einer bewaffneten Auseinandersetzung unterstützen würde, bedeutete dies gleichsam, dass Deutschland selbst Partei des Konflikts würde.525 Die Bundesrepublik wäre damit völkerrechtlich ein legitimes Angriffsziel für den Konfliktgegner. Wegen dieses Eskalationspotentials ist die Beteiligung an einem bewaffneten internationalen Konflikt nie von geringer Bedeutung. Die Nähe zum klassischen Bild des Kriegseintritts erfordert verfassungsrechtlich zwingend ein ausdrückliches Zustimmungsvotum des Bundestages. Die Einschränkung der grundsätzlich vorher und ausdrücklich zu erteilenden parlamentarischen Zustimmung ist nur dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn der Bundestag wegen der erkennbar geringen Bedeutung kein legitimes Interesse an einer Debatte und einem ausdrücklichen Votum hat. bb) Verfahren Die Bundesregierung reicht ihren Antrag – mit der Begründung, warum das vereinfachte Zustimmungsverfahren anwendbar ist – beim Bundestagspräsidenten ein. Während den in besonderer Verantwortung stehenden Fraktionsvorsitzenden und Vorsitzenden und Obleuten des Auswärtigen und des Verteidigungs-Ausschusses der Regierungsantrag direkt vom Bundestagspräsidenten übermittelt wird, erhalten die übrigen Bundestagsabgeordneten den Antrag mit zeitlicher Verzögerung als Bundestagsdrucksache. Sieben Tage nach Verteilung der Drucksache gilt die parlamentarische Zustimmung als erteilt, wenn nicht eine Fraktion oder fünf Prozent der Abgeordneten eine Befassung des Bundestages verlangt haben, § 4 Abs. 1 Satz 4 ParlBetG. Die Frist zur Beantragung eines Bundestagsbeschlusses endet – entsprechend §§ 31 BVwVfG, 57 Abs. 2 VwGO, 222 ZPO, 187, 188 BGB – mit Ablauf, also 24 Uhr, des siebten Tages nach Verteilung der Drucksache. Anders als man zunächst annehmen könnte, gehen Verzögerungen, die durch den Bundestagspräsidenten entstehen, zu Lasten der Bundesregierung, da es für die Fristberechnung nicht auf die Stellung des Regierungsantrages, sondern auf die Verteilung der Drucksache ankommt.526 Diese Regelung ist geboten, um den Bundestagsabgeordneten tatsächlich die Möglichkeit zu sichern, einen Bundestagsbeschluss durchzusetzen. Käme es allein auf das Datum des Regierungsantrages an, könnte die parlamentarische Kontrolle durch eine Zeitverzögerung bei der Weiterreichung des Regierungsantrages ausgehebelt oder wenigstens stark eingeschränkt werden. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstandes, dass der Bundestagspräsident üblicherweise der größten Bundestags525

Dreist, ZaöRV 2004, S. 1001 (1009). Zwischen Regierungsantrag und Fristablauf liegen damit abhängig von der Verteilung der Drucksache in der Regel zwischen sieben und neun Tagen. Vgl. etwa BT-Drs. 15/6004, 16/ 1609 und die Plenarprotokolle vom 13. 05. 2005, 15. WP., 176. Sitzung, S. 16664 (C) und vom 20. 10. 2006, 16. WP., 58. Sitzung, S. 5755 (A). 526

II. Der Beschluss des Bundestages

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fraktion angehört und damit in der Regel Mitglied einer der Regierungsfraktionen ist. Die Forderung nach einer Befassung des Bundestages dient zudem nicht nur der Wahrung der Kompetenzen des Parlaments, sondern stellt ein echtes Minderheitenrecht der Opposition dar. Wenn sie das erforderliche Quorum erreicht, kann sie – unabhängig vom wahrscheinlichen Ergebnis einer Abstimmung – auch gegen den Willen der Regierungsfraktionen eine Debatte und Abstimmung über den Einsatz im Plenum erzwingen. Das parlamentarische Zustimmungserfordernis verwirklicht damit neben der Kontrolle durch den Bundestag auch eine zweite Kontrollfunktion, nämlich die Lenkung der öffentlichen Aufmerksamkeit auf den bevorstehenden Einsatz. Die bisherige parlamentarische Praxis zeigt, dass eine Ablehnung des vereinfachten Verfahrens nicht zugleich in der Ablehnung des Regierungsantrages endet. In den bisher fünf Fällen, in denen es trotz des von der Regierung betriebenen vereinfachten Verfahrens zu einer Bundestagsabstimmung kam, wurde den Einsätzen mit großer Mehrheit zugestimmt. Verlangen eine Fraktion oder fünf Prozent der Abgeordneten fristgemäß eine Befassung des Bundestages, so entscheidet dieser, § 4 Abs. 1 Satz 5 ParlBetG. In diesem Fall wird das vereinfachte Verfahren verlassen und der Zustimmungsantrag der Bundesregierung wie ein regulärer Antrag behandelt. Der Antrag wird zur Beratung in die Ausschüsse verwiesen und schließlich im Bundestagsplenum zur Abstimmung gestellt. Ohne zustimmenden Bundestagsbeschluss darf der Einsatz nicht durchgeführt werden. Wird eine Befassung des Bundestages hingegen nicht fristgemäß verlangt, gilt die Zustimmung als erteilt – es tritt eine Genehmigungsfiktion ein. Der Einsatz wird genau so behandelt, wie wenn der Bundestag dem Zustimmungsantrag der Regierung ausdrücklich zugestimmt hätte. Ist die Frist einmal abgelaufen, kann die Befassung des Bundestages nicht mehr im vereinfachten Verfahren betrieben werden – das Verfahren ist abgeschlossen. Gelangen das Parlament oder Teile desselben dennoch zur Auffassung, dass der Einsatz eigentlich doch nicht gebilligt werde, so verbleibt nur der Rückgriff auf das in § 8 ParlBetG verankerte Rückholrecht. Auch die fiktive Zustimmung kann widerrufen werden. Anders als bei einer Abstimmung, die der Bundestag vor Fristablauf verlangt hat, bedarf es im Rahmen des Rückholrechts dann allerdings keiner Mehrheit für den Einsatz, um diesen zu legitimieren, sondern einer Mehrheit gegen den Einsatz, um ihn abzubrechen. Nach Ablauf der Frist ist die Stellung des Parlaments also deutlich schwächer. Betreibt die Bundesregierung das vereinfachte Verfahren, obwohl es sich tatsächlich nicht um einen Einsatz geringer Intensität und Tragweite oder um die unveränderte Fortsetzung eines laufenden Einsatzes handelt, verstößt sie nicht nur gegen das Parlamentsbeteiligungsgesetz, sondern auch gegen den Parlamentsvorbehalt und damit das Grundgesetz. Der Bundestag kann diesen Verstoß im Rahmen eines Organstreitverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen. Dies gilt auch dann, wenn er zunächst davon abgesehen hat, die Entscheidung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 5 ParlBetG an sich zu ziehen. Auch in diesem Fall handelt die Bundesregierung ohne die erforderliche vorherige Zustimmung des Bundestages. Der fehlende Einspruch des Bundestages kann nicht als Zustimmung ausgelegt werden, da die Geneh-

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

migungsfiktion des § 4 Abs. 1 Satz 4 ParlBetG gerade nur dann Wirkung entfaltet, wenn die Voraussetzungen des vereinfachten Verfahrens vorlagen. b) Verlängerung von Einsätzen Auch bei der unveränderten Verlängerung bereits laufender Einsätze darf das in § 4 Abs. 1 ParlBetG beschriebene Verfahren angewandt werden, § 7 Abs. 1 ParlBetG. Die Einschränkung der konstitutiven parlamentarischen Zustimmung durch die Zustimmungsfiktion des § 4 Abs. 1 Satz 4 ParlBetG ist bei Fortsetzungsbeschlüssen ebenso wie bei Einsätzen geringer Intensität und Tragweite verfassungsrechtlich zulässig. Im Rahmen der Verlängerung von Einsätzen liegt der Grund hierfür allerdings nicht in der verminderten Bedeutung der Bundeswehrverwendung. Auch große Einsätze, die weitreichende Folgen für die Bundesrepublik haben, können im vereinfachten Verfahren verlängert werden. Da die Verlängerungsregelung allein inhaltlich unveränderte Zustimmungsanträge betrifft, hat der Bundestag seine Zustimmung zu dem jeweiligen Einsatz für einen früheren Zeitraum schon einmal erteilt. Dies rechtfertigt eine Herabsetzung der Kontrollintensität, da die Rahmenbedingungen des Einsatzes die vollständige parlamentarische Kontrolle schon durchlaufen haben. Hat der Bundestag zudem keinen Gebrauch von seinem allgemeinen Rückholrecht gemacht, kann vermutet werden, dass er den Einsatz inhaltlich noch mitträgt. Die Rechte des Bundestages bleiben gewahrt, da er ohne Begründung seine konstitutive Befassung verlangen darf. Die Notwendigkeit eines inhaltlich unveränderten Zustimmungsbeschlusses im Sinne von § 7 Abs. 1 ParlBetG bedeutet nicht, dass die Bundesregierung einen wortgleichen Zustimmungsantrag vorlegen muss. Dies ist auch gar nicht möglich. Gerade die zeitlichen Bestimmungen des Bundestagsbeschlusses sollen ja verlängert, also verändert werden. Auch ist es unumgänglich, dass durch die Fortsetzung des Einsatzes neue Kosten entstehen. Schließlich werden sich häufig auch die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes ändern, da auch der VN-Sicherheitsrat vielfach seine legitimierenden Resolutionen durch Beschluss verlängern muss.527 Rechtsgrundlage des Einsatzes ist dann die neue Resolution. Bei der Frage der inhaltlichen Veränderung kommt es daher nur auf die inhaltlichen Rahmenbedingungen des Einsatzes an, die sich nicht zwangsläufig durch eine Verlängerung des Einsatzes ändern. Hierunter fallen mit Ausnahme der Dauer und der Kosten des Einsatzes grundsätzlich alle nach § 3 Abs. 2 ParlBetG für einen Zustimmungsantrag erforderlichen Parameter, insbesondere Auftrag, Einsatzgebiet und Truppenstärke. Auch die rechtlichen Grundlagen müssen inhaltlich unverändert sein – eine neue Sicherheitsratsresolution schadet nicht, solange sie inhaltlich nicht relevant geändert wurde. Hat die Regierung in ihrem ersten Zustimmungsantrag über § 3 Abs. 2 ParlBetG hinausgehende inhaltliche Angaben gemacht, müssen auch diese unverändert bleiben. 527 Vgl. etwa BT-Drs. 15/5265 und BT-Drs. 15/5997. Während der ursprüngliche Einsatz auf der Resolution 1590 (2005) des VN-Sicherheitsrates vom 24. 03. 2005 beruhte, wurde die Fortsetzung des Einsatzes durch Resolution 1627 (2005) vom 23. 09. 2005 legitimiert.

II. Der Beschluss des Bundestages

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Entscheidet sich die Bundesregierung bei gegebenen Voraussetzungen für das vereinfachte Verfahren, gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie bei Einsätzen geringer Intensität und Tragweite. § 7 Abs. 2 ParlBetG weist für die Verlängerung von Einsätzen allerdings einige Sonderregeln auf: „(2) Beantragt die Bundesregierung die Verlängerung eines Einsatzes, so gilt der Einsatz bis zum Ablauf von zwei Sitzungstagen nach Verteilung des Antrags als Bundestagsdrucksache als genehmigt. Wird der Antrag im vereinfachten Verfahren nach § 4 gestellt, so gilt er bis zum Ablauf der in § 4 Abs. 1 Satz 4 bestimmten Frist als genehmigt; wird innerhalb der Frist eine Befassung des Bundestages verlangt, so gilt er bis zum Ablauf der auf das Verlangen auf Befassung folgenden Sitzungswoche als genehmigt. Die Geltungsdauer der ursprünglichen Genehmigung bleibt durch die Regelungen der Sätze 1 und 2 unberührt.“

Diese Sonderregeln sind dem Umstand geschuldet, dass „die Gremien der Vereinten Nationen oftmals sehr kurzfristige Entscheidungen treffen“528 und insbesondere in der sitzungsfreien Zeit eine Entscheidung des Bundestages gegebenenfalls nicht rechtzeitig vor Ablauf des bisherigen Mandats herbeigeführt werden könnte. Es bestünde die Gefahr, dass vor dem Verlängerungsbeschluss des Bundestages ein ungenehmigter Zeitraum entsteht und die Bundeswehr ihren Einsatz, wenn nicht Gefahr im Verzug vorläge, entweder rechtswidrig fortführen oder aber unterbrechen müsste. § 7 Abs. 2 Satz 1 ParlBetG betrifft dabei genau genommen gar nicht das vereinfachte Verfahren, sondern stellt eine allgemeine Regel für die Verlängerung von Einsätzen dar. Hat die Regierung einen Verlängerungsantrag gestellt, so wird die Geltung des laufenden Mandats (ab der Antragstellung529 der Bundesregierung) bis zum Ablauf von zwei Sitzungstagen verlängert, damit der Bundestag ausreichend Zeit zur Beschlussfassung hat, ohne dass das Mandat zwischenzeitlich ungewollt ausläuft. Diese Genehmigungsfiktion ist mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar. Zwar agiert die Bundesregierung damit eigentlich außerhalb des laufenden Zustimmungsbeschlusses – zur Sicherung der Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik ist dies aber hinzunehmen. Es ist dem Bundestag auch unbenommen, früher über den Regierungsantrag zu entscheiden und die Genehmigungsfiktion zu verhindern. Dies lässt sich § 7 Abs. 2 Satz 1 ParlBetG zwar nicht eindeutig entnehmen – lehnt der Bundestag die Verlängerung aber schon am ersten Sitzungstag nach Verteilung des Antrags als Drucksache ab, so ist es selbstverständlich, dass die Genehmigungsfiktion mit dem Beschluss endet und nicht erst mit Ablauf des zweiten Sitzungstages. Ist die Zustimmung endgültig erteilt oder verweigert, bedarf es keiner Fiktion mehr, da diese den Einsatz nur während der parlamentarischen Entscheidungsfindung legitimieren soll. § 7 Abs. 2 Satz 1 ParlBetG ist zudem auch dann anwendbar, wenn es nicht um einen unveränderten Zustimmungsantrag geht – dieser ist lediglich Voraussetzung für das verein-

528

BT-Drs. 15/2742, S. 6 zu § 7. Der Antrag ist dann gestellt, wenn er an den Bundestagspräsidenten übersandt wurde, bei diesem also eingegangen ist, vgl. § 3 Abs. 1 ParlBetG und § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB in entsprechender Anwendung. 529

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3. Teil: Das parlamentarische Zustimmungsverfahren

fachte Verfahren. Die Genehmigungsfiktion bezieht sich inhaltlich dann allerdings nur auf das bisherige Mandat und nicht die beantragten Veränderungen. Beantragt die Regierung eine unveränderte Verlängerung im vereinfachten Verfahren, so gilt § 7 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 ParlBetG. Anders als im regulären Zustimmungsverfahren gilt der Verlängerungsantrag dann nicht bis zum Ablauf des zweiten Sitzungstages, sondern bis zum Ablauf der parlamentarischen Einspruchsfrist im vereinfachten Verfahren als genehmigt.530 Das Ende der (vorläufigen) Genehmigungsfiktion ist also mit dem Ende der Möglichkeit, eine Befassung des Bundestages zu verlangen, synchronisiert. Danach tritt die endgültige Genehmigungsfiktion des § 4 Abs. 1 Satz 4 ParlBetG ein, sodass eine durchgehende Legitimierung des Bundeswehreinsatzes gewährleistet ist. Verlangen eine Fraktion oder fünf Prozent der Abgeordneten eine Befassung des Bundestages, so wird die vorläufige Genehmigungsfiktion bis zum Ablauf der folgenden Sitzungswoche verlängert, § 7 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz ParlBetG. Der Auslandseinsatz bleibt also so lange legitimiert, dass der Bundestag in zeitlicher Hinsicht die Möglichkeit hat, das Mandat ununterbrochen zu verlängern. Auch hier gilt wieder: lehnt der Bundestag den Antrag vor Ablauf der Sitzungswoche ab, endet damit auch die Zustimmungsfiktion.531 Trifft der Bundestag in der Sitzungswoche überhaupt keine Entscheidung, fehlt seine erforderliche Zustimmung, so dass der Einsatz abzubrechen ist, § 4 Abs. 1 Satz 5 ParlBetG. § 7 Abs. 2 Satz 4 ParlBetG stellt darüber hinaus klar, dass das Ende der Zustimmungsfiktion nicht die ursprüngliche Mandatslänge verkürzt. Stellt die Bundesregierung ihren Zustimmungsantrag sehr frühzeitig und verlangt der Bundestag seine Befassung, so bleibt der Einsatz bis zum Ablauf des ursprünglichen Mandats genehmigt, auch wenn der Bundestag nicht in der Frist des § 7 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz ParlBetG seine Zustimmung erteilt. Erst mit dem Ende des ursprünglichen Mandats wird der weitere Einsatz rechtswidrig.

530

Eine Woche ab Verteilung der Drucksache, § 7 Abs. 2 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 4 ParlBetG. 531 Vgl. oben 3. Teil, II. 6. b).

Vierter Teil

Rechtsschutz Nachdem die Rechte der an der Entscheidung über Auslandseinsätze beteiligten Verfassungsorgane dargestellt wurden, stellt sich zuletzt die Frage, wie diese Kompetenzen durchgesetzt werden können. Das beste Recht hat keinen Nutzen, wenn nicht Mittel existieren, dem Recht auch gegen Widerstände Geltung zu verschaffen. Dabei lohnt sich auch ein Blick auf die Möglichkeiten, materielle Verfassungsverstöße bei Auslandseinsätzen feststellen zu lassen.

I. Rechtsschutz gegenüber der Bundesregierung 1. Organstreitverfahren Setzt die Bundesregierung Streitkräfte ein, ohne den Bundestag um die erforderliche Zustimmung gebeten zu haben oder obwohl der Bundestag seine Zustimmung verweigert oder widerrufen hat, kann der Bundestag ein Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung anstrengen, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG. Gleiches gilt, wenn die Einsatzführung die Grenzen des konstitutiven Parlamentsbeschlusses überschreitet. Auch die AWACS-Entscheidung erging im Rahmen eines Organstreitverfahrens – ihr lag eine fehlende Beteiligung des Bundestages zugrunde.1 Handelt die Bundesregierung ohne erforderliche Zustimmung, verfährt sie nicht nur im Hinblick auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz rechtswidrig, sondern zugleich verfassungswidrig, da der Parlamentsvorbehalt direkt dem Grundgesetz zu entnehmen ist. Antragsbefugt sind neben dem Parlament als solchem auch die Fraktionen des Bundestages, Art. 64 Abs. 1 BVerfGG.2 Dies gilt auch dann, wenn die Mehrheit des Parlaments seine Rechte für nicht verletzt hält.3 Die Opposition kann folglich auch gegen den Willen der Regierungsfraktionen eine Verletzung des Parlamentsvorbehalts durch die Regierung feststellen lassen. Auch wenn der Bundestag einem Auslandseinsatz zugestimmt hat, ist ein Organstreitverfahren gegen die Regierung möglich – so geschehen im Rahmen der Tornado-

1

Vgl. oben in der Einleitung, 1. Teil, II. 1. Nicht hingegen der einzelne Abgeordnete; vgl. Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, 4. A. Rn. 86; Fleury, Verfassungsprozessrecht, 4. A. Rn. 59. 3 Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, 4. A. Rn. 86. 2

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4. Teil: Rechtsschutz

Entscheidung vom 3. Juli 2007.4 Der Bundestag hatte am 9. März 2007 einem Regierungsantrag zugestimmt, Tornado-Aufklärungsflugzeuge zur Unterstützung der ISAF-Truppen nach Afghanistan zu entsenden. Die Aufklärungsflüge begannen daraufhin am 15. April 2007. Die PDS-Bundestagsfraktion hielt die Rechte des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 GG, dem parlamentarischen Zustimmungsbedarf bei völkerrechtlichen Verträgen, für verletzt. Der Einsatz dokumentiere eine Fortentwicklung des NATO-Vertrages, die die Grenzen des durch die parlamentarische Zustimmung gesteckten Integrationsrahmens überschreite. Es bestehe kein Bezug zur Sicherheit im euro-atlantischen Raum; zudem werde das Integrationsprogramm des NATO-Vertrags durch die Völkerrechtswidrigkeit der ISAF-Mission überschritten, da das Bündnis nach Art. 24 Abs. 2 GG strikt der Friedenswahrung verpflichtet bleiben müsse. Das Bundesverfassungsgericht wies die (zulässigen) Anträge zurück, da der NATO-geführte ISAF-Einsatz in Afghanistan der Sicherheit des euro-atlantischen Raumes diene und die NATO sich auch nicht von ihrer friedenswahrenden Zwecksetzung abgekoppelt habe.5 Die Regierung habe sich damit in dem vom Parlament mitverantworteten Integrationsprogramm bewegt. Das Gericht mahnte aber zugleich an, dass die Beteiligung an einem NATO-Einsatz dann verfassungswidrig sein könne, wenn er insgesamt als Verstoß gegen das Völkerrecht erscheine und eine Abkehr der NATO von ihrer friedenswahrenden Zielsetzung begründe.6 In diesem Punkt werden die Oppositionsfraktionen also auch in Zukunft gegenüber der Regierung eine materielle Überprüfung von Einsätzen veranlassen können. 2. Inzidente Prüfung Im Übrigen ist eine gerichtliche Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit eines Auslandseinsatzes – die formell ordnungsgemäße Beteiligung des Parlaments vorausgesetzt – nur inzident möglich.7 Im Rahmen von Strafverfahren gegen Soldaten wegen Straftaten nach dem Wehrstrafgesetz oder § 111 StGB (öffentliche Aufforderung zu Straftaten) kann die Grundgesetz- oder Völkerrechtswidrigkeit eines Einsatzes entscheidenden Einfluss haben.8 Auch im Rahmen verwaltungsgerichtlicher Verfahren, die von einzelnen Soldaten gegen die eigene Verwendung angestrengt wurden, ist eine inzidente Prüfung denkbar. Die Gerichte neigen allerdings dazu, eine klare Beantwortung der völker- und verfassungsrechtlichen Fragen zu vermeiden, und rekurrieren auf Irrtumskonstruktionen oder den Vorrang der Gewissensfreiheit.9

4

BVerfG, 2 BvE 2/07. BVerfG, 2 BvE 2/07, Absatz 50. 6 BVerfG, 2 BvE 2/07, Absatz 87. 7 Vgl. Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (139). 8 Vgl. etwa AG Tiergarten, NStZ 2000, 268. 9 BVerwG 2 WD 12.04 vom 22. 06. 2005; vgl. auch Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (139). 5

II. Rechtsschutz gegenüber dem Bundestag

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Aktuelle Bedeutung erlangte der Fall eines Majors, der sich im Jahr 2003 trotz Befehls weigerte, an der weiteren Entwicklung eines militärischen Software-Programms mitzuwirken. Sein Vorgesetzter konnte ausdrücklich nicht ausschließen, dass die Arbeit einer Beteiligung der Bundeswehr am Krieg im Irak diene. Der Major führte an, er könne es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, einen aus seiner Sicht völkerrechtwidrigen Angriffskrieg zu unterstützen. Er wurde daraufhin von seinem Posten abgezogen und vom Truppendienstgericht zum Hauptmann degradiert. Auf seine Berufung wurde der Major vom Bundesverwaltungsgericht vom Vorwurf eines Dienstvergehens freigesprochen. Auch das Bundesverwaltungsgericht enthielt sich zwar einer klaren Äußerung dazu, ob die deutschen Aktivitäten im Rahmen des Irakkriegs (Überflugrechte, Erlaubnis der Nutzung der auf deutschem Boden gelegenen amerikanischen Stützpunkte, Schutz dieser Stützpunkte) als völkerrechtswidrig einzustufen sind und begründete den Freispruch des Soldaten mit der Freiheit des Gewissens nach Art. 4 Abs. 1 GG, die durch den Befehl nicht verdrängt werde. Die Abwägung zugunsten der Gewissenentscheidung begründete das Gericht allerdings mit den „gravierenden rechtlichen Bedenken“, die gegen den Irak-Krieg „im Hinblick auf das Gewaltverbot der VN-Charta und das sonstige geltende Völkerrecht“ bestünden.10 Auch gegenüber den deutschen Unterstützungsleistungen bestünden im Hinblick auf die Aggressionsdefinition der VN-Vollversammlung gravierende völkerrechtliche Bedenken. Die NATO-Mitgliedschaft entbinde die Bundesrepublik nicht von ihren übrigen völkerrechtlichen Pflichten.11 Es bestehe insbesondere keine Verpflichtung „entgegen der VN-Charta und dem geltenden Völkerrecht völkerrechtswidrige Handlungen von NATO-Partnern zu unterstützen“.12 Das Urteil konnte daher als schallende Ohrfeige für die Bundesregierung verstanden werden.

II. Rechtsschutz gegenüber dem Bundestag13 1. Organstreitverfahren Auch gegenüber Akten des Parlaments kann der Wunsch nach gerichtlicher Überprüfung bestehen. Insbesondere eine Minderheit im Parlament, in der Regel die Oppositionsfraktionen, könnte versucht sein, einen parlamentarischen Mehrheitsbeschluss, der einen Auslandseinsatz legitimiert, in Bezug auf die materielle Rechtmäßigkeit anzugreifen. Existiert hierfür überhaupt eine geeignete Klageart? Das Organstreitverfahren scheidet aus, da es bei einer Beanstandung der materiellen Verfassungsgemäßheit nicht um spezifische Rechte des Antragsstellers als Teil des Bundes10

BVerwG 2 WD 12.04 vom 22. 06. 2005, Ziffer 4.1.4.1.1. BVerwG 2 WD 12.04 vom 22. 06. 2005, Ziffern 4.1.4.1.2. und 4.1.4.1.4. 12 BVerwG 2 WD 12.04 vom 22. 06. 2005, Ziffer 4.1.4.1.3. 13 Vgl. zu den Möglichkeiten der Regierung wegen einer völkerrechtlichen Einsatz-Verpflichtung (z. B. NATO-Bündnisfall) gegen eine Ablehnung oder einen Widerruf der parlamentarischen Zustimmung vorzugehen, auch oben 3. Teil, II. 4. c). 11

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4. Teil: Rechtsschutz

tages geht.14 Das Organstreitverfahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht.15 Das klassische Medium einer objektiven Verfassungsaufsicht ist typischerweise die abstrakte Normenkontrolle, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG. Diese Form des Rechtsschutzes bezieht sich allerdings ausschließlich auf die Überprüfung von Bundes- und Landesrecht, § 13 Nr. 6 BVerfGG. Der konstitutive Parlamentsbeschluss ist jedoch weder im formellen noch im materiellen Sinne ein Gesetz. 2. Abstrakte Normenkontrolle Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, dass die abstrakte Normenkontrolle auf alle schlichten Parlamentsbeschlüsse – insbesondere solche, die die Zustimmung zu Auslandseinsätzen beinhalten – auszudehnen sei.16 Bei einigen Arten der schlichten Parlamentsbeschlüsse sei die Möglichkeit der Normenkontrolle schon anerkannt. So sehen Art. 66 der Verfassung von Nordrhein-Westfalen und Art. 72 Abs. 2 der Landesverfassung von Bayern vor, dass Staatsverträge vom Parlament nicht wie in anderen Bundesländern durch ein Gesetz, sondern durch eine einfache Zustimmung bestätigt werden. Diese Zustimmung ist nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung der Normenkontrolle zugänglich.17 Die Überprüfbarkeit einer parlamentarischen Einzelmaßnahme finde sich auch im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung.18 Obwohl die Feststellung des Haushaltes keine abstrakt-generelle Regelung im Sinne eines materiellen Gesetzes darstelle, habe das Bundesverfassungsgericht aufgrund der verbindlichen Wirkung des Haushaltsplans eine Normenkontrolle zugelassen.19 Mit gleichem Recht müsse auch ein konstitutiver Zustimmungsbeschluss als durch Normenkontrolle überprüfbares Bundesrecht eingestuft werden. Die besseren Argumente sprechen indes gegen die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle. In diesem Sinne urteilt auch die herrschende Meinung, die eine Überprüfung schlichter Parlamentsbeschlüsse nur in den vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Ausnahmefällen bei der Zustimmung zu Staatsverträgen zulässt.20

14 Ein Organstreitverfahren gegen den Bundestag wäre aber dann möglich, wenn eine Fraktion eine Verletzung ihrer Rechte auf ordnungsgemäße Beteiligung an dem Verfahren, in dem der Bundestag dem Einsatz seine vorherige konstitutive Zustimmung erteilt hat, geltend macht, BVerfGE 100, 266 (270). 15 BVerfGE 68, 1 (69 ff.); 100, 266 (268 f.). 16 Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (140 f.); Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, 4. A. Rn. 119. 17 BVerfGE 90, 60. 18 Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (142). 19 Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (143) unter Verweis auf BVerfGE 20, 56 (91). 20 Umbach/Clemens/Dollinger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. A. § 76, Rn. 15; Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, Rn. 121; Rozek, in:

II. Rechtsschutz gegenüber dem Bundestag

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Der Grund hierfür liegt darin, dass die schlichte parlamentarische Zustimmung zu Staatsverträgen in Nordrhein-Westfalen und Bayern das in anderen Bundesländern und dem Bund übliche Zustimmungsgesetz ersetzt. Die Zustimmung tritt funktional an die Stelle des Gesetzes und hat damit gesetzesersetzenden Charakter.21 Die Anwendung der Regeln über die abstrakte Normenkontrolle ist damit anders als bei Entsendebeschlüssen, die kein Vertragsgesetz ersetzen, gut begründbar.22 Auch eine Übertragung der Rechtsprechung zur Überprüfung der Haushaltsgesetzgebung ist nicht möglich. Zwar stellt die Feststellung des Haushalts ebenso wie der konstitutive Parlamentsbeschluss bei Auslandseinsätzen eine Einzelmaßnahme dar. Das Haushaltsgesetz lässt sich als formelles Gesetz aber ohne weiteres unter den Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG oder § 13 Nr. 6 BVerfGG subsumieren. Genau hierauf hat auch das Bundesverfassungsgericht abgestellt.23 Demgegenüber ist ein schlichter Parlamentsbeschluss gerade kein Gesetz. Es ist immerhin verständlich, dass Teile der Literatur das Bedürfnis haben, eine so bedeutende Entscheidung wie die Entsendung von Streitkräften einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Das Verfassungsprozessrecht sieht allerdings – so unbefriedigend dies manchmal sein mag – keine umfassende Prüfung aller Akte der Staatsorgane auf ihre Verfassungsmäßigkeit vor. Zumeist ist die Kontrolle an eine Rechtsverletzung des Antragstellers geknüpft. Bei der abstrakten Normenkontrolle als objektivem Verfahren ist eine Rechtsverletzung zwar nicht erforderlich – da das Grundgesetz mit der Normenkontrolle den Schutz der Rechtsordnung als Ganzes bezweckt, muss aber die Rechtsordnung vom Verfahrensgegenstand betroffen sein. Ein Entsendebeschluss des Bundestages wird diesem Kriterium nicht gerecht: er betrifft nur einen Einzelfall und bewirkt keine permanente Änderung der Rechtsordnung, im Sinne eines abstrakt-generellen Gesetzes. Dieses Ergebnis ist hinnehmbar, da die parlamentarische Zustimmung nicht unmittelbar zum Einsatz der Streitkräfte führt, sondern nur eine Ermächtigung für die Bundesregierung darstellt. Der Parlamentsbeschluss wirkt lediglich im Innenverhältnis der Staatsleitung und hat keine unmittelbare Außenwirkung. Allein die Bundesregierung entscheidet in letzter politischer Instanz, ob sie den Einsatz tatsächlich durchführt. Es verbleibt damit die Möglichkeit, Rechtsschutz gegen die Regierung zu suchen, sobald diese den von ihr gestellten und vom Parlament genehmigten Antrag in die Tat umsetzt.24

Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Winter/Graßhof/Mellinghoff/Klein, Bundesverfassungsgerichtsgesetz (2007), § 76, Rn. 30. 21 Rozek, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Winter/Graßhof/Mellinghoff/Klein, Bundesverfassungsgerichtsgesetz (2007), § 76, Rn. 30. 22 In diesem Sinne auch Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, S. 113 (142). 23 BVerfGE 20, 56 (98); Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, 4. A. Rn. 119. 24 Vgl. oben, 4. Teil, I.

Zusammenfassung Die Arbeit befasst sich mit der Beteiligung des Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Die Möglichkeit materiell rechtmäßiger Auslandseinsätze wird dabei vorausgesetzt. Gegenstand der Arbeit ist das parlamentarische Zustimmungsverfahren in der vom Parlamentsbeteiligungsgesetz konkret ausgestalteten Form.

I. Der Parlamentsvorbehalt Trotz der vielfältigen Kritik am AWACS-Urteil ist dem Bundesverfassungsgericht im Ergebnis – der Existenz eines Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen der Streitkräfte – zuzustimmen. Der Zustimmungsvorbehalt wird dabei auch durch einen Rückgriff auf die Wesentlichkeitstheorie gestützt. Ein internationaler Vergleich zeigt, dass die Gewaltenteilung nicht zwingend ein Alleinentscheidungsrecht der Exekutive fordert. Im Gegensatz zu den allgemeinen Kontrollrechten erlaubt der Parlamentsvorbehalt dem Bundestag den Zugriff auf eine konkrete Entscheidung im Einzelfall. Die militärische Integration, insbesondere die etwaige Schaffung einer europäischen Armee, wird hierdurch nicht ausgeschlossen. Art. 23 Abs. 1 GG verlangt im Rahmen der europäischen Integration kein absolutes Festhalten an allen Regeln des Grundgesetzes. Geschützt sind allein die in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Grundsätze. Dem Demokratieprinzip ist bei Auslandseinsätzen einer europäischen Armee auch ohne vorherige Zustimmung des Bundestages Genüge getan, wenn eine hinreichende Rückkoppelung zum Souverän, dem Volk, besteht. Hierfür ist eine Entscheidung des Europäischen Ministerrates, gegebenenfalls unter Beteiligung des Europäischen Parlaments, ausreichend.

II. Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte Der Streitkräftebegriff ist funktional zu verstehen. Streitkräfte im Sinne des Parlamentsvorbehalts sind alle Einheiten, die militärische Einsätze ausführen, unabhängig davon, ob die eingesetzten Einheiten formal zu Bundeswehr oder Polizei gehören. Ein militärischer Einsatz liegt jedenfalls dann vor, wenn die eingesetzten Einheiten an einem bewaffneten Konflikt teilnehmen, der die Anwendung des Kriegsvölkerrechts (ius in bello) auslöst.

II. Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte

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Eine zustimmungspflichtige bewaffnete Unternehmung der Streitkräfte liegt nicht in jeder bewaffneten Verwendung, sondern nur in einer militärischen Verwendung, zu deren Ausführung Waffen mitgeführt werden. Die Streitkräfte müssen hierfür als militärisches Instrument mit ihren spezifischen Fähigkeiten genutzt werden; die Bewaffnung muss konkret der Erfüllung des militärischen Auftrages dienen. Auf die Bewaffnung des einzelnen Soldaten kommt es nicht an. Auch defensive Einsätze, Auslandseinsätze innerhalb des NATO-Bündnisgebietes und Einsätze geringer Bedeutung unterfallen dem Parlamentsvorbehalt. Die Gefahr konkreter Kampfhandlungen ist für die Auslösung des Zustimmungsvorbehaltes nicht erforderlich, da die Bundeswehr auch ohne tatsächliche Kampfhandlungen als militärisches Machtinstrument verwendet werden kann. Reine Selbstverteidigungsmaßnahmen stellen demgegenüber keinen militärischen Einsatz dar, da es an der Verknüpfung zwischen militärischer Tätigkeit und Bewaffnung fehlt. Humanitäre Einsätze bedürfen keiner Zustimmung des Bundestages, da die verwendeten Soldaten nicht in ihrer spezifischen Funktion als Teil der Streitkräfte agieren, sondern lediglich auf die Organisationsstruktur der Bundeswehr zurückgegriffen wird. Muss Katastrophenhilfe gewaltsam mit Waffen durchgesetzt werden, wird die Schwelle zum bewaffneten Einsatz überschritten. Im Grundsatz unterfällt nur der Einsatz selbst, nicht aber Vorbereitungshandlungen dem Parlamentsvorbehalt. Etwas anderes kann dann gelten, wenn eine Vorbereitungsmaßnahme selbst als bewaffneter Einsatz zu klassifizieren ist. Auch die mittelbare Beteiligung deutscher Soldaten – also die Unterstützung eines Verbündeten, der einen bewaffneten Einsatz führt, ohne dass deutsche Soldaten direkt am eigentlichen Einsatz teilnehmen – kann die Zustimmungspflicht im Einzelfall auslösen. Entscheidend ist, ob die Unterstützung über die Übernahme reiner Friedensaufgaben hinausgeht. Der Parlamentsvorbehalt muss sich auch im einstweiligen Rechtsschutz durchsetzen können. Im Rahmen der Folgenabwägung darf das Bundesverfassungsgericht nicht berücksichtigen, dass der Bundestag den Einsatz möglicherweise ablehnen würde, da nicht unterstellt werden kann, dass der Bundestag unvernünftigere Entscheidungen als die Bundesregierung trifft. Der abwägungsrelevante Nachteil eines zu Unrecht durchgeführten parlamentarischen Zustimmungsverfahrens liegt darin, dass ein unzuständiges Organ entscheidet. Dieser Nachteil bestünde aber auch im umgekehrten Fall. Wegen der Schwere eines Eingriffs in die Entscheidungsbefugnis des Parlaments muss sich der Parlamentsvorbehalt in der Regel auch im einstweiligen Rechtsschutz durchsetzen. Auch die Verwendung deutscher Soldaten in integrierten Verbänden und Stäben unterfällt dem Parlamentsvorbehalt, wenn diese Stäbe oder Verbände an einem bewaffneten Einsatz teilnehmen oder diesen unterstützen. Eine Unterscheidung zwischen ständigen und ad hoc gebildeten Stäben ist dabei nicht zulässig.

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Zusammenfassung

III. Das parlamentarische Zustimmungsverfahren Der Parlamentsvorbehalt erfordert einen Bundestagsbeschluss über einen konkreten Bundeswehreinsatz. Der Beschluss muss daher hinreichend bestimmt sein und darf keine Generalvollmacht enthalten. Der notwendige Inhalt des Beschlusses umfasst das Einsatzziel, das Einsatzgebiet, die geplante Dauer, die rechtlichen Grundlagen (etwa ein Sicherheitsratsbeschluss) und die Art und Zahl der einzusetzenden Streitkräfte. Kosten und Finanzierung des Einsatzes stellen keine verfassungsrechtlich gebotene Konkretisierung dar. Sogenannte Vorratsbeschlüsse sind grundsätzlich nicht zulässig. Eines Zustimmungsbeschlusses bedarf es auch dann, wenn die Bundesrepublik Deutschland, etwa durch den NATO-Vertrag, zu einer militärischen Beistandsleistung völkerrechtlich verpflichtet ist. Der Bundestag darf den Regierungsantrag in völkerrechtlicher Hinsicht zwar nicht ablehnen; staatsrechtlich kann der Bundestag seine Zustimmung dennoch wirksam verweigern. Das Initiativrecht für einen Auslandseinsatz steht allein der Bundesregierung zu, weil nur diese im Sinne der Organadäquanz über die erforderlichen Strukturen und damit die Kompetenz verfügt, einen Auslandseinsatz zu planen. Dem Bundestag ist es allerdings nicht verwehrt, die Exekutive durch einen schlichten Parlamentsbeschluss zu einem Auslandseinsatz aufzufordern. Innerhalb der Bundesregierung steht die Entscheidung über einen Auslandseinsatz dem Kabinett als Kollegialorgan zu. Bei Gefahr im Verzug kann der Beschluss von einem verkleinerten Regierungskreis gefasst werden, im äußersten Notfall vom Verteidigungsminister, als Inhaber der Kommando- und Befehlsgewalt, alleine. Anders als im parlamentarischen Zustimmungsverfahren stellt Geheimhaltungsbedarf im Rahmen der Regierungsentscheidung keinen Grund für ein verkleinertes Entscheidungsgremium dar. Der Bundestag hat als Folge des fehlenden Initiativrechts nicht das Recht, einen Zustimmungsantrag der Bundesregierung zu modifizieren. Eine Modifizierung stellt die Ablehnung des gesamten Regierungsantrages dar, verbunden mit der Aufforderung einen neuen veränderten Antrag einzubringen. Der Bundestag darf seine Zustimmung zu einem Einsatz allerdings befristen, da er ohnehin das Recht hat, seine Genehmigung zu widerrufen. Protokollerklärungen der Bundesregierung, die vom eigentlichen Inhalt des Zustimmungsantrages abweichen, sind zulässig und für die Bundesregierung bindend. Demgegenüber sind parlamentarische Protokollnotizen für die Bundesregierung nicht verbindlich und als reine Interpretationserklärungen zu betrachten. Dem Bundestag steht das Recht zu, seine Zustimmung zu einem Auslandseinsatz zu widerrufen. Das parlamentarische Rückrufrecht unterliegt dabei keiner praktisch relevanten Einschränkung. Völkerrechtliche Verpflichtungen im Außenverhältnis schränken die Entscheidungskompetenz des Bundestages im Innenverhältnis nicht ein.

IV. Rechtsschutz

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Durch einen Widerruf der parlamentarischen Zustimmung wird dem Auslandseinsatz die rechtliche Grundlage ex nunc entzogen. Da die konkrete Einsatzführung der Bundesregierung obliegt, bestimmt allein sie die Details der Rückführung der Streitkräfte. Die Bundesregierung muss die Streitkräfte daher nicht sofort, sondern binnen angemessener Frist – unverzüglich – zurückrufen. Im Falle einer grundlegenden Änderung der Einsatzumstände bleibt der Auslandseinsatz vom Zustimmungsbeschluss des Bundestages gedeckt. Erst wenn die Bundesregierung auf die veränderten Umstände mit Mitteln reagieren möchte, die im Zustimmungsbeschluss nicht vorgesehen sind, muss eine erneute veränderte Zustimmung herbeigeführt werden. Bei Gefahr im Verzug oder Geheimhaltungsbedarf kann die Bundesregierung vorläufig auch ohne parlamentarische Zustimmung Streitkräfte im Ausland einsetzen. Eine Eilentscheidung ist dann möglich, wenn die Streitkräfte materiell-rechtlich eingesetzt werden dürfen und bei Durchführung des parlamentarischen Zustimmungsverfahrens der Einsatzzweck aufgrund der Zeitverzögerung gefährdet würde. Je höherwertiger das gefährdete Rechtsgut ist, umso geringere Anforderungen dürfen an den Grad der Gefährdung gestellt werden. Die Wehr- und Bündnisfähigkeit Deutschlands ist dabei lediglich der Grund für die Eilentscheidungskompetenz der Exekutive und nicht zu schützendes Rechtsgut selbst. Um den Regelfall der vorherigen Zustimmung nicht in den Ausnahmefall umzukehren, sind die Begriffe „Gefahr im Verzug“ und „Geheimhaltungsbedarf“ eng auszulegen und gerichtlich voll überprüfbar. Der Regierung steht im Rahmen ihrer Prognose aber eine Einschätzungsprärogative zu. Das Zustimmungsverfahren ist nach einer Eilentscheidung unverzüglich nachzuholen; dies gilt auch dann, wenn der Einsatz bereits erledigt ist.

IV. Rechtsschutz Setzt die Bundesregierung unter Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt bewaffnete Streitkräfte im Ausland ein, handelt sie verfassungswidrig, da der Zustimmungsvorbehalt direkter Ausfluss des Grundgesetzes ist. Ein Verstoß kann vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines Organstreitverfahrens festgestellt werden. Die materielle Rechtmäßigkeit eines Einsatzes kann in diesem Rahmen verfassungsgerichtlich daraufhin überprüft werden, ob ein Verstoß gegen Art. 59 Abs. 2 GG vorliegt. Im Übrigen kann die materielle Rechtmäßigkeit eines Einsatzes nur inzident im Rahmen regulärer Gerichtsverfahren geprüft werden. Gegen einen Zustimmungsbeschluss des Bundestages ist kein Rechtsschutz möglich, eine abstrakte Normenkontrolle nicht zulässig. Rechtsschutz kann damit nur gegen die Umsetzung des Beschlusses durch die Bundesregierung gesucht werden.

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Sachverzeichnis Abstrakte Normenkontrolle 168 Actus contrarius 126, 135 Adenauer, Konrad 14 Afghanistan 46, 69, 72, 93 Albanien 48, 149 Algerien 46 Allgemeine Kontrollrechte 30, 35, 40, 90 Änderung eines Regierungsantrags 111 ff., 117, 120 Angriffskrieg 56 Aufklärung 28 Auslandseinsätzemitwirkungsgesetz 19 Auslegung des Parlamentsbeschlusses 94 Ausschuss für Auslandseinsätze 19, 154 Außenminister 102 f., 121 Austauschvereinbarungen 159 Auswärtige Angelegenheiten 25 Auswärtige Gewalt 22, 27 ff. AWACS 16 f., 69 ff. AWACS II-Entscheidung 74 AWACS-Urteil 15 ff., 22, 31, 44 Befehls- und Kommandogewalt 25, 34, 45, 101 f., 126 Befristung 112 f., 123 Beobachtungsmissionen 61 f. Bestimmtheitsgebot 85, 90 ff., 96, 108 Beurteilungsspielraum 61, 130 Bewaffnete Unternehmung 44, 52 ff., 58 Bewaffneter internationaler Konflikt 50 f., 71, 160 Bewaffnung 64 Bindungswirkung des Parlamentsbeschlusses 90, 132 Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Urteile 20, 22 Bindungswirkung von Protokollerklärungen 118 ff. Bismarck, Otto von 38 Bosnien-Herzegowina 16, 72, 76, 78, 80 Budgetloses Regime (Preußen) 38

Bundesgrenzschutz (BGS) 49, 52 Bundeskanzler 25, 34 ff., 45, 102 f. Bundesminister 35 Bundespolizeigesetz 47 Bundesrat 27, 33 f. Bündnisfähigkeit 78 f. Bündnisfall 24, 56, 71 ff., 94 ff., 97 Bündnisgebiet 145 Clausula rebus sic stantibus 118, 140 Demokratieprinzip 25, 27, 31 ff., 38, 43 Deutsch-Französische Brigade 86 Drohung, militärische 59, 69 Ehrenformationen 53 Einsatz 44 ff., 52 ff. – Beobachtungsmissionen 61 f. – bewaffneter deutscher Streitkräfte 44 – bewaffneter Einsatz 53 ff. – defensive Einsätze 55, 84 – der Streitkräfte 48 – einzelner Soldaten 19, 55, 57, 88, 159 – geringer Bedeutung 57, 67, 158 – geringer Intensität und Tragweite 19, 89, 155 ff. – Geringfügigkeitsschwelle 157 – humanitäre Einsätze 57, 61 f., 65 f., 73 – im Inneren 26, 128, 137 f. – in Friedenszeiten 57, 75, 81 ff. – militärischer Einsatz 48 f., 54 f. – Out-of-Area-Einsätze 56 f., 70 f. – polizeilicher Einsatz 49 Einsatzgebiet 94 Einsatzleitung 90 f. Einschätzungsprärogative 61 Einstweilige Anordnung 17, 74 ff. Einzelfallbeschluss 90 ff. Einzelfallgesetz 99 f. Eisen-und-Blut-Rede 38 Ermessensspielraum 147 f.

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Erwarten einer bewaffneten Unternehmung 60 ff. Eurocorps 86 Europäische Armee 41 ff. Europäische Integration 41 Europäische Union 41, 45, 85 Europäische Verteidigungsgemeinschaft 14, 41 f. Evakuierungsmaßnahmen 145, 149 Ewigkeitsklausel 32, 42 Ex-ante-Betrachtung 62, 151 Ex-nunc-Wirkung 142 Fact-finding-Missionen 67, 158 FDP-Entwurf 19, 88, 154 Folgenabwägung 75 ff. Frankreich 30 Garantenstellung 64 Gefahr im Verzug 19, 62, 79, 89, 102 ff., 132 f., 142 ff. – Begriff 144 – geschützte Rechtsgüter 144 ff. – nach dem Regierungsantrag 149 – Rechtsfolgen 148 – Rechtsschutz 150 – Zeitfaktor 147 Gefahr konkreter Kampfhandlungen 58 f., 64, 69, 81 Gefährdungsgrad 80 Gefahrenprognose 60 Geheimhaltungsbedürftigkeit 19, 102, 104, 142, 151 ff. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik 41 Genehmigungsfiktion 161, 163 f. Generalermächtigung 93 Genfer Konventionen 50 ff. Gesetzgebung 31 ff., 37, 39 f., 106 Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers 128 Gewaltenmonismus 25, 31, 135 Gewaltenteilung 26, 28 f., 31 Gewaltneutrales Tätigwerden 70, 73 Gewaltverbot der VN-Charta 167 Golfkrieg 15 Grundgesetz 13 Grundrechte 32, 99 f., 146

GSG 9 (Grenzschutzgruppe 9) 45 Guerilla 51 f. Haushaltsrecht 18, 24, 30 f., 37 ff., 91 Heeresreform (Preußen) 37 Hit-and-Run-Prinzip 51 Hungersnot 65 IFOR 96 Informationspflicht 148 Inhalt des Beschlusses 91 ff., 96 Initiativrecht 39, 100 ff., 111, 124, 133, 135 Integrierte Verbände 42, 76, 85 ff., 96 Internationaler Vergleich 29 Interpellationsrecht 35, 40 Interpretationserklärungen 124 Irak 15, 46, 49, 51, 69, 74 f., 81 ff. ISAF 166 Ius ad bellum 50 Ius in bello 50 f. Jefferson, Thomas 28 Jugoslawien 15 f. Kabinetts-/Kollegialprinzip 25, 101 f., 121 f. Kaiser 23 Kampfhandlungen 53, 58 ff., 64, 72, 82, 92 Kanzlerprinzip 25 Katastrophenhilfe 53, 61, 64 f., 138 KFOR 116, 141 Kollektives Sicherheitssystem 87 Kombattantenstatus 52, 71 Kombinierte Gewalt 28 Kommando Spezialkräfte (KSK) 46, 158 Konkrete Gefährdung des Soldaten 80 Konstitutionalismus 37 Konstitutiver Parlamentsvorbehalt 17, 20, 23, 34 Korea-Krieg 13 Kosovo 70 Kosten und Finanzierung 91 f. Krankentransporte 53 Krieg 50, 56 f., 159 Kriegsbefangenes Territorium 75, 82 f. Kriegserklärung 23, 26 Kriegsgräberfürsorge 52 Kriegsvölkerrecht 50 f.

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Legislaturperiode 128, 131, 135 Locke, John 28

Ost-Timor 68 OSZE 45

Materielle Rechtmäßigkeit 20, 166 Mazedonien 122 Medizinische Versorgung 65 Mehrheitsprinzip 24, 34 Merkel, Angela 41 Militärisches Machtpotential 82 f., 86, 159 Militärspezifische Bewaffnung 64 Minderheitenrecht 41, 161 Minenräumung 65 Misstrauensvotum, (konstruktives) 30, 36, 40 f., 127, 131, 137 Mittelbare Einbeziehung 69 ff., 75 Modalitäten des Einsatzes 90 Modifizierende Auflagen 114 Modifizierung des Regierungsantrages 101, 111 ff., 119, 123 Monarchie 38 Montesquieu 28 Mosambique 66

Pariser Verträge 14 Parlamentarische Kontrolle 25 ff., 35 ff., 40, 47 Parlamentsbeteiligungsgesetz 19, 44 Parlamentsfreundliche Auslegung 80, 85 Parlamentsheer 21, 59, 76 f., 80, 106, 124, 128 f., 136 Pershing-Raketen 108 Planungsmaßnahmen 66 ff. Polizeieinheiten 45 f., 48 Polizeieinsätze, internationale 47, 49 Potsdamer Abkommen 13 Preußische Verfassung (1859) 28 Preußischer Verfassungskonflikt (1861) 37 Preußisches Allgemeines Landrecht (1794) 28 Prognoseentscheidung 60 f., 145, 151 Protokollerklärungen 114, 115 ff. Protokollnotizen des Bundestages 122 ff.

Nachträgliche Protokollerklärung 120 Nachträgliche Zustimmung 19, 62, 142 ff., 148 NATO 15 ff., 29 f., 69 ff., 81, 85, 95 NATO-Response-Force 86, 96 Nebenbestimmungen zu Verwaltungsakten 114 Neuer Antrag der Bundesregierung 141 Neutralitätsgebot 73 Nicht-internationaler Konflikt 50 Niederlande 29 Notstandsverfassung 14, 25 Notwehr/-hilfe 63

Quorum 27

Obleute 155 Ombudsmann 37 Operation Allied Harmony 122 Operation Eagle Assist 69, 71 f., 81 Operation Enduring Freedom 93, 116 Operation Joint Guardian II 116 Operation Libelle 48, 102, 104, 143, 148 f. Organadäquanz 27, 29, 106 ff., 126, 134 Organstreitverfahren 48, 165, 167 Österreich 38

Ratifizierung 86 f., 136 Rechtsschutz 165 ff. – abstrakte Normenkontrolle 168 – gegenüber dem Bundestag 167 ff. – gegenüber der Bundesregierung 165 ff. – inzidente Prüfung 166 f. – Organstreitverfahren 165 f., 167 f. Rechtsstaatsprinzip 31 f., 90 Regelbeispiel 158 Regelungslücke 33 Reichsverfassung (1871) 23 Reichsverfassung (1919) 23 Remilitarisierung 13 Ressortprinzip 121 f. Richtlinienkompetenz 102 Routinemäßige Überwachungsaufgaben 57, 71 f., 74 f., 81 ff. Rückholrecht 19, 25 f., 47 f., 96 f., 101, 114, 118, 120, 124 ff. – Einschränkungen 129 ff., 138 ff. – Rechtsfolgen 142 – über das Gesetz hinausgehend 148

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Schlichter Parlamentsbeschluss 35, 40 f., 89, 109 ff., 169 Schweden 30, 37 Selbstschutzkomponenten 63 Selbstverteidigung 62 ff. Sicherheitsrat der Bundesregierung 102 Somalia 15, 17, 66, 76, 79 f. Stabsarbeit 85 ff. Ständige integrierte Stäbe 88 f. Strafverfahren 166 Streitkräfte 45 Systematische Auslegung 21 Taliban 51 Terrorismus 49, 51, 69, 71, 92 f. Tornado-Entscheidung 166 f. Tsunami 66 Türkei 69, 74 f., 78, 80 ff. Überflugrechte 84 Übertragung von Hoheitsrechten 41 f. UdSSR 13 Umweltschutz 53 Unbewaffnete Soldaten 72, 83 Ungarn 29 UNOSOM II 16 f., 66, 76 ff. Untersuchungsausschuss 24, 26, 36, 41 Unveränderte Fortführung eines Einsatzes 155, 162 ff. USA 13, 30, 69 ff. Veränderung der Einsatzumstände 62, 127, 129 ff., 138 ff. Vereinfachtes Zustimmungsverfahren 19, 58, 89, 155 ff., 160 ff. Vereinigtes Königreich 30 Vereinte Nationen 15 ff., 30, 45, 85 – Sicherheitsratsbeschlüsse 145 Verfassungsänderung 24, 33, 42 Verfassungsorgantreue 127, 129 ff., 138 f.

Verfassungstradition 21, 26 Verfassungsvorbehalt 52 f., 138 Verlagerung von Truppen ins Ausland 68 Verlängerung von Einsätzen 155, 162 ff. Verteidigungsausschuss 24, 26, 36, 40 f. Verteidigungsfall 15, 18, 23 f., 26 f., 32 ff., 55, 63, 128, 130, 137 f. Verteidigungsminister 25, 37, 45, 101 ff., 121 Verteidigungsministerium 108 Veto-Recht 106 Vietnam-Krieg 30 Völkerrecht 28, 30, 49, 52, 71, 86, 95, 127, 129 ff., 132, 135, 139 ff. Vorbereitende Maßnahmen 66 ff., 158 f. Vorkommandos 66 ff. Vorratsbeschluss 96 ff., 111 Vorwegverweigerung 96, 98 Wahrscheinlichkeit konkreter Kampfhandlungen 59 War-Power-Act 30 Wegfall der Geschäftsgrundlage 140 Wehrbeauftragter 24, 37, 40 Wehrverfassung 14, 18, 21 Weimarer Reichsverfassung (1919) 23 Wesentlichkeitstheorie 31, 33, 49, 80 WEU 15, 17, 45, 95 Widerruf einer Protokollerklärung 120 Wiederbewaffnung 13 Wiedervereinigung 15 Wilhelm I. 37 f. Willkürverbot 139 Zeitverzögerung durch Bundestagsbeschluss 78 Zitierrecht 35, 40 Zivile Mitarbeiter 45 Zivilisten 52 Zuständigkeit bei Protokollerklärungen 121 Zwei-plus-Vier-Vertrag 39