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German Pages 387 [388] Year 2021
Bormann • Erziehung in der Bundeswehr
Beiträge zur Militärgeschichte Begründet vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Band 79
Erziehung in der Bundeswehr Konzeption und Implementierung militärischer Erziehungsgrundsätze in der Aufbauphase der Bundeswehr 1950‑1965 Von
Kai Uwe Bormann
Die vorliegenden Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam im Jahr 2016 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen. Gutachter waren Herr Prof. Dr. Michael Epkenhans, Universität Potsdam, und Herr Prof. Dr. Dr. Rainer Hering, Universität Hamburg. Die mündliche Prüfung fand am 13. Februar 2017 statt.
Redaktion: ZMSBw, Fachbereich Publikationen (0864‐01) Projektkoordination: Björn Mielbrandt/Michael Thomae Lektorat: Björn Mielbrandt Layout und Satz: Carola Klinke
ISBN 978-3-11-073481-2 E-ISBN (PDF) 978-3-11-073353-2 E-ISBN (EPUB) 978-3-11-073365-5 ISSN 2192-2322
Library of Congress Control Number: 2021940557 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston Titelbild: Unterricht bei freiwilligen Soldaten in Andernach im Dezember 1955 (Alfred Strobel/Süddeutsche Zeitung Photo) Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen www.degruyter.com
Inhalt Vorwort.......................................................................................................... IX Einleitung...................................................................................................... 1 1. Inhaltliche Vorüberlegungen und Fragestellung.................................. 1 2. Quellenlage und Forschungsstand...................................................... 9 3. Methodische Überlegungen............................................................... 16 I. Erziehung – Ausbildung – Bildung: Eine Differenzierung pädagogischer Elementarbegriffe............................ 21 Exkurs: Erziehungswissenschaftliche Theorien in der jungen Bundesrepublik....................................................................................... 22 1. Erziehung.......................................................................................... 34 a) Erziehungsbegriff.......................................................................... 35 Intentionale Erziehung/Direkte Erziehung.................................... 36 Funktionale Erziehung.................................................................. 37 Indirekte Erziehung...................................................................... 38 Fremd- und Selbsterziehung......................................................... 41 Militärische Erziehung.................................................................. 41 b) Erziehungsziele............................................................................. 42 c) Erziehungsmittel........................................................................... 43 d) Der Endpunkt der Erziehung in der pädagogischen Theorie......... 45 Wilhelm von Humboldt............................................................... 46 Friedrich Daniel Schleiermacher................................................... 47 Wilhelm Dilthey........................................................................... 49 Hermann Nohl............................................................................. 50 Wilhem Flitner............................................................................. 54 Theodor Litt................................................................................. 58 Erich Weniger............................................................................... 60 2. Bildung.............................................................................................. 62 3. Ausbildung........................................................................................ 66
VI Inhalt
II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung: Konzeption militärischer Erziehungsgrundsätze für die westdeutschen Streitkräfte....................................................................... 69 1. Staatsbürger in Uniform: Innere Führung und soldatische Erziehung......................................................................... 69 2. Staatsbürgerliche Erziehung............................................................... 76 3. »Ethische« Erziehung – Der Lebenskundliche Unterricht................... 89 a) Historische Vorbilder – Kasernen-Abendstunden und Kasernenstunden.......................................................................... 90 b) Von der »Chaplain’s Hour« in den deutschen Dienstgruppen der US-Streitkräfte zum Lebenskundlichen Unterricht der Bundeswehr als Beitrag der Kirchen an der Gesamterziehung des Soldaten.................................................................................. 97 4. Der Blick über den »Gartenzaun« – Der Erziehungsbegriff in den Streitkräften zukünftiger Alliierter........................................... 122 a) Großbritannien............................................................................. 124 b) Vereinigte Staaten von Amerika.................................................... 130 c) Belgien.......................................................................................... 132 d) Dänemark..................................................................................... 134 e) Schweden..................................................................................... 135 f ) Schweiz......................................................................................... 136 5. Die »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« 1953‑1954............... 141 a) Die Siegburger Tagungen.............................................................. 142 b) Das Studien-Bureau Pfister........................................................... 173 c) Der Deutsche Bundesjugendring.................................................. 185 d) Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954................................................. 198 6. Die Leitsätze in der Diskussion.......................................................... 203 a) Die »Wirmer-Kontroverse«........................................................... 205 b) Blank und Heusinger.................................................................... 231 c) Hermann Foertsch: Principiis obsta!............................................. 232 d) Josef H. Pfister.............................................................................. 245 e) Der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen.............................................................................. 248 f ) Der Bundestagsausschuss für Fragen der europäische Sicherheit.................................................................. 255 g) ZDv 11/1 »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« (1957) .......................................................................... 271
Inhalt VII
7. Erziehen – Nicht strafen!................................................................... 280 a) Der Erlass »Erzieherische Maßnahmen« (1958/1965)................... 281 b) Das Problem schwer erziehbarer Soldaten..................................... 294 c) Die Ausbildungsschrift »Schwierige junge Soldaten« (1961)......... 304 d) Eine Renaissance des »Alten Geistes«? – Militärjustiz und Sondereinheiten............................................................................ 315 8. Erziehung im Alltag der Bundeswehr................................................. 332 III. Bilanz...................................................................................................... 343 Abkürzungen.................................................................................................. 347 Quellen und Literatur.................................................................................... 351 Personenregister............................................................................................ 374
Vorwort Erziehung von Kindern und Jugendlichen – ja! Aber Erziehung von erwachsenen Soldaten? Bis ins Zeitalter der Weltkriege galt das Militär häufig als »Schule der Nation«. Wenngleich dieses Credo mit der 1955 erfolgten Aufstellung der Bundeswehr keinen Anspruch auf Zustimmung erheben konnte, zeigten sich große Teile der Bevölkerung, darunter auch die von einer militärischen Dienstpflicht Betroffenen selbst, einer erzieherischen Funktion des militärischen Dienstes gegenüber nicht abgeneigt. Dass auch die Planer der zukünftigen westdeutschen Streitkräfte nicht auf den althergebrachten Erziehungsanspruch des Militärs verzichten wollten, war bereits 1950 im Verlauf der Himmeroder Tagung deutlich geworden. Charakterbildung und Erziehung, so der Beschluss zum zukünftigen Inneren Gefüge der späteren Bundeswehr, sollten in ihrer Bedeutung gleichrangig neben die Ausbildung treten. Es dauerte jedoch lange, bis sich diese Absicht und das von Wolf Graf von Baudissin postulierte Erziehungsziel eines »Staatsbürgers in Uniform«, der freier Mensch, einsatzbereiter Soldat und vollwertiger Staatsbürger sein sollte, in einschlägigen Vorschriften wie den »Leitsätzen für die Erziehung des Soldaten« niederschlug. Diese Entwicklung nachvollziehend zeigt der Verfasser auf, dass Politik, Wissen schaft, Kirchen und Verbände, die in der Vergangenheit keinen Einfluss auf die Erziehungskonzeption und -wirklichkeit im deutschen Militär hatten, nunmehr regen Anteil an der Entwicklung der Erziehungsleitsätze nahmen. Dabei wird deutlich, dass auch mit Blick auf diesen Aspekt des militärischen Neubeginns von einer »Stunde Null« nicht die Rede sein kann, da alle an der Planung für die Erziehung der zukünftigen Soldaten beteiligten Protagonisten durch ihre Erfahrungen im »Dritten Reich« geprägt waren – sei es als emigrierte oder in Deutschland verbliebene Regimegegner, Angehörige der Wehrmacht, Mitläufer oder engagierte Nationalsozialisten, deren Zusammenwirken Baudissin allerdings nachdrücklich moderieren musste. Kritik wurde vorrangig am grundsätzlichen Erziehungsanspruch als auch an der vermeintlichen Nähe zu Vorschriften der Wehrmacht geübt. Zugleich wurden rückwärtsorientierte Stimmen nach Wiedereinführung von Sonderheiten, ja der Wiedereinführung der Militärgerichtsbarkeit laut, um auch schwer erziehbare Soldaten in die militärische Ordnung einzufügen oder die Disziplin im Verteidi gungsfall durchzusetzen. Diese nicht mehr zeitgemäßen Vorstellungen setzten sich letzten Endes nicht durch, und so beschreibt die Studie den oftmals steinigen Weg einer in die zeitgenössische »Allgemeine Pädagogik« eingebundenen Militärpädagogik, deren Erziehungsbemühungen sicherstellen, dass der Soldat nicht aufhört, Bürger zu sein.
X Vorwort
In meinen Dank an den Autor schließe ich den begleitenden Hochschullehrer an der Universität Potsdam und ehemaligen Leitenden Wissenschaftler am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Professor Dr. Michael Epkenhans, sowie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums für Militär geschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr ein, die zu dieser Veröffent lichung beigetragen haben. Dr. Frank Hagemann Oberst und Kommandeur i.V. des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
Einleitung 1. Inhaltliche Vorüberlegungen und Fragestellung Kaum hatte der personelle Neubeginn westdeutschen Militärs mit der Ernennung der ersten 101 Freiwilligen am 12. November 1955, dem 200. Geburtstag des preußischen Militärreformers Gerhard Johann David von Scharnhorst1, öffentlichkeitswirksam stattgefunden, da drückte ein Vater in einem Schreiben an das bekannte Hamburger Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« die freudige Erwartung aus, dass man »seinen Herren Söhnen bald einmal nach altbewährter preußischer Art die Hammelbeine« lang ziehen werde. Denn das Militär, so sein Credo, sei »bisher immer noch die beste Schule des Volkes gewesen [und daran] sollte festgehalten werde.«2 Ähnlich lautende Bekundungen von Müttern, die sich »von der Bundeswehr die Erziehung ihres missratenen Sohnes« erhofften oder sich eine Wehrpflichtarmee wünschten, »um mit ihrem Sohne fertig zu werden«3, stützten dieses überkommene Denkmuster.4 Derartige Bestrebungen, die Bundeswehr als Korrekturanstalt der eigenen elterlichen Versäumnisse und pädagogischen Unzulänglichkeiten zu instrumentalisieren, fanden auf den ersten Blick aber nur geringen oder gar keinen Anklang. Mithin erfuhr der väterliche Wunsch eine mehrheitlich negative Resonanz5 und auch von offizieller Seite wurde »diese Anschauung zur Freude eigentlich aller anderen« abgelehnt.6 Eine nur wenige Monate später durchgeführte Meinungsumfrage »Wozu dient eine Bundeswehr?« kam indes zu dem überraschenden Ergebnis, dass sich die 1 2 3 4
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Zu Scharnhorst und seinem militärpädagogischen Wirken siehe Stübig, Gerhard von Scharnhorst; Hentschel, Preußische Porträts, S. 317‑363. Der Spiegel, 11.4.1956, S. 3. Tagebuch Baudissin, Einträge 6.8. und 3.10.1956, BArch, N 717/7, Bl. 48, 128. Auch in der DDR verwiesen nicht wenige Eltern auf den erzieherischen Charakter der Nationalen Volksarmee, denn in »den Augen vieler erfüllte die Armee tatsächlich die Funktion einer Schule der Nation, in der versäumte Erziehung nachgeholt werden konnte. Die Auffassung, die Jugendlichen würden durch die Armee ›erst einmal zu ordentlichen Menschen erzogen‹ und ›die richtige Einstellung zum Leben‹ finden, scheint bei der älteren Generation von der Einführung der Wehrpflicht bis zum Ende der DDR verbreitet gewesen zu sein [...] Diese Erwartungshaltung mochte zwar eine nicht näher zu bestimmende Anzahl Eltern und Erzieher beruhigen, die Attraktivität der Streitkräfte in den Augen junger Erwachsener aber nur bedingt steigern.« Rogg, Armee des Volkes?, S. 224. Der Spiegel, 24.4.1956, S. 3 f. Tagebuch Baudissin, Eintrag 3.10.1956, BArch, N 717/7, Bl. 128. Baudissin hatte auf einer Studientagung des Katholischen Frauenbundes über die Hintergründe der Menschenführung sowie der Arbeitsgebiete der »Inneren Führung« gesprochen, an der etwa 45 Frauen unterschiedlichen Alters und heterogener sozialer Herkunft teilgenommen hatten.
2 Einleitung
Befürworter einer Erziehungsinstitution »Streitkräfte« ungeachtet aller vorangegangenen Erfahrungen eines positiven Echos sicher sein konnten.7 Auf die Frage, ob man bei der Organisation der Bundeswehr den rein militärischen Verteidigungsaufgaben oder einer Erziehung der jungen Männer das Primat einräumen sollte, votierten 43 Prozent der Befragten für die Erziehung, während lediglich 14 Prozent den Verteidigungsaufgaben den Vorrang zugestanden, 27 Prozent sprachen sich für eine ausgewogene Aufgabenverteilung aus, 16 Prozent hatten hierzu keine Meinung. Die höchste Zustimmung für einen Erziehungsauftrag des Militärs kam vonseiten der Frauen im Alter zwischen 45 und 59 Jahren, also dem Teil der Bevölkerung, deren Söhne von einer zukünftigen Wehrpflicht betroffen wären.8 Aber auch große Gruppen der potentiellen Wehrpflichtigen selbst begrüßten die erzieherische Funktion des militärischen Dienstes. Ebenfalls bejaht wurde die Frage, ob die Jugend des Militärs bedürfe, um Ordnung und Anstand zu erlernen. Auch hier stach die bereits erwähnte Altersgruppe der Frauen mit 70 Prozent Zustimmung hervor, gefolgt von den Männern gleichen Alters (55 Prozent). Die Betroffenen selbst stimmten nur mit 42 Prozent zu. Über die Resultate der Umfrage zeigten sich die Meinungsforscher überrascht, denn entgegen den heftigen Kontroversen, die das Thema Wiederbewaffnung in allen Teilen der Bevölkerung ausgelöst hatte, wurde das Militär von einer deutlichen Bevölkerungsmehrheit als »eine gute und notwendige pädagogische Einrichtung« betrachtet. Auf die sich ihnen nach Auswertung der Umfrageergebnisse stellende Frage, wie man sich nun das Bewusstsein gerade der jungen Menschen vorzustellen habe, »die glauben, es fehle ihnen ein Stück Erziehung – und gerade dieses?«, hatten die Allensbacher Forscher jedoch keine Antwort. Leichter fiel ihnen hingegen die Analyse der innenpolitischen Folgen der Umfrageergebnisse. Demnach würde sich die Mehrheit der Bevölkerung, einschließlich der Gegner einer Wiederbewaffnung, umso schneller mit der Aufstellung von Streitkräften arrangieren, »je deutlicher sie in dem Gefühl bestärkt wird, dass die Armee eigentlich nichts mit Krieg und Vernichtung zu tun habe, sondern in erster Line dazu diene, Nachhilfestunden in den Disziplinen zu erteilen, die bei der Erziehung im Elternhaus zu kurz kamen.«9 Blieb noch die Frage nach den Erziehungsmethoden zu beantworten. Hier überwog Pessimismus. Immerhin 55 Prozent aller Befragten vertraten die Auffassung, dass es allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz schließlich doch wieder »wie früher« werden würde; auf einen Erfolg der Reformbemühungen vertrauten lediglich 20 Prozent. In der Gruppe der männlichen 30- bis 59-Jährigen, also der noch in Masse Kriegsgedienten, betrug das Verhältnis sogar 68 zu 22 Prozent.
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Diese Umfrage wurde durch das Institut für Demoskopie, Allensbach, im Auftrag des Spiegels durchgeführt. Siehe Der Spiegel, 18.7.1956, S. 29‑31. Nach heftigen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen wurde das Wehrpflichtgesetz am 21.7.1956 verkündet. Es trat am 25.7.1956 in Kraft. Siehe Wehrpflichtgesetz vom 21.7.1956, BGBl. 1956, Teil I, S. 651‑661. Zur Wehrpflichtdebatte siehe u.a. Ehlert, Innenpolitische Ausein andersetzungen, S. 514‑552; Meier-Dörnberg, Die Auseinandersetzung. Die ersten Wehrpflich tigen des Heeres traten ihren Dienst am 1.4.1957 an, Marine und Luftwaffe folgten am 16.1.1958. Der Spiegel, 18.7.1956, S. 30.
Einleitung 3
Unter Berücksichtigung der historischen Erfahrung kann die politische Färbung des Ergebnisses kaum überraschen. Zeigten sich 51 Prozent der männlichen CDUAnhänger skeptisch, waren es bei den Anhängern der SPD bereits 80 Prozent, die ein Wiederaufleben des alten (Un-)Geistes befürchteten. Mit einer Bewertung dieses Ergebnisses taten sich die Meinungsforscher schwer: Waren den Befragten die Reformbemühungen auf dem Weg zum »gewollten Soldaten« (Nägler), die sich zum Teil schon in Gesetzen niedergeschlagen hatten, entgangen?10 Die von Anbeginn verfolgte Strategie einer öffentlichen Diskussion über das »Wie« zukünftiger westdeutscher Streitkräfte hatte auf weite An teil nahme der Öffentlichkeit abgezielt. Ob dieser Vorgehensweise mit ihrer bewusst gewählten Transparenz aber der Erfolg in Gestalt einer breiten gesamtgesellschaftlichen Rezeption zuteilgeworden war, wurde in der Umfrage allerdings nicht erfasst. Offenbar, so ein Erklärungsversuch, gründete die düstere Perspektive in den »Schatten der erlebten oder legendären Gestalten des Kasernenhofes«, von denen Letztere sich literarisch und cineastisch in den Figuren der Feldwebel Himmelstoß (»Im Westen nichts Neues«) und Platzek (»08/15«) widerspiegelten. Nun musste es sich auf dem Kasernenhof erweisen, »ob die Buchstaben der Reformen die Kraft haben, diese Gestalten zu verscheuchen, um Platz für menschlichere zu machen.«11 Ihren Anfang hatte die Gestaltung neuaufzustellender Streitkräfte auf einer 1950 von Bundeskanzler Konrad Adenauer einberufenen geheimen Tagung im Eifelkloster Himmerod genommen. Deren Teilnehmer sollten die »militärischen Voraussetzungen klären, unter denen Westdeutschland in die europäisch-amerikanische Verteidigungsgemeinschaft eintreten« könne.12 Die Arbeitsergebnisse der in vier Unterausschüssen13 beratenden ehemaligen Stabsoffiziere, Generale und Admirale der drei Teilstreitkräfte der Wehrmacht wurden in der »Denkschrift des Militärischen Expertenausschusses über die Aufstellung eines deutschen Kontingents im Rahmen
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Bis Juli 1956 waren folgende gesetzliche Grundlagen für die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte erlassen worden: Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19.3.1956, BGBl. 1956, Teil I, S. 11‑113; Gesetz über die Rechtsstellung des Soldaten (Soldatengesetz) vom 19.3.1956, ebd., S. 114‑126; Verordnung über die Regelung des militärischen Vorgesetztenverhältnisses vom 4.6.1956, ebd., S. 459 f.; Wehrpflichtgesetz vom 21.7.1956, ebd., S. 651‑661; Wehrbeschwer deordnung vom 23.12.1956, ebd., S. 1066‑1069; Gesetz über die Dauer des Grundwehrdienstes und die Gesamtdauer der Wehrübungen vom 24.12.1956, ebd., S. 1017. Im Juli 1957 gelangte die Wehrgesetzgebung zu einem vorläufigen Abschluss. Hinzu traten zahlreiche Vorschriften, »die ebenfalls Hinweise auf den gewünschten Soldaten« lieferten. Zu Gesetzen und Vorschriften zum Profil des zukünftigen Soldaten siehe Nägler, Der gewollte Soldat, S. 133‑235, Zitat S. 135. Der Spiegel, 18.7.1956, S. 31. Zu den genannten militärischen Stereotypen siehe Remarque, Im Westen nichts Neues; Kirst, 08/15. So lautete die offizielle Aufgabenstellung für die Tagung des Expertenausschusses am 29.8.1950 in Walberberg. Die Tagung wurde von Adenauer jedoch abgesagt, da er bei den Alliierten nicht den Eindruck erwecken wollte, dass bereits vor der New Yorker Außenministerkonferenz im September 1950, auf der die Frage der Eingliederung der Bundesrepublik in ein westliches Verteidigungsbündnis erörtert werden sollte, Vorbereitungen militärischer Art im Gange seien. Siehe Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift«, S. 15. Es handelte sich hierbei um den Militärpolitischen, den Organisations-, den Ausbildungs- und den Allgemeinen Ausschuss.
4 Einleitung
einer überregionalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas vom 9. Oktober 1950«, allgemein bekannt als »Himmeroder Denkschrift«14, zusammengefasst. Dem Allgemeinen Ausschuss unter Leitung des Generals der Infanterie a.D. Hermann Foertsch gehörten der langjährige Kommandeur der Luftwaffenkriegs akademie, General der Flieger a.D. Robert Knauss,15 Luftwaffenmajor a.D. Horst Krüger16 und Major i.G. a.D. Wolf Graf von Baudissin an. Ihr Auftrag: für die zukünftigen deutschen Soldaten ethische und moralische Grundsätze zu entwickeln und die Leitprinzipien für das Innere Gefüge der aufzustellenden Streitkräfte zu formulieren. Foertsch selbst war die Aufgabenstellung nicht fremd, hatte er doch bereits als Leiter der Abteilung Inland im Reichswehrministerium mehrere Schriften zu diesem Thema veröffentlicht. Pikanterweise hatten diese den Nationalsozialismus und seine Einflussnahme auf die Wehrmacht unmissverständlich gutgeheißen.17 Aber als Fachmann auf dem Gebiet des Inneren Gefüges sowie Angehöriger des Adenauer in Sicherheitsfragen beratenden Triumvirats Speidel-Heusinger-Foertsch18 und Mit autor der von Generalleutnant a.D. Dr. Hans Speidel am 7. August 1950 vorgelegten Denkschrift »Gedanken über die Frage der äußeren Sicherheit der deutschen Bundesrepublik«19 konnte Foertsch wohl nicht unberücksichtigt bleiben. Der Terminus »Inneres Gefüge« selbst entstammte dem »Erlass zum Inneren Gefüge der Truppe vom 22. Mai 1942«, dessen inhaltlicher Schwerpunkt auf dem Vertrauensverhältnis zwischen Offizier, Unteroffizier und Soldat lag. Hergestellt und vertieft werden könne dieses am besten, indem der Offizier sich gerecht und fürsorglich zeige, Klagen und Beschwerden seiner Soldaten ernst nehme und erwiesene Missstände abstelle.20 Die Beratungen des Ausschusses sowie deren Ergebnisse waren nach Erinnerung Baudissins von heftigen Auseinandersetzungen begleitet. Angeblich fanden bestimmte Formulierungen nur aufgrund seiner Drohung, vorzeitig abzureisen, Eingang in das Protokoll.21 In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Baudissin lediglich als Ersatz für den aus persönlichen Gründen verhinderten Oberst i.G. a.D. Bogislaw von Bonin, der im Weiteren als Leiter Militärische Planung zu einem seiner schärfsten Gegenspieler werden sollte, zu der Tagung gebeten worden war, was seine prekäre Position nicht gerade stärkte.22 Ebenfalls Einfluss auf sei14 15 16 17 18 19 20
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Zu Vorgeschichte, Inhalt und Analyse der Denkschrift siehe Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift«. Zu Knauss siehe Die Generale der deutschen Luftwaffe, Bd 2, S. 189 f. Zu Krüger siehe Die Generale und Admirale der Bundeswehr, Bd 2.2, S. 777‑779. Siehe Foertsch, Der deutsche Soldat; Foertsch, Die Wehrmacht; Foertsch, Der Offizier der deutschen Wehrmacht. Siehe hierzu Wiggershaus, Die Entscheidung, S. 367 f. Zur Denkschrift siehe Speidel, Aus unserer Zeit, S. 477‑496. Siehe OKH, Heereswesenabteilung, Inneres Gefüge, 22.5.1942, BArch, RH 15/183; Schreiben des Stabschefs des Ersatzheeres, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hans Jüttner, zum Thema Inneres Gefüge, ebd., Bl. 131. Im Gegensatz zu Manfred Messerschmidt sieht Jürgen Förster nicht Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel als den »geistigen Vater« dieses Erlasses, sondern die hierfür zuständigen Offiziere in der Personal- und Heereswesenabteilung im OKH. Siehe Förster, Geistige Kriegführung, S. 541 f.; Messerschmidt, Die Wehrmacht, S. 307 f. Siehe Kutz, Deutsche Soldaten, S. 128. Siehe ebd.
Einleitung 5
ne Position innerhalb des Teilnehmerkreises dürften sein niedriger Dienstgrad als Major sowie die ihm später oft vorgeworfene fehlende Ostkriegerfahrung und die frühzeitige britische Kriegsgefangenschaft gehabt haben.23 Besonders die mangelnde Ostfronterfahrung sollte von seinen späteren Kritikern als wesentliche Ursache »für die Entwicklung des so ›nebulösen‹ und ›weltfremden‹ Konzepts der Inneren Führung verantwortlich« gemacht werden.24 In gleicher Weise, wie die Netzwerke der ehemaligen Mitglieder der Kommandobehörden der Wehrmacht wirkten, zeigten sich in der Person Baudissin die alten Verbindungen des Potsdamer Infanterieregimentes 9, aus dem er und zahlreiche am militärischen Widerstand gegen Adolf Hitler beteiligte Offiziere hervorgegangen waren. Baudissin hatte sich während seiner Gefangenschaft für seine »Freunde«, die die »letzte wirkliche preußische Tat« gewagt hatten, eingesetzt, womit er sich nach eigenen Worten »sicher nicht beliebter gemacht« hatte.25 Mithin kann die Einbringung Baudissins durch seinen ehemaligen Regimentskameraden Major a.D. Axel Freiherr von dem Bussche-Streithorst26 auch als Versuch interpretiert werden, einen Gegenpol zu den anwesenden ehemaligen Führungskadern zu installieren. Denn als Baudissin, der sich vollkommen uninformiert über militärische Aufbauplanungen zeigte und nicht im Geringsten an eine mögliche Wiederverwendung dachte, es spontan ablehnte, an der Tagung teilzunehmen, antwortete sein Gegenüber, »dass [Baudissin] – gewollt oder nicht – auch eine gewisse Verantwortung für denjenigen trüge, der statt [s]einer berufen würde.«27 Allen quellenmäßig nicht mehr nachvollziehbaren Auseinandersetzungen zum Trotz wurde letztlich von den Ausschussmitgliedern festgehalten, dass Charakterbil dung und Erziehung des Soldaten in ihrer Gewichtung der militärischen Ausbildung gleichrangig seien und daher dem Inneren Gefüge der aufzustellenden Streitkräfte eine große Bedeutung zukäme28 – eine Forderung, von der im weiteren Verlauf der Entwicklung sogar zugunsten eines Primats der Erziehung abgewichen wurde. Da sich die Planungen und Maßnahmen auf diesem Gebiet auf den derzeitigen Notstand Europas gründeten, seien »die Voraussetzungen für den Neuaufbau von denen der Vergangenheit so verschieden, dass ohne Anlehnung an die Formen der alten Wehrmacht heute grundlegend Neues zu schaffen ist«, heißt es in der Himmereroder Denkschrift. »Dabei ist es wichtig, daß Geist und Grundsätze des inneren Neuaufbaues von vorneherein auf lange Sicht festgelegt werden und über etwa notwendige Änderungen der Organisation ihre Gültigkeit behalten.« Mit Blick 23
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Baudissin und Krüger waren die einzigen Majore in einem ansonsten aus Obersten, Generalen und Admiralen zusammengesetzten Teilnehmerkreis. Als Brigadekommandeur in Göttingen sollte Baudissin später einer Phalanx von im Ostkrieg hoch dekorierten Bataillonskommandeuren gegenüberstehen, die er durch seine Führung und sein Können zu beeindrucken und zu überzeugen wusste. Vgl Kießling, Versäumter Widerspruch, S. 171; Kießling, Staatsbürger und General, S. 88‑90. Hartman/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 213. Baudissin/Dohna, ... als wären wir nie getrennt gewesen, S. 104; siehe auch Förster, Wolf Graf von Baudissin, S. 31 f. Zu Bussche-Streithorst siehe Lexikon des Widerstandes, S. 39; Krüger, Das Amt Blank, S. 186. Baudissin, Abschiedsvorlesung, S. 266. Zu den Arbeitsergebnissen im Einzelnen siehe Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denk schrift«, S. 53‑55.
6 Einleitung
auf die Zusammenarbeit mit den künftigen Alliierten sei einerseits eine weitgehende Angleichung an den inneren Aufbau sowie die äußeren Formen derer Streitkräfte erforderlich, andererseits müsse aber auch den »soldatischen Erfahrungen und Gefühlen des deutschen Volkes Rechnung getragen werden.« Daher sei es wichtig, zwischen dem neuen Inhalt und den aufgelockerten Formen sowie dem Wunsch, das traditionelle Ansehen des Soldaten in der Öffentlichkeit zu bewahren, ein ausgewogenes Verhältnis zu finden.29 Die Erziehung des zukünftigen Soldaten habe sich jedoch nicht nur auf das rein Militärische zu beschränken, sondern auch der politischen und ethischen Erziehung müsse im allgemeinen Dienstunterricht größte Beachtung zuteilwerden. Ausgehend von der Vermittlung eines europäischen Geschichtsbildes und der Einführung in die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen der Zeit wurde postuliert, dass die Truppe einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung des Staatsbürgers und europäischen Soldaten leisten könne. Innere Festigkeit gegen die Zersetzung durch undemokratische Tendenzen wurde ebenso angestrebt wie die Förderung des Bewusstseins des Soldaten für eine soziale Einbindung ohne Sonderrechte und unter Wahrung der Menschenrechte; mit dem Burschenwesen und den Kasino-Ordonanzen als überlebte Einrichtungen sollte gebrochen werden. Das Verbot des Zivil-Tragens außer Dienst sollte aufgehoben werden.30 Wies der Inhalt der Denkschrift prinzipiell in die Zukunft, darf die Besetzung des Expertenausschusses nicht unberücksichtigt bleiben. Schließlich handelte es sich bei den Teilnehmern um fünfzehn Offiziere, davon zehn Generale oder Admirale, drei Oberste sowie zwei Majore der ehemaligen Wehrmacht31, deren militärische Biografien in der Reichswehr der Weimarer Republik, der Wehrmacht des »Dritten Reiches«, bei den Älteren in den Kontingentheeren oder der Marine des Kaiserreiches begonnen hatten und die im Rahmen ihrer militärischen Sozialisation,
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Ebd., S. 53. Hervorherbungen im Original. Siehe ebd., S. 54 f. Diese Forderung, die nicht weiter thematisiert wurde, stieß eine langwierige Diskussion über die Zeitmäßigkeit traditioneller militärischer Formen und Rituale an, die in einen grundsätzlichen Prinzipienstreit über den Umgang mit den preußisch-deutschen militärischen Traditionen und Konventionen in der Bundeswehr mündete. Siehe hierzu ebd., S. 73, Anm. 233. Zur Traditionsdebatte vgl. u.a. Abenheim, Bundeswehr; Harder, Traditionspflege; Wiggershaus, Zur Debatte. Teilnehmer dieser Tagung waren die Generalleutnante a.D. Adolf Heusinger und Dr. Hans Speidel, General der Panzertruppe (Pz.Tr.) a.D. Hans Röttiger und Vizeadmiral a.D. Friedrich Ruge, die in der Bundeswehr eine Verwendung im gleichen bzw. entsprechenden Rang einnehmen sollten. Von den fünf teilnehmenden Stabsoffizieren erlangten Oberst a.D. Johann Adolf Graf von Kielmansegg sowie die Majore a.D. Graf Baudissin und Horst Krüger in der Bundeswehr Generalsränge. Die hier genannten Generale stiegen in die höchsten militärischen Dienststellungen auf: Generalinspekteur, Inspekteur einer Teilstreitkraft sowie Oberbefehlshaber in NATO-Kommandobereichen. Sechs teilnehmende Offiziere (Generaloberst a.D. Heinrich von Vietinghoff, die Generale der Flieger Rudolf Meister und Robert Knauss, Admiral a.D. Walter Gladisch, General der Pz.Tr. a.D. Fridolin von Senger und Etterlin, General der Infanterie Hermann Foertsch) verstarben vor oder während der Aufstellungsphase der Bundeswehr; zwei Teilnehmer erlangten hochrangige Stellungen im Bundesnachrichtendienst. Siehe Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift«, S. 20 f.
Einleitung 7
genauer Internalisierung32, den über lieferten Traditionen eng verhaftet waren. Einem Neuanfang hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Streitkräften, Staat und Gesellschaft verpflichtet, dem in der Konzeption des Inneren Gefüges – seit 1953 im Schriftverkehr offiziell »Innere Führung« genannt – Ausdruck verliehen wurde33, spiegelte die Zusammensetzung des Himmeroder Expertenausschusses mithin auch die personelle Kontinuität zwischen Wehrmacht und zukünftiger Bundeswehr wider. Diese Kontinuität sollte sich mit der Einstellung ehemaliger Wehrmachtoffiziere und -unteroffiziere in der Aufbauphase der Streitkräfte bewusst fortsetzen. Detlef Bald spricht sogar von der Wiederbelebung des 1890 konzipierten Ideals einer Offizierrekrutierung aus »erwünschten Kreisen« (»Adel der Gesinnung«); in der bundesdeutschen Sprachregelung wird von »Anreiz zur Werbung des erwünschten Ersatzes« gesprochen.34 Allein aufgrund der Sozialisation, Lebens- und Erziehungserfahrungen des zukünftigen Führungskaders kann von dem in der Denkschrift propagierten vollständigen Neuanfang – »einer Stunde Null« – im Bereich des Inneren Gefüges und mithin der soldatischen Erziehung nicht die Rede sein.35 Die Situation für eine grundlegende Militärreform war jedoch günstig, da es nach der bedingungslosen Kapitulation keine Streitkräfte mehr gab und die Streitkräfte von Grund auf neu aufgebaut werden mussten.36 Ihren Erwartungen an die pädagogischen Aufgaben zukünftiger Streitkräfte hatten sowohl die mit der Erziehung ihrer Kinder überforderten Eltern als auch ein repräsentativer Teil der Bevölkerung in der 32
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Als Sozialisation wird der Prozess bezeichnet, »durch den ein Individuum in eine soziale Gruppe eingegliedert wird, indem es die in dieser Gruppe geltenden sozialen Normen, insbesondere die an das Individuum als Inhaber bestimmter Positionen gerichteten Rollenerwartungen [...] sowie die zur Kultur der Gruppe gehörenden Werte, Überzeugungen usw. erlernt und in sich aufnimmt. Wenn dieser Aneignungsprozeß soweit geht, dass das Individuum die betreffenden Verhaltensstandards, Werte, Überzeugungen, Einstellungen usw. als seine ›eigenen‹ bzw. als ›Selbstverständlichkeiten‹ empfindet, spricht man von einer Internalisierung.« Internalisierung (Verinnerlichung) »bezeichnet die Eingliederung soziokultureller Muster (Werte, Normen) in die Persönlichkeitsstruktur« durch kognitive, affektive und motivationale Akzeptanz der sozio-kulturellen Standards der Gruppe, hier des militärischen Lebensraumes. Verinnerlichung »bedeutet damit den Aufbau innerer Kontrollmechanismen des Verhaltens, wodurch sich äußere soziale Kontrolle weitgehend erübrigt.« Lexikon zur Soziologie, S. 707, 829. Ein Mitarbeiter Baudissins, Hauptmann a.D. und späterer Oberst der Bundeswehr, Günter Will, differenzierte die Begriffe »Inneres Gefüge« und »Innere Führung« anschaulich: »Das Innere Gefüge ist die geistige, sittliche und rechtliche Gesamtverfassung der Truppe; es umfaßt einerseits die rechtlichen und organisatorischen Regelungen in Gesetzen, Vorschriften, Gliederungsbildern usw., andererseits die ›moralischen Größen‹ (Clausewitz), also: innere Haltung, Disziplin, Wehr-, Dienstund Kampfmotivation, mitbürgerliches Verhalten und Grundeinstellung zum Staat. Innere Führung dagegen ist der Prozeß der Umsetzung und Verwirklichung der Grundsätze der Konzeption in aktuelle Führungsentscheidungen und -handlungen.« Will, Freiheit, S. 80. Hervorhebungen im Original durch Kursivschrift. Bald, Alte Kameraden, S. 53. Die Gedanken zur Erziehung des zukünftigen westdeutschen Soldaten entsprangen weder dem Nichts noch allein den im Anschluss stattfindenden Tagungen zur militärischen Erziehung. Stattdessen basierten sie auf bisherigen militärinternen Erfahrungen und den Theorien der zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden geisteswissenschaftlichen Pädagogik. Zur Diskussion über die historische Zäsur einer »Stunde Null« siehe Bessel, Die »Stunde Null«. Will, Freiheit, S. 79. Zur Diskussion, ob es sich beim Aufbau der Bundeswehr um eine Reform oder einen Neuanfang handelte, siehe Schlaffer, Der Aufbau.
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vorgestellten Meinungsumfrage bereits Ausdruck verliehen. Ob der in Himmerod erhobene Anspruch »ohne Anlehnung an die Formen der alten Wehrmacht [...] grundlegend Neues zu schaffen«37 auf dem Gebiet der soldatischen Erziehung verwirklicht wurde und inwieweit die gesellschaftlichen Erwartungen in den diesbezüglichen Planungen Berücksichtigung gefunden hatten, soll im Weiteren analysiert werden. Die Antworten hierzu finden sich jedoch nicht allein in den konzeptionellen Gedanken des zukünftigen Leiters des Referates »Inneres Gefüge« und seiner Mitarbeiter sowie in den darüber geführten Diskussionen innerhalb militärischer Kreise, denn dieses Vorgehen hätte dem alles entscheidenden gesellschaftlichintegrativem Ansatz Baudissins widersprochen. Im Gegenteil: Das erzieherische Handeln im pädagogischen Feld zukünftiger Streitkräfte wurde nicht mehr im »stillen Kämmerlein« militärischer »Experten« thematisiert, sondern innerhalb der Gesellschaft und unter Mitwirkung aller in ihr wirkenden Gruppen. Hatte die zivile Gesellschaft in der bisherigen historischen Entwicklung keinerlei Einfluss auf die Erziehungskonzeption und -wirklichkeit im deutschen Militär,38 vollzog sich nun ein umfassender Wandel. Politik, Wissenschaft, Kirchen und Verbände – deren Bandbreite von den Soldatenverbänden bis zu den gewerkschaftlichen Jugendorganisa tionen reichten – nahmen, von den Planern im zukünftigen Verteidigungsministerium zur Unterstützung aufgerufen, regen Anteil an der Entwicklung. Einen wesentlichen Einfluss in der Auseinandersetzung um die Gestalt der Inneren Führung und somit auch der soldatischen Erziehung besaßen die Medien, durch deren Vermittlerrolle sich die betroffene Bevölkerung in unzähligen Leserbriefen Gehör verschaffte, deren Inhalt von der strikten Ablehnung einer als »weiche Welle« titulierten Erziehungs theorie und -praxis bis hin zur Bitte um Erziehungshilfe reichten. Welche Idee einer Gesamterziehung des Soldaten verfolgten Baudissin und seine Mitstreiter also vor dem Hintergrund dieser Ansprüche und dem Kriegsbild eines technisierten Krieges, der als totaler Krieg sämtliche personellen und materiellen Ressourcen des Staates in Anspruch nehmen würde und als letzte Konsequenz die Gefahr der atomaren Vernichtung in sich barg? Der integrative Ansatz Baudissins verbietet eine singuläre Konzentration auf das Erziehungsverständnis der Vertreter des Referates »Inneres Gefüge« sowie ihrer innermilitärischen Kritiker bei der Konzeption von Leitlinien für die Erziehung des zukünftigen Soldaten. Stattdessen müssen bei der Untersuchung über den Gestaltungsprozess soldatischer Erziehung auch die externen Einflussfaktoren sowie der von ihnen ausgeübte Einfluss im Rahmen ihrer erwünschten, aber auch ungebetenen Mitwirkung hinterfragt werden. Wie gestaltete sich demnach die konzeptionelle Arbeit für die Erziehung des Soldaten in Streitkräften, die fest in die demokratische Gesellschaft eingebunden sein sollten, und welchen Anteil hatten Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Kirchen, Gewerkschaften und Jugendverbänden am Entwurf der Dienstvorschrift »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten«, die nach einem sechsjährigen Gestaltungsprozess in Kraft trat? Gab 37 38
Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift«, S. 53. In den Medien wurden zwar Missstände angeprangert sowie Erziehungs- und Bildungsverhältnisse oftmals karikiert, regulierende Eingriffe aufgrund öffentlichen Drucks hatten die verantwortlichen Militärs hingegen nicht zu befürchten.
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es Gegenentwürfe? Wie durchsetzungsfähig war der auf Althergebrachtes beharrende Widerstand ehemaliger Soldaten, die sich – als Einzelpersonen oder von Soldatenverbänden vertreten – Gehör verschafften? Mit der Betrachtung der Dienstvorschriften zu Fragen der Erziehung allein können diese Fragen nicht beantwortet werden. So muss in Konsequenz des Wissens, dass Erziehung trotz aller Bemühungen auch scheitern kann, geklärt werden, wie mit Soldaten verfahren werden sollte, die sich in den Erziehungsprozess nicht einordnen wollten oder konnten. Diesbezügliche Vorschläge wurden überaus kontrovers diskutiert und reichten von Handlungsanweisungen und -hilfen bis hin zum Wiederaufleben besonderer Einheiten für auffällige Soldaten. Galt und gilt das Militär eher als Hort konservativen Beharrens, zeigte die Kon zeption der Inneren Führung einen neuen Weg in Menschenführung und Erziehung auf. Aber reichten die vorzustellenden Erziehungsrichtlinien aus, den propagierten Staatsbürger in Uniform zu realisieren? Konnten die bundesdeutschen Streitkräfte in ihrer durch die allgemeine Wehrpflicht gesamtgesellschaftlich ausstrahlenden Wirkung auch als pädagogischer Modernisierungsmotor gelten? Ob durch die im Dienst erfahrene militärische Erziehung ein gesellschaftlicher und pädagogischer Demokratisierungseffekt in der Weise bewirkt wurde, wie die neuere Forschung es für das Amt des Wehrbeauftragten interpretiert39, kann durch die hier vorliegende Konzentration auf die grundlegende Planungsarbeit des Amtes Blank und die daraus resultierenden Vorschriften, Erlasse und Handlungsweisungen nicht abschließend beantwortet werden. Diese Analyse soll weiterführenden Untersuchungen vorbehalten bleiben.
2. Quellenlage und Forschungsstand Unterteilt in militärische, politische, pädagogische und juristische Quellen, die zum Teil bereits als gedruckte Editionen erschienen sind, stellt sich der zur Bearbeitung des Forschungsgegenstandes zur Verfügung stehende Quellenbestand als umfangreich und vielfältig dar. Von den im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg im Breisgau eingelagerten Akten des Bundesverteidigungsministeriums wurden vor allem die für den Bereich der Erziehung relevanten Akten der Dienststelle des Bevollmächtigten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen, bekannt als »Dienststelle Blank« oder »Amt Blank«, des Vor läufers des späteren Bundesministeriums für Verteidigung40, ausgewertet. Die Bear beitung dieses umfangreichen, von der Forschung bereits in Auszügen ausgewerteten Aktenbestandes zur Konzeption der Leitsätze und der anschließend überaus kontrovers geführten Diskussion wird ergänzt durch die Betrachtung von Akten des 39 40
So Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 333 f. Das Amt wurde nach seinem Leiter und späteren ersten Bundesminister für Verteidigung, Theodor Blank, benannt. Zum Amt Blank siehe Krüger, Das Amt Blank; zu den Aktenbeständen des Amtes Blank siehe die Findbücher zu den Dienststellen zur Vorbereitung des westdeutschen Verteidi gungsbeitrages. Aktenbestand BArch, BW 9.
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Führungstabes der Bundeswehr, später Führungsstab der Streitkräfte,41 und der Schule der Bundeswehr für Innere Führung, später Zentrum Innere Führung in Koblenz.42 Vorschriften, Erlasse, Merkblätter und Ausbildungshilfen der Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr wurden ebenso berücksichtigt wie die Nachlässe einiger maßgeblicher Protagonisten des Gestaltungsprozesses erzieherischer Grundlagen für die zukünftigen Streitkräfte. Zu dieser Überlieferungsart gehört auch das Tagebuch des Referates »Inneres Gefüge«, der späteren Unterabteilung »Innere Führung«. Ab dem 6. August 1953 geführt, trugen zunächst alle Mitarbeiter Baudissins ihre Bemerkungen ein. Von Mitte 1955 bis zum Ende der Überlieferung am 25. März 1961 wurde das Tagebuch allein von Baudissin geführt; Ausnahmen bildeten Vertretungszeiträume.43 Einerseits bieten diese Tagebücher eine Darstellung der Ereignisse, wenngleich gefärbt durch eine subjektive Interpretation derselben durch den Verfasser, andererseits gewähren die darin enthaltenen persönlichen Aufzeichnungen Einblicke in die von außen auf die Entscheidungsprozesse Einfluss nehmenden Faktoren, Netzwerkstrukturen, persönlichen Ressentiments und Befindlichkeiten sowie in die Absichten der beteiligten Personen. Im Gegensatz zum Nachlass Baudissins, dem auch das Tagebuch der Gruppe »Inneres Gefüge« zugeordnet ist, hat der noch nicht katalogisierte Nachlass von Josef H. Pfister44, Leiter des Studien-Bureaus (STB) im Amt Blank, in der Forschung nur marginales Interesse erfahren. Dabei handelt es sich hierbei um eine sehr umfangreiche Hinterlassenschaft, deren weitere Auswertung sich für die historische Einordnung der Person Pfister und seiner Tätigkeit für das Amt Blank als überaus fruchtbar erweisen könnte. Von der Tagung ehemaliger Reichswehr- und Wehrmachtoffiziere im Eifelkloster Himmerod sind mit Ausnahme der »Himmeroder Denkschrift« keine weiteren Unterlagen überliefert, da alle persönlich angefertigten Unterlagen und Gesprächs protokolle noch vor Ort vernichtet werden mussten.45 Im Gegensatz zu der in der historischen Forschung vertretenen Interpretation der »Himmeroder Denkschrift« als »Magna Charta der deutschen Wiederbewaffnung«46 hat sie nach übereinstimmender Aussage von Baudissin und dem zivilen Leiter der Zentralabteilung im Amt Blank, Ernst Wirmer, gegenüber dem Militärpfarrer und Mitarbeiter am 41 42 43
44 45
46
Siehe BArch, BW 2. Siehe BArch, BW 11/II. BArch, N 717/1-16, Tagebuch Baudissin. Für die Erlaubnis, den Nachlass und das Tagebuch Baudissins für die vorliegende Arbeit auswerten zu dürfen, bin ich Herrn Oberstleutnant a.D. Claus Freiherr von Rosen, dem Leiter des Baudissin-Dokumentationszentrums an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, zu Dank verpflichtet. Siehe BArch, N 621, Nachlass Josef H. Pfister. »Ich verpflichte mich über alles, was ich zwischen dem 5. und 10.10.1950 in Himmerod sowie über die Tatsache der Tagung, ihre Vorbereitung und Zusammensetzung erfahren und dortselbst beraten habe, gegenüber allen und jedem in Wort und Schrift absolute Verschwiegenheit zu wahren. Ich selber habe alle schriftlichen Notizen o.ä. entweder durch Feuer vernichtet, oder an das Sekretariat des Ausschusses ab- bzw. zurückgegeben.« Verschwiegenheitserklärung über die Tagung in Himmerod, BArch, BW 9/3102, Bl. 123. Verteidigung im Bündnis, S. 32.
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Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr, Herbert Kruse, jedoch keinen Einfluss auf die Arbeit der Dienststelle ausgeübt.47 Konzeption, Akzeptanz und Durchsetzung der Inneren Führung und mithin auch die Erziehung des Soldaten erwiesen sich auch politisch als brisant. Die Protokolle des Bundestagsausschusses für Verteidigung (und seiner Vorgänger), der in zahlreichen Sitzungen über Fragen der Inneren Führung und der Erziehung in den Streitkräften beraten hat, geben darüber Auskunft. Bei den ausgewerteten Sitzungsprotokollen handelt es sich um die Ausfertigungen des Bundesverteidigungsministeriums. Für den Zeitraum vom 19. Juli 1952 bis zum 14. Juli 1955 kann bereits auf die kritische Quellenedition der Sitzungsprotokolle des Verteidigungsausschusses zurückgegriffen werden, die das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) bzw. das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam besorgt hat.48 Für die Bearbeitung der politischen Ebene wurden darüber hinaus die stenographischen Protokolle der Verhandlungen des Deutschen Bundestages und in geringem Umfang die ebenfalls edierten Kabinettsprotokolle der Bundesregierung49 zu Rate gezogen. Der umfangreiche erziehungswissenschaftliche Anteil der Studie bedingt zudem die Auswertung pädagogischer Quellen. Neben den grundlegenden Werken der zitierten Pädagogen ist der ebenfalls im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg überlieferte Nachlass des Göttinger Erziehungswissenschaftlers und Beraters Baudissins, Erich Wenigers50, ebenso zu berücksichtigen wie die Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen, die in einer edierten Fassung vorliegen.51 Reichs- und Bundesgesetzblatt sowie Gesetze, insbesondere militärischer Thematik, ergänzen und untermauern die Analyse. Die historische Erforschung der Inneren Führung und damit auch der Erziehung in den westdeutschen Streitkräften nahm 1972 mit Dietrich Genschels Dissertation über die »Vorbereitung der Inneren Führung zwischen 1951 und 1956«52 ihren Anfang. Vorausgegangen war die Herausgabe von Aufsätzen und Redebeiträgen Baudissins über die »Entwürfe für eine zeitgemäße Bundeswehr«53 durch Peter 47
48 49 50 51 52 53
Kruse, Kirche, S. 57 sowie Anm. 144. Diese der Forschungsinterpretation zuwiderlaufenden Aus sagen datieren von Gesprächen Kruses mit Wirmer und Baudissin von Juni bis November 1981. In einem Schreiben an Kruse hatte Wirmer seine im Interview getätigte Aussage damit begründet, dass der Ministerialbeamte und spätere Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke (1898‑1973), die Denkschrift nie an das Amt Blank weitergeleitet habe und sie auch bei der Erarbeitung der Spitzengliederung, trotz der dort unterbreiteten Vorschläge, keinerlei Erwähnung gefunden hätte. Nach Einschätzung Wirmers war die Denkschrift »in der Dienststelle Blank keineswegs als Arbeitsunterlage benutzt« worden; sie »existierte« nicht. Dies galt auch für die Bereiche Militärseelsorge und Lebenskundlicher Unterricht. Wirmer habe die Denkschrift nur einmal von Graf Kielmannsegg »gezeigt bekommen« und auch Ministerialdirigent Franz Lubbers, der maßgeblich an der Gestaltung des Lebenskundlichen Unterrichtes mitgewirkt hatte, sei sie zum damaligen Zeitpunkt nicht ausgehändigt worden. Siehe Schreiben Wirmer an Kruse, 17.6.1981. In: Kruse, Kirche, Dok. 4, S. 143‑145, Zitate S. 145. Siehe Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 1‑3. Siehe Die Kabinettsprotokolle. BArch, N 488, Nachlass Erich Weniger. Siehe Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses. Genschel, Wehrreform. Baudissin, Soldat.
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von Schubert (1969) und eine Arbeit des nachmaligen Generalleutnants Gero von Ilsemann54 über »Die Bundeswehr in der Demokratie« (1971).55 Fortgeführt in den ersten drei Bänden einer vom MGFA herausgegebenen vierbändigen Reihe zu den Anfängen westdeutscher Sicherheitspolitik (1982‑1993)56, hat sie mit Frank Näglers Studie über den »gewollten Soldaten« (2010)57 und der zeitgleich veröffentlichten Analyse über »Das kriegsgediente Offizierkorps der Bundeswehr und die Innere Führung 1955‑1970« von Frank Pauli58 ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden.59 Rudolf Schlaffer hat sich in seinen Forschungen vorrangig der Menschenführung60 und ihrem parlamentarischen Kontrollorgan, dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages61, zugewandt und nachgewiesen, dass es bis zur Durchsetzung der Prinzipien der Inneren Führung und der Etablierung des Wehrbeauftragten als wirksame und allseits anerkannte Kontrollinstanz ein langer Weg war. Ergänzt wurden diese Veröffentlichungen unter anderem durch die kritische Kultur- und Mentalitätsgeschichte deutscher Soldaten (2006) von Martin Kutz62, eine Aufsatzsammlung zum dreißigjährigen Bestehen der Inneren Führung (1987)63 und einen Gedenkband für ihren Initiator Wolf Graf von Baudissin (1995)64. Gewürdigt wurde dessen Werk vor allem durch die Veröffentlichungen und Arbeit des Leiters des Baudissin-Dokumentationszentrums der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, Claus von Rosen65, Dörfler-Dierkens Blick auf den »Mensch hinter den Waffen« (2006)66 sowie einen von Rudolf J. Schlaffer und Wolfgang Schmidt verantworteten Sammelband (2007), der Baudissin als »Modernisierer zwischen totalitärer Herrschaft und freiheitlicher Ordnung«67 charakterisiert. Während sich die Liste der Veröffentlichungen zur Inneren Führung beliebig verlängern ließe, beschränkt sich die Literatur zur Konzeption der Erziehungsgrundsätze in der Gründungs- und Aufbauphase der Bundeswehr auf wenige Ausnahmen. Genschel konzentriert sich in seiner Darstellung des Konfliktes um die »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« auf die innerhäusige Auseinandersetzung Baudissins mit Wirmer. Auch die Differenzen mit Pfister finden nur eine allgemeine Berück 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64
65 66 67
Zu Ilsemann siehe Die Generale und Admirale der Bundeswehr, Bd 2,2, S. 486 f. Siehe Ilsemann, Die Bundeswehr. Siehe die entsprechenden Beiträge Hans-Jürgen Rautenbergs, Wilhelm Meier-Dörnbergs und Georg Meyers im Reihenwerk Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik. Siehe Nägler, Der gewollte Soldat. Siehe Pauli, Wehrmachtsoffiziere. Eine gestraffte Zusammenfassung zu Personal, Tradition und Innere Führung bietet Rink, Die Bundeswehr, S. 85‑145. Siehe Schlaffer, Schleifer a.D.? Siehe Schlaffer, Der Wehrbauftragte. Siehe Kutz, Deutsche Soldaten. Siehe Drei Jahrzehnte Innere Führung. Siehe Innere Führung. Die ethischen Fundamente der Inneren Führung wurden 2005 durch die protestantische Theologin Angelika Dörfler-Dierken herausgearbeitet. Vgl. Dörfler-Dierken, Ethische Fundamente. Siehe u.a. Rosen, Erfolg oder Scheitern; Rosen, Organisatorische Grundlagen; Rosen, Baudissin und die Praxis der Inneren Führung. Siehe Graf von Baudissin. Siehe Wolf Graf von Baudissin.
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sichtigung.68 Ilsemann räumt der Erziehung als Wirkungsfeld der Inneren Führung einen breiteren Raum ein und berücksichtigt mit dem »Erlaß Erziehe rische Maßnahmen« und dem Faktum »Schwer erziehbare[r] Soldaten« auch das pädagogische Scheitern.69 Georg Meyer erwähnt zwar die Siegburger Tagungen als Fundament der »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten«, stellt aber weder deren Teilnehmer noch deren Arbeitsgrundlagen vor70 und marginalisiert die anschließenden Aus ein an dersetzungen um die Entwürfe der dort erarbeiteten Erziehungsleitlinien zum »Nebenkriegsschauplatz.«71 Diese Kontroverse außer Acht lassend, analysiert Nägler umfassend Inhalt und Absicht der »Leitsätze«, denen er im Vergleich mit anderen Vorschriften vor allem einen programmatischen Charakter zuerkennt.72 Des Weiteren mahnt Nägler an, den Anteil des Erziehungswissenschaftlers Erich Wenigers an der erfolgreichen Gestaltung des Leitfadens für die Erziehung des Soldaten in den Streitkräften der westdeutschen Demokratie nicht zu vernachlässigen.73 Dieser Aufforderung war bereits der Offizier und Erziehungswissenschaftler Uwe Hartmann zuvorgekommen, der zwar die Zuweisung einer hervorgehobenen Position Baudissins und seines Werkes für das Traditionsverständnis der Bundeswehr durch deren politisch-militärische Führung befürwortet, anderseits aber das Vergessen Wenigers in diesem Zusammenhang kritisiert.74 In der erziehungswissenschaftlichen Diskussion erfuhr Weniger hingegen weithin Beachtung, wie die Arbeiten Kurt Beutlers75, Helmut Gaßens76, Bernhard Schwenks77 und Barbara Siemsens78 zeigen. Besonders die kritische »Untersuchung zu Erich Wenigers kaum beachteten Schriften«, in der Siemsen nach Einschätzung des Paderborner Erziehungswissenschaftlers Wolfgang Keim die Verdrängung von Mitschuld und Mitverantwortung klar herausgearbeitet hat, erregte dergestalt Aufmerksamkeit, dass sie »trotz ihrer unbestrittenen Qualität [...] nur unter großen Schwierigkeiten als Dissertation angenommen« wurde.79 Hartmann selbst hat in seiner Dissertation über die »Erziehung von Erwachsenen als Problem pädagogischer Theorie und Praxis« in der Bundeswehr (1994)80 und der Analyse zur Diskussion über die Erziehung des Soldaten in der Konzeptionsphase der Bundeswehr nicht nur die diesbezüglichen Positionen Baudissins, Wenigers 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79
80
Siehe Genschel, Wehrreform, S. 154‑164. Siehe Ilsemann, Die Bundeswehr, S. 40‑42, 46‑50. Siehe Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 891 f. Siehe. ebd., S. 905‑907, Zitat ebd. S. 905. Siehe Nägler, Der gewollte Soldat, S. 209‑219, hier S. 209. Siehe ebd., S. 210. Siehe Hartmann, Erich Weniger, S. 206. Siehe u.a. Beutler, Geisteswissenschaftliche Pädagogik. Siehe u.a. Gaßen, Geisteswissenschaftliche Pädagogik. Siehe u.a. Schwenk, Erich Weniger; Schwenk, Wehrmachtserziehung. Siehe Siemsen, Der andere Weniger. Ebd., S. XII f., Zitat S. XIII. Weniger galt und gilt doch vielen als der letzte Doyen der Geistes wissenschaftlichen Pädagogik. Eine modernen Ansprüchen entsprechende, interdisziplinäre Bio grafie Wenigers ist sowohl in der Erziehungswissenschaft als auch in der Militärgeschichtsschrei bung ein Desiderat. Siehe Hartmann, Erziehung.
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und anderer bedeutender Erziehungswissenschaftler berücksichtigt81, sondern darüber hinaus die erste historisch-systematische Aufarbeitung zu Aussagen über den Endpunkt der Erziehung in den pädagogischen Theorien vorgelegt.82 Die Erziehung des Soldaten sollte sich aber nicht nur auf sein Verhalten oder, im Falle des Scheiterns, auf die Korrektur dessen durch entsprechende Erziehungs maßnahmen konzentrieren, sondern auch die politische oder staatsbürgerliche sowie die ethische Erziehung berücksichtigen. Konzeption und Entwicklung der Unterrichtsmaterialen für den Staatsbürgerlichen Unterricht, zunächst als »Geistige Rüstung« bezeichnet, hat Nägler in seiner Studie zum gewollten Soldaten umfassend dargestellt.83 Einen Versuch, die Wirkung der politischen Erziehung zu ergründen, hat Peter Balke bereits 1970 unternommen. Er forderte eine inhaltliche und didaktische Erneuerung der »Politischen Information«. Die Titulierung als »Geistige Rüstung« müsse ebenso aufgegeben werden wie das dreiteilige Schema des »›Wofür‹ und ›Wogegen‹ des militärischen Dienstes« und die nicht in den Bereich der politischen Erziehung gehörende Erörterung der »geistig-seelischen Belastungen des Soldaten im Krieg.« Die damit einhergehende Aufteilung »der Welt in eine gute und eine böse Hälfte« fördere einerseits die Dämonisierung der kommunistischen Staaten und stelle die Demokratien in einem unrealistischen Bild dar.84 Balke interpretierte die »Politische Information« der frühen Bundeswehr sogar als Fortsetzung des »Vaterländischen Unterrichts« des Ersten und der »Wehrgeistigen Führung« des Zweiten Weltkriegs. Nicht die Agitation, sondern die Information müsse der Integrationspunkt sein.85 Noch bis zum Ende der 60er-Jahre in der Phase des Experimentes und der Entwicklung befindlich86, forderte Balke für die Zukunft eine politische Erziehung, die weder gegen den Kommunismus agiere noch für die Demokratie werbe, sondern »dem Staat zu wachsamen, kenntnisreichen und kritischen Staatsbürgern verhilft.« Statt Propaganda zu betreiben, gelte es, »eine breite Schicht von Staatsbürgern zu einem kritischen politischen Bewußtsein anzuleiten und Hilfen zu geben für praktisches politisches Verhalten.« Diese Aufgabe falle jedoch oftmals den in alten Denkmustern verharrenden Offizieren zu, die selbst politisch erziehungs- und bildungsbedürftig seien. Politische Erziehung sei eben keine reine Anpassung und bloßer Selbsterhalt bestehender Machtverhältnisse, sondern Aufklärung über die Demokratie, »als fortlaufender Prozess politisch-parlamentarischer Liberalisierung, sozialer Emanzipation und wirtschaftlich-zivilisatorischer Optimierung.«87 Letztere Erkenntnis wurde vor wenigen Jahren von Pauli bestätigt, der den Staatsbürgerlichen Unterricht als erstes Opfer der Bildungslücken der Kriegs- und Volksoffiziere88 der ehemaligen Wehrmacht ausmachte. Seine Auswertung von 81 82 83 84 85 86 87 88
Vgl. ebd., S. 240‑286. Vgl. ebd., S. 287‑343. Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 235‑268. Vgl. Balke, Politische Erziehung, S. 337, Zitate ebd. Vgl. ebd., S. 337 f. Vgl. ebd., S. 351. Vgl. ebd., S. 342‑346, Zitat S. 346. Als Volks- und Kriegsoffiziere definiert Pauli die durch die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend (HJ) und dem Reichsarbeitsdienst (RAD) geprägten Jahrgänge um 1920 und 1923. Für sie, so Pauli,
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Erfahrungsberichten der Wehrakademie und der Schule der Bundeswehr für Innere Führung zeigt, dass die Offiziere der Einheitsführer-Lehrgänge »zwar grundsätzlich als bildungswillig, nichtsdestoweniger aber als bildungsunfähig« kategorisiert wurden. Der Mitarbeiter Baudissins, der Major und spätere Brigadegeneral Heinz Karst89, zog daraus das Fazit, dass die »Aus- und Weiterbildung dieser Offiziere [...] bis dahin nicht den urteilsfähigen, selbständigen und politisch gebildeten Offizier, sondern lediglich den Militärhandwerker, Handlanger und Nur-Soldaten gefördert« hatte. Die Lehrstabsoffiziere ergänzten, dass »die Vielzahl der Offiziere [...] nicht in der Lage sein [dürfte], die ihnen befohlene staatspolitische Erziehung ihrer Soldaten durchzuführen.«90 Das Fazit einer zeitgleich erschienenen Studie über »Die geistige Rüstung der Bundeswehr« – so der Untertitel – von Siegfried Grimm91 weist in eine andere Richtung als Balkes Interpretation einer antikommunistischen Propaganda. Grimm sieht die politische Bildung stärker »den Grundsätzen traditioneller Gehorsamserziehung« verpflichtet »als der Idee einer freiheitlichen politischen Bildung.«92 So könne der Anspruch, die politische Unterweisung würde »dem Autonomieverlangen junger Menschen, dem humanitären Prinzip der Erziehung zur Mündigkeit und dem militärischen Erfordernis der Gehorsamsicherung Rechnung tragen« in der Realität »gar nicht oder nur in sehr engen Grenzen bestätigt« werden. Stattdessen, konstatiert er, »sei das pragmatische Interesse an der Stabilisierung des Gehorsams sehr schnell zur Dominante im Konzept« geworden und habe »den Spielraum für eine vorurteilsfreie Information und für eine die Interessen der Heranwachsenden bedenkende Erziehung unverhältnismäßig eingeschränkt.«93 Für Grimm stellt sich daher abschließend die Frage, ob die Art und Durchführung der politischen Bildung nicht eher auf eine »Gefährdung der Freiheit durch ihre Verteidiger« (Weniger) hinauslaufe.94 Andererseits müsse aber auch abgewartet werden, ob »die neuerdings verstärkt zu registrierenden Anzeichen für das Erstarken des ursprünglichen Konzepts einen Wandel im Grundsätzlichen signalisieren.«95 Die ethische Erziehung fand ihren Ausdruck im Lebenskundlichen Unterricht. In seinem 1991 in den Militärgeschichtlichen Mitteilungen (MGM) veröffentlichten Aufsatz über die Anfänge der Militärseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland beschreibt Hans Ehlert zwar die unterschiedlichen Standpunkte der Kirchen hinsichtlich Inhalt und Durchführung dieser Unterweisung, auf eine Darstellung der wiederum zwischen Baudissin und Pfister ausbrechenden Auseinandersetzung in-
89 90 91 92 93 94 95
»galt das Wort Hitlers: Sie werden ›nicht mehr frei, ihr ganzes Leben‹.« Pauli, Wehrmachtsoffiziere, S. 73‑83, 83‑118, Zitat S. 73. Das Zitat stammt aus einer Rede Hitlers, gehalten in der sudetendeutschen Stadt Reichenberg am 2.12.1938, in der er seine Vorstellung über die Zukunft der deutschen Jugend äußerte. Die Rede ist abgedruckt in: Keim, Erziehung, Bd 1, S. 18. Zu Karst siehe Nägler, Der gewollte Soldat, S. 33, Anm. 7. Pauli, Wehrmachtsoffiziere, S. 288 f. Die von Pauli zitierte Einschätzung erfolgte für den Zeitraum 1956‑1963. Vgl. ebd., Anm. 654, 655. Vgl. Grimm, ... der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen. Ebd., S. 235. Vgl. hierzu auch Nägler, Der gewollte Soldat, S. 242 f. Grimm, ... der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, S. 234 f. Vgl. auch Weniger, Die Gefährdung der Freiheit. Vgl. Grimm, ... der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, S. 235.
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nerhalb der Dienststelle Blank wird jedoch verzichtet.96 Am umfassendsten widmet sich der protestantische Theologe und Pädagoge Herbert Kruse mit seiner Studie über »Kirche und militärische Erziehung« von 1983 dieser Thematik. Ausführlich analysiert werden nicht nur die Positionen der Kirchen, sondern auch die teils unterschiedlichen Auffassungen ihrer jeweiligen Vertreter. Des Weiteren werden nicht nur die zum Teil konträren Positionen der Kirche und der Dienststelle einander gegenübergestellt, sondern auch die innerhalb der Dienststelle divergierenden Positionen aufgegriffen.97 Dieser Vorgehensweise schloss sich auch der Historiker Detlef Bald in seiner zeitgleich vom Katholischen Militärbischofsamt herausgegebenen Studie zur »Reform konzeption des Lebenskundlichen Unterrichts« an.98 Die aktuellste Veröffentlichung zum Lebenskundlichen Unterricht, erschienen als Festschrift zum 50. Jahr des Bestehens der Katholischen Militärseelsorge, lässt die Entstehungsgeschichte des Unterrichtes außer Acht, beschreibt aber in einem Aufsatz von Manfred Suermann die gesellschaftlich bedingte inhaltliche Wandlung und Anpassung von Themenbereichen wie Liebe – Partnerschaft – Ehe – Familie.99 Ein weiterer Aufsatz von Thomas R. Elßner bietet einen Ausblick über das im Lebenskundlichen Unterricht mit ehemaligen Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) und DDR-geprägten Wehrpflichtigen zutage tretende Schulwissen sozialistisch geprägter Soldaten zu Glaube und Kirche sowie über die Instrumentalisierung deutscher Lyrik für die antichristliche und prosozialistische Propaganda.100
3. Methodische Überlegungen Obwohl Denken und Wirken Baudissins eine zentrale Position in den Untersu chungen der vorliegenden Studie einnehmen, kann sie nicht den Anspruch erheben, eine biografische zu sein. Im Gegenteil: Ohne die grundlegenden Leistungen Baudissins in Frage zu stellen, lässt gerade sein integrativer Ansatz eines sowohl fest in die Gesellschaft eingebundenen Soldaten als auch in die Verantwortung für die Realisierung des Staatsbürgers in Uniform eingebundener gesellschaftlicher Gruppen eine Fokussierung auf seine Person hinsichtlich der Fragestellung als zu begrenzt und daher als nicht ratsam erscheinen. Baudissin war unbestrittener Wegbereiter eines neuen Weges der Menschenführung in den Streitkräften, seine Arbeit und die seiner Mitarbeiter wurde dabei durch zahlreiche Faktoren historischer, politischer, militärischer und gesellschaftlicher Art beeinflusst. Diese Prämissen – vorgegeben, eingefordert oder ungebeten alles in Frage stellend – anhand der zur Verfügung stehenden Quellen zu veranschaulichen sowie ihre Einflüsse auf die weitere Entwicklung zu erforschen, ist das Anliegen der nachfolgenden Ausführungen. 96 97 98 99 100
Vgl. Ehlert, Interessenausgleich. Vgl. Kruse, Kirche. Vgl. Bald, Die Reformkonzeption. Das Materialheft zu Grundsatzfragen des Lebenskundlichen Unterrichts war ausschließlich zur Information der Militärgeistlichen bestimmt. Vgl. Suermann, Der Lebenskundliche Unterricht. Vgl. Elßner, Sozialistisches Schulwissen.
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Andererseits dürfen biographische Aspekte aber auch nicht vernachlässigt werden, wendet diese Studie ihren Blick doch auch der Erziehung – der Menschenbildung – in ihrer pädagogisch- und militärhistorischen, insbesondere ihrer kongruenten, gleichwohl auch differierenden Entwicklung zu. Sowohl die historische Entwicklung als auch die erfahrene Erziehung in Familie, Staat, Gesellschaft und Militär übten einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Denken und Wirken der Entscheidungsträger – Befürworter und Gegner eines neuen Verständnisses von soldatischer Erziehung – in Militär, Politik, Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft aus. Deren vom Kaiserreich bis zum Aufbau eines demokratischen Staates reichenden Erfahrungen müssen daher bei der Analyse ihrer Planungen und Entscheidungen ebenso hinreichende Berücksichtigung finden wie ihre sicherheitspolitische Bedrohungsanalyse und das daraus resultierende Kriegs- und Menschenbild. Diese Aufmerksamkeit muss aber auch den Adressaten, den zukünftigen militärischen Führern und Soldaten entgegengebracht werden, die entweder durch eigene unmittelbare Kriegserfahrungen als Soldaten geprägt worden waren oder als Jüngere den Kriegsalltag in der Heimat erlebten. Gemeinsam war jedoch allen das Erlebnis von totaler Niederlage, Zerstörung, materiellen und menschlichen Verlusten sowie den Beschwernissen eines neuen persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Anfangs. Die Wiederbewaffnung Westdeutschlands und das Innere Gefüge seiner Streitkräfte betrafen die gesamte Gesellschaft, und so reichte das Spektrum der Meinungen vom Wiederaufbau einer in vermeintlich guter soldatischer Tradition verankerten Wehrmacht bis hin zur Verweigerungshaltung der »Ohne-mich-Bewegung«. Historische und pädagogische Aspekte berücksichtigend, ist die vorliegende Studie interdisziplinär angelegt und basiert auf der kritischen Auswertung historischer Quellen und pädagogischer Texte sowie der entsprechenden geschichts- und erziehungswissenschaftlichen Sekundärliteratur. In drei Abschnitte gegliedert, beginnt die Untersuchung mit einem Exkurs über die in der jungen Bundesrepublik dominierenden erziehungswissenschaftlichen Theorien der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik, an denen sich auch die Gestalter erzieherischer Grundsätze für die neu aufzustellenden Streitkräfte orientierten. Zudem waren mit Eduard Spranger, Theodor Litt und insbesondere Erich Weniger herausragende Repräsentanten dieser erziehungswissenschaftlichen Strömung in die kontroverse Diskussion über die Gestaltung der Erziehung des gewollten Soldaten eingebunden. Dieser Einordnung in den pädagogischen Kontext folgt eine Definition des im Weiteren verwendeten Erziehungsbegriffes, der Kategorien Erziehungsziele und -mittel sowie eine erziehungswissenschaftlich fundierte Abgrenzung der pädagogischen Elementarbegriffe Erziehung, Bildung und Ausbildung. Einerseits einem besseren Verständnis des Untersuchungsobjektes geschuldet, soll mit diesem Schritt andererseits auch einer von der Erziehungs- an die Geschichtswissenschaft gerichteten Kritik, wonach Letztere den Erziehungsbegriff mit wenigen Ausnahmen zu undifferenziert verwende101, entgegengewirkt werden. In unmittelbarer Nähe zum Verständnis des Erziehungsbegriffes ist auch die strittige Frage nach dem Abschluss erzieherischen Wirkens verortet. Erziehung von Kindern und Jugendlichen – ja! Aber wer kann und 101
Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 147 f.
18 Einleitung
will sich anmaßen, Erwachsene zu erziehen? Die Frage nach einem Endpunkt oder der Unendlichkeit der Erziehung bedarf daher einer Klärung. Von dem Mathematiker Georg Christoph Lichtenberg ist der Aphorismus überliefert, dass er nicht wisse, »ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber soviel kann ich sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll.«102 Diesem Gedanken folgten auch jene Protagonisten einer demokratisch und pädagogisch legitimierten Erziehung des zukünftigen westdeutschen Soldaten, deren Erfahrungen durch die nationalsozialistische Diktatur und die Wehrmacht geprägt worden waren. Auf eine gesonderte Beschreibung der Erziehung im Dritten Reich und in der Wehrmacht wird jedoch – zugunsten einer jeweils problemorientieren Analyse ihrer Relevanz für die Konzeption und Implementierung militärischer Erziehungsleitsätze und das pädagogische Handeln in der Aufbauphase der Bundeswehr – verzichtet. Der Einordnung in den pädagogischen Kontext folgend, richten die im Zentrum der Studie stehenden Ausführungen ihren Fokus auf die Konzeption und Imple mentierung militärischer Erziehungsgrundsätze. Nachdem zunächst das Konzept der Inneren Führung sowie Position und Aufgabe der Erziehung in dieser Führungs philosophie beschrieben werden, finden nachstehend auch die gleichsam kontrovers diskutierten Ideen zur staatsbürgerlichen und ethischen Erziehung Berücksichtigung. Da die zukünftigen deutschen Streitkräfte ursprünglich in ein europäisches, mit dem Scheitern des Projektes einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und dem 1955 erfolgten Eintritt in das 1949 gegründete Nordatlantische Verteidigungsbündnis NATO (North Atlantic Treaty Organisation) tatsächlich jedoch in ein atlantisch-europäisches Verteidigungsbündnis eingebunden werden sollten, bot sich ein Erfahrungsaustausch mit den zukünftigen Partnern, aber auch mit Vertretern neutraler Staaten nicht nur auf dem militärpolitischen oder -strategischem Gebiet, sondern auch auf dem Gebiet der Erziehung im Militär an. Die Diskussionen verdeutlichten aber nicht nur Anknüpfungspunkte, sondern auch national divergierende Ansichten über Aufgaben und Relevanz des Militärs als Erziehungs- und Bildungsinstitution. Das jeweilige Verständnis vom Begriff »education« oder »Erziehung« tat hierbei sein Übriges. Eine wesentliche Grundlage für die Erziehung des Soldaten bildeten die »Leit sätze für die Erziehung des Soldaten«, in denen einerseits die Ziele, Mittel und Wege der Erziehung, andererseits die an den Erzieher, also den militärischen Vor gesetzten, gestellten Anforderungen artikuliert wurden. Die von namhaften Wis senschaftlern aus den Bereichen Pädagogik, Psychologie und Soziologie, ehemaligen Offizieren sowie Vertretern der Kirche und des Amtes Blank erarbeiteten Entwürfe wurden einer umfassenden internen und externen Kritik unterworfen. Fast einhellig positiven Stellungnahmen aus Politik und Erziehungswissenschaft in Form des Bundestagsausschusses für europäische Sicherheit, des zukünftigen Verteidigungs ausschusses und des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen standen vernichtende Urteile diametral entgegen. Vertreten wurden diese negativen Einschätzungen nicht nur vom ehemaligen Leiter der Abteilung Inland im Reichswehrministerium und Teilnehmer der Himmeroder Tagung, Foertsch, son102
Kußmann, Vor 275 Jahren.
Einleitung 19
dern auch von Wirmer und Pfister. Insbesondere Person und Stellung Pfisters, der als permanenter Störfaktor wahrgenommen wurde, werden einer näheren Betrachtung zu unterziehen sein. Trotz aller Bemühungen liegt der Erziehung auch die Gefahr des Scheiterns inne. Um diesem Risiko entgegenzuwirken, erließ das Bundesministerium für Verteidigung 1958 mit dem Erlass »Erzieherische Maßnahmen« eine Handlungsanweisung für den Vorgesetzten, die 1965 eine inhaltliche und anwendungstechnische Modi fikation erfuhr. Aufgabe und Inhalt des Erlasses sowie die Gründe für seine Überar beitung werden im Abschnitt »Erziehen – Nicht strafen!« ebenso vorgestellt wie die Lösungsansätze im Umgang mit schwer erziehbaren Soldaten. Hilfestellungen wie dem Erlass »Erzieherische Maßnahmen« oder einer 1961 erlassenen Ausbildungs schrift, die den Vorgesetzten im Umgang mit verhaltensauffälligen Soldaten unterstützen sollte, standen die nicht enden wollenden Forderungen nach verschärften Sanktionen zur Durchsetzung des Erziehungsanspruches entgegen. Die Renaissance des »Alten Geistes« fand ihren Ausdruck aber nicht nur im Rückgriff auf die Erziehungs- und Sondereinheiten der Wehrmacht, sondern auch in dem Versuch einer stillschweigenden Wiedereinführung und Einübung einer gesetzlich nicht legitimierten Militärgerichtsbarkeit. Beendet wird dieser Abschnitt mit einer verdichteten Analyse der praktischen Umsetzung der Erziehungsgrundsätze im Alltag der Bundeswehr anhand der Berichte des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Eine zusammenfassende Bilanz schließt die Ausführungen ab. Die Lebensläufe maßgeblicher Protagonisten wurden zum besseren Verständnis ihres Denkens und Handelns direkt in den Text eingearbeitet. Wer waren diese Männer? Welchen biographischen Hintergrund, insbesondere militärische oder militär-pädagogische Referenzen wiesen sie auf? Schließlich nahmen sie mit ihren Beiträgen erheblichen Einfluss auf die pädagogische Konzeption der zukünftigen Streitkräfte in der Demokratie. Diese biographischen Einlassungen sollen aber nicht nur der Einordnung dienen, sondern gleichermaßen aufzeigen, dass bereits wenige Jahre nach Kriegsende und nationalsozialistischer Verfolgung Wissenschaftler gemeinsam am Aufbau neuer, wenngleich demokratisch legitimierter Streitkräfte mitwirkten, die die nationalsozialistische Ideologie des Dritten Reiches entweder aktiv unterstützten (Helmut Schelsky, Helmut Kittel, Theodor Wilhelm, Hans Beyer) oder zu dessen Opfern zählten (Hans Alfken, Arnold Bergstraesser), während andere Protagonisten sich in den militärischen Raum zurückzogen hatten (Erich Weniger, Hans Bohnenkamp). Thematisiert wurde dieser Sachverhalt in den vorliegenden Quellen nicht: Verdrängung und Vergessen war auch hier allgegenwärtig.
I. Erziehung – Ausbildung – Bildung: Eine Differenzierung pädagogischer Elementarbegriffe »Das Wichtigste ist die Sorge für die Klarheit der Begriffe!« Griechische Weisheit1 Schenkte die Erziehungswissenschaft in den nach 1945 veröffentlichten Arbeiten über die historische Entwicklung der Pädagogik2 der pädagogischen Theorie und Praxis im preußisch-deutschen Militär mit wenigen Ausnahmen3 keine Beachtung, wandte sich die Geschichtswissenschaft diesem Sujet zu und legte zahlreiche Untersuchungen zur militärischen Erziehung, Ausbildung und Bildung vor. Wie Hartmann in seiner Untersuchung über das Problem der Erziehung von Erwachsenen am Beispiel des pädagogischen Feldes »Bundeswehr« darstellt, weisen diese Studien aus pädagogischer Perspektive betrachtet jedoch zwei wesentliche Defizite auf.4 Einen zentralen Ansatz zur Kritik bietet der von den Verfassern der diversen Studien in einem sehr weiten Verständnis angewandte Erziehungsbegriff. Da eine Explikation und systematische Differenzierung pädagogischer Begrifflichkeiten zur Interpretation der Quellen in der Regel unterblieben sei, werde, wie Hartmann die Forschungsliteratur beurteilt, jedes pädagogisch relevante »Handeln von der Abrichtung und Manipulation bis zur Ausbildung und Bildung [...] ohne Berück sichtigung des Alters der Adressaten als Erziehung bezeichnet.«5 Insofern seien diese historischen Untersuchungen zu pädagogischen Kernfragen in weit höherem Maße geeignet, Auskunft über das Erziehungsverständnis der Autoren denn über das Erziehungsverständnis der behandelten Epochen oder Personen zu geben.6 Einen 1 2 3
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Antwort eines Weisen auf die Frage eines griechischen Königs, was denn das Wichtigste in seinem Amt sei. Zitiert nach (letzter Zugriff 4.11.2015). Vgl. u.a. Blankertz, Die Geschichte der Pädagogik; Böhm, Geschichte der Pädagogik; Reble, Geschichte der Pädagogik. Vgl. Wilhelm, Pädagogik der Gegenwart, S. 583‑607, über die Bundeswehr als außerschulische Erziehungsinstitution; Scheuerl, Geschichte der Erziehung, S. 116‑118, zur Kadettenerziehung; sowie Stübig, Militär als Bildungsfaktor, S. 362‑377. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 147 f. Ebd. Ausnahmen stellen für Hartmann die Arbeiten Karl Demeters und Herbert Graubohms dar, die zumindest zwischen Erziehung und Bildung differenzieren. Vgl. ebd., S. 148; sowie Demeter, Das Deutsche Offizierkorps, S. 70; und Graubohm, Die Ausbildung in der deutschen Marine, S. 15. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 148.
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weiteren Mangel sieht der Pädagoge in dem fehlenden Problembewusstsein der Geschichtswissenschaft hinsichtlich der Bestimmung des Endpunktes der Erziehung. Infolgedessen seien historische Diskussionen »über den Endpunkt der Erziehung, insbesondere über die Möglichkeiten und Notwendigkeit einer Erziehung von Soldaten sowie über das Verhältnis von Erziehung und Bildung weitgehend nicht beachtet« worden.7 In Anbetracht dieser kritischen Anmerkungen über die oftmals unreflektierte Anwendung der pädagogischen Termini Erziehung, Bildung und Ausbildung in historischen Untersuchungen zur militärischen Erziehung werden diese für die weitere Untersuchung maßgeblichen elementaren Begriffe pädagogischen Handelns im Anschluss eines vorangestellten Exkurses über die in der jungen Bundesrepublik allgemein anerkannten Theorien der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik der angemahnten Explikation und Differenzierung unterzogen.
Exkurs: Erziehungswissenschaftliche Theorien in der jungen Bundesrepublik Mitte der 1920er hatte sich die Geisteswissenschaftliche Pädagogik als »prominenteste und folgenreichste pädagogische Strömung in Deutschland« etabliert.8 Sie konnte ihre Vormachtstellung in der Erziehungswissenschaft, nur unterbrochen durch die Zeitspanne des Nationalsozialismus, bis zu ihrer keineswegs endgültigen Ablösung durch die Kritische Erziehungswissenschaft9 in den 1960er-Jahren wahren. Eine zunehmende Skepsis gegenüber den empirischen Verhaltenswissenschaften10 und das Eingeständnis, »dass die Kritische Erziehungswissenschaft die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt hat«, bescherten der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik und der Hermeneutik als »Wissenschaftstheorie geisteswissenschaftlichen Verstehens«11 in den letzten zwei Dekaden des vergangenen Jahrhunderts schließlich eine Renaissance12, die den erziehungswissenschaftlichen Diskurs jedoch weder »auf den Stand der 50er und frühen 60er Jahre« zurückführte, noch das Ende der em7 8 9
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Ebd. Krüger, Einführung, S. 18. Die Kritische Erziehungswissenschaft versteht sich als Sozialwissenschaft, deren Anliegen primär soziologisch und politisch ausgerichtet ist und auf eine Veränderung der Gesellschaft zielt. Vgl. Danner, Methoden, S. 23. Zur Kritischen Erziehungswissenschaft vgl. u.a. Krüger, Einführung, S. 57‑83; Tschamler, Wissenschaftstheorie, S. 202‑217; Wörterbuch Erziehungswissenschaft, S. 170‑175 (Beitrag Klafki); König/Zedler, Theorien, S. 115‑142. Ihre maßgeblichen Vertreter, Herwig Blankertz, Wolfgang Klafki und Klaus Mollenhauer, leiteten ihre erziehungswissenschaftlichen Ansätze nicht nur von der Kritischen Theorie, sondern auch aus »einer Selbstkritik der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik« ab. Immerhin hatten sie alle bei Erich Weniger, einem der einflussreichsten Sachwalter der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik, promoviert. Vgl. Krüger, Einführung, S. 58 f., Zitat S. 58. Zur Erziehungswissenschaft als empirische Verhaltenswissenschaft vgl. König/Zedler, Theorien, S. 37‑84. Krüger, Einführung, S. 24. Vgl. König/Zedler, Theorien, S. 113; Zitat ebd.; Hartmann, Erziehung, S. 17‑22.
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pirischen und kritischen Theorieofferten, wohl aber deren Absolutheitsanspruches einläutete.13 Die Geisteswissenschaftliche Pädagogik war aus dem Vorsatz des Theologen und Philosophen Wilhelm Dilthey14 erwachsen, »dem Wissenschaftsverständnis der Na turwissenschaften ein geisteswissenschaftliches« entgegenzusetzen. Sie stellte keine geschlossene systematische Theorie der Erziehungswissenschaft dar.15 Beeinflusst durch die Philosophie des Deutschen Idealismus, die zwischen Natur und Geist differenzierte16, plädierte Dilthey für eine Eigenständigkeit der Geisteswissenschaften, die »sich auf die Menschen, ihre Verhältnisse zueinander und zur äußeren Natur« beziehen.17 Es geht hierin um »dasjenige, was den Menschen zum Menschen macht.« Daher erfolgt die Verwendung des Terminus »Geist« auch nicht im philosophischen oder theologischen Sinn, sondern ist Ausdruck dessen, was den Menschen von der Natur und dem Tier unterscheidet. Danner erläutert »Durch ihn wird der Mensch befreit aus den rein kausalen Bezügen; er kann und muss zu seinem Leben Stellung nehmen; er muss sich entscheiden; Gestaltung des Daseins, Orientierung an Qualität und Werthaftem sind Kennzeichen und Folgen menschlichen ›Geistes‹«18, der sich in Geschichte und Geschichtlichkeit manifestiert.19 Demzufolge, so der »Begründer der modernen Geisteswissenschaften«, wie Krüger ihn nennt20, könnten der Mensch und sein Geistesleben nicht auf die Natur zurückgeführt werden, sondern müssten gemäß ihrem geschichtlichen Dasein interpretiert werden. Zentrum 13
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Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 21; Zitat ebd. Stattdessen werden die Empirische und Kritische Erziehungswissenschaft »als Teiltheorien einer umfassenden pädagogischen Hermeneutik anerkannt«, die als integrative Metatheorie »die Erkenntnisse der jeweiligen Theorien in einen Gesamt zusammenhang« einordnet und »ihre theoretische Reichweite und ihre Bedeutung für die pädagogische Praxis« reflektiert und fruchtbar macht. Ebd. Zu Leben und Werk Diltheys siehe Herrmann, Wilhelm Dilthey. Danner, Methoden, S. 18. Vgl. ebd., S. 19. Der Deutsche Idealismus stellte während der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die vorherrschende philosophische Strömung in Deutschland dar. Eng mit der Literatur der Weimarer Klassik (Goethe, Schiller, Herder, Wieland) und der kulturgeschichtlichen Epoche der Romantik verbunden, wurde diese auch als klassische deutsche Philosophie bezeichnete Periode von Immanuel Kant (1714‑1804), Johann Gottlieb Fichte (1762‑1814), Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775‑1854) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770‑1831) repräsentiert. Zum Deutschen Idealismus vgl. u.a. Gamm, Der Deutsche Idealismus; Horstmann, Die Grenzen; Jaeschke/Arndt, Die Klassische Deutsche Philosophie. Dilthey, Gesammelte Schriften, Bd 7, S. 70. Dilthey ordnet folgende Wissenschaften den Geistes wissenschaften zu: »Geschichte, Nationalökonomie, Rechts- und Staatswissenschaften, Religions wissenschaften, das Studium von Literatur und Dichtung, von Kunst und Musik, philosophischer Weltanschauung«. Die Pädagogik findet keine Erwähnung, da sie im 18. Jahrhundert zunächst der Philosophie, der Theologie oder der Didaktik zugeordnet war. Erste überzeugende Ansätze, die Pä dagogik als eigenständige systematische Wissenschaft zu etablieren, wurden durch Johann Friedrich Herbart (1776‑1841) und Friedrich Daniel Schleiermacher vorgelegt. Vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 404. Für die Gegenwart ordnet Danner den Geisteswissenschaften folgende Disziplinen zu: Philosophie, Sprachwissenschaften, Geschichte, Kunstwissenschaften, Rechtswis senschaften, Theologie, Pädagogik, Psychologie und Soziologie. Vgl. Danner, Methoden, S. 18. Danner, Methoden, S. 20. Den von allem Metaphysischen befreiten Geist definiert als »die Fähig keit der Menschen, Werkzeuge, Zeichen und soziale Gebilde (Sitten, Rechtsformen, Staaten) zu schaffen und zu benutzen« Flitner, Allgemeine Pädagogik, S. 33. Vgl. ebd., S. 22. Vgl Krüger, Einführung, S. 23.
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ihres erkenntnisleitenden Interesses ist laut Krüger also »nicht das Erklären im Sinne experimentell überprüfbarer und mathematisch formulierbarer Gesetzmäßigkeiten, sondern das Verstehen des Sinnes und der Bedeutung menschlichen Handelns« mithilfe der Hermeneutik als die den Geisteswissenschaften von Dilthey zugesprochene Methode.21 Sowohl zentrale Methode als auch Erkenntnisziel, richtet sich das Verstehen »auf das überprüfbare Herausarbeiten von Bedeutungs- und Wirkungszusammenhängen der menschlich-historischen Welt. Diese sind nicht außermenschliche ›Gesetzmä ßigkeiten‹, sondern von den Menschen selber hervorgebrachte Bedeutungen, Sinn ge bungen und Interessen. Die Bedeutungs- und Wirkungszusammenhänge der geistig-geschichtlichen Welt sind nicht direkt greifbar und erkennbar. Das, was die Geisteswissenschaften erkennen wollen, ist immer nur indirekt« über historisch bedingte und damit wandelbare Texte, Kunstwerke, Institutionen, Bräuche und Sitten als Vergegenständlichung des menschlichen Geistes zugänglich.22 Für das Verständnis dieser Geistesobjektivierungen bedient sich Dilthey in Fortführung der Arbeiten Friedrich Schleiermachers23 der Hermeneutik als Interpretationsverfahren sowie des Hermeneutischen Zirkels als deren Instrument.24 Die Aufgabe der Hermeneutik ist aber nicht nur auf Auslegung und Verständnis des Erkenntnisgegenstandes begrenzt, sondern sie wird von Dilthey dazu aufgerufen, ein aus dem Leben selbst stammendes »System von Grundbegriffen herauszuarbeiten, das allen Gesellschaftswissenschaften gemeinsam ist«, wie Krüger Diltheys Gedanken darlegt: »Die Geisteswissenschaften schaffen ihre Kategorien als Wissenschaften somit nicht völlig neu, um sie dann von außen an das geschichtliche Leben der Menschen heranzutragen. Vielmehr greifen sie Kategorien, die schon im praktischen Lebenszusammenhang der Menschen wirksam sind, auf, präzisieren sie und bringen in einen reflektierten Zusammenhang, was im vor- oder außerwissenschaftlichen Leben immer schon von den Menschen praktisch gedacht wird.«25 Diesen wissenschaftstheoretischen Ansatz auch auf die Pädagogik übertragend, definiert Dilthey die »Deskription des Erziehers in seinem Verhältnis zum Zögling« als Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Pädagogik, »denn zunächst gilt es das Phänomen selber hinzustellen und in einer psychologischen Analyse so deutlich als möglich zu machen. Indem dann die einzelnen Vorgänge, aus denen der Erziehungsvorgang sich zusammensetzt, in ihrer Vollkommenheit beschrieben wer21 22 23
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Vgl. ebd., S. 24; Zitat ebd. Vgl. ebd. Eine ausführliche Darstellung von Leben und Werk Schleiermachers bei Hentschel, Preußische Porträts, S. 529‑588; und Schmidt, Friedrich Schleiermacher. Eine gemeinsame Darstellung von Leben und Wirken Schleiermachers und Wilhelm von Humboldts bietet Benner, Wilhelm von Humboldt. Der heutige Hermeneutik-Begriff fand 1654 seine erstmalige Erwähnung. Bevor Schleiermacher eine allgemeine Hermeneutik entwickelte, die er als »Kunstlehre des Verstehens« bestimmte, fand der Begriff in der Geschichte eine dreifache Verwendung: als philologisch-historische Hermeneutik (Textauslegung), als theologische Hermeneutik (Auslegung der Bibel) und als juristische Herme neutik (Auslegung der Gesetze). Vgl. Danner, Methoden, S. 31. Zur geisteswissenschaftlichen Hermeneutik vgl. ebd., S. 29‑111; König/Zedler, Theorien, S. 85‑94; Krüger, Einführung, S. 181‑188. Krüger, Einführung, S. 24 f. Dilthey grenzt sich hier von der Philosophie Kants ab, deren Kategorien nicht der Erfahrung, sondern der menschlichen Vernunft entstammen.
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den, können daraus Formeln, welche die Vollkommenheit des Vorgangs vorschreiben, oder Regeln abgeleitet werden [...] So weit reicht die allgemeingültige Pädagogik. Sie ist sonach Deskription, Analysis, Regelgebung oder Prinzipienlehre.«26 Allgemeingültige und für alle Zeiten geltende Erziehungsziele können hieraus jedoch nicht abgeleitet werden, da Dilthey die Pädagogik als hermeneutisch-historische Disziplin betrieben wissen will.27 Anhand dieser wissenschaftlichen Methode lassen sich zwar Ziele, Aufgaben, Maßnahmen und Wege bekannter Erziehungskonzepte und deren Einordnung in den historisch-gesellschaftlichen Zusammenhang ebenso analysieren wie die Bedeutung, die den jeweiligen Erziehungskonzepten zuerkannt wurde, eine abschließende Entscheidung über das »richtige« Erziehungskonzept oder über die Zwecke und Ziele einer Erziehung kann auf hermeneutischer Grundlage hingegen nicht getroffen werden. Stattdessen zeigt die historisch-hermeneutische Analyse, »dass es kein allgemeingültiges Erziehungskonzept gibt, sondern dass zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Vorstellungen von Erziehung bestanden haben.«28 Als Gegenstand der Pädagogik identifiziert Dilthey die Situationen der pädagogischen Praxis und die pädagogischen Texte, zu ihrer primären Aufgabe erklärt er das Verständnis der Erziehungswirklichkeit durch Analyse der pädagogischen Situationen, Texte, Dokumente oder Lebensäußerungen. Aus diesem Verständnis ließen sich schließlich Normen für eine besondere pädagogische Situation ableiten, die er anhand der These begründet, »dass Prozesse im psychischen Bereich grundsätzlich teleologisch verlaufen, also auf bestimmte Ziele hin ausgerichtet sind.«29 Diese Zielgerichtetheit glaubt Dilthey sowohl bei der Entwicklung des einzelnen Menschen als »auch in der Geschichte von sozialen und kulturellen Systemen wiederfinden zu können«, denn die Entwicklung richte sich letzten Endes überall auf Entfaltung und Steigerung. König und Zedler erklären, dass es somit die Aufgabe der 26
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Dilthey, Schriften zur Pädagogik, S. 43. Hervorhebungen im Original. Mit der Forderung einer jeden weiteren Analyse und Wertung vorausgehenden Beschreibung eines Phänomens, hier das Verhältnis zwischen Erzieher und Zögling, weist Dilthey in seiner im Winter 1874/75 gehaltenen Vorlesung zu den »Grundlinien eines Systems der Pädagogik« unabsichtlich auf die später von dem österreichischen Philosophen und Mathematiker Edmund Husserl (1859‑1938) begründete Phänomenologie hin, die als weitere Methode Eingang in die Geisteswissenschaften gefunden hat. In seiner Analyse der Methoden der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik arbeitet Danner, neben der allgemein singulär genannten Hermeneutik, die Phänomenologie (Konzentration auf die Sache selbst, nicht auf das bereits über den Untersuchungsgegenstand Bekannte oder Erwartete) und die Dialektik als weitere Methoden der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik heraus und stellt sie als Modell in einen direkten Zusammenhang: »(1) Phänomenologie als beschreibende Bestandsauf nahme, (2) Hermeneutik als Verstehen und Auslegen des beschriebenen Bestandes, (3) Dialektik als weiterführende Reflexion über den beschriebenen und verstandenen Bestand.« Danner, Methoden, S. 177. Zur Phänomenologie vgl. ebd., S. 112‑155, zur Dialektik S. 156‑196. König/Zedler fassen die theoretischen Überlegungen Diltheys zur Pädagogik als Wissenschaft in drei Hauptthesen zusammen, die hier in Kürze vorgestellt werden. Vgl. König/Zedler, Theorien, S. 90‑93; zu den in gleicher Weise vorgestellten Grundsätzen und Inhalten der Geisteswissen schaftlichen Pädagogik vgl. ebd., S. 96‑103. Ebd., S. 90. Das pädagogische System von »Melanchthon wie das von Comenius, das von Locke wie das von Rousseau oder von Herbart ist geschichtlich bedingt und hat immer eine geschichtliche Gültigkeit.« Dilthey, Schriften zur Pädagogik, S. 9. So erneut in der Zusammenfassung bei König/Zedler, Theorien, S. 92.
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wissenschaftlichen Pädagogik sei, jene Normen zu »ermitteln, nach denen sich der Prozess der Vervollkommnung in der Entwicklung des Kindes vollzieht.«30 Obwohl die Pädagogik auch für Dilthey eine normative Wissenschaft bleibt, die »Hinweise darauf gibt, wie Erziehung die Entwicklung zu ›Steigerung‹ und ›Vervollkommnung‹ unterstützen kann [...], betont die Tradition der Hermeneutik die historische Wan delbarkeit von Normen. Als Konsequenz daraus lassen sich, so die Tradition Diltheys, nur historisch bedingte Normen aufstellen, die für einen bestimmten Zeitraum oder für eine bestimmte Situation Geltung besitzen.«31 Obwohl Dilthey zunächst in Breslau, später auch in Berlin zahlreiche Vorlesungen zur Pädagogik gehalten hat32, legte er dennoch keinen eigenen systematisch-pädagogischen Theorieansatz vor. Die Entwicklung solcher Theorieansätze für eine Geisteswissenschaftliche Pädagogik blieb seinen Schülern vorbehalten. Von einem einheitlichen und geschlossenen pädagogischen »System der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik« kann aber trotz aller Kongruenzen und dem allen Ansätzen innewohnenden Bemühen, die gedanklichen Vorarbeiten Diltheys für die pädagogische Theorie und Praxis fruchtbar zu machen, keineswegs die Rede sein.33 Als »Netz von Theorieansätzen, die Pädagogik als hermeneutisch-pragmatische Wissenschaft« und »als spezifische Antwort auf die Probleme ihrer Zeit« verstehen34, umfasst sie zahlreiche, durchaus unterschiedliche Ansätze ihrer herausragenden Repräsentanten. Als solche gelten Herman Nohl35, Eduard Spranger36, Wilhelm Flitner37, Theodor Litt38 und Erich Weniger. Im Gegensatz zu den voranstehenden Vertretern der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik wollte Weniger die allgemeine pädagogische Theorie auch für die Erziehung im Militär fruchtbar machen. Weniger hat keine eigene systematische oder allgemeine Pädagogik vorgelegt, aber sein 1938 veröffentlichtes militärpädagogisches Werk »Wehrmachtserziehung und Kriegserfahrung« kann als solche gelesen werden.39 Als zentraler pädagogischer Grundbegriff für den militärischen Bereich dient ihm der von Flitner geprägte 30 31 32
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Ebd. Vgl. ebd., S. 93. Vorlesungen Diltheys in Breslau: »Geschichte der Pädagogik mit Anwendung der Psychologie auf ihre systematische Ausbildung« (Sommer 1874), »Geschichte der Pädagogik und Grundlinien ihres Systems (Winter 1874/75) und »Geschichte des preußischen Unterrichtswesens« (Winter 1878/79). In Berlin gehaltene Vorlesungen: »Geschichte und System der Pädagogik« und »An wendung der Psychologie auf die Pädagogik als Ergänzung der psychologischen Vorlesung«. Die 1888 veröffentlichte Abhandlung »Über die Möglichkeiten einer allgemeingültigen pädagogischen Wissenschaft« war die einzige zu seinen Lebzeiten publizierte Arbeit über die Pädagogik als systematische Wissenschaft. Vgl. Dilthey, Gesammelte Schriften, Bd 9, S. 1 f. Vgl. Krüger, Einführung, S. 22. Zitat ebd. Hervorhebung im Original. Wörterbuch Erziehungswissenschaft, S. 343 (Beitrag Thiersch). Zu Nohl siehe Krüger, Einführung, S. 18. Eine ausführliche Darstellung von Leben und Werk Nohls bei Geißler, Herman Nohl; Klika, Herman Nohl. Zu Spranger siehe Krüger, Einführung, S. 19; Keim, Erziehung, Bd 1, S. 172 f. Zu Leben und Werk Sprangers siehe auch Löffelholz, Eduard Spranger; Drewek, Eduard Spranger. Zu Flitner siehe Krüger, Einführung, S. 19. Zu Leben und Werk Flitners siehe auch Scheuerl, Wilhelm Flitner. Zu Litt siehe Klafki, Theodor Litt. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 313.
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Terminus der Erziehungsgemeinschaft40; Flitners Selbstbildungsgemeinschaft bleibt in Wenigers Militärpädagogik hingegen unberücksichtigt.41 Gleichsam bedeutende, aber für die vorliegende Arbeit nicht relevante Prota gonisten der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik waren Max Frischeisen-Köhler, der Österreicher Richard Meister, Georg Kerschensteiner, der Nohl-Schüler Otto Friedrich Bollnow und der niederländische Litt-Schüler Martinus Jan Langeveld.42 Auch wenn Spranger bereits 1911 eine Professur für Philosophie und Pädagogik innehatte und Litt als Gymnasiallehrer pädagogisch wirkte, wandten sie sich ebenso wie Nohl, Flitner und Weniger erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges der pädagogischen Theorie zu, als die mit der Niederlage einhergehenden gesellschaftlichen Umwälzungen und die daraus erwachsene soziale, materielle und geistige Not eine Neuorientierung in der pädagogischen Theorie und Praxis erforderlich erscheinen ließen.43 Gefangen im Denken des Bildungsbürgertums und den Traditionslinien des deutschen Idealismus verhaftet, gelang es den zukünftigen Gestaltern der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik aber nicht, die Ursachen des Krieges und die mit seinem Ende einhergehenden Krisen anhand von grundsätzlichen historisch-politischen Analysen herauszuarbeiten. Demzufolge sollte die Krise nicht primär »durch das neue politische System oder die Parteien bewältigt werden, sondern durch Volkserziehung in einem umfassenden Sinne des Wortes, durch Entwicklung eines neuen Volks-, Kultur- und Lebensideals, das die Scheidung zwischen Gebildeten und Ungebildeten überwinden sollte«44, wie Krüger ihren Ansatz zu sammenfasst. Mithin kann die starke Affinität der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik zu der in der Weimarer Republik in Blüte stehenden Reformpädagogik45 kaum überraschen – umso weniger, da sich Flitner in der Jugendbewegung enga40 41 42
43 44 45
Siehe hierzu S. 60‑62 in dieser Arbeit. Flitners Selbstbildungsgemeinschaft siehe S. 57 f. in dieser Arbeit Zu den genannten Personen siehe die entsprechenden Einträge in NDB (zu Meister: NDB 16 [1990], S. 728 f., Beitrag Alois Eder; zu Frischeisen-Köhler: NDB 5 [1961], S. 619 f., Beitrag Heinrich Kautz; zu Kerschensteiner: NDB 11 [1977], S. 534‑536, Beitrag Ludwig Enlgert); bei Klee, Das Personenlexikon (zu Bollnow, S. 62 f.); und Böhm, Wörterbuch der Pädagogik (zu Langeveld, S. 423). Vgl. Krüger, Einführung, S. 20. Krüger, Einführung, S. 21. Zum Bildungsbegriff und Bildungsbürgertum siehe S. 62‑66 in dieser Arbeit. Die Begriffe Reformpädagogik oder reformpädagogische Bewegung fassen die mannigfaltigen Ansätze zur Erneuerung der Schule und der Erziehung zwischen 1890 und 1933 zusammen. Zum Kanon der Reformpädagogik zählen die Jugend-, Landerziehungsheim- und Kunsterziehungsbewegung, die Bewegung der Pädagogik vom Kinde aus, die Arbeitsschulbewegung, die Waldorfschule, die Einheitsschul- sowie die Volkshochschulbewegung. Die pädagogische Reformbewegung war die Reaktion auf das verschulte, bürokratisierte und selektive Schulsystem des wilhelminischen Obrig keitsstaates und auf einen mit der Industrialisierung, Verstädterung und neuen Mobilität einhergehenden gesellschaftlichen, technischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Umbruch. Ihr Einfluss reichte vom ausgehenden Kaiserreich über die Weimarer Republik bis in das erste Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland. Angeknüpft wurde hier vor allem an die didaktischen Konzepte der Reformpädagogik, die aber auch die Kindergärten und Grundschulen bis in die1970er-Jahre prägte. Die Konzepte der antiautoritären Erziehung, der Antipädagogik oder der alternativen Erziehung wären ohne sie nicht denkbar. Vgl. u.a. Wörterbuch Erziehungswissenschaft, S. 399‑405 (Beitrag Jürgen Oelkers); Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 570 f., Schaub/Zenke, Wörterbuch zur Pädagogik, S. 291 f.
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gierte, Nohl und Weniger der sozialpädagogischen Bewegung und alle gemeinsam der Volkshochschulbewegung angehörten. Krüger betont die Verbindung darin, dass sie »die Geisteswissenschaftliche Pädagogik sogar primär als Theorie« der Reformpädagogik verstanden, mit der Absicht, ihr zu einem wissenschaftlichen Selbstverständnis zu verhelfen, während Litt, so schränkt Krüger ein, »den wesentlichen Leitvorstellungen der Reformpädagogik eher skeptisch« gegenübstand. Sein Bestreben sei stattdessen darauf gerichtet gewesen, der Reformpädagogik »zu einer selbstkritischen Reduktion ihrer seiner Ansicht nach überzogenen Reformansprüche zu verhelfen.«46 Die Ablösung der Weimarer Republik durch den Nationalsozialismus bescherte der Reformpädagogik jedoch ein jähes Ende und schlug zahlreiche ihrer jüdischen, sozialdemokratischen und sozialistischen Repräsentanten mit Verfolgung und Emigration, derweil die Dominanz der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik eine bis Kriegsende andauernde Unterbrechung erfuhr, wenngleich ihre Vertreter dem Regime zunächst erwartungsvoll und aufgeschlossen gegenüber standen. In der Beurteilung des Marburger Erziehungswissenschaftlers und namhaften Vertreters der Kritischen Erziehungswissenschaft Wolfgang Klafki47 »ist keiner aus der Gruppe der Begründer der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik in der Zeit der Weimarer Republik ein konsequenter Vertreter unmißverständlicher demokratischer Positionen gewesen. Litt und Weniger werden von ihm«, schreibt Krüger, »als ›Vernunftrepublikaner‹ charakterisiert. Litt habe, aus einer liberal-konservativen Grundeinstellung heraus, eindeutig in verschiedenen Publikationen Gegenpositionen zum Nationalsozialismus formuliert. Flitner und Spranger, teilweise auch Nohl, haben hingegen zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaftsperioden in illusionärer Verkennung der wahren Absichten der den Nationalsozialismus tragenden oder sich ihm anpassenden gesellschaftlichen Gruppen zeitweilig an die Vereinbarkeit mancher ihrer eigenen pädagogischen oder politischen Vorstellungen mit dem Nationalsozialismus bzw. an ihre Fortführbarkeit im NS-System geglaubt«48, obgleich Hitlers menschenverachtende Vorstellungen über die Erziehung in einem völkischen Staat alle Grundsätze und Traditionen bisheriger Erziehungskonzepte negierten.49 Dies galt auch für die Theorien der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik, die im Gegensatz zur nunmehr vorherrschenden platonischen Staatspädagogik nationalsozialistischer Prägung eine relative Autonomie im Verhältnis zu den gesellschaftlichen und staatlichen Kräften propagierte.50 Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Diltheys Schüler in Anlehnung und Weiterent wicklung seiner pädagogischen Vorarbeiten Theorien einer Geisteswissenschaftlichen Pädagogik entwickelt. Deren »wahre[r] Ausgangspunkt« (Nohl)51 bildet die Er ziehungswirklichkeit, die sich in konkreten pädagogischen Situationen und »päda 46 47 48 49 50 51
Vgl. Krüger, Einführung, S. 21. Zitate ebd. Zu Klafki siehe Krüger, Einführung, S. 58 f. Ebd., S. 22. Zu Hitlers Vorstellungen über die Erziehung und Bildung im völkischen Staat siehe Hitler, Mein Kampf, S. 451‑482. Zu Platons Staat der Erziehung vgl. Böhm, Geschichte der Pädagogik, S. 21‑25. Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 150.
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go gischen Objektivationen« ausdrückt.52 Von Nohl als »sinnvolle[s] Ganzes« charakterisiert53, besagt diese Sinnhaftigkeit der Erziehungswirklichkeit in der Geistes wis senschaftlichen Pädagogik, »dass die hier handelnden Personen der Situation eine Bedeutung geben«54, indem sie sich Gedanken über die Situation machen, Ziele und Absichten verfolgen sowie Einstellungen und Empfindungen besitzen. Diesen Überlegungen liegt laut König und Zedler ein Menschenbild zugrunde, das die Menschen als handelnde Subjekte wahrnimmt, »die ihrer Situation eine bestimmte Bedeutung geben und auf der Basis dieser Bedeutung handeln.«55 Der Pädagogik obliegt nun eine doppelte Aufgabe. Als hermeneutische Disziplin muss sie die Erziehungswirklichkeit beschreiben, muss die Situation verstehen und insbesondere die Bedeutung erfassen, die die Situation für den Zögling besitzt. Daher gilt es nicht nur Offensichtliches zu erfassen, sondern auch die versteckten Erfahrungen des Zöglings in Betracht zu ziehen.56 Die Erziehungswirklichkeit ist aber nicht nur durch die pädagogische Situation, das pädagogische Erlebnis, sondern auch durch das in der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik eine zentrale Position innehabende Grundprinzip der Geschichtlichkeit geprägt, denn der Mensch, so referiert Krüger einen Gedanken Diltheys, kann nur aus der Interpretation der Geschichte »zur Selbsterkenntnis kommen und nur aus dem Leben und seiner Geschichte kann der Sinn von Erziehung angemessen erkannt werden.«57 Demzufolge ist die Erziehungswirklichkeit Ausdruck einer geschichtlichen Entwicklung, deren Analyse sowohl die gemeinsame Geschichte und ihre Auswirkung auf die Pädagogik als auch die individuelle Geschichte des Zöglings zu berücksichtigen hat.58 Auch die Geschichte der Pädagogik, deren Bedeutung sich für Nohl aus der Doppelseitigkeit von pädagogischem Erlebnis und pädagogischen Objektivationen erschließt, hat hier ihre herausgehobene Position: »[S]ie ist nicht eine Sammlung von pädagogischen Kuriositäten oder ein interessantes Bekannt machen mit allerhand großen Pädagogen: sondern sie stellt die Kontinuität der pädagogischen Idee dar in ihrer Entfaltung. Was Erziehung eigentlich ist, verstehen wir [...] nur aus solcher systematischen Analyse ihrer Geschichte.« Hierbei treten nicht nur »ihre Eigenart und ihre Eigenwertigkeit« zutage, sondern »auch ihre Stellung in dem allgemeinen Kulturzusammenhang, ihre Verflechtung mit den anderen Kultursystemen, ihre Abhängigkeit von ihnen und ihre Rückwirkung auf sie.«59 Für die Repräsentanten der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik »bedeutete das Grundprinzip der Geschichtlichkeit, dass sie die Erziehungswirklichkeit und die pädagogischen Theorien als historische Erscheinungen betrachteten«, so 52
53 54 55 56 57 58 59
»Diese Erziehungswirklichkeit ist in ihrer Doppelseitigkeit von pädagogischem Erlebnis und pädagogischen Objektivationen das phaenomenon bene fundatum, von dem die wissenschaftliche Theorie auszugehen hat.« Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 151. Ebd., S. 150. König/Zedler, Theorien, S. 98. Ebd. Hiermit hebt sich die Geisteswissenschaftliche Pädagogik von der verhaltenstheoretischen Erziehungswissenschaft ab, die Verhalten als Reaktion auf Reize deutet. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Krüger, Einführung, S. 28. Vgl. König/Zedler, Theorien, S. 99. Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 151 f.
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Krüger über die Konsequenz dieses Gedankens, und weiter: »Pädagogische Ideen, Erziehungsmethoden, Lehrpläne, Texte über pädagogische Probleme wurden als geistige Objektivationen, als Ausdruck jeweils bestimmter historischer Prozesse und Verhältnisse sowie der in ihnen handelnden Menschen mit jeweils geschichtlich bedingten Vorstellungen und Motiven verstanden.«60 Sowohl deren Analyse als auch die der gegenwärtigen Erziehungswirklichkeit mittels der Hermeneutik beschränkt sich in der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik als Wissenschaft aber nicht nur auf das deutungsfreie Beschreiben und Erklären von Sachverhalten, sondern meint, »aus der Hermeneutik der Erziehungswirklichkeit eine normative Orientierung für das praktische Handeln gewinnen zu können. Deskriptive Aussagen über die Befolgung von Zielen in Vergangenheit und Gegenwart werden in Hinweise darüber umgewandelt, was zu tun ist, und damit normativ umgedeutet.«61 Weitere Attribute der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik sind das TheoriePraxis-Verhältnis und die von ihr angestrebte relative Autonomie der Erziehung. Im ersten Fall stützen sich die Protagonisten der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik auf Schleiermachers Votum, der Praxis eine prinzipielle Vorrangigkeit gegenüber der Theorie einzuräumen. Praktische Erziehungsarbeit habe eine weitaus längere Tradition als das Bedürfnis einer theoretischen Aufklärung und Fundamentierung pädagogischen Handelns. Aufgabe der Theorie sei es vielmehr, die jeweilige Er ziehungspraxis zu erklären und kritisch-reflexiv zu hinterfragen, um mäßigend auf sie einzuwirken und sich ihrer selbst bewusst werden zu lassen.62 Erste wissen schaftstheoretische Überlegungen zum Theorie-Praxis-Verhältnis in der Geistes wissenschaftlichen Pädagogik hat Erich Weniger 1929 vorgelegt.63 Obwohl er der pädagogischen Theorie eine analytische Funktion zuerkennt und sie als hilfreich in der Ausbildung zukünftiger Pädagogen erachtet, weicht auch Weniger nicht vom Primat der Praxis gegenüber der Theorie ab. Als normatives System könne sie die 60 61
62
63
Krüger, Einführung, S. 28. König/Zedler, Theorien, S. 101. Auch hier hebt sich die Geisteswissenschaftliche Pädagogik von der wertfreien Verhaltenswissenschaft ab, deren Wissenschaftsverständnis sich auf das Beschreiben und Erklären von Sachverhalten beschränkt und sich jeglicher Deutung enthält. Vgl. ebd. Vgl. Krüger, Einführung, S. 26; Böhm, Geschichte der Pädagogik, S. 88; Schleiermacher, Pädagogische Schriften, Bd 1, S. 11. Die »Aufgabe einer der pädagogischen Praxis immer erst nachfolgenden pädagogischen Theorie sei es nun, den Gegenstand, die Methode und die Begrifflichkeit zu bestimmen, die Pädagogik zu einer ›Kunst‹ zu entwickeln und dadurch die Praxis sowie – über die Praxis – die Theorie zu verbessern.« Hartmann, Erziehung, S. 289. Hervorhebung im Original. Das Thema seiner Kieler Antrittsvorlesung am 2.5.1929 lautete »Theorie und Praxis in der Er ziehung«. In: Weniger, Ausgewählte Schriften, S. 29‑44. Weniger differenziert die pädagogische Theoriebildung in drei Stufen: Der erste Theoriegrad umfasst die unbewusst verinnerlichten Erziehungsvorstellungen, -meinungen und -regeln des Praktikers. Der zweite Grad umfasst einerseits das Handlungswissen des Praktikers, andererseits die Erfahrungssätze pädagogischer Insti tutionen. Der letzte Theoriegrad beschreibt das Verhältnis von Theorie und Praxis in der Praxis. In der ersten Funktion besitzt diese »Theorie des Theoretikers« eine vom Erkenntniswillen geleitete analytische Funktion, ergänzt durch eine praxisorientierte Bestimmung, die von dem Interesse geleitet ist, der Praxis durch ihre verantwortungsvolle Mitgestaltung zu dienen. Sie gilt aber nur in dem Maße, wie sie der Praxis hilft und der Praktiker ihre Ergebnisse verwenden kann. Vgl. Krüger, Einführung, S. 27; Weniger, Ausgewählte Schriften, S. 38‑44.
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pädagogische Erfahrung weder vorwegnehmen noch reglementieren,64 da man diese nur »in der unermüdlichen Kleinarbeit täglicher Praxis« gewinnen könne65 – ein Diktum, das auch für den militärischen Vorgesetzten als Erzieher, Ausbilder und Führer seiner Soldaten allgemeine Gültigkeit besitzt. Für Weniger nahm die Autonomie des pädagogischen Handlungsfeldes mit der radikalen Forderung Jean Jacques Rousseaus66 nach der »Unabhängigkeit des erzieherischen Tuns von den Mächten des Erwachsenenlebens« im 18. Jahrhundert ihren Anfang.67 Von den Vertretern der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik wurde dieser fortschreitende, aber zunächst nur auf die Phase der Kindheit ausgerichtete68 Emanzipationsprozess historisch rekonstruiert und »als ständige Aufgabe von Erziehung und Erziehungswissenschaft« definiert.69 Sich den verändernden historischen Bedingungen anpassend, müsse deren Souveränität permanent gegen Widerstände und Einflussnahme der geistigen Mächte Staat, Kirche, Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Beruf verteidigt werden. Einen entscheidenden Impuls, so Nohl und Weniger, erfuhr die Autonomiebestrebung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts durch die Jugendbewegung und die vielfältigen außer- und innerschulischen Tendenzen der Reformpädagogik, die auch der bislang pädagogisch negierten Jugendphase Eigenrecht und Selbstwert zuerkannten. Mit dem Bestreben der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik, sich von der Theologie, Philosophie und Psychologie zu emanzipieren und eine eigenständige pädagogische Wissenschaft zu begründen, setzte schließlich auch ein Verselbst ständigungsprozess der pädagogischen Theorie ein.70 Die Autonomie in Erziehung und Erziehungswissenschaft darf allerdings nicht als eine absolute, sondern nur als eine relative verstanden werden. Zwischen der Förderung des Zöglings um seiner selbst willen und den Anforderungen der ihn umgebenden gesellschaftlichen Kräfte an seine Erziehung fungiert der Erzieher als Anwalt des Kindes und die Geisteswissenschaftliche Pädagogik als Vertreterin der Erziehungswissenschaften gegenüber der Gesellschaft. In der Auseinandersetzung »der geistigen und kulturellen Mächte um die Einflüsse auf das Bildungs- und Erziehungswesen« kommt der Pädagogik daher die Aufgabe zu, die gesellschaftli64 65 66 67
68
69 70
Vgl. Krüger, Einführung, S. 26 f. Weniger, Ausgewählte Schriften, S. 44. Zu Leben und pädagogischem Wirken Jean Jacques Rousseaus (1712‑1778) siehe Martin Rangs Ausführungen in Rousseau, Emile; Böhm, Geschichte der Pädagogik, S. 67‑75. Weniger, Ausgewählte Schriften, S. 19. Das 1762 veröffentlichte pädagogische Hauptwerk Rousseaus: »Emile oder über die Erziehung« beschreibt die ideale Erziehung eines jungen Mannes und tritt für den Eigen- und Selbstwert der Kindheit ein. Vgl. Rousseau, Emile. Zur relativen Auto nomie der Erziehung in Theorie und Praxis vgl. zusammenfassend Krüger, Einführung, S. 29 f.; sowie Litt, Führen, S. 122‑126; Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 156‑183; Weniger, Ausgewählte Schriften, S. 11‑27. Weniger weist in seinen Ausführungen darauf hin, dass nur dem Kind im 19. Jahrhundert von den Pädagogen ein Eigenrecht zuerkannt, ein »Eigenrecht des Jugendalters« aber entschieden verneint worden sei. Dem Jugendalter einen Selbstwert absprechend, sollte das gewünschte Erziehungs resultat durch ständige Einwirkung auf den Jugendlichen garantiert werden. Erst die Jugend bewegung habe hier einen Wandel geschaffen. Vgl. Weniger, Ausgewählte Schriften, S. 20 f. Vgl. Krüger, Einführung, S. 29. Vgl. ebd., S. 30.
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chen Anforderungen an den Zögling zu identifizieren, die für dessen Entwicklung und die Steigerung seiner Kräfte sinnvoll sind. Das Eigenrecht der Kindheits- und Jugendphase wahrend und dem Zögling zur individuellen Mündigkeit verhelfend71, agieren Erzieher und Zögling jedoch nicht im luftleeren Raum, sondern sind auf das Engste mit den überpersönlichen Mächten (Staat, Gesellschaft, Kirche, Wirtschaft, überlieferte Kultur) verbunden.72 Ohne deren Ansprüche aufzugeben, obliegt es dem Erzieher, die Forderungen dieser Kräfte dergestalt umzuformen, dass der Zögling nicht nur in seinem individuellen Selbstsein gefördert, sondern auch in die überpersönlichen Kräfte eingeführt wird und so die Befähigung erlangt, am Fortschritt der Gesellschaft mitzuwirken.73 Die Abgrenzung gegenüber anderen Wissenschaften und den gesellschaftlichen Zwängen darf daher nicht als Ausschluss missverstanden werden; der Erzieher kann und darf sich von den überpersönlichen Mächten nicht autark machen, »denn ohne ihre Mitwirkung würde es keine Erziehung geben. Aber er darf sich ihnen auch nicht so anheimgeben, wie man ein übergewaltiges Fatum in stummer Ergebenheit hinnimmt«74, hält Litt fest. Flitner versteht die Abhängigkeit der Erzieher von den Werten der geistigen Mächte sogar als conditio sine qua non für eine These relativer Autonomie der Erziehung: Sie verweist auf den Raum, in dem der erzieherisch Tätige selbstständig und verantwortungsbewusst gegenüber seinem Zögling und den geistigen Mächten handelt.75 Kritik erfuhr die Geisteswissenschaftliche Pädagogik ab den 1960er-Jahren sowohl durch die Kritische Erziehungswissenschaft als auch durch die empirische Verhaltenswissenschaft, die laut Krüger den Vorwurf erhob, »dass das Begriffssystem und die Sprache der geisteswissenschaftlichen Pädagogik spekulativ und unpräzise sei und dass Ansätze, Verfahren und Ergebnisse der empirischen Erziehungsforschung in diesem Theoriekonzept keine Berücksichtigung gefunden hätten.«76 Verstehen wurde in der empirischen Tradition der Sozialwissenschaften als unwissenschaftlich erachtet. Es fehlten »abgesicherte empirische Beobachtungsverfahren, nach denen sich jeder intersubjektiv und objektiv von der Wahrheit von Aussagen überzeugen konnte. Verstehen liefere nur subjektive Annahmen, die bestenfalls Hypothesen für empirische Untersuchungen bieten können, die aber auf Basis des methodischen Ansatzes der Geisteswissenschaften weder falsifizierbar sind noch bestätigt werden können und damit letztlich als unwissenschaftlich zu gelten haben«77 führen König und Zedler diese Kritik weiter aus. Der Soziologe und Philosoph Hans Albert78 sprach der traditionellen Hermeneutik die Wissenschaftlichkeit sogar mit dem Argument ab, sie sei »eine Fortsetzung der Theologie mit anderen Mitteln« und bedenkenlos bereit, die wissenschaftliche Objektivität sowie die kritischen Impulse, 71 72 73 74 75 76 77 78
Vgl. ebd.; Zitat ebd. Vgl. Litt, Führen, S. 117. Anstatt der Bezeichnung »überpersönliche Mächte« verwendet Litt im Weiteren den Ausdruck »die geistige Lage«. Hervorhebungen im Original. Zu dieser »Doppelendigkeit« der Erziehung siehe auch S. 53 f. und S. 60‑62 in dieser Arbeit. Litt, Führen, S. 125. Vgl. Krüger, Einführung, S. 30. Ebd., S. 34. König/Zedler, Theorien, S. 111. Zu Albert siehe König/Zedler, Theorien, S. 46.
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die der wissenschaftlichen Methode entspringen, einer dogmatischen Denkweise zu opfern.79 Auch der Pädagoge Wolfgang Brezinka80 plädierte dafür, die hermeneutische Methode der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik, welche die Auslegung des Daseins für sich beansprucht, als eine Glaubensentscheidung und nicht als wissenschaftliche Erkenntnis zu betrachten.81 Die Kritik der Repräsentanten der Kritischen Erziehungswissenschaft fasst Krüger so zusammen, »dass die Geisteswissenschaftliche Pädagogik keine Theorie der Gesellschaft ausgearbeitet habe, von der aus sie die Funktionen der Erziehung und der Erziehungswissenschaft im Rahmen gesellschaftlicher Praxis hätte kritisch untersuchen können.« Die bereits bei Schleiermacher nur rudimentär auszumachende Verknüpfung der Pädagogik zu den gesellschaftsmächtigen Kräften wie Herrschaft, Ökonomie und Politik seien von der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik noch weiter vernachlässigt worden. Darüber hinaus habe sie sich »mit dem unpolitischen Modell des pädagogischen Bezuges, dem jede soziologische Analysedimension fehle [...] relativ autonom in einer reformpädagogischen Idylle isoliert.«82 Mithin sahen ihre Rezensenten die kritische Untersuchung institutionell-gesellschaftlicher Gegebenheiten und Zwänge sowie deren Einflüsse auf das Erziehungsgeschehen vernachlässigt. Verstand sich die Geisteswissenschaftliche Pädagogik ausdrücklich als Anwalt des Zöglings auf dessen Weg zu Freiheit, Mündigkeit und Selbstbestimmung, wurde die Einlösung dieses Versprechens von der Kritischen Erziehungswissenschaft hinterfragt.83 Anlass boten laut König und Zedler die »fehlenden Verfahren zur Überprüfung von Normen auf ihre Legitimation«, da hermeneutische Verfahren stets die Gefahr in sich bergen, »das Bestehende zu stabilisieren«, was auch anhand der zunächst optimistischen, später ambivalenten Haltung der Geisteswissenschaftlichen Päda gogik gegenüber dem Nationalsozialismus abgeleitet werden könne, da es ihr an einem methodischen Instrumentarium zur Kritik mangelte. Das Fehlen einer For schungsmethodik interpretieren König/Zedler schließlich als einen, wenn nicht den »zentrale[n] Schwachpunkt der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik: Sie hat Verstehen proklamiert, aber keine Methodik des Verstehens entwickelt. Wie lässt sich absichern, dass ich tatsächlich erfasse, was die Bedeutung einer Situation für ein Kind, für einen Jugendlichen, einen Teilnehmer in der Erwachsenenbildung ist?« Demzufolge sei ein methodisches Instrumentarium, das Verstehen und Kritik gleichzeitig ermöglicht, unabdingbar.84 79 80 81 82 83 84
Vgl. Albert, Traktat, S. 143; Zitat ebd. Zu Brezinka siehe Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 127 f.; Krüger, Einführung, S. 41. Vgl. König/Zedler, Theorien, S. 112. Krüger, Einführung, S. 34. Vgl. König/Zedler, Theorien, S. 112. Vgl. ebd., S. 114; Zitate ebd. Die Konzentration der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik auf die Methode des Verstehens für die Erarbeitung von Handlungsanweisungen birgt nach Einschätzung der Kritischen Erziehungswissenschaft die Gefahr, das »›Überlieferte, das Gegebene, das Wirkliche‹ als ›das Richtige, Gültige, Vernünftige‹« zu interpretieren. Der Versuch, eine Situation oder Tradi tion nur zu verstehen, führe dazu, dass der Betrachter dieser Tradition »gleichsam ausgeliefert« und unfähig sei, ihr gegenüber eine kritisch-reflexive Position einzunehmen. Vgl. ebd., S. 112; Zitat ebd.
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Ungeachtet fehlender gesellschaftskritischer Bezüge und mangelnder Forschungsorientierung, die nach ihrer Überwindung zu einer Renaissance der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik geführt haben, ist es ihren Begründern gelungen, ein eigenständiges, mit ureigenen Begriffen ausgestattetes pädagogisches Konzept mit unterschiedlichen Ansätzen zu entwickeln und die Pädagogik in den 1920er-Jahren als nunmehr von Theologie und Philosophie unabhängige wissenschaftliche Disziplin an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu etablieren. Ferner haben sie, so streicht Krüger ihre Bedeutung heraus, »die ersten wissenschaftlichen Begrün dungen für die Ausfächerung der Erziehungswissenschaften in Subdisziplinen, wie die Allgemeine Pädagogik, die Berufspädagogik, die Sozialpädagogik oder die Er wachsenenbildung« formuliert und »damit die theoretische Semantik für ein umfassendes Bildungs- und Erziehungssystem geschrieben, das sich in einem ersten Modernisierungsschub in den zwanziger Jahren allmählich herausbildete.« Schließ lich wirkte sich die an der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik geübte Kritik auch positiv aus, diente sie doch zahlreichen Ansätzen bei der Weiterentwicklung des erziehungswissenschaftlichen Theoriediskurses als Bezugspunkt und allen Abgesängen zum Trotz wurden einige ihrer Theorieelemente wie »die hermeneutische Methode, das Verständnis von Pädagogik als einer pragmatischen Wissenschaft, auch konstruktiv aufgegriffen und weiterentwickelt.«85
1. Erziehung »Was man im allgemeinen unter Erziehung versteht, ist als bekannt vorauszusetzen« F.D.E. Schleiermacher86 Und doch ist es ein weites Feld, wie es Vater Briest ausdrücken würde, denn die wissenschaftliche Diskussion über den Erziehungsbegriff ist vielfältig und im Rahmen dieser Studie nicht darstellbar. Die nachfolgenden Ausführungen können folglich nur dem Zweck dienen, eine für das Verständnis der vorliegenden Arbeit als notwendig erachtete Explikation und Abgrenzung erziehungswissenschaftlicher Grundbegriffe zu leisten. In diesem Sinne erfolgt eine Konzentration auf die in den systematischen Theorien der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik vertretenen Positionen zum Erziehungsbegriff sowie seine weiteren Differenzierungen. Ergänzt durch eine allgemeine und militärische Definition von Erziehungszielen und -mittel, schließt dieser Abschnitt mit einer Vorstellung wesentlicher Komponenten der erziehungswissenschaftlichen Theorien herausragender Repräsentanten der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik und den daraus abgeleiteten Endpunkten der Erziehung.
85 86
Krüger, Einführung, S. 34 f.; Zitate ebd. Zu Kritik und Weiterentwicklung vgl. auch Wörterbuch Erziehungswissenschaft, S. 345‑347 (Beitrag Thiersch). Schleiermacher, Pädagogische Schriften, Bd 1, S. 7.
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a) Erziehungsbegriff Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht.« Imanuel Kant87 Erziehung ist ein deskriptiv-analytischer wie normativer Grundbegriff der Pädagogik, der im deutschen Sprachgebrauch »sowohl einen Prozess wie sein Ergebnis, eine Absicht und ein Handeln (des Erziehers und des educandus88)« sowie »einen Zustand des Zöglings und die Bedingungen dieses Zustandes einschließt.«89 Für Brezinka bezeichnet Erziehung alle Handlungen, »durch die Menschen versuchen, die Persönlichkeit eines anderen Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern.«90 Ganz allgemein kann Erziehung demnach als jene Maßnahmen und Prozesse definiert werden, »die den Menschen zu Autonomie und Mündigkeit hinleiten und ihm helfen, alle seine Kräfte und Möglichkeiten zu aktuieren91 und in seine Menschlichkeit hineinzufinden.«92 Erziehung betrifft den Menschen dabei in seiner individuellen (Wachstum und Entwicklung), sozialen (gesellschaftlich-kulturelle Eingliederung), kulturellen (Einführung) und metaphysischen (Erweckung und Begegnung) Dimension.93 Eine differenziertere Erklärung beschreibt Erziehung als »Handlung von Eltern, Lehrern, Ausbildern u.a. Erziehern bzw. Pädagogen, die in der bewussten Absicht erfolgen, durch den Einsatz bestimmter E[rziehungs]mittel und E[rziehungs]maßnahmen Kenntnisse und Fähigkeiten, Einstellungen und Werteorientierungen, Handlungswillen und Handlungsfähigkeit, also die individuelle Mündigkeit der Kinder oder Jugendlichen und ihre Kompetenz zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben möglichst dauerhaft zu verbessern. Weil E[rziehung] in diesem Sinne zielorientiertes Handeln darstellt, wird auch verschiedentlich von intentionaler E[rziehung] gesprochen und davon eine funktionale E[rziehung] unterschieden.«94 Für die im Fokus der Betrachtungen stehende Geisteswissenschaftliche Pädagogik hat Meister 1946 eine bei Danner angeführte »allgemeine Definition von Erziehung« formuliert.95 Demnach ist Erziehung »die planmäßige Führung, die die erwachsene
87 88
89 90 91 92 93 94 95
Kant, Ausgewählte Schriften, S. 11. Der Begriff des educandus, als der zu Erziehende, wird in der Erziehungswissenschaft neben den des Zöglings gebraucht und bezeichnet im weitesten Sinne denjenigen, an den sich die Erziehung richtet, sei es vonseiten des Erziehers oder als Prozess der Selbsterziehung. Vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 143. Hervorhebung im Original. Vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 156. Brezinka, Erziehung, S. 68. Gemeint ist wohl: zu entwickeln, zu entfalten. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 157. Vgl. ebd. Schaub/Zenke, Wörterbuch zur Pädagogik, S. 127 f. Hervorhebungen im Original. Danner, Methoden, S. 27.
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Generation der heranwachsenden bei ihrer Auseinandersetzung mit der überkommenen Kultur angedeihen läßt.«96 Diesem geisteswissenschaftlichen Erziehungsverständniss sind drei Merkmale zu eigen: »1. Bei Erziehung handelt es sich um ein Verhältnis zwischen ›heranwachsender‹ und ›erwachsener‹ Generation; es besteht also ein Verhältnis zwischen solchen, die Hilfe benötigen, und solchen, die diese geben können; man spricht hierbei vom ›pädagogischen Gefälle‹, das jedoch kein unterdrückendes Herrschaftsverhältnis ist, sondern sich vielmehr durch Verantwortung legitimiert. 2: Erziehung soll planmäßige Führung sein; sie geschieht also nicht zufällig, nebenbei und nur durch die ›Umstände‹; sie wird vielmehr bewußt und verantwortlich übernommen. Dabei beruht ›Führung‹ auf einem personalen Vertrauensverhältnis zwischen Erzieher und Zögling[en], wobei nicht gegängelt wird, sondern alles auf die vertrauende und (später) auch einsichtige Zustimmung des Zöglings ankommt. 3. Es handelt sich um Auseinandersetzung mit der überkommenden Kultur, nicht um ein bloßes Übernehmen und Reproduzieren von Kultur, die von äußerlichen Verhaltensweisen über Sprache, Fertigkeiten, Wissenschaft usw. bis zu Grundüberzeugungen reicht.«97 Eine weiterführende Differenzierung scheidet den Erziehungsbegriff einerseits in intentionale und funktionale Erziehung, andererseits in direkte und indirekte Erziehung sowie in Fremd- und Selbsterziehung. Intentionale Erziehung/Direkte Erziehung Als Erziehung im engeren Sinne meint die intentionale oder direkte Erziehung »die absichtliche, bewusste, interpersonelle persönlichkeitsfördernde Einwirkung« auf den Zögling.98 In der Soziologie auch als Sozialmachung bezeichnet99, setzen die von einer erklärten Erziehungsabsicht geleiteten Akte100 ein Herrschaftsverhältnis, eine Ungleichheit zwischen Erzieher und Zögling voraus.101 Hartmann stellt heraus, dass es sich aus diesem Herrschaftsverhältnis ergibt, dass »der Erzieher letztlich auch mit Zwang direkt auf den Zögling wirken« darf.102 Diese in der Erziehung 96
97 98 99 100 101
102
Meister, Beiträge, S. 683. Zit. nach Danner, Methoden S. 27. Das jeweilige Erziehungsverständnis der maßgeblichen Vertreter der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik wird in den nachfolgenden Ausführungen zum Endpunkt der Erziehung entfaltet. Danner, Methoden, S. 25. Hervorhebungen im Original. Lexikon der Pädagogik, Bd 2, S. 47 (Beitrag Hubert Henz). Vgl. Lexikon zur Soziologie, S. 208 (Beitrag Ellen Diederich). Vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 157; vgl. auch Schaub/Zenke, Wörterbuch zur Pädago gik, S. 190; Lexikon der Pädagogik, Bd 2, S. 47 (Beitrag Hubert Henz). Im Verhältnis zwischen Zögling und Erzieher wird Letzterer »als der wissende und wertsichtige (W. Flitner), als der entwickelte Wille (Nohl), als derjenige, der des Wissens und der Haltung mächtig ist (Litt) und einen Kompetenzvorsprung (Klafki) besitzt, beurteilt. Allgemein läßt sich diese Differenz an geistig-sittlich Kriterien festmachen.« Hartmann, Erziehung, S. 58. Hervorhebungen im Original. Ebd., S. 323. Hartmann verweist hier auf die Argumentation Bollnows, der zwei historische Grundauffassungen von Erziehung unterscheidet. Erstere orientiert sich am handwerklichen Tun: »Wie der Handwerker nach einem vorgefaßten Plan aus einem vorgegebenen Material mit einem geeigneten Handwerkszeug seinen Gegenstand herstellt, so bringt auch der Erzieher nach dem ihm vorschwebenden Ziel eine bestimmte Formung des ihm anvertrauten Menschen hervor [...] Auf eine einfachste Formel gebracht heißt das: Das Erziehen ist ein ›Machen‹, wenn wir mit dem
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»immer gegebene Macht-Differenz zwischen Erzieher und Zögling für die pädagogischen Ziele« nutzend, darf Erziehung jedoch keinesfalls in eine »Verfügungsgewalt oder Willkür ausarten [...] und zur Objektivierung des Zöglings« führen.103 Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass die erzieherischen Handlungen ohne Einfluss auf die Persönlichkeit des Zöglings bleiben. Funktionale Erziehung Wenngleich sie erst 1922 von dem Erziehungswissenschaftler und nachmaligen NSPädagogen Ernst Krieck104 in den Sprachgebrauch der Erziehungswissenschaften eingeführt wurde105, war diese Kategorie erzieherischer Formung, die Bollnow dadurch charakterisiert, dass sie »unbewusst und ungewollt von der Umgebung auf den heranwachsenden Menschen ausgeübt wird«106, bereits von Dilthey erklärt worden. Dilthey, der Erziehung im engeren Sinne als eine »planmäßige Tätigkeit, durch welche Erwachsene das Seelenleben von Heranwachsenden zu bilden suchen« verstand, gebrauchte den Erziehungsbegriff aber auch in einem erweiterten Verständnis, »wenn eine planmäßige Tätigkeit, welche auf ein anderes Ziel gerichtet ist und als Nebenerfolg Erziehung in sich aufnimmt, so benannt wird. In diesem Sinne sprechen wir von der Erziehung durch den Vorgesetzten im Amtsverhältnis, durch den Offizier im soldatischen, durch den Geistlichen im Gemeindeleben, ja durch das Leben selber in dem allgemeinsten aller Verhältnisse, in denen der Mensch sich befindet. Der Ausdruck Erziehung wird dann im übertragenen Sinne gebraucht, wo Bildung sich als Effekt eines Wirkens ergibt, von dem wir gar nicht wissen, ob es auf das Ziel absichtlich gerichtet war.«107 Anhand der von Dilthey angeführten Beispiele wird deutlich, dass die erweiterte oder funktionale Erziehung nicht auf Kinder und Heranwachsende beschränkt ist. Vielmehr umfasst sie die gesamte Lebensspanne des Menschen und ist, »als absichtslose Einflüsse der Verhältnisse und das Geflecht sozi-
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Begriff des Machens eine solche zielstrebige Tätigkeit bezeichnen, deren Erfolg allein vom Willen des Menschen abhängt.« Dieser allgemein favorisierten »mechanischen« Vorstellung von Erziehung steht die »organische« gegenüber. In ihr ist der Mensch »eben nicht ein beliebig zu formendes Material, sondern entfaltet sich von innen her nach dem ihm eigenen Gesetz zu dem in ihm selber angelegten Ziel.« Dieses nicht absichtsgeleitete Vorgehen setzt ein Verständnis von Erziehung »als einer Kunst des Pflegens und des Wachsen-lassens, als des ›Nicht-störens‹ dieses Naturvorgangs« voraus. Bollnow, Existenzphilosophie, S. 16‑18; Zitate S. 16 f. Hartmann, Erziehung, S. 58. Hervorhebungen im Original. Zu Krieck siehe Keim, Erziehung, Bd 1, S. 165 f. Vgl. Lexikon der Pädagogik, Bd 2, S. 47 (Beitrag Hubert Henz). In seiner 1922 veröffentlichten Schrift »Philosophie der Erziehung« vertrat Krieck die These, dass Erziehung nicht vorrangig absichtsvoll, sondern vielmehr funktional und zwar sowohl durch Einzelpersonen als auch durch Gesellschaften erfolge. Der von ihm vertretene Ansatz fragte nicht danach, wie sich Erziehung vollziehen solle, sondern wie sie sich tatsächlich vollziehe. Diesen prinzipiell neuen Ansatz ersetzte er jedoch in »seiner 1932 erschienen Schrift ›Nationalpolitische Erziehung‹ durch ein Wissenschafts verständnis, das sich voll auf den Boden der faschistischen Ideologie stellte. Mit einer Gesamt auflage von 80 000 galt die ›National-politische Erziehung‹ als Standardwerk der NS-Zeit.« Vgl. Keim, Erziehung, Bd 1, S. 165 f., Zitat S. 166. Bollnow, Schriften, Bd 7, S. 36. Dilthey, Schriften zur Pädagogik, S. 44.
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aler Interaktionen«108, in der Soziologie auch als Sozialwerdung bezeichnet109, »nicht an ein Erzieher-Zögling-Verhältnis gebunden.«110 Die funktionale Erziehung beschreibt demnach »Veränderungen im Verhalten von Kindern, Jugendlichen oder auch Erwachsenen [...] die nicht aus besonderen erzieherischen Handlungen anderer erwachsen, sondern im Sinne von Sozialisation aus alltäglichen Erfahrungen im Umgang mit Personen, sozialen Institutionen usw. hervorgehen. In der Tat ist menschliches Verhalten weitgehend das Ergebnis aus unbewußt aufgebauten Reiz-Reaktionsmustern, aus Identifikationen mit erfolgreichen und zugleich für das eigene Wohl wichtigen Modellpersonen, aus vielfältigen Prozessen der Rollenübernahme und aus positiven Verstärkungen für richtiges und negativen Sanktionen für falsche Verhalten.«111 In ihrem Resultat kann die funktionale Erziehung aber sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft dysfunktional wirken112, »denn der formende Einfluss ist gut in einer guten Umgebung, aber auch schlecht in einer schlechten. Auch ein Verbrechermilieu ›erzieht‹ in dieser Weise, und mit Recht hat die Pädagogik immer wieder auf den schädlichen Einfluss eines schlechten Umgangs hingewiesen. Es ist daher gerade die Aufgabe einer bewussten [intentionalen] Erziehung, diesen niederziehenden und schädlichen Einflüssen entgegenzuwirken.«113 Als Quintessenz der Wirkung funktionaler Erziehung fordert Bollnow vom Erzieher, »den starken Einfluss dieser schwer kontrollierbaren Mächte« zu berücksichtigen, »das Förderliche vom Schädlichen zu unterscheiden und, soweit es möglich ist, diese Einflüsse in die richtigen Bahnen zu steuern.«114 Im militärischen Wirkungsbereich diente Dilthey das Offizierkorps als Beispiel für eine funktionale Erziehung. Während sich Bollnow dieser Ansicht anschloss,115 ordneten Flitner und Weniger die erzieherische Wirkung des Offizierkorps dagegen der intentionalen Erziehung zu.116 Indirekte Erziehung Der Terminus »indirekte Erziehung« findet in den ausgewerteten pädagogischen Wörterbüchern und Lexika keine und selbst in den pädagogischen Theorien nur selten Erwähnung.117 108 109 110 111 112 113 114
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116 117
Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 157. Vgl. Lexikon zur Soziologie, S. 208 (Beitrag Ellen Diederich). Hartmann, Erziehung, S. 301. Ebenso wie die noch darzulegende indirekte Erziehung besitzt die funktionale Erziehung für Bollnow keinen Endpunkt. Vgl. ebd., S. 324. Schaub/Zenke, Wörterbuch zur Pädagogik, S. 127 f.; vgl. auch ebd., S. 151. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 301. Bollnow, Schriften, Bd 7, S. 37. Ebd. »Der Erzieher muss viele weitere Vorgänge, die sich auf die menschliche Entwicklung auswirken, in den Bereich seiner Überlegungen einbeziehen und in seinem Handeln berücksichtigen, auch dann, wenn sie sich seiner eigenen absichtlichen Veranstaltung entziehen.« Ebd., S. 60 f. »Im Unterschied zur ›intentionalen‹, d.h. der absichtlichen erzieherischen Einwirkung sind es die unbewusst formenden Kräfte, die von scharf geprägten Gruppen (etwa dem Offizierkorps) auf die neu in ihren Umkreis eintretenden Mitglieder ausgeübt werden.« Bollnow, Schriften, Bd 7, S. 36 f. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 322, Anm. 192. Ebd., S. 344. Die weiteren Ausführungen fassen daher die Forschungsergebnisse Hartmanns zusammen. Vgl. ebd., S. 344‑349, 359 f. Äquivalent wird der Begriff der »mittelbaren Erziehung«
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Im Gegensatz zur funktionalen Erziehung und ihrem »pädagogisch verantwor tete[n] Beibehalten gegebener Rahmenbedingungen« meint indirekte Erziehung dagegen die »aktive Gestaltung dieser Rahmenbedingungen im Sinne der Erziehungs ziele.«118 Für Brezinka, der den »vielfältige[n] und sehr komplexe[n] Formen«119 der indirekten Erziehung eine weitaus höhere Bedeutung als der direkten Erziehung für die pädagogische Praxis beimisst120, bedeutet indirekt erziehen daher »die Umwelt des Educandus so zu verändern, dass sie gerade das zu lernen begünstigt, was er gemäß dem für ihn gesetzten Erziehungsziel lernen soll.«121 Ähnlich lautet die Definition von Erich Weber: »Die indirekte Erziehung erfolgt als mittelbare, durch irgendwelche Objekte absichtlich vermittelte, förderliche Beeinflussung des Lernenden, etwa durch entsprechende Umweltgestaltung [...] und Angebote von Kommunikationsmedien [...] Von indirekter Erziehung darf aber nur dann gesprochen werden, wo diese Umweltfaktoren und Medien mit erzieherischer Absicht geschaffen und eingesetzt werden.«122 Ihre Anwendung bedeutet für Brezinka daher »vor allem organisatorische Arbeit«, denn es komme darauf an, »die passenden Lerngegebenheiten bereitzustellen und Situationen herbeizuführen, die dazu herausfordern, spontan zu lernen, was dem sozial erwünschten Lernziel gemäß ist.«123 Als absichtsgeleitetes pädagogisches Handeln gegenüber einem Individuum oder einer Gruppe verfolgt die indirekte Erziehung dabei die gleichen Erziehungsziele wie die intentionale Erziehung und kann sich sowohl an Heranwachsende als auch an Erwachsene richten. Leichter zu handhaben und mit mehr Aussicht auf Erfolg als die direkte Erziehung, bietet die indirekte Erziehung darüber hinaus weniger Missbrauchsmöglichkeiten.124 Das Potential indirekter Erziehung wurde bereits von Rousseau und Johan Heinrich Pestalozzi125 systematisiert. Während sich Rousseau auf die Familie und Erzieher beschränkte, erweiterte Pestalozzi die Verantwortung für die erzieherische Gestaltung der Rahmenbedingungen laut Hartmann auf die »berufstätigen Mitbürger, insbesondere die Verwalter und Politiker«, da ihnen die hierzu notwendigen Machtbefugnisse zu Gebote stehen.126 Dilthey fügte ergänzend hinzu, so Hartmann, dass Zweck, Ziel, Struktur und zwischenmenschlicher Umgang in nicht118 119 120 121
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verwendet. Vgl. ebd., S. 348. Ebd., S. 343. Hervorhebungen im Original. Brezinka, Metatheorie, S. 53. Vgl. Brezinka, Erziehung, S. 30. Brezinka, Metatheorie, S. 53. Brezinka zählt hierzu »Gelegenheiten zu bereichernden Erfahrungen mit Natur, Kultur und Mitmenschen, altersmäßige Handlungsmöglichkeiten und Aufgaben, Schutz gegen Reizüberflutung und gegen die Verführung zum passiven Lebensstil. Grundlegend sind überkommene oder neu zu schaffende Ordnungen, an die sich alle zu halten haben: Sitten, Bräuche, Spielregeln und höfliche Umgangsformen. Nur wenn die haltgebende Kraft guter Sitten und guter Gewohnheiten wieder begriffen und erzieherisch genutzt wird, ist massenhafte Verwahrlosung zu verhüten.« Brezinka, Erziehung, S. 30. Weber, Pädagogik, S. 50. Zit. nach Hartmann, Erziehung, S. 344, Anm. 286. Hervorhebungen im Original. Brezinka, Über Absicht und Erfolg, S. 49. Vgl. hierzu auch Hartmann, Erziehung, S. 344. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 343 f. Zu Person und Werk Pestalozzis siehe Liedtke, Johann Heinrich Pestalozzi; Osterwalder, Johann Heinrich Pestalozzi. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 345; Zitat ebd.
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pädagogischen Organisationen – also auch im Militär – eine pädagogische Funktion besitzen und »unter pädagogischen Gesichtspunkten gestaltet werden« können.127 Hinsichtlich ihrer Methodik, analysiert Hartmann, »bezeichnet indirekte Er ziehung die Gestaltung der äußeren Rahmenbedingungen und damit der geistigsittlichen-Ordnung, die diese zum Ausdruck bringen. Innerhalb der Familie und päda go gischer Organisationen ist diese Gestaltung noch relativ problemlos. In nicht-pädagogischen Organisationen können pädagogische Ziele mit den primären nicht-pädagogischen Zwecken kollidieren. Indirekte Erziehung fordert nun, bei der Zweck- und Zielverfolgung in Organisationen erzieherische Gesichtspunkte weitestmöglich zu berücksichtigen. Von daher wendet sich die indirekte Erziehung vor allem an die mit bürokratischer Macht ausgestatteten Vorgesetzten. Diese sollen so führen und ausbilden, dass sie die Zwecke und Ziele der Organisationen erfüllen und einen aktiven Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung des Individuums sowie zur Demokratisierung von Organisationen und Gesellschaft leisten.«128 Die Reichweite dieses hehren Anspruchs indirekter Erziehung sei jedoch an die Macht des Erziehers oder des Vorgesetzten gebunden, »Geist und Struktur der äußeren Rahmenbedingungen zu verändern.«129 Einerseits auf deren Macht und pädagogisch verantwortlichem Handeln fußend, andererseits als Folge ebendessen,130 stehen den Chancen der indirekten Erziehung in der Demokratie die Risiken einer Diktatur gegenüber. Hartmann warnt, dass »Theorie und Praxis der indirekten Erziehung abhängig vom Menschen- und Gesellschaftsbild [sind]. Unter dem Diktat eines negativen Menschenbildes und einer autoritären Gesellschaftsstruktur kann indirekte Erziehung zur Legitimation und Perfektibilität [Vervollkommnungsfähigkeit] gesellschaftlicher Abhängigkeitsverhältnisse, die wiederum negative Menschenbilder und autoritäre Strukturen hervorbringen, führen. In idealtypischer Hinsicht steigert sich indirekte Erziehung zur ›totalen Institution‹. Geht die indirekte Erziehung dagegen von einem optimistischen Menschenbild aus und findet sie in demokratischen Strukturen statt, kann sie dem Individuum Freiräume und mannigfaltige Situationen einräumen. In idealtypischer Hinsicht schafft indirekte Erziehung die Voraussetzung für die Selbstbildung des Individuums und unterstützt die Demokratisierung von Organisationen und der Gesellschaft.«131 Fordert die indirekte Erziehung in autoritären Gesellschaften den vollen Machtgebrauch, ist sie in demokratischen Gesellschaften auf eine Machtbegrenzung angewiesen, die das »individuelle Verantwortungsbewußtseins durch Delegation von Verantwortung sowie Enthierarchisierung und Flexibilisierung der Organisation durch Freiheit und Mannigfaltigkeit der Situationen systematisch fördert.«132 Im Gegensatz zu Brezinkas Primat der indirekten Erziehung steht in Nohls Theorie des Pädagogischen Bezuges die direkte Erziehung im Fokus.133 Die pädagogische 127 128 129 130 131 132 133
Hartmann, Erziehung, S. 346. Ebd., S. 349. Hervorhebung im Original. Ebd., S. 347. Vgl. ebd., S. 349. Ebd., S. 348. Ebd., S. 349. Vgl. ebd., S. 346, Anm. 298.
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Wirkung indirekter Erziehung wird von Nohl aber für die Sozialpädagogik fruchtbar gemacht, da die »primitivste und doch oft schon die entscheidende Wendung bringende pädagogische Maßnahme die des Milieuwechsels ist, das heißt also nicht bloß das Herausnehmen aus einem sozial schlechten Milieu, sondern aus ungünstigen personalen Beziehungen, die an den Schwierigkeiten schuld sind.«134 Diesem Befund schließt sich Brezinka an, der es in Konsequenz seiner Theorie für aussichtsreicher erachtet, sich nicht »direkt an die Persönlichkeit des Hilfsbedürftigen zu wenden.« Stattdessen sollte versucht werden, »die sozialen Beziehungen, in die er verflochten ist, zu ändern und seine Stellung im Statussystem zu verbessern.«135 Mithin könnte sich auch für einen »schwierigen« Soldaten eine Versetzung in eine andere Einheit positiv auswirken.136 Fremd- und Selbsterziehung Jegliche von außen auf den Zögling einwirkende Erziehungstätigkeit, direkt oder indirekt, wird als Fremderziehung definiert. Selbsterziehung meint hingegen den »Sachverhalt, dass der educandus aus eigener Einsicht und aus eigenem Entschluss Er ziehungsziele übernimmt, bejaht oder sich selber setzt sowie nach Kräften und Mög lichkeiten an ihrer Realisierung arbeitet. Will man Erziehung nicht auf jene ›fremden‹ Einwirkungen und die von außen induzierten Veränderungen einschränken, sondern versteht man Erziehung als einen Prozess der personalen Selbstgestaltung, dann ist im Grunde alle Erziehung S[elbsterziehung] und alle ›Fremderziehung‹ nur Hilfe zur S[elbsterziehung].«137 Zugleich »intentionaler Prozess- und Handlungsbegriff« stellt die Selbsterziehung folglich »eine selbstinitiierte und durchgeführte, von daher selbstverantwortete, auf das personale Selbst gerichtete Teilaktivität« dar, die »erst ab einem bestimmten, aber individuell verschiedenen Lebensalter möglich« ist. Sie ist »kein Zustand, sondern – wie beim Bildungsbegriff in seiner reflexiven Bedeutung – ein permanenter Prozess«138, »aber kein permanentes Tun. Sie ist dann gefordert, wenn das Individuum neue sachliche und ethische Handlungsweisen als verbindlich anerkennt.«139 Militärische Erziehung Wie in den nachfolgenden Ausführungen noch aufzuzeigen sein wird, hatte die Konzeption der »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« keine Definition militärischer Erziehung zur Folge. Eine 1981 vom Zentrum Innere Führung für die zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 3/1 »Methodik der Ausbildung« vorgelegte Definition er134 135 136 137 138 139
Nohl, Pädagogik, S. 156. Hervorhebung im Original. Brezinka, Über Absicht und Erfolg, S. 43. Zum Begriff und zum Umgang mit schwierigen Soldaten in der Bundeswehr siehe S. 295‑316 in dieser Arbeit. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 490. Hervorhebung im Original. Hartmann, Erziehung, S. 69. Hervorhebung im Original. Zum Bildungsbegriff siehe S. 62‑66 in dieser Arbeit. Hartmann, Erziehung, S. 358.
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klärte die Erziehung in den Streitkräften als »das bewusste und unbewusste Ein wirken auf geistige, charakterliche und körperliche Kräfte des Soldaten, damit er seine Aufgaben im Frieden und Kriege erfüllen kann.«140 Die Erklärung fand keinen Eingang in die Vorschrift. Auch in den ausgewerteten pädagogischen Wörterbüchern und Lexika findet die Erziehung in den Streitkräften keinen Niederschlag.
b) Erziehungsziele Erziehungsziele können als normative und als Richtschnur dienende Aussagen über das anzustrebende Ergebnis von Erziehungsprozessen und den erreichbaren Zustand für eine heranwachsende Persönlichkeit beschrieben werden. In diesem Sinne wird Erziehung »als kriteriengeleitetes Handeln verstanden, bei dem sich Art und Weise der erzieherischen Tätigkeit an den Erziehungszielen orientiert.« In der Regel historisch, kulturell oder gesellschaftlich bedingt,141 können die auch einem Wandlungs- und Anpassungsprozess unterliegenden Erziehungsziele einerseits von Staat, Gesellschaft, Kirche oder überkommener Kultur vorgegeben sein und sich im Erziehungsprozess artikulieren »oder vom educandus selbst entworfen werden. Im ersten Fall kommt es darauf an, dass diese Ziele in einem argumentativen Diskurs legitimiert und dem Zögling einsichtig begründet werden, wenn Erziehung nicht zwang-, drill- und anpassungshaften Charakter annehmen soll. Im zweiten Fall können diese Ziele vom Erzieher durch sein Vorbild repräsentiert, durch Beispiele gelebten Lebens vergegenwärtigt oder durch den Aufweis von Gründen dialogisch expliziert werden. Ziel der Erziehung selbst wird es in jedem Fall sein, dass der Zögling von der Macht seiner Triebe, Leidenschaften und Bedürfnisse möglichst befreit, vom Zwang der gegebenen Verhältnisse soweit wie möglich emanzipiert und in die Lage versetzt wird, die Ziele seines Lebens selbstbegründet zu entwerfen und entsprechend zu realisieren.«142 In der Bildungstheorie sowie in den bereits dargestellten systematischen Theorien der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik wird die »Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung, Mitbestimmung, Solidarität und aktiver Mitgestaltung des voranzutreibenden Demokratieprozesses« als Ziel der Erziehung definiert.143 Als »Ausdruck des Interesses bestimmter gesellschaftlicher, politischer und kultureller Gruppen oder Schichten«144 verfolgt auch das Militär mit der bewussten und absichtsvollen Einwirkung auf seine Soldaten aller Dienstgrade seit jeher allgemeingültige oder vom politischen System und den gesellschaftlichen Verhältnissen abhängige Erziehungsziele. Als allgemein gültige Ziele militärischer Erziehung können unter anderem Treue, Tapferkeit, Gehorsam, Disziplin und Kameradschaft genannt werden145; die Erziehung zum Untertanen und zum Offensivgeist im Kaiserreich, 140 141 142 143 144 145
Reeb, Erziehung, S. 17. Schaub/Zenke, Wörterbuch zur Pädagogik, S. 131; Zitat ebd. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 160. Schaub/Zenke, Wörterbuch zur Pädagogik, S. 131. Vgl. hierzu ausführlich Brezinka, Erziehungsziele, S. 86 f., 148‑180. Reeb, Erziehung, S. 51. Vgl. ebd., S. 55‑60. Als weitere Erziehungsziele, die dem Soldatengesetz zu entnehmen sind, führt Reeb noch die Wahrheits- und die Verschwiegenheitspflicht an. Darüber hinaus ergeben sich weitere Erziehungsziele aus den Anforderungen an die Vorgesetzten. Vgl. ebd. Wullich differenziert zwi-
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zum unpolitischen Nur-Soldaten der Weimarer Republik, zum nationalsozialistischvölkischen Kämpfer des »Dritten Reiches«, zur sozialistischen Soldatenpersönlichkeit der NVA und zum Staatsbürger in Uniform der Bundeswehr dagegen waren oder sind den jeweiligen staatlichen Ordnungen und gesellschaftlichen Verhältnissen geschuldet. Einen Sonderfall dürfte die in der NVA propagierte Erziehung zum Hass auf den imperialistischen Klassenfeind darstellen, als dessen wichtigster Wortführer neben den USA die Bundesrepublik Deutschland eingestuft worden war.146
c) Erziehungsmittel Als Erziehungsmittel werden »Maßnahmen und Situationen« bezeichnet, »mit deren Hilfe Erziehende auf Heranwachsende einwirken, in der Absicht, deren Verhalten, Einstellungen oder Motive zu bilden, zu festigen oder zu verändern.« Den positiv sanktionierenden Erziehungsmitteln wie Lob und Ermutigung stehen die negativ sanktionierenden wie Tadel und Strafe gegenüber. Anleitende Erziehungsmittel wie »Erinnerung und Ermahnung, Arbeit und Spiel, Gewöhnung und Gespräch, Beispiel und Vorbild, Wetteifer und Übung« ergänzen das Einwirkungspotential des Erziehers.147 Eine weitere Differenzierung kann in direkte Erziehungsmittel, also solche, die der Erzieher direkt verantwortet wie Beispiel, Gespräch, Lob und Strafe, und indirekte Erziehungsmittel, die der Erzieher zwar verantwortet, aber nicht mehr unmittelbar beeinflusst wie Spiel, Arbeit und Wettkampf, vorgenommen werden.148 Der Begriff birgt jedoch die Gefahr, »dass die gemeinten Maßnahmen als Mittel im strengen Sinne aufgefasst werden und Erziehung damit in Analogie zum handwerklichen Tun als werkzeugliche Materialverarbeitung missverstanden wird« und das zu erziehende Subjekt zum form- und lenkbaren »Menschenmaterial« degradiert wird. In der Erziehung kann »die Mittel-Zweck-Relation [allerdings] nicht nach Art physikalischer Vorgänge begriffen werden, da der educandus nicht mechanisch reagiert, sondern selbständig Stellung nimmt, zumindest jedenfalls diese Selbständigkeit mit Hilfe der Erziehung gewinnen und aktualisieren soll.«149 Um dieser Gefahr entgegenzutreten, wird von Vertretern der Erziehungswissenschaft vorgeschlagen, die Erziehungsmittel besser als Erziehungshilfen zu verstehen, die »in Evolutionshilfen, Progressionshilfen, gegenwirkende Maßnahmen und Transformationsmaßnahmen« unterteilt werden können.150
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schen drei übergeordneten Erziehungszielen der Bundeswehr: Funktionsfähigkeit der Streitkräfte, Demokratieverständnis und die Achtung der Menschenwürde. Vgl. Wullich, Die Konzeption, S. 19 f.; Reeb, Erziehung, S. 65, Anm. 57. Vgl. hierzu Rogg, Armee des Volkes?, S. 55‑59; Schirrmeister, Erziehung zum Haß. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 159 f. Vgl. hierzu auch Schaub/Zenke, Wörterbuch zur Pädagogik, S. 129 f. Zu den Erziehungsmitteln vgl. umfassend Brezinka, Erziehungsziele, S. 106‑147; Geissler, Erziehungsmittel. Vgl. Geissler, Erziehungsmittel, S. 32 f. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 143. Hervorhebung im Original. Ebd., S. 159 f. Eine alternative Definition bezeichnet die bislang genannten Erziehungsmittel als situationsabhängige Erziehungsmaßnahmen. Diese »sind in den päd[agogischen] Bezug eingebundene Handlungen oder Unterlassungen, die im Dienste der Menschwerdung des Heranwachsenden vom Erzieher verantwortet werden [...] Je nach päd[agogischer] Situation wechselt das Gewicht der einzelnen Maßnahmen und die Intensität ihrer Korrespondenz. Stets aber sind die E[rziehungs]
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Für die Erziehungspraxis folgert Brezinka, dass es »keine ›Erziehungsmaßnahmen‹, ›Erziehungsmittel‹ oder ›erzieherischen Instrumente‹ [gibt], deren Anwendung in jeder Situation richtig ist. Wie sie wirken, hängt jeweils von dem gesamten Inter aktionssystem ab, innerhalb dessen sie gebraucht werden. Es ist jedoch eine Typologie möglich, die darüber informiert, welche Instrumente für welche Ziele bei welchen Persönlichkeiten unter welchen Umständen Erfolg versprechen.«151 Im Gegensatz zum bisher Ausgeführten richtet sich die Anwendung von Er ziehungsmitteln in den Streitkräften nicht gegen Heranwachsende, sondern zumeist auf bereits formal mündige Erwachsene. Für die bundesdeutschen Streitkräfte hat der Erziehungswissenschaftler Hans-Joachim Reeb die dort geltenden Erziehungsmittel zusammengefasst und in ihren Funktionen beschrieben.152 Sein Begriffsverständnis folgt einerseits den »Grundlagen einer Allgemeinen Wehrpädagogik«, deren Autoren »unter wehrpädagogischen Bildungs- und Erziehungsmitteln alle bewussten Ein wirkungen und Situationen« verstehen, »durch die Verhalten, Motivation, Kennt nisse, Haltungen und Fertigkeiten des Soldaten in Richtung auf bestimmte, positiv zu wertende und für den Auftrag der Streitkräfte wichtige Zielsetzungen hin zu verändern oder zu festigen sind«153, andererseits weist er auf die Problematik des Begriffes Erziehungsmittel hin, da es sich bei den Anzusprechenden um mündige Soldaten handelt, deren primäre Sozialisation bereits durch Familie und Schule erfolgt sei. Infolge des Pflichtcharakters des Wehrdienstes könnten aber auch die Erkenntnisse der auf Freiwilligkeit beruhenden Erwachsenenbildung »keine unmittelbare An wendung auf die zu erziehenden Wehrpflichtigen« finden.154 Obwohl Reeb in seiner Untersuchung über die Erziehung in den Streitkräften die Menschenführung als integrierenden Begriff für Erziehung, Bildung und Ausbildung erwähnt155, findet im Weiteren keine Ablösung des Terminus Erziehungsmittel durch Mittel der Menschenführung statt. Die den militärischen Vorgesetzten zur Verfügung stehenden Erziehungsmittel sind in Gesetzen (Soldatengesetz, Wehrdisziplinarordnung, Wehrstrafgesetz in Ver bindung mit dem Jugendgerichtsgesetz), der Rechtsverordnung zur Durchführung
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nahmen in den einmaligen päd[agogischen] Bezug eingebunden und damit zwar dem Namen nach, inhaltlich jedoch nicht wiederholbar.« Die Erziehungsmittel hingegen sind situationsunabhängig und konvertierbar: »Die konkrete pädagogische Situation entscheidet nicht Inhalt und Form, sondern lediglich den Einsatz der E[rziehungs]mittel.« Als Erziehungsmittel werden hier u.a. Bücher, Unterrichtsprogramme, Schulordnungen, Auszeichnungen, Noten und Zensuren aufgeführt, die ihren Ort jedoch innerhalb der Erziehungsmaßnahmen haben müssen. Vgl. Lexikon der Pädagogik, Bd 1, S. 403 f.; Zitate S. 404. Brezinka votiert sogar für einen völligen Verzicht auf diesen Begriff. Vgl. Brezinka, Erziehungsziele, S. 129. Brezinka, Über Absicht und Erfolg, S. 48. Die Erziehungsmittel üben für Reeb eine gesellschaftliche, eine institutionelle, eine zwischenmenschliche und eine individuelle Funktion aus. Im gesellschaftlichen Bereich dienen sie der Erfüllung der Erziehungsziele, im institutionellen Bereich stabilisieren sie die militärische Organisation, im zwischenmenschlichen Bereich sollen sie ein bestimmtes Führungsverhalten gewährleisten und im individuellen Bereich den Soldaten mit »bestimmten Einstellungen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen« ausstatten. Vgl. Reeb, Erziehung, S. 79‑85; Zitat S. 80. Portner [u.a.], Grundlagen; siehe auch Reeb, Erziehung, S. 74. Der Begriff der Bildungsmittel findet bei Reeb keine Erwähnung. Zur Wehr- und Militärpädagogik siehe S. 93‑95 in dieser Arbeit. Reeb, Erziehung, S. 74. Hervorhebungen im Original. Vgl. ebd., S. 18 f.
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der Erziehungshilfe durch den Disziplinarvorgesetzten, in Erlassen (Erlass »Erziehe rische Maßnahmen«, »Erlaß über die Stiftung des Ehrenzeichens der Bundeswehr«, Abzeichen für Leistungen im Truppendienst, Preise für Bestleitungen) und Dienst vorschriften (ZDv 10/1 »Hilfen für die Innere Führung«, ZDv 3/10 »Sport in der Bundeswehr«, ZDv 20/6 »Personelle Auswahlmittel für Soldaten der Bundeswehr) festgehalten.156
d) Der Endpunkt der Erziehung in der pädagogischen Theorie Ob »Erziehungsschule der Nation«157 oder »Erziehung zum Staatsbürger in Uniform« – kaum dass der junge Erwachsene die Erziehungsinstitutionen Elternhaus, Schule und Kirche durchschritten hat, wird er dem Erziehungsanspruch des Militärs unterworfen. Dies wirft die Frage nach dem Endpunkt der Erziehung und der pädagogischen Berechtigung eines staatlich sanktionierten militärischen Erziehungsanspruchs auf. Ist Erziehung endlos, geht sie mit dem Übergang von der Jugend in das Erwach senenalter in die Selbsterziehung über oder endet sie an einem pädagogisch oder gesetzlich legitimierten Zeitpunkt? Ähnlich vielfältig wie die in der pädagogischen Wissenschaft geführte Debatte über einen Endpunkt der Erziehung gestaltete sich in den deutschen Ländern auch die Rechtslage über den Zeitpunkt der individuellen Mündigkeit158, der zwischen der Vollendung des 21. Lebensjahres (Großherzogtum Baden, Königreich Bayern159) und des 24. Lebensjahres (Großherzogtum Oldenburg, Königreich Preußen) divergierte.160 Preußen setzte das Alter der Großjährigkeit zum 1. Juli 1870 auf das vollendete 21. Lebensjahr herab.161 Erst mit dem »Reichsgesetz betreffend das Alter der Großjährigkeit«, das am 1. Januar 1876 in Kraft trat,162 wurde der Zeitpunkt der Volljährigkeit reichseinheitlich auf das vollendete 21. Lebensjahr terminiert. In der Bundesrepublik Deutschland wurde das Erreichen der Volljährigkeit erst 1975 156
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Vgl. ebd., S. 75. Im Weiteren listet Reeb die anleitenden sowie die positiv und negativ sanktionierenden Erziehungsmittel innerhalb der Bundeswehr detailliert auf und verweist auf die jeweiligen Erwähnungen in den Gesetzten, Vorschriften und Erlassen. Vgl. ebd., S. 76 f. Die Bezeichnung der Armee als »Schule der Nation« geht auf den Heeresreformer und nachmaligen preußischen Kriegsminister und Generalfeldmarschall Hermann von Boyen (1771‑1848) zurück. Er fasst damit die Interpretation des nach der Niederlage von Jena und Auerstedt (1806) neu aufzustelllenden Heeres als »eine der wichtigtsen Erziehungsanstalten der Nation« prägnant zusammen. Mit dem Komissgeist und sozialem Militarismus des Kaiserreiches sowie der anschließenden Vereinnahmung des Begriffes durch Hitler hatten die Absichten der Heeresreformer jedoch nichts gemein. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 1, S. 469. Der in der Erziehungswissenschaft verwendete Terminus der Mündigkeit als gesetzlicher Zeitpunkt für den Übergang in das Erwachsenenalter stellte in Deutschland keinen juristischen Begriff dar. Als Rechtsbegriffe galten zunächst Großjährigkeit, später Volljährigkeit. Siehe Rechtslexikon, Bd 1, S. 220. Für die Nachkommen regierender Adelshäuser galt eine eigene Gesetzgebung zugunsten einer früheren Großjährigkeit. Siehe »Gesetz über das Alter der Großjährigkeit« vom 9.12.1869. In: Gesetzessammlung, S. 1177. Siehe »Gesetz betreffend das Alter der Großjährigkeit«. In: RGBl. 1875, S. 71. Mit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) am 1.1.1900 wurde das Gesetz dahingehend erweitert, dass die Personenstandsgerichte Personen bereits mit dem vollendeten 18. Lebensjahr die Volljährigkeit mit allen Rechten und Pflichten zuerkennen konnten. Siehe § 3 BGB. In: RGBl. 1896, S. 195.
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auf die Vollendung des 18. Lebensjahres herabgesetzt;163 für das Staatsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik war diese Neuregelung bereits 1950 vollzogen worden.164 Mit Blick auf diese juristischen Fakten stellt sich nunmehr die anhand der erziehungswissenschaftlichen Ansätze zu analysierende Frage, ob mit der Volljährigkeit165 auch der Endpunkt der Erziehung erreicht wird oder Erziehung in einer anderen Form als der eines Herrschaftsverhältnisses zwischen Erzieher und Zögling in Er scheinung tritt und somit ein militärischer Erziehungsanspruch auch pädagogisch legitimiert werden kann. Beschränkt auf die Aussagen der maßgeblichen Vertreter und Wegbereiter der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik zum Endpunkt der Erziehung166, bleiben die zu Beginn der 1970er-Jahre vorgelegten Entwürfe einer Kritischen Erziehungswissen schaft unberücksichtigt, da sie keinen Einfluss auf die Diskussion über die Erziehung des Soldaten in der Planungs- und Aufbauphase der Bundeswehr mehr ausgeübt haben und der zu untersuchende Zeitraum nicht in die Phase der Kritischen Erziehungswissenschaften hineinreicht. Wilhelm von Humboldt In der Bildungstheorie Wilhelm von Humboldts167 nimmt der Erziehungs- gegenüber dem Bildungsbegriff eine nachgeordnete Stellung ein. Hartmann zufolge grenzt Humboldt die Erziehung des Heranwachsenden von der Bildung des Erwachsenen ab und definiert sie als »›Leitung‹ der Handlungen einzelner Kinder.«168 Lediglich Voraussetzung für die bei Humboldt im Vordergrund stehende Bildung der Erwachsenen als Selbstzweck169 verfolgt sie, so Hartmann, zwei Ziele: »Zweck der Erziehung sei – im Hinblick auf das Individuum – die Fähigkeit ›... nach erreichter Mündigkeit, eine eigne Lebensweise zu wählen und anzufangen ...‹ und – in gesellschaftlicher Hinsicht –, die Institutionen und Organisationen der sozialen Lebens 163 164 165
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»Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters« vom 31.7.1974. In: BGBl. 1974, T. I, S. 1713‑1716; das Gesetz trat am 1.1.1975 in Kraft. Siehe »Gesetz über die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters« vom 17.5.1950. In: GBl. 1950, S. 437; das Gesetz trat am 22.5.1950 in Kraft. Juristisch gilt eine Person, die die Volljährigkeit erlangt hat, als erwachsen. Sie ist voll geschäftsfähig, kann ohne Zustimmung eines Erziehungs- oder Sorgeberechtigten heiraten und erlangt das passive und aktive Wahlrecht. Strafrechtlich gilt sie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres aber noch als Heranwachsender und kann sowohl nach dem Jugendgerichtsgesetz als auch nach dem allgemeinen Strafrecht belangt und verurteilt werden. Vgl. hierzu auch Hartmann, Erziehung, S. 287‑335. Vgl. Wilhelm von Humboldt. In: NDB 10 (1974), S. 43‑51 (Beitrag Gerhard Masur und Hans Arens); Hentschel, Preußische Porträts, S. 249‑314. Zur Person und zum pädagogischem Wirken Humboldts vgl. Meyer, Wilhelm von Humboldt. Eine gemeinsame Darstellung von Leben und pädagogischen Wirken Wilhelm von Humboldts und Daniel Friedrich Schleiermachers bietet Benner, Wilhelm von Humboldt. Zum Bildungs- und Erziehungsbegriff Humboldts vgl. auch Hartmann, Erziehung, S. 173‑179. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 173 f. Zitat ebd., S. 174. Humboldts Interpretation des Begriffes »›Selbstzweck‹ meint zunächst und primär, dass es keinen von einem anderen Menschen gesetzten Zweck für das Individuum geben kann und darf.« Hartmann, Erziehung, S. 300, Anm. 80.
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welt in ihren Zwecken und Zielen, Strukturen und Maßnahmen zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern.«170 Die Bildung des Erwachsenen wird aber erst dann ermöglicht, wenn die Erzie hung »als ein auf einem Gewalt- und Herrschaftsverhältnis beruhende[s] soziale[s] Handeln« eine zeitliche Begrenzung erfährt. Im Idealfall wird die Emanzipation des Individuums aus dem erzieherischen Verhältnis durch die Angehörigen der älteren Generation und dem Heranwachsenden gemeinsam vollzogen. Die Erziehungs wirklichkeit veranlasst Humboldt indes dazu, den Staat in den Emanzipationsprozess einzubeziehen, indem er ihn auffordert, den Zeitraum der väterlichen Gewalt gesetzlich einzuschränken. In Anlehnung an den in der Antike vollzogenen Übergang von der Erziehung zur Bildung schlägt Humboldt die Vollendung der körperlichen Reife als Endpunkt der Erziehung vor.171 Friedrich Daniel Schleiermacher Schleiermacher differenziert gleichfalls zwischen einer gesellschaftlichen und einer individuellen Dimension der Erziehung. Als »absichtsvolles Handeln eines Mitgliedes der älteren Generation gegenüber einem Mitglied der jüngeren Generation« dient sie der sittlichen Vervollkommnung in einer als unvollkommen erkannten Gesell schaft, wie Hartmann referiert.172 Um die Unzulänglichkeiten des gegenwärtigen Zustandes der Gesellschaft wissend, obliegt es der älteren Generation, »die jüngere Generation zu einem über den je gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft hinausgehenden, besseren Zustand [zu] erziehen. Dieser Zustand kann nur durch die jüngere Generation erreicht werden«,173 da nur sie über die hierzu notwendige Zeit verfügt. Mithin dient Erziehung einerseits der Entwicklung des Individuums, andererseits als »Transmissionsriemen« für den gesellschaftlichen Fortschritt, denn nur das zu erziehende Individuum der jüngeren Generation könne durch sein späteres Handeln als »›tüchtiger‹ Staatsbürger den gesellschaftlichen Fortschritt initiieren und bewirken.«174 Aufgabe der Erziehung sei es daher, die Jugend in die Lage zu versetzen, »tüchtig« in das einzutreten, »was sie vorfindet«, und sich gleichzeitig mit aller Kraft für die Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes einzubringen.175 Im Gegensatz zu Humboldt lehnt Schleiermacher eine gesetzliche Fixierung der erzieherischen Einwirkung im Sinne der Mündigkeitserklärung des preußischen Landrechtes von 1794 hingegen ab. Nicht der Staat, sondern die Pädagogik müsse den Endpunkt der Erziehung bestimmen.176 Erziehung definiert Schleiermacher als 170 171 172
173 174 175 176
Ebd., S. 288. Vgl. ebd., S. 174, 287 f.; Zitat S. 288. Vgl. ebd., S. 289 f. Zitat, S. 289. Hervorhebung im Original. In primitiven Kulturen ohne gesellschaftlichen Fortschritt, so Schleiermacher, werde die Erziehung durch die reine Imitation von Verhaltensweisen ersetzt, unter den Bedingungen eines vollkommenen und damit idealen Staates sei sie überflüssig. Vgl. ebd., S. 290. Hartmann, Erziehung, S. 292. Hervorhebung im Original. Ebd., S. 290. Vgl. Schleiermacher, Pädagogische Schriften, Bd 1, S. 31; Hartmann, Erziehung, S. 290. Hervor hebung im Original. Vgl. Schleiermacher, Pädagogische Schriften, Bd 1, S. 15; Hartmann, Erziehung, S. 294.
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»Einleitung und Fortführung des Entwicklungsprozesses des Einzelnen durch äußere Einwirkung. Auf diese Weise aber würde auch der Staat als solcher erziehen, und jeder gute Freund, und der Mensch würde bis ans Ende des Lebens erziehen.« Da eine unendliche Erziehung sowohl den Eintritt des Heranwachsenden in die Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit als auch seinen durch die Erziehung angestrebten Anteil am gesellschaftlichen Fortschritt verhindert, muss die Erziehungsdauer demzufolge weiter eingrenzt werden auf die »Einwirkung Einzelner (nicht ganzer Massen) und bis zur bürgerlichen Selbständigkeit.«177 Schleiermacher fordert, »die eigentliche erzieherische Einwirkung« früher zu beenden »als die sittliche Einwirkung überhaupt«178, die bis zum Tode des Individuums andauern kann. Anhand seiner Analyse der Erziehungswirklichkeit ist sich Schleiermacher einer in weiten Teilen der Gesellschaft gehegten Überzeugung, »Erziehung als eine zeitlich nicht befristete pädagogische Aktivität zu verstehen«, sehr wohl bewusst. Dem begründenden Argument, die Einwirkung anderer auf das Individuum werde niemals in Gänze enden, stellt er jedoch die ebenfalls aus der Erziehungswirklichkeit gewonnene Er kenntnis entgegen, dass weitere Einwirkungsversuche keinen bildenden Einfluss mehr auf das Individuum ausüben und es beginnt, sich diesen Erziehungsversuchen zu widersetzen.179 Diese erzieherische Einwirkung der älteren Generation auf die jüngere Genera tion muss für Schleiermacher mit deren Mündigkeit enden, »d.h. wenn die jüngere Generation auf selbständige Weise zur Erfüllung der sittlichen Aufgabe mitwirkend, der älteren Generation gleichsteht«180, mithin befähigt ist, in Staat, Kirche, Gesellschaft und Wissenschaft selbstständig zu agieren181 und als Staatsbürger den gesellschaftlichen Fortschritt zu initiieren und zu bewirken.182 Das Erlangen der Mündigkeit sieht Schleiermacher mit dem Abschluss der beruflichen oder universitären Ausbildung erreicht, es kann aber dadurch zeitlich zwischen den verschiedenen Berufen einer Gesellschaft differieren und ist daher nicht eindeutig zu fixieren.183 Eine über die Mündigkeit hinausreichende Ausweitung des erzieherischen Herr schaftsverhältnisses »auf die erwachsenen Staatsbürger würde gerade dessen politisch anzustrebende, selbständige und selbsttätige Mitwirkung am gesellschaftlichen Ganzen behindern«, so Hartmann über Schleiermachers Ansichten, und weiter: »Der Abbau der politischen Bevormundung durch die leitenden Personen in Staat, Kirche und sonstigen Organisationen würde dann durch die pädagogische Bevormundung von Angehörigen der älteren Generation ersetzt werden. Diese Pädagogisierung 177 178 179 180 181 182
183
Schleiermacher, Pädagogische Schriften, Bd 1, S. 371 f. Ebd., S. 15. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 291, Zitat ebd.; Schleiermacher, Pädagogische Schriften, Bd 1, S. 14 f. Schleiermacher, Pädagogische Schriften, Bd 1, S. 15. Vgl. ebd., S. 28 f. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 290. Schleiermacher führt aber auch ein ganz pragmatisches Ar gument für eine frühzeitige Mündigkeit an. Die durchschnittlich niedrige Lebenserwartung im 19. Jahrhundert zwinge dazu, die jüngere Generation nicht zu lange dem erzieherischen Herr schaftsverhältnis zu unterwerfen, sollte sie »auf die Förderung des menschlichen Berufes auf Erden [noch] mit einwirken können.« Schleiermacher, Pädagogische Schriften, Bd 1, S. 11. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 295.
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widersprach fundamental Schleiermachers eigenem Verständnis vom verantwortungsbewußten Staatsbürger [...] und war mit dem Zweck der Staats-, Militär- und Bildungsreform in Preußen nach 1806/07 inkompatibel.«184 Obwohl Schleiermacher seine pädagogische Theorie vor dem Hintergrund der preußischen Reform- und Restaurationsphase entwickelt hat, finden sich in seinen pädagogischen Vorlesungen keine Stellungnahmen über die Erziehung und Bildung im reformierten preußischen Militär.185 Den Umstand, dass das Militär auch in seiner Aufzählung staatlicher Erziehungsinstitution keine Erwähnung findet186, interpretiert Hartmann dergestalt, dass der Militärdienst, der zumeist der beruflichen oder universitären Ausbildung nachfolgte, für Schleiermacher nicht dem Bereich der Erziehungsphase angehört. Stattdessen sei er »vielmehr Ausdruck für die bürgerliche Selbständigkeit, ein Gebiet der Bildung also, nicht der Erziehung.«187 Wilhelm Dilthey Dilthey, der im Gegensatz zu Schleiermacher nicht das Generationenverhältnis, sondern die Beziehung des Erziehers zu seinem Zögling als Grundlage der pädagogischen Theoriebildung in den Vordergrund rückt, definiert Erziehung als zeitlich befristetes Herrschaftsverhältnis zwischen einem Erwachsenen und einem Heranwachsenden188 und als »planmäßige Tätigkeit, durch welche Erwachsene das Seelenleben von Heranwachsenden zu bilden suchen.«189 Hierbei obliegt es dem Erzieher, »die individuellen Anlagen des Zöglings [zu] erkennen und demselben zum Bewusstsein [zu] bringen. Er soll hierdurch die Selbständigkeit des Zöglings einleiten.«190 Die zeitlich begrenzte Erziehung leistet aber nicht nur einen Beitrag zur individuellen Entwicklung des Zöglings, sondern fördert als Funktion und Bedürfnis der Gesellschaft zugleich auch deren Fortschritt.191 Dilthey folgt hier Schleiermachers Duplizität einer individuellen und einer universalen Dimension von Erziehung: »Die Erziehung der Heranwachsenden ist sonach, von der einen Seite angesehen, die Entfaltung und Entwicklung eines einheitlichen, individualen, in sich wertvollen Seelenlebens, andererseits ist von ihr die Erhaltung und Steigerung der Leistungskraft der Gesellschaft in ihren verschiedenen Organen abhängig. Die Erziehung hat sonach zwei getrennt auftretende Zielpunkte. Sie will den Individuen eine sie befriedigende wertvolle Entwicklung, und sie will den Gemeinschaften den höchsten Grad von Leistungskraft verschaffen.«192 Den Endpunkt der Erziehung leitet Dilthey aus der historischen Entwicklung der Pädagogik ab. Während die »Alten«193 sowohl das Verhältnis der Erwachsenen un184 185 186 187 188 189 190 191 192 193
Ebd., S. 293, vgl. hierzu auch S. 295. Vgl. Schleiermacher, Pädagogische Schriften, Bd 1. Ebd., S. 5 f. Hartmann, Erziehung, S. 296. Hervorhebungen im Original. Ebd., S. 298. Dilthey, Schriften zur Pädagogik, S. 44. Ebd., S. 51. Vgl. ebd., S. 46. Ebd., S. 50 f. Hervorhebungen im Original. Gemeint sind Platon und die griechische Polis. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 300.
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tereinander (Politik) als auch das Verhältnis der Erwachsenen zu den Unmündigen als Erziehung wahrgenommen und gestaltet haben, muss die Erziehung eine zeitliche Begrenzung erfahren, seitdem die »Idee der Selbständigkeit des Individuums die Aufgabe der Erziehung in den Beziehungen der Mündigen zueinander zurücktreten ließ und in dem allgemeinen Erziehungsgeschäft den Selbstzweck der Individuen in den Vordergrund stellte«.194 Diesen nicht durch die Natur, »sondern durch die sozialen Verhältnisse« bedingten Abschluss der Erziehung sieht Dilthey erreicht, wenn das Individuum »diejenige Seelenverfassung [erlangt hat], in welcher der Mensch selbständig in Erwerbsleben, Staat und Kirche übertreten«195 und am Fortschritt der Gesellschaft mitwirken kann. Obgleich Dilthey laut Hartmann »in der Erziehung und ihrer zeitlichen Befristung die maßgeblichen Voraussetzungen für den individuellen und gesellschaft lichen Fortschritt« erblickt, verkennt er nicht, dass diesem engen Erziehungsbe griff zur Grundlegung einer wissenschaftlichen Pädagogik Widerstände durch die Erziehungswirklichkeit erwachsen.196 Einerseits wird Erziehung als funktionale Er ziehung fortgeführt, andererseits haben »auch andere Einrichtungen der Gesellschaft die Tendenz [...], noch Unerwachsene wie Erwachsene zur Bildung zu leiten. Ja, in diesem Sinne ist Bildung, das Wort im höchsten Verstande genommen, die Funktion aller Institutionen der menschlichen Gesellschaft.«197 Diltheys Bildungsbegriff ist für Hartmann im Sinne Humboldts als Selbstbildung und nicht als gebildet werden zu verstehen.198 Erwachsene sollen im Rahmen indirekter Erziehung in den gesellschaftlichen Organisationen aber »nicht erzogen werden. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, Erwachsene zur Bildung zu leiten.«199 Herman Nohl Beeinflusst durch die Emanzipationsbestrebungen der Jugend vor und der sozialen Situation nach dem Ersten Weltkrieg, verortete Diltheys Schüler und langjähriger Assistent Herman Nohl die Grundlage der pädagogischen Arbeit im Verhältnis der älteren zur jüngeren Generation, das durch einen Generationskonflikt in Form der Jugendbewegung gestört sei. Er bezog sich auf den Pädagogen und Philosophen Friedrich Paulsen200, als er konstatierte, es habe sich gerade auf dem Gebiet der Erziehung »mehr vom Absolutismus erhalten, als mit dem Geist der neuen Zeit verträglich ist, und vor allem: Die Jugend wurde zu keiner Zeit so spät zur Selbständigkeit gelassen wie jetzt [...] man kommt zu spät von der Schule, zu spät von der Universität, zu spät ins Amt. So entsteht statt eines frohen Lebens in verantwortlicher Tätigkeit
194 195 196 197 198 199 200
Dilthey, Schriften zur Pädagogik, S. 50. Ebd., S. 52. Ähnlich wie Schleiermacher sieht auch Dilthey den Staat nicht in der Pflicht, den Endpunkt der Erziehung durch eine gesetzliche Mündigkeitserklärung zu definieren. Hartmann, Erziehung, S. 301. Hervorhebung im Original. Dilthey, Schriften zur Pädagogik, S. 44. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 301. Vgl. ebd., S. 302. Hervorhebung im Original. Zu Paulsen siehe NDB 20 (2001), S. 128 (Beitrag Reinhard Kränsel).
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ein gedrücktes Gefühl von Ohnmacht und erzwungener Rezeptivität.«201 Bedingt durch seinen frühzeitigen Tod konnte Paulsen jedoch nicht mehr erfahren, dass die Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Wandervogel beginnende Jugendbewegung202 keinen Aufstand, keine bloße Rebellion repräsentierte, »sondern der Jugend einen neuen sittlichen Charakter gibt, der mit dem Verlangen nach Selbstbestimmung auch bereit ist, eine neue Verantwortung zu übernehmen. Ja, diese neue Verantwortung ist eigentlich das, was man will.«203 Dieses Streben nach Selbstverantwortung beurteilt Nohl laut Hartmann zwar »als ein positives Element der Jugendbewegung, an das sich die pädagogische Theorie und Praxis anschließen müsse«204, aber gerade die daraus resultierende Selbstorganisation, die »ganz neue Kräfte und ethische Momente in der Jugend entwickelt hat«, berge auch die Gefahr einer einseitigen Jugendpädagogik, in der die ältere Generation aus dem pädagogischen Leben ausgeschlossen wird und die Jugend ihre Erziehung selber in die Hand nimmt.205 Als Konsequenz drohe eine völlige Auflösung des Generationenverhältnisses.206 In seiner Interpretation der Erziehungswirklichkeit und der Kritik an der pädagogischen Selbstüberschätzung der Jugendbewegung vor dem Ersten Weltkrieg nimmt Nohl bereits 1914 seinen pädagogisch-systematischen Ansatz des »Pädagogischen Bezuges« vorweg ohne ihn jedoch konkret so zu benennen. Erst in den sozialpädagogischen Vorträgen Mitte der 1920er-Jahre wird er seine Vorstellungen über das erzieherische Verhältnis zwischen den Generationen präzisieren.207 Nohl beklagt die ursprüngliche Pädagogik, deren Ziele »zunächst von den Lehrern und den Zwecken, die sie vertreten, gesetzt werden« und zu deren Durchsetzung Gesetz und Strafe Anwendung fänden. Der Fortschritt in der Pädagogik liege daher in der Erkenntnis, »dass der Zögling sein Eigenrecht hat und das pädagogische Wirken von der Berücksichtigung dieses Rechtes bedingt ist.« Entgegen der bisherigen Lehrerpädagogik entwickle sich so »Schritt für Schritt [...] eine neue Pädagogik, die sich vom Gesichtspunkt der Jugend aus aufbaut.«208 Dieser bereits im 18. und 201 202 203 204
205 206
207 208
Nohl, Das Verhältnis, S. 25. Rezeptivität (Aufnahmefähigkeit) ist hier im Sinne der psychologischen Bedeutung einer Empfänglichkeit für Sinneseindrücke zu verstehen. Zur Jugendbewegung vgl. u.a. Nohl, Pädagogik, S. 15‑29; Giesecke, Vom Wandervogel; Reulecke, Das Pathos. Nohl, Das Verhältnis, S. 25. Hartmann, Erziehung, S. 305. Für den Endpunkt der Erziehung leitete Hartmann daraus die These ab, dass »die Erziehung als notwendig asymmetrisches Verhältnis zwischen einem Erzieher und einem Zögling [...] möglichst frühzeitig beendet werden [müsse], um der Jugend zunächst partielle Freiräume zur Wahrnehmung von Verantwortung zu gewähren und den jungen Erwachsenen schließlich die volle Verantwortung zu übertragen. Die Distanzierung müsse kontinuierlich zunehmen, um das Selbstsein des Zöglings zu ermöglichen. Gleichzeitig würde damit ein Generationen konflikt verhindert.« Vgl. Nohl, Das Verhältnis, S. 31. Zitat ebd. Vgl. ebd., S. 25. Nohl hält es für einen Irrtum zu glauben, dass sich der Wille der Jugend rein aus der Sache und der freien Hingabe an diese bilden könne. Stattdessen ginge »seine Geschlossenheit und Stetigkeit [...] nur aus dem Willensverkehr mit einem entwickelten Willen hervor [...] So gehört es zum ›Wesen‹ der Jugend, daß sie sich nur im Durchgang durch einen fremden Willen entwickelt; alle Ideen wirken nicht in ihrer Abstraktion auf sie, sondern nur durch die Gestalt der Persönlichkeiten, in denen sie sie erfährt.« Ebd., S. 34. Vgl. Lockenvitz, Der pädagogische Bezug. Nohl, Das Verhältnis, S. 27. Hervorhebungen im Original.
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19. Jahrhundert unter anderem durch Rousseau und Schleiermacher in der pädagogischen Theorie eingeläutete Paradigmenwechsel209 von einer »Staatspädagogik des aufgeklärten Absolutismus[,] in der das Individuum ganz in den Dienst des Staates gestellt worden war«210, zu einem »Primat des Selbstseins des Individuums«211 bedeutet in der Interpretation Nohls, dass die bislang im »Dienst objektiver Aufgaben« stehende Pädagogik »wo das Individuum nur der an sich unwesentliche Träger solcher objektiven Ziele [...] wie Staat, Kirche, Wissenschaft, Stand und Beruf« war, erstmals und »mit vollem Bewusstsein der Tragweite einen radikalen Wechsel des Blickpunktes« vornahm und »sich in das Individuum und sein subjektives Leben« stellte: »War bis dahin das Kind das willenlose Geschöpf, das sich der älteren Generation und ihren Zwecken anzupassen hatte und dem die objektiven Formen eingeprägt wurden, so wird es jetzt in seinem eigenen spontanen produktiven Leben gesehen, hat seinen Zweck in ihm selber, und der Pädagoge muss seine Aufgabe, ehe er sie im Namen der objektiven Ziele annimmt, im Namen des Kindes verstehen.«212 Die an das Kind herangetragenen Ansprüche der objektiven Kultur und der sozialen Bezüge müssten dergestalt hinterfragt werden, »welchen Sinn diese [...] Forderung im Zusammenhang des Lebens dieses Kindes für seinen Aufbau und die Steigerung seiner Kräfte [bekommt] und welche Mittel [...] dieses Kind [hat], um sie zu bewältigen[.] Insofern ist jede Pädagogik Individualpädagogik.«213 Nohl überträgt »diese Drehung von der objektiven Kultur zur Lebendigkeit des Subjekts« auch auf das »Volk als Gesamtindividualität. Auch hier ist das pädagogische Ziel nicht Verbreitung des Wissens um des Wissens willen oder der Entwicklung der Leistungskraft für wirtschaftliche Zwecke, sondern immer der lebendige Mensch und die Erweckung eines gesunden adligen geistigen Lebens in allen Volksgenossen, dass dann ganz von selbst auch der Quell von Leistungen sein wird«214 und zum gesellschaftlichen Fortschritt beitragen werde. Hier zeigt sich für Nohl die »Grundantinomie« der Pädagogik zwischen der Ent wicklung des Individuums um seiner selbst willen und den Anforderungen der gesellschaftlichen Kräfte, aber zugleich auch die Grenzen ihrer relativen Autonomie: »Das Kind ist nicht bloß Selbstzweck, sondern ist auch den objektiven Gehalten und Zielen verpflichtet, zu denen es hin erzogen wird, diese Gehalte sind nicht nur Bildungsmittel für die individuelle Gestalt, sondern haben einen eigenen Wert, und das Kind darf nicht bloß sich erzogen werden, sondern auch der Kulturarbeit, dem Beruf und der nationalen Gemeinschaft.« In dieser von dem Pädagogen Friedrich Fröbel215 als »Doppelendigkeit aller Erziehung« charakterisierten Spannung, in der sich die Pädagogik bewusst bewegt, bleibt es für Nohl »aber dabei, dass das individuelle Moment, wie Schleiermacher das nennt, gegenüber dem universellen für den 209 210 211 212 213 214 215
Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 304. Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 180. Hartmann, Erziehung, S. 304. Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 159 f. Ebd., S. 160. Hervorhebungen im Original. Ebd., S. 160. Vgl. Fröbel. In: NDB 5 (1961), S. 643 f. (Beitrag Erika Hoffmann). Zu Leben und Werk Fröbels siehe auch Giel, Friedrich Fröbel; Heiland, Friedrich Fröbel.
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Erzieher den entscheidenden Ton zu tragen hat: er ist verantwortlich für das Subjekt«216 und tritt als dessen Anwalt gegenüber den gesellschaftlichen Anforderungen auf. Das individuelle Moment der Erziehung spiegelt sich in Nohls Theorie des päda gogischen Bezuges wider. Als Grundlage der Erziehung ist er »das leidenschaftliche Verhältnis eines reifen Menschen zu einem werdenden Menschen, und zwar um seiner selbst willen, dass er zu seinem Leben und seiner Form komme.«217 Der »richtige pädagogische Bezug« stellt für Nohl nicht nur »das letzte Geheimnis der pädagogischen Arbeit« dar, sondern auch »das eigene schöpferische Verhältnis, das Erzieher und Zögling verbindet [...] Liebe und Haltung auf der einen Seite, Vertrauen, Achtung und ein Gefühl eigener Bedürftigkeit, ein Anschlusswillen auf der anderen [–] sein Resultat ist die Bindung des Zöglings an den Erzieher. Dieser pädagogische Bezug und die in ihm gelegene Bindung« sind »die Voraussetzungen jeder fruchtbaren pädagogischen Arbeit.«218 Denn trotz aller berechtigten Bestrebungen zur Selbständigkeit »ist das Verhältnis zum Lehrer vielleicht das grundlegenste, das unser Dasein am stärksten erfüllt und formt.«219 Fundamentale Prämisse für den pädagogischen Bezug »ist das unbedingte Ver trauen des Zöglings dem Erzieher gegenüber, dass er von ihm in der Tiefe seiner Person absolut bejaht wird.«220 Dieses unbedingte Vertrauen des Zöglings und die Hingabe des Erziehers sei besonders in der Gefährdeten- und Verwahrlostenpädagogik unerlässlich, denn gerade »dem Verwahrlosten, dessen Wesen ja ist, dass ihm jede Bindung verlorengegangen ist, und der sich oft in Hass und Trotz verzehrt, muss dieser pädagogische Bezug zunächst alles ersetzen, Liebe und Halt, muss ihn erweichen und dann sein höheres Leben wieder in ihm wecken und formen. Wer von Pädagogik redet, sei es in der Normalerziehung oder am Richtertisch, in der Schutzaufsicht oder im Gefängnis, wird sich unerbittlich klarmachen müssen, dass die Gewinnung dieses Bezuges seine erste Aufgabe ist, ohne die alles übrige vergeblich bleibt.«221 Dieses Verhältnis kann jedoch nicht erzwungen werden, sondern muss durch freiwillige Annahme der Autorität des Erziehers durch den Zögling erlangt werden. Gelingt der pädagogische Bezug nicht, muss der Erzieher zurücktreten und versuchen, den Zögling an eine andere Person zu binden.222 Aber schließlich drängt auch der pädagogische Bezug einem Ende entgegen, da das pädagogische Verhältnis im Gegensatz zu anderen menschlichen Beziehung von beiden Seiten danach strebt, »sich überflüssig zu machen und zu lösen.«223 216
217 218 219 220 221
222 223
Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 161. Hervorhebungen im Original. Die »Doppelendigkeit der Erziehung« findet sich bei Schleiermacher in der Duplizität der individuellen und der universellen Erziehung wieder. Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 169. Nohl, Pädagogik, S. 153. Hervorhebungen im Original. Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 167. Nohl, Pädagogik, S. 153. Ebd., S. 153 f. Dass die Erziehungswirklichkeit in der Jugendwohlfahrt oftmals nicht dieser in der Gegenwart noch relevanten pädagogischen Theorie entsprach, verdeutlichen auch die Verhältnisse in den kirchlichen und staatlichen Erziehungsheimen der jungen Bundesrepublik. Vgl. hierzu Wensierski, Schläge. Vgl. Nohl, Pädagogik S. 154. Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 173.
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Im Idealfall verläuft die Beendigung des Erziehungsprozesses im wechselseitigen Einvernehmen,224 denn »je weiter die Jugend sich entwickelt, umso mehr tritt ihre Selbstbestimmung hervor.« Unterstützt durch die ältere Generation, die selber auf diese Autonomie der Jugend hinarbeitet, organisiert die Pädagogik »ihre ganze Arbeit so, dass sie dieser Entwicklung in ihren Stufen gerecht wird« und sich »alle Rezeptivität in schöpferische Selbsttätigkeit verwandelt.«225 Dieser Zeitpunkt ist für Nohl erreicht, »wo der Mensch mündig wird, dass heißt nach Schleiermacher: wenn die jüngere Generation auf selbständige Weise zur Erfüllung der sittlichen Aufgabe mitwirkend der Generation gleichsteht.«226 Obgleich sich die Pädagogik letzten Endes entbehrlich machen will und sich zur Selbsterziehung und Selbstverantwortung wandelt, »die dann bis zu unserm Tode fortreicht«,227 ist für Nohl damit nicht gesagt, dass die Erziehung »selbst im idealen Fall überhaupt überflüssig wäre, denn das Verhältnis zur älteren Generation ist die tiefste Erfahrung, die die Jugend hat.«228 Wilhem Flitner Hartmann erkennt in Flitners Denken die Absicht, das »erzieherische Phänomen weitaus umfangreicher« als sein akademischer Lehrer Nohl »zu erfassen«. Flitner erweitert den Verantwortungsbegriff des pädagogischen Bezuges zu einer allgemeinen zwischenmenschlichen Verantwortung. Mit der von ihm systematisierten Theorie der »Erziehungsgemeinschaft« bekommt er »so nicht nur das pädagogische Verhält nis zwischen Erzieher und Zögling in den Blick, sondern auch die ›erzieherischen‹ Aktivitäten und Wirkungen in der Erwachsenenwelt sowie die Verantwortung jedes Bürgers für Erziehung und Bildung.«229 Flitners pädagogischer Ansatz nähert sich dem »Phänomen der Erziehung« aus vier Richtungen.230 Zunächst lässt sich das erzieherische Phänomen grundsätzlich als »Prozess des Wachsens und Reifens der Jungen, verbunden mit den gesamten Vorgängen, durch welche die Erwachsenen jenen Prozeß schützen und unterstützen«, bestimmen.231 Für die geschichtlich-gesellschaftliche Betrachtungsweise ist »einerseits die Regeneration der gesellschaftlich-geschichtlichen Gebilde, der Prozess der Überlieferung also, in dem die Formen und ihr Geist an die Nachwachsenden übergeben werden«232 – 224
225 226 227 228 229
230 231 232
Die Hingabe des Erziehers sowie Vertrauen und Gehorsam des Zöglings als konstituierendes Element des pädagogischen Bezuges können von den jeweiligen Subjekten aber auch selbsttätig aufgehoben werden. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 305. Nohl, Das Verhältnis, S. 34. Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 166. Ebd. Nohl, Das Verhältnis, S. 34. Hervorhebungen im Original. Hartmann, Erziehung, S. 306. Flitner hat seine Theorie der »Erziehungsgemeinschaft« 1933 in seiner »Systematischen Pädagogik« entwickelt und in den zahlreichen Auflagen seiner 1950 erstmals veröffentlichten »Allgemeinen Pädagogik« beibehalten. Vgl. ebd.; Flitner, Systematische Pädagogik; Flitner, Allgemeine Pädagogik. Vgl. Flitner, Allgemeine Pädagogik, S. 28‑54; Hartmann, Erziehung, S. 306‑308. Flitner, Allgemeine Pädagogik, S. 30. Hervorhebungen im Original. Ebd., S. 34. Hervorhebungen im Original.
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Flitner spricht an anderer Stelle vom »Tatbestand der Tradition«233 –, andererseits das Streben »des aufwachsenden einzelnen Menschen« nach Eingliederung »in die Formen und den geistigen Inhalt der ihn empfangenden geschichtlichen objektivgeistigen Welt« von pädagogischer Relevanz.234 Flitner beschränkt Überlieferung und Eingliederung aber nicht nur auf das ursächlich erzieherische Verhältnis, sondern auch auf die pädagogische Situation, »wo kulturell verschiedene Schichten einander begegnen, und von der einen Seite das Streben nach Angleichung, von der anderen der Wunsch zur Teilnahme an der Verständigungsgemeinschaft, der Wille zur Einordnung sich regt, und beides sich trifft.«235 Als Beispiele für diese pädagogische Herausforderung führt Flitner die Eingliederung der Einwanderer in Nordamerika, der neu entstandenen Schicht der Industriearbeiter in die überlieferte Kulturge meinschaft sowie die Aufnahme des traditionellen Bauerntums »in [eine] durch Industrie, Weltverkehr und Kreditwirtschaft veränderte Kultur« an. Die aus den Eingliederungsproblemen erwachsenden pädagogischen Fragen betreffen sowohl die jüngere als auch die ältere Generation und eröffnen neue pädagogische Arbeitsfelder, die als Volkserziehung und Erwachsenenbildung bezeichnet werden: »Die anbrechende Ära einer Weltzivilisation mit ihren Kulturberührungen und -durchdringungen wird noch eine Fülle solcher pädagogischer oder vielleicht eher andragogisch zu nennender Aufgaben hervorbringen, in denen die Frage der Jugenderziehung nur als ein Spezialfall der umfassenderen Vorgänge erscheinen wird: indem sich gesellschaftliche Schichten, Völker oder Zivilisationen geistig in Traditionen eingliedern müssen oder wollen, die ihnen bislang fremd gewesen sind.«236 Die weiteren Betrachtungsweisen beschreiben die Erziehung als geistige Er weckung und die sich daraus entwickelnde Personwerdung des Zöglings. Als geistige Erweckung meint Flitner die Einsicht in die Idee einer Sache: »Es wird also derjenige zur erzieherischen Autorität und Kraft, der vom Ideellen einer Sache erfüllt ist, der Wert und Bedeutung einer Sozialordnung oder einer Geistestätigkeit kennt; und es wird derjenige erziehungsbedürftig, der in den Tätigkeiten bloß mechanisch oder bloß vital in toter Konvention mittut. Der geistig Lebendige, der für den inneren Sinn einer Ordnung oder geistiger Werke aufgeschlossen ist, wird die Tendenz und die Aufgabe haben, den, der geistig taub und blind bloß auf das Äußere der 233 234
235
236
Ebd., S. 38. Ebd., S. 34 f. Mit Bezug auf Schleiermacher lässt sich das Erzieherische daher als »Inbegriff des Geschehens und Tuns, das aus dem Regenerationsstreben der geschichtlichen Gebilde und dem geistigen Eingliederungsstreben des natürlich aufwachsenden Individuums hervorgeht« bestimmen. Ebd., S. 35. Hervorhebung im Original. Flitner, Allgemeine Pädagogik, S. 37. Verständigungsgemeinschaft meint die den Eingliederungs willigen umgebende geistige Welt, die er verstehen, in der er leben und in der er aktiv mithandeln will. Vgl. ebd., S. 35. Ebd. Flitner führt hier den Begriff der Andragogik ein ohne ihn im Folgenden zu systematisieren. Als Andragogik (andros = Mann und agos = Führung) wird die Theorie und Praxis der Er wachsenenbildung bezeichnet. Vgl. Schaub/Zenke, Wörterbuch zur Pädagogik, S. 24. Erstmals im 19. Jahrhundert aufgekommen, gelang es in den 1950er-Jahren nicht, den Begriff Andragogik (Menschenführung) in Deutschland als wissenschaftlichen Terminus durchzusetzen. Gegenüber dem in sich widersprüchlichen Begriff Erwachsenenpädagogik ist der Terminus Andragogik für Böhm zweifellos vorzuziehen. Vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 28.
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Ordnungen und Werke sieht auch wertsichtig und wertliebend zu machen.«237 Die Erweckung eines sinnverstehenden und kritisch hinterfragenden Geistes wird zum vorrangigen Erziehungsziel, »das Erwachen zur Wertsicht und das Ergriffenwerden von dem Sinn einer guten Sache [wird] zum Kern des Erziehungsprozesses.«238 Dabei muss das Verstehen der allen Sozialordnungen innewohnenden Sinngehalte mit der Einordnung des Nachwuchses in die Ordnung vereinigt werden: »Die Vernunft oder das Ideelle soll im Zögling eigenes selbständiges Leben annehmen, so dass er aus dem Sinn der Sache heraus produktiv in den Ordnungen des Gemeinlebens stehen und freitätig die Geistesarbeit in sich weitertragen kann.«239 So macht die Personwerdung, »das personale Leben, das sich als Gewissen im Handeln und als existentielles Bewusstsein auswirkt [...] den Menschen erst zum Menschen«.240 Dies wiederum, darauf verweist Hartmann, ermöglicht »die mit Erziehung angestrebte Innovation [der Gesellschaft] durch das Individuum.«241 Den Ort der Erziehung sieht Flitner in der Erziehungsgemeinschaft, die »jede Be gegnung und Beziehung von Personen, bei der eine erzieherische Situation entsteht und als verpflichtend durchlebt wird«, umfasst242 und daher weit über das ErzieherZögling-Verhältnis des pädagogischen Bezuges Nohls hinausreicht243 ohne dessen allgemeine Gültigkeit zu verlieren. Unterteilt werden die Erziehungsgemeinschaften in die natürlichen, die sich in der Familie widerspiegeln, und die durch Staat und Kirche verantworteten künstlichen oder organisierten Erziehungsgemeinschaften. Mit dem Auftrag, den Nachwuchs für die gesellschaftlichen Institutionen zu formen und in den Wissenschaften und Künsten zu lehren, werden Einrichtungen notwendig, »die dem erzieherischen Bezug eine Dauer sichern [...] So entstehen die pädagogischen Verhältnisse in der Heereserziehung aller Formen, in den kirchlichen Anstalten, in der Berufsausbildung, im geselligen Leben, in den Schulen [...] und die tausend Formen pädagogischen Verhältnisses in organisierten Erziehungseinrichtungen bilden Typen der Erziehungsgemeinschaft.«244 Obgleich der pädagogische Bezug zwischen Eltern und Kindern mit der fortschreitenden Selbstständigkeit der Kinder episodisch wird, umfasst er doch das ganze Leben, während alle anderen pädagogischen Beziehungen »zeitlich und sachlich oder funktionell begrenzt« sind. Selbst Begegnungen von geringer Dauer können »[h]öchst fruchtbare, ja gewaltige erzieherische Wirkungen«, auch unter Erwachsenen, hervorrufen.245 Eine weitere Differenzierung sieht Flitner im Inhalt eines pädagogischen Verhält nisses. Den totalen, »auf die Erziehung in ihrer Fülle gerichteten« pädagogischen Verhältnissen, stehen solche gegenüber, die »nur in den Inhalten erziehen, die dieser 237 238 239 240 241 242 243 244 245
Ebd., S. 45. Hervorhebungen im Original. Flitner, Allgemeine Pädagogik, S. 45. Ebd., S. 46. Ebd., S. 94. Hervorhebungen im Original. Hartmann, Erziehung, S. 308. Flitner, Allgemeine Pädagogik, S. 70. Vgl. ebd.; Hartmann, Erziehung, S. 309. Flitner, Allgemeine Pädagogik, S. 72. Ebd. Zu diesen pädagogischen Begegnungen zählt Flitner Gespräche mit Seelsorgern, Lehrern, Freunden und zwischen Eheleuten. Vgl. ebd.
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Lebensbeziehung zu eigen sind, sie sind partiell. Diese machen erzieherischen Willen nur geltend, sobald ein Neuling sich gegen Inhalt und Sitte eines Lebenskreises vergeht oder seine Eingliederung zu wünschen übrig läßt – sie lassen ihren erzieherischen Charakter schwinden, solange Sitte und Ordnung anerkannt bleiben. Alle Gruppen, die durch einen Geist oder Ungeist verbunden sind und für ihren [auch erwachsenen] Nachwuchs dadurch sorgen, daß sie ihn eingliedern und dann gelegentlich erziehen, gehören dahin.«246 Obwohl Flitner das Militär hier nicht explizit erwähnt, gelten diese Annahmen auch für die laufende Regeneration der Streitkräfte und der damit verbundenen Eingliederung neuer Soldaten in deren Traditionen, Brauchtum und Gesetzlichkeiten. Eine Sonderform der Erziehungsgemeinschaften sieht Flitner in der Selbstbil dungsgemeinschaft.247 In ihr ist kein dauernder Vorrang eines Erziehers gegeben; die Funktion von Zögling und Erzieher wechselt situationsbedingt. Dieses pädagogische Verhältnis und seine erzieherische Tendenz wird »nur gelegentlich, gegenüber Neulingen, akut; Freundschaft, bündische Übung, Geselligkeit stehen als Inhalt voran. Aber diese Inhalte werden immer wieder auch bewusst in den Dienst gegenseitiger Hilfe zur geistigen Entwicklung und Formung gestellt, und diese Intention bleibt dann, auch unbewusst, jenen Einrichtungen dauernd eigen.«248 Grundsätzlich sieht Flitner den Erziehungsprozess mit der Selbstständigkeit und Mündigkeit des Zöglings als beendet an.249 Dieser Zeitpunkt ist aber nicht exakt zu bestimmen. Einerseits variiert er durch die Persönlichkeit des Zöglings, anderseits ist der Endpunkt der Erziehung in einer funktional ausgerichteten Gesellschaft »individuell sowie situational variabel und immer nur vorläufig«, wie Hartmann es formuliert.250 Eine partielle und zeitlich begrenzte Erziehung eines Erwachsenen wird Hartmann zufolge also dann notwendig, wenn dieser »seine Personalität ganz oder teilweise verloren oder noch nicht erreicht hat. Die Gefahr des Verlustes der Personalität tritt insbesondere dann auf, wenn aufgrund des sozialen Wandels der erwachsene Mensch vor Aufgaben gestellt wird, deren Sinn- und Zweckhaftigkeit er nicht versteht und die neue Anforderungen an seine Person stellen.«251 Eine solche pädagogische Herausforderung sah Flitner mit dem Kriegsausbruch 1914 verwirklicht.252 Die infolge der Niederlage von 1918 eintretenden politi246
247
248 249 250 251
252
Ebd., S. 73. Hervorhebung im Original. Zu den beschriebenen Verhältnissen zählt er »gesellige Zirkel, Kollegien gemeinsamen Amtes, Kameradschaften aller Art, Kooperationen, Genossenschaf ten, denen nur sekundär eine erzieherische Funktion« zu Eigen ist. Ebd. Zu ihnen zählt Flitner u.a. Zünfte, Gilden, Gesellenvereine, studentische Kooperationen, Bünde der Jugendbewegung, Klostergemeinschaften, Dichterbünde, freie gesellige Kreise des Bürgertums, Freimaurerorden. Vgl. ebd., S. 85. Ebd., S. 85 f., Zitat S. 86. Ebd., S. 134. Hartmann, Erziehung, S. 313. Ebd., S. 311. Mit der Ausweitung der Erziehung auch auf bereits Erwachsene, für die die Erziehung nur partiell und zeitlich begrenzt bis zur Erlangung oder Wiedererlangung der individuellen Personalität reichen kann, führte Flitner einen Bruch mit der traditionellen Sichtweise der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik herbei. Vgl. ebd., S. 312. »Man erkannte, dass der Krieg eine gewaltige Erziehungsarbeit an den Erwachsenen nötig machte, und von Kriegsbeginn an wandte man sich mit Eifer dieser Aufgabe zu.« Flitner, Der Krieg, S. 106. Zit. nach Hartmann, Erziehung, S. 311.
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schen und strukturellen Umbrüche sowie die von wirtschaftlicher und sozialer Not gekennzeichnete Gesellschaft machten nach dem Krieg eine Fortsetzung der Er ziehungs arbeit an den Erwachsenen notwendig.253 Flitners »Konzeption einer ›Erwachsenenerziehung‹ entsprach auch den Wünschen und Forderungen der Menschen«, von denen viele den Eindruck hatten, dass man in Folge des Zusam menbruchs aller bisher gültigen Lehren und Werte einen Lotsen benötigte.254 Vor diesem Hintergrund, der auch die politische Orientierungslosigkeit einschloss, muss die »sachliche und personelle Erweiterung des Erziehungsbegriffes« gleichsam als Ausdruck seines volkserzieherischen und erwachsenenbildnerischen Interesses bewertet werden.255 Theodor Litt Flitners Fazit einer aus den gesellschaftlichen Umwälzungen resultierenden Erziehungsbedürftigkeit auch bereits erwachsener Menschen hat Theodor Litt nach der bedingungslosen Kapitulation und dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur, wenngleich mit anderen pädagogischen Folgerungen, erneut rezipiert. Aufmerk samkeit hatte Litt aber zunächst mit einer Analyse der konträr diskutierten pädagogischen Kategorien eines »Führens« oder »Wachsenlassens« durch den Erzieher erregt.256 Den Absolutheitsanspruch der jeweiligen Antipoden verwerfend257, versteht Litt die Erziehung als »Einwirkung der älteren auf die jüngere Generation, durch welche diese in den Zusammenhang der geschichtlich fortschreitenden Arbeit eingeführt und zur Erfüllung ihres Auftrages tüchtiggemacht wird.«258 Litt knüpft somit an die bereits dargestellte Duplizität der Erziehung an und hat, so erklärt Böhm, die Erziehung »in der dialektischen Spannung zwischen ›Führen oder Wachsenlassen‹ als Einführen bestimmt – ein Führen zu sich selbst und ein Hinführen zu den idealen Gehalten, die jeder höheren Form des Daseins als solcher innewohnt.«259 Als »Pfleger und Anwalt der in dem jungen Geschlecht selbst schlummernden Möglichkeiten«260 253 254 255 256
257
258 259 260
Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 311. Vgl. ebd., Zitat ebd. Ebd., S. 306 f. Vgl. Litt, Führen. Zu dieser Studie wurde er durch einen pädagogischen Kongress in Weimar angeregt, der im Oktober 1926 stattgefunden hatte. Der von Litt als Hauptreferent gehaltene Vortrag »Die gegenwärtige Lage der Pädagogik und ihre Forderungen« wurde sowohl von den reformorientierten als auch von den konservativen Pädagogen mit Skepsis aufgenommen. Vgl. Reble, Theodor Litt, S. 121. Der Vortrag ist abgedruckt in Pädagogik und Kultur, S. 58‑98. Ein Wachsenlassen ohne Grenzen und pädagogische Initiative hätte nicht die »Selbstbegrenzung der Erziehung, sondern deren radikale Selbstaufhebung zur Folge.« Litt, Führen, S. 17 f., Zitat S. 16. Hervorhebungen im Original. Ein reines Führertum würde den Zögling einzig auf die Vorstellungen des so handelnden Erziehers determinieren. Vgl. ebd., S. 19‑23; Hartmann, Erziehung, S. 318. Mit seiner 1927 erschienen Schrift hat sich Litt »insbesondere gegen die revolutionäre Position der Reformpädagogik nach dem I. Weltkrieg gewandt. Ihr pädagogischer Übereifer führe notwendig zu dem Punkt, an dem die Führung den Zögling verabsolutieren würde.« Hartmann, Erziehung, S. 318. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung in den nationalsozialistischen Jugendorganisationen. Litt, Führen, S. 123. Böhm, Geschichte der Pädagogik, S. 105. Hervorhebung im Original. Litt, Führen, S. 25.
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fördert der Erzieher den Zögling durch behutsames und erzieherisch einwirkendes »Wachsenlassen« in seiner Persönlichkeitsentwicklung und führt ihn als Anwalt des »objektiven Geistes« gleichsam in den ihn umgebenden Kulturzusammenhang ein.261 In dieser pädagogischen Normalsituation bezieht die ältere Generation die Legitimation zur Einwirkung auf die jüngere aus ihrem altersbedingten Vorsprung in Wissen und Haltung gegenüber dem »objektiven Geist«: »Die Älteren dürfen lehren und fordern, nicht weil sie als Personen so viel einsichtiger und vortrefflicher wären als das nachwachsende Geschlecht, sondern einfach deshalb, weil die Abfolge der Geschlechter sie früher des Wissens teilhaftig, der Haltung mächtig werden ließ.«262 Demgemäß endet die Erziehung, wenn die jüngere Generation »zu voller Reife erstarkt, sich selbst ihren Lebensweg zu wählen imstande«263 ist und mitbestimmungsfähig an der innovativ-produktiven Entwicklung der Kulturinhalte teilhaben kann.264 Wie bereits Flitner für die Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges diagnostizierte Litt auch für 1945 eine pädagogische Sondersituation, in der die ältere Generation ebenso erziehungsbedürftig war wie die jüngere.265 Für eine politische Erziehung zur Demokratie kam das Flitner’sche Modell einer Erziehung Erwachsener durch andere Erwachsene nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur nicht in Frage, wie Hartman eingängig begründet: »Es gab einfach nicht genügend erwachsene Menschen, die die politische Erziehung durchführen konnten.«266 Ihrer herausgehobenen Stellung beraubt, verlor die ältere Generation daher auch ihre Legitimation zur Erziehung. Die Lösung sah Litt in der politischen Selbsterziehung: »[W]enn es bei uns Deutschen um politische Erziehung geht, dann handelt es sich um einen Erziehungsvorgang, dessen Eigenart darin besteht, dass nicht die Älteren erziehen und die Jungen erzogen werden«, sondern sowohl die Älteren als auch die Jüngeren zu erziehen sind. Da zudem »keine beiden übergeordnete Erziehungsmacht vorhanden ist, an die diese Aufgabe überwiesen werden könnte, so liegt hier der bemerkenswerte Sonderfall pädagogischen Geschehens vor, in dem der zu Erziehende zugleich die Funktion des Erziehenden übernehmen muss. Jener Prozess der ›Selbsterziehung‹, den man im Allgemeinen nur als Möglichkeit und Bestimmung des einzelnen Menschen ins Auge zu fassen pflegt, überträgt sich auf das ganze Volk, das durch die Geschichte vor die Notwendigkeit gestellt ist, sich zu einer politischen Form durchzuringen, zu der es durch seine Vergangenheit nicht vorgebildet ist. Das Volk, ein Alt und Jung umfassendes Ganzes, erzieht sich selbst als eben solches Ganzes. Und nur dies eine bleibt als Vorzug der älteren Generation übrig, dass sie Wesen und 261
262 263 264 265 266
Der von Dilthey geprägte Begriff des »objektiven Geistes« ist nicht Ausdruck eines unbestimmten geheimen Wesens, sondern »stellt das Gemeinsame eines historisch bedingten Kulturraumes dar, an dem jedes Subjekt Anteil hat.« Danner, Methoden, S. 51, siehe auch Graphik S. 55. Diese »Gemeinsamkeit aller Lebensbezüge« (Dilthey) beinhaltet Sprache, Kunstwerke, Institutionen, Sitten und Bräuche. Der »objektive Geist« ist »Ausdruck einer bestimmten Kultur in einer bestimmten historischen Zeit.« Krüger, Einführung, S. 183. Litt, Das Verhältnis, S. 8 f. Hervorhebung im Original. Zum Endpunkt der Erziehung bei Litt vgl. auch Hartmann, Erziehung, S. 320 f. Litt, Die Bedeutung, S. 126. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 320 f. Vgl. Litt, Die politische Selbsterziehung, S. 52‑55. Hartmann, Erziehung, S. 320.
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Notwendigkeit dieser Selbsterziehung mit größerer Klarheit erfassen – zumindest die Möglichkeit hat.«267 Selbst-Erzogen wird in allen politischen und gesellschaftlichen Institutionen und Bereichen. Die erforderliche Selbstzucht zur Vermeidung von Misswuchs wird dabei besonders von jenen erwartet, zu deren »Amt das politische Erziehertum hinzugehört, mithin die Gesamtheit all derer, die auf irgendeiner Stufe unserer Bildungshierarchie, von der Hochschule bis zur Volksschule, an den Seelen der ihnen Zugeführten modeln.«268 Dies war eine Verpflichtung, in die auch die Offiziere der neu aufzustellenden Streitkräfte eingebunden werden mussten. Da Litt seine Theorie der politischen Selbsterziehung nicht systematisiert hat, vermutet Hartmann den Endpunkt der »Selbsterziehung in der Gemeinschaft« mit der Ermittlung objektiver (politischer) Kulturinhalte, an denen man nachfolgende Generationen wieder wachsenlassen und einführen, also erziehen könne, erreicht. Dann wäre die Erziehung Erwachsener pädagogisch nicht mehr legitimiert.269 Erich Weniger Von den Vertretern der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik war allein Weniger bestrebt, deren Theorie für die Erziehung des Soldaten fruchtbar zu machen.270 Die Erziehung im Militär, auf die bezogen Weniger auf die Doppelendigkeit oder Duplizität der Erziehung als individuelle und gesellschaftlich-organisatorische Auf gabe zurückgriff, zielt für ihn, so Hartmann, »auf den einzelnen Soldaten und auf die soldatische Gemeinschaft. Den Zweck der soldatischen Erziehung sieht er im Anschluss an die militärische Tradition (Erhalten) und in der Reform der Streitkräfte zur Anpassung an die variablen militärischen Aufgaben (Verbessern).«271 Ort der Erziehung sind, wie bei Flitner, die Erziehungsgemeinschaften, die sich im Kriege zur Kampfgemeinschaft wandelten. Weniger beschreibt sie als Gruppen, »in denen die Ziele der Erziehung und Ausbildung nicht nur von den Lehrern und Führern gewollt und verantwortet werden, sondern auch von denen, die erzogen und ausgebildet werden sollen. Diese sind dann nicht mehr nur Objekte der Einwirkung, sondern Träger des Willens, die das, was ihnen zunächst von außen aufgezwungen scheint, von innen her bejahen und selbständig aus eigenem Antrieb ergreifen.«272 Mit dieser Theorie der Erziehungsgemeinschaft »hebt Weniger die traditionelle Vor gesetztenzentriertheit militärpädagogischer Theorien auf.«273 Stattdessen wird der Vorgesetzte zu einem mit gleicher Verantwortung gegenüber der gemeinsamen militärischen Aufgabe ausgestatteten Glied in der militärischen Gruppe. Für seinen 267 268 269
270
271 272 273
Litt, Die politische Selbsterziehung, S. 53 f. Ebd., S. 54. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 320 f. Die Verwendung des ansonsten von Litt kaum verwendeten Selbsterziehungsbegriffes für dieses pädagogische Phänomen ist für Hartmann der Beweis, »dass die ›eigentliche Erziehung‹ bei Litt auf die heranwachsende Generation beschränkt ist.« Ebd. Die weiteren Ausführungen stützen sich auf Hartmanns Analyse des Endpunktes der Erziehung bei Weniger. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 313‑317. Eine ausführliche Erörterung zu Theorie und Aufgaben der Erziehung bei Weniger vgl. ebd., S. 224‑240. Hartmann, Erziehung, S. 314. Hervorhebungen im Original. Weniger, Wehrmachtserziehung, S. 141. Hartmann, Erziehung, S. 314.
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Erziehungsauftrag, die ihm unterstellten Soldaten in die militärischen Aufgaben einzuweisen, ist es laut Hartmann erforderlich, dass der Vorgesetzte als Erzieher die äußeren Rahmenbedingungen und die Sinnvermittlung des Dienstes so gestaltet, »dass die Soldaten sich produktiv in die Auftragsdurchführung einbringen können und sich selbst den veränderten Rahmenbedingungen anpassen, um wahrhaft Soldat zu sein.«274 Mit der erfolgreichen Bildung einer Erziehungsgemeinschaft wird die besondere erzieherische Verantwortung des Vorgesetzten obsolet, denn der Soldat, »der die Sinn- und Zweckhaftigkeit seiner gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben eingesehen hat, kann nicht nur sich selbst erziehen, sondern zur Selbsterziehung in der Gemeinschaft beitragen.« Der Erziehungsaufgabe enthoben, ist die herausgehobene Stellung des Vorgesetzten sodann nur noch durch seine Machtbefugnis, seine Einsicht in die militärische Aufgabe und, sofern gegeben, durch seine Kriegserfahrung legitimiert.275 In der von Erich Weniger ausgestalteten Theorie einer Erziehung des Soldaten ist der Endpunkt der Erziehung mit dem von Flitner kompatibel. Darüber hinausgehend hält Hartmann zur Theorie Wenigers fest, dass die »Erziehung erwachsener Menschen die Einweisung der Neuzugänge in den Geist einer Gemeinschaft [meint]. Von daher ist Erziehung zeitlich und inhaltlich begrenzt. Sie muss schnellstmöglich beendet werden, damit Erziehungsgemeinschaften entstehen können, in denen die Mitglieder sich selbst erziehen. Im Falle der Militärorganisation ist diese Erziehung für alle Neuzugänge gefordert.«276 Wie umfassend dargestellt, wird die Erziehung als unmittelbare Einwirkung in den Theorien der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik als Herrschaftsverhältnis der älteren gegenüber der jüngeren Generation, also eines erwachsenen Erziehers gegenüber einem heranwachsenden Zögling definiert. Ihr Ende wird von der Pädagogik jedoch nicht mit der gesetzlich geregelten Volljährigkeit des Educandus gleichgesetzt, sondern endet in der Regel mit der Fähigkeit des Zöglings, sein weiteres Leben selbstständig zu gestalten und verantwortungsvoll an der Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse mitzuwirken. Indirekte und funktionale Erziehungsfaktoren wirken aber weiterhin auch auf den bereits mündigen Menschen ein und bieten weiterhin Möglichkeiten, auf dessen Handeln und Denken erzieherisch Einfluss auszuüben. Darüber hinaus können aber auch bereits erwachsene Menschen im engeren Sinne erziehungsbedürftig sein, sofern sie ihre Personalität noch nicht erlangt oder wieder verloren haben. Diese pädagogische Sondersituationen trat in Deutschland insbesondere nach Ende der beiden Weltkriege auf, als die bisher gültigen gesellschaftlichen Werte und Normen durch die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Notsituationen in Frage gestellt wurden oder im Falle des Demokratisierungsprozesses nach 1945 gar einer völligen Neuorientierung bedurften. Nicht in der Lage, am demokratischen politisch-gesellschaftlichen Fortschritt mitzuarbeiten und die jüngere Generation im Rahmen eines pädagogischen Herrschaftsverhältnisses in den »objek274 275 276
Ebd. Hervorhebung im Original. Vgl. ebd., S. 314 f., Zitat S. 313. Ebd., S. 317. Hervorhebung im Original.
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tiven Geist« einzuführen, zeigte sich auch die ältere Generation erziehungsbedürftig. Andererseits wird eine partielle und zeitlich begrenzte Erziehungsbedürftigkeit bereits Erwachsener durch Flitner und Weniger auch bei deren Eintritt in eine bereits bestehende Sozialordnung wie das Militär konstatiert und pädagogisch legitimiert.
2. Bildung Neben Erziehung ist Bildung der zweite Elementarbegriff der Pädagogik. Das »jeweilige Selbst- und Weltverständnis des Menschen« widerspiegelnd, kann er »nicht zeitlos definiert, sondern nur in seiner hist[orisch]-systemat[isch]-dynamischen Viel schichtigkeit erschlossen werden.«277 Der Begriff ist allein dem deutschen Sprachraum zuzuordnen, ein Äquivalent in anderen Sprachräumen existiert nicht.278 Er leitet sich vom mittelhochdeutschen »bildunga« ab und illustrierte in der deutschen Mystik des 14. Jahrhunderts das Bemühen der Menschen um die noch zu verwirklichende Gottähnlichkeit. In diesem theologisch-religiösen Sinne bis weit in die Neuzeit wirkend, wurde der Bildungsbegriff im Zuge der Aufklärung säkularisiert und Mitte des 18. Jahrhunderts in die pädagogische Fachsprache überführt.279 Bildung diente nun nicht mehr der Spiritualität; der als vernunftbegabtes Wesen wahrgenommene Mensch wurde zunächst, angespornt »durch den pädagogischen Optimismus der Aufklärungspädagogik«280, einer Erziehungsdiktatur (Wehler)281 des Staates unterworfen, der den »Menschen seine Deutung der Glückseligkeit aufzudrängen versucht und ihn gerade dadurch in seinem Freiheitsstreben unterdrückt.«282 In der Form anleitend und hinführend, wurde der Bildungsvorgang der Aufklärung »als ein planmäßiges und direktes Einwirken eines Erziehers auf einen anderen Menschen hin zu einem von der allgemeinen Vernunft vorgegebenen Bilde«283 des Glücks und der Tugend284 verstanden. Dieser Funktionalisierung und Objektivierung des Individuums entgegentretend, fußte das emanzipatorische Bildungsverständnis des deutschen Humanismus, die »Selbstgestaltung des Menschen«285, auf der Bil dungstheorie Humboldts, der unter Bildung nicht ein »fremdbestimmtes ›gebildet 277 278
279
280 281 282 283 284 285
Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 75. In der deutschen Sprache ist der Bildungsbegriff »nicht ersetzbar.« Hartmann, Erziehung, S. 66. Hervorhebungen im Original. Alternative Ersatzbegriffe wie Erziehung, Sozialisation, Lernen, Aus bildung können den geforderten Prozess der selbstorganisierten Emanzipation des »Individuums zu selbstverantwortlichem Denken und Handeln gegenüber Natur und Gesellschaft, Welt und Gott« nicht vollständig erfassen. Wehnes, Theorien der Bildung, S. 256. Zit. nach Hartmann, Erziehung, S. 66. Obwohl kein Synonym für Erziehung und Ausbildung, stehen die Begriffe aber in einem sich bedingenden Verhältnis zueinander. Vgl. ebd., S. 63. Zur Herkunft des Bildungsbegriffes vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 75; Hartmann, Erziehung, S. 167; Wörterbuch Erziehungswissenschaft, S. 65 f. (Beitrag Ehrenspeck); Wörterbuch zur Pädagogik, S. 74. Hartmann, Erziehung, S. 167. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 1, S. 532; auch Hartmann, Erziehung, S. 167. Menze, Theodor Litts Kritik, S. 330, zit. nach Hartmann, Erziehung, S. 167. Hartmann, Erziehung, S. 167. Vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 76. Ebd.
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werden‹« anhand einer von außen an den Menschen herangetragenen Projektion des Gewünschten, »sondern das individuelle ›sich bilden‹ einer freien Person« verstand.286 Folglich trennte er den an das erwachsene Individuum gerichteten Bildungs- vom Erziehungsbegriff. Beruht das Erziehungsverhältnis »letztlich auf einem Gewaltund Herrschaftsverhältnis, in dem erwachsene Menschen berechtigt sind, lenkend in die Persönlichkeitsentwicklung des heranwachsenden Menschen einzugreifen«, ist Bildung als Selbstbildung der neuhumanistisch-idealistischen Bildungstheorie287 »ein Prozess der Selbstorganisation des Individuums in emanzipatorisch-reflexiver Auseinandersetzung mit der historisch gewordenen Umwelt, also mit den Mitmenschen, den Institutionen und Organisationen sowie der Natur. Das für die Bildung des Individuums relevante pädagogische Handeln anderer Menschen ist auf das Beispiel und auf den Rat begrenzt. Ob das Individuum das Beispiel annimmt und den Rat befolgt, liegt in seiner Verantwortung [...] Die Mitmenschen sind verpflichtet, nicht direkt, sondern indirekt durch das planvolle Gewähren von Freiheiten und Mannigfaltigkeiten der Situationen auf den erwachsenen Menschen zu wirken.«288 Die Aufgaben des Staates sieht Humboldt, wie Hartmann zusammenfasst, lediglich darin, »die äußeren Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass eine möglichst große Freiheit und Mannigfaltigkeit der Situationen besteht sowie die Befähigung sich darin zurechtzufinden, vorhanden ist.«289 Mitte des 20. Jahrhunderts sollte Baudissin diese Forderung Humboldts für die Forderung nach einem Staatsbürger in Uniform für das pädagogische Handeln in der Bundeswehr fruchtbar machen. Spätestens mit Beginn des 19. Jahrhunderts beschrieb der Bildungsbegriff damit gleichermaßen einen Zustand wie einen Prozess.290 Der Mensch ist oder wird an Geist und Herz gebildet, nimmt Geschicklichkeit und feine Sitten an und präsentiert der ihn umgebenen Welt seine Bildung. Mit dieser Entwicklung rücken die drei wichtigsten Dimensionen des Gebildet-Seins in den Fokus: »Die Bildung des Geistes im Sinne von Wissen, die ästhetische Bildung des Geschmacks und die Moralität als eine 286 287 288 289
290
Hartmann, Erziehung, S. 167. Vgl. auch Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 76. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 63; Böhm, Geschichte der Pädagogik, S. 91. Ebd., Hartmann, Erziehung S. 174 f. Ebd., S. 175. Im Gegensatz zu diesem individuellen Selbstformungsprozess verstanden die Philan thropen Bildung im Sinne von Nützlichkeit und Ausbildung. Vgl. Wörterbuch Erziehungswissen schaft, S. 66 (Beitrag Ehrenspeck). »Bilden ist jede Tätigkeit, welche die Vollkommenheit der Vorgänge in einer Seele erwirkt. Bildung ist jede Art von Vollkommenheit einer solchen Seele. Sonach wird sie hier als Selbstzweck betrachtet.« Dilthey, Schriften zur Pädagogik, S. 44 f. Hervorhebungen im Original. Als komplementäre Aspekte des Bildungsbegriffes bedingen der transitive (gebildet werden) und der reflexive (sich bilden) Bildungsprozess einander, denn der Reflexion und damit der Selbstbildung des Menschen sind Grenzen gesetzt, die wiederum die transitive Bedeutung des Bildungsbegriffes legitimieren: »Bildung ist nicht nur an Reflexivität des sich bildenden Subjektes, sondern auch an das ›woran und wodurch‹ gebunden. Bildung ist auf Welt, auf Menschen und Natur und deren Mannigfaltigkeit angewiesen. Bildung steht also für die dialektische Einheit von Selbstverwirklichungsstreben und Sachgebundenheit, von Freiheit und Unfreiheit, von Freiheit und Verantwortung. Die Dialektik von Selbst und Welt begründet jedoch nicht ein pädagogisches Abhängigkeits- und Machtverhältnis. Bildung steht vielmehr für einen freien, geselligen und (selbst-)verantworteten Umgang von Menschen, die sich in ihrer Nicht-Identität nicht nur akzeptieren, sondern diese auch durch An regungen und Ratschläge fördern wollen.« Hartmann, Erziehung, S. 63 f. Hervorhebungen im Original.
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der höchsten Bildungstugenden.«291 Ihre Kulmination erfuhren diese Dimensionen schließlich im deutschen Bildungsbürgertum, der sogenannten Geistesaristokratie, deren ideologischer, nicht realpolitischer Führungsanspruch auf ihrer Bildung gründete.292 Das Ideal einer neuhumanistischen Allgemeinbildung vertretend, lag dem Bildungsbürgertum eine spezielle Berufsausbildung ebenso fern wie eine geistige oder aktive Teilnahme am gesellschaftspolitischen oder ideologiekritischen Diskurs. Wollte Humboldt »das Individuum einer vorschnellen Verzweckung entziehen und seine Identität und Freiheit« durch »die ›unpraktische‹ Selbstentfaltung der Persön lichkeit stärken [...] zog sich das B[ildungsbürgertum] im späten 19. J[ahr]h[un dert] freiwillig aus Politik und Ökonomie zurück und verkürzte Bildung auf die inneren Werte und die subjektive Erlebnistiefe. Das Leitbild von ›Einsamkeit und Freiheit‹ des Gebildeten zog die folgenschwere Unterscheidung von ›wahrer Men schenbildung‹ und ›allgemeiner Volksbildung‹ und die soziale Distanzierung des B[ildungssbürgertum]s von den ›Ungebildeten‹ nach sich.«293 Infolge dieser »apo li tisch-individualistischen und ästhetischen Bedeutungsreduktion«294 verkam der humanistische Bildungsbegriff zur enzyklopädischen Vielwisserei295 und das Bil dungsbürgertum sollte sich angesichts des Nationalsozialismus und »seiner fehlenden (gesellschafts-)kritischen und humanistischen Potenz gegenüber der nationalsozialistischen Ideologisierung«296 außerstande sehen, Freiheit und Selbstgestaltung des 291 292
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Wörterbuch Erziehungswissenschaft, S. 66 (Beitrag Ehrenspeck). Der sozialgeschichtliche Begriff Bildungsbürgertum definiert einen Teil der bürgerlichen Ober schicht in Deutschland, die im 19. Jahrhundert als Geistesaristokratie neben die Vertreter des Frühkapitals, des Erwerbsbürgertuns, die politisch-administrative Elite und die Geburtsaristokratie trat. Vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 78. Zur Entstehung und Entwicklung des Bil dungsbürgertums vgl. auch Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 1, S. 210‑217; Bd 2, S. 210‑238; Bd 3, S. 125‑130, 730‑750; Bd 4, 294‑299, 725‑729. Seine akademische Aus bildung gewährte dem staatsnahen Bildungsbürgertum, dem Spitzenbeamte, Juristen, Ärzte und Professoren zugeordnet werden, ein hohes soziales Prestige (»Bildung geht vor Besitz«) sowie soziale, politische und kulturelle Einflussnahme. Diese Macht schwand mit dem Aufstieg des oberen Wirtschaftsbürgertums und der Professionalisierung der Politik, verbunden »mit einem arroganten Rückzug in eine politisch fatale ›machtgeschützte Innerlichkeit‹.« Niederlage, Sturz der Monarchie, Revolution sowie wirtschaftliche Eruptionen in Form von Inflation und Depression lösten eine den bildungsbürgerlichen Erosionsprozess verstärkende Sinn- und Orientierungskrise aus, unter der besonders die höhere Beamtenschaft litt. Vor diesem Hintergrund stand das Bildungsbürgertum »mit seinem Sozialhabitus dem leidenschaftlichen Nationalismus, der verlockenden Verheißung völkischer Erneuerung, dem Ordnungsversprechen« ebenso wie dem autoritären Stil der neuen nationalsozialistischen Machthaber »nahezu wehrlos gegenüber.« Von vereinzeltem Widerstand abgesehen, gebärdeten sich die hohe Bürokratie, Juristen, Mediziner, Professoren und Studenten als folgsame Unterstützer eines verbrecherischen Systems. Insbesondere die Geisteswissenschaften prägte eine starke Affinität zu den Zielen des Nationalsozialismus. Vgl. ebd., Zitate Bd 3, S. 750; Bd 4, S. 725. Vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 78, Zitate ebd. Diese unselige Entwicklung stellt eine eklatante Verkürzung des neuhumanistischen Bildungsbegriffes Humboldts dar, denn Bildung fordert eben nicht die »lebensfremde und -feindliche Winkelgelehrsamkeit sowie den Verzicht auf ein Wirken in der Gegenwart. Sie ist vielmehr auf (äußere) ›Freiheit und Mannigfaltigkeit der Situationen‹ angewiesen und will in der gesellschaftlichen Realität – auch durch Arbeit – praktisch werden.« Hartmann, Erziehung, S. 61. Hervorhebungen im Original. Hartmann, Erziehung, S. 59. Hervorhebung im Original. Vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 76. Hartmann, Erziehung, S. 59.
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Individuums als die wahren Werte des humanistischen Bildungsideals zu verteidigen und zu bewahren. Die historische Entwicklung und Belastung des Bildungsbegriffes sollte schließlich bis in die 1970er-Jahre den Erziehungswissenschaftlern als Argument dienen, »die eine Destruktion des wissenschaftlichen Bildungsbegriffes forderten.«297 Bedingt durch die historische Belastung des Bildungsbegriffes sah sich wohl auch Baudissin dazu veranlasst, sich nicht des Bildungs-, sondern des Erziehungsbegriffes für die Gestaltung des pädagogischen Feldes in den Streitkräften zu bedienen.298 Im Vorfeld dieser zeitweiligen Diskreditierung nahm der Bildungsbegriff in der zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnenden Geisteswissenschaftlichen Pädagogik, dessen Initiator »Pädagogik im weitesten Sinne als Bildungslehre des Menschen« verstand299, erneut eine zentrale Position im Sinne der Selbstentfaltung des Individuums ein. Nicht die Vermittlung von Qualifikationen, sondern Bildung als »diejenigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen, die für das Leben des Einzelnen innerhalb eines Kulturraumes unverzichtbar erscheinen«, ist das Erzie hungsziel der systematischen Theorien der geisteswissenschaftlichen Pädagogik.300 Bildungsziele und -inhalte unterliegen jedoch weltanschaulichen und historischen Bedingungen, spiegeln also »keine allgemein gültigen, das heißt zu allen Zeiten und Orten geltende Normen« wider.301 Stattdessen kann die konkrete inhaltliche 297
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Ebd., S. 60. Eine gerechtere Beurteilung des Bildungsbegriffes und die Einsicht »in seine kritischproduktive Bedeutung für aktuelle und zukünftige Aufgaben der wissenschaftlich-technologischen Zivilisation« haben erst die historische Rekonstruktion der neuhumanistischen Bildungstheorie und der deutschen Bildungsgeschichte ermöglicht. Damit einher ging eine Renaissance der geisteswissenschaftlichen Pädagogik. Vgl. ebd. Zum Bedeutungsverlust des Bildungsbegriffes vgl. auch Wörterbuch Erziehungswissenschaft, S. 66 f. (Beitrag Ehrenspeck). Karl Marx (1818‑1883) hatte bereits 1866 gefordert, den Kindern und Heranwachsenden nicht nur eine geistig-wissenschaftliche Bildung und gymnastisch-körperliche Bildung, sondern auch eine polytechnische Bildung angedeihen zu lassen. Dieser berufsvorbereitende Unterricht wurde zunächst in den sozialistischen Ländern ein- und durchgeführt, fand aber auch in der Bundesrepublik unter der Bezeichnung Arbeitslehre Einlass in den Lehrplan. Hierzu zählen auch die sogenannten Betriebspraktika zur Berufswahlorientierung. Vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 425 f. Auch die gegenwärtige Erziehungswissenschaft reduziert Bildung nicht auf die Allgemeinbildung, sondern fordert die »Integration von Allgemeinbildung, Berufsbildung und Arbeit.« Gleichsam darf Bildung aber »nicht auf berufliche Weiterbildung im Sinne einer Anpassungs- und Aufstiegsqualifizierung beschränkt werden.« Hartmann, Erziehung, S. 63. Hervorhebungen im Original. Vgl. hierzu ebd., S. 273 f. Wörterbuch Erziehungswissenschaft, S. 66 (Beitrag Ehrenspeck). Vgl. König/Zedler, Theorien, S. 104 f., Zitat S. 105. Spranger definiert Bildung als eine »durch Kultureinflüsse erworbene, einheitliche und gegliederte, entwicklungsfähige Wesensformung des Individuums, die es zu objektiv wertvollen Kulturleistungen befähigt und für objektive Kulturwerte erlebnisfähig (einsichtig) macht.« Danner, Methoden, S. 28. Von den Heranwachsenden fordert er nach Abschluss ihrer Schulausbildung den Besitz einer elementaren »Grundbildung«, deren Aufgabe es sei, den educandus in die das Alltagsleben bestimmenden »Gemeinsamkeiten« einzuführen. Flitner hat hierzu folgende Gemeinsamkeiten identifiziert: Sprache, Verfahren und Methoden, die jeder, unabhängig von einer beruflichen Spezialisierung, beherrschen muss, die »›Sitten‹ [als] die in einer Kultur geltenden Normen und Regeln« sowie »die jeweiligen ›Kulturgüter‹, nämlich für einzelne Kulturbereiche die Religion, Literatur, Kunst oder Wissenschaft, zentrale Texte, Tradi tionen und Wertvorstellungen.« König/Zedler, Theorien, S. 105. Ebd., S. 105. König/Zedler berufen sich in ihren Erläuterungen zum Bildungsbegriff auf die von Dilthey beeinflussten Positionen Nohls, die sich im Wesentlichen mit denen der anderen Vertreter der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik decken. Vgl. auch Nohl, Die pädagogische Bewegung, S. 134, 138‑141.
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Ausgestaltung des jeweils gültigen Bildungskanons »nicht abgelöst vom kulturellen und lebensgeschichtlichen Zusammenhang gedacht werden [...] Weltanschauung, Philosophie, Recht, Sozialordnung, Technik, Wissenschaft, Politik und Ökonomie einer Zeit geben die Inhalte bzw. Gegenstände, mit denen sich das Subjekt selbstbildend auseinanderzusetzen hat, gleichsam vor.«302 Mithin ist Bildung sowohl gesellschaftlich, als »Vermittlung der für die jeweilige historische Epoche bedeutsamen Kenntnisse, Methoden, Regeln und Werte«, als auch individuell bestimmt, indem der Einzelne Unterstützung erfährt, »seine individuelle Lebensform zu entwickeln. Nohl spricht in diesem Zusammenhang von der Grundantinomie des pädagogischen Lebens zwischen der Entfaltung der Individualität und der Vermittlung pädagogischer Inhalte.«303 Zur Bestimmung des jeweiligen Bildungszieles dient das hermeneutische Verfahren unter Beachtung der Geschichtlichkeit, der Erziehungswirklichkeit und der Geschichte der Pädagogik. Einerseits muss das Kind, der Heranwachsende oder der erziehungsbedürftige Erwachsene in der pädagogischen Sondersituation verstanden werden, um dessen Entwicklungsmöglichkeiten zu erfassen, anderseits erfordert das Erfassen »der objektiven Anforderungen einer historischen Situation« das »Verstehen dieser Situation und der einzelnen Faktoren der historischen Entwicklung.«304 Unter den Bedingungen einer sich stets politisch, gesellschaftlich, sozial, ökonomisch und kulturell wandelnden Umwelt ist Bildung, die nicht auf reines enzyklopädisches Wissen beschränkt bleibt, sondern der Forderung Rechnung trägt, die gesellschaftlich-organisatorischen Rahmenbedingungen in einer Demokratie aktiv mitzugestalten,305 daher immer ein »unsicherer Zustand und ein unendlicher Prozess« und infolgedessen eine »lebenslange Verpflichtung«.306
3. Ausbildung Wie der Erziehungsbegriff wird auch der Ausbildungsbegriff in einem engeren und einem weiteren Sinne verwendet. Im Gegensatz zu Bildung oder Allgemeinbildung meint Ausbildung im Allgemeinen »die Vermittlung der auf spezielle Berufe und Verrichtungen ausgerichteten Fähigkeiten und Fertigkeiten.«307 Diesem engen Ausbildungsbegriff schließt sich auch die Bundeswehr an, in deren Dienstvorschriften Ausbildung gleichfalls als »Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten sowie die Entwicklung und Förderungen von Fähigkeiten, die der Soldat braucht, um seine militärischen Aufgaben zu erfüllen«, definiert wird.308 Für eine weitere Eingrenzung 302 303
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Schaub/Zenke, Wörterbuch zur Pädagogik, S. 75. König/Zedler, Theorien, S. 106. König/Zedler kritisieren die Unschärfe des Bildungsbegriffes in der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik: »So wird ›Bildung‹ immer wieder in neuen Formulierungen umschrieben, bleibt aber hinsichtlich der Kriterien, die Bildung zu erfüllen hat, unscharf und führt damit zu Missverständnissen und Unklarheiten.« Ebd. Vgl. ebd., S. 106 f., Zitat S. 107. Vgl. Klafki, Die Bedeutung, S. 476. Hartmann, Erziehung, S. 65, 62. Hervorhebungen im Original Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 39. ZDv 3/1, Grundsätze der Ausbildungslehre, Nr. 101. Hervorhebungen im Original.
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wird zumeist das Thema der Ausbildung beigefügt: Grund- und Spezialausbildung, Formal-, Waffen-, Schieß- oder Sportausbildung. Hinzu treten die Fortbildung als Erweiterung der beruflichen Qualifikation, die auch für die Ausübung einer zivilen Tätigkeit von Belang sein kann, und die Weiterbildung, die »dem lebenslangen Lernprozess Rechnung« trägt und »die allgemeine, berufliche und politische Weiter bildung« umfasst.309 Unter der Annahme, »dass auch in diesen Ausbildungsprozessen Erziehungs- und Bildungsaspekte zu erkennen sind, [...] verwendet die Wehrpädagogik von vornherein den weiter gefassten Ausbildungsbegriff, der Erziehung und Bildung, der kognitive und affektive Lernziele stets mit umfasst und den Ausbildungsprozess als Ganzheit oder Einheit begreift.«310 Wie eine vom Generalinspekteur 1990 erlassene »Teilkonzeption für die bereichsübergreifende Aufgabe Ausbildung« beweist, wird diese Ansicht nicht nur in Teilen der Erziehungswissenschaft vertreten. Auch in der Bundeswehr umfasst der erweiterte Ausbildungsbegriff das gesamte Spektrum pädagogischen Handelns.311 Der in diesem Zusammenhang von einigen Erziehungswissenschaftlern verwen dete Begriff der »Wehr- oder Militärpädagogik« zählt in der Bundesrepublik Deutsch land allerdings »zu den historisch stark belasteten Begriffen. In der wissenschaftlichen Diskussion wird der Begriff weitgehend vermieden. Eine Verwendung erfolgt nahezu ausschließlich in negativ beurteilten Sinnzusammenhängen.«312 Daher stieß der Versuch einer Wiederbelebung dieses Begriffes sowohl in der Erziehungswissenschaft als auch innerhalb der Bundeswehr nur auf geringe Resonanz.313 Auch einem in jüngerer Zeit von Wolfgang Royl unternommenen Vorstoß, die Militärpädagogik erneut für die Theorie und Praxis pädagogischen Handelns in der Bundeswehr zu legitimieren, war kein Erfolg beschieden. Der erziehungswissenschaftliche Ansatz Royls bestimmt die Militärpädagogen dazu, »aus der Geschichte des Militärs pädagogische Erkenntnisse zu gewinnen, den gegenwärtigen militärischen Alltag zu analysieren und Perspektiven für das pädagogische Handeln in den Streitkräften zu entwickeln.« Vorausgesetzt wird ein Sui-generis-Charakter des Soldatenberufes und die Annahme, dass Armeen sich zwar »in der politischen Definition ihrer Zielsetzung«, aber »we309 310 311
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Vgl. Wullich, Die Konzeption, S. 13, Zitate ebd. Hervorhebung durch den Verfasser. Ebd., S. 14. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 106. In der »Teilkonzeption für die bereichsübergreifende Aufgabe Ausbildung« wird der erweiterte Ausbildungsbegriff wie folgt verstanden: »Ausbildung in den Streitkräften (Militärische Andragogik) umfasst alle Planungen und Tätigkeiten zur Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten sowie zur Entwicklung von Fertigkeiten und Einstellungen, die der Soldat benötigt, um seine allgemeinmilitärischen und militärfachlichen Aufgaben im Frieden und in der Verteidigungssituation erfüllen zu können [...] Die Erfüllung dieser Aufgaben erfordert Erziehung/Selbsterziehung und Bildung. Insofern schließt Ausbildung in den Streitkräften Erziehung und Bildung [...] ein.« Zit. nach Hartmann, Erziehung, S. 106. Hartmann, Erziehung, S. 47. Vgl. ebd., S. 47 f. Bei den Initiatoren handelte es sich um Erziehungswissenschaftler und erziehungswissenschaftlich ausgebildete Offiziere. Zu ihren Schriften vgl. Portner [u.a.], Grundlagen; Wullich, Die Konzeption; Pöggeler, Problemfeld »Militärpädagogik«. Royl, ebenfalls ein Verfechter der Militärpädagogik, geht sogar so weit, die Sicherheit der Bundesrepublik und der freien kulturellen Entfaltung des Einzelnen von der Einführung einer »bereichsspezifischen Pädagogik« (Militär pädagogik) abhängig zu machen. Vgl. Royl, Militärpädagogik, S. 541.
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nig in ihren militärpädagogischen Ausbildungsaufgaben [und] noch weniger in den Mitteln und Methoden der Durchführung von Ausbildung« unterscheiden.314 Dies als Versuch einer »eigenständige[n], innerhalb der pädagogischen Systematik besondere[n] Wehrpädagogik« interpretierend, wendet sich Hartmann in seiner Kritik besonders gegen den Sui-generis-Charakter des Soldatenberufes und die heraus ragende Bedeutung der Tradition als systematischen Kern dieses militärpädagogi schen Ansatzes. Gleichsam widerspricht er der besonderen Bedeutung der »Militär geschichte schlechthin [...] für die militärpädagogische Erkenntnis.«315 Royl versuche nicht »erziehungswissenschaftliche Theorien, pädagogische Grundgedankengänge und Erfahrungen pädagogischer Praxis für die pädagogische Theorie und Praxis in der Bundeswehr zu erschließen, sondern eine ›Militärpädagogik von innen‹ wissenschaftlich zu legitimieren.« Im Gegensatz zum systematischen Kern des Royl’schen Ansatzes gehe das Reformkonzept aber »von einem Bruch in der deutschen Militärgeschichte und der Notwendigkeit eines radikalen Neuanfangs aus. Sie fordert auch die Bereitschaft, andere Wege als die europäischen Partner zu gehen und sich von den pädagogischen Praktiken in den kommunistischen Diktaturen deutlich zu distanzieren. Neue Maxime der pädagogischen Theorie und Praxis in den deutschen Streitkräften sollten die Demokratisierung und der Einsatz moderner pädagogischer Methoden sein.«316 Militärische Spezifika bedürften in der erziehungswissenschaftlichen Theorie und dem pädagogischen Handeln zwar der Berücksichtigung, letzten Endes müssten die Grundsätze der Allgemeinen Pädagogik aber auch im militärischen Bereich ihre Gültigkeit behalten: »Die pädagogische Theorie und Praxis in der Bundeswehr ist wohl in Teilbereichen eine andere, aber keine in Gänze eigenständige und von daher besondere.«317 Selbst in der militärischen und pädagogischen Tradition ist die »Militärpädagogik [...] eine Subdisziplin innerhalb der Allgemeinen Pädagogik, auf einer Ebene mit der Berufs- und Betriebspädagogik an- oder sogar in diese eingeordnet. Der Begriff ›Militärpädagogik‹ ist daher nur im Sinne dieser Systematik wissenschaftlich legitimiert.«318
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Vgl. Royl, Militärpädagogik, S. 536, Zitate ebd. Zur Kritik an Royls militärpädagogischen Ansatz vgl. Hartmann, Erziehung, S. 48 f., hier S. 48. Hervorhebungen im Original. Ebd., S. 48. Hervorhebungen im Original. Ebd., S. 49. Hervorhebungen im Original. Hartmann, Erziehung, S. 49.
II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung: Konzeption militärischer Erziehungsgrundsätze für die westdeutschen Streitkräfte 1. Staatsbürger in Uniform: Innere Führung und soldatische Erziehung Spiritus Rector der Bemühungen, dem Inneren Gefüge zukünftiger Streitkräfte ein neues, zeitgemäßes und von historischen Belastungen befreites Antlitz zu geben, war der ehemalige Major i.G. Wolf Stefan Traugott Graf von Baudissin.1 Er wurde 1907 geboren und immatrikulierte sich 1925 an der Juristischen Fakultät der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Im darauffolgenden Frühjahr verließ Baudissin die Universität jedoch wieder und trat als Offizieranwärter in das Potsdamer Infanterie regiment 9 ein, von dem er jedoch nach bestandener Fahnenjunkerprüfung, trotz einer zwölfjährigen Verpflichtungserklärung, seinen Abschied nahm. Grund war die von einem Verwandten in Aussicht gestellte Übernahme eines landwirtschaftlichen Gutes in Holstein. Einer landwirtschaftlichen Lehre in Deutschland und Schweden folgten Praktika auf Gütern, Motorenschulen und Banken. Nach erfolgreichem Examen zum staatlich geprüften Landwirt begann Baudissin im Mai 1930 ein landwirtschaftliches Studium in München, das er aber bereits wenige Monate später abbrach, nachdem er erfahren hatte, dass das erhoffte Gut bereits anderweitig veräußert worden war. Baudissin trat daher am 1. Oktober 1930 erneut in das Potsdamer Regiment ein und wurde nach erfolgreichem Besuch der Infanterieschule in Dresden im Oktober 1932 zum »überzähligen«, am 1. April zum etatmäßigen Leutnant befördert. Von Freunden als typischer Eliteoffizier beschrieben, »etwas hochgestochen und eitel, aber sehr intelligent«,2 hatte Baudissin im Verlauf seiner langen Ausbildung zum Offizier »eine breite, solide und professionelle Basis für seine militärische Laufbahn« vermittelt bekommen.3 1934 löste der Zugführer Baudissin das nachmalige Mitglied des militärischen Widerstandes gegen Hitler, Henning von Tresckow4, als Adjutant beim Kommandeur des I. Bataillons, Major Dr. Friedrich
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Zu Leben und Wirken Baudissins vgl. Förster, Wolf Graf von Baudissin; Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 210‑216. Baudissin/Dohna, ... als wären wir nie getrennt gewesen, S. 21. Förster, Wolf Graf von Baudissin, S. 22. Zu Tresckow siehe Lexikon des Widerstandes, S. 203 f.
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Altrichter5, ab, wurde zum Oberleutnant befördert und diente bereits wenige Monate darauf dem Regimentskommandeur in gleicher Funktion. Als Gehilfe des Kommandeurs »in allen Fragen der Führung, Organisation, Ausbildung, Erziehung, Disziplin und in Personalangelegenheiten« stellten diese Verwendungen eine wichtige Vertrauensstellung dar, die neben »Verschwiegenheit und Takt [...] auch unermüdlichen Arbeitseinsatz« erforderte.6 Mit Bestehen der Aufnahmeprüfung wurde Baudissin 1938 zur Generalsstabausbildung an die Kriegsakademie in Berlin versetzt, deren Aufgabe darin bestand, »die ›nach Charakter und Begabung, Wissen und Kennen besonders‹ hervortretenden Offiziere zu Gehilfen der höheren Führung heranzubilden und ihnen gleichzeitig die Grundlagen für ihre Weiterbildung zum höheren Truppenführer zu vermitteln.«7 Die Führergehilfenausbildung Baudissins erfuhr mit Kriegsbeginn jedoch eine vorzeitige Beendigung. Inzwischen Hauptmann, wurde er als Dritter Generalstabsoffizier (Ic) zur 58. Infanteriedivision an den Westwall versetzt8 und nahm am Frankreichfeldzug teil, in dessen Verlauf Baudissin das Eiserne Kreuz II. und I. Klasse verliehen bekam. Wenige Monate nach seinem Dienstantritt als Ic des II. Armeekorps erfolgte seine Versetzung in den Generalstab unter Verbleib in der bisherigen Stellung. Im März 1941 flog Baudissin nach Libyen, um dort seinen Dienst als Ic des Deutschen Afrikakorps unter Generalleutnant Erwin Rommel anzutreten, geriet aber bereits am 4. April im Verlauf eines Aufklärungsfluges in britische Kriegsgefangenschaft, die er bis 1947 in Australien verbrachte.9 In der Gefangenschaft 1942 zum Major befördert, nahm er als Lehrender an Abitur- und Hochschulkursen sowie beruflichen Weiterbildungen für die Kriegsgefangenen teil und setzte sich gedanklich mit der Zukunft eines Nachkriegseuropas und -deutschlands auseinander, dessen Wiederaufstieg er nur über das Individuum gewährleistet sah.10 Fernab der im Herbst 1948 beginnenden und sich infolge des am 25. Juni 1950 erfolgten Einmarsches nordkoreanischer Truppen in die Republik Korea ausweitenden Diskussion um einen westdeutschen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas übte Baudissin nach seiner Rückkehr in der Werkstatt seiner Frau, Dagmar Gräfin und Burggräfin zu Dohna-Schlodien, einer bekannten Bildhauerin, das Töpfer handwerk aus. Darüber hinaus hielt er im Auftrag der evangelischen Kirche und der Gewerkschaften Vorträge über Menschenführung. Diese »glückliche[n], produk tive[n] Jahre weitgehender Selbständigkeit«11 unterbrach im September 1950 der überraschende Besuch eines ehemaligen Regimentskameraden, Major a.D. Axel Freiherr von dem Bussche-Streithorst, der Baudissin überredete, an der Experten tagung im Eifelkloster Himmerod teilzunehmen. Baudissin, der zunächst ablehnend auf die Einladung reagiert hatte, reiste »ohne große Zuversicht und ohne konkrete 5 6 7 8 9 10 11
Altrichter war Verfasserdes Buches »Das Wesen der soldatischen Erziehung«. Zu Altrichter siehe die Generale des Heeres, Bd 1, S. 48 f. Förster, Wolf Graf von Baudissin, S. 25. Ebd., S. 26. Der Ic (in der Bundeswehr G 2) war für die Feindlage und das Nachrichtenwesen zuständig. Zu den Umständen seiner Gefangennahme vgl. Förster, Wolf Graf von Baudissin, S. 30 f. Schreiben Baudissin an Gräfin Dohna, 27.7.1946. In: Baudissin/Dohna, ... als wären wir nie getrennt gewesen, S. 126. Baudissin, Abschiedsvorlesung, S. 267.
II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
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Vorstellungen« an den Tagungsort. Diese Skepsis war nicht unbegründet, da Entwürfe, die Denkanstöße hätten geben können, fehlten.12 Hatte die Zusammenkunft im Kloster Himmerod zunächst keine unmittelbaren Konsequenzen für Baudissins Alltag, trat er im Mai 1951 als Leiter des Referats »Inneres Gefüge« der Dienststelle Blank, dem Vorläufer des Bundesministeriums für Verteidigung, bei. Angeworben durch den stellvertretenden Leiter, Ministerialdirigenten Wolfgang Holtz13, tat er dies unter der Devise, dass ein anständiger Mann beim Krach in der Kneipe mitmache14 – das Erleiden eigener Blessuren billigend in Kauf nehmend. Auch Baudissin sollte in den kommenden Jahren seiner Tätigkeit als Leiter der Sektion »Inneres Gefüge« in der Dienststelle Blank von solchen nicht verschont bleiben. Doch von seinem ehemaligen Regimentskameraden am Portepee gefasst, wurde seine »angeborene, selbstverständliche Pflicht [...] geweckt.«15 Mit seiner Anstellung begann die eigentliche Planungsphase des Inneren Gefüges, dessen grundlegende Thesen bereits in Himmerod formuliert worden waren. Dem Drängen von dem Bussche-Streithorsts, sich am Aufbau zukünftiger Streitkräfte zu beteiligen, hatte Baudissin aber nur unter der Bedingung nachgegeben, »den 1819 unvollendet liegengebliebenen Ansatz aufzugreifen und weiterführen zu können«16, in dem die »Armee als eine Schule der staatsbürgerlichen Erziehung« fungieren sollte.17 Infolgedessen strebte er die Implementierung eines Leitbildes vom Soldaten als »Staatsbürger in Uniform« an, dessen Realisierung für ihn das primäre Ziel soldatischer Erziehung darstellte und das als Herzstück in den Mittelpunkt der Inneren Führung rücken sollte.18 Eine erste konzeptionelle Grundlage stellte er im Dezember 1951 auf einer Tagung ehemaliger Soldaten in Hermannsburg nördlich von Celle vor.19 Im Weiteren vertraten Baudissin und seine Mitarbeiter die Ergebnisse ihrer Planungstätigkeit in unzähligen Artikeln, öffentlichen Vorträgen, auf zahlreichen Tagungen, Podiumsdiskussionen sowie in Anhörungen vor dem Ausschuss des Bundestages für Fragen der europäischen Sicherheit, dem Vorläufer des Verteidigungsausschusses. Dennoch gelang es ihnen nicht, die Quintessenz auf dem Weg zum Staatsbürger in Uniform – die
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Ebd. Vgl. Kilian, Elite, S. 364; Krüger, Das Amt Blank, S. 190. Baudissin, Interwiew mit Herrn Reiss. Unveröffentlichtes Manuskript vom 22.8.1984, S. 3. Zit. nach Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 213. Brief Baudissin an Reinhild von Helldorff, 11.4.1943. In: Baudissin/Dohna, ... als wären wir nie getrennt gewesen, S. 28. Will, Freiheit, S. 42. 1819 hatten die sogenannten »Karlsbader Beschlüsse« der preußischen Staatsund Heeresreform ein Ende bereitet. Craig, Die preußisch-deutsche Armee, S. 91. Im Handbuch Innere Führung von 1957 wurde die Innere Führung als Menschenführung definiert und mit der Erziehung im weitesten Sinne gleichgesetzt. Siehe Handbuch Innere Führung, S. 17. Vgl. auch Hartmann, Die Rückkehr, S. 148. Vgl. Baudissin, Soldat, S. 23‑27. In seinen »Richtlinien für die Erziehung 1959/60« bezeichne te Generalinspekteur Heusinger die Erziehung als Kern der Inneren Führung, »die soldatische Menschenführung, Bildung und psychologische Rüstung ist.« Siehe Generalinspekteur der Bundes wehr, Richtlinien für die Erziehung 1959/60, 21.10.1959. In: BArch, N 621/v. Kiste 6, S. 1‑31, hier S. 7. Hervorhebungen im Original.
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Erziehung des Soldaten – allgemein verständlich zu machen. Dies wird nachfolgend darzulegen sein. Trotz genereller Reformbereitschaft hatten sich bereits frühzeitig zwei Fronten in der Diskussion um das Innere Gefüge herausgebildet. So war die Mehrheit der Himmeroder Konferenzteilnehmer »bereit, dem Ruf nach möglichst schneller und effektiver Wiederbewaffnung zur Verhütung bzw. zur wirksamen Verteidigung gegen eine sowjetische Aggression zu folgen [...] Doch konnte kein Zweifel daran bestehen, dass eine schnelle Aufstellung, die primär auf baldige Kriegstüchtigkeit der Streitkräfte zielte, sowohl die Auswahl des Führerkorps wie auch seine Ausbildung im Sinne einer tiefgreifenden Reform negativ beeinflussen musste. Die Eignung ergab sich ohne Federlesen aus ihrer Frontbewährung; die Weiterbildung konnte sich mit Waffentechniken und bündnispolitischen Fragen begnügen. Jede Veränderung früher geltender Normen und Verfahren bedeutete Sand im Getriebe, weil es das Aufstellungstempo und den Elan der Ehemaligen lähmen musste.«20 Im Gegensatz zu dieser 25 Jahre später erfolgten Reflexion Baudissins orientierte er sich an der im Herbst 1950 deklarierten Forderung, Neues zu schaffen, indem er einerseits die Position des Soldaten in den Streitkräften, andererseits deren Verhältnis zur Gesellschaft von Grund auf neu zu definieren suchte und damit in die Fußstapfen Scharnhorsts trat. Baudissin, der unter dem Inneren Gefüge »die Gesamtheit aller Bedingungen und Faktoren, die das Verhältnis des Soldaten untereinander und das Verhältnis der Soldaten zur Gemeinschaft formen«, verstand, strebte ein Integrationsmodell an, in dem der Staatsbürger in Uniform ein guter Soldat, vollwertiger Staatsbürger und freier Mensch zugleich sein sollte. In der drohenden Auseinandersetzung mit dem Totalitären könne nur der vom Wert der Freiheit überzeugte »und handwerklich hochwertige Einzelkämpfer bestehen, der sich aus Einsicht ein- und unterordnet.« Dieser Anspruch setze als Axiom voraus, dass die Streitkräfte keine eigenständige Lebensordnung im Sinne eines »Staates im Staate« bildeten, sondern dem Primat der Politik unterliegen und fest in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der durch diese geprägten Gesellschaft verankert sein sollten. Integriert in die demokratische Lebensordnung der Gemeinschaft, sollte der Soldat – durch einschlägige Gesetze und Vorschriften vor einer Instrumentalisierung und Objektivierung seiner Person geschützt – die freiheitlichen Werte, die es zu verteidigen galt, auch im Dienst erfahren. Gleichsam würde der Staatsbürger in Uniform durch sein aktives Mitwirken Inhalt und Grenzen des Dienstes verantwortlich mitbestimmen und alles vermeiden, was dem Rechtsgedanken und der Würde des Menschen widerspräche, verlöre er hierdurch doch gerade das, was er als verteidigungswert erachtet. Als Beispiel diente Baudissin das Beschwerderecht des Soldaten, das von Konservativen als störend und »unsoldatisch« empfunden wurde. Für ihn war der Beschwerdeführer jedoch »kein lästiger Saboteur«, sondern ein mitverantwortlich Denkender, da durch die Bearbeitung seiner Eingabe Anordnungen und Erfahrungen bestätigt würden oder aber Verbesserungen einträten. Das Erlebnis dieser Werte und die Möglichkeit zur Mitgestaltung verschafften ihm den Anreiz zur Verantwortung, ließen ihn nicht 20
Baudissin, Abschiedsvorlesung, S. 267.
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nur wissen, wofür er kämpfen solle, sondern gäben ihm auch den Willen dazu.21 Baudissins Bild vom Staatsbürger in Uniform ist also das eines »politisch aktiven, in die Gesellschaft integrierten, mündigen Soldaten, der die gesetzliche Pflicht des Wehrdienstes als Teil seiner politischen Verantwortung freiwillig übernimmt.«22 Staatsbürger zu sein bedeutete für ihn Dienst an der Gemeinschaft aus innerer Bindung an deren sittliche Ordnung und aus Verantwortung ihr gegenüber: Denn »Freiheit ist ja ohne Bindung nicht denkbar; sie führt in die Anarchie. Bindung ohne Freiheit bringt die Tyrannei. Es ist unbestreitbar, dass nur derjenige, der in einem höheren Sinn gebunden und wirklich frei ist für Verantwortung in Tun und Denken, glaubwürdig und zuverlässig ist.«23 Für Staatsbürger, die aus »einer existentiell empfundenen Verantwortung für das Gemeinwesen«24 gemeinsam »Waffendienst tun, kann es [zudem] kein Verhältnis mehr wie zwischen Unmündigen und Vorgesetzten oder das Verhältnis zum ›Kampfmittel‹ geben; sondern es sind hier eindeutig Partner in verschiedener Funktion mit gleicher Würde aus gleicher Verantwortung [...] Auch kann unter Staatsbürgern der Vorgesetzte weder ein Halbgott noch ein Feind sein, und der Kamerad kann kein Spießgeselle sein, mit dem zusammen alles zu tun gerechtfertigt ist.«25 Eine besondere Stellung nimmt bei Baudissin der Soldat gegenüber dem Krieg ein, denn dieser könne in seiner Totalität kein Feld ersehnter Bewährung mehr sein, wo Mannestugenden geweckt und betätigt werden. Die Erziehung eines noch von Ernst Jünger26 propagierten Kriegertypus, der »seine höchste Freiheit im Untergang zu sehen« vermochte27, war unzeitgemäß geworden. Im Gegenteil: Wo es um die letzte Verteidigung der Existenz geht, hat der Soldat mitzuhelfen, »diesen Krieg durch einen Höchstgrad abwehrbereiter Kriegstüchtigkeit zu verhüten.« Im Notfall jedoch wird derjenige, der fest in die demokratische Gemeinschaft integriert ist, aus eigenem Erfahren ihrer Werte und der daraus resultierenden Verantwortung seinen Mitmenschen gegenüber wissen, was er zu verteidigen hat, und hierfür auch sein Leben in die Waagschale werfen. Die Heroisierung des Todes auf dem Schlachtfeld, eine Erziehung zum Sterben hatte hier keinen Platz mehr!28 Von Baudissin nicht als abstrakt-utopisches Ideal, sondern als Wertmaßstab für Erziehung, Selbsterziehung und Bildung des Soldaten auf dem Weg zum Staatsbürger in Uniform entworfen, wurde dieses auf Freiheit, Verantwortung und Gleichwertigkeit beruhende soldatische Leitbild zweifach abgesichert: einerseits durch die Gesetze und Vorschriften, was eine Verrechtlichung des Soldatenberufs zur Folge hatte29, andererseits durch die Aus- und fortlaufende Weiterbildung der militärischen Führer.30 Baudissins Konzeption zeigte einen neuen Weg in Menschenführung und Erziehung 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Vgl. Baudissin, Soldat, S. 207, 42, 206, Zitate S. 151, 25. Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 217. Baudissin, Soldat, S. 206. Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 219. Baudissin, Soldat, S. 207. Zur Biographie Jüngers vgl. Kiesel, Ernst Jünger. Jünger, Der Arbeiter, S. 37 f. Vgl. Baudissin, Soldat, S. 153, Zitat S. 208. Vgl. hierzu ausführlich Nägler, Der gewollte Soldat, S. 133‑235. Vgl. Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 218.
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auf, der keineswegs den Realitäten in den pädagogischen Feldern Elternhaus, Schule und Betrieb in den 1950er-Jahren entsprach.31 Gemäß den Umfrageergebnissen galt das Militär eher als Hort konservativen Beharrens, doch im Rahmen seiner Vortragstätigkeit über Menschenführung im Bergbau hatte Baudissin erkannt, »wie sehr die Qualität der Menschenführung und das Betriebsklima von der permanenten Weiterbildung des Führungspersonals abhängt.«32 Nur durch dessen Identifikation mit den Prinzipien des auf neuem Fundament stehenden Inneren Gefüges konnte diesem Erfolg beschieden sein. Hier musste insbesondere auf die ehemaligen Angehörigen von Reichswehr und Wehr macht prägend eingewirkt werden. Zur Umsetzung seines Leitbildes eines »neuen« Soldatentyps, der sowohl im zeitgemäßen Kriegsbild des totalen, atomaren Krieges bestehen konnte als auch fest in die demokratische Lebens- und Gesellschaftsordnung integriert war, sah sich Baudissin gezwungen, eine Militärpädagogik in Theorie und Praxis zu begründen, die – basierend auf dem Integrationsgedanken – in die Allgemeine Pädagogik eingebunden sein musste.33 In militärischen Kreisen sollte dieses zum Teil als Ideal vorstellung des Soldaten interpretierte Konzept bereits von Anbeginn nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf Kritik, Ablehnung und – insbesondere hinsichtlich des Erziehungsverständnisses Baudissins – auch auf Unverständnis stoßen. War der traditionelle Erziehungsbegriff an den umfassenden Herrschaftsanspruch des Vorgesetzten über die Persönlichkeitsentwicklung des Soldaten gebunden, wollte Baudissin die Erziehung auf eine indirekte Erziehung begrenzt wissen.34 Die Armee stellte für ihn keine primäre Erziehungsinstitution dar – als »Schule der Nation« sei sie überfordert und stünde im Gegensatz zur demokratischen Lebensordnung. Vielmehr entfalte sie durch ihr Dasein und die ihr übertragene Aufgabe eine indirekte erzieherische Wirkung.35 Insbesondere habe sie »nicht zu so vordergründig verstandenen Tugenden wie z.B. ›Sauberkeit‹ und ›Ordnung‹« um ihrer selbst willen zu erziehen.36 Die in den »Leitsätzen für die Erziehung des Soldaten« dennoch geforderte Erziehung eben hierzu37 dürfte nicht im Widerspruch zur Grundauffassung 31
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Das körperliche Züchtigung von Kindern durch ihre Eltern wurde erst im Jahre 2000 verboten: »Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Ver letzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.« Siehe »Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung« vom 2.11.2000. In: BGBl, T. I, S. 1479. Im Schulwesen wurde das Züchtigungsverbot zunächst in den Schulordnungen der Lehranstalten verankert, die landesgesetzliche Festschreibung erfolgte bis 1973, Ausnahme Bayern 1983. Die DDR hatte die körperliche Züchtung der Schüler durch Lehrer bereits 1949 verboten. Zu den Erziehungsmethoden in konfessionell geführten Kinder- und Jugenderziehungsheimen bis in die 1970er-Jahre vgl. Wensierski, Schläge. Baudissin, Abschiedsvorlesung, S. 265. Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich auf die Arbeiten Hartmanns, der sich in seiner Dissertation umfassend mit dem Erziehungsbegriff im deutschen Militär auseinandergesetzt hat. Vgl. Hartmann, Erziehung. Eine gestraffte Konzentration auf den Erziehungsbegriff im Sinne Baudissins bietet Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 218‑224. Vgl. ebd., S. 219. Vgl. Baudissin, Soldat, S. 36, 233. Ebd., S. 36. Siehe ZDv 11/1, Leitsätze für die Erziehung des Soldaten, S. 14.
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Baudissins stehen, folgt sie doch den funktionalen Erfordernissen der soldatischen Gemeinschaft und Disziplin und nicht mehr dem Verlangen nach einer innenpolitisch angestrebten Korrektur verfehlter oder versäumter ziviler Erziehung zum gehorsamen Untertanen. Forderte die traditionelle Erziehung eine direkte, auf das Innere der Person zielende pädagogische Intervention,38 stellte Baudissins Konzeption die Gestaltung der Rahmenbedingungen des militärischen Dienstes in den Vordergrund pädagogischen Handelns. Diese Rahmenbedingungen – soldatische Ordnung und militärische Aufgaben – sollten vom Vorgesetzten so gestaltet werden, dass die Soldaten im und durch den Dienst Verantwortung erleben und infolgedessen die Bedeutung von Vertrauen, Pflicht, Gehorsam, Disziplin und Kameradschaft erkennen konnten: »Das Ziel der Erziehung ist der freie und selbstbewusste Mensch innerhalb der soldatischen Gemeinschaft, in der er aus Einsicht bewusst Pflichten auf sich nimmt.«39 Hierzu war dem Soldaten ein maximaler Raum an Freiheit zu gewähren, um die Bedingungen zur Bewährung in der Mitverantwortung zu schaffen. Sollte der Wehrdienst als Ort staatsbürgerlicher Verantwortung legitimiert werden, erforderte dies die Anerkennung der Selbstverantwortung des Soldaten für seine Persönlichkeitsentwicklung.40 Mit dieser Förderung der Persönlichkeit des Soldaten begründete Baudissin den Erziehungsauftrag und forderte vom Vorgesetzten eine pädagogisch-systematische Vorgehensweise. Sie hätte dem Soldaten zunächst den Zweck der Aufgabe zu verdeutlichen, zu deren Erfüllung er aus Einsicht in die Notwendigkeit und aus Verantwortung sich und anderen gegenüber im Rahmen der ihm gewährten Freiheiten beitrug. Dabei stand die militärische Auftragserfüllung durch den hierzu mit der notwendigen Amtsautorität ausgestatteten Vorgesetzten außer Frage. Nicht das Ob, sondern das Wie der Auftragserfüllung stand und steht im Zentrum der Inneren Führung. Die Methodik der Auftragsdurchführung war also durch den Erziehungsauftrag bestimmt: »In dieser Hinsicht, nicht jedoch bezüglich der Auftragserfüllung, besitzt Erziehung das Primat vor Führung und Ausbildung.«41 Besonders deutlich wird dieser Vorzug anhand der »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten«, in denen es heißt: »Sittliche, geistige und seelische Kräfte bestimmen, mehr noch als fachliches Können, den Wert des Soldaten in Frieden und Krieg. Diese Kräfte zu entwickeln, ist Aufgabe der soldatischen Erziehung.«42 Die hierzu notwendigen Anforderungen an den Vorgesetzten werden durch den bei Baudissin im Schatten des Erziehungsbegriffes stehenden Bildungsbegriff beschrieben. Die Vorgesetzten müssen politisch und pädagogisch gebildet sein, um ihre Aufgaben im Erziehungsprozess wahrnehmen zu können. Dem Vorgesetzten obliege es, die indirekte Erziehung durch Gewährung des hierfür notwendigen Rahmens sicherzustellen und das Erlebte und Erfahrene bewusst werden zu lassen, während die Aufgabe des Soldaten darin bestehe, in den Prozess der Selbsterziehung überzuleiten. Hierzu 38 39 40 41 42
Vgl. Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 219. Baudissin, Soldat, S. 147. Vgl. Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 219. Ebd. Hervorhebung durch den Verfasser. ZDv 11/1, Leitsätze für die Erziehung des Soldaten, S. 8.
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solle der Soldat einerseits von seinem Vorgesetzten angeregt werden, andererseits resultiere die hohe Bedeutung, die Baudissin der Selbsterziehung beimaß, unmittelbar aus dem Leitbild des »Staatsbürgers in Uniform« selbst: »Sinnvermittlung durch Vorgesetzte wird dementsprechend ersetzt durch dienstgradübergreifende gemeinsame Sinnermittlung.«43
2. Staatsbürgerliche Erziehung Baudissin war sich sehr wohl bewusst, dass die in absehbarer Zeit in die Kaserne strömenden jungen Männer – zunächst freiwillig Wehrdienst Leistende, ab 1957 Wehrpflichtige wie Berufssoldaten – keine Staatsbürger in seinem Sinne sein konnten. Um ihre militärische Aufgabe erfüllen zu können, müssten sie dies aber in der Kaserne werden, denn ansonsten würden ihnen Sinn und Grenzen des Dienstes verschlossen bleiben. Ohne die von ihm geforderte staatsbürgerliche Bindung wären sie lediglich Landsknechte: »Werkzeuge jedes Regimes oder Techniker der Gewalt ohne Gewissen«, ohne »Glaubwürdigkeit gegenüber der staatlichen Gemeinschaft, die sie schützen sollen.« Methodisch käme es darauf an, »die Urteilskraft zu fördern und den einzelnen zum Denken zu erziehen; jedoch nicht für eine bestimmte Denkrichtung zu ›schulen‹ oder ihm bestimmte Gedanken ›einzutrichtern‹. Vielmehr gilt es, Vorurteile und Ressentiments abzubauen durch sachliche Ausbreitung der Tatsachen. Dem Soldaten ist vor allem klar zu machen, dass er nicht nur Objekt ist, ohne jede Möglichkeit des Widerstandes oder der Einflussnahme, sondern dass er eine ganze Reihe von legalen Chancen hat, an der Gestaltung des Gemeinschaftslebens mitzuwirken.«44 Hierzu sollten nicht nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die das Leben in der Truppe und die Mitbestimmungsrechte des Soldaten regelten, sondern auch der 1956 im Soldatengesetz verankerte Staatsbürgerliche Unterricht45 dienen. Zur Vermittlung der Grundlagen des demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und weiterer Themen wie Militärgeschichte, NATO, Kommunismus, Wirtschaft, Gesellschaft und interne Bundeswehrfragen stand den Vorgesetzten eine »Sammlung der Unterrichtsbeispiele«46 sowie die bundeswehr internen Veröffentlichungen »Information für die Truppe«, »Schicksalsfragen der 43 44 45
46
Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 221. Hervorhebungen im Original. Vgl. Baudissin, Soldat, S. 256 f. § 33 Soldatengesetz: »(1) Die Soldaten erhalten staatsbürgerlichen und völkerrechtlichen Unterricht. Der für den Unterricht verantwortliche Vorgesetzte darf die Behandlung politischer Fragen nicht auf die Darlegung einer einseitigen Meinung beschränken. Das Gesamtbild des Unterrichts ist so zu gestalten, dass die Soldaten nicht zugunsten oder zuungunsten einer politischen Richtung beeinflusst werden. (2) Die Soldaten sind über ihre staatsbürgerlichen und völkerrechtlichen Pflichten und Rechte im Frieden und im Kriege zu unterrichten.« BGBl. 1956, T. I, S. 119. Vgl. hierzu Balke, Politische Erziehung, S. 121‑129. Hierbei handelt es sich um knapp gehaltene Gliederungen des Unterrichtstoffs, die dem Vorgesetzten die Unterrichtsvorbereitung in Form eines »roten Fadens« erleichtern sollten. Da der Lehrstoff des jeweiligen Themas (z.B. »Untergang der Weimarer Republik«, »Nationalsozialismus«, »Entstehung der Bundesrepublik Deutschland«) nur in Stichworten zur Verfügung stand, blieb eine eigene Vorbereitung der Informationsstunde durch den Vorgesetzten erforderlich. Vgl. ebd., S. 122.
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Gegenwart« und die »Schriftenreihe Innere Führung« als Lehrmaterialen zur Ver fügung. Auch zum Selbststudium angeboten und geeignet, konnten diese Unterlagen vom Unterrichtenden durch das Angebot anderer staatlicher Veröffentlichungen, wie die Zeitung »Das Parlament« oder die »Staatsbürgerlichen Informationen«, ab 1963 »Informationen zur politischen Bildung«, ergänzt werden.47 Die Hinzuziehung weiterer Materialen und die Gestaltung des Unterrichts blieb dem Vorgesetzten anheimgestellt. Als wertvolle Hilfe für die Bildung eines staatsbürgerlichen Bewusst seins beurteilte Baudissin die Heranziehung von Arbeitsergebnissen freiwilliger »Ar beitsgemeinschaften besonders Interessierter [...] für den Unterricht, [die] Bericht erstattung über bestimmte Problemkreise durch Fachleute aller Art, [die] Anknüpfung des Gespräches an Film, Radio oder Fernsehsendungen, Zeitungsschauen und dergleichen. Ausschlaggebend für den Erfolg wird sein, ob es gelingt, dem Soldaten die Erkenntnis zu vermitteln, dass die jeweils betrachteten Problem keine ›abstrakten Schulaufgaben‹ darstellen, sondern ihn höchst persönlich betreffen und ihn darüber hinaus erleben zu lassen, dass jede Diskussion – auch die mit Andersdenkenden – eine Erweiterung des eigenen Blickfeldes und damit einen Gewinn bedeutet.« Der Unterricht müsse den Pluralismus der Demokratie berücksichtigen und als Tatsache akzeptieren, denn jeder »Versuch, bestimmte Denkrichtungen und Standpunkte als die allein möglichen hinzustellen, muss den Widerstand der Andersdenkenden herausfordern und zu Spaltungen führen.« Der Erzieher habe die Grenzen sittlicher und politischer Toleranz zwar klar zu benennen, doch müsse er der Versuchung widerstehen, »in allzu bequeme Ideologisierung oder Fanatismus auszuweichen.«48 Die Durchführung des Staatsbürgerlichen Unterrichtes sah Baudissin ausschließlich in den Händen der verantwortlichen militärischen Erzieher. Nur die Einheits führer und Kommandeure seien in der Lage, »den Zusammenhang von Erlebnis [Dienst] und Deutung [Unterricht], von Lehre und Leben« herzustellen und somit den ganzen Menschen anzusprechen. Denn nur derjenige, »der die Erlebnistherapie durch Ansatz und Durchführung des Dienstes leitet, ist allein zur Deutung fähig und berechtigt.« Es dürfe kein Dualismus entstehen »zwischen einem Soldaten, der taktisch, und einem anderen, der politisch führt, oder einem Soldaten, der taktischhandwerklich ausbildet, und einem Zivilisten, der politisch erzieht. Es darf nicht wieder das politische Moment aus dem soldatischen Bereich ausgeklammert wer47
48
Zur Entstehung und Wirkung der Lehrmaterialen vgl. ausführlich Nägler, Der gewollte Soldat, S. 235‑268. Bei der »Information für die Truppe« handelte es sich um eine noch heute monatlich erscheinende Zeitschrift, deren Themeninhalte sich im dargestellten Zeitraum nach »Auslandskunde«, »Geschichte«, »Staatsbürgerkunde«, »Wehrkunde« und »Deutsche Fragen« gliederten. Vgl. ebd., S. 248‑260; Balke, Politische Erziehung, S. 129‑153. Die »Schicksalsfragen der Gegenwart« benennen ein sechsbändiges Reihenwerk, das sich anhand von Aufsätzen zu zeitgeschichtlichen, politischen, kulturellen und militärgeschichtlichen Themen vorrangig an den Offizier wandte. Siehe Schicksalsfragen. Hierzu auch Nägler, Der gewollte Soldat, S. 246 f., 260‑264. Die »Schriftenreihe Innere Führung« unterteilte sich zunächst in die Reihen »Bolschewismus«, »Bundesrepublik«, »Erziehung« und »Soldatische Ordnung«. Vgl. ebd., S. 246, 264‑268. Als weitere Reihen erschienen »Politische Bildung«, »Führungshilfen«, »Wehrsoziologische Studien« »Wehrrecht«, »Soldatische Ordnung«, »Bildung«, »Ausbildung und Bildung«, »Staatsbürgerliche Bildung«, »Bundesrepublik – Freie Welt«, »Psychologische Waffen« sowie »Beiträge zur Zeitgeschichte und Geschichte.« Baudissin, Soldat, S. 256.
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den, sondern der militärische Erzieher und Führer muss sich mit dem identifizieren, was er notfalls mit seinen Untergebenen zusammen verteidigen soll. Eine abstrakte und lediglich emotionale Loyalität [...] wäre für den Führenden in dieser totalen Auseinandersetzung nicht genügend tragfähig.« Die von seinen Kritikern oft prophezeite pädagogische Überforderung des Vorgesetzten befürchtete Baudissin nicht, da »das Schwergewicht der gesamten staatsbürgerlichen Bildung und Erziehung im Dienste liegt und [...] der Unterricht nur einen Teil der Arbeit ausmacht.«49 Infolge dessen wurde auch die Einrichtung einer Hierarchie von Erziehungsoffizieren verworfen, die den Truppenführer in der staatsbürgerlichen Erziehung seiner Soldaten unterstützen oder ganz ersetzen sollten.50 Getragen wurde diese Entscheidung auch durch politische Vertreter wie den CDU-Politiker Georg Kliesing51, für den jegliche nationalsozialistische Methoden politischer Bildungsarbeit so sehr vom Charakter der Diktatur bestimmt waren, das deren »Übernahme für die Aufgaben der Demokratie« nicht in Frage kämen. Es sei daher »völlig verfehlt, irgendwie, sei es auch nur in methodischen Fragen, Anschluss an die Art der politischen Wehrmachtsbetreuung« der nationalsozialistischen Diktatur zu suchen. Dies sei nicht allein wegen ihrer ideologischen Inhalte und Methoden geboten52, sondern weil deren Maßnahmen für »die Erziehung des Soldaten zum selbstbewussten und verantwortungsbereiten Staatsbürger« keinesfalls geeignet seien.53 Es möge »zwar dem einen oder anderen oberflächlichen Beurteiler verlockend erscheinen, an die Stelle des N.S.F.O [Nationalsozialistischer Führungsoffizier]54, den demokratischen Bildungsoffizier zu setzen, bez[ziehungs]w[eise] statt nat[ional]soz[ialisitsche] Gesinnung jetzt ›demokratische Haltung‹ zu fordern, weil damit das ebenso schwierige wie wichtige Problem der Dienstgestaltung schnell und einfach gelöst wäre.« Man müsse aber bedenken, »dass Belehrung, die im Geiste soldatischer Disziplin aufgenommen wird, nicht dazu beitragen kann, aus den Hörern selbstbewusste Bürger eines demokratischen Staates zu bilden.«55 Kliesing forderte daher das Beschreiten neuer Wege, die dem Soldaten nicht ausschließlich staatsbürgerliches Wissen vermitteln dürften, denn der Ansatz, die politische Schulung als alleiniges »Kernstück der politischen Erziehung und Bildung« anzusehen, greife zu 49 50 51 52 53 54
55
Ebd., S. 257. Siehe Schreiben Baudissin an Berger, 8.10.1951, BArch, N 717/19; Schreiben Karst an Mecyn, 15.8.1952, BArch, N 717/49; Schreiben Weniger an Baudissin, 12.1.1954, BArch, N 717/67. Zu Kliesing siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 428. Siehe Inhaltsprotokoll über den Ausschuss »Verteidigungsfragen« der Jungen Union Deutschlands am 15.6.1952, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 25‑32, hier Bl. 26, Zitat ebd. Ebd., Bl. 25. Der Nationalsozialistische Führungsoffizier wurde durch einen Befehl Hitlers vom 22.12.1943 in der Wehrmacht eingeführt. Er war als Sachbearbeiter des Truppenführers für die politisch-weltanschauliche Ausrichtung und die nationalsozialistische Erziehung der Truppe verantwortlich. Er unterstand dem Truppenführer und unterschied sich damit vom Politischen Kommissar der Sowjetarmee, der anfangs des Krieges selbstständig agierte. Vgl. Besson, Zur Geschichte, Kunz, Wehrmacht, S. 241. Ausführlich zum NSFO Förster, Geistige Kriegführung, S. 590‑601, Förster, Weltanschauung. Inhaltsprotokoll über den Ausschuss »Verteidigungsfragen« der Jungen Union Deutschlands am 15.6.1952, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 26.
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kurz. Vielmehr müsse der »ganze Mensch« im Mittelpunkt stehen, »der den freien Staatsbürger in sich begreift und der als Person deshalb auch – und gerade! – in der Wehrmacht der drohenden Gefahr der Vermassung entrissen werden« müsse.56 Ganz auf der Linie von Baudissins Konzept einer Gesamterziehung des Soldaten argumentierend, sei die »Heranbildung des vollwertigen Staatsbürgers der Demokratie durch die Wehrmacht« in erster Linie kein Unterrichtsgegenstand, »sondern vielmehr allumfassendes Bildungsprinzip.«57 Welche Schwierigkeit die Umsetzung dieser Forderung noch anderthalb Jahrzehnte nach ihrer Artikulation bereitete, wird im Jahresbericht des Wehrbeauftragten deutlich, der 1967 forderte, im staatsbürgerlichen Unterricht weniger über die formalen Kriterien der Demokratie zu dozieren, sondern die Diskussion anzuregen. Das Wissen um das formale Funktionieren der Demokratie mache noch keinen Staatsbürger. Vielmehr käme es darauf an, dem Soldat das Wesen der Demokratie durch eigenes Erlebnis so nahe zu bringen, dass er diese Staatsform als die beste anerkennt und sich in ihr und für sie engagiert.58 Auch der ehemalige Wehrmachtgeneral Erich Dethleffsen hatte 1953 die Bedeu tung einer politischen Erziehung für den Wehrwillen betont, der sich keineswegs im Zuge der Rekrutierungen automatisch einstellen werde. Dieser sei auch nicht allein »durch Kasernen-Abendstunden, Tagesfragenunterrichtung der Einheitsführer, gelegentliche Vorträge und Schulungsbriefe« zu gewährleisten. Stattdessen müsse die politische Erziehung, »die gesamte Ausbildung des künftigen Soldaten gleichmäßig durchdringen. Sie muss in der Hand des für die Erziehung verantwortlichen Vorgesetzten liegen und im Rahmen des täglichen Dienstes erfolgen« und dürfe von der Truppe keineswegs »als etwas ihr von außenher Aufgezwungenes empfunden werden.«59 Da Erziehung für den engsten pädagogischen Berater Baudissins und der Dienst stelle, Erich Weniger, zugleich auch immer politische Erziehung war,60 hatte er bereits 1951 im Nachwort seiner neu aufgelegten, 1929 erstmalig erschienenen Schrift »Zur Frage der Staatsbürgerlichen Bildung« die politische Bildung für jeden Staatsbürger gefordert.61 Zuvor hatte er eine Trennung zwischen der politischen Bildung, die er nur für diejenigen als notwendig erachtete, die im eigentlichen Sinne politisch tätig seien, und der staatsbürgerlichen Erziehung befürwortet. Die bitteren Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte hätten jedoch gelehrt, dass die politische Freiheit des Einzelnen nur durch die politische Partizipation des Volkes an der Herrschaft gesichert werden könne. Es reiche nicht aus, sich auf das Ausüben seines Wahlrechtes und das richtige Verhalten gegenüber dem Staat und seiner Repräsentanten zu beschränken, vielmehr müsse jeder »in seinem Bereich aktiv politische Verantwortung
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Ebd., Bl. 27. Hervorhebung im Original. Ebd. Siehe BT, 5. WP, Drs. V/1825, Bericht des Wehrbeauftragten des deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1966 vom 31.5.1967, S. 11. Im Weiteren Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1959 ff. Vgl. hierzu auch Balke, Politische Erziehung, S. 338‑340. Dethleffsen/Helfer, Soldatische Existenz, S. 40. Vgl. Schwenk, Erich Weniger, S. 27. Vgl. Weniger, Zur Frage.
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auf sich nehmen.«62 Folglich hatte er seinen Vorschlägen für die »Leitsätze der Erziehung«63 einen vierten Abschnitt beigefügt, der die politische Bildung und den staatsbürgerlichen Unterricht des zukünftigen Soldaten thematisierte.64 Um zu gewährleisten, dass der junge Mann bereits mit einem politischen Ver ständnis in die Streitkräfte eintritt, rief er deren zukünftige Führung hierin dazu auf, den Anspruch zu erheben, »dass dem Eintritt in den Waffendienst bereits eine sachgemäße und gründliche politische Erziehung und Bildung im demokratischen und europäischen Sinne in den Schulen aller Arten und Stufen, in den politischen Gruppen und Jugendvereinigungen, in den freien Verbänden und Institutionen vorausgegangen«65 sein müsse. Auch als Soldat sei der junge Mann ein Bürger und habe das Recht auf die Deutung dieses neuen Erfahrungsbereiches Militär. Infolgedessen müsse die politische Bildung auch in dem neuen Lebenskreis der Streitkräfte fortgesetzt werden. Die Verantwortung hierfür liege in der Hand des militärischen Führers, da die politische Erziehung einen Bestandteil in der Gesamterziehung des Soldaten darstelle. Unterstützung könne er auf diesem Feld durch Offiziere und Soldaten erfahren, die hierzu gemäß ihrer Vorbildung und Erfahrung, aber unabhängig von ihrem Dienstgrad, in der Lage seien. Gleichfalls spräche nichts dagegen, Persönlichkeiten des politischen Lebens und der Wissenschaft hinzuzuziehen. Die Lebensformen der Truppe selbst, hob Weniger, ganz im Einklang mit dem Konzept der Inneren Führung, hervor, würden jedoch den entscheidenden Anteil an der staatsbürgerlichen Erziehung bilden. Im Hinblick darauf sei es wichtig, »dass der Dienst in der Truppe nicht dem Geist und der Gesinnung widerspricht, um deretwillen [sic!] die europäische Verteidigung eingesetzt wird und vor allem, dass kein Widerspruch zwischen dem Leben in der Truppe und der im politischen Unterricht dargebotenen Lehre aufkommt. Die beste politische Erziehung der Truppe vollzieht sich im Leben der Truppe selber durch den Geist, die Gesinnung, die Umgangsformen und auch die Formen der Ausbildung, die in der Truppe gelten, und ferner durch die menschliche Haltung und das Vorbild der Vorgesetzten, nicht zuletzt aber auch durch den Ernst und die Wahrhaftigkeit, mit der die militärische Führung ihre politische Verantwortung auf sich nimmt.«66 Dem politischen Unterricht wies er die Aufgabe zu, dem Soldaten die demokratische Grundordnung, die Rechte und Pflichten des Bürgers und die übernationalen Verpflichtungen Deutschlands zu vermitteln sowie die Aufgabe und Stellung der Streitkräfte als Teil der demokratischen Gesellschaftsform in Deutschland und Europa verständlich zu machen. Dabei müsse der Gefahr begegnet werden, die Inhalte des Unterrichtes und deren Vermittlung auf das geistige Niveau des »dümmsten Rekruten« als kleinsten gemein-
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Vgl. Schwenk, Erich Weniger, S. 28, Zitat ebd. Für Schwenk stellte diese Korrektur den letzten entscheidenden Schritt Wenigers zur Demokratie dar. Siehe Prof. Dr. Erich Weniger, Vorschläge für eine andere Fassung und Anordnung der »Leitsätze für Erziehung«, BArch, BW 2/731, S. 1‑6. Prof. Dr. Erich Weniger, Vorschlag für Leitsätze, IV. Politische Bildung und staatsbürgerlicher Unterricht, BArch, BW 9/3569, Bl. 99 f. Ebd., Bl. 99. Ebd., Bl. 99 f.
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samen Nenner zu reduzieren. Stattdessen sollten sie dem jeweiligen Bildungsniveau angepasst werden – eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für den verantwortlichen Vorgesetzten, für die er jedoch auf die »Mitarbeit intelligenter und sachlich vorge bildeter Soldaten« zurückgreifen könne. Um seiner Erziehungsaufgabe gerecht zu werden, sei es aber unerlässlich, dass er selbst »auf die Begegnung mit allen Kräften unseres geistigen und politischen Lebens vorbereitet wird.« Um die Bildungssituation der nicht über einen Volksschulabschluss verfügenden Soldaten zu verbessern, regte Weniger die Einrichtung besonderer Grundkurse nach dem Vorbild des in den britischen und US-amerikanischen Streitkräften angewandten Bildungssystems an.67 Dieser Gedanke sollte in den westdeutschen Streitkräften jedoch keinen Fuß fassen. Deutlich werden die mit der staatsbürgerlichen Erziehung des Soldaten verknüpften Intentionen auch in den Antworten des Amtes Blank auf den Fragenkatalog des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR). An die zukünftigen Adressaten gerichtet, wird die »staatsbürgerliche Haltung« in der ideologischen Auseinandersetzung als militärische Notwendigkeit erachtet. Anknüpfend an das, »was der Soldat aus Elternhaus und Schule mitbringt«, müssten die Streitkräfte an dessen Erziehung zum verantwortungsbewussten Staatsbürger mitwirken. In der Hand des Disziplinarvorgesetzten liegend, müsse sie »in der Gesamterziehung der Truppe verankert sein und darf sich nicht nur auf theoretische Unterrichtung beschränken. Höchste Wirksamkeit hat gerade das allgemeine ›Betriebsklima‹, d.h. der Geist und die Form, in der Ausbildung und Erziehung gehandhabt werden. Die Betreuung von dritten [sic!] mit dieser wichtigen Aufgabe könnte zu Rivalitäten führen und mindestens einen der Erzieher unglaubwürdig machen.«68 Somit wurde auch hier eventuell gehegten Befürchtungen einer Renaissance des NSFO durch die eindeutige Negierung eines eigenständigen »Erziehungsoffiziers« entgegengetreten. Das angestrebte staatsbürgerliche Bewusstsein des Soldaten könne aber nur durch »Erlebnis und Deutung der Gemeinschaft und ihrer Ordnung, ihres verbindenden Wertes und ihrer Abhängigkeit vom Wollen des Einzelnen [wachsen]. In weitgehender Selbstverantwortlichkeit der Stubengemeinschaft, Mitverantwortung im inneren Dienst, Mitverwaltung von Betreuungseinrichtungen, Mitberatung in Kantinen- und Küchenangelegenheiten, Tätigkeiten des Vertrauensmannes, methodischer Pflege der Diskussion im Unterricht und in mannigfaltigen Gelegenheiten der freien Mitarbeit in der Freizeitpflege werden Grunderfahrungen des Zusammenlebens vermittelt, gedeutet und der Einzelne zur Entfaltung seiner besonderen Möglichkeiten angehalten.« Die hierzu notwendigen sowie andere erforderliche politisch-theoretische Grundlagen sollten, »ausgehend von der Verdeutlichung der täglichen Erfahrungen«, durch deren Einbindung in den gesetzlichen und politischen Gesamtzusammenhang
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Siehe ebd., Bl. 100. Zitate ebd. Zu den Bildungseinrichtungen der alliierten Streitkräfte siehe S. 122‑141 in dieser Arbeit. IG/II, Beantwortung des Fragenkatalogs des Deutschen Bundesjugendringes an die Deutsche Dienststelle, 14.8.1953, BArch, BW 9/220, S. 1‑20, hier S. 9 f.; auch in: Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, Anl. 11, S. 153‑166, hier S. 159. Hervorhebungen im Original.
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vermittelt werden. Informationen über tagespolitische, wirtschaftliche und kulturelle Fragen sollten schließlich dazu dienen, sowohl den Blick des Soldaten zu weiten als auch dessen Urteil zu schärfen.69 Die Vertreter des Referates »Inneres Gefüge« blieben ob der kurz- und mittelfristigen Erreichbarkeit ihrer Zielvorstellungen gleichwohl realistisch und wiesen darauf hin, dass der Verwirklichung dieses Vorhabens »in der Aufstellungszeit er hebliche technische Schwierigkeiten durch unvollkommene Unterbringung, Arbeits überlastung und durch Fehlstellen oder die personelle Zusammensetzung der Vor gesetzten entgegenstehen« würden.70 Es war ein Versprechen auf die Zukunft. An der Vergangenheit orientierten Streitkräften im Sinne einer »Schule der Nation« erteilte das Referat in seiner Antwort an den Dachverband der deutschen Jugendverbände hingegen eine klare Absage. Es gelte zwar, alle Anlagen des jungen Menschen auf seinem Weg zum vollwertigen Soldat zu fördern, doch sei ein guter Soldat »nur als freier Mensch denkbar, der sich aus staatsbürgerlichem Bewusstsein ganz in den Dienst der Gemeinschaft« stelle. Es widerspräche »der Aufgabe von Streitkräften eines freien Gemeinwesens, wenn sie sich, statt zu dienen, als die Lehrer der Nation« fühlten. Ein solches Vorhaben würde sie überfordern.71 Thematisiert wurde die staatsbürgerliche Erziehung und Bildung auch vom Leiter des Studien-Bureaus, Josef H. Pfister, der bereits vor seiner Einstellung in das Amt Blank ein umfangreiches Exposé zur politischen Information und zur Erziehung des Soldaten in der EVG angefertigt hatte.72 Demnach sollte die politische Erziehung, von Pfister als Weiterbildung verstanden, sowohl durch Information und Unterricht (als Lehrfach) auf direkte als auch durch »Anwendung bestimmter paedagogischer und psychologischer Methoden auf allen Lebens- und Arbeitsgebieten (als Prinzip)« auf indirekte Weise ausgeübt werden. Hierbei sollte der Unterricht der Unterweisung in die politischen Grundthemen wie Demokratie, Diktatur, Vereinte Nationen, NATO und EVG, der Nachbarschaftskunde über die Mitglieder EVG und der NATO sowie ihrer Gegner und der Einweisung in die europäische Geschichte dienen.73 Der von Pfister in die Kategorien »allgemein« und »aktuell« unterteilten Information wurde die Aufgabe zugewiesen, »der Truppe die Kenntnis der militärischen und politischen Tatsachen und Ereignisse laufend zu vermitteln, die der einzelne braucht, um seine Verantwortung als Soldat und Staatsbürger zu kennen, zu verstehen und
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Siehe IG/II, Beantwortung des Fragenkatalogs des Deutschen Bundesjugendringes an die Deutsche Dienststelle, 14.8.1953, BArch, BW 9/220, S. 10; Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, Anl. 11, S. 159. Ebd., S. 11, S. 159. Ebd., S. 11, S. 159 f. Siehe J.H. Pfister, Exposé Information und Erziehung in der EVG, August 1952, BArch, BW 9/1573, Bl. 263‑272. Der Adressat ist nicht bekannt. Als Gutachter im Amt Blank fasste Pfister das Exposé wenig später in einem Entwurf zusammen. Ob das Papier im Amt bekannt gemacht wurde, ist nicht nachzuweisen. Siehe J.H. Pfister, Entwurf. Information und Erziehung im Wehrdienst. Disposition, Dezember 1952, BArch, N 621/v. Kiste 21, Mappe I&E in EVG Paris, S. 1‑6. Siehe J.H. Pfister, Exposé Information und Erziehung in der EVG, August 1952, BArch, BW 9/1573, Bl. 268 f. Hervorhebungen im Original.
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anzuerkennen.«74 Ergänzt werden sollte der diesbezügliche Unterricht durch fachkundige Diskussionen und freiwillige Arbeitsgruppen.75 Für die praktische Umsetzung seiner Gedanken initiierte Pfister eine Sachver ständigenkonferenz über die »Information als Mittel der Inneren Führung«, zu der er vorrangig Historiker sowie den ehemaligen Wehrmachtgeneral und Teilnehmer der Himmeroder Tagung Hermann Foertsch eingeladen hatte.76 Als Arbeitsergebnis wurden zunächst fünf, später sechs ständige Arbeitsgruppen für das Gebiet »Information« gebildet, deren Aufgabe in der Erstellung von Lehr unterlagen für die Sachgebiete »Staatsbürgerkunde«, »Geschichte – Wehrgeschichte – Gegenwartkunde«, »Auslandskunde«, »Bolschewismus« und »Aktuelle Information« bestand.77 Die im weiteren Verlauf vom Studien-Bureau und Pfister erstellten Berichte konkretisierten die jeweiligen Themenstellungen und Arbeitsfortschritte.78 Für die »Staatsbürgerkunde« war ein Lehrbuch zu erstellen, das sowohl nationale als auch europäische Aspekte berücksichtigen und in drei Varianten auf die Lerngruppen der Militärakademie, der Offiziere sowie der Unteroffiziere und Mannschaften abgestimmt sein sollte. Hinzu kam die Vorbereitung eines Modelllehrgangs für jede dieser Gruppen. Das Projekt »Geschichte« umfasste den Grundriss einer europäischen Geschichte, das Projekt »Wehrgeschichte« ein Lehr- sowie Wörterbuch zur Europäischen Militärgeschichte und Quellensammlungen zur politischen Neu tra lität der Reichswehr und zur preußischen Heeresreform. Der Arbeitsgruppe 74
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STB, ›Information als Mittel der Inneren Führung‹. Erläuterung des Programms ›Innere Führung‹ (Gedankenskizze), 23.4.1953, BArch, N 621/v. Kiste 13, Ordner Information, 1. Conferenz München, S. 1‑8, hier S. 5. Die allgemeine Information sollte das Verständnis für militärische und politische Grundsatzfragen wecken und vertiefen. Ihr ordnete Pfister auch den Lebens kundlichen Unterricht mit den Themeninhalten »Vaterland, Familie, Treue, Glaube usw.« zu. Die aktuelle Information widmete sich anhand von Wochenschau und Diskussion den tagespolitischen Ereignissen. Siehe II/Pl/G1, Aktennotiz über die Besprechung am 26.5.1954, 28.5.1954, BArch, BW 9/1324a, Bl. 30‑32, hier Bl. 30. Siehe J.H. Pfister, Exposé Information und Erziehung in der EVG, August 1952, BArch, BW 9/1573, Bl. 269. Zur Tagung siehe Studien-Bureau, Bericht über die 1. Sachverständigen-Konferenz ›Information als Mittel der Inneren Führung‹, München 1.‑3.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 13, Ordner Information, 1. Conferenz, München, S. 1‑6; Studien-Bureau, Biographische Notizen über die Teilnehmer der Tagung ›Information der Truppe‹, 1.‑3.5.1953, ebd., S. 1‑4. Angehörige des Referates »Inneres Gefüge« waren weder auf dieser noch auf der Anschlusstagung vertreten. Die Dienststelle wurde durch Oberst a.D. Eberhard Kaulbach und Oberstleutnant i.G. a.D. Werner Drews (»Allgemeine Wehrfragen«) vertreten. Siehe Studien-Bureau, Bericht über die 1. Sachverständigen-Konferenz ›Information als Mittel der Inneren Führung‹, München 1.‑3.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 13, Ordner Information, 1. Conferenz, München, S. 2‑5. Einem Tätigkeitsbericht von 1954 ist die Ausgliederung der »Wehrgeschichte« zu einer eigenen Arbeitsgruppe zu entnehmen. Siehe J.H. Pfister, Tätigkeitsbericht Sep. 52–Dez. 53 und Arbeitsplan 1954, 12.1.1954, BArch, N 6221/v. Kiste 5, S. 1‑14, hier S. 5. Siehe Studien-Bureau, Bericht über die Sachverständigen-Konferenz: ›Staatsbürgerliche und Europäische Erziehung‹, München-Gauting, 12.‑15.11.1953, BArch, BW 9/797, S. 1 f.; StudienBureau, Bericht ›Arbeitstagung für Staatsbürgerliche und Europäische Erziehung‹, Gauting, 12.‑15.11.1953 von G. Fauth und Dr. Th. Ellwein, ebd., S. 4‑8; J.H. Pfister, Tätigkeitsbericht Sep. 52‑Dez. 53 und Arbeitsplan 1954, 12.1.1954, BArch, N 6221/v. Kiste 5, S. 5 f.; StudienBureau, Arbeiten des Studien-Bureaus (STB), 23.11.1954, BArch, N 621/v. Kiste 16, Mappe Arbeiten STB 23-11-54, S. 1‑10, hier S. 4‑7; Studien-Bureau, Notiz, 29.4.955, BArch, N 621/v. Kiste 3, S. 1 f.
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»Auslandskunde« oblag die Vorlage einer Studie über die benachbarten Staaten in Ost und West sowie eines nicht näher definierten »Soldatenführer Ausland«. Das Projekt »Bolschewismus« verfolgte die Erstellung eines Handbuches »über die wissenschaftlichen Grundlagen des Bolschewismus und seine politische Geschichte« und eines ergänzenden Beiheftes. Des Weiteren sollte dieses zunächst durch Foertsch verantwortete Vorhaben das Projekt »Aktuelle Information«, für das zunächst nur eine thematische und organisatorische Planung eines aktuellen Informationsdienstes und die Vorbereitung von Unterlagen in Angriff genommen wurde, ergänzen sowie die »Abwehr der kommunistischen Infiltration in der Truppe« im Rahmen der psychologischen Kriegführung vorbereiten.79 Das Stadium der Realisierung erreichte jedoch keines dieser Projekte. Als Pfister auf Anforderung der Gruppe »Innere Führung« eine Auflistung über den »Stand der Studienprojekte auf dem Gebiet der Allgemeinen Information« übersandte, lag im April 1955 lediglich das »Handbuch der Politischen Information« der Arbeitsgruppe »Staatsbürgerkunde« in einer dritten Fassung vor, das bis Ende Juli fertiggestellt werden sollte. Für die anderen Vorhaben existierten lediglich Dispositionen, deren Fortführung und Abschluss von den noch ausstehenden Bewilligungen der jeweiligen Mittel abhingen; die Arbeitsgruppe »Auslandskunde« hatte die Arbeiten zu ihrem Projekt sogar noch gar nicht aufgenommen.80 Bei Baudissins Stellvertreter Karst sorgten diese Projekte aufgrund der Kompetenzüberschreitungen Pfisters für Unmut. So waren der eigentlich für die staatsbürgerliche Erziehung und Bildung verantwortlichen Gruppe »Innere Führung« zwar die Arbeiten zum »Handbuch der Politischen Information« bekannt, von einem Probelehrgang »Staatsbürgerkunde« hatten die Mitglieder hingegen ebenso wenig Kenntnis wie von einen Handbuch zum Bolschewismus, zudem man hierzu gar keine Aufträge erteilt hatte. Karst wandte sich daher in einem Schreiben, mit dem er auf den Finanzbedarf für diese und andere Projekte reagierte, »entschieden gegen eine derartig isolierte Fortführung von Arbeiten auf dem Gebiet der ›Inneren Führung‹ durch das Studien-Bureau.« Einige der Projekte als »richtig, wichtig und notwendig« anerkennend, müssten sie dennoch als Privatunternehmen aufgefasst werden, da das ausschließlich mit beratender Funktion beauftragte Studien-Bureau zu deren Einleitung und Durchführung ohne vorherige Absprache mit den zuständigen Stellen gar nicht befugt gewesen sei. Ohne klare Zuordnung der Projekte für einen militärischen Zweck sowie Prüfung und Genehmigung durch die militärisch Verantwortlichen für die Innere Führung und die staatsbürgerliche Bildung könne »ein Fortgang der Arbeiten nicht gebilligt werden.«81 79 80
81
Siehe Studien-Bureau, Arbeiten des Studien-Bureaus (STB), 23.11.1954, BArch, N 621/v. Kiste 16, Mappe Arbeiten STB 23-11-54, S. 1‑10, hier S. 4‑7. Siehe Studien-Bureau, Notiz, 29.4.955, BArch, N 621/v. Kiste 3, S. 1 f. Ob das weit fortgeschrittene Handbuch veröffentlicht wurde, konnte nicht ermittelt werden. In den vom BMVg veröffentlichten »Schicksalsfragen« haben Arbeiten der von Pfister berufenen Experten, mit Ausnahme von zwei Wissenschaftlern, keinen Niederschlag gefunden. Ob deren Aufsätze jedoch im Rahmen der Arbeitsgruppenzugehörigkeit entstanden sind, konnte nicht nachvollzogen werden. Vgl. Kämpf, Herrschaft; Stadtmüller, Europäische Ostpolitik. Siehe Schreiben II/1 Gr. 1 an U-Abt. Leiter II/I, 26.7.1955, BArch, N 690/v. 124, S. 1‑4, Zitate S. 3 f.
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Pfister scheiterte letzten Endes auch mit seinem Vorschlag zur Installation eines Truppen-Informations- und Erziehungsoffiziers. Erstmalig hatte er die Aufgaben dieses auf angelsächsischen Vorbildern beruhenden Offiziers in seinem Exposé zur EVG beschrieben. Als zentrale Figur in der militärischen Ausbildung und Führung sollte dieser Offizier den verantwortlichen Kommandeuren sachkundige Hilfe bei der Gesunderhaltung von Geist und Moral der Truppe leisten. Weder politischer Kommissar noch weltanschaulicher Führungsoffizier (NSFO) oder Wehrmacht psychologe, sollte der mindestens im Dienstgrad Hauptmann stehende Offizier, der für diese Aufgabe besonders auszubilden sei, das Informations- und Erziehungspro gramm in den höheren Stäben bis zur Ebene Regiment hauptamtlich bearbeiten. In den Kompanien sollte diese Aufgabe nebenamtlich von geeigneten Offizieren und Mannschaftsdienstgraden unter direkter Verantwortung des Einheitsführers wahrgenommen werden.82 Obwohl das Referat, später Gruppe und Unterabteilung »Innere Führung«, den Erziehungsoffizier auch mit fachpädagogischer Rückendeckung durch Weniger bereits verworfen hatte, rannte Pfister mit seinen Planungen zur Einführung eines Infor mationsoffiziers – der Terminus Erziehungsoffizier fand bei ihm zu diesem Zeitpunkt keine Erwähnung mehr – bei einer diesbezüglichen Besprechung mit Vertretern der Unterabteilung Planung, wenngleich erfolglos, dennoch offene Türen ein. In der Kompanie sei der Kompaniechef für die Durchführung der Information »als Mittel für die politische Erziehung« mit einem Zeitansatz für zwei Wochenstunden verantwortlich.83 In allen vorgesetzten Stäben würde hingegen ein besonders ausgebildeter Informationsoffizier zur Verfügung stehen, der jedoch keiner Sonderlaufbahn angehören sollte. Lägen die Aufgaben des Kommandeurs in der Überwachung, sei der Informationsoffizier »Helfer für die Durchführung der Information in der Truppe« und Berater der Kompaniechefs. Weitere Obliegenheiten seien die Information der Offiziere, die Beschaffung des Informationsmaterials, die Verbindung zur Presse sowie zu zivilen Verbänden.84 Zur Ausbildung der Informationsoffiziere sollte außerdem eine »Schule für den Informationsdienst geschaffen werden, deren Organisation beim Studienbüro liegen müsste.« Die Herren der Abteilung Planung zeigten sich enthusiastisch und versprachen eine eingehende Prüfung durch die Referate Personal und Ausbildung, insbesondere zur Frage der notwendigen Planstellen.85 Dies war ein Beispiel für die zahlreichen, von Heusinger letztendlich geduldeten Versuche Pfisters, seine Kompetenzen und seinen Einfluss im Rahmen des Konzeptes der Inneren Führung innerhalb der Militärischen Abteilung des Amtes Blank auf Kosten der eigentlich verantwortlichen Stellen auszuweiten.86 82 83 84 85
86
Siehe J.H. Pfister, Exposé Information und Erziehung in der EVG, August 1952, BArch, BW 9/1573, Bl. 270 f. Die lebenserfahrenen älteren Unteroffiziere erfahren hingegen keine Berücksichtigung. II/Pl/G1, Aktennotiz über die Besprechung am 26.5.1954, 28.5.1954, BArch, BW 9/1324a, Bl. 30. Hervorhebungen im Original. Vgl. ebd., Bl. 31. Hervorhebung im Original. II/Pl/G1, Aktennotiz über die Besprechung am 26.5.1954, 28.5.1954, BArch, BW 9/1324a, Bl. 32. Hervorhebung im Original. Eine Kenntnis der Gruppe »Innere Führung« von der Besprechung konnte anhand der vorliegenden Akten nicht festgestellt werden. Vertreter der Sektion »Innere Führung« hatten an dieser Besprechung nicht teilgenommen. Auf einer Abschrift dieser Aktennotiz vermerkte Baudissin: »auf Veranlassung des Herrn Abteilungsleiters
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Nach diesen Erörterungen über die Gestaltung einer staatsbürgerlichen Erziehung und Bildung des Soldaten soll der Blick auf die Möglichkeiten ihrer praktischen Umsetzung gerichtet werden. Zum einen überschätzte sowohl der von Weniger erhobene Anspruch einer solchen Erziehungs- und Bildungsarbeit im vormilitärischen Bereich als auch die von Pfister vertretene Auffassung, wonach das Militär nicht primär die Aufgabe besitze, »Staatsbürger zu erziehen, sondern Soldaten, die eigentlich als fertige Staatsbürger [kommen] sollten«87, die staatsbürgerliche Erziehung und politische Bildungsarbeit in Familie und Schule bei weitem. Andererseits beschränkte sich der Mangel an staatsbürgerlicher Erziehung und politischer Bildung aber nicht allein auf die jungen Soldaten, die mit Masse keine Staatsbürger im Sinne Baudissins waren. Dieses Defizit traf, wie die in der neueren Forschung von Frank Pauli ausgewerteten Lehrgangsakten der Schule der Bundeswehr für Innere Führung beweisen, oftmals auch auf deren Vorgesetzte zu – ein Sachverhalt, der trotz aller Absichtserklärungen und Bemühungen nichts Gutes für die Erziehung des Soldaten zum Staatsbürger in Uniform aller Dienstgrade und Altersstufen erwarten ließ88 und die Erziehungsbedürftigkeit sowohl der jüngeren als auch der älteren Soldatengeneration im Verständnis Flitners und Litts widerspiegelt. So hatten die Lehroffiziere der Schule für Innere Führung bereits 1956 einer Reihe von Teilnehmern der Einweisung-, Offizier- und Kommandeurlehrgängen eine »geistige Schwerfälligkeit« bescheinigt. Zudem fehle es zahlreichen kriegsgedienten Offizieren an der notwendigen Allgemeinbildung und der Fähigkeit, analytisch und abstrakt zu denken. Sein Urteil über das sehr unterschiedliche Bildungsniveau der kriegsgedienten Offiziere, das keinesfalls an die Intellektualität der Offiziere in der Reichswehr heranreiche, hielt das Lehrpersonal auch im Verlauf der 1960er-Jahre aufrecht.89 Vorrangig machten die Lehroffiziere die mangelnde Schulbildung für die Misere verantwortlich, denn man dürfe nicht vergessen, dass mit den Einheits- und Teileinheitsführern der Bundeswehr »eine Generation von Offizieren unterrichtet, die in der schlimmsten Zeit des ›Dritten Reiches‹ mit der Verengung des Schulunterrichtes und der Nivellierung der Universität ihre entscheidenden Bildungseindrücke erfahren hat.«90 Noch 1965 zeigte die Auswertung eines Lehrgangs für Kommandeure, dass bereits die Kriegsoffiziere durch eine vom nationalsozialistischen Regime gesteuerte Formationserziehung in ihren sozialen und historischen Anschauungen geprägt worden waren, die sich in unzutreffenden Vorurteilen und Denkmustern offenbarten.91 Bestätigung fanden diese Einschätzungen auch durch die Auswertung der Einheitsführerlehrgänge in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre. Lehrgangsteilnehmer waren Volks- und Kriegsoffiziere sowie die von der Hitlerjugend (HJ) geprägten 87 88 89 90
91
[Heusinger, d.Verf.]«: »aha!« Zit. nach Genschel, Wehrreform, S. 277, Anm. 61. Notizen Pfister, BArch, N 621/v. Kiste 13, Notizen 1. Experten-Conference »Erziehung«, S. 27. Vgl. hierzu ausführlich Pauli, Wehrmachtsoffiziere, S. 284‑306. Vgl. Pauli, Wehrmachtsoffiziere, S. 284 f. Zitat S. 284. Hervorhebungen im Original. Siehe Handakten Brigadegeneral Heinz Karst betreffs »Innere Führung« 1956‑1960. Major Karst: Bericht über Truppenbesuche und Lehrgänge in den Monaten Januar und Februar 1957, 7.3.1957, BArch, BW 2/17.812, S. 12. Zit nach Pauli, Wehrmachtsoffiziere, S. 287. Vgl. Pauli, Wehrmachtsoffiziere, S. 288.
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Offiziere, deren »mangelhafte[n] geschichtliche[n], politische[n] und soziale[n] Kenntnisse« zu »Determinismus, Affekt und unlogischer Argumentation« führten.92 Als weitere Konsequenzen dieser persönlichen Unzulänglichkeiten wurden disziplinare Unsicherheit, mangelnde Diskussionskultur und die Ablehnung der Inneren Führung festgehalten, »denn Soldaten, die ›nur strenge militärische Formen‹ kannten, schlossen vom ›zivilistischen Anstrich‹ auf ›weiche Welle‹.«93 Nach Einschätzung des Lehrpersonals der Schule der Bundeswehr für Innere Führung galten diese »Offiziersgruppierungen zwar grundsätzlich als bildungswillig, nichtsdestoweniger aber als bildungsunfähig.« Bis zu diesem Zeitpunkt, so Pauli in einem Fazit, hatte »die Aus- und Weiterbildung dieser Offiziere in der Bundeswehr [...] nicht den urteilsfähigen, selbständigen und politisch gebildeten Offizier, sondern lediglich den Militärhandwerker, Handlanger und Nur-Soldaten gefördert.«94 Das Lehrpersonal zog daraus die Schlussfolgerung, dass die Mehrheit der betreffenden Offiziere nicht in der Lage sei, die befohlene staatsbürgerliche Erziehung der ihnen anvertrauten Soldaten zu gewährleisten. Dies zeige sich auch in dem inhaltlich und methodisch dilettantisch behandelten Staatsbürgerlichen Unterricht, der mehr Verwirrung als Klarheit stifte.95 Mithin, so Pauli, geriet »der Staatsbürgerliche Unterricht im Rahmen der Psycho logischen Rüstung« zum ersten Opfer der Bildungslücken dieser Offiziere.96 Zu der von den Lehroffizieren konstatierten Bildungsfeindlichkeit der vom nationalsozialistischen Regime und vom Krieg geprägten Offiziere traten organisatorische und materielle Probleme hinzu. Unterrichtsräume fehlten in den ersten Jahren ebenso wie Tafeln, Kreide und andere Ausbildungsmittel. Zudem reichte die eingeplante Zeit für den komplexen und für alle Beteiligten neuen Unterrichtsstoff oftmals nicht aus oder der Unterricht musste gar wegen Zeitmangels entfallen. Darüber hinaus waren Unterrichtshilfen zum Teil nicht bekannt97: »Selbst wenn der unterrichtende Offizier den geistigen Anforderungen des Staatsbürgerlichen Unterrichts gewachsen war, garantierte dies keineswegs einen Lernerfolg bei den Untergebenen: Zum einen hatten die Offiziere aufgrund der großen dienstlichen Belastungen wenig Zeit für eine gewissenhafte Vorbereitung. Zum anderen waren die pädagogisch neuen Unterrichtsformen wie Diskussion, Gruppenselbstarbeit oder offene Aussprache für die Kriegs- und Vorkriegsoffiziere kaum mehr erlernbar. Als Ergebnis der meist 92 93 94 95 96
97
Ebd. Ebd., S. 287. Ebd., S. 288 f. Vgl. ebd., S. 289. Ebd., S. 287. Hervorhebungen im Original. Pauli schränkt jedoch ein, dass die Bildungsdefizite nicht allein mit der zum Teil nur rudimentären Schulbildung erklärt werden könne. Vielmehr offenbare »sich an den von 1956 bis 1965 stereotypen Klagen der Lehroffiziere ein strukturelles Bildungsproblem aller Offiziergruppierungen: Die geistigen Anforderungen an den Offizierberuf waren nach 1945 erheblich gestiegen. Die Aufgaben eines deutschen Offiziers im Kalten Krieg verlangten ein erhebliches Maß an Intellekt, politischem Verständnis, solider Allgemeinbildung und permanenter Weiterbildungsbereitschaft. Bildung musste, wenn sie pädagogisch wertvoll sein sollte, auch in eine Lehre des Handelns münden. Diese pädagogische Forderung erfüllte [...] selbst die (Hoch-)Schuldbildung der Nachkriegszeit nicht, schon gar nicht die der 1920/30er Jahre.« Vgl. ebd., S. 286. Hervorhebungen im Original. Vgl. ebd., S. 290.
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phantasielos und unbeholfen durchgeführten Unterrichtseinheiten, Lehrgespräche und Informationsstunden wurde dann nicht nur in sehr beschränktem Maße staatsbürgerliche Gesinnung ›geweckt‹, sondern der Affront vieler Soldaten zur Politik erst recht gefestigt.«98 Das bis in die 1970er-Jahre konstatierte niedrige Niveau des Staatsbürgerlichen Unterrichtes war laut einem Vortragsmanuskript des Truppenamtes zur Situation der Inneren Führung in der Truppe aber nicht allein den Bildungsdefiziten und der daraus resultierenden Unsicherheit der HJ- und kriegsgeprägten Offiziere geschuldet, denn die Vernachlässigung der staatsbürgerlichen Erziehung und Bildung an den Schulen führte auch bei den jüngeren Soldaten zu unzulänglichen Kenntnissen über die demokratische Staatsform, ihre Prinzipien und deren Repräsentanten.99 Forderungen, dieses Defizit zu beheben, richteten sich indes auch an die Eltern, die zunächst erst selber wieder Staatsbürger werden müssten, um ihre Kinder zu solchen zu erziehen.100 1961 warfen die Lehroffiziere der Schule der Bundeswehr den Wehrpflichtigen aber nicht nur mangelnde staatsbürgerliche Bildung und fehlendes Interesse für politische Fragen, sondern auch geistige Stumpfheit und miserable Allgemeinbildung vor.101 Diesem harschen Urteil mag eine bestimmt nicht allgemein gültige Moment aufnahme zugrunde liegen, doch zeigt eine spätere Umfrage der Shell AG von 1967, »dass 60 % der Jugendlichen an Politik nicht interessiert waren. 76 % bewerteten Politik sogar als negativ und wollten damit nichts zu tun haben.«102 Dies erklärt auch die 1963 bei einer Tagung von Personaloffizieren offenbarten Defizite mehrerer Abiturientenjahrgänge eines Korps im Bereich der Sicherheitspolitik: »Keiner der wehrpflichtigen Schüler konnte seine Motive zum Wehrdienst angeben. Keiner war imstande, die marxistisch-leninistische Ideologie zu beschreiben. Folgerichtig kannte auch keiner der Wehrpflichtigen die Unterschiede zwischen Kommunismus und Freiheit. Freiheit und Demokratie galten vielmehr als unglaubwürdige und undefinierbare Werte. Nur wenigen Schülern war bekannt, dass zwischen Ost und West so etwas wie Kalter Krieg herrschte.«103 Bereits 1958 hatte die in der Reihe »Schriften der Inneren Führung« veröffentlichte Auswertung über den jungen Soldaten von 1957 in ihrem Fazit festgehalten, dass sich die »wenig guten geistigen Voraussetzungen [...] besonders in der unklaren Vorstellung von Staat und Politik [zeigten]. Aus dem Nichtwissen resultiert die Abkehr von diesen Fragen. Man spürt zwar, dass es der eigene Staat ist, der Forderungen stellt und dass es sich lohnt, diese Forderungen nach 98 99 100
101 102 103
Ebd., S. 291. Vgl. ebd., S. 301. Gemäß Auswertung eines Vortragsmanuskriptes des Truppenamtes, später Heeresamt, vom 14.12.1961 »Wie sieht z.Zt. das Innere Gefüge unserer Truppe aus?« Vgl. Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 880 f., Anm. 430. Meyer zitiert aus einer 1961 gehaltenen Rede des stellvertretenden Divisionskommandeurs der 12. Panzerdivision. Vgl. auch Pauli, Wehrmachtsoffiziere, S. 302. Vgl. Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 880 . Pauli, Wehrmachtsoffiziere, S. 302 Ebd., S. 302. Von 60 Soldaten einer Kompanie gaben 12 an, regelmäßig Zeitung zu lesen. Gelesen wurden die Frankfurter Allgemeine Zeitung und der Spiegel (je einmal), die örtliche Tageszeitung (viermal) und die BILD-Zeitung (zwölfmal). Vgl. Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 880, Anm. 43.
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besten Kräften zu erfüllen. Doch ist für viele das Gebiet der Politik zu abstrakt und auch zu belastet, als dass man sich sehr darum bemüht. Nur besonderes Geschick und viel Einfühlvermögen der Offiziere lassen hier nachhaltige Erfolge erwarten.«104 Die Auswertung der Akten der Schule der Bundeswehr für Innere Führung und der zahlreichen Berichte über die Realität der staatsbürgerlichen Erziehung und Bildung haben jedoch aufgezeigt, dass es an diesem Geschick und Einfühlungsvermögen, vor allem aber an dem für die Vermittlung staatsbürgerlicher Erziehung und Bildung unabdingbaren eigenen Verständnis des Offiziers oftmals mangelte. Nichtsdestoweniger wurden die Bemühungen, den Soldaten eine staatsbürgerliche Bildung zuteilwerden zu lassen, auch gewürdigt. So stellte der Beauftragte des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge am Sitz der Bundesregierung die An strengungen der Bundeswehr 1960 sogar als beispielgebend für Elternhäuser, Schulen, Universitäten und Verbände dar, und auch der Wehrbeauftrage des Deutschen Bundestages sprach dem Bemühen der Bundeswehr, den Erziehungsauftrag, das gesetzlich vorgeschriebene Leitbild des Staatsbürgers in Uniform zu realisieren, 1967 ein gutes Zeugnis aus: »Bei zahlreichen Gesprächen habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Bundeswehr diesen Auftrag ernst nimmt und mit Erfolg durchführt. Ich kann diesen Erfolg der staatsbürgerlichen Erziehung der Bundewehr besonders daran erkennen, dass die ungedienten Wehrpflichtigen meistens nicht das staatsbürgerliche Bewusstsein ihrer gedienten Kameraden haben. Ich habe dabei insbesondere festgestellt, dass es der Bundeswehr gelingt, die große Zahl von Wehrpflichtigen während des Wehrdienstes aus ihrer indifferenten Haltung gegenüber dem Staat in eine bejahende loyale Auffassung umzuschmelzen. Diese Ansicht wird auch durch den Zweiten Jugendbericht der Bundesregierung [...] vom 15. Januar 1968 bestätigt. Hiernach hat bei vielen Soldaten der Wehrdienst einen positiven Meinungs umschwung gegenüber Staat und Demokratie herbeigeführt. Dies ist m[meines] E[rachtens] auch auf eine richtige Behandlung der Soldaten durch ihre Vorgesetzten während des Wehrdienstes zurückzuführen.«105
3. »Ethische« Erziehung – Der Lebenskundliche Unterricht »Letztlich würde es von der ethischen Haltung des einzelnen Soldaten abhängen, ob im Ernstfall militärische Gewaltanwendung, wie von der politischen Verfassung gewollt, auf ein Minimum beschränkt bleiben würde.« Herbert Kruse106 Abgerundet wird die Konzeption einer Gesamterziehung des Soldaten durch den Lebens kundlichen Unterricht, den die Militärseelsorger, getrennt nach Kon fes sionen, in einem auf freiwilliger Basis beruhenden Dienstunterricht für Mann 104 105 106
Der junge Soldat 1957, S. 38. Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1967, S. 7. Kruse, Kirche, S. 93.
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schaften, Unteroffiziere und Offiziere anbieten. Bereits die Mitglieder des Allge meinen Ausschusses hatten in Himmerod gefordert, der ethischen Erziehung des Soldaten im Rahmen eines allgemeinen Dienstunterrichtes größte Beachtung zu schenken. Wenngleich sich der Protestant Baudissin und der Katholik Wirmer bereits frühzeitig für eine Militärseelsorge engagierten, wurde die Einführung eines Lebenskundlichen Unterrichtes jedoch zunächst innerhalb der Kirchen diskutiert, von denen schließlich auch die dementsprechenden Gesprächsimpulse an die Dienststelle ausgingen.107 Die Kompromisslösung langwieriger inter- und intrakonfessioneller Auseinandersetzungen, die fast zum Scheitern der Bemühungen geführt hätten, sowie ebensolcher Diskussionen innerhalb der Dienststelle lag 1957 in einer Erprobungsfassung und 1959 in einer endgültigen Vorschrift vor.108 Sinn und Aufgabe dieses auf den Grundlagen des christlichen Glaubens beruhenden Unterrichtes, der von den Militärgeistlichen zu erteilen ist und an die freie und freudige Mitarbeit des Einzelnen appelliert, beschreibt die heute noch Gültigkeit besitzende ZDv 66/2: »Er behandelt sittliche Fragen, die für die Lebensführung des Menschen, seine Beziehungen zur Umwelt und für die Ordnung des Zusammenlebens in jeder Gemeinschaft wesentlich sind. Er hat die Aufgabe, dem Soldaten Hilfen für sein tägliches Leben zu geben und damit einen Beitrag zur Förderung der sittlichen, geistigen und seelischen Kräfte zu leisten, die mehr noch als das Können den Wert des Soldaten bestimmen. In besonderer Weise soll der lebenskundliche Unterricht dem einzelnen Soldaten die Verantwortung für seine Lebensführung klarmachen, ihn die Notwendigkeit von Selbstzucht und Maß erkennen lehren und sein Pflichtbewusstsein stärken. Er soll dem Einzelnen die Quellen zeigen, die dem Leben Sinn geben, und zu Ordnungen hinführen, durch die die Gemeinschaft lebenswert und verteidigungswert wird.«109
a) Historische Vorbilder – Kasernen-Abendstunden und Kasernenstunden In der deutschen Militärgeschichte hatte es bis zu diesem Zeitpunkt einen derartigen Unterricht nicht gegeben. Einen Anknüpfungspunkt boten jedoch die auf königlichen Befehl und kriegsministeriellen Erlass vom 25. März 1856 in das preußische Heer eingeführten Kasernen-Abendstunden für die Mannschaften.110 Deren Besuch 107 108
109
110
Vgl. ebd., S. 73. Zur Entwicklung des Lebenskundlichen Unterrichtes vgl. u.a. auch Bald, Die Reformkonzeption; Ehlert, Interessenausgleich; Dörfler-Dierken, Zur Entstehung der Militärseelsorge, S. 63‑77. Zum Gestaltungswandel der Unterrichtsinhalte innerhalb der letzten 50 Jahre vgl. Suermann, Der Lebenskundliche Unterricht; zu Erfahrungen mit den im Sozialismus geprägten Soldaten vgl. Elßner, Sozialistisches Schulwissen. ZDv 66/2, Lebenskundlicher Unterricht (Merkheft), S. 7. Die Vorschrift wurde im November 1959 erlassen und löste die vorläufigen Bestimmungen über den Lebenskundlichen Unterricht vom 21.5.1957 ab. Heute ZDv A-2620/3 »Lebenskundlicher Unterricht«. Cremers vermutet, dass der Erlass den Veranstaltungen zwar ihren Namen gab, ihre Wurzeln jedoch bis in das frühe 18. Jahrhundert zurückreichten, als die Feldprediger einfachste Bildungsarbeit unter den Soldaten leisteten, um »mit den Mitteln der Religion und des Glaubens ein seelisches Fundament zu schaffen, ›auf dem die soldatischen Tugenden sicher ruhen‹.« Cremers, Staat und Evangelische Kirche, Anhang, S. 9.
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war dem Belieben der Soldaten ausdrücklich anheimgestellt und sollte rein religiöse Aspekte zwecks Förderung und Erbauung der Gemeinde im biblischen Sinne des Wortes thematisieren.111 Fand sich am Sonntag die gesamte Militärgemeinde als ein alle Dienstgrade umfassendes Publikum zum gemeinsamen Gottesdienst zusammen, boten die Kasernen-Andachten nach Aussage eines leitenden Militärgeistlichen eine hervorragende Gelegenheit, in persönlichen Kontakt mit den ihnen anvertrauten Mannschaften zu kommen und in der militärischen Umgebung ein offenes Gespräch zu führen. Hierbei könne man den jungen Männern Dinge sagen, »die wir vor einem gemischten Publikum in der Kirche nicht sagen dürften; in freiester Form brauchen wir dort kein rednerisches noch sonstiges Blatt vor den Mund nehmen, wir sind ganz unter uns.«112 Das militärische Umfeld blieb aber auch in diesen Andachtsstunden allgegenwärtig, denn die Vermittlung der geistlichen Inhalte vollzog sich weitgehend in Form der militärischen Instruktionsstunden, die sich hierbei eines beliebten Frage- und Antwortspieles bedienten.113 Die Forderung des preußischen Königs und deutschen Kaisers Wilhelm II., »im Kampf gegen die Sozialdemokratie bewusst die vaterländische Geschichte in den Vordergrund zu stellen und im Geschichtsunterricht die Bedeutung von Religion und Deutschtum zu betonen«114, wandelte schließlich auch den Charakter der Kasernen-Abendstunden. Zunächst als religiöse Andachtsstunde eingeführt, erfuhr auch hier die Vermittlung vaterländischen Pathos eine immer stärker werdende Bedeutung. Für den bereits zitierten leitenden Militärgeistlichen bot sich nun die »treffliche Gelegenheit, in der großen Schule der Armee den kaiserlichen Willen besonders zu erfüllen, und etwaige Schullücken bei dem meist sehr dankbaren und empfänglichen Publikum unserer Soldaten, die schon den Schaden des Nichtwissens bitterer empfinden, auszufüllen und derartigen Stoff in den Kasernenstunden zu behandeln, der eine wahrhaft ehrliche und ehrlich-religiöse Behandlung erlaubt und gleichzeitig grunddeutsch und echt geschichtlich ist.«115 Die Darstellung herausragender Persönlichkeiten der preußischen und deutschen Geschichte, wobei dem regierenden Haus der Hohenzollern besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden sollte, böte hierfür einen besonders geeigneten Unterrichtsstoff.116 Als Volkslehrer in der Armee als der »mächtigsten und vielseitigs111 112 113
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116
Vgl. Höhn, Die Armee, S. 256 f. Militäroberpfarrer Köhler, R., Noch einmal die Kasernenandachten. In: Korrespondenzblatt für die evangelischen Geistlichen der deutschen Armee, Nr. 10, Jan. 1885, zit. nach ebd., S. 257. Nach den Aufzeichnungen eines Garnisonspfarrers über die Kasernen-Abendstunden im Winter 1884 wurden dabei u.a. folgende Themen angesprochen: Die jungen Männer der Bibel, Über die Unsterblichkeit der Seele, Die Beweise für das Dasein Gottes, Bibel und Naturwissenschaften, Die Offenbarung Gottes, Das Wunder, Der siegreiche Gang des Christentums durch die Weltgeschichte. Vgl. ebd., S. 258. Zur Unterrichtsgestaltung vgl. ebd. Ebd., S. 259. Ausführungen des Militäroberpfarrers Köhler über die Kasernen-Andachten. In: Beilage zum Korrespondenzblatt für die evangelischen Geistlichen der deutschen Armee, Nr. 7, Okt. 1889, S. 55, zit. nach ebd., S. 259. Vgl. ebd., S. 259. Vgl. auch die Ausführungen des Divisionspfarrers Leisegang, Entwurf zu drei Kasernen-Abendstunden über »Friedensarbeit der Hohenzollern mit besonderer Berücksichtigung der Gegenwart und jüngster Vergangenheit«. In: Mitteilungen für die evangelischen Geistlichen der Armee und der Marine, Nr. 5, Mai 1904, Sp. 83, zit. nach Höhn, Die Armee, S. 261.
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ten Volksschule«117 sei der Militärgeistliche in besonderem Maße dazu verpflichtet, die Kasernen-Abendstunden im patriotischen Sinne zu gestalten. Diese Auffassung erfuhr schließlich dahingehend ihre Bestätigung, dass der Zuständigkeitsbereich der Militärgeistlichen auch offiziell auf Vorträge geistlichen und vaterländischen Inhaltes ausgedehnt wurde.118 Einheitlichkeit in der Durchführung der auch weiterhin auf Freiwilligkeit der Teilnahme basierenden Kasernen-Abendstunden konnte jedoch nicht erzielt werden. Einerseits gab es Bestrebungen, den rein religiösen Charakter der Veranstaltung beizubehalten, andererseits Bemühungen, einen rein vaterländischen Aspekt zu betonen. Letzten Endes wurde beiden Richtungen Geltung verschafft, indem Religion und Patriotismus thematisch ausgewogen miteinander verbunden wurden, wie das Beispiel der Kasernen-Abendstunden der Erfurter Garnison aus dem Jahre 1893 bezeugt.119 Die von den Militärgeistlichen gehegte Hoffnung, in den Kasernen-Abendstunden einen über die Predigten weit hinausgehenden Einfluss auf die Soldaten ausüben zu können, erfüllte sich jedoch weder auf religiöser noch auf vaterländischer Ebene.120 Es verfestigte sich letztendlich die Erkenntnis, dass die sozialdemokratische Propaganda »durch Pflege der Vaterlandsliebe, der Königstreue und der Gottesfurcht« nicht zu bekämpfen sei. Die Militärgeistlichen selbst fühlten sich, trotz eines Bildungsvorsprungs gegenüber den zumeist nur Volksschulbildung besitzenden Soldaten, mit der an sie herangetragenen Aufgabe überfordert. Sozialpolitisch zu wenig geschult, »um es mit den sozialistischen Ideen aufnehmen zu können«, kapitulierten die Militärgeistlichen »vor der Fähigkeit der sozialistischen Agitatoren, über die sozialen Probleme der Gegenwart in einer auf den Geist der jungen Männer im Heer abgestellten Form zu sprechen und die Massen für das, was sie vortrugen, zu begeistern.«121 Gefangen im Dilemma um das Wissen der sozialen Ungerechtigkeiten, die die Sozialdemokraten zu Recht anprangerten, und ihrem Anspruch, eine wesentliche Stütze der staatlichen Autorität zu bilden, verharrten sie im Bestehenden und verzichteten darauf, der Sozialdemokratie durch den Einsatz der Religion in den Kasernen-Abendstunden direkt entgegenzutreten.122 Schlussendlich war dem vom Kaiser propagierten Kampf gegen die Sozialdemo kratie sowohl von geistlicher als auch von militärischer Seite nur ein begrenzter Erfolg 117 118
119 120 121 122
Ebd., S. 260. »Die Militärbefehlshaber haben mit den Militärgeistlichen und mit dazu geeigneten, mit der Militärseelsorge beauftragten Zivilgeistlichen dahin in Verbindung zu treten, dass diese von Zeit zu Zeit in den Abendstunden zur Pflege christlicher und vaterländischer Gesinnung und zur Fest legung des Bandes zwischen Seelsorger und Gemeindemitgliedern Vorträge in den Kasernen oder sonst geeigneten Räumen abhalten.« § 121, Evangelisch-militärische Dienstordnung von 1902, zit. nach ebd. So wechselten sich geistliche und vaterländische Themen bei der inhaltlichen Gestaltung des Unterrichtes ab. Vgl. ebd., S. 261. Weitere Beispiele zur inhaltlichen Gestaltung ebd., S. 261‑263. Zum Scheitern einer direkten Bekämpfung der Sozialdemokratie in den Kasernen-Abendstunden vgl. ebd., S. 263‑270. Ebd., S. 269. Vgl. ebd., S. 270. In diesem Zusammenhang weist Höhn auch auf die begrenzten Möglichkeiten zur Durchführung der Kasernen-Abendstunden hin, da sie nur dort abgehalten werden konnten, wo Militärgeistliche zur Verfügung standen. In den 200 Garnisonen, die nebenamtlich von Zivilgeistlichen betreut wurden, fanden die Kasernen-Abendstunden nicht statt. Vgl. ebd.
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beschieden, der auch dem zurückhaltenden Agieren der Sozialdemokraten geschuldet war. Soldaten mit sozialistischem Hintergrund sollten zwar den Ersatzbehörden gemeldet werden, die Voraussetzungen einer Meldepflicht von SPD-nahen Rekruten variierten aber zwischen einer gewissen Fühlung des Soldaten mit der SPD und aktiver Parteimitgliedschaft.123 Die Heeresleitung beschränkte sich jedoch nicht nur auf eine Überwachung vermeintlich »vaterlandsloser Gesellen«, sondern verbot ferner Besitz und Verbreitung sozialdemokratischen Schriftgutes. Außerdem wurde den Soldaten die Teilnahme an politischen Veranstaltungen verboten und das Betreten von Lokalitäten untersagt, in denen bekanntermaßen sozialdemokratische Versammlungen stattfanden. In der Forschung werden diese Anstrengungen, einer vorgeblich sozialistischen Agitation entgegenzuwirken, gemeinhin als Misserfolg gewertet, »da sie wegen des Verzichtes der Sozialdemokratie auf eben solche Agitation in den Kasernen scheinbar ins Leere zu laufen schienen.« Der Historiker Oliver Stein stellt diese Vergeblichkeit mit seiner Interpretation jedoch zu Recht in Frage: »Gerade in diesem Verzicht, der von der Parteiführung ausgesprochen und beibehalten wurde, um sich selbst und die eigenen Anhänger nicht zu gefährden, kann zumindest ein Teilerfolg der kriegsministeriellen Vorgehensweise gesehen werden.«124 Der Versuch, sozialdemokratisch orientierte Soldaten durch Unterrichte zu »kaisertreuen Staatsbürgern zu erziehen«, scheiterte hingegen »an der mangelnden Eignung der Offiziere für diese Aufgabe.« Mit Erkenntnis der Aussichtslosigkeit dieser von 1905 bis 1907 durchgeführten Indoktrinationsversuche zur Abwehr sozialistischen Gedankengutes zog sich die militärische Führung »aus der staatspolitischen Erzie hungsarbeit zurück.«125 Obwohl die Armee für Stein in dieser Hinsicht als »Schule der Nation« versagt hatte,126 konnte die militärische Führung trotz der zwischen 1890 und 1914 erfolgten Zunahme der sozialdemokratischen Anhängerschaft in der Bevölkerung und mithin auch in der Armee und bei den Reservisten keinen Verfall der Disziplin oder einen Zuwachs der politischen Agitation in den Streitkräften feststellen. Den dennoch latenten Befürchtungen der Armeeführung einer marxistisch-sozialdemokratischen Unterwanderung verlieh Kriegsminister Hans Karl Georg von KaltenbornStachau127 in einem Schreiben an den Reichskanzler Leo von Caprivi128 dergestalt Ausdruck, dass der »gegenwärtige Zustand erst der Anfang einer Entwicklung ist, deren Ende die ernstesten Möglichkeiten in sich schließt.«129 Entgegen dieser stets 123 124 125
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Vgl. Stein, Die deutsche Heeresrüstungspolitik, S. 56‑58. Ebd., S. 58. Zu den Versuchen der Armee, den Einfluss sozialdemokratischen Gedankengutes einzudämmen, vgl. auch Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 3, S. 1121‑1125. Stein, Die deutsche Heeresrüstungspolitik, S. 58. Der Begriff »Staatsbürger« und »staatsbürgerlicher Unterricht« darf in diesem Zusammenhang nicht mit den heute gültigen demokratischen Attributen betrachtet werden. Eher galt es, einen die Staatsform bejahenden Untertanen zu erziehen. Die Kasernen-Abendstunden als weiteres unwirksames Mittel im Kampf gegen die Sozialdemokratie finden bei Stein keine Erwähnung. Ebd. Zu Kaltenborn-Stachau siehe Soldatisches Führertum, Bd 10, S. 54‑58. Zu Caprivi de Caprera de Montecuccoli siehe Deutschlands Admirale, Bd 1, S. 203‑204. Schreiben Kaltenborn-Stachau an Caprivi, 12.5.1891, zit. nach Stein, Die deutsche Heeresrüs tungspolitik, S. 57.
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auf die Zukunft bezogenen Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Truppe gab es allen Unkenrufen zum Trotz auch zur Zeit der größten sozialdemokratischen Erfolge 1912 »kaum Anlass zur Klage«, insbesondere, da sich die Zuverlässigkeit der Soldaten bei ihrem Einsatz gegen die streikenden Bergarbeiter im selben Jahr erwiesen hatte.130 Wurde in der preußischen Armee der – wenngleich erfolglose – Versuch unter nommen, zur Bekämpfung der Sozialdemokratie auch den Einfluss der Militärgeist lichen auf die Mannschaften zu instrumentalisieren, erfuhren derartige Bestrebungen im Königreich Bayern vonseiten des Kriegsministeriums eine unmissverständliche Absage. Mit diesem Verbot endeten auch die Bemühungen eines Kommandierenden Generals, mit Unterstützung der Militärgeistlichen beider Konfessionen zur Pflege und Hebung des moralischen Elements sowie eines guten Geistes bei den Truppen in seinem Korpsbereich beizutragen und, den preußischen Vorbildern nacheifernd, immunisierend gegen den Geist der Sozialdemokratie zu wirken.131 Das bayerische Kriegsministerium zeigte sich diesem Vorhaben zwar nicht grundsätzlich abgeneigt, beugte sich jedoch der massiven Kritik der katholischen Kirche, die eine gleichberechtigte und paritätische Zusammenarbeit mit den Vertretern der protestantischen Kirche aus konfessionellen Motiven strikt ablehnte und ihren Seelsorgern die weitere Mitwirkung an den Vorträgen untersagte.132 Aber die Ablehnung des Kriegs ministeriums war nicht nur der Wahrung des konfessionellen Friedens geschuldet. Wesentlich bedeutsamer erscheint der Einwand des Kriegsministeriums, dass durch die Hinzuziehung der Militärgeistlichen die alleinige Verantwortung des militärischen Vorgesetzten und dessen bestimmende Einflussnahme auf die Erziehung und Pflege eines guten Geistes seiner Untergebenen eingeschränkt werde. Man stelle sich geradezu ein Armutszeugnis aus, wenn das Offizierkorps nicht in der Lage sei, die Soldaten im gewünschten Sinne zu erziehen.133 Kaum in Gang gekommen, war das Projekt des Kommandierenden Generals krachend gescheitert. Sittliche und patriotische Erziehung des Soldaten sollten demnach allein in den Händen der militärischen Vorgesetzten liegen, erzieherische Einflussnahmen von anderer Seite ausgeschlossen werden; ein Argumentationsstrang, dessen Kontinuität bis zur Diskussion über die ethische und staatsbürgerliche Erziehung des zukünftigen bundesdeutschen Soldaten Bestand haben sollte. Mit dieser Entscheidung führte das bayerische Kriegsministerium seine Ab schottungspolitik gegenüber den Kirchen konsequent fort, denn im Gegensatz zu Preußen und Kaiser Wilhelm II. stand eben nicht die Bekämpfung sozialdemo130
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Vgl. ebd. Der mit der Aufrechterhaltung der Ordnung beauftragte Kommandierende General und ehemalige preußische Kriegsminister (1903‑1909) Karl von Einem (1853‑1934) bezeugte in seinen Erinnerungen rückblickend die unbedingte Zuverlässigkeit der Truppe: »Die Truppe war in fester Disziplin; keiner der vielen Bergleute in ihren Reihen hat versagt. Es war eine Probe auf das Exempel, wie sie vor dem Kriege nicht drastischer gestellt werden konnte. Wir durften sicher sein, dass der marxistische Geist bis dahin der Armee noch keine Wunden geschlagen hatte.« Einem, Erinnerungen, S. 169, zit. nach Stein, Die deutsche Heeresrüstungspolitik, S. 57. Diese Zuverlässigkeit sollte sich auch bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges bestätigen. Vgl. Höhn, Die Armee, S. 270 f. Vgl. hierzu ausführlich ebd., S. 272 f. Vgl. ebd., S. 273.
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kratischen Gedankengutes in der Armee, sondern die Verhinderung kirchlicher Einflussnahme auf die Soldaten im Blickpunkt ministerieller Bemühungen. Diese Ent scheidung beruhte auf der Überzeugung, dass die überwiegend christliche Einstellung der Soldaten eine wie in Preußen befürchtete umfassende sozialdemokratische Infiltration erschwere und man daher der Religion als Bollwerk entbehren könne. Stattdessen befürchtete die militärische Führung, dass die Geistlichkeit beider Konfessionen den Versuch unternehmen würde, ihre eigene Einflusssphäre unter dem Vorwand, die Sozialdemokratie zu bekämpfen, innerhalb der Armee erweitern würde. Man zeigte sich im Kriegsministerium jedoch keineswegs gewillt, mit dem »Eindringen der Geistlichkeit in die Kasernen« eine die Autorität des militärischen Vorgesetzten infragestellende Konkurrenz- und Konfliktsituation zu schaffen.134 Mithin besaß Bayern, obwohl überwiegend katholisch und betont christlich orientiert, im Gegensatz zu Preußen, Sachsen und Württemberg keine organisierte Militärseelsorge. Wahrgenommen wurde die seelsorgerische Betreuung der Soldaten durch die am Garnisonsort ansässigen Gemeindepfarrer. Der von den bayerischen Bischöfen und Erzbischöfen angemahnte Missstand, dass die Gemeindepfarrer mit ihrer pastoralen Arbeit derart überlastet waren und daher für eine ausreichende seelsorgerische Betreuung der Soldaten wenig Zeit verblieb, wurde indes vom Ministerium mit großem Wohlgefallen betrachtet. Gerade dieser Sachverhalt hin derte die Geistlichkeit nach Meinung des Kriegsministeriums nämlich daran, »sich in Aufgabengebiete einzumischen, die ihr die Führung der bayerischen Armee nicht zugestehen wollte.«135 Die bayerische Armee verfügte selbst nur über neun Militär geistliche, die jedoch keine pfarramtlichen Befugnisse besaßen und lediglich zur Unterstützung der Gemeindepfarrer dienten. Die Befürchtung hegend, der geistlichen Einflussnahme Tür und Tor zu öffnen, trafen auch deren, von den Bischöfen und Erzbischöfen unterstützten, Forderungen nach Bildung von Militärgemeinden, der personellen Aufstockung der etatmäßigen Militärgeistlichen sowie der Einbeziehung der Offiziere und ihrer Familien in die Militärseelsorge beim Kriegsministerium auf scharfe Ablehnung.136 Mit dem Niedergang des Kaiserreiches und der Errichtung einer demokratischen Staatsform wurde die dienstliche Regelung religiöser Fragen im Artikel 141 der Weimarer Verfassung137 beschränkt und jegliche Zwangsanordnung für die Vornahme religiöser Handlungen untersagt. Dies galt prinzipiell auch für die als Fortführung der Kasernen-Abendstunden in der Reichswehr eingeführten Kasernenstunden, die gemäß Heeresdienstvorschrift in der Dienstzeit stattfinden, die Teilnahme gleichwohl auf Basis der Freiwilligkeit erfolgen sollte.138 134 135 136 137
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Vgl. ebd., S. 254. Ebd., S. 256. Vgl. hierzu ebd., S. 255 f. Nach Einschätzung Höhns hätte auch die geforderte Personalvermehrung in der Höhe keinen tiefgreifenden Einfluss auf die Truppen bewirkt. Vgl. ebd., S. 256. Art. 141 Reichsverfassung: »Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religions gesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.« RGBl. 1919, T. I, S. 1383. Siehe Vortrag Werthmann, »Wie waren diese Dinge in der ehemaligen deutschen Militär- und Wehrmachtsseelsorge und wie sieht es in dieser Hinsicht im europäischen Bereich aus?« 15.5.1953,
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Hinsichtlich der Teilnahme an religiösen Veranstaltungen bewegte sich die militärische Realität aber scheinbar in einer Grauzone zwischen Freiwilligkeit und dienstlicher Befehlsausführung, indem die Offiziere die seelsorgerische Arbeit durch ihr Vorbild förderten.139 Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Wehrmacht geriet diese traditionelle Selbstverständlichkeit ins Wanken, da die Freiwilligkeit der Teilnahme an religiösen Handlungen bewusster hervorgehoben, die Beteiligung teilweise auch ganz unterbunden wurde.140 Für die Kasernenstunden galt diese Einschränkung in der Wehrmacht jedenfalls nicht, da deren Führung die Auffassung vertrat, dass den Kasernenstunden kein religiöser, sondern ein militärdienstlicher Charakter innewohnte. Obwohl vom Militärgeistlichen abgehalten und wie bereits in der Reichswehr der Erörterung religiöser und allgemein-sittlicher Fragen dienend, konnte die Teilnahme an diesem konfessionsgebundenen Unterricht befohlen werden. In der Regel einmal monatlich stattfindend, sollte es dem Militärgeistlichen im Rahmen der Gesamterziehung des Soldaten auch weiterhin ermöglicht werden, auf die seiner Konfession angehörenden Soldaten sittlich-erzieherisch einzuwirken und mithin den militärischen Vorgesetzten in seiner Erziehungsaufgabe gegenüber den Soldaten zu unterstützen.141 Auf diese Erziehungsinstanz wollte die Wehrmachtführung auch trotz ihrer Anlehnung an den Nationalsozialismus142 und des durch Einführung der Wehrpflicht einströmenden, in den Parteiorganisationen im nationalsozialistischen Sinne ideologisch geprägten Nachwuchses keineswegs verzichten, sah sie in ihr doch »ein wichtiges Mittel zur Stärkung der Schlagkraft des Heeres.«143
b) Von der »Chaplain’s Hour« in den deutschen Dienstgruppen der US-Streitkräfte zum Lebenskundlichen Unterricht der Bundeswehr als Beitrag der Kirchen an der Gesamterziehung des Soldaten Auch die Planer westdeutscher Streitkräfte wollten sich dieses Medium erzieherischer Einflussnahme zu Nutze machen und ergänzten die Beantwortung der Fragen des Deutschen Bundesjugendringes zur gesetzlichen Verankerung der Militärseel sorge und der ihr zukommenden Bedeutung daher um den Hinweis, dass neben der rein seelsorgerischen Betreuung der Soldaten erwogen werde, »die besondere Menschenkenntnis und Erfahrung der Geistlichen, sowie ihre Eigenschaft als Vertrauenspersonen zur Unterstützung der Kommandeure bei ihren Erziehungs
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BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr., S. 14 f., hier S. 14. Im Weiteren Vortrag Werthmann über die ehemalige deutsche Militär- und Wehrmachtseelsorge. Vgl. Messerschmidt, Aspekte, S. 70. Für Prozessionen wurden seit 1935 keine Ehrenkompanien oder sonstige Abordnungen mit oder ohne Waffen mehr abgestellt und eine 1937 erlassene Verfügung untersagte nicht nur die Komman dierung zum Gottesdienst, sondern schaffte die »Kasernenstunden« für Ergänzungstruppenteile ab. Vgl. Messerschmidt, Aspekte, S. 86. Vgl. Senftleben, Wehrmachtseelsorge, S. 82. Vgl. hierzu u.a. Müller, Das Heer und Hitler, sowie Müller, Armee und Drittes Reich; Messerschmidt, Die Wehrmacht. Erlass OKH zur Feldseelsorge vom 21.8.1939, abgedr. in: Bleese, Die Militärseelsorge, Anl. 1, S. 433‑440, hier S. 434.
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aufgaben im lebenskundlichen Bereich heranzuziehen.« Als Orientierung für die noch nicht abgeschlossenen Beratungen dienten das »Character Guidance Program« und der »Character Cuidance Council« der Streitkräfte der Vereinigten Staaten. Diese Einrichtungen wiesen »den Militärgeistlichen nicht nur eine beratende, sondern eine echte erzieherische Aufgabe im Rahmen eines überkonfessionellen lebenskundlichen Unterrichtes« zu.144 Die Maxime der Bildungs- und Erziehungsarbeit in den US-amerikanischen Streitkräften fand ihren Ausdruck in dem sich selbst auferlegten Postulat, den Soldaten nach Beendigung seiner Militärdienstzeit »seiner Mutter besser zurückzugeben, als sie ihn uns bei seiner Einberufung gegeben hat.«145 Das hierzu angewandte Ausbildungs- und Erziehungsprogramm gliederte sich in die Bereiche »Troop Information and Education« (Militärische Ausbildung und politische Schulung), »Special Services« (berufliche Weiterbildung und Freizeitgestaltung) sowie »Character Guidance«. Letzteres, mit der Erziehung zu Verantwortungsbewusstsein und charakterlicher Tüchtigkeit des Soldaten betraut,146 konnte man bis 1947 als Stiefkind der Erziehungs- und Bildungsbemühungen betrachten. Es wurde der Standpunkt vertreten, dass die Militärgeistlichen im Rahmen ihrer seelsorgerischen Tätigkeiten für die sittliche Erziehung der amerikanischen Soldaten verantwortlich seien. Doch in Anbetracht von rund 250 Glaubens- und Religionsgemeinschaften keimte die Erkenntnis, dass eine zufriedenstellende Arbeit nicht möglich sei. So kam es zu dem Entschluss, ein umfassendes Erziehungsprogramm aufzustellen, das sich in Zusammenarbeit mit staatlichen, kirchlichen und zivilen Stellen die oben zitierte Zielsetzung zur Aufgabe machte. Die Basis der nun eingeführten »Character Guidance« bildeten das »Character Guidance Program« und der »Character Guidance Council«. Letzterer wurde im Sommer 1948 im Verteidigungsministerium gegründet und hatte die vorrangige Aufgabe, alle Situationen des militärischen Lebens zu erörtern, die einen Einfluss auf die Charakterbildung besitzen. Des Weiteren sollte er die von den Kommandeuren im Felde gemachten Erfahrungen auswerten, daraus resultierende Vorschläge zur Erstellung von Richtlinien erarbeiten und Methoden entwickeln, um die Herausgabe von Informationen und Handreichungen für die Kommandeure sicherzustellen. Ähnliche »Character Guidance Councils« wurden 144
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IG/II, Beantwortung des Fragenkatalogs des Deutschen Bundesjugendringes an die Deutsche Dienststelle, 14.8.1953, BArch, BW 9/220, S. 13 f.; Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, Anl. 11, S. 161 f. Zu den Konsultationen zwischen dem Deutschen Bundesjugendring und dem Amt Blank siehe S. 186‑198. Einen Einblick in dieses »Erziehungsprogramm« hatte der katholische Prälat und vormalige Feldgeneralvikar der Wehrmacht Georg Werthmann den Vertretern des Amtes Blank und der christlichen Kirchen im Verlauf der ersten offiziellen Gespräche über die Einführung eines solchen Unterrichtes vermittelt. Siehe Vortrag Werthmann, »Worin besteht das amerikanische Character Guidance Program und wie ist in ihm die Chaplain’s Hour verankert?«, 15.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr., S. 1‑13. Im Weiteren Vortrag Werth mann, »Character Guidance Program«. Zu der Besprechung siehe Vermerk, Sitzung über die Frage des lebenskundlichen Unterrichts am 15.5.53, Juni 1953, BArch, BW 2/1381, S. 1‑8. Zu den als Anlagen aufgeführten Vorträgen der Kirchenvertreter siehe BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr. (Vorträge Werthmann); BArch, Msg 2/795 (Vorträge Grau). Vortrag Werthmann, »Character Guidance Program«,15.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr., S. 2. Siehe ebd., S. 1.
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in allen Einheiten vom Bataillon aufwärts gegründet und auch kleineren Einheiten wurde deren Einrichtung empfohlen.147 Für die amerikanischen Streitkräfte war es ein »wesentlicher und indiskutabler Grundsatz [...], dass die Ausbildung, berufliche Fortbildung, politische Schulung, Frei zeitgestaltung und sittliche Ertüchtigung des amerikanischen Soldaten«148 Aufgaben darstellten, die ausschließlich in der Hand und in der Verantwortung des Komman deurs lagen. Durch das »Character Guidance Program« sollte er in der Verpflichtung, seine Männer in ihrer »gesunden moralischen und geistigen Haltung« zu fördern, Unterstützung erfahren. Soweit dies unter militärischen Bedingungen möglich erschien, sollte mit Hilfe dieses Programmes der Versuch unternommen werden, »den günstigen Einfluss des Heims, der Familie und des Gemeindelebens fortzusetzen«, und der Soldat bei der Entwicklung »eines persönlichen Verantwortungsbewusstseins und bei der Förderung der Selbstzucht«149 unterstützt werden. Absicht war es, bei allen Angehörigen der Streitkräfte einen möglichst hohen Stand persönlicher und sittlicher Lebensführung zu erlangen. Im Vordergrund der Bemühungen standen die »Erweckung des Sinns für Dienstauffassung und Pflichtbewusstsein [sowie die] Förderung des sittlichen Verantwortungsbewusstseins.«150 Für die charakterliche Weiterbildung aller Soldaten waren im Rahmen der militärischen Ausbildung in der Grundausbildung mindestens sieben Stunden und für die Einheiten zwei Stunden pro Monat vorgesehen, deren Teilnahme obligatorisch war. Zwar lag die Realisierung des »Character Guidance Program« in der Verantwortung des Kommandeurs, doch schloss dessen Durchführung die Inanspruchnahme anderer Offiziere als Berater und Mitwirkende im Rahmen des »Character Guidance Council« der Verbände nicht aus, sondern band sie ausdrücklich mit ein.151 Zu diesem Personenkreis zählte auch der Chaplain, dessen Aufgaben im Rahmen des Programms klar definiert waren:
»Der Chaplain hat eine ganz besondere Verantwortung für den moralischen und geistigen Stand der Truppe. Aufgrund seines Berufes, seiner geistigen Grundlagen und seiner reichen Erfahrungen auf dem Gebiet der Seelsorge sowie seiner geistlichen Beziehungen zum einzelnen Soldaten ist er ganz von selbst einer der wichtigsten Berater für den Kommandeur.«152
Zwar blieb die seelsorgerische Betreuung der Soldaten seiner Konfession die wichtigste und vornehmste Aufgabe des Chaplains153, doch »sollen regelmässige 147 148 149 150 151
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Siehe ebd., S. 4. Ebd., S. 2. Ebd. Ebd., S. 3. Zu diesen zählten der Personaloffizier, der Chaplain, der Special Services Officer (Betreuungsoffi zier), der Truppenarzt, der Troop Information and Education Officer (Informations- und Bildungs offizier), der Public Information Officer (Presseoffizier), der Inspector General (Inspektionsoffizier) und der Provost Marshal (Gerichtsoffizier). Department of the Army, Circular 231, Paragraph 5, 3.8.1948, zit. nach Vortrag Werthmann, »Character Guidance Program«, 15.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr., S. 7. Nach Auffassung des obersten Chaplain Ivan L. Bennett gewährleistete der seelsorgerische Dienst des Chaplains den wertvollsten Beitrag zum »Character Guidance Program«. Siehe Stellungnahme des Chief Chaplain im Pentagon zu Washington, 3.6.1952. In: Ebd., S. 9.
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Unterrichtsstunden für den Chaplain angesetzt werden zur Unterweisung über Staatsbürgerlichkeit und Moral. Die Teilnahme muss sämtlich militärischen Personal [sic!] zur Pflicht gemacht werden.«154 Diese »Character Guidance Lectures«, meist als »Chaplain’s Hours« bezeichnet, bildeten nach Meinung des maßgeblichen Initiators das Herz des »Character Guidance Program«155 und waren »ausdrücklich für den Gebrauch bei der Ausbildung der Soldaten bestimmt [und] in ihrem Inhalt auf das Gebiet des Natural Law, des Naturrechts, beschränkt.«156 Dabei ging es »im Wesentlichen um das menschliche Gewissen, um die Existenz Gottes und die zehn Gebote.«157 Um sich aber nicht dem Vorwurf auszusetzen, über religiöse Themen und Fragen im engeren Sinne zu unterrichten, durften im Verlauf dieser obligatorischen Vorträge keine Fragen des christlichen Glaubens behandelt werden, da dies den demokratischen Prinzipien der religiösen Freiheit widersprochen hätte.158 Die benötigten Unterrichtsmaterialien wurden von der Dienststelle des Chief Chaplains in Zusammenarbeit mit der »Troop Information and Education Division« zusammengestellt und setzten sich inhaltlich sowohl mit staatsbürgerlichen als auch mit ethischen Fragen auseinander.159 Soweit möglich, hatte sich der Unterrichtende an den Materialien zu orientieren, »Unterweisungen über Sexualmoral werden vom Chaplain durchgeführt, wenn es notwendig erscheint.«160 Das Fundament der »Chaplain’s Hours« bildeten vier Grundthesen: So sollte jeder Soldat »die sittlichen Grundlagen der demokratischen Lebensordnung kennenlernen [und] sich über die sittlichen Verpflichtungen, die das Soldatentum an ihn stellt, im klaren [sic!] sein.« Darüber hinaus sollte er »die inneren Zusammenhänge zwischen sittlicher Lebensführung und den sich daraus ergebenden Folgen« erkennen sowie ganz allgemein zur Gutwilligkeit und Opferbereitbereitschaft bei der Ausübung seines Dienstes motiviert werden.161 Führende Vertreter der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten bewerteten die Funktion der »Chaplain’s Hours« sehr positiv. Zwar gab der Apostolische Stuhl keine Stellungnahme zu diesem Sachverhalt ab, da katholische Glaubensinhalte in keinerlei Weise berührt würden, doch wurde vom ehemaligen Chief Chaplain Reverend William Richard Arnold die positive Erfahrung der militärischen Vor gesetzten, die in ihrem Chaplain »den Repräsentanten der höchsten und unver154
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Department of the Army, Circular 231, Paragraph 5, 3.8.1948, zit. nach Vortrag Werthmann, »Character Guidance Program«, 15.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr., S. 7 f. Hervorhebungen im Original. Siehe Stellungnahmen der militärischen Stellen in: ebd., S. 11. Stellungnahme des Chief Chaplain im Pentagon zu Washington, 3.6.1952. In: ebd., S. 9. Stellungnahme der Chaplain School in Fort Slocum zur Frage der Chaplain’s Hour. In: ebd., S. 10. Siehe Stellungnahme des Chief Chaplain im Pentagon zu Washington, 3.6.1952. In: ebd., S. 9. Themen waren: »Bürger und Staat – Bürger und Regierung – Bürger und Religion – Sauberes Reden – Keuschheit – Ehe – Familie – Wie steht es um meine Freiheit – der schwerste Sieg – Was ist richtig oder falsch – Selbstkontrolle – Die Macht des Beispiels – Was ist das Beste für mich – Mein Beruf – Das Grösste aber ... – Was macht den Charakter aus? – das Naturgesetz – Pflichtbe wusstsein – Opfergeist – Zeichen wahrer Grösse – Selbstzucht – Mässigkeit.« Ebd., S. 8. Department of the Army, Circular 231, Paragraph 5, 3.8.1948, zit. nach ebd., S. 7. Stellungnahme der Chaplain School in Fort Slocum zur Frage der Chaplain’s Hour. In: Vortrag Werthmann, »Character Guidance Program«, 15.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr., S. 10.
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gänglichen Werte [sahen], auf dessen Mitwirkung sie nicht verzichten« könnten, hervorgehoben.162 Die christlichen Kirchen in Deutschland hatten bereits im Rahmen ihrer seelsorgerischen Tätigkeit in den deutschen Dienstgruppen163 der amerikanischen Streitkräfte Erfahrungen mit dem auch dort eingeführten »Character-GuidanceProgram« sammeln können. Der 1951 zwischen dem Hauptquartier der US-Streit kräfte in Deutschland und den Kirchen abgeschlossene Seelsorgevertrag stellte einen Kompromiss dar, der den Geistlichen die konfessionelle Seelsorge in kirchlicher Verantwortung ermöglichte und ihnen eine Mitsprache bei der Richtlinienerarbeitung für die »Chaplain’s Hours« zugestand, während deren »inhaltliche Gestaltung frei von amerikanischen dienstlichen Weisungen bleiben sollten.« Andererseits wurde die Zuständigkeit des Kommandeurs für alle Fragen der Erziehung und die damit verbundene Einbindung des Geistlichen in dessen Stab bestätigt.164 Von ihren Kirchenführungen mit dem Aufbau und der Koordination der Gesamtseelsorge in den Dienstgruppen beauftragt, waren sich der katholische Prälat und ehemalige Feldgeneralvikar der Wehrmacht Georg Werthmann und der protestantische Pfarrer Hermann Pleus165 darüber einig, dass die Seelsorge konfessionell, der zu haltende Unterricht, dessen Inhalte sie gemeinsam festlegten und erarbeiteten, dagegen überkonfessionell durchzuführen seien.166 Wie dieser Unterricht zu »einem Zeitpunkt, wo unter den großen Kirchen in Deutschland das ökumenische Bewusstsein und die Bereitschaft zu einer interkonfessionellen Zusammenarbeit noch gering waren«, gestaltet werden sollte, wurde Ende 1951 auf einer gemeinsamen Arbeitstagung katholischer und evangelischer Chaplains erörtert. Die Interkonfessionalität wurde bejaht und der Unterricht als »Christliche Lebenskunde« definiert: »Die Geistlichen wollten keinen wertneutralen, in sich unverbindlichen Unterricht, sondern in Deutlichkeit dafür einstehen, dass zu Fragen von Menschsein, Verantwortlichkeit, Menschenbild, Ehe – und allgemein zu menschlichen und sozialen Problemen – gerade die Kirchen positiv etwas zu sagen hätten.«167 Die Verbindlichkeit des Unterrichts, unabhängig von Konfessionszugehörigkeit und subjektiver Anschauung, wurde mit der 162
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Stellungnahme des Militärordinariats in New York. In: ebd., S. 12. In der Einschätzung des Militär historikers Hans Ehlert wird der prinzipiell überkonfessionell angelegten amerikanischen Militär seelsorge somit »neben der religiösen-seelsorgerischen Komponente [...] – etwa bei der Vermittlung normativer Werte oder moralisch-ethischer Fragen – eine wichtige Funktion in der militärischen Erziehung zugedacht.« Ehlert, Interessenausgleich, S. 42. Bei den Deutschen Dienstgruppen handelte es sich um Einheiten deutscher Kriegsgefangener, die auch nach ihrer Entlassung in alliierten Diensten verblieben und durch zivile Arbeitskräfte ergänzt wurden. Unter deutscher Führung dienten die Angehörigen des »Labor Service« unter anderem als Wachmannschaften, Logistiker und im Minenräumdienst. Darüber hinaus bauten sie die Infrastruktur für die US-amerikanischen Streitkräfte auf und stellten deren Betrieb sicher. Zur Entstehung, Entwicklung und Struktur der Dienstgruppen sowie zu den Überlegungen ihrer Einbindung in einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag vgl. ausführlich Borgert/Stürm/Wiggers haus, Dienstgruppen. Vgl. Kruse, Kirche, S. 22. Zur Einführung deutscher Seelsorge in die Dienstgruppen vgl. ebd., S. 18‑22. Zu Pleus siehe Kruse, Kirche, S. 27. Vgl. ebd., S. 27 f. Ebd., S. 33.
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Zugehörigkeit aller Deutschen zum christlich-abendländischen Kulturkreis begründet. Diese christliche Tradition rechtfertige auch die alleinige Unterrichtsgestaltung durch den Geistlichen: »Denn dieser gewährleiste am ehesten sowohl die fachliche Kompetenz als auch die sachlich-politische Unabhängigkeit, die nötig seien, die ethischen Maximen der christlich-abendländischen Tradition den Teilnehmern überzeugend nahebringen zu können.«168 Die Einigkeit Werthmanns und Pleus’ zeigte jedoch bald konfessionsbegründete Risse, ohne die eigentliche Arbeit ernsthaft zu gefährden. Bei einem gemeinsamen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten im Frühjahr 1952 hatte sich beiden Geist lichen nicht nur die Gelegenheit geboten, das System der amerikanischen Militär seel sorge umfassend kennenzulernen, sondern auch dessen Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse zu überdenken. Während Pleus in der bisherigen Ausrichtung des Unterrichtes als »Christliche Lebenskunde« bestätig wurde, distanzierte sich Werthmann, der von katholischer Seite dahingehend belehrt worden war, dass er sich, gemessen am katholischen Kirchenrecht und am amtskirchlichen Selbstver ständnis, in seinen Absprachen mit der protestantischen Seite zu weit vorgewagt hatte, von der bislang gemeinsam vertretenen Position.169 Notwendigkeit und sittliche Einflussmöglichkeiten eines derartigen Unterrichtes wurden von ihm zwar nicht in Frage gestellt, allerdings trat er nunmehr dafür ein, »diesen Unterricht fortan rechtlich wie inhaltlich vom rein kirchlichen Auftrag des Chaplains zu unterscheiden und ihn nicht mehr – wie bisher auch von ihm befürwortet gewesen – als ›christliche‹, sondern nur noch als ›allgemeine Lebenskunde‹ zu bezeichnen; sein Inhalt bewege sich in den Grenzen einer ›natürlichen Offenbarung‹ und sei nicht Teil der Christusoffenbarung.« Kirchliche Glaubenslehre und erzieherischer Unterricht müssten differenzierbar bleiben, der Unterricht »dürfe niemals als kirchliche Lehre missgedeutet werden.«170 Werthmann bestand fortan auf einer strikten Trennung von kirchlicher Seelsorge und erzieherischem Unterricht, sofern die katholische Glaubenswahrheit und -verkündung betroffen waren. Im Gegensatz zu Pleus, der »in dem Bewusstsein, dass es sich hierbei um einen sehr vorläufigen und bescheidenen Dienst der christlichen Kirche im Bereich der Erziehung handelt«, an der Ausrichtung als »Christliche Lebenskunde« festhalten wollte,171 lehnte es Werthmann ihm gegenüber ab, einen für katholische und evangelische Chaplains gemeinsamen Maßstab des ›Christlichen‹ zu definieren«172, stimmte einer Fortsetzung des interkonfessionellen Unterrichtes aber ausdrücklich zu, »sofern
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Vgl. ebd., S. 34. Vgl. ebd., S. 35. Ebd., S. 36. Ebd., S. 37. Der evangelische Theologe »vermochte [...] – die in seinen Augen formalistischen – Trennungen nicht mitzuvollziehen, die Werthmann zwischen ›Naturrecht‹ und ›Glaubensoffen barung‹, zwischen ›kirchlichem Auftrag‹ und ›allgemeiner Erziehung‹, zwischen ›geistlich‹ und ›weltlich‹ vorgenommen hatte. Nach seinem Verständnis konnte auch eine anscheinend ›weltliche‹ Verrichtung der Geistlichen, etwa der erzieherische Unterricht in den Dienstgruppen, Christus zeugnis und ›Dienst der christlichen Kirche‹ sein.« Vgl. ebd., S. 39. Als Quelle dient Kruse ein an ihn gerichtetes Schreiben Pleus’ vom 7.12.1981.
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dieser Unterricht weder rechtlich noch inhaltlich zum engeren Bereich der katholischen Glaubenswahrheit und -vermittlung zu zählen sei.«173 Mithin hatten sich die Gemeinsamkeiten und Differenzen der kirchlichen Positionen bereits vor Beginn der Verhandlungen über eine Einführung des nunmehr als »Lebenskundlicher Unterricht« betitelten Beitrages der christlichen Kirchen zur Gesamterziehung des zukünftigen Soldaten herausgebildet: »In der grundsätzlichen Zielsetzung waren sich Werthmann und Pleus, die beiden leitenden Chaplains, einig geblieben. Uneinigkeit entstand bei ihnen aber, sobald es darum ging, die Zielsetzung in eine strukturelle Konzeption zu bringen. Das erste hinderliche Problem war, wie die gewünschte feste Beteiligung der Militärgeistlichen am Dienstunterricht der Soldaten erreicht werden könne, ohne die kirchliche Seelsorgearbeit als solche einer unzumutbaren staatlichen Beeinflussung zu unterwerfen. Hier hatten beide Kirchen gleichlaufende Interessen. Im Kern stand dieses Problem hinter dem unnachgiebigem Beharren Werthmanns, zwischen ›allgemeiner‹ und ›christlicher‹ Lebenskunde unterscheiden zu müssen. Das zweite Problem war ein zwischenkirchliches, ein konfessionelles, nämlich: ob sich ein als interkonfessionell dargebotener Unterricht innerhalb der militärischen Struktur gleichwohl als ein kirchlicher [christlicher] würde verstehen und gestalten lassen können. Pleus bejahte, Werthmann verneinte dies. Hier urteilten die Kirchen zutiefst uneinig.«174 Konfliktstoff bargen auch die im Sommer 1951 beginnenden Vorverhandlungen zur Einrichtung einer Militärseelsorge, die Anfang 1952 offiziellen Charakter annahmen.175 Die sehr vorsichtig geführten Konsultationen innerhalb der Kirchen und zwischen den Konfessionen blieben zunächst ohne konkrete Ergebnisse, so dass auch keine gemeinsame Position gegenüber dem Amt Blank eingenommen werden konnte. Wechselseitiges Misstrauen und das daraus resultierende Beharren auf den jeweiligen konfessionellen Standpunkten hatten letztendlich zu einem Neben-, teils auch zu einem Gegeneinander geführt, infolgedessen bis zum Herbst 1952 keine gemeinsamen Erörterungen auf offizieller Ebene stattfanden.176 Auch die von beiden Kirchen intern initiierten Überlegungen über die Einführung eines Lebenskundlichen Unterrichtes vermochten es zunächst nicht, den konfessionellen Argwohn zu überwinden und einen gemeinsamen Ansatzpunkt für ergebnisorientierte Beratungen zu bilden, »zumal sie davon ausgehen mußten, daß ein solcher Unterricht von der Dienststelle Blank, wenn überhaupt, nur als ein interkonfessioneller Unterricht akzeptiert werden würde.«177 Die Vorbehalte der Protestanten richteten sich insbesondere gegen die Person Werthmanns, der als ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Militärseelsorge 173 174 175
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177
Ebd., S. 36. Ebd., S. 41. Die Initiative zu den im Juni beginnenden, inoffiziellen Gesprächen war vom Amt Blank ausge gangen. Vgl. ebd., S. 64. Schließlich ersuchte ihr Leiter die Kirchen in einem Schreiben vom 31.1.1952 um die Benennung von Verhandlungsbevollmächtigten über die Frage einer zukünftigen Militärseelsorge und der Rückstellung der Geistlichen vom Wehrdienst. Vgl. ebd., S. 69. Vgl. ebd., S. 62‑72. Werthmann und der Beauftragte des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Edo Osterloh, informierten sich aber wechselseitig über den jeweiligen Stand ihrer Verhandlungen mit dem Amt Blank. Vgl. ebd., S. 72. Ebd., S. 73 f. Zu den Phasen der Verhandlungen auch Bald, Die Reformkonzeption, S. 21‑23.
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galt und dem der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) kein adäquates Äquivalent entgegenstellen konnte. 1898 geboren, hatte Georg Werthmann ab 1916 als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teilgenommen und nach seiner Rückkehr aus französischer Kriegsgefangenschaft Theologie studiert. 1935 war der langjährige Kaplan und Religionslehrer in die Militärseelsorge eingetreten und im darauffolgenden Jahr zum Feldgeneralvikar ernannt worden, zu dessen Aufgaben die Bereit stellung von Seelsorgepersonal für die Wehrmacht und die materielle Organisation und Sicherstellung der Militärseelsorge an den Heimatstandorten und an der Front gehörten. Nationalistisch gesinnt, hatte er mit der Einführung der Wehrpflicht 1935 den katholischen Glauben in seinem Buch »Wir wollen dienen!« als »die große Kraftquelle« benannt, die den Wehrpflichtigen befähigen würde, »die Feuerprobe des innersten Wertes« zu bestehen, den »Ehrendienst für sein Volk leisten zu können« und die Harmonie der Körper »im Schritt, Lauf und Griff« sowie die »Harmonie der Seelen [...] in Kameradschaft, Vaterlandsliebe und Selbstzucht« zu finden.178 Begeistert von der Wiederherstellung der deutschen Wehrkraft, entwarf er ein Bild der Eidesleistung auf Adolf Hitler »als feierliches Bekenntnis« zum Führer.179 Die Militärseelsorge forderte er zur Stärkung des Siegeswillen auf, zu der auch das von ihm herausgegebene »Katholische Feldgesangbuch« beitragen sollte. Das Gesangbuch war nationalsozialistisch ausgerichtet, in ihm wurde an bekannte Liedtexte mehrfach eine Strophe angefügt, die eigens für die Kriegssituation verfasst worden war. Das Gesangbuch wurde von zahlreichen Militärseelsorgern jedoch nicht ausgegeben, da es den religiösen Bedürfnissen nicht entsprach; stattdessen wurde auf nichtamtliche religiöse Schriften ausgewichen. Die von den Kriegspfarrern verantwortete Verteilung dieser zum Teil vom Oberkommando der Wehrmacht (OKW) verbotenen Schriften an die Truppe erfolgte auch durch eine von Werthmann geduldete Weiterleitung unter Verwendung des Freistempels des Feldbischofsamtes. Stets in Sorge um die Militärseelsorge, trat Werthmann für die ihm unterstellten Geistlichen ein, die in Konflikt mit den militärischen Befehlshabern geraten waren. Es wurden allerdings auch Vorwürfe erhoben, er habe einen inhaftierten katholischen Kriegsdienstverweigerer unter Berufung auf seine bischöfliche Autorität dazu aufgefordert, den Fahneneid zu leisten. Sein diesbezügliches Credo hätte gelautet, dass Verweigerer »auszumerzen und einen Kopf kürzer zu machen« seien.180 Diese Anschuldigungen sollten während des Berufungsverfahrens Werthmanns zum ersten Militärgeneralvikar der Bundeswehr noch ein politisches, wenngleich folgenloses Nachspiel haben, als die von dem ehemaligen Häftling gegenüber Werthmann erhobenen Vorwürfe im Bundestagsausschuss für Verteidigung beraten wurden. Nachdem sich insbesondere Wirmer für die Unschuld Werthmanns verwandt hatte und Abgeordnete, denen der Geistliche aus Kriegszeiten persönlich bekannt war,
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Werthmann, Wir wollen dienen! Zit. nach Förster, Geistige Kriegführung, S. 495. Vgl. Dressler, Kreuz und Hakenkreuz, S. 38, Zitat ebd. Siehe BT, 2. WP. Sten.Prot. der 96. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 6.6.1956, BArch, BW 1/54927, S. 18. Vgl. Dressler, Kreuz und Hakenkreuz, S. 39.
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dessen Einschätzung bestätigt hatten, stellte der Ausschuss fraktionsübergreifend die Haltlosigkeit dieser Beschuldigungen fest.181 Im Januar 1945 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des katholischen Militär bischofs beauftragt, war Werthmann im April von den amerikanischen Streitkräften in Bayern interniert worden, übernahm aber bereits am 1. September die Leitung der Kriegsgefangenenseelsorge in der Kirchenprovinz Bamberg. Noch während seiner Amtszeit als Chief Chaplain der deutschen Einheiten im Labour Service der amerikanischen Besatzungszone vertrat Werthmann die Position der katholischen Kirche bei den Verhandlungen zur Militärseelsorge und zur Einführung eines Lebenskundlichen Unterrichtes in der zukünftigen Bundeswehr. Von der katholischen Kirche im Februar 1956 zum ersten Militärgeneralvikar der Bundeswehr ernannt, verzögerte sich seine staatliche Bestallung aufgrund der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen noch bis zum September 1957.182 Von der katholischen Verhandlungsseite wurde vornehmlich das als protestantisch eingeschätzte Amt Blank mit Argwohn betrachtet. Sorge bereitete ihr vor allem die Furcht, dass die Dienststelle und an deren Spitze Baudissin »mit der Evangelischen Kirche zu vorgreifenden und für das Selbstverständnis der Katholischen Kirche nachteiligen Ergebnissen kommen« könne.183 Für den hier zu untersuchenden Sachverhalt des Lebenskundlichen Unterrichtes waren diese Befürchtungen jedoch zunächst vollkommen unbegründet, da der evangelische Verhandlungsbevollmächtigte Edo Osterloh184 im Sommer 1952 mit einer diesbezüglichen Anfrage am Desinteresse der Dienststelle gescheitert war. Obwohl die Einführung eines solchen Unterrichtes zu diesem Zeitpunkt nicht auf der Agenda Baudissins stand,185 hatte er Osterloh gegenüber dennoch seine Vorbehalte, insbesondere gegen das »Character-Guidance-Program« der US-Streitkräfte, bereits im Frühjahr dergestalt zum Ausdruck gebracht, dass er jegliche Beschränkung der alleinigen Verantwortlichkeit des Einheitsführers ablehnte.186 Auch die Katholische Kirche hatte die Gesprächsangebote der evangelischen Seite über die Gestaltung ei181
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Siehe BT, 2. WP. Sten.Prot. der 96. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 6.6.1956, BArch, BW 1/54927, S. 18‑35. In Anlehnung an das 1940 erstellte psychologische Gutachten, das den Inhaftierten vor der Hinrichtung bewahrt hatte, wurde er von den Abgeordneten als Neurotiker charakterisiert. Dressler führt irrtümlicherweise den Bundesminister für Verteidigung als Für sprecher Werthmanns an und verzichtet in seinen biographischen Ausführungen auf eine kritische Würdigung der Anschuldigungen, die er als bewiesen annimmt. Eine weitere Analyse des Vorfalls kann hier nicht geleistet werden. Werthmann verstarb 1980. Vgl. Biographisches Lexikon der Katholischen Militärseelsorge, S. 896‑898; Dressler, Kreuz und Hakenkreuz, S. 36‑39, S. 49. Zur Amtsführung Werthmanns vgl. ebd., S. 39‑48. Zur katholischen Militärseelsorge vor und im Zweiten Weltkrieg vgl. Messer schmidt, Aspekte; Messerschmidt, Zur Militärseelsorgepolitik; Güsgen, Die Bedeutung. Kruse, Kirche, S. 73. Die Wahrnehmung einer vorwiegend protestantischen Dienststelle gründete auf der Annahme, dass der katholische Süden Deutschlands personell unterrepräsentiert sei. Vgl. ebd. Auf den Komplex der Militärseelsorge und des Lebenskundlichen Unterrichtes konzentriert, kann hingegen von einer Parität ausgegangen werden, da den Protestanten Baudissin, Lubbers und Hellmuth Freiherr von Wangenheim die Katholiken Wirmer, Pfister und Karst zur Seite standen. Zu Osterloh siehe NDB 19 (1999), S. 618 f. (Beitrag Brigitte Kaff). Vgl. Ehlert, Interessenausgleich, S. 54. Vgl. Kruse, Kirche, S. 74. Das US-Modell war nach Ansicht Baudissins sowohl für den Militär geistlichen als auch für den Offizier unzumutbar.
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nes Lebenskundlichen Unterrichtes als unzeitig zurückgewiesen und das Drängen auf interkonfessionelle Gespräche »als Anzeichen einer geistlichen Schwäche bei den Protestanten« und als Ausdruck ihrer Angst gewertet, »mit einer auf Freiwilligkeit gestellten Seelsorge nur wenige Soldaten erreichen zu können.« Gleichwohl herrschte auch zwischen den Vertretern der katholischen Kirche Uneinigkeit darüber, ob ein Lebenskundlicher Unterricht durch die Militärgeistlichen zu erteilen sei. Während der Chief Chaplain der Dienstgruppen, Werthmann, das Vorhaben begrüßte, sprach sich der Verhandlungsbeauftragte für die Militärseelsorge, Prälat Wilhelm Böhler187, prinzipiell dagegen aus, da er diesen Unterricht als staatsbürgerlichen und daher als einen von einem Offizier zu erteilenden Unterricht interpretierte.188 Die schließlich im Herbst zu Stande gekommene Aussprache zwischen den Ver tretern der Konfessionen über die Militärseelsorge machte jedoch deutlich, dass es den Kirchen noch immer nicht möglich war, in der Frage des Lebenskundlichen Unterrichtes eine gemeinsame Position gegenüber der Dienststelle einzunehmen. Resigniert verzichtete die evangelische Kirche im Weiteren auf eine eigene Konzeption, die sie unabhängig in die noch zu führenden Verhandlungen hätte einbringen können, und forderte stattdessen die staatliche Seite auf, die Initiative zu ergreifen.189 Werthmann hingegen, der die Position Böhlers, den Lebenskundlichen Unterricht als eine »ausschließlich militärische Aufgabe« zu betrachten,190 nicht teilte, verstärkte nach dem vorläufigen Scheitern eines konfessionsübergreifenden Vorschlages seine Bemühungen, der von ihm vertretenen Konzeption Geltung zu verschaffen. Der allein in kirchlicher Verantwortung liegende Dienstunterricht191 sollte als eigenständiger Beitrag der Kirche »in das Gesamterziehungsprogramm der Streitkräfte eingebaut werden, so dass der Militärgeistliche Mitwirkender bei dieser Erziehungsaufgabe ist, nicht aber der ausschließliche und einzige Träger dieser Arbeit. Der Geistliche ist nicht ›Erziehungsoffizier‹ und darf ihn nicht ersetzen. Würde dies nicht beachtet, dann würde dem Militär-Geistlichen eine Verantwortung übertragen werden, die er garnicht [sic!] übernehmen kann und darf.«192 Bedingt durch den Pflichtcharakter des Unterrichts nicht auf die Freiwilligkeit der Soldaten angewiesen, würde der Pfarrer als Vertreter seiner Kirche, trotz des geforderten Verzichtes auf einen militärischen Rang und der Unabhängigkeit von der militärischen Hierarchie, dennoch 187 188 189
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Zu Böhler siehe Buchna, Wilhelm Böhler; Tischner, Wilhelm Böhler. Vgl. Kruse, Kirche, S. 74. Vgl. ebd., S. 74 f. Nach Einschätzung Kruses hatte die damit übertragene Vertretung kirchlicher – evangelischer – Interessen an den Staat in der Literatur die Auffassung gefestigt, dass die Konzeption zur Einrichtung eines lebenskundlichen Unterrichtes auf staatliche Initiative hin erfolgt war »und durch die Vertreter des Staates schon sehr frühzeitig an die Kirchen herangetragen worden« sei. Frühere und inhaltlich andere Überlegungen der Kirchen, insbesondere Werthmanns, seien damit aus dem Blickfeld geraten. Vgl. ebd., S. 76. Ebd., S. 172, Anm. 231. Vgl. ebd., S. 78. Siehe Vortrag Werthmann, »Was ist zu einem solchen lebenskundlichen Unterricht des Militär geistlichen bei künftigen deutschen Einheiten im Rahmen der europäischen Verteidigung zu sagen«, 15.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr., S. 15‑21, hier S. 14. Im Weiteren Vortrag Werthmann über den lebenskundlichen Unterricht.
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keine Randfigur darstellen, sondern einen Platz inmitten der Truppe einnehmen, während die Streitkräfte durch die Förderung einer positiven geistlich-sittlichen Grundhaltung der Soldaten vonseiten der Kirchen profitierten. Darüber hinaus sollte der Unterricht sowohl die geistige Abwehrhaltung gegen den Kommunismus stärken als auch die Bemühungen zur Verhinderung einer Renaissance des Militarismus unterstützen. Einerseits plante Wehrtmann keinen Religionsunterricht, andererseits wollte er die Kirche aber auch nicht als Dienerin staatlicher Interessen, den Militär geistlichen nicht als »militärischen Antreiber« verstanden wissen.193 Bestimmte Grenzen des kirchlichen Selbstverständnisses durften auch in thematischer Hinsicht nicht überschritten werden, hinreichende Absprachen über Unter richtsinhalte und -materialien sollten Missverständnisse vermeiden.194 Obwohl Werthmann im Ansatz konfessionell dachte, war er, wie bereits bei den Dienstgruppen praktiziert, zu einem überkonfessionellen Unterricht bereit, sofern er sich inhaltlich »auf der Basis des christlichen Naturrechtes, also unterhalb der eigentlichen Glaubensverkündung und nicht im Widerspruch zu dieser« bewegen würde.195 Einen »christlichen lebenskundlichen Unterricht [...] in der Form, dass man allgemein gültige christliche Werte unter Zurückweisung konfessioneller Glaubenselemente in einen Topf wirft«, lehnte er strikt ab196: »Es müsste klar herausgestellt werden, dass es sich bei diesem Unterricht um etwas Sekundäres, Zusätzliches und Untergeordnetes handelt, welches unter keinen Umständen das eigentliche Anliegen des Militär-Geistlichen, das heißt die Vermittlung der katholischen Glaubenswerte, überschatten oder beinträchtigen darf.«197 Im Verlauf der Konsultationen über die Militärseelsorge gelang es Werthmann, auch den in der Dienststelle mit kirchlichen Angelegenheiten betrauten Franz Lubbers198 von der Notwendigkeit eines Lebenskundlichen Unterrichtes zu überzeugen. Lubbers, der erkannt hatte, dass dieser selbstständige Beitrag der Kirchen zur Erziehung des Soldaten nur im Verbund mit den Gedanken der Inneren Führung realisiert werden konnte, informierte den bereits von Osterloh über die internen Erwägungen der Kirchen zu einem solchen Unterricht in Kenntnis gesetzten
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Siehe Vortrag Werthmann über den lebenskundlichen Unterricht, 15.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr., S. 20. Vgl. Kruse, Kirche, S. 78 f. Werthmanns Beharren auf dem Dienstcharakter beruhte auf folgendem Urteil: »Bliebe es bei der Freiwilligkeit, dann wird der Erfolg schon deswegen fragwürdig, weil alles was im militärischen Leben den Charakter der Freiwilligkeit besitzt, nur sehr schwer Heimatrecht findet in der militärischen Ordnung.« Werthmann, Memorandum für eine Militärseelsorge für etwaige deutsche Einheiten im Rahmen der Europäischen Verteidigung, 29.1.1952. Zit. nach ebd., S. 79. Von dieser Auffassung wich die katholische Kirche im weiteren Verlauf ab. Vgl. ebd., S. 78 f. Vortrag Werthmann über den lebenskundlichen Unterricht, 15.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr., S. 19. Mit der Einführung eines »Christlichen Lebenskundlichen Unterrichtes« wäre der von Werthmann geforderte Pflichtcharakter nicht mehr aufrechtzuerhalten, da es niemandem zuzumuten sei, »dienstlich an einer Unterrichtsstunde teilzunehmen, welche christliche Lehren vermittelt.« Ebd. Vortrag Werthmann über den lebenskundlichen Unterricht, 15.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr., S. 21. Zur Person siehe Kruse, Kirche, S. 58 f.
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Baudissin, der seine »bereitwillige Zustimmung« zu den Absichten Werthmanns ausdrückte.199 Bevor die Frage zur Einführung eines Lebenskundlichen Unterrichtes auf einer von Wirmer und Lubbers im Mai 1953 einberufenen Tagung mit allen Beteiligten200 erörtert werden konnte, musste zunächst Prälat Böhler als offizieller Verhandlungs beauftragter für die Militärseelsorge davon überzeugt werden, einen diesbezüglichen Vorschlag durch einen Vertreter der Katholischen Kirche unterbreiten zu lassen. Trotz seiner grundsätzlichen Bedenken fand er sich schließlich dazu bereit, die Konzeption Werthmanns zur Diskussion zu stellen.201 Sein Einverständnis basierte auch auf der unzutreffenden Annahme, dass nicht der Protestant Baudissin, sondern der Katholik Pfister in der Dienststelle für den Lebenskundlichen Unterricht verantwortlich zeichnete.202 Die daraus abgeleitete Übereinstimmung sollte sich jedoch bald als Irrtum erweisen. Die ersten offiziellen Konsultationen verfolgten nicht den Zweck ergebnisorientierter Verhandlung über die Einführung eines Lebenskundlichen Unterrichtes – weder die evangelische Kirche noch Baudissin hatten zu diesem Zeitpunkt ein eigenständiges Konzept vorgelegt –, sondern dienten lediglich als Grundlage für die Ausarbeitung einer Antwort auf die von beiden Kirchen an das Amt Blank gerichtete Frage, ob »man von den Streitkräften her gewillt [sei], den künftigen MilitärGeistlichen über seine seelsorgerischen Aufgaben hinaus für diese Erziehungsaufgabe in Anspruch zu nehmen und ihm damit eine zusätzliche Aufgabe zu übertragen«.203 Einig in ihrer Ablehnung, das »Character-Guidance-Programm« auf die künftigen deutschen Streitkräfte übertragen zu können, stellten die Anwesenden die Einfüh rung des Unterrichtes und die diesbezüglichen Überlegungen Werthmanns mit Aus nahme der Wortmeldung Pfisters nicht in Frage.204 199 200
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Ebd., S. 82 f. Zitat ebd., S. 83. Die Sitzung fand unter Leitung Wirmers am 15.5.1953 statt. Weitere Teilnehmer waren die Prälaten Wilhelm Böhler und Georg Werthmann für die katholische sowie Hermann Kunst und Pfarrer Grau für die evangelische Kirche. Das Amt Blank wurde durch Franz Lubbers (Referent für Fragen der Militärseelsorge), Baudissin und Karl-Ernst Bumm (Referat »Innere Führung«), Oberst i.G. a.D. Hans-Georg von Tempelhoff und den ehemaligen Offizier Arnold von Rotberg (Unterabteilung »Planung, Referat Ausbildung«) sowie Josef H. Pfister (Studien-Bureau) vertreten. Siehe Vermerk Sitzung über die Frage des lebenskundlichen Unterrichts am 15.5.53, Juni 1953, BArch, BW 2/1381, S. 1. Zu den Positionen der Kirchen vgl. auch Bald, Die Reformkonzeption, S. 23‑29. Teilnahme und Referat Werthmanns konnten erst durch eine persönliche Intervention Wirmers bei Böhler, der seinem Glaubensbruder reserviert gegenüberstand, gewährleistet werden. Vgl. Kruse, Kirche, S. 87. Im Juni 1953 zum Sachbearbeiter für die Militärseelsorge im Büro Böhlers bestimmt, wurde Werthmann im Weiteren zum eigentlichen Verhandlungspartner der Dienststelle. Vgl. ebd., S. 112. Vgl. Kruse, Kirche, S. 85. Vortrag Werthmann über den lebenskundlichen Unterricht, 15.5.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB, S-Pr., S. 18. Zum Protokoll der Tagung vom 15.5.1953 siehe Vermerk Sitzung über die Frage des lebenskundlichen Unterrichtes, Juni 1953, BArch, BW 2/1381, S. 1‑8. Zu den auf der Tagung gehaltenen Vorträgen der Kirchenvertreter siehe Vortrag Werthmann, »Character Guidance Program«; Vortrag Werthmann über die ehemalige deutsche Militär- und Wehrmachtseelsorge; Vortrag Werthmann über den lebenskundlichen Unterricht; Vortrag Grau »Welche Erfahrungen hat die Seelsorge bei den deutschen Dienstgruppen im amerikanischen Bereich bei Durchführung des lebenskundlichen
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In einem den Sachstand zusammenfassenden Vermerk vertrat Franz Lubbers daher eine überaus optimistische Einschätzung der Arbeitsfortschritte zur Einführung eines Lebenskundlichen Unterrichtes. Zwar sei die Beteiligung der Militärgeistlichen an diesem Unterricht im Rahmen der Verhandlungen über die Militärseelsorge noch nicht abschließend entschieden, doch die mit Vertretern beider Kirchen geführten Beratungen im Mai hätten die Diskussion erheblich befördert und machten eine Entscheidung absehbar. Das Amt Blank, hier das verantwortliche Referat I/1/10 (Kirchliche Angelegenheiten)205, verfolgte daher die Absicht, eine diesbezügliche Entscheidung bis Ende Juli zu erlangen. Sollte die Frage nach Mitwirkung der Militärseelsorger am Lebenskundlichen Unterricht bis dahin positiv beschieden werden, strebte man an, die Konzeption eines Unterrichtsprogramms sowie eine Lehrgangsplanung zur Vorbereitung der betroffenen Militärseelsorger bis Ende August auszuarbeiten.206 Dies war eine gravierende Fehleinschätzung, da, wie sich bald erweisen sollte, die Verhandlungen erst am Anfang standen und zudem der schon fast unausweichliche Disput zwischen Pfister und Baudissin, der den Forderungen Werthmanns nach einem obligatorischen Unterricht ausdrücklich zugestimmt hatte, auch in diesem Falle nicht ausblieb. Der Leiter des Studien-Bureaus hatte bereits im Verlauf der Tagung seine Vorbe halte gegen die vorgesehene Einordnung und Durchführung des Lebenskundlichen Unterrichtes formuliert,207 die er wenige Tage darauf in einer an Wirmer gerichteten Notiz umfassend präzisierte.208 Dabei vertrat Pfister indes nicht den ihm oft unterstellten konfessionellen Gegensatz, sondern ein von seinem Kontrahenten Baudissin abweichendes Bild vom Soldaten, das eine größere Affinität zum traditionell Militärischen aufwies.209 Dieser Gegensatz lag nach Einschätzung Kruses auch für die Konzeption eines solchen Unterrichts »im Zusammenhang mit Aufgaben der soldatischen Erziehung und der Militär-Seelsorge vor. Das ›Studien-Bureau‹ trat für eine strikt durchzuhaltende Trennung zwischen Militär und Militärseelsorge ein und wandte sich gegen jede eigenständige Mitwirkung der Militärseelsorge im Bereich der militärischen Erziehung. Erziehung habe sich inhaltlich ausschließlich an den
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Unterrichts gesammelt?«, 15.5.1953, BArch, Msg 2/795, S. 1‑8; und Vortrag Grau »Gedanken über die künftige Gestaltung einer Militärseelsorge in deutschen EVG-Verbänden«, 15.5.1953, BArch, Msg 2/795, S. 9‑15. Böhler hatte die Erteilung eines Lebenskundlichen Unterrichtes durch katholische Geistliche von der Zustimmung des noch zu ernennenden Militärbischofs abhängig gemacht. Vermerk Sitzung über die Frage des lebenskundlichen Unterrichtes, Juni 1953, BArch, BW 2/1381, S. 1. November 1954 I/A/6 (Militärseelsorge und Kirchenangelegenheiten), vgl. Krüger, Das Amt Blank, S. 232 f. Siehe Vermerk Lubbers zum Stand der Verhandlungen mit den Kirchen über Militärseelsorge, 3.6.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner Studien Bureau, Studien-Projekte, S. 1‑4, hier S. 2 f. Siehe Vermerk Sitzung über die Frage des lebenskundlichen Unterrichtes, Juni 1953, BArch, BW 2/1381, S. 5 f. Siehe Notiz Pfister an Wirmer, Lebenskundlicher Unterricht der Militär-Seelsorger, Pfister an Wirmer, 23.5.1953, BArch, MSg 2/795, S. 1‑4. Vgl. Bald, Die Reformkonzeption, S. 30. Zu der Zusammenfassung der militärischen Interessen vgl. ebd., S. 29‑36; Kruse, Kirche, S. 86. Für Kruse entwickelte sich der persönliche und sachliche Gegensatz zwischen Pfister und Baudissin nur scheinbar zu einem konfessionellen. Zutreffender sei, dass die diametralen Positionen in Fragen der Inneren Führung von den Mitarbeitern als solche empfunden wurden. Vgl. ebd.
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Erfordernissen der militärischen Aufgabe auszurichten und unterliege der alleinigen Verantwortung des Militärs.«210 Gemäß Pfisters Überzeugung konnte die Seelsorge ihre Wirkung in legitimer Weise auf vier Arbeitsgebieten der Inneren Führung entfalten.211 Zum einen dachte er an das Arbeitsgebiet der »Betreuung« in Form einer auf freiwilliger Basis stattfindenden religiösen Betreuung der Soldaten durch die Kirchen und Religionsge meinschaften nach Dienstschluss. Dabei sollte insbesondere die Verbindung zu den zivilen Kirchengemeinden der Standorte gesucht und gepflegt sowie die Freizeit gestaltung durch religiöse und karitative Arbeitsgruppen aktiviert werden. Initiative und Erstverantwortlichkeit dieser direkten religiösen Betreuung müsse in den Händen der Kirchen liegen, die militärische Seite habe lediglich die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Selbstständigkeit der Seelsorger dürfe nur dann durch eine militärische Kontrolle in Frage gestellt werden, wenn in der religiösen Betreuung Tendenzen gepflegt würden, die zu einer Schwächung oder Gefährdung des Kampfgeistes und der Moral beitragen könnten.212 Für das Arbeitsgebiet der »Information« bot sich dem hierfür alleinverantwortlichen Einheitsführer die Gelegenheit, die Unterstützung des Seelsorgers in Fragen allgemeiner, sittlicher und religiöser Themen in Anspruch zu nehmen. Während dieser obligatorischen Lehrstunden, die in Form eines Unterrichtes mit Diskussion anzulegen seien, träten die Seelsorger nicht als Vertreter ihrer Kirche, sondern »als auf diesem Gebiet besser informierte Mitbürger und Mitmenschen der Soldaten« auf. Als Fachleute sollten sie den Einheitsführer in der Behandlung von Themen, wie dem Verhältnis zum weiblichen Geschlecht, Ehe, Toleranz, »Rassefragen« [sic!], religiöse und sittliche Grundlagen des Wehrdienstes und des gerechten Krieges mit ihrer Expertise unterstützen.213 Pfister schlug sogar vor, einmal im Monat ein allgemeines, sittlich-religiöses Thema als obligatorischen Programmpunkt des Infor mationsdienstes sowohl der Mannschaften und Unteroffiziere als auch der Offiziere festzulegen. In diesem Falle sollte es dem Einheitsführer zur Auflage gemacht werden, den Seelsorger hinzuzuziehen. Eine ausdrückliche Billigung Baudissins erfuhr eine Anregung Pfisters auf dem Gebiet der »Truppenführung«. In Anlehnung an die Praxis des amerikanischen »Character Guidance Council« sah Pfister die Einrichtung monatlich abzuhaltender Stabskonferenzen auf Regiments- und Divisionsebene vor, an denen der Komman deur, die Einheitsführer, der Informationsoffizier, der Truppenarzt, der Richter und eben auch der Seelsorger teilzunehmen hätten. Letzterem, im »Dienst der Diagnose und Therapie der geistigen und sittlichen Gesundheit der Truppe« stehend, oblä210 211 212 213
Kruse, Kirche, S. 100. Zu den nachfolgenden Ausführungen siehe Notiz Pfister an Wirmer, Lebenskundlicher Unterricht der Militär-Seelsorger, 23.5.1953, BArch, MSg 2/795, S. 1‑4. Siehe Notiz Pfister an Wirmer, Lebenskundlicher Unterricht der Militär-Seelsorger, 23.5.1953, BArch, MSg 2/795, S. 1. Pfister wies den Militärseelsorgern als Fachkräften für Sitte und Moral die gleiche Funktion zu wie den Truppenärzten und Richtern, die den Einheitsführern in ähnlicher Weise Unterstützung zu gewähren hätten, wenn es sich in den Informationsstunden um medizinische oder juristische Themen handeln sollte. Siehe Notiz Pfister an Wirmer, Lebenskundlicher Unterricht der Militär-Seelsorger, 23.5.1953, BArch, MSg 2/795, S. 1.
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ge es dabei, seine innerhalb der Truppe gewonnenen Erfahrungen und Beobach tungen zur Sprache zu bringen. Von einer solchen Informationsvermittlung von unten nach oben versprach sich Pfister Anregungen für das Führungsprogramm der nachfolgenden Monate. Die sich dem Seelsorger bietende Gelegenheit, seine Meinung zu einzelnen Fragen zu äußern, wurde von Baudissin zwar begrüßt, aber die Erwartung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit dahingehend eingeschränkt, dass die Teilnahme an diesen Konferenzen keinerlei Gewähr dafür biete, dass seine Wünsche auch Berücksichtigung fänden.214 Darüber hinaus sollten die Stabskonferenzen und die Teilnahme des Seelsorgers den Zweck verfolgen, den Seelsorger in die Innere Führung einzubinden und seine Zusammenarbeit mit den Offizieren zu fördern.215 Das vierte und letzte Arbeitsgebiet der Inneren Führung, auf dem sich für die Seelsorge Gelegenheit zur Entfaltung böte, sah Pfister in einer Zentrale für »Programm-Planung«, die im zukünftigen Verteidigungsministerium eingerichtet werden müsste und deren Aufgabe darin bestünde, die für den Informationsdienst benötigten Materialien zu erstellen. Hierbei gelte es, die religiös-sittlichen Themen von den Vertretern der Kirchen in gemeinsamer Arbeit dergestalt bearbeiten zu lassen, dass »sie im Sinn des Naturrechts oder der Schöpfungsordnung auf einen von möglichst allen Konfessionen anerkannten Nenner«216 basierten. Bestrebungen, »den ›lebenskundlichen Unterricht‹ als ein selbständiges Pflicht programm der Militär-Seelsorge innerhalb der ›Erziehung‹ der Truppe einzufüh ren«217, erteilte Pfister eine klare Absage. So hätte die Einführung einer weiten Erziehungsinstanz eine unzulässige Einschränkung der alleinigen Erziehungsverant wortung des Einheitsführers zur Folge und könne sowohl die Autorität des Einheits führers schmälern als auch zu einer gefährlichen Rivalität zwischen den Erziehungs organen führen. Vehement vertrat Pfister den Grundsatz der Freiwilligkeit. Es sei unmöglich, »einen von den Seelsorgern in ihrer Eigenschaft als Vertreter der Kirchen erteilten Unterricht über das ›christliche Menschenbild‹ als Dienstpflichtfach vorzuschreiben, denn praktisch würde dieser Unterricht nichts Anderes darstellen als den Teil einer überkonfessionellen ›Christenlehre‹«.218 Es sei auch nicht die Aufgabe der Streitkräfte, eine von Elternhaus, Schule und Öffentlichkeit versäumte »weltanschauliche Erziehung auf christlicher Grundlage« nachzuholen. Dies überfordere die Streitkräfte und verkenne ihre Aufgaben. Dabei stand Pfister der Konzeption und Durchführung eines Lebenskundlichen Unterrichtes auf christlicher Grundlage gar nicht ablehnend gegenüber. Er begrüßte ausdrücklich diesbezügliche Anstrengungen der Kirche, sah den Platz derartigen Tuns aber allein in der Freizeit, also als freiwilliges Angebot der »Betreuung«. 214
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Siehe Entwurf Lebenskundlicher Unterricht im Rahmen der Aufgaben des Militärseelsorgers, 15.6.1953, BArch, BW 2/1381, S. 1‑14, hier S. 6. Baudissin wollte den Primat der militärischen Verantwortung für Erziehung, Ausbildung und Führung keinesfalls in Frage gestellt sehen. Siehe Notiz Pfister an Wirmer, Lebenskundlicher Unterricht der Militär-Seelsorger, 23.5.1953, BArch, MSg 2/795, S. 2. Ebd. Ebd., S. 3. Hervorhebung im Original. Ebd.
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Den vermeintlichen Einwand, »dass die Behandlung religiöser und sittlicher Themen im ›Informationsdienst‹ den Erziehungscharakter verfehle«, konterte Pfister mit dem Argument, dass die richtig gehandhabte Information »eines der wirksamsten indirekten Erziehungsmittel«219 darstelle. Diese Vorgehensweise einer Einbindung der Seelsorge und somit auch des Lebenskundlichen Unterrichtes in die Innere Führung, so Pfisters Fazit, sei politisch und militärisch vertretbar, da sie die Gewähr böte, dass sowohl die Erstver ant wortlichkeit der militärischen Führung als auch das Eigenrecht der Kirche erhalten bliebe.220 Sei die von ihm angestrebte »Beschränkung der Seelsorger auf Seelsorge und Freizeitbetätigung mit Rücksicht auf [die] Kollisions-Möglichkeiten und [die] politische Situation ratsam«, bezeichnete Pfister einen späteren Vorschlag Baudissins in einer Besprechungsnotiz dagegen als »politisch und militärisch un durchführbar.«221 Hierbei wähnte er sich sowohl der Unterstützung Heusingers als auch des Oberstleutnants i.G. a.D. Ulrich de Maizières222 sicher, obgleich Letzterer sich in einer Stellungnahme zu den divergierenden Vorschlägen des Hauses weder Pfister noch der Position Baudissins anschließen wollte.223 Den Lebenskundlichen Unterricht als wichtiges Erziehungsmittel ansehend, betonte de Maizière, dass die Erziehung eine unteilbare militärische Aufgabe darstelle. Somit liege auch dieses Erziehungsmittel eindeutig in der alleinigen Verantwortung des Einheitsführers. Im Gegensatz zu Pfister vertrat er die Ansicht, dass der Seelsorger immer als Vertreter seiner Kirche und seines Glaubensbekenntnisses auftrete und er daher im Rahmen der Informationsvermittlung auch nicht nur als besser informierter Mitbürger und Mitmensch angesehen werden könne. Aus diesem Grunde hielt er Pfisters Ansatz, den Seelsorger, ähnlich wie den Arzt oder den Juristen, als zweitverantwortlichen Fachmann anzusehen, für nicht stichhaltig, da juristische und medizinische Fragen sehr wohl, theologische Fragen für den Staatsbürger hingegen nicht bin219 220 221
222 223
Ebd., S. 4. Siehe ebd., S. 3. Aktennotiz Pfister, Besprechung Heusinger, 4.9.1953, BArch, N 621/v. Kiste 3, Arbeitsakte Heusinger, S. 1. Pfister hatte bereits in seiner Stellungnahme zum Entwurf der Gruppe »Innere Führung« den Unterschied zwischen den Vorschlägen dahingehend interpretiert, dass die Gruppe ein Idealprogramm erstellt habe, mit dem man zwar weitgehend einverstanden sein könne, das aber der Möglichkeit einer Realisierung entbehre, während der Vorschlag des STB auf das politisch, militärisch und kirchlich Erreichbare ziele. Siehe Notiz Studien-Bureau an Bucksch, Stellungnahme zu dem Entwurf IG vom 15. Juni 1953: Lebenskundlicher Unterricht im Rahmen der Aufgaben des Militärseelsorgers, 7.7.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner STB. Zu Ulrich de Maizière siehe Hammerich [u.a.], Das Heer, S. 705; zur Gesamtbiographie Zimmer mann, Ulrich de Maizière. Siehe Notiz de Maizière, Lebenskundlicher Unterricht, 4.9.1953, BArch, BW 9/2227, Bl. 248 f. Eine Ausnahme bildete seine Zustimmung zu Pfisters Vorschlag, dass der Seelsorger an den regelmäßig stattfindenden Stabsbesprechungen zur Inneren Führung teilnehmen sollte. Der Notiz war zunächst eine Besprechung mit Baudissin, anschließend eine mit Karst vorausgegangen, in der de Maizière seine Bedenken offenbart hatte: »de Maizière äußerte schwere Bedenken gegen den lebenskundlichen Unterricht, sowohl gegen die Version StB als auch gegen die Version IG. Er meinte, dass man ein derartiges Projekt politisch niemals durchbekäme und dass auch vom Sachlichen her der Geistliche in eine Situation gedrängt würde, die weder seinem geistigen Signum noch seinem geistlichen Auftrag entspräche. Er wolle noch mit Graf Baudissin darüber sprechen.« Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 24.8.1953, BArch, N 717/1, Bl. 9; auch ebd., Eintrag Baudissin, 21.8.1953, Bl. 7.
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dend sein könnten. Von dieser Warte aus konnte es vom Seelsorger – wenn auch mit Einschränkungen – nicht erwartet werden, über sittliche Fragen zu unterrichten, ohne seinen Glauben in den Lehrinhalt und die Diskussion mit einzubeziehen. Ebenso stand für de Maizière die in den Vorschlägen vertretene Absicht, dem Seelsorger Themen, Grundsätze und Inhalte seines Unterrichtes präzise vorzuschreiben, im Widerspruch zu der von jedem Geistlichen zu leistenden Tätigkeit. Der entscheidende Aspekt seiner Argumentation war jedoch nicht theologischer, sondern politischer Natur. De Maizière befürchtete nämlich, dass der von der Gruppe »Innere Führung« angestrebte Pflichtcharakter von großen Teilen der politischen Kräfte eine Ablehnung erfahren würde, da sich ein dienstlicher »Unterricht durch den Pfarrer [...] nicht mit der durch das Grundgesetz vorgeschriebenen Freiheit der Religion« vertrage.224 Er appellierte daher an die Verantwortlichen, die »bestehende breite Zustimmung zu der Konzeption der Dienststelle hinsichtlich der Inneren Führung nicht durch diese Frage [zu] gefährden.«225 Diese Sorge wurde nach der Bundestagswahl vom 6. September 1953, in der die CDU/CSU die absolute Mehrheit um nur einen Sitz verfehlte, von Lubbers, dem verantwortlichen Referenten für die Militärseelsorge in der Dienststelle, jedoch als uninteressant abgetan.226 Trotz seiner Bedenken stand de Maizière einer Beteiligung des Seelsorgers am Lebenskundlichen Unterricht jedoch nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Dem Einheitsführer stünde es selbstverständlich frei, sich in diesen Fragen um Rat und Unterstützung an den Seelsorger zu wenden, wenn er dies für notwendig und zweckmäßig erachte. Der Intention Pfisters folgend, schlug er darüber hinaus vor, eine Möglichkeit zu schaffen, die im dienstlichen Unterricht angeschnittenen Themen in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften und durch Einzelgespräche zu vertiefen.227 Pfister, der den Geistlichen nur eine Statistenrolle ohne eigene Verantwortung zuwies, auf die der Einheitsführer nach Gutdünken zurückgreifen oder auch verzichten konnte, stieß mit seinen Vorstellungen aber nicht nur innerhalb der Dienststelle auf wenig Gegenliebe. Auch die Kirchen lehnten seinen Vorschlag als unannehmbar ab.228 Galt Pfister im Amt Blank und in der Forschung als ein von Wirmer gestützter katholischer Gegenpol zu dem protestantischen Christen Baudissin, hinter dem nach Auffassung Blanks bestimmte Kräfte des katholischen Klerus stünden, sah Karst die konfessionell bedingte Wirkungskraft Pfisters, der sich rühmte, Verbindungen zum Papst zu besitzen, selbst jedoch als sehr gering an. Der Geheimsekretär des Erzbischofs von Köln hatte ihm versichert, dass er Pfister nicht kenne. Wenn Pfister aber dort, wo alle Fäden zusammenliefen, nicht bekannt sei, so Karst, könne er keine große Stütze im Klerus besitzen.229 224
225 226 227 228 229
Art. 4 GG (Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit): »(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet [...].« BGBl. 1949, T. I, S. 1. Notiz de Maizière, Lebenskundlicher Unterricht, 4.9.1953, BArch, BW 9/2227, Bl. 249. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 9.3.1954 BArch, N 717/2, Bl. 139. Siehe Notiz de Maizière, Lebenskundlicher Unterricht, 4.9.1953, BArch, BW 9/2227, Bl. 249. Vgl. Kruse, Kirche, S. 111; II/IG, Vermerk über die Rücksprache mit Oberkirchenrat Dr. Dr. Niemeier, Referent in der Kirchenkanzlei der EKiD, 3.8.1953, BArch, BW 2/1381, S. 1 f. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 18.3.1954, BArch, N 717/2, Bl. 158.
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Mit dem Wissen um die innerhalb und außerhalb des Hauses vertretenen Positionen legte Baudissin schließlich einen eigenständigen Referatsentwurf für den Lebenskundlichen Unterricht vor.230 Der hierin für die Streitkräfte geforderte Beitrag der Seelsorger an der Gesamterziehung der Soldaten sollte der Vermittlung eines abendländischen Menschenbildes dienen und den Wert der demokratischen Lebens ordnung deutlich werden lassen.231 Ein besonderes Augenmerk legte Baudissin auf das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zu seinen Mitmenschen. So sollte der Unterricht »dem Soldaten Gültiges über seine Person, über die Stellung des Menschen in der Schöpfungsordnung und seine Aufgabe in der menschlichen Gemeinschaft sichtbar machen.« Es gelte ihm die Einsicht zu vermitteln, »dass erst die Anerkennung bestimmter Grundregeln dem Menschen die Entfaltung seiner Persönlichkeit ermöglicht und das Leben in einer sozialen Gemeinschaft erträglich macht.« Erst die Anerkennung der Menschwürde, seiner daraus abgeleiteten Rechte und Pflichten ließen ihn zu einem verlässlichen Kameraden und Mitmenschen werden.232 Dabei sollte der Unterricht keineswegs auf militärische Belange reduziert werden, denn »die Auswirkung auf sein Verhalten zu den anderen Menschen muss in mindestens gleicher Weise in der bürgerlichen wie in der militärischen Gemeinschaft spürbar werden. Es handelt sich hier um eine Erziehungsaufgabe in einem Bereich, in dem auf den Soldaten in seiner persönlichen Haltung eingewirkt wird.«233 Berührt werden sittliche Grundfragen der menschlichen Existenz, deren Beantwortung ihn als Mensch und Soldat betreffen, gelte es doch, ihn »zu einer eindeutigen eigenen Zielsetzung zu führen, ihm die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu erleichtern, sein sittliches Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln, seine Dienstauffassung und sein Pflichtgefühl zu stärken, ihn zu einer Bejahung von Zucht und Maß und damit zur Selbstzucht zu bewegen und seine persönliche und sittliche Lebensauffassung auf einen hohen Stand zu bringen.«234 Baudissin versprach sich von diesem Unterricht den Eingang von Wertvorstellungen und geistiger Strömungen der Gesellschaft in den militärischen Sektor sowie im Folgenden eine Förderung seiner Integration in die Gesellschaft. Charakterliche und menschliche Haltung der Soldaten sowie die Toleranz untereinander würden ebenso gefördert wie die Bildung gemeinsamer Grundüberzeugungen. Nicht nur Führungs- und Arbeitsklima innerhalb der Streitkräfte erführen eine menschliche Note, auch »der Soldat würde sich in der anonymen Großorganisation Militär, die 230
231 232 233 234
Siehe II/IG, Entwurf Lebenskundlicher Unterricht im Rahmen der Aufgaben des Militärseelsorgers, 15.6.1953, BArch, BW 2/1381, S. 1‑14. Vgl. auch Kruse, Kirche, S. 91‑99. Zur Kritk Pfisters siehe Studien-Bureau, Stellungnahme zu dem Entwurf IG vom 15. Juni 1953: ›Lebenskundlicher Unterricht im Rahmen der Aufgaben des Militärseelsorgers‹, 7.7.1953, BArch, N 621/v. Kiste 18, Ordner StB, S-Pr., S. 1‑4; BW 9/2592-2, Bl. 151‑154. Zur Replik Baudissins siehe II/IG, Stellungnahme zur Notiz des Studien-Bureaus v. 7.7.53, 21.8.1953, BArch, N 621/v., Kiste 18, Ordner StB, S-Pr., S. 1‑9; BW 9/2592-2, Bl. 155‑162. Siehe Siehe II/IG, Entwurf Lebenskundlicher Unterricht im Rahmen der Aufgaben des Militär seelsorgers, 15.6.1953, BArch, BW 2/1381, S. 1. Siehe ebd., S. 7. Vgl. auch Kruse, Kirche, S. 93. II/IG, Entwurf Lebenskundlicher Unterricht im Rahmen der Aufgaben des Militärseelsorgers, 15.6.1953, BArch, BW 2/1381, S. 8. Ebd., S. 13 f.
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zudem noch durch das Prinzip von Befehl und Gehorsam gekennzeichnet ist, als eine in seiner Würde ernstgenommene Person erfahren.« Zudem werde er angeregt, »sich mit den Wertvorstellungen der westlich-demokratischen Welt zu identifizieren, und motiviert aktiv für eine Verteidigung des abendländischen Menschenbildes einzutreten.«235 Die Voraussetzungen hierfür sah Baudissin in einem den anderen Lehrveranstal tungen im Rahmen der Gesamterziehung gleichrangigen, obligatorischen Dienst unterricht unter der Verantwortung des Disziplinarvorgesetzten. Da der Lebens kundliche Unterricht die freie Meinungsäußerung auch gegenüber abweichenden Ansichten des Unterrichtenden gewährleisten sollte, kam der Einheitsführer für dessen Durchführung aber nicht in Frage. Obwohl es aus Gründen der Einheitlichkeit der soldatischen Erziehung wünschenswert sei, den Unterricht geeigneten Offizieren zu übertragen, befürchtete Baudissin eine Anlehnung an die Zielsetzungen des ehemaligen NSFO oder des Politoffiziers der Sowjetarmee, was sein eigentliches Anliegen verfehlen würde. Stattdessen sollte der Unterricht von Zivilisten durchgeführt werden, die sich in einem Dienstverhältnis der Streitkräfte befänden,236 aber weder den ihnen zugeordneten Einheitsführern unmittelbar unterstellt sein sollten noch den Soldaten gegenüber Vorgesetzteneigenschaften besitzen dürften – in diesem Fall also von den Militärgeistlichen237, die, so Baudissin in seinem Entwurf, für diesen Unterricht außerhalb der Militärseelsorge nicht als Seelsorger und damit als Vertreter ihrer Kirche, sondern als Angehörige der Streitkräfte mit besonderem Lehrauftrag Verantwortung übernehmen.238 Als Fachleute für ethische und normative Fragen seien sie es gewohnt, »für ihre Überzeugungen einzutreten und würden für die Erteilung eines [solchen] Unterrichtes Ausbildung und Erfahrung mitbringen.« Eine zentrale Formulierung der Themen und mit den Kirchen gemeinsam erarbeitete Unterrichtsvorgaben sollten, ganz im Sinne Werthmanns, von Beginn an dem Einwand entgegentreten, »dass die Militärpfarrer benützt würden, um zur Stärkung der Kampfkraft der Truppe beizutragen.«239 235 236 237
238 239
Vgl. Kruse, Kirche, S. 94. Vgl. ebd., S. 94 f.; Bald, Die Reformkonzeption, S. 33. Wie Pfister zählte auch Baudissin Juristen und Ärzte zu dem in Frage kommenden Personenkreis. Im Unterschied zum Militärgeistlichen seien diese aber »für jeden Angehörigen der Einheit unbedingt zuständig, wenn Aufgaben ihres Fachgebietes zu lösen sind. Ihr Tätigsein löst ein Vorgesetztenverhältnis gegenüber dem Soldaten aus.« II/IG, Entwurf Lebenskundlicher Unterricht im Rahmen der Aufgaben des Militärseelsorgers, 15.6.1953, BArch, BW 2/1381, S. 10. Dieser Sachverhalt wurde von Pfister nicht berücksichtigt. Eine Hinzuziehung ziviler, nicht den Streit kräften angehöhrender, pädagogischer Fachkräfte lehnte Baudissin mit der Begründung ab, dass Vertreter von Parteien, Gewerkschaften oder sonstiger Organisationen einen unerwünschten ideologischen Einfluss auf die Erziehung des Soldaten nehmen könnten. Vgl. Kruse, Kirche, S. 97. Trotz Baudissins Absicht, die Bundeswehr und den einzelnen Soldaten fest in die Gesell schaft zu integrieren, werden mit dieser Entscheidung wichtige Faktoren des pluralistischen Gesellschaftssystems der Bundesrepublik wie Parteien, Organisationen und Verbände von der Teilhabe an der Gesamterziehung des »Staatsbürgers in Uniform« ausgeschlossen; erscheinen sogar »als Bedrohungselement der als einheitlich geforderten militärischen Erziehung.« Bald, Die Reformkonzeption, S. 34. Siehe II/IG, Entwurf Lebenskundlicher Unterricht im Rahmen der Aufgaben des Militärseelsorgers, 15.6.1953, BArch, BW 2/1381, S. 11. Kruse, Kirche, S. 96.
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Im Gegensatz zu Werthmann verstand Baudissin den Lebenskundlichen Unter richt nicht nur als selbst zu verantwortenden »Beitrag« der Kirche. Indem er die Bindung der Streitkräfte an das Grundgesetz »und das Leitbild vom Soldaten als ›Staatsbürger in Uniform‹ betonte, lag ihm an einer festen Einbindung des von Militärgeistlichen erteilten Lebenskundlichen Unterrichts in die Gesamterziehung des Soldaten.« Diese Einbindung sei aber nur in einem überkonfessionellen und in der Verantwortung des Militärs liegenden Unterrichts möglich. Beides war für Werthmann unter dem Gesichtspunkt des Selbstverständnisses der katholischen Kirche jedoch indiskutabel.240 Die evangelische Kirche sollte bis zuletzt keinen eigenen Entwurf für den Lebenskundlichen Unterricht vorlegen, sondern nach internen Beratungen und Auswertung der Entwürfe Pfisters und Baudissins Letzterem seine Zustimmung und Unterstützung zusichern. Begünstigt wurde diese Entscheidung durch den Sach verhalt, dass der vom Rat der EKD eingesetzte »Ausschuss für Fragen des Aufbaues einer Militärseelsorge« (Bender-Ausschuss) bereits frühzeitig durch die persönlichen Vorentscheidungen der Verhandlungsführer der EKD mit dem Amt Blank, Prälat Hermann Kunst241 und Oberkirchenrat Dr. Dr. Gottfried Niemeier242, zugunsten der Ausarbeitungen Baudissins vorgeprägt worden war.243 Kunst und Niemeier stellten darüber hinaus sicher, dass Baudissin eine Einladung für die Sitzung des Ausschusses erhielt, in der sich erstmalig mit der Thematik eines Lebenskundlichen Unterrichtes befasst wurde.244 Zur Vorbereitung übersandte Baudissin seinen eigenen und Pfisters Entwurf; die Überlegungen Werthmanns wurden dem Ausschuss weder durch ihn noch durch Kunst zur Kenntnis gebracht.245 Infolge dessen mussten die Ausschussmitglieder zu der Überzeugung gelangen, »dass Konzepte zum Lebenskundlichen Unterricht nur innerhalb der militärischen Abteilung der Dienst stelle Blank entwickelt worden seien und dass es sich vorrangig um eine staatliche Initiative gegenüber den Kirchen« handelte.246 Als Ergebnis dieser Sitzung, das auch durch die persönliche Begegnung der Ausschussmitglieder mit Baudissin geprägt war, wurde festgehalten, nicht den Überlegungen Pfisters, der die Unterrichtsgestaltung und -durchführung Offizieren anvertrauen wollte, zu folgen, sondern die Position Baudissins mitzutragen.247 Mit ihrer grundsätzlichen Zustimmung zur Teilnahme am Lebenskundlichen Unterricht sicherte sich die evangelische Kirche »die einmalige Chance für die Arbeit der 240 241 242 243
244 245 246 247
Vgl. Kruse, Kirche, S. 98 f. Zitate ebd. Zu Kunst siehe Wer ist Wer? 28. Ausg., S. 794. Zu Niemeier siehe ebd., S. 983. Vgl. Kruse, Kirche, S. 105 f. Alle Ausschussmitglieder übten hauptberuflich ein Kirchenamt aus und waren bislang nicht an den Überlegungen des Rates und der Kirchenkanzlei beteiligt gewesen. Den Umstand, dass ihre Meinungsbildung daher nicht unabhängig, sondern von der Art und der Auswahl der »übermittelten mündlichen und schriftlichen Informationen« beinflussbar war, machten sich Kunst und Niemeier für ihre Absichten zu Eigen. Vgl. ebd., S. 104. Der Ausschuss wird in der Literatur nach seinem Vorsitzenden, dem Landesbischof von Baden, Julius Bender, als »Bender-Ausschuss« bezeichnet. Vgl. ebd., S. 177, Anm. 329. Die Sitzung fand am 10.5.1954 statt. Vgl. ebd., S. 107. Vgl. ebd., S. 106 f. Ebd., S. 106. Vgl. ebd., S. 107 f.
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Militärgeistlichen unter den Soldaten«248; andere weltanschauliche, parteipolitische oder gewerkschaftliche Kreise sollten in Übereinstimmung mit Baudissin keinen Zutritt zur Gesamterziehung der Soldaten erhalten.249 Eine Minderheit der Ausschussmitglieder sah jedoch die Gefahr einer zu starken Einbindung in den militärischen Bereich und eines damit einhergehenden Verlusts der Glaubwürdigkeit der kirchlichen Arbeit. Eine Staatskirche wie vor 1918 dürfe keineswegs wiederkehren. Der Militärgeistliche könne seinen geistlichen Auftrag nur dann erfüllen, wenn er von staatlichen Erwartungen völlig frei bliebe. Die Kritik gründete sich an der Orientierung der Ausschussmehrheit an dem Modell des berufsethischen Unterrichts der Geistlichen beim Bundesgrenzschutz. Hier war der »Geistliche deutlich unter staatliche Erwartungen gestellt und zum anderen der Lebenskundliche Unterricht inhaltlich in eine große Nähe zum Staatsbürgerlichen Unterricht geraten.« Dass er sich damit von den Inhalten kirchlicher Seelsorge entfernte, stellte für die Mehrheit des Ausschusses und des Rates der EKD jedoch kein Problem mehr dar.250 Im Dezember 1953 hatte sich der Ausschuss noch dafür aus gesprochen, den Lebenskundlichen Unterricht als Teil der kirchlichen Seelsorge und nicht als Verlängerung des Kompaniechefunterrichts aufzufassen.251 Dass der Ausschuss von dieser Forderung abrückte, war auch dem Tatbestand geschuldet, dass ihm als Alternative zu Baudissins Überlegungen nur der vorrangig militärischen Interessen dienende Vorschlag Pfisters, aber nicht die skeptische Haltung Werthmanns zur Kenntnis gebracht worden war. Wenngleich offenbleiben muss, ob deren Kenntnisnahme einen anderen Beschluss zur Folge gehabt hätte, wäre den letztlich folgenlosen Argumenten der Kritiker, die Werthmanns Linie folgten, nach Ausfassung Kruses eine andere Durchschlagskraft verliehen worden.252 So verzichtete die evangelische Seite mit der Akzeptanz der Unterrichtskonzeption Baudissins im November 1954 schließlich auf eine grundsätzliche Diskussion theologischer und konzeptioneller Fragen hinsichtlich des Lebenskundlichen Unterrichts und zur »Staats-Kirche-Beziehung«. Stattdessen sollte die endgültige Konzeption des Unterrichtes im Rahmen einer praktischen Erprobung gefunden werden.253 Der Rat der EKD bestand zwar darauf, »dass die Dienststelle Blank zu gegebener Zeit eine offizielle Anfrage zum Lebenskundlichen Unterricht an die beiden Kirchen richten und zu einer gemeinsamen Besprechung einladen« sollte, erachtete eine vorherige Abstimmung mit der katholischen Kirche aber nicht als erforderlich.254 248 249 250 251 252 253
254
Ebd., S. 109. Vgl. ebd., S. 108. Vgl. ebd., S. 109 f., Zitat ebd. Vgl. ebd., S. 107. Vgl. ebd., S. 111. Vgl. ebd., S. 112. Mit seinem Votum hatte der Ausschuss indirekt auch eine konfessionelle Entscheidung getroffen, da Pfister in den Augen der Ausschussmitglieder eine Lösung im Sinne seiner Kirche vertrat. Dass die Konzeption Pfisters aber auch für Werthmann aus kirchlichen Gründen unannehmbar war, blieb dem Ausschuss verborgen. Vgl. ebd., S. 111. Vgl. ebd., S. 108, 112, Zitat S. 112. Mit der Forderung nach einer Einladung durch das Amt Blank wollten die Vertreter der evangelischen Kirche einerseits deutlich machen, dass die Beauftragung mit der Durchführung des Lebenskundlichen Unterrichtes von staatlicher Seite gewünscht sei, und andererseits dem Verdacht entgegentreten, »sich über die Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts Vorteile mit Hilfe des Staates verschaffen zu wollen.« Ebd., S. 108.
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Anderer Meinung war dagegen Werthmann, dessen Anregung zu einer Abstim mung, zumindest über die von beiden Kirchen gemeinsam vertretenen Positionen, Anfang 1955 jedoch keine Gegenliebe erfuhr. Über die Beratungen des »BenderAusschusses« von Niemeier informiert, lehnte Werthmann die Agenda Pfisters als indiskutabel für die katholische Kirche ab, da die Unterrichtstätigkeit des Militär geistlichen im Ermessen des alleinverantwortlichen Offiziers läge. Auf die Rolle seines Gehilfen reduziert, diene der Militärgeistliche lediglich dazu, dessen Defizite auszugleichen. Diese Einbindung der Kirche für militärische Zwecke stünde dem Selbstverständnis der katholischen Kirche diametral entgegen. Genuin militärische Interessen sah Werthmann auch in Baudissins Vorschlag verwirklicht, denn auch hier fülle der Militärgeistliche als Angehöriger der Streitkräfte und pädagogisch gebildeter Akademiker lediglich ein Vakuum, in das ansonsten vom Militär unerwünschte Gruppierungen hineindrängen würden. Obwohl er auch Übereinstimmungen, wie die Bedeutsamkeit der »Vermittlung des abendländischen Menschenbildes für das Selbstverständnis und Bilde des Soldaten«, konstatierte, befürchtete er dennoch einen Missbrauch der Militärgeistlichen als militärische Einpeitscher.255 Da die Dienststelle jedoch noch kein verbindliches Konzept über die Erziehung des Soldaten vorgelegt hatte, stufte ihr katholischer Verhandlungspartner den Vorschlag Baudissins als eine »in unverbindlicher Form private und subjektive Vorstellung der Abteilung ›Inneres Gefüge‹, für deren Gültigkeit niemand gerade stehen kann«256, ein, die daher noch keiner offiziellen Stellungnahme bedürfe. Die vom »Bender-Ausschuss« und dem Rat der EKD zunächst vertretene Intention eines Lebenskundlichen Unterrichts als Verlängerung der Seelsorge lehnte Werthmann aus theologischen Erwägungen strikt ab. Einerseits könne kirchliche Verkündung nicht als Dienstunterricht befohlen werden, andererseits sei es im Falle der angestrebten Überkonfessionalität für einen katholischen Soldaten unzumutbar, »dass ihm von einem protestantischen Geistlichen ein Lebenskundlicher Unterricht erteilt wird, der ›Teil und Verlängerung der kirchlichen Seelsorge‹, d[as] h[eißt] in diesem Fall der protestantischen Seelsorge, ist.«257 Mithin tentierte die sowohl dem Amt Blank als auch der evangelischen Kirche gegenüber gesprächsbereite, aber in skeptisch-abwartender Haltung verharrende katholische Seite zur Konfessionalität.258 Aber nicht nur die Vertreter der Kirchen und des Amtes Blank mit ihren widerstreitenden Positionen diskutierten über Form und Inhalte eines im Rahmen der Militärseelsorge anzusiedelnden Lebenskundlichen Unterrichtes. Auch der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) formulierte in seiner Stellungnahme259 255
256 257
258 259
Vgl. ebd., S. 113. Gerade der Dienstcharakter des Unterrichts würde diesen Eindruck vermitteln. Siehe I/1/10 an Wangenheim, Lebenskundlicher Unterricht, 22.7.1955, BArch, BW 2/1381, S. 1 f., hier S. 1. Es handelt sich hierbei um Abschriften der Stellungnahme der Kirchen zum Lebenskundlichen Unterricht. Prälat Werthmann, Vermerk 15.5.1955. Zit. nach Kruse, Kirche, S. 114. Prälat Werthmann, Die Planung für eine katholische und evangelische Militärseelsorge unter Berücksichtigung der Beratungen des evangelischen Ausschusses für Fragen des Aufbaues einer Militär-Seelsorge vom 13.10. und 17.12.1953 in Hannover. Bericht vom 24.1.1954. Zit. nach ebd. Vgl. ebd., S. 115. Siehe Stellungnahme des Bundes der Katholischen Jugend zu Fragen des inneren Gefüges der deutschen Streitkräfte in der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, 11.11.1953. In: Der deutsche
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zu Fragen des Inneren Gefüges deutscher Streitkräfte diesbezügliche Gedanken und hob sich mit dieser Initiative von den anderen Jugendverbänden ab, die sich mit diesem Thema nicht auseinandersetzten. Die Ausführungen blieben aber recht oberflächlich, da sie dezidierte Aussagen zu Unterrichtsinhalten, Trennung nach Konfessionen sowie über den Charakter der Unterrichtung, also ob Freiwilligkeit oder verpflichtender Dienstunterricht angestrebt wurde, vermissen ließen. An der Frage des ›ob‹ ließ der BDKJ jedoch keinen Zweifel. Solle der Wehrpflichtige »während seiner gesamten Dienstzeit als Persönlichkeit mit angeborenen Grundrechten und Gemeinschaftsverpflichtungen gewertet, geachtet und zum Einsatz gebracht werden«, müsse »dem Lebenskundlichen Unterricht im Ordnungsgefüge der kommenden Wehrmacht jene Bedeutung beigemessen werden, die Gewissen und Gewissensverpflichtung für echte Persönlichkeitsbildung nun einmal«260 hätten. Die zu vermittelnden, aber nicht näher präzisierten Lehrinhalte sollten durch einen eigens hierzu berufenen Fachausschuss des vom BDKJ geforderten Beirates der Streitkräfte261 erarbeitet und dem Lehrpersonal als verpflichtende Unterrichtsgrundlage zur Ver fügung gestellt werden. Da die Fragen der Moral untrennbar mit den weltanschaulichen Voraussetzungen verbunden seien, sollten den Vertretern der Kirchen in diesem Fachausschuss das Recht eingeräumt werden, gegen alle Entscheidungen, die den religiösen Gewissensüberzeugungen des einzelnen Wehrpflichtigen entgegenstünden, von einem Einspruchsrecht Gebrauch machen zu können. Den maßgeblichen Aspekt für den Lebenskundlichen Unterricht bildeten nach Auffassung des BDKJ aber nicht die zur Verfügung gestellten Unterlagen, sondern die Persönlichkeit der Unterrichtenden. Die an den Referenten gestellten Anfor derungen, nämlich »glaubwürdig, grundsatzklar und feinfühlend« zu sein sowie den Willen, »echte Schwierigkeiten und Einwände weder [zu] überhören noch [zu] überspielen«262, sah der BDKJ am besten in der Person des Pfarrers verwirklicht. 260
261
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Soldat in der Armee von morgen, Anl. 4, S. 129‑144. Vgl. hierzu auch Bald, Die Reformkonzeption, S. 14‑20. Kruse widmet der Stellungnahme keinen Raum. Stellungnahme des Bundes der Katholischen Jugend zu Fragen des inneren Gefüges der deutschen Streitkräfte in der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, 11.11.1953. In: Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, Anl. 4, S. 129‑144, hier S. 137. Der BDKJ forderte vom zukünftigen, unter ziviler Leitung stehenden Verteidigungsministerium die Einrichtung eines Beirates der Streitkräfte. Diesem Beirat sollten Einzelpersönlichkeiten, Fachleute und Vertreter von Organisationen sowie Vertreter der Jugendverbände und Kirchen angehören, deren Aufgabe darin bestehen sollte, den Minister »vor allem in Fragen der Erziehung, staatsbürgerlichen Bildung, der kulturellen und beruflichen Betreuung, der Freizeitpflege, der disziplinaren Ordnung der Gerichtsbarkeit sowie in Personalfragen [zu] beraten.« Hierzu sollten Kommissionen für die jeweiligen Sachgebiete eingerichtet werden, die ihre Gutachten sowohl der Regierung als auch dem Bundestag zukommen lassen sollten. Der Kommission für Personalfragen wäre dabei eine besondere Bedeutung zugefallen. Ihre Aufgabe hätte darin bestanden, die Besetzungsvorschläge für höhere Kommandostellen nach anderen sachlichen Gesichtspunkten und Maßstäben zu überprüfen als deren Beurteilung in fachlich-militärischer Hinsicht, die weiterhin den militärischen Dienststellen vorbehalten bleiben sollte. Die personelle Zusammensetzung und Aufgabenstellung dieses durch ein besonderes Gesetz zu schaffenden Beirates sollte die enge Verbindung zwischen Gesellschaft und Streitkräften zum Ausdruck bringen, letzten Endes aber wohl ein weiteres ziviles Kontrollelement über das Militär darstellen. Siehe ebd., S. 130. Stellungnahme des Bundes der Katholischen Jugend zu Fragen des inneren Gefüges der deutschen Streitkräfte in der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, 11.11.1953. In: Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, Anl. 4, S. 137.
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Dem Truppenführer wurde daher angeraten, bevorzugt die Militärgeistlichen für diesen Unterricht heranzuziehen, ihnen aber zumindest das Recht der Mitsprache und des Einspruches während der Dienstbesprechungen einzuräumen. Trotz des grundsätzlichen Einvernehmens aller Beteiligten, einen Lebenskund lichen Unterricht in den zukünftigen Streitkräften zu etablieren, vermochte auch eine Besprechung im April 1955 nichts an der Pattsituation zu ändern.263 Erst die Initiative der zivilen Vertreter des Amtes Blank, Lubbers und Wirmer, die eine den Intentionen Baudissins naheliegende Lösung präferierten, legte den Grundstein für eine Kompromisslösung. Da erneut keine Einigung in konzeptionellen Fragen erzielt werden konnte, brachte Lubbers den Vorschlag ein, bereits in die praktische Vorbereitung des Unterrichtes einzutreten. Sollten sich in der Praxis unüberwindbare Hindernisse ergeben, könne von dem Vorschlag immer noch Abstand genommen werden. Für einen erfolgreichen Versuch seien jedoch drei Bedingungen ausschlaggebend: »Aufstellung verbindlicher Richtlinien für die Erteilung des lebenskundlichen Unterrichts; zentrale und eingehende Bearbeitung der Themenentwürfe; sorgfältige Vorbereitung der Militärgeistlichen auf diese Aufgabe in besonderen Kursen, nicht zuletzt auf die Methodik des Unterrichts.«264 Erste Entwürfe zu den Themenbereichen »Recht und Gerechtigkeit« sowie »Ehe und Familie« sollten bis zum 10. Mai erarbeitet und anschließend durch einen kleinen, interkonfessionellen Ausschuss erörtert werden.265 Obgleich der Lebenskundliche Unterricht im Juli nach einer weiteren, vom nunmehrigen Verteidigungsminister Theodor Blank geleiteten Sitzung vor dem Scheitern stand266, strebten auch die konzeptionellen Erwägungen schließlich einer Lösung zu. Voraussetzung war eine interkonfessionelle Einigung sowie die Bereitschaft des Ministeriums, auf die Positionen der Kirche zuzugehen. Bereits auf der Sitzung hatten »Wirmer und Lubbers, unterstützt von Minister Blank, ihren klaren politischen Willen zu erkennen gegeben, den Lebenskundlichen Unterricht einzuführen.«267 Mit der Vorlage der Schrift »Vom künftigen Soldaten« im Juni war endlich die von Werthmann geforderte Konzeption der Inneren Führung und der Gesamterziehung vorgelegt worden, ohne die für Werthmann keine verbindliche 263
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Die Initiative hierzu ging von Niemeier aus. Siehe Schreiben Niemeier an Baudissin, 28.1.1955, BArch, BW 2/1381. Vgl. auch Kruse, Kirche, S. 116. Zur Sitzung siehe II/2/1, Aktenvermerk, Besprechung über »lebenskundlichen Unterricht«, am 13. April 1955, 22.4.1955, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 110‑116; Werthmann, Niederschrift, Von der Besprechung in der Dienststelle Blank, Ueber die grundsätzliche Seite des lebenskundlichen Unterrichtes in den zukünftigen Streitkräften am 13. April 1955, 13.4.1955, BArch, MSg 2/795, S. 1‑5; Schreiben I/1/10 an II/2/1, Anliegenden Aktenvermerk (Besprechung vom 13.5.1955 über Fragen des lebenskundlichen Unterrichts), 21.4.1955, BArch, BW 2/1381, S. 1 f. Im Weiteren Aktenvermerk über Fragen des lebenskundlichen Unterrichts. Die Einladung zu dieser Besprechung erfolgte durch Heusinger; Pfister hat daran nicht teilgenommen. Siehe Einladungsschreiben Heusinger, 12.3.1955, BArch, BW 2/1981. Aktenvermerk über Fragen des lebenskundlichen Unterrichts, BArch, BW 2/1381, S. 1. Siehe II/2/1, Aktenvermerk, Besprechung über »lebenskundlichen Unterricht«, am 13. April 1955, 22.4.1955, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 110‑113. »Der Lebenskundliche Unterricht ist geplatzt, und das ist gut so. Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass wir uns auf keinen Fall auf diese Dinge einlassen dürfen.« Schreiben Werthmann an Böhler, 18.8.1955. Zit. nach Kruse, Kirche, S. 121. Ebd.
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Stellungnahme der katholischen Kirche zum Lebenskundlichen Unterricht möglich schien. Auch der Forderung nach einer Selbstständigkeit des Militärgeistlichen für den Lebenskundlichen Unterricht, bei alleiniger Verantwortung des Kommandeurs für die Gesamterziehung des Soldaten, war staatlicherseits entsprochen worden.268 Weitere Zugeständnisse sollte die »Merkschrift Militärseelsorge« vom August 1956 beinhalten, die den Militärgeistlichen jeglicher Einordnung in die militärische Hierarchie enthob und zahlreiche weitere kirchliche Forderungen, insbesondere Werthmanns, erfüllte.269 Vor einer endgültigen Klärung mussten sich jedoch die Kirchen auf eine gemeinsame Verhandlungsposition gegenüber dem Ministerium verständigen, wobei das Verhandlungsergebnis eines auf freiwilliger Basis und konfessionell getrennt durchzuführenden Unterrichts diametral von ihren ehemaligen Positionen abwich.270 Die Forderung der Freiwilligkeit wurde mit dem »Schutz der Militärgeistlichen vor disqualifizierenden Äußerungen« begründet. Hinzu kam die Sorge um konfessionelle Auseinandersetzungen und die »Bedenken über die Unabwägbarkeit, wie sich die nationalsozialistisch beinflussten ›gottgläubigen‹« oder konfessionslose Soldaten in einem solchen Unterricht verhalten würden.271 Die konfessionell getrennte Durch führung gründete auf der Prämisse, »den lebenskundlichen Unterricht auch als Medium einer teilweise kirchlichen Ansprache an die Soldaten zu verstehen.« Den Verhandlungspartnern erschien es als fraglich, ob man die im Unterricht zu erörternden Probleme und Themenfelder überhaupt ohne den »besonderen kirchlichen bzw. konfessionellen Standpunkt« betrachten könne. Letztlich glaubten beide Kirchen »nicht auf die ›pointierte Herausarbeitung präziser kirchlicher Stellungnahmen und Antworten auf brennende Lebensfragen‹ verzichten zu können. Die Erfahrungen des Nationalsozialismus, seine Auswirkungen auf die Einstellung der heranwachsenden Generation [...] verlangten Konsequenzen für die Ausbildung der Wehrpflichtigen; mit Hilfe einer konfessionsbezogenen lebenskundlichen Unterweisung sollte Orien tierung und Leitung für die Jugendlichen angeboten werden.« Die Kirchen werteten den Unterricht als eine missionarische Tätigkeit, die zwar nicht in das Heiligtum der Kirche, aber in deren Vorhof führe.272 Mithin verbot sich eine konfessionelle Vermischung.273 268
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Vgl. ebd., S. 120. Trotz dieses Entgegenkommens beharrte die katholische Seite aus theologischen Gründen auf ihrer Ablehnung des vorgelegten Konzeptes, sprach sich aber im Rahmen ihrer Forderung nach einer Wiedereinführung der ehemaligen Kasernenstunden (konfessionell und freiwillig) ausdrücklich für eine Teilnahme an der probeweisen Erteilung des Unterrichtes aus. Vgl. ebd., S. 121. Vgl. ebd., S. 122 f. Vgl. hierzu ebd., S. 125 f.; Bald, Die Reformkonzeption, S. 24‑27. Siehe auch I/1/10 an Wangenheim, Lebenskundlicher Unterricht, 22.7.1955, BArch, BW 2/1381; Niederschrift über die Besprechung zwischen den Herren des Bischofamtes und des Kirchenamtes am Abend des 26. April 1956, 2.5.1956, BArch, BW 2/1381, S. 1‑6. Vgl. Bald, Die Reformkonzeption, S. 24 f., Zitate S. 25. Vgl. ebd., S. 26, Zitate ebd. Hinzu kam die bereits von Werthmann geäußerte Auffassung, dass zwischen den Kirchen unüberbrückbare theologische Differenzen bestünden. Vgl. ebd., S. 28. Mit dieser Entscheidung wurde, von Werthmann vorangetrieben, letztendlich aufgrund konfessioneller Bedenken verhindert, dass im Sinne der Inneren Führung »mit Hilfe eines überkonfessionel-
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Diese Forderungen spiegelten den Konsens der Kirchen wider, »die gemeinsamen Interessen gegenüber ihren Ansprechpartnern, den Soldaten und dem Staat, einvernehmlich und mit Nachdruck zu regeln.«274 Sie wurden dem Ministerium im Juli 1956 zur Kenntnis gebracht und bereits wenige Tage später mit der Übersendung eines ersten Entwurfes der späteren »Merkschrift« beantwortet.275 Wenngleich die militärische Seite keinen Paradigmenwechsel wie die Kirchen vollzog, konstatieren Bald und Kruse eine Verlagerung der Sprachregelung hin zur militärischen Diktion (Bald) sowie Tendenzen, »die mehr auf eine traditionell soldatische als auf eine auf die Integration des Militärs in die Gesellschaft ausgerichtete Interpretation des Lebenskundlichen Unterrichts hindrängte[n].«276 Deren Befür worter, allen voran Karst, der 1955 die Verantwortung für den Lebenskundlichen Unterricht übernommen hatte, hielten »eine Kongruenz zwischen Gesellschaft und Militär auf ethisch-normativen Gebiet für nicht möglich« und erwarteten vom Lebenskundlichen Unterricht Hilfe und Unterstützung bei der Vermittlung eines gesonderten soldatischen Wertekanons. Dem standen die im Sinne Baudissins argumentierenden Befürworter »einer nicht ausschließlich soldatischen, sondern allgemein ethischen Bindung der Soldaten« gegenüber.277 Im Gegensatz zu den kirchlichen Entwürfen einer Merkschrift zum Lebenkundlichen Unterricht278 wurden in den Ministerialvorlagen erstmalig soldatische Begriffe wie Gemeinschaft, Selbstzucht, Ordnung, Verteidigungswert, Pflichtbewusstsein und Dienstauffassung als angestrebte Erziehungsziele verwendet. In der abschließenden Kompromissfassung fanden weitere militärische Tugenden wie Kameradschaft, Dienst, Treue, Mut und Hin gabe279 aber ebenso wenig Berücksichtigung wie die staatliche Erwartungshaltung einer »Hilfe in der charakterlichen und militärischen Erziehung« sowie bei der weltanschaulichen Aufrichtung und Förderung der Kampfmoral.280 Die abschließende Einigung zwischen den staatlichen und kirchlichen Verhand lungspartnern hielt, trotz der eindeutigen innerministeriellen Tendenz, »den mit der Einführung des Lebenskundlichen Unterrichts in die militärische Gesamterziehung enthaltenen ›Reformansatz zu unterlaufen‹, grundsätzlich an diesem fest. Eingeordnet
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len Unterrichts ein betont liberaler, nicht militärischer Freiraum der Aussprache geschaffen werden« konnte. Ebd., S. 29. Ebd., S. 26. Diese gemeinsame Position wurde jedoch erst möglich, als die Beratungen auf höherer und höchster Ebenen – beide Kirchen hatten im März 1956 Militärbischöfe ernannt – stattfanden. Vgl. ebd., S. 27; Kruse, Kirche, S. 125. Vgl. Bald, Die Reformkonzeption, S. 28; Kruse, Kirche, S. 126 f. Das Ministerium war bereits im Voraus über die Verhandlungsergebnisse informiert. Vgl. ebd., S. 127. Kruse, Kirche, S. 124; vgl. auch Bald, Die Reformkonzeption, S. 45‑47. Kruse, Kirche, S. 124. Zu den Unterstützern der Intention Baudissins zählten Wirmer, Lubbers sowie der in der Unterabteilung »Innere Führung« verantwortliche Referent für Erziehung, Hellmuth Freiherr von Wangenheim. Sowohl Baudissin, der die Unabhängigkeit des Lebenskundlichen Unterrichtes vom militärischen Denken anstrebte, als auch Lubbers und Wirmer befürworteten seinen Verbleib in der zivilen Obhut der von Lubbers geleiteten Abteilung Militärseelsorge. Diese Entscheidung, so Kruse, hatte maßgeblichen Einfluss auf den Charakter und die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts im Sinne des Reformkonzepts. Vgl. ebd., S. 102. Vgl. die bei Bald anhängenden Dokumente: Bald, Die Reformkonzeption, S. 48‑52. Vgl. Kruse, Kirche, S. 125 Vgl. Bald, Die Reformkonzeption. Diese den Interessen der Kirchen zutiefst entgegenstehende Forderungen waren bis 1956 nicht erhoben worden und scheiterten an deren Veto.
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in die Gesamterziehung des Soldaten und die Eigenständigkeit der Kirchen in der Durchführung wahrend, sollte der Lebenskundliche Unterricht dem Soldaten, über die handwerklich-funktionalistischen Fertigkeiten des soldatischen Tuns hinaus, allgemein gültige sittliche und ethische Inhalte und Lebenshilfen vermitteln.281
4. Der Blick über den »Gartenzaun« – Der Erziehungsbegriff in den Streitkräften zukünftiger Alliierter Trotz aller Ressentiments waren sich Baudissin und Pfister der Tatsache bewusst, dass die Lösung für die anstehenden Aufgaben nicht allein in der deutschen Tradition militärischer Erziehung zu finden sei. Der Blick über den eigenen Gartenzaun initiierte zahlreiche Kontakte mit Vertretern ausländischer Erziehungsinstitutionen und gewährte aufschlussreiche Einblicke in die Erziehungs- und Bildungsarbeit der zukünftigen Alliierten sowie der neutralen Staaten Schweiz und Schweden, die nicht ohne Einfluss auf die Entwicklung der eigenen Arbeit blieben. Tagungen wie die bereits erwähnte und von Pfister geleitete Sonderveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Erziehung zum Thema »Erziehungsprobleme im Polizei- und Wehr dienst« 1952282 sowie die »Beratungen über Erziehungsfragen in Streitkräften« 1955283 und die »Konferenz über Armee und Erziehung« 1956284 des Ökumenischen Institutes Bossey bei Celigny in der Schweiz boten die Möglichkeiten eines breitgefächerten Informationsaustausches auf internationaler Basis. Ergänzt wurden diese Eindrücke durch bilaterale Kontakte in Form von zahlreichen Besuchen der Erziehungsund Bildungseinrichtungen der britischen Streitkräfte in Deutschland und Groß britannien, die von der britischen Seite mit Gegenbesuchen erwidert wurden. Die im Verlauf der Konsultationen über den Lebenskundlichen Unterricht erlangten Kenntnisse über das Erziehungsprogramm der US-Streitkräfte vertiefte Baudissin durch einen mehrwöchigen Informationsbesuch in den Vereinigten Staaten. Ein umfangreicher Bericht über eine Studienreise von Mitgliedern des Bundestags aus schusses für Fragen der europäischen Sicherheit im Dezember 1953 infor281
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Vgl. Kruse, Kirche, S. 125. Zu Sinn, Aufgabe und Durchführung des Lebenskundlichen Unterrichts siehe Merkschrift »Lebenskundlicher Unterricht«. Gemäß der gegenwärtig gültigen ZDv A-2620/3 »Lebenskundlicher Unterricht«, S. 4, Nr. 107, ist der Untericht verpflichtend. Zur Tagung siehe BArch, N 621/v. Kiste 21, Ordner STB, DGE -111; N 621/v. Kiste 11, Ordner Military Education 1952. Siehe Aktennotiz Baudissin über die Beratungen über Erziehungsfragen in Streitkräften am Ökumenischen Institut in Bossey vom 20.‑23.5.1955, 7.6.1955, BArch, N 717/4, Bl. 1‑3; Oekumenisches Institut – Bossey bei Celigny, Schweiz, Konsultationen über Armee und Erziehung, 20.‑23.5.1955, Zusammenfassender Bericht, BArch, N 717/21, S. 1‑3; Bericht über die Tagung beim ökumenischen Institut in Bossey bei Genf 20.‑22.5.1955, BArch, N 621/v. Kiste 19, Mappe Projekt E 1955, S. 1‑6. Wer den Bericht verfasst hat, konnte nicht nachvollzogen werden, da weder ein Berichterstatter noch eine Abteilung vermerkt sind. Obwohl ein Seitenhieb gegen Baudissin nicht fehlt, kann Pfister wohl ausgeschlossen werden, da er gemäß der namentlichen Auflistung der Konferenzteilnehmer von Baudissin nicht erwähnt wird. Bericht über die »Konferenz über Streitkräfte und Erziehung« am Oekumenischen Institut, Bossey-Schweiz vom 11. bis 16. Juni 1956, 25.6.1956, BArch, N 717/21, S. 1‑7; Oekumenisches Institut – Bossey bei Celigny, Schweiz, Konferenz über Armee und Erziehung, 11.‑16.6.1956, Zusammenfassender Bericht, BArch, N 717/21, S. 1‑15.
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mierte schließlich über die Gestaltung der Inneren Führung in den schwedischen Streitkräften. Vorrangig galt die Reise der Informationsgewinnung über den Militie ombudsman, den Miltärbeauftragten des schwedischen Reichstages und Vorbild des späteren Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, sowie der Organisation der Personalbetreuung.285 Einen ersten Eindruck über die Gestaltung des Erziehungswesen in den Streitkräften anderer Staaten zu Beginn der 1950er-Jahre vermitteln die von den ausländischen Teilnehmern auf der Tagung zu »Erziehungsprobleme[n] im Polizeiund Wehrdienst« gehaltenen Referate. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Ausführungen im Wesentlichen auf die Förderung der Allgemeinbildung, der staatsbürgerlichen Bildung und Information sowie auf die Betreuung der Soldaten sowie deren berufliche Fort- und Weiterbildung konzentrierten. Der Erziehung im engeren Sinne oder einer ethischen Erziehung in Form eines Lebenskundlichen Unterrichts wurde keine Aufmerksamkeit zuteil, obwohl Letzterer im »Character Guidance Programm« der US-Streitkräfte eine nicht zu vernachlässigende Komponente der militärischen Gesamterziehung darstellte.286
a) Großbritannien Der intensivste Gedankenaustausch fand mit den für die Erziehungs- und Bildungs arbeit verantwortlichen Kräften in den britischen Streitkräften statt. Er begann mit einem Vortrag von Werner Burmeister, Dozent für Politikwissenschaften an der Universität London und Referent für Erwachsenenbildung bei der Englischen Hohen Kommission auf der Tagung Pfisters.287 Maßgebliche Verantwortung für die Bildungsarbeit in der britischen Armee hatte das 1920 gegründete »Royal Army Education Corps« (RAEC) inne.288 Bereits 1830 hatte die britische Armee begonnen, Lehrer zur Unterrichtung wenig oder ungebildeter Soldaten einzustellen. Institutionalisiert wurde diese Maßnahme 1845 durch die Bildung eines Korps der Armeelehrer, das schließlich durch das RAEC 285
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Siehe »Bericht der Studienkommission des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit über die Gestaltung der Inneren Führung in der schwedischen Wehrmacht, erstattet von den Ausschussmitgliedern Abg. Paul und Abg. Schmidt-Wittmark«, 11.2.1954, BArch, BW 9/33, S. 1‑44, hier S. 3 (im Weiteren »Bericht der Studienkommission«, 11.2.1954). Der in den Beiträgen verwendete Terminus »Erziehung« wird der Authentizität wegen beibehalten, obwohl hier die Anwendung des deutschen Bildungsbegriffes zutreffender wäre. Zu diesem Vortrag siehe England, Referat von Werner Burmeister, Dozent für Political Science Universität London (Gekürzte Fassung), 1.5.1952, BArch, N 621/v. Kiste 21, Ordner STB, DGB-111, Bl. 64‑67. Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Bildungsverhältnisse in der britischen Armee. Marine und Luftwaffe unterhielten ähnliche Bildungseinrichtungen. Siehe hierzu ausführlich British Information, Nr. 214, 16.9.1953, Das Bildungswesen in der britischen Wehrmacht, BArch, N 690/v.125, S. 1‑12. Diese Information wurde vom Zentralen Informationsbüro, London, ausgearbeitet. Bildungswesen in den britischen Streitkräften, BArch, N 621/v. Kiste 13, Mappe England, S. 1‑17. Hierbei dürfte es sich, geurteilt anhand Darstellungsweise, Ausdruck und Inhalt, ebenfalls um Auskunftsmaterial des Zentralen Informationsbüros, London, handeln. Baudrexel, Die Bildungsarbeit in der englischen Wehrmacht. Hinsichtlich der Bildungseinrichtungen der Armee siehe The War Office, Command of Army Council, Manual of Education 1949, 1953 Part V, VII, I, XI, XII, BArch, N 621/v. Kiste 13.
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abgelöst wurde.289 Die Angehörigen dieses Korps waren keine Truppenoffiziere und wurden demnach auch nicht zu militärischen Kommandoaufgaben herangezogen. Die Einstellung in die Sonderlaufbahn eines »Education-Officers« (Bildungsoffizier) setzte eine Verpflichtungszeit von vier oder mehr Jahren sowie eine abgeschlossene Universitäts- oder Collegeausbildung voraus. Nach einer dreimonatigen militärischen Grundausbildung wurden die Universitätsstudenten und Volksschullehrer, die von der Möglichkeit Gebrauch machen wollten, ihre in Studium und Lehrertätigkeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten anzuwenden, zu Offizieren auf Zeit im »Royal Army Education Corps« ernannt. Mit ihrem Ausscheiden aus dem Corps erlosch der Dienstgrad, doch war eine Übernahme in das Truppenoffizierkorps nach erfolgreicher Teilnahme an den hierzu notwendigen Offizierlehrgängen möglich. Vom Bataillon aufwärts verfügte jede Einheit der britischen Armee über einen Bildungsoffizier im Dienstgrad Leutnant bis Hauptmann, der, ohne militärische Kommandofunktion, einerseits in die militärische Kommandohierarchie eingebunden war, andererseits als Berater des Kommandeurs in Bildungsfragen fungierte. Unterstützung in seiner Arbeit erfuhr er durch zwei Stabsunteroffiziere, die ebenfalls über eine Universitäts- oder Collegevorbildung verfügten und dem RAEC angehörten.290 Die Aufgaben des Bildungsoffiziers reichten von der Beratung und Förderung des einzelnen Soldaten über die Unterrichtsdurchführung in den allgemeinbildenden Fächern sowie der Information über das tagespolitische Geschehen bis zur Organisation der Freizeitgestaltung und der Führung und Verwaltung der Truppenbücherei. Vorrangiges Ziel der Bildungsarbeit in den britischen Streitkräften war die »Heranbildung tüchtiger Marine-, Heeres- und Luftwaffensoldaten, aber es herrscht Einstimmigkeit in der Auffassung darüber, dass die allgemeine Ausbildung, die staatsbürgerliche Erziehung und das Wissen um die Verhältnisse in der Welt zur Erreichung dieses Zieles beitragen.«291 Unterstützung wurde den Angehörigen des RAEC auch durch die Zusammenarbeit mit zivilen Lehrkräften zuteil. Hierbei handelte es sich um Universitätslehrer, Dozenten weiterer Organisationen der Er wachsenenbildung, Lehrer mit befristeten Arbeitsverträgen sowie Fachkräfte für die handwerkliche Ausbildung.292 Die allgemeine Bildung wurde anhand von obligatorischen Unterrichten in Englisch, Mathematik sowie zu Sachgebieten, deren Kenntnisse für die weitere militärische Ausbildung erforderlich waren, gefördert. Der erfolgreiche Abschluss dieses in drei Klassen gegliederten Qualifikationsverfahrens bildete die Voraussetzung für die Beförderung des Soldaten.293 Für Rekruten mit sehr geringen Bildungskenntnissen waren Schulungslager geschaffen worden, in denen die Ausbilder des RAEC den 289 290
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British Information, Nr. 214, 16.9.1953, Das Bildungswesen in der britischen Wehrmacht, BArch, N 690/v.125, S. 6. Siehe Leiter Fü B I, Oberst Wilcke an Generalinspekteur, Bericht über eine Informationsreise zur Besichtigung von Erziehungseinrichtungen der britischen Streitkräfte, 21.12.1959, BArch, BW 2/20224, S. 4 f. Britisch Information, Nr. 214, 16.9.1953, Das Bildungswesen in der britischen Wehrmacht, BArch, N 690/v.125, S. 1. Vgl. Baudrexel, Die Bildungsarbeit in der englischen Wehrmacht, S. 554. Rekruten mit akademischer Ausbildung waren von diesen Unterrichten befreit. Vgl. ebd., S. 553.
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Schülern in zwölfwöchigen Kursen ein Bildungsniveau vermittelten, das es ihnen ermöglichte, an der militärischen Ausbildung teilzunehmen.294 Das Bildungssystem der britischen Streitkräfte diente demnach auch der Korrektur einer unzureichenden Schulausbildung. Der für die deutschen Streitkräfte geplante Staatsbürgerliche Unterricht spiegelte sich in den »current affairs«, einem Unterricht über tagespolitische Ereignisse wider. Ob der Bildungs- oder ein Truppenoffizier (Kompaniechef ) für die Durchführung verantwortlich war, wird anhand der vorliegenden Quellen nicht abschließend deutlich. Sprechen die offiziellen Verlautbarungen vom Truppenoffizier, erwähnen sowohl Baudissin als auch sein Nachfolger als Leiter der Unterabteilung »Innere Führung«, Oberst i.G. Henning Wilcke295, den Bildungsoffizier als den Verantwortlichen für den Staatsbürgerlichen Unterricht.296 Der mit einer Stunde pro Woche angesetzte obligatorische Unterricht sollte den Soldaten befähigen, die tagespolitischen Ereignisse zu reflektieren und seine Meinung in der offenen Diskussion zu artikulieren. Unterrichtsmaterialien und Tageszeitungen dienten als Gesprächsgrundlage.297 Baudissin hatte bei seinem Besuch britischer Einrichtungen den Eindruck gewonnen, dass die Bildung zum Staatsbürger als eine besonders schwierige Arbeit angesehen werde. Man klage darüber, »dass die Truppenoffiziere sich vor der Politik fürchten und sich Gegenargumenten nicht gewachsen fühlen.« Die von ihm wahrgenommene Lösung der britischen Armee, »diesen Unterricht durch besondere Lehrkräfte abhalten zu lassen«, sei für die Bundeswehr jedoch untragbar. Es sei die Aufgabe des Kompaniechefs, sich mit politischen Fragen auseinanderzusetzen und sich mit bestimmten Standpunkten zu identifizieren. Scheue er diese Konfrontation, sei er als »Staatsbürger nicht glaubwürdig.«298 Darüber hinaus bot das britische Bildungssystem zahlreiche Fort- und Weiter bildungsmaßnahmen für die Soldaten aller Dienstgrade an. Die Angebote reichten 294
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Wilcke sah Kriegsfolgeerscheinungen, sozialbedingte Entwicklungsstörungen und ein gefährdetes Familienleben als Ursache dieser Bildungsferne an. Diese Ursachen lägen auch dem sinkenden Bildungsniveau in Deutschland zugrunde. Siehe Leiter Fü B I, Oberst Wilcke an Generalinspekteur, Bericht über eine Informationsreise zur Besichtigung von Erziehungseinrichtungen der britischen Streitkräfte, 21.12.1959, BArch, BW 2/20224, S. 3. Baudissin hatte, in Bezug auf die aus dem Osten geflohenen Jugendlichen, bereits sechs Jahre zuvor auf diesen Sachverhalt hingewiesen: »Es steht fest, dass unter der Flüchtlings- und Ostzonenjugend ebenfalls erhebliche Unbildung herrscht; sie wird in extremen Fällen die dienstliche Brauchbarkeit erheblich einschränken. Eine ähnliche Einrichtung ist deshalb sehr erwägenswert, besonders im Hinblick auf das große Interesse der Jugend an ihrer Weiterbildung.« Reisebericht über die Fahrt nach Oeynhausen und Minden vom 23.‑25. November 1953, Besichtigung des Education Centers und Welfare-Einrichtungen der britischen Rheinarmee, 30.11.1953, BArch, BW 9/220, Bl. 136‑138, hier Bl. 137. Zu Wilcke siehe Nägler, Der gewollte Soldat, S. 123, Anm. 184. Britisch Information, Nr. 214, 16.9.1953, Das Bildungswesen in der britischen Wehrmacht, BArch, N 690/v.125, S. 7; Leiter Fü B I, Oberst Wilcke an Generalinspekteur, Bericht über eine Informationsreise zur Besichtigung von Erziehungseinrichtungen der britischen Streitkräfte, 21.12.1959, BArch, BW 2/20224, S. 3. Reisebericht über die Fahrt nach Oeynhausen und Minden vom 23.‑25. November 1953, Besichtigung des Education Centers und Welfare-Einrichtungen der britischen Rheinarmee, BArch, BW 9/220, Bl. 136‑138, hier Bl. 137. Vgl. Baudrexel, Die Bildungsarbeit in der englischen Wehrmacht, S. 553. Reisebericht über die Fahrt nach Oeynhausen und Minden vom 23.‑25. November 1953, Besichtigung des Education Centers und Welfare-Einrichtungen der britischen Rheinarmee, 30.11.953, BArch, BW 9/220, Bl. 137.
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von Kursen im Sinne der deutschen Volkshochschuleinrichtungen, den Besuch von Abendschulen, Fernschullehrgängen bis hin zur Möglichkeit, einen Universitäts abschluss zu erlangen. Truppenbüchereien standen ebenso zur Verfügung wie berufsfördernde Maßnahmen bei Ablauf der Dienstzeit.299 Für den militärischen Nachwuchs wurde mit einer Ausbildung für technische Berufe geworben. Voraussetzung war eine Verpflichtungszeit von zwölf Jahren. Nach Abschluss ihrer dreijährigen Berufsausbildung traten die Lehrlinge in den Militär dienst über.300 Einen ähnlichen Weg, jedoch ohne Verpflichtungserklärung hat die Bundeswehr mit der Einrichtung von Lehrwerkstätten eingeschlagen.301 In seiner abschließenden Bewertung hob der Nachfolger Baudissins 1959 die herausragende Bedeutung des britischen Bildungssystems der Streitkräfte für die All gemeinbildung hervor, bestritt aber, dass eine Übertragung auf deutsche Verhältnisse möglich sei.302 Dennoch hielt er eine Forcierung der Bildungs- und Erziehungsarbeit für Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten nach Abschluss der Aufbauarbeiten für erforderlich. Dies würde den soldatischen Auftrag untermauern und das Bildungs niveau des Volkes fördern. Habe es »zunächst den Anschein [...], als ob diese Bildungs aufgabe eine zusätzliche belastende und nicht wichtige Aufgabe ist, so zeigen die Erfahrungen in England in welchem Maße eine gehobenere Allgemeinbildung zur Stärkung der moralischen Haltung der Truppe beiträgt.«303 1955 war bereits in einer bekannten wehrkundlichen Zeitschrift eine Darstellung über die Bildungsarbeit in den britischen Streitkräften erschienen, die der Verfasser nicht als Korrekturanstalt versäumten schulischen Grundwissens, sondern ganz im Sinne Baudissins als »Schule der Demokratie« interpretierte, und deren Verfasser dem deutschen Erziehungs- und Bildungssystem Vernachlässigung der staatsbürgerlichen Bildung vorwarf: »Nicht zuletzt aber scheint dem deutschen Beobachter der besondere Wert des englischen Systems in der bewussten Pflege der politisch-sozialen Erziehung zu liegen. Durch die starke Betonung der Current und International 299
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Siehe Bildungswesen in den britischen Streitkräften, BArch, N 621/v. Kiste 13, Mappe England, S. 10; Britisch Information, Nr. 214, 16.9.1953, Das Bildungswesen in der britischen Wehrmacht, BArch, N 690/v.125, S. 8 f.; Baudrexel, Die Bildungsarbeit in der englischen Wehrmacht, S. 553 f. Baudissin beschreibt die zivilberufliche Bildung als ungenügend. Es werde »ohne Rücksicht auf die Dienstzeit 28 Tage Unterricht für verschiedene Berufsgruppen gegeben oder Einweisung bei zivilen Firmen vermittelt. Auf neue Berufe bereitet das Arbeitsministerium in 9monatigen Ausbil dungsgängen vor. Der Stellennachweis geschieht durch eine besondere Organisation.« Reisebericht über die Fahrt nach Oeynhausen und Minden vom 23.‑25. November 1953, Besichtigung des Education Centers und Welfare-Einrichtungen der britischen Rheinarmee, 30.11.1953, BArch, BW 9/220, Bl. 137. Siehe Schreiben Fü B an Staatssekretär, Einrichtung von Unteroffiziervorschulen, 27.7.1960, BArch, BW 2/20224, S. 1; General des Erziehungs- und Bildungswesen im Heer, Bericht über die Informationsreise zur Besichtigung des militärischen Schulwesens in England, 5.6.1963, S. 4, BArch, BH 1/1604. Siehe Leiter Fü B I, Oberst Wilcke an Generalinspekteur, Bericht über eine Informationsreise zur Besichtigung von Erziehungseinrichtungen der britischen Streitkräfte, 21.12.1959, BArch, BW 2/20224, S. 5 f., 7 f. Zu den Lehrwerkstätten der Bundeswehr siehe »Den Nachwuchs für anspruchsvolle Berufe qualifizieren.« In: Bundeswehr aktuell, 24.2.2014, S. 6 f. Siehe Bericht Wilcke über eine Informationsreise zur Besichtigung von Erziehungseinrichtungen der britischen Streitkräfte, 21.12.1959, BArch, BW 2/20224, S. 10. Ebd., S. 12 f.
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Affairs, der Social und Political Sciences, wie aller mit Staat, Gesellschaft und Parla ment, Regierung und öffentlichem Leben zusammenhängenden Fragen, insbesondere auch durch die ständige Pflege der Diskussion wird die Dienstzeit für den jungen Engländer eine Schule der Demokratie, eine wichtige Stätte der Erziehung des jungen Staatsbürgers, der mit Interesse und Verständnis am öffentlichen und politischen Leben teilnehmen kann. Und vorbildlich ist auch die Art, in der diese politischmitbürgerliche Erziehung geleistet wird: man versucht nicht, dem Soldaten beizubringen, was er zu denken und zu sagen hat; man will ihm nicht ›right ideas‹ einimpfen, sondern sucht ihn zu eigenem Denken, zu kritischem Urteil und eigener freier Meinungsäußerung zu befähigen. Bei der Vernachlässigung der politisch-mitbürgerlichen Erziehung im deutschen Erziehungssystem sieht der deutsche Beobachter mit besonderem Interesse auf diese Seite des englischen Systems und erkennt gerade an dieser Stelle, welche Bedeutung die Militärdienstzeit für die Erziehung zur Demokratie und damit für die ganze Nation gewinnen kann.«304 Dieses Bildungsprogramm, das von der militärischen Führungsspitze ausdrücklich gefördert wurde und in der Sichtweise des damaligen Majors Gerd Schmückle305 nichts anderes als den Staatsbürger in Uniform zum Ziel hatte, konnte auch in Großbritannien nur gegen den Widerstand einzelner Truppenkommandeure und Stabsoffiziere durchgesetzt werden, wozu die militärische Führung in der 40 Jahre andauernden Realisierungsphase weder die Bestrafung noch die Absetzung auch hoher Kommandeure gescheut habe.306 Dass nicht nur die deutsche Seite an den in den britischen Streitkräften praktizierten Erziehungs- und Bildungsbemühungen interessiert war, sondern auch die britische an der konzeptionellen Planung des Inneren Gefüges zukünftiger deutscher Streitkräfte regen Anteil nahm, bewies nicht nur die »erstaunliche Kenntnis der deutschen Verhältnisse«307, sondern auch ein persönliches Gespräch zwischen Baudissin und Burmeister, an dessen Ende die Fortführung der Konsultationen beschlossen wurde.308 Die dabei an Baudissin gerichtete Einladung zu einem Besuch nach Großbritannien, um sich an Ort und Stelle einen Eindruck über die britischen Erziehungs- und Bildungsinstitutionen zu verschaffen, gab wohl den Anstoß zu den in den kommenden Jahren stattfindenden bilateralen Informationsreisen zu den jeweiligen Erziehungs- und Bildungsinstitutionen beider Streitkräfte.309 Im Verlaufe 304 305 306 307
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Baudrexel, Die Bildungsarbeit in der englischen Wehrmacht, S. 554. Hervorhebungen im Original. Zu Schmückle siehe Nägler, Der gewollte Soldat, S. 112, Anm. 121. Siehe Bericht Major Schmückle über Kommando (14 Tage) zum Erziehungs- und Bildungswesen der britischen Armee, 22.2.1957, BArch, N 717/59, S. 1‑4 sowie Anlage 1 und 2, hier S. 3 f. Vermerk über die Teilnahme an der Konferenz des Central Committee for Adult Education in H.M. Forces vom 19. bis 20. Juli 1955 in London, Tagebuch Baudissin, Eintrag Pollmann, 27.7.1955, BArch, N 717/4, Bl. 23‑25, hier Bl. 24. Vermerk über die Besprechung zwischen Mr. W. Burmeister, Referent für Erwachsenenbildung bei der Englischen Hohen Kommission und Graf Baudissin, 19.11.1953, Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, BArch, N 717/1, Bl. 139 f. Siehe hierzu u.a. Baudissins Reisebericht über die Fahrt nach Oeynhausen und Minden vom 23.‑25. November 1953. Besichtigung des Education Centers und Welfare-Einrichtungen der britischen Rheinarmee, BArch, BW 9/220; Vermerk über die Teilnahme an der Konferenz des Central Committee for Adult Education in H.M. Forces vom 19. bis 20. Juli 1955 in London, Tagebuch Baudissin, Eintrag Pollmann, 27.7.1955, BArch, N 717/4, Bl. 23‑25; Bericht Major Schmückle
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II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
dieses Gespräches zeigte sich Burmeister, der bereits auf der Veranstaltung Pfisters zu »Erziehungsprobleme[n] im Polizei- und Wehrdienst« über die in den englischen Streitkräften praktizierte Bildungsarbeit vorgetragen hatte, sehr befremdet über einen Vorstoß Pfisters. Dieser habe auf einer von Burmeister besuchten Veranstaltung verkündet, auf eine enge Zusammenarbeit mit nichtmilitärischen Institutionen und Organisationen und deren Einflussnahme auf die Erziehung verzichten zu wollen. Lediglich Einzelpersonen könnten als Privatleute vom militärischen Vorgesetzten für Vorträge zur Unterstützung seiner Erziehungs- und Bildungsarbeit hinzugezogen werden. Dabei sei Pfister in seinen Ausführungen sogar so weit gegangen, dass die fertig ausgearbeiteten Pläne bereits in seinem Schrank lägen und es daher für eine Zusammenarbeit bereits zu spät sei. Burmeister wies gegenüber Baudissin auf die herausragende Bedeutung des Education Officers sowie der zahlreichen zivilen Institutionen, zu denen er auch die in Großbritannien sehr einflussreichen Gewerkschaften zählte, für die Erziehung der Soldaten und Offiziere hin und erbat von Baudissin eine Orientierung darüber, ob und in welcher Form nichtmilitärische Institutionen in die Erziehungs- und Bildungs arbeit zukünftiger deutscher Streitkräfte eingebunden werden sollten. Baudissin wies die von seinem Gesprächspartner angesprochenen, der Intention der Gruppe »Innere Führung« zuwiderlaufenden Absichten Pfisters strikt zurück und betonte stattdessen in einer knappen Zusammenfassung der von ihm und seinen Mitarbeitern geplanten Erziehungs- und Bildungskonzeption zukünftiger deutscher Streitkräfte noch einmal die auch in Deutschland als sehr hoch eingeschätzte Bedeutung der nichtmilitärischen Kräfte in der Bildungsarbeit. Während sich der englische Begriff »education« auf die Bildung und Fortbildung des Soldaten beschränke, müsse, so unterstrich Baudissin, im Deutschen aber zwischen Erziehung, Ausbildung und Bildung unterschieden werden. Wende sich die Erziehung an den ganzen Menschen, vermittle die Ausbildung die notwendigen militär-fachlichen Fertigkeiten. Letztere stellten aber den wesentlichen Angriffspunkt für die Erziehung dar, da jede Ausbildung auch erzieherisch wirke. Die sich im Einklang mit dem übergeordneten Erziehungsziel eines Staatsbürgers in Uniform befindlichen Gebiete der Information und Betreuung förderten den staatsbürgerlichen und fachlichen Horizont des Soldaten. Lägen Erziehung und Ausbildung eindeutig in der Verantwortung des militärischen Vorgesetzten, müsse in der Bildungsarbeit aber zwischen der im Dienst vermittelten Information und der in der Freizeit stattfindenden Betreuung unterschieden werden. Die Informationsvermittlung, etwa in Form des Staatsbürgerlichen Unterrichtes, läge zwar ebenso wie die Erziehung und über Kommando (14 Tage) zum Erziehungs- und Bildungswesen der britischen Armee, 22.2.1957, BArch, N 717/59, S. 1‑4, sowie Anlage 1 und 2; Protokoll über die Erfahrungsberichte der britischen Gäste anläßlich ihrer Besichtigungsreise zu Bildungseinrichtungen der Bundeswehr vom 1.‑13. März 1959, BArch, BW 2/20201, S. 1‑6; Leiter Fü B I, Oberst Wilcke an Generalinspekteur, Bericht über eine Informationsreise zur Besichtigung von Erziehungseinrichtungen der britischen Streitkräfte, BArch, BW 2/20224; Denkschrift Schnez, Einrichtung von Unteroffizierschulen nach englischen Muster, 27.7.1960, Anlage zu Schreiben Fü B I an Staatssekretär Volkmar Hopf, BArch, BW 2/20224, S. 1‑6; General des Erziehungs- und Bildungswesen Brigadegeneral Schäfer, Bericht über die Informationsreise zur Besichtigung des militärischen Schulwesens in England, Abschrift, 5.6.1963, BArch, BH 1/1604, S. 1‑12.
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Ausbildung in der Verantwortlichkeit des Vorgesetzten, es stünde diesem aber frei, für deren Durchführung Untergebene oder nichtmilitärische Fachleute heranzuziehen. Zur Förderung der allgemeinen oder beruflichen Bildung und Fortbildung des Soldaten biete die Betreuung jedenfalls ein sehr umfassendes Betätigungsfeld für zivile Institutionen und Organisationen. Die Pflicht der Streitkräfte beschränke sich hierbei lediglich auf »die Pflicht, den Soldaten in einem möglichst breit angelegten Betreuungsprogramm etwas Förderndes anzubieten« sowie die interessierten Soldaten den Bildungseinrichtungen zuzuführen oder diesen »den Weg in die ›transparente‹ Kaserne« zu ebnen. Burmeister zeigte sich im Anschluss an diese Ausführungen sehr beruhigt und verlieh der Hoffnung Ausdruck, dass sich diese Konzeption gegenüber den Vorstellungen Pfisters »im Interesse einer gedeihlichen Erziehung des kommenden ›Staatsbürgers in Uniform‹ an höherer Stelle« durchsetzen möge.310
b) Vereinigte Staaten von Amerika Einen Einblick in die Aufgabe der »Troop Information and Education«, einem Teilgebiet des Ausbildungs-, Bildungs- und Erziehungsprogramms der US-Streit kräfte, das sich der allgemeinen und politischen Bildung widmete, gewährten die Ausführungen eines Offiziers der »Armed Forces Information and Education Division« des European Command der US-Streitkräfte in Heidelberg.311 Nicht Bomben oder Panzer seien die machtvollsten Waffen eines Krieges, sondern der Mensch, denn, so fuhr er den Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa, General Matthew Bunker Ridgway, zitierend fort, »the spirit of a man is a thousend times as strong as an weapon. You must kill his spirit before you can kill him physically.«312 Der Kampfeswille bringe demnach die Entscheidung und daher müsse viel Zeit darauf verwandt werden, dem Soldaten seine Frage nach dem Wofür hinreichend zu beantworten. »Information and Education« erfülle diese Aufgabe, indem sie die Würde und Integrität des Soldaten festige, seine Loyalität den amerikanischen Idealen gegenüber und seinen Stolz auf den Dienst in den Streitkräften befördere und ihn informiere. Die Vermittlung der für notwendig erachteten Informationen ginge auf die Armee zur Zeit George Washingtons zurück und wäre über den Bürgerkrieg und die von den USA geführten Kriege bis zum Zweiten Weltkrieg beibehalten worden, doch erst im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wäre der reinen Informationsvermittlung ein »Education Program« hinzugefügt worden. Man habe erkennen müssen, dass die Information alleine nicht ausreiche, wenn der Adressat nicht in der Lage sei, das Erfahrene zu verstehen und in seinen Lebensbereich einzuordnen. Diesen Missstand sollte das 1941 unter Präsident Franklin D. Roosevelt gestartete »Education Program« 310
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Siehe Vermerk über die Besprechung zwischen Mr. W. Burmeister, Referent für Erwachsenenbildung bei der Englischen Hohen Kommission und Graf Baudissin, 19.11.1953, Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, BArch, N 717/1, Bl. 140. Zitate ebd. Zu diesem Vortrag siehe U.S.A., Referat von Col. Carl. E. Brose, Armed Forces Information and Education Division, EUCOM Heidelberg (Gekürzte Fassung), 1.5.1952, BArch, N 621/v. Kiste 21, Ordner STB, DGB-111, Bl. 54‑58. Ebd., Bl. 54
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beseitigen, das bereits Millionen von amerikanischen Soldaten durchlaufen hätten: »Im Informationsteil sagen wir dem Soldaten, warum er hier ist. Im Erziehungsteil geben wir ihm etwas, sodass er genug verstehen kann.«313 Bei dem vom Referenten vorgestellten, in Aufbau und Inhalt modifizierten »Education Program« handelte es sich aber nicht um ein Erziehungsprogramm im engeren Sinne – die Aufgabe blieb dem bereits vorgestellten »Character Guidance« vorbehalten, auf das jedoch kein Bezug genommen wurde –, sondern um ein Bildungsprogramm, das es Soldaten mit keinem oder nur kurzem Schulbesuch ermöglichen solle, ihre Kenntnisse in den Elementarfächern Schreiben, Lesen und Rechnen zu vervollständigen. Nicht in den USA geborenen Soldaten ebne es den Weg, die englische Sprache in Wort und Schrift zu erlernen. Die Unterrichtung beginne auf dem Niveau einer Grundschule mit fünf Klassenstufen, deren Besuch für alle diejenigen Soldaten obligatorisch sei, die nicht von Hause aus über die entsprechenden Bildungsvoraussetzungen verfügten. Der Besuch einer daran anschließenden dreistufigen Volksschule bliebe hingegen fakultativ. Damit erlangte der Betreffende einen in den 1950er-Jahren dem deutschen Bildungssystem zur Erfüllung der Schulpflicht vergleichbaren Abschluss der 8. Volksschulklasse.314 Fortsetzen könnten die Soldaten ihre Ausbildung an einer Oberschule, HighSchool, die in Form eines Selbststudiums zu verrichten sei. Von diesem Bildungs angebot machten nach Aussage des Vortragenden etwa 30 Prozent der in Deutschland stationierten Soldaten Gebrauch. Sogar eine universitäre Ausbildung würde dergestalt gefördert, dass die Soldaten und Offiziere in einigen deutschen Städten an Vorlesungen der Universität Maryland teilnehmen könnten, um auf diesem Weg die Hälfte des Gesamtstudiums zu absolvieren. Die hierfür anfallenden Kosten teilten sich Streitkräfte und Teilnehmer je zur Hälfte. Mit dem Informationsteil des Programmes versuche man all diejenigen Soldaten zu erreichen, die sich nicht aus Zeitung oder Radio über die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sonstigen relevanten Nachrichten informierten. So obliege es dem Kompaniechef, eine Stunde Unterricht in der Woche über aktuelle Fragen zu halten, um gerade diesen Personenkreis zu erreichen, dessen Umfang der Referent nach eigener Meinung auf 85 Prozent schätzte. Inhalte dieser Unterrichtung, in der die Ereignisse der vorangegangenen Woche besprochen werden sollten, seien die Regierungsform der USA, die Regierungspolitik und politische Weltprobleme (»Policies of Gouverment and Political World Affairs«) sowie die Beschlüsse der Regierung (»Decisions and Orders of Command«). Leitung und Durchführung lägen – ganz in Übereinstimmung mit der Ansicht Baudissins zur herausgehobenen Position des Einheitsführers in der politischen Bildung – in den Händen der Kompaniechefs und Kommandeure, denn diejenigen, die ihre Soldaten in die Schlacht führten, hätten auch die Pflicht zur Information. Unterstützung erführen sie durch die »Armed Forces Information and Education Division«, einem dem Verteidigungsministerium zugehörigen Stab, der für die Erstellung notwendi313 314
Ebd., Bl. 55. Vier Jahre Grundschule, vier Jahre Hauptschule. 1954 forderte der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen die Erweiterung der Schulpflicht auf neun Jahre.
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ger Materialien verantwortlich zeichne. Diese Arbeitsunterlagen mussten in einer der monatlich vier zur Verfügung stehenden Lehrstunden bearbeitet werden und setzten sich aus Zeitschriften wie »Armed Forces Talk«, der bekannten »Stars and Stripes« und aus einem »Soldiers’ Handbook«, einem Nachschlagewerk über die jeweiligen Staaten, in denen der einzelne Soldat seinen Dienst verrichtete, zusammen. Zusätzliches Material wurde von der Ministerialabteilung der Teilstreitkräfte, den »Army Field Forces« sowie den regionalen Hauptquartieren – wie EUCOM – herausgegeben. Indes stieß dieses Programm nicht nur auf Gegenliebe, denn Kosten für Material und nichtmilitärisches Lehrpersonal dürften ebenso wenig unterschätzt werden wie der zeitliche Aufwand. Besonders ältere, aber auch jüngere Offiziere sähen eine Zeitverschwendung darin, mit ihren Soldaten über die Politik als solche oder politische Ereignisse und Verhältnisse in anderen Staaten zu sprechen, die sie ihrer Meinung nach gar nicht verstünden. Da folge man doch lieber dem Grundsatz »teach a man to shoot and salute«, da dies zur Erfüllung seiner Aufgaben ausreiche. Ein weiteres Problem stelle die heterogene Zusammensetzung der Einheiten dar, die eine Diskussion auf gleicher Ebene erschwere. Ein Universitätsabsolvent ließe sich nicht gerne ansprechen als ob er des Schreibens und Lesens nicht mächtig wäre, dennoch müsse ein Weg gefunden werden, alle Angehörigen zu erreichen. Dieses Konfliktpotential hatte Weniger auch für die deutschen Verhältnisse erkannt und stellte daher die Forderung, dass sich der Staatsbürgerliche Unterricht in der Truppe »nicht an dem so genannten ›dümmsten Rekruten‹ orientieren« dürfe, sondern »jedem Bildungsniveau angepasst werden« müsse. Sorgfältige Differenzierung sei notwendig, wobei der verantwortliche Truppenführer auf die »Mitarbeit intelligenter und sachlich vorgebildeter Soldaten« zurückgreifen solle. Ähnlich wie für die amerikanische Armee beschrieben, forderte auch Weniger einführende Grundkurse für Soldaten, die nicht über den Bildungsstand eines Volksschullabschlusses verfügten.315 Trotz dieser Bedenken postulierte der Referent einen Erfolg, denn wenn die Ergebnisse auch nicht messbar seien, zeigte er sich überzeugt, dass die aus den Streitkräften entlassenen Soldaten »bessere, viel bessere [...] Bürger der Vereinigten Staaten« sein würden, manche vielleicht zum ersten Male gelernt hätten, wie die amerikanische Demokratie funktioniere.316
c) Belgien Belgien317 gründete nach dem Krieg einen in zwei Bereiche gegliederten Erziehungs dienst, der als militärische Organisation dem Verteidigungsministerium unterstand und dessen Sektionen Erziehungsdienst und Erziehungszentrum von Offizieren geführt wurden. Die Abteilung Erziehungsdienst befasste sich nicht nur mit allen 315 316
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Siehe Weniger, Vorschlag für die Leitsätze, IV. Erziehung zur politischen Verantwortung, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 51. Zitate ebd. Siehe U.S.A., Referat von Col. Carl. E. Brose, Armed Forces Information and Education Division, EUCOM Heidelberg, 1.5.1952, BArch, N 621/v. Kiste 21, Ordner STB, DGB-111, Bl. 58, Zitat ebd. Zu diesem Vortrag siehe Belgien, Referat von Commandant [Major, d.Verf.] G. Zarri, Erziehungs offizier, Brüssel, 1.5.1952, BArch, N 621/v. Kiste 21, Ordner STB, DGB-111, Bl. 48‑52.
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Fragen, die Erziehung und Information in den Truppenteilen betrafen, sondern auch mit Aspekten der zivilberuflichen Fort- und Weiterbildung.318 Das Erziehungs zentrum verfügte über eine umfangreiche wissenschaftliche Bibliothek sowie Unter richtsmaterialien und zeichnete für die Ausbildung derjenigen Offiziere verantwortlich, die zukünftig als Erziehungsoffiziere ihren Dienst verrichten sollten. Zwar galt auch in den belgischen Streitkräften das Prinzip, allen Offizieren grundsätzlich einen Erziehungsauftrag zuzuerkennen, doch wurden besonders Befähigte von den Einheiten ausgewählt, einen vier bis sechswöchigen Kurs zu absolvieren, dessen Schwerpunkt in der Vermittlung methodischer Fähigkeiten zur Diskussionsführung und -leitung lag. Die Auswahlkriterien seien »eine Sache von Kultur«, führte der Referent aus, »von Gerechtigkeit und insbesondere von Menschenführung. Solch ein Offizier soll[e] zuerst ein Menschenkenner und Soldatenführer sein.«319 In ihre Einheiten zurückgekehrt, gehörten sie dem Stab an und fungierten gleichzeitig als Betreuungs- und Sozialoffiziere. Die belgischen Soldaten hatten mit Anbeginn ihrer Dienstzeit in einem 15-tägigen Rhythmus vier Erziehungslektionen – gemeint war in der Tat eine Art Staatsbürger licher Unterricht – von je einer Stunde Dauer beizuwohnen. Eine Lektion widmete sich der Staatsbürgerkunde, eine weitere allgemeinen Themen, die der Referent den »current affairs« – der aktuellen Information – innerhalb des britischen »EducationSystems« gleichsetzte. Während die Unterrichte über politische Rahmenbedingungen und aktuelle Ereignisse von den Kommandeuren und Kompaniechefs durchzuführen waren, lagen diesbezügliche Diskussionen sowie die zwei letzten Lektionen in Form von Diskussionsstunden in den Händen der Erziehungsoffiziere: »Was der Hauptmann oder der Einheitsführer selbst geben muss, das sind die Dinge, die direkt auf politischem Gebiet liegen. Auf politischem Gebiet wird diskutiert über innere und äußere Politik, um dem Soldaten eine Vorstellung zu geben von den verschiedenen Ereignissen in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden oder England. Es sind Dinge, die ein Mann von 1952 kennen muss, um verstehen zu können, warum er Soldat ist, und zwar nicht nur Soldat in Belgien, sondern in einem größeren Verband, in dem Belgien nur ein Glied ist.«320 Diese Arbeitsteilung entband die Einheitsführer und Kommandeure jedoch nicht von der Gesamtverantwortung für die politische Bildung der Soldaten; der Erziehungsoffizier diente in dieser Hinsicht lediglich zu deren Unterstützung, »um diese Erziehung auf eine höhere Ebene zu bringen.«321 Zur Erfüllung seiner Aufgabe stand dem Erziehungsoffizier eine monatlich erscheinende Zeitschrift für Erziehung zur Verfügung, die anhand praktischer Beispiele die Diskussionen anregen sollte und Informationen über Erziehungsfragen in der ganzen Welt vermittelte. Hinzu trat die Schriftenreihe »La Nation«, die sich inhaltlich auf Themen der Staatsbürgerkunde konzentrierte; eine weitere Schriftenreihe 318
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Ab dem 13. Monat seiner 24-monatigen Dienstzeit hatte der Soldat Anspruch auf eine dienstlich geförderte berufliche Fort- und Weiterbildung, für die 16 Stunden pro Woche während der Dienstzeit zur Verfügung standen. Durchgeführt wurden die Ausbildungen zumeist von Zivilisten an entsprechenden Ausbildungsstätten oder in den Kasernen selbst. Siehe ebd., Bl. 52. Ebd., Bl. 51. Ebd., Bl. 50. Ebd.
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griff aktuelle Fragestellungen und Probleme auf. Neben der Diskussionsleitung im Rahmen der politischen Bildung oblag es dem Erziehungsoffizier, die Versorgung mit Printmedien sicherzustellen und einen persönlichen Kontakt zu den Soldaten seines Verbandes zu finden. Ferner für die Betreuung zuständig, saß er einem circa 12 bis 15 Soldaten zählenden Komitee für Angelegenheiten der Selbstverwaltung vor, über das jedes Bataillon verfügte. Zu dessen Aufgabe gehörte die Unterbreitung von Themenvorschlägen für die der Diskussion vorbehaltenen Lektionen und von Angeboten für Filmvorführungen ebenso wie die Organisation von Feierlichkeiten und die Vorbereitung zur Teilnahme an Weiterbildungskursen und Vorträgen.322 Eine besondere Bedeutung des Erziehungsoffiziers lag in seiner Stellung als Sozialoffizier der Soldaten, der sich »um die Kleinigkeiten, um ihre kleinen und großen Sorgen, um ihre Familien, um die Sachen, die zu Haus geschehen«323 bemühte. Auf drei Standpunkten basiere also die Erziehung in den belgischen Streitkräften, schloss der Referent seine Ausführungen: auf der staatsbürgerlichen Erziehung, der Kollektivität in der Kaserne sowie dem persönlichen Kontakt zu den Soldaten.324 Als Fazit seines Studiums der »Richtlinien Information und Erziehung bei den Streitkräften« der belgischen Armee stellte Baudissins Mitarbeiter Hauptmann a.D. Günter Will325 zu einem späteren Zeitpunkt fest, »dass unter Information und Erziehung alles zusammengefaßt wird, was wir auseinanderfächern in Erziehung und Ausbildung (z[um] T[eil] wenigstens), Betreuung und Information.«326
d) Dänemark Nach Auskunft des dänischen Referenten327, eines Berufsoffiziers im Range eines Hauptmannes, der sich in den letzten drei Jahren vorrangig mit Erziehungsfragen beschäftigt hatte, glichen die dänischen Verhältnisse in vielen Fällen den belgischen. Es sei Brauch, dass der Kompaniechef ungefähr zwei Stunden in der Woche seine Kompanie unterrichte, doch ließ der Vortragende offen, zu welchen Themen dieser Unterricht erteilt wurde. Obligatorisch sei eine außenpolitische Orientierung durch Reichstagsabgeordnete. Dieser Pflichtcharakter werde gleichfalls für die Teilnahme an einer für die Zukunft geplanten Staatsbürgerkunde gelten, in deren Verlauf man auch Amtsgerichte und Gemeinderatssitzungen besuchen wolle. Durchgeführt werde diese Unterweisung vorrangig von zivilen Lehrern, militärische Dozenten sollten nur im Notfalle herangezogen werden. Das Betreuungsangebot gestalte sich sehr vielseitig und beinhalte die Versorgung mit Zeitungen, Zeitschriften, Spielen und Bibliotheken. Verbilligte Konzert- und Theaterbesuche, Filmvorführungen, sportliche Aktivitäten sowie die Möglichkeit zur Teilnahme an Vorträgen rundeten das 322
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Hinzu trat das Vorschlagsrecht für eine besondere Auszeichnung in Form eines Diploms, das dem betreffenden Soldaten vom Bataillonskommandeur bei seiner Verabschiedung überreicht wurde. Siehe ebd., Bl. 52. Ebd. Siehe ebd. Zu Will siehe Nägler, Der gewollte Soldat, S. 34, Anm. 14; Bald, Günter Will. Tagebuch Baudissin, Eintrag Will, 19.3.1954, BArch, N 717/2, Bl. 160. Zu diesem Vortrag siehe Dänemark, Referat, Hauptmann T. Nyholm-Jörgensen, Verteidigungs ministerium, Kopenhagen, 1.5.1952, BArch, N 621/v. Kiste 21, Ordner STB, DGB-111, Bl. 60 f.
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Angebot ab. Dazu trete eine sowohl theoretische als auch praktisch orientierte berufliche Fort- und Weiterbildung, die ebenfalls in der Verantwortung ziviler Lehrer läge und an Abend- oder technischen Schulen absolviert werden könne.328 Die Verantwortung trage der kommandierende Offizier, unterstützt durch einen in jeder Garnison vorhandenen »welfare officer« und ein Freizeitkomitee, das sich, wie in Belgien, aus gewählten Vertretern der Soldaten zusammensetze und ein sehr umfassendes Vorschlagsrecht besitze.
e) Schweden In Schweden329 war der staatsbürgerliche Unterricht bereits 1940, bedingt durch die kriegerischen Ereignisse in Norwegen und Finnland330, in den Streitkräften eingeführt worden. Bedroht von zwei diametralen diktatorischen Ideologien, hatte man versucht, »Methoden zur Ansprechung des Staatsbürgers und des Soldaten zu finden, die dem demokratischen Prinzip entsprechen. Infolgedessen ist das ausgesprochene Ziel eines solchen Unterrichts, die besprochenen Themen nach den Gesichtspunkten der Wahrheit und der Objektivität zu untersuchen.«331 Angehalten, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen und ihre Meinung frei zu äußern, konnten Wehrpflichtige, die über besondere Erfahrungen oder Vorkenntnisse über den jeweiligen Lehrinhalt verfügten, auch in den Unterricht mit einbezogen werden. Seine Durchführung lag in den Händen von Offizieren und Unteroffizieren der jeweiligen Einheit, die hierzu an speziellen Ausbildungen teilgenommen hatten. In der Form sehr frei, orientierte sich der Unterricht an den Formen der Erwachsenenbildung: Diskussionen, Arbeit in Studiengruppen und Vorlesungen auch auswärtiger Experten bestimmten die Methodik.332 Obwohl die Soldaten selbst nach den gewonnenen Erfahrungen nur geringe Vorkenntnisse aufwiesen, verblieb zumeist nur eine Stunde pro Woche für die im
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Mit Ausnahme des Besuchs der technischen Schule und Veranstaltungskarten waren alle Betreuungs maßnahmen kostenlos. Für das Unterhaltungsprogramm erhielten die Garnisonen pro Soldat und Tag einen Obolus; Bibliotheken, Filme, Radio und Zeitungen wurden anderweitig finanziert. Siehe ebd., Bl. 61. Zu den nachfolgenden Ausführungen siehe Schweden, Referat, Hauptmann Miss Bianca Biancini, Wehrmachtsstab, Stockholm, 1.5.1952, BArch, N 621/v. Kiste 21, Ordner STB, DGB-111, Bl. 62 f. In der Überschrift des Referatsprotokolls als Hauptmann geführt, stellte sich die Referentin selbst als Bibliothekarin und zivile Mitarbeiterin des militärischen Leiters der für die Fortbildung zuständigen Abteilung im Wehrmachtsstab vor. Vgl. ebd., Bl. 63. Eine ausführliche Darstellung zu Staatsbürgerlichem Unterricht und fakultativer Weiterbildungsmöglichkeiten bietet der Bericht der Studienkommission, 11.2.1954, BArch, BW 9/33, S. 34‑36. Zum Einmarsch deutscher Truppen in Dänemark und Norwegen (»Weserübung«) siehe Ottmer, »Weserübung«; zum Überfall sowjetischer Truppen auf Finnland und für die Angreifer sehr verlustreichen und lehrreichen Winterkrieg vgl. Keßelring, Der Winterkrieg; Finland in World War II; Sandström, Krieg. Bericht der Studienkommission, 11.2.1954, BArch, BW 9/33, S. 33. Siehe Schweden, Referat, Hauptmann Miss Bianca Biancini, Wehrmachtsstab, Stockholm, 1.5.1952, BArch, N 621/v. Kiste 21, Ordner STB, DGB-111, Bl. 62.
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Staatsbürgerlichen Unterricht zu vermittelnden Lehrinhalte, die sich in drei Bereiche gliederten.333 Die »Soldatenorientierung« diente dem Zweck, »den Soldaten Verständnis für den Militärdienst und seine Form beizubringen.«334 Sie vermittelte Informationen über das militärische Milieu und die Laufbahn der Offiziere sowie zu Demokratie und Disziplin, Zweck und Organisation der Ausbildung, Truppenverbände und Heimat sowie Nüchternheit und Militärdienst. Das Unterrichtsgebiet »Gesellschaftslehre« sollte unter den Wehrpflichtigen das Interesse für staatsbürgerliche Fragen wecken und einen Einblick in das politische und gesellschaftliche Leben Schwedens vermitteln. Thematisiert wurden das Individuum und die Gesellschaft, Demokratie und Diktatur, Gesellschafts- und Privatwirtschaft, Verwaltung, Staatshaushalt und Steuern, das Rechtswesen, Gemeinde und Provinz, die soziale Sicherheit, Volksbewegung und Verbände und schließlich die Frage, wie das Land regiert wird. Mit militärischen Aspekten setzte sich die »Wehraufklärung« auseinander. Moderne Waffen und ihre Wirkung, die außen- und militärpolitische Lage in der Welt und in Schweden, Verhaltensregeln für den Kriegsfall und Psychologie der Kriegsführung bestimmten den Lehrinhalt. Zur Ergänzung und Vertiefung plante man 1954 zusätzliche Vorlesungen anzubieten, die während der Dienstzeit, aber fakultativ, von Gastdozenten gehalten werden sollten und dem Versuch dienten, »den Wehrpflichtigen das Verständnis dafür beizubringen, warum das Land verteidigt werden muss und wie es verteidigt werden soll.«335 Das Curriculum sollten allgemeine staatsbürgerliche Rechte und Pflichten, aktuelle innen- und außenpolitische sowie ökonomische und ideologische Aspekte bilden. Bibliotheken in den Verbänden sowie die Möglichkeit nach eigenem Gutdünken an Veranstaltungen allgemeiner Fort- und Weiterbildung teilzunehmen, angeboten und durchgeführt von zivilen Institutionen, aber in Form einer Briefschule auch von den Streitkräften selbst, ergänzten die Bildungsarbeit.336 Unterstützt von einem zivilen Mitarbeiter, lag die Erziehungsarbeit in den Händen, jedoch nicht in der Verantwortung eines Erziehungs- und Betreuungsoffiziers, der zugleich militärische Aufgaben wahrnahm. Wie seine belgischen und dänischen Kameraden fungierte 333
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Gemäß den Ausführungen Biancinis erhielten Berufssoldaten darüber hinaus, ähnlich dem englischen System zur Förderung der Allgemeinbildung, auch in den Fächern schwedische Sprache, Geographie, Geschichte, Mathematik und Psychologie Unterricht. Siehe ebd., Bl. 62. Paul und Schmid-Wittmark erwähnten in ihrem Bericht über außerdienstliche Fortbildungsmöglichkeiten zwar ebenfalls einen Kurs zur Vorbereitung des Besuchs der Kriegsakademie für Offiziere mit dem Fächerkanon Sprachen, Geschichte, Technik und Waffentechnik; dieser erfolge aber im Rahmen der falkultativen Teilnahme an der Briefschule der Armee. Siehe Bericht der Studienkommission, 11.2.1954, BArch, BW 9/33, S. 37. Bericht der Studienkommission, 11.2.1954, BArch, BW 9/33, S. 35. Siehe Bericht der Studienkommission, 11.2.1954, BArch, BW 9/33, S. 34‑36, Zitat S. 36. Siehe Schweden, Referat, Hauptmann Miss Bianca Biancini, Wehrmachtsstab, Stockholm, 1. Mai 1952, BArch, N 621/v. Kiste 21, Ordner STB, DGB-111, Bl. 62 f. und Bericht der Studien kommission, 11.2.1954, BArch, BW 9/33, S. 36 f. Eine Berufsausbildung wurde nicht angeboten; Berufssoldaten wurde nach fünfjähriger Dienstzeit eine sechsmonatige vom Staat finanzierte Berufsausbildung gewährt.
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auch er als Vorsitzender eines regimentsinternen Betreuungskomitees, das sich aus Vertretern der Unteroffiziere und Soldaten sowie der zivilen Volksbildungs- und Volksbibliotheksarbeit zusammensetzte.
f ) Schweiz In der Schweiz337 hingegen wurde die staatsbürgerliche Bildung nur in Kriegszeiten für erforderlich gehalten. Jeder männliche Schweizer sei schließlich Soldat und Bürger zugleich und bringe »das von zu Hause ja weitgehend mit«338, erläuterte ein Vertreter des Alpenstaates diese Entscheidung – eine nicht ganz zutreffende Beschreibung der Kenntnisse in Staatskunde, wie sein Korreferent im Anschluss eingestehen musste. In der Friedensausbildung habe die Armee weder die Zeit noch sehe sie die Not wendigkeit, eine staatsbürgerliche Ausbildung zu betreiben. Diese habe sich jedoch während des Krieges ergeben, in dessen Verlauf durchschnittlich zwei- bis dreihunderttausend Mann ständig unter Waffen gestanden hätten. Damit sei es auch in der Schweiz notwendig geworden, eine staatsbürgerliche Erziehung zu betreiben sowie die Betreuung der Soldaten in den Fokus zu rücken. Bereits im Herbst 1939 hatte das Armeekommando eine Organisation gegründet, die den bezeichnenden Namen »Sektion für Heer und Haus« erhalten hatte. Deren Aufgabe bestand in der Aufrechterhaltung und Festigung der Verbindung zwischen Armee und Volk, dem Erhalt »der vaterländischen Gesinnung und des Verantwortungsgefühls gegenüber dem Staatsganzen«, der »Förderung der Einsicht in die Aufgaben der Armee« sowie in der Sicherstellung des »guten Geist[es] der Truppe.« Verantwortlich für die Betreuungsmaßnahme, die dem Erhalt »des guten Humors«339 diente, stellte sie die Freizeitgestaltung in Form eines Filmdienstes, der Beschaffung von Büchern und Printmedien, außerdem die Einrichtung von Berufsschulungskursen und Freizeitwerkstätten sicher und gefolgte weitere, nicht näher aufgeführte Aktivitäten sicher. Verbindungsoffiziere der Sektion, vom Referenten mit Briefträgern verglichen, versorgten die Einheitsführer aller Verbandsebenen mit den notwendigen Unterrichtsmaterialien für den staatsbürgerlichen Unterricht. Diese bestanden unter anderem aus insgesamt 34 während des Krieges versandter Wehrbriefe, die als Leitfaden für den Truppenunterricht dienten und über aktuelle politische und militärische Themen informierten. Der Unterricht selbst lag in der Verantwortung des Einheitsführers, die Durchführung konnte an Offiziere oder Zivilisten delegiert werden. Die Inhalte des Unterrichtes reichten von historischen, heimatkundlichen, verkehrstechnischen und wirtschaftlichen Themen bis zur Erörterung von Aspekten der allgemein- und staatsbürgerlichen Bildung. Postulat all dieser Bemühungen war die Vermittlung und Förderung des Willens, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit
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Siehe Schweiz I, Referat von Dr. jur. Hans R. Kurz, Fürsprecher, Bern, Hauptmann im Generalstab, Leiter des Pressedienstes und des Personaldienstes des Schweizerischen Militärdepartements in Bern, BArch, N 621/v. Kiste 21, Ordner STB, DGB-111, Bl. 32‑40. Ebd., Bl. 38. Alle Zitate ebd., Bl. 39.
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des Schweizer Gemeinwesens »bis zur Grenze der äußersten Möglichkeiten«340 zu verteidigen. Eine Erwähnung verdienen auch die pädagogischen Rekrutenprüfungen341, denen sich alle Rekruten der Schweizer Armee im Verlauf ihrer Dienstzeit seit 1940 zu unterziehen hatten. Sie dienten zwar keinem militärischen Zweck, allerdings wurden die Ergebnisse von Kommandeuren wohl zur Vervollständigung ihrer Kriterien bei der Beurteilung der Anwärter für die Unteroffizier- und Offizierlaufbahn herangezogen. Basisdemokratische Mitwirkung setze den »denkenden Bürger«342 voraus, konstatierte der Referent, denn nur wer an den öffentlichen Angelegenheiten Anteil nehme und sich darüber ein selbstständiges Urteil bilden könne, sei zur tätigen Mitarbeit am Gemeinwesen fähig. Es gälte daher, sich zunächst einen Eindruck vom Bildungsstand und der staatsbürgerlichen Reife der männlichen Jugend zu verschaffen. Der eigentliche Zweck der Rekrutenprüfung stelle jedoch ein an alle Schulen gerichteter Appell dar, »die heranwachsende Jugend durch eine lebendige staatsbürgerliche Unterweisung, was immer auch Gewöhnung an eigenes Überlegen heißen muss, auf das spätere Mittun im Gemeinwesen vorzubereiten.«343 Einschränkend wies der Vortragende darauf hin, dass obrigkeitsstaatliche Maßnahmen im Schweizer Schulsystem wenig bewirkten, auch wenn im Hinblick auf die oft unbefriedigenden Ergebnisse der Ruf nach solchen laut erschalle. Stattdessen könne die Förderung der Staatsbürgerkunde nur auf dem Weg einer langsam wachsenden Erkenntnis ihrer Notwendigkeit in den Schulen realisiert werden. Gleichwohl konnte er feststellen, dass die Rekrutenprüfungen eine belebende Wirkung auf die staatsbürgerliche Bildung in zahlreichen Schulen ausgeübt habe. Die Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse an die Lehrerschaft und Aufklärungsarbeit der Prüfer im Lehrkörper hätten hierzu beigetragen und sollten dies auch weiterhin tun. In einer schriftlichen Prüfung hatten die Teilnehmer zunächst ihre schriftliche Ausdrucksfähigkeit in Form eines Briefes sachlichen Inhaltes und eines Aufsatzes nachzuweisen. Kernstück bildete jedoch die mündliche Prüfung, die in Form eines Gruppengespräches die Wissensbereiche Geographie, Volkswirtschaft, Staatskunde und die Geschichte der Schweiz thematisch abdeckte.344 Von entscheidender Relevanz war jedoch nicht das abfragbare Wissen, sondern die Fähigkeit, dieses anhand eines aktuellen Ereignisses, einer Radio- oder Zeitungs meldung im Gespräch ein- und umzusetzen. Die Prüfungsgebiete wurden auch nicht getrennt, sondern in ihrer Interdependenz behandelt. Zusammenhänge sollten nicht mit Hilfe eines Buches oder Leitfadens, sondern anhand eines in der lebendigen Gegenwart stattfindenden Ereignisses erkannt, analysiert und in ihrer Bedeutung – insbesondere für die Schweiz – gedeutet werden. 340 341 342 343 344
Siehe hierzu Schweiz II, Referat von Dr. Fritz Bürki, Schulinspektor, Oberexperte, Bern, Die pädagogische Rekrutenprüfung, BArch, N 621/v. Kiste 21, Ordner STB, DGB-111, Bl. 40. Siehe ebd., Bl. 42‑47. Ebd., Bl. 43. Ebd. Die Gruppen setzten sich aus vier bis sechs Personen desselben Berufes und annähernd identischer Schulbildung zusammen. Hierzu wurden fünf Berufsgruppen unterschieden: Studenten und Lehrer, Kaufleute und Beamte, gelernte Arbeiter und Gewerbetreibende, Landwirte sowie ungelernte Arbeiter aller Berufe. Siehe ebd., Bl. 46.
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Zeigten sich die Probanden aufgrund der ständigen Repetition durch die damals verfügbaren Medien auf den Gebieten der Wirtschaftskunde und Geographie bewandert, waren die Kenntnisse in Staatsbürgerkunde deutlich bescheidener. Die Gründe sah der Vortragende zum einen in der abstrakten Form des Schulunterrichts, zum anderen in der fehlenden staatsbürgerlichen Erfahrung. Desaströs seien die erzielten Ergebnisse auf dem Gebiet der Geschichte. Hier bliebe selbst die Mehrzahl der Akademiker auf der Strecke, doch sei dieses Resultat nicht weiter verwunderlich, ermangele es doch der Aktualisierung durch die tägliche Erfahrung. Bilanz ziehend betonte der Referent noch einmal die Intention der Rekrutenprüfung, die nicht in der militärischen oder zivilen Karriere des Einzelnen, sondern »in der Rückwirkung auf die staatsbürgerliche Bildung in den Schulen im Sinne einer lebensnahen, packenden, zum selbständigen Denken gewöhnenden Gestaltung der nationalen Erziehung«345 liege. Der Unterricht dürfe nicht einem Lehrbuch folgen, sondern müsse seinen Gegen stand aus der unmittelbaren Gegenwart beziehen. Nur auf diesem Wege könne Interesse geweckt und die staatsbürgerliche Erziehung vorangetrieben werden: Nur was interessiere, werde auch assimiliert! Vorträge, seien sie noch so pointiert, bewirkten wenig. Nur das Gespräch entzünde die Gedanken, rege zum eigenen Denken, Überlegen und Schlussfolgern an. Allein die Fähigkeit zum selbstständigen Denken vermittle die Fähigkeit, der feindlichen Propaganda zu widerstehen!346 Eine weitere Gelegenheit, auf internationaler Basis zu Fragen von Streitkräften und Erziehung zu debattieren und Erfahrungen auszutauschen, boten die Zusam menkünfte am Oekumenischen Institut in Bossey/Schweiz, die auf Initiative der Evangelischen Akademie in Bad Boll 1955 und 1956 stattfanden. An der ersten Tagung, die als vorbereitende Konsultation für die im darauffolgenden Jahr stattfindende »Konferenz über Armee und Erziehung« diente, nahmen Offiziere und Theologen, zumeist Militärgeistliche, aus acht Nationen teil.347 Von deutscher Seite nahmen unter anderem Baudissin, der das Konzept der Inneren Führung vorstellte, Foertsch, der die Gefahren des Bolschewismus in einem Vortrag thematisierte, und der Soziologe Arnold Bergstraesser teil. Letzterer betonte »die Wirkung der Streitkräfte als Erziehungsfaktor überhaupt und die Notwendigkeit, nicht nur in der Truppe, sondern im gesamten Bereich der Erziehung neue Wege zu gehen, um den Gefahren totalitären Herrschens und besonders des Bolschewismus von innen her den nötigen Widerstand entgegen zu setzen.«348 Baudissin fasste die Beratungen dahingehend zusammen, dass bereits frühzeitig deutlich geworden sei, dass der Begriff »education« in den teilnehmenden Ländern 345 346 347
348
Ebd. Siehe ebd., Bl. 47. Dänemark, Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Schweiz, Schweden, Vereinigte Staaten von Amerika und Deutschland. Vertreter der NATO waren nicht zugegen. Siehe Aktennotiz Baudissin über die Beratungen über Erziehungsfragen in Streitkräften am Ökumenischen Institut in Bossey vom 20.‑23. Mai 1955, 7.6.1955, BArch, N 717/4, Bl. 2; Bericht über die Tagung beim ökumenischen Institut in Bossey bei Genf 20.‑22.5.1955, BArch, N 621/v. Kiste 19, Mappe Projekt E 1955, S. 2. Bericht über die Tagung beim ökumenischen Institut in Bossey bei Genf 20.‑22.5.1955, BArch, N 621/v. Kiste 19, Mappe Projekt E 1955, S. 4.
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verschiedene Interpretationen erfahre und vom erweiterten – ganzheitlichen – Erziehungsbegriff Deutschlands »bis zur angelsächsischen Begrenzung auf Bildung und Fortbildung« reiche. Alle Streitkräfte der vertretenen Staaten kämpften mit Erziehungsproblemen und forderten »eine staatsbürgerliche Verwurzelung«, um die »überall mehr oder minder vorhandene Distanz zu Staat und Soldat« zu überwinden.349 Der Bericht des Oekumenischen Instituts hielt dazu fest, dass in einzelnen Ländern die Erziehung in den Streitkräften ein Teil der allgemeinen Volkserziehung sei. Die Würde eines Staatsbürgers gebiete es ihm, daran teilzunehmen. In jenen Staaten, »in denen der einzelne Bürger kaum ein bewusstes Verhältnis zum Staat, geschweige denn ein positives einnimmt, wird es als die besondere Aufgabe der Erziehung angesehen, zur Staatsbejahung und zur verantwortlichen Staatsbürger schaft zu erziehen. In beiden Fällen ist die militärische Erziehung von den Grund lagen bestimmt, die auch für die allgemeine Volkserziehung maßgebend sind [...] Es gibt kaum eine Erziehung, die nur dem speziell Militärischen dient und die allgemein staatsbürgerliche ausschließt, denn nur der verantwortungsvolle Bürger wird auch ein guter Soldat sein.«350 Ohne auf die gleichlautenden Ausführungen Bergstraessers einzugehen, führte Baudissin im Weiteren aus, dass die aus der Situation des Kalten Krieges resultierenden Folgen für die Erziehung bislang nur von den USA erkannt worden seien. Andere Heere verharrten hingegen noch in den Vorstellungen der Nationalstaaten.351 Die gemeinsamen Erkenntnisse über die Lage und der wertvolle Gedankenaustausch über die Erziehung in den jeweiligen Streitkräften hätten jedoch vorerst keinen einheitlichen Weg zur Folge.352 Der unbekannte Verfasser eines weiteren Tagungsberichtes bedauert das Fehlen eines Vertreters der NATO und sah die NATO/SHAPE als den einzigen Ort an, der »mit Aussicht auf Erfolg den Anstoß zu gemeinsamer übernationaler Arbeit an den geistigen Grundlagen geben« könne.353 An der 1956 stattfindenden »Konferenz über Streitkräfte und Erziehung« nahmen schließlich Vertreter von neun Nationen teil.354 Der hohe Anteil von geistlichen Teilnehmern erklärte sich durch die Tatsache, dass die Geistlichen zumeist in die Bildungsarbeit – in der Mehrzahl der teilnehmenden Staaten als »Education« bezeichnet – eingebunden waren. Das von Baudissin zunächst als spannungsgeladene 349
350 351
352 353 354
Siehe Aktennotiz Baudissin über die Beratungen über Erziehungsfragen in Streitkräften am Öku menischen Institut in Bossey vom 20.‑23. Mai 1955, 7.6.1955, BArch, N 717/4, Bl. 2. Diese Probleme würden in den Streitkräften oftmals verschwiegen oder anderen Institutionen wie den Kirchen übertragen. Oekumenisches Institut – Bossey bei Celigny, Schweiz, Konsultationen über Armee und Erziehung, 20.‑23. Mai 1955, Zusammenfassender Bericht, BArch, N 717/21, S. 1. In Zusammenarbeit mit Schule und Familie solle durch die Erziehung die Grundlage für eine möglichst hohe Moral geschaffen werden. Schweden und die Schweiz betonten ihre Sonderstellung als neutrale Staaten und der französische Vertreter stellte fest, dass in der französischen Armee keinerlei Erziehung durch die Truppe stattfinde. Siehe Bericht über die Tagung beim ökumenischen Institut in Bossey bei Genf 20.‑22.5.1955, BArch, N 621/v. Kiste 19, Mappe Projekt E 1955, S. 3 f. Siehe Aktennotiz Baudissin über die Beratungen über Erziehungsfragen in Streitkräften am Öku menischen Institut in Bossey vom 20.‑23. Mai 1955, 7.6.1955, BArch, N 717/4, Bl. 3. Siehe Bericht über die Tagung beim ökumenischen Institut in Bossey bei Genf 20.‑22.5.1955, BArch, N 621/v. Kiste 19, Mappe Projekt E 1955, S. 6. Zu den bereits 1955 teilnehmenden Staaten stieß Belgien hinzu.
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Tagungsklima wich einer zunehmenden Annäherung der Europäer gegenüber den US-amerikanischen Vertretern, die eine andere Haltung gegenüber dem Krieg und dem Soldaten einnahmen. Letzten Endes zeigten die Konferenzteilnehmer sich darin einig, dass nur der gebildete, informierte und an Recht wie Sittlichkeit gebundene Soldat im totalen Krieg »bestehen werde; dass es notwendig sei, bestimmte Grenzen zu stecken, dem Soldaten Verständnis für die Mentalität des Gegners zu vermitteln und ihn nicht im Unklaren darüber zu lassen«, was in einem künftigen Krieg auf ihn zukommen könne.355 Zur Einordnung der Inneren Führung in den internationalen Vergleich wies Baudissin auf die Reaktionen der amerikanischen und britischen Vertreter hin, in deren Streitkräften »derartige Maßnahmen leider nicht möglich« seien. Andererseits legten beide Nationen, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, großen Wert auf die Informations-, Erziehungs- und Bildungsarbeit. Die hierzu aufgewendeten personellen und materiellen Ressourcen würden weit über die in Deutschland zur Verfügung stehenden hinausreichen. Prak tische Hand lungsanweisungen für die zukünftige Arbeit hatte Baudissin nicht vermerkt. Für ihn lag der besondere Wert derartiger Tagungen im internationalen Erfahrungsaustauch sowie in der Kontaktpflege über die Bündnisgrenzen hinweg.356 Eigene Tagungen mit internationaler Beteiligung wurden von ihm aber weder durchgeführt noch angeregt.
5. Die »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« 1953‑1954 Als der ehemalige General der Panzertruppen Hasso von Manteuffel357 zu Jahresbeginn 1952 seine Gedanken zu den Bedingungen einer neuen Wehrmacht niederschrieb, schenkte er dabei auch dem Bereich der militärischen Erziehung Beachtung. Nur in den Händen von Männern, die auch Nein sagen könnten, sollte in Zukunft die Erziehung der Soldaten zu selbstständig denkenden und urteilenden Charakteren liegen. Auf sie käme es an, andere Männer werde man wesentlich mehr finden. Schon die Auswahl dieser Erzieher und Ausbilder müsse in der Verantwortung derer liegen, die sich im Leben bewährt hätten. Denkbar sei es, nicht nur Berufsoffiziere mit dieser Aufgabe zu betrauen, denn die fachliche Eignung sei nicht ausschlaggebend. Zu einem späteren Zeitpunkt, fuhr Manteuffel fort, müsse die Auswahl selbstverständlich wieder in der Hand von Soldaten liegen. Stellenbesetzungen in Bund und Ländern bewiesen jedoch zu Recht die Skepsis des deutschen Volkes, dass diesen Gedanken Rechnung getragen werde. Die Festlegung der Erziehungsgrundsätze selbst sollte gleichfalls nicht nur einigen wenigen Berufsoffizieren obliegen. Stattdessen sollten keine Kosten, Opfer und Arbeit gescheut werden, »um für den Bau dieses Fundamentes alle brauchbaren Erfahrungen des menschlichen Lebens einer Generation zu ver355 356
357
Bericht über die »Konferenz über Streitkräfte und Erziehung« am Oekumenischen Institut, BosseySchweiz vom 11. bis 16. Juni 1956, 25.6.1956, BArch, N 717/21, S. 6. Ebd., S. 7. Die US-Streitkräfte verarbeiten mit diesen Maßnahmen ihre Erfahrungen in Korea, Großbritannien reagiert auf seine sozialen Realitäten. Bericht über die »Konferenz über Streitkräfte und Erziehung« am Oekumenischen Institut, Bossey-Schweiz vom 11. bis 16. Juni 1956, 25.6.1956, BArch, N 717/21, S. 7. Zu Manteuffel siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 534 f.
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werten, und deshalb Erzieher aus allen Berufsgruppen, aus konfessionellen Kreisen, einige Lehrer, sicherlich auch Hochschulprofessoren, Journalisten, gereifte Männer aus den freien Berufen usw. heranziehen. Viel ist versäumt, obwohl hinreichend Zeit hierfür zur Verfügung stand. Geldmangel ist keine Entschuldigung.«358 Auch in dieser Hinsicht, verlieh Manteuffel seiner Befürchtung Ausdruck, besäße ein großer Teil des deutschen Volkes kein Vertrauen, dass diesen Gedanken genügend Rechnung getragen würde. Ob Baudissin oder seine Mitstreiter Kenntnis von diesen Denkanstößen hatten, ist ungewiss. Doch bestrebt, die Konzeption einer Erziehung des Soldaten voranzutreiben und ihre Arbeit auf ein Fundament größtmöglichen Verständnisses und allgemeiner Zustimmung zu gründen, hatten sie – im Geiste Manteuffels und parallel zur Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen im Amt Blank – Verbindungen zu zahlreichen Institutionen und Interessenverbänden außerhalb der Dienststelle geknüpft. In diesem Kontext gebührt der Kooperation mit namhaften Vertretern der universitären Wissenschaft359, denen ein maßgeblicher Anteil an der konzeptionellen Arbeit der hier im Mittelpunkt der Betrachtung stehenden »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« zuerkannt werden muss, eine besondere Beachtung. Ihr wurde ein hoher Stellenwert zugewiesen und so fand im April 1952 die erste von insgesamt fünf Tagungen zum Komplex des Inneren Gefüges an der Akademischen Bundesfinanzschule in Siegburg statt. In zwei weiteren Veranstaltungen im Frühjahr 1953 sollten die Grundlagen für einen zu erstellenden Leitfaden für den Einheits führer gelegt werden. Ziel dieser nie zustande gekommenen Schrift sollte es einerseits sein, dem Offizier ein Hilfsmittel für das Verständnis und die Anwendung der Disziplinarordnung der EVG-Streitkräfte an die Hand zu geben, andererseits die Probleme des Inneren Gefüges darzustellen und zu erläutern.360 Die noch im Herbst desselben Jahres stattfindenden letzten beiden Tagungen, die sich thematisch den »Leitsätzen für die Erziehung in den zukünftigen Streitkräften« zuwandten, beeinflussten die weitere Entwicklung der praktischen Arbeit hingegen in einem weitaus größeren Umfang. Wie im Falle des Lebenskundlichen Unterrichts erwuchs Baudissin jedoch auch auf dem Gebiet der militärischen Erziehung in dem Leiter des Studien-Bureaus eine nicht zu unterschätzende, wenngleich in ihren Ambitionen zu guter Letzt auch in diesem Fall erfolglose Gegenkraft. Bereits vor seinem Eintritt in das Amt Blank mit der Leitung einer mehrtägigen Veranstaltung zu »Erziehungsprobleme[n] im Polizeiund Wehrdienst« im Rahmen der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für 358 359
360
Hasso v. Manteuffel, Zusammengewürfelte Gedanken zu einem Zeitgeschehen, 22.1.1952, BArch, N 617/v.18, Nachlass Manteuffel. Ob die Schrift versandt wurde, konnte nicht ermittelt werden. Die wissenschaftliche und biographische Verortung der Vertreter aus den universitären Fachbe reichen Erziehungswissenschaft, Psychologie, Soziologie und Theologie erfolgt im Kontext der weiteren Ausführungen. Zur Tonbandnachschrift der ersten Gutachtertagung über die Probleme der Discipline générale am 28./29.4.1953 in der Akademischen Bundesfinanzschule in Siegburg siehe BArch, N 690/v. 3. Zu den Referaten der zweiten Tagung am 6./7.6.1953 siehe ebd., N 690/v. 121. Die Arbeiten an dem Leitfaden zur EVG-Disziplinarordnung waren mit dem Scheitern der EVG obsolet geworden. Als Handreichung für das Gebiet der Inneren Führung diente das 1957 herausgegebene Handbuch Innere Führung.
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Erziehung e.V. betraut, trachtete Pfister doch ständig danach, seinen Einflussbereich mit eigenen Projekten und Tagungen zu Fragen, die mit dem Inneren Gefüge im engeren Zusammenhang standen, zu mehren. Diese Faktoren und ihre Bedeutung für die Konzeption eines später sehr kontrovers diskutierten Entwurfes der Erziehungsleitsätze sollen im Folgenden dargestellt werden.
a) Die Siegburger Tagungen Bereits die Eröffnungsrede Wirmers anlässlich der ersten Siegburger Zusammenkunft thematisierte das Feld der Erziehung. Sich von den Referaten und Diskussionsbeiträgen wertvolle Anregungen für die weitere Arbeit der Dienststelle erhoffend, mahnte er gleichwohl zur Nüchternheit bei der Betrachtung der anstehenden Fragen, denn der zukünftige Soldat stehe nicht über dem Durchschnitt. Idealistische Vorstellungen und zu weit gesteckte Ziele müssten sich verhängnisvoll auswirken, wenn man die Betroffenen mit Anforderungen konfrontiere, denen sie nicht gewachsen seien. Adressat dieser Botschaft war zweifellos Baudissin, denn im Weiteren brachte Wirmer seine Vorbehalte gegen das Erziehungsverständnis Baudissins und die von ihm befürchtete Überforderung der Ausbilder in pädagogischer Hinsicht deutlich zum Ausdruck: »Er selbst mache keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Erziehung und Ausbildung; habe aber die Empfindung, dass Graf Baudissin das erzieherische Moment allzu sehr in den Vordergrund stelle und daher von dem späteren Offizier viel zu große pädagogische Leistungen erwarte. Er bitte, während der Tagung zu prüfen, wie weit man derartige Forderungen in den Streitkräften verwirklichen könne. Die Erziehungsaufgabe im Großen sei nicht Sache der Soldaten, sondern all der Kräfte, welche man mit dem nebelhaften Begriff ›Demokratie‹ umschreibe. Wenn die Demokratie diese Arbeit nicht schaffe, dann gelänge es den Streitkräften auch nicht.«361
Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt zeichnete sich damit eine Kontroverse ab, die ihren Kulminationspunkt im Mai 1954 erreichen sollte. Teilnehmer der ersten Tagung waren neben Baudissin Major a.D. Hans Tänzler362, Oberstleutnant i.G. a.D. Ernst Ferber363 und Dr. Konrad Kraske364 als Vertreter der Dienststelle Blank und ehemalige Truppen- und Generalstabsoffiziere der drei Wehrmachtteile im Dienstgrad Oberleutnant bis Oberst, die sich in den Nachkriegsjahren mit Fragen der Menschenführung, Erziehung und Betreuung im Rahmen eines Neuaufbaus deutscher Streitkräfte auseinandergesetzt hatten und in sehr unterschiedlichen Berufsfeldern tätig waren.365 Unter ihnen waren der bereits 361 362 363 364 365
Protokoll der Arbeitstagung Inneres Gefüge, Eröffnungsrede Wirmer, Akademische Bundesfinanz schule Siegburg, 19.‑21.4.1952, BArch, BW 9/2528-2, Bl. 1‑101, hier Bl. 3 f. Zu Tänzler siehe Nägler, Der gewollte Soldat, S. 222, Anm. 578. Zu Ferber siehe Die Generale und Admirale der Bundeswehr, Bd 1, S. 538‑540. Zu Kraske siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 451 f. Siehe Protokoll der Arbeitstagung Inneres Gefüge, Akademische Bundesfinanzschule Siegburg, 19.‑21.4.1952, BArch, BW 9/2528-2, Bl. 1‑101, hier Bl. 3. Die nicht der Dienststelle angehörenden Teilnehmer waren als Pädagogen, Juristen, Psychologen, Bibliothekare, Germanisten, Jugendleiter, Journalisten, Politiker sowie in kaufmännischen Berufen tätig.
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in Himmerod anwesende Horst Krüger, der spätere erste Kommandeur der Schule Innere Führung in Koblenz, Oberstleutnant i.G. a.D. Artur Weber366, sowie der Journalist Adelbert Weinstein, ehemaliger Major i.G. und Sicherheitsexperte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).367 Universitäre Wissenschaftler und Hochschullehrer aus den Fachbereichen Er ziehungswissenschaft, Psychologie, Soziologie und Theologie komplettierten den Gesprächskreis. Von diesem Personenkreis war der Göttinger Erziehungswissenschaftler Erich Weniger368 den Erziehungsfragen im Militär wohl am engsten verbunden. Geboren 1894 im niedersächsischen Steinhorst, hatte er 1913 ein Studium der Philosophie und Geschichte in Tübingen begonnen. Mit Kriegsbeginn meldete sich Weniger als Freiwilliger zur Artillerietruppe, wurde an der Westfront eingesetzt und avancierte zum Leutnant. Sein nach Kriegsende in Göttingen wieder aufgenommenes Studium erfuhr im April 1919 eine erneute halbjährige Unterbrechung, in der Weniger, mit den Aufgaben eines Gerichts-, Unterrichts- und politischen Verbindungsoffiziers betraut, einem Reichswehrverband angehörte.369 Seine Studien schloss er schließlich mit einer wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen sowie einer geschichtswissenschaftlichen Dissertation über die englisch-liberalen Einflüsse im Denken des preußischen Staatsreformers Freiherr vom Stein ab. Im Anschluss wandte sich Weniger ganz der Pädagogik und Hermann Nohl zu, der ihn bereits 1920 zum Leiter der von ihm gegründeten Jugendvolkshochschule in Göttingen ernannt hatte und deren Führung Weniger bis 1924 behielt. Von hier nahm seine sozialpädagogische Arbeit ihren Ausgang und auch als Assistent Nohls war er mit sozialpädagogischen Übungen beauftragt, zu deren Themeninhalten unter anderem das Volksbildungswesen und die Fürsorgeerziehung gehörten. Demzufolge verwundert es nicht, dass Weniger 1926 seinen ersten Lehrauftrag für Sozialpädagogik erhielt. Im selben Jahr habilitierte er sich bei Nohl mit einer pädagogischen Arbeit370 und folgte 1929 einer Berufung als ordentlicher Professor für Pädagogik und Philosophie an der Pädagogischen Akademie in Kiel. 1930 wechselte er als Direktor auf den Lehrstuhl der neugegründeten Pädagogischen Akademie in Altona (Hamburg), um nach deren 366 367 368 369
370
Zu Weber siehe Hammerich [u.a.], Das Heer, S. 720. Zu Weinstein siehe Wer ist wer? 38. Ausg., S. 1515. Zu den nachfolgenden biographischen Angaben vgl. Schwenk, Erich Weniger. Vgl. auch Bohnen kamp, Erich Weniger; Hartmann, Erich Weniger. Eine von Schwenk erwähnte und von Siemsen ungeprüft übernommene Teilnahme an der Nieder schlagung des sogenannten Spartakistenaufstandes in Berlin ist unwahrscheinlich, da die Kämpfe bereits zwischen dem 5. und 12. Januar stattgefunden hatten. Eine Teilnahme an der Niederschlagung der Zweiten Räterepublik in München Anfang Mai kann nicht ausgeschlossen, aber auch nicht nachgewiesen werden. Zu diesen Ereignissen vgl. u.a. Winkler, Weimar, S. 57‑60, 79‑82; Schulze, Weimar, S. 375‑382. Siemsen weist darauf hin, dass Weniger in seinem Lebenslauf anlässlich seines Habilitationsverfahrens nur eine Verwendung als Unterrichtsoffizier eines Reichswehrtruppenteils anführt. Vgl. Siemsen, Der andere Weniger, S. 2. In seiner Habilitationsschrift »Die Grundlagen des Geschichtsunterrichts. Untersuchungen zur geisteswissenschaftlichen Didaktik« hatte Weniger ein geschichtsdidaktisches Konzept entwickelt. Die Didaktik des Geschichtsunterrichts hat Weniger besonders nach Kriegsende weiterverfolgt, »als der Geschichtsunterricht zu einem der schwierigsten Probleme bei der Neugestaltung des Schulunterrichts geworden war.« Schwenk, Erich Weniger, S. 12.
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Schließung 1932371 eine Professur an der Pädagogischen Akademie in Frankfurt am Main sowie deren Leitung zu übernehmen. Mit militärpädagogischen Fragestellungen hatte sich Weniger bis zu diesem Zeitpunkt nicht auseinandergesetzt372, sondern seine wissenschaftliche Reputation auf den Feldern der Geschichtsdidaktik, der Sozialpädagogik sowie der akademischen Lehrerbildung erworben. Erst mit seiner Entlassung aus dem Hochschuldienst sollte sich die Militärpädagogik als neuer Wirkungskreis anbieten. Der Grund für Wenigers unfreiwilliges Ausscheiden nach § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933373 ist wohl in einer Gedenkrede zu finden, die Weniger anlässlich des Todes seines Förderers, des ehemaligen preußischen Kultusministers Carl Heinrich Beckers374, im Februar 1933 in der Frankfurter Akademie gehalten hatte und deren Wortwahl den nationalsozialistischen Machthabern verdächtig erscheinen musste.375 Becker, der seinerzeit die Pädagogischen Akademien in Altona und Frankfurt gegründet und Weniger zu ihren Direktoren ernannt hatte, habe »den pädagogischen Akademien eine Freiheit der Entfaltung und Gestaltung nach ihren eigenen Gesetzen gewährt [...], wie sie wohl an keiner anderen Bildungsstätte sonst zu finden war. Er bewahrte sie vor dem politischen Tageskampf, wie das freilich die Bedingung jeder sinnvollen erzieherischen Arbeit« sei.376 Becker, Mitbegründer der modernen Orientalistik und herausragender Hochschulreformer, hatte als Kernpunkt aller akademischen Reformen eine umfassende Demokratisierung der Hochschulverfassung ausgemacht. Hierzu strebte er eine weitgehende Gleichstellung der Privatdozenten und Extra ordinarien mit den bislang dominierenden Ordinarien sowie eine Beteiligung der Studenten an der Hochschulverwaltung an. Zusammen mit dem ersten Vorsitzenden der 1919 gegründeten Deutschen Studentenschaft, Otto Benecke377, legte er den Grundstein für die noch heute praktizierte studentische Selbstverwaltung. Ziel war es einerseits, das überkommene Verbindungswesen zu überwinden, andererseits die Heranbildung verantwortungsbewusster Staatsbürger zu fördern, denn wer als Student gelernt hatte, nach demokratischen Regeln Verantwortung zu übernehmen, so die Auffassung Beneckes, sei auch nach Abschluss seines Studiums motiviert, die Entwicklung einer Gesellschaft im demokratisch-freiheitlichen Sinne voranzutreiben. Dieser pädagogisch motivierte Reformansatz Beckers bedeutete, dass die Universitäten fortan nicht mehr nur als »Forscher- und Berufsschulen« fungieren, sondern sich ebenso als »Staatsbürgerschulen« verstehen sollten. Unter seiner Ägide wurde auch die 371
372 373
374 375 376 377
Die Schließung erfolgte im Rahmen der Sparmaßnahmen der Regierung Brüning. Offensichtliche politische Motive, auf die Weniger in seiner Abschiedsrede anspielte, harren noch ihrer Klärung. Vgl. ebd., S. 16. Eine Ausnahme stellte der 1930 veröffentlichte Aufsatz »Das Bild des Krieges« dar. »Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werde. Auf die Dauer von drei Monaten nach der Entlassung werden ihnen ihre bisherigen Bezüge belassen. Von dieser Zeit an erhalten sie drei Viertel des Ruhegehaltes (§ 8) und entsprechende Hinterbliebenenversorgung.« In: RGBl. 1933, T. I, S. 175. Zu Becker siehe DBE, Bd 1, S. 376. Vgl. Siemsen, Der andere Weniger, S. 4. Weniger, Die Eigenständigkeit der Erziehung, S. 269. Zu Benecke siehe Biographisches Handwörterbuch, S. 44 f. (Beitrag Urbach).
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Akademisierung der Volksschullehrerausbildung in Form der ab 1925 gegründeten Pädagogischen Akademien realisiert, die ein einheitliches Bildungssystem anstrebten. Doch Beckers Reformbemühungen, die von seinem Amtsnachfolger, dem nachmaligen niedersächsischen Kultusminister Adolf Grimme378 im Wesentlichen fortgeführt wurden, fanden mit dem »Preußenschlag« im Juli 1932 und der kurz darauf folgenden Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ihr Ende. Der Veranstaltung zu seinem Gedenken blieben eine Anzahl nationalsozialistisch orientierter Dozenten, an ihrer Spitze der NS-Pädagoge Ernst Krieck, sowie die Mehrzahl der Studenten fern. Weniger wurde schließlich am 22. Mai 1933 wegen des Verdachtes der politischen Unzuverlässigkeit zunächst beurlaubt und am 21. September 1933 ohne Bezüge aus dem Hochschuldienst entlassen.379 In Gesprächen mit seinen Freunden warnte Weniger vor der Emigrantenstellung und -stimmung und verwarf daher die Alternative einer Auswanderung. Stattdessen bemühte er sich um seine beamtenrechtliche Rehabilitierung, die er als grundsätzliche Voraussetzung für alle weiteren beruflichen Schritte ansah, zu denen er auch eine bereits ins Auge gefasste Tätigkeit im militärischen Bereich zählte. Der Weigerung, ihm Einsicht in die seine Entlassung betreffenden Akten zu gewähren, begegnete er mit dem Hinweis, notfalls ein Ehrengerichtsverfahren seines Regimentes gegen ihn zu beantragen, und auch seine ehemaligen Studenten unterstützten sein Vorhaben durch eine Petition an das Ministerium. Obschon die an den Reichsminister adressierten Eingaben Wenigers nach Einschätzung seines Biographen »peinsam« zu lesen seien380, gab der Erfolg den Bemühungen Wenigers letzten Endes recht, denn mit der Aufhebung der Entscheidung wurde er im Januar 1934 unter Beibehaltung seiner Amtsbezeichnung sowie der diesbezüglichen Bezüge rehabilitiert und in das Amt eines Studienrates eingewiesen. Der Annahme einer Ende 1935 freiwerdenden Schulstelle konnte er sich zwar mithilfe des Reichskriegsministeriums entziehen, musste aber die Kosten für die Vertretung durch einen Assessor selbst aufbringen. Weniger hatte sich, nachdem ihm trotz seiner Rehabilitation die Hochschule auf Weisung des zuständigen Reichsministers weiterhin verschlossen blieb, vorerst endgültig der Militärpädagogik zugewandt. Er hielt zahlreiche Vorträge vor Offizieren und verstand es, sich die zur Fortsetzung seiner militärpädagogischen Arbeiten notwendigen Protektionen zu verschaffen. Darüber hinaus waren die Jahre mit publizistischer Tätigkeit ausgefüllt, deren Ergebnis in seinem 1938 erschienen Werk »Wehr machtserziehung und Kriegserfahrung« gipfelte.381 Im Oktober desselben Jahres trat Weniger zwar eine Stelle am Frankfurter Lessinggymnasium an, ließ sich aber von der Wehrmacht zu Reserveübungen einberufen und wehrte sich auch im Weiteren erfolgreich gegen die Aufhebung seiner Unabkömmlichkeit, die ihn 378 379
380 381
Zu Grimme siehe NDB 7 (1963), S. 88 f. (Beitrag Walter G. Oschilewski). Zuvor war eine für den 6.7.1933 vorgesehene Antrittsvorlesung, die das Verfahren zur Berufung auf einen Lehrstuhl der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt abschließen sollte, durch einen Ministererlass verhindert und abgesagt worden. Die bereits versandten Einladungen wurden wieder rückgängig gemacht. Vgl. Schwenk, Erich Weniger, S. 18. Vgl. Schwenk, Wehrmachtserziehung, S. 143. Zu den Veröffentlichungen Wenigers während der Dauer des »Dritten Reiches« vgl. Erich Wenigers Schriften.
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in den Schuldienst zurückgerufen hätte. Sein Engagement galt von nun an der Wehrmacht.382 1939 zum Kriegsdienst einberufen, erhielt er von Franz Halder383, Generaloberst und Generalstabschef des Heeres, einen Sonderauftrag, der es ihm erlaubte, sich zu Forschungszwecken an verschiedene Frontruppenteile abkommandieren zu lassen. Weniger nahm am Feldzug gegen die Niederlande teil und begleitete die 17. Armee unter dem Oberbefehl von General d. Inf. Carl-Heinrich von Stülpnagel384 bis September 1941 auf ihrem Feldzug nach Russland. Bis zum September des folgenden Jahres eine Ruhrerkrankung auskurierend, wurde Weniger anschließend als Betreuungsoffizier zum Militärbefehlshaber Frankreich, Stülpnagel, kommandiert. Nach eigener Aussage bestand seine Aufgabe darin, Vorträge vor dem Offizierkorps zu halten, die »unter den Offizieren das Verständnis für die ethische Anforderung des Berufes und die echten Werte des Soldatentums gegenüber den mittlerweile eingerissenen Verfälschungen [...] wecken«385 sollten. Im Oktober 1943 wurde Weniger in gleicher Funktion beim Befehlshaber Nordwestfrankreich verwandt und im Februar 1944 zum NSFO ernannt. In seinem langwierigen Ent nazifizierungsverfahren machte Weniger geltend, dass diese Verwendung nur eine Tarnmaßnahme Stülpnagels zum Schutz seiner Person gewesen sei. Zudem sei ein später eingestelltes Kriegsgerichtsverfahren wegen regimekritischer Aussagen gegen ihn eingeleitet worden.386 Das Kriegsende erlebte der Major als Reserveoffizier in Göttingen. Nach kurzem Gewahrsam in amerikanischer Kriegsgefangenschaft wurde Weniger, dessen Name mit der akademischen Lehrerbildung eng verbunden ist, Anfang 1945 zum Rektor der neugegründeten Pädagogischen Hochschule in Göttingen ernannt. Er war Mitherausgeber der pädagogischen Zeitschrift »Die Sammlung«387 und wurde Anfang 1949 als Nachfolger seines akademischen Lehrers, Herman Nohls, auf dessen Lehrstuhl in Göttingen berufen. Ein zuvor eingeleitetes Entnazifizierungsverfahren war im Juni 1947 zunächst mit Wenigers Einstufung als Entlasteter abgeschlossen worden.388 Gegen diesen Beschluss erhoben nicht nur die Sektion der Kommunistischen Partei Deutschlands in Göttingen und die Stadtpresse, sondern auch die britische Besatzungsmacht Weniger war bereits am 1.5.1936 in das Offizierkorps des Beurlaubtenstandes aufgenommen worden. 383 Zu Halden siehe Ueberschär, Generaloberst Franz Halder. 384 Zu Stülpnagel siehe Stahl, General Karl-Heinrich von Stülpnagel. 385 Blatt 1‑8 der Entnazifizierungs-Verfahrensakte Nds. 171 Hildesheim Nr. 7475 des Niedersächsi schen Hauptstaatsarchives Hannover, zit. nach Siemsen, Der andere Weniger, S. 250. 386 Vgl. Hartmann, Erich Weniger, S. 195; Beutler, Geisteswissenschaftliche Pädagogik, S. 143; Siemsen, Der andere Weniger, S. 250 f. Dieser Darstellung schloss sich der Hauptausschuss für das Entnazifizierungsverfahren in Göttingen 1948 an. Gegenteiliges konnte die Forschung bislang nicht ermitteln. 387 Von Herman Nohl 1945 als Nachfolgeschrift der »Erziehung« gegründet, wurde das Erscheinen der Zeitschrift »Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung« nach dessen Tod 1960 eingestellt. Mitherausgeber waren Otto Friedrich Bollnow, Wilhelm Flitner und Erich Weniger. 388 Vgl. Siemsen, Der andere Weniger, S. 245. Nach Schwenk und Siemsen wurde das Verfahren im Frühjahr 1947 eingeleitet, Helmut Gaßen terminiert den Verfahrensbeginn auf den Mai 1946. Vgl. Gaßen, Geisteswissenschafltiche Pädagogik, S. 7, Anm. 22. Zu Wenigers Entnazifizierungsverfahren vgl. ausführlich Siemens, Der andere Weniger, S. 244‑267; Beutler, Geisteswissenschaftliche Pädagogik, S. 142‑154. 382
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Einspruch. Mit dem Hinweis auf Wenigers Tätigkeit als NSFO sprach sie ihm zugleich die Eignung als Leiter der Pädagogischen Hochschule ab.389 Erst nachdem die Verantwortung für die Entnazifizierung von der britischen Besatzungsmacht auf die deutschen Behörden übergegangen war390, konnte Weniger, der vom zuständigen Göttinger Hauptausschuss in einem Revisionsverfahren weder als Nationalsozialist noch als Militarist eingestuft worden war, als endgültig Entlasteter seine akademische Karriere fortsetzen.391 Diese gestaltete sich so erfolgreich, dass Weniger »nach 1945 die pädagogische Weichenstellung im westlichen Teil Deutschlands maßgeblich mit[bestimmt]. Seine bildungspolitische Einflussnahme läuft dabei nicht nur über sein Ordinariat, sondern zu einem wesentlichen Teil auch über Funktionen, die er in zahlreichen Gremien [...] übernimmt; sie läuft aber auch und nicht zuletzt über die große Zahl von Schülern, für deren Weiterkommen er Sorge trägt.«392 Sein Engagement war aber nicht nur auf das akademische Feld beschränkt. Auch politisch an exponierter Stelle positioniert, galt sein besonderes Augenmerk dem Aufbau der Bundeswehr. Als Berater des Amtes Blank und Mitglied des »Personalgutachterausschusses für die Streitkräfte« und des »Beirates für Innere Führung« übte er großen Einfluss auf das pädagogische Feld Bundeswehr aus, indem auch er der Erziehung des »Staatsbürgers in Uniform« seinen Stempel aufdrückte.393 Als ein weiterer langjähriger Weggefährte der Gruppe »Innere Führung« am Projekt »Erziehungsleitsätze« sollte sich auch Hans Bohnenkamp (1897‑1977) erweisen. Der Direktor der von ihm selbst 1946 in Celle gegründeten Pädagogischen Hochschule erklärte, sein Entschluss Lehrer zu werden wurzele in den sozialen und pädagogischen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges. In dessen Verlauf zum Offizier befördert und mit dem Ritterkreuz des Hohenzollernordens ausgezeichnet, nahm er sein 1914 unterbrochenes Studium der Mathematik, Physik, Philosophie und Pädagogik nach Kriegsende wieder auf und wirkte nach dessen Abschluss an höheren Schulen im In- und Ausland. 1930 folgte Bohnenkamp dem Werben des preußischen Kultusministers Becker, an der neugegründeten Pädagogischen Akademie in Frankfurt an der Oder in der Lehrerbildung tätig zu werden. Gleichartige Ver wendungen folgten in Elbing und Cottbus, bevor der nach eigenen Angaben dem Regime kritisch gegenüberstehende Bohnenkamp den Kriegsausbruch als »Flucht« in die Wehrmacht nutzte. Seine vorgebliche Kritik am Regime hatte ihn jedoch nicht daran gehindert, 1937 seine Aufnahme in die NSDAP zu beantragen, nachdem er bereits 1933 dem Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) beigetreten war. Sein Ausschluss erfolgte bereits am 1. Februar 1934; im September trat Bohnenkamp erneut dem NSLB bei.394 389 390 391 392 393 394
Vgl. Siemsen, Der andere Weniger, S. 245. Die Übernahme der Verantwortlichkeit erfolgte am 1.10.1947. Vgl. ebd., S. 244. Vgl. ebd., S. 247. Das Verfahren endete am 9.9.1948. Ebd., S. 7. Vgl. ebd., S. 7 f. Der Aufnahmeantrag datiert vom 14.7.1937. Die Aufnahme erfolgte rückwirkend zum 1.5.1937 (Mitgliedsnummer 4391864). Die Aufnahme in den NSLB war am 1.6.1933 erfolgt. Gründe für den Ausschluss aus dem NSLB konnten anhand der Akten nicht ermittelt werden. Der erneute Beitritt erfolgte am 12.9.1934. Auf der Karteikarte des NSLB ist auch die Zugehörigkeit zur SA dokumentiert. Siehe NSDAP-Gaukartei und NSLB, BArch, ehemals Berlin Document Center.
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Zur bewaffneten Macht des »Dritten Reiches« hatten bereits zuvor Verbindungen in Form von Reserveübungen und Lehrgängen für Fähnriche der Artillerietruppe bestanden.395 So begab sich der Beargwöhnte, der in regem Kontakt zu dem bekannten Reformpädagogen und Regimekritiker Adolf Reichwein396 stand, in den Schutz der Wehrmacht, aber anders als Weniger trat Bohnenkamp nicht als Vortragsredner oder Verfasser militärpädagogischer Schiften in Erscheinung, sondern kämpfte zunächst als Abteilungs-, später als Regimentskommandeur der Artillerie an vorderster Front. Als Teilnehmer der Schlachten in Stalingrad und im Orel-Bogen wurde er 1943 mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Lehraufgaben bei der Leitung einer Artillerieschule vor Leningrad, in der deutschen Heeresmission in der Slowakei und an der Panzertruppenschule in Bergen führten den Oberstleutnant auf pädagogisches Terrain zurück. Sowohl in der Truppenführung als auch in der militärischen Lehrtätigkeit »blieb das pädagogische Engagement lebendig und richtete sich vor allem auf ein menschliches Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen.«397 Auch in britischer Kriegsgefangenschaft setzte Bohnenkamp die offene Lehre – ergänzt um die Politik – in Gestalt einer »Lagerakademie« fort.398 Von Grimme erhielt Bohnenkamp schließlich den Auftrag, eine der geplanten Pädagogischen Hoch schulen zu gründen und hierzu Standort und Lehrpersonal vorzuschlagen. Die Wahl fiel auf Celle und Bohnenkamp blieb bis zur Übergabe des Direktorats an den Theologen Helmuth Kittel 1953/54 deren Leiter. Den Lehrstuhl hatte er bis zu seiner Emeritierung 1958 inne. Als Mitglied im Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen konnte er maßgeblichen Einfluss auf die Institutionen und Lehrinhalte der Schul erziehung nehmen. Darüber hinaus gaben ihm Mitgliedschaft und Sprecheramt im »Beirat für Fragen der Inneren Führung der Bundeswehr« die »Gelegenheit, soldatische Erfahrung und pädagogische Überzeugung für die Konzeption eines humanen militärischen Führungsstils einzusetzen«399, wie sie von Baudissin entworfen worden war. Diese Aufgaben nahm Bohnenkamp auch nach Übergabe seiner Direktorenstelle an Kittel weiterhin wahr. Seine Beschäftigung mit Fragen der »Inneren Führung« veranlasste Bohnenkamp schließlich dazu, eine Schrift über die »Soldatische Pflicht« zu verfassen, »in der es darauf ankam, den soldatischen Gehorsam so zu deuten, dass er nicht im Widerspruch zur personalen Würde und zu eigenen Entscheidungen der Untergebenen steht. Das vorgeschlagene Verständnis des Gehorsams zeigt die Befehlsstruktur von gegenseitigem Vertrauen abhängig und lässt Raum für freie Initiative, ohne den der Soldat der Freiheit, die er verteidigen soll, selber nicht teil395 396 397 398
399
Bohnenkamp war am 12.6.1937 in das Offizierkorps des Beurlaubtenstandes aufgenommen worden und wurde am 11.1.1943 mit Verfügung vom 10.11.1942 zum Oberstleutnant befördert. Zum Verhältnis zwischen Reichwein und Bohnenkamp vgl. Bohnenkamp, Adolf Reichwein. Zu Leben und Werk Reichweins siehe Amlung/Lingelbach, Adolf Reichwein. Bohnenkamp, Selbstdarstellung, S. 77. Das politische Element wurde in Kursen und Gesprächskreisen, insbesondere aber in dem Vortrag »Verführtes Volk« thematisiert. Helmut Schmidt nahm dieser »Vortrag des religiösen Sozialisten Hans Bohnenkamp« nach eigener Aussage die letzten Illusionen über den Nationalsozialismus. Zudem soll ein Gespräch mit Bohnenkamp für Schmidt der Grund gewesen sein, in die SPD einzutreten. Vgl. Winkler, Das Holz, aus dem Kanzler geschnitzt werden. Bohnenkamp, Selbstdarstellung, S. 77.
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haftig wäre. Auch an der Pflicht zu Kameradschaft, Gemeinschaftsgeist, Tapferkeit, Ritterlichkeit und Disziplin ließ sich aufzeigen, dass Eigenverantwortung unentbehrlich ist und darum zwar nicht ›der Soldat allein‹, aber auch der Soldat ein freier Mann sein kann.«400 Dritter im Bunde der Erziehungswissenschaftler war Alfons Simon (1897‑1975) von der Pädagogischen Hochschule München, der als Gründungsmitglied und Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Erziehung e.V. auch eine mit dem zukünftigen »Intimfeind« Baudissins, Josef H. Pfister, durchgeführte Tagung zu »Erzie hungs probleme[n] in Polizei- und Wehrdienst« veranstaltete. Nach dem Ersten Weltkrieg als Volksschullehrer tätig, engagierte er sich auch im Individual psychologischen Verein München. Dieser betrieb nach dem Vorbild der Wiener fragen, Schulreform401 individualpsychlogische Beratungsstellen für Erziehungs aus denen sich 1923 die »Arbeitsgemeinschaft für Erziehung« bildete, die sich der Weiterbildung von Lehrern und Erziehern widmete. Diese jahrelange und wertvolle Aufbau- und Erziehungsarbeit wurde durch die Etablierung des Nationalsozialismus und den Kriegsausbruch zerstört. Für die Dauer des Krieges zog sich Simon auf das Land zurück, um nach dessen Beendigung erneut als Lehrer in München und schließlich als Dozent am Institut für Lehrerbildung in München-Pasing tätig zu werden. In zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen nahm Simon Stellung zu Schule und Schulpraxis und widmete sich der Erforschung neuer Methoden zur Überwindung der weit verbreiteten Erziehungsnöte in einer Gesellschaft, die von Krieg und Verlust gezeichnet war, deren Kinder und Jugendliche oftmals ohne die Identifikationsfigur eines Vaters aufwachsen mussten und deren Mütter durch die Nöte des Alltags vielfach überfordert waren.402 Die Soziologie vertrat Helmut Schelsky (1912‑1984)403, der sein Studium der Philosophie, Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte in Königsberg und Leipzig 1935 mit der Lehramtsprüfung und einer Dissertation über die »Theorie der Gemeinschaft nach Fichtes Naturrecht von 1796« abgeschlossen hatte. Bereits seit 1932 Mitglied der SA, wirkte er ab 1933 auch im Nationalsozialistichen Studenten bund und trat 1937 der NSDAP bei. Für das »Amt Rosenberg« als Lektor tätig, versuchte er sich an der Entwicklung von Lehrplänen für die »Hohe Schule« der NSDAP zu beteiligen. Diese nationalsozialistische Universität, die als Zentrum NSideologischer und pädagogischer Forschung dienen sollte, kam jedoch nicht mehr zustande. Von 1941 bis Kriegsende nahm Schelsky als Infanterist am Zweiten Welt krieg teil. Währenddessen ereilte ihn 1943 der Ruf als außerordentlicher Profes sor der Soziologie und Staatsphilosophie an die Universität Straßburg; angetreten hat er diese Stelle jedoch nicht mehr. Nach Kriegsende gründete und leitete er in 400 401 402 403
Ebd. Siehe auch Bohnenkamp, Soldatische Pflicht. Diese wurde bereits 1954 ohne Namensnennung als Beitrag zur »Schriftenreihe Innere Führung« in der Reihe Erziehung im Heft 3 veröffentlicht. Zur Wiener Schulreform vgl. u.a. Keim, Die Wiener Schulreform; Schule damals; Wittenberg, Geschichte. (letzter Zugriff 8.1.2016). Literatur über Alfons Simon konnte nicht ermittelt werden. Zu Schelsky siehe Munzinger-Archiv, Anfrage vom 6.3.2008; NDB 22 (2005), S. 659‑661 (Bei trag Helmut Wilhelm Friedrich).
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Flensburg das Flüchtlingshilfswerk des Roten Kreuzes. Nach Scheitern einer ersten Bewerbung wurde Schelsky 1953 ordentlicher Professor der Soziologie in Hamburg, 1960 in Münster. Den Schwerpunkt seiner Forschungen bildeten die Strukturver änderungen der modernen Gesellschaft. Insbesondere seine Analysen zur Jugendund Familiensituation in einer vom Krieg und seinen Folgen gezeichneten Gesell schaft erregten über die Wissenschaft hinaus Aufmerksamkeit. Der protestantische Theologe Helmuth Kittel (1902‑1984)404 von der Pädago gischen Hochschule Celle trat als einziger Vertreter der Wissenschaft nicht als Re ferent in Erscheinung.405 Nach einem Studium der evangelischen Theologie, das er mit Dissertation und Habilitation abschloss, wandte sich Kittel verstärkt der Pädagogik zu. Auf Anfrage Wenigers lehrte er zunächst unter dessen Direktorat an der Pädagogischen Akademie in Altona, nach deren Schließung an den Hochschulen für Lehrerbildung in Lauenburg und Danzig.406 Am Zweiten Weltkrieg nahm Kittel zunächst als Militärpfarrer teil, wurde aber auf eigenen Wunsch in die kämpfende Truppe versetzt und schließlich zum Offizier befördert. Von 1946 bis 1963 lehrte er als Dozent an der Pädagogischen Hochschule in Celle, deren Direktorat er als Nachfolger Bohnenkamps bis 1959 innehatte, bevor er 1963 an die Theologische Fakultät nach Münster wechselte. Seine nationalsozialistische und deutschchristliche Vergangenheit hätte es ihm nach Kriegsende allerdings unmöglich gemacht, seinen Lehrstuhl für Neues Testament wiederzuerlangen, ein diesbezüglicher Antrag war von Kittel aber auch nicht gestellt worden. Begleitet war die Laufbahn Kittels nicht allein von dessen Zustimmung zum Nationalsozialismus in Wort und Schrift, sondern auch durch seine Mitgliedschaft in verschiedenen NS-Organisationen. Nach Eintritt in die NSDAP wurde Kittel 1937 ohne Berufungsverfahren auf den Lehrstuhl für Neues Testament an die Universität Münster berufen. Als politisch zuverlässig eingestuft, unterzeichnete er im darauffolgenden Jahr die sogenannte Godesberger Erklärung407, für Rickers »ein Dokument des Tiefstandes kirchlicher und theologischer Autoritäten in der Anbiederung an den Nationalsozialismus.«408 Später bestritt Kittel diese Unterschrift getätigt zu haben, doch sein Denken und publizistisches Wirken vollzogen sich unbestreitbar im Sinne dieses Dokumentes.409 404 405
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Zu Kittel siehe Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Sp. 844‑863 (Beitrag Folkert Rickers). Zur Teilnehmerliste siehe Protokoll der Arbeitstagung Inneres Gefüge, Akademische Bundes finanzschule Siegburg, 19.‑21. April 1952, BArch, BW 9/2528-2, Bl. 1‑101, Bl. 104. Ob alle dort verzeichneten Personen auch anwesend waren, konnte nicht ermittelt werden. Auch sind die Diskussionsbeiträge der ehemaligen Offiziere nur durch Alter, Dienstgrad und berufliche Tätigkeit gekennzeichnet, so dass eine namentliche Zuordnung bis auf wenige Ausnahmen nicht möglich ist. Nicht verzeichnet, aber anwesend, waren Ferber und Kraske vom Amt Blank. Dies legt den Schluss nahe, dass Kittel auf Vorschlag Wenigers an der Tagung teilgenommen hat. Die »Godesberger Erklärung« vom 26.3.1939, begrüßte die Bekämpfung jeglichen politischen Machtanspruchs der Kirche durch den Nationalsozialismus. In religiöser Hinsicht werde dadurch das wahre Verständnis vom christlichen Glauben wiedererweckt. Des Weiteren wurde der christliche Glaube als »unüberbrückbare[r] Gegensatz zum Judentum« gedeutet. Vgl. Meier, Der evangelische Kirchenkampf, S. 75 f., Zitat S. 76. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd 20, Sp. 848 (Beitrag Folkert Rickers). Vgl. ebd., Sp. 849.
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Kittels Denken orientierte sich an völkischen Kategorien. Den Individualismus als »eine jammervolle Erscheinung« erachtend, vertrat er die Idee von Führertum und Gehorsam als strukturelle Basis der Volksgemeinschaft.410 In der Deutung Rickers hielt Kittel auch nach 1946 an seiner »Abneigung gegen Individualismus, Liberalismus, Demokratie und Aufklärung« fest. Dennoch habe sich in der Historio graphie der Religionspädagogik nach 1945 schnell »die Meinung verbreitet, Kittel sei als Vertreter der Evangelischen Unterweisung in die Bekennende Kirche einzuordnen und sein Konzept sei als ein Widerlager zur nationalsozialistischen Ideologie zu verstehen. Diese Auffassung, obwohl grundsätzlich falsch, hält sich mit einer gewissen Hartnäckigkeit bis heute. K[ittel] selbst hat nichts dazu getan sie zu korrigieren.«411 Kittel war ab 1946 Professor an der Pädagogischen Hochschule Celle und übernahm 1953/54 als Nachfolger Bohnenkamps das Direktorat, das er bis 1959 innehatte. 1963 wechselte er an die Theologische Fakultät Münster, wo er 1970 in den Ruhestand trat. Das »Bild der deutschen Jugend« wurde von dem am Psychologischen Institut der Universität München tätigen Psychologen Ludwig Zeise412 vermittelt. Zu dessen Person scheint ein von November 1952 datierter Briefwechsel erwähnenswert, in dem ein mit Wirmer bekannter Psychologe ihm gegenüber seine und die Verwun derung seiner Universitätskollegen zum Ausdruck brachte und gegen die Inanspruch nahme Zeises als Sachverständigen weltanschauliche Bedenken äußerte. Zeise sei Anthroposoph und betreibe seine Psychologie von dieser Basis aus. Wissenschaftlich habe er nur sehr wenig publiziert, ein Habilitationsversuch sei gescheitert. Mehrfach geschieden, sei er während des »Dritten Reiches« wegen seiner damaligen Ehe mit einer Jüdin aus dem Dienst entlassen worden und gelte seit 1945 als politisch Verfolgter. Trotz vorliegender Empfehlung hatte Wirmer bis zu diesem Zeitpunkt auf eine Anstellung Zeises als Gutachter verzichtet, da ihm die hierzu notwendigen Unterlagen ungenügend erschienen.413 Mit Ausnahme einer Stellungnahme Zeises zum Umgang mit schwer erziehbaren Soldaten von 1953 erfolgte keine weitere nachweisbare Inanspruchnahme oder Einstellung.414 Als Sachverständiger nahm im Weiteren der Leiter des Psychologischen Institutes der Universität München, Philipp Lersch, an den Beratungen teil. Gemäß den abschließenden Bemerkungen des Protokolls sollte es die Aufgabe der ersten Tagung sein, einerseits mit den vorgestellten zivilen »Experten auf dem Gebiet der Pädagogik, Psychologie und Soziologie, Kontakte zum Zwecke einer künftigen 410 411 412 413
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Vgl. ebd., Sp. 847, Zitat ebd. Ebd., Sp. 849. Als gottesdienstähnliches oder andachtsmäßiges Geschehen sollte die Evangelische Unterweisung den Religionsunterricht ablösen. Vgl. hierzu ebd., Sp. 844 f. Zu Zeise siehe Handbuch der deutschen Wissenschaft, Bd 2, S. 426. Schreiben Arnold an Wirmer, 16.11.1952; Schreiben Wirmer an Arnold, 24.11.1952; Schreiben Arnold an Wirmer, 29.11.1952, BArch, N 621/v. Kiste 7, Ordner Studienprojekt 14. Auffällig ist die von Wirmer unterstrichene Charakterisierung als Anthroposoph, eine weitere Verwendung Zeises erfolgte nicht. Bei dem Absender handelte es sich um den Oberregierungsrat Dr. Wilhelm Arnold, nach eigenen Abgaben Privatdozent an der Universität Erlangen sowie Referent und Leitender Psychologe der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Siehe Stellungnahme Zeise, Über die Frage der Behandlung schwererziehbarer Soldaten, 28.4.1953, BArch, BW 9/536, Bl. 111‑113.
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Zusammenarbeit auf dem Sektor des Inneren Gefüges herzustellen«, andererseits »mit einer kleineren Auswahl jüngerer, ehemaliger Offiziere zentrale Fragen eines künftiges Wehrbeitrages zu diskutieren und daraus einen gewissen Einblick in die Meinungsbildung dieser Generation zu gewinnen [...]«415 Diese Aufgabe sei vollauf erfüllt worden. Da konkrete Ergebnisse in Form von Entschließungen, Richtlinien oder Vorschriften nicht angestrebt wurden, konzentrierte sich die Protokollarbeit darauf, die Referatstexte sowie die wesentlichen Inhalte der Diskussionen »als Anregung zur weiteren gedanklichen Verarbeitung für die Öffentlichkeit festzuhalten.«416 Horst Krüger, Baudissins Mitstreiter in Himmerod, verlieh seinen Gedanken zur Tagung wenig später in den »Siegburger Thesen« Ausdruck.417 Der Soldatenstand, begann Krüger seine Ausführungen, sei kein gesellschaftlich hervorgehobener mehr, denn der Bürger trete nach seiner Ausbildung zum Soldaten in das Zivilleben zurück, um im Ernstfall als wehrbereiter, wehrwilliger und wehrfähiger Bürger die freiheitliche Ordnung zu verteidigen. Nicht mehr ein exklusiver Personenkreis, der sich einem besonderen Ethos verpflichtet fühle, sondern der Bürger, der sich aus Neigung zu diesem Beruf sowie seiner Fähigkeiten und Bewährung im Dienst wegen verpflichte, bilde zukünftig den Stand der Zeit- und Berufssoldaten. Mithin trete »an die Stelle des einstigen Standesethos ein allgemeineres: als Bürger die selbstgewählte und mitgeleitete Ordnung und Freiheit jederzeit zu verteidigen.«418 Auch die Hervorhebung gegenüber den nicht am Kampf teilnehmenden Bürgern erfolge nicht aufgrund eines besonderen Standesbewusstseins. Vielmehr gebe die Art der Aufgabe, die aktive Teilnahme am Kampf, dem Soldaten seinen Ort. Nicht höher zu bewerten, aber anders sei die Aufgabe des Soldaten. Hierzu bedürfe es zwar besonderer Eigenschaften, gleichwohl bliebe der Wehrstand lediglich ein Glied der Bürgergemeinschaft. Nicht »ein durch Willenslähmung und Drill abgerichtetes Wesen« dürfe die soldatische Ausbildung anstreben, sondern den eigenverantwortlich handelnden Soldaten, der aus Einsicht Gehorsam übt und sich gewiss sein kann, in seinen Rechten nicht beschnitten zu sein. Möglich werde diese Eigenverantwortlichkeit aber nur durch die Lösung des Einzelnen aus der Anonymität, für die sich in der militärischen Ausbildung hervorragende, sachlich erforderliche Gelegenheiten ergäben und die dazu beitrügen, einer allgemeinen Vermassung entgegenzuwirken. Eine Erziehungsanstalt an sich könne die Streitmacht nicht sein, doch »wirke sie besonders erzieherisch in der Erfüllung ihrer Funktionsaufgaben.«419 Eine Reaktion Baudissins auf Krügers Thesen liegt nicht vor, doch wird Baudissin diesen Gedanken später aufgreifen, indem er ebenfalls mehrfach betonte, dass die Armee für ihn keine primäre Erziehungsinstitution darstelle – als »Schule der Nation« wäre sie überfordert und stünde im Gegensatz zur demokratischen Lebensordnung –, sondern durch 415 416 417
418 419
Protokoll der Arbeitstagung Inneres Gefüge, Akademische Bundesfinanzschule Siegburg, 19.‑21. April 1952, BArch, BW 9/2528-2, Bl. 1‑101, hier Bl. 101. Siehe ebd. Siehe Horst Krüger, Siegburger Thesen, BArch, N 825/157, S. 1 f. Wann diese Thesen zu Papier gebracht worden sind konnte nicht ermittelt werden, doch die Versendung an Baudissin am 4.5.1952 lässt eine Abfassung nach der ersten Siegburger Tagung vermuten. Für den Hinweis auf diese Quelle bin ich Herrn Daniel Schneider vom Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg sehr dankbar. Horst Krüger, Siegburger Thesen, BArch, N 825/157, S. 1. Ebd., S. 2.
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ihr Dasein und die ihr aufgetragene Aufgabe eine indirekte erzieherische Wirkung erziele.420 In ähnlicher Weise argumentierte auch Eduard Spranger, wenn er forderte, dass die soldatische Erziehung in der Sachlichkeit der Institution deutlich werden müsse.421 Politische Willensbildung und gesetzliche Ordnung des Staates vermittelten dem Soldaten den Sinn seiner Dienstzeit. Der militärischen Führung obliege es, »die politischen Erfordernisse technisch und funktional sauber und werkgerecht, menschlich verbindlich und verstehend zu erfüllen.«422 Werde diese Aufgabe gut erfüllt und der Soldat als Bürger darüber hinaus weitestgehend unangetastet gelassen, man ihm sogar durch Hilfestellung beruflicher, allgemein politischer und gemeinschaftlicher Art zum »Bürgersein« verhelfe, habe die Wehrdienstzeit ihren Sinn erfüllt. Eine schlichte Sachlichkeit, ausgedrückt in einsichtiger Behandlung, Um gang und Wortwahl, die nicht verletze oder Ressentiments wecke, erscheine hierfür erfolgversprechend. Für Krüger galt es auch, die Grundlagen des Denkens und Handelns zu überprüfen. Letzteres werde durch das Gewissen verpflichtet. Richtschnur dürften eben nicht Pseudoverbindlichkeiten sein. Stattdessen solle »gerade auch für die letzte Handlung eines jeden, die im Kampf notwendig sein kann, untersucht werden, ob auch der moderne Soldat nicht allein als christlicher Mensch zu handeln in der Lage«423 sei. Nicht gemeint ist eine Rückbesinnung auf den miles christi des Mittelalters, doch muss sich der Soldat einer wie auch immer gearteten, nicht von Menschen errichteten, letzten Instanz gegenüber verantwortlich fühlen. Zum Abschluss auf die gebotene Chance verweisend, gab Krüger den verantwortlichen Kräften die mahnende Anregung mit auf den Weg, dass der Neubeginn es zulasse, »die Form zu entwickeln, die unserer Erfahrung, der modernen Gesell schaftsstruktur und unserem Freiheitswillen«424 entspräche. Blieben Weniger, Bohnenkamp und Simon auch weiterhin maßgeblich an der konzeptionellen Arbeit beteiligt, fand unterdessen ein sehr umfassendes Revirement im Kreise der wissenschaftlichen Vertreter statt.425 An dieser Entwicklung war der Philosoph und Erziehungswissenschaftler Eduard Spranger nicht ganz unbeteiligt. Karst hatte diesen herausragenden Vertreter der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik im Zuge der Vorbereitung einer Sachverständigentagung im September 1953, die sich ausschließlich dem Thema »Leitsätze für die Erziehung in den zukünftigen
420 421 422 423 424 425
Vgl. Baudissin, Soldat, S. 36, 233. Aktennotiz Karst, Besprechung mit Prof. Dr. Eduard Spranger, Tübingen am 23. Juni 1953, 24.6.1954, BArch, N 690/v. 2, S. 1. Horst Krüger, Siegburger Thesen, BArch, N 825/157, S. 2. Ebd. Ebd. Über die Auswahl der Tagungsteilnehmer konnten keine Unterlagen ermittelt werden. Ein Vermerk Karsts lässt jedoch vermuten, dass Baudissin – wahrscheinlich nicht ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten, vielleicht auch mit Wirmer – den Teilnehmerkreis bestimmte. Karst hatte eine Anfrage Pfisters, ob er an der Erziehungstagung teilnehmen könne, mit dem Hinweis beantwortet, dass die letzte Entscheidung bei Baudissin läge. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 3.9.1953, BArch, N 717/1, Bl. 20.
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Streitkräften« widmen sollte, in Tübingen aufgesucht, um dessen Ratschläge für das weitere Vorgehen einzuholen.426 Spranger stellte das ganze Vorhaben zunächst in Frage, denn er bezweifelte, »ob man etwas grundsätzlich Neues und Gültiges über die von Scharnhorst und Moltke gegebenen und im Laufe der Zeit in den deutschen Vorschriften niedergeschriebenen Erziehungsgrundsätze benötige oder gar schaffen könne. Man könne die Schwerpunkte verlagern, gewisse Prinzipien herausstellen, zusätzliche Sicherungen einbauen. An den Grundsätzen sei aber nicht zu rütteln.«427 Als eine wesentliche Voraussetzung für den Fortgang der Diskussion sah Spranger die eindeutige Klärung der Frage an, »ob pro patria alleingültig«428 oder bereits die freiheitliche Lebensordnung als Oberbegriff den Primat besitze. In diesem Zusammenhang erinnerte er an die wenige Tage zuvor von den Berliner Arbeitern skandierte Forderung nach Freiheit und Vaterland.429 Vorrangig müsse es sein, das Erziehungsziel von der Aufgabe her zu begründen, denn »solange nicht die Aufgabe klar sei, bestehe wenig Hoffnung, zu eindeutigen Leitsätzen zu kommen. Deshalb müsse ein Vortrag, der klipp und klar die Aufgaben darstelle, am Anfang einer solchen Tagung stehen.«430 Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wurde diese logische Schlussfolgerung Sprangers zwar für die Tagung beherzigt431, fand indes keinen Niederschlag in den Entwurfsfassungen der »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten«, ein Tatbestand, den insbesondere Foertsch als einen wesentlichen Aspekt seiner kritischen Stellungnahmen hervorheben sollte.432 Spranger wies des Weiteren darauf hin, dass die Erziehung ihr Augenmerk nicht nur auf die innere Bereitschaft des Soldaten richten dürfe. Ihm schwebte ein nicht näher definierter Typ vor, dessen Realisierung nur durch eine von außen wirkende Erziehung erreicht werden könne. Diese Typisierung in der Truppe sei unerlässlich, bilde sie doch »angesichts des Zerfalls der Gemeinschaft in Einzelpersonen (nicht Persönlichkeiten) eine Kraft. Eine Gemeinschaft mit einem Ethos und erzieherischem Willen bilde – ob sie wolle oder nicht – Typen.«433 In jeder Umbruchszeit, dies könne man acht Jahrhunderte zurückverfolgen, spräche man vom Zerfall der Traditionen, doch nur ein innerhalb der Tradition stehender Mensch vermöge zu erziehen, kommentierte Spranger diesbezüglich geführte Diskussionen, an denen auch 426 427 428 429 430 431 432
433
Siehe hierzu Aktennotiz Karst, Besprechung mit Prof. Dr. Eduard Spranger, Tübingen am 23. Juni 1953, 24.6.1953, BArch, N 690/v. 2, S. 1‑3. Ebd., S. 1. Ebd. Spranger verwies auf die Ereignisse am 17.6.1953 in der DDR. Aktennotiz Karst, Besprechung mit Prof. Dr. Eduard Spranger, Tübingen am 23. Juni 1953, 24.6.1953, BArch, N 690/v. 2, S. 2. Siehe Vortrag Baudissin, Der Auftrag zukünftiger Streitkräfte, BArch, N 488/7, Bl. 131‑146, gehalten am 25.9.1954 als Eröffnungsvortrag der 3. Siegburger Tagung. Siehe Stellungnahme Foertsch zu ›Leitsätze für Erziehung‹, II/IG, Bonn, 15.6.53, BArch, N 621/v., Kiste 23, Ordner StB F-G, S. 2; Anhang zu Schreiben Foertsch an Pfister, 21.8.1953; Stellungnahme Foertsch zu ›Leitsätze für die soldatische Erziehung‹, Fassung vom 18. Mai 1954, 1.7.1954, BArch, BW 9/2592-3. Zu den Kritiken an den Entwurfsfassungen der ›Leitsätze für die soldatische Erziehung‹ siehe Kap. 6. Aktennotiz Karst, Besprechung mit Prof. Dr. Eduard Spranger, Tübingen am 23. Juni 1953, 24.6.1953, BArch, N 690/v. 2, S. 2.
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Baudissin mit zahlreichen Beiträgen Anteil nehmen sollte. Neuerungen könnten daher nur in einem vorgegeben festen Rahmen eingeführt werden. Vielen unbewusst, sei die Zurückweisung der Tradition die feinste Form einer totalitären Ablehnung aller gültigen Normen. Der Mensch neige leicht dazu zu vergessen, »dass wir aus einer uns nicht bewussten Tradition mit dem Großteil unseres Lebens existierten.«434 Der Forderung Sprangers, sich in der Truppe jeglicher Diskussion zu politischen Themen zu enthalten, da diese letzten Endes doch zu keiner Entscheidung führten, begegnete Karst mit einer Erläuterung dessen, was die Gruppe »Innere Führung« unter dem Begriff der Information verstand. Vieles spräche dafür, gestand Spranger ein, doch die Deutschen wüssten leider nicht, was eine Diskussion sei, das müsse »den Offizieren geradezu ›drillmäßig‹ klargemacht werden.«435 Einen in seiner Synergie nicht zu unterschätzenden Einfluss übte Spranger schließlich durch seine Vorschläge im Hinblick auf die Auswahl der Teilnehmer aus. Er selbst bedauerte, aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht persönlich an der Tagung teilnehmen zu können, doch sicherte er seinem Besucher zu, eine Liste derjenigen Personen anzufertigen, die ihm zur Mitarbeit geeignet erschienen.436 Wichtig sei es, betonte er gegenüber Karst, nicht nur Wissenschaftler für die Tagung zu gewinnen, denen nach seiner Erfahrung oftmals der Sinn für das Praktikable fehle. Als grundsätzliche Voraussetzung sollten die Teilnehmer jedoch Soldaten in irgendeiner Form gewesen sein. Ferner müsse der Bedeutung des religiösen Momentes in der Erziehung durch die Hinzuziehung von Geistlichen der beiden christlichen Konfessionen Rechnung getragen werden. Von einer Teilnahme des ehemals leitenden Wehrpsychologen Max Simoneit437 riet Spranger zwar ab, gleichwohl dürfe man nicht auf die Mitarbeit und Expertise ehemaliger Heerespsychologen, von denen einige wirklich etwas gekonnt hätten, verzichten. Die Auflistung der Tagungsteilnehmer verdeutlicht schließlich die Wirkungsmacht Sprangers, denn alle Wissenschaftler waren, soweit nachweisbar, Soldaten des Ersten oder Zweiten Weltkrieges, manche sogar beider Kriege (Bohnenkamp, Weniger), und auch die Teilnahme Theodor Litts und des in der historisch-pädagogischen Forschung nicht unumstrittenen Theodor Wilhelm ging wohl auf die Anregung Sprangers zurück438, der mit Litt, Wilhelm Flitner, Hermann Nohl und Aloys Fischer439 die pädagogische Zeitschrift »Die Erziehung«440 gegründet und herausgebracht hatte. Mit Werner Jentsch und Theoderich Kampmann war die Theologie mit Vertretern beider christlichen Kirchen ebenso vertreten wie die Wehrpsychologie, die mit Philipp Lersch, Karl Mierke und dem von Spranger ausdrücklich empfohlenen Waldemar Oehlrich 434 435 436 437 438
439 440
Ebd. Ebd. Diese Liste konnte in den ausgewerteten Quellen nicht ermittelt werden. Zu Simoneit siehe Daten zur Geschichte der deutschen Psychologie, S. 230 f. So die Interpretation Hartmanns zur Ankündigung Sprangers, eine Liste mit geeigneten Personen für Karst zusammenzustellen, nach der Litt und Wilhelm aufgrund seiner Anregung zu den Tagungen eingeladen worden sind. Vgl. Hartmann, Erziehung, S. 240, Anm. 559. Zu Fischer siehe NDB 5 (1961), S. 178; Krüger, Einführung, S. 39 f. Zur Deskriptiven Pädagogik vgl. ebd., S. 47 f. Zu dieser 1925‑1943 erscheinenden pädagogischen Zeitschrift vgl. Horn, Pädagogische Zeit schriften, S. 215‑306.
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personell sehr stark auftrat.441 Hierbei dürften persönliche Beziehungsnetzwerke gleichermaßen wie im militärischen Bereich gewirkt haben. Unbestreitbar galt dies für die Person Theodor Litts442, einem langjährigen Weggefährten Sprangers. 1880 als Sohn eines Gymnasialprofessors in das Umfeld des Bildungs bürgertums hineingeboren, studierte er alte Sprachen, Geschichte und Philosophie und lehrte bis 1918 an Gymnasien in Bonn und Köln. Erst die Schrecken des Ersten Weltkrieges hätte seine Hinwendung zur Philosophie und zur wissenschaftlichen Pädagogik beeinflusst, bekundete Litt später. Eine erste Kon zeption zur Neugestaltung der Pädagogik hatte Litt, der 1919 eine außerordentliche Professur für Pädagogik an der Universität Bonn erhielt, im Jahr zuvor vorgelegt. Bereits 1920 wurde er als Nachfolger Sprangers auf den Lehrstuhl für Philoso phie und Pädagogik in Leipzig berufen. In den kommenden Jahren entfaltete Litt nicht nur »eine intensive akademische Lehr- und Forschungstätigkeit als Pädagoge und Philosoph. Ungewöhnlich groß ist schon damals die Zahl der Buch- und Aufsatzpublikationen.« Zahlreiche Vorträge erhöhten seinen Bekanntheitsgrad, der sich auch in seiner Mitherausgeberschaft der Zeitschrift »Die Erziehung« widerspiegelte.443 Sie war »bis 1933 das führende Organ der neuen geisteswissenschaftlichen Pädagogik und ihrer Diskussion mit den pädagogischen Zeitströmungen, nicht zuletzt mit der Reformpädagogik in ihren verschiedenen Teilzweigen.«444 Politisch wird Litt, 1931/32 Rektor der Leipziger Universität, von Klafki den sogenannten Vernunftrepublikanern zugeordnet, »die zwar nicht aktiv und engagiert für die Weimarer Republik eintraten, sie aber loyal respektierten.« Zu einem aktiven Engagement für die Demokratie sollte er sich erst nach 1945 entscheiden. Für Klafki zweifelsfrei »ein entschiedener Gegner jedes Totalitarismus, also auch des Nationalsozialismus«, bleibt Litt wie andere Professoren, »die sich vor 1933 nicht als Exponenten demokratischer politischer Parteien hervorgetan hatten«, zunächst im Amt.445 Einer zunehmenden politischen Polemik ausgesetzt, bat Litt 1937 schließlich um seine frühzeitige Emeritierung.446 Fern einer »inneren Emigration« übte er in Aufsätzen und Abhandlungen offene Kritik und konzentrierte sich dabei auf den Nachweis »der wissenschaftlichen Unhaltbarkeit und der inneren Widersprüchlichkeit der propagierten Indienstnahme der Wissenschaft für die Scheinrechtfertigung nationalsozialistischer Weltanschauung und der biologischen Geschichtsinterpretation des Nationalsozialismus.« Für Klafki gehören diese Arbeiten »zu den überzeugenden Dokumenten mutiger wissenschaftlicher Opposition gegen den Nationalsozialismus nach 1933 innerhalb seines Herrschaftsbereiches.«447 Für Keim und Lingelbach ist 441 442 443 444 445 446 447
Siehe die Teilnehmerliste des Protokolls der Sachverständigentagung, 25./26.9.1953, in der Akade mischen Bundesfinanzschule Siegburg, BArch, BW 9/3569, Bl. 18. Zu Person und Werk Litt, vgl. Klafki, Theodor Litt. Vgl. ebd., S. 241‑243, Zitate ebd. Vgl. ebd., S. 243 f. Vgl. ebd., S. 244, Zitat ebd. Hervorhebung im Original. Vgl. ebd. Ebd., S. 245. Hervorhebung im Original. Bei den Arbeiten handelt es sich um »Die Stellung der Geisteswissenschaften im nationalsozialistischen Staat« (1933, 1934), »Philosophie und Zeitgeist« (1935), »Der deutsche Geist und das Christentum« (1938), »Die gedanklichen Grundlagen der rassentheoretischen Geschichtsauffassung« und »Protestantisches Geschichtsbewußtsein« (1939). Eine
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Litt der einzige Vertreter der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik, der nationalsozialistische Herausforderung »kompromißlos« angenommen hat, während die Mehrheit ihrer Repräsentanten »an ihren ursprünglichen, in das politische Geschehen der nationalsozialistischen Machteroberung hineininterpretierten utopischen Perspektiven [einer Erziehung] auch nach den Enttäuschungen des Gleichschaltungsprozesses« festhielt.448 Dies gilt, obgleich auch Litt als Unterzeichner im »Bekenntnis der Pro fessoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat« vom 11. November 1933 aufgeführt ist.449 Nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst wieder als Ordinarius für Philosophie und Pädagogik in Leipzig berufen, folgte Litt, der den Aufbau des Sozialismus im Sinne der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) ablehnte, einem Ruf der Universität Bonn auf den Lehrstuhl für Philosophie und Pädagogik, den er bis zu seiner Emeritierung 1952 innehatte.450 Von den Teilnehmern dieser ersten Erziehungstagung stellte neben dem vermeintlichen Militaristen451 Weniger der von Wolfgang Keim als »Propagandist des nationalsozialistischen Krieges und der nazistischen Judenpolitik«452 bezeichnete Theodor Wilhelm (1906‑2005) wohl die Persönlichkeit dar, die im pädagogisch-historischen Rückblick auf das »Dritte Reich« am kritischsten beurteilt wird.453 Erst spät zur Pädagogik gewechselt, hatte Wilhelm zunächst als Historiker über die englische Verfassung promoviert. Mit der Intention, in den diplomatischen Dienst einzutreten, fertigte er 1933 eine juristische Dissertation über die Idee des Berufsbeamtentums an und trat im selben Jahr eine Stelle als Referent beim Deutschen Akademischen Aus tauschdienst (DAAD) an, die er bis zu seiner von der NSDAP bewirkten Entlassung
448 449
450 451
452 453
inhaltliche Zusammenfassung der Kritik Litts an der nationalsozialistischen Weltanschauung bei Lingelbach, Erziehung, S. 221‑245. Wenngleich nicht dem aktiven politischen Widerstand angehörend, soll Litt der Leipziger »Mittwochsgesellschaft« angehört haben. Vgl. Klafki, Theodor Litt, S. 245. In deren Sitzungsprotokollen der Jahre 1932‑1944 findet Litt, im Gegensatz zu Eduard Spranger, jedoch keine Erwähnung. Vgl. Die Mittwochs-Gesellschaft, S. 374, 381. Zur Geschichte der Gesellschaft ebd., S. 11‑47. Lingelbach, Erziehung, S. 157 f. Keim, Erziehung, Bd 1, S. 173. Klafki erwähnt die Unterschrift nicht. Litts Name ist ohne akademische Titel auf S. 136 unter der Rubrik »Einzelne Wissenschaftler« und nicht unter den Wissenschaftlern des Pädagogischen Instituts Leipzig, S. 130, aufgeführt. Siehe »Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat«, online verfügbar unter: (letzter Zugriff 15.10.2015). Vgl. Klafki, Theodor Litt, S. 245. Keim bezeichnet Weniger als Militaristen. Vgl. Keim, Erziehung, Bd 2, S. 369. Siemsen stimmt dieser Einschätzung trotz ihrer kritischen Bestandsaufnahme der Schriften Wenigers nicht zu. Der Göttinger Hauptausschuss für das Entnazifizierungsverfahren hatte Weniger vom Vorwurf, ein Vertreter des Militarismus gewesen zu sein, freigesprochen. Ebd. Eine Biographie oder biographische Skizzen zu seiner Person liegen nicht vor. Wilhelm selbst hat sein Wirken im Nationalsozialismus zwar mehrfach thematisiert, aber mit einem Irrglauben und den damals vorherrschenden Verhältnissen begründet. Vgl. Wilhelm, Wilhelm, Theodor; MillerKipp/Wilhelm, »Über meine Schuld«. Anders urteilen Keim und Horn, die ihn als Propagandisten des nationalsozialistischen »Dritten Reiches« und der Vernichtung der europäischen Juden verstehen. Vgl. Keim, Erziehung, Bd 2, S. 183‑185; Horn, Pädagogische Zeitschriften, S. 346‑370.
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1936 innehatte.454 In dieser Außenstelle des Auswärtigen Amtes bestand seine vorrangige Aufgabe nach eigenen Angaben darin, die im Ausland weilenden Studenten und Lehrer in die Lage zu versetzen, das neue nationalsozialistische Deutschland zu verteidigen. Medium war die hauseigene Zeitschrift »Hochschule und Ausland«, die allen Austauschstudenten zuging und für die Wilhelm in den beiden Anfangsjahren der nationalsozialistischen Diktatur Aufsätze verfasste, die das NS-Regime plausibel machen und den Studenten als Argumentationshilfen und Verteidigungsinstrumente dienen sollten.455 Ein Jahr nach seiner Entlassung trat Wilhelm eine Dozentenstelle an der Hochschule für Lehrerbildung in Oldenburg an. Mit Kriegsbeginn zum Wehrdienst einberufen, wurde er bereits nach einer sechsmonatigen Dienstzeit an das Deutsche Institut für außenpolitische Forschung nach Berlin abkommandiert. Für die kommenden Jahre war der bereits auslandserfahrene Wilhelm »mit allen Fragen des ausländischen Schulwesens sowie der propagandistischen Versorgung der deutschen Schulen im Ausland befaßt.« Ab April 1943 erneut Soldat, geriet er 1945 als Leutnant in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft.456 Parallel betreute er von 1934 bis zu ihrer Einstellung 1944 die zusammen mit dem Erziehungswissenschaftler Alfred Baeumler457 herausgegebene »Internationale Zeitschrift für Erziehung« (IZE) als deren Schriftleiter. Diese Zeitschrift, 1931 zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit in der Erziehungswissenschaft begründet, »wurde von den Nazis ›gleichgeschaltet‹ und unter Wilhelm zum Sprach rohr und Propagandainstrument nationalsozialistischer Pädagogik und Politik umfunktioniert.«458 Wilhelm rechtfertigte in seinen Aufsätzen nicht nur die »Vertreibung von Wissen schaftlern, Künstlern und Schriftsteller«, sondern auch die Bücherverbrennungen vor dem Ausland. Ab 1940 nutzte er die IZE darüber hinaus »zur Legitimation des rassistischen Vernichtungskrieges.« Seine Beiträge zur europäischen Neuordnung »verbanden – der nazistischen Ideologie und Propaganda entsprechend – antibolschewistische mit antiwestlicher Hetze – und zwar nicht erst wie von Wilhelm später behauptet, ›in der Endphase des Krieges‹ [...], sondern bereits seit 1941.« Den Höhepunkt seiner rassistisch-antisemitischen Entgleisungen markiert für Keim »sein 1944 veröffentlichter Aufsatz ›Die kulturelle Kraft Europas im Kriege‹, in dem er – wie schon in früheren Beiträgen – den ›inneren Zusammenhang zwischen dem jüdischen Weltbild und der vom Bolschewismus angestrebten Weltversklavung‹ 454
455 456 457 458
Seine Entlassung begründet Wilhelm mit dem Tatbestand, dass er auch Austauschschüler und -lehrer ins Ausland entsandt hatte, die keine Parteimitgliedschaft besaßen. Vgl. Wilhelm, Wilhelm, Theodor, S. 319; Miller-Kipp/Wilhelm, »Über meine Schuld«, S. 662. Er selbst war der NSDAP ebenfalls nicht beigetreten. Seinen 1934 erfolgten Beitritt zur SA rechtfertigte Wilhelm als ein dem Deutschen Akademischen Austauschdienst erbrachtes Opfer, da dessen Personal sich als politisch integer auszuweisen hatte. In einem 1991 gewährten Interview bezeichnete er die SA als Sportverein, in dem man aus Jux mitgemacht und am Wochenende im Wald herum gerobbt sei; nicht im Sinne eines politischen Bekenntnisses, »sondern eher als ärztlich verordnetes sportliches Training.« Vgl. Miller-Kipp/Wilhelm, »Über meine Schuld«, 651 f., Zitat S. 651. Vgl. Miller-Kipp/Wilhelm, »Über meine Schuld«, S. 652. Vgl. Horn, Pädagogische Zeitschriften, S. 314 f., Zitat S. 315. Zu Baeumler siehe Keim, Erziehung, Bd 1, S. 166‑169. Ebd., S. 184.
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hervorhebt und dementsprechend betont, dass sich die ›europäischen Staaten‹ bei ihren ›judenpolitischen Maßnahmen ... nirgends vom blinden Rassenhaß‹ hätten leiten lassen, sondern von ›nüchternen Erkenntnissen biologischer, bevölkerungspolitischer, wirtschaftlicher und charakterlicher Art‹.« Besonders Ungarn, das sechs Prozent des Weltjudentums innerhalb seinen Grenzen beherberge, leide unter der »Verjudung« und zeige die »europäische Dimension des Judenproblems.« (Wilhelm) Eine Lösung des Problems sei von den Gesetzgebern der unter faschistischem Einfluss stehenden europäischen Länder aber bereits eingeleitet worden.459 Als der Aufsatz erschien, hatte »die Vernichtungsmaschinerie der Nazis bereits Millionen von jüdischen Menschen erfasst [...], darunter eine halbe Million Ungarn, deren Abtransport in die Konzentrations- und Vernichtungslager seit März 1944 in vollem Gange war. Wilhelms Kommentare müssen deshalb heute als Propaganda im Dienst des Holocaust gelesen werden, unabhängig davon, wieviel er selbst von der Vernichtung der Juden gewusst hat.«460 Ungeachtet dessen nach dem Krieg als Gymnasiallehrer in Oldenburg tätig, wurde Wilhelm 1951 zunächst an die Pädagogische Hochschule in Flensburg und 1959 an die Universität Kiel berufen. Dort wurde er 1972 emeritiert. Ein 1951 veröffentlichtes Buch zur politischen Erziehung erschien unter dem Pseudonym Friedrich Oetinger.461 Über einen weiteren Vertreter der Pädagogischen Hochschule Flensburg, Hans Beyer462, gibt eine Vermerk Baudissins Auskunft. Beyer, der »angeblich in seiner Vergangenheit dem Nationalsozialismus nicht ganz ferngestanden haben soll«, habe scheinbar einen Sinneswandel vollzogenen und sich »jetzt für unsere Gedanken sehr eingesetzt.«463 Dass Baudissin wirklich so schlecht über die politische Vergangenheit der Tagungsteilnehmer informiert war, muss erstaunen, galt Beyer doch als Protegé des SS-Obergruppenführers und Leiter des Reichssicherheitshauptmates Reinhardt Heydrichs.464 Geboren 1908, studierte Beyer Geschichte, Öffentliches Recht und Volkstumskunde. Nach seiner Promotion in Geschichte zunächst als freier Journalist tätig, wurde er im April 1934 zum Dozenten der Hochschule für Lehrerbildung in der Freien Stadt Danzig ernannt. 459 460
461
462 463 464
Vgl. ebd., Zitate ebd. Hervorhebungen im Original; Horn, Pädagogische Zeitschriften, S. 360 f. Keim, Erziehung, S. 185. Vgl. zu diesem Aufsatz und seiner Wertung auch Horn, Pädagogische Zeitschriften, S. 364‑370. Sofern Erziehungswissenschaftler, dürften die Teilnehmer an den Tagungen über die Aufsätze und deren Inhalt Kenntnis gehabt haben. Konsequenzen wurden daraus aber keine gezogen. In der Öffentlichkeit war Wilhelms »braune Vergangeheit« nicht bekannt. Erste Hinweise kamen 1960 aus der DDR. Eine kritische Analyse seiner IZE-Beiträge erfolgte erst 1975 und wurde 1996 durch Horn ergänzt. Vgl. ebd., S. 399, Anm. 41. Vgl. Oetinger, Wendepunkte. Nach eigenen Worten wählte Wilhelm das Pseudonym nicht, um seine nationalsozialistische Vergangenheit zu verbergen, sondern aus Unsicherheit über die Wissen schaftlichkeit des Werkes. Der nicht als systematische Abhandlung, sondern als Niederschlag politisch-pädagogischer Reflexion zu verstehende Text sollte einer möglichen Wiedereinstellung in der Lehrerausbildung nicht im Wege stehen. Vgl. Wilhelm, Wilhelm, Theodor, S. 326 f. Zu Beyer vgl. Roth, Heydrichs Professor; Míšková, Die Deutsche Universität Prag, S. 184‑193; Handbuch der völkischen Wissenschaften, S. 65‑68 (Beitrag Andreas Wiedemann). Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 9.11.1955, BArch, N 717/5, Bl. 99. Zu Heydrich siehe Gerwarth, Reinhard Heydrich.
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Als Mitglied der SA und der NSDAP führte der radikale Volkstumsforscher das Begriffspaar »Umvolkung – Entvolkung« in die Ostforschung ein. Mit seinem wirksam propagierten Verständnis dieser Begriffe »bahnte Beyer 1937 jener planvollen Umsiedlungs-, Vertreibungs- und Vernichtungspraxis den Weg, die [...] bis zum Kriegsende mehr als zwölf Millionen Menschen hinter den militärischen Fronten den Tod brachte.«465 Ab 1938 zunächst ehrenamtlich für den Sicherheitsdienst (SD) tätig, war er bereits im nachfolgenden Jahr als Hauptamtlicher Mitarbeiter im Bereich Gegnerforschung für Heydrichs Imperium tätig.466 Seine vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) geförderte, auf Osteuropa konzentrierte Habilitationsschrift über Umvolkungsvorgänge diente dem Zentrum der SS »als konzeptionelle Matrix [...] für die Ende 1939 einsetzenden bevölkerungspolitischen Ostplanungen.«467 Dergestalt Aufmerksamkeit err egend, wurde eine Kriegsteilnahme als Infanterist bereits im Dezember 1939 durch einen Einsatz als Ukraine-Referent im Generalgouvernement in Polen beendet.468 Am 20. April 1940 wurde Beyer als Berater in Fragen der europäischen Umvolkung zum SS-Obersturmführer (Oberleutnant) befördert. Mit erneuter Unterstützung des RSHA wurde Beyer 1940 auf den Lehrstuhl für Volks- und Landeskunde Ostmitteleuropas am Auslandswissenschaftlichen Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Universität in Berlin berufen469, marschierte aber bereits im Juli 1941 als Berater der Einsatzgruppe C unter Leitung des SS-Brigadeführers Dr. Dr. Otto Rasch470 im Gefolge der Heeresgruppe C (Süd) in Lemberg ein. Aufgrund der vom ihm erstellten Selektionslisten fanden im Juli 1941 zahlreiche polnische Intellektuelle nach schweren Misshandlungen den Tod.471 Für seine fortgesetzten publizistischen Beiträge zum volkstumspolitischen Neu ordnungsprogramm wurde Beyer im September 1941 mit dem Lehrstuhl für Volks lehre in Posen belohnt. Dem Ruf konnte er jedoch erst mit viermonatiger Verspätung folgen. Beyer, der die Einsatzgruppe C am Jahresende verließ, war während seines Einsatzes beim Einsatzkommando 6 ernsthaft erkrankt.472 Schließlich wurde »Heydrichs Professor« (Roth) vom Chef des RSHA und Stell vertretenden Reichsprotektor in Böhmen und Mähren nach Prag beordert und nach dessen Tod Geschäftsführer der Reinhard-Heydrich-Stiftung – Reichsstiftung für wissenschaftliche Forschung. Zugleich leitete der inzwischen zum SS-Hauptsturmführer (Hauptmann) beförderte Beyer mit einem anderen Wissenschaftler das Institut für europäische Völkerkunde und Völkerpsychologie.473 In den letzten zwei Kriegsjahren avancierte Prag »unter der Regie der Reinhard-Heydrich-Stiftung [...] zum zentralen Experimentierfeld einer rassebiologisch, sozialanthropologisch und völkerpsycho465 466 467 468 469 470 471 472 473
Roth, Heydrichs Professor, S. 279. Vgl. ebd., S. 274 f. Ebd., S. 285. Zum Habilitationsverfahren vgl. ebd., S. 281‑288. Vgl. ebd., S. 285. Zum Berufungsverfahren vgl. ebd., S. 285‑287. Zu Rasch siehe Klee, Das Personenlexikon, S. 480. Vgl. Roth, Heydrichs Professor, S. 288‑292. Vgl. ebd., S. 293‑295. Vgl. ebd., S. 297‑304.
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logisch orientierten Selektionswissenschaft.«474 Beyer hatte an dieser Entwicklung einen gebührenden Anteil, indem er »große methodische Anstrengungen [unternahm], um den von ihm selbst angestoßenen Anpassungsprozeß der erb- und rassebiologischen Disziplinen an die Erfordernisse der Massenselektion von Millionen ›Fremdvölkischer‹ [sic] in die Methodologie seines Volkstumsdenkens einzubauen.«475 Mit Dauer des Krieges wuchsen Macht, Einfluss und Ansehen Beyers, dem es bis zum Frühjahr 1944 gelungen war, »einen hocheffizienten Stiftungsapparat aufzubauen und für die Volkstumsstrategie des RSHA verfügbar zu machen.«476 In seiner abschließenden Bewertung charakterisiert Roth den Protagonisten genozidaler Volkswissenschaft als einen »der radikalsten ›Intentionalisten‹, den die NS-Diktatur bezüglich der Perspektive von ›Umvolkung‹ und Massenvernichtung hervorgebracht hat. Mit seinem Denken und seinem Planungshandeln steht er repräsentativ für jene [...] etwa 300 Volkstumsexperten, die seit 1937/38 auf Umsiedlung und Völkermord hinter den militärischen Fronten zuarbeiteten.«477 Der nachmalige Berater Baudissins »gehörte gleichermaßen den ideologischen Einpeitschern, den Planern und den Vollstreckern [der Vernichtung] an. Er schuf ein riesiges, mit wissenschaftlichen Ambitionen ausgestattetes ideologisches Szenario für völkermörderische Gelehrsamkeit« und »steht als ein Volkstumshistoriker vor uns, der wie kein zweiter in seiner Person die konzeptionellen Radikalisierungsschübe seines Fachs bis zum Ende der NS-Diktatur mit ausuferndem Planungsdrang und vernichterisch gewordener Praxis vereinte.« In der Einschätzung Hans Safrians haben Beyer und seine Mitstreiter daher als »intellektuelle Mentoren, Sinnstifter und Hintermänner der ›Eichmann-Männer‹« gewirkt.478 Bei Kriegsende gelang es Beyer, mit seiner Familie aus Prag zu flüchten und ab 1947 als Pressesprecher der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche seinen Lebensun terhalt zu verdienen. Seine nationalsozialistische Vergangenheit im Dienste Heydrichs geriet auch ihm nicht zum Nachteil und so folgte der reibungslos Entnazifizierte 1950 dem Ruf als ordentlicher Professor an die Pädagogische Hochschule in Flensburg. Dort lehrte er Kirchen- und Regionalgeschichte und publizierte zudem für die Südostdeutsche Historische Kommission, das Osteuropa- und Südost-Institut in München sowie für den Ostdeutschen Kulturrat. Auch seine Volkstumsforschungen setzte Beyer in »kunstvoller Verschleierung« fort.479 Schon 1953, im Jahr der Siegburger Tagungen, hatte die Presse auf die Vergangenheit Beyers aufmerksam gemacht. Doch bereits bei seiner Berufung vom damaligen Schulreferenten der EKD, Edo Osterloh, gefördert, wurde er vom nachmaligen Kultusminister erst 1961 aus der Schusslinie der Kritik herausgenommen und konnte sich bei vollen Bezügen seiner Forschung widmen.480 474 475 476 477 478 479 480
Ebd., S. 307. Ebd., S. 308. Ebd., S. 309. Ebd., S. 312. Ebd., S. 314 Vgl. ebd., S. 315. Paul, Flensburger Kameraden.
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Karst erschien Beyer in einer Vorbesprechung zur Siegburger Tagung als »ein nüchterner, klar denkender und aufgeschlossener Mann«, der sein Erstaunen darüber zum Ausdruck brachte, dass der ehemalige SS-Oberführer481 und Professor Reinhard Höhn nicht eingeladen sei, »den er zwar persönlich nicht kenne, aber für einen wirklichen Fachmann hielte. Er bezweifelt, ob ein Mann wie Theodor Litt, der noch ganz dem Idealismus verhaftet sei, wertvolle Beiträge beisteuern könne.« Stattdessen schlug Beyer den Pädagogen und Psychologen Oswald Kroh482, einen Betreuer seiner Habilitationsschrift, vor, der als Pädagoge große Erfahrung hinsichtlich der staatsbürgerlichen Erziehung besitze.483 Dieser Vorschlag muss als ein weiteres Beispiel dafür gelesen werden, dass die einmal geknüpften Netzwerke ihre Tragfähigkeit in vollem Umfang beibehielten. Mit Hans Alfken484 (1899‑1994) wurde auch ein nicht in der Lehre tätiger Teil nehmer gewonnen. Entscheidend durch die Jugendbewegung und die Freideutsche Jugend geprägt, erwarb er als Gruppenleiter des Wandervogels in diesem Umfeld erste pädagogische Erfahrungen. Politisiert wurde der Romantiker durch seine während des Kriegsdienstes und der Novemberrevolution gewonnenen Eindrücke, die sein politisches Bewusstsein geschärft hatten. Im Herbst 1918 schloss sich Alfken kurzzeitig dem Jugendstilkünstler Heinrich Vogeler485 und seiner Kommune Barkenhoff an, in der er wichtige Erfahrungen sammeln konnte. Beeindruckt haben »dürften ihn sowohl die Heterogenität der hier zusammenlebenden Menschen als auch deren Ernsthaftigkeit, mit der sie Wege grundlegender gesellschaftlicher Erneuerung zu erproben versuchten.«486 1920 nahm Alfken ein Lehramtsstudium für die Fächer Englisch, Deutsch und Philosophie auf und trat nach Abschluss seiner Ausbildung 1926 eine Stelle als Lehrer an der Karl-Marx-Schule im Berliner Arbeiterbezirk Neu-Köln an. Die Leitung dieser bekanntesten Berliner Reformschule im Bereich des höheren Schulwesens hatte Fritz Karsen487 inne. In der Weimarer Republik bildete diese Schule einen Komplex mit einer Oberschule sowie einer Aufbauschule, die es Volksschülern ermöglichte, nach Abschluss der 7. Klasse auf eine Höhere Schule zu wechseln und in sechs Jahren das Abitur zu erlangen. Begabte Volksschulabsolventen, die sich sowohl in ihren Berufen als auch durch besonderes gesellschaftspolitisches Engagement bewährt hatten, konnten in den so genannten Arbeiter-Abiturienten-Kursen schulgeldfrei auf die Reifeprüfung vorbereitet werden. Diese Kurse, die man als Vorläufer des heutigen Zweiten Bildungsweges bezeichnen kann, umspannten eine Dauer von drei Jahren und »bedeuteten für die damalige Zeit eine einmalige Errungenschaft. Unter gesellschaftspolitischem Aspekt verfolgten sie das Ziel, begabte junge Menschen aus der Arbeiterschaft so zu fördern, dass sie – den Intentionen der Weimarer Verfassung 481 482 483 484 485 486 487
Einen vergleichbaren Dienstgrad hat es in der Wehrmacht nicht gegeben. Der Oberführer der SS rangierte zwischen Oberst und Generalmajor. Zu Kroh siehe Klee, Das Personenlexikon, S. 342 f. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 8./9.9.1953, Bl. 23 f., Zitat Bl. 23. Zu den nachfolgenden Ausführungen vgl. Keim, Hans Alfken, S. 175‑178. Zu Vogeler siehe Bresler, Heinrich Vogeler, zur 1919 gegründete Kommune und Arbeitsschule ebd., S. 65‑85. Keim,Hans Alfken, S. 175. Zu Karsen siehe Keim, Erziehung, Bd 1, S. 99; zur Biographie Karsens auch Radde, Fritz Karsen.
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entsprechend – in verantwortliche gesellschaftliche Positionen gelangen konnten, um dort die Interessen der Arbeiterschaft zu vertreten.«488 Ebenso wie Karsen und zahleiche andere Vertreter der Weimarer Schulreform wurde auch Alfken 1933 aus dem Schuldienst entlassen. Er sah sich gezwungen, seinen Lebensunterhalt vorerst als Buchhalter in einem deutsch-russischen Exportgeschäft zu bestreiten, wobei ihm eine vor dem Krieg abgeschlossene Banklehre zugute kam. Mit Auflösung des Unternehmens wechselte Alfken als Verkäufer für Kaffee und Schokolade in ein Geschäft, das von entlassenen Versuchsschullehrern gegründet worden war. Seit 1927 Mitglied der KPD, wurde er 1938 für 15 Monate inhaftiert und anschließend zum Kriegsdienst eingezogen.489 Nach dem Krieg berief Grimme ihn in das niedersächsische Kultusministerium. Zunächst als dessen persönlicher Referent tätig, wurde Alfken 1947 die Führung der Abteilung für Jugendpflege und -fürsorge, Erwachsenenbildung, Büchereiwesen und Sport übertragen, die er bis zu seiner Pensionierung 1963 innehatte. In dieser Funktion hatte er maßgeblichen Anteil an der Neugestaltung des außerschulischen Bildungswesens und der Erwachsenenbildung in Niedersachsen, für die er eine Zusammenarbeit mit den Universitäten anstrebte. Alfken gehörte daher auch zu den Initiatoren des Göttinger Kooperationsprojektes »Universität und Erwachsenenbildung«, das auf Erfahrungen eines mehrwöchigen Studienaufenthaltes in Großbritannien beruhte. Angelsächsische Vorbilder beeinflussten auch die Gründung eines Institutes für Analytische Kinder- und Jugendpsychologie in Hannover. Die Teilnahme Alfkens war bei einigen Teilnehmern jedoch nicht unumstritten. Er sei zweifellos ein sehr kluger Kopf, stehe politisch weit links und hasse ihn, teilte Weniger Karst seine Eindrücke über Alfken mit. Während des Krieges habe er als Zahlmeister gedient und lehne alle Soldaten grundsätzlich ab.490 Generalmajor a.D. Erich Dethleffsen wies darauf hin, dass ihn ein Herr Grolmann vor Alfken gewarnt hätte. Dieser sei ein falsches Schwein, man habe ihn infolge seiner Verbindung zur Widerstandsbewegung vom Zahlmeister zum Gefreiten degradiert. In einem Ersatz truppenteil eingesetzt, sei er dort solange mit der Bearbeitung von Geheimsachen beauftragt gewesen, bis die politische Polizei vor ihm gewarnt habe.491 Die von Spranger angemahnte Beteiligung der ehemaligen Wehrpsychologie wurde gleich mehrfach Rechnung getragen. Der spätere leitende Marinepsychologe Karl Mierke (1896‑1971) absolvierte, unterbrochen von seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg, zunächst eine Ausbildung zum Volksschullehrer, verblieb aber trotz seiner akademischen Ausbildung bis 1934 im Schuldienst. Im Anschluss an eine dienstliche Versetzung nach Göttingen hatte er dort sein 1921/22 begonnenes Studium der Psychologie, Pädagogik und vorklinischen Medizin wieder aufgenommen und 1932 488 489 490 491
Keim, Erziehung, Bd 1, S. 34. Er verließ die KPD 1945 und trat im darauffolgenden Jahr in die SPD ein. Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 22.9.1953, BArch, N 717/1, Bl. 35. Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 6.11.1953, BArch, N 717/1, Bl. 119. Ob es sich bei dem Gesprächspartner Dethleffsens um den späteren Wehrbeauftragten Generalleutnant a.D. Helmuth von Grolman handelt, ist nicht erkenntlich. Gleichfalls konnte kein Beleg für die Anschuldigungen ermittelt werden.
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mit einer Dissertation bei dem Psychologen Narziß Kaspar Ach492 abgeschlossen. 1934 als Psychologe in die Wehrmacht eingetreten, wurde er im Jahr darauf der Marine zugeteilt und zeichnete während des Krieges für die Eignungsuntersuchungen verantwortlich. 1943 habilitiert, leitete Mierke nach Kriegsende die Berufsberatung des Landesarbeitsamtes Schleswig-Holstein, bevor er 1948 eine Hochschullaufbahn begann. Zunächst außerplanmäßiger Professor an der Universität Kiel, wurde er 1949 zum Professor und Direktor an die Pädagogische Hochschule Kiel und im Jahre 1953 zum Ordinarius für Psychologie und Pädagogik berufen.493 Unter seiner Regie wurde 1952 das Institut für Psychologie wiederbegründet. Oberstleutnant a.D. Philipp Lersch (1898‑1972)494 studierte nach seiner Teil nahme am Ersten Weltkrieg Philosophie und Psychologie und habilitierte sich 1929 in Psychologie. Von 1925 bis 1933 war Lersch als Heeres- und Wehrmacht psychologe am Aufbau der Wehrpsychologie495 und an der Entwicklung von charakterologischen Eignungsprüfungen für Offizieranwärter beteiligt. 1937 als Ordi narius für Psychologie an die Universität Breslau berufen, wechselte er nach einem Intermezzo an der Universität Leipzig 1942 nach München. Hier wirkte der Vor sitzende der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (1953‑1955) bis zu seiner Emeritierung 1966 als ordentlicher Professor für Philosophie und Psychologie sowie als Leiter des Psychologischen Institutes. Für Lersch als einen der wesentlichen Exponenten der Persönlichkeitspsychologie, die sich mit den individuellen psychischen Unterschieden der Menschen befasst und auch als differentielle Psychologie bezeichnet wird, stellten die allgemeine Psychologie, die Ausdruckspsychologie sowie Philosophie und Anthropologie weitere wichtige Fach- und Forschungsgebiete dar.496 Mit den Zielen des nationalsozialistischen Staates im Einklang, gehörte Lersch zu den Unterzeichnern des »Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler.«497 1941 befürwortete er in einer Rede das nationalsozialistische Euthanasieprogramm zum Wohle der Gemein schaft.498 Gleichwohl konnte Lersch seine Lehrtätigkeit nach Kriegsende nahtlos fort492 493 494 495
496 497
498
Zu Ach siehe Daten zur Geschichte der deutschen Psychologie, S. 139. Vgl. ebd., S. 207 f. Vgl. NDB 14 (1985), S. 319 f. (Beitrag Hans Thomae), Weber, Vom Aufbau. Vgl. Weber, Vom Aufbau, S. 48. Reichswehr und Wehrmacht hatten sich anschließend für Be rufungen Lerschs auf Lehrstühlen in Halle, Breslau und München eingesetzt. Zur Geschichte der Wehrmachtspsychologie, die 1942 aufgelöst wurde, und des Psychologischen Laborato riums des Reichswehrministeriums, vgl. Geuter, Die Professionalisierung; Rentke-Fink, Von der Heerespsychotechnik. Letztere Studie wird von Weber als »Apologie der deutschen Wehr machtspsychologie« interpretiert. Vgl. Weber, Vom Aufbau, S. 25, Anm. 12. Weitere Studien zur Marine- und Luftwaffenpsychologie sowie zur psychologischen Auswahl des Offiziernachwuchses in Deutsche Wehrmachtpsychologie. Vgl. Munzinger-Archiv, Anfrage vom 6.3.2008; Daten zur Geschichte der deutschen Psychologie, S. 196. Siehe »Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat«, S. 133, online verfügbar unter: (letzter Zugriff 27.10.2015). »Wenn nun die tatsächliche Macht der Vererbung gezeigt hat, dass der hemmenden Wirkung der Erziehung Grenzen gesetzt sind, so tritt dort, wo diese Grenzen liegen, an die Stelle der Erziehung ein neues Recht der Gemeinschaft, nämlich das Recht, den Eintritt minderwertiger Anlagen – körperlicher Krankheiten, geistiger, seelischer, sittlicher, sozialer Minderwertigkeiten – in den Erbgang
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setzen. Eine 1948 im Entnazifizierungsverfahren erfolgte Einstufung als »Mitläufer« wurde 1950 aufgehoben.499 An den Tagungen Pfisters zu Fragen der Erziehung hatte Lersch nicht teilgenommen, arbeitete aber am Studienprojekt 14 »Auswahlverfahren bei AnnahmeOrganisation« des Studien-Bureaus mit500 und war Mitglied der 1954 einberufenen Studienkommission zur Festlegung des Auswahlverfahrens. Über den von Spranger explizit genannten Oberrat Dr. Waldemar Oelrich konnten keine weiteren Informationen gewonnen werden. Die evangelische Kirche wurde durch den späteren Professor für Religionspäda gogik Werner Jentsch (1913‑1993) vertreten. Anfangs Seminarleiter und Standort pfarrer in Berlin, engagierte er sich ab 1945 in der Jugendarbeit. Zunächst im Christlichen Verein Junger Männer (CVJM) tätig, war er ab 1951 Referent im Reichsverband Evangelischer Jungmännerbünde. 1954 wurde Jentsch Pfarrer in Bad Hersfeld und übernahm bereits im darauffolgenden Jahr die Leitung der Evangelischen Akademie in Hofgeismar.501 Sein katholisches Pendant, Theoderich Kampmann502 (1899‑1983), studierte nach seiner Kriegsteilnahme Katholische Theologie und wurde 1924 zum Priester geweiht. Als Religionslehrer tätig, absolvierte er gleichzeitig ein germanistisches und philosophisches Studium, das er 1931 mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit über den russischen Romancier Fëdor M. Dostoevskij abschloss. Nach erfolgreichem Staatsexamen in Theologie, Germanistik, Geschichte und Philosophie zunächst Studienrat, wurde Kampmann 1935 Dozent und ein Jahr nach Kriegsende außerordentlicher Professor für Katechetik503 und Pädagogik an der Philosophisch-Theologischen Akademie in Paderborn. Nachdem er bereits 1942 mit der Ausarbeitung eines Lehrplanes für den Religionsunterricht im Bistum Paderborn beauftragt worden war, gründete er 1945 das christliche Bildungswerk »Die Hegge« in Willabadessen. Dieses war ursprünglich als Bildungsstätte für Lehrer konzipiert und wurde schließlich als katholische Akademie zu einem Zentrum christlicher Frauenbildung. 1949 mit dem Rektorat der Philosophisch-Theologischen Akademie in Paderborn betraut, folgte Kampmann 1956 dem Ruf als ordentlicher Professor für Pädagogik und Katechetik sowie später der Homiletik, Religionspädagogik und
499 500 501 502
503
zu verhindern, also Träger minderwertiger Erbanlagen von der Fortpflanzung auszuschließen. Dort also, wo die erzieherischen Möglichkeiten an den ererbten Anlagen ihre Grenzen finden, setzt die bewusste erbbiologische Züchtung ein. Sie sucht als Eugenik, Rassenhygiene und Rassenpolitik die natürlichen Voraussetzungen zu schaffen für die Erreichung eines an Werten der Gemeinschaft ausgerichteten Zieles menschlicher Erziehung und Bildung.« Lersch, Das Problem, S. 37 f. Her vorhebung im Original. Vgl. Weber, Vom Aufbau, S. 66 f. Siehe Schriftverkehr Projekt 14, BArch, N 621/v. Kiste 7, Ordner Studienprojekt 14. Vgl. u.a. Evangelisches Kirchenlexikon, S. 286. Vgl. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd 3, Sp. 1007‑1009. Kampmann wird im Protokoll der Tagung zwar nicht auf der Teilnehmerliste aufgeführt und trat auch nicht als Referent in Erscheinung, wurde aber zur Fortsetzung der Arbeiten der Arbeitsgruppe 1 zugeteilt, deren Aufgabe in der Formulierung einer Präambel bestand. Katechetik bezeichnet in der praktischen Theologie die Lehre von Inhalt, Ziel und Methodik der Glaubensunterweisung.
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Kerygmatik504 an die Theologische Fakultät der Universität in München, an der er bis zu seiner Emeritierung 1968 lehrte. In seinen Publikationen, die sowohl literaturwissenschaftliche als auch theologische Inhalte thematisierten, trat Kampmann auch mit zahlreichen religions-pädagogischen Schriften hervor. Für den Soziologen Schelsky sprang nunmehr der Soziologe und Politikwissen schaftler Arnold Bergstraesser505 (1896‑1964) in die Bresche. Nach einem Studium der Geschichte, Soziologie und Nationalökonomie – in Letzterem habilitierte er sich 1928 – folgte der in der demokratischen Studentenbewegung der Weimarer Republik aktive Bergstraesser einem Ruf auf einen Lehrstuhl für Auslandskunde an die Universität Heidelberg. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwang ihn 1937 zur Emigration in die USA, wo er in Kalifornien und schließlich an der University of Chicago deutsche Literatur und Geschichte lehrte. Erst 1954 kehrte Bergstraesser nach Deutschland zurück und übernahm als Ordinarius einen Lehrstuhl für Soziologie und Politikwissenschaft in Freiburg. Von hier aus wurde Bergstraesser zu einem der Gründerväter der Politikwissenschaften und hatte maßgeblichen Anteil an der Gründung und dem Aufbau zahlreicher sozialwissenschaftlicher Forschungsund Bildungseinrichtungen. Bildungspolitisch war er seit Mitte der 1950er-Jahre maßgeblich an der Einführung der Politischen Bildung in den Schulunterricht und in die außerschulische Jugend- und Erwachsenenbildung auf Länder- und Bundesebene beteiligt. Zudem wirkte Bergstraesser aktiv im Beirat der Bundesregierung für Innere Führung sowie im Beirat für staatsbürgerliche Erziehung und Bildung mit. Als Direktor des Forschungsinstituts der deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und weiterer politischer Vereinigungen galt sein besonderes wissenschaftliches Interesse den »transatlantischen Beziehungen und den soziokulturellen Wandlungen in der entstehenden ›Weltgesellschaft‹«.506 Hier lag sein Augenmerk insbesondere auf der Erforschung des soziokulturellen Wandels in den Entwicklungsländern. Seinen Zeitgenossen weit vorauseilend, hatte er die »Bildung einer neuen Weltgesellschaft wahrgenommen und seine Wissenschaft dazu aufgerufen, sich den damit verbundenen, kulturellen, sozialen und politischen Herausforderungen zu stellen«.507 Berg straesser verstand die Politikwissenschaft als eine auf praktisches politisches Handeln bezogene Wissenschaft, die politische Entscheidungen vorausdachte. Bergstraesser sollte im Anschluss an die Beratungen zu den Erziehungsleitsätzen, ebenso wie Lersch, am Studienprojekt zum »Auswahlverfahren bei Annahme-Organisation« des Studien-Bureaus mitarbeiten.508 Der Sozialwissenschaftler Alexander Rüstow509 (1895‑1963), Sohn eines Generalleutnants, studierte Geschichte und Staatswissenschaften. Einer Tätigkeit im Verlagswesen und Habilitation folgte die Teilnahme am Ersten Weltkrieg, dessen 504 505 506 507 508 509
Homiletik bezeichnet in der praktischen Theologie die Lehre von und die Geschichte der Predigt; Kerygmatik entspricht der Katechetik. Siehe hierzu (letzter Zugriff 27.5.2019). Ebd. Ebd. Siehe Schriftverkehr Projekt 14, BArch, N 621/v. Kiste 7, Ordner Studienprojekt 14. Vgl. Munzinger-Archiv, Anfrage vom 6.3.2008.
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Ende er als Leutnant erlebte. Nach dem Krieg im Reichswirtschaftsministerium beschäftigt, folgte er 1933 einer Berufung als ordentlicher Professor für Wirtschaftsund Staatswissenschaften sowie Sozialwissenschaften an die Universität Istanbul. Als Vertreter einer freiheitlichen Wirtschaftsentwicklung sah er im »Dritten Reich« keine Entfaltungsmöglichkeit mehr. In seiner wissenschaftlichen Arbeit wandte sich Rüstow nun der Erforschung der Zusammenhänge zwischen Soziologie, Wirtschaft und Geschichte zu. Neben zahlreichen rein wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten, die zum Teil nur in der Sprache seines Gastlandes erschienen, publizierte Rüstow auch zur Wirtschaftsgeschichte und unternahm in einer universalgeschichtlichen Kulturkritik den Versuch, die zeitgenössischen Konflikte zu analysieren und durch eine Revision des bisherigen Geschichtsbildes neue Wege aufzuzeigen.510 Besondere Aufmerksamkeit erfuhr seine 1951 veröffentliche Untersuchung »Kritik des technischen Fortschritts.«511 1949 nach Deutschland zurückgekehrt, übernahm Rüstow bis zu seiner Emeritierung 1956 den Lehrstuhl für Sozialwissenschaften in Heidelberg sowie die Direktorenstelle des Alfred-Weber-Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften. Hinzu trat der mit Baudissin gut bekannte Friedrich Beermann (1912‑1975), der 1934 in die Wehrmacht eingetreten war. Bis Kriegsende zum Oberstleutnant avanciert, studierte er von 1948 bis 1951 Rechtswissenschaften und ließ sich als Anwalt in Hamburg nieder. 1955 wurde Beermann, der in enger persönlicher Verbindung zu Baudissin stand, militärischer Berater der Bundestagsfraktion der SPD, deren Mitglied er seit 1947 war. Vier Jahre nach ihrer Aufstellung trat Beermann in die Bundeswehr ein und diente ihr in diplomatischer Mission in Washington und Indien, bevor er 1969 als Brigadegeneral der deutsche Bevollmächtigte der NATOGruppe Nord in Mönchengladbach wurde. Seiner militärischen Karriere schloss sich ein von 1969 bis 1975 wahrgenommenes Mandat als Abgeordneter der SPD im Deutschen Bundestag an.512 Komplettiert wurde der von außerhalb der Dienststelle besetzte Teilnehmerkreis von Generalmajor a.D. Erich Dethleffsen (1904‑1980)513, der zunächst zwei Jahre Geschichte und Nationalökonomie in Berlin studiert hatte, bevor er 1923 als Offizier anwärter in die Reichswehr eintrat. Während des Krieges überwiegend als General stabsoffizier in höheren Stäben eingesetzt, betätigte sich Dethleffsen nach seiner Entlassung aus einer dreijährigen britischen Kriegsgefangenschaft in der westorientierten »Wirtschaftspolitischen Gesellschaft von 1947 e.V.«, deren Geschäftsführer er alsbald wurde. Publizistisch trat Dethleffsen durch seine 1952 veröffentlichte Schrift »Das Wagnis der Freiheit« hervor, in der er den Anschluss an die westlichen Staaten forderte und einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag als integrationsbeschleunigend propagierte. In der im darauffolgenden Jahr zusammen mit Major i.G. a.D. Karl Heinrich Helfer veröffentlichten Broschüre »Soldatische Existenz Morgen« plädierte er dafür, den Menschen auch im Zeitalter einer modernen, alles vernichtenden Waffentechnik 510 511 512 513
Vgl. Rüstow, Ortsbestimmung der Gegenwart. Vgl. Rüstow, Kritik des technischen Fortschritts. Siehe Die Generale und Admirale der Bundeswehr, Bd 1, S. 101 f. Vgl. Munzinger-Archiv, Anfrage vom 6.3.2008; Die Generale des Heeres, Bd 3, S. 86 f.
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nicht unterzubewerten, denn erst in der Hand des Menschen gewinne deren Macht die gewünschte und gefürchtete Wirkung. Auch in der Zukunft hinge die Entscheidung vom Menschen ab, »von seinem Willen zum Kampf, seinen sittlichen Kräften, seiner Bereitschaft, das persönliche Interesse gegenüber dem der Gemeinschaft zurückzustellen und sein Leben für ein höheres Ziel einzusetzen.«514 Die gegenwärtige Jugend aber stehe dem Militärischen, geprägt durch »einige verzerrte Bilder von Kasernenhof und Kommiss« skeptisch gegenüber.515 Daher sei es notwendig, dass der zukünftige Soldat das Militär als eine »verständliche, zweckmäßige Ordnung empfindet. Er muss in allem, was von verlangt wird, den Sinn erkennen und die Zusammenhänge begreifen können. Dann wird er auch in der Lage und bereit sein, mitzudenken und mitzuhandeln.« An diesen Forderungen müsse sich die Erziehung des Soldaten, die hohe Ansprüche an die Vorgesetzten stelle, orientieren.516 In den versandten Einladungsschreiben hatte Blank erklärt, dass es die Absicht der Dienststelle sei, für das deutsche Kontingent der zukünftigen europäischen Streitkräfte eine kurz gefasste Vorschrift mit dem Titel »Leitsätze für Erziehung und Ausbildung in den Streitkräften« auszuarbeiten. Für das Gesicht und die Schlag kraft der aufzustellenden Truppe würden Inhalt und endgültige Formulierung dieser Vorschrift von ausschlaggebender Bedeutung sein. Er beabsichtige »etwa 15 Univer sitätslehrer, Vertreter der Kirchen, ehemalige Offiziere und Persönlichkeiten aus den Jugendverbänden« einzuladen, die gemeinsam mit den Mitarbeitern der Dienstelle grundsätzliche Probleme der Erziehung der zukünftigen Soldaten erörtern sollten. Die Beschränkung auf das Teilgebiet der Erziehung beruhte darauf, dass die Leitsätze für die Ausbildung noch nicht vorlagen. Eine weitere Tagung sollte dann die Gelegenheit bieten, die bis dahin erzielten Ergebnisse zu überarbeiten und abschließend eine für den Truppengebrauch fertige Teilvorschrift vorzulegen.517 Als Arbeitsgrundlage für die Tagung diente ein von Karst erstellter erster Entwurf der »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten«518, der am 15. Juni vorlag und den Einladungen beigefügt worden war. Als alternativer Beitrag diente der von Weniger parallel verfasste Gegenentwurf »Vorschläge für eine andere Fassung und Anordnung der ›Leitsätze für Erziehung‹«.519 Im Grundsatz war Weniger mit den Ausführungen der Gruppe »Innere Führung« einverstanden, lediglich die Teile II (Mittel der Erziehung) und III (Träger der Erziehung) seien sehr durcheinander geraten. Zwar verspürte er nach eigener Aussage keinen Ehrgeiz, mit seiner Fassung durchzudringen, wollte auf diesem Wege aber zur Anregung der Diskussion beitragen. Da 514 515 516 517
518
519
Dethleffsen/Helfer, Soldatische Existenz, S. 7. Ebd., S. 24. Vgl. ebd., S. 33‑46. Siehe Schreiben Blank an Dethleffsen, BArch, N 648/2, S. 1, Zitate ebd. Die Jugendverbände bzw. ihr Dachverband waren bei den Tagungen nicht vertreten. Auch der mit Jugendarbeit beauftragte protestantische Geistliche Werner Jentsch war laut Teilnehmerliste nicht als Repräsentant der Jugendverbände aufgeführt. 1. Entwurf der »Leitsätze für Erziehung«, 15.6.1953, BArch, BW 9/2227, Bl. 215‑223. Eine mit dem handschriftlichen Vermerk »Fassung Karst (gültig)« versehene Ausfertigung lässt auf die Autorenschaft Karsts schließen. Siehe ›Leitsätze für die Erziehung‹, 15.6.1953, BArch, BW 9/2227. Prof. Dr. Erich Weniger, Vorschläge für eine andere Fassung und Anordnung der »Leitsätze für Erziehung«, BArch, BW 2/731, S. 1‑6.
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Erziehung für Weniger jedoch zugleich auch immer politische Erziehung war,520 brachte er für diesen Aspekt gleichwohl mehr Enthusiasmus auf und fügte seinem Gegenentwurf den bereits analysierten Abschnitt zur politischen Bildung und zum Staatsbürgerlichen Unterricht bei. Für den Fortgang der Arbeit wurden vier Arbeitsgruppen521 gebildet, deren Arbeitsgrundlagen die vorliegenden Entwürfe darstellten. Sie sollten die Leitsätze auf einer anschließenden Tagung inhaltlich überarbeiten sowie eine Präambel unter der Themenstellung »Wofür dient der zukünftige europäische Soldat deutscher Nationalität?«522 ausarbeiten. Ziel sollte es sein, endgültige, vom Plenum geprüfte und bestätigte Formulierung zu erarbeiten, um einen fertigen Entwurf vorlegen zu können. Einige grundlegende Entscheidungen wurden aber bereits während der ersten Tagung getroffen und in der Anlage des Tagungsprotokolls festgehalten.523 Gegliedert in Ziele, Träger und Wege der Erziehung, sollte der endgültige Titel des Merkblattes »Grundsätze für die soldatische Erziehung« lauten. Die Verwendung des pädagogischen Begriffes »Zögling« wurde als nicht zweckmäßig erachtet, da die »geplante Erziehung der schroffen Trennung von unerzogenem Zögling und erzogenem Erzieher«524 widerspreche. Mit der Begründung, »dass dadurch der Eindruck erweckt werden könnte, als sei die politische Bildung der Soldaten eine gesonderte Aufgabe, anstatt integraler Bestanteil der ganzen Erziehung zusammen«, wurde auch der von Weniger in die Diskussion eingebrachte Vorschlag eines gesonderten vierten Abschnitts zur politischen Bildung und dem Staatsbürgerlichen Unterricht abgelehnt.525 Die europäische Aufgabe und Blickrichtung der zukünftigen Erziehung, die Selbsterziehung durch die Gemeinschaft und die an die Vorgesetzten zu richtende Aufforderung zur Selbsterziehung sollten das bereits Formulierte ebenso ergänzen wie Hinweise auf die Achtung vor der Privatsphäre des Einzelnen und »die letzte Verantwortung des Erziehers vor Gott.«526 Formal sollten die Aussagen kürzer und mit weniger Wieder holungen abgefasst werden. Die Vermeidung negativer Umschreibungen 520 521
522 523 524 525
526
Vgl. Schwenk, Erich Weniger, S. 27. Gruppe 1 (Ausarbeitung einer Präambel): Rüstow, Jentsch, Alfken, Kampmann, Bergstraesser; Gruppe 2 (Ziele der Erziehung): Bohnenkamp, Litt, Mierke, Wilhelm; Gruppe 3 (Träger der Erzie hung): Dethleffsen, Simon, Oelrich, Beermann; Gruppe 4 (Wege der Erziehung): Weniger, Beyer, Lersch. Mitarbeiter der Dienststelle sollten im Verlauf der kommenden Tagung zu den Gruppen hinzutreten. Protokoll der Sachverständigentagung 25./26. September 1953 in der Akademischen Bundesfinanzschule Siegburg, BArch, BW 9/3569, Bl. 18‑33, hier Bl. 31. Siehe Anlage 1 des Protokolls der Sachverständigentagung 25./26. September 1953 in der Akade mischen Bundesfinanzschule Siegburg, 21.10.1953, BArch, BW 9/3569, Bl. 32 f. Anlage 1 des Protokolls der Sachverständigentagung 25./26. September 1953 in der Akademischen Bundesfinanzschule Siegburg, 21.10.1953, BArch, BW 9/3569, Bl. 32. Siehe ebd., Zitat ebd. Die Anmerkungen Wenigers fanden in ihrer Gesamtheit schließlich Eingang in die »Empfehlung des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr«, 5.7.1956, BArch, N 488/10 Bl. 4 f.; ZDv 11/1 »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten«, Anlage 1 »Empfehlung des Deutschen Ausschusses für das Erziehungsund Bildungswesen aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr«, S. 18‑22. Anlage 1 des Protokolls der Sachverständigentagung 25./26. September 1953 in der Akademischen Bundesfinanzschule Siegburg, 21.10.1953, BArch, BW 9/3569, Bl. 32.
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wie »Weichheit in der Erziehung schadet immer«527 wurde ebenso angemahnt wie der Verzicht auf nähere Ausführungsbestimmungen. Nur die leitenden Grundsätze der soldatischen Erziehung sollten angesprochen werden. Damit die Sprache zum Weiterdenken anrege, müsse sie zwar klar und eindeutig, aber auch anspruchsvoll sein. Gleichwohl erfordere die Neuorientierung in der Erziehung des Soldaten eine angepasste Form ihres Ausdrucks. Gerade die letztgenannten Anregungen sollten in ihrer praktischen Gestaltung massive Kritik erfahren. Eine an den Erzieher gerichtete Aufforderung zur Vorbildlichkeit habe zu unterbleiben, da sie den Adressaten überfordere. Allein durch beispielhaftes Verhalten werde der Vorgesetzte zum Vorbild seiner Soldaten. Da der Mut eine angeborene Eigenschaft sei, bedürfe es noch der Klärung, ob man zum Mut erziehen könne. Nicht der Mut, die Tapferkeit überwinde die Angst. Kehrten die Professoren vorerst in das wissenschaftliche Leben zurück, machte sich in der Dienststelle Blank die aus einer referatsübergreifenden Besprechung528 hervorgegangene Arbeitsgruppe »Grundsätze für die soldatische Erziehung« an die Arbeit, um im Zusammenwirken der Kräfte der Militärischen Abteilung die Konzeption der Leitsätze zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Von deren Mitgliedern529 trat der Referent für Ausbildung im Heer, Oberstleutnant a.D. Ernst Golling530, als engagiertester Vertreter außerhalb der Gruppe »Innere Führung« hervor. Dieser hatte bereits eine Stellungnahme zum Entwurf der Leitsätze verfasst, den er als nicht befriedigend, ja »zum Teil sogar verwirrend« beschrieb. So gelte es, die Sprache auf einem für alle verständlichen Niveau auszutarieren, denn mit der von Martin Luther zu Recht erhobenen Forderung, dem Volke aufs Maul zu schauen, werde erreicht, dass Führer und Geführte die gleiche Spräche sprächen. Kurzum, es müsse eine einfache, natürliche und klare, sprich soldatische Sprache Verwendung finden,531 eine Kritik, die zu einem späteren Zeitpunkt auch ein wesentlicher Inhalt der Stellungnahmen von Wirmer und Foertsch sein sollte. Die bereits von Weniger angemahnte Verwischung der Grenzen zwischen den Abschnitten zu den Mitteln und zum Träger der Erziehung fand auch bei Golling Berücksichtigung. Wesentlich mehr Beachtung dürfte aber sein Hinweis gefunden haben, dass der »Entwurf nicht genügend der harten Wirklichkeit des Krieges, also dem Ausgangspunkt, von dem jede soldatische Erziehung auszugehen und dem 527 528
529
530 531
1. Entwurf der »Leitsätze für Erziehung«, 15.6.1953, BArch, BW 9/2227, Bl. 221. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 17.9.1953, BArch, N 717/1, Bl. 32. Teilnehmer waren neben Karst und Will von der Gruppe »Innere Führung« Oberst a.D. Horst Kraehe (Haupt referatsleiter Personalwesen), Fregattenkapitän a.D. Kurt Zenker (Unterabteilungsleiter Planung/ Marine), Oberstleutnant a.D. Ernst Golling (Referat Grundsätze Ausbildung Heer), Major a.D. Roth (Referat Führungsfragen), Amtsgerichtsrat und Oberstleutnant a.D. d.R. Peter Roewer und Andres. Vertreter der Gruppe »Innere Führung«: Karst (Arbeitsgruppenleiter), Will; Vertreter anderer Referate der Militärischen Abteilung: Kapitän z.S. Hans-Eberhard Busch (Unterabteilungsleiter Materielle Verteidigung und Mobilmachung), Oberst a.D. Alfred Nähring (Hauptreferatsleiter Panzergrenadiere), Golling, Oberstleutnant a.D. Adolf von Salviati (Referat Innerer Dienst), Fre gattenkapitän a.D. Wilhelm Verlohr (Referat Grundsatz Personalwesen Marine), Roth, Karst, Roewer und Andres. Zu Golling siehe Krüger, Das Amt Blank, S. 188. Siehe Stellungnahme Golling, Leitsätze für die Erziehung, 20.7.1953, BArch, BW 9/731.
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Endziel, auf das sie zuzusteuern«532 habe, entspräche. Ebenso kritisierte er die seiner Auffassung nach allzu intime Nähe zu den Verhältnissen in der zivilen Wirtschaft. Man unterliege beinahe der Versuchung, »zu meinen, dass manche Strecken des Textes ebenso gut auch für einen Betrieb der freien Wirtschaft geschrieben sein könnten. Bei aller Richtigkeit der gebrachten Gedanken und Grundsätze an sich, kommt es doch bei dieser darauf an, die Besonderheiten der soldatischen Erziehung darzustellen und zu begründen und gerade die Unterschiede zu den Grundsätzen der menschlichen Führung und Erziehung im zivilen Bereich herauszuarbeiten.«533 Im Weiteren sollte sich Golling durch seine zahlreichen Stellungnahmen und Vorschläge534 als nicht zu unterschätzende Stütze Karsts und seines Nachfolgers Hellmuth Freiherr von Wangenheim535 erweisen, auch wenn er, wie Karst festhielt, beizeiten auch zu kleinlich argumentierte.536 Konstatierte Karst bei Golling guten Willen und beurteilte den Amtsgerichtsrat Peter Roewer537 als Prachtmann, der zu ihnen gehöre, fielen die Urteile zu den weiteren Mitgliedern der hausinternen Arbeitsgruppe Mitte 1954 gänzlich diametral aus: »Roth und Busch sind endgültig abgefallen. Auch Nähring zeigt nur noch geringes Interesse.« Indem er dies als Beweis dafür ansah, »dass die Fähigkeit, ein Objekt langfristig und zäh zu bewältigen, im Schwinden«538 sei, konnte er sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sich selbst und die von ihm bislang erbrachte Leistung hervorzuheben. Die erste Beratung der Arbeitsgruppe fand am 2. Oktober 1953, also im unmittelbaren Anschluss an die erste Siegburger Tagung zu Fragen der Erziehung statt. Der Vorschlag Nährings, den weiteren Beratungen die Leitsätze der ehemaligen »Ausbildungsvorschrift für die Infanterie« (AVI) zugrunde zu legen, wurde in der darauf folgenden Sitzung abgelehnt und auch die Ausführungen Wenigers wurden als weitgehend unbrauchbar charakterisiert.539 Teilweise von gravierenden Meinungs verschiedenheiten und infolgedessen von erregten Diskussionen geprägt540, beschloss die Arbeitsgruppe jedoch, ihre Sitzungen auch nach der zweiten und abschließenden »Erziehungstagung« in Siegburg fortzusetzen, um eine endgültige Formulierung 532 533 534 535 536 537 538 539
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Siehe ebd., S. 1. Hervorhebungen im Original. Siehe ebd. Hervorhebungen im Original. Siehe die »Leitsätze d. Erziehung«, BArch, BW 9/731. Wangenheim, Hellmuth Freiherr von (1906‑1972), 1954 Eintritt in das Amt Blank, anschließend BMVg, 1956 Oberst. Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 34. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 6.5.1954, BArch, N 717/1, Bl. 260. Roewer, Peter (*1907), Oberstleutnant d.R. a.D., Pressereferent im Bundesministerium für Vertei digung, siehe Der Spiegel, 3.10.1956, S. 64. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 10.5.1954, BArch, N 717/1, Bl. 268. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 6.10.1953, BArch, N 717/1, Bl. 68. Bedauerlicherweise geht aus dem Eintrag keine Begründung für eine derartige Einschätzung hervor. Diese Einschätzung wiederholte sich in einer weiteren Sitzung, in deren Verlauf um die Frage gerungen wurde, wie man auf einen unmenschlich handelnden Gegner reagieren solle. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 6.10.1953, BArch, N 717/1, Bl. 68. So zum Beispiel über den Satz: »Freiheit gewinnt der Soldat durch Selbstzucht, Gehorsam und Zurückstellung seiner Person hinter die Sache.« Die im Entwurf angemahnte Freiwilligkeit des Gehorsams wurde von Karst hier nicht zitiert. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 6.10.1953, BArch, N 717/1, Bl. 68. Zu diesem unvollständig zitierten Satz siehe 1. Entwurf der »Leitsätze für Erziehung«, 15.6.1953, BArch, BW 9/2227, Bl. 217.
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für die vom Ausschuss so titulierten »Leitsätze für die soldatische Erziehung«541 auszuarbeiten. In dieser für den 30./31. Oktober 1953 einberufenen Zusammenkunft wurden die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeitsgruppen, wie Ende September vorgesehen, zu einem neuen, sprachlich gestrafften und inhaltlich eindeutigeren Entwurf zusammengefasst.542 Vorangestellt wurde eine Präambel; angefügt ein Vorschlag von Weniger, der sich der »Erziehung zu politischer Verantwortung« widmete.543 Hierbei handelte es sich um eine nur unwesentlich überarbeitete Fassung seiner Gedanken zur politischen Bildung und zum Staatsbürgerlichen Unterricht. Bereits während der ersten Tagung als nicht zweckmäßig abgelehnt, fanden sie zwar keine Aufnahme in den endgültigen Text der »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten«, wurden aber in der »Empfehlung des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen aus Anlaß des Aufbaus der Bundeswehr«, an denen Weniger maßgeblichen Anteil hatte, besonders betont.544 Der Tagungsverlauf wurde von Baudissin als sehr positiv bewertet, da es der Gruppe »Innere Führung« gelungen sei, den Entwicklungsprozess der Leitsätze gemäß der verfolgten Linie voranzutreiben. Sie müssten zwar noch weiter durchgefeilt und die Diskussion für die späteren Erläuterungen ausgewertet werden, doch habe man bei den Teilnehmern des Hauses Eindruck hinterlassen.545 Diesen Eindruck hatten die Professoren, die, einer skeptischen Bemerkungen Karsts zum Trotz, wider Erwarten alle der Einladung gefolgt waren,546 bereits nach der ersten Zusammenkunft gewonnen, denn in einem Bericht gegenüber seinen Mitarbeitern hob Baudissin besonders die wohl positiven Reaktionen Bergstraessers und Rüstows hervor, ohne diese weiter zu kommentieren.547 Wie erfolgreich diese Zusammenarbeit zwischen den Vertretern des Amtes Blank und den universitären Erziehungswissenschaftlern von Baudissin letzten Endes eingeschätzt wurde, machen zwei Schreiben deutlich, von denen er eines an Weniger richtete: »Schon längst hätte ich Ihnen geschrieben und nochmals gedankt für die große sachliche Hilfe und persönliche Bestätigung, die sie mir wieder in Siegburg gaben. Es ist trostreich und erstaunend zugleich, wie man von verschiedenen Stand punkten aus zu gemeinsamer Schau der Dinge kommt.«548 Und ein zweites an Theodor Wilhelm: »Ich darf Ihnen nochmals sehr herzlich für die freundliche und fruchtbare Mitarbeit bei den ›Erziehungsgrundsätzen‹ danken, wir sind wohl gemeinsam ein gutes Stück vorangekommen. Persönlich bin ich ganz besonders dank541 542 543 544
545 546 547 548
Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Will, 27.11.1954, BArch, N 717/1, Bl. 161. Siehe Leitsätze für soldatische Erziehung, handschriftlich Siegburg, 31.10.53, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 41‑49. Ein Protokoll über diese Tagung konnte nicht ermittelt werden. Weniger, Erich, Vorschlag für die Leitsätze, Erziehung zu politischer Verantwortung, ebd., Bl. 50 f. Siehe ›Empfehlung des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen aus Anlaß des Aufbaus der Bundeswehr‹, 5.7.1956, BArch, N 488/10, Bl. 2‑5, hier Bl. 4 f., ZDv 11/1, S. 8; Information für die Truppe, 1 (1956), 1, S. 28‑32. Zur Empfehlung des Deutschen Ausschusses siehe S. 333‑341. Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 30./31.10.1953, BArch, N 717/1, Bl. 107. Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 2.9.1953, BArch, N 717/1, Bl. 19. Tagebuch Baudissin, Eintrag Will, 29.9.1953, BArch, N 717/1, Bl. 57. Schreiben Baudissin an Weniger, 16.10.1953, BArch, N 488/1, Bl. 34.
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bar für die vielfältige Bestätigung meiner Gedanken, die mir von Ihnen und den meisten Herren des Kreises gegeben wurde.«549 Diese Schreiben können als Beleg dafür angesehen werden, »dass die pädagogische Grundlegung der Inneren Führung im Sinne der damals vorherrschenden Geisteswissenschaftlichen Pädagogik zu interpretieren ist. Gleichzeitig bringen diese Quellen zum Ausdruck, dass maßgebliche Vertreter der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik im militärpädagogischen Konzept keinen wesentlichen Widerspruch zu ihren Allgemeinen Pädagogiken feststellten.«550 Die Integration des militärpädagogischen Ansatzes Baudissins in die Theorie und Praxis der Allgemeinen Pädagogik war gelungen! An dieser Tatsache änderte auch eine Anmerkung Pfisters nichts, der Zweifel am praktischen Nutzen hegte und den Professoren vorwarf, im Wesentlichen an die akademische Jugend zu denken, den einfachen Soldaten aber zu vergessen.551
b) Das Studien-Bureau Pfister Wenngleich mit der Beobachtung und Auswertung der Entwicklung der in- und ausländischen Geisteswissenschaften, zu denen auch die Erziehungswissenschaft zählt, beauftragt,552 war der Leiter des Studien-Bureaus, Josef H. Pfister, an der Formulierung der Erziehungsleitsätze für den künftigen Soldaten nicht beteiligt. 1903 in München geboren, bleibt er als Person ebenso nebulös wie seine Tätigkeit vor Eintritt in das Amt Blank, da er es vermochte, sich sowohl dem zeitgenössischen als auch dem historischen Betrachter erfolgreich zu entziehen. Handfeste biographische Daten sind kaum zu ermitteln, und so können die Aussagen im Diensttagebuch Baudissins lediglich eine bruchstückhafte, wenngleich befremdliche Sicht auf den hausinternen Konkurrenten freigeben, nachdem es Baudissins Mitarbeitern Will und Major a.D. Othmar Pollmann553 gelungen war, Einblick in den Personalbogen Pfisters zu erhalten.554 Demzufolge hatte Pfister nach Abschluss der Realschule ein Gymnasium besucht und in drei Jahren den Lernstoff von sechs Jahren Latein und drei Jahren Griechisch nachgeholt. Über ein anschließendes, von 1923 bis 1933 andauerndes Studium lagen weder Unterlagen zu erworbenen Abschlüssen in Form eines Examens, einer Promotion oder eines Staatsexamens noch Angaben über die absolvierten Studiensemester, immerhin 20, vor. Dies, konstatierten Pollmann und Will, sei aber nicht verwunderlich, denn in »derselben Zeit [...] war Herr Pfister: Journalist, Modejournal-Leiter, Kunstkritiker, beim Film angestellt und noch Vieles mehr«, was sie beim schnellen 549 550 551 552
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Schreiben Baudissin an Wilhelm, 3.12.1953, BArch, N 717/68. Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 219. Aktennotiz Pfister über Gespräch mit Heusinger, 6.10.1953, BArch, N 621/v. Kiste 3, Arbeitsakte. Zu den Aufgaben des von Pfister geleiteten Studien-Bureaus siehe Notiz Pfister an Heusinger, 7.2.1953, Kopie für Herrn de Maizière, BArch, BW 9/2226, Bl. 13‑18, hier Bl. 17 f.; StudienBureau, Das Studien-Bureau. Disposition, 8.11.1954, BArch, N 621/v. Kiste 16, Mappe Das Studien-Bureau 8-11.54, S. 1‑7, hier S. 2. Zu Pollmann siehe Nägler, Der gewollte Soldat, S. 34, Anm. 15. Tagebuch Baudissin, Eintrag Will/Pollmann, 29.4.1954, BArch, N 717/2, Bl. 238 f. Einen Lebens lauf im eigentlichen Sinne hatte Pfister bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingereicht.
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Lesen nicht alles hätten behalten können.555 Freiberuflich tätig, habe er jedoch nie eine Stellung unterhalb eines stellvertretenden Direktors innegehabt; angesichts dieser Vielfältigkeit komme man sich vor wie ein Nichtskönner. Ab 1933 habe Pfister dann als »Dozent am (wörtlich) ›Kollegium für Kunst und Wissenschaft‹ (in Berlin)« gewirkt, bevor er zwischen November 1942 und Juli 1944 Soldat gewesen sei.556 An die nachfolgende Zivilstellung konnten sie sich nicht erinnern, doch führte ihnen die Betrachtung der Rubrik »Besondere Fähigkeiten und Kenntnisse« schließlich die intellektuellen Kapazitäten Pfisters vor Augen: »einmal durch die Geisteswissenschaft durch, sozusagen von der Philosophie bis zur Philosophie. Es fehlt nichts, aber auch gar nichts, und die halbe Erde hat er schon bereist.«557 Verwundert über die materiellen Vorteile, die Pfister im Gegensatz zu anderen Gutachtern des Hauses genoss558, rieten sie abschließend zur äußersten Vorsicht im Umgang mit Pfister und seinen Angaben, denn niemand »wird bezweifeln können, dass hier Anmassung [sic!] und Scharlatanerie dicht beieinanderliegen«559 – ein Fazit, mit dem Pollmann und Will nicht alleine standen.560 Eine Gesprächspartnerin Baudissins, Leiterin eines Filmarchivs im Bayerischen Kultusministerium, vermochte im darauffolgenden Jahr einige offene Lücken zu füllen. Sie kannte Pfister seit 1944, »als er unter betonter Berufung auf seine guten Beziehungen zum Propagandaministerium als wegen
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In einem vorherigen Gespräch mit Karst hatte Heusinger bereits erwähnt, dass er mit Sicherheit wisse, dass Pfister vor dem Krieg einen Mode-Salon in Berlin geleitet hätte. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 19.2.1954, BArch, N 717/2, Bl. 108. Somit könnte es sich bei ihm auch um den Mitautor des 1931 erschienen Buches »Deutsche Mode?« handeln. Vgl. Dillenz/Pfister, Deutsche Mode? Eine Lehreinrichtung dieses Namens war Baudissins Mitarbeitern wohl nicht bekannt und konnte auch vom Verfasser nicht ermittelt werden. Krüger zufolge war Pfister von 1931 bis 1936 als Angestellter im Reichsinnenministerium tätig. Vgl. Krüger, Das Amt Blank, S. 194. Wehrpass, Wehrstammbuch oder Soldbuch liegen laut Auskunft der Deutschen Dienststelle nicht vor. Aus sonstigen Unterlagen konnte von der Wehrmachtauskunftstelle folgender militärischer Werdegang Pfisters nachvollzogen werden: Von der Stammkompanie der Kraftfahr-Ersatz-Abteilung 23 (Sorau/ Lausitz, ein Eintrittsdatum ist nicht bekannt) wurde Pfister am 29.12.1942 zur 3. Kompanie Kraft fahr-Ausbildungs-Abteilung 23 versetzt. Anschließend folgten Verwendungen bei der KraftwagenTransport-Kompanie z.b.V. 929 (ab 8.2.1943) und bei der 1. Kraftwagen-Transport-Kompanie z.b.V. 927 (ab 2.10.1943). Die letzte nachweisbare Verwendung fand Pfister im Februar 1944 bei der Genesenden-Kompanie der Kraftwagen-Transport-Ersatz-Abteilung 50 in Würzburg. Siehe Schreiben Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen Wehrmacht (Wehrmachtauskunftstelle) an Verfasser, 15.8.2014, S. 1 f. Tagebuch Baudissin, Eintrag Will/Pollmann, 29.4.1954, BArch, N 717/2, Bl. 238. Krüger erwähnt zudem ein 1945 ausgeübtes Amt als Bürgermeister von Holzkirchen. Vgl. Krüger, Das Amt Blank, S. 194. Pfister hatte nach seiner Hochzeit, an der Wirmer und Heusinger teilgenommen hatten, eine Wohnung zugewiesen bekommen und erhielt ein monatliches Honorar in Höhe von 1500,– DM. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Will/Pollmann, 29.4.1954, BArch, N 717/2, Bl. 239. In den Nachlässen Wirmer und Heusinger finden sich keine Unterlagen zu diesem Vorgang. Das Durchschnittseinkommen in der Bundesrepublik Deutschland betrug 1954 monatlich 353 DM. Tagebuch Baudissin, Eintrag Will/Pollmann, 29.4.1954, BArch, N 717/2, Bl. 239. In einem Gespräch mit Baudissin hatte Heinz Neudeck wenige Monate zuvor einen ihm bekannten Münchener Professor zitiert, der Pfister »nach Wesen (Lügner und Intrigant) und Vorbildung für völlig ungeeignet hielt.« Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 4.2.1954, BArch, N 717/2, Bl. 66.
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einer Herzkrankheit entlassener Gefreiter einen Prager Lehrfilm-Verlag vertrat.«561 Pfister, aus einfachen Verhältnissen in Bayern stammend, habe nach dem Besuch der Volksschule in wenigen Jahren das Abitur im Kloster Ettal, einem BenediktinerGymnasium, nachgeholt.562 Diese Überforderung habe »ihn angeblich so mitgenommen, dass er in seinem späteren Leben nie etwas Wirkliches geleistet« habe. Dieses Eingeständnis gelte auch für seine Anstellung in ihrem Institut, an der sie trotz heftigen Widerstandes anderer festgehalten habe. Pfister »habe zwar ›dauernde Vermerke‹ [sic!] über Gespräche und Aufträge gemacht, aber nie etwas Wirkliches geleistet. Im Gegenteil: er habe versucht, sie beim Ministerium zu verdächtigen, um ihre Stellung zu erhalten. Pfister sei damals als überzeugter Pazifist, Soldatenhasser und begeisterter Anhänger der reeducation aufgetreten.«563 Eine Tätigkeit in der Filmindustrie hatte Pfister bereits 1939/40 als Produk tionsleiter von Spielfilmen564 bei der Tobias Filmkunst GmbH ausgeübt. Unmittelbar nach seiner Einstellung der Reichsfilmkammer beigetreten, hatte sich Pfister schon damals in dem auszufüllenden Fragebogen wenig präzise über seine Person ausgelassen; Gymnasium und Universität fanden ohne Namen der Lehranstalten, der Standorte oder der erreichten Abschlüsse Erwähnung. Dennoch präsentierte sich Pfister als Schriftleiter und Sprachgenie und gab als beherrschte Sprachen Latein, Griechisch, Französisch, Englisch sowie Italienisch an.565 Anhand der Auswertung von Korrespondenzen der Filmwirtschaft kann die weitere Erwerbstätigkeit von Pfister insofern erhellt werden, dass er mit einem Partner 561
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Eine 1944 erfolgte Entlassung aus dem Wehrdienst ist trotz erkrankungsbedingter Lazarettaufenthalte im Jahre 1943 nicht belegt. Pfisters Dienstgrade wurden im Mai 1943 als Kraftfahrer, im Oktober als Oberkraftfahrer angegeben. Eine Beförderung zum Gefreiten ist ebenfalls nicht belegt. Siehe Schreiben Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen Wehrmacht (Wehrmachtauskunftstelle) an Verfasser, 15.8.2014, S. 2. Im Schularchiv des Kloster-Gymnasiums ließen sich keine Unterlagen zu Josef H. Pfister auffinden. Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 17.11.1955, BArch, N 717/5, Bl. 109. Eine Bestätigung erhält diese Deutung durch das vorangegangene Gespräch Baudissins mit Neudeck. Siehe Tage buch Baudissin, Eintrag Baudissin, 4.2.1954, BArch, N 717/2, Bl. 66. Genschel erwähnt eine Beschäftigung Pfisters im Bayerischen Kultusministerium nach dem Krieg. Hier sei er für Film fragen zuständig gewesen; nennt aber weder Zeitraum der Tätigkeit noch Grund einer Entlassung. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 308, Anm. 81. Diese sei 1946 erfolgt, stellte Karst fest, den Entlassungsgrund wollte der Geschäftsführer der Bayerischen Landeszentrale für Heimatdienst, der nachmaligen Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Thomas Ellwein, beibringen. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 1.2.1954, BArch, N 717/2, Bl. 59. Ein diesbezüglicher Eintrag ist nicht mehr erfolgt. Der von Neudeck zitierte Professor nannte als Grund seiner Entlassung die Diskreditierungsversuche Pfisters gegenüber der Leiterin eines Filmarchives für Soldaten. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 4.2.1954, BArch, N 717/2, Bl. 66. Krüger weist auf eine von 1946 bis 1948 andauernde Tätigkeit Pfisters als Stellvertretender Leiter des Instituts für Unterrichtsfilm des Bayerischen Kultusministeriums hin. Diese Zeitangabe widerspricht den Angaben Karsts. Vgl. Krüger, Das Amt Blank, S. 194. Eine Anfrage beim Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst zu Pfisters Tätigkeit im Film archiv des Bayerischen Kultusministeriums blieb aufgrund fehlender Unterlagen ergebnislos. Siehe Schreiben Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst an Verfasser, 15.9.2014. Bei den unter seiner Leitung produzierten Spielfilmen handelt sich um »Verwandte sind auch Menschen« (1939), »Der Sündenbock« (1939/1940) und »Das himmelblaue Abendleid« (1940). Siehe (letzter Zugriff 28.3.2019). Siehe BArch, RK J 81.
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von 1940 bis 1943 in leitender Position an der Weiterentwicklung eines in Frank reich entwickelten Farbfilmverfahrens betraut war. Nachdem die in Prag ansässige AFIT (Prague Studio for Film Tricks)566 1943 als nicht kriegswichtiger Betrieb geschlossen und die Ausrüstung von der Prag-Film AG übernommen worden war, versuchte der auch in dieser Branche nicht unumstrittene Pfister nach seiner angeblich gesundheitsbedingten Entlassung aus dem Wehrdienst die Geschäfte mit seinem Partner auf privat finanzierte Art fortzuführen.567 Das von ihnen in Prag gegründete Zeichenfilm-Unternehmen verfolgte dabei die Absicht, Werbefilme nach USamerikanischem Vorbild zu erstellen.568 Weitere Auskünfte können auch einem Schreiben des ehemaligen Majors i.G. und persönlichen Referenten Blanks, Heinrich Buckschs569, an Wirmer vom April 1952 entnommen werden, laut dessen Darstellung Pfister zu diesem Zeitpunkt als Mitarbeiter in der Erziehungsabteilung der Hohen Kommission der USA in Bad Homburg tätig war.570 Diese Stellung wolle er jedoch im Juni aufgeben, um sich ausschließlich erzieherischen Aufgaben zuzuwenden. Er sei Redaktionsmitglied der Zeitschrift »Lebendige Erziehung«, einer monatlich erscheinenden Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Erziehung571, und zeichne auch verantwortlich für einen beiliegenden »Filmkatalog«. In einem persönlichen Gespräch, so Bucksch weiter, »konnte ich mich vor einiger Zeit davon überzeugen, dass Herr Pfister sich meines Erachtens ungewöhnlich nützliche Überlegungen über das Thema ›Psychologische und erzieherische Vorbereitung der deutschen Öffentlichkeit und der deutschen Jugend für einen Verteidigungsbeitrag‹ macht. Darüber hinaus glaube ich, dass seine Gedanken für das Arbeitsgebiet ›Psychologische Kriegsführung‹ eine gründliche Kenntnisnahme unserer Dienststelle verdienen.«572 Einen Nachweis über die diesbezüglichen wissenschaftlichen Qualifikationen Pfisters blieb auch Bucksch schuldig. Anlass seines Schreibens war eine beiliegende Einladung zur Jahreskonferenz der Deutschen Gesellschaft für Erziehung, die sich in ihrer Jahreshauptversammlung thematisch der »Erziehung zum und im Beruf« widmete und innerhalb dieses Rahmens auch ein Sonderprogramm anbot, das von Pfister initiiert worden war. Vom Vorsitzenden der Gesellschaft, dem Pädagogen und zukünftigen Mitgestalter der »Erziehungsleitsätze für die soldatische Erziehung« Alfons Simon, wurde Pfister beauftragt, ein Komitee für »Erziehungsprobleme im Polizei- und Wehrdienst« zu 566 567
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Bei der AFIT handelte es sich um eine Firma zur Herstellung von Zeichentrickfilmen. Vgl. Giesen/ Storm, Animation, S. 73. Siehe BArch, R 109/I 1707, besonders Schreiben Hein an UFA-Film GmbH, 2.8.1944, Vorgeschichte und Tatbestand, 4.2.1944. Die zeitliche Parallelität seiner Wehrdienstzeit mit der leitenden Tätigkeit für die AFIT konnte nicht eindeutig geklärt werden. Anzunehmen ist, dass Pfisters Partner, vermutlich Richard Dillenz, die Arbeiten während dieses Zeitraumes alleine fortführte. Siehe hierzu Schriftverkehr zum Schutz des Gefolgschaftsbestandes der Zeichenfilmabteilung der Prag-Film AG und des Zeichenfilm-Unternehmen Dillenz/Pfister von Juni bis Juli 1944, BArch, R 109/III 15, R 109/I 1707. Zu Bucksch siehe Die Kabinettsprotokolle, Bd 10, 1957, S. 385 f., Anm. 11. Diese Stellung hatte Pfister laut Krüger seit 1948 inne. Vgl. Krüger, Das Amt Blank, S. 194. Vgl. auch Genschel, Wehrreform, S. 308, Anm. 81. Vermerk Bucksch an Wirmer, Vermerk für S 1, Herrn Wirmer, I PL, mit der Bitte um Rückgabe, 9.4.1952, BArch, BW 9/1811, Bl. 170.
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gründen573 und als dessen Leiter zu fungieren. Somit trat Pfister erstmalig, also noch vor Aufnahme seiner Tätigkeit im Amt Blank, auf dem Gebiet der soldatischen Erziehung öffentlich hervor. Das hierzu von Pfister ausgearbeitete Programm sah die Bearbeitung der Kernfrage, wie die demokratischen Prinzipien im Polizeiund Wehrdienst durch Erziehung bewahrt und entwickelt werden könnten, in drei Arbeitsgruppen vor. Untersucht werden sollten die staatsbürgerliche Erziehung und politische Information im und durch den Dienst, die berufliche Aus- und Fortbildung während der Dienstzeit sowie die Erziehung gegen Propaganda im militärischen und zivilen Bereich. Ausländische Fachleute ergänzten die Diskussionen durch die bereits eingeführten Vorträge über die Erziehungs- und Bildungsarbeit in den Streitkräften der USA, Belgiens, Großbritanniens, Dänemarks, Schwedens und der Schweiz.574 Im Sommer 1952 suchte Pfister, der Wirmer bereits von Bucksch als zukünftiger Referatsleiter »Psychologische Kriegsführung« oder »Erziehung« offeriert worden war575, den Leiter der Zentralabteilung der Dienststelle Blank schließlich unangemeldet auf und bat um eine Anstellung. Wirmer, der Pfister seit den 1930er-Jahren kannte, sah in seinem Zuständigkeitsbereich jedoch keine Verwendungsmöglichkeit für den Bewerber und leitete ihn nach eigenem Bekunden an den Leiter der Militä rischen Abteilung, Heusinger, weiter,576 der ihn zum 1. September 1952 als zivilen Gutachter für seinen Verantwortungsbereich einstellte. Der in der Forschung vertretene Ansatz, Pfister sei von Wirmer als katholisches Gegengewicht zu Baudissin eingestellt worden577, entbehrt nach Kruses Interpretation daher jeglicher Grundlage. Er sei nur insofern berechtigt, dass Wirmer, der Pfister die Eignung für eine Tätigkeit in seiner Abteilung abgesprochen hatte, einer Einstellung durch Heusinger hätte widersprechen können.578 Ungeachtet dessen, ob Pfister, der sich selbst als Manager der Wissenschaft anpries,579 als konfessioneller Gegenpart, unabhängiges Beratungsorgan oder als Kontrollelement580 gedeutet wird, blieben, trotz eines immensen Aktionismus, greif573 574
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Schreiben Simon an Pfister, 25.3.1952, Auftragsbestätigung, BArch, N 621/v. Kiste 1, Ordner Military education 1952. Der von Bucksch an Wirmer gerichteten Bitte, ein bis zwei Referenten aus der Dienststelle Blank zu entsenden, wurde mit der Entsendung Hans Tänzlers, einem späteren Mitarbeiters Baudissins, der zu diesem Zeitpunkt das Sachgebiet »Innere Führung« im EVG-Interimsausschuss vertrat, entsprochen. Ob Tänzler einen Tagungsbericht erstellt hat, konnte nicht ermittelt werden. Ungewiss bleibt ebenfalls, ob Baudissin Kenntnis von der Tagung und ihrer Inhalte genommen hat. Siehe Vermerk Bucksch an Wirmer, Vermerk für S 1, Herrn Wirmer, I PL, mit der Bitte um Rückgabe, 9.4.1952, BArch, BW 9/1811, Bl. 170 und Teilnehmerliste zum Sonderprogramm des ›Komitees für Wehrerziehung‹ der Deutschen Gesellschaft für Erziehung, BArch, N 621/v Kiste 21, Ordner STB, DGE-111, Bl. 5 f. Siehe Vermerk Bucksch an Wirmer, Vermerk für S 1, Herrn Wirmer, I PL, mit der Bitte um Rückgabe, 9.4.1952, BArch, BW 9/1811, Bl. 170. Vgl. Kruse, Kirche, S. 85. Kruse bezieht sich in seinen Angaben auf ein persönliches Gespräch mit Wirmer am 21.6.1981, Vgl. ebd., S. 174, Anm. 258. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 197; Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 908. Vgl. Kruse, Kirche, S. 85. Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 18.3.1954, BArch, NL 717/2, Bl. 158. De Maizière, der Pfister als undurchsichtige und schillernde Persönlichkeit charakterisierte, zu der er kein Vertrauen gewinnen konnte, zeigte sich über die von Wirmer angeregte Einstellung des allen Mitarbeitern völlig unbekannten Pfisters, der »als Kontrollorgan und katholisches Gegengewicht
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und verwertbare Ergebnisse, von wenigen Ausnahme nicht grundsätzlichen Charak ters abgesehen, gleichwohl aus. Letzten Endes blieben Pfister und das von ihm geleitete Studien-Bureau lediglich als permanenter Störfaktor in Erinnerung.581 Der von ihm vertretene Anspruch hatte indes anderes erwarten lassen. Pfister sah das Wirkungsfeld des Studien-Bureaus »organisatorisch außerhalb des regulären Arbeitsverlaufes, sofern dieser funktionier[e].« Es sollte nur dann vorübergehend in Erscheinung treten, wenn Arbeitsprozesse ins Stocken gerieten oder Planungs arbeiten zu verrichten seien.582 Die »zweite und permanente Funktion«583 bestünde in der »Beobachtung, [dem] Studium und [der] Auswertung der Geisteswissenschaften im In- und Ausland für die Bedürfnisse der Streitkräfte, unter Berücksichtigung der entsprechenden zivilen und militärischen Erfahrungen.« Aus den gewonnenen Erkenntnissen sollten »Planung, Entwicklung und Durchführung von Studien projekten« hervorgehen, die »in ständiger Zusammenarbeit mit den jeweils beteiligten Fachreferaten« bis zur Praxisreife entwickelt und deren Ergebnisse laufend verbessert werden sollten. Hierzu gelte es die »erforderlichen Verbindungen im In- und Ausland« herzustellen und zu pflegen.« Die außerhalb des Amtes Blank »eingesetzten Studien-Kommissionen« für die verschiedenen Projekte sollten vom Studien-Bureau gelenkt und verwaltet, die innerhäusigen Abteilungen auf Antrag mit Auskünften, Beratungen und Begutachtungen unterstützt werden. Hinzu traten die Anlage einer Dokumentation und eines Schnellarchivs sowie die Absicht, gleichzeitig als »Sekretariat eines künftigen wissenschaftlichen Fachbeirates« zu fungieren.584 Bereits in seiner ersten Aufgabenbeschreibung über das zukünftige Arbeitsgebiet des Studien-Bureaus vom Februar 1953 schloss Pfister »auch die Themen der ›Inneren Führung‹ [ein]. Es bearbeitet sie jedoch nur unter dem Gesichtspunkt der Planung, Begutachtung und Vorbereitung für die Praxis (letztere nur, sofern und solange die eigentlichen Fachreferate diese Aufgabe noch nicht oder unzulänglich erfüllen).« Die Tätigkeiten des Studien-Bureaus zudem als leistungsteigernde »Stimulanz für einen produktiven Wettbewerb mit dem jeweils beteiligten Referaten«585 aufwertend, machte Pfister damit zugleich seine Ansprüche gegenüber dem Referat
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gegenüber dem stark evangelisch geprägten Team um Baudissin« betrachtet wurde, überrascht. Vgl. Maizière, In der Pflicht, S. 177. Vgl. Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 910. Notiz Pfister an Heusinger, 7.2.1953, Kopie für Herrn de Maizière, BArch, BW 9/2226, Bl. 13‑18, hier Bl. 17. Hervorhebung im Original. Pfister verglich das Studien-Bureau und seine vorübergehenden Eingriffe in den Arbeitsablauf mit den Tätigkeiten eines Arztes, einer Hebamme, der Feuerwehr oder auch mit der eines Architekten, »der den Plan eines Hauses (nach den Wünschen und Mitteln des Bauherren) entwirft und die Angaben für die Ausführung macht. Sobald das Haus gebaut, die Krankheit geheilt, das Kind geboren, der Brand gelöscht ist, verschwinden Architekt, Arzt, Hebamme und Feuerwehr wieder vom Platz.« Ebd. Ebd. Hervorhebung im Original. Studien-Bureau, Das Studien-Bureau. Disposition, 8.11.1954, BArch, N 621/v. Kiste 16, Mappe Das Studien-Bureau 8-11.54, S. 2. Hervorhebungen im Original. Die Studien-Kommissionen verglich Pfister »mit wissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungslaboratorien bzw. Modell werkstätten.« Ebd. Zunächst hatte Pfister das Studien-Bureau selbst noch »mit dem Forschungs laboratorium und der Modellwerkstatt einer Fabrik« verglichen. Notiz Pfister an Heusinger, 7.2.1953, Kopie für Herrn de Maizière, BArch, BW 9/2226, Bl. 17. Notiz Pfister an Heusinger, 7.2.1953, Kopie für Herrn de Maizière, BArch, BW 9/2226, Bl. 18. Hervorhebungen im Original.
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»Inneres Gefüge« geltend, indem er es in einem Organisationsvorschlag zu einem reinen Fachreferat ohne Weisungsbefugnis für die noch aufzubauenden Fachreferate Information, Erziehung und Betreuung degradierte und dessen Arbeitsgebiet auf die Bearbeitung der Grundsatzfragen der Inneren Führung begrenzt wissen wollte.586 Georg Meyer, der Pfister als einen Störenfried charakterisiert, der »wenigstens mit zeitweiliger Rückendeckung des mächtigen Ministerialdirigenten Wirmer« in der Dienststelle sein Unwesen trieb »und mit seinem Imponiergehabe in böswilliger Konkurrenz zu Baudissin viele Bemühungen um geistige Grundlagen für das neue Soldatentum« diskreditierte, fasst dessen mannigfaltigen Ambitionen dergestalt zusammen, dass der Leiter des Studien-Bureaus die »›Grundsätze und Richtlinien‹ des inneren Gefüges [...] noch großzügig« Baudissin und seinen Mitarbeitern überließ, »für sich aber ganz die Gebiete ›Information (Allgemeine und Aktuelle), Erziehung (Soldatisch – Politisch – Allgemein) und Betreuung (Religiös, Sozial – Kulturell – Zivilberuflich – Gesundheitlich)‹« reservierte.587 Meyer stützt sich in seiner Argumentation auf einen von Profilierungssucht geprägten Tätigkeitsbericht Pfisters für den Zeitraum vom September 1952 bis Dezember 1953.588 Pfister beanspruchte in seinen Ausführungen nicht weniger als die Konzeption, Organisation und Arbeitsplanung für das Programm der Inneren Führung sowie die Definition und den Arbeitsplan für deren vier Hauptgebiete (Grundordnung, Information, Erziehung, Betreuung). Seine Konzeption für das Programm der Inneren Führung spiegle »das Ergebnis eines zweijährigen Studiums der entsprechenden Systeme in [den] USA, England, Kanada, Belgien, Dänemark, Schweden [und der] Schweiz« wider.589 Baudissin, der über die Arbeitsvorhaben des Studien-Bureaus und seines Leiters keine Kenntnisse besaß, mahnte im Oktober 1953 eine Aufgabenabgrenzung bei Heusinger an. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Studien-Bureau das Referat weder zur Zusammenarbeit aufgefordert noch die vom Referat mehrfach erbetene gutachterliche Beratung geleistet.590 Stattdessen sorgte der unklare Zuschnitt der Aufgaben des Studien-Bureaus sowohl innerhalb des Amtes als auch in der Öffentlichkeit für Irritationen.591 Der Ausschuss »Innere Führung« grenzte die Arbeitsgebiete schließlich dahingehend voneinander ab, dass das Referat »die Grundsätze aller Fragen der Inneren Führung« zu bearbeiten hatte: »Zu seinen Aufgaben gehört es, die Ergebnisse aller anderen Referate des Hauses, soweit sie Fragen der Inneren Führung betreffen, auf ihre Übereinstimmung mit den Grundsätzen zu überprüfen. Das StudienBureau studiert die Fragen der Inneren Führung, stellt seinen Rat zur Verfügung und bedient sich dazu g[e]g[ebenen]f[alls] Persönlichkeiten ausserhalb des Hauses. Schon bei Anlauf seiner Untersuchungen zieht es dabei das Grundsatzreferat hin586 587 588 589
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Siehe ebd., Bl. 14, 16. Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 909. Siehe J.H. Pfister, Tätigkeitsbericht Sep. 52‑Dez. 53 und Arbeitsplan 1954, 12.1.1954, BArch, N 621/v. Kiste 5, S. 1‑14. Siehe ebd., S. 1 f. Pfister griff hierbei wohl auf die Arbeitsergebnisse der von ihm verantworteten Tagung »Erziehungsprobleme im Polizei- und Wehrdienst« und seine Tätigkeit bei der Hohen Kommission der USA in Bad Homburg zurück. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 309 f., Anm. 87. Vgl. ebd., S. 158 f.; Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 908 f.
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zu.« Eine exekutive oder direktive Funktion wurde ihm nicht zuerkannt. Karst wurde als Verbindungsorgan bestimmt, Pfister gebeten, »interimistisch die Aufgaben der später zu bildenden Referate Information und Betreuung wahrzunehmen.«592 Die von Pfister zu bearbeitenden Informationsinhalte sollten sich auf Geschichte und Wehrgeschichte beschränken, der staatsbürgerliche Unterricht wurde dem Arbeitsgebiet Erziehungsmethodik im Referat »Inneres Gefüge« zugeordnet.593 Baudissin, der sich hinsichtlich »der Wirksamkeit dieser Teilung, die prinzipiell nichts ändere«594, keinen Illusionen hingab, sollte in seiner Einschätzung nicht enttäuscht werden, denn als die kommissarische Leitung der Referate Information und Betreuung im darauffolgenden Jahr an seine Mitarbeiter Will und Pollmann überging, blieben alle daraufhin an Pfister gerichteten Aufforderungen, bislang erstellte Unterlagen zu übergeben, erfolglos. Wie sich schließlich herausstellte, waren keine erstellt worden.595 Dies war kein Einzelfall, denn Pfister, der sich und dem Studien-Bureau einen umfangreichen Aufgabenkatalog oktroyiert hatte, hatte sich in Anbetracht des Personalschlüssels des Studien-Bureaus596 und seiner Persön lichkeit den eigenen Vorgaben letzten Endes als nicht gewachsen erwiesen. In dem bereits erwähnten Tätigkeitsbericht werden für den beschriebenen Zeitraum drei Experten tagungen und 19 Studienprojekte, davon neun in Vorbereitung, aufgeführt. Die Studienprojekte, für die Studienkommissionen gebildet wurden, lagen in den Händen von auswärtigen Experten und sollten sowohl die nationale als auch europäischen Dimensionen ihres Untersuchungsgegenstandes berücksichtigen.597 Hinzu traten Memoranden für eine zukünftige Militärakademie, eine 592 593
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Kurzprotokoll 25. Sitzung des Ausschusses Innere Führung, 2.12.53, BArch, BW 9/2592-1, Bl. 111 f., hier Bl. 112. Hervorhebung im Original. Siehe Baudissin, Aktennotiz über die Besprechung der Aufgabenverteilung »Innere Führung«, am 1. Dezember 1953, 4.12.1953, BArch, N 717/1, Bl. 167 f., hier Bl. 167. Am 20.11.1953 hatte Baudissin bereits dem Vorschlag Heusingers zugestimmt, Karst zum kommissarischen Leiter des Referates Erziehungsmethodik zu ernennen. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 20.11.1953, BArch, N 717/1, Bl. 143. Baudissin, Aktennotiz über die Besprechung der Aufgabenverteilung »Innere Führung«, am 1. Dezember 1953, 4.12.1953, BArch, N 717/1, Bl. 168. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 310, Anm. 91. Als Quelle diente Genschel ein Schreiben Wills an Baudissin vom 31.1.1955. Wie bereits erwähnt, legte Pfister erst am 29.4.1955 eine Auflistung über den »Stand der Studienprojekte auf dem Gebiet der Allgemeinen Information« vor. Hier wurden die Arbeitsfortschritte der Studien-Projekte 1‑5 (»Staatsbürgerkunde«, »Geschichte«, »Wehrgeschichte«, »Auslandskunde« und »Bolschewismus«) dargelegt, von denen lediglich das »Handbuch der Politischen Information« in einer dritten Fassung vorlag und bis Ende Juli 1955 fertiggestellt werden sollte. Für die anderen Vorhaben lagen lediglich Dispositionen vor. Siehe Studien-Bureau, Notiz, 29.4.1955, BArch, N 621/v. Kiste 3, S. 1 f. Das Studien-Bureau war personell lediglich mit seinem Leiter, zwei Sekretärinnen sowie einem nur kurzfristig tätigen Mitarbeiter (Herr E. Merker) besetzt. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 159. Für die Arbeiten des Bureaus im Rahmen des Auswahlverfahrens des Personlgutachterausschusses sowie der Annahmeorganisation trat die Psychologin Stephanie Krenn hinzu. In die Arbeitsphase waren bereits folgende Studienprojekte eingetreten: »Staatsbürgerkunde«, »Ge schichte«, »Wehrgeschichte«, »Auslandskunde«, »Bolschewismus«, »Aktuelle Information«, »Pädago gik«, »Psychologie«, »Verwaltung« (Planung von Lehrgängen für zukünftige Wehrbeamte), »Situa tionsanalyse«. In Vorbereitungen fanden sich die Studienprojekte: »Studium-Generale (Ethik)«, »Betreuung«, »Militär-Akademie«, »Informations-Dienst (Info-Offiziere)«, »Höhere Schule für Offiziers-Anwärter«, »Auswahlverfahren bei der Annahme-Organisation«, »Organisation- und
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Jugendleiterschule in Bayern, die Kontaktaufnahme und Verbindungspflege zu etwa 200 Institutionen und Organisationen sowie 70 Experten, 150 Fälle von Beratung, gutachterlicher Tätigkeiten und Auskunft innerhalb des Amtes und der Aufbau eines Dokumentenbestandes. Heusinger kommentierte diesen Bericht mit einem handschriftlichen Vermerk, in dem er die anmaßenden Ambitionen Pfisters sehr wohl zum Ausdruck brachte »und das offenkundige Bestreben nach Ausweitung seiner Kompetenzen kritisierte.«598 Eine Maßregelung und Konzentration Pfisters und des Studien-Bureaus auf die eigentliche und eng begrenzte Aufgabenstellung durch den Leiter der Militärischen Abteilung hatte dessen Vermerk indes nicht zur Folge: »Der Bericht ist nicht gerade von Bescheidenheit getragen. Er bauscht z[um] T[eil] erheblich auf und zeigt m[eines ] E[rachtens] deutlich, wie groß das Bestreben des Studienbüros nach Ausweitung ist. Aufgabe des Studienbüros soll sein: Beobachtung und Auswertung der Ergebnisse der Geisteswissenschaften für die militärischen Bedürfnisse, nicht aber Übertragung in den militärischen Bereich. Das Studienbüro gibt Hilfestellung, hat aber keine Exekutive. Auch der aus dem Bericht entstehende Eindruck, als ob all diese Probleme allein dem Studienbüro entsprungen wären, ist stark übertrieben.«599 Pfister, der den Eindruck erweckte, eine unangreifbare Rückendeckung durch die Führung des Hauses und von außerhalb zu besitzen,600 gelang es, sich bis zur Gründung des Bundesministeriums für Verteidigung 1955 einer Eingliederung in das Referat, später Unterabteilung »Innere Führung« erfolgreich zu entziehen601 und eine kooperative Zusammenarbeit mit Baudissin und seinen Mitarbeitern folgenlos zu verweigern. Entgegen einer Weisung vom Januar 1953 arbeitete Pfister völlig ohne Kontakt und Absprache sowie ohne Beauftragung durch das Referat »Innere
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Arbeitstechnik«, »Lebenskundlicher Unterricht«, »Militärpublikationen«. Siehe J. H. Pfister, Tätig keitsbericht Sep. 52‑Dez. 53 und Arbeitsplan 1954, 12.1.1954, BArch, N 621/v. Kiste 5, S. 4‑10. Genschel, Wehrreform, S. 159. Zit. nach ebd., S. 311, Anm. 94. Hervorhebungen im Original. In einem weiteren Tätigkeitsbericht des Studien-Bureaus hatte Pfister die Studienprojekte, die mittlerweile auf 21 angewachsen waren, von denen aber nur 18 Erwähnung fanden, in vier Gruppen eingeteilt (»Personalwesen«, »Unterricht und Information«, »Ausbildung und Organisation«, »Betreuung«). Eine Expertentagung zu »Grundlagen des militärischen Auswahlverfahrens« vom 30.3.1954 findet ebenso wenig Erwähnung wie Tätigkeiten auf dem Arbeitsgebiet Baudissins. Siehe Studien-Bureau, Arbeiten des StudienBureaus (STB), 23.11.1954, BArch, N 621/v. Kiste 16, Mappe Arbeiten STB 23-11-54, S. 1‑10. Heusinger zeigte sich überzeugt davon, dass Pfister direkte Kontakte zum einflussreichen Staats sekretär im Bundeskanzleramt Hans Globke besaß und ein Ausscheiden Pfisters Maßnahmen auf politischer Ebene nach sich gezogen hätten. Ungewissheit herrschte über die Verbindung zu ultramontanen Kreisen. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 19.2.1954, BArch, N 717/2, Bl. 108; vgl. auch Genschel, Wehrreform, S. 311, Anm. 97; S. 312, Anm. 103. Zur Person siehe Bevers, Der Mann. Mit der Gründung des Ministeriums 1955 wurde das Studien-Bureau in die Unterabteilung Personal eingegliedert, unter deren Führung es sich überwiegend Aufgaben im Rahmen der Vor be reitungen für die Aufnahme-Organisation zuwandte. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 312, Anm. 104. Darüber hinaus war Pfister, der bis 1968 als Angestellter im Ministerium verblieb, auch auf dem Gebiet der Nachwuchswerbung und der psychologischen Kriegsführung tätig. Vgl. Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 909. Dort auch die Hinweise auf die entsprechenden Eintragungen im Diensttagebuch Baudissin. Zur Dauer des Dienstverhältnisses vgl. Krüger, Das Amt Blank, S. 194.
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II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
Führung«, auch wenn dessen Belange betroffen waren.602 Laut Aussagen eines Zeit zeugen habe sich Pfister »seine Aufträge [stattdessen] meist selber gegeben. So habe er auch seine Tagungen ohne Beauftragung durchgeführt.«603 Nur zwei dieser Tagungen hatten erziehungswissenschaftliche Themen zum Inhalt, von der die erste im Juni 1953 stattfand. Unter dem Thema »Erziehung als Mittel der Inneren Führung«604 diskutierten Pädagogen, Sozial- und Politikwissenschaftler, Historiker, Juristen, Theologen sowie Vertreter der Jugendarbeit und ehemalige Generale über die Sachgebiete Soldatische Erziehung, Staatsbürgerliche Erziehung, Allgemein-menschliche Erziehung sowie Methoden und Techniken der Erziehung. Als Vertreter der Dienststelle Blank nahmen Baudissin, Karst, Dr. Karl Ernst Bumm605, Hauptmann d.R. a.D. Werner Knieper606 und Oberst i.G. a.D. Johann Adolf Graf von Kielmansegg607 teil.608 Baudissin und Karst beteiligten sich zwar an der Diskussion, traten aber nicht durch eigene Vorträge in Erscheinung; den Eröffnungsvortrag zur Inneren Führung hatte Kielmansegg gehalten.609 Als Ergebnis wurde festgehalten, dass die »wichtigsten Aufgaben der militärischen Information und Erziehung« darin bestünden, »den Soldaten das Wissen und die sittliche Berechtigung ihres Handelns (Verantwortung für andere in der Notwehrsituation), die persönliche Zustimmung zu ihrem Auftrag und die Überzeugung von der Notwendigkeit und Möglichkeit des Sieges zu vermitteln.« Die schwierigste Aufgabe »der militärischen Erziehung liegt in der Forderung, die sittliche Kraft des Soldaten so zu entwickeln, dass er trotz der ›unmenschlichen‹ Notwendigkeit des Kampfes auf Leben und Tod mit dem Gegner – Mensch bleibt.«610 602 603
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Genschel, Wehrreform, S. 158. Ebd., S. 307 f., Anm. 80. Insgesamt wurden von 1953 bis 1955 sechs Tagungen vom StudienBureau durchgeführt (»Information als Mittel der Inneren Führung« 1953, »Erziehung als Mittel der Inneren Führung« 1953, »Staatsbürgerliche und Europäische Erziehung« 1953, »Grundlagen des militärischen Auswahlverfahrens« 1954, »Staatsbürgerkunde und Bolschewismus« 1955, »Europäische Geschichte und Wehrgeschichte« 1955). Vgl. ebd., S. 308, Anm. 83. In den ausgewerteten Akten konnten zwar keine schriftlichen Unterlagen über die Vergabe von Aufträgen Heusingers an Pfister nachgewiesen werden, andererseits benötigte Pfister eine Genehmigung zur Durchführung und Bearbeitung der von ihm geplanten Tagungen und Studienprojekte für die Bereitstellung der hierzu notwendigen finanziellen Mittel. Den Antrag zur Bewilligung der Finanz mittel für fünf Expertenkonferenzen richtete Pfister an Wirmer. Siehe hierzu Studien-Bureau, Notiz Pfister an Wirmer, 17.3.1953, BArch, N 621/v. Kiste 13, Ordner Information, 1. Conferenz München, S. 1‑4. Studien-Bureau, Bericht über die 2. Sachverständigen-Konferenz ›Erziehung als Mittel der Inneren Führung‹, Frankfurt/M 26.‑28. Juni 1953, Juli 1953, BArch, N 621/v. Kiste 13, Ordner Erziehung, 1. Conferenz, S. 1‑7 (im Weiteren, Studien-Bureau, Bericht); auch BArch, BW 2/1376 (Abschrift), S. 1‑6. Bumm, Karl-Ernst, Mitarbeiter in der Dienststelle Blank. Keine weiteren Angaben ermittelt. Zu Knieper siehe Krüger, Das Amt Blank, S. 192. Zu Kielmansegg siehe ebd., S. 191; Feldmeyer/Meyer, Johann Adolf Graf von Kielmannsegg. Zur Teilnehmerliste siehe BArch, N 690/v. 124, S. 2‑5. Siehe Tagungsprogramm, BArch, N 690/v. 124, S. 2. Im Tagungsbericht wurde festgehalten, dass die »Erläuterungen der Aufgaben der ›Inneren Führung‹ und der ›Erziehung‹ von Graf Kielmansegg und Pfister [...] in einer Gesamtdarstellung des Programms ›Innere Führung der Truppe‹ verarbeitet [...] und zu gegebener Zeit« erscheinen würden. Hierzu sollte es jedoch nicht kommen. Siehe Studien-Bureau, Bericht, BArch, N 621/v. Kiste 13, Ordner Erziehung, 1. Conferenz, S. 2. Siehe Studien-Bureau, Bericht, BArch, N 621/v. Kiste 13, Ordner Erziehung, 1. Conferenz, S. 3.
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Für die weitere Arbeit wurden vier ständige Arbeitsgruppen zu den Bereichen Pädagogik, Psychologie, Situationsanalyse und Verwaltung gebildet. Grundlegende Papiere, die als Vorschriften oder Handlungsanweisungen für die Erziehung des Soldaten hätten dienen können, resultierten aus dieser Tagung und den Arbeits gruppen nicht. Eine abschließende Wertung Baudissins über die Tagung fehlt, da das Diensttagebuch des Referates »Innere Führung« erst im August 1953 begonnen wurde. Wie bereits erwähnt, diente die im November durchgeführte Tagung »Staatsbürgerliche und Europäische Erziehung«611 der Bearbeitung eines Textbuchentwurfes für einen Lehrgang zur staatsbürgerlichen und europäischen Erziehung. Über diese Tagung hielt Baudissin auf Grundlage eines Berichtes des Ministerialrates Heinz Neudeck (Rechtsabteilung) fest, dass das Gros der Teilnehmer Pfister skeptisch gegenüberstehe. Als geschickter Verhandlungsleiter spiele er alle gegeneinander aus und äußere sich abfällig über Karst und Baudissin, den er als einen Wanderprediger titulierte, in dessen Referat nichts passiere. Zudem werde der Dualismus zwischen Referat und Studien-Bureau auch von ausländischen Teilnehmern wahrgenommen.612 Pfister, befriedigt über »Niveau, Geist und Produktivität dieser GelehrtenTagung«, die durch »keine Dolchstoss-Gruppe und keine Brunnenvergifter« getrübt worden war, revanchierte sich in einem Brief an Arnold Bergstraesser.613 Bei den von Pfister und Baudissin veranstalteten Tagungen ergaben sich hinsichtlich der Teilnehmer nur wenige Überschneidungen. Abgesehen von den Ange hörigen des Referates nahmen Alfken, Dethleffsen und Bergstraesser an der ersten Erziehungstagung Pfisters teil.614 Im Anschluss an die wenige Monate später stattfindende und von Baudissin verantwortete Tagung zu den »Leitsätzen für die soldatische Erziehung« sagte sich Alfken, ebenso wie Beyer, Jentsch, Weniger und Wilhelm, von Pfister los und traten im Weiteren für die Arbeit des Referates ein.615 An der zweiten Tagung war neben Karst lediglich Dethleffsen beteiligt; Jentsch, Kampmann und Wilhelm waren verhindert, wollten aber Gutachten erstellen.616 Pfister selbst 611
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Studien-Bureau, Bericht über die Sachverständigen-Konferenz: ›Staatsbürgerliche und Europäische Erziehung‹, München – Gauting, 12.‑15. Nov. 1953, November 1953, BArch, BW 9/797 Bl. 2 f.; Studien-Bureau, Bericht über die Sachverständigen-Konferenz: ›Staatsbürgerliche und Europäische Erziehung‹, Gauting, 12.‑15. Nov. 1953, von G. Fauth und Dr. Th. Ellwein, 18.11.1953, BArch, BW 9/797, Bl. 4‑8. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 19.11.1953, BArch, N 717/1, Bl. 137. Neudeck wird in der Teilnehmerliste nicht genannt. Siehe Studien-Bureau, Bericht über die SachverständigenKonferenz: ›Staatsbürgerliche und Europäische Erziehung‹, Gauting, 12.‑15. Nov. 1953, von G. Fauth und Dr. Th. Ellwein, 18.11.1953, BArch, BW 9/797, Bl. 13‑15. Bergstraesser hatte an der Tagung nicht teilgenommen. Schreiben Pfister an Bergstraesser, 9.12.1953, BArch, N 621/v. Kiste 9 Ordner STB B, S. 1‑3, hier S. 1. Im Weiteren hält Pfister fest, dass die konfessionelle Brunnenvergiftung »von der interessierten Seite leider weiterbetrieben [wird], da man über sachliche Argumente offenkundig nicht verfügt.« Ebd., S. 3. Zur Teilnehmerliste siehe BArch, N 690/v. 124, S. 1 Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 30./31.10.1953, BArch, N 717/1, Bl. 107: »Alfken teilt eindeutige Entscheidung für IG mit, will mit Pfister nichts mehr zu tun haben. Gleiche Stellungnahmen: Beyer, Jentsch, Weniger, Wilhelm. Alle über Person und Dualismus besorgt.« Siehe Experten und Teilnehmerliste, in: Studien-Bureau, Bericht über die SachverständigenKonferenz: ›Staatsbürgerliche und Europäische Erziehung‹, Gauting, 12.‑15. Nov. 1953, von
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II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
nahm an den vom Referat organisierten Sachverständigentagungen zu Fragen der soldatischen Erziehung nicht teil. Im Gegensatz zu Baudissin hat Pfister kein eigenständiges Konzept für die Erziehung des Soldaten vorgelegt. Deutlich wird sein Erziehungsverständnis anhand einer Gedankenskizze zur Inneren Führung617, seines Schriftverkehrs mit Foertsch618 sowie seiner Reaktion auf die Leitsätze für die Erziehung des Soldaten.619 Er bleibt zwar die Definition eines von ihm vertretenen Erziehungsbegriffes schuldig, vertritt aber die These, dass »es Erziehung ›an und für sich‹ nicht gebe.« Die erzieherische Einwirkung sei stets an menschliche Tätigkeiten und Verhaltensweisen gebunden. Als Beispiele führt er die Erlernung eines Handwerks und die Ausbildung für eine bestimmte Leistung, etwa im Sport, an.620 Da sich der politische Auftrag der Streitkräfte auf die Ausbildung und Führung der Soldaten zwecks Verteidigung gegen äußere Feinde beschränke, »ist ›Erziehung‹ direkt nur soweit am Platze, als sie für die Zwecke der Ausbildung und Führung erforderlich ist.«621 Erziehung ist vorrangig politische Erziehung, die nur indirekt geleistet werden könne622 und auch nicht zu den primären Aufgaben des Militärs zähle.623 Für Pfister steht nicht der Erziehungs-, sondern der Ausbildungsbegriff im Mittelpunkt seiner Argumentation. Ausbildung konzentriert sich für ihn nicht allein auf »die Vermittlung der auf spezielle Berufe und Verrichtungen ausgerichteten Fähigkeiten und Fertigkeiten«624, sondern umfasst »die Entwicklung aller menschlichen Anlagen und Fähigkeiten zur harmonischen Persönlichkeit, die als solche ihre jeweilige Aufgabe sowohl für sich selbst wie für das Gesamtwohl erfüllt.« Daher sei der verkürzende Gebrauch des Ausbildungsbegriffs für das »technische Training« im Militär »ein Missbrauch der deutschen Sprache und sollte nicht wieder eingeführt werden.« Andererseits, so Pfister, »subsumieren die Soldaten, insbesondere die Reformer unter das Wort [Erziehung] alles mögliche [sic!], was mit ›Erziehung‹ nichts zu tun hat.« Hierzu zählt er unter anderem soziales Verhalten und menschliche Teilnahme! Seiner »Ansicht nach ist das Erziehungsmittel des Militärs die ›Ausbildung‹ selbst,
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G. Fauth und Dr. Th. Ellwein, 18.11.1953, BArch, BW 9/797, Bl. 14 f. Die Gutachten konnten nicht nachgewiesen werden. »Erziehung hat die Aufgabe, den Mann zum Manne zu bilden, d[as] h[eißt] diejenigen Eigenschaften und Fertigkeiten der Soldaten zu entwickeln und auf die militärische Ausbildung zu übertragen, die sie dann befähigen, ihrer Verantwortung als Soldat und Staatsbürger – entsprechend ihrem Rang und ihrer Aufgabe – wirklich nachzukommen.« STB, ›Information als Mittel der Inneren Führung‹. Erläuterung des Programms ›Innere Führung‹ (Gedankenskizze), 23.4.1953, BArch, N 621/v. Kiste 13, Ordner Information, 1. Conferenz München, S. 6. Siehe Anmerkung zum Vortragsentwurf »Die Armee im Staatsgefüge«, Anlage zu Schreiben Pfister an Foertsch, 12.12.1955, BArch, N 621 v. Kiste 19, Ordner STB F-G, S. 1‑3. Siehe Vorläufige Anmerkungen zu den Erziehungsleitsätzen, 29.6.1954, BArch, N 621 v. Kiste 4, S. 1‑4. Siehe auch S. 328‑332. Siehe ebd., S. 3, Zitat ebd. Siehe ebd., S. 2. Siehe STB JHP 1. Experten-Conferenz »Erziehung«, Notizen Pfisters, BArch, N 621/v. Kiste 13, S. 9. Siehe ebd., S. 27. So definiert Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, S. 39.
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weil nämlich Erziehung an und für sich – neben der Ausbildung – eine Fiktion ist.«625 Damit stellt sich Pfister dem Pädagogen Weniger diametral entgegen. Für diesen sollte die Erziehung des Soldaten als »eigenständige, von Führung und Ausbildung unterschiedene Aufgabe verstanden werden [...] Gegenüber Führung und Ausbildung besäße die Erziehung sogar den inhaltlichen Primat.«626 Obgleich Pfister dem Konzept der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform grundsätzlich zustimmte und sowohl eine intensive Ausbildung der zukünftigen Vorgesetzten als auch den Abschluss aller Vorbereitungen auf dem Gebiet der Inneren Führung forderte,627 lässt seine pädagogische Argumentation eine fundierte Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Pädagogik, insbesondere mit der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik, vermissen. Pfister will, so wird es auch seine noch vorzustellende Stellungnahme zu den »Leitsätzen für die Erziehung des Soldaten« zeigen, jeglichen militärischen Erziehungseinfluss auf die Soldaten verhindern und übersieht bei seinen berechtigten, einen Missbrauch vorbeugen wollenden Vorbehalten aber zugleich auch die Chancen, die sich durch ein pädagogisch verantwortliches Handeln sowohl für die Persönlichkeit des Soldaten als auch für die Auftragserfüllung der Streitkräfte bieten.
c) Der Deutsche Bundesjugendring Als vorrangig Betroffene einer in den Bereich des Möglichen rückenden Wiederbe waffnung Westdeutschlands setzten sich die Jugendverbände und die Studentenschaft bereits frühzeitig mit dieser einen Lebensabschnitt ihrer Mitglieder gravierend beeinträchtigenden Problematik auseinander und suchten das Gespräch mit der für Wehrfragen verantwortlichen Dienststelle der Bundesregierung. Als wertvoller Gesprächspartner für das Amt Blank sollte sich hierbei insbesondere der Deutsche Bundesjugendring als Dachverband der deutschen Jugendverbände erweisen, an dessen konstituierender Versammlung am 3. Oktober 1949 Vertreter von acht Jugendorganisationen mitgewirkt hatten. Angenommen und verabschiedet worden war die Satzung vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB-Jugend), der Evangelischen Jugend Deutschlands (EJD), der Naturfreundejugend (NFJ), dem Ring der Deut schen Pfadfinderbünde (RDP), der Sozialistischen Jugend Deutschlands – »Die Falken« (SJD) als einer der SPD nahestehenden Organisation sowie der Deutschen Sportjugend (DSJ). Die ebenfalls anwesenden Vertreter der Freien Deutschen Jugend (FDJ) hatten der Satzung auf Grund der darin aufgenommenen Verpflichtung zur Anerkennung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ihre Zustimmung versagt. Dieser Entschluss fand bei den anderen Gründungsmitgliedern unverhohlenen Beifall, ging es ihnen nach Aussage des damaligen Tagungspräsidenten, des DGB625
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Anmerkung zum Vortragsentwurf »Die Armee im Staatsgefüge«, Anlage zu Schreiben Pfister an Foertsch, 12.12.1955, BArch, N 621 v. Kiste 19, Ordner STB F-G, S. 1. Hervorhebung im Original. Hartmann, Erziehung, S. 265. Hervorhebungen im Original. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 160.
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Jugendsekretärs und Vorsitzenden des Landesjungendringes Nordrhein-Westfalen, Helmut J. Schorr, insbesondere auch darum, »die FDJ zu vermeiden. Wir wollten sie nicht dabei haben [...] Wir konnten uns auf alles einigen, aber nicht, dass die FDJ dazu gehörte.«628 Die Satzung des DBJR629 stellte fest, dass es sich um einen freiwilligen Zusam menschluss der auf Bundesebene tätigen Jugendverbände und der Landesjugend verbände handle, um deren »gemeinsamen Interessen zu fördern und dem Wohl der deutschen Jugend zu dienen.«630 Selbstständigkeit, Eigenart und Unabhängigkeit dieser Organisationen sollten durch den Beitritt nicht beeinträchtigt werden und trotz der Diskrepanzen mit der FDJ wurde die Bildung eines gesamtdeutschen Jugendringes auch weiterhin als ein besonderes Anliegen des DBJR angestrebt. Wesentliche Voraussetzung der Mitgliedschaft, die den auf Bundesebene arbeitenden Jugendverbänden sowie den Landesjugendringen offen stand, war die Anerkennung des Grundgesetzes mit den darin verankerten Grundrechten der Freiheit des Gewissens, der Person und der Gemeinschaft »sowohl in der Zielsetzung als auch in der praktischen Arbeit.«631 Darüber hinaus musste der jeweilige Jugendverband in der Mehrzahl der Länder öffentlich tätig sein und über mehr als 25 000 Mitglieder oder 500 Gruppen verfügen. Gehörte er als Jugendorganisation einem Erwachsenverband – Parteien, Gewerkschaft, Kirchen – an, war ein Jugendleben nach eigener Ordnung Voraussetzung, während für den Beitritt der Landesjugendringe galt, dass sie die von den Jugendverbänden ihres Landes anerkannten Vertreter der freien Jugendarbeit repräsentierten. Ihre Aufgaben sah die Interessenorganisation im Erfahrungsaustausch zur Mit wirkung an der Lösung anstehender Jugendprobleme, in der Förderung des gegenseitigen Verständnisses, der Bereitschaft zur Zusammenarbeit innerhalb der deutschen Jugend und eines gesunden Jugendlebens in sittlicher, sozialer und kultureller Hinsicht. Es galt, zu Fragen der Jugendpolitik und des Jugendrechts auf Bundesebene Vorschläge zu unterbreiten und Stellung zu nehmen sowie »die Interessen und Rechte der freien Jugendpflege gegenüber der Öffentlichkeit, den Volksvertretern und Behörden zu vertreten, [...] gemeinsame Aktionen und Veranstaltungen anzuregen, zu planen und durchzuführen [ebenso wie] internationale Begegnungen und Zusammenarbeit zu pflegen.«632 Eine für die Jugend, aber insbesondere für die hier erörterte Problematik maßgebliche Aufgabe sah der DBJR darin, »ein Aufleben mi-
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Zit. nach Gröschel, Immer in Bewegung, S. 43. Zur konstituierenden Versammlung des DBJR und der Auseinandersetzung mit der FDJ vgl. ebd., S. 40‑46; Gröschel/Pütz-Böckem, Gesellschaftliches Engagement, S. 206‑235. Teilgenommen hatten auch Vertreter der Jugend der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) und des Bundes Deutscher Landjugend (BDL), die jedoch nicht zu den Gründungsmitgliedern des DBJR zählen. Vgl. ebd., Anhang, S. 424. Die erste Satzung des Deutschen Bundesjugendringes, beschlossen auf der konstituierenden Ver sammlung in Altenburg, 1.‑3.10.1949, ist abgedruckt in: Gröschel/Pütz-Böckem, Gesellschaftliches Engagement, S. 215‑218, hier S. 215. Ebd., S. 215. Satzung des Deutschen Bundesjugendringes. In: Gesellschaftliches Engagement, S. 215. Ebd., S. 215 f.
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litaristischer, nationalistischer und totalitärer Tendenzen innerhalb der Jugend mit allen Kräften zu verhindern.«633 50 Jahre nach seiner Gründung sollten dem DBJR 22 Jugendverbände, die Landesjugendringe der 16 Bundesländer sowie fünf Anschlussverbände angehören.634 Mithin arbeiten nach dem 1969 erfolgten Austritt der Sportjugend alle größeren demokratischen Jugendorganisationen der Bundesrepublik unter dem Dach des DBJR zusammen, der laut Gröschel mit »Fug und Recht« für sich beanspruchen kann, »das Sprachrohr und die Interessenvertretung der Jugendverbandsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland zu sein.«635 Diese Legitimation musste sich die neu geschaffene Organisation bei ihrer Gründung aber zunächst noch erarbeiten, denn die geladene politische Prominenz war der Gründungsversammlung damals ferngeblieben. Indes gelang es dem DBJR, sich im Verlauf weniger Jahre zu einem in Jugendpolitik und Jugendhilfe anerkannten Partner zu entwickeln.636 So konnte es nicht ausbleiben, dass sich seine Vertreter als wichtige – wenn auch nicht gerade einfache – Gesprächspartner der Dienststelle Blank zur Frage des »Ob«, aber insbesondere des »Wie« eines deutschen Wehrbeitrages empfahlen. Gerade an der Mitarbeit und Zustimmung der Vertreter der zukünftigen Soldaten musste den Planern des Inneren Gefüges neu aufzustellender Streitkräfte sehr gelegen sein, wollte man der »Ohne-mich-Position« wirkungsvoll begegnen und sicherstellen, dass eine breite Akzeptanz der letzten Endes Betroffenen ein tragbares Fundament der eigenen Anstrengungen bildete. Dabei darf jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass 1952, als der Meinungsbildungsprozess zur Problematik eines Wehrbeitrages in der organisierten Jugend im Wesentlichen als abgeschlossen bezeichnet werden kann, nur etwa 20 Prozent der Jugendlichen in Westdeutschland in Organisationen eingebunden waren, die sich zu dieser Frage geäußert hatten.637 In einer am 25. November 1951 verabschiedeten Erklärung hatten die dem DBJR angeschlossenen Jugendorganisationen ihren Willen bekundet, die Befürchtungen und Vorstellungen der westdeutschen Jugendlichen hinsichtlich eines Wehrbeitrages gegenüber der Bundesregierung zu artikulieren. Regierung und Öffentlichkeit einen Eindruck darüber vermittelnd, »in welchen schweren innerlichen Konflikt die junge Generation [...] durch die Verhandlungen um die Frage eines deutschen Wehrbeitrages gestürzt worden«638 sei, forderte der Bundesjugendring die verantwortlichen Politiker auf, in eine sachbezogene Diskussion über die Probleme einzutreten, die eine Aufrüstung für die Jugend mit sich bringen würde. Hinsichtlich der Wehrfrage, so die Erklärung weiter, habe jegliche »Anwendung von Demagogie, von psychologischen, politischen oder materiellen Lockmitteln«639 zu unterbleiben oder müsse verhindert werden. Dies war eine Forderung, die konträr zu den Bemühungen 633 634 635 636 637 638 639
Ebd., S. 216. Vgl. ebd., S. 424‑427; auch Gröschel, Immer in Bewegung, Anhang, S. 116 f. Gröschel, Immer in Bewegung, S. 10. Vgl. ebd. Vgl. Rautenberg, Zur Standortbestimmung, S. 810. Hier auch Angaben zu den Mitgliedsstärken der jeweiligen Jugendverbände. Erklärung des Bundesjugendringes in Hannover, 25.11.1951. In: Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, Anlage 1, S. 124. Ebd.
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des Referates »Innere Führung« stand, deren Vertreter sich keine Gelegenheit entgehen ließen, insbesondere für das Konzept des Inneren Gefüges zu werben. Als neuralgische Punkte für die eingeforderte Diskussion führte der Bundesjugendring die mit Sorge beobachtete Zunahme der Soldatenverbände an. In ihnen sah der DBJR eine schwere Gefährdung seiner Zielsetzung, nämlich »die unter dem Eindruck des Krieges aufgewachsene Jugend zu einer demokratischen Lebensform zu erziehen.« Die Vergangenheit habe gezeigt, dass sich diese Verbände in Krisensituationen oftmals als eine Gefahr für die bestehende demokratische Ordnung dargestellt hätten und es bestünde die Gefahr, dass der Geist der vergangenen Epoche zu neuem Leben erwache. Daher werde der Bundesjugendring jeglicher Beeinflussung der Jugend durch derartige Zusammenschlüsse entgegentreten und lehnte insbesondere die Bildung eigener Jugendabteilungen dieser Verbände ab.640 Die Jugendorganisationen der Soldatenverbände sollten sich 1956 in der »Ar beits gemeinschaft Vaterländischer Jugendverbände« (AVJ) zusammenschließen. Den Anlass bildete eine Veranstaltung der mit Bundesmitteln geförderten Arbeits gemeinschaft Demokratischer Kreise (ADK) im Rahmen ihrer Werbemaßnahmen für die Wiederbewaffnung innerhalb eines westorientierten Sicherheitssystems. Nie als politisch handelnde Organisation in Erscheinung tretend, gehörten der AVJ der Deutsche Jugendbund Kyffhäuser (DJBK, Jugendorganisation des Kyffhäuserbundes), die Deutsche Jugend im Verband deutscher Soldaten (VdS), das Jugendkorps Scharnhorst (Jugendorganisation des Stahlhelm), die Bismark-Jugend (monarchistisch geprägte Organisation mit wenigen Gruppen im norddeutschen Raum), die Marine-Jugend (Jugendorganisation des Marinebundes), die Fallschirmjäger-Jugend (Jugendorganisation des Bundes Deutscher Fallschirmjäger) und der Jungstahlhelm (Untergliederung des Stahlhelm – Bund deutscher Frontsoldaten) an.641 Im Gegen satz zu den Verbänden im Bundesjugendring war ihre Jugendarbeit »weniger auf Jugend autonomie und jugendliche Lebensstile ausgerichtet, sondern auf die Tradierung soldatischer Haltungen und Wertorientierungen.« Damit setzten sie einerseits »die Arbeit der ›vaterländisch-deutschnationalen‹ Jugendabteilungen der Weimarer Republik fort, verstanden sich in der Mehrzahl aber auch als Instanzen ›staatsbürgerlicher Erziehung‹.« Die Aufnahme entsprechender Themeninhalte in die Jugendarbeit sowie ihr »plakatives Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung« spiegelten diese Position wider.642 Von den nationalistischen Jugendorganisationen, die sich 1954 im Kameradschaftsring Nationaler Jugendverbände (KNJ) vereinigten643, unterschieden sich die soldatischen Jugendverbände durch ihre in Einzelfällen nicht spannungsfreie, enge Anbindung an die soldatischen Traditionsverbände, ihre Konzentration auf
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Siehe ebd. Vgl. Dudek/Jaschke, Entstehung, Bd 1, S. 147 f. Vgl. ebd., S. 146 f. Zitate ebd. 1959 gehörten dem Kameradschaftsring 18 Jugendorganisationen an, die sich als »nationales Gegengewicht« zum Bundesjugendring verstanden. Siehe ebd., Bd 1, S. 135‑146; Bd 2, S. 235‑256.
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eine von Wangenheim explizit abgelehnte vormilitärische Ausbildung644, ihre apolitische und an britisch-amerikanischen Vorbildern orientierte Pfadfinderarbeit sowie ihr Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung und »ihre daraus resultierende Strategie, durch Aufnahme in die Jugendringe gesellschaftliche Akzeptanz zu erlangen.«645 Damit nahmen die soldatischen Jugendverbände eine Sonderstellung in der »jugendlich-rechtsextremen Subkultur« ein. Im Schatten der Traditionsverbände versuchten sich ihre Jugendorganisationen »zum Teil erfolgreich gegen die objektiv existenten und gesellschaftspolitisch forcierten [rechten] Gettoisierungstendenzen« zu wehren und »folgten deren Annährungsprozess an die Bürgerblockparteien Ende der Fünfzigerjahre.« Bestehende Verbindungen zu nationalistischen Gruppen wurden abgebrochen, rechtsextreme Aktivisten aus ihren Reihen ausgeschlossen. Einerseits »von den Arbeiterjungendverbänden, den Jugendringen und den Gewerk schaften als Träger nationalistischer Ideologie öffentlich angegriffen«, sahen sich die soldatischen Jugendverbände andererseits von der Bundeswehr umworben. Truppenbesuche, Fahrten auf Schulschiffen und die Teilnahme ihrer Mitglieder an »Informationsveranstaltungen« bedingten eine gesellschaftliche Aufwertung der wichtigsten Gruppen auch durch die um Personal ringenden Streitkräfte.646 Unzureichende Mitgliederzahlen zahlreicher Verbände und der erbitterte Wider stand der Jugendringe selbst, die den Kampf gegen nationalistische und revan chistische Tendenzen der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft zum Schwerpunkt ihrer Jugend- und Bildungsarbeit erkoren hatten, verwehrten den solda-
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»Paramilitärischer Aktionismus wurde vor allem in den Jugendorganisationen Jugendkorps Scharnhorst (10‑16 J.) und Jungstahlhelm (17‑21 J.) gepflegt. Dazu zählen Uniformierung, Aus bildung an Waffen, Wehrsportübungen und entsprechende weltanschauliche Schulung [...] Aller dings verfügte der Stahlhelm nur über wenige Jugendgruppen, da die traditionellen geographischen Schwerpunkte auf dem heutigen Gebiet der DDR lagen, eine gezielte Jugendarbeit nach 1951 nur in Ansätzen erkennbar ist. In der Regel hing sie von der örtlichen Initiative einzelner Funktionäre ab.« Ebd., Bd 1, S. 118. Einer vormilitärischen Ausbildung durch die Soldatenverbände erteilte Wangenheim 1956 eine eindeutige Absage und warnte sogar davor, zu diesem Zweck Jugendgruppen zu bilden. Ein solches Vorgehen schade nicht nur dem Ansehen der Bundesrepublik im Ausland, es »liege außerdem nicht im Sinne des Bundesverteidigungsministeriums, die wehrpflichtigen Jahrgänge in dieser Form auf ihren Dienst in der Bundeswehr vorzubereiten. Es sei völlig verfehlt, zu denken, dass nur etwa der ein guter Soldat werde, der eine vormilitärische Ausbildung nach dem Stil des Dritten Reiches genossen habe. Die Arbeit der bestehenden deutschen Jugendverbände, die ihre Mitglieder im demokratisch-staatsbürgerlichem Geist erzögen sowie ihr Interesse auf Spiel und Sport lenkten, sei gesund und dient der Sache mehr als ›zackiges Exerzieren‹.« Abschrift Meldung aus »Deutschen Presse-Agentur« (»dpa«) – Landesdienst Niedersachsen – vom 26.2.1956, BArch, N 493/16. Vgl. Dudek/Jaschke, Entstehung, Bd 1, S. 146 f. Zur Situation der soldatischen Jugendverbände ausführlich ebd., S. 146‑153. Die von diesen Jugendverbänden praktizierte Pfadfinderarbeit orientierte sich am britisch-amerikanischen Scoutismus. Im Gegensatz zur Bündischen Jugend, die es in dieser Form nur in Deutschland gab, wird im Scoutismus das Pfadfinderlager gepflegt, während sich die Aktivität der Bündischen Jugend stattdessen in der Fahrt ausdrückte. Vgl. Dudek/Jaschke, Entstehung, Bd 1, S. 147, Zitat ebd. Nicht alle soldatischen Jugendverbände zeigten sich bereit, den vor allem vom DJBK beschrittenen Anpassungsprozess an das bürgerliche Lager nachzuvollziehen. Dies galt insbesondere für die Jugendorganisationen des Stahlhelms »mit ihrer paramilitärischen Jugendarbeit und ihrer aggressiv antikommunistischen und geschichtsrevisionistischen Agitationsarbeit.« Ebd., S. 150, Anm. 27.
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tischen Jugendverbänden letztendlich die angestrebte gesellschaftliche Anerkennung durch eine Aufnahme in die Jugendringe.647 In seiner Erklärung hatte der DBJR 1951 nicht nur vor einem Wiedererstarken der Soldatenverbände und ihrer Jugendverbände gewarnt, sondern auch die Beratungen darüber, ob die Orden des Zweiten Weltkrieges in entnazifizierter Form in der Öffentlichkeit getragen werden dürften, als eine Beschwörung der alten Zeiten interpretiert und dieser Diskussion einen schädlichen Einfluss auf die junge Demokratie und die erzieherische Arbeit bescheinigt.648 Zeigte sich die CDU/CSU nicht gerade begeistert über den Beschluss des DBJR – man vermisste eine definitive Stellungnahme zum Wehrbeitrag und befürchtete eine Einmischung in die Zuständigkeiten von Parlament und Exekutive649 –, reagierten die Verantwortlichen in der Dienststelle Blank mit wesentlich mehr Finger spitzengefühl. In ihrem Bestreben, das Bild vom Staatsbürger in Uniform von repräsentativen Vertretern aller gesellschaftlichen Gruppen, also auch der Jugend, mitgestalten zu lassen, öffnete man einerseits »dem jugendlichen Unmut ein Ventil«, andererseits ergriff man die sich bietende »Chance, über sachbezogene Diskussion zu Verständnis durch Annäherung zu gelangen«, und tatsächlich »haben die Ergebnisse des Gedankenaustausches zwischen Bundesjugendring und Amt Blank sichtbare Spuren im Konzept der Inneren Führung und in der Wehrgesetzgebung hinterlassen.«650 In einem ersten Gespräch, das am 29. Januar 1952 in Köln zwischen den Vor sitzenden der zu diesem Zeitpunkt im Bundesjugendring vereinten Jugendverbände sowie Baudissin und Wirmer als Vertreter der Dienststelle Blank stattfand, wurde jedoch deutlich, dass die einzelnen Jugendorganisationen sehr unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Wehrfrage vertraten. Die im Bundesjugendring zusammengeschlossenen Organisationen kamen daher überein, diese divergierenden Positionen in Stellungnahmen zu präzisieren und sie auf einer weiteren Konferenz des Bundesjugendringes der Öffentlichkeit vorzustellen. Sollten sich die Teilnehmer von diesem Vorhaben eine gemeinsame, für die politische Auseinandersetzung brauchbare Verhandlungsplattform versprochen haben, sahen sie sich in ihrem Optimismus bitterlich enttäuscht, obwohl es nach Einschätzung des Verbandsekretärs und Vertreters der SJD – Die Falken in den Gremien des DBJR, Heinz Westphal, »von vornherein klar war, dass es auf diesem hochpolitischen Feld zu keiner gemeinsamen Aussage kommen konnte [...]«651 Mit dem Streit um die Remilitarisierung stieß die Dachorganisation der deutschen Jugendverbände in einer politischen 647 648 649
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Ihre Aufnahme erfolgte wie im Fall der Marine-Jugend lediglich auf kommunaler Ebene. Vgl. ebd., S. 152 f. Siehe Erklärung des Bundesjugendringes in Hannover, 25.11.1951. In: Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, Anlage 1, S. 124 f. »Mit Erklärungen [...], die dem Kern der Frage aus dem Wege gehen kann er [der Bundesjugendring] bei der Aktualität, die das Thema in der öffentlichen Diskussion bereits gewonnen hat, allzu leicht den Eindruck erwecken, als habe er bereits Stellung bezogen – und zwar negativ. Ausgerechnet diesen Eindruck aber, so dünkt uns, wollte er doch wohl vermeiden?!« Deutschland-Union Dienst, 12.12.1951, S. 5, zit. nach Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 573. Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 573. Westphal, Jugend, S. 165. Zur Person siehe Biographisches Handbuch, Bd 2, S. 944 f.
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Grundsatzfrage erstmalig an die Grenzen ihrer Einmütigkeit. Dass ein Konsens in dieser sehr emotional geführten Debatte nicht möglich sein würde, zeigte sich schließlich im April 1952 auf der 6. Vollversammlung des DBJR in Elmstein, als sich die Mitgliedsorganisationen nicht auf ein gemeinsames Kommuniqué einigen konnten. Stattdessen wurden die eingeforderten Stellungnahmen der Verbände in der »Elmsteiner Erklärung« festgehalten und der Öffentlichkeit bekanntgegeben.652 Zu einer klaren Pro- oder Contra-Position hatten sich nur die wenigsten Verbände durchringen können, während die NfJ653 und die SJD – Die Falken eindeutig negative Voten abgaben. Positiv fiel die Antwort des BDKJ aus, der sich die katholische Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) anschloss.654 Im November 1953 formulierte der BDKJ zudem eine sehr umfangreiche Stellungnahme zur Frage des Inneren Gefüges.655 Die Gewerkschaftsjugend zerfiel über die Wehrfrage in zwei Lager: Hatte sich die Jugend der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) dazu entschlossen, die Schaffung einer neuen Wehrmacht den politischen Entscheidungsträgern zu überlassen,656 fiel die unter größten Schwierigkeiten zustande gekommene Erklärung der DGB-Jugend (Jugendorganisation des Deutschen Gewerkschaftsbundes) mehrdeutig aus. Letztlich machte sie ihre Zustimmung davon abhängig, dass die Bevölkerung, insbesondere die Jugend, entgegen den bisherigen Gepflogenheiten die notwendigen sachlichen und objektiven Informationen durch die politischen Ver ant wortungs träger erhalte, damit die »Entscheidung als Wechselwirkung in der Öffentlichkeit reifen« könne: »Solange diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, lehnt die Gewerkschaftsjugend eine Beteiligung Deutscher an militärischen Sicherheitsmaßnahmen für Europa ab.«657 Die Mehrheit der Verbände konnte sich demnach nicht zu einem klaren Votum durchringen. Nach Einschätzung Westphals verbot sich aufgrund ihrer politisch heterogenen Zusammensetzung eine Festlegung zustimmender oder ablehnender Provenienz: »Ein politisches Engagement in diesem schwierigen, umstrittenen Feld wollten sie nicht eingehen.«658 652
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Vgl. Gröschel, Immer in Bewegung, S. 53 f.; Gröschel/Pütz-Böckem, Gesellschaftliches Engage ment, S. 267 f. Zum Wortlaut der einzelnen Stellungnahmen siehe Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, S. 113‑116 sowie S. 125‑152. Eine ausführliche Darstellung und Interpretation der Stellungnahmen bei Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 573‑578. Vgl. auch Westphal, Jugend, S. 165 f. Stellungnahme der Naturfreunde Deutschlands. In: Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, Anlage 9, S. 146 f., hier S. 146. Vgl. ebd., S. 114. Siehe Stellungnahme des Bundes der Katholischen Jugend zu Fragen des inneren Gefüges der deutschen Streitkräfte in der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, 11.11.1953. In: Ebd., Anlage 4, S. 129‑144. Entschließung der Jugend der Deutschen Angestelltengewerkschaft zum deutschen Verteidi gungsbeitrag. In: Ebd., Anlage 8, S. 146. Stellungnahme der Gewerkschaftsjugenddelegation zum Verteidigungsbeitrag anläßlich der 6. Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendringes vom 25. bis 27. April 1952 in Elmstein/Pfalz. In: Ebd., Anlage 7, S. 145 f., hier S. 146; siehe auch Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 579 f. Westphal, Jugend, S. 166. Zu den unentschlossenen Verbänden gehörte der Arbeitskreis der Evangelischen Jugend Deutschlands (AEJ), die Christliche Pfadfinderschaft Deutschlands, die
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Anders verhielten sich die Nachwuchsorganisationen der Parteien. Die Junge Union unterstützte Adenauers Politik der Westintegration und das Vorhaben, westdeutsche Streitkräfte in ein europäisches Sicherheits- und Verteidigungssystem einzuordnen, vorbehaltlos. Im engen Zusammenwirken mit der Mutterpartei und dem Amt Blank unterbreitete der eigens gegründete Ausschuss »Verteidigungsbeitrag« im weiteren Verlauf der Planungen »substantielle und detaillierte Vorschläge für den Aufbau westdeutscher Streitkräfte.«659 Die Jungliberalen ließen an ihrer Unterstützung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag ebenfalls keinen Zweifel aufkommen. Geprägt durch eine nationale Grundhaltung, »kannten sie keine militärpolitischen Skrupel« und zeigten sich Andersdenkenden gegenüber wenig tolerant.660 Während sich die Jungsozialisten bis 1955 einer Teilhabe an der Diskussion um die Wehrfrage enthielten, sprach sich die der SPD nahestehende Jugendorganisation »Die Falken« gegen einen Wehrbeitrag aus. Sie teilte »die Auffassung Gustav Heinemanns, wonach es den drei Westalliierten oblag, die Integrität der Bundesrepublik nach außen zu wahren.« Als Gegenleistung boten sie an, sich in Zusammenarbeit mit den anderen Jugendverbänden »für die soziale Sicherheit in der Bundesrepublik und darüber hinaus im westlichen Europa einzusetzen, also für die Immunisierung gegenüber der bolschewistischen Fünften Kolonne zu arbeiten. Stabilisierung und Sicherheit der Freiheit nach innen, dies betrachteten sie als Beitrag der Bundesrepublik zum Frieden.«661 Bei den kommunistischen Jugendverbänden stießen die Pläne erwartungsgemäß auf einhellige Ablehnung.662 Obwohl sich die akademische Jugend Anfang der 1950er-Jahre mit Ausnahme einer verschwindend geringen Minderheit politisch organisierter Studenten mehrheitlich desinteressiert gegenüber politischen Belangen zeigte, erfuhr die Problematik des Wehrbeitrages eine relativ hohe Beachtung. Die Delegiertenkonferenz des Verbandes deutscher Studentenschaften – hierbei handelte es sich um die Vertretung der Allgemeinen Studentenausschüsse (ASTA) der einzelnen Universitäten – hatten sich bereits frühzeitig der beginnenden Wehrdebatte zugewandt und im November 1950 beschlossen, »mit den zuständigen Bonner Stellen in Sachen ›Wiederaufrüstung‹ und Wehrpflichtregelung Verbindung« aufzunehmen.663 Befragungen an der Technischen Hochschule in Stuttgart (1950) und an den Universitäten Frankfurt/M. und Mainz (1952), bei denen sich nur etwa die Hälfte der Studenten zu einer Meinungsäußerung bewegen ließen, ergaben ein negatives Votum hinsichtlich ei-
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sich der Erklärung der AEJ angeschlossen hatte, der Bund Deutscher Pfadfinder, die Deutsche Sportjugend, der Bund der Deutschen Landjugend, die Wanderjugend, die Jugend des Alpenvereins und die Schreberjugend. Siehe und vgl. hierzu Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, S. 113‑116 sowie S. 125‑152; Westphal, Jugend, S. 165. Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 570. Ebd., S. 571. Vorrangiges Feindbild war der ehemalige U-Boot-Kommandant des Ersten Weltkrieges, KZ-Häftling und Gegner einer Wiederbewaffnung, Pastor und Kirchenpräsident der hessisch-nassauischen Landeskirche Martin Niemöller. Zur Person siehe Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, S. 336 f. Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 571 f. Vgl. ebd., S. 572. Ebd., S. 580.
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nes westdeutschen Verteidigungsbeitrages.664 Das Recht und die Notwendigkeit zur Verteidigung der Bundesrepublik wurden jedoch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Ihre Zustimmung zu einer deutschen Wiederbewaffnung machten die in Stuttgart befragten Studenten von der Erfüllung folgender Voraussetzungen abhängig: wirtschaftliche und politische Gleichberechtigung, Schaffung einer europäischen Union und Armee, Abschluss eines Friedensvertrages, Wiedervereinigung Deutschlands und Rückgewinnung der Ostgebiete, Rehabilitation des deutschen Soldaten, Auf hebung des Besatzungsstatutes und Abzug der Besatzungstruppen, eine deutsche Wehrhoheit, Abschluss eines Sicherheitsvertrages und Planung einer sinnvollen Ver teidigung gegen den Bolschewismus.665 Die anhand der Antwortauswertung ermittelte Rangfolge lässt darauf schließen, dass die zukünftige Führungselite vorrangig die Voraussetzungen erfüllt wissen wollte, die ihr individuelles Fortkommen in einem friedlichen, auf gleichberechtigter Koexistenz basierenden Europa sichern sollten; sozialer Friede und die Rückkehr der Kriegsgefangenen stellten in ihren Erwartungen nur marginale Randnotizen dar. In München stellte sich die Situation gegenläufig dar, als sich die überwiegende Mehrzahl der Studenten 1952 auf einer Versammlung zum Thema »Unsere Stellung zum Wehrbeitrag« für eine Wiederbewaffnung aussprach, sofern Deutschland die volle wirtschaftliche, politische und militärische Gleichberechtigung gegenüber den anderen europäischen Nationen erhalte. Die Bundesregierung wurde lediglich gebeten, die Studenten vor der Verkündung eines Wehrgesetzes anzuhören.666 In Göttingen wurde 1952 von der Hälfte der ASTA-Mitglieder die Auffassung vertreten, dass eine Wiederbewaffnung die Trennung der beiden deutschen Staaten zementieren würde. Der Militärhistoriker Hans-Erich Volkmann interpretiert die abschlägigen Ergeb nisse der Meinungsumfrage als »relative Aufgeschlossenheit und Zugänglichkeit gegenüber den deutschlandpolitischen Auffassungen Gustav Heinemanns«, der eine Wiederbewaffnung ablehnte und um der Wiedervereinigung Willen die Position einer Neutralität zwischen Ost und West vertrat.667 Diese Einstellung hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer bereits im Februar 1951 veranlasst, seine Position in der Wehrdebatte vor der Bonner Studentenschaft zu verteidigen. Im darauffolgenden Jahr sprach Blank ausführlich über das »Wie« eines deutschen Verteidigungsbeitrages, wurde von den Bonner Studenten »aber sehr rasch auf die Frage nach dem Ob zurückgeführt [...], wobei wiederum und immer noch die Hauptsorge geäußert wurde, man verspiele mit der militärischen Westintegration die Wiedervereinigung.« 1953 hatte sich die Stimmung an der Universität zu Bonn bereits zugunsten der Adenauer’schen Position gewandelt, indes das Projekt eines 664 665 666
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Vgl. Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, S. 116‑118; Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 580. Vgl. Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, S. 117. Vgl. ebd.; Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 580. An der Versammlung hatte auch der CSU-Bundestagsabgeordnete und zukünftige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Richard Jaeger als Referent teilgenommen. Vgl. Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 581.
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neutralen, wiedervereinigten Deutschlands »als ideales, gleichwohl aber realitätsfernes Konzept skeptisch hinterfragt« worden war.668 Am ehesten hätte man wohl von den korporierten Studenten eine uneingeschränkte Zustimmung zu den Plänen eines westdeutschen Verteidigungsbeitrages erwartet.669 Von Zweifeln geplagt und mit Ressentiments behaftet, taten sich die Burschenschaften jedoch »schwer mit dem neuen Staat, mit dem neuen Europa, mit den zukünftigen Alliierten.« Wehrhaftigkeit und Waffenfreudigkeit waren unzweifelhaft vorhanden, doch für wen und wessen Interessen streiten? Für die Freiheit der eigenen Person und des deutschen Volkes unbestritten, aber für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft? Sollte man in deren Rahmen für »diesen halbsouveränen Torso des zerschlagenen« Vaterlandes kämpfen oder wie die Brüder jenseits des Eisernen Vorhangs für die Russen als Fremdenlegionäre für die westliche Welt marschieren? Fragen auf diese Antwort hatten die Korporationen auf den Treffen der ehemaligen Soldaten »gesucht und wohl auch gefunden [...] insbesondere auf dem Fallschirmjägertreffen« 1951, auf dem die Burschenschafternadel »ziemlich häufig« zu sehen war. Die Freiheit, »die es ihrem Ethos zufolge bedingungslos zu verteidigen galt«, schien ihnen im Verbund mit den Frontsoldaten vom Osten her bedroht. Ohne Hurrastimmung, sondern von der nüchternen Erkenntnis in die Notwendigkeit geleitet, solidarisierten sich die Korporierten mit dem ehemaligen General der Fallschirmtruppe Bernhard Ramcke670 und den Bedingungen des »Bundes Deutscher Fallschirmjäger« (BDF) für eine Beteiligung Westdeutschlands an der Verteidigung Europas. Dieser forderte »keine Verteidigung eines nebelhaften Europas, sondern eines Europas, dessen politische und soziale Struktur schon deutlich erkennbar war und das bereits Stellung und Aufgabe, die dem deutschen Volke zufielen, definiert hatte.«671 Volkmann sieht hierin die Forderung nach einer Sicherung der Vormachtstellung Deutschlands im künftigen Europa. Des Weiteren erscheint es ihm auch höchst zweifelhaft, »ob die Burschenschafter unbedingt ein demokratisches Europa im Sinn hatten; General a.D. Ramcke, auf den man sich berief, hatte es sicher nicht: ›Wir scheuen als alte Soldaten den Tod nicht; wir sind aber auch nicht bereit, als ›Straf bataillone‹ veralteter Demokratien im Niemandsland zu verbluten‹.«672 Weitere Forderungen Ramckes und der Burschenschafter galten der sofortigen »Einstellung und Beseitigung jeglicher Diffamierung und Diskriminierung des deutschen Volkes, insbesondere der ehemaligen Soldaten einschließlich der Waffen-SS und der Polizei [sowie die] Freilassung der verurteilten und nichtverurteilten ›sogenannten‹ deutschen Kriegsverbrecher und Bestrafung der wirklich Kriminellen durch deutsche Gerichte.« Obgleich die Burschenschaften diese Forderungen Ende 1951 noch nicht erfüllt sahen, sollten der »Ohne-mich!«-Gesinnung in den eigenen Reihen entgegengetreten und »die Mitglieder zu einer wehrhaften Haltung erzo668 669 670 671 672
Ebd., S. 580. Zur korporierten Studentenschaft und Wehrbeitrag vgl. ebd., S. 581‑584. Zur Person siehe Die Generale der deutschen Luftwaffe, Bd 3, S. 76‑78. Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 582 f., Zitate ebd. Ebd., S. 583.
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gen werden.«673 Nur ein wehrhaftes Europa sei in der Lage, Deutschland sowohl die Sowjetknechtschaft als auch den drohenden dritten Weltkrieg zu ersparen und beizeiten den Eisernen Vorhang zu überwinden – nötigenfalls auch getreu dem Fallschirmjägerlied mit den Waffen.674 Einem tiefen Antiamerikanismus verhaftet, zweifelte man in Korporiertenkreisen am Willen der USA, der europäischen Nachbarn und der Bunderegierung zur Wiedervereinigung ohne militärische Westintegration. Infolgedessen forderte die Monatszeitschrift »Der Burschenschafter« die Wiedervereinigung Deutschlands unter der Bedingung der Neutralität. Wäre sie erreicht, ließe sich »der Aufbau eines machtvollen Deutschland ohnehin nicht mehr verhindern.« So hieß es dort: »Wehrhafte Demokratie, neutral im europäischen strategischen Raum, ein freier, einheitlicher unabhängiger Staat der Deutschen, kulturell verbunden mit dem Westen, wirtschaftlich frei nach allen Seiten, militärisches Trennungsfeld zwischen Osten und Westen, mit Sicherheitsgarantie und Nichtangriffspakten. Wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, von dem aus die gesamte Welt den neuen Staat der Deutschen wieder am Horizont auftauchen sieht. Jetzt muss die gesamte Deutsche Burschenschaft auf politische Wache ziehen, wenn ihr Dasein sich noch einmal vor der Geschichte rechtfertigen soll.«675 Diese sicherheitspolitisch naive Utopie erfüllte sich weder bei den Verhandlungen über die EVG noch in deren Vertragstexten und folglich weinten die Burschenschafter der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nach deren Scheitern keine Träne nach.676 Von der Mehrzahl der nicht politisch organisierten Studenten und den Korpo rierten konnte das Amt Blank demnach weder Mitarbeit noch Billigung erwarten. Andererseits zeigt sich anhand des Beispiels der Burschenschaften, dass die Erforschung der Wehrproblematik in den frühen 1950er-Jahren nicht nur militärhistorische Erkenntnis birgt, sondern gerade »an dieser politisch sensiblen Thematik [...] immer wieder deutlich [wird], auf welchen geistigen und politischen Grundlagen das junge Bonner Staatswesen stand, mit welch unterschiedlichsten Geistes Kindern man es zu tun hatte, deren Erziehung zum freien demokratischen Rechtsstaat, zur Einsicht in die fragwürdige, vielfach verbrecherische jüngste politische Vergangenheit gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein musste.«677 An dieser Erziehungsaufgabe musste auch die Bundeswehr mitwirken. Anders stand es um die politisch organisierte oder gebundene Studentenschaft. Als deren Vorreiter fungierte der Liberale Studentenbund Deutschlands (LDS), der bereits 1951 einen positiven Beschluss für einen westdeutschen Wehrbeitrag im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft gefasst hatte und seine Vorstellungen über eine zukünftige Wehrverfassung 1952 in einer Broschüre begründete. Die Studenten plädierten darin »für die politische-parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte, wollte[n] die allgemeine Wehrpflicht, riet[en] mit Rücksicht auf den 673 674 675 676 677
Ebd. Vgl. ebd.: »An die Gewehre! An die Gewehre! Kamerad, da gibt es kein Zurück. / Fern im Osten steh’n dunkle Wolken – Komm mit und zage nicht, komm mit!« Zit. nach ebd. Zit. nach ebd., S. 584. Vgl. ebd. Ebd., S. 583 f.
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Beruf zu einer kurzen Wehrdienstzeit, ergänzt durch Reserveübungen, erwartet[en] eine Führerauswahl, die die Eignung als demokratische Erzieher zur eigentlichen Orientierungsmarke machte, und [...] erhob[en] den Bürger in Uniform zum Leitbild des zukünftigen Soldaten.« Die Aufgabe des Verteidigungsministers sollte ein Zivilist wahrnehmen. Vom Amt Blank als diskussionswürdig, von den »christdemokratisch bzw. christlich sozial und sozialdemokratisch ausgerichteten Studentenbünden als konsensfähig« interpretiert, standen diese Thesen im Juni 1953 im Mittelpunkt einer Tagung, an denen Delegierte der politischen Studentenvereinigungen, namhafte Vertreter der demokratischen Parteien, Angehörige des Amtes Blank sowie ehemalige Generale als militärische Sachverständige teilnahmen.678 Die als Ergebnis der Tagung formulierten Forderungen plädierten für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag in einer europäischen Armee und umrissen »die Stellung der Streitkräfte im Staat, die Stellung des Staatsbürgers in den Streitkräften ebenso nach dem Prinzip des Bürgers in Uniform [...] wie das entwickelte Konzept zur staatsbürgerlichen Erziehung, zur Führerauslese und letztlich zur rechtlichen Stellung des Soldaten.«679 Im Verlauf weiterer Gespräche mit Vertretern der organisierten Studentenschaft gewann das Amt Blank den Eindruck einer weitgehenden »Aufgeschlossenheit der Studentenvertreter gegenüber den Vorstellungen der Dienststelle.«680 Ähnliches galt auch für die sich 1952 abzeichnende Zusammenarbeit mit dem Bundesjugendring. Die erste, von Westphal als sehr vorsichtig geführt charakterisierte Gesprächsrunde mit Vertretern der Dienststelle und interne Diskussionen hatten den Dachverband der deutschen Jugendverbände schließlich zur Vorbereitung eines umfangreichen Fragekatalogs veranlasst, »um vom Amt Blank festhaltbare Aussagen zu allen uns wichtigen Problemen zu erhalten«, die von der Wiederverwendung ehemaliger Wehrmachtgeneräle bis zur Frage reichten, wie eine Wiederauferstehung des »Kadavergehorsam« zu verhindern sei. Die im August 1953 eingetroffene und sehr
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Vgl. ebd., S. 584 f., Zitate ebd. Studentische Delegierte hatten der Ring Christlich-Demokratischer Hochschulgruppen (RCDS), der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), der Internationale Studentenbund, die Katholischen und Evangelischen Gemeinschaften, der Bund Demokratischer Studentenvereinigungen (BDSV), der Liberale Studentenbund Deutschlands (LSD) und einzelne Kooperationen entsandt. Als Parteienvertreter waren unter anderem Fritz Erler (SPD), Erich Mende (FDP), Franz Josef Strauß (CSU) und Ernst Majonica (CDU) vertreten, für das Amt Blank sprachen Theodor Blank und Heinz Karst. Als militärische Sachverständige traten General der Inf. a.D. Schulz (wahrscheinlich General Friedrich Schulz, sicherheitspolitischer Sachbearbeiter in der FDP-Bundesgeschäftsstelle in Bonn) und General der Pz.Tr. a.D. und FDP-Abgeordneter im Deutschen Bundestag Hasso von Manteuffel hinzu. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 584. Siehe auch »Forderung der politischen und freien Studentenverbände zur Gestal tung einer deutschen Wehrverfassung«, BArch, BW 9/2830, S. 1‑11. Zu den internen Auseinan dersetzungen über den Forderungskatalog im SDS vgl. Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 585 f. Eine weiterreichende Auseinandersetzung innerhalb der Studentenschaft über Sicher heitspolitik und Wehrverfassung fand auch auf den Studententagen 1952 und 1954 nicht statt. Vgl. ebd., S. 587. II/IG, Vermerk über die Diskussion mit den Vorständen der politischen und freien Studentenverbänden Deutschlands in Bonn, Koblenzer Straße, am 9.1.1954, 10.00 Uhr, 11.1.1954, BArch, BW 9/2830, S. 1‑4, hier S. 4.
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ausführlich ausgefallene Antwort hatte dem Bundesjugendring nach Einschätzung seines Mitbegründers Westphal das Gefühl einer Umarmung vermittelt.681 Trotz der innerhalb des DBJR divergierenden Positionen zu einem westdeutschen Wehrbeitrag wurden die Gespräche über die Ausgestaltung des Inneren Gefüges fortgesetzt. Im Folgenden nahm der DBJR unter anderem ausführlich zur Frage der Disziplinarstrafe des Arrestes Stellung682 und schlug die Einrichtung eines Beirates unter Beteiligung der Jugendverbände als Beratungsorgan der Truppenführung vor.683 Darüber hinaus werteten die Vertreter des Amtes Blank Berichte über Veran staltungen der Jugendverbände aus und nahmen an Veranstaltungen des DBJR und einzelner Jugendverbände als Referenten teil.684 An der nachfolgenden Gestaltung der »Leitsätzen für die Erziehung des Soldaten« hatten die Vertreter des DBJR keinen Anteil; diese Tätigkeit blieb den wissenschaftlichen und militärischen Experten vorbehalten. Der DBJR wurde erst 1954 über die Erarbeitung von Grundsätzen für die Erziehung der Soldaten informiert.685 Die dargestellten Sachverhalte und zahlreiche Einträge über Gespräche mit Vertretern der Jugendverbände im Tagebuch des Referates »Inneres Gefüge« verdeutlichen den Stellenwert, den das Amt Blank der Zusammenarbeit mit den Vertretern der zukünftigen Soldaten beimaß. In seinem Abschlusswort anlässlich einer Besprechung 681
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Vgl. Westphal, Jugend, S. 167; Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 578. Den Wunsch Baudissins, Westphal möge Offizier in der neuen Bundeswehr werden, lehnte er jedoch aus tiefster Überzeugung ab. Zum Fragenkatalog des DBJR siehe IG/II, Beantwortung des Fragenkataloges des Deutschen Bundesjugendrings an die Dienststelle Blank, 14.8.1953, BArch, BW 9/220, und Der deutsche Soldat in der Armee von morgen, Anlage 11. Siehe u.a. Stellungnahme von Jugendorganisationen zur Disziplinarstrafe des Arrests, 2.12.1952, BArch, N 690/v. 184, S. 1‑3. Siehe Erste Niederschrift des Stenogramms anläßlich der Diskussion mit dem Bundesjugendring am 3.2.54, BArch, N 690/185, S. 1‑13, hier S. 6. Ob der Vorschlag des DBJR zur Einrichtung eines Beirates als Beratungsorgan der Streitkräfte als eigenständiger Vorstoß zu werten ist oder letztlich auf einer Bemerkung Karsts in der Diskussion zurückzuführen ist, als er auf einen einzurichtenden »Erziehungsbeirat in den Streitkräften mit Impulsen nach und von außen« verwies, kann hier nicht abschließend beantwortet werden. Ebd., S. 4. Meyer führt die Gründung des Beirates auf frühe, nicht weiter verfolgte Überlegungen des Amtes Blank zurück, die vom DBJR im Herbst 1956 erneut aufgriffen und an Strauß herangetragen worden sind. Vgl. Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 979. Der »Beirat für Fragen der Inneren Führung« wurde 1958 von Verteidigungsminister Franz Josef Strauß ins Leben gerufen. Aufgabe des Beirates, der sich aus Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Vertretern der verschiedenen für die Bundeswehr wichtigen Institutionen zusammensetzt, ist die gutachterliche Beratung und Unterstützung des Ministers zu Fragen der Inneren Führung. Vgl. Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 979‑997; Ilsemann, Die Innere Führung, S. 243‑246. Im ersten Beirat, dessen Mitglieder für vier Jahre berufen waren, vertrat der evangelische Theologe Eberhard Stammler die Jugendverbände. Zur Person siehe Nägler, Der gewollte Soldat, S. 411, Anm. 208. Siehe unter anderem Bericht über die Teilnahme am Freizeitlager des Nordbundes (CVJM) für aus der Ostzone geflohene junge Männer, BArch, BW 9/1270, Bl. 1‑5; II/1/Gr. 1 Baudissin, Aktennotiz über die 12. Vollversammlung des deutschen Bundesjugendringes am 6. Mai 1955 in Stuttgart, 7.6.1955, BArch, N 717/4, Bl. 141‑144; II/1/Gr. 1, Niederschrift über Bundes jugendringsitzung, 23.6.1955, BArch, BW 9/1270, Bl. 6‑11; II/1/Gr. 1 Karst, Aktennotiz zum Jugendtreffen der Katholischen Jugendführer in Bergisch-Gladbach am 2. Juli 1955, 7.7.1955, BArch, BW 9/3637, Bl. 10 f. Siehe Erste Niederschrift des Stenogramms anläßlich der Diskussion mit dem Bundesjugendring am 3.2.54, BArch, N 690/185, S. 11.
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mit Vertretern des DBJR im Februar 1954 hatte Heusinger um deren Mitarbeit gebeten. Gemeinsames Ziel müsse es sein, die demokratischen Prinzipien der Innere Führung zu verwirklichen und den Heranwachsenden zu vermitteln.686 Demzufolge zeigte sich die Dienststelle nach dem Rückzug des DGB-Jugendausschusses von den Gesprächen im Frühjahr desselben Jahres auch weiterhin bemüht, den Dialog mit dieser einflussreichen Vertretung der Arbeiterjugend aufrechtzuerhalten und eine Entfremdung zu vermeiden.687
d) Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954 Die Ergebnisse der Siegburger Tagungen sowie deren Redaktion und Weiterbearbei tung durch die interne Arbeitsgruppe »Grundsätze für die soldatische Erziehung« fanden schließlich im Entwurf der »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« vom 18. Mai 1954 ihren Niederschlag.688 Von Karst nicht als »Gesamtkompendium der Inneren Führung«, sondern als »ganz pragmatische Faustregeln für das erzieherische Verhalten der Vorgesetzten im täglichen Dienst« beschrieben, würden sie in ihrer endgültigen Fassung aus vier aufeinander bezogenen Abschnitten bestehen. Eingeleitet von einer Präambel, die dem Zweck diente, das »Wofür« und die Aufgabe der Erziehung in den Streitkräften zu erläutern, sollten sich die Leitsätze für die Erziehung, die politische Bildung sowie für die Ausbildung anschließen. Diese Handreichungen, so Karst weiter, müsse man in den Gesamtkanon all der Vorschriften eingebettet sehen, die das Innere Gefüge betrafen.689 Zwar enthielten diese – ebenso wie die noch hinzukommenden Ausbildungsvorschriften – »auch« erzieherische Aspekte, die vorliegenden »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« stellten jedoch eine »ausdrücklich[e]« Zusammenfassung des erzieherischen Wollens dar. Ähnlich wie die Sätze in der H.Dv. 130/1 bewusst allgemein gehalten, sollten sie den zukünftigen Offizieren und Unteroffizieren »Anhalt und Richtung« ge686 687
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Ebd., S. 12 f. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 5.5.1954, BArch, N 717/2, Bl. 255. Der Bundesjugend ausschuss des DGB hatte dem Druck der gewerkschaftlichen Jugendbasis nachgegeben und den Dialog unterbrochen. Einerseits sollte in der Öffentlichkeit der Eindruck vermieden werden, dass die deutschen Jugendverbände eine positive Stellung zur EVG und der Wiederbewaffnung eingenommen hätten, andererseits sei man bei dem Versuch, Einfluss auf die Wehrpolitik und Wehrverfassung zu nehmen, gescheitert. Vgl. Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 579. Zur Reaktion der Dienststelle auf den Vorwurf der Einflusslosigkeit siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Pollmann, 26.4.1954, BArch, N 717/2, Bl. 227; ebd., Eintrag Pollmann, 27.4.1954, Bl. 230; ebd., Eintrag Karst, 27.4.1954, Bl. 232; ebd., Eintrag Baudissin, 12.6.1954, Bl. 316. Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 4‑10. Hierzu zählte er die »Allgemeine Disziplinarordnung«, den »Leitfaden für die soldatische Ordnung«, in dem die entscheidenden Fragen soldatischen Daseins wie Verantwortung, Gehorsam, Disziplin und Kameradschaft dargelegt werden, die »Disziplinarordnung«, die »Beschwerdeordnung«, die Vorschrift für den Vertrauensmann, den »Inneren Dienst«, die »Grundzüge der Information in der Truppe« sowie die »Grundzüge für die Betreuung der Soldaten«. Siehe Schreiben Karst an Heusinger, Vermerk zur Stellungnahme des Generals der Inf. a.D. Hermann Foertsch zu den »Leitsätzen für die soldatische Erziehung« vom 1.7.1954, 21.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 87‑94, hier Bl. 87. Hervorhebungen im Original.
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ben sowie ihrer »persönlichen Initiative« einen genügenden Raum zugestehen. Von den für die Erziehung verantwortlichen Vorgesetzten verlangte Karst eine sorgfältige Interpretation der Leitsätze im Rahmen des Offizierunterrichtes und der Unteroffizierausbildung. Ziel dieser mündlichen Auslegung sollte es sein, »die erzieherische Verantwortung [zu] vertiefen und die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse für Kommandeure und ihre Offiziere und Unteroffiziere verbindlich [zu] machen. Die Einleitung zur ›Truppenführung‹ zum Beispiel hat auch der junge Offizier beim ersten Lesen in der Regel nicht voll verstehen können. Die Sätze enthüllten sich erst in ihrer Tiefe, wenn man sie oft und immer wieder studierte«690 – eine Pflicht, der man sich seinem Dafürhalten nach in der Vergangenheit gerne entzogen hatte. Die vorgelegte Entwurfsfassung entbehrte sowohl der angesprochenen Präambel sowie eines Abschnittes mit den von Weniger in die Diskussion eingebrachten, aber von den Tagungsteilnehmern abgelehnten Formulierungsvorschlägen zur politischen Bildung. Obgleich ein entsprechender Vorschlag Nährings, die bisherigen Ausbildungsvorschriften als Grundlage der gemeinsamen Arbeit zu nutzen, von den anderen Mitgliedern der hausinternen Arbeitsgruppe verworfen worden war, war eine enge strukturelle und inhaltliche Anlehnung an die AVI dennoch unverkennbar.691 Als vornehmste Aufgabe der soldatischen Erziehung bestimmte der Entwurf die Entwicklung der sittlichen und seelischen Kräfte des Soldaten. Sie trügen mehr noch als fachliches Können zu seinem Wert im Kriege bei. Ihre Wirksamkeit entfalte die Erziehung in der militärischen Ausbildung, von der sie nicht zu trennen sei. Als Ziele der soldatischen Erziehung ragten die »Entschlossenheit zur Wehr, Gehorsam und Pflichtbewusstsein, Tapferkeit und Ritterlichkeit« besonders hervor. Diese ließen sich aber nur mit Manneszucht (Disziplin) und gegenseitigem Vertrauen »zwischen Führer und Geführten« sowie »zwischen Soldat und Gemeinschaft« verwirklichen.692 Wurzelnd in »der Ehrfurcht vor Leiden und Leistungen der Vergangenheit und in der Liebe zu Heimat und Vaterland«, wecke und wahre eine gute Erziehung »rechtliches Denken und Achtung vor der Menschenwürde – auch unter den harten Notwendigkeiten des Krieges.«693 Wahrhaftigkeit und Bescheidenheit fordernd, stärke sie das Selbstvertrauen und das verantwortliche Gewissen gegenüber der Gemeinschaft. Auch der Soldat bleibe Staatsbürger, und es sei die Pflicht der soldatischen Erziehung, die staatsbürgerliche Bildung des Soldaten, »vor allem die Erziehung zum Bewusstsein politischer Mitverantwortung und zur Wahrung der persönlichen 690
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Schreiben Karst an Heusinger, Vermerk zur Stellungnahme des Generals der Inf. a.D. Hermann Foertsch zu den »Leitsätzen für die soldatische Erziehung« vom 1.7.1954, 21.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 88. Hervorhebungen im Original. Die nachfolgenden Ausführungen stellen den Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in einer unkommentierten Zusammenfassung vor. Sie dienen der Einordnung der anschließenden Darstellung über die anlässlich dieses Entwurfes entbrannte Diskussion. Auf einen Vergleich mit den Erziehungsleitsätzen der Wehrmacht wird an dieser Stelle verzichtet und stattdessen erst anhand der 1957 erlassenen ZDv »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« vorgenommen. Siehe hierzu S. 276‑281 in dieser Arbeit. Siehe Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 4. Alle Zitate ebd. Siehe ebd.
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Würde [fortzuführen]. Sein hohes Ziel, den Frieden zu gewinnen, darf der Soldat nicht aus dem Blick verlieren.«694 Mit der Einsicht in die gestellte Aufgabe und die damit verbundenen geistigen und körperlichen Anforderungen wachse seine Bereit schaft zur soldatischen Leistung, denn »nur der Soldat, der die Bedeutung seiner Aufgabe erkannt hat und von ihrer Notwendigkeit überzeugt ist, wird seine Pflicht erfüllen.« Daher müssten alle Soldaten »von der Überzeugung durchdrungen sein, dass es zum Gelingen auf jeden ankommt.« Widerstandsfähigkeit und Spannkraft, Entbehrungsbereitschaft und Härte gegen sich selbst zeichnen den Soldaten aus. Da entschlossenes Handeln im Krieg Priorität besäße, müsse der Soldat lernen, im »Sinne des Ganzen selbständig [zu] denken und verantwortungsbewusst [zu] gehorchen.« Die volle Leistungsfähigkeit der Truppe ließe sich nur dann »in übereinstimmendem Handeln zur Geltung bringen«, wenn vom »jüngsten Soldaten aufwärts« überall der selbstständige Einsatz der »ganzen geistigen und körperlichen Kraft« gefordert werde. Die hohe Relevanz der Kameradschaft wird als Band charakterisiert, »das die Truppe in allen Lagen fest« zusammenschließt. Sie beweise sich »im Handeln und im rechten Einstehen füreinander« und vermittle im »Alltag wie in der Stunde der Gefahr [...] Zuversicht und Halt. Wer mehr zu leisten vermag, muss dem weniger Erfahrenen und Schwächeren helfen. Falscher Ehrgeiz, Unaufrichtigkeit und Selbstsucht zerstören die Kameradschaft.« Um die gemeinsame Aufgabe zu bewältigen, wird von jedem Soldaten die Ein ordnung der eigenen Person in die soldatische Gemeinschaft gefordert. Innerhalb dieser unabänderlichen Ein- und Unterordnung gewinne der Soldat seine innere Freiheit »durch Selbstzucht, Gehorsam und Zurückstellung seiner Person hinter die Sache.«695 Der Geist des freien Gemeinwesens, zu dessen Schutz sie berufen seien, müsse auch alle Soldaten erfüllen, denn nur eine Truppe, die selbst zu einer Gemein schaft gewachsen sei, »hält schwersten Belastungen stand.« Ließe ein Soldat »Ansätze in Haltung, Gesinnung und Können [...] erkennen«, müsse diese Führungsqualität die gebotene Förderung erfahren, denn »Verantwortungsfreude und Initiative bleiben die vornehmsten Führereigenschaften.« Gewarnt wird jedoch vor Willkür, die aus der Selbstständigkeit erwachsen kann. Selbstständigkeit und besseres Wissen, das den Gehorsam nicht gefährden dürfe, müsse von sittlichem Ernst getragen werden. Erst im Kampf finde die soldatische Erziehung ihre letzte Bewährung. Er fordere vom Soldaten »Kühnheit und Wagemut, aber auch Besonnenheit und Beharrlichkeit zu kämpfen bis zur Entscheidung, selbst unter Opfer des Lebens.«696 Das angestrebte Anforderungsprofil für den soldatischen Erzieher bestimmten die Kommandeure und Chefs der Einheiten als verantwortliche Vorgesetzte für die Erziehung. Unterstützt von Unteroffizieren und bewährten Mannschaften, sei der Offizier »Erzieher, Ausbilder und Führer seiner Soldaten.« Der gemeinsamen Aufgabe verpflichtet, trüge jeder an seinem Platz Verantwortung und auch »als Erzieher ist der Vorgesetzte Glied der soldatischen Gemeinschaft.« 694 695 696
Ebd. Hier fanden Wenigers umfangreiche, aber nicht weiter berücksichtigten Ausführungen zur politischen Bildung des Soldaten ihren Widerhall. Siehe ebd., Bl. 5. Alle Zitate ebd. Siehe ebd., Bl. 5.
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Aber »nur wer selbst erzogen ist und an sich zu arbeiten bemüht bleibt«, besitze die Voraussetzung, andere zu erziehen. Hierzu zähle das Erkennen der eigenen Schwächen, Bildung und »Achtung vor den anvertrauten Menschen [...] Sie verleihen dem Erzieher die Reife, die seine Aufgabe erfordert.« Die Autorität des Erziehers »ruht in seinen menschlichen Werten. Fachliches Können, überlegene Kenntnisse, klares Denken und selbständiges Urteil sind gleichermaßen Voraussetzungen erzieherischen Wirkens.« Wissend »um Würde und Gefahr des soldatischen Auftrags«, wird von den Kommandeuren und den Chefs der Einheiten verlangt, »dass sie diesen Auftrag aus Geschichte und Gegenwart überzeugend deuten können.« Um das Vertrauen seiner Soldaten zu gewinnen, müsse der Vorgesetzte und Erzieher seinen Soldaten nicht nur offen und vertrauensvoll entgegentreten, sondern auch Beherrschung wahren, Gerechtigkeit und Geduld üben sowie in »recht verstandener Weise für seine Truppe« sorgen. Eine hohe Bedeutung wird auch der verbalen Kommunikation zuerkannt, denn der »Erzieher muss um das Gewicht des Wortes wissen.« Unglaubwürdige Phrasen vermeidend, habe seine Sprache »schlicht und treffend, aber nicht kahl und anteillos« zu sein.697 Vom hehren Vorbildcharakter vergangener Zeiten abweichend, solle der Erzieher »seinen Soldaten in jeder Lage ein Beispiel geben«, mehr von sich als von seinen Soldaten verlangen und für seine Überzeugung aufrecht einstehen. Nur wer mit seinen Soldaten lebe, mit ihnen »Gefahr und Entbehrung, Freud und Leid« teile, zeige sich in der Lage, die Truppe zu erziehen. Der Weg zu einer erfolgreichen Erziehung führe zwar über das Herz seiner Soldaten, »Anbiederung, wahlloses Mitmachen und lässiges Übersehen von Disziplinlosigkeiten« müssten aber unbedingt vermieden werden, da sie »jede Möglichkeit der Erziehung« zerstörten. Über die an den soldatischen Erzieher gestellten Anforderungen hinaus würden ihm »Hingabe an die soldatische Aufgabe« und Freude am Beruf zum erzieherischen Erfolg verhelfen.698 Im Anschluss an die Darlegung der angestrebten Erziehungsziele und des Anfor derungsprofils an den zukünftigen militärischen Erzieher werden die Wege beschrieben, anhand derer das Erziehungsziel eines Staatsbürgers in Uniform realisiert werden sollte. Einfach, sinnvoll und überzeugend, sei ihre Wirkung umso größer, je »mehr sie den Forderungen des Krieges Rechnung tragen« ohne die Herausforderungen des dynamisch-technischen Gefechtes unter der Bedrohung totaler atomarer Ver nichtung im permanenten Bürgerkrieg zu präzisieren.699 Die mit »Geduld und Bestimmtheit« zu verfolgende erzieherische Absicht würde jedoch weniger »in Worten und Lehre als im Beispiel des Erziehers und in der Art der Aufgabenstellung [...] wirksam. Dabei dürfe »mit dem guten Willen, der Einsicht und der Leistungsfreude der Soldaten gerechnet werden.« 697 698 699
Ebd., Bl. 6. Alle Zitate ebd. Siehe ebd., Bl. 7. Alle Zitate ebd. Diese Formulierung fand in der abschließenden Vorschrift keine Verwendung mehr. Im Handbuch Innere Führung wurde dieses Kriegsbild schließlich erläutert. Baudissin hatte immer gefordert, dass sich die Erziehung des Soldaten an diesem Kriegsbild einer ideologischen Auseinandersetzung im Kalten und Heißen Krieg orientieren müsse. Vgl. Handbuch Innere Führung, S. 34‑39.
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Vorschriften könnten für das erzieherische Verhalten nur Anhalte geben, denn die erzieherische Aufgabe stelle sich in jedem Einzelfall neu und unerwartet. Sich nicht allein auf sein Gefühl verlassend, solle der Erzieher »vielmehr, von festen Grundsätzen geleitet, auch die Erfahrungen zu Rate ziehen, die in der soldatischen Überlieferung bereitliegen und die Erkenntnis der allgemeinen Erziehungslehre beachten.«700 Wenn irgend möglich, solle an Erlebnisse und Erfahrungen aus Eltern haus, Schule und Berufsleben des Soldaten angeknüpft werden. Unter dem vorherrschenden Willen zu helfen, bedeute Erziehen anleiten und fördern. Die zahlreichen und vielfältigen Mittel und Formen der Erziehung hätten die »Eigenart der Person ebenso [zu] berücksichtigen wie die Besonderheiten der jeweiligen Lage.« Ihre schematische Handhabung berge die Gefahr, dass der Erzieher den Menschen übersähe. Hätten sich die sachgerechten Anforderungen in gute soldatische Sitte verwandelt, sei die Truppe erzogen.701 Träten trotz aller Bemühungen Schwierigkeiten in der erzieherischen Arbeit auf, müsse der Vorgesetzte zunächst prüfen, ob eine Änderung in der Wahl der Erziehungsmittel ausreiche, denn oft »liegt auch nur ein Mangel an körperlichen und geistigen Fähigkeiten [...] oder ein Fehler des Erziehers« vor. Derartige Mängel könnten durch verständnisvolle Hilfe des Vorgesetzten und der Kameraden ausgeglichen werden. Erführen die Trägen Hilfe durch das »Festhalten an notwendigen, den Kräften angemessenen Forderungen«, würde »sinnvoller Zwang« den Soldaten helfen, denen es schwerfiele sich einzufügen. Bösem Willen hingegen müsse mit strenger Gegenwirkung begegnet, positive Hilfen in diesen Fällen aber nicht ausgeschlossen werden.702 Die erforderliche Disziplin der Truppe würde durch »Pünktlichkeit und genaue Ausführung, auch der kleinen Pflichten des Dienstes, Sauberkeit und Ordnung im täglichen Leben« gefördert. Nicht um ihrer selbst willen gefordert, müsse der Soldat lernen, diese Disziplin »als selbstverständliche Notwendigkeit zu empfinden.« Sie schaffe »unentbehrliche Grundlagen, um größere Aufgaben zu meistern.« Mit fortschreitender Ausbildung würde der erfahrene Vorgesetzte viele alltäglich wiederkehrende Verrichtungen und Aufgaben der »Selbstverantwortung seiner Truppe anvertrauen können.« In der Vergangenheit als »unentbehrliches Mittel für die Erziehung der Mannschaften zur Ordnung und Mannszucht«703 angesehen, wurde dem Drill als Erziehungsmittel, ganz im Sinne Wenigers, eine deutliche Absage erteilt. Seine Berechtigung schöpfe er allein aus seiner Bedeutung als Ausbildungsmittel, »durch das der Soldat gewöhnt werden soll, bestimmte, in allen Lagen wiederkehrende Tätigkeiten auch automatisch auszuführen.« Voraussetzung seiner Anwendung sei »die Erziehung des sittlichen Willens und die Einsicht« in seine Notwendigkeit als Ausbildungsmittel.704 700 701 702 703 704
Siehe Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 8. Alle Zitate ebd. Siehe ebd. Siehe ebd., Bl. 9. Alle Zitate ebd. Zum Umgang mit schwierigen und schwererziehbaren Soldaten siehe S. 295‑305 in dieser Arbeit. HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, 1.10.1938, S. 9. Siehe Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 9. Alle Zitate ebd.
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Um das Selbstvertrauen und den Willen zur Mitarbeit zu wecken, solle der Soldat frühzeitig Aufgaben übernehmen, »die ihn selbständig und verantwortlich handeln lassen.« Gewarnt wird vor einer Überforderung, die den Diensteifer lähme und dem Geist der Truppe Schaden zufüge. Andererseits schafften gemeinsam »gemeisterte hohe Anforderungen [...] Freude an der Bewährung und stärken Kameradschaft und Zusammenhalt.«705 Ein weiteres wertvolles Erziehungsmittel stelle der Sport sowohl für die Erziehung des Einzelnen als auch der Mannschaft dar. Die Gesundheit fördernd, wecke er »die Freude an der natürlichen Bewegung wie am Wettkampf und spornt den Willen an, sich selbst zu besiegen. Durch Steigerung der körperlichen und seelischen Kräfte hebt er das Selbstgefühl. Gleichzeitig führt er zu innerer Zucht, erzieht zu Einordnung und Fairness und stärkt den Zusammenhalt der Truppe.« Trotz allen erzieherischen Einwirkens dürfe er den Charakter des Spiels aber nicht verlieren, denn »richtig betrieben, wirkt der Sport befreiend, gibt Entspannung und lockert den Ernst des Dienstes.« Vertieft würde das bereits angesprochene Vertrauen der Truppe auch durch die gerechte Verteilung von Lob und Tadel. Das Selbstbewusstsein kräftigend und angemessen angewandt, dürfe Lob »nicht überheblich stimmen, gesunder Wetteifer nicht zu maßlosem Ehrgeiz werden, Tadel darf nicht entmutigen.« Auch im Falle einer zu verhängenden Disziplinarstrafe stünde deren Erziehungscharakter im Vordergrund, doch »mehr als Tadel und Strafe wirken Aneiferung und Lob.« Voraussetzung aller erzieherischen Wirkung bliebe die Gerechtigkeit.706
6. Die Leitsätze in der Diskussion Nach Abschluss dieser Arbeiten wurde der überarbeitete Entwurf der »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« in der Fassung vom 18. Mai 1954 vom Referat »Inneres Gefüge« ohne Präambel mit Anschreiben vom 26. Mai 1954 und der Bitte um Stellungnahme versandt.707 Obschon kein Verteiler auf dem Anschreiben vermerkt ist, kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Entwurf allen Abteilungen des Amtes Blank im Rahmen des behördlichen Geschäftsganges zugäng lich gemacht wurde. Die an der Konzeption maßgeblich mitwirkenden Wissenschaftler wurden ebenso bedacht wie der Bundesjugendring und der Bundes tagsausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit, deren Akzeptanz als maßgeblich für einen Erfolg erachtete wurde. Zu diesen Institutionen zählte auch der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen, der schließlich unter maßgeblicher Federführung Wenigers eine »Empfehlung aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr« abgab. Obwohl diesem Ausschuss nicht die Entwurfsfassung von 1954, sondern eine spätere vorgelegen hatte, sollen dessen Anmerkungen, dem besseren Verständnis des Gesamtkomplexes wegen, bereits in diesem Abschnitt dargelegt und erläutert werden. Nur durch Vermerke in den Tagebuchaufzeichnungen 705 706 707
Ebd. Siehe ebd., Bl. 10. Alle Zitate ebd. Anschreiben zu dem Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, 26.5.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 3.
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nachweisbar, wurden auch zahlreiche Exemplare an nicht beteiligte Personen übergeben, um ein unabhängiges Urteil und weitere Anregungen zu erhalten.708 In einigen Fällen, für Foertsch ist dies sogar zweifach belegt, erfolgte die Kenntnisnahme von Entwürfen der Erziehungsleitsätze über Dritte. Über den ersten Entwurf der Gruppe »Innere Führung« vom Juni 1953 durch Weniger informiert, erhielt Foertsch die überarbeitete Fassung nun vom Leiter des Studien-Bureaus zugespielt. Ungeachtet dessen, dass sich Baudissin darüber beklagt hatte, dass sich Foertsch mit seinen kritischen Anmerkungen zu dem Entwurf von 1953 direkt an Heusinger und nicht an die verantwortlichen Bearbeiter gewandt hatte,709 hielten er und seine Mitarbeiter es offensichtlich nicht für notwendig, Foertsch ein Exemplar der redigierten Leitsätze zu übermitteln. Natürlich musste der ehemalige Vorsitzende des Ausschusses, der sich in Himmerod mit den Fragen des Inneren Gefüges zukünftiger Streitkräfte auseinandergesetzt hatte, gemäß Geschäftsordnung nicht beteiligt werden. Aber den langjährig für das Innere Gefüge der Wehrmacht verantwortlichen Offizier erneut zu ignorieren, musste bei dem Betroffenen Irritationen und gekränkte Eitelkeiten hervorrufen. Warum es zu dieser Unterlassung kam, kann mangels Erklärung vonseiten der Protagonisten nicht abschließend beurteilt werden. Wollte Baudissin einer erneuten Auseinandersetzung mit Foertsch aus dem Weg gehen oder versuchte er gar bewusst zu verhindern, einer einflussreichen, traditionell-konservativ argumentierenden Kraft Plattform und Stimme zu verleihen? Entsprechend den gemachten Erfahrungen wäre es aber auch denkbar, dass Baudissin die Ansicht vertrat, Heusinger selbst würde seinen Kameraden nach dessen Kritik über die weitere Entwicklung der Leitsätze informieren. Eine diesbezügliche Absprache zwischen Baudissin und seinem Vorgesetzten ist zwar nicht nachweisbar, Foertsch beruft sich in seinem Schreiben an Heusinger jedoch auf dessen Wunsch nach einem weiteren Urteil seinerseits. Das Interesse Heusingers an seiner Meinung wurde Foertsch mit großer Sicherheit von Pfister nahegebracht.710 Was immer auch zu der Entscheidung geführt hatte, Foertsch unberücksichtigt zu lassen, war einem vertrauensvollen, vor allem aber konflikt- und ressentimentfreien Miteinander im Sinne der Sache sicherlich nicht förderlich.711 Zwischen absoluter Ablehnung und ungetrübter Zustimmung variierend, wurden die Einwände aber auch von der Unkenntnis des den »Leitsätzen« innewohnenden Erziehungsverständnisses getragen. Die schärfste Kritik wurde dem Entwurf von Wirmer und Foertsch entgegengebracht, denen gegenüber die Stellungnahme Pfisters von den verantwortlichen Bearbeitern im Amt Blank sogar als moderat empfunden wurde.712 708
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In einigen wenigen Fällen kann zwar der Empfänger anhand der Tagebucheintragungen identifiziert werden, entsprechende Stellungnahmen der Empfänger sind bedauerlicherweise nicht überliefert bzw. in den ausgewerteten Akten nicht aufgefunden worden. Ausnahmen: Schreiben Schulz an Karst, 11.6.1945, BArch, BW9/1324a, und Haß an Karst, 25.5.1954, BArch, N 690/v.19. Die von Haß angekündigte Stellungnahme konnte nicht ermittelt werden. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 17.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 15. Schreiben Foertsch an Heusinger, 1.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 77. Foertsch wurde schließlich von Will in die ständige Verteilerkartei aufgenommen. Siehe Schreiben Foertsch an Wangenheim, 29.1.1957, BArch, N 493/14. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 2.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 4.
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Foertsch, der Pfister als Quintessenz seiner Ausführungen zum ersten Entwurf mitteilte, dass er in keinster Weise mit dem Arbeitsergebnis einverstanden sei, forderte gar eine Neufassung, für die ihm selbst aber die Zeit fehle.713 Dem historischen Vorbild anhängend, plädierte er schließlich für kurz gefasste Pflichten des Soldaten, deren Forderungen die Erziehungsziele bilden sollten. Wirmer sprach den Streitkräften sogar jeglichen Erziehungsanspruch ab und hegte starke Bedenken, ob die zukünftigen Vorgesetzten der an sie gestellten Erziehungs aufgabe überhaupt gerecht werden könnten. Der Bundestagsausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit zeigte sich hingegen von der Konzeption der Inneren Führung und der »Leitsätze« uneingeschränkt überzeugt und nutzte die Gelegenheit zu einem Plädoyer für die personelle Verstärkung des Referates »Innere Führung«. Weiter soll den nachfolgenden Ausführungen jedoch nicht vorgegriffen werden. Sie konzentrieren sich in ihrer Darstellung zunächst auf einige wesentliche, quellenmäßig gut erschlossene Stellungnahmen und auf die von Baudissin und Karst erstellten Erwiderungen, in denen sie einige Aspekte ihrer konzeptionellen Überlegungen noch einmal Revue passieren ließen. Zugegebenermaßen erfahren die jeweiligen Argumentationen dabei eine zum Teil sehr umfangreiche Beachtung, die ihnen in der Forschung bislang nur bedingt zuteil geworden ist.714 Sie spiegeln jedoch nicht nur die inhaltliche Auseinandersetzung wider, sondern zeigen auch in der Form, wie ressentimentbeladen sich die Kontroverse zum Teil darstellte.
a) Die »Wirmer-Kontroverse« Hervorstechendster Kritiker des Entwurfes war der Leiter der Zentralabteilung des Amtes Blank, Ministerialdirigent Ernst Wirmer715, jüngerer Bruder des nach dem missglückten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 hingerichteten Josef Wirmer.716 1910 in Warburg/Westfalen geboren, trat er nach Bestehen des juristischen Staats examens 1936 zunächst als Mitarbeiter in die Rechtsanwaltskanzlei seines Bruders ein, da das nationalsozialistische Regime ihm eine Zulassung als Assessor mit der Begründung seiner politischen Unzuverlässigkeit vorenthielt. Mit der 1939 erfolgten Einberufung endete seine Anstellung in der Reichsumsiedlungsgesellschaft. Dem Wehrdienst schloss sich nach Beendigung des Frankreichfeldzuges wiederum eine zivilberufliche Tätigkeit in der Reichsstelle für Landbeschaffung717 an. 1942 als 713
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Siehe Stellungnahme Foertsch zu »Leitsätze für Erziehung«, II/IG, Bonn, 15.6.53, BArch, N 621/v., Kiste 23, Ordner StB F-G, S. 2; Anhang zu Schreiben Foertsch an Pfister, 21.8.1953. Wohl mit Bedauern fügte er hinzu, dass ihm auch ein diesbezüglicher Auftrag nicht erteilt worden sei. Erstmals verweist Genschel auf die Kontroverse zwischen Wirmer und Baudissin. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 154‑156; Hartmann, Erziehung, S. 275 f.; Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 905 f. Eine Biographie oder biographische Skizze Wirmers ist ein Forschungsdesiderat. Zur Würdigung seiner Person und seines Wirkens anlässlich seiner Pensionierung 1975 und seines Todes 1981 siehe Wehrverwaltung, 19 (1975) H. 1, S. 3‑8; ebd., H. 2, S. 58 f., ebd., 25 (1981), H. 9, S. 193‑195. Vgl. ferner Blasius, Ziviler Geist, S. 10; und Krüger, Das Amt Blank, über Wirmers Einfluss bis zur Umgliederung in das BMVg. Zu Josef Wirmer siehe Lexikon des Widerstandes, S. 244 f. Als Vollzugsorgan der Reichsstelle für Landbeschaffung war die Reichsumsiedlungsgesellschaft für die Neuansiedlung und Entschädigung bezüglich des für Zwecke der Wehrmacht enteigneten
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Leutnant der Reserve erneut zur Kraftfahrtruppe einberufen, wurde Wirmer infolge der Beteiligung seines Bruders am Widerstand im November 1944 verhaftet und in die Wehrmachthaftanstalt Küstrin verbracht, wo er erstmalig mit dem ebenfalls der Mittäterschaft bezichtigten Generalleutnant Hans Speidel zusammentraf. Nach dem Ende des Krieges vom oldenburgischen Staatsministerium des Inneren eingestellt und mit der Leitung der Kommunalverwaltung beauftragt, wurde Wirmer am 25. August 1948 als CDU-Abgeordneter vom niedersächsischen Landtag in den Parlamentarischen Rat gewählt, in dem er als drittjüngstes Mitglied an der Erarbeitung des Grundgesetzes mitwirkte. Sein Schritt an die Seite der Macht erfolgte 1949 mit der Ernennung zum ersten persönlichen Referenten von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Dessen Versuch, Wirmer als Mann seines Vertrauens 1950 zum ersten Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu ernennen, scheiterte jedoch am Widerstand der SPD, die den späteren Amtsinhaber Otto John favorisierte.718 Stattdessen wechselte Wirmer, nach eigener Aussage auf Wunsch Adenauers, im November 1950 in das Amt Blank und übernahm die Leitung der Zentralabteilung, die bis zu Ihrer Umgliederung Mitte 1952 sowohl für die nichtmilitärische Organi sation als auch für die militärische Planung verantwortlich zeichnete.719 In seiner neuen Wirkungsstätte traf Wirmer erneut mit seinem ehemaligen Mit gefangenen Speidel zusammen, über deren gemeinsames Schicksal er in einer An sprache vor der deutschen Delegation für die Verhandlungen der Europäischen Ver teidigungsgemeinschaft ausführte, »dass er sein Leben dem entschlossenen Eingreifen von Herrn Dr. Speidel in der Zeit der politischen Verfolgung zu verdanken habe und mit ihm all diejenigen, die zusammen mit Dr. Speidel als Häftlinge in einer Strafanstalt hingerichtet werden sollten.«720 Speidel sollte von 1951 bis 1954 als militärischer Chefdelegierter bei der Kon ferenz zur Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft fungieren. Ob Wirmer mit seiner Darstellung des gemeinsam Erlebten die Position Speidels innerhalb der Delegation stärken wollte, kann zwar nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, ist aber anzunehmen. In diesem Sinne kann der Bericht Wirmers über die Führungsstärke und das Verantwortungsbewusstsein des ehemaligen Generals als bewusste vertrauensbildende Maßnahme zu dessen Person und Arbeit interpretiert werden.721
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Grundbesitzes verantwortlich. Grundlage für diese Enteignungen und die Entschädigungsleistungen war das Gesetz über die Landbeschaffung zum Zwecke der Wehrmacht vom 29.3.1935. In: RGBl. 1935, T. I, S. 467 f. Zu nachfolgenden Verordnungen und Gesetzesänderungen siehe Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 1, S. 76, Anm. 21. Zu John siehe Stöver, Otto John; sowie Johns Selbstdarstellung, John, Zweimal kam ich heim. Wehrverwaltung, 19 (1975), H. 2, S. 58. Eine für Wirmer sehr förderliche Veränderung, imZuge derer der erst im Juli 1950 zum Ministerialrat Ernannte bereits im Dezember 1951 durch Kabinettsentscheid, der den Ausnahmefall aber ausdrücklich hervorhob, zum Ministerialdirigenten bestellt wurde. Siehe Protokoll der 193. Kabinettssitzung, 18.12.1951. In: Die Kabinettsprotokolle, Bd 4, S. 819‑829, hier S. 824. Speidel, Aus unserer Zeit, S. 229. Zu den Erlebnissen während der gemeinsamen Haft vgl. ebd., S. 220‑229. Speidel kann wie Wirmer als Adenauers Mann charakterisiert werden. Eine Intention Wirmers, Speidel positiv zu positionieren, erscheint auch aus diesem Grunde wahrscheinlich.
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Trotz dieser positiven Schilderung hatte Wirmer aus seinen bis zu diesem Zeitpunkt gewonnenen Erfahrungen im Militär aber auch die schmerzliche Erkenntnis gewonnen, als Angehöriger der Nachschubtruppe nicht als vollwertiger Soldat anerkannt gewesen zu sein. Selbst im Gefängnis, so konstatierte er verbittert, sei er von den höheren Offizieren nie mit »Herr« angesprochen worden.722 Infolgedessen begrüßte er seinen ehemals ranghöchsten Zellennachbarn bei ihrem Aufeinandertreffen in der Dienststelle nur mit den Worten: »Guten Tag, Speidel.« Der Angesprochene nahm die veränderte Lage wohl wahr, denn als sich beide mit der Anrede »Herr« voneinander verabschiedeten, stellte dies für Wirmer den Beginn des neuen inneren Gefüges der zukünftigen Bundeswehr dar.723 Speidel selbst kommentierte den Wechsel Wirmers an die Seite Blanks in einem Schreiben an Heusinger dahingehend, dass es der Sache nicht guttue, »denn er ist ein scharfer Gegner unserer Couleur.«724 Dies war eine eindimensionale Charakterisierung, die sich auch in der histographischen Betrachtung seiner Person und seines Wirkens widerspiegelt, die ihn vorrangig als Gegenspieler der Militärs beurteilt.725 Gleichwohl sind die Bestrebungen Wirmers nach Gewährleistung eines zivilen Kontrollelements gegenüber dem militärischen Bereich als conditio sine qua non seines Denkens und Handelns nicht zu leugnen. Ausgestattet mit Adenauers Vertrauen und dessen auf den Erfahrungen der preußisch-deutschen Geschichte seit 1870 fußenden Überzeugung teilend, dass die Militärs der politischen Führung rigoros zu unterwerfen seien, stellte Wirmer eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im Amt Blank dar, der nach eigener Aussage seine Hauptaufgabe »in der Durchsetzung ziviler Kontrolle und nicht etwa in der Aufstellung von Streitkräften«726 sah. Schien die Rechtmäßigkeit seines zivil-ministeriellen Kontrollrechtes über die militärische Seite gefährdet, wehrte sich Wirmer mit allen Kräften, drohte, noch ganz einer falsch verstandenen militärischen Tradition verhaftet, mit »Rausschmeißen oder Versetzen« und nahm hierfür auch den Vorwurf Baudissins in Kauf, »das historische Verdienst [zu besitzen,] die Kluft zwischen Soldaten und Beamten erneut aufgerissen zu haben.«727 Anderseits verhinderte Wirmer aber auch die Versenkung des 722
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Vom propagierten nationalsozialistischen Volksheer war man in der Mentalität der ehemaligen Offiziere der Kontingentheere und der Reichswehr noch weit entfernt. In der Rangfolge der Truppengattungen rangierten die Train- oder Versorgungstruppen weit hinter den Kampfverbänden. Zit. nach Blasius, Ziviler Geist, S. 10. Auch in dem noch vorzustellenden Briefwechsel redete Wirmer Speidel nicht mit seinem militärischen Dienstgrad an. Schreiben Speidel an Heusinger, Dezember 1950, Zit. nach ebd. Für Krüger wirkte Wirmer als graue Eminenz, für den andere Abteilungsleiter keine Konkurrenz darstellten und dessen Vergangenheit und parteipolitische Verbindungen auch Blank in Rechnung zu stellen hatte. Vgl. Krüger, Das Amt Blank, S. 178. Ebd. Wirmer hatte sich in einer Befragung am 22.2.1973 dahingehend geäußert. In seiner Wertung weist Krüger auf die analytische Unschärfe dieser politischen Konsequenz aus der preußisch-deutschen Geschichte zwischen 1870 und 1945 hin. Obschon der Nationalsozialismus eine militaristische Ideologie war, sah sich die militärische Führung niemals zuvor so kategorisch dem Primat der Politik unterworfen – eine für die Wehrmacht überaus schmeichelhafte Interpretation ihrer Selbstunterwerfung. Tagebuch Baudissin, Eintrag Wangenheim, 24.8.1955, BArch, N 717/5, Bl. 36; Eintrag Baudissin, 14.9.1955, BArch, N 717/5, Bl. 50. Hier ging es um Wirmers Reaktion auf eine Denkschrift Karsts (»Soldat im Ghetto«), in der dieser das Misstrauen, das den zukünftigen Soldaten entgegengebracht wurde, anprangerte. Zur Denkschrift siehe BArch, BW 9/2527-113; Tagebuch Baudissin, Eintrag
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Referates »Innere Führung« in die Bedeutungslosigkeit, als er in Vertretung Blanks eine Verfügung des Unterabteilungsleiters Planung, Bogislaw von Bonin, aufhob, in der dieser die Federführung in allen zentralen Fragen der Inneren Führung für sich beanspruchte.728 Anlässlich der Mitte 1952 erfolgten Einrichtung einer eigenständigen Militäri schen Abteilung unter Führung Heusingers verlor Wirmer zwar die unmittelbare Führung über die ehemaligen Soldaten und die weiteren militärischen Planungen, sicherte sich aber die zivile Kontrollfunktion durch den Verbleib aller Verwal tungs- und Haushaltsangelegenheiten in seinem Verantwortungsbereich.729 Bei der Mehrzahl der Beamten der Dienststelle herrschte wohl Einvernehmen darüber, die sachlich erforderliche Expansion der Militärischen Abteilung »im Sinne der Durchsetzung des Primates der Politik und des Gewichts der eigenen Abteilung zu zügeln und zu kontrollieren« und mit »seinen Bedenken gegen eine zu rasche Aufstockung des militärischen Personals, von dem man nicht wusste, ob man es am Ende denn auch brauchen würde, kam [auch] das Bundesfinanzministerium den Absichten Wirmers und seiner Beamten im Grunde entgegen. Jede Erweiterung der Militärischen Abteilung musste mit diesen beiden Faktoren rechnen. Folglich litt die militärische Planung chronisch an der unzureichenden personellen Ausstattung.«730 Selbst der Bundestagsausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit, der seine Beratungen zum »Bild des zukünftigen Soldaten« und zu den »Leitsätzen für die Erziehung des Soldaten« zum Anlass nahm, eine personelle Aufstockung der Gruppe »Innere Führung« zu erwirken, scheiterte letzten Endes an diesem konzertierten Bollwerk.731 In der Laudatio anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand betonte Verteidigungsminister Georg Leber732 Wirmers herausragende Bedeutung als »Vater« einer von den Streitkräften unabhängigen Wehrverwaltung.733 In seiner Ablehnung der bisherigen Intendanturwirtschaft wurde Wirmer sowohl von Blank als auch von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard unterstützt. Dies erleichterte es ihm, seine Idee eines Verwaltungsbeamten ohne Uniform schließlich gegen alle Widerstände zu realisieren. Das Nachsehen hatten die ehemaligen, nunmehr im Amt Blank beschäftigten Intendanten der Wehrmacht, die erfolglos versuchten, ihren Einfluss zu wahren und die Trennung der Verwaltung von den Streitkräften im eigenen Interesse zu verhindern.734 Ihnen und den Militärs unterstellte Wirmer die Angst, den militärischen Apparat mit Nichtsoldaten teilen zu müssen. Diese Besorgnis gründe jedoch nicht auf der Furcht vor tüchtigen Leuten, sondern darauf, dass man diese Leute nicht selbst indoktrinieren könne. Bestrebt, eine unzulässige Einmischung der mi-
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Baudissin 14.9.1955, BArch, N 717/5, Bl. 50; Meyer, Soldat im Ghetto? Zum Presseecho BArch, BW 9/1276, BW 9/1277. Siehe S. 268 f. in dieser Arbeit. Vgl. Krüger, Das Amt Blank, S. 51‑53. Zu den wechselnden Organisationsstrukturen des Amtes Blank siehe ebd., S. 201‑239. Ebd., S. 178 f. Siehe S. 259‑271 in dieser Arbeit. Zu Leber siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 488 f. Siehe Wehrverwaltung, 19 (1975), H. 2, S. 59. Vgl. hierzu Krüger, Das Amt Blank, S. 82 f.; Blasius, Ziviler Geist, S. 10.
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litärischen Seite in Politik und Verwaltung zu verhindern, wollte Wirmer nach eigener Aussage dafür Sorge tragen, dass »die Generäle nicht wieder über den Zaun grasen.«735 Entgegen dieser Einschätzung hatte es die militärische Führung in Preußen oder dem Deutschen Reich mit Ausnahme der 3. Obersten Heeresleitung unter Führung des Duumvirates Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg736 und General der Infanterie Erich Ludendorff737 jedoch niemals vermocht, eine eigenständige Politik zu betreiben. So scheiterte der einflussreiche ultrakonservative Chef des Militärkabinetts Edwin von Manteuffel738 im Rahmen des Heereskonfliktes mit seinen Staatstreichplänen zugunsten des preußischen Königs ebenso wie der Chef der Heeresleitung Hans von Seeckt739 mit seiner am 3. November 1923 an Reichspräsident Friedrich Ebert740 gerichteten Forderung, Gustav Stresemann741 von seinen Aufgaben als Reichskanzler zu entbinden.742 Auch die Übergabe der vollziehenden Gewalt an Seeckt und die Reichswehr anlässlich der Ereignisse am 8./9. November 1923 in München hatte keine verfassungswidrigen Folgen. Damit hatte lediglich deren politischer Führungs- und staatlicher Garantieanspruch seinen realpolitischen Ausdruck gefunden und die Armee konnte erneut die von ihr beanspruchte Rolle als eigentliche Klammer des Reiches und Garantin der Zukunft unter Beweis stellen. Dennoch war Seeckt, der zum Ende des Krisenjahres 1923 Überlegungen anstellte, im Rahmen eines Dreierdirektoriums die politische Macht in Deutschland zu übernehmen743, sich letzten Endes der Unmöglichkeit einer dauerhaft auf Bajonetten beruhenden Herrschaft bewusst und gab die ihm übertragenen Machtbefugnisse im Februar 1924 in die Hände der verfassungsmäßigen Regierung zurück. Er hatte den Rubikon nicht überschritten und sich einer von rechts-konservativen Kreisen und zahlreichen hohen Militärs erhofften Militärdiktatur entsagt. Sowohl Staatsräson als auch der realistische Blick für die politischen Gegebenheiten und Möglichkeiten hatten obsiegt und Seeckt konnte der Regierung demonstrieren, »daß die Truppe nunmehr ein festes Instrument 735
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Blasius, Ziviler Geist, S. 10. Die Trennung von Streitkräften und Wehrverwaltung wurde im Art. 87b GG festgeschrieben. Siehe Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetztes, 19.3.1956. In: BGBl 1956, T. I, S. 111‑113, hier S. 112. Zu Hindenburg siehe Pyta, Hindenburg. Zu Ludendorff siehe Pöhlmann, Der »moderne Alexander«. Zu Manteuffel siehe Hartmann, Manteuffel; Canis, Die politische Taktik; Graig, Portrait. Zu Seeckt siehe NDB 24 (2010), S. 139 f. (Beitrag Heinz Hürten). Zu Ebert siehe Mühlhausen, Friedrich Ebert. Zu Stresemann siehe Wright, Gustav Stresemann. Vgl. Craig, Die preußisch-deutsche Armee, S. 454. Er entwarf einen 16-seitigen Programmentwurf, der u.a. einen berufsständischen Umbau der Ver fassung, die Ausschaltung der sozialistischen Parteien, die Beseitigung der Gewerkschaften und des Tarifsystems sowie die Vereinigung der Ämter des Reichskanzlers und preußischen Minister präsidenten beinhaltete. Seeckt ging jedoch davon aus, die politische Macht in äußerlich legalen Formen zu übernehmen, da es nicht im Interesse der Reichswehr sein konnte, einen Putsch von rechts zu unterstützen, der den Rückfall in bürgerkriegsähnliche Zustände mit sich bringen musste. Vgl. Mommsen, Die verspielte Freiheit, S. 153 f. Nach Craig kamen für Seeckt drei Möglichkeiten der Machtausübung in Frage: im Rahmen einer Militärdiktatur, als Reichskanzler oder als Primus inter pares des erwähnten Direktoriums. Vgl. Craig, Die preußisch-deutsche Armee, S. 453.
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der Reichsregierung sei. De facto aber stand sie geschlossen hinter ihm.«744 Die Bemühungen der militärischen Führung, ihre eigenen innen-, rüstungs- und militärpolitischen Absichten mithilfe eines von dem Militärpublizisten Kurt Hesse745 ersehnten starken Mannes, dem »Feldherren Psychologos«746 in Person Adolf Hitlers, zu realisieren, führte schließlich dazu, die von ihr gleichfalls propagierte Verantwortung gegenüber dem Staatsgebilde und seinen Gliedern hintanzustellen. Sie trug nicht nur einen maßgeblichen Anteil an der Regierungsübernahme Hitlers, sondern angesichts der weiteren Entwicklung auch zu ihrer eigenen Entmachtung bei. Sich an der Realisierung ihrer seit der Weimarer Republik verfolgten Ziele orientierend, gaben die führenden Vertreter der bewaffneten Macht die traditionelle Machtstellung der Armee im Staate schrittweise preis. Mit einer Kapitulation vor den nunmehr geltenden politischen Realitäten endend, hatte die Generalität aus kurzsichtigem Eigeninteresse vor sich selbst, ihren Ansprüchen und Erwartungen sowie vor der Nation versagt. Infolge einer abgrundtiefen Verantwortungslosigkeit der militärischen Elite gegenüber den Folgen ihres Handelns und Unterlassens747 hatte sie sich selbst und das Heer als stärkste Macht im Reiche zur politischen Handlungsunfähigkeit verurteilt. Letzten Endes hatte die militärische Elite dem Führer ebenso wie alle anderen politischen, wirtschaftlichen und bürokratischen Institutionen entgegengearbeitet748, indem sie seinen Willen zu dem eigenen erkor, das Wohl und Wehe der deutschen Nation dem Diktator überantwortet und die Wehrmacht schließlich im Staat der deutschen Wiedergeburt, im Reiche »Adolf Hitlers« aufging.749 Mit Hitler als Eidnehmer, obersten Befehlshaber der Wehrmacht (1934) und Oberbefehlshaber des Heeres (1942) waren die deutsche Streitkräfte derart rigoros dem Primat der Politik unterworfen wie niemals zuvor in ihrer Geschichte. Von über den Zaun grasenden Generalen kann demnach keine Rede sein. Dieser historische Sachverhalt musste auch Wirmer bekannt sein, dessen Ziel es jedoch war, eine Renaissance militärischer Einflussnahme auf die Politik von Anbeginn an auszuschließen. Verhinderte die von Wirmer geschaffene, von den Streitkräften unabhängige Wehrverwaltung eine Verselbstständigung der Truppe, stand einem möglichen Übergewicht der Militärischen Abteilung innerhalb des Amtes Blank die starke Stellung der Abteilung I unter seiner Leitung entgegen. Durch die in der Dienststelle oftmals nicht klar abgegrenzten Zuständigkeitsbereiche gelang es Wirmer, »prak744 745 746 747 748
749
Jacobsen, Militär, S. 366. Zu Hesse siehe Rosen, Kurt Hesse. Vgl. Hesse, Der Feldherr Psychologos. Vgl. Pätzold, Ihr waret die besten Soldaten, S. 23. »Dem Führer entgegen arbeiten.« – Für den britischen Hitler-Biographen Ian Kershaw war diese Devise die grundlegende Ausgangsbasis für die Motivation und Handlungsweise aller zivilen und militärischen Funktionsträger im Dritten Reich. Er bezieht dabei auf eine Rede Werner Willikens, Staatssekretär im preußischen Landwirtschaftsministeriums, am 12. Februar 1934: »Jeder, der Gelegenheit hat, das zu beobachten, weiß, daß der Führer sehr schwer von oben alles befehlen kann, was er für bald oder für später zu verwirklichen beabsichtigt. Im Gegenteil, bis jetzt hat jeder an seinem Platz im neuen Deutschland dann am besten gearbeitet, wenn er sozusagen dem Führer entgegen arbeitet.« Zit. nach Kershaw, Hitler, S. 665. Zur weiteren Interpretation dieser Aussage durch Kershaw vgl. ebd., Kap. 13. So Reichskriegsminister Blomberg in einem Artikel im »Völkischen Beobachter«, zit. nach Volkmann, Von Blomberg zu Keitel, S. 61.
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tisch in allen denkbaren Feldern einen mindestens spürbaren Einfluss zu nehmen.« Gefördert wurde diese Situation auch durch die andauernden Binnenkonflikte innerhalb der militärischen Abteilung, die von Wirmer durch die mutmaßliche Unterstützung Pfisters selbst geschürt oder, wie im Falle Bonins, durch ihn entschieden wurden.750 Wirmer selbst beschrieb seine Bemühungen im Amt Blank und dem späteren Verteidigungsministerium als einen Kampf um Gleichberechtigung. Er könne zwar nicht verhehlen, dass auch die zivilen Instanzen aus Prestigegründen Dominanz bestrebungen zuneigten, doch seien diese nicht derart ausgeprägt gewesen wie die der militärischen Seite.751 In ihrer Absicht, alte Formen in eine neue Zeit zu überführen, hätten die Soldaten einer nicht mehr zeitgemäßen Vorstellung von der Position des Soldaten und des Heeres gehuldigt. Noch im Ruhestand räumte Wirmer ein, dass sein Argument, die neue zivile Wehrverwaltung entlaste die Streitkräfte von übermäßiger Verwaltungsarbeit, lediglich ein scheinrationales gewesen sei. Vielmehr habe ihn der Gedanke geleitet, mit dem Aufbau einer selbstständigen Wehrverwaltung eine Konkurrenzsituation zu schaffen und damit einem Aspekt des modernen Managements Rechnung zu tragen. Hinsichtlich der dabei nicht ausbleibenden, ja erwünschten Konfliktsituationen – überspitzt formuliert könnte man von einer Anlehnung an das System des »divide et impera« sprechen – betonte Wirmer in einer Rede anlässlich seiner Pensionierung rückblickend, dass im Miteinander zwischen Soldaten und Zivilisten, insbesondere Juristen, Spannungen nicht ausgeschlossen werden könnten. Doch solle man diesen Spannungen nicht ausweichen, denn »das Gegeneinander und Füreinander – aber immer für ein bestimmtes Ziel – bringt mehr als Einheitlichkeit und Einförmigkeit.«752 Diesem Prinzip treu bleibend, traf Wirmer, dem die Devise nachgesagt wurde, nur ja keinem Streit aus dem Weg zu gehen, und der selbst eingestand, unbändigen Spaß an der Streitkultur zu haben753, in seiner Auseinandersetzung mit Baudissin um das Für und Wider einer Erziehung des Soldaten auf einen ebenbürtigen Gegner. Wirmer unterstützte zwar grundsätzlich die Konzeption und Realisierung der Inneren Führung, hatte aber zu einem späteren Zeitpunkt Baudissin gegenüber eingestanden, »er habe damals zusammen mit anderen Angehörigen der Dienststelle Blank in dem Grafen einen ›ostelbischen Protestanten und Junker gesehen, dem man nicht über den Weg trauen dürfe‹.«754 Misstrauen brachte Wirmer auch den Arbeiten des Referates zur soldatischen Erziehung entgegen und verhehlte seine ablehnende Haltung, die er bereits am Anfang des Jahres Karst gegenüber sehr pointiert formuliert hatte, keineswegs: »Wirmer hält unseren Erziehungsgedanken für zu weitrechend. Die Streitkräfte sei750 751
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Vgl. Krüger, Das Amt Blank, S. 179, Zitat ebd. Gemäß Krüger wisse jeder Verwaltungspraktiker, dass eine fachneutrale Verwaltung die Neigung besitze, »ihre Zuständigkeit für Personal, Organisation und Haushalt mindestens ebenso zur Mehrung des eigenen Einflusses wie zur Unterstützung der Fachverwaltungen einsetze.« Ebd., S. 178. Wehrverwaltung, 19 (1975), H. 2, S. 59. Ebd. Schreiben Baudissin an Ehlert, 12.12.1990. In: Ehlert, Innenpolitische Auseinandersetzungen, S. 314, Anm. 309.
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en keine Allheilsarmee. Erziehung sei in den Streitkräften nur ein Abfallprodukt einfach aus der Erwägung heraus, dass der Staat 1 ½ Jahre seine jungen Leute nicht ohne Erziehung lassen könne. Erziehung erfolge im Wesentlichen durch Beispiel. Man solle die Offiziere nicht überfordern. Schließlich könnten sie auch nicht mehr als die Schulmeister, in der Regel weniger. Mit brüderlichem Verhalten und seelsorgerischem Gespräch sei nichts zu machen. Das brächte nur Verklemmungen. Im Übrigen schätze er Graf B[audissin] sehr, er sei ein patenter Kerl, aber der Soldat brauche Schwarzbrot, aber keine Diätküche.«755 Seine den Referatsentwurf betreffenden Einwände lösten schließlich eine Kontro verse über das Verständnis des Erziehungsbegriffes aus, deren Beginn sich bereits im April 1952 auf der ersten Siegburger Tagung ansatzweise abgezeichnet hatte und zu deren Beendigung sich der Leiter der Dienststelle, Theodor Blank, zu guter Letzt genötigt sah, seinen Abteilungsleiter I in einem Schreiben vom 8. Juli 1954 zurechtzuweisen: Wirmer möge von weiteren Stellungnahmen zur Frage der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« absehen, da er mit seiner Billigung der Erziehungsleitsätze in der Fassung vom 18. Mai 1954 und der am 22. Juni erfolgten Übergabe an den Bundestagsausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit die Diskussion innerhalb der Dienststelle als vorerst abgeschlossen ansehe.756 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Wirmer in zwei an Blank gerichteten Stellungnahmen eine umfassende Kritik an den überreichten Erziehungsleitsätzen zum Ausdruck gebracht. In seiner ersten Beurteilung vom 16. Juni757 hatte er sich zunächst gegen den objektiven Anschein einer »Neuschaffung« der Leitsätze und ihrer Darbietung »als ein neues und modernes Werk«758 gewandt. Wirmer bezog sich hierbei auf das dem Entwurf beiliegende Anschreiben des Referats: »Der Entwurf wurde, ausgehend von der ersten Fassung II/2/1 vom 15. Juni 1953, in seinen Grundzügen auf einer Sachverständigen-Tagung in Siegburg mit Pädagogen, Wehrpädagogen, Soziologen, Juristen und Theologen zusammen mit zwölf Herren des Hauses unter Leitung von II/2/1 erarbeitet. Das Ergebnis dieser Tagung wurde dann durch eine Arbeits gruppe, bestehend aus den Vertretern verschiedener Referate von II/1, II/2, II/4 und II/PL, abgestimmt und fertiggestellt.«759 Andere Quellen als die Arbeiten der Wissenschaftler sowie deren Abstimmung und Fertigstellung in der verantwortlichen Abteilung des Amtes Blank seien nicht aufgeführt und mithin die Vorlage eines originellen Werkes vorgetäuscht. Stattdessen stellten die Leitsätze jedoch eine teils sinngemäße, teils wörtliche Übernahme von Passagen aus der Ausbildungsvorschrift 755 756 757 758 759
Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 22.1.1954, BArch, N 717/2, Bl. 45. Siehe Schreiben Blank an Wirmer, 8.7.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 42. Schreiben Wirmer an Blank, Stellungnahme Wirmer zum Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, 16.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 19‑23. Ebd., Bl. 19. Anschreiben zu dem Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, 26.5.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 3. Die Bezeichnungen weisen auf folgende Abteilungen/Unterabteilungen hin: II (Militärische Abteilung), II/2/1 (Militärische Abteilung/ Selbstständige Gruppe Innere Führung/Referat 1 Inneres Gefüge), II/1 (Militärische Abteilung/ Unterabteilung Allgemeine Verteidigungsfragen), II/4 (Militärische Abteilung/Unterabteilung Materielle Verteidigung) und II/Pl (Militärische Abteilung/Unterabteilung Planung). Siehe Organi sationsplan der Dienststelle Blank (1.4.1954), Anlage 1a, BArch, BW 2/8530.
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für die Infanterie (AVI) in der Fassung vom 8. August 1935 oder 1. Oktober 1938 dar.760 In dieser Vorgehensweise sah Wirmer eine große Gefahr für die Akzeptanz der zukünftigen Leitsätze: »Ohne dass zu dem sicher in einzelnen Sätzen richtigen Inhalt und zu der in manchen Fällen guten Fassung der AVI sachlich Stellung genommen wird, erscheint es mir im höchsten Maße gefährlich, wenn die Dienststelle als neu dargestellte Leitsätze herausgibt, bei denen es ein Leichtes ist, nachzuweisen, dass sie nicht nur verwandt mit den früheren Leitsätzen sind, sondern zum Teil eine wörtliche Wiederholung darstellen. Mit einem solchen Vorwurf sind die Leitsätze in der Öffentlichkeit, selbst wenn sie Verbesserungen bringen, von vornherein und restlos erledigt.«761 Zudem gereiche die Inanspruchnahme dieser Vorschrift aus der Zeit des »Dritten Reiches« unter Missachtung ihrer Fassung von 1922762 den Leitsätzen in ihren sittlichen und politischen Grundlagen ebenfalls nicht zum Vorteil. Im Anschluss an diese formale Bewertung fokussierte Wirmer seine Beurteilung auf die Leitsätze selbst und stellte dabei die seiner Auffassung nach intendierte Zielsetzung einer allgemeinen Erziehung und deren Vorrangstellung vor Ausbildung und Führung in das Zentrum seiner Kritik. Zwar bestritt Wirmer nicht, dass im Rahmen der Ausbildung und Führung von Soldaten erzieherische Aufgaben anfallen, doch impliziere die Inanspruchnahme einer allgemeinen Erziehung und ihrer Vorrangstellung deren Totalitätsanspruch. Dieser werde der Bedeutung und den Aufgaben des Wehrdienstes jedoch nicht gerecht. Es sei »bedenklich und gefährlich, die Erziehung, und zwar die allgemeine Erziehung, im Wehrdienst in den Vordergrund zu stellen und zur Forderung zu erheben. Es ist zu berücksichtigen, dass der Soldat in der Regel erst mit dem vollendeten 20. Lebensjahr zum Wehrdienst einberufen wird und mithin als erwachsener Wahlberechtigter und politisch mündiger Staatsbürger zur Truppe kommt. In diesem Stadium ist die Behandlung des
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Siehe HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938. Wirmer legte seiner Stellungnahme ein Exemplar der Leitsätze bei, in dem er die Textpassagen, die seiner Auffassung nach der AVI sinngemäß oder wörtlich entnommen worden waren, rot markiert hatte. Zu den Marginalien Wirmers siehe Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 11‑17. Schreiben Wirmer an Blank, Stellungnahme Wirmer zum Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, 16.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 20. In einer ersten Reaktion auf die Stellungnahme bestätige Blank den Einwand Wirmers hinsichtlich des fehlenden Hinweises auf die AVI und ließ ihm durch seinen persönlichen Referenten mitteilen, dass Graf Kielmansegg angewiesen worden sei, die Mitglieder des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit bei der Erörterung der Erziehungsleitsätze über den Sachverhalt zu informieren. Siehe Schreiben Bucksch an Wirmer, 19.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 24. Siehe HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 26.10.1922. Wirmer ließ hier und im weiteren Verlauf seiner Argumentation den Eindruck entstehen, dass der damalige Chef der Heeresleitung, Generaloberst Hans von Seeckt, Verfasser besagter Vorschrift gewesen sei. Schreiben Wirmer an Blank, Stellungnahme Wirmer zum Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, 16.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 22. Dieser Wahrnehmung trat Baudissin in seiner Entgegnung auf die Kritik Wirmers energisch entgegen. Siehe Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 35.
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II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
Soldaten in den Leitsätzen als zunächst Objekt einer allgemeinen Erziehung und dann erst als Objekt der militärischen Ausbildung keineswegs mehr angebracht.«763 Ferner bezweifelte er, dass ein derartiger Anspruch bei den politischen Institu tionen, wie den Jugendverbänden, Parteien oder Gewerkschaften, Akzeptanz finden würde. Ein weiteres Argument gegen die Erziehung des Soldaten als vorrangigem Postulat sah Wirmer in der Überforderung eines größeren Teils der Offiziere und Unteroffiziere – Bedenken, die er bereits in Siegburg zur Diskussion gestellt hatte. Nicht überfordert seien sie hingegen mit der Ausbildung der Soldaten zu guten Waffenhandwerkern; die hierzu erforderliche Härte und Selbstdisziplin, sowohl beim Auszubildenden als auch beim Ausbilder, besäßen großen erzieherischen Einfluss. Wirmer untermauerte seine Beweisführung mit dem Hinweis auf die handwerkliche und industrielle Ausbildung. Sie bringe auch ohne ein Erziehungspostulat allseits anerkannte, charakterstarke Handwerksmeister und Werksmeister der Industrie hervor, die im deutschen Volke seit alters her Anerkennung gefunden hätten und fänden. Der reklamierte Primat der Erziehung berge indes die Gefahr in sich, dass das Militär nicht nur erneut als »Schule der Nation« angesehen werde, sondern als solche auch wieder tätig sein wolle. Diese Tendenz spiegle sich auch darin wider, dass der vorliegende Entwurf mit seinem Postulat einer allgemeinen Erziehung nicht nur weit über die Grundsätze der früheren Fassungen der AVI hinausreiche, sondern die im »Dritten Reich« in die AVI aufgenommenen Erziehungsforderungen sogar noch erweitere. Ausdrücklich wies Wirmer in seiner Argumentation darauf hin, dass diese an die Wehrmacht gestellten erweiterten Erziehungsforderungen dem damals gültigen Standpunkt Rechnung trugen, der die Wehrmacht erneut zum hervorgehobenen Erziehungsinstrument des deutschen Volkes erkoren hatte. In einem weiteren Rückgriff auf die von Seeckt erlassene Fassung der Leitsätze von 1922 vermerkte Wirmer die fehlende Stellungnahme, wofür und gegen wen der Soldat zu kämpfen habe.764 Werde die Frage des Vaterlandes lediglich kurz gestreift, blieben Heimat, Familie und sonstige Werte, die einen Kampf wert seien, unberücksichtigt. Ferner gingen die Leitsätze weder auf die Deutschland- und Europafrage noch auf die Probleme, die mit der EVG und NATO zusammenhängen, ein. Nicht nur der vermeintliche Gegner und dessen weltanschauliche Ausrichtung sowie die sich daraus ergebenden Folgen blieben ungenannt, auch der deutsche Standpunkt zu Fragen der Weltanschauung fände keine Erwähnung. Darüber hinaus könnten Erziehungsleitsätze, die keine eindeutige Position zur Religion und zum Christentum bezögen, nicht als Grundlage einer erfolgreichen und wirksamen Persönlichkeitsentwicklung dienen. Selbiges gelte, mit Ausnahme des in den Leitsätzen erwähnten Staatsbürgers und des staatsbürgerlichen Unterrichtes, auch für die Stellung des Soldaten zur Frau, zur Familie sowie zum Staat. 763
764
Schreiben Wirmer an Blank, Stellungnahme Wirmer zum Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, 16.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 21, Her vorhebung im Original. Auch dieser Hinweis wurde im Namen Blanks von Bucksch als berechtigt bezeichnet. Eine Anfrage bei de Maizière habe ergeben, »dass darauf in der in Vorbereitung befindlichen Präambel eingegangen werde.« Schreiben Bucksch an Wirmer, 19.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 24.
II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
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Konträr zur Fassung von 1922, in der zwar das »Wofür«, nicht aber der Drill Erwähnung gefunden hatte, hätte Letzterer sowohl in der AVI als auch im vorliegenden Entwurf wieder seinen Platz. In der Wehrmachtvorschrift »als unentbehrliches Mittel für die Erziehung der Mannschaft zur Ordnung und Mannszucht«765 bezeichnet, sei versucht worden, ihm durch seinen Erziehungszweck ein ethisches Mäntelchen umzuhängen. Dieses Wort durch allgemeine Ausdrücke zu glorifizieren war nach Wirmers Auffassung falsch. Er sah sich hierbei an einen Aufsatz über »Die ethische Grundlage des Parademarsches« erinnert, den er während seiner militärischen Ausbildung habe schreiben müssen.766 Einen weiteren Mangel des Entwurfs sah Wirmer in der scheinbaren Missdeutung des britischen Begriffs »education«. Im Gegensatz zu dem, was die Leitsätze mit Erziehung meinen, trage die »Erwachsenen-education« dem teilweise sehr geringen Bildungsstand in den britischen Streitkräften Rechnung. Nicht in der Erziehung, sondern in der Unterrichtung elementarster Schreib- und Lesekenntnisse bestünde deren Aufgabe.767 Seine abschließenden Ausführungen galten der Diktion der Leitsätze. In sprachlicher Hinsicht seien sie weich, ohne Prägnanz, häufig verschwommen und in einigen Fällen phrasenhaft: »Sätze wie ›Jeder Erzieher müsse um die Würde und Gefahr des soldatischen Auftrages wissen‹ oder ›Der Erzieher muss um das Gewicht des Wortes wissen‹ sind Phrase, vor allem, wenn auf das letzte Zitat folgt, daß die Sprache des Erziehers schlicht und treffend sein solle. Schon diese moderne Wortform des ›um etwas wissen‹ hat doch bei genauer Überlegung den Sinn, dass man nur etwas und wenig weiß, und dass man die Dinge nicht genau und bis ins Letzte kennt und gelernt hat.«768 Im Vergleich zur Fassung Seeckts zeige sich auch hierin eine Verschlechterung, dieser sei jedoch ein anerkannter Meister der deutschen Sprache gewesen. Von de Maizière als recht unsachliche Gegendarstellung zu den Erziehungsleit sätzen angekündigt, die wohl das Ziel verfolge, im Bundestagsausschuss das Referat Karst zu verhindern769, parierte Pollmann die vorangegangene Ankündigung eines Mitarbeiters Wirmers, »dass er ohne Rücksprache [mit Karst] eine schwere Bombe auf uns loslassen müsse« mit der Antwort, dass man keine Angst habe und nicht einmal in volle Deckung ginge.770 765 766
767 768
769 770
H.Dv. 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 9. »Der Drill ist nur ein technisches Mittel der Ausbildung, durch das der Soldat gewöhnt werden soll, bestimmte, in allen Lagen wiederkehrende Tätigkeiten auch automatisch auszuführen. Darüber hinaus kommt dem Drill keine erzieherische Bedeutung zu. Er setzt vielmehr die Erziehung des sittlichen Willens und die Einsicht voraus.« Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 9; Anlage 6, S. 501. Eine Glorifizierung des Drills kann hieraus nicht abgelesen werden. Zum »Education-Programm« der britischen Streitkräfte siehe S. 124‑129 in dieser Arbeit. Schreiben Wirmer an Blank, Stellungnahme Wirmer zum Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, 16.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 23. Siehe hierzu Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 6. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 18.6.1954, BArch, N 717/2, Bl. 325. Streitkräfte ohne Erziehungsanspruch benötigen kein Referat, das dementsprechende Richtlinien ausarbeitet. Tagebuch Baudissin, Eintrag Pollmann, 14.6.1954, BArch, N 717/2, Bl. 320.
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Stattdessen wurde mit teils schwerem Kaliber zurückgeschossen, denn in seiner von Blank angeordneten Erwiderung771 stellte Baudissin einleitend fest, dass die Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I nicht anerkannt werden könne, da sie – sofern sie nicht auf Missverständnissen beruhe – sachlich unhaltbar sei.772 Im Weiteren griff er jeden Kritikpunkt Wirmers auf und begründete seine Ablehnung in umfassenden Ausführungen, in einigen Fällen auch mit unverkennbar belehrendem, sogar zurechtweisendem Unterton. Baudissin verteidigte zunächst den auch vom Deutschen Bundestag bereits bestätigten Erziehungsanspruch der Streitkräfte,773 denn wenn »man die Erziehung im soldatischen Bereich als eine Nebenwirkung der Ausbildung [betrachtet], die zwar eintreten kann, aber von vornherein weder beabsichtigt noch geplant ist, so öffnet man dem ›Kommiss‹ Tür und Tor. ›Erfolgreiche‹, ›gute‹ und ›beispielgebende‹ Ausbildung und Führung sind nur möglich, wenn sie erzieherisch richtig und planvoll angelegt werden. Die bezeichnenden Adjektiva des Herrn Abteilungsleiters I besagen im Grunde auch nichts anderes. Eine Ausbildung, die sich der erzieherischen Wirkung jedes menschlichen Miteinanders nicht von Anfang an bewusst ist, übersieht den Menschen und wendet sich an partikulare Fertigkeiten des Einzelnen. Eine militärische Ausbildung ohne erzieherische Absicht und Wirkung gibt es nicht. Das bewusste Übersehen dieser Gegebenheit bereitet den Boden für bedenkliche Spannungen. Erziehung ist gleichsam die innere Seite jeder rechten Ausbildung.«774 Die Interpretation Wirmers, der Soldat sei zunächst Objekt der Erziehung und anschließend der Ausbildung, wies Baudissin zurück, hieße es doch im Entwurf eindeutig, dass die Erziehung »vor allem in der militärischen Ausbildung wirksam [wird], die von der Erziehung nicht zu trennen ist.«775 Für Baudissin reichte der Raum Erziehung sogar weit über den Sektor der Ausbildung hinaus, umfasst er doch – wie bereits in den Ausführungen über die Rahmenbedingungen der indirekten Erziehung dargestellt – die »institutionellen Regelungen, das Disziplinar- und Gerichtswesen, die Information und bis zu einem gewissen Grade auch die Betreuung.«776 Wirmer vertrete, wenn auch unbewusst, die Auffassung Altrichters, dass der Soldat zunächst ausgebildet werden müsse, bevor er erzieherischen Einflüssen ausgesetzt werden dürfe.777 Dies führe zur Rekruten-Psychose, der man aber entgegentreten könne, indem »schon der Ton des Einberufungsschreibens und die Behandlung beim Eintreffen in 771 772 773 774 775 776 777
Schreiben Bucksch an Abteilung II, 19.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 18. Siehe Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 27‑36. Vgl. Meyer, Zur Situation, S. 837. Siehe Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 27. Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 4. Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 28. Baudissin bezieht sich hier auf die bei Altrichter zunächst erfolgende »Entpersönlichung« des Re kruten, die ihn fest in die Militärorganisation und die soldatische Gemeinschaft einbinden sollte, bevor im Rahmen der »Wiedererweckung« die Erziehungsphase zu Selbstständigkeit und Selbst tätigkeit einzusetzen hatte. Siehe Altrichter, Das Wesen, S. 14 f.; vgl. Hartmann, Erziehung, S. 227‑230.
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der Kaserne so sein müssen, dass der ganze Mensch angesprochen ist, d[as] h[eißt] dass von Anfang an alles Tun und Lassen erzieherisch durchdacht sein muss.«778 Der These Wirmers, dass die handwerkliche und industrielle Ausbildung auch ohne erzieherische Einflussnahme auskäme, hielt Baudissin, der sich zur Unter mauerung seines Konzeptes auch der Entwicklungen in der modernen Berufs- und Betriebspädagogik bediente, entgegen, dass man »die umfassenden Anstrengungen der modernen Betriebspädagogik und Betriebspsychologie [übersieht], wenn behauptet wird, dass sich der moderne Betrieb ohne ›allgemeine Erziehungspostulate‹ auf reine Fachausbildung beschränken würde. Tatsächlich ist gerade das revolutionäre Anliegen moderner Betriebsführung, sich über die rein fachliche Ausbildung hinaus an den ganzen Menschen zu wenden, um aus der Erwerbstätigkeit wieder einen Beruf zu machen, anstelle der Fließbandarbeiter im Apparat die verantwortliche Gruppe und Gemeinschaft zu entwickeln. Die übereinstimmenden statistischen Ergebnisse der modernen Betriebspädagogik zeigen, dass dort, wo die Beziehungen nicht nur technisch-rational, sondern menschlich, d[as] h[eißt] erzieherisch behandelt werden, überraschende Leistungssteigerungen die Folge sind und sich bald eine feste Belegschaft bildet [...] Mit reiner Fachausbildung und rationaler Organisation kann sich keine Betriebsführung heute mehr begnügen.«779 Den Vorwurf Wirmers, einer allgemeinen Erziehung das Wort zu reden und die Erziehungsleitsätze weit über die Grundsätze der AVI der Wehrmacht hinaus zu erweitern, fasste Baudissin sogar als Anerkennung auf, hieße es doch, »die Konception [sic!] vom ›Staatsbürger in Uniform‹ aufgeben, wenn man eine gesonderte soldatische Erziehung schaffen wollte. Dort, wo die allgemeinsten Erziehungsgrundlagen des bürgerlichen Lebens abgelehnt werden und Anspruch auf eine Autonomie des soldatischen Bereichs mit erzieherischen Sonderverfahren erhoben wird, werden die Wurzeln zum Militarismus gelegt. Der nächste logische Schritt ist der Ruf nach einem Sonderethos. Nur eine sinnvolle, umfassende Verschmelzung mit den öffentlichen Erziehungsbestrebungen kann eine erfolgreiche soldatische Ausbildung ermöglichen und verhindern, dass sich wieder ein ›Staat im Staate‹ bildet. Nicht die Streitkräfte dürfen die ›Erziehungsschule der Nation‹ sein, sondern umgekehrt sollte die Gemeinschaft den bestimmenden Anteil an der Erziehung ihrer Soldaten haben. Institutionell und pädagogisch ist jede Sonderstellung der Streitkräfte – ob negativ oder positiv – eine Gefahr für Truppe und staatliche Gemeinschaft. Man würde aber den Streitkräften eine Sonderstellung geben, wenn man in den 18 Monaten Dienstzeit die Erziehung zugunsten der dann rein technischen Ausbildung beiseite lassen oder aber eine besondere soldatische Erziehung, losgelöst von den allgemeinen Erziehungsbemühungen, schaffen würde.«780 Im Übrigen, fuhr Baudissin fort, sei die Forderung Wirmers, auf die Erziehung zugunsten der Ausbildung in den Streitkräften zu verzichten, nicht neu. Besonders im »Dritten Reich« habe man auf der einen Seite den Erziehungsauftrag der Partei und ihrer Organisationen und andererseits den Ausbildungsauftrag der Wehrmacht 778 779 780
Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 28. Ebd., Bl. 29. Ebd., Bl. 30. Hervorhebung im Orginal.
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II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
betont. Dieser Aufgabenteilung sei auch die Einführung des NSFO zu verdanken gewesen. »Die Wehrmacht als ›Erziehungsinstrument des deutschen Volkes‹«, so Baudissins Fazit, »gehörte nicht zum Gedankengut des ›Dritten Reiches‹.«781 Es bleibt offen, ob dies ein taktisches Manöver Baudissins oder echte Unkenntnis über die Bekenntnisse sowohl der militärischen Führung als auch Hitlers zur erzieherischen Funktion der Wehrmacht war. Letzteres erscheint mehr als unwahrscheinlich, da Baudissin im Rahmen seiner von Oktober 1934 bis Mai 1938 andauernden Verwendung als Bataillons- und Regimentsadjutant unmittelbar von den verschiedenen Erziehungserlassen der militärischen Führung betroffen war. Diese ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass »die Wehrmacht wieder zur großen Erziehungsschule der Nation«782 werden sollte, wobei sich die Verfasser auf die Willensbezeugungen Hitlers stützen konnten, der schon in seinem 1925/26 erschienenen Buch »Mein Kampf« keinen Hehl daraus gemacht hatte, die Streitkräfte als nationales Erziehungsinstrument wiederbeleben zu wollen.783 Diese an konservative Kreise und Reichswehrführung gerichtete Botschaft von der Mission des Heeres als die »Erziehungsschule der Nation« wurde von ihm darüber hinaus auch in zahlreichen Reden bekräftigt784 und spiegelte sich schließlich auch in den Erlassen des Reichswehrministers, Generaloberst Werner von Blomberg785, und des Ober befehlshabers des Heeres, General der Artillerie Werner Freiherr von Fritsch786, wider. Demzufolge stellte Blomberg 1935 zusammenfassend fest: »Der Dienst in der Wehrmacht ist also die letzte und höchste Stufe in dem allgemeinen Erziehungsgang des jungen Deutschen vom Elternhaus über die Schule, die HJ und den Arbeitsdienst. Das Erziehungsziel der Wehrmacht ist nicht nur der gründlich ausgebildete Kämpfer und der Herr der Waffe[,] sondern auch der seines Volkstums und seiner allgemeinen Staatspflichten bewuste Mann«787 und Fritsch konstatierte: »Unser jetziges Heer soll wieder die hohe Schule der Volkserziehung werden.«788 Baudissin werden diese Worte noch genauso in den Ohren geklungen haben wie Wirmer.789 Auch dürfte er über die Schriften Foertschs und deren Inhalt Kenntnis erlangt haben, der die 781 782 783 784
785 786 787 788 789
Ebd. Geheimer Erlaß des Reichswehrministers vom 16. April 1935 über Erziehung in der Wehrmacht, Offiziere im Bild von Dokumenten, Dok. 101, S. 260‑262, hier S. 260. Hitler, Mein Kampf, S. 459. Siehe u.a. Hitler, Reden, Bd III/2, Dok. 6, S. 45‑71, hier S. 70 f. Rede Hitlers (»Wir und die Reichswehr – Unsere Antwort an Seekt und Geßler«) auf der NSDAP-Versammlung in München am 15. März 1929, abgedruckt im Völkischen Beobachter (VB), Sondernummer Nr. 71a vom 26.3.1929: »Reichswehrsondernummer: Sonder-Nummer 15«. Die Verbreitung dieser Sondernummer im Heer und in der Marine wurde vom Reichswehrministerium verboten. Vgl. Vogelsang, Reichswehr, S. 61 f. Zu Blomberg siehe Schäfer, Werner von Blomberg; Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle, S. 23‑81. Zu Fritsch siehe Mühleisen, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch; Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle, S. 83‑195. Eine moderne Biographie Fritschs ist ein Forschungsdesiderat. Geheimer Erlaß des Reichswehrministers vom 16. April 1935 über Erziehung in der Wehrmacht, abgedruckt bei Müller, Armee und Drittes Reich, Dok. 39, S. 171‑173, hier S. 171. Erlaß des Chefs der Heeresleitung, General der Artillerie Frhr. v. Fritsch vom 21. Dezember 1934. In: Offiziere im Bild von Dokumenten, Dok. 100, S. 259 f., hier S. 259. Siehe Stellungnahme Wirmer zur Rückäusserung Baudissin, 30.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 38.
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Position der Wehrmacht – im Verbund mit der Partei – als Träger der Staatsgewalt sowie als Repräsentant und Erzieher der Nation definierte790: »So ist die neue deutsche Wehrmacht in vielfacher Hinsicht von umfassender Bedeutung für die gesamte Nation: Sie ist der starke Schutz und Schirm für das Leben des Volkes und den Bestand des Reiches. Sie ist die große soldatische Erziehungsschule der jungen Mannschaft; in ihr verkörpert sich die Volksgemeinschaft in reinster Form; sie ist das starke Vorbild für die Verwirklichung des Führergedankens.«791 Der apologetische Versuch Baudissins, den Schwarzen Peter der nationalsozialistischen Erziehung der Partei zuzuschieben, muss vor diesem Hintergrund scheitern. Welches Erziehungsverständnis Baudissin in seiner Dienstzeit als Reichswehr- und Wehrmachtoffizier vertreten hat, lässt sich nicht bestimmen, doch kann ein Schreiben eines ehemaligen Untergebenen als Indiz dafür gewertet werden, dass Baudissin bereits zum damaligen Zeitpunkt als Erzieher, Ausbilder und Führer neue Wege beschritt. Zwar jagte auch Baudissin seine Soldaten auf dem Ausbildungsfeld herum, »aber durch die Art, in der das alles geschah, die Persönlichkeiten nicht zerstörten, sondern weckten [sic!], da sagten wir: Ja, der Ton macht eben die Musik [...]«792 Für Baudissin dürfte in seiner Argumentation wohl eher eine diametrale Auffassung von Erziehung eine Rolle gespielt haben, denn eine Erziehung im Sinne der »Reichenberger Rede« Hitlers, die den Menschen allumfassend für die Zwecke der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft einspannen sollte, ihn hierzu sogar in lebenslange Unfreiheit zu verbannen suchte, widersprach allen traditionellen pädagogischen Maximen. Im weiteren Verlauf seines Antwortschreibens wies Baudissin den Abteilungsleiter I auf einen Widerspruch in dessen Argumentation hin, denn obgleich Wirmer den Erziehungsanspruch der Streitkräfte verneine, fordere er andererseits eine Persön lichkeitsbildung, die auf der Religion und dem Christentum sowie einer bestimmten Position zur Frau und zur Familie beruhe. Dieser Forderung trat der praktizierende Christ Baudissin jedoch mit der Argumentation entgegen, dass die pluralistische Gesellschaft und die klare Forderung des Grundgesetzes nach Gewissensfreiheit die Forderung nach einer Erziehung zu Religion und Christentum nicht vertretbar erscheinen lassen.793 Ein Hinweis auf die Unantastbarkeit letzter Bindungen sei jedoch in der Präambel enthalten. Eine Überforderung der Vorgesetzten sah Baudissin durch die Leitsätze nicht gegeben, vielmehr seien die Forderungen von der Sache her geboten. Abrichter bliebe, wer sie nicht anerkenne und sich nicht bemühe, sie nach Kräften zu verwirklichen. Er gestand zwar zu, dass an Orten der Erziehung – Elternhaus, Schule oder Universität – auch Menschen wirken, die nicht erziehen können, doch entbinde diese Tatsache nicht davon, erzieherische Anforderungen zu stellen. Zukünftige Vorgesetzte müssten über ein Mindestmaß an erzieherischer Befähigung verfügen oder es erwerben, ansonsten seien sie nicht geeignet. Hierzu sei geplant, die pädagogische Ausbildung 790 791 792 793
Siehe Foertsch, Die Wehrmacht, S. 34. Foertsch, Der Offizier der deutschen Wehrmacht, S. 14. Schreiben Behne an Baudissin, 23.11.1954, BArch, N 717/19. Form und Inhalte des Lebenskundlichen Unterrichts werden von dieser Aussage Baudissins nicht berührt, dient er doch der Vermittlung des abendländischen – nicht christlichen – Menschenbildes sowie der Werte und Ordnungen, die allgemeine Gültigkeit besitzen.
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an der Militärakademie entsprechend zu fördern. Diese Ansätze pädagogischer Fähigkeiten hatte Weniger bereits in seinem Vortrag über das Wesen der EuropaArmee auf der ersten Siegburger Tagung angemahnt, da es »gerade im Anfang, wo es sich zunächst um Bildung der Atmosphäre und Bestimmung des Niveaus handelt, so viel auf den richtigen erzieherischen Ansatz und die rechte Haltung«794 ankomme. Der formalen Kritik Wirmers hielt Baudissin entgegen, dass es sich bei den Arbeiten der wissenschaftlichen Mitarbeiter und des Arbeitsausschusses des Hauses nicht um Quellen, sondern um Arbeitsverfahren handle. Er beschrieb die bereits ausführlich dargelegten Arbeitsschritte und wies explizit darauf hin, dass die AVI vom 8. August 1935 nicht als Primärquelle, sondern erst in der letzten Phase der Arbeit Verwendung gefunden hatte. Daraus seien nach umfassender Prüfung sieben Sätze wörtlich, neun Sätze in stark abgeänderter Form übernommen worden. Hinsichtlich dieser Vorschrift gab Baudissin zu bedenken, »dass die 130/1 zum Teil noch Sätze aus der Feder Moltkes enthält und sich stark an die Einleitung der T.F. [Truppenführung, d.Verf.] von 1933795 anlehnt, deren Hauptbearbeiter Generaloberst Beck796 war. Wenn in der Rotstiftunterstreichung durch den Herrn Abteilungsleiter I auch das einzelne Wort ›Gerechtigkeit‹ als aus früheren Vorschriften entlehnt bezeichnet wird, so kann das doch nicht bedeuten, dass ein Wort so weiten Sinngehaltes, nur weil es in früheren Vorschriften erwähnt wurde, in Zukunft nicht mehr verwendet werden dürfe.«797 Auch der Aufbau der Leitsätze sei nicht der H.Dv. 130/1 entlehnt, sondern folge den pädagogischen Schriften seit Johann Heinrich Pestalozzi und Christian Gotthilf Salzmann798: Wohin soll erzogen werden, mit welchen Menschen und auf welchen Wegen? Das »Wofür« enthalte die Präambel der Siegburger Fassung von 1953799, die in sprachlicher Hinsicht aber noch nicht befriedige. Eine Überarbeitung könne jedoch erst nach Vorlage der »Leitsätze für die Ausbildung« durch II/PL sowie deren Abstimmung mit den Erziehungsleitsätzen erfolgen. Doch für »den sorgfältigen Leser« – so Baudissin mit einem ersten Seitenhieb – »wird das ›Wofür‹ aber bereits in den Erziehungsleitsätzen deutlich. Eine ›bis zum letzten Wort durchgeführte textkritische Untersuchung‹ hätte sicher auch nicht übersehen lassen, dass die Heimatverwurzelung als eine Quelle erzieherischen Wirkens in I/3800 genannt wird 794 795 796 797
798 799 800
Referat Weniger über »Das Wesen der Europa-Armee«, BArch, BW 9/2528-2, Bl. 6‑24, hier Bl. 23. HDv 300/1, Truppenführung, I. Teil, S. 1‑5. Zu Beck siehe Müller, Generaloberst Ludwig Beck. Schreiben Baudissin an Blank, Rückäußerung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 33. Dieser letzte Einwand mochte nach Ansicht Wirmers demagogisch gut klingen, er bedauerte aber, dass er ihm gegenüber gebraucht werde. Eine in dieser Form geführte Auseinandersetzung sei der Sache nicht dienlich. Siehe Stellungnahme Wirmer zur Rückäußerung Baudissin, 30.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 40. Zu Leben und Werk Salzmanns siehe Friedrich, Salzmann; Herrmann, Die Pädagogik der Philan thropen, S. 154‑156. Siehe »Leitsätze für soldatische Erziehung«, Siegburg, 31.10.1953, BArch, BW 9/2592-3, Präambel, Bl. 41 f. »Jede gute Erziehung weckt und wahrt rechtliches Denken und Achtung vor der Menschenwürde – auch unter den harten Notwendigkeiten des Krieges. Sie fordert Wahrhaftigkeit und Bescheidenheit und stärkt das Selbstvertrauen sowie das der Gemeinschaft verantwortliche Gewissen. Sie wurzelt
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und dass hier unter ›Vaterland‹ nicht nur die territoriale Vorstellung gemeint ist.«801 Mit dieser Spitze spielte Baudissin auf die Einschränkung Wirmers an, dass er auf eine textkritische Untersuchung bis zum letzten Wort verzichtet habe, da eine erste Übersicht genüge.802 Für Baudissin blieb es auch »unerfindlich, wie aus der sachlichen Begrenzung des Drills = technisches Mittel der Ausbildung eine ›Glorifizierung‹ herausgelesen werden kann.«803 Da in der Öffentlichkeit heftig diskutiert, könnten Aufgaben und Grenzen des Drills nicht unerwähnt bleiben. Die zunehmende Technisierung der Waffen und Geräte erfordere in erhöhtem Maße die Automatisierung und Beherrschung von Handgriffen und Bewegungen, um Kriegstüchtigkeit und Überleben der Truppe zu gewährleisten. Weder eine Namensänderung noch das Verschweigen ändere etwas an diesem Tatbestand. Im Gegenteil: Gerade der Verweis des Drills auf seinen Platz als technisches Mittel der Ausbildung entschärfe den Streit, denn obwohl »oder vielleicht gerade, weil die ›Seecktsche‹ Fassung von 1922 nicht vom Drill sprach, ist in der Reichswehr weit über das sachlich Notwendige heraus gedrillt worden.«804 Baudissin verwies in seiner Argumentation auch auf die zahlreichen Gespräche der Referatsangehörigen mit Jugendlichen aller Schichten und Berufe, deren technischer Sachverstand sehr wohl die Notwendigkeit anerkenne, bestimmte Übungen drillmäßig zu betreiben. Sorge bereite den jungen Menschen aber, »dass ›Abrichter‹ Kriegswerkzeuge aus ihnen machen wollen, ohne sie als Menschen anzuerkennen.«805 Vollends zur Dozentur geriet die Antwort Baudissins auf die Kritik Wirmers hinsichtlich der sprachlichen Gestaltung der Leitsätze. Zwar wurde der Entwurf auch vom Referat selbst als verbesserungsbedürftig anerkannt, das ginge »schon daraus hervor, dass er dem Haus zur Stellungnahme vorgelegt wurde. Wer die Entstehungsgeschichte grundsätzlicher Vorschriften kennt, weiß, wie ausgiebig an ihnen gefeilt und wie sie immer erneut in den Schmelztiegel der Kritik geworfen werden. So ist der Entwurf der AVI von 1922 auch nicht aus der Feder Seeckts, ›des anerkannten Meisters der deutschen Sprache‹«, sondern wurde im AVI-Aus schuss des Truppenamtes erarbeitet.806 Gemäß Baudissins Auflistung gehörten
801 802 803
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in der Ehrfurcht vor Leiden und Leistungen der Vergangenheit und in der Liebe zu Heimat und Vaterland.« Entwurf der »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« in der Fassung vom 18. Mai 1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 4. Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 34. Schreiben Wirmer an Blank, Stellungnahme Wirmer zum Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, 16.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 20. Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 34. Der Drill sollte zukünftig ausschließlich als Ausbildungsmittel dienen, um immer wiederkehrende Handgriffe und Verrichtungen perfekt zu beherrschen. Ebd. Zur Erziehung in der Reichswehr und zum Missbrauch der in der Ausbildung gewährten Freiräume siehe Hartmann, Erziehung, S. 214‑224, zum Missbrauch insbesondere S. 220 f., Anm. 462. Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 34. Ebd., Bl. 34 f. Das Allgemeine Truppenamt war der Heeresleitung unmittelbar unterstellt und nahm nach dem Verbot des Großen Generalstabes durch den Versailler Vertrag dessen Aufgaben wahr.
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der Infanteriegruppe der Vorschriftenkommission der Inspekteur der Infanterie Generalmajor Elimar Friedrich von Taysen, Oberstleutnant Werner Kienitz807, der Schriftsteller Leutnant a.D. Ernst Jünger sowie der als Techniker bezeichnete Major Friedrich von Merkatz808 an.809 Obwohl dieser Ausschuss für die Ausarbeitung der Vorschrift fast zwei Jahre Zeit hatte, wurden »auch hier noch Sätze aus der ›Preussischen Felddienstordnung‹ von 1908810 und anderer früherer Vorschriften eingearbeitet [...] Der Satz der 130/1 ›der Offizier ist der Erzieher, Ausbilder und Führer seiner Truppe‹811 stammt in seiner ersten Gestalt aus der ›Preussischen Felddienstordnung‹ von 1908, wo es im Artikel 4 heißt: ›Der Erzieher und Führer auf allen Gebieten ist der Offizier‹.812 Die Wendung ›wissen um‹ ist kein ›schlechtes und modernes‹ Deutsch, sondern gutes und altes. Im Stilwörterbuch des Duden, herausgegeben von Prof. Dr. Ewald Geissler, 1939, wird die Wendung sowohl unter dem Stichwort ›um‹ (S. 656 Spalte 1) als auch unter dem Stichwort ›wissen‹ (S. 563 Spalte 2) als richtiges und gebräuchliches Deutsch erwähnt. Im ›Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache‹ von Kluge Götz, Ausgabe 1951, wird darauf verwiesen, dass es die Urbedeutung des Wortes ›wissen‹ wiedergibt, wenn man ›wissen‹ mit ›um‹ verbindet. ›Wissen‹ geht auf das indogermanische Wurzelwort ›ved‹ (= lateinisch: videre) zurück, also beobachten, sehen, – ›um‹ auf indogermanisch ›mbhi‹ – von allen Seiten. ›Wissen um‹ heißt also: von allen Seiten betrachten, d[as] h[eißt] genau betrachten. Wenn die Leitsätze von II/2/1 ›zum großen Teil‹ eine ›wörtliche Wiederholung‹ älterer Vorschriften darstellten, d[as] h[eißt] eine ›auf weite Strecken hin im Aufbau und im Wortlaut genaue Abschrift der Ziffern 3‑12 der AVI‹ wären, dann ist es schwer verständlich, dass ihre Sprache ›weich und ohne Prägnanz und häufig verschwommen‹ ist, wo doch als Autoren der AVI u[nter] a[nderem] Moltke813, Ernst Jünger und Beck bekannt sind, denen man eine solche Schreibweise kaum nachsagen kann.«814 Die Leitsätze seien eben nicht für eine flüchtige Übersicht geschaffen, schloss Baudissin seine Erläuterung in professoraler Süffisanz und verwies abschließend darauf, dass der Bundestagsausschuss für die Fragen der europäischen Sicherheit sowohl die den Leitsätzen zugrundelie807 808
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810 811 812 813
814
Zu Kienitz siehe Die Führer des Reichsheeres, S. 50, Kehlig, Das deutsche Heer, Bd 3, 162; Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 440. Als Waffenfachmann war Friedrich Augsut Oskar Merkatz Verfasser zahlreicher Publikationen über das Maschinengewehr, womit sich Karsts Charakterisierung als Techniker erklärt. Zu den Veröffentlichungen Merkatz’ vgl. (letzter Zugriff 8.7.2015). Siehe Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 34. Kiesel führt in seiner JüngerBiographie neben Ernst Jünger Generalmajor Elimar Friedrich von Taysen als Leiter sowie die Offiziere von Westernhagen (nicht ermittelt), Oberstleutnant Werner Kienitz und Major Adolf Hüttmann (1875‑1969, 1941 Generalleutnant) als Mitglieder der Infanteriegruppe der Vor schriftenkommission an. Vgl. Kiesel, Ernst Jünger, S. 165. Siehe Preussische Felddienstordnung von 1908, Einleitung, S. 9‑16. HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 8. Preussische Felddienstordnung von 1908, S. 9. Aufgrund seines literarischen Schaffens vermutlich gemeint Helmuth Graf von Moltke, genannt »der Ältere« (1800‑1891). Zum militärpädagogischen Wirken Moltkes vgl. Stahl, Helmuth Graf von Moltke. Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 35.
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gende Gesamtkonzeption als auch die Leitsätze selbst in der Sitzung vom 22. Juni anerkannt habe.815 Dieser Feststellung, wohl in dem Willen getätigt, die Diskussion durch einen von politischer Seite ergangenen Beschluss als beendet zu betrachten, trat Wirmer in seiner zweiten Stellungnahme energisch entgegen.816 Zu Recht, denn Baudissin und Karst hatten in besagter Sitzung zwar als Referenten zum Bild des zukünftigen Soldaten sowie zu Grundsätzen der soldatischen Erziehung vorgetragen, der anschließenden Diskussion folgte aber kein Beschluss von Seiten des Ausschusses. Stattdessen wurde der überreichte Entwurf in die Arbeitsgruppe II des Ausschusses817 unter Leitung des FDP-Abgeordneten und ehemaligen Generals d. Pz.Tr. Hasso von Manteuffel zur eingehenden Prüfung überwiesen.818 Gleich zu Beginn seiner inhaltlichen Darlegungen zu Baudissins Replik musste Wirmer eingestehen, dass ihm der Erziehungsbegriff, von dem Baudissin ausging, nicht klar geworden sei. Dessen Hinweise auf die Gruppen- und Gemeinschaftsarbeit sowie die von industrieller Seite angestrebten menschlichen Beziehungen entgegnet Wirmer, dass es sich hierbei nicht um Erziehung im eigentlichen Sinne handle. Auch die angeführten institutionellen Regelungen hätten zwar erzieherische Wirkung, seien aber nicht Erziehung selbst. Des Weiteren könne sich Baudissin nicht einerseits gegen die Übersetzung des britischen Wortes »education« in Erziehung wehren,819 das im wesentlichen Erwachsenenbildung meint, andererseits jedoch einen Beschluss der Ministerpräsidenten zur Erwachsenenbildung heranziehen, in dem die Erwachsenenbildung als besonderes Anliegen der Demokratie bezeichnet wurde,820 um dergestalt die allgemeine Erziehung als Aufgabe des Heeres zu begründen. Folglich sei es ihm »also unmöglich, aus den Darlegungen in dem Vermerk v[om] 23.6. zu erforschen, aus welchen Quellen der Begriff ›Erziehung‹, der bei den Leitsätzen für die soldatische Erziehung Pate gestanden hat, kommt.«821 Sein wesentlicher Einwand blieb aber die von ihm befürchtete Überforderung des Führer- und Unterführerkorps mit der ihm auferlegten Erziehungsaufgabe. Baudissin hatte Wirmers diesbezügliche Bedenken nicht beseitigen können. Auch wenn der Erziehungsanspruch von der Sache her geboten sei, wäre es dennoch nicht 815 816 817
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Siehe Protokoll der 14. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 22.6.1954, Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 2, S. 1057‑1090. Siehe Stellungnahme Wirmer zur Rückäusserung Baudissin, 30.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 37‑41, hier Bl. 37. Der Ausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit hatte in seiner 13. Sitzung drei interfraktionelle Arbeitsgruppen zur Beratung des Fragenkomplexes Innere Führung gebildet: Soldatische Ordnung (Vorsitz: Abg. Paul, SPD), Pflichten und Rechte des Soldaten (Vorsitz: Abg. Manteuffel, FDP) und Disziplinarordnung (Vorsitz: Abg. Heye, CDU/CSU), siehe Protokoll der 13. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 14.6.1954, Der Bundestagsausschuss, Bd 2, S. 1056. Siehe Vermerk Karst, 2.11.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 44. »Das Referat hat sich stets gegen eine Übersetzung des Wortes ›Education‹ mit ›Erziehung‹ gewehrt. Britische Vorbilder sind auf diesem Gebiet nicht herangezogen.« Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 31. Siehe ebd., Bl. 30. Stellungnahme Wirmer zur Rückäusserung Baudissin, 30.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 38.
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gewährleistet, dass die hiermit betrauten Menschen ihrer Aufgabe auch gewachsen seien. Man könne »schließlich nicht davon ausgehen, dass das nicht sein kann, weil das nicht sein darf.«822 Den berufsmäßigen Pädagogen stellte Wirmer, Sohn eines westfälischen Gymnasialdirektors, insgesamt ein schlechtes Zeugnis aus. Nicht nur den Universitätsprofessoren fehle es häufig an einer pädagogischen Befähigung, noch bedauerlicher, aber nicht zu leugnen sei es, »dass die Angehörigen der eigentlichen pädagogischen Berufe, die Volksschullehrer, die Lehrer an den höheren Schulen, die Fachschullehrer und endlich sogar die Seelsorger, die ja echte religiöse Erziehung betreiben sollen, zu einem leider überwiegenden Prozentsatz schlechte Erzieher sind.«823 Es sei daher irreal, von den Offizieren und Unteroffizieren die Bewältigung der Aufgabe einer allgemeinen Erziehung zu erwarten, mache es ihnen schon allein die Zeitnot unmöglich, sich umfassend mit der Wehrpädagogik zu befassen. Erschwerend für die Erziehung käme hinzu, dass nur die Unteroffiziere, und zu einem geringen Teil die Subalternoffiziere, mit dem jungen Soldaten in die für die Erziehung so existentielle unmittelbare Berührung kämen. Der ältere, lebenserfahrene und gebildete höhere Offizier könne allenfalls auf sein Führer- und Unterführerkorps bildend einwirken, eine Erziehung des einzelnen Soldaten oder einer Gruppe bliebe ihm verschlossen. Infolgedessen hätten allein die 20- bis 35-jährigen Unteroffiziere und Offiziere die Last der Erziehung zu tragen – eine Forderung, der sie nicht gewachsen seien, allen Ausführungen Baudissins zum Trotz, dass die Erziehung von der Sache her geboten sei. Dass Vorgesetzte, die entweder nicht über ein Mindestmaß an erzieherischer Befähigung verfügten oder dies trotz Belehrung zu erwerben nicht bereit seien, in Zukunft nicht mehr tragbar wären, sei geradezu abwegig. Wolle man dieses Prinzip zum Ideal erheben, so müssten nach dem Urteil seines Vaters mindestens 60 Prozent aller Lehrer aus ihren Stellungen entfernt werden. Abschließend fasste Wirmer seine Intention, die auch eine politische Dimension seiner Kritik impliziert, noch einmal deutlich zusammen: »Graf Baudissin versucht, als angebliche Folge meiner Stellungnahme als Schreckgespenst die Autonomie der Wehrmacht und den Führer in der Wehrmacht als ›Abrichter‹ an die Wand zu malen. Wenn ich als mein Beispiel die in der Welt berühmten deutschen Handwerksmeister und Werkmeister nenne, die anerkannt sind nicht nur als Fachkönner, sondern als Elite, auch charakterliche Elite, des Arbeiterstandes, dann berührt es mich empfindlich, dass mir mit solchen Ausführungen entgegengetreten wird. Kann ich mehr tun, als anzuerkennen, dass aus einer guten Ausbildung erwachsener Männer durch tüchtige, ehrliche und disziplinierte Offiziere und Unteroffiziere Erziehungserfolge erwachsen, die von ausgezeichnetem Wert sind? Dagegen ist es ein denkerischer Trugschluss, als Folge meiner Darlegungen die Autonomie in einer Wehrmacht kommen zu sehen. Ich will der Wehrmacht doch gerade etwas wegnehmen, nämlich die allgemeine Erziehung. Eine Institution, der etwas weggenommen ist, kann ihrer Natur nach gerade dann nicht autonom sein. Gebe ich ihr aber zu allem, was das Volk der Wehrmacht an Menschen und Gütern zur Verfügung stellt, auch noch 822 823
Ebd. Ebd.
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den Anspruch auf die uneingeschränkte und allgemeine Erziehung zum ethischen Verhalten, zum Staatsbürgertum und so fort, dann ist sie allerdings autonom. Und dagegen werde ich mich auf Grund der demokratischen oder vielmehr undemokratischen Geschichte unseres deutschen Volkes bis zuletzt wehren.«824 Für diesen Kampf nach Verbündeten suchend, weitete Wirmer das Gefechtsfeld aus, indem er alle bisherigen Stellungnahmen mit der Bitte um eine Beurteilung an Generalleutnant a.D. Dr. Hans Speidel, den militärischen Chefdelegierten für die EVG-Verhandlungen in Paris, sandte.825 Aber auch das Referat hatte seine Truppen positioniert, und so wurde Karst von de Maizière nicht nur über die Verbindungsaufnahme Wirmers zu Speidel informiert, sondern konnte wenige Tage später im Tagebuch vermerken: »Anruf de Maizière. General Speidel aus Paris trifft ein. M. will mit ihm die Leitsätze für Erziehung durchsprechen und ihn in unserem Sinne treten.«826 Wie eng die Übereinstimmung und die Zusammenarbeit zwischen beiden war, zeigt der nachfolgende Eintrag: »Nachmittags Besprechung mit de Maizière, der mir den Entwurf der Antwort General Dr. Speidels an Herrn Wirmer zeigte. Glänzend und ganz in unserem Sinne, allerdings etwas zu pathetisch. Wir redigieren ihn gemeinsam.«827 In seinem, von Karst und de Maizière autorisierten, Antwortschreiben828 untermauerte Speidel den Anspruch, dass der Soldat ausgebildet und erzogen werden müsse. Die hierbei praktizierte Erziehung stelle eine Fortsetzung der Erziehungsbemühungen von Elternhaus, Kirche, Schule, Lehre, Jugendbünden, Gewerkschaften und anderen Institutionen dar, die nach Beendigung des Wehrdienstes durch den Beruf, die Gesellschaft, Kirchen, Parteien usw. fortgeführt werde. Nach Speidels Analyse stünden für Wirmer zwei Kernfragen im Mittelpunkt: erstens, ob und wie sich diese militärische Erziehung gegenüber der Erziehung in den ethischen, staatsbürgerlichen sowie rein menschlichen Bereichen abgrenzen lasse, und zweitens, welcher Personenkreis diese während der Dienstzeit notwendige Erziehung durchführen und verantwortlich leiten solle. Um diese Fragen zu beantworten, müsse zunächst der Zweck der militärischen Erziehung erläutert werden. Damit die Streitkräfte den an sie gestellten Auftrag, aus Bürgern kriegstüchtige Soldaten zu machen, nachkommen können, müssten sie den jungen Soldaten ausbilden. Dies bedeute, ihm Wissen, Können und technische Fähigkeiten zu vermitteln. Doch die Anforderungen des modernen Krieges würden mehr als handwerkliches Können und Wissen erfordern. Zweck der Erziehung sei es daher, »diejenigen Eigenschaften zu heben und zu pflegen, welche den technisch ausgebildeten Soldaten zur universellen Erfüllung seiner Aufgaben befähigen.«829 Hierzu gehörten Tapferkeit, Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein – wobei der Gehorsam einen Teil hiervon ausmache –, Entschlussfreudigkeit, Härte gegen sich selbst, Kameradschaft, Achtung vor dem Leben, Ritterlichkeit sowie der von Speidel 824 825 826 827 828 829
Ebd., Bl. 41. Dieses Schreiben Wirmers an Speidel vom 2.7.1954 konnte nicht aufgefunden werden. Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 5.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 7. Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 15.7.1953, BArch, N 717/3, Bl. 25. Schreiben Speidel an Wirmer, 15.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 83‑86. Ebd., Bl. 84. Hervorhebungen im Original.
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nicht näher definierte »Gleichmut der Seele«. Jene, während des Wehrdienstes weiterzuentwickelnde Eigenschaften – allesamt traditionelle Ziele militärischer Erziehung – seien jedoch nicht nur militärische Wesensmerkmale, sondern auch solche des menschlichen, ethischen und staatsbürgerlichen Bereiches und daher in vielem identisch. Außerdem stelle die Erziehung im Rahmen des Wehrdienstes keine in sich geschlossene und selbstständige Aufgabe dar, sondern müsse als ein Glied der bereits genannten Erziehungskette angesehen werden. Würde man den militärischen Vorgesetzten diese Aufgabe vorenthalten, entstünde gerade jene Kluft zwischen Staatsbürger und Soldaten, die es unter allen Umständen zu vermeiden gelte. Nur wenn Ausbildung und Erziehung unteilbar in der Hand des Vorgesetzten lägen, der sich im Kampf mit seinen Soldaten bewähren müsse, könne die Stärke jeder Wehrmacht, nämlich die Geschlossenheit der in ihr dienenden Menschen, genutzt werden. Um seine Position zu verdeutlichen, verglich Speidel die Streitkräfte mit einer Familie, die ihre Kinder im Regelfall selbst erziehe. Zwingende Gründe, von diesem Wege abzuweichen, sah Speidel für ein zukünftiges deutsches Kontingent der EVG-Streitkräfte nicht. Der Sorge Wirmers, dass die militärischen Führer ihrer Er ziehungsaufgabe nicht gewachsen seien, hielt Speidel entgegen, dass man die Er ziehung junger Soldaten nicht mit der Aufgabe eines Lehrers vergleichen könne, denn jeder »Führer, der ›vorleben und vorsterben‹ kann, soll durch Natürlichkeit, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, durch klare Übermittlung der soldatischen Grund sätze, nicht zuletzt auch oder gerade im Frieden durch sein eigenes Beispiel ›erziehen‹.«830 Ihm hierzu die notwendigen Grundlagen zu vermitteln, sei eine hohe Aufgabe »für uns alle«831, wobei angenommen werden darf, dass das von Speidel verwandte Reflexivpronomen ›uns‹ nicht nur die Gruppe der älteren, lebenserfahrenen Offiziere und Planer der zukünftigen Streitkräfte, sondern die Gesellschaft als solche meinte. Er zeigte sich jedenfalls hoffnungsvoll, dass die Sorgen Wirmers, dem militärischen Führer Erziehungsaufgaben zu übertragen, zu beheben seien. Speidel schloss seine Bemerkungen mit einem aus seinem persönlichen Erleben gespeisten Appell für die Fortsetzung der Erziehung auch im militärischen Bereich, die er, sachgemäße Handhabung vorausgesetzt, dem Priesteramt gleichsetzte: »Die Freude an der Aufgabe des Erziehers, an der Bildung des Menschen gehört zu meinen schönsten und tiefsten Erinnerungen. Soll man sie dem künftigen Offizier nehmen? Damit den Beruf, die Berufung, die Erziehung? Sie kann bei weiser Führung zu einem sacerdotium werden. Dann wird auch das Mysterium, das jedem Amte
830
831
Ebd., Bl. 85. Auch Speidel griff in seiner Argumentation auf Walter Flex zurück, der in seinem »Wanderer zwischen beiden Welten« vom militärischen Führer das ›Vorleben‹ gefordert hatte: »›Leutnantsdienst tun heißt seinen Leuten vorleben‹ sagte er, ›das Vor-sterben ist dann wohl einmal ein Teil davon. Vorzusterben verstehen viele, und das ›Non dolet‹, mit dem die römische Frau ihren zaghaften Gatten zeigte, wie gut und leicht sich sterben lässt, steht dem Mann und Offizier noch besser, aber das Schönere bleibt das Vor-Leben. Es ist auch schwerer.‹« Flex, Der Wanderer, S. 10. Hervorhebungen im Original. Für Speidel schließt dieses Vorleben Beispiel und Erziehungstätigkeit in sich ein. Schreiben Speidel an Wirmer, 15.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 85. Schreiben Speidel an Wirmer, 15.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 85.
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innewohnen soll, sichtbar werden. Oder wollen wir nur ›technisch‹ bleiben und die Seele, das Menschliche schlechthin verkümmern lassen?«832 In seiner Erwiderung zeigte sich Wirmer mit Speidels Gedanken zur Frage der militärischen Erziehung vollkommen einverstanden, denn in »dieser nüchternen Art geschildert, wird jeder die besonders verantwortungsvollen Aufgaben einer Wehr macht auf dem erzieherischen Gebiete anerkennen. In Ihrem Schreiben sind die Aufgaben echt abgegrenzt und in die sonstigen Erziehungsbereiche, in denen der junge Mensch steht, eingegliedert.«833 Der soldatischen Erziehung scheinbar aufgeschlossener entgegentretend, verhehlte Wirmer aber auch diesmal seine Bedenken gegenüber den Leitsätzen selbst nicht, ließen sie doch jedes gedankliche und sprachliche Maß vermissen. Er sei großen Worten gegenüber misstrauisch und brachte aus den Erfahrungen des »Dritten Reiches« und der totalitären Herrschaft im Osten Deutschlands seine Besorgnis zum Ausdruck, »dass aus dem Schwulst großer Worte schlechte Einflüsse auf die Männer erwachsen, denen sie als Richtlinien mitgegeben werden. Die überhitzten Formulierungen der Erziehungsleitsätze können sich auf einfache und gerade Naturen, die infolge ihrer Einfachheit und Gradheit durch das ›Vorleben‹ gute Erzieher sind, schädlich auswirken. Aus dem Nichtverstehenkönnen z[um] B[eispiel] des Satzes ›Der Erzieher muss um das Gewicht des Wortes wissen‹ – ich muss gestehen, dass ich es auch nicht verstehe – erfolgt nach meiner Erfahrung meistens eine Verkrampfung und schädliche Übersteigerung sonst gutgemeinter Erziehungsbemühungen.«834 Früher – so Wirmers abschließender Befund – habe man häufig und zu Recht von der knappen, klaren und militärischen Sprache gesprochen, deren Pflege zu klarem Denken und klarer Haltung führe. Die Erziehungsleitsätze hingegen entbehrten einer derart klaren Sprache, was ihn, wie Wirmer es selbst be zeichnete, zu der sehr boshaften Formulierung verführte, dass getretener Quark breit, aber nicht stark werde! Obschon die von Wirmers Kritik angestoßene und im Rahmen von offiziellen Stellungnahmen und privatem Briefwechsel geführte Konfrontation damit beendet war, lässt sich durch die Eintragungen im Diensttagebuch des Referates »Inneres Gefüge« nachweisen, dass Wirmer auch einen Nebenkriegsschauplatz außerhalb der Dienststelle Blank eröffnet hatte. So wurde Karst von dem ehemaligen Oberstleutnant i.G. Werner Drews835, nun als Referent in der Unterabteilung »All gemeine Verteidigungsfragen« tätig, davon in Kenntnis gesetzt, dass der SPD-Abge ordnete Hans Merten836 alle AVI der Jahre 1922 bis 1938 zur Einsicht angefordert habe, nachdem ein ausgiebiges Gespräch zwischen ihm und Wirmer stattgefunden hätte. Drews’ Kommentar, dass er es unerhört fände, wie in diesem Hause intrigiert würde, entgegnete ein selbstbewusster Karst, dass man ein gutes Gewissen hätte und 832 833 834 835 836
Ebd., Bl. 86. Schreiben Wirmer an Speidel, 31.7.1954, BArch, BW 9/3366, Bl. 374 f., hier Bl. 374. Ebd. Zur Person siehe Krüger, Das Amt Blank, S. 186. Der Pfarrer gehörte zu den Wehrexperten seiner Partei. In der 1./2. Wahlperiode war Merten Stell vertretendes Mitglied der Bundestagsausschüsse zur Mitberatung des EVG-Vertrages, für Fragen der europäischen Sicherheit und für Verteidigung, in der 3./4. Wahlperiode Stellvertretender Vor sitzender des Ausschusses für Verteidigung. Siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 557.
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mit Merten schon fertig werden würde.837 Auch Bucksch, der ganz auf Seiten des Referates stand, zeigte sich empört, als Karst ihn über das Gespräch Wirmers mit Merten und dessen Reaktion informierte. Dies sei doch schon schlimmer als der Fall Kraske, so sein Fazit, und er bedauerte zugleich die Flucht vor der Gemeinschaft sowie die Angst vor der Erziehung, die er als Nihilismus charakterisierte und die im ganzen öffentlichen Leben zu beobachten sei.838 Wie überzeugt die Angehörigen des Referates von ihren Arbeitsergebnissen waren, musste auch der Leiter der Rechtsabteilung, Ministerdirigent Dr. Eberhard Barth839, erfahren, der Karst darüber informierte, dass sich der stellvertretende Leiter der Dienststelle Blank, Ministerialdirektor Dr. Wolfgang Holtz, Vortrag über den Streit um die Erziehungsleitsätze halten lassen wollte. Barth, auf Seiten Baudissins stehend und in allen Fragen juristischer Art eng mit dem Referat kooperierend, erbat von Karst die sofortige Zusendung der »beiden Pamphlete«, vermutlich um unterstützend zur Seite zu stehen, doch Karst bedeutete ihm, dass er sich »völlig stark fühle, die ›Erziehungsleitsätze‹ vor Holtz zu verteidigen.«840 Mit seiner Annäherung an den Abgeordneten Merten hatte Wirmer die Kritik an den Erziehungsleitsätzen auf die politische Bühne gehoben und eine Reaktion der Amtsführung herausgefordert, die darin gipfelte, dass Holtz sich eindeutig zu den Arbeitsergebnissen des Referates bekannte und jede weitere Diskussion mit der Begründung ablehnte, dass der EVG-Ausschuss die Leitsätze bewilligt habe, Herr Blank einverstanden sei und General Heusinger sich positiv geäußert habe: also sei der Fall erledigt.841 War er nicht! Gleichwohl handelte es sich bei den noch zu präsentierenden Ausführungen lediglich um Nachhutgefechte, die einerseits das Beharrungsvermögen im Tradierten aufzeigen sowie andererseits die mangelnde Transparenz der pädagogischen Konzeption Baudissins und die daraus resultierenden Konsequenzen verdeutlichen. Der Disput zwischen Wirmer und Baudissin sowie die Auseinandersetzung um die Erziehungsleitsätze wurden aber nicht nur von den Zeitgenossen wahrgenommen, sondern fanden sowohl in der historischen als auch in der erziehungswissen837
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Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 30.6.1954, BArch, N 717/2, Bl. 342. An den Ausschuss sitzungen, die das Bild des Soldaten und die Grundsätze soldatischer Erziehung zum Inhalt der Beratungen hatten, nahm Merten zwar teil, ergriff aber nicht das Wort. Siehe BT, 2. WP, Steno graphisches Protokoll der 14. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit (6. Ausschuss), 22.6.1954, BArch, BW 1/54935; BT, 2. WP, Sten. Prot. der 18. Sitzung des Aus schusses für Fragen der europäischen Sicherheit (6. Ausschuss), 21.9.1954, BArch, BW 1/54935. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 2.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 4. Zu Barth siehe Krüger, Das Amt Blank, S. 183. Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 2.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 4. Mit den beiden Pamphleten sind vermutlich die Stellungnahme Wirmers sowie die Erwiderung Baudissins gemeint. Die zweite Stellungnahme Wirmers lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Karst erhielt erst am 9.7. durch de Maizière Kenntnis vom ihrem Inhalt. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 9.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 14. Sein Kommentar: »Der Ton dieser Schrift ist wesentlich ernster. Wirmer lenkt weitgehend ein.« Auch Holtz unterlag hier dem Trugschluss, dass der EVG-Ausschuss die Leitsätze bereits gebilligt habe. Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 2.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 5. Wenige Tage später erließ auch Blank die bereits erwähnte, an Wirmer gerichtete Weisung, von weiteren Stellungnahmen abzusehen.
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schaftlichen Forschung ihren Widerhall. So wertete Genschel die Unterstützung des Referates »Inneres Gefüge« durch die militärischen Mitarbeiter des Amtes Blank vorrangig als einen Solidarpakt gegen die zivile Seite des Hauses, zu der ein andauerndes Spannungsverhältnis bestand842, wobei die Zustimmung Blanks in ihrer Bedeutung jedoch nicht unberücksichtigt bleiben dürfe.843 Rautenberg verzichtet in seiner sehr kurzen Beschreibung des Sachverhaltes zwar auf eine Wertung, hebt aber den von Heusinger gegenüber Blank vertretenen und von diesem akzeptierten einheitlichen Standpunkt der militärischen Seite hervor, an dem Wirmer mit seiner Forderung einer institutionellen Trennung von Erziehung und Ausbildung schließlich scheiterte.844 Meyer, der den Erziehungsleitsätzen mehr Raum widmet, sieht sich durch die Heftigkeit der vom wort- und sprachgewaltigen Wirmer mit besonders gespitzter Feder geführten Debatte zu der Frage berechtigt, wie es denn in der Dienststelle selbst um die Praxis zeitgemäßer Menschenführung bestellt gewesen sei. Wirmer habe jedenfalls mit seinen Vorstellungen in der Auseinandersetzung über den Primat von Erziehung oder Ausbildung an der Realität vorbeigezielt und sei weit über das Ziel hinausgeschossen.845 Von erziehungswissenschaftlicher Seite nähert sich einzig Hartmann der Diskus sion und hebt Wirmer als schärfsten und grundlegendsten Kritiker der Erziehungs leitsätze hervor. Doch sei seine Kritik zum Teil eine Folge fehlender Informationen sowohl über die Arbeitsorganisation als auch über den Stand einzelner Arbeiten in der militärischen Abteilung. Nach Hartmanns Interpretation schien Wirmer weder über die Vorträge und Schriften Baudissins, Karsts und Wenigers informiert gewesen zu sein noch von den Arbeitsergebnissen der Siegburger Tagungen Kenntnis genommen zu haben. Wirmers Teilnahme ist zwar lediglich für die Tagung im April 1952 nachweisbar, und ob er während des gesamten Zeitraumes anwesend war, lässt sich nicht bestimmen, da eine Wortmeldung Wirmers im Rahmen der Diskussion nicht verzeichnet ist. Auch im Verteiler des ersten Referatsentwurfes der »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« vom 15. Juni 1953 wurde er nicht aufgeführt. Hier liegt jedoch nahe, dass zu diesem frühen Zeitpunkt der Konzeptionsphase die Weitergabe auf die Leitung des Amtes, die Abteilung II, die Referate III/1, 2 und 5 sowie Marine und Luftwaffe beschränkt blieb.846 Auf offiziellem Wege nahm Wirmer 842
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Neben de Maizière, Drews und Speidel hatte sich auch der Leiter der Unterabteilung Militärische Planung und ehemalige Chef der Organisationsabteilung des Wehrmachtsführungsstabes im OKW, Oberst i.G. a.D. Kurt Fett, nachweislich mit den Erziehungsleitsätzen einverstanden erklärt. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 2.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 5. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 156. Vgl. Rautenberg, Zur Standortbestimmung, S. 838 f. Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 905. Siehe »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« vom 15. Juni 1953, BArch, BW 9/2227, Bl. 215‑223, hier Bl. 215. Verteiler für die Protokolle der beiden Siegburger Tagungen im September und Oktober 1953 liegen nicht vor, das Protokoll der Oktobertagung entbehrt auch eines Teilnehmerverzeichnisses. Siehe Protokoll der Sachverständigentagung 25./26. September 1953 in der Akademischen Bundesfinanzschule Siegburg, BArch, BW 9/3569, Bl. 18 f.; Leitsätze für soldatische Erziehung, handschriftlich, Siegburg, 31.1953, BArch, BW 9/2592-3. Bei der Abteilung III handelte es sich um die Abteilung Recht im Amt Blank. Zur Gliederung siehe Krüger, Das Amt Blank, S. 234.
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nach Auskunft der Quellen also keine Kenntnis vom Stand der Entwicklung, doch zeigen seine Anfang des Jahres 1954 gegenüber Karst geäußerten Bedenken, dass er über einen gewissen Einblick verfügt haben muss.847 Wirmer, so Hartmann weiter, habe zwar den Vorrang der Erziehung richtig erkannt, doch verstehe er die Erziehung im klassischen Sinne als zeitlich befristetes Generations- und Herrschaftsverhältnis, wenn er den Soldaten zunächst als Objekt einer allgemeinen Erziehung charakterisiert, dem erst anschließend seine Rolle als Objekt der Ausbildung zugewiesen werde. Die Beschränkung des Erziehungsbegriffes auf eine indirekte Erziehung und die darauf basierende Selbsterziehung habe Wirmer nicht nachvollzogen. Diese These lässt sich anhand der nachstehenden Argumen tationsstränge Wirmers beispielhaft gut belegen. Baudissin hatte in seinen Ausfüh rungen über die Förderung menschlicher Beziehungen in den Betrieben auch die Universitäten in das Blickfeld der Betrachtungen gerückt und ihnen vorgeworfen, diese Grundaufgabe modernen Gemeinschaftslebens noch nicht gemeistert zu haben; daher drohten sie zu reinem Fachschulbetrieb abzusinken.848 Wirmer hielt Baudissin daraufhin vor, die Aufgabe der Universität falsch zu beurteilen, denn die »Studenten einer Universität sind nicht Schüler eines Colleges[,] sondern freie akademische Bürger einer deutschen universitas litterarum, die sich die Aufgabe gestellt haben, sich selbst unter Benutzung der Mittel dieser universitas litterarum zu bilden und sich selbst zu erziehen.«849 Baudissin möge auf dieses Beispiel lieber ganz verzichten. Dabei zeigt sich gerade in dieser Kritik Wirmers die pädagogische Intention und Zielsetzung Baudissins für das Innere Gefüge zukünftiger Streitkräfte. Auch Wirmers Verweis auf die älteren, lebenserfahrenen und gebildeten höheren Offiziere, die lediglich auf das Führer- und Unterführerkorps bildend einwirken könnten, denen aber eine Erziehung des einzelnen Soldaten oder einer Gruppe verschlossen bliebe, verdeutlicht, dass Wirmer die Bedeutung der höheren Offiziere, die als Entscheidungsträger die intendierten pädagogischen Freiräume bestimmen sollten, eindeutig nicht erfasst hatte. Aber Wirmer bestritt auch gar nicht, den Erziehungsbegriff, den Baudissin und seine Mitarbeiter ihren Überlegungen zugrunde gelegt hatten, nicht verstanden zu haben, begründete sein Unverständnis aber zu Recht mit der wissenschaftlich nicht geklärten Grundbegrifflichkeit. Und genau hier – im Hinweis auf die Grund begrifflichkeit – tritt für Hartmann der produktive Teil der Kritik Wirmers zutage: »Die Kontroverse Baudissin-Wirmer ist Ausdruck für das Versäumnis der Reformer, ihren Erziehungsbegriff im Amt Blank exakt und deutlich zu bestimmen. Kurz vor der Aufstellung der Bundeswehr war es einem der wichtigsten Führungskräfte im Amt Blank nicht möglich, das Erziehungskonzept der Reformer nachzuvollziehen, 847
848 849
Über das unzweifelhaft vorhandene Informationsdefizit innerhalb des Hauses vermerkte Karst bereits im Herbst 1953: »Anruf Kaulbach. Schlägt vor, dass Graf Baudissin oder ich einmal das Haus über unsere Tagungen außerhalb des Hauses informieren. Man wisse von unserer externen Tätigkeit so gut wie garnichts [sic!]. Es müsse allerdings in einfachster, leicht verständlicher Form gemacht werden.« Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 21.10.1953, BArch, N 717/1, Bl. 95. Siehe Schreiben Baudissin an Blank, Rückäusserung zur Stellungnahme des Herrn Abteilungsleiters I vom 16. Juni 1954, 23.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 29. Stellungnahme Wirmer zur Rückäusserung Baudissin, 30.6.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 39.
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obwohl er durch seine begriffsanalytische Kritik zeigte, dass er in der Lage war, pädagogisch differenziert zu denken.«850 Doch mit dieser Ratlosigkeit stand Wirmer nicht allein.
b) Blank und Heusinger Auch Dienststellenleiter Theodor Blank zeigte in seinem Kommentar zu den Ausführungen Wirmers, dass ihm der pädagogische Kern der Auseinandersetzung und die Intention Baudissins fremd geblieben waren. So ließ er dem Abteilungsleiter I durch seinen persönlichen Referenten Bucksch mitteilen, dass Erziehung und Aus bildung nicht zu trennen seien; die Reihenfolge der Begriffe aber nicht auf einen Totalitätsanspruch in Fragen der Erziehung schließen lasse, sondern lediglich eine Frage des Geschmacks darstelle.851 Das Verständnis von Baudissins ausdrücklich hervorgehobener und sachlich begründeter Vorrangstellung der Erziehung im Rahmen der Inneren Führung gegenüber Ausbildung und Führung war ihm verschlossen geblieben.852 Differenzierter muss eine Bewertung der Stellungnahme Heusingers ausfallen, der im Gegensatz zu Blank die »Rangordnung im Verhältnis von Erziehung und Ausbildung«853 zutreffend als Kern der Auseinandersetzung erkannte und sich im Weiteren eindeutig für die soldatische Erziehung aussprach, in der es um mehr als die Vermittlung militärischer Fertigkeiten, nämlich um die Erweckung und den Erhalt sittlicher und seelischer Kräfte gehe. Nur eine erzieherisch richtig und planvoll angelegte Ausbildung sowie die von Heusinger hervorgehobene Herstellung menschlicher Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen versetzten den Soldat in die Lage, den Belastungen des Schlachtfeldes standzuhalten. Doch gerade diese zwischenmenschlichen Beziehungen hatte Wirmer in einem Gespräch mit de Maizière – spiritus rector der Ausführungen Heusingers854 – vehement abgelehnt, indem er dessen Verteidigung der Leitsätze mit den Worten abschnitt, dass er keine menschlichen Beziehungen zu seinen Ausbildern wolle. Dieser das soziale Gefüge und die Einsatzfähigkeit jeder Streitmacht in Frage stellenden Botschaft konnte sein Gesprächspartner nur noch entgegnen, dass sich ihre Wege an diesem Punkte trennen würden und jede weitere Diskussion daher überflüssig sei.855 Andererseits verharrte Heusingers Argumentation aber auch in traditionellen Positionen, ohne die Zielsetzung und die daraus resultierenden Forderungen Baudissins zu berücksichtigen856, wenn er, ebenso wie Speidel, die militärische Erzie hung als Fortsetzung der Erziehungsbemühungen vorangegangener Institutionen charakterisierte und einen Vergleich zwischen militärischer Erziehung und hand 850 851 852 853 854
855 856
Hartmann, Erziehung, S. 276. Schreiben Bucksch an Wirmer, 19.6.1954, BArch, BW 9/ 2867, Bl. 24. Vgl. Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 223; Hartmann, Erziehung, S. 277. Schreiben Heusinger an Blank, 1.7.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 25 f., hier Bl. 25. Die Stellungnahme Heusingers basierte auf einer wortgetreuen Übernahme einer von Kiemansegg paraphierten Vorlage de Maizières. Siehe Schreiben de Maizière an Heusinger, 29.6.1954, BArch, BW 9/2227, Bl. 330 f. Hartmann erwähnt diesen Sachverhalt nicht. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 28.6.1954, BArch, N 717/2, Bl. 338. Vgl. Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 223; Hartmann, Erziehung, S. 277.
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werklicher oder industrieller Ausbildung als »fehl am Platze«857 bezeichnete. Karst unterstütze diese auf de Maizières Vorlage basierenden Ausführungen zwar als »ganz in unserem Sinne«858, übersah in seinem Votum aber die hohe Relevanz, die Baudissin den aktuellen Strömungen der modernen Berufs- und Betriebspädagogik zumaß. Dieses Gefecht konnte vom Referat »Inneres Gefüge« als gewonnen verzeichnet werden. De Maizières Informationspolitik und sein maßgebliches Einwirken auf die positiven Stellungnahmen Heusingers und Speidels ermöglichten es der militärischen Seite, den Versuch einer grundlegenden Einflussnahme Wirmers abzuwehren und den Erziehungsanspruch der Streitkräfte zu wahren. Indes drohte nun von prominenter militärischer Seite Ungemach, als sich der ehemalige Vorsitzende des Allgemeinen Ausschusses, aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr an den Planungen des militärischen Wiederaufbaus beteiligte Foertsch an Heusinger wandte und seine Bedenken zum Ausdruck brachte.
c) Hermann Foertsch: Principiis obsta! Foertsch hatte zwar die Mitarbeit zu Fragen der Erziehung und daher auch die Teilnahme an den Siegburger Tagungen wegen Überlastung abgelehnt,859 trat im Verlauf der Entwicklung aber dennoch mit inoffiziellen Stellungnahmen zu den Konzeptionsphasen der »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« in Erscheinung. Bereits im August 1953 hatte Weniger ihm die vom Referat »Inneres Gefüge« ausgearbeitete Erstfassung der Leitsätze vom Juni mit Bitte um ein Urteil überreicht. Er kenne Weniger, der viel Wert auf eine enge Verbindung zu ihm lege, schon seit Jahren, berichtete Foertsch an Pfister, und man habe über vieles vernünftig reden können. Daher habe er der persönlichen Bitte entsprochen und seine Meinung kundgetan. Hierbei sei er von der Hoffnung geleitet worden, dass auf dem Umweg über Weniger einige seiner Bedenken auf der Ende September stattfindenden Siegburger Tagung zur Geltung kommen könnten. Seine Beurteilung legte er dem Schreiben an Pfister »zur beliebigen Verwendung« unter Voranstellung eines abschließenden Resümees bei: »Sachlich werden Sie – falls sie es nicht sofort verwerfen, sehen, dass ich gar nicht einverstanden bin. Ich bin vielmehr – ohne das W. gegenüber schriftlich zum Ausdruck gebracht zu haben – mündlich tat ich es – tief erschüttert über Inhalt und Form. Wenn das das Ergebnis monatelanger ›Arbeit‹ ist, dann scheint mir viel Geld umsonst verwendet zu sein.«860 Foertsch bestätigte dem Entwurf zwar gute und richtige Gedanken, in Anbetracht seines Aufbaus sowie sprachlicher Unzulänglichkeiten erschien er ihm aber unbefriedigend. Zu Beginn müsse die Antwort auf die Frage des »wofür« stehen. Hierbei sei von der Lebensform des Westens mit ihren Grundbegriffen Freiheit, Recht und Menschenwürde auszugehen. Der Soldat habe die Aufgabe, diese Lebensform durch 857 858 859 860
Schreiben Heusinger an Blank, 1.7.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 25 f., hier Bl. 25. Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 29.6.1954, BArch, N 717/2, Bl. 340. Vgl. auch Hartmann/ Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 223; Hartmann, Erziehung, S. 277. Schreiben Foertsch an Pfister, 21.8.1953 (maschinelle Abschrift eines handgeschriebenen Briefes), BArch, N 621/v. Kiste 23, Ordner StB F-G, S. 1 f., hier S. 1. Siehe Ebd.
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sein Dasein, seinen Dienst sowie durch den Einsatz und das Opfer seines Lebens zu verteidigen, folglich für sie zu kämpfen. »Dieser Kampf«, fuhr Foertsch fort, »ist sein Recht und seine Pflicht. Ziel aller Erziehung ist also, ihn hierzu zu befähigen. Hiervon sollten die Leitsätze ausgehen.«861 Den Kampf und den ihn bestreitenden Kämpfer in den Vordergrund stellend, sei Schamhaftigkeit beim Gebrauch des Terminus Krieg fehl am Platze, denn der Soldat sei »nun einmal für den Krieg da und nicht für Parlamentsdebatten!«862 Ein direkter Textvergleich verdeutlicht diesen Blickwinkel. Im Entwurf fand die von Baudissin angemahnte staatsbürgerliche Mitverantwortung ihre soldatische Bewährung »in selbstlosem Gehorsam ohne Rücksicht auf die eigene Person [...] Freiwillige Einordnung, Gehorsam und Verantwortung der Gemeinschaft und dem eigenen Gewissen gegenüber, überlegenes Können, Tapferkeit und entschlossener Wille zur Wehr sind die Ziele soldatischer Erziehung.«863 Für Foertsch hingegen konnte soldatische Bewährung »nur im erfolgreichen Kampf, im ›Sieg‹«, gefunden werden. Der Kampf um die Lebensform sei »der Leitgedanke« und gehöre daher »an den Anfang«, das Bestehen dieses Kampfes das Ziel aller Erziehung.864 An diesem Punkt setzte auch seine Kritik an dem auf den Siegburger Tagungen erarbeiteten und im Amt Blank weiterentwickelten Entwurf der Leitsätze von 1954 an. Nach deren Studium hatte sich für Foertsch die Frage gestellt, ob eine erneute Stellungnahme865 seinerseits überhaupt Sinn habe. Ein Erfolg sei jedenfalls zweifelhaft, da der Unterschied in den Fassungen marginal sei. Aber nachdem er gehört habe, dass Heusinger auf seine Meinung Wert lege, könne er ihm »nicht verhehlen, daß ich gegen den Geist, der aus diesen Leitsätzen spricht, die schwersten Bedenken habe. Hier wird nicht nur falsch gefragt und falsch und unklar gedacht. Hier wird etwas eingerissen, ehe es noch aufgebaut ist. Ich bitte sehr um Verständnis für diese scharfe Kritik. Sie wissen, daß ich weder ein Kriegstreiber noch ein ›Militarist‹ bin. Aber wenn ich in Erziehungsaufgaben weiter beratend mitwirken soll, wie ich es auf Grund der häufig an mich gerichteten Anliegen annehmen muß, dann muß ich mir eine offene Kritik vorbehalten. Wenn ich – auch nur beratend – nach diesen Richtlinien mitarbeiten soll, handle ich entweder gegen meine Überzeugung oder gegen den Sinn einer grundlegenden Weisung. Beides wäre unmoralisch.«866 861
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Stellungnahme Foertsch zu »Leitsätze für Erziehung«, II/IG, Bonn, 15.6.53, BArch, N 621/v. Kiste 23, Ordner StB F-G, S. 1-5, hier S. 2; Anhang zu Schreiben Foertsch an Pfister, 21.8.1953 (Abschrift). Ebd., S. 3. »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten«, vom 15. Juni 1953, BArch, BW 9/2227, Bl. 216. Im Gegensatz zu Baudissins Prämisse eines selbstlosen und verantwortungsbewussten Gehorsams blieb für Foertsch, hierin unterstützt durch seine Mitautoren Speidel und Heusinger, der unbedingte Gehorsam auch weiterhin »eine der festesten Stützen jeder Wehrmacht.« Gedanken über die Frage der äußeren Sicherheit der Deutschen Bundesrepublik, 7.8.1950. In: Speidel, Aus unserer Zeit, S. 477‑496, hier S. 481. Siehe Stellungnahme Foertsch zu »Leitsätze für Erziehung«, II/IG, Bonn, 15.6.53, BArch, N 621/v. Kiste 23, Ordner StB F-G, S. 3‑5; Anhang zu Schreiben Foertsch an Pfister, 21.8.1953 (Abschrift). Hervorhebung im Original. Stellungnahme Foertsch zu »Leitsätze für die soldatische Erziehung«, Fassung vom 18. Mai 1954, 1.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 78‑82. Schreiben Foertsch an Heusinger, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 77. Hervorhebung im Original. Foertsch hatte den Entwurf weder auf offiziellem Wege noch von Heusinger erhalten, sondern er war ihm auf sein Bitten hin von Pfister zur Kenntnis gebracht worden. Nach Auffassung Rautenbergs
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In einem am selben Tag abgefassten Schreiben an Pfister brachte Foertsch zwar die Besorgnis zum Ausdruck, dass seine Missbilligung zu scharf geraten sei, verband damit aber zugleich die Hoffnung, dass es etwas nütze, denn im Sinne der Sache könne nur gelten: Wehret den Anfängen!867 Im Hinblick auf den Adressaten sollte sich seine Sorge jedoch als unbegründet erweisen, denn Pfister versicherte ihm, dass er dessen Kritik an den Erziehungsleitsätzen mit Begeisterung gelesen und mit jedem Wort – insbesondere den Schlussbemerkungen – einverstanden sei.868 In diesen hatte Foertsch im Rückgriff auf seine im »Dritten Reich« veröffentlichte Schrift »Der Offizier der deutschen Wehrmacht«869 den Vorschlag unterbreitet, »knapp und klar gefasste ›Pflichten des Soldaten‹ herauszugeben«, deren Erfüllung die anzustrebenden Erziehungsziele darstellten.870 1922 hatten die »Berufspflichten des deutschen Soldaten« die bislang gültigen Kriegsartikel für Heer und Marine vom 22. September 1902 als militärische Pflich tenlehre abgelöst. Die 15 Artikel waren den Soldaten unverzüglich und den neueintretenden Rekruten unmittelbar nach ihrer Einstellung, noch vor der Vereidigung, zur Kenntnis zu bringen. Diese Unterrichtung sollte mindestens einmal jährlich wiederholt und der Inhalt der Berufspflichten im Unterricht erläutert werden.871 Bedingt durch die Aufnahme einiger Bestimmungen in Gesetze und Verordnungen, wurde 1930 eine Neubearbeitung vorgenommen. Mittels einer gedanklichen Zu sammenfassung in zehn Artikel wurde die Darstellung der Berufspflichten vereinfacht und infolgedessen ihr Verständnis erleichtert.872 Eine erneute Überarbeitung der »Pflichten des deutschen Soldaten« vom Mai 1934 war bereits auf die Wieder einrichtung der allgemeinen Wehrpflicht ausgerichtet. Im Gegensatz zu den vorherigen Ausführungen ließ diese von Reichspräsident Hindenburg genehmigte Pflichtenlehre jeglichen Bezug auf die Verfassung vermissen. Stattdessen wurde die Wehrmacht als Waffenträger der Nation verpflichtet, Vaterland und Reich sowie »das im Nationalsozialismus geeinte Volk und seinen Lebensraum« zu schützen. Den Wehrdienst als Ehrendienst am deutschen Volk ableistend, liege die Ehre des Soldaten »im bedingungslosen Einsatz seiner Person für Volk und Vaterland bis hin zur Opferung seines Lebens«. Der kämpferische Mut als höchste Soldatentugend fordere vom Soldaten Härte und Entschlossenheit. Feigheit wird als schimpflich, Zaudern als unsoldatisch diskreditiert. Sein Gehorsam, dessen Grundlage das Vertrauen bildet, stelle wiederum das Fundament der Wehrmacht dar. Den soldatischen Führer zeichneten Verantwortungsfreude, überlegenes Können und unermüdliche Fürsorge aus. Große Leistungen in Krieg und Frieden bedingten eine unerschütterliche
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zeigte sich Foertsch für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aufgeschlossen und »meldete Bedenken nur dort an, wo die überlieferten Lebens- und Berufsauffassungen angegriffen zu sein schienen.« Rautenberg, Zur Standortbestimmung, S. 857. Schreiben Foertsch an Pfister, 1.7.1954, BArch, N 621/v. Kiste 23, Ordner StB F-G. Siehe Schreiben Pfister an Foertsch, 3.7.1954, BArch, N 621/v. Kiste 23, Ordner StB F-G. »Die Erziehung des Soldaten umfasst alle die soldatischen Tugenden, die in den ›Pflichten des deutschen Soldaten‹ festgelegt sind.« Foertsch, Der Offizier der deutschen Wehrmacht, S. 75. Stellungnahme Foertsch zu »Leitsätze für die soldatische Erziehung«, Fassung vom 18. Mai 1954, 1.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 82. Siehe »Berufspflichten für den Soldaten«, 2.3.1922. In: Absolon, Die Wehrmacht, Bd 1, S. 171 f. Siehe »Berufspflichten des Soldaten«, 9.5.1930. In: Absolon, Die Wehrmacht, Bd 1, S. 172 f.
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Kampfgemeinschaft, deren herausragendes Charakteristikum eine in Gefahr und Not bewährte Kameradschaft symbolisiere. Selbstbewusstsein, Bescheidenheit, Auf richtigkeit, Treue, Gottesfurcht, Wahrhaftigkeit, Verschwiegenheit und Unbestech lichkeit zeichneten den Soldaten als Vorbild männlicher Kraft gegenüber seinem Volk aus. Zum soldatischen Stolz aber berechtigten nur Leistungen. Sie und sein Charakter bestimmten Weg und Wert des Soldaten, der »im Bewusstsein freudig erfüllter Pflicht« seinen »größten Lohn und höchstes Glück« finde.873 Außer der die politischen Realitäten widerspiegelnden Nichterwähnung der Ver fassung findet auch die in den vorangegangenen Fassungen geforderte Akzeptanz der Ehre anderer keine Berücksichtigung mehr. Der Schutz des Soldaten gegen »Unrecht, vorschriftswidrige Behandlung und unbegründete Verdächtigung seiner Ehrenhaftigkeit« wurde ebenso entfernt wie der Hinweis auf sein Recht auf Be schwerdeführung »bis zur höchsten Stelle.« Gleiches gilt für den Auftrag des Vorge setzten, den Soldaten »zu starken und verantwortungsfreudigen Persönlichkeiten zu erziehen.« Entstammten große Leistungen in Krieg und Frieden bislang der inneren Verbundenheit von Führer und Truppe, werden diese in nationalsozialistischer Diktion nun durch die unerschütterliche Kampfgemeinschaft gewährleistet. Auch der Lohn des Vaterlandes unterlag dem Wandel: Während die Weimarer Republik für den rechtschaffenden, unverzagten und ehrliebenden Soldaten Sorge tragen wollte, die ihn, abhängig von seinen Fähigkeiten und Leistungen, den Weg bis zu den höchsten Stellen ebnen sollte,874 musste ihm zukünftig das »Bewusstsein freudig erfüllter Pflicht« genügen.875 Foertsch wollte die Erziehungsleitsätze also in Anlehnung an diese kurzen und prägnant formulierten Anforderungen an den Soldaten, die er als Erziehungsziele verstanden wissen wollte, reduziert sehen. Auf welchen Wegen diese Ziele zu erreichen seien, konnte seinem Erachten nach aber nur in einem Leitfaden der Pädagogik, nicht jedoch in knapp gefassten Leitsätzen verdeutlicht werden. Damit solle der Vorgesetzte zwar nicht zu einem Gelehrten gemacht werden, doch würde er »dann mehr von Erziehung verstehen als wenn er wenige, z[um] T[eil] umstrittene und unvollkommene, sprachlich angreifbare ›Leitsätze‹«876 läse. In ihrem logischen Aufbau und sprachlicher Gestaltung unbefriedigend, entsprächen diese »weder den Anforderungen der Pädagogik noch der Klarheit deutscher militärischer Vorschriften.«877 Es gebe keine allgemeine, sondern nur eine zielgerichtete Erziehung, und von diesem Ziel soldati873
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Siehe »Die Pflichten des deutschen Soldaten«, 25.5.1934. In: Absolon, Die Wehrmacht, Bd 1, S. 173 f., Zitate ebd. Der Rechtscharakter dieses Pflichtenkanons wird anhand einer Entscheidung des Reichskriegsgerichtes deutlich, wonach eine Verletzung der genannten Pflichten als militärische Dienstpflichtverletzung zu ahnden war. Vgl. ebd., S. 174. Siehe »Berufspflichten des deutschen Soldaten«, 9.5.1930. In: Absolon, Die Wehrmacht, Bd 1, S. 173, Zitate ebd. »Die Pflichten des deutschen Soldaten«, 25.5.1934. In: Ebd., S. 174. Nach dem Willen Hitlers war dem Soldat außerdem ein Staatsbürgerdiplom als Berechtigung öffentlicher Betätigung und ein Gesundheitsattest als Eheberechtigung auszuhändigen. Siehe Hitler, Mein Kampf, S. 459. Stellungnahme Foertsch zu »Leitsätze für die soldatische Erziehung«, Fassung vom 18. Mai 1954, 1.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 82. Ebd., Bl. 78. Die militärischen Vorschriften vergangener Zeiten als ein Muster der Sprache rühmend, bemängelte er – ebenso wie Wirmer – die verkrampfte und unnatürliche Sprache in den Leitsätzen und forderte eine einfache Ausdrucksweise.
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scher Erziehung hätten die Leitsätze auszugehen. Hierzu müsse vorrangig die Aufgabe des Soldaten, nämlich den Sieg in einem Krieg zu erringen, eindeutig hervorgehoben werden. Die Feststellung, dass die soldatische Erziehung ihre letzte Bewährung im Kampf finde, gehöre daher gedanklich an den Anfang. In erster Linie ein Kämpfer, unterscheide sich der Soldat hierin vom Staatsbürger, der er aber auch sein und bleiben solle. Rechtliches Denken und Achtung vor der Menschenwürde seien zwar lohnende Ziele, »aber zuerst sollten doch die soldatischen Tugenden genannt werden!«878 Diese Sachverhalte nicht klar und ohne Scheu auszusprechen, hieße an den wesentlichen Punkten vorbeizureden. Für Foertsch ergaben sich daraus folgende von den Leitsätzen zu beantwortende Fragen: Warum sind Streitkräfte notwendig und welche Aufgaben hat jeder Soldat im Rahmen dieser Streitkräfte? Welche Voraussetzungen muss er dazu besitzen? Zu welchen Eigenschaften und Fähigkeiten muss er also erzogen werden und welche Methoden und Mittel sind hierfür anzuwenden? Welche Eigenschaften muss demnach der Erzieher als Erzieher besitzen?879 Vom wichtigsten zum weniger wichtigen absteigend, ergäben diese Fragen in ihrer Abfolge zugleich eine Wertfolge. Gegen diesen Grundsatz sei in der vorliegenden Fassung oft verstoßen worden.880 Obwohl Foertsch in einem wenige Tage später verfassten Schreiben an Pfister betonte, dass er »von der Pädagogik als solcher nichts verstehe und nur Glück zu haben schien in der praktischen Anwendung«881, konnten seine Einwände nicht unbeachtet bleiben. Er war nicht nur Angehöriger des Adenauer in Sicherheitsfragen beratenden Triumvirats Speidel-Heusinger-Foertsch sowie damaliger Vorsitzender des Allgemeinen Ausschusses, der sich in Himmerod mit der Konzeption eines Inneren Gefüges auseinanderzusetzen hatte, sondern als langjähriger Leiter der Abteilung Inland im Reichswehrministerium auch mit den Fragen zum Inneren Gefüge der Wehrmacht betraut gewesen. In dieser Funktion hatte er mehrere das Soldatentum im nationalsozialistischen Staat verherrlichende Publikationen verfasst.882 1885 im westpreußischen Drahnow, dem heutigen Drzonowo Wałeckie geboren, war Foertsch 1913 als Fahnenjunker-Unteroffizier in das Infanterieregiment 175 eingetreten, mit dem er 1914 ins Feld zog. Das Kriegsende erlebte der Oberleutnant als Kompanieführer in einem Sturmbataillon. In die Reichswehr übernommen, diente er, unterbrochen von einer zweijährigen Verwendung als Kompaniechef, von 1925 bis 1935 im Reichswehrministerium, nämlich zunächst als Pressereferent und ab August 1932 als Presse-Chef und Leiter der Abteilung Inland im Reichswehrministerium. 878
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Ebd., Bl. 80. Für Foertsch bilden die in den Berufspflichten aufgezählten Tugenden Tapferkeit, Gehorsam, Kameradschaft, Bescheidenheit, Aufrichtigkeit, Treue, Wahrhaftigkeit, Verschwiegen heit, Unbestechlichkeit und Pflichtbewusstsein die Ziele erzieherischen Wirkens. Siehe ebd., Bl. 78. Als besonders eklatantes Beispiel fügte Foertsch an, dass die Gerechtigkeit, wenn sie denn die Voraussetzung aller erzieherischer Wirkung sei, an den Anfang und nicht als letzte Ziffer ans Ende gehöre. Siehe ebd., Bl. 79; »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 10. Schreiben Foertsch an Pfister, 5.7.954, BArch, N 621/v. Kiste 23, Ordner StB F-G. Bereits ein Jahr zuvor hatte er gegenüber Weniger geäußert, dass er kein Fachmann der pädagogischen Theorien sei, sondern aus der Praxis heraus denke. Siehe Schreiben Foertsch an Pfister, 5.8.1953 (maschinelle Abschrift eines handgeschriebenen Briefes), BArch, N 621/v. Kiste 23, Ordner StB F-G. Siehe S. 4, Anm. 17 in dieser Arbeit.
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Hier zeichnete er als engster Mitarbeiter des Chefs des Ministeramtes, Oberst Walter von Reichenau, maßgeblich für die Erarbeitung der Richtlinien des Inneren Gefüges verantwortlich. Nach einer nur einjährigen Verwendung als Bataillonskommandeur an die Kriegsakademie kommandiert, wurde er 1937 in den Generalstab des Heeres versetzt und wirkte bis Kriegsbeginn als Taktiklehrer an der Kriegsakademie. Während der ersten Kriegsjahre als Chef des Stabes auf Korps- und Armeeebene eingesetzt, wurde Foertsch 1943 zunächst zum Chef des Stabes der Heeresgruppe E, später der Heeresgruppe F auf dem Balkan ernannt. Bis Kriegende folgten Führungsverwendungen als Divisons-, Korps- und Armeeführer. Seine Verwendung auf dem Balkan, die eine Tätigkeit als Chef des Stabes des Oberbefehlshabers Südost einschloss, führte schließlich im Dezember 1945 zu einer Anklage wegen der auf dem Balkan verübten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen ihn und elf weitere Generale.883 Foertsch, dem zwar die Kenntnis von, nicht aber die Beteiligung an ungesetzlichen Handlungen im Sinne des Völkerrechtes nachgewiesen werden konnte, wurde am 19. Februar 1948 freigesprochen und unverzüglich aus der Gefangenschaft entlassen.884 Nach seiner Teilnahme an der Himmeroder Tagung zog sich Foertsch aus dem Beratungsgremium zurück und konzentrierte sich auf seine Tätigkeit für das Institut für Zeitgeschichte. Unter Zuhilfenahme der bekannten Literatur, der Spruchkammer-Akten sowie persönlicher Aufzeichnungen ehemaliger Offiziere verfasste Foertsch für das Institut eine Darstellung der »Fritsch-Krise« und ihrer Hintergründe, die schließlich mit der damit im Zusammenhang zu betrachtenden »Blomberg-Krise« zu einer Neuorientierung im Verhältnis zwischen Wehrmacht und Hitler führte.885 Foertsch blieb aber auch für Pfisters Studien-Bureau tätig, in dessen Auftrag er ein Handbuch über den Bolschewismus für den politischen Unterricht erstellen sollte. Über sein Verhältnis zu Baudissin gibt seine Aussage gegenüber Weniger Auskunft, in der er die lange Bekanntschaft mit Baudissin erwähnte, diesen aber als in Wolken schwebend charakterisierte.886 Foertsch selbst war von seinen Vorgesetzten in ausgezeichneten Beurteilungen als starke Persönlichkeit mit ausgeprägten Führungseigenschaften charakterisiert wor883
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Mitangeklagt im Fall 7 der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse, dem Prozess gegen die »Süd ost-Generale«, waren die Generalfeldmarschälle Wilhelm List und Maximilian Freiherr von Weichs, Generaloberst Lothar Rendulic, General d. Pioniere Walter Kuntze, die Generale d. Inf. Ernst Dehner und Ernst von Leyser, die Generale d. Gebirgstruppen Franz Böhme und Hubert Lanz, die Generale d. Flieger Hans Felmy und Wilhelm Speidel sowie Generalmajor Kurt Ritter von Geitner. Freigesprochen wurde neben Foertsch nur Geitner. Die verhängten Haftstrafen zwischen sieben Jahren und lebenslänglich musste jedoch keiner der Verurteilten auch nur annähernd verbüßen; als letzter wurde Kuntze 1953 vorzeitig entlassen. Vgl. hierzu Ihme-Tuchel, Fall 7. Vgl. Die Generale des Heeres, Bd 4, S. 26‑28. Vgl. hierzu Foertsch, Schuld und Verhängnis; Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle. Foertsch war vom 1.10.1950 bis 30.9.1952 für das Institut tätig. In den Veröffentlichungen des Institutes zu seiner Geschichte wird Foertsch lediglich als Autor genannt, erwähnenswerte Impulse für die Entwicklung der Forschungseinrichtung sind von ihm wohl nicht ausgegangen. Einen nicht nachweisbaren Einfluss könnte er aber über Speidel als Beiratsmitglied ausgeübt haben. Vgl. Institut für Zeitgeschichte sowie 25 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Siehe Schreiben Foertsch an Pfister, 5.8.1953 (maschinelle Abschrift eines handgeschriebenen Briefes), BArch, N 621/v. Kiste 23, Ordner StB F-G. Diese abfällige Äußerung, die Karst von Drews zugtragen wurde, hatte bei einigen Mitarbeitern des Amtes Entsetzten und scharfe Kritik ausgelöst. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 18.9.1953, BArch, N 717/1, Bl. 32.
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den. In der Erfüllung seiner Aufgaben als Generalstabsoffizier überzeuge Foertsch durch überragende Leistungen und sei für höchste Kommandoposten geeignet. Umfassend gebildet, beherrsche er Wort und Schrift vorzüglich und habe sich als Lehrer und Erzieher hervorragend bewährt. Seine Vorgesetzten fügten ihren Aus führungen auch den Vermerk an, dass Foertsch ein guter Nationalsozialist sei.887 Inwieweit diese politische Einschätzung zutrifft, kann hier nicht weiter erörtert oder gar endgültig entschieden werden, seine zahlreichen Schriften lassen jedoch eine unzweifelhafte Zustimmung zum nationalsozialistischen Regime erkennen. Besonders die Rolle des Offiziers in der Wehrmacht des »Dritten Reiches« als Träger und Verkünder des nationalsozialistischen Gedankengutes wurde von Foertsch deutlich hervorgehoben. So wie die Wehrmacht nur nationalsozialistisch sein könne,888 müsse der Offizier Nationalsozialist sein, oder er könne kein Offizier des neuen Deutschlands sein889: »Wer diesen nationalsozialistischen Staat nicht aus der Fülle seines Herzens bejaht, wer diesem Staat und der Weltanschauung, die ihn geformt hat und nun trägt, gleichgültig oder gar ablehnend gegenübersteht, hat als Offizier in der neuen deutschen Wehrmacht nichts zu suchen. Wer nicht gewillt ist, für diesen Staat und seinen Führer einzutreten, im Kampf mit der Waffe, in der Erziehung seiner Mannschaft, der bleibe weg.«890 Auf die erzieherische Aufgabe des Offiziers hinweisend, hob Foertsch insbesondere die politische, das heißt nationalsozialistische Erziehung der Mannschaften als eine wichtige Aufgabe der Gesamterziehung hervor: »Politische Erziehung ist [sic!] auch in der Kaserne Not. Wer noch abseits steht, muss gewonnen werden. Wer gewonnen ist, muss gehalten werden.«891 Doch der Offizier, dem in einer Zeitenwende eine Jahrhundertaufgabe gestellt werde, könne diese nur erfüllen, wenn er die Zeichen der Zeit selbst erkannt habe: »Das ganze Volk geht heute durch die Schule der Wehrmacht. Es kommt in gläubigem Vertrauen. Es soll unsere Reihen nicht verlassen, ohne von dem Geist der wahren Vaterlandsliebe, dem Geist des völkischen Selbstbehauptungswillens, dem Geist des nationalsozialistischen Wollens einen starken Hauch verspürt zu haben. Auch das ist Erziehungspflicht des deutschen Offiziers.«892 Entscheidend für Foertsch war der kriegerische Geist, im Sinne des Sturmbatail lonsführers und des literarisch durch Ernst Jünger personifizierten Stoßtruppführers893 und nicht die taktische Form. Dies dürfe zwar nicht die Vernachlässigung der militärischen Ausbildung zur Folge haben, bedeute »aber die Erkenntnis, dass die Erziehung zum Kämpfer, zum ernsten Streiter für Deutschland«894 im Vordergrund 887 888 889
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Zu den Beurteilungen Foertschs siehe BArch, Pers 6/145. Siehe Foertsch, Die Wehrmacht, S. 41. Foertsch, Wer soll Offizier werden? In: Deutsche Infanterie, 9 (1938), S. 3 f., hier S. 4. Mit dieser Auffassung stand Foertsch keineswegs allein dar, denn auch zahlreiche der später im Widerstand gegen Hitler vereinten Offiziere wie Beck, Admiral Wilhelm Canaris und sogar Stauffenberg hatten den Machtwechsel und den Aufstieg zu neuer nationaler Größe zunächst begrüßt. Vgl. Förster, Geistige Kriegführung, S. 499. Foertsch, Der Offizier der deutschen Wehrmacht, S. 14. Ebd., S. 15. Ebd., S. 87. Vgl. Jünger, In Stahlgewittern. Foertsch, Der Offizier der deutschen Wehrmacht, S. 88.
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zu stehen habe. Soldat könne nur sein, »wer pflichtbewusst Kämpfer ist, erfüllt von Hingabe an die Sache, für die er kämpft, und vom Glauben an den Sieg; gestützt auf Können und Erfahrung.«895 Die hierzu erforderliche Erziehung bestünde in der »Hebung der sittlichen und seelischen Kräfte. Ihr Ziel ist die unbedingte Wider standskraft im Kriege, die zum Sieg führt. Die Erziehung in der Wehrmacht erstrebt den lebensnahen, harten Kämpfer, der an den Sieg seiner Sache glaubt und sich bis zur Opferung des Lebens dafür einsetzt.«896 Diese Sichtweise – wenn auch unter veränderten ideologischen Voraussetzungen – spiegelte sich auch in den Argumentationssträngen hinsichtlich der Leitsätze wider: »Sein Ideal entsprach dem ›wertfreien Kampf‹, dem ›Soldatentum sui generis‹.«897 Nicht der Staatsbürger, sondern der dem Willen zum Sieg verpflichtete Kämpfer stellte für Foertsch das primäre Ziel militärischer Erziehungsbemühungen dar. Dass er sich in seinem Denken auch nicht ganz von dem obsoleten Standpunkt eines von der Gesamtgesellschaft abgehobenen Soldatenstandes lösen konnte, wird nicht nur in seinen Stellungnahmen zu den Erziehungsleitsätzen deutlich. Bereits in seinem Kommentar zu einem Entwurf der zukünftigen Disziplinarordnung hatte Foertsch 1951 festgehalten, dass der Soldat »zwar nur [sic!] ein Bürger in Uniform [sei]«, aber in einer anderen Welt schaffe.898 Konsquenterweise lehnte der Personalgutachterausschuss, der alle Bewerber vom ehemaligen Oberst aufwärts einem Prüfungsverfahren hinsichtlich ihrer Eignung für den Dienst in der zukünftigen Bundeswehr unterzog, eine Einstellung Foertschs ab.899 Von den für die Leitsätze verantwortlichen Vertretern des Amtes Blank wurde die euphorische Zustimmung Pfisters zu den Ausführungen Foertschs verständlicher weise nicht geteilt. Verärgerung rief aber auch die Vorgehensweise hervor, da Foertsch seine Kritik an Heusinger und nicht an Karst oder Baudissin gesandt hatte.900 Bereits im Jahr zuvor hatte Baudissin den ehemaligen General auf diesen Sachverhalt angesprochen und ihn darauf hingewiesen, dass er als Verantwortlicher ebenfalls ein Interesse an seinen Ausführungen habe, die er im Gegensatz zu Pfister jedoch nicht von ihm erhalten habe. Stattdessen liefere er Letzterem nur Munition, die dieser im Haus gegen ihn verwende, wobei es ihn nichts anginge, ob dies in der Absicht seines Gegenübers liege.901 Heusinger überreichte Karst schließlich die Ausführungen Foertschs mit der Bitte, eine Stellungnahme zu verfassen, und verband dies mit der Bemerkung, dass ihr Verfasser völlig pfisterhörig sei. Auch Karst, der den zur Kur weilenden Baudissin
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Foertsch, Der deutsche Soldat, S. 14. Foertsch, Der Offizier der deutschen Wehrmacht, S. 73. Frei, Karrieren, S. 151. Hervorhebungen im Original. Stellungnahme Foertsch zum Entwurf einer Disziplinarordnung, 11.10.1951. Zit. nach Rautenberg, Zur Standortbestimmung, S. 857. Vgl. Abenheim, Bundeswehr, S. 41; Frei, Karrieren, S. 157. Zum Personalgutachterausschuss vgl. Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 1034‑1119. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 13.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 20. Zum Gespräch Baudissins mit Foertsch anlässlich einer Soldatentagung in Bad Boll im Oktober 1953 siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 19.10.1953, BArch, N 717/1, Bl. 90.
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vertrat, konnte sich mit Blick auf die sprachliche Gestaltung dem Eindruck nicht erwehren, dass »Foertsch, Pfister und Wirmer irgendwie sich abgesprochen haben.«902 Absprachen zu einem gemeinsamen Vorgehen sind anhand des Quellenmaterials nicht nachweisbar, obwohl Foertsch mit Pfister und Pfister mit Wirmer in direkter Verbindung miteinander standen. Gleichwohl lassen sich Kongruenzen und Differenzen in den Kritiken Wirmers und Foertschs aufzeigen. Beide übten scharfe Kritik an sprachlichen Unzulänglichkeiten und vermissten eine deutliche Aussage darüber, wofür der Soldat erzogen werden sollte. Wenngleich mit unterschiedlichen Argumentationen lehnten beide Kritiker eine allgemeine Erziehung des Soldaten ab. Während Foertsch den Erziehungsanspruch der Streitkräfte nicht in Frage stellte und eine zielgerichtete Erziehung des Soldaten zur Erfüllung seines Auftrages, den Sieg zu erringen, forderte, lehnte Wirmer jegliche erzieherische Betätigung militärischer Vorgesetzter zugunsten einer reinen Ausbildungstätigkeit kategorisch ab, obwohl er erzieherische Einflüsse von Führung und Ausbildung auf die Soldaten im Sinne einer funktionalen Erziehung nicht ausschloss. Diese ablehnende Haltung vertrat er auch in der Öffentlichkeit, indem er auf einer Tagung über Fragen zur Wehrgesetzgebung bekräftigte, dass der militärische Führer selbst zwar »ein erzogener und gebildeter Mann sein [müsse], um die ihm anvertrauten Menschen richtig leiten und behandeln zu können, aber ethische, moralische und staatsbürgerliche Erziehung [...] niemals Aufgabe militärischer Führer [sei], die sich lediglich auf den Bereich der Ausbil dung zu beschränken« hätten.903 Indes Wirmer einer von ihm befürchteten Überforderung der Unteroffiziere und Offiziere entgegentrat, deklarierte Foertsch die Erziehung des Soldaten als eine unerlässliche Aufgabe des militärischen Vorgesetzten. War Wirmer darüber hinaus bestrebt, die in seinen Augen drohende Autonomie durch einen Erziehungsanspruch der Streitkräfte zu verhindern, steuerte Foertsch auf eine erneute Sonderstellung des Soldaten hin, wenn er ihn zwar als Staatsbürger bezeichnete, ihn aber in einer anderen Welt schaffend einordnete. Karst begann seine Replik904 auf die Kritik Foertschs mit der bereits beschriebenen Einordnung der »Leitsätze« als ausdrückliche Zusammenfassung des erzieherischen Wollens in den Gesamtkanon all der Vorschriften, die ebenfalls erzieherische Aspekte enthielten. Natürlich entsprächen sie in Ausdruck und sprachlicher Gestaltung noch nicht den Erwartungen, daher seien sie auch ausdrücklich als Entwurf gekennzeichnet worden. Das in der Vergangenheit übliche Verfahren, an derartigen militärischen Grundsatzvorschriften sorgfältig zu feilen und sie wiederholt dem Schmelztiegel der Kritik zu unterwerfen, scheitere an der unzureichenden Personalausstattung des Referates. Zwar seien einige formale Verbesserungsvorschläge des Generals gut und würden in die kommende Fassung eingearbeitet, doch müsse es befremden, dass Foertsch, der, wie es den Anschein habe, die Leitsätze der 130/1 selbst nicht be902 903 904
Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 9.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 15. Fränkischer Volksbogen, 6.7.1955, BArch, N 493/v. 1. Siehe Schreiben Karst an Heusinger, Vermerk zur Stellungnahme des Generals der Inf. a.D. Hermann Foertsch zu den »Leitsätzen für die soldatische Erziehung« vom 1.7.1954, 21.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 87‑94.
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sonders gründlich kenne905, in seiner Kritik die sprachliche Gestaltung von Sätzen angreife, die wörtlich aus der AVI übernommen worden waren, obwohl er zuvor auf die »traditionelle Klarheit deutscher militärischer Vorschriften«906 hingewiesen hätte. Man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, fuhr Karst fort, dass »es ihm aus seiner Abwehrstellung gegen den Grafen Baudissin heraus darauf an[käme], die ›Leitsätze‹ um jeden Preis zu ›verreißen‹.«907 Zu Recht verwundert zeigte sich Karst über den Vorwurf, die Leitsätze entsprächen nicht den Anforderungen der Pädagogik, hatten doch bedeutende Erziehungs wissenschaftler und Kapazitäten aus anderen Wissenschaftsgebieten diese Leitsätze mit erfahrenen Frontoffizieren »gemeinsam entworfen und in ihren Grundzügen gemeinsam gutgeheißen.«908 Einen Beweis für die Behauptung schuldig bleibend, hatte auch Foertsch im Einklang mit Wirmer eine allgemeine Erziehung verneint. In seiner Antwort betonte Karst in Übereinstimmung mit Baudissin den rein interpretatorischen Aspekt eines derartigen Anspruchs, denn von einer allgemeinen Erziehung sei in den Leitsätzen an keiner Stelle explizit die Rede. Andererseits gebe es, ebenso wie ein grundlegendes, allgemeines Menschenbild, eine weithin verbindliche allgemeine Erziehung, deren Ziele – Sparsamkeit, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Sauberkeit, Hilfsbereitschaft, Großmut und Anständigkeit, verwirklicht durch Liebe, Mahnung, Zureden, Aufgaben, Lob, Strafe und Leistungsanforderungen – auch für den Soldaten gelte. Es gäbe darüber hinaus aber auch besondere Erziehungsziele, »die im soldatischen Leben und Dienen besonders ausgeprägt gefordert werden müssen, wenngleich sie auch überall im bürgerlichen Leben unerlässlich sind: Gehorsam, Tapferkeit, Pflichtbewusstsein, Ritterlichkeit und Verantwortungsfreude.«909 Am entschiedensten trat Karst der Ansicht Foertschs entgegen, dass der Sieg die Aufgabe des Soldaten sei. Es habe auch noch keine deutsche Heeresvorschrift einen derart anmaßenden Satz formuliert – ganz im Gegensatz zur nationalsozialistischen Wehrideologie und ihrer Verherrlichung in den Schriften Foertschs. Es zeige, so folgerte Karst daraus, »einen bedenklich engen Horizont, im Zeitalter der Atomwaffen und der totalen Vernichtung, vom einzelnen Soldaten den ›Sieg‹ zu verlangen. Die
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Siehe ebd., Bl. 88. Stellungnahme Foertsch zu »Leitsätze für die soldatische Erziehung«, 1.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 78. Es handelt sich hierbei um den Abschnitt II, Ziffer 8 der AVI von 1938 respektive Abschnitt I, Ziffer 5 und 6 der Leitsätze. Siehe HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie vom 1.10.1938, S. 7; Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung«, Fassung vom 18. Mai 1954, 1.7.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 4 f. Schreiben Karst an Heusinger, Vermerk zur Stellungnahme des Generals der Inf. a.D. Hermann Foertsch zu den »Leitsätzen für die soldatische Erziehung« vom 1.7.1954, 21.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 88 f. Hervorhebungen im Original. Schreiben Karst an Heusinger, Vermerk zur Stellungnahme des Generals der Inf. a.D. Hermann Foertsch zu den »Leitsätzen für die soldatische Erziehung« vom 1.7.1954, 21.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 89 f. Hervorhebung im Original. Dass einige der Wissenschaftler selbst erfahrene Frontoffiziere, andere in der Wehrpsychologie tätig waren, wurde bereits dargestellt, von Karst hingegen aber nicht erwähnt. Ebd., Bl. 88. Hervorhebungen im Original. Siehe Abschnitt I, Ziffer 2 des Entwurfes der »Leitsätze für die soldatische Erziehung«, Fassung vom 18. Mai 1954, 1.7.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 4 f.
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einseitige Vorstellung vom Soldaten, die sich darin ausspricht, lässt alle übrige Kritik des Generals Foertsch als zweifelhaft erscheinen.«910 Doch schon bald darauf machte sich Karst die von ihm selbst als eindimensional charakterisierte Auffassung Foertschs von der Aufgabe des Soldaten zu Eigen. Gemäß seinen Ausführungen über den Zweck des soldatischen Dienens »gewinnt dieses ›Wofür‹ seine letzte Schärfe erst im Blick auf den möglichen Atomkrieg. Nur was uns im Inferno einer solchen Katastrophe noch befähigen würde, nicht nur standzuhalten, sondern tapfer zu kämpfen und zu siegen, das hat Gewicht. Wohlgemerkt: zu siegen! Ohne den Willen zu haben, den Gegner zu besiegen – und wenn nur ein Funke an Hoffnung diesen Willen durchdringt –, kann der Soldat nicht kämpfen. Es gäbe zwar im Blick auf die Völkerschicksale ein berechtigtes Fragezeichen hinter dem Begriff ›Sieger‹. Aber wo auch immer im Atomkrieg Infanterie auf Infanterie, Panzer auf Panzer, Flugzeug auf Flugzeug stoßen, muss ein entschlossener Wille der [sic] Grenadiere, Panzerschützen und Flieger beseelen, den Gegner zu besiegen. Dazu müssen sie unablässig erzogen werden, auch wenn sie den Krieg verabscheuen.«911 Natürlich, fuhr Karst fort, bedürfe es »keiner Erwähnung, dass kein denkender Mensch einen Krieg wünschen kann. Alles muss getan werden, einen Krieg zu verhindern. Es wäre aber eine neue Form des ›Militarismus‹, vom Soldaten zu verlangen, dass er den Krieg ›verhindern‹ solle. Der Soldat wird weder zum Leben noch zum Sterben erzogen, sondern zum Kämpfen. Je entschlossener, tapferer und besser ausgebildet er sich diesem Auftrag unterwirft, desto mehr Aussicht hat die Politik, die Spannungen der Völker in freier und friedlicher Verhandlung zu mildern oder auszugleichen. Nicht der Soldat hat den Krieg zu verhindern, sondern die Politik, die für die Geschicke des Volkes Vorrang und Führung hat. Der Soldat hat sich allemal auf den Krieg vorzubereiten. Es ist also Selbsttäuschung zu sagen, der Soldat sei nicht dazu da, einen etwaigen Krieg zu gewinnen, sondern ihn zu verhindern. Der Soldat hat nur den Auftrag, einen etwaigen Krieg zu gewinnen, wo immer er steht und kämpft. Je besser er das kann, desto wahrscheinlicher ist der Friede gesichert. Und wenn es dann dennoch wider aller Willen zum Krieg kommen sollte, gleich mit welchen Waffen, muss er tapfer, unbeirrbar und mit ganzer Hingabe den Kampf führen und von dem Willen durchdrungen sein, zu siegen und den Gegner zu schlagen. Alles andere führt zu ideologischer Selbstbeschwichtigung und Halbheit.«912 Dieser Intention hielt Baudissin das Wort Clausewitz’ entgegen, »dass es das Ziel des Krieges ist, dem Gegner den eigenen politischen Willen aufzuzwingen. Nur, dass der politische Wille nicht mehr darauf abzielt, dem anderen etwas aufzuzwingen, was dessen politische Existenz bedroht. Es geht heute darum, sich dem Willen des Angreifers nicht selbst zu unterwerfen; nicht mehr um ›Siegen‹ geht es, sondern um
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Schreiben Karst an Heusinger, Vermerk zur Stellungnahme des Generals der Inf. a.D. Hermann Foertsch zu den »Leitsätzen für die soldatische Erziehung« vom 1.7.1954, 21.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 90. Karst, Wofür wir dienen, BArch, N 690/ v.12, S. 2. Hervorhebungen im Original. Siehe auch Karst, Das Bild, S. 14. Karst, Wofür wir dienen, BArch, N 690/ v.12, S. 3. Hervorhebungen im Original.
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›Nicht-besiegt-Werden‹. Dieses politische Ziel hat den militärischen Einsatz bis in die Taktik hinein zu bestimmen.«913 In seiner Erwiderung auf die kritischen Bemerkungen Foertschs zu den einzelnen Ziffern der Leitsätze914 konterte Karst dessen Reduktion der Überschrift »Ziele der Erziehung« auf ein Ziel, mit dem Hinweis, dass dies nur dann gelten könne, wenn das Ziel der von Foertsch geforderte »Sieg« sei. Zu dieser einfachen Aussage hätte sich aber selbst die AVI der Wehrmacht nicht durchringen können, obwohl dies dem Nationalsozialismus entgegengekommen wäre. Wenn auch nur als Einheit zu sehen, gebe es mindestens drei Ziele der Erziehung: der freie Mensch, der gute Staatsbürger und der tüchtige, harte Soldat. Der Annahme Foertschs, das Vertrauen zwischen Soldat und staatlicher Gemeinschaft sei wohl nur ein einseitiges Erziehungsziel und eher eine Aufgabe der politischen als der soldatischen Erziehung, hielt Karst entgegen, dass die Förderung dieses Vertrauens Aufgabe aller Staatsbürger, auch der uniformtragenden, sei. Die deutsche Militärgeschichte habe bewiesen, dass gerade dieses fehlende Vertrauen einen Schaden für das nationale Leben hervorgerufen hätte, an dessen Folgen Deutschland noch immer leide. Karst, der den Eindruck gewonnen hatte, dass Foertsch ein Unterrichtsfach »Politische Erziehung« schaffen wolle, betonte noch einmal die Position des Referates, dass die politische Erziehung als integraler Bestandteil aller Erziehung von der allgemeinen Erziehung nicht zu trennen sei. Seine Anmerkung, dass es ihm unverständlich sei, dass Foertsch diese Binsenweisheit nicht kenne und mithin deutlich werde, wie notwendig die Leitsätze daher wären, musste jedoch ins Leere laufen, denn Foertsch hatte bereits zu einem früheren Zeitpunkt angemahnt, dass nicht die abgegrenzten Unterrichtsstunden, »sondern bewusst fortschreitende Einwirkung im täglichen Dienst und bei besonderen Gelegenheiten«915 Erfolge brächte. Nicht zu Unrecht musste sich Foertsch den Vorwurf gefallen lassen, einem Leitbild anzuhängen, dass der veränderten Bewusstseinslage in keinster Weise mehr entspräche. Allzu deutlich werde dies in seiner »schlecht verhohlenen Verachtung für die ›lobenswerten Ziele‹«916 unterstrichen. Auch sei es undifferenziert, von soldatischen Tugenden zu sprechen, denn Gehorsam, Treue, Verantwortungsfreude, Tapferkeit und Pflichtbewusstsein könnten nicht allein dem Soldaten zuerkannt werden, sondern stünden jedem anständigen Menschen wohl zu Gesicht. Besonders sichtbar werde die antiquierte Einstellung Foertschs in seiner vorrangigen Charakterisierung des Soldaten als Kämpfer, die ihn vom Staatsbürger, der er aber natürlich auch sein und bleiben solle, unterscheide. Diese Anschauung, im Staatsbürger keinen Kämpfer zu erblicken, wies Karst mit Blick auf die Widerstandskämpfer gegen die Diktatur Hitlers, derer gerade in diesen Tagen gedacht werde, als ungeheuerlich zurück. Auch die Armee der 22 Millionen deutschen Soldaten sei doch nichts anderes gewesen 913 914 915 916
Baudissin, Soldat, S. 39. Siehe Stellungnahme Foertsch zu »Leitsätze für die soldatische Erziehung«, 1.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 79‑81. Foertsch, Der Offizier der deutschen Wehrmacht, S. 87. Schreiben Karst an Heusinger, Vermerk zur Stellungnahme des Generals der Inf. a.D. Hermann Foertsch zu den »Leitsätzen für die soldatische Erziehung« vom 1.7.1954, 21.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 91.
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»als die Gesamtheit der Staatsbürger in Waffen.« In den unteren Dienstgradgruppen hätten fast nur noch Reservisten geführt, eine Tatsache, die sich in der Zukunft noch mehr zuspitzen werde. Der Gedanke einer milizartigen Mobilisierung werde in der aktuellen öffentlichen Diskussion zu Recht immer mehr in den Vordergrund geschoben. Daher erschien es ihm fast frivol, angesichts dieser Lage einen Unterschied zwischen Kämpfer und Bürger sehen zu wollen.917 Verständnislos trat Karst auch der Frage Foertschs entgegen, worin denn die Gefahr des soldatischen Auftrages bestünde.918 Wenn einem alten Soldaten nicht deutlich sei, worin nach den bitteren Erfahrungen, die von der Fritsch-Krise über den 20. Juli nach Nürnberg führten, die Gefahr des soldatischen Auftrages liege, mache dies deutlich, wie weit vorne man wieder anfangen müsse. Im 19. Jahrhundert dagegen hätte jeder intelligente Leutnant auf diese Frage eine Antwort geben können. Befehle, Studien und Denkschriften gäben einen Einblick darüber, wie sehr sich die preußisch-deutschen Offiziere dieser Epoche der Versuchung der Macht bewusst gewesen wären und wie sie um die Verantwortung ihres Berufes rangen. Man selbst war es nur noch gewohnt, den Gehorsam zu sehen und in den Mittelpunkt zu rücken, die Herausforderung einer gewissensgebundenen Verantwortung wurde nicht mehr wahrgenommen. Scharnhorst habe von jedem Offizier die Erkenntnis darüber verlangt, »dass nicht ›jede gut bezahlte Stelle eine Pfründe ist‹, die er ›genießt, solange er lebt‹, sondern eine ›höchst gefährliche Angelegenheit‹, bei der jeder, der sie anstrebt, mit dem Kopf spielt. Darin aber läge gerade die Bedeutung für die Auslese der führenden Schicht und damit die Grundlage für den Fortschritt im Heer. ›Das macht ihren inneren Wert aus, das entfernt den Unwissenden, den Untätigen und Furchtsamen und bringt den Ehrgeizigen und Unternehmenden hervor, von dem man nur allein im Kriege etwas erwarten darf‹. Je ›gefährlicher‹ nämlich eine ›höhere Stelle sei‹, desto weniger hat sie ›von unedlen Nachstellungen zu befürchten, desto mehr steht sie dem Mann von höheren Gefühlen, von innerem Bewusstsein seiner Kräfte und Energien offen‹.«919 Bezieht man dies nicht nur auf taktische, operative oder gar strategische Fähig keiten, sondern insbesondere auf das dem Wort General innewohnende »der für alles Verantwortliche«, hatte sich das höhere Offizierkorps und die Generalität der Wehr macht mit einigen rühmlichen Ausnahmen dieser verantwortungsvollen Aufgabe im »Dritten Reich« als nicht gewachsen erwiesen.
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Siehe ebd., Bl. 92, Zitat ebd. Hervorhebungen im Original. Overmans hat errechnet, dass ca. 18,2 Millionen Soldaten in der Wehrmacht und der Waffen-SS dienten. Die Aufschlüsselung nach Teilstreitkräften ergab für das Großdeutsche Reich circa 13,6 Millionen Heeressoldaten, 2,5 Millionen Luftwaffenangehörige, 1,2 Millionen Marinesoldaten und 900 000 Soldaten der Waffen-SS. Nicht eingerechnet wurden die Angehörigen ausländischer Freiwilligenverbände und ausländische Hilfswillige. Vgl. Overmans, Deutsche militärische Verluste, S. 214‑227. Stellungnahme Foertsch zu »Leitsätze für die soldatische Erziehung«, 1.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 81; Abschnitt II, Ziffer 3 des Entwurf[es] der »Leitsätze für die soldatische Erziehung«, Fassung vom 18. Mai 1954, 1.7.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 6. Schreiben Karst an Heusinger, Vermerk zur Stellungnahme des Generals der Inf. a.D. Hermann Foertsch zu den »Leitsätzen für die soldatische Erziehung« vom 1.7.1954, 21.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 94. Hervorhebungen im Original.
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Resümierend konstatierte Karst, dass die Stellungnahme Foertschs, mit Ausnahme einiger sprachlicher Verbesserungsvorschläge, abzulehnen sei. Sachlich wisse sie nichts beizusteuern, erginge sich in unbewiesenen Angriffen und atme einen Geist, den man hoffe in den zukünftigen Streitkräften nicht wiederzufinden.920 Tatsächlich triumphierte in ihr die Wirkungsmacht des Tradierten: Denn wenn der Soldat in erster Linie ein Kämpfer sein sollte und sich vom Staatsbürger darin unterschied, dass rechtliches Denken und die Achtung der Menschenwürde zwar lohnende Ziele darstellten, aber vor der Aufzählung soldatischer Tugenden zurückstehen sollten, dann drohte der Geist alter Zeiten zu überdauern, aller Mitverantwortung Foertschs an den »grundlegend Neues« fordernden Entschlüssen des Himmeroder Ausschusses zu Fragen des Inneren Gefüges zum Trotz.
d) Josef H. Pfister Auch Pfister ließ es sich nicht nehmen, Anmerkungen zum Entwurf der Leitsätze zu formulieren, hatte aber scheinbar Bedenken, diese an Heusinger weiterzureichen.921 Die Erziehung wehrpflichtiger Mannschaften durch ihre vorgesetzten Offiziere und Unteroffiziere berühre eine Anzahl kritischer Punkte im öffentlichen Bewusstsein, führte Pfister einleitend aus und verwies in diesem Zusammenhang »auf die politische Besorgnis vor einer neuen ›Schule der Nation‹, auf den Unterschied zwischen idealistischen Vorschriften und realistischer Praxis, sowie auf die psychologische Situation der [...] Jugend, die der Wehrpflicht nicht ohne Vorbehalt«922 zustimme. Die Erziehung im Wehrdienst stelle daher ein zentrales Problem dar, zu dessen Lösung die Erziehungsleitsätze noch nicht befriedigend beigetragen hätten. Eine erste Ursache sah Pfister in der fehlenden Definition des Erziehungsbegriffes. Verwende man das Wort Erziehung synonym für menschliche Beziehungen, sittliches Verhalten – allgemein unter Menschen und zwischen Vorgesetzten und Untergebenen –, personale Einstellung in der Ausbildung, soziales Verhalten sowie Bildung im Sinne der Erwachsenenbildung, werde der Erziehungsbegriff, wie ihn die Fachleute verstünden, zu weit gefasst. Missverständnisse in der Diskussion und Fehlargumentationen seien daher unvermeidbar. Stattdessen sollten die Leitsätze »eine einfache und klare Wesensbestimmung der Erziehung bringen oder zumindest festlegen, was in ihnen unter diesem Wort verstanden wird.«923
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Siehe ebd. Siehe Stellungnahme Pfister, Vorläufige Anmerkungen zu den Erziehungsleitsätzen, 29.6.1954, BArch, N 621 v. Kiste 4, S. 1‑4. Eine endgültige Fassung wurde nach Aktenlage nicht erstellt. Nach Erwähnung des Unsinns, den Wirmer geschrieben hätte, habe Pfister ihm seine Kritik nicht geben wollen, beschrieb Heusinger schmunzelnd ein Gespräch mit Pfister gegenüber Karst, doch hätte der Leiter des Studien-Bureaus seine Unterlagen bereits über den Tisch gereicht. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 13.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 20. Eine Reaktion vonseiten der Gruppe »Innere Führung« in Form einer angeordneten oder selbst zu verantwortenden Rückäußerung wie in den Fällen Wirmer und Foertsch erfolgte nicht. Stellungnahme Pfister, Vorläufige Anmerkungen zu den Erziehungsleitsätzen, 29.6.1954, BArch, N 621 v. Kiste 4, S. 1. Ebd., S. 2.
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Ihren Erziehungsanspruch924 in Frage stellend, führte Pfister weiter aus, dass die Streitkräfte den politischen Auftrag hätten, die Wehrpflichtigen zum Zwecke der Verteidigung auszubilden und einzusetzen. Ausbildung und Führung stellten daher die Hauptaufgaben der Vorgesetzten dar. Obgleich der Deutsche Bundestag den Erziehungsanspruch der Streitkräfte bereits befürwortet hatte, bedurfte es für Pfister noch einer sorgfältigen Klärung und Abgrenzung, ob sich über den politisch legitimierten Ausbildungsauftrag hinaus auch ein politisch legitimierter Erziehungsauftrag ableiten ließe. Im Rahmen seines militärischen Dienstes als Staatsbürger einer Demokratie dürfe der Wehrpflichtige erzieherischen Einflüssen direkt nur insofern ausgesetzt werden wie dies für Ausbildung und Führung erforderlich sei. Pfister verwies explizit auf die zu berücksichtigende Beachtung der Grundrechte. Eine allgemeine Erziehungsbefugnis impliziere der Verteidigungsauftrag keineswegs. Da dies immer ein Einwirken in die Personensphäre des Zöglings bedeute, müsse »klar festgestellt werden, inwieweit die Wehrpflicht eine Einwirkungsbefugnis und Verfügungsgewalt des Vorgesetzten über die Person der ihm anvertrauten Soldaten«925 rechtfertige. Diese Kernfrage des Erziehungsrechts und der Verfügungsgewalt der militärischen Vorgesetzten werde von den Leitsätzen übergangen; der Text könne sogar dergestalt missverstanden werden, »als ob ein unbegrenztes, allgemeines Erziehungsrecht eine Selbstverständlichkeit«926 sei. Darüber hinaus gehöre es »zu den einfachen Wahrheiten der Pädagogik, dass es Erziehung ›an und für sich‹ nicht« gebe, da erzieherische Einflussnahme stets an menschliche Tätigkeiten und Verhaltensweisen gebunden sei. In diesem Falle ein immanentes Element militärischer Ausbildung und Führung der Truppe, müsse geprüft werden, ob es nicht vorteilhafter wäre, die Leitsätze in die Ausbildungs- und Führungsvorschriften einzuarbeiten, anstatt sie als selbstständige Vorschrift zu behandeln. Dies gelte umso mehr, als nach Pfisters Ansicht die Erziehungspraxis in der Ausbildung nicht dieselbe sei wie in der Führung.927 Zum Abschluss dieser allgemein gehaltenen Kritik an den Leitsätzen verzichtete Pfister schließlich großmütig darauf, auf die »zahlreiche[n] andere[n] Einzelheiten einzugehen«928, die einer Diskussion würdig wären, bezweifelte aber den Wert »allgemeiner Erziehungsanweisungen, die vermutlich immer so idealistisch formuliert werden, dass sie für die Praxis der Menschenkenntnis und Menschenführung keine konkrete Hilfe darstellen.«929 Stattdessen beschränkte er sich auf den Hinweis, dass die in den Leitsätzen formulierte Erklärung, dass dem Drill über seinen Wert als technisches Ausbildungsmittel keine erzieherische Bedeutung zukomme, von Fachleuten bestritten werde. Darüber hinaus liefe die Behauptung, dass es das hohe 924 925 926 927 928 929
Pfister spricht in diesem Zusammenhang nicht vom Erziehungsanspruch, sondern vom Erziehungs recht im Sinne von Recht zur Erziehung. Stellungnahme Pfister, Vorläufige Anmerkungen zu den Erziehungsleitsätzen, 29.6.1954, BArch, N 621/ v. Kiste 4, S. 2. Ebd. Ebd., S. 3, Zitat ebd. Erziehung in der Führung stellt sich für Pfister »als immanente Funktion des richtig oder falsch vollzogenen Auftrags« dar. Ebd., S. 4. Ebd., S. 3. Mit dieser Anmerkung wollte Pfister wohl seiner Befürchtung Ausdruck verleihen, dass die Erziehungsleitsätze keine praktische Erziehungsanleitung darstellten, sondern den Vorgesetzten in ihrer von Pfister so interpretierten idealisierten Erhöhung überfordern würden.
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Ziel des Soldaten sei, den Frieden zu gewinnen, leicht Gefahr, als Einmischung in die Politik gedeutet zu werden.930 Dies war eine auch für Foertsch unverständliche Forderung, könne der Friede doch erst nach Beendigung eines Krieges gewonnen werden. Das sei dann schließlich die Aufgabe des Staatsmannes, ebenso wie es in dessen Verantwortung läge, den Frieden zu erhalten. Für ihn stellte »die hier gebrauchte Formulierung [...] eine ganz neue Art von ›Militarismus‹« dar.931 Karst erteilte dieser Intention mit Rückblick auf die jüngere und jüngste deutsche Geschichte eine eindeutige Absage, die auch vor einer Rüge der Generalität gegenüber nicht Halt machte: »Wie sehr das Verhalten jedes einzelnen Soldaten im Krieg dazu beiträgt, den Frieden zu gewinnen, dürfte jedem Frontsoldaten klar sein [...] Das ritterliche und rechte Verhalten der Soldaten ist mit ausschlaggebend für den Frieden, nicht weniger, als die rechte Führung der Politik. Die Amerikaner haben den Sieg in Europa errungen, den ›Frieden‹ aber nach eigenem Eingeständnis fast verloren. Wir hätten in Russland mit der Wehrmacht allein den Krieg gewonnen, weil wir bereits den Frieden sahen und richtig erstrebten. Hitlers Herrenmenschenwahn aber sah den Frieden nur unter dem Aspekt der Ausrottung und Versklavung der Ostvölker: da mussten wir den Krieg verlieren. Das sind doch für den Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts eindeutige Wahrheiten. Es erstaunt, wie General Foertsch nach dem ›Inhalt‹ dieser Forderung fragen kann. In der großen Zeit des preußisch-deutschen Offizierkorps im 18. und 19. Jahrhundert war es ganz selbstverständlich, dass das Ziel jeder kriegerischen Aktion die Friedensordnung war. So zu denken, unterscheidet den Soldaten vom Krieger.«932 Karst interpretierte die Kritik Foertschs dahingehend, dass sich selbst die Generalität »von diesen ersten und echtesten Voraussetzungen rechter soldatischer Einstellung entfernt« habe und derartige Hinweise in den Leitsätzen unverzichtbar seien.933 Im Folgenden versuchte Pfister, darin ebenso erfolglos wie Wirmer, die Kontroverse in andere Bereiche hineinzutragen, um dort eine Entscheidung in seinem Sinne zu suchen. Als der Direktor der Akademie der Diözese Rottenburg im Juli 1954 bei Pfister anfragte, ob er für eine Tagung mit ehemaligen Offizieren ein als besonders dringliches Thema empfehlen könne, denn es sei das Anliegen der Akademie, »von den Soldatentagungen alten Schlages abzukommen und den Soldaten mehr in der Gemeinschaft mit anderen Ständen und Gruppen des Volkes zu sehen«934, zeigte 930 931 932
933
934
Siehe ebd., S. 4, sowie Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, 26.5.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 4; Anlage 6, S. 497. Siehe Stellungnahme Foertsch zu »Leitsätze für die soldatische Erziehung«, Fassung vom 18. Mai 1954, 1.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 80. Schreiben Karst an Heusinger, Vermerk zur Stellungnahme des Generals der Inf. a.D. Hermann Foertsch zu den »Leitsätzen für die soldatische Erziehung« vom 1.7.1954, 21.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 92 f. Hervorhebungen im Original. Einen weiteren Unterschied zwischen dem Krieger, der »sein Soldatentum um des Soldatentums willen lebt«, und dem Soldaten sah das Handbuch Innere Führung in der Bindungslosigkeit des einen und der Bindung des anderen an eine Staatsform. Vgl. Handbuch Innere Führung, S. 69. Siehe Schreiben Karst an Heusinger, Vermerk zur Stellungnahme des Generals der Inf. a.D. Hermann Foertsch zu den »Leitsätzen für die soldatische Erziehung« vom 1.7.1954, 21.7.1954, BArch, BW 9/2592-3, Bl. 93, Zitat ebd. Hervorhebungen im Original. Schreiben Auer an Pfister, 3.7.1954, BArch, N 621/v. Kiste 19, Ordner StB A 52‑56.
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sich Pfister um eine Antwort nicht verlegen. Nach Rücksprache mit Wirmer empfahl er dem Akademieleiter eine Erörterung über die Problematik der Erziehung im Wehrdienst, da das Interesse der Öffentlichkeit an diesem Fragenkomplex in naher Zukunft an Aufmerksamkeit gewinnen würde. Es müsse analysiert werden, was denn das Militär unter Erziehung verstehe und wie sie sich von Führerschaft, sittlicher Einstellung, sozialem Verhalten und dergleichen mehr unterscheide. In diesem Raum herrsche »eine babylonische Sprach- und Vorstellungsverwirrung, die durch ideologisch-idealistische Leitbilder nur noch verschlimmert« werde. Zudem gelte es darüber Klarheit zu gewinnen, inwieweit »sich ein – streng begrenzter – indirekter Erziehungsauftrag aus dem politischen Auftrag an die Streitkräfte zur Verteidigung (wessen?) ableiten« ließe. Einerseits spiegle sich in der Erziehungsfrage die Stellung der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft ebenso real wider wie die Ressentiments und Vorbehalte gegen Kommiss und Wiederbewaffnung, andererseits wurzle hier aber auch die Gelegenheit »für eine praktische (nicht nur ideologische) Reform des Wehrdienstes von oben nach unten.«935 Seine Anregungen wie auch die bekundete Bereitschaft, ein Einführungsreferat zu halten, fanden jedoch weder zu diesem noch zu einem späteren Zeitpunkt Gehör.936
e) Der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen Das Verständnis von Baudissins ausdrücklich hervorgehobener und sachlich begründeter Vorrangstellung der Erziehung im Rahmen der Inneren Führung gegenüber Ausbildung und Führung war nicht nur den bereits Zitierten verschlossen geblieben. Selbst einigen Mitgliedern des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen, denen die Erziehungsleitsätze zur Begutachtung vorgelegen hatten, war das Erziehungsverständnis Baudissins nicht deutlich geworden. Es sei nicht die Aufgabe der Truppenführung, »schon erzogene Menschen noch weiter zu erziehen; Erziehung im Bereich der Streitkräfte bedeutet vielmehr Selbsterziehung. Die Führung soll jedoch dazu beitragen, dass innerhalb der Truppe die richtigen Formen solcher Selbsterziehung entwickelt werden.«937 Dabei waren ihre Einwände und die daraus resultierenden Forderungen vollkommen identisch mit den erzieherischen Intentionen Baudissins; hier oblag es Weniger und Bohnenkamp als Ausschussmitglieder, die notwendige Aufklärungsarbeit zu leisten. Bevor es zu derartigen Schritten kam, musste der Ausschuss aber erst für eine Beurteilung der Erziehungsleitsätze gewonnen werden. Der Ausschuss – ein von 1953 bis 1965 existierendes, unabhängiges Expertengremium, das mit Gutachten und 935 936
937
Schreiben Pfister an Auer, 6.7.1954, BArch, N 621/v. Kiste 19, Ordner StB A 52‑56. Hervor hebungen im Original. Stattdessen wurde Anfang Dezember über die »Selbstbehauptung des Abendlandes« diskutiert. Siehe Schreiben Pfister an Auer, 2.12.1954, BArch, N 621/v. Kiste 19, Ordner StB A 52‑56. Pfister zeigte sich zwar am Thema mit Blick auf die Erstellung von Lehrmaterial zur geistigen Abwehr des Kommunismus in den zukünftigen Streitkräften interessiert, lehnte jedoch eine Teilnahme an der Tagung mit der Begründung ab, seine Dispositionen nicht mehr ändern zu können. Anlage 1 zum 18. Sitzungsbericht, Änderungsvorschläge zum II. Entwurf der Empfehlungen »anläßlich des Aufbaus der Streitkräfte«, BArch, N 488/10, Bl. 46. Der Einwand erfolgte durch Felix Messerschmidt, Walter Dirks und Erich Wende.
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Empfehlungen Stellung zu grundsätzlichen Fragen des deutschen Bildungswesens nahm und auf die Schulpolitik und Meinungsbildung in der Bundesrepublik einen erheblichen Einfluss ausübte938 – hatte es nämlich zunächst abgelehnt, seine Mitarbeit an den Fragen zur Erziehung in den Streitkräften aus eigenem Antrieb anzubieten. Seine Mitglieder, begründete Bohnenkamp in einem Schreiben an Baudissin diesen Beschluss, hegten tiefe Zweifel, ob eine Wiederbewaffnung positive Auswirkungen für Deutschland habe und ob das Wesen einer Streitmacht sowie die deutsche Tra dition dem Unternehmen überhaupt eine volkserzieherische Chance ließen.939 Indes ermöglichte es der Auftrag des Expertengremiums selbst, diese Ablehnung auszuhebeln. Mit der Beobachtung aller Aspekte der deutschen Erziehungswirklichkeit und deren Beurteilung in Form von Gutachten und Empfehlungen betraut,940 war es ihm nicht möglich, sich einer diesbezüglichen Anfrage zu entziehen. Ergo schlug Bohnenkamp dem Amt Blank vor, ein solches Gutachten zu bestimmten Entwürfen wie den Erziehungsleitsätzen oder zu Ausbildungsrichtlinien anzufordern. Für einige Bereiche würde sich der Ausschuss wohl nicht zuständig erklären, ausgewählte erzieherische Grundfragen aber mit Sicherheit im Sinne Baudissins aufgreifen. Er verspreche sich eine für die Kontroverse nicht zu unterschätzende Stärkung der Intentionen und damit auch der Position Baudissins. Heusinger erschien eine derartige Vorgehensweise zwar nicht unbedingt erforderlich,941 dennoch gelang es Baudissin, seine gegenüber Bohnenkamp ausgesprochene Zusicherung, wenn auch erst nach wiederholter Ermahnung, zu realisieren.942 Mit seiner grundsätzlichen Billigung der Leitsätze Ende 1955 ließ es der Ausschuss jedoch nicht bewenden, sondern kündigte ein Memorandum über die Stellung der Streitkräfte zu den öffentlichen Erziehungsinstitutionen an.943 Mit dieser am 5. Juli 1956 verabschiedeten »Empfehlung des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr«944, beruhend auf einem ersten, von Weniger im Januar 1956 vorgelegten Generalentwurf, trat der Ausschuss mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit als Anwalt für die konkreten Interessen 938 939 940
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Zum Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen vgl. Kleemann, Der Deutsche Ausschuß. Siehe Schreiben Bohnenkamp an Baudissin, BArch, N 717/20, S. 1 f., hier S. 1. Der Ausschuss hat in seiner langjährigen Tätigkeit insgesamt 30 Gutachten und Empfehlungen aus gesprochen. Sie sind zusammengefasst in: Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses. Tagebuch Baudissin, Eintrag Wangenheim, 30.8.1955, BArch, N 717/5, Bl. 39. Siehe Entwurf Schreiben Baudissin an Bohnenkamp, 21.12.1954, BArch, N 717/20, S. 1 f., hier S. 1. Im Juli 1955 drängten Weniger und Bohnenkamp Baudissin bei einem gemeinsamen Mittagessen zum wiederholten Male, den Deutschen Ausschuss um ein Gutachten zu ersuchen. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 21.1.1955, BArch, N 717/4, Bl. 8. Zu diesem Zeitpunkt ging den Professoren die Fassung der »Leitsätze« vom 20.7.1955 zu, die sie nach deren Studium trotz aller Kritik als vorlagefähig bezeichneten. Siehe hierzu Schreiben Bohnenkamp an Karst, 23.7.1955, BArch, N 488/8, Bl. 68‑70, hier Bl. 69; Schreiben Weniger an Karst, 25.7.1954, ebd., Bl. 64‑67, hier Bl. 64. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 17.11.1955, BArch, N 717/5, Bl. 110. Baudissin, Speidel und Heusinger wurden für Anfang Januar 1956 zu einer Grundsatzbesprechung gebeten. Im Tagebuch ist dieses Treffen nicht nachweisbar, da Einträge für den Januar, mit Ausnahme eines Schreibens Baudissins, nicht vorhanden sind. Siehe Tagebuch Baudissin, BArch, N 717/6, Bl. 3‑5. Im Weiteren Empfehlung aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr, S. 929‑933.
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der jungen Soldaten auf.945 Nur wenn sich die gesellschaftlichen und politischen Ordnungen für die wehrpflichtige Jugend als verteidigungswürdig erwiesen, könne der Waffendienst erzieherisch gerechtfertigt werden. Als Vorbedingung für den Wehrdienst müsse der Jugend die Gelegenheit eröffnet werden, unter gesunden Bedingungen aufzuwachsen. Die Sicherstellung der »besten erreichbaren Lebensund Entwicklungsmöglichkeiten«946 der Jugend in Schule und Berufsausbildung durch die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel bilde daher die beste Vorbereitung auf den Waffendienst. Diese Prämisse sei aber dann gefährdet, wenn die der Jugendförderung zugedachten Mittel, anstatt wie seit langem gefordert, nicht erhöht, sondern zugunsten militärischer Aufwendungen vernachlässigt würden.947 Die Streitkräfte selbst könnten davon ausgehen, dass der Soldat in den Erzie hungs institutionen Schule, Berufsausbildung und Jugendarbeit bereits eine auf freiheitlich-demokratische Lebensführung gerichtete Erziehung und Bildung erfahren habe. Infolgedessen müssten die Streitkräfte erkennen, dass Personen, die selbst über keine politische Bildung verfügten, den militärischen Führungsaufgaben nicht gewachsen seien und diese ihnen daher auch nicht übertragen werden dürften. Andererseits erteilte der Ausschuss einer wie auch immer gearteten wehrgeistigen Erziehung oder vormilitärischen Ausbildung eine Absage. Sie könne der sittlichen Verantwortung des Wehrdienstes, »die den im Waffendienst stehenden Mann mit seinen Kameraden und seiner Führung verbindet« und ihn der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, nicht gerecht werden. Sie dringe nicht zum Gehalt des wahren Soldatentums vor, ergehe sich im Äußerlichen und Technischen und gefährde »durch unangebrachte Vorwegnahme den richtigen Aufbau der Erziehung.«948 Den erzieherischen Wert soldatischer Traditionen nicht generell verneinend, müsse jedoch sehr darauf geachtet werden, dass diese in Geist und Form nicht den freiheitlichen Einrichtungen widersprächen, zu deren Verteidigung die Streitkräfte berufen seien. Die ihm als Staatsbürger zustehenden Rechte dürften auch für den Soldaten nur insofern eingeschränkt werden, wie es die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erfordere. Hierzu gelte es, die notwendigen Grenzen genau festzulegen. In dem vom Bundesverteidigungsministerium propagierten Leitbild des Soldaten als eines »Staatsbürgers in Uniform« sah der Ausschuss »hoffnungsvolle Ansätze für die Verwirklichung dieser Grundsätze.«949 Bestätigt durch das Urteil erfahrener Soldaten, 945 946
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Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 218. Empfehlung aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr, S. 929. So auch das gleichlautende Fazit eines Jugendforums in Öhringen: »Man sorge für Lehrstellen und geistige Bildung, man fördere uns, wenn unsere Eltern das Geld nicht aufbringen. Dann werden wir wissen, was wir zu verlieren haben.«, Stuttgarter Zeitung, 21.9.1950. »Anders ausgedrückt, geriete es dem Verteidigungsanliegen selbst zum Nachteil, falls die geforderten zusätzlichen Gelder für Bildung, Erziehung und Ausbildung der jungen Generation ›zugunsten der Aufwendungen für die Bundeswehr‹ versagt würden. Dieser Apell überstieg zwar den Kompetenzbereich der Bundeswehr und war an die politischen Entscheidungsträger der Republik gerichtet, mit seinen an Grundsätzliches, nämlich an die Staatszielbestimmung rührenden Her leitungen ließ er dabei aber umso deutlicher den mehr nur instrumentellen Charakter nicht nur der Streitkräfte, sondern darüber hinaus auch des Staates hervortreten.« Nägler, Der gewollte Soldat, S. 218. Empfehlung aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr, S. 929. Ebd., S. 930.
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zeigte sich der Ausschuss überzeugt, dass »dieses Bild den notwendigen strengen Anforderungen der Ausbildung und der Disziplin nicht zu widersprechen«950 brauche. Wenn es jedoch nicht gelänge, das richtige Personal zu verpflichten, den soldatischen Führern die Aufgaben der Streitkräfte in der Demokratie zu vermitteln und das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen, blieben maßgebliche Voraussetzungen unerfüllt und es bestünde die Gefahr, »dass hier ein Programm Worte zur Verfügung stellt, mit denen der Ernst der Aufgabe nur verhüllt« werde.951 Wie vorrausschauend und prophetisch diese Mahnung war, sollte sich 1969 erweisen, als sich der stellvertretende Inspekteur des Heeres, Generalmajor Hellmuth Christian Ludwig Grashey952, tatsächlich von dem Konzept der Inneren Führung distanzierte. Die Bundeswehr, so Grashey, müsse ihre »innere Not« überwinden und sich bereithalten, »die Rolle des ›Ordnungsfaktors‹« in der Bundesrepublik zu übernehmen.953 Besonders das Konzept der Inneren Führung bedürfe einer Reform. Das großzügige Disziplinar- und Wehrbeschwerdewesen sei schließlich nur eine Konzession an die Sozialdemokraten gewesen, um deren Zustimmung zur Wieder bewaffnung zu erlangen, und daher »müsse die Bundeswehr ›diese Maske nun endlich ablegen, die wir uns damals vorgehalten haben‹.«954 Letzten Endes scheiterte Grashey mit seinem Vorstoß am politischen Willen, doch in seinem rückwärtsorientierten Denken sollten sich schließlich die Befürchtungen der Ausschussmitglieder personifizieren. Ihnen war bewusst, dass dem auf neuem Fundament ruhendem Inneren Gefüge nur dann Erfolg beschieden sein würde, wenn sich das Führerpersonal mit dessen Prinzipien identifizierte. Insofern musste in erster Linie auf die ehemaligen Angehörigen von Reichswehr und Wehrmacht prägend eingewirkt werden. Aber alle vom Referat erstellten Ausbildungsplanungen zum frühzeitigen Verständnis des neuformierten Inneren Gefüges wurden, wie die Wehrakademie955, entweder nicht umgesetzt oder, wie seine detaillierten Überle 950 951 952 953
954 955
Ebd. Ebd. Zur Person siehe Die Generale und Admirale der Bundeswehr, Bd 2,1, S. 103‑105. Siehe Der Spiegel, 7.4.1966, S. 33, Zitate ebd. Grashey hatte seine Kritik in einer Rede vor den Lehrgangsteilnehmern der Generalstabslehrgänge an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg zum Ausdruck gebracht. Den Grund für den von ihm postulierten Notstand sah der General im Amt des Wehrbeauftragten des Bundestages, in der vom militärischen Kommandostrang unabhängigen Wehrverwaltung und vor allem in der Ideologie der Inneren Führung: »Der Wehrbeauftragte [...] sei institutionalisiertes Misstrauen gegen die Truppe, ebenso schädlich wie überflüssig. Die selbstherrliche Bundeswehrverwaltung hemme den Dienstbetrieb und nehme den Soldaten die Luft. Die Innere Führung schließlich, unantastbar und nie reformiert, trage die Hauptschuld an der ›inneren Not‹ der Streitkräfte.« Ebd. Ebd. Die Wehrakademie sollte in einer Universitätsstadt errichtet werden und »den jungen Offizieren aller Streitkräfte das geistige Rüstzeug mitgeben, das sie über die militärisch-fachliche Ausbildung hinaus als Erzieher benötigten.« Die geisteswissenschaftlichen Fächer sollten im Vordergrund stehen: Geschichte, Politische Wissenschaft, Lehre und Praxis des Bolschewismus, Pädagogik und Psycho logie, Soziologie, Zusammenwirken der Streitkräfte, Wehrgeographie, Geopolitik, Naturwissen schaften, Auslandskunde, Kriegsgeschichte, Sprachen, Aktuelle Information, sowie Sport. Lehr gangsteilnehmer sollten Leutnante im ersten Jahr nach ihrer Beförderung sein. Aber auch Offiziere älterer Jahrgänge und höherer Dienstgrade sollten die Akademie im Rahmen von Weiterbildungs maßnahmen besuchen. Der Teilnahme dieses Personenkreises wurde für die Aufbauzeit eine besondere Bedeutung zugesprochen. Siehe »Aufstellung der Wehrakademien (W.A.)«, 18.4.1956,
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gungen zu den Einweisungslehrgängen für die neuen Führungskader in Sonthofen, zugunsten des militärfachlichen Teils radikal beschnitten. Hatten zunächst noch die aufgezeigten Irritationen über das Erziehungsverständnis geherrscht, war es Weniger und Bohnenkamp gelungen, diese auszuräumen. Im Sinne der von Baudissin und seiner Mitstreiter vertretenen Auffassung betonte der Ausschuss, dass die Erziehung in den Streitkräften durch den Umstand bestimmt werde, »dass hier Erwachsene auf Erwachsene wirken« sollten.956 Bereits geformt durch Familie, Schule, Berufsausbildung und Erfahrungen, habe der Soldat einen »Anspruch darauf, menschlich verstanden, ernstgenommen und nach Möglichkeit gefördert«957 zu werden. Für seine Entwicklung dürfe die Zeit seines Wehrdienstes nicht ungenutzt bleiben. Obgleich der Erziehungsanspruch der Streitkräfte hiermit auch vom Ausschuss bestätigt wurde, bewies das Setzen des Wortes »Erziehung« in Anführungszeichen zugleich »die Distanzierung von jedweder Art vormundschaftlicher Einwirkung.« Stattdessen ging Führung hier »ganz im Sinne der Baudissin’schen Vorstellung von Partnerschaft [...] in einem Verhältnis zwischen Mündigen auf.«958 Trotz allem, so fuhr der Ausschuss fort, könnten aber auch die Streitkräfte der demokratischen Staatsform nicht auf die Disziplin verzichten. Sie müsse sich jedoch auf der frei gewonnenen Einsicht in ihre Notwendigkeit sowie auf eine durch Selbsterziehung basierenden Selbstzucht gründen. Diese »Freiwilligkeit im Entschluss zur Disziplin«959 zu stärken, sei eine vorrangige Aufgabe der Führung. Dem in den preußisch-deutschen Armeen vergangener Tage auch oder gerade als Disziplinierungs- und Erziehungsmittel dienenden Drill sprach der Ausschuss jedwede selbständige erzieherische Bedeutung ab. Seine Berechtigung liege einzig in der Einübung bestimmter technischer und handwerklicher Fertigkeiten, die dem Soldaten das schnelle, reflexartige Reagieren und damit das Überleben auf dem Gefechtsfeld ermögliche. Strenge Begrenzung auf das unbedingt notwendige Maß sei die beste Voraussetzung, »um das Soldatentum vor der Abneigung zu schützen, mit der früher ein zum Selbstzweck übersteigerter Drill den militärischen Dienst belastet«960 habe. Die Autorität der Vorgesetzten müsse auf dem Vertrauen der Mannschaften beruhen. Erlangt werden könne dies am sichersten durch die Gewissheit des Soldaten, dass alle zu seiner Ausbildung getroffenen Maßnahmen notwendig und im Rahmen der Gesetze und Vorschriften verantwortbar seien. Alle militärische Erziehung habe zunächst mit der Selbsterziehung der Vorge setzten zu beginnen. Diese müssten sich ihrer eigenen Grenzen bewusst sein, um ihren Anspruch auf Autorität zu rechtfertigen. Den Mannschaften solle sie in erster Linie Hilfestellung gewähren, sie müsse ermutigen, dürfe aber keinesfalls überfor-
956 957 958 959 960
BArch, BW 2/1376, S. 1‑7, Zitat, S. 1. Im Gegensatz zu diesem Gliederungsentwurf lag der Schwerpunkt in einer früheren Planungsphase noch auf dem militärtechnischen und taktischen Gebiet. Siehe »Ziele für die Ausbildung«, 22.2.1954, ebd., S. 1‑3, sowie »Methode«, ebd., S. 1‑7. Zur Wehrakademie auch Nägler, Der gewollte Soldat, S. 93. Empfehlung aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr, S. 930 f. Ebd., S. 931. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 218. Empfehlung aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr, S. 931. Ebd.
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dern. Gingen die Erziehungsbemühungen dennoch fehl, müsse auch die als letztes Mittel notwendige Strafe erzieherisch verantwortet werden können. Lob, freier Wetteifer sowie die aus gemeinsamer hoher Leistung gewonnenen Erfahrungen, hob der Ausschuss hervor, erzielten jedoch eine bessere erzieherische Wirkung als die Furcht vor der Strafe. Erzieherisch wirke aber nicht ausschließlich der militärische Vorgesetzte, sondern auch die Kameradschaft untereinander. Die soldatische Lebensgemeinschaft als Ganzes, für die jeder an seiner Stelle stehend Verantwortung trage, übe auf das Denken und Wollen ihrer Glieder aber den nachhaltigsten Einfluss aus. Diese festige und verstärke ihren erzieherischen Einfluss in dem Maße, »in dem [sich] die natürlichen Fähigkeiten und Interessen des Einzelnen«961 entfalten könnten. Seinerzeit als eigenständiger Abschnitt für die »Leitsätze« von den anderen Tagungsteilnehmern negativ beschieden, fanden nunmehr, in Anlehnung an die Gedanken des »Gutachten[s] zur politischen Bildung«962, die von Weniger bereits auf den Siegburger Tagungen zur Diskussion gestellten Anmerkungen zur staatsbürgerlichen Erziehung und politischen Bildung in überarbeiteter Form ihren Platz in dem vorliegenden Gutachten. Auch die dienstfreie Zeit des Soldaten fand in der »Empfehlung« ihre Berück sichtigung. Einschränkungen ließen sich im dienstlichen Interesse und mit Blick auf die Stellung des Soldaten in der Öffentlichkeit zwar nicht vermeiden, eine Bevor mundung der Soldaten durch ihre Vorgesetzten habe aber zu unterbleiben. Statt dessen müsse ihnen geholfen werden, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Die Truppen unterkünfte sollten daher über Angebote des geselligen Zusammenseins ebenso verfügen wie über die Möglichkeit zur sportlichen, musischen oder handwerklichen Betätigung. Hierzu notwendige Einrichtungen, zu denen auch die unentbehrlichen Truppenbüchereien zählten, solle man der Selbstverwaltung der Soldaten anvertrauen. Ebenso wie die geistige Selbstbildung aller Soldaten müsse auch die berufliche Weiterbildung länger dienender Soldaten Berücksichtigung finden. Erfahrungen der Erwachsenenbildung und der Jugendarbeit könnten für Veranstaltungen in der Art der Volkshochschulen oder der freien kameradschaftlichen Gruppenbildung genutzt werden. Fänden sich interessierte Kreise durch freiwillige Beiträge bereit, besondere Heime zu errichten, sollten diese außerhalb der Kasernen errichtet werden, unabhängig sein sowie den ungezwungenen Verkehr aller Dienstgrade fördern. Zum Abschluss einen Brückenschlag zwischen Kaserne und dem bürgerlichen Leben schlagend, wurde die geistige, gesellschaftliche und politische Begegnung von Soldaten und ihren Mitbürgern als ein Gewinn für die Demokratie – und als nicht zu vernachlässigen Zeichens der Integration des Militärs in die Gesellschaft – vom Ausschuss ausdrücklich begrüßt. In einer Zusammenfassung der »Empfehlung«, die Gratwanderung des Ausschusses reflektierend, betonte Walter Dirks963, Aus schussmitglied und Journalist, dass sich der Ausschuss nicht nur in dieser letzten Bemerkung um eine »nüchterne Erkenntnis und Formulierung des Möglichen be961 962 963
Ebd., S. 930. Siehe Gutachten zur Politischen Bildung, S. 827‑838. Zu Dirks siehe Bröckling, Walter-Dirks-Biographie; Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexi kon, Bd 18, Sp. 360‑367 (Beitrag Bernd Kettern).
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müht« habe, sondern er sich bewusst sei, »dass seine Forderungen ebenso schwierig zu erfüllen wie notwendig« seien.964 Als Baudissin vor den Mitgliedern des Unterausschusses »Führung« des Vertei digungsausschusses die Absicht bekannt gab, die »Leitsätze« mit der »Empfehlung« gemeinsam zu veröffentlichen, übte dieses Vorhaben eine sehr beruhigende und werbende Wirkung auf die mit diesen Fragen beschäftigten Parlamentarier aus. Dieses Vorgehen, erklärte Baudissin gegenüber Major Gerd Schmückle, werde die politische Rechtfertigung der Leitsätze wesentlich vereinfachen. Schmückle hatte zuvor eine Trennung der Schriftstücke gefordert. Einerseits erschwere die Kombination die schnelle Abwicklung der »Leitsätze«, andererseits beschwöre sie erneute Schwierigkeiten innerhalb des Hauses herauf.965 Baudissin verschloss sich zwar aus den angeführten Motiven dieser Argumentation, musste aber zu guter Letzt doch noch eine Kompromisslösung akzeptieren. Obschon er die Nachricht erhalten hatte, dass »die Erziehungsleitsätze zum Minister weiter gegangen seien«966, musste er wenige Wochen darauf feststellen, dass die »Leitsätze« im Ministerbüro »verloren gegangen«967 waren. Sollte eine weitere Verzögerung vermieden werden, blieb ihm schließlich keine Alternative, als eine Anfrage Buckschs, »ob die Erziehungsleitsätze auch ohne das Gutachten des deutschen [sic!] Ausschusses herausgehen könnten, mit dem Hinweis auf die enge Zusammenarbeit mit dem Ausschuss«968 positiv zu bescheiden. Dieser angemahnte Hinweis fand sich schließlich in dem im September 1957 herausgegebenen »Handbuch Innere Führung«. Hier wurde auch die beabsichtigte Veröffentlichung sowohl der »Empfehlung« als auch des »Gutachten[s] zur politischen Bildung und Erziehung« als Anlagen der ZDv. 11/1 »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« angekündigt.969 Ein Trost mag für Baudissin immerhin darin bestanden haben, dass die »Empfehlung« bereits 1956 in der Eröffnungsausgabe der »Information für die Truppe« abgedruckt worden war.970 Obwohl der Deutsche Ausschuss mit unabhängigen Mitgliedern besetzt war, kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass sowohl Bohnenkamp als auch Weniger und mit ihnen im Bunde Baudissin den Ausschuss zur Absicherung ihrer militärpädagogischen Planungen instrumentalisierten. Beide Professoren, sowohl Mitglieder dieses Expertengremiums als auch engste Berater Baudissins in pädagogischen Fragen und maßgeblich an der Konzeption der »Leitsätze« beteiligt, waren sich eines Erfolges ziemlich sicher und drängten daher Baudissin, ein derartiges 964 965 966 967 968
969
970
Siehe Deutscher Forschungsdienst, Rekruten sollen ernst genommen werden, ohne Datum, BArch, N 488/10, Bl. 22‑24, hier Bl. 24, Zitate ebd. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 14.9.1956, BArch, N 717/7, Bl. 98; und ebd., 17.9.1954, Bl. 100. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 1.12.1956, BArch, N 717/7, Bl. 185. Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 24.1.1957, BArch, N 717/8, Bl. 56. Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 12.2.1957, BArch, N 717/8, Bl. 91. Bucksch begründete seine Anfrage damit, dass das Gutachten nicht mehr rechtzeitig in genügender Anzahl zu beschaffen sei. Nach Ansicht Näglers musste diese Formulierung den Verdacht eines Vorwandes aufkommen lassen. Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 211. Siehe Handbuch Innere Führung, S. 95, Anm. Zur »Empfehlung aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr« und zum »Gutachten zur politischen Bildung und Erziehung« siehe ZDv 1/11 »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten«, Anl. 1, S. 18‑20 und Anl. 2, S. 23‑35. Siehe Information für die Truppe, 1 (1956), H. 1, S. 28‑32.
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Gutachten zur Fundierung seiner und letztlich auch ihrer Arbeit anzufordern, wohl wissend, welchen Einfluss sie auf die gutachterliche Entscheidung zu nehmen in der Lage sein würden. Mit der Anfertigung eines Generalentwurfes beauftragt, der trotz mehrfacher sprachlicher und inhaltlicher Überarbeitung durch einen Unterausschuss »Militärische Erziehung«971 in seinen Grundaussagen unverändert blieb, gelang es Weniger sogar, seine bislang nur unzureichend gewürdigten Gedanken zur politischen Bildung in den Streitkräften mit Bezug auf das »Gutachten zur politischen Bildung und Erziehung« von 1955 in den Empfehlungen zu verankern. Wie von Bohnenkamp prophezeit, wurden die pädagogischen Gedanken und folglich auch die Konzeption der Inneren Führung vom Ausschuss mit Ausnahme von zwei Mitgliedern, die sich der »Empfehlung« nicht anschlossen, befürwortet. Auch Baudissin, der sich der Bedeutung einer positiven Begutachtung wohl bewusst war, konnte mit dem erzielten Ergebnis mehr als zufrieden sein. So bestärkte die Reaktion der Parlamentarier ihn schließlich in seiner Absicht, die gemeinsame Publikation der »Leitsätze« mit der »Empfehlung« des Ausschusses auch gegen Widerstände anzustreben, um der Position der Inneren Führung durch die Einflussnahme des von der Bundesregierung berufenen »unabhängigen« Gremiums eine zusätzliche politische Legitimation zu verschaffen.
f ) Der Bundestagsausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit Uneingeschränkte Zustimmung wurde den Gedanken zur Erziehung des Soldaten von Seiten der Politik, vertreten durch den Bundestagsausschuss zu Fragen der europäischen Sicherheit972, zuteil. Im Juni hatten Baudissin und Karst die Gelegenheit, vor den Mitgliedern des Ausschusses über »Das Bild des zukünftigen Soldaten« und die »Grundsätze soldatischer Erziehung« zu referieren.973 Im Anschluss an das 971
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Diesem Unterausschuss gehörten neben Weniger und Bohnenkamp auch Dirks und Borinski an. Siehe Schreiben Fritzsche an Bohnenkamp, BArch, N 488/10, Bl. 62. Zu den verschiedenen Fassungen vom 6.1. und 15.4. siehe ebd., Bl. 68‑72, 56‑61; zu den jeweiligen Änderungsvorschlägen ebd., Bl. 46‑48, 66. Wurden die »Leitsätze« in Wenigers Entwurf noch explizit als Aus gangsbasis des Gutachtens genannt, die Anschauungen des Ausschusses hinsichtlich des Wesens und der Vermittlung militärischer Erziehung direkt aus ihnen abgeleitet, unterblieb in der verabschiedeten »Empfehlung« jegliche Bezugnahme auf sie. Siehe Weniger, Entwurf »Empfehlung des Deutschen Ausschusses anlässlich des Aufbaues der Streitkräfte in der Bundesrepublik«, 6.1.1956, BArch, N 488/10, Bl. 68‑72, hier Bl. 69‑71. Bei diesem Ausschuss handelte es sich um den Nachfolger des Ausschusses zur Mitberatung des EVG-Vertrages, der von Juli bis Dezember 1952 tagte. Beide Ausschüsse waren Vorläufer des am 10.1.1956 konstituierten Bundestagsausschusses für Verteidigung. Zu den Sitzungsprotokollen der Ausschüsse siehe Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bde 1 und 2. Siehe 14. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 22.6.1954. In: Der Bundes tagsausschuss für Verteidigung, Bd 2, S. 1057‑1090, hier S. 1058‑1078. Baudissin hatte bereits mehrfach vor dem Ausschuss zum Thema »Innere Führung« vorgetragen. Siehe 19. Sitzung, 17.11.1952. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 1, S. 755‑759; 36. Sitzung, 24.6.1953. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 2, S. 490‑492, 469, 498‑500, 518; 38. Sitzung, 8.7.1953. In: Ebd., S. 529‑531; 39. Sitzung, 14.7.1953. In: Ebd., S. 563 f., 567‑572; 40. Sitzung, 21.7.1953. In: Ebd., S. 574‑576, 582, 589, 594‑600, hier auch Karst, S. 578‑586; 41. Sitzung, 4.8.1953. In: Ebd., S. 637, 640 f. Siehe 34. Sitzung, 10. Juni 1953 (Vortrag Heusingers). In: ebd., S. 406‑434.
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II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
Referat Baudissins zum Leitbild des künftigen Soldaten ordnete Karst die Leitsätze in einem sehr umfassend angelegten Vortrag zunächst in den Gesamtrahmen all der Vorschriften und Verfügungen ein, die ebenfalls die Gesamtordnung des soldatischen Lebens mit erzieherischen Akzenten steuernd beeinflussen sollten.974 Bei der anschließenden Darstellung ihrer Entstehungsgeschichte wies er insbesondere auf die Zusammenarbeit mit den Fachwissenschaftlern sowie den Stellenwert der AVI hin. Den Kern seines Referates bildete eine sehr ausführliche Erläuterung der einzelnen Passagen. Dabei gelang es ihm auf rhetorisch sehr geschickte Weise, bereits vorgebrachte Kritik aufzugreifen, diese argumentativ zu widerlegen oder auf den Entwurfscharakter der Leitsätze hinzudeuten, um erneuten Einwänden zu strittigen Fragen den Boden zu entziehen. In der nachfolgenden Aussprache wurde der Erziehungsanspruch der Streitkräfte von den Abgeordneten nicht in Abrede gestellt, die Ausbildung sollte ganz auf dem Fundament der Erziehung basieren.975 Der in dieser Sitzung den Vorsitz führende Fritz Erler976 (SPD) wies insbesondere darauf hin, dass den von den Referenten vorgetragenen Grundsätzen zur Inneren Führung und zur Erziehung nur dann Erfolg beschieden sein könne, wenn die Auswahl des Personals, das diese Grundsätze in die Tat umsetzen solle, und »die Gestaltung aller Vorschriften [...] mit dem Geist der heute gehörten Vorträge in Übereinstimmung stünden.«977 Gerade in der Personalfrage, fuhr er fort, dürfe man sich nicht von irgendeiner Panik hinreißen oder »von irgendwelchen noch so freundlichen Bundesgenossen draußen in der Welt« in eine solche versetzen lassen, nur um nun überhastet »Verbände aus dem Boden zu stampfen.« Stattdessen müsse mit Ruhe und Überlegung an diese Aufgabe herangetreten und berücksichtigt werden, »dass das Wichtigste die Ausbildung der künftigen Ausbilder sei.«978 Insofern widersprach er bereits zu diesem frühen Zeitpunkt dem später von der politischen Führung vertretenen Dogma »Aufstellung vor Ausbildung«. Unterstützung fand Erler sowohl bei seinem Fraktionskollegen Ernst Paul979, der die Ausbildung der zukünftigen Erzieher nicht nur als primäre, sondern auch als eine voraussichtlich sehr zeitintensive Aufgabe bezeichnete, bei deren Realisierung unerfreuliche Erfahrungen nicht ausbleiben würden980, als auch bei Manteuffel (FDP). Der erhob die Forderung, dass die Aufstellung zukünftiger Streitkräfte weder ein Truppenversuch noch ein Fehlschlag werden dürfe. Daher gelte es, Leute zu finden, »die so viel staatspolitisches Verantwortungsbewusstsein hätten, dass sie als Erzieher wirken könnten. Es erfordere Zeit, diese Leute zu finden, und es werde auf sehr viele 974
975 976 977 978 979 980
Karst verwies auf die allgemeine Disziplinarordnung, die Beschwerdeordnung, die Vorschriften über den Vertrauensmann und den Inneren Dienst sowie auf den geplanten Leitfaden über die soldatische Ordnung. Siehe 14. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 22.6.1954. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 2, S. 1057‑1090, hier S. 1067‑1078. Siehe ebd., S. 1081. Zu Erler siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 188. Siehe 14. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 22.6.1954. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 2, S. 1081. Siehe ebd., S. 1083. Zu Paul siehe Biographisches Handbuch, Bd 2, S. 632 f. Siehe 14. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 22.6.1954. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 2, S. 1083.
II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
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Leute zurückgegriffen werden müssen, die auf einem Arbeitsplatz gestanden hätten. Der Ausschuss trage die Verantwortung für die Durchführung dieser Aufgabe.«981 In seiner Befürchtung, missverstanden worden zu sein, teilte Manteuffel Baudissin am darauffolgenden Tag in einem persönlichen Schreiben mit, wie bewegt er vom Inhalt des Gehörten gewesen sei und dass er darüber hinaus eine sehr erfreuliche Zustimmung des gesamten Ausschusses habe feststellen können. Der ehemalige General zeigte sich überzeugt, »dass nur auf diesem Weg und von dem von Ihnen gezeichneten Leitbild ausgehend, die Streitkräfte das Vertrauen in der breitesten Schicht unseres Volkes wieder erwerben können, das sie für Ihre Arbeit brauchen. Mein Einwand bezog sich ausschließlich darauf, dass die Auswahl der Führer aller Dienstgrade kein Truppenversuch sein dürfe, wenn ihr Programm Erfolg haben soll, dem ich voll zustimme. Wir dürfen uns in der Auswahl aller dieser Führer und dem zeitlichen Ablauf des Aufbaus unter gar keinen Umständen unter Zeitdruck stellen lassen. Der Aufbau nach dem ersten Weltkrieg hat gelehrt, dass wir auch aus allgemein menschlich verständlicher Rücksichtnahme die Bewerber nach einer Probezeit abstoßen müssen, die nicht geeignet sind. Nur wenn es gelingt, die Persönlichkeiten als Erzieher in allen Lebens- und Dienstaltern herauszufinden, die geeignet und willens sind, diese Leitsätze durchzuführen, werden wir weiterkommen.«982 Die positive Stimmungslage hatte Manteuffel jedenfalls zutreffend eingeschätzt, denn bereits wenige Tage später teilte Erler dem Leiter der Militärischen Abteilung Heusinger mit, dass die SPD-Fraktion den von Baudissin und Karst präsentierten Auffassungen der Dienststelle Blank in ganzer Linie zustimme und sie unterstütze.983 Mithin war es für Manteuffel ein Heimspiel, als Beratungsergebnisse der interfraktionellen Arbeitsgruppe festzuhalten, dass den Erziehungsleitsätzen in der Entwurfsfassung vom 18. Mai einstimmig zugestimmt worden war und dem Ausschuss daher die Annahme empfohlen werde. Der FDP-Politiker hatte den schriftlichen Bericht der Arbeitsgruppe, der den Ausschussmitgliedern bereits vorlag, im Rahmen seines Vortrages lediglich in wenigen Details ergänzt984, um als weiteres Resultat der Konsultationen zwei Bitten an den Ausschuss zu richten, die im Dossier noch nicht enthalten waren und denen er eine persönliche Erklärung voranstellte. Diese bat er, nicht als Kritik oder Werturteil, sondern als Meinungsäußerung eines Soldaten mit dreißigjähriger Diensterfahrung zu verstehen. Tief beeindruckt von der Arbeit des Amtes Blank zur Inneren Führung, stelle die Realisierung dieser Gedanken nach seiner Ansicht »das sicherste, das entscheidende Mittel, auch die innere Bereitschaft der jungen Generation zum Dienst als Staatsbürger in Uniform zu wecken, da, wo sie schon vorhanden ist, zu fördern und sie auch im Verlauf der Dienstzeit zu festigen« dar. Im Konsens mit allen Arbeitsgruppenmitgliedern fügte er aber beschwö981 982 983 984
Siehe ebd., S. 1086. Schreiben Manteuffel an Baudissin, 23.6.1953, BArch, N 717/48, Hervorhebung im Original durch Unterstreichung von Baudissin. Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 1.7.1954, BArch, N 717/3, Bl. 2. Zur Berichterstattung Manteuffels siehe 18. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 21.9.1954. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 3, S. 82 f. Zum Bericht der der Arbeitsgruppe vom 7.9.1954 über die Pflichten und Rechte des Soldaten siehe BArch, BW 9/1992. Im Protokoll sind nur die Ergänzungen festgehalten. Zur Verlautbarung der Beratungsergebnisse siehe Vermerk Karst, 12.11.1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 44.
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II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
rend hinzu, »dass diese Gedanken nur dann Leben erhalten werden, wenn auch die führenden Offiziere – neben ihrer persönlichen Haltung und Leistung – überzeugt, willens und bereit sind, diese Gedankengänge in sich aufzunehmen und sie der unterstellten Truppe bei allen erzieherischen Maßnahmen zu vermitteln.« Nur wenn die Offiziere und Unteroffiziere über die Fähigkeit, den Willen und die Bereitschaft verfügten, der Truppe diese Idee einzuimpfen, könne diese in jeder Hinsicht zuverlässig und einsatzfähig sein. Es genüge daher nicht, dem Konzept der Inneren Führung und den Erziehungsleitsätzen, als eines seiner wesentlichen Elemente, lediglich loyal gegenüberzustehen; sie seien persönlich vorzuleben.985 Eingedenk dieser Mahnung und mit der Absicht, die weitere Arbeit voranzutreiben, stellte Manteuffel schließlich den Antrag, das Referat Baudissins mit dem hierzu notwendigen Personal zu verstärken. Er wisse zwar nicht, ob sich unter den etwa 50 Herren, die nach Auflösung des Pariser Interimsausschusses in die Dienststelle einflössen986, Persönlichkeiten befänden, deren Verwendung für das Innere Gefüge Erfolg verspreche, gleichwohl pressiere die Einstellung weiteren Personals, da es einer mehrmonatigen Einarbeitung der neuen Mitarbeiter in dem Sinne bedürfe, wie es von den aktuellen Mitarbeitern der Dienststelle »so eindeutig, plastisch und überzeugend dargestellt« worden sei.987 Vor dieser Aufgabe stehe man aber auch mit Blick auf die zukünftigen Mitglieder des Personalgutachterausschusses und es wäre somit an der Zeit, die bislang eher theoretisch geführten Diskussionen nunmehr intensiv voranzutreiben. Auch diesen Personen müssten die Gedanken zur Inneren Führung vertraut gemacht werden, denn »sie sollen ja nachher entscheiden, ob dieser oder jener geeignet ist – ich glaube, doch nicht nur in politischer Hinsicht – und übernommen werden kann oder nicht. Auch die Herren des Personalausschusses müssen in dem ganzen Gedankengang leben, um aus ihnen [sic!] die Folgerungen für die Auswahl der Personen ziehen zu können. Diese Einweisung durch die Dienststelle – oder wer sonst dazu berufen ist – erfordert eine gewisse Zeit.«988 Während zur weiteren Vorgehensweise in puncto Personalgutachterausschuss keine Aussprache stattfand, entbrannte um die personelle Verstärkung der Gruppe II/2 »Innere Führung« eine sehr lebhafte Diskussion, die Karst mit der spitzen Fest stellung kommentierte, es sei sehr bedauerlich gewesen, dass Wirmer die Sitzung 985 986
987 988
Siehe 18. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 21.9.1954. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 3, S. 83, Zitate ebd. Siehe ebd. Mit der Absetzung der Ratifizierungsdebatte des EVG-Vertrages von der Tagesordnung in der französischen Nationalversammlung am 30.8.1954 und dem daraus resultierenden Scheitern der Verhandlungen über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft wurde der Interimsausschuss, ein Planungsausschuss, der die notwendigen Planungen zwischen Unterschrift (27.5.1952) und InKraft-Treten des EVG-Vertrages weiterführen sollte, aufgelöst. Zum Interimsausschuss siehe Krüger, Das Amt Blank, S. 115‑130; 240‑243 und den Bericht über die Tätigkeit des Interimsausschusses von Graf von Kielmansegg vor den Mitgliedern des EVG-Ausschusses sowie die anschließende Aussprache in der 22. Sitzung vom 3.12.1952. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 1, S. 798‑815. Zur Abwicklung des Personals siehe BT, 2. WP, Stenographisches Protokoll der 18. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 21.9.1954, BArch, BW 1/54935, S. 6‑11. Siehe 18. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 21.9.1954. In: Der Bundestagsausschuss, Bd 3, S. 84. Ebd.
II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
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nach Absetzung des ersten Tagesordnungspunktes spontan verlassen habe, da das Kommende sehr interessant gewesen wäre.989 Dieser, als Leiter der Zentralabteilung für Personal- und Haushaltsfragen der Dienststelle verantwortlich, hatte bereits im Mai vor dem Ausschuss ausgeführt, dass weder im laufenden noch im kommenden Haushaltsjahr eine personelle Aufstockung im Stellenplan vorgesehen sei. Abhilfe könnten lediglich die vom Finanzminister in Aussicht gestellten Schattenstellen bringen. Sollte die Dienststelle auf diesem Wege die Möglichkeit erhalten Personal einzustellen, könne auch die Gruppe »Innere Führung« in geringem Umfange verstärkt werden.990 Geplant sei außerdem der Ausbau zu einer Unterabteilung, die, so Wirmer als Antwort auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Paul Bausch991, keine Ab-, sondern eine Aufwertung darstelle. Auf die Nachfrage des SPD-Abgeordneten und nachmaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, wovon denn die Umwandlung in eine Unterabteilung abhänge, erwiderte Kielmansegg, dies »hänge davon ab, dass die Dienststelle genügend Stellen zur Verfügung bekomme, um das Gebiet der Inneren Führung in dem von ihr für notwendig gehaltenen Rahmen zu bearbeiten. Zur Zeit sei das noch nicht möglich.«992 989
990
991 992
Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 21.9.1954, BArch, N 717/3, Bl. 158. Der erste Punkt der Tagungsordnung »Bericht über die jüngste Entwicklung der mit der Europäischen Verteidi gungsgemeinschaft zusammenhängenden Probleme« wurde nach einer Geschäftsordnungsdebatte abgesetzt. Siehe 18. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 21.9.1954. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 3, S. 76‑78. Siehe 10. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 4.5.1954. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 2, S. 943 f. In der Frage der sogenannten Schattenstellen bezog sich Wirmer auf § 8 Abs. 3 des Haushaltsgesetzes: »Der Bundesminister der Finanzen kann ferner mit Zustimmung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages im Einzelplan der zuständigen Dienstbehörde Planstellen für Beamten ausbringen, deren Verwendung demnächst bei einer bestehenden internationalen oder supranationalen Organisation beabsichtigt ist. Für den Fall, dass Ersatz für Beamte gewonnen werden soll, die in Zukunft bei einer bestehenden oder erwarteten Organisation dieser Art verwendet werden sollen oder die durch Teilnahme an internationalen oder supranationalen Konferenzen länger als ein Jahr an der Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben verhindert sind, können auf die gleiche Weise Planstellen ausgebracht werden. Von der Einholung der Zustimmung des Haushaltsausschusses darf nur abgesehen werden, wenn die Maßnahme keinen Aufschub duldet; in diesem Fall ist der Haushaltsausschuss unverzüglich zu unterrichten.« BGBl. 1954, T. II, S. 541‑557, Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1954 (Haushaltsgesetz 1954) vom 28.5.1954, S. 542. Erler vermochte dieser Argumentationskette nicht zu folgen: »Mit den ›Schattenstellen‹ verhält es sich etwas anders. Sie sollen es ermöglichen, dass, wenn Personal zu internationalen und übernationalen Organisationen einberufen, aber noch nicht endgültig übernommen wird, die Arbeit, die die Betreffenden bisher in der Heimat getan haben, weitergeht und ihnen die Stellen offengehalten werden.« Wirmer verwies darauf auf eine weitere Möglichkeit bei den ›Schattenstellen‹, die es ermögliche, »Leute auf Vorrat einzustellen, die in den Bonner Ressorts bereits für Ihre supranationale Tätigkeit geschult werden, damit wir im Falle der Perfektionierung der Verträge genügend Personal zur Verfügung haben.« Die letztendliche Entscheidung über die von Wirmer angeführte Alternative wollte Erler der Beurteilung des Haushaltsausschusses überlassen. Siehe 10. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 4.5.1954. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 2, S. 944, Zitate ebd. Zu Bausch siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 45 f. Siehe 10. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 4.5.1954. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 2, S. 943. Die Position einer Unterabteilung wurde erst am 14.11.1955 eingenommen, unterlag aber weiterhin der Gefahr einer Rückstufung. Vgl. hierzu Nägler, Der gewollte Soldat, S. 90‑101, 108 f.
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II. Soldatische Erziehung – Herzstück der Inneren Führung
In Anbetracht dessen betonte Erler abermals den hohen Stellenwert, den der Ausschuss dem Arbeitsgebiet »Innere Führung« beimesse, und verwies auf das Miss verhältnis zwischen der Aufgabe und der Personalausstattung. Halte man an dem Grundsatz fest, dass es bis zur endgültigen Entscheidung über die Realisierung der EVG keine Stellenvermehrung gebe, müsse die Dienststelle hausintern prüfen, ob eine Verstärkung auf Kosten anderer Referate praktikabel sei.993 Wirmer hatte zwar die sehr hohe, von Baudissin und seinen drei Hilfsreferenten kaum noch zu bewältigende Arbeitsbelastung der Gruppe eingeräumt, ein Revire ment innerhalb der Dienststelle aber als nicht praktikabel charakterisiert, da die Tätigkeit herausragende Qualifikationen voraussetze. Er hatte jedoch der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass durch die Zustimmung des Haushaltsausschusses sowie anderer Instanzen die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt würden, um diese zu kleine Abteilung zu vergrößern. Weder Personalmangel noch der Hinweis auf den Haushaltsausschuss oder den Finanzminister, wandte Bausch ein, könnten als Rechtfertigung dienen, wenn Wichtiges versäumt würde. Man finde sich im Ausschuss nicht mit der Feststellung ab, dass es an Stellen für ein Arbeitsgebiet mangele, dessen ausreichende personelle Ausstattung von kardinaler Bedeutung sei. Die Dienststelle solle konkrete Vorschläge für eine bessere Ausstattung vorlegen, die sich der Ausschuss sicher zueigen machen werde. Trete man dann in einmütiger Geschlossenheit in Verhandlungen mit dem Haushaltsausschuss ein, müsse es schon »merkwürdig zugehen, wenn es dann noch Schwierigkeiten gäbe.«994 Die Fragen der Inneren Führung könne man nicht ohne Weiteres dadurch lösen, indem man eine eigene Abteilung schafft und sie mit möglichst viel Personal ausstattet, konterte Wirmer. Es komme vielmehr darauf an, Pfister und Baudissin als Leitungspersonal mit einem gewissen Kontingent an Hilfskräften auszustatten, denn ihre Tätigkeit bestehe zum großen Teil nicht darin, die Dinge selbst zu erarbeiten, sondern sich von wissenschaftlichen Stellen Vorschläge machen zu lassen, um diese anschließend an die Ausbildungs- und Personalabteilung weiterzureichen. Auch der Bundesrechnungshof, fügte er noch einschränkend hinzu, werde sich vielleicht gegen eine eigene Unterabteilung »Innere Führung« aussprechen. Er jedenfalls habe die Herren in Besprechungen dahingehend verstanden, dass dieses Arbeitsgebiet eine bessere Heimat in der Unterabteilung II/1 »Allgemeine Verteidigungsfragen« finden würde, anstatt eine eigene Unterabteilung zu bilden. Man könne die Frage also von verschiedenen Seiten sehr unterschiedlich betrachten.995 Ob der Bundesrechnungshof in dieser Frage als kompetent zu betrachten sei, könne er nicht sagen, und es ginge hier auch nicht um eine möglichst starke Per sonalerweiterung der Unterabteilung, erwiderte der CDU-Abgeordnete Kliesing. 993 994 995
Siehe 10. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 4.5.1954. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 2, S. 945. Ebd., S. 946. Siehe ebd. Auf Ersuchen der Dienststelle erstellte der Bundesrechnungshof Gutachten über die einzelnen Abteilungen sowie über die Dienststelle selbst. Zum Zeitpunkt der Sitzung lagen die Gutachten über die Abteilung V (Beschaffung) und die Dienststelle selbst vor. Zu Letzterem konnte Wirmer jedoch keine Auskünfte geben, da zu diesem Zeitpunkt erst ein Exemplar dem Dienst stellenleiter selbst vorlag. Siehe hierzu ebd., S. 941.
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Schöpferische Ideen könnten auch nur wenige entwickeln, aber es müsse sichergestellt werden, dass in ausreichendem Maße Pädagogen, Sozialfürsorger sowie historisch gebildete Hilfskräfte zur Verfügung stünden.996 Schmidt, Wirmers Verzögerungstaktik durchschauend, bezeichnete dessen Ant wort auf die Einwände Bauschs als absolut unbefriedigend, denn sie besage, dass der Status quo so erhalten bliebe. Dem Argument, dass es außerordentliche Schwierig keiten bereite, für die Bearbeitung der Fragen der Inneren Führung qualifiziertes Personal zu finden, könne er sich ebenfalls nicht anschließen. Vielmehr habe er den Eindruck, »als ob im Zuge der Planung zukünftiger Aufgaben die Unterabtei lung II/2 nicht von allen Mitarbeitern in der Dienststelle als eine unumgängliche Notwendigkeit angesehen werde und dass sie vernachlässigt worden sei. Er bitte, dass, wenn der Ausschuss auf das Thema zurückkomme, auch zu diesem Vorwurf, der sehr nahe liege, Stellung genommen werde.«997 Als Resümee des bisherigen Gedankenaustausches formulierte Erler einen Ent schließungsentwurf, der die unzureichende personelle Ausstattung der Gruppe II/2 »Innere Führung« betonte und die Dienststelle anwies dafür Sorge zu tragen, dass die Verbesserung der personellen Ausstattung der Gruppe »Innere Führung« bei der Vorbereitung des nächsten Haushaltsplans eine angemessene Berücksichtigung finde. Dies sei ein allgemeiner Wunsch des Ausschusses. Man könne zwar nicht festlegen, welche Anzahl von Referaten die Gruppe respektive die Unterabteilung umfassen und wer sie leiten solle, auch bedeute der Beschluss nicht eine Erhöhung der Gesamtstellenzahl der Dienststelle, maßgeblich sei, »dass die für das geistige Gesicht der Truppe entscheidende Unterabteilung so ausgebaut werde, dass sie ihren Aufgaben gerecht werden könne.« Welcher Weg hierzu beschritten werde sei unerheblich. Natürlich sei es Unfug, Personal aus anderen Abteilungen abzuziehen und der Gruppe Baudissin zuzuführen. Aber er rege die Prüfung der Frage an, ob nicht der Stellenschlüssel zugunsten elementarer Referate, zu denen die Gruppe »Innere Führung« nach Auffassung des Ausschusses unzweifelhaft zählte, verändert werden könne.998 Wenngleich Wirmer die Absicht des Ausschusses, einen derartigen Beschluss zu fassen, begrüßte, warnte er »jedoch davor, sich das Arbeitsgebiet des inneren Gefüges als mögliches Betätigungsfeld für viele Kräfte und Referate vorzustellen. Das ›Innere Gefüge‹ sei ein Kernreferat. Außerdem sei in der Dienststelle ein eigener Ausschuss ›Inneres Gefüge‹ geschaffen worden, in dem regelmäßig die Referenten sämtlicher Abteilungen des Hauses zusammenkämen und alle anfallenden Fragen des inneren Gefüges« besprächen. Aus diesen Besprechungen erhalte der Referent für Inneres Gefüge Anregungen, und andererseits dienten die Ausschussbesprechungen dazu, das, was im Referat ›Innere Führung‹ ausgedacht und geplant worden sei, schnellstens in die Arbeit der einzelnen Abteilungen, auch der zivilen hineinzubringen.«999 Wirmer selbst habe die Umwandlung der Gruppe in eine Unterabteilung aus sachlichen Gründen als notwendig bezeichnet, begegnete der SPD-Abgeordnete 996 997 998 999
Siehe ebd., S. 943. Siehe ebd., S. 947. Siehe ebd., S. 948, Zitat ebd. Ebd., S. 948 f.
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Wilhelm Mellies1000 dem erneuten Abwiegelungsversuch Wirmers und beantragte, den Beschluss des Ausschusses um diese Forderung zu erweitern. Man solle zwar auf die von Erler angeregten Einsparungen bei anderen Referaten nicht allzu stark insistieren, denn jedes Referat werde seine Notwendigkeit zu beweisen suchen, gleichwohl sei das Anliegen einer Erweiterung zur Unterabteilung derart wichtig, dass eine Personalverstärkung der Dienststelle in Kauf genommen werden müsse. Ebenso notwendig sei es, merkte Schmidt ergänzend an, eine Übergangsregelung zu finden, die eine möglichst schnelle Entlastung des Führungspersonals der Gruppe II/2 gewährleiste, da sich die vorgeschlagene Entschließung erst auf das Haushaltsjahr 1955 beziehe. Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Entschließungsanträge stellte Erler schließlich den folgenden, vom Ausschuss gebilligten Beschluss zur Abstimmung: »Abs. 1. Der Ausschuss stellt fest, dass nach seiner Überzeugung die Ausstattung der Gruppe II/2 – Innere Führung – angesichts der ihr obliegenden Aufgaben unzu reichend ist [...] Abs. 2: Der Ausschuss beauftragt die Dienststelle, bei der Vorberei tung des nächsten Haushaltsplans dafür zu sorgen, dass die Gruppe in eine Unter abteilung umgewandelt und so ausgestattet wird, dass sie ihren Aufgaben wirklich gerecht werden kann [...] Abs. 3: Für die Zeit bis zum Inkrafttreten des nächsten Haushaltsplans wird die Dienststelle ersucht, zu prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, durch Heranziehen anderer Stellen und Personalquellen die Gruppe II/2 zu verstärken [...]«1001 Während einer Sitzung im September erinnerte Bausch die Anwesenden an das Votum und der Vorsitzende des Ausschusses, Richard Jaeger1002 (CDU), fasste die im Mai getroffene Entscheidung dergestalt zusammen, dass man gebeten habe, dem Ausbau des Referates »Innere Führung« in Form einer Personalverstärkung ein besonderes Augenmerk zuzuwenden. Bei einem Scheitern ihrer Bemühungen sollte sich die Dienstelle an den Ausschuss wenden, damit dieser an den Finanzminister herantreten könne. Da von Seiten der Dienststelle keine Reaktion erfolgt sei, habe er die Hoffnung gehegt, dass entsprechende Schritte eingeleitet werden konnten. Kielmansegg, der nun vor der undankbaren Aufgabe stand, dem Ausschuss in dieser Frage Rede und Antwort zu stehen, legte dar, dass die Verstärkung mit Hilfe der Schattenstellen erfolgen sollte. Das Auswahlverfahren habe bereits begonnen, da sich der Finanzminister bereit erklärt hätte, eine erste Rate der Gesamtzahl von etwa 180 Stellen zu genehmigen. Diese Entscheidung sei mit dem Scheitern des Zu Mellies siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 550 f. 10. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 4.5.1954. In: Der Bundestags ausschuss für Verteidigung, Bd 2, S. 949 f., Abs. 1 und 2 wurden mit je einer Gegenstimme, Abs. 3 mit einer Stimmenthaltung angenommen. Vermutlich handelte es sich bei diesen Gegenstimmen um die des FDP-Abgeordneten Heinz Starke, der festgestellt hatte, dass es nicht die Aufgabe des Ausschusses sei, Stellenvermehrungen anzuregen. Seiner Ansicht nach ginge es in diesem Beschluss aber nicht um Stellenvermehrungen, sondern um eine Kritik, von der er nicht wisse, gegen wen sie sich wende. Gleichfalls wisse er – und damit auch der Ausschuss – nicht, welche Positionen der Bundesrechnungshof und der Haushaltsausschuss zu diesem Sachverhalt einnähmen. Außerdem solle eine Entschließung nur dann getroffen werden, wenn der Dienststellenleiter anwesend sei. Siehe ebd. Zu Starke siehe Biographisches Handbuch, Bd 2, S. 836 f. 1002 Zu Jaeger siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 382 f. 1000 1001
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EVG-Vertrages durch das Finanzministerium Anfang September wieder außer Kraft gesetzt worden. Von den insgesamt zwölf benötigten Mitarbeitern habe das Referat zurzeit fünf, drei weitere sollten aus Paris hinzukommen, bliebe ein Bedarf von vier Mitarbeitern, der zurzeit nicht gedeckt werden könne.1003 Er bezweifle zwar nicht, dass die in die Gruppe »Innere Führung« abkommandierten Herren ihrer Pflicht nachkommen würden, aber »es gehört zu dieser Arbeit, die bei den ehemaligen Berufskollegen nicht unbedingt populär ist, eine ganz besondere Courage« kommentierte Schmidt die Personalzuführung aus Paris. Er halte es überhaupt für ein missliches Verfahren, die vom Ausschuss einhellig gewünschte Verstärkung mit der allgemeinen Personalerhöhung der Dienststelle zu verknüpfen. Das vorrangige Anliegen des Ausschusses, nämlich die volle Arbeitsfähigkeit des Referates sicherzustellen, drohe im Streit um die Stellenzuteilung unterzugehen. Es sei daher erforderlich, die Personaldeckung der Inneren Führung von der Frage der anderen Schattenstellen abzukoppeln, und dabei solle auf Personal gesetzt werden, das man bereits zur Einstellung ins Auge gefasst habe.1004 Man benötigte Leute, führte der CDU-Abgeordnete und ehemalige Vizeadmiral Hellmuth Guido Heye1005 fort, »die ausgesprochenen Sinn und Fingerspitzengefühl für die psychologische Behandlung der Truppe haben, die vielleicht in der Praxis über das normale Maß hinaus ein besonderes Gefühl für Menschenführung entwickelt haben.«1006 Als Weiteres wurde vom Ausschuss eine positive innere Einstellung zur Erfüllung der Aufgabe für notwendig erachtet und der Vorschlag unterbreitet, für die weitere Arbeit einen nicht in der Wissenschaft, sondern in der Praxis verwurzelten Pädagogen zu gewinnen. Die Einwände gegenüber dem aus dem Pariser Kontingent in die Gruppe »Innere Führung« einfließenden Personal konnte Kielmansegg mit dem Hinweis zerstreuen, dass die Betreffenden dem Referatsleiter bekannt und von ihm persönlich ausgesucht worden seien. Nun könne es doch nicht so schwer sein, den noch benötigten Personalbedarf in der Bundesrepublik zu decken, warf Manteuffel ein, um sich von Kielmansegg darüber aufklären zu lassen, dass es sicherlich nicht so viele hierzu geeignete Kräfte gäbe. Obschon sich geeignete Personen gemeldet hätten und auch die Dienststelle Kenntnis über geeignetes Personal besitze, liege es nicht an der Dienstelle, sondern an der Frage der Planstellen. Über eine starke Unterstützung des Ausschusses wäre er jedoch sehr dankbar, erwiderte Kielmansegg auf den anschließenden Fingerzeig Manteuffels, den Ball jetzt aufzugreifen, um die restlichen Stellen zu erhalten. Zeigten sich Manteuffel und Schmidt im Folgenden überzeugt, dass die Dienst stelle es in den letzten Monaten versäumt habe, sich genügend für diese Sache einzusetzen, wies Bausch im Rückblick auf die bisherigen Debatten auf ein zutage geSiehe 18. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 21.9.1954. In: Der Bun destagsausschuss für Verteidigung, Bd 3, S. 85 f. 1004 Siehe ebd., S. 88, Zitat ebd. 1005 Zu Heye siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 339. Heye war 1961‑1964 Wehrbeauftragter des Bundestages, sein Rücktritt erfolgte nach öffentlich geäußerter Kritik an der inneren Verfassung der Bundeswehr und anschließender Beurlaubung. Siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 339; Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 246‑256. 1006 18. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 21.9.1954. In: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 3, S. 89. 1003
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tretenes grundsätzliches Problem hin. Man versuche »hier die Willensmeinung des Parlaments festzulegen und sie zunächst einmal auf die Dienststelle Blank zu übertragen. Das ist uns bisher nicht erschöpfend gelungen. Nun frage ich mich: Wie soll es denn, wenn schon in der Dienststelle, die sich mit dieser Sache zu befassen hat, so große Schwierigkeiten bestehen, den Willen des Parlaments zu realisieren, der Dienststelle möglich sein, im entscheidenden Augenblick ihren Willen, der mit dem des Parlamentes gleichgeschaltet sein sollte, auf den Riesenapparat zu übertragen, der eines Tages wahrscheinlich Hals über Kopf anlaufen soll? Das sind Fragen, die uns große Sorgen bereiten.« Er wäre glücklich, wenn man in diesem entscheidenden Punkt ein Stück weiter käme.1007 Man könne der Dienststelle seine Wünsche vortragen, die sie aufnehmen könne oder auch nicht, erklärte Jaeger das Prozedere auf Nachfrage, wie denn nun dem Anliegen des Ausschusses Geltung zu verschaffen sei. Mache sie sich diese zueigen, könne sie aber nicht durchsetzen, hätte der Ausschuss die Möglichkeit, an den Finanzminister heranzutreten. Käme man damit nicht zum Erfolg, bliebe nur noch das Plenum, doch habe der Ausschuss bislang auf dieses Mittel verzichtet, da man die Angelegenheit auf gutem Wege wähnte. Man müsse dem Finanzminister die Wichtigkeit des Anliegens erläutern, da dieser nur die Gesamtstellen betrachte. Infolgedessen wurde beschlossen, den Finanzminister, zumindest aber den Leiter der Abteilung Haushalt im Finanzministerium, FriedrichKarl Vialon1008, oder den Staatssekretär vor das Gremium zu laden. Vielleicht, so verlieh Jaeger seiner Hoffnung Ausdruck, wirke sich die Einbestellung sogar dergestalt aus, dass bis zur kommenden Sitzung bereits eine Genehmigung der Stellen erfolgt sei. Wie sich bald erweisen sollte, trog auch diese Hoffnung. Bestens informiert sei der Ausschuss über die Interna des Machtkampfes, hielt Karst den Verlauf der Sitzung reflektierend noch am selben Tage fest. Zum Ausdruck käme diese Tatsache vor allem in dem Votum des Abgeordneten Bausch. Manteuffel habe ihm anschließend noch versichert, »dass er zutiefst von der Richtigkeit unserer Gedankengänge überzeugt sei und entschlossen ist, sie durchzuboxen. Er würde mit seinem Namen und seiner ganzen Person uns als alter Soldat beispringen. Heye schlägt in die gleiche Kerbe. Manteuffel geht soweit, dass er den Inhalt dieser Sitzung in die Presse bringen will.«1009 Ebd., S. 91. Zu Vialon siehe Klee, Das Personenlexikon, S. 640. 1009 Tagebuch Baudissin, Eintrag Karst, 21.9.1954, BArch, N 717/3, Bl. 158. In einem Interview mit dem Deutschen Pressedienst (dpa) erwähnte Manteuffel zwar nicht den Inhalt der Sitzung, setzte sich aber nachdrücklich für die Realisierung der Reformpläne des Amtes Blank ein und appellierte »an alle ehemaligen und heranwachsenden Soldaten, die für eine Reform des Militärdienstes eintreten, nicht skeptisch abseits zu stehen, sondern mitzumachen.« Die Leitsätze für die Reform des Militärwesens seien von Graf Baudissin »mit Sachkenntnis und in höchstem Verantwortwortungsbewusstsein zusammengestellt« worden und auch die SPD arbeite, trotz ihrer Ressentiments gegen eine Wiederbewaffnung, in den Ausschüssen des Bundestages aktiv an deren Realisierung mit. Siehe Esslinger Zeitung, 19.10.1954 (Zitate), Flensburger Zeitung, 19.10.1954, Der Mittag, Düsseldorf, 19.10.1954. In: BArch, BW 9/2527-91. Wenige Tage später dankte Heusinger Manteuffel für dessen öffentlichkeitswirksame Unterstützung: »Es drängt mich Ihnen zu danken für Ihre Stellungnahme in der Öffentlichkeit zu den Fragen der Inneren Führung. Ich glaube, dass die Stellungnahme aus Ihrem Munde gerade auch in den z[um] T[eil] skeptischen Kreisen der ehemaligen Offiziere besonders wirkungsvoll sein wird, da in Ihnen der alte Truppenoffizier, 1007 1008
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Mit dieser Rückendeckung, so sein Fazit, könne der Graf jede Schlacht schlagen. Schlagen ja – gewinnen nicht, denn auch in der darauffolgenden Sitzung des Ausschusses1010, an der entgegen den Absichten des Gremiums lediglich ein Ministerialdirigent als Vertreter des Finanzministeriums teilnahm, konnte keine zufriedenstellende und abschließende Lösung im Sinne der Ausschussmitglieder erzielt werden. Das von der Dienststelle beantragte Gutachten des Bundesrechnungshofes über die Dienststelle selbst und deren einzelnen Abteilungen lag mittlerweile vor und bestätigte die »nicht ganz zureichend[e]« Stellenausstattung der Gruppe »Innere Führung.«1011 Nach einer umfassenden, aber letzten Endes ergebnislosen Debatte über die Bereitstellung und das »Changieren« von Stellen betonte Erler noch einmal die Vorrangigkeit der Gruppe »Innere Führung« vor anderen Sachgebieten und richtete an Wirmer die unmissverständliche Aufforderung, die noch fehlenden vier Stellen zu realisieren.1012 Der Ausschuss habe den beiden Ministerien seine Ansichten und Wünsche »mit nicht zu verhehlender Einhelligkeit und Deutlichkeit« mitgeteilt, konstatierte Jaeger den Verlauf der Debatte, aber wenn »die beiden Ministerien erklärten, sie wollten nicht, sei es nicht mehr Sache des Ausschusses, weitere Schritte zu unternehmen, sondern Sache der Fraktionen.«1013 Man wolle diesem Thema keine weitere Sitzung mehr widmen und gewähre der Dienststelle daher eine 14-tägige Frist, nach deren Ablauf die Fraktionen nach ihrem Gutdünken verfahren könnten.1014 Denn, so hatte Erler zuvor mit Blick auf die Empfindlichkeit der Öffentlich keit in Fragen der Inneren Führung der zukünftigen Truppen vermerkt, es gäbe ja auch noch ein anderes Forum, um sich Gehör und Einfluss zu verschaffen.1015 Dass er mit dieser Andeutung auch das Parlament gemeint haben könnte, kann nicht ausgeschlossen, darf aber bezweifelt werden, hatte er doch während der Diskussion explizit die Presseorgane erwähnt, »die voll von den schönen Absichten in Bezug auf das innere Gefüge« seien, und auf die Gefahr hingewiesen, »die entstehe, wenn die Öffentlichkeit erfahre, wie die Dienststelle davon rede und nichts dafür tue.«1016 Harsche Worte, doch musste Karst im kommenden Sommer enttäuscht eingestehen, dass alle vorangegangenen Anträge Baudissins1017 und Versuche des Bundes tagsausschusses, die Gruppe »Innere Führung« personalmäßig zu verstärken, letztlich als gescheitert angesehen werden mussten.1018 Nach der Auflösung des Interims der all’ diese Dinge aus der Praxis selbst beurteilen kann, gesprochen hat. Wir werden sicher auch in Zukunft noch viele Schwierigkeiten zu überwinden haben, aber ich bin zuversichtlich, dass wir die Dinge in unserem Sinne gestalten können, wenn wir an dem Ziel unverrückbar festhalten.« Schreiben Heusinger an Manteuffel, 21.10.1954, BArch, N 617/v. 5. 1010 19. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 18.10.1954. In: Der Bundes tagsausschuss für Verteidigung, Bd 3, S. 99‑116. 1011 Ebd., S. 112. 1012 Ebd., S. 116. 1013 Ebd., S. 114. 1014 Ebd., S. 116. 1015 Siehe ebd. 1016 Ebd., S. 114 f. 1017 Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 113‑118. 1018 Die begrenzte Einwirkungskraft des Ausschusses hatte dessen Vorsitzender bereits mehrfach eingeräumt, indem er darauf hinwies, dass der Ausschuss keine verfassungsmäßigen Möglichkeiten besit-
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ausschusses in Paris waren zwar Tänzler, Major a.D. Günther Schönnenbeck1019 und Leutnant a.D. Günther1020 hinzugetreten, eine weitere Aufstockung des Personals erfolgte indes nicht mehr, obwohl Letzterer kurze Zeit darauf ohne Ersatzgestellung auf eigenen Wunsch wieder versetzt wurde. Karst blieb daher nichts anderes möglich, als diese Stagnation als einen von zahlreichen weiteren Faktoren zu identifizieren und zu brandmarken, in denen sich die hausinterne Zurückstellung der Gruppe »Innere Führung« widerspiegelte.1021 Die Auseinandersetzung der Parlamentarier mit den Vertretern des Amtes Blank und dem Finanzministerium hatte die prekäre Situation des Referates »Inneres Gefüge«, später Unterabteilung »Innere Führung«, deutlich werden lassen. Im Mai 1951 als 4. Referat mit Baudissin als Leiter und einzigem Mitarbeiter in die Gruppe »Planung« integriert, war es den weiteren Grundsatzreferaten »Organisation«, »Personal«, »Material« und »Ausbildung« gleichgestellt.1022 Erste Überlegungen, die Organisationsstruktur der mittlerweile auf acht Referate angewachsenen Gruppe »Planung« zu verändern, führten im Dezember zu dem Vorschlag, eine selbstständige »Militärische Abteilung« zu bilden, in der das Referat »Inneres Gefüge« der Unterabteilung »Personal« als 4. Referat zugeordnet werden sollte. Der damit ein hergehenden Rückstufung trat das Referat Ende Mai 1952 mit einem eigenen Struk turentwurf entgegen, der die Aufstellung einer Unterabteilung »Inneres Gefüge« mit drei Referaten und neun Hilfsreferaten vorsah. Mit der Unterzeichnung des EVGVertrages »ergebe sich jetzt die Notwendigkeit, die gesamte Arbeit auf die Schaffung europäischer Vorschriften auszurichten.« Hierzu müsste das Referat die Arbeits gebiete »Gesetze und Grundsatzfragen, Disziplinar- und Gerichtswesen, Öffentlich keitsarbeit, Ausland, Erziehung, Betreuung, Innerer Dienst, Formen und Zentral referat« abdecken.1023 Letzten Endes fiel die Entscheidung zuungunsten des Referates. Während die bislang gleichrangigen Referate »Planung« und »Personal« den Status von Unterabteilungen erlangten, fand sich Baudissins Arbeitsgebiet im Juli 1952 als letztes von elf Referaten im Organigramm der Unterabteilung »Militärisches Personal« wieder. Mit der Einnahme dieser Struktur war, so das Urteil Genschels, »eine Grundsatzentscheidung gefallen, die sich auf die gesamte weitere Entwicklung auswirken musste. Denn gerade in dem Augenblick, in dem die Dienststelle ze, unmittelbar in die Exekutive hineinzuwirken. In diesem Falle könne er im Verhältnis zwischen den beiden Ministerien gewisse Dinge klären und auf einzelne Mitglieder des Haushaltsausschusses einwirken. Weitere Möglichkeiten, der Exekutive beizukommen, bestünden hingegen nicht. Siehe 19. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 18.10.1954. In: Der Bundes tagsausschuss für Verteidigung, Bd 3, S. 107. 1019 Nicht ermittelt. 1020 Nicht ermittelt. 1021 Siehe Tagebuch Baudissin, Vermerk Karst »Merkpunkte über die Zurückstellung der Gruppe ›Innere Führung‹«, 30.6.1955, BArch, N 717/4, Bl. 186 f., hier Bl. 186. 1022 Erst im Januar 1952 trat Major a.D. Hans Tänzler als Baudissins erster Mitarbeiter dem Referat bei. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 85. Zu Stellung und Position des Referates in der Organisa tionsstruktur des Amtes Blank und des Verteidigungsministeriums vgl. ebd., S. 82‑103. Genschel teilt den strukturellen Werdegang des Arbeitsgebietes »Inneres Gefüge«, ab 10. Januar 1953 »Innere Führung«, in sieben Entwicklungsphasen auf. 1023 Vgl. ebd., S. 85, Zitate ebd.
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Blank sich rapide vergrößerte und viele neue Mitarbeiter eingestellt werden, wird die Sektion Innere Führung deutlich im Rang herabgesetzt. [...] Alle nach diesem Zeitpunkt neu in die Dienststelle Blank eintretenden Mitarbeiter konnten also aus der organisatorischen Eingliederung der Sektion Innere Führung eine besondere Bedeutung dieses Arbeitsgebietes nicht erkennen. Soweit sie das Arbeitsgebiet überhaupt wahrnahmen, sahen sie es im Range eines untergeordneten Referates. Die Chance, dieses Arbeitsgebiet von Anfang an allen neuen Mitarbeitern als für die Gesamtplanung entscheidend zu präsentieren und damit seine Existenz als undiskutabel-selbstverständlich erscheinen zu lassen, wurde von der Leitung des Hauses nicht genutzt. Alle Versuche, seinen Rang wieder anzuheben, mussten nun den Charakter von Veränderungen einer bestehenden Situation annehmen und sich damit gegen Gewohnheiten durchsetzen, die auf Bewahrung des Status quo gerichtet waren.«1024 Stattdessen musste sich das Referat mit Hilfe des Leiters der Zentralabteilung seiner Einvernahme durch die Abteilung Planung erwehren, als deren Leiter einen Vorstoß unternahm, das Arbeitsgebiet »Inneres Gefüge« in seinen Verantwortungsbereich zu überführen. Bogislaw von Bonin, von Herkunft, Werdegang und Aussehen »als Inkarnation preußischen Soldatentums« charakterisiert, »verband [...] ein beträchtliches Selbstbewusstsein mit beachtlichem Charisma. Dem Image entsprach seine Skepsis gegenüber den Vorstellungen Baudissins. Bonin fürchtete die Verweichlichung und damit Unterlegenheit der künftigen deutschen Soldaten gegenüber ihren hart ausgebildeten potentiellen Gegnern im Osten. Er teilte die Skepsis mit vielen Militärs. Sie hätten am liebsten den Wehrmachtsoldaten zurückkehren sehen, diesmal freilich auf der richtigen Seite.«1025 Mit der von Bonin am 1. Oktober 1952 erlassenen Verfügung sollten sämtliche Fragen der Ausbildung und Erziehung durch eine Untergruppe in der Gruppe Heer zwecks einheitlicher Linienführung bearbeitet werden. Faktisch beanspruchte Bonin damit die Federführung auf allen wesentlichen Arbeitsfeldern des Referates »Inneren Gefüges«: »Unterricht in Themen der Inneren Führung, staatsbürgerlicher Erziehung, Geschichtsunterricht und Behandlung von Untergebenen.«1026 Vom Leiter der Zentralverwaltung, Ernst Wirmer, in Vertretung des Dienststellenleiters Blank, aus formalen Gründen aufgehoben, wirkte Bonins medienwirksame Verfügung dennoch nach.1027 Für das Referat »Inneres Gefüge« hatte der Konflikt Ebd., S. 86 f. Krüger, Das Amt Blank, S. 54. 1026 Ebd., S. 54 f. Auslöser für diese Verfügung bildete die unterschiedliche Federführung in der Bearbeitung des Inneren Gefüges zwischen dem Interimsausschuss der EVG-Verhandlungen und der Dienststelle Blank. Während diese Fragen in Paris im Militärausschuss, einer Parallelorganisation zur Unterabteilung »Planung« der Dienststelle, behandelt wurden, wurde der Themenkomplex Inneres Gefüge in Bonn außerhalb der Unterabteilung »Planung« bearbeitet. Mithin war Bonin bestrebt, das Referat Baudissins seinem Verantwortungsbereich einzugliedern. Vgl. Genschel, Wehr reform, S. 87, 141. 1027 Bonin hatte die Verfügung »in Vertretung« Heusingers unterschrieben und weder mit seinem Vorgesetzten noch mit den betreffenden Referaten und den mitzeichnenden Abteilungen abgesprochen. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 142, 298‑301, hier S. 298 f., Anm. 7.1, 9; Krüger, Das Amt Blank, S. 56; Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 892‑898. Die für die Pressearbeit der Dienststelle verantwortlichen Axel Freiherr von dem Bussche-Streithorst, Baudissins Regimentskamerad, und Konrad Kraske verließen die Dienststelle, nachdem ihrer Forderung nach Entlassung Bonins nicht 1024 1025
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die Herauslösung aus der Unterabteilung »Militärisches Personal« und die unmittelbare Unterstellung unter den Leiter der »Militärischen Abteilung« zur Folge. Die gleichfalls erfolgende Zusammenfassung der Arbeitsgebiete »Inneres Gefüge«, »Erziehung«, »Information« und »Truppenbetreuung« unter den Sammelbegriff »Innere Führung« nahm zwar die geplante Einrichtung als Unterabteilung vorweg, hatte faktisch aber keine Aufwertung des Referates zur Folge. Mit der Erarbeitung von Richtlinien für die Arbeitsgebiete betraut, besaß das Referat keine Weisungsbefugnis, sondern musste seine Arbeitsergebnisse sogar mit einem von Blank neu eingerichteten »Ausschuss Innere Führung« abstimmen, dessen Aufgabe die Beratung und Bearbeitung aller Fragen der Arbeitsgebiete »Inneres Gefüge«, »Information«, »Erziehung« und »Truppenbe treuung« sein sollte.1028 Die infolge der direkten Unterstellung des Arbeitsgebietes unter den Abteilungsleiter erreichte Unabhängigkeit von anderen Instanzen wurde von Heusinger nicht genutzt. Stattdessen wirkte der Ausschuss, dem Heusinger ebenfalls vorstand, als Filter und Prüfinstanz. Die Rolle des Referates blieb lediglich auf seine Aufgabe als Arbeitsorgan des Ausschusses begrenzt.1029 Auf die praktische Arbeit des Referates sollten sich die Beratungen des Ausschusses kaum auswirken. Grundsätzliche Weisungen wurden nicht erlassen. Konsultationen zum Leitbild des »Staatsbürgers in Uniform« und den Erziehungsleitsätzen fanden ebenfalls nicht statt.1030 Während Genschel und Krüger die Rolle Heusingers dahingehend interpretieren, dass er sich durch diese Konstruktion einer direkten Auseinandersetzung mit den Vorschlägen Baudissins entzog, attestiert ihm Meyer eine anhaltende, durch »Bestimmtheit, Bedachtsamkeit und Vorsicht« geprägte Förderung seines Referatsleiters. Innerlich vom »Grundsatz der zeitgemäßen Menschenführung« überzeugt, trachtete Heusinger danach, »eine den Ansprüchen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtete Armee aufzubauen. Er ließ das Neue sich entwickeln und förderte es mit Behutsamkeit so, daß am Ende ein Ergebnis stand, das Grundlage für einen Neubeginn sein konnte.«1031 Der Führungsstil Heusingers hatte für Baudissin und das Referat zunächst jedoch keine persönlichen oder praktischen Auswirkungen. Im Gegenteil, denn auch die vom Ausschuss »Innere Führung« angeregte Erweiterung des Arbeitsgebietes zu einer Unterabteilung wurde zunächst nicht realisiert.1032 Auch die von Heusinger entsprochen worden war. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 142 f.; Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 895‑897; Krüger, Das Amt Blank, S. 56 f. Zur Medienberichterstattung vgl. ebd., S. 299, Anm. 13. 1028 Siehe 10. Abschrift L/II, Regelung der Inneren Führung, vom 10.1.1953, BArch, BW 9/2226, Bl. 9‑11, hier Bl. 9 f. Zu den Sitzungsprotokollen des Ausschusses siehe BArch, BW 9/2592-1. 1029 Diese Organisationsmaßnahmen erfolgten zum 10.1.1953. Der Ausschuss setzte sich aus je einem Vertreter der zivilen Abteilungen »Verwaltung« und »Recht«, den Unterabteilungen »Allgemeine Verteidigungsfragen« und »Militärisches Personal« sowie drei Vertreten der Unterabteilung »Planung« als ständige Mitglieder zusammen. Hinzu kam Josef Pfister als Leiter des StudienBureaus. Den Vorsitz führte Heusinger, der sich in seiner Abwesenheit nicht von dem als Partei auftretenden Baudissin, sondern von de Maizière vertreten ließ. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 88‑91; Krüger, Das Amt Blank, S. 57 f. 1030 Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 92. 1031 Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 950. 1032 Siehe Kurzprotokoll über die 2. Sitzung des Ausschusses »Innere Führung«, 11.2.1953, BArch, BW 9/2592-1, Bl. 44‑47, hier Bl. 46. In der Unterabteilung Planung besaßen zwar alle Gruppen
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Mitte 1953 gegenüber dem Sicherheitsausschuss erwähnte Gruppe »Innere Füh rung« mit vier Referaten (»Inneres Gefüge«, »Erziehung«, »Information« und »Be treuung«) blieb Fiktion, denn im Organisationsplan der Dienststelle Blank vom 10. August 1953 wurde nur ein Referent »Inneres Gefüge« mit drei Hilfsreferenten aufgeführt.1033 Erst die Organisationspläne von 1954 listeten eine »Selbständige Gruppe II/2 (Zukünftige Unterabteilung) Innere Führung« mit dem Referat »Inneres Gefüge« und dem Studienbüro auf. Gegliedert in vier Referate (»Inneres Gefüge«, »Erziehungsmethodik«, »Information« und »Betreuung«), wurden die Referate formal auch mit den gewünschten Hilfsreferaten ausgestattet. Die Bezeichnung als zukünftige Unterabteilung verwies jedoch auf lediglich geplante Absichten.1034 In dem ab Mai 1955 geltenden Organisationsplan wurde das Arbeitsgebiet sogar der Unterabteilung »Personalwesen« als 1. Gruppe mit zwei Referaten zugewiesen.1035 Erst mit der Umgliederung der Dienststelle Blank zum Bundesministerium für Verteidigung wurde die Gruppe »Innere Führung« unter Führung Baudissins zur Unterabteilung erhoben und der »Abteilung Streitkräfte« untergeordnet. Die von Baudissin geforderten sechs Referate waren jedoch auf vier (»Soldatische Ordnung, Recht und Disziplin«, »Erziehung«, »Information«, »Betreuung«) reduziert worden.1036 Alle Versuche vonseiten der Parlamentarier, der Gruppe »Innere Führung« und der Dienststelle die Personaldecke für das Arbeitsgebiet »Innere Führung« in dem ihrer Bedeutung zukommenden Maße zu erhöhen, blieben letztlich erfolglos. Zur Zeit der Ausschussberatungen waren sieben Mitarbeiter (Baudissin, Karst, Pollmann, Will, von Wangenheim, Tänzler, Schönnenbeck) im Arbeitsgebiet »Innere Führung« tätig. Erst Anfang Dezember 1955 traten drei weitere Mitarbeiter hinzu.1037 Die in der Öffentlichkeit und Politik propagierte hohe Bedeutung dieses Arbeitsgebietes spiegelte sich mithin weder in der Anzahl seiner Bearbeiter noch in seiner organisatorischen Eingliederung wider. Die schwache Position des Arbeitsgebietes und seines Leiters, der trotz der Absicht, eine Unterabteilung »Innere Führung« zu positionieren, zunächst weder an den Unterabteilungsleiterbesprechungen teilnahm noch als deren zukünftiger Leiter im Amt Blank wahrgenommen wurde, beschreibt Genschel im Zusammenhang mit den Forderungen der Parlamentarier nach einer dem Arbeitsaufkommen entsprechendem Personalaufwuchs. Infolge der Drohung der Ausschussmitglieder, ihre Fraktionen einzuschalten, hatte Blank offenbar im November 1954 Informationen über die gegenwärtige personelle Besetzung so(Gesamtstreitkräfte, Heer, Luftwaffe, Marine) ein Referat »Inneres Gefüge«, die aber alle unbesetzt waren und daher nicht unterstützend in den Planungs- und Arbeitsprozess eingreifen konnten. Erst 1954 wurde eine Stelle im Referat »Innerer Dienst« bei der Gruppe »Gesamtstreitkräfte« besetzt. Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 93, 95. 1033 Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 93, 275, Anm. 40. 1034 Siehe Organisationsplan der »Dienststelle Blank« (1.4.1954), Anlage 1a, BArch, BW 2/8530, Organisationsplan der »Dienststelle Blank« (1.11.1954), Anlage 2a, ebd., Genschel, Wehrreform, S. 94 f., 274, Anm. 43. 1035 Vgl. Genschel, Wehrreform, S. 98. Zu den Bemühungen Baudissins, diese erneute Herabsetzung zu verhindern vgl. ebd., S. 99‑101. 1036 Vgl. ebd., S. 101. 1958 wurde die Unterabteilung umgegliedert und um drei Referate für Personal wesen erweitert. Siehe BArch, Findbücher, Bestand BW 2, Teil 1, S. XVI; Nägler, Der gewollte Soldat, S. 90. 1037 Vgl. ebd., S. 106‑120.
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wie über den erforderlichen Personalumfang angefordert. Ein von Baudissin am 8. November 1954 erstellter Sprechzettel für den Dienststellenleiter war an den stellvertretenden Leiter der Unterabteilung »Allgemeine Verteidigungsfragen«, de Maizére, gerichtet. Die Unterabteilung erstellte anhand der Vorlage Baudissins einen neuen Sprechzettel, »der aber inhaltlich gegenüber Baudissins Forderungen erheblich abgeschwächt war.« Wer den Vortrag vor Heusinger schließlich gehalten hat, ist nicht bekannt. Sollte der Leiter der Unterabteilung Kielmannsegg oder sein Stellvertreter »vorgetragen haben, wäre bedeutsam, dass eine andere Unterabteilung die Interessen der Unter abteilung [sic!] Innere Führung wahrnimmt, und zwar in erheblich abgeschwächter Form. Wenn Heusinger vorgetragen hat, wäre bedeutsam, dass Baudissin nicht selbst bei ihm seine Forderungen anmeldete, sondern den Umweg über de Maiziére wählte«, obwohl er Heusinger direkt unterstellt war. Für Genschel ist dies ein Indiz, dass Baudissins Stellung »bei der Leitung des Hauses nicht so stark [war], dass er selbst seine Forderungen vortragen konnte, sondern eine ihm formal gleichgestellte Instanz zwischenschalten musste, von der er keine volle Unterstützung erhielt.«1038 Nach einem Gespräch mit Blank, in dessen Verlauf er einen erneuten Versuch unternahm, den Dienststellenleiter zu überzeugen, die Abgeordneten in der tags darauf stattfindenden Ausschusssitzung zu bitten, mit ihm gemeinsam für die erforderlichen Stellen zu sorgen, hatte er Gelegenheit, den von der Unterabteilung »Allgemeine Verteidigungsfragen« erstellten Sprechzettel einzusehen: »Betrüblich ist es, dass Maiziére unsere Situation bzw. unseren Vermerk insofern verharmlost hat, als er zwar im Augenblick 4 Herren, ›für ein späteres Stadium‹ 10‑14 vorschlägt, und wiederum als Ausweg Gutachter außerhalb des Hauses« und Übertragung von Arbeiten an andere Referate. Eine Gegenrechnung an den Rand vermerkend, stellte Baudissin resignierend fest, dass es gut sei, einmal hinter die Kulissen zu sehen, selbst de Maiziére sehe die Dinge offenbar »nur durch seine Brille.«1039 Letzen Endes blieben die von den Abgeordneten unterstützten Bemühungen Baudissins um eine personelle Ergänzung des Arbeitsgebietes »Innere Führung« bis zur erwähnten Einstellung von drei weiteren Mitarbeitern im Dezember 1955 erfolglos. Eine weitere diesbezügliche Diskussion fand im Ausschuss ebenso wenig statt wie eine abschließende Diskussion über die Erziehungsleitsätze selbst. Auch zu einer abschließenden Beratung über den Bericht der Arbeitsgruppe Manteuffels, den der Ausschuss bis zum Zeitpunkt der Vorlage des Berichtes der Arbeitsgruppe I (Soldatische Ordnung) zurückgestellt hatte, sollte es nicht mehr kommen, denn überrollt durch die NATO-Option und den hieraus resultierenden Beratungsbedarf, verlangte die beschleunigte Gesetzgebungsphase der maßgeblichen »Gesetze und Genschel, Wehrreform, S. 96 f., 276, Anm. 52, 53. Im Tagebuch der Selbständigen Gruppe ist kein Eintrag zu diesem Vorgang vermerkt. 1039 Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 10.11.1954, BArch, N 717/3, Bl. 270. Blank hat den Ausschuss in der Sitzung am 11.11.1954 nicht um Unterstützung zur personellen Erweiterung des Arbeitsgebietes gebeten. Siehe BT. 2. WP. Stenographisches Protokoll der 21. Sitzung des Ausschusses für europäische Sicherheit, 11.11.1954, BArch, BW 1/54919. Zu den Interpretationen über die Stellung des Arbeitsgebietes »Innere Führung« im Amt Blank, vgl. Genschel, Wehr reform, S. 229‑236; Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 885‑890; Nägler, Der gewollte Soldat, S. 90‑125. 1038
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Vorschriften zum Profil des Soldaten« die gesamte Aufmerksamkeit und Arbeitskraft des Ausschusses.1040
g) ZDv 11/1 »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« (1957)1041 Vom Umlauf des Entwurfes bis zur verbindlichen Vorschrift sollten noch fast zwei Jahre vergehen, in denen die Leitsätze unter kritischer Mitprüfung von Weniger und Bohnenkamp überarbeitet wurden.1042 Letzter hatte bereits im Juli 1954 einen weiteren Entwurf vorgelegt, aus dem einige Passagen später in die endgültige Fassung übertragen wurden.1043 Der in die Diskussion eingebrachte Vorschlag, die Vorschrift »Leitsätze für die Erziehung in der Truppe« zu nennen, wurde von Golling mit dem Argument abgelehnt, dass die Leitsätze nicht nur in der Truppe, sondern im gesamten militärischen Bereich Geltung besäßen.1044 Im Vergleich mit dem zur Diskussion gestellten Entwurf von 1954 fällt in der Vorschrift zunächst eine die Erziehungsabsicht begründende Einleitung ins Auge, die der Entwurf hatte vermissen lassen. Auf den »im Soldatengesetz festgelegten Pflichten und Rechten« fußend, sollten die »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« der Bundeswehr verbindliche Erziehungsrichtlinien geben.1045 Vornehmlich an die Kommandeure und Einheitsführer adressiert, wurden diese verpflichtet, ihre unterstellten Offiziere und Unteroffiziere über den Inhalt der Leitsätze und deren Anwendung zu informieren. Kenntnis und Beachtung der Leitsätze im täglichen Dienst wurde allen Offizieren nahegelegt.1046 Den Sinn der Erziehung leitete die Vorschrift aus den Aufgaben der Bundeswehr ab. Sie habe »Frieden und Freiheit des deutschen Volkes« zu schützen und »gemeinschaftlich mit den Soldaten der freien Welt die auf Recht begründende Lebensordnungen, die der europäische Geist seit Jahrhunderten formt«, zu sichern. Zweck der soldatischen Erziehung sei es daher, den Soldaten dafür zu wappnen, Familie, Volk und »Heimat vor Unfreiheit und Unrecht zu bewahren.«1047 Die Leitsätze selbst hatten inhaltlich nur wenige wesentliche Änderungen erfahren, währenddessen Verbesserungen sprachlicher und gliederungstechnischer Art überwogen. Zu Gesetzen und Vorschriften für die neuen Streitkräfte ausführlich Nägler, Der gewollte Soldat, S. 133‑200. 1041 Die »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« sind als »Leitsätze für die Menschenführung« im Handbuch Innere Führung (1957) abgedruckt. Der besseren Zugänglichkeit halber wird im Weiteren aus dem Handbuch zitiert. 1042 Siehe Schreiben Bohnenkamp an Karst, 23.7.1955, BArch, N 488/8, Bl. 68 f.; Schreiben Weniger an Karst, 25.7.1955, ebd., S. 1‑4. Beide befürworteten in ihren Beurteilungen die Weiterleitung der überarbeiteten Leitsätze an den Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen. 1043 Siehe Leitsätze Soldatischer Erziehung, Juli 1954, BArch, N 488/8, S. 1‑5. 1044 Siehe Stellungnahme Golling, 21.12.1955, BArch, BW 2/731. 1045 In der »Erläuterung der Leitsätze« wurde expliziert darauf hingewiesen, dass die »Leitsätze« weder einen Ersatz für die »Pflichten des Soldaten« noch für die ehemaligen Kriegsartikel, die jeder Soldat kennen musste, darstellten. 1046 Siehe Handbuch Innere Führung, S. 95, Anmerkung. Der ZDv 11/1 wurden diese Ausführungen als Vorbemerkungen beigegeben. Siehe ZDv 11/1, Leitsätze für die Erziehung des Soldaten, S. 3. 1047 Handbuch Innere Führung, S. 91. 1040
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Als weiteres Erziehungsziel war allerdings die von Baudissin lancierte Mitverant wortlichkeit aller Soldaten am Gelingen der Aufgabe hinzugekommen und es wurde seiner Forderung nach aktiver Mitgestaltung der Soldaten am Dienst Rechnung getragen.1048 Berücksichtigung fand nun auch die vor Überforderung warnende Kritik insofern, dass kein »[E]inzelner [...] alle Forderungen erfüllen« könne, es aber darauf ankomme«, »dass jeder von seinem Eigenen in das Ganze hingibt, was er zu geben vermag.«1049 Einhergehend mit der von Litt propagierten Selbsterziehung des Soldaten, sollte die zur Erfüllung der gestellten Aufgabe unabdingbare Disziplin ihre Vollendung in der Selbstzucht finden.1050 Verworfen worden war hingegen die Feststellung, dass die Wege der Erziehung ihre Wirkung umso besser entfalten könnten, je mehr sie den Forderungen des Krieges Rechnung trügen. Nach Ansicht Wenigers hätten die Erfordernisse des Krieges ihren Platz höchstens in den Erziehungszielen. In Wahrheit gehörten sie jedoch in die Ausbildungsgrundsätze. Nur dort hätte deren Erwähnung ihre Berechtigung, obgleich auch dort zunächst geklärt werden müsse, »was eigentlich die Forderungen des Krieges« seien. In den »Wegen der Erziehung« aufgelistet, böte diese Formulierung den »Kommissleuten« lediglich die Handhabe, »die Erziehungsleitsätze mit Rücksicht auf angebliche Erfordernisse des Krieges einzuschränken« und für jede Erziehungsmaßnahme Ent schuldigungsgründe zu finden.1051 Damit war es Weniger gelungen, allgemein befürchteten schikanösen Erziehungs- und Ausbildungsmethoden ihre Legitimation zu entziehen. Wenn auch von Bohnenkamp mit anderer Intention gefordert, konnte er mit dem Fortfall der »harten Notwendigkeiten des Krieges« für sich beanspruchen, dem Soldaten weiteren Schutz vor falsch verstandenen Begründungen soldatischer Erziehung geboten zu haben. Bohnenkamp hatte seine Forderung zur Streichung dieses Wortlautes pädagogisch begründet. Die allgemeinen menschlichen Ziele jeder richtigen Erziehung sollten auch für die soldatische Erziehung gelten, »damit dann von den ›besonderen Zielen der soldatischen Erziehung‹ die Rede sein könnte.« Daher müssten die »›harten Notwendigkeiten des Krieges‹ gestrichen werden.«1052 Keine weitere Berücksichtigung gefunden hatte auch die stark kritisierte Vorgabe, dass der Soldat sein »hohes Ziel, den Frieden zu gewinnen, [...] nicht aus dem Blick verlieren«1053 dürfe. Hierbei sollte wohl dem nötigen Erklärungsbedarf hinsichtlich dieser Forderung ausgewichen werden. Der Abschnitt über den Drill als technisches Ausbildungsmittel war dahingehend umformuliert worden, dass der Soldat in die Lage versetzt werden müsse, »bestimmte, in allen Lagen wiederkehrende Tätigkeiten [...] auch automatisch ausführen [zu] können.« Eine erzieherische Bedeutung besäßen die hierzu notwendigen Übungen nicht.1054 Als Ausbildungsmittel war der Drill zwar unentbehrlich, es war jedoch auch hier das Ziel verfolgt worden, durch die Ebd. Ebd., S. 91 f. 1050 Ebd., S. 94. 1051 Siehe Schreiben Weniger an Karst, 25.7.1955, BArch, N 488/8, S. 1. 1052 Schreiben Bohnenkamp an Wangenheim, 14.5.1956, BArch, N 488/8, S. 1‑3, hier S. 1 f. Hervorhebung im Original. 1053 Entwurf der »Leitsätze für die soldatische Erziehung« in der Fassung vom 18. Mai 1954, BArch, BW 9/2867, Bl. 4. 1054 Handbuch Innere Führung, S. 94. 1048 1049
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Deklaration des Drills als Übung die negativen Erinnerungen an falsch verstandenen Drill auszulöschen und den in traditionellem Denken verhafteten Vorgesetzten den Boden für dessen Anwendung als Erziehungsmittel zu entziehen. Im gleichen Kontext stand auch der neu hinzugetretene Anspruch an den Vorgesetzten, die Gefahr in Betracht zu ziehen, »die aus der Machtbefugnis seiner Stellung erwächst.«1055 Gleichfalls eingearbeitet worden war ein aus Bohnenkamps Entwurf von 1954 stammender Leitsatz, der die Tapferkeit zur auszeichnenden Tugend des Soldaten erhob: »In ihr vereint sich natürlicher Mut, der durch Erfahrung verlässlich wird, mit wachem Geist und wachem Gewissen.«1056 War das eine bewusste Anspielung darauf, dass der Soldat nach reiflicher Überlegung als Staatsbürger in Uniform auch zum Widerstand aus Gewissensgründen berechtigt ist? Auf jeden Fall bestand darin eine Bindung an das überpositive Recht, das Naturrecht, auf das sich die Idee der Menschenrechte stützt.1057 Weiterhin hatte Bohnenkamp zu bedenken gegeben, dass nicht nur die Offiziere, unterstützt von Unteroffizieren und bewährten Mannschaften, erziehen, »sondern jeder erzieht jeden, vor allem ist jeder am Geist der Gemeinschaft, der höchsten erzieherischen Potenz, mitbildend beteiligt.« Da sein Vorschlag in einem weiteren Entwurf des Referates vom 20. Juli 1955 zunächst keine Berücksichtigung gefunden hatte, sah sich der Pädagoge wohl im Sinne der Erziehungsgemeinschaft seiner Kollegen Flitner und Weniger genötigt, ausdrücklich auf die Unentbehrlichkeit dieser Tatsache hinzuweisen.1058 Kämpfen musste er auch für die Anregung, dass alle »Anforderungen den Soldaten nach Möglichkeit von vornherein begreiflich gemacht werden sollen«, da »Mitdenken und einsichtiger Gehorsam [anders] nicht zu erzielen« seien.1059 Schließlich fand diese an den Vorgesetzten gerichtete Forderung ebenso Einzug in die Vorschrift wie Bohnenkamp mit Hinweis auf die Äußerungen des Deutschen Ausschusses erreichen konnte, dass »die Kennzeichnung der richtigen Strafe, des Lobes, Tadels und Wetteifers« Inhalt der Leitsätze blieb.1060 Nicht durchsetzen konnte er sich hingegen mit seiner Empfehlung, die sittlichen und seelischen Kräfte dem fachlichen Können gleichzusetzen.1061 Der Pädagoge begründete diese dem Primat der Erziehung zuwiderlaufende Gleichrangigkeit von fachlichem Können und Erziehung mit dem sehr geringen Wert eines Soldaten ohne ausreichende fachliche Expertise, deren Anforderungen in der Vergangenheit stetig Ebd., S. 93. Leitsätze Soldatischer Erziehung, Juli 1954, BArch, N 488/8, S. 2; Anlage 7, S. 505; Handbuch Innere Führung, S. 91. 1057 Vgl. hierzu Nägler, Der gewollte Soldat, S. 214. 1058 Siehe Schreiben Bohnenkamp an Karst, 23.7.1955, BArch, N 488/8, Bl. 68. Zum Entwurf des Referates vom 20.7.1955 siehe ebd., S. 1‑7. Bohnenkamps Vorschlag fand schließlich als Leitsatz 14 Einzug in die Vorschrift: »Die erzieherische Wirkung ist nicht nur von den Vorgesetzten abhängig; starke Einflüsse gehen auch von den Kameraden aus und vom Geist der Gemeinschaft, für den jeder an seiner Stelle verantwortlich ist.« Handbuch Innere Führung, S. 92. 1059 Schreiben Bohnenkamp an Wangenheim, 23.7.1955, BArch, N 488/8, Bl. 68. 1060 Schreiben Bohnenkamp an Wangenheim, 14.5.1956, BArch, N 488/8, Bl. 3, Zitat ebd. 1061 Bohnenkamp orientierte sich hier an der Formulierung der Wehrmachtsvorschrift von 1938: »Neben der körperlichen und militärischen Ausbildung bedingen die seelischen und sittlichen Kräfte des Soldaten seinen Wert im Kriege.« H.Dv. 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, 1.10.1938, Heft 1, S. 6. 1055 1056
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gestiegen seien1062: »Der erste Satz ist schwächlich, genau genommen, falsch. Ohne fachliches Können nämlich ist auch der sittlich und seelisch Kräftigste im modernen Krieg untauglich.«1063 Stattdessen wurde auf Anraten Wenigers, der sich an der Reform des Jugendgerichtsgesetzes orientiert hatte, den seelischen und sittlichen Kräften die geistigen hinzugefügt.1064 Mithin fanden sowohl Charakter als auch der Intellekt des künftigen Soldaten pädagogische Berücksichtigung, Letzterer wohl vor allem im Hinblick auf die besonders von Weniger protegierte und im Soldatengesetz verankerte staatsbürgerliche Bildung.1065 Blieb die Vorrangstellung der Erziehung in diesem Abschnitt erhalten, wurde sie im Hinblick auf die Aufgabenpriorität der Vorgesetzten aufgegeben. 1954 zum »Erzieher, Ausbilder und Führer seiner Soldaten« berufen, wurde diese für eine Realisierung des Staatsbürgers in Uniform elementare Reihenfolge in einem weiteren Referatsentwurf dahingehend aufgeweicht, dass der Vorgesetzte nunmehr »Führer, Ausbilder und damit auch Erzieher seiner Soldaten«1066 sei. Konträr zur Überzeugung Bohnenkamps, der ein Primat der Erziehung gegenüber der Ausbildung ablehnte und in seiner Stellungnahme auf diese signifikanteste Modifikation nicht reagierte, bezeichnete Weniger diesen Rückschritt als »direkt falsch.« Für ihn stellte gerade die »Verselbstständigung des erzieherischen Auftrages neben Führung und Ausbildung« das entscheidende Kriterium »unserer ganzen Arbeit« dar, denn es genüge nicht, »nur Führer und Ausbilder zu sein.«1067 Weniger hatte die drohende Gefahr erkannt, dass sich die zukünftigen Vorgesetzten auf ihre Tätigkeit als Führer und Ausbilder beschränken und sich der vorrangigen Erziehungsaufgabe als Kernstück der oftmals ungeliebten und unverstandenen Inneren Führung entledigen könnten. Erfolg war ihm jedoch nicht beschieden, denn die Vorschrift definierte den Vorgesetzten schließlich als »Führer, Ausbilder und Erzieher.« Diese Variante trat hinter das pädagogische Verständnis der Reichswehr- und Wehrmachtvorschriften zurück, die den Offizier zum »Erzieher und Führer des Mannes«1068 und zum »Erzieher, Ausbilder und Führer seiner Truppe«1069 bestimmt hatten. Legt man Baudissins öffentlich bekundete Absicht zugrunde, den Soldaten primär zu einem in die Gesellschaft integrierten Staatsbürger in Uniform erziehen zu wollen, der als politisch aktiver und mündiger Soldat die »gesetzliche Pflicht des Wehrdienstes als Teil seiner politischen Verantwortung freiwillig übernimmt«1070, war mit dieser Modifikation die Chance vertan worden, den Kommandeuren und Schreiben Bohnenkamp an Wangenheim, 14.5.1956, BArch, N 488/8, Bl. 1. Schreiben Bohnenkamp an Wangenheim, 23.7.1955, BArch, N 488/8, Bl. 68. 1064 Siehe Schreiben Weniger an Karst, 25.7.1955, BArch, N 488/8, S. 3 und Jugendgerichtsgesetz vom 4. August 1953, §§ 3, 43, Abs. 1; 54 Abs. 1; 105, Abs. 1, Satz 1. In: Wehrstrafrecht, S. 201, 212, 215, 232. 1065 Siehe § 33 Soldatengesetz, BGBl. 1956, T. I, S. 119. 1066 Leitsätze für die soldatische Erziehung, 20.7.1955, BArch, N 488/8, S. 3. Hervorhebung durch den Verfasser. 1067 Schreiben Weniger an Karst, 25.7.1955, BArch, N 488/8, S. 2. 1068 HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 26.10.1922, S. 11. 1069 HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 8. 1070 Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 217. 1062 1063
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Einheitsführern ihre im Zentrum der Inneren Führung stehende Erziehungsaufgabe unmissverständlich zu verdeutlichen. Mithin hatten die Kritiker, die eine Priori sierung der Erziehung abgelehnt und eine daraus abgeleitete Überforderung der Vor gesetzten befürchtet hatten, Boden gewonnen. Infolge der Positionierung der Erziehungsaufgabe an das Ende der von den Kommandeuren und Einheitsführern geforderten Befähigungen schien die bisherige Arbeit gefährdet. Denn obwohl die sittlichen, seelischen und geistigen Kräfte zu Beginn der Vorschrift für den Wert des Soldaten als vordringlicher erachtet wurden, drohte die Gefahr, dass sich ein pädagogisch überforderter Vorgesetzter anhand einer diese Voraussetzung nicht widerspiegelnden Reihenfolge seiner Aufgaben auf seine militärfachliche Kompetenz als Führer und Ausbilder beschränken könnte. Diesen Widerspruch wies auch die Ausbildungsvorschrift von 1938 auf. Als »Schule der Nation« präferierte die Wehrmacht den Offizier als Erzieher, sprach aber den sittlichen, seelischen und fachlichen Kräften eine Gleichrangigkeit zu, während die Vorschrift der Bundeswehr entgegengesetzt argumentierte. Der Bekundung, dass man sich bewusst von der Wehrmachtvorschrift abheben wollte, stehen hingegen die zahlreichen, bereits von Wirmer kritisierten Kongruenzen gegenüber.1071 Bereits die vierteilige Gliederung und deren Überschriften deuten eine Anlehnung an die Ausbildungsvorschrift für die Infanterie von 1938 an.1072 Ein Gleichklang ist auch bei zahlreichen Formulierungen zu erkennen. Beide Vorschriften wollen »Pflichtbewusstsein«, »Willenskraft«, »Pünktlichkeit« und »Manneszucht« des Soldaten fördern. Auf die von Bohnenkamp geforderte Verwendung des Disziplin begriffes wurde 1957 ebenso verzichtet1073 wie auf die Bezeichnungen »Vorgesetzte« und »Untergebene«. Wie ehedem wurden »gegenseitiges Vertrauen zwischen Führer dernis im und Geführten«1074 und »[e]ntschlossenes Handeln« als »erste Erfor Kriege«1075 beschworen. Buchstabengetreu übernommen, ließe »sich die volle Leis tungsfähigkeit der Truppe [nur dann] in übereinstimmendem Handeln zur Geltung bringen«, wenn »[v]om jüngsten Soldaten aufwärts [...] überall selbsttägiges Ein setzen der ganzen geistigen und körperlichen Kraft gefordert«1076 werde. Die Feststellung, dass die Truppe in allen Lagen durch das Band der Kameradschaft zusammengeschlossen werde, implizierte die an den Stärkeren gerichtete Forderung, dem Schwächeren helfend zur Seite zu stehen.1077 Von »Unteroffizieren und bewährten Zu dem nachfolgenden Vergleich vgl. auch Nägler, Der gewollte Soldat, S. 212‑217. Sinn der Erziehung (Einleitung) – Ziele der Erziehung – Der Vorgesetzte als Erzieher (Träger der Erziehung) – Wege der Erziehung (Mittel der Erziehung), Siehe Handbuch Innere Führung, S. 91‑93; HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 5 f., 8; Anhänge 2, S. 470, 472; 8, S. 510, 512 f. 1073 Schreiben Bohnenkamp an Wangenheim, 23.7.1955, BArch, N 488/8, Bl. 68. 1074 Handbuch Innere Führung, S. 91; HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 6; Anhänge 2, S. 470; 8, S. 511. 1075 HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 7; Anhänge 2, S. 470; 8, S. 512. 1076 Handbuch Innere Führung, S. 91 f.; HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 7; Anhänge 2, S. 471; 8, S. 511. 1077 Siehe Handbuch Innere Führung, S. 92; HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 6; Anhänge 2, S. 470; 8, S. 512. 1071 1072
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Mannschaften«1078 unterstützt, sollte der Vorgesetzten hier wie dort »Gerechtigkeit« üben und den »Weg zum Herzen seiner Untergebenen finden.« Dazu müsse er »mit seiner Mannschaft leben, mit ihr Gefahren und Entbehrungen, Freud und Leid teilen.«1079 Seine Verantwortungsfreude bleibe die höchste Führereigenschaft, Selbstständigkeit dürfe aber »nicht zur Willkür werden, Besserwissen den Gehorsam nicht gefährden.«1080 Wenn nicht gleichlautend, so doch inhaltlich kongruent wurde die 1938 eingeforderte »Härte« nunmehr in die Wendung gekleidet, dass der »Soldat [...] widerstandsfähig und spannkräftig, entbehrungsbereit und hart gegen sich selbst sein«1081 müsse. Statt der ehemals abverlangten »Bescheidenheit« habe der Soldat »bescheidendes Zurückstehen seiner Person hinter der Sache«1082 zu üben. Andererseits machte bereits die Einleitung die fundamentalen Unterschiede zwischen den Leitsätzen der Bundeswehr und denen der Wehrmacht deutlich. Der allein dem Kollektiv dienende »bedingungslos[e] Einsatz für das Lebensrecht und den Lebensraum der Nation bis zum Opfer des eigenen Lebens« stand dem Schutz von Frieden und Freiheit des deutschen Volkes gegenüber. Gemeinsam »mit den Soldaten der freien Welt« sollten die Soldaten der Bundeswehr nunmehr »die auf dem Recht begründeten Lebensordnungen« Europas schützen. Richtschnur für die Erziehung bildeten nicht mehr die Erfordernisse, die der Krieg stellt, sondern »rechtliches Denken und Achtung vor der Würde des Menschen«, die durch richtige Erziehung geweckt und gewahrt würden.1083 Nunmehr »Staatsbürger«, war der Soldat der »Wahrung der persönlichen Würde«, der »Wahrhaftigkeit« und zur »menschlichen Haltung« verpflichtet. Ergänzt durch den Appell an das Gewissen, »konnten die Forderungen wie ›Entschlossenheit zur Verteidigung, Gehorsam [...], Tapferkeit und Ritterlichkeit, vereint [...] mit [...] wachem Gewissen‹« für Nägler »auch als konsequente, nämlich die Bindung an das überpositive Recht an die erste Stelle rückende Modifikation vormaliger Schlüsseleigenschaften [...] begriffen werden.« Die vormaligen Schlüsseleigenschaften sieht Nägler mit dem »›unbedingten Gehosam auch in schwierigen Verhältnissen‹ oder dem ›kühnen Angriffsgeist des deutschen Soldaten‹ umrissen.«1084 Immer noch den tradierten Vorgaben »Entschlossenheit zur Verteidigung, Ge horsam [...] Pflichtbewusstsein, Tapferkeit und Ritterlichkeit«1085 verpflichtet, war Handbuch Innere Führung, S. 92; HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 8; Anhänge 2, S. 472; 8, S. 512. 1079 Handbuch Innere Führung, S. 93; HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 7; Anhänge 2, S. 471; 8, S. 513. 1080 Handbuch Innere Führung, S. 92; HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 8; Anhänge 2, S. 472; 8, S. 512. 1081 Handbuch Innere Führung; HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 9; Anhänge 2, S. 472; 8, S. 511. 1082 Handbuch Innere Führung, S. 92; HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, 1.10.1938, Heft 1, S. 6; Anhänge 2, S. 470; 8, S. 512. 1083 Gleichwohl wurde in diesem Zusammenhang »der Ehrfurcht vor Leistungen und Leiden der Vergangenheit und [...] der Liebe zu Heimat und Vaterland« als Wurzel der Erziehung gedacht. Siehe Handbuch Innere Führung, S. 91, Zitat ebd. 1084 Nägler, Der gewollte Soldat, S. 214. 1085 Handbuch Innere Führung, S. 91. 1078
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der bedingungslose Einsatz des Kämpfers, der unbedingt gehorchend den Feind mit kühnem Kampf- und Angriffsgeist niederringen sollte, um den Sieg zu erkämpfen, obsolet geworden. Gefolgschaft sollte weder erzwungen noch die Gemeinschaft nach dem Willen des Vorgesetzten geformt werden. Unerbittliche Härte des Vorgesetzten war ebenso unerwünscht wie die pathetische Forderung seines Vorsterbens als Vor bild seiner Untergebenen.1086 Stattdessen wurde das neue Bild eines beispielgebenden, gebildeten Vorgesetzten kreiert, der sich seiner eigenen Grenzen bewusst sei und mehr von sich als von seinen Untergebenen verlange. Ihnen gegenüber zeige er sich gerecht und begegne ihnen mit Achtung und Fürsorge. Der Drill als Erziehungs mittel hatte ausgedient und auch der Sport sollte fortan weder der »Entwicklung der kämpferischen Persönlichkeit« noch des »Kampfgeist[es]« dienen. Statt das »Männliche und Starke« im Soldaten zu erziehen, bestimmten Einordnung und Fairness, Selbstüberwindung und spielerischer Wettkampf die Erziehung im Sport, der entspannend den »Ernst des Dienstes« auflockern sollte.1087 Anleiten, fördern und ermutigen waren die vorrangigen Erziehungsmittel der »Leitsätze«, die auch im Falle von Erziehungsschwierigkeiten eine selbstkritische Berücksichtigung der »Möglichkeit eigenen Fehlverhaltens« des Vorgesetzten anmahnten.1088 Generell vom »guten Willen und der Leistungsfreude des Soldaten«1089 ausgehend, sollten Selbstvertrauen und Selbstständigkeit durch den Vorgesetzten gefördert sowie »immer wieder der Weg über die Einsicht des Untergebenen gesucht werden.«1090 Dies galt auch für die weiterhin unentbehrliche Disziplin, die ihre Anerkennung idealerweise in der Selbstzucht des Soldaten findet.1091 Hatten in der Wehrmachtvorschrift ausschließlich die Erfordernisse des Krieges und »die Lebensweise und Umwelt des Soldaten« die Grundlage der Erziehungsarbeit gebildet1092, war an deren Stelle »die gleichgewichtige Einbeziehung der zivilen Seite getreten: Nicht nur galt es, neben der ›soldatischen Überlieferung‹ auch ›Erkenntnisse der allgemeinen Erziehungslehre‹ zu berücksichtigen, sondern gefordert wurde auch ›[w]o immer angängig [...] an Werte, Erlebnisse und Erfahrungen anzuknüpfen, die der einzelne Soldat aus Elternhaus, Schule und Beruf‹ mitbringe.«1093 Um das vom Vorgesetzten zu fördernde Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl der Soldaten zu heben, wurde nicht nur für die praktische Ausbildung eine Übertragung selbstständig zu lösender Aufgaben reklamiert. Selbiges sollte auch für den theoretischen Unterricht gelten, denn Lehrgespräch, Diskussion, Selbst- und Gruppenarbeit Siehe HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 6‑9; Anhang, 2, S. 470‑473. Stellen sich die Mittel der Erziehung in den »Leitsätzen« als vielseitig dar, bezeichnete die Wehrmachtsvorschrift das Vorbild des Erziehers als das wichtigste Erziehungsmittel. Siehe Handbuch Innere Führung, S. 94; HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 9. 1087 Siehe Handbuch Innere Führung, S. 94; HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 9; Anhang, 2, S. 473. 1088 Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 216. 1089 Siehe Handbuch Innere Führung, S. 93. 1090 Nägler, Der gewollte Soldat, S. 216. 1091 Siehe Handbuch Innere Führung, S. 94. 1092 Siehe HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, 1.10.1938, S. 8 f. 1093 Nägler, Der gewollte Soldat, S. 216. Auch Lob und Tadel sollten gleichberechtigt nebeneinander stehen und gerecht verteilt werden. Siehe Handbuch Innere Führung, S. 95. 1086
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seien die angemessenen Unterrichtsmethoden für einen Staatsbürger in Uniform1094: »Gerade die aufgelockerte Methode der ›Gruppenselbstarbeit‹[,] in deren Verlauf der Ausbilder ›führungsmäßig in den Hintergrund‹ trete, bot [...] Raum für die ›weitgehende Miterarbeitung des Stoffes‹ und damit dem Einzelnen Gelegenheit zu eigener Bestätigung.«1095 Vom Formaldienstcharakter des Frontalunterrichtes in der Wehrmacht hob sich die hier angemahnte Methodik deutlich ab.1096 Bildeten ehedem »Härte und Gerechtigkeit die Merkmale soldatischer Erziehungs arbeit«1097, galt nunmehr allein das »Streben nach Gerechtigkeit [als] die Voraussetzung aller erzieherischer Wirkung. Liebe [ist] die Kraft, die auch Unvollkommenes trägt. Gerechtigkeit wächst aus Ehrfurcht, Liebe aus Gottesfurcht.«1098 Abgehoben von der nüchternen Sphäre des Militärischen, bediente diese Mah nung für Nägler ein konservatives Verständnis, das einerseits als politische Oppor tunität, andererseits als inhaltliches Motiv für die von Bohnenkamp, Weniger und Baudissin angestrebte Verbindung der »Leitsätze« mit der Empfehlung des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen interpretiert wird.1099 Die ältere Forschung hält fest, dass es schwer falle, den »heiß umstrittenen ›Leitsätzen der Erziehung‹ gerecht zu werden«, deren verschiedene Textstadien »das Tasten und Suchen nach neuen Wegen« aufzeigten und »Ausdruck einer beträchtlichen Ungewißheit, ja Ratlosigkeit« waren. Trotz wissenschaftlicher Begleitung, aber ohne Praxisbezug im Unverbindlichen bleibend, überdeckten »große Worte manche innere Schwäche.«1100 Der Theorielastigkeit und Überbetonung des Erziehungsgedanken entgegenwirkend, sei nach einigen Jahren Praxis »schlicht und überzeugend« ein Gedanke Heusingers aufgegriffen worden, dass die »›Menschenführung im soldatischen Bereich [...] Erziehung und Ausbildung gleichermaßen in sich‹ einschließe« und das eine vom anderen nicht zu trennen sei.1101 Unbeschadet der sinngemäßen und wortgetreuen Übernahme von Leitsätzen und Formulierungen aus der Wehrmachtvorschrift interpretiert Nägler die Leitsätze nicht anhand ihrer Prakti Die »Erläuterung der Leitsätze« bezogen sich hierbei auf die ZDv 3/1 »Methodik der Ausbildung«. Siehe Handbuch Innere Führung, S. 99‑123, hier S. 113. 1095 Nägler, Der gewollte Soldat, S. 216. Zur Zusammenarbeit mit dem Haus Schwalbach – Ar beitsstätte für Gruppenpädagogik über die Anwendung und Bedeutung der Gruppenarbeit- und Gruppenpädagogik siehe u.a. BArch, BW 9/790-793; Auswertung der Erfahrung über Gruppen erziehung für die Ausbildung der Truppe, BArch, N 493/v. 31. 1096 Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 216. »Anzug und Haltung von Lehrer und Schüler müssen tadellos sein. Im Allgemeinen setzt sich der Lehrer nicht (geht auch nicht umher), während die Abteilung (in der Regel im Sitzen) ausgerichtet aufgestellt wird. Die hinteren Glieder stehen oder sitzen auf Lücke. Größte Aufmerksamkeit der Schüler ist notwendig. Ihre Augen sind auf den Lehrer gerichtet. Hat der Schüler etwas nicht verstanden [...], so hat er sich sofort zu melden. Gemeldet wird durch kurzes Aufrichten des Oberkörpers.« Siehe Der Dienstunterricht im Heere, S. 2. Zit. nach Nägler, Der gewollte Soldat, S. 216 f., Anm. 554. 1097 Siehe HDv 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, 1.10.1938, Heft 1, S. 9; Anhang 2, S. 572. 1098 Handbuch Innere Führung, S. 95. 1099 Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 217. 1100 Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 906. Auch Nägler betont, dass die Leitsätze offensichtlich nicht auf ein das Soldatische überhöhendes Pathos verzichten konnten. Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 217. 1101 Meyer, Zur inneren Entwicklung, S. 906. 1094
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kabilität, sondern ihre Stellung im Gesamtkonzept dahingehend, dass nunmehr »Recht und Würde des Einzelnen als Ausgangspunkt der Erziehung des Soldaten mit spürbarer Konsequenz« festgeschrieben worden waren. Der Soldat als Staatsbürger bedeutete »eine Festlegung zugunsten der freiheitlichen Vermittlung zwischen dem Bürger der Bundesrepublik und dem harten Kämpfer der Wehrmacht, was durch die beschriebenen Erziehungswege noch unterstrichen wurde.«1102 Zur praktischen Handhabung wurden die »Leitsätze« im Handbuch Innere Führung unter dem Stichwort »Verantwortung weitergeben« erläutert. Gerichtet an die erziehungsverantwortlichen Offiziere, informierte das Handbuch sie über die Entstehung der »Leitsätze« und manifestierte den Erziehungsanspruch der Streitkräfte. Einer umfangreichen Situationsanalyse der Jugend und ihres Umfeldes schloss sich eine Darstellung des Menschenbildes an, die besonders auf die Mitverantwortung jedes Einzelnen abhob, bevor die Leitsätze zum besseren Verständnis im Einzelnen erläutert wurden.1103 Sofern sie bereit waren, sich dieser vornehmsten Aufgabe zu stellen, war den Offizieren damit eine umfassende Grundlage für ihre Erziehungsarbeit an die Hand gegeben worden. Voraussetzung für das erzieherische Wirken war jedoch die geforderte Kenntnis und Anwendung der Vorschrift. Welchen unbedeutenden Stellenwert die »Leitsätze« einnehmen konnten, zeigt ein Erfahrungsbericht eines Einheitsführerlehrgangs an der Schule der Bundeswehr für Innere Führung. Nach der wiederholten Feststellung, dass die Belastung der Einheitsführer nach wie vor zu hoch sei, da ihre Einheiten über zu wenige Ausbilder, insbesondere Offiziere, verfügten, stellte der Bericht fest, dass die »Leitsätze« zwar dem Namen nach bekannt waren, aber nur einer der Lehrgangsteilnehmer bei seiner eigenen Unteroffi zierausbildung damit gearbeitet hatte. Als Motiv für diese Missachtung wurde aber nicht Überlastung infolge der Aufstellung, unzureichende Kenntnis und Ausbildung, Ignoranz oder mangelnde Dienstaufsicht identifiziert, sondern – wenn auch mit Einschränkung – die »wenig ansprechend[e] Aufmachung dieser so entscheidenden Vorschrift. Während die taktischen und Ausbildungs-Vorschriften, angefangen von der TF [HDv 100/100 Truppenführung] bis zur Gefechtsausbildung aller Truppen und den in wunderbaren Einbänden steckenden Ausbildungsvorschriften für All gemeine Grundausbildung des Heeres und Allgemeine Ausbildung der Luftwaffe angenehm zu lesen und zu handhaben sind, wurde die ZDv 11/1 von dem damaligen Vorschriftenreferat im BMVtdg [Bundesministerium für Verteidigung] an eine Druckerei im Notstandsgebiet vergeben, die dazu ungenau arbeitete und mehrfach berichtigt werden musste. Bei Neuauflage sollte das Erscheinungsbild der Vorschrift verbessert werden.«1104 Nägler, Der gewollte Soldat, S. 217. Hervorhebungen im Original. Siehe Handbuch Innere Führung, S. 97‑123. 1104 Siehe Lehrgruppe I, an Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung, 25.3.1964, Erfahrungsbericht, Lehrgang für Einheitsführer vom 25.2.‑21.3.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 1 f., Zitat S. 2. Hervorhebung im Original. Als Notstandsgebiete wurden die wirtschaftlich schwachen Regionen bezeichnet (z.B. Zonenrandgebiet an der innerdeutschen Grenze). Vgl. hierzu die entsprechenden Sitzungen in den Kabinettsprotokollen. Dem Verfasser lag auch eine solche fehlerhafte Vorschriftenfassung vom Februar 1957 vor. Der Standort der Druckerei ist nicht vermerkt. Bei der Vorschrift handelt es sich um ein DIN A 5 großes, 35 Seiten umfassendes Exemplar 1102 1103
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Ob Form und Fehlerhaftigkeit wirklich ausschlaggebend für die beschriebene Missachtung der Vorschrift waren oder ob es sich lediglich um Ausreden derer handelte, die diesen pädagogischen Neuansatz ablehnten, kann hier nur vermutet, aber nicht abschließend beantwortet werden.
7. Erziehen – Nicht strafen! Allen Beteiligten war aufgrund ihrer Erfahrung klar, dass es Soldaten geben könnte, die sich nicht willens oder befähigt zeigten, den erzieherischen Bemühungen und den an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Dabei konnten die Vergehen von Nachlässigkeiten im Dienst über geringe Verstöße bis hin zu Straftaten und der vorsätzlichen oder anlagebedingten Verweigerung reichen. Mithin musste darüber befunden werden, wie auf Soldaten, die sich nicht in den militärischen Alltag einfinden konnten oder wollten, zu reagieren sei. In diesen Fällen sollten aber alle Sanktionen vom erzieherischen Willen geleitet werden und nicht den Strafcharakter in den Vordergrund stellen.1105 Obgleich den Vorgesetzen der Erlass »Erzieherische Maßnahmen«, die Diszi plina rordnung und für den Fall begangener Wehrstraftaten ein Wehrstrafgesetz buch als abgestufte Sanktionsmittel zur Verfügung standen, setzten von juristischer und militärischer Seite bereits frühzeitige Bemühungen um deren Verschärfung ein. Moderaten und nachvollziehbaren Forderungen nach Ausweitung der Erziehungs mittel und -befugnisse im Erlass »Erzieherische Maßnahmen« standen sowohl die Forderungen nach einer Zuspitzung der Arreststrafe bei karger Kost und Holz pritsche als auch die Wiedereinführung besonderer Einheiten für die Erziehung ver haltensauffälliger Soldaten gegenüber. In seinem Bemühen, den Erziehungsund nicht den Strafcharakter eines Sanktionsmittels hervorzuheben, erteilte das Verteidigungsministerium, insbesondere der vom Referat zur Unterabteilung erhobene Arbeitsbereich »Innere Führung«, diesen Ansinnen mit wenigen Ausnahmen eine Absage. Obwohl die Aufstellung von besonderen Einheiten unter Zuhilfenahme sozialpädagogischer Expertisen zunächst nicht kategorisch abgelehnt worden war, sollte sich der Vorgesetzte schließlich anhand einer Erziehungsschrift für den Umgang mit schwierigen Soldaten1106 seiner Verantwortung selbst stellen. Übertroffen wurden die in der Truppe artikulierten Anliegen zur Erziehung und Disziplinierung der Soldaten nur von dem 1962/63 einsetzenden Streben der Juristen des Bundesjustizministeriums nach Wiederbelebung der Militärgerichtsbarkeit im Verteidigungsfall, um »die Disziplin zu stärken«1107 und den Verteidigungswillen der Soldaten »auch in außergewöhnlichen Lagen zu erhalten oder wenigstens wieder in Rückstichheftung mit den »Leitsätzen«, den »Empfehlungen des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr« und dem »Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen zur politischen Bildung und Erziehung«. 1105 Siehe Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, 28.11.1958, BArch, BW 1/187240, S. 1, 5. 1106 Siehe Schwierige junge Soldaten. 1107 Der Spiegel, 22.8.1983, S. 77.
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zu festigen.«1108 Infolgedessen war unter vorsätzlichem Ausschluss der gesetzgebenden Gewalt eine von Kritikern als grundgesetzwidrig charakterisierte und von ihren Proponenten angeblich den Notwendigkeiten des Kriegs entsprechende angesehene Rechtsgrundlage zum Nachteil der Soldaten geschaffen worden, die anhand von Referentenentwürfen auf Informationstagungen des Justizministeriums von zukünftigen Wehrstrafrichtern bis 1984 eingeübt wurde.
a) Der Erlass »Erzieherische Maßnahmen« (1958/1965) Ihre praktische Ergänzung fanden die in den Leitsätzen definierten »Wege der Er ziehung« in dem Erlass »Erzieherische Maßnahmen« vom November 1958.1109 Als Handlungsanweisung im vordisziplinaren Raum angesiedelt, stellten die im Erlass aufgeführten negativen Sanktionen keine Disziplinarstrafen dar. Stattdessen standen die Aufrechterhaltung der Disziplin und die Förderung des Soldaten durch Erziehung und Ausbildung im Vordergrund ihrer Anwendung. Sie beschränkten sich auf »Nachlässigkeiten oder kleinere Verstöße im täglichen Dienst [...], bei denen eine Ahndung durch Disziplinarstrafen weder geboten noch zweckmäßig« erschien. Gleichermaßen konnten erzieherische Maßnahmen auch dann Verwendung finden, »wenn der Ausbildungsmangel oder das Versagen nicht auf Nachlässigkeit oder mangelnden Willen, sondern auf körperlicher oder geistiger Veranlagung des Soldaten« beruhte.1110 Differenziert in die »Allgemeinen Erzieherischen Maßnahmen« und die »Besonderen Erzieherischen Maßnahmen«, waren ihrer Anwendung enge personelle und inhaltliche Grenzen gesetzt. Belehrung, Ermahnung, Zurechtweisung und Warnung standen als »Allgemeine Erzieherische Maßnahmen« allen Vorgesetzten gemäß Vorgesetztenverordnung offen. Hatte der Vorgesetzte diese Maßnahmen bereits ausgeschöpft oder war zu dem Urteil gelangt, dass sie im konkreten Fall keine erzieherische Wirkung erzielen würden, verblieb lediglich die Meldung an den nächsten oder einen höheren Vorgesetzten.1111 Weitergehende Sanktionen blieben dem Disziplinarvorgesetzten mit den »Besonderen Erzieherischen Maßnahmen« vorbehalten. Sie erlaubten es ihm, zusätzlichen Ausbildungs-, Arbeits- und Reinigungsdienst anstelle eines anderen Dienstes oder nach Dienstschluss anzusetzen. Als weitere Maßnahmen standen ihm die Einteilung zu einem zusätzlichen Wachdienst, das Versagen des Nacht- oder Wochenendurlaubes sowie die Ablösung als Kraftfahrer oder von der fliegerischen Ausbildung zur Verfügung. Diese Maßnahmen konnte der Disziplinarvorgesetzte auch gegen eine Gesamtheit von Soldaten aussprechen, »wenn es sich um die Erziehung zur ordentlichen Ausübung eines Dienstes handelt,
Der Spiegel, 26.10.1987, S. 126. Siehe Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, 28.11.1958, BArch, BW 1/187240, S. 1‑5. 1110 Ebd., S. 1. 1111 Siehe ebd., S. 1 f. Zur Verordnung über die Regelung des militärischen Vorgesetztenverhältnisses vom 4. Juni siehe 1956. In: BGBl. 1956, T. I, S. 459. 1108 1109
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der nur durch das Zusammenwirken aller Angehörigen einer Gesamtheit ausgeführt werden kann.«1112 Um jeglichen Missbrauch bei ihrer Anwendung zu verhindern, durften erzieherische Maßnahmen nur unter der Voraussetzung angewandt werden, dass sie keinen Strafcharakter besaßen, die Menschenwürde des Soldaten nicht verletzten, einem dienstlichen Zweck dienten und dienstlich notwendig waren, ein Zusammenhang zwischen dem festgestellten Mangel und der verhängten Maßnahme bestand und die Verhältnismäßigkeit gewahrt blieb.1113 Die im preußischen Heer und der Wehrmacht praktizierte und in der Literatur überlieferte Gepflogenheit der Gehorsams- und Ermunterungsübungen »zur Beseitigung von Mängeln, die in unaufmerksamer, lascher oder widerwilliger Dienstausübung bestehen«, verbot der Abschnitt VI des Erlasses zum Schutz der Soldaten vor Schikane und der Vorgesetzten vor Dienst pflichtverletzungen ausdrücklich1114, ein Sachverhalt, der im Weiteren vorrangig juristischen Widerspruch erfahren sollte. Dem Drill als Erziehungsmittel erteilte der Erlass eine gleichermaßen eindeutige Absage wie die »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten.« Erzieherische Maßnahmen waren zudem von Gewöhnungsübungen, dem so genannten Waffen- und Gefechts drill, strikt zu trennen. Diese Ausbildungsmethode sollte allein »dem wiederholten Üben einer Tätigkeit bis zur automatischen Beherrschung« dienen. Eine erzieherische Wirkung wurde ihr nur in dem Maße zuerkannt, wie sie bei jeder Ausbildung eintritt.1115 Befehle über »Dienstverrichtungen außer der Reihe« mussten aufgehoben, der Begriff aus dem militärischen Sprachgebrauch entfernt werden. Für die Anwendung erzieherischer Maßnahmen wurde vom Vorgesetzten ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein vorausgesetzt. Praktische Übungen sollten ihn im maßvollen und zweckmäßigen Umgang mit diesem ausdrücklich als Erziehungs- und nicht als Strafmittel zu verstehenden Instrument der Menschen führung schulen. Als »Hilfe, die fördern soll und nicht entmutigen darf«, stellten die »Erzieherischen Maßnahmen« jedoch keinen Ersatz für Disziplinarstrafen dar. Bei einem Dienstvergehen, »das nach Art und Schwere und in Ansehen der Person des Beschuldigten das erzieherische Mittel der Bestrafung erfordert, [...] dürfen die Vor gesetzten nicht in andere erzieherische Maßnahmen ausweichen.«1116 Mit der Neufassung vom 3. März 1965 wurde der Erlass dahingehend erweitert, dass der Vorgesetzte eine erzieherische Maßnahme auch vor, gleichzeitig mit und Zum Beispiel eine Geschütz- oder Panzerbesatzung. Siehe Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, 28.11.1958, BArch, BW 1/187240, S. 2 f. 1113 Siehe ebd., S. 3 f. 1114 Demnach war es unzulässig, einen im Unterricht unaufmerksamen Soldaten vortreten und zwei Kniebeugen machen zu lassen oder »während der Ausbildung am Geschütz einen Soldaten, der einen Befehl lasch oder widerwillig ausführt, dreimal hintereinander hinlegen und einmal um die Batterie laufen« zu lassen. Gleichfalls war es einem Vorgesetzten untersagt, »seine Gruppe, die während des Formaldienstes Bewegungen schlecht ausführt oder auf dem Marsch schlecht singt, 15 Minuten teils laufen, hinlegen oder kriechen« zu lassen. Es war jedoch zulässig, den Soldaten vortreten und an der Tafel etwas zeigen zu lassen, die richtige Ausführung der Tätigkeit zu befehlen oder einen zusätzlichen Ausbildungsdienst durch den Kompaniechef anzusetzen. Ebd., S. 4. 1115 Siehe ebd., Zitat ebd. 1116 Siehe ebd., S. 5. 1112
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nach Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gemäß der Wehrdisziplinarordnung (WDO) aussprechen konnte.1117 Erforderlich wurde diese Erweiterung durch ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH), der »eine Auslegung im Sinne eines Entweder – Oder von Erziehungsmaßnahmen und Disziplinarstrafen« 1960 verworfen hatte. Mit dieser Entscheidung hatte der Gerichtshof kein neues Recht, sondern Rechts- und Anwendungssicherheit geschaffen, indem er darauf hinwies, dass eine gemeinsame Anwendung einer erzieherischen Maßnahme und die Verhängung einer Disziplinarstrafe gemäß des Erlassess »Erzieherische Maßnahmen« bereits geltendes Recht widerspiegle.1118 Andererseits befanden die Richter die mit Abschnitt VI des Erlasses verbotenen Gehorsams- und Ermunterungsübungen für zulässig, soweit sie im Einklang mit Dienstvorschriften und rechtmäßigen Befehlen oder im Rahmen des Siehe Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, 20.2.1965. In: »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« und Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, S. 10. 1118 Siehe Urteil BGH in der Strafsache gegen den Hauptmann [...] vom 3.5.1960, BArch, BW 2/3943, S. 1‑18. Das Urteil beendete ein Revisionsverfahren wegen Untergebenenmisshandlung. In der Urteilsbegründung wurde auch auf § 21 WDO (Prüfungspflicht des Disziplinarvorgesetzten) und den Erlass »Erzieherische Maßnahmen« Bezug genommen. Der Auffassung des erstinstanzlichen Landgerichtes, »dass bei Verstößen gegen die militärische Disziplin ausschließlich disziplinäre Bestrafung zulässig sei«, folgte der BGH nicht, da § 21 WDO diese Rechtsauffassung widerlege. Dem Disziplinarvorgesetzten sei »ausdrücklich gestattet, es bei zulässigen Erziehungsmaßnahmen bewenden zu lassen, wenn er von einer Bestrafung absehen will, und [...] damit die Erlaubtheit von erzieherischen Maßnahme allgemein [vorausgesetzt]. Dabei macht es keinen Unterschied, ob ein schweres oder leichteres Disziplinarvergehen gegeben ist, ob es neben der Anwendung einer Erziehungsmaßnahme zu einer Disziplinarstrafe kommt oder ob mit Rücksicht auf eine ausreichende Erziehungsmaßnahme bei (leichten) Disziplinarvergehen von Strafe abgesehen wird.« Der Rechtsauffassung, dass die Anwendung einer »Erzieherischen Maßnahme« zugleich das Ab sehen von einer Bestrafung zur Folge haben müsse, schloss sich der BGH nicht an. Demgemäß wäre auch bei schweren Dienstvergehen die alleinige Anwendung von »Erziehungsmaßnahmen überhaupt zulässig.« Dieser Ansicht scheine der Erlass »Erzieherische Maßnahmen« zu folgen, »wenn es sich um Nachlässigkeiten oder kleinere Verstöße im täglichen Dienst handelt, bei denen eine Ahndung durch Disziplinarstrafen weder geboten noch zweckmäßig erscheint.« Diese Rechtsauslegung eines Entweder – Oder wurde vom BGH verneint. Siehe ebd., S. 5 f., Zitate S. 5. Nach Auffassung der Richter folge auch der Erlass dieser absoluten Auslegung nicht. Da der untere Vorgesetzte der Strafgewalt des Disziplinarvorgesetzten mit der Anwendung einer ihm zustehenden Erziehungsmaßnahme niemals vorgreifen könne, bleibe es dem Disziplinarvorgesetzten vorbehalten, darüber hinaus eine Disziplinarstrafe zu verhängen. Siehe ebd., S. 7. Als weitere Begründung führte der BGH die sofortige Wirkung von erzieherischen Maßnahmen sowohl bei dem Betroffenen als auch für die militärische Disziplin an, während eine Bestrafung nach WDO erst frühestens am kommenden Tage wirksam werden kann. Des Weiteren könne der Disziplinarvorgesetzte bei Einsicht des Soldaten in die erzieherische Maßnahme auch bei weniger leichten Dienstverstößen auf eine Ahndung nach der WDO verzichten, bei mangelnder Einsicht auch bei leichteren Verstößen eine Disziplinarstrafe verhängen. Siehe ebd., S. 9. Siehe hierzu auch Schreiben VR II 6 [Meyer] an Fü B I 4 [Wangenheim], 30.6.1960, BArch, N 493/v. 15; Stellungnahme Wangenheim, Urteil des Bundesgerichtshofes vom 3. Mai 1960, S. 1‑4, 29.8.1960, BArch, N 493/v. 15, S. 1‑4. Siehe auch Wehrdisziplinarordnung, S. 17 f.: »§ 21 Prüfungspflicht des Disziplinarvorgesetzten (1) der Disziplinarvorgesetzte prüft, ob der Fall nach § 6 disziplinar erledigt werden kann. Ist die disziplinare Erledigung zulässig, so prüft er weiter, ob er es bei einer Belehrung, Warnung, Zurechtweisung oder einer anderen zulässigen Maßnahme bewenden lassen oder er bestrafen oder die Tat zur disziplinaren Bestrafung weitermelden will. Er hat dabei auch das gesamte dienstliche und außerdienstliche Verhalten zu berücksichtigen. In der Regel soll er erst dann strafen, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind.« 1117
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regulären Dienstbetriebes angeordnet werden.1119 Diese Rechtsauslegung hatte 1958 auch der Rechtsberater beim Befehlshaber im Wehrbereich IV (Mainz), Laabs1120, vertreten, der sich in seiner Argumentation gegen das Verbot der Gehorsams- und Ermunterungsübung auf die Kommentare des Bundesrichters Herbert Arndt zum Wehrstrafgesetz (WStG) stützte.1121 Dieser hatte ausgeführt, dass Gehorsams- und Ermunterungsübungen im »angemessenen Rahmen zulässig [seien], da der Soldat in jeder Lage des militärischen Lebens zu soldatischer Haltung erzogen werden muss. Zur Aufmunterung gegenüber lascher und widerwilliger Dienstausführung oder bei Unaufmerksamkeit im Dienst sind auch Maßnahmen zulässig, die aus dem Rahmen des angesetzten Dienstes herausfallen. Gehorsamsübungen entsprechen ebenfalls militärischen Gepflogenheiten. Der Vorgesetzte, dessen Befehl nicht sofort und widerspruchslos ausgeführt wird, kann Maßnahmen befehlen und durchführen lassen, die mit dem angesetzten Dienst nichts zu tun haben, wenn er dadurch seine Vorgesetzteneigenschaften nachhaltig zum Bewusstsein bringen, seine gefährdete Autorität wiederherstellen und sich energisch durchsetzen will.«1122 In seiner Kommentierung zu den §§ 30 (Misshandlung) und 31 (Entwürdigende Behandlung) des Wehrstrafgesetzes (WStG)1123 hatte Arndt die im rechtsverbindlichen Erlass »Erzieherische Maßnahmen« aufgeführten Beispiele dann auch im Gegensatz zu dem dort ausgesprochenen Verbot ihrer Anwendung als erlaubte Gehorsams- und Bewegungsübungen interpretiert und sie Befehlen gegenübergestellt, die eine Straftat gegen die Pflichten des Vorgesetzten gemäß den §§ 30 und 31 WStG darstellen.1124 Die diametrale Würdigung der identischen Beispiele warf für den Juristen Laabs die Frage auf, ob der Abschnitt VI des Erlasses »Erzieherische Maßnahmen« die Rechtsauffassung Arndts bewusst ablehne und dabei insistiere, dass alle Gehorsamsund Bewegungsübungen nach den genannten Paragraphen strafrechtlich zu verfolgen seien. Nach seiner Ansicht stellten die Beispiele keine strafrechtsrelevanten Ver Siehe Urteil BGH in der Strafsache gegen den Hauptmann [...] vom 3.5.1960, BArch, BW 2/3943, S. 13. In diesem Falle wäre der Tatbestand der Misshandlung nicht gegeben. 1120 Siehe Abschrift Schreiben Laabs an Bundesminister der Verteidigung VR II, 19.12.1958, BArch, N 493/v. 15, S. 1‑4. Person nicht ermittelt. 1121 Siehe Arndt, Grundriss. 1122 Ebd., S. 182. 1123 Siehe Wehrstrafgesetz vom 30.3.1957. In: BGBl. 1957, T. I, S. 298‑305, hier S. 302. Auch Arndt, Wehrstrafgesetz, S. 8; Wehrstrafrecht, S. 66 f.: »§ 30 Misshandlung (1) Wer vorsätzlich einen Untergebenen körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer es vorsätzlich fördert oder pflichtwidrig duldet, dass ein Untergebener die Tat gegen einen anderen Soldaten begeht. (3) In besonders leichten Fällen ist die Strafe Gefängnis oder Stubenarrest nicht unter zwei Wochen, in besonders schweren Fällen Zuchthaus bis zu zehn Jahren. (4) Ist die Körperverletzung eine schwere (§ 224 des Strafgesetzbuches), so ist auf Zuchthaus nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter drei Monaten. § 31 Entwürdigende Behandlung (1) Wer vorsätzlich einen Soldaten entwürdigend behandelt oder ihm böswillig den Dienst erschwert, wird mit Gefängnis oder mit Strafarrest nicht unter zwei Wochen bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer es vorsätzlich fördert oder pflichtwidrig duldet, dass ein Untergebener die Tat gegen einen anderen Soldaten begeht. (3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus bis zu 5 Jahren.« 1124 Siehe Arndt, Grundriss, S. 186 f. 1119
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stöße gegen die Pflichten des Vorgesetzten dar. Gerade im Hinblick darauf, dass der von Arndt verfasste Grundriss sich großer Beliebtheit in der Truppe erfreue, bedürfe es ob der gegensätzlichen Interpretation einer Klarstellung der Truppe durch die Rechtsberater. Im Weiteren vertrat Laabs die Ansicht, dass den Realitäten des täglichen Dienstes durch das Verbot besonderer Übungen nicht Rechnung getragen werde, da der Vorgesetzte hierdurch weitgehend der Möglichkeit beraubt werde, seine Befehle in angemessener Weise, unverzüglich und ohne Autoritätsverlust durchzusetzen. Gleichsam werde es ihm verwehrt, den oder die Untergebenen »vor dem vorsätzlichen Nichtbefolgen bzw. nicht genügend gewissenhaften Befolgen eines Befehles und damit je nach dem [sic!] Sachverhalt vor einer Disziplinarstrafe oder einer Gehorsamsverweigerung zu bewahren.«1125 Als Beispiel diente ihm das Antreten eines Zuges zum Morgenappell, in dessen Verlauf die Befehlsausgabe des Zugführers durch Unterhaltungen einiger Soldaten gestört wird. Verlange § 11 des Soldaten gesetzes (SG) vom Soldaten Gehorsam, im konkreten Fall »straffes Antreten und Ruhe im Glied«, sei der Vorgesetzte durch den § 10 dazu angehalten, seine Befehle in angemessener Weise durchzusetzen.1126 Dieser Pflicht käme der Zugführer nach, indem er den Zug nach erfolgloser Ermahnung oder Zurechtweisung noch einmal antreten ließe. Hätten diese Maßnahmen keinen Erfolg, verbliebe lediglich die Meldung an den Disziplinarvorgesetzten. Stattdessen plädierte der Rechtsberater für eine fünf bis zehn Minuten andauernde Bewegungsübung, um den Gehorsam der Soldaten gegenüber dem Zugführer zu erzwingen. Einerseits böte sie dem Zugführer die Möglichkeit, sich durch eine eigene Maßnahme Gehorsam zu verschaffen und seine Autorität zu wahren, andererseits schütze er seine Soldaten auch vor der Gefahr, »dass nunmehr im Grunde leichte Inkorrektheiten und Laschheiten im Dienst dramatisiert, wenn nicht gar disziplinarisiert werden oder jede geringfügige Unaufmerksamkeit und kleine Widersetzlichkeit zu zusätzlichem Dienst führt.«1127 Folglich, so der Rechtsberater, müssten auch den Gruppen- und Zugführern »gewisse Mittel« zur Verfügung gestellt werden, um ihre Befehle durchzusetzen und deren gewissenhafte Erfüllung zu gewährleisten. Meldungen an den Kompaniechef sollten sich auf schwerste Fälle von Disziplinlosigkeiten beschränken, um eine Abwertung dieser erzieherischen Maßnahme zu verhindern, die »letztlich ja eine Kapitulation Abschrift Schreiben Laabs an Bundesminister der Verteidigung VR II, 19.12.1958, BArch, N 493/v. 15, S. 2. 1126 Siehe § 10 Soldatengesetz. In: BGBl. 1956, T. I, S. 116: »§ 10 Pflichten des Vorgesetzten [...] (5) Er trägt für seine Befehle die Verantwortung. Befehle hat er in der den Umständen angemessenen Weise durchzusetzen [...] § 11 Gehorsam (1) Der Soldat muss seinen Vorgesetzten gehorchen. Er hat ihre Befehle nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen. Ungehorsam liegt nicht vor, wenn ein Befehl nicht befolgt wird, der die Menschenwürde verletzt oder der nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden ist; die irrige Annahme, es handele sich um einen solchen Befehl, befreit nicht von der Verantwortung. (2) Ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch ein Verbrechen oder Vergehen begangen würde. Befolgt der Untergebene den Befehl trotzdem, so trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkennt oder wenn es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, dass dadurch ein Verbrechen oder Vergehen begangen wird.« 1127 Abschrift Schreiben Laabs an Bundesminister der Verteidigung VR II, 19.12.1958, BArch, N 493/v. 15, S. 3. 1125
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vor einem widersetzlichen oder laschen Soldaten« darstelle. Das Fehlen weiterreichender Erziehungsmaßnahmen in den Händen der Gruppen- und Zugführer und das grundsätzliche Verbot von Gehorsams- und Ermunterungsübungen fördere einerseits die Unsicherheit innerhalb dieser Führungsebene, andererseits bestünde »die dringende Gefahr, dass Soldaten, die sehr schnell die Grenzen der Möglichkeiten ihrer unteren Vorgesetzten erkennen werden, vermehrt zur Unaufmerksamkeit und zur laschen Befehlsausführung verleitet werden.«1128 Marginalien auf dem Schreiben hatten die Ausführungen Laabs bereits kritisch beurteilt, die Rechtsauslegung Arndts verneint und die eingeforderten Gehorsamsund Ermunterungsübungen als »mittelalterlich« und den Geist von »08/15« widerspiegelnd interpretiert.1129 Das auf die Spitze getriebene Beispiel eines morgendlichen Appells wurde als Theorie, die daraus abgeleiteten Thesen über die Förderung undisziplinierten Verhaltens der Soldaten durch die Unwirksamkeit erzieherischer Maßnahmen der unteren Führungsebene als realitätsfern abgelehnt. Auch das geäußerte Misstrauen gegen Soldaten, die die erzieherischen und disziplinären Grenzen ihrer Vorgesetzten ausnutzten, könne durch die Praxis nicht bestätigt werden. Nicht durch Machtmittel, sondern durch persönliche Autorität müsse der Vorgesetzte überzeugen und Disziplin gewährleisten. Gegen die angemahnte Ausweitung der personellen Anwendungsbefugnis der erzieherischen Maßnahmen spräche auch die damit einhergehende Überforderung der Unteroffiziere, da dieser Vorgesetztenebene aufgrund unzureichender Ausbildung die notwendigen Voraussetzungen fehlten. Erst die Gründung von Unteroffizierschulen und eine qualifizierte Ausbildung würden einen solchen Schritt zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht möglich machen.1130 In seiner Bitte um Stellungnahme durch das Referat »Erziehungswesen« unterstützte der zuständige Referent der Abteilung Recht, Meyer1131, die Forderung Laabs. Gehorsams- und Ermunterungsübungen könnten, müssten sich aber nicht als entwürdigende Behandlung des Soldaten darstellen. Diese Übungen seien durch den Erlass »Erzieherische Maßnahmen« ohne »Rücksicht auf die Frage der Strafbarkeit« verboten worden. Infolgedessen habe »die gesetzliche Befugnis der Vorgesetzten, ihre Befehle in der den Umständen angemessenen Weise durchzusetzen«, eine ausdrückliche Einschränkung erfahren.1132 Siehe ebd., S. 3 f., Zitate ebd. Ein Fernschreiben des Presse- und Informationsamtes warf Arndt sogar vor, dass er den »Grundriss des Wehrstrafrechts« mit den dargelegten Beispielen nicht geschrieben hätte, um den Soldaten vor Schikanen zu schützen, sondern um die Schikanen gesetzlich festzulegen. Siehe Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 9.12.1959, BArch, N 493/v. 15, S. 6. 1130 Siehe Marginalien auf Abschrift Schreiben Laabs an Bundesminister der Verteidigung VR II, 19.12.1958, BArch, N 493/v. 15, S. 3. Der Verfasser der Marginalien und der abschließenden Paraphe konnte nicht identifiziert werden. Die Aussage, die Anwendungsbefugnis vielleicht später, nach Gründung der Unteroffizierschulen und Vertiefung der Ausbildung, auszuweiten, wurde vom Verfasser der Anmerkungen wieder gestrichen. Siehe ebd., S. 3. 1131 Nicht ermittelt. 1132 Schreiben VR II 6 [Meyer] an Fü B I 4, 2.1.1959 [Wangenheim], BArch, N 493/v. 15. Da er sich bereits mehrfach mündlich sowie in einer schriftlichen Vorlage gegen den betreffenden Abschnitt des Erlasses geäußert habe, verzichte er auf weitere Stellungnahmen. Die von Meyer erwähnte schriftliche Vorlage zum Abschnitt VI (Verbot von Gehorsams- und Ermunterungsübungen) des Erlasses vom 7.11.1958 lag dem Verfasser nicht vor. Meyer hatte hierin den Abschnitt VI für ent1128 1129
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Die Argumentation Meyers implizierte also gleichfalls den Verdacht, dass mit dieser Verfahrensweise die Disziplin und deren Durchsetzung in Gefahr gerieten. Diesem unterschwelligen Vorwurf trat eine weitere Marginalie entgegen, deren Verfasser sich nicht scheute, in Fortführung seiner vorherigen Einschätzung die Qualifikationen der Unteroffiziere als sehr gering einzuschätzen. Befehle seien sehr wohl durchsetzbar, nur die Bedeutung der Angemessenheit sei nunmehr eine andere als früher: »Befehlen erfordert heute mehr Verstand als früher. Menschenführung wird verantwortlich in die Hände des Dis.V. [Disziplinarvorgesetzten] gelegt, der Uffz [Unteroffizier] wird entlastet. Unter Berücksichtigung der hohen Anforderung der Erziehungsmaßnahmen, [und] des unterschiedlichen Niveaus der Uffz (keine Uffz. Schule) ist das sehr gut.«1133 Ob alle Disziplinarvorgesetzten immer die in sie gesetzten Erwartungen bei der Menschenführung erfüllt haben, darf bezweifelt werden, wenn über die in der Bundeswehr dienenden Kriegs-, Volks- und Tapferkeitsoffiziere der ehemaligen Wehrmacht geurteilt wurde, dass sie auf Teilgebieten brauchbar seien und durch scharfe Dienstaufsicht Mindestleistungen von ihnen erzwungen werden könnten.1134 In der erbetenen Stellungnahme wies der Referatsleiter »Erziehungswesen«, Oberst Hellmuth Freiherr von Wangenheim, auf die Gefahr der Willkür bei der Durchführung von Gehorsams- und Ermunterungsübungen hin, die er als Relikt vergangener Zeiten charakterisierte. Nicht Machtmittel, sondern erworbene Autorität der Unterführer fördere in der modernen Kriegswirklichkeit die Erziehung des Soldaten. Auch die unterschwellig befürchtete Disziplinlosigkeit konnte er nach den bisherigen Erfahrungen nicht bestätigen. Stattdessen forderte er von den Rechtsberatern eine am Erlass orientierte Beratung der Truppe.1135 Gleichermaßen reagierte Wangenheim in einer Notiz auf das Urteil des Bundes gerichtshofes1136, der in seiner Urteilsbegründung zu dem bereits erwähnten Fall der Misshandlung eines Untergebenen die Zulässigkeit von Gehorsams- und Er mun terungsübungen entgegen der Erlasslage ebenfalls bejaht hatte. In seiner Rechtsauslegung hatte der Gerichtshof zur »Frage des erkennbaren inneren Zu sammenhangs zwischen dem festgestellten Mangel und der angeordneten Maß nahme und besonders zu der Frage der Zulässigkeit [so genannter] Gehorsams- und Ermunterungsübungen [...] im Einzelnen ausgeführt, dass einem Vorgesetzten der Vorwurf der Misshandlung nicht treffe, wenn er im Einklang mit rechtmäßigen Dienstvorschriften und Befehlen körperliche Anforderungen an den Untergeben stellt. Umgekehrt brauche aber auch noch nicht in jedem Falle eine Misshandlung gegeben zu sein, wenn der Befehl des Vorgesetzten mit den Dienstvorschriften nicht behrlich erachtet. Siehe Schreiben VR II 6 [Meyer] an Fü B I 4 [Wangenheim], Erzieherische Maßnahmen, 30.6.1960, S. 1‑4, hier S. 2. 1133 Schreiben VR II 6 [Meyer] an Fü B I 4 [Wangenheim], Erzieherische Maßnahmen, 30.6.1960, S. 2. 1134 Siehe Vortragsmanuskript, Truppenamt, »Wie sieht z. Zt. das Innere Gefüge unserer Truppen aus«, 14.12.1961. Zit. nach Pauli, Wehrmachtsoffiziere, S. 286. 1135 Siehe Schreiben Fü B I 4 [Wangenheim] an VR II 6 [Meyer], Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, 7.2.1959, S. 1‑3. 1136 Wangenheim, Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. Mai 1960, 29.8.1960, BArch, N 493/v. 15, S. 1‑4.
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in genauem Einklang steht, die angeordnete Maßnahme aber noch im Rahmen des normalen militärischen Dienstes liegt.«1137 Rechtsreferent Meyer sprach indessen die Befürchtung aus, dass Urteile wegen Misshandlung im Falle von Gehorsams- und Ermunterungsübungen infolge der BGH-Entscheidung nicht mehr zu erwarten seien. Gleiches gelte für eine Verurteilung wegen § 39 Abs. 1, Nr. 4 WStG (Mißbrauch der Disziplinarstrafgewalt)1138, da der Nachweis, wider besseres Wissen gehandelt zu haben, nur schwer zu erbringen sei. Sofern keine schwerwiegende Folge eintrete, bliebe auch der § 19 WStG (Ungehorsam)1139 wirkungslos. Mithin wäre die Ahndung eines Fehlverhaltens auf disziplinarische Würdigung beschränkt.1140 Ob das Verbot der Gehorsams- und Ermunterungsübungen erhalten bleiben solle, stellte für Meyer eine militärische Frage dar, zu der vom rechtlichen Standpunkt wenig beigetragen werden könne. Als Reaktion auf das auch in der Presse veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofes hatte der Jurist einen Erlassentwurf formuliert, in dem die strafrechtlichen Vor aus setzungen für eine Misshandlung dargelegt und die Disziplinarvorgesetzten auf das rechtmäßige Verfahren hingewiesen wurden, auch nach Anwendung einer erzieherischen Maßnahme eine zusätzliche disziplinäre Bestrafung verhängen zu dürfen. Gehorsams- und Ermunterungsübungen, hier als Sonderübungen bezeichnet, besäßen Strafcharakter, so der Erlass weiter, wenn sie »offensichtlich Schreiben VR 6 II [Meyer] an Fü B I 4 [Wangenheim], Erzieherische Maßnahmen, 30.6.1960, S. 1‑4, hier S. 4. Der von einem Landgericht verurteilte Disziplinarvorgesetzte hatte einen Soldaten während der Schießausbildung eine Sonderübung im Sinn einer Gehorsamsübung be fohlen, die er zum Teil persönlich kommandierte. Zuvor war der Soldat durch anhaltende Dis ziplinlosigkeiten gegen einen Vorgesetzten (Fähnrich) im Beisein seiner Kameraden aufgefallen. Die fünf bis sieben Minuten dauernde Übung hatte darin bestanden, dass der Soldat »eine Strecke von 250‑300 m unter ständigem Laufen, Hinlegen und Gleiten zurücklegen musste. Die Kleidung [...] wurde durch die Berührung mit dem von Pfützen bedeckten Boden durchnässt. Die durch die Übung bei ihm hervorgerufene Abgeschlagenheit dauerte etwa eine Stunde an.« Urteil BGH in der Strafsache gegen den Hauptmann [...] vom 3.5.1960, BArch, BW 2/3943, S. 3. Der BGH hatte den Disziplinarvorgesetzten vom Vorwurf der Misshandlung freigesprochen, da der hierzu notwendige Tatbestand »einer üblen unangemessenen Einwirkung« nicht gegeben war. Siehe ebd., S. 4. Den inneren Zusammenhang zwischen den aufgetretenen Disziplinlosigkeiten gegenüber seinem Vorgesetzten sowie den absichtlichen Fehlschüssen auf die Scheibe begründete der Gerichtshof damit, dass die Ausbildung im weiteren Sinne »nicht nur die Erlernung der Waffentechnik, sondern auch die Erziehung zu diszipliniertem Verhalten« umfasse. Ebd. Des Weiteren sahen die Bundesrichter den Abschnitt VI des Erlasses nicht als betroffen an, da die vom angeklagten Disziplinarvorgesetzten angewandte Erziehungsmaßnahme »einem zusätzlichen Ausbildungsdienst (Übung im gefechtsmäßigen Verhalten)« darstellte, zu deren Anordnung er im Rahmen der »Besonderen erzieherischen Maßnahmen« berechtigt war. Ebd., S. 9 f. 1138 § 39 Wehrstrafgesetz vom 30.3.1957. In: Wehrstrafrecht, S. 69: »Missbrauch der Disziplinargewalt (1) Ein Disziplinarvorgesetzter, der wider besseres Wissen [...] 4. ein Dienstvergehen mit unerlaubten Maßnahmen ahndet, wird mit Gefängnis bestraft.« 1139 § 19 Wehrstrafgesetz vom 30.3.1957. In: Ebd., S. 64: »Ungehorsam (1) Wer vorsätzlich einen Befehl nicht befolgt und dadurch eine schwerwiegende Folge (§ 2 Nr. 3) herbeiführt, wird mit Gefängnis oder Einschließung oder mit Strafarrest nicht unter zwei Wochen bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus bis zu zehn Jahren. (4) Wer im Falle des Absatzes 1 die schwerwiegende Folge fahrlässig herbeiführt, wird mit Gefängnis, Einschließung oder Strafarrest bestraft.« 1140 Schreiben VR 6 II [Meyer] an Fü B I 4 [Wangenheim], Erzieherische Maßnahmen, 30.6.1960, S. 1‑4, hier S. 3. 1137
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als Vergeltungsmaßnahmen« zu erkennen seien. Diese Voraussetzung wäre dann gegeben, wenn die Maßnahme schikanös sei, das vernünftige Maß überschreite, »einen inneren Zusammenhang mit dem veranlassenden Mangel vermissen« lasse oder Verrichtungen einschließe, die sich nicht im Rahmen des normalen Ausbildungsbetriebes bewegten. Anlassbedingt wies Meyer erlasskonform ausdrücklich darauf hin, »dass Gehorsams- und Ermunterungsübungen nach wie vor nicht befohlen werden dürfen.« Zuwiderhandlungen seien disziplinarisch oder strafrechtlich zu würdigen und ihm auf dem Dienstwege zu melden.1141 Meyer hatte wohl erkennen müssen, dass sein gegenüber der Unterabteilung »Innere Führung« nicht durchsetzbarer Standpunkt, den Abschnitt VI des Erlasses als entbehrlich zu betrachten, an den Realitäten des militärischen Alltags gescheitert war. Wangenheim befürchtete, dass der Abschnitt VI des Erlasses außer Kraft gesetzt würde, falls allen Vorgesetzten eine »Befugnis für zusätzlichen Ausbildungsdienst = besondere Übungen« zugesprochen werde. Es bliebe dann allen Vorgesetzten »aufgegeben, die jeweils passenden Gehorsams- und Ermahnungsübungen zu erfinden und anzuwenden.« Da es aber Arten von Disziplinlosigkeiten gebe, »bei denen es äußerst schwer fällt, sich wie das BGH-Urteil [...] ausdrückt die ›passende Erziehungsmaßnahme‹ (also = Sonderübung) ›auszudenken‹, dürften die Vorgesetzten leicht in Grenzgebiete geraten, die sie strafrechtlich oder disziplinarrechtlich straffällig werden lassen können. Dies um so mehr, als eine klare Abgrenzung zwischen zulässig und unzulässig weder grundsätzlich noch casuistisch [sic!], etwa durch Aufstellung eines Kataloges, vollziehbar ist.«1142 Der Referatsleiter »Erziehungswesen« sah hierin wohl dem Missbrauch und der Wiederkehr des unseligen »Alten Geistes« in Form der Schleifer Himmelstoß oder Plazek Tor und Tür geöffnet. Die Anordnung von Sonderübungen öffne einen nicht abgrenzbaren Verantwortungsraum, »der Übergriffe geradezu herausfordert und sich der Dienstaufsicht weitgehend« entziehe. Vor dieser Gefahr müssten sowohl die Vorgesetzten, insbesondere aber deren Untergebenen geschützt werden. Werde der Erlass in richtigem und verantwortungsvollem Maße angewandt, bestünde keine Veranlassung, über den Erlass hinausreichende »besondere Übungen« zuzulassen. Für zweckmäßig erachtete er indessen den Hinweis auf das jedem Vorgesetzten zustehende Recht der »vorläufigen Festnahme« zur Aufrechterhaltung der Disziplin, vor dessen Anwendung die Vorgesetzten nicht zurückschrecken sollten.1143 Einwände gegen den Erlass »Erzieherische Maßnahmen« hatte auch die Truppe geltend gemacht, indem sie die »Delegierung erzieherischer Maßnahmen, die zur Zeit nur dem Disziplinarvorgesetzten zustehen, auf die Zugführer (auch UnteroffizierDienstgrade)« für erforderlich hielt. Selbst unter Inkaufnahme »des Risikos von Ebd., S. 4. Notiz Wangenheim, Urteil des Bundesgerichtshofes vom 3. Mai 1960, 29.8.1960, BArch, N 493/v. 15, S. 3. 1143 Ebd., S. 4. Ist die Aufrechterhaltung der Disziplin gefährdet, besitzt jeder Vorgesetzter die Befugnis, einen Soldaten vorläufig festzunehmen, um die Aufrechterhaltung der Disziplin zu gewährleisten, wenn der zuständige Disziplinarvorgesetzte oder ein Angehöriger des militärischen Ordnungs dienstes (Feldjäger, Wache) nicht auf der Stelle erreichbar sind. Siehe § 9 WDO. In: Wehr disziplinarordnung, S. 13. 1141 1142
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Fehlgriffen wird der erzieherische Erfolg des sofortigen Eingreifens, vor allem die erweiterte Rechtsstellung und das erhöhte Verantwortungsbewusstsein der Ausbilder als sehr wesentlich und erforderlich angesehen.«1144 Die Schule der Bundeswehr für Innere Führung vermochte sich dieser Argumentation jedoch nicht anzuschließen und lehnte eine »grundsätzliche Delegierung besonderer Erzieherischer Maßnahmen« noch 1964 ab. Diese sollte lediglich auf besondere Ausnahmesituationen beschränkt bleiben.1145 Dem Empfinden der Truppe, die Anwendungsbefugnis sei unzureichend, und den juristischen Interpretationen der bisherigen Erlasslage kam das Verteidigungs ministerium schließlich mit einer Neufassung des Erlasses entgegen, die am 1. Mai 1965 in Kraft trat und den Vorgesetzten einen größeren Handlungsspielraum zumaß.1146 Zu den bereits anwendbaren Sanktionsmitteln wurden die »Zusätzlichen Erzieherischen Maßnahmen« eingeführt, deren Anwendung den Kompaniefeldwe beln und Feldwebeln in Führungsverwendung offenstand. Sie erlaubten die schriftliche Ausarbeitung zu einem mangelhaft erfassten Ausbildungsstoff und die Anordnung eines zusätzlichen Wiederholungsdienstes für die Dauer einer Stunde. Unter Fort fall des bisherigen Abschnittes VI, der Gehorsams- und Ermunterungsübungen ausdrücklich untersagt hatte, waren Bewegungsübungen im Falle einer laschen Aus übung des Ausbildungsdienstes nunmehr gestattet. Voraussetzung ihrer Anwendung war der »Zusammenhang mit Zweck und Ausbildungsziel des angesetzten Dienstes« sowie ein »nach Dauer und Häufigkeit« angemessenes »Verhältnis zum Grad der Nachlässigkeit und zur Belastung der Soldaten.« Sie waren auf wenige Minuten beschränkt. Der Dienstplan durfte durch die Anwendung dieser zusätzlichen erzieherischen Maßnahme zeitlich nicht verändert werden.1147 Zum Wohle des Soldaten blieb die schließlich in Kraft getretene Neufassung des Erlasses damit weit hinter den in einem Ministerialentwurf zur Diskussion gestellten Vorschlägen zurück. Demzufolge wäre die Anwendung von Ermunterungsübungen bei mangelhaften Leistungen sogar allen Vorgesetzten als allgemeine erzieherische Maßnahme zuerkannt worden, um Aufmerksamkeit, Konzentration und disziplinierte Haltung durchzusetzen. Als Warnung, aber nie Ersatz für eine Strafe sollten sie darüber hinaus auch zur Auflockerung eines »unvermeidlich eintönigen« Dienstes Verwendung finden.1148 Da ihre Anwendung in der Öffentlichkeit geeignet sei, »das Ehrgefühl des Soldaten zu verletzen«, durfte ihr Gebrauch nur auf militärische Anlagen und Übungsgelände beschränkt bleiben.1149 Siehe Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an BMVg – Fü B I 4, 30.7.1964, Erfahrungsbericht Lehrgang für S 1 – Offiziere, Btl-Ebene vom 2.‑20.6.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 2. 1145 Siehe ebd. 1146 Siehe Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, 20.2.1965. In: »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« und Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, S. 9‑23. 1147 Siehe ebd., S. 15 f. 1148 Siehe Referentenentwurf »Erzieherische Maßnahmen«, zu Anschreiben Heuermann an Wangen heim, 16.7.1964, BArch, N 493/v. 5, S. 1‑11, hier S. 2. Es handelte sich um die Bitte einer persönlichen Stellungnahme des ehemaligen Referatsleiters. Ein Antwortschreiben von Wangenheim konnte nicht ermittelt werden. 1149 Siehe ebd., S. 3. 1144
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Zu einem Zeitpunkt erhoben, der von dem Willen geprägt war, die Kompetenzen der Vorgesetzten durch die Einführung eines allgemeinen Vorgesetztenverhältnisses, einer neuen Grußordnung sowie einer Ergänzung der erzieherischen Maßnahmen zu erweitern, trat der ebenfalls »bestens mit der Konzeption der Inneren Führung vertraut[e]«1150 Referatsleiter »Ausbildung und Erziehung«, Oberstleutnant Gero von Ilsemann, diesen Forderungen mit der berechtigten Befürchtung entgegen, dass in Folge der öffentlich bekannten Vorkommnisse auf dem Gebiet der Inneren Führung weder von der politischen Führung noch der öffentlichen Meinung Ver ständnis erwartet werden könne, »wenn die Bundeswehr gerade jetzt zusätzliche Möglichkeiten für härtere Ausbildungsmethoden und Erziehungsmittel« mithilfe von Ermunterungsübungen schaffen würde.1151 Nach seiner Analyse zwinge die schlechte Personallage der Bundeswehr »zum Einsatz von Vorgesetzten, die in der Erziehung Untergebener noch unerfahren, zu jung und unzureichend ausgebildet« seien. Größere Machtfülle helfe »schlechten oder schwachen Erziehern kaum«, sondern verleite vielmehr zum Machtmissbrauch.1152 Mithin lehne er die Einführung der Ermunterungsübungen ab, da sie den »Schleifertypen unter den Ausbildern einen Freibrief« ausstellten. Nach seiner Kenntnis entsprachen sie »weder irgendwelchen Vorschriften in der kaiserlichen Armee [sic] noch der Reichswehr oder Wehrmacht, sondern erfolgten, wo sie von – meist unfähigen – Ausbildern angewendet wurden, illegal.« Ihre ausdrückliche Billigung in einer Erziehungsvorschrift der Bundeswehr bedeute den Rückfall in die Methoden der Menschenführung vor dem Jahr 1914.1153 Nägler, Der gewollte Soldat, S. 490. Ilsemann bezog sich auf die Vorgänge in einer Ausbildungskompanie der Fallschirmjägertruppe in Nagold. Im Sommer war ein Soldat nach einem Marsch einem Hitzekollaps erlegen. Die unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit durchgeführten Untersuchungen der Staatsanwaltschaft und der Bundeswehr deckten strafrechtlich relevante Verstöße in Form von Misshandlung und entwürdigender Behandlung von Untergebenen sowie den Missbrauch der Befehlsbefugnis auf. Die angestrengten Gerichtsverfahren führten zu zahlreichen Verurteilungen von Mannschaftsdienstgraden (Hilfsausbilder), Unteroffizieren und Offizieren. Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 467. Ausführlich Schlaffer, Schleifer a.D.?, S. 652‑659; Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 160‑165. Als weiteres Argument diente Ilsemann der Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundes tages, Heye, von 1963 und dessen Artikelserie »In Sorge um die Bundeswehr« in der Illustrierten Quick. Die Artikel erschienen am 21.6., 28.6. und 5.7.1964 und wurden anschließend mit einer Kurzbiographie Heyes, Presseartikeln des Auslandes, einer Stellungnahme Strauß’ sowie eines ungenannten Vertreters des öffentlichen Lebens als Sonderdruck veröffentlicht. Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1963, S. 1‑45 und In Sorge, S. 1‑67. Die Vorgänge in Nagold und die Aushöhlung des Erlasses »Erzieherische Maßnahmen« erklärten sich laut Einschätzung Ilsemanns durch die stillschweigende Duldung von Ungehorsam und »die mangelnde Konsequenz der Führung in bezug [sic!] auf die Grundsätze der Inneren Führung.« Andernfalls wären derartige Vorschriften »längst Allgemeingut und unwidersprochen hingenommene Führungsgrundlage.« Der »ohne Rücksicht auf personelle und materielle Möglichkeiten forcierte Aufbau der Bundeswehr« habe die Infragestellung allerdings erst möglich gemacht. Entwurf Schreiben Fü H I 3 [Ilsemann] an Fü H I 4 [Wagemann], Mitprüfung des Entwurfs einer Neufassung des Erlasses »Erzieherische Maßnahmen«, BArch, N 493/v. 15, S. 1‑10, hier S. 9. Bei dem vorliegenden Entwurf handelt es sich gemäß handschriftlichem Vermerk Ilsemanns um eine Kopie zur Kenntnisnahme an Wangenheim. 1152 Entwurf Schreiben Fü H I 3 [Ilsemann] an Fü H I 4 [Wagemann], Mitprüfung des Entwurfs einer Neufassung des Erlasses »Erzieherische Maßnahmen«, BArch, N 493/v. 15, S. 1. 1153 Ilsemann beruft sich hier auf die zahllosen Fälle von Soldatenmisshandlungen im preußischen Heer, die zahlreiche Selbstmorde unter den Geschädigten zur Folge hatten. 1150 1151
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Keinesfalls dürfe ein Erlass des Ministeriums den Vorwand bieten, die Türe auch nur einen Spalt in die Richtung zu öffnen, die der Wehrbeauftragte in einer Artikelserie für die Illustrierte Quick 1964 als Versuch angeprangert hatte, den Willen des Soldaten zu brechen.1154 Zudem wies er auf den Widerspruch hin, dass derjenige, der die Ehre des Soldaten durch die Anwendung von Ermunterungsübungen in der Öffentlichkeit gefährdet sieht, »offenbar auch grundsätzliche Zweifel an der Zweckmäßigkeit und Not wendigkeit von ›Ermunterungsübungen‹« hege.1155 Die im Erlassentwurf als Beispiele aufgeführten Ermunterungsübungen, wie das Überwinden der Hindernisbahn während des Technischen Dienstes oder Antrete- und Richtübungen zur Vorbereitung beim Heraustreten zum Essen, wurden als nicht mit dem Dienst in Zusammenhang stehend ebenso verworfen wie ihre Anwendung bei einem als eintönig eingestuften Dienst. Letzterer sei mithilfe der Ausbildungsmethodik, die nichts mit den erzieherischen Mahnahmen gemein habe, anders zu gestalten.1156 Abgelehnt wurde auch der Vorschlag, das Versagen des Nacht- und Wochenendausgangs auf die Zugführer, Kompaniefeldwebel und Portepeeträger [Feldwebel] zu delegieren. Gerade die Befugnis der Kompaniefeldwebel in der Wehrmacht, Urlaubs- und Ausgangsscheine zurückzuhalten, sei als sehr übel empfunden worden und habe viel Hass erzeugt. Eine Beschränkung der Freiheit als höchstes Gut des Soldaten »dürfe daher nicht der Willkür von Unterführern überlassen bleiben, sondern muss dem erfahrensten und verantwortlichsten Erzieher, dem Einheitsführer, vorbehalten werden.«1157 In einem Klima, das »jede Erweiterung der Vorgesetztenkompetenz problematisch« erscheinen ließ, gelangten diese weitreichenden Vorstöße zu Ausweitung der Anwendungsbefugnis erzieherischer Maßnahmen letztendlich nicht zur Geltung. Die Neufassung des Erlasses gestand »unter strengen, den eng umrissenen Ausnahmefall beschreibenden Voraussetzungen nunmehr als wohl schärfste Sanktionsmöglichkeit den Kompaniefeldwebeln und den nach der Organisation vorgesehenen Vorgesetzten vom Feldwebel an aufwärts die Anordnung eines Wiederholungsdienstes zu, der dann auch selbst zu leiten sowie am selben Tag durchzuführen war und der die festgesetzte Dienstzeit nicht um mehr als eine Stunde überschreiten durfte.«1158 Eine wesentliche Modifikation erfuhren alle »Erzieherischen Maßnahmen« hingegen durch die Einführung von Anwendungsalternativen in Form positiver Sank tionen, deren Bandbreite vom Lob bis zur Förderung durch Sonderausbildung und Preisverleihungen reichte. Für die Anwendung negativer Sanktionen wurde in den Erläuterungen zur Handhabung erzieherischer Maßnahmen ausdrücklich darauf Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Heye, hatte in einer dreiteiligen Artikelserie der Illustrierten Quick eine sehr kritische Bestandaufnahme zur Situation der Innere Führung in der Bundeswehr veröffentlicht und die Überzeugung vertreten, dass viele Vorgesetzte unfähig oder nicht daran interessiert seien, »die Soldaten zu überzeugen, zur Einsicht, zur freiwilligen Handlung zu führen. Diese Vorgesetzten versuchen zunächst den Willen des Soldaten zu brechen. An Stelle des Willen wollen Sie den eigenen Befehl setzen.« In Sorge, S. 47. 1155 Entwurf Schreiben Fü H I 3 [Ilsemann] an Fü H I 4 [Wagemann], Mitprüfung des Entwurfs einer Neufassung des Erlasses Erzieherische Maßnahmen«, BArch, N 493/v. 15, S. 1‑10, hier S. 3 f. 1156 Siehe ebd., S. 4‑6. 1157 Ebd., S. 1 f. 1158 Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 471, Anm. 407. 1154
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verwiesen, dass der Vorgesetzte bei mangelhaften Leistungen solange vom guten Willen des Soldaten auszugehen habe, »bis ein schlechter Wille klar erkennbar« werde. Die daraufhin zu ergreifenden Maßnahmen gegenüber nachlässigen und unwilligen Soldaten müssten »sich nach Art und Strenge deutlich von Hilfen bei Un geschick oder Unvermögen abheben.«1159 Rückblickend beschrieb Ilsemann den Erlass »Erzieherische Maßnahmen« 1981 als ein »Kernstück der Vorschriften für die Innere Führung in der Truppe« und offenbar »gutes Handwerkszeug für die Ausbilder in Erfüllung ihres erzieherischen Auftrages.« Die in ihrer Anwendungsbefugnis und -breite eingeschränkten Maß nahmen zur sinnvollen Einwirkung auf die Untergebenen hätten »sich sehr segensreich für die Bundeswehr ausgewirkt« und Ordnung auf diesem »Tummelplatz menschlicher Unzulänglichkeiten und Machtlüsternheiten« geschaffen. Erstmals seien die Erfahrungen bewährter Vorgesetzter in einer Dienstvorschrift zusammengefasst, die sinnlosem Schleifen und Willkür ein Ende setzen sollte. Die Berichte des Wehrbeauftragten zeigten, dass sich auf Basis des Erlasses »gute erzieherische Sitten« eingebürgert hätten. Die dennoch auftretenden Fälle »missbräuchlicher Anwendung erzieherischer Maßnahmen und Kompetenzüberschreitungen bis hin zur böswilligen Schikane und zur menschenunwürdigen Behandlung« machten deutlich, dass sich der Vorgesetzte in seiner Pflicht zur »Dienstaufsicht niemals beruhigt aus diesem Gebiet der erzieherischen Einwirkung zurückziehen« dürfe. Wolle man die gute erzieherische Arbeit der Mehrheit der Vorgesetzten in der Bundeswehr bei Soldaten und in der Öffentlichkeit nicht in Misskredit bringen, müsse in Fällen der Misshandlung von Untergebenen streng durchgegriffen werden. Eine stetige Aufgabe der älteren Kameraden sah Ilsemann darin, die immer wieder neu heranwachsenden Generationen junger Vorgesetzter »beispielgebend an den sinnvollen, pädagogisch richtigen Gebrauch ihrer erzieherischen Möglichkeiten zu gewöhnen.« Vorgesetzte, die im Interesse strenger Disziplin und rationaler Ausbildung vor allem auf die Durchsetzung ihres Gehorsamsanspruchs beharrten, würden leicht übersehen, »welche Wirkung von Übergriffen in den erzieherischen Maßnahmen ausgehen. Da das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit weitgehend vom Urteil ihrer jungen Wehrpflichtigen und der wehrübenden Reservisten über den Dienstbetrieb in der Truppe abhängt, können gerade schikanöse Maßnahmen ungeheuren, nicht wieder gutzumachenden Schaden anrichten; ganz abgesehen davon, dass sie das Vertrauen der Soldaten in ihre Vorgesetzten untergraben.« Dabei, so Ilsemanns abschließendes Resümee, böte »der Erlass ›Erzieherische Maßnahmen‹ [...] in Verbindung mit den Möglichkeiten der Disziplinarordnung und des Wehrstrafgesetzes eine ausgezeichnete und völlig ausreichende Grundlage für in jeder Hinsicht erfolgreiches erzieherisches Handeln.«1160 Diese positive Bilanz darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass trotz dieser Erziehungsmethoden und -mittel die Gefahr bestand, dass sich Soldaten – auch unter Zuhilfenahme der Wehrdisziplinarordnung und des Wehrstrafgesetzes – allen Siehe Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, 20.2.1965. In: »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« und Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, S. 10, Zitate ebd. 1160 Ilsemann, Die Innere Führung, S. 51‑53. 1159
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Erziehungsbemühungen willentlich oder anlagebedingt widersetzten. Mithin musste darüber befunden werden, wie auf diese so genannten schwer erziehbaren Soldaten zu reagieren sei.
b) Das Problem schwer erziehbarer Soldaten Ein erster Hinweis, wie der Umgang mit schwer erziehbaren Soldaten gestaltet werden sollte, findet sich in einer Stellungnahme des Referates »Inneres Gefüge« zur Disziplinarordnung für die Streitkräfte der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft von 1953.1161 Es werde immer eine Anzahl Wehrpflichtiger geben, denen aufgrund asozialer, politischer oder anderer Beweggründe jeglicher Verteidigungswille fehle oder die sich der Ausbildung bewusst widersetzten. Bestenfalls als Ballast empfunden, »häufiger aber mit weit negativerer Wirkung das Zusammenleben und den Kampfwillen der Truppe« beeinträchtigend, habe ihre Belassung in den Streitkräften »nicht nur keine Stärkung; sondern eine mehr oder minder bedeutsame Schwächung der Kampfkraft zur Folge.«1162 Ungeachtet dieser Einschätzung sollten aber alle Wehrpflichtigen zunächst die Grund- und die sich daran anschließende Spezialausbildung absolvieren. Erst wenn sich die Erziehungsmittel des Kompaniechefs und des Bataillonskommandeurs als unzureichend erwiesen hätten, sollte eine Versetzung in eine andere Einheit beantragt werden. Dies war nicht als militärische Sondereinheit gedacht. Es müsse in der neuen Umgebung versucht werden, den Soldaten doch noch für eine Mitarbeit zu gewinnen. Schlage auch dieser Versuch fehl, sei bei der Disziplinarkammer ein Antrag auf Entlassung zu stellen. Seiner Pflicht zum Dienst an der Gemeinschaft wurde der aufgrund mangelnder Wehrbereitschaft vorzeitig zu entlassende Soldat jedoch nicht enthoben. Stattdessen sah die Stellungnahme eine Überstellung in eine Arbeitseinheit in Form eines »Technischen Dienstes« vor. In abgelegenen Standorten unter einfachen Bedingungen, aber unter gleichen finanziellen Voraussetzungen wie der Wehrpflichtige untergebracht, sollte der nunmehr Dienstpflichtige einer starken körperlichen Beanspruchung unterworfen werden. Unter Vermeidung militärischer Umgangsformen und Wahrung der Menschenrechte müssten die Aufgaben so gestaltet werden, dass sie für den Wehr pflichtigen wenig verlockend erschienen. Im Falle von Naturkatastrophen und einer Mobilmachung erneut in die Arbeitseinheiten einzuberufen, sollten deren Angefertigt wurde diese Stellungnahme aufgrund eines französischen Vorbehaltes zum Artikel 151 des Discipline Générale. Demnach sollte ein Soldat, gegen den disziplinargerichtliche Strafen verhängt worden waren, in eine Sondereinheit versetzt werden. Siehe Schwererziehbare Soldaten (Stellungnahme zu Artikel 151, Anm. 1), BArch, BW 9/536, Bl. 114‑118, hier Bl. 114; Entwurf Discipline Générale, 28.10.1952, BArch, BW 9/532, Bl. 45. Zu der Stellungnahme sind weder Referat, Verfasser oder Datum angegeben. Die Argumentationslinien lassen jedoch eine Urheberschaft des Referates »Inneres Gefüge« als gesichert erscheinen. Die Stellungnahme muss vor dem 28.4.1953 verfasst worden sein, da sich der Psychologe Ludwig Zeise in einer eigenen Stellungnahme vom 28.4.1953 auf den dort unterbreiteten Vorschlag eines »Technischen Dienstes« beruft. Siehe Stellungnahme Zeise, Über die Frage der Behandlung schwererziehbarer Soldaten, 28.4.1953, BArch, BW 9/536, Bl. 111‑113. 1162 Schwer erziehbare Soldaten (Stellungnahme zu Artikel 151, Anm. 1), BArch, BW 9/536, Bl. 115. 1161
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Angehörige bereits im Frieden unter anderem in Aufräumarbeiten, Minenräumen und Bombenentschärfung ausgebildet werden. Die jüngste Vergangenheit im Blick, forderte die Stellungnahme eine strenge Kontrolle der Arbeitseinheiten. Hierdurch sollte sowohl die Erfüllung der geforderten Arbeitsleistung sichergestellt als auch schikanöse Auswüchse, wie in den mit ähnlichen Aufgaben betrauten Sonder-, Strafund Bewährungseinheiten der Wehrmacht, verhindert werden.1163 Persönliche Nachteile müssten diesen Wehrunwilligen nach Meinung der Studie aber auch nach Rückkehr in das zivile Leben drohen. Da sie nicht bereit waren, die Gemeinschaft, in der sie lebten, gegen eine militärische Bedrohung zu schützen, war vorgesehen, ihnen auch die Fürsorge dieser Gemeinschaft nur in äußersten Fällen und nur in geringstem Maße zuteil werden zu lassen. Absicht war es, Einschränkungen auf den Gebieten der Arbeitsvermittlung, Sozialfürsorge, Kreditgewährung und ähnlich gelagerten Bereichen gesetzlich zu regeln.1164 Gegen die kommunistischen Wehrunwilligen gerichtet, wurde darüber hinaus angeregt, eine »Auswanderung in Länder, in denen die von ihnen erstrebten sozialen Bedingungen verwirklicht sind«, zu fördern. Aber auch für diese Vorhaben wurde ausdrücklich auf die Wahrung der Menschenrechte hingewiesen, denn obwohl dieser Personenkreis nicht bereit sei, die von der Gemeinschaft angestrebte freiheitlichdemokratische Ordnung mit ihren Rechten und Pflichten zu unterstützen, hätte diese Gemeinschaft nicht das Recht, die Menschenwürde der Betroffenen zu verletzen. Es dürften lediglich die Vergünstigungen entzogen werden, die denjenigen zukämen, die sich zum Dienst für die Gemeinschaft bereit erklärten. Gleichsam dürfe nur der Zwang zur Dienstleistung an der Gemeinschaft ausgeübt werden, den man auch Kriegsgefangenen abverlangen könne.1165 Der Einrichtung von militärischen Sondereinheiten erteilte die Stellungnahme jedoch eine eindeutige Absage.1166 So sei die Kampfkraft in derartigen Einheiten Siehe ebd., Bl. 116 f. Zeise forderte in einer eigenen Stellungnahme zu dem französischen Vorbehalt eine Differenzierung zwischen denjenigen, die bei klarem Bewusstsein ihrer Wehrpflicht nicht nachkommen wollten, und denen, die aus psychischen Erkrankungen nicht könnten. Siehe Stellungnahme Zeise, Über die Frage der Behandlung schwererziehbarer Soldaten, 28.4.1953, BArch, BW 9/536, Bl. 111. 1165 Siehe Schwer erziehbare Soldaten (Stellungnahme zu Artikel 151, Anm. 1), BArch, BW 9/536, Bl. 1. Die Behandlung von Kriegsgefangenen wurde im III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12.8.1949 geregelt: »Gesunde Kriegsgefangene, ausgenommen die Offiziere, können pflichtmäßig gegen eine bescheidende Vergütung und unter Bedingungen, die nicht schlechter sind, als die den Angehörigen des Gewahrsamsstaates eingeräumten, zur Arbeit herangezogen werden. Sie dürfen jedoch weder zu einer Arbeit militärischer Art, noch zu gefährlichen, ungesunden oder erniedrigenden Arbeiten verwendet werden.« Hierbei handelt es sich um eine Zusammenfassung der Artikel 49‑57, die die Arbeit der Kriegsgefangenen zum Inhalt haben. Siehe Das Genfer Rotkreuz-Abkommen, S. 25 (Zusammenfassung), S. 154‑157 (Art. 49‑57). 1166 Mit der Einführung der Wehrpflicht 1935 stellte die Wehrmacht ab 1936 auch Sonderabteilungen auf. Zunächst als reine Erziehungseinheiten gedacht, dienten hier »Wehrpflichtige, die auf Grund ihres Vorlebens als Gefahr für den Geist der Truppe anzusehen waren [...], deren Verbleiben in der Truppe wegen ihrer gesamten Haltung, Einstellung und Gesinnung unerwünscht war [sowie] Soldaten, die wegen unehrenhafter Handlungen gerichtlich bestraft worden waren und deren Weiter- und Nachdienen in der Truppe aus dienstlichen und disziplinaren Gründen unerwünscht war.« Absolon, Die Wehrmacht, Bd 4, S. 345. Hinzu kamen Überstellungen durch die Truppe, die sich wirklicher oder vermeintlich schwer erziehbarer Soldaten entledigen wollten. Während des Krieges erfolgte die Aufstellung sieben weiterer Sondereinheiten des Ersatzheeres. Eine direkte 1163 1164
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nur unter Inkaufnahme von Methoden zu erreichen, die sich gegen die grundsätzliche Konzeption der zukünftigen Streitkräfte richteten. Nicht eine Stärkung der Kampfkraft, sondern eine »Schwächung der eigenen Position im Geistigen« wäre die Folge. Hinzu komme, dass besonders wertvolle Offiziere und Unteroffiziere für andere Aufgaben nicht zur Verfügung stünden und nach einer Verwendung in derartigen Einheiten für eine anschließende Verwendung in der regulären Kampftruppe wohl endgültig verdorben seien. Auch die Arbeitseinheiten des »Technischen Dienstes« wurden nicht als militärische Sondereinheiten, sondern als zivile Elemente des Katastrophenschutzes eingestuft. Da nicht für Kampfeinsätze zu verwenden, entfielen militärische Ordnungskri terien. Mithin stellten Leitung und Überwachung des Arbeitseinsatzes vollkommen truppenfremde Aufgaben dar, zu deren Erfüllung es keiner Vernetzung mit der militärischen Organisation bedürfe, Letztere deren Erledigung sogar erschweren würde. Letztlich sollte auch aus politischen Gründen auf eine Wiederbelebung militärischer Sondereinheiten verzichtet werden, da man es unbedingt vermeiden wollte, dem Gegner Ansatzpunkte für dessen Propaganda zu bieten.1167 In die gleiche Kategorie Einberufung entsprechend identifizierter Soldaten durfte für diese Einheiten nicht erfolgen. Die Überweisung der zunächst im Feldheer Dienst leistenden Soldaten erfolgte erst dann, wenn in der Grundausbildung erhebliche disziplinare Mängel auftraten. Die weitere Ausbildung erfolgte hier unter »weitaus strengeren Bedingungen als in der Vorkriegszeit [...] Wenn überhaupt je der Gedanke an eine erzieherische Beeinflussung der Angehörigen der Sondereinheiten bestanden haben sollte, unter den Bedingungen des Krieges blieb davon nichts mehr übrig. Mehr noch, Soldaten, die nicht durch ein förmliches Gerichtsverfahren zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, wurden ausschließlich aufgrund der Auflassung, dass sie minderwertigen Charakters oder schwer erziehbar seien, einer schikanösen, körperlichen und seelisch zermürbenden Behandlung unterworfen, gegen die es keine Appellationsinstanz gab.« Kroener, »Störer«, S. 83 f. Darüber hinaus wurden drei Feldsondereinheiten zur Aufnahme »charakterlich minderwertiger Soldaten des Feldheeres« geschaffen. Ebd., S. 84. Bei der Erweiterung des für die Sondereinheiten in Frage kommenden Personenkreises taten sich während des Krieges besonders die Wehrmediziner und -juristen hervor. So ordnete der Heeres-Sanitätsinspekteur 1940 an: »In die Sonderabteilungen, gehören bestimmungsgemäß Schwererziehbare. Darunter fallen die Gruppen der Faulen, Nachlässigen, Schmutzigen, Widersetzlichen, Renitenten, Anti- und Asozialen, Gemütlosen, Haltlosen, Lügner und Schwindler, Unsteten und Triebhaften, also die Psychopathen, die man als Hyperthymische Geltungssüchtige, Stimmungslabile, Explosive, Willenlose und Gemütlose bezeichnet. Kurz gesagt: Störer, die Schlechtwilligen, diejenigen, die nicht wollen. Ferner sind Schwachsinnige leichtesten Grades, die an physiologische Dummheit grenzen, mit charakterlichen, moralischen Defekten für die Sondereinheiten geeignet. Sie stellen für die Truppe besonders bedenkliche Elemente dar. Geeignet für einen Erziehungsversuch in der Sondereinheit sind auch Soldaten, denen wegen unter Alkoholeinwirkung begangene Straftaten der Schutz des § 51 Abs. 1 oder 2 StGB zugebilligt werden mussten.« Zit. nach Kroener, »Störer«, S. 85. Eine weitere Zuspitzung erfolgte 1942 mit der Aufhebung ihrer Bestimmung als Erziehungseinheiten. Nun als Erziehungs- und Strafeinheiten bezeichnet, sollte die Ausbildung von besonders »strammen Exerziermeistern« sichergestellt werden und die dabei zu erwartenden Auswüchse, die nicht Gutes erwarten ließen, erfuhren eine dahingehende Verschärfung, dass der Dienst (in Frontnähe, Entschärfung von Blindgängern, Räumen von Minen, keine Ausbildung an Waffen) den Tod der Soldaten billigend in Kauf nahm. Vgl. Kroener, »Störer«, S. 86; Absolon, Die Wehrmacht, Bd 6, S. 569. Zu den Sondereinheiten, über die alle Wehrmachtsteile und die Waffen-SS verfügten vgl. ausführlich Kroener, »Störer«; Die Sondereinheiten; Messerschmidt, Die Wehrmachtjustiz, S. 324‑334; Absolon, Die Wehrmacht, Bd 4, S. 345 f.; Bd 5, S. 336‑338, Bd 6, S. 565‑570; HDv 39, Die Sonderabteilungen. 1167 Siehe Schwer erziehbare Soldaten (Stellungnahme zu Artikel 151, Anm. 1), BArch, BW 9/536, Bl. 117 f., Zitat Bl. 117.
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fällt auch die in der gesamten Diskussion über den Umgang mit auffälligen Soldaten mehrfach wiederholte Ermahnung zur strikten Beachtung der Menschenwürde. Grundsätzlich einem positiven, freiheitlich-demokratischen Menschbild verpflichtet, wurde dessen allgemeine Verinnerlichung angestrebt und versucht, Maßnahmen oder Begrifflichkeiten zu vermeiden, die Kritikansätze in sich bargen. Während im weiteren Verlauf der Debatte einige Schlussfolgerungen, wie die Vorenthaltung sozialer Leistungen oder die Förderung des Ausreisewillens in Länder des sozialistischen Machtbereiches, sang- und klanglos von der Agenda entfernt wurden, erfreute sich der Ruf nach Einrichtung von Sondereinheiten einer lang anhaltenden Beständigkeit. Sogar Baudissin behielt diese Option zunächst weiterhin im Auge und stellte sie im Ausschuss für »Innere Führung« zur Diskussion.1168 Zuvor hatte er sich der Kooperation mit dem Sozialpsychologen und -pädagogen Curt Werner Bondy, einem ausgewiesenen Fachmann auf dem Gebiet der Erziehung auffälliger und straffällig gewordener Jugendlicher,1169 versichert und damit seine Bemühungen um eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz fortgesetzt. Auf Anregung Neudecks hatte Baudissin den Freund Wenigers um ein Gespräch zu diesem heiklen Thema gebeten. Sofern das Gespräch stattgefunden hat, sind über dessen Verlauf keine Notizen erhalten. Eine aktive Einflussnahme Bondys auf die Arbeit Baudissins und seiner Mitstreiter ist nicht nachweisbar, ein indirekter Einfluss über Weniger und seine Schriften ist aber nicht auszuschließen.1170 Bondy1171, der 1884 in Hamburg geboren worden war, hatte 1914 ein Studium der Medizin begonnen, das bereits nach zwei Semestern eine kriegsbedingte Unter brechung erfuhr. Im Krieg als Sanitäter eingesetzt, wechselte er nach Beendigung des Krieges in den Fachbereich Psychologie und studierte zwischenzeitlich auch bei dem Pädagogen Hermann Nohl in Göttingen. Von der Jugendbewegung geprägt, promovierte der Mitbegründer des Sozialistischen Studentenbundes über die Arbeiter-Jugendbewegung. Als Mitarbeiter der Jugendstrafanstalt Helmöfersand in Hamburg scheiterte er aber mit seinen Bemühungen, Konzepte der pädagogischen Reformbewegung in die praktische Arbeit mit jugendlichen Straftätern umzusetzen, am Widerstand der Vollzugsbeamten. Ab 1923 für eine zweijährige Dauer zeitgleich Siehe Kurzprotokoll, 27. Sitzung des Ausschusses »Innere Führung«, 12.2.1954, BArch, BW 9/25921, Bl. 117‑119. 1169 Vgl. Bondy, Pädagogische Probleme. 1170 Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 15.10.1953, BArch, N 717/1, Bl. 87 f. Siehe auch Schreiben Baudissin an Bondy, 2.12.1953, BArch, N 717/20; Antwortschreiben Bondy an Baudissin, 3.12.1953, ebd. sowie Schreiben Baudissin an Bondy, 7.12.1953 mit Terminbestätigung für 14.12.1953 in der Privatwohnung Bondys in Hamburg. Ob dieses Treffen stattgefunden hat und zu welchen Ergebnissen es führte, kann nicht nachvollzogen werden. Auch das Tagebuch Baudissin gibt darüber keinerlei Auskünfte. In den ausgewerteten Akten zur Erziehungsschrift Schwierige junge Soldaten findet Bondy keine Erwähnung. Für Siemsen ist das Treffen auf Wenigers Vermittlung hin zustande gekommen. Vgl. Siemsen, Der andere Weniger, S. 88. Der Hinweis auf Neudeck und das erste Schreiben Baudissins an Bondy lassen Wenigers Einflussnahme aber un wahrscheinlich erscheinen. 1171 Zu Bondy siehe Eyferth, Gemeinschaft, S. IX f.; Biographisches Handbuch, S. 58; Daten zur Geschichte der deutschen Psychologie, S. 148. Bondy hat sich in dem Entnazifizierungsverfahren Wenigers sehr für seinen ehemaligen Kollegen und Freund eingesetzt. Vgl. hierzu ausführlich Siemsen, Der andere Weniger, S. 263‑266. 1168
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mit Weniger pädagogischer Assistent Nohls in Göttingen, habilitierte er sich 1925 in Sozialpsychologie und Sozialpädagogik und lehrte bis 1930 als Privatdozent an der Universität Hamburg. Bereits 1928 hatte er die Leitung des Jugendgefängnisses in Eisenach übernommen, das zwar als Reforminstitution vorgesehen war, aber durch die 1930/31 erfolgende Regierungsbeteiligung der Nationalsozialisten in Thüringen unter den wechselnden politischen Direktiven zu leiden hatte.1172 Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Deutschen Reich und den damit verbundenen politischen und rassistisch motivierten Säuberungen verlor auch der Jude Bondy 1933 seine Anstellung und wirkte fortan beim Aufbau der von Martin Buber1173 initiierten »Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung«1174 mit. 1936 übertrug ihm die »Reichsvertretung der deutschen Juden«1175 die pädagogische Leitung des jüdischen, nicht zionistischen Auswandererlehrgangs im schlesischen Groß-Breesen, von wo aus er 1938 mit allen über 18-jährigen Lehr gangs teilnehmern verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht wurde. Durch Intervention aus Holland freigelassen, kehrte er zunächst in die Ausbildungseinrichtung zurück, um die Auswanderung der jungen Menschen zu forcieren, emigrierte aber schließlich über Holland, wo er sich ebenfalls in der Auswandererhilfe engagierte, nach Großbritannien. Während des Einmarsches der Wehrmacht in Holland erneut dort tätig, gelang ihm die Flucht in die USA, wo er 1940 eine Professur für Psychologie an der Universität in Richmond, Virginia, übernahm und nach Aussage Neudecks eine »erhebliche Erfahrung mit schwererziehbaren Soldaten« sammeln konnte.1176 1950 als Lehrstuhlinhaber für Psychologie nach Hamburg zurückgekehrt, baute Bondy das dortige Institut für Psychologie nicht nur wieder auf, sondern gewann dessen Ruf als Lehrstätte für eine empirisch orientierte und praxisorientierte Psychologie zurück. Darüber hinaus trat er als Pionier hervor, indem er als erster Vorlesungen über die Psychoanalyse anbot und sich als federführend in der Einführung eines Studienabschlusses »Sozialpädagogik« in Deutschland erwies. Nach seiner Emeritierung 1959 wirkte Bondy als langjähriger Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Psychologen, dessen Vorstandsmitglied er bereits seit 1953/54 war. Bondy verstarb 1972 in Hamburg. Sein Freund Weniger teilte zwar nicht Bondys Zutrauen in die amerikanischen Testmethoden zur Ermittlung eines geeigneten Führungspersonals1177, bekräftigte jeVgl. Eyferth, Gemeinschaft, S. IX. Zu Leben und Wirken Bubers siehe Scarbath/Scheuerl, Martin Buber; Wehr, Martin Buber. 1174 Die 1934 gegründete »Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung« diente als Dachorganisation der jüdischen Volkshochschulen, Lehrhäuser und Lehrkurse. Ihre Aufgabe bestand unter anderem im Gedankenaustausch zwischen den jüdischen Einrichtungen zur Erwachsenenbildung, der Mitarbeiterförderung sowie dem Aufbau neuer Lehreinrichtungen. Vgl. Adler-Rudel, Jüdische Selbsthilfe, S. 44‑46. 1175 Im September 1933 gegründet, vertrat die »Reichsvertretung der deutschen Juden« die Belange der jüdischen Bevölkerung im nationalsozialistischen Deutschland. Ihre Aufgabe bestand in der einheitlichen Organisation einer Reaktion auf die Entrechtungspolitik des NS-Regimes. Vgl. ebd., S. 14‑18. 1176 Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 15.10.1953, BArch, N 717/1, Bl. 87. 1177 Bei den von Weniger erwähnten Testverfahren dürfte es sich um den 1934 von dem US-Amerikaner David Wechsler veröffentlichten Intelligenztest (Wechsler-Bellevue-Intelligence-Scale) handeln. Unterteilt in sechs verbale Untertests und fünf Handlungsskalen diente der Test zur Diagnostik 1172 1173
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doch, dass den »Ausleseproblemen stärkste Aufmerksamkeit« zuteil werden müsse. In diesem Zusammenhang erschienen ihm die »Anregungen seines Freundes Bondy über Verfahren zur Ausscheidung von Psychopathen, Neurotikern und Schwach sinnigen und dergleichen« als sehr bedeutsam. Nur durch eine derartige Vorauslese könne die Truppe vor vielen Fehlentwicklungen bewahrt werden.1178 Auch wenn die Folgen für die Betroffenen lediglich in einem Ausschluss vom Dienst in der Bundeswehr beständen, erweckt seine Argumentation den Eindruck, dass Weniger für diese kranken Menschen nur Verachtung übrig hatte. Dabei musste er sich darüber klar sein, welche Konsequenzen diese Einordnung für vergleichbare Personen gruppen im »Dritten Reich« nach sich gezogen hatte,1179 aber zu diesem Zeitpunkt hatte er auch noch das »Ausmerzen verderbter Glieder« gefordert.1180 Wenngleich im Ton konzilianter, aber inhaltlich kongruent, folgte Baudissin den Erwägungen Wenigers, als er dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Generalleutnant a.D. Helmuth Otto von Grolman1181, in einem Schreiben mitteilte, dass die Wehrersatzbehörden zum Teil noch nicht begriffen hätten, »dass die Truppe an vielen Stellen Plattfüßler, nirgends aber Labile und Asoziale gebrauchen kann. Hier spuken noch immer alte Vorstellungen, dass der Komiss keinem erspart bleiben solle bzw. dass die Truppe gerade zur Erziehung der Schwierigen da sei. Wir haben aber weder Zeit noch Atem genug, uns mit diesen Jungen zu beschäftigen, die einfach ungeeignet sind. Beide Seiten werden überfordert. Mancher Vorgesetzte lässt sich zu ungesetzlichen Maßnahmen reizen; auch führt ein solcher ›Fall‹ mit seinem Papierkrieg die Rechtsstaatlichkeit bald ad absurdum und begünstigt den Drang der Nichtskönner und Reaktionäre nach ›Vereinfachung‹ und [dergleichen].«1182 Dies war ein weiterer Hinweis Baudissins auf seine Forderung, dass die Streitkräfte eben nicht die »Erziehungsschule der Nation« sein können. Lange vor dieser auf praktischen Erfahrung beruhenden Schlussfolgerung hatte Baudissin seine auf einer modifizierten Fassung der vorangegangenen Stellungnahme basierenden Gedanken über den Umgang mit schwer erziehbaren Soldaten dem (Psychodiagnostik) von Entwicklungsstörungen und krankheitsbedingter Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit. Bei einer zu starken Abweichung zwischen der Verbal- und der Hand lungsintelligenz wird bisweilen auf psychopathologische Aspekte geschlossen. 1956 veröffentlichte Bondy eine deutschsprachige Version, den so genannten Hamburg-Wechsler-Intelligenz-Test. Vgl. Städtler, Lexikon der Psychologie, S. 488; Psychologie-Lexikon, S. 147. 1178 Schreiben Weniger an Baudissin, 12.1.1954, BArch, N 488/1, Bl. 30. 1179 Vgl. Siemsen, Der andere Weniger, S. 88. Zur Euthanasie im Dritten Reich vgl. u.a. Aktion T4; Klee, »Euthanasie«; Burleigh, Tod und Erlösung. 1180 Weniger, Wehrmachtserziehung, S. 50. 1181 Grolman war von 1959 bis zu seinem Rücktritt 1961 der erste Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages. Vgl. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 346; Die Generale des Heeres, Bd 4, S. 434‑436. 1182 Schreiben Baudissin an Grolman, 20.5.1960, BArch, N 493/v. 8, S. 1 f. Baudissin reagierte mit diesem Schreiben auf den 1960 vorgelegten Bericht des Wehrbeauftragten: »In den gleichen Zu sammenhang fällt die häufige Einberufung von Wehrpflichtigen, die schwierige wirtschaftliche Ver hältnisse zu Hause haben und nach kurzer Zeit Urlaubs- bzw. Entlassungsgesuche stellen.« Bereits 1882 hatte der Militärschrifsteller Fritz Hoenig gefolgert: »Das Heer ist eine Erziehungsschule für das Volk, aber keine Besserungsanstalt.« Hoenig, Die Manneszucht, S. 57. Zu Hoenig vgl. Hoffmann, Der Militärschriftsteller.
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Ausschuss für »Innere Führung« vorgetragen.1183 Den Grund für ihr abweichendes Verhalten vermutete er in individuellen Erfahrungen der Soldaten und gesellschaftlichen Prozessen, die unter anderem in Form einer fortschreitenden Auflösung der Elternhäuser, bewusster und unbewusster Eindrücke aus Kriegs- und Nachkriegsjahren sowie schwierigen Schulverhältnissen als Fehlentwicklung auf die Jugendlichen und jungen Erwachsenen einwirkten und ihre Einordnungsfähigkeit in Gemeinschaften und in die Gesellschaft einschränkten oder gar ganz ausschlossen. Von Baudissin in psychopathologische Typen, politisch Renitente, von Natur aus disziplinlose Einzelgänger und asoziale Verbrechertypen katalogisiert, müsste die Truppe von diesem Personenkreis entlastet werden, da sie Vertrauensbildung und Schlagkraft der Streitkräfte störten und dem Spott ihrer Kameraden und Vorgesetzten ausgesetzt seien. Darüber hinaus sah er die Gefahr, dass sie unverhältnismäßig viel Zeit und Kraft ihrer Vorgesetzten absorbieren und diese gegebenenfalls zur Anwendung unerlaubter Erziehungsmittel provozieren könnten. Gewährleistet werden sollte die Entlastung der Truppe durch die »weitgehende Aussonderung psychologisch Labiler bei der Musterung« anhand der Testmethoden Bondys (Hamburg-Wechsler-Test) sowie durch eine rechtzeitige Inanspruchnahme von Psychotherapeuten in der Truppe, bevor sich die Konflikte zuspitzten. Sollten alle erzieherischen Mittel, einschließlich der Versetzung in andere Truppeneinheiten, versagen, verbliebe als letzte Alternative die Entfernung aus der Truppe durch die Disziplinarkammer.1184 Diese ambivalente Lösung besäße zwar den Vorteil eines klaren Schnittes, böte dem unwilligen Wehrpflichtigen aber die Chance, die Armee alsbald zu verlassen. Für Baudissin kam es infolgedessen darauf an, die ehrenvolle Entlassung mit materiellen und ideellen Vorteilen zu verbinden, mithin eine unehrenhafte Entlassung als schmerzlich empfinden zu lassen. Eine bereits in der Vergangenheit angewandte Alternative sah er in der Versetzung des renitenten Soldaten in »Sondereinheiten der Streitkräfte«, in denen zwar eine von Baudissin nicht näher definierte Sonderunterbringung erfolgen, aber eine menschenwürdige Behandlung sowie gleiche Dienstzeit, Besoldung und Verpflegung wie in der regulären Truppe garantiert sein sollte. Um diesen Weg für die Streitkräfte zweckmäßig und für ihren »Ruf und Geist« ungefährlich zu gestalten, könne er nur unter der Voraussetzung beschritten werden, dass in diesen »Sondereinheiten« ausschließlich besonders ausgewählte und ausgebildete Erzieher verwandt würden und die dort zu verrichtenden Tätigkeiten weitere Reibungswahrscheinlichkeiten ausschlössen. Daher dürften die Erzieher keine Soldaten sein, denn naturgemäß hätten die besten militärischen Erzieher in der Truppe selbst zu dienen. Ebenso verböte sich ein militärischer Dienst, »da dieser mit seinem Vorgesetztenverhältnis in erhöhtem
Siehe Baudissin, Gedanken zum Problem schwererziehbarer Soldaten, 3.2.1954, BArch, N 717/2, S. 1‑3. Die Urheberschaft Baudissins wird in einer gleichlautenden Fassung vom 3.2.1954 deutlich, bei der jedoch die letzte Seite fehlt. Siehe »Gedanken zum Problem schwererziehbarer Soldaten«, 3.2.1954, BArch, N 717/2, S. 1‑2. 1184 Siehe Baudissin, Gedanken zum Problem schwererziehbarer Soldaten, 3.2.1954, BArch, N 717/2, S. 1 f., Zitat S. 1. 1183
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Masse [sic!] Reibungsfläche gibt, an denen die Betreffenden schon einmal gescheitert« seien.1185 Um diesen »pädagogisch wie politisch unerwünschten Reibungen zwischen Er zieher und Zögling zu begegnen«1186, sahen Baudissins Überlegungen einen arbeits therapeutischen »Sonderdienst« in Form von Arbeitsverrichtungen innerhalb der Streitkräfte vor. Die Vorteile bestünden darin, dass die Streitkräfte selbst die Verant wortung behielten und wichtige Erfahrungen auf dem Gebiet der Erziehung mit Problemsoldaten sammeln könnten. Darüber hinaus könnten Besserungswillige und sich schließlich Einordnende leichter in ihre Stammeinheiten zurückversetzt werden. Baudissin zog aber auch die Befürchtung in Betracht, dass die Erziehung in Bestrafung ausarten könne. Seinen Vorschlag eines arbeitstherapeutischen Ansatzes begründete er damit, »dass eine interessante gemeinsame Arbeit, die womöglich noch der Fortbildung des Einzelnen dient, erfahrungsgemäß das beste Erziehungsmittel ist, das man für psychisch Labile sowohl als Renitente hat.«1187 Auf eine Beratung durch Psychotherapeuten und Erzieher aus dem Bereich der Jugendfürsorge sollte dabei auf keinen Fall verzichtet werden. Die Ausschussmitglieder, denen Baudissin seine Anregungen vortrug, zeigten sich überzeugt, dass die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung aus dem Dienst für einige Wehrpflichtige einen Anreiz bieten würde, dem man sich entgegenstellen müsse. Sie seien weder wehrunwürdig noch -untauglich, sondern lediglich bedingt tauglich und daher blieben die Streitkräfte für sie verantwortlich. Dies war eine sowohl mit den Gepflogenheiten der ehemaligen Wehrmacht als auch mit den Bestrebungen der Streitkräfte als »Schule der Nation« konforme Schlussfolgerung. Die Einlassung Baudissins, diese Soldaten in Anlehnung an den Vorschlag zu einem »Technischen Dienst« in Institutionen des Innenministeriums zu versetzen, in denen die gleichen dienstlichen Bedingungen herrschten wie in den Streitkräften1188, beurteilte der Ausschuss skeptisch. Überzeugt davon, dass diese Behörde nicht an deren Übernahme interessiert wäre, bliebe ihre Zusammenfassung in »Erziehungs einheiten« angesichts der Gefährdung des normalen Truppendienstes notwendig. Im Gegensatz zu Baudissin sprach sich der Ausschuss aber eindeutig dafür aus, »dass in diesen Erziehungseinheiten echter Truppendienst geleistet werden müsse, damit die dorthin Versetzten nicht von vornherein das Gefühl der Degradierung« verinnerlichten. Wohl in Angedenken an die Methoden der Sonder- und Bewährungseinheiten innerhalb der Wehrmacht verwies der Ausschuss noch einmal ausdrücklich auf das Verbot einer menschenunwürdigen Behandlung und betonte die Notwendigkeit, Siehe ebd., S. 2, Zitat ebd. Kurzprotokoll, 27. Sitzung des Ausschusses »Innere Führung«, 12.2.1954, BArch, BW 9/2592-1, Bl. 118. 1187 Siehe Baudissin, »Gedanken zum Problem schwererziehbarer Soldaten«, 12.2.1954, BArch, N 493/v. 45, S. 3. Greift man auf ein pädagogisches Wörterbuch zurück, wird »Arbeitstherapie« als eine »Behandlungsform seelischer oder körperlicher Störungen bzw. Krankheiten [definiert], bei der den Patienten interessante, vom Schwierigkeitsgrad her angemessene und nutzbringende Arbeiten angeboten werden. Dabei sollen sowohl einzelne psycho-motorische Funktionen geübt als auch das Selbstbewusstsein gestärkt werden.« Schaub/Zenke, Wörterbuch zur Pädagogik, S. 41. 1188 Siehe Baudissin, »Gedanken zum Problem schwererziehbarer Soldaten«, 12.2.1954, BArch, N 493/v. 45, S. 2. 1185
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»Erfahrungen des Jugendstrafvollzuges und anderer moderner Erziehungsmethoden für Schwererziehbare« zu verwerten. Berücksichtige man diese Forderungen und ließe den Betroffenen eine individuelle Behandlung zuteil werden, bestünde die »begründete Hoffnung, dass ein Teil wieder zur Truppe zurückkehren könne.«1189 Die Beratungen ließen jedoch offen, wer über die Versetzung in eine Erziehungseinheit zu befinden habe und wie die personelle Ausstattung dieser Einheiten bei Durchführung eines echten Truppendienstes zu gestalten sei, da man hierfür die von Baudissin als Reibungspotential abgelehnten militärischen Vorgesetzten benötigte, die von zivilen, sozialpädagogisch und sozialpsychologisch geschulten Fachkräften in der Erziehungsarbeit unterstützt werden müssten. Aber nicht nur der Ausschuss »Innere Führung« thematisierte das Problem, wie mit nicht einordnungsbereiten- oder fähigen Soldaten zu verfahren sei. Auch der Ausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit setzte sich im Rahmen seiner Debatten über das Wehrstrafgesetzbuch mit der Frage auseinander, wie straffällig gewordene, noch dem Jugendstrafrecht unterworfene Wehrpflichtige erzieherisch beeinflusst werden könnten und inwieweit die Einführung von Erziehungseinheiten hierzu ein probates Mittel darstellten.1190 Als Basis der Beratungen diente ein Re gierungs entwurf über den »Entwurf eines Wehrstrafgesetzes«1191, explizit über den »Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Wehrstrafgesetz.«1192 Den Kern der Diskussion bildeten die Ausführungen des § 112a des Jugendgerichtgesetzes (JGG), der die Anwendung des Jugendstrafrechtes für Bundeswehrangehörige regeln sollte1193: »Das Jugendstrafrecht (§ 3 bis 32, 105) gilt für die Dauer des Wehr dienstverhältnisses eines Jugendlichen oder Heranwachsenden mit folgenden Ab weichungen: 1. Schutzaufsicht und Fürsorgeerziehung dürfen nicht angewandt werden. 2. Bedarf der Jugendliche oder Heranwachsende nach seiner sittlichen oder geistigen Entwicklung einer besonderen Erziehungshilfe, so kann der Richter als Erziehungsmaßnahme die Überweisung an eine Dienststelle der Bundeswehr anordnen, die für die Durchführung der erforderlichen erzieherischen Maßnahmen besondere Gewähr bietet.«1194 Für die Abgeordneten stellte sich damit die Frage nach der Einrichtung spezieller Einheiten und welche Befugnisse »der Dienstvorgesetzte auf erzieherischem Gebiet den Angehörigen solcher Einheiten gegenüber« besitzen sollte, wenn ein wehrpflichtiger Jugendlicher gemäß richterlicher Anordnung einer besonderen Erziehungshilfe bedurfte.1195 Kurzprotokoll, 27. Sitzung des Ausschusses »Innere Führung«, 12.2.1954, BArch, BW 9/2592-1, Bl. 118. 1190 Siehe BT, 2. WP., Sten.Prot., 138. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 27.2.1957, BArch, BW 1/54931, S. 1‑30. 1191 Siehe BT, 2. WP, Anl., Bd 47, Drs., Nr. 3040, Anl. 1, S. 2‑11. Zur Begründung seiner Einführung siehe ebd., Anl. 2, S. 12‑50. Das Wehrstrafgesetz trat am 30.3.1957 in Kraft. Siehe Wehr strafrecht, S. 57‑74. 1192 Siehe ebd., S. 73 f. 1193 Die Sondervorschriften für Soldaten der Bundesswehr wurden dem Jugendgerichtsgesetz als vierter Teil durch das Einführungsgesetz zum Wehrstrafgesetz vom 30.3.1975 hinzugefügt. Siehe § 112 a‑e JGG. In: Wehrstrafrecht, S. 233‑235. 1194 BT, 2. WP, Anl., Bd 47, Drs., Nr. 3040, Anl. 3, S. 51. 1195 Siehe BT, 2. WP. Sten.Prot. der 138. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 27.2.1957, BArch, BW 1/54931, S. 3 f. 1189
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Das Verteidigungsministerium, vertreten durch Baudissin, lehnte eine Aufstellung besonderer Einheiten für straffällig gewordene Jugendliche mit der Begründung ab, dass hierdurch einer eindeutigen Diskriminierung Vorschub geleistet würde. Stattdessen plane man, die Delinquenten in reguläre Einheiten zu überweisen, deren Chefs und Unteroffiziere über besondere erzieherische Qualifikationen verfügten. Das Zugeständnis zusätzlicher disziplinärer Möglichkeiten für den Disziplinar vorgesetzten wurde jedoch als notwendig erachtet.1196 Unterstützung erhielt Baudissin vom ebenfalls anwesenden Vertreter der Rechts abteilung des Verteidigungsministeriums, Heinz Neudeck, der bestätigte, dass dem Verteidigungsministerium die »Zusammenballung straffällig gewordener Jugend liche niemals vorgeschwebt habe.«1197 Die geplanten Einheiten seien nicht mit den Sondereinheiten des »Dritten Reiches« vergleichbar, da die Soldaten nur durch richterliche Anordnung, nicht aber auf dem Truppendienstweg zu überstellen wären. Neudecks Anmerkung, dass der Verteidigungsminister die entsprechenden Ein heiten per Rechtsverordnung bestimmen sollte, wurde von den Abgeordneten allerdings als unpraktikabel abgelehnt.1198 Mit Erleichterung hatten die Abgeordneten die Planungen des Ministeriums aufgenommen, da sie eine Wiederbelebung der Sondereinheiten für den Fall befürchteten, dass der Wortlaut der Gesetzesvorlage unverändert bestehen bliebe. Vonseiten der Ausschussmitglieder wurde lediglich angestrebt, diese Wehrpflich tigen in die Obhut eines besonders befähigten Einheitsführers zu geben, dessen Auswahl der Truppen- und Personalführung vorbehalten bleiben sollte.1199 Die von Baudissin angemahnte Erweiterung der disziplinären Möglichkeiten stünde dem Disziplinarvorgesetzten bereits mit dem § 115 des Jugendgerichtsgesetzes zur Verfügung.1200 Mithin lehnte der Ausschuss die Einrichtung spezieller Einheiten als Ergebnis seiner Beratungen ab und strich den Begriff aus der Gesetzesvorlage.1201 Die vom Ausschuss erarbeiteten Vorschläge gingen schließlich in veränderter Form in das Gesetz ein. Benötigte der »Jugendliche oder Heranwachsende nach seiner sittlichen oder geistigen Entwicklung besonderer erzieherischer Einwirkung, so kann der Richter Erziehungshilfe durch den Disziplinarvorgesetzten als Erziehungsmaßregel anordnen.« Erfolgte eine derartige Anordnung, musste der Disziplinarvorgesetzte die Überwachung und Betreuung des Soldaten auch außerhalb des Dienstes sicherstellen, womit dem Betroffenen »Pflichten und Beschränkungen auferlegt [werden], Siehe ebd., S. 4 f. Ebd., S. 12. 1198 Siehe ebd., S. 5 f. 1199 Die von einem SPD-Abgeordneten vertretene Auffassung, dass alle Einheitsführer von vornherein befähigt seien, schwer erziehbare junge Männer wieder auf den rechten Weg zu bringen, kommentierte Baudissin als weit über das Ziel hinweg schießend. Dies gelte umso mehr, da der Politiker noch wenige Minuten zuvor, aufgrund persönlicher Gespräche, darauf hingewiesen hatte, dass zahlreiche Unteroffiziere und Offiziere »sich im Regelfall hilflos fühlten, wenn nicht eine starke Disziplinargewalt hinter ihnen stehe.« Siehe ebd., S. 8, 13; Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 27.2.1957, BArch, N 717/8, Bl. 113. 1200 Siehe BT, 2. WP. Sten.Prot. der 138. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 27.2.1957, BArch, BW 1/54931, S. 6. Siehe auch § 115 Abs. 3 JGG. In: Wehrstrafrecht, S. 236. 1201 Siehe 2. WP. Sten.Prot. der 138. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 27.2.1957, BArch, BW 1/54931, S. 21. 1196 1197
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die sich auf den Dienst, die Freizeit, den Urlaub und die Auszahlung der Besoldung beziehen können.«1202 Die Diskussion der Parlamentarier hatte deutlich gemacht, dass eine Renaissance klassischer Sondereinheiten keine politische Rückendeckung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit zu erwarten hatte und daher für die Bundeswehr nicht durchsetzbar sein würde. Alle Abgeordneten dieses für den Aufbau zukünftiger Streitkräfte maßgeblichen Ausschusses, darunter ein ehemaliger General der Wehrmacht, waren sich mit einer Ausnahme einig, dass es keine Sondereinheiten mehr geben dürfe. Zu tief saßen die Ressentiments aus der Vergangenheit und das Wissen um eine strikte öffentliche Ablehnung. Auch dem CDU-Abgeordneten Kließing war der Gedanke an besondere Einheiten unsympathisch, doch »mit Rück sicht auf einzelne Fälle, die für normale Einheiten eine unerträgliche Belastung bildeten, werde man dieses Verfahren einschlagen müssen.«1203 Dass er mit dieser Überzeugung nicht allein stand, werden die weiteren Ausführungen belegen. Vorerst wurde vonseiten des Verteidigungsministeriums jedoch auf die Einrich tung jeglicher »Sondereinheiten« verzichtet und stattdessen die Broschüre »Schwierige junge Soldaten« als Orientierungshilfe für die Vorgesetzten erarbeitet, die 1961 in der Schriftenreihe »Innere Führung« erschien.
c) Die Ausbildungsschrift »Schwierige junge Soldaten« (1961) Unter Federführung des Referates Erziehung und fachlicher Mitarbeit von Psycho logen, Pädagogen und Ärzten erstellt, sollte die Schrift ein Ratgeber »für die Komman deure, Kompaniechefs, wie auch für die Zugführer in den Fragen der Führung und Erziehung schwieriger Soldaten« sein.1204 Als weitere Grundlage für die Erziehungs schrift dienten auch die »Richtlinien für Menschenführung in der Truppe.«1205 Von Oberstabsarzt Dr. Dreist für die Luftwaffe der Wehrmacht erstellt, fand das 1944 veröffentlichte Buch jedoch keine Aufnahme in das Literaturverzeichnis, das dem abschließenden Entwurf beigefügt, aber nicht in der Druckversion übernommen worden war. Obwohl das Referat für die Beschreibung typischen Fehlverhaltens Passagen der Ausführungen Dreists sowohl wörtlich als auch sinngemäß übernommen hatte, findet sich hierzu keinerlei Hinweis.1206 Die Richtlinien entsprechen zwar der nati§ 112a und 112b JGG. In: Wehrstrafrecht, S. 233 f. BT, 2. WP. Sten.Prot. der 138. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 27.2.1957, BArch, BW 1/54931, S. 21. 1204 Anschreiben Karst, »Führung und Erziehung schwieriger Soldaten«, 11.7.1960, BArch, N 493/v. 45. Zu den Gutachtern siehe Schreiben Wangenheim an Fü B I 4, 4.5.1960, ebd. Dort auch Denkschrift des Bayrischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zur Problematik der Halbwüchsigen, 25.10.1956; Untersuchung zum Problem der Schwererziehbaren und politisch Schweransprechbaren, eine Auftragsarbeit von Dr. Hans Kähler; Aufsatz Dr. Laube über Schwierig keiten im Betrieb durch Jugendliche. 1205 Siehe Dreist, W., Richtlinien für die Menschenführung in der Truppe. Seelische Wehrbetreuung, 2. Aufl., Berlin 1944. In: BArch, N 493/v. 45. 1206 Siehe Dreist, Richtlinien. In: BArch, N 493/v. 45, S. 37‑68. Zur Verdeutlichung werden einige Textpassagen von 1944 entweder in den Text erläuternd eingearbeitet oder im Anmerkungsapparat wiedergegeben. Zum Literaturverzeichnis werden Werke zur Pädagogik, Psychologie, jugendliche Reifeentwicklung und Menschenführung, unter anderem von Theodor Wilhelm und Eduard 1202 1203
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onalsozialistischen Diktion von der Entbehrlichkeit der für die Volksgemeinschaft unbrauchbaren und wertlosen Menschen1207, setzten sich aber mit Ausnahme der »Psychopathen« dafür ein, »schwierigen Persönlichkeiten« in den Streitkräften mit Verständnis und Hilfe entgegenzutreten, um ihre Leistungsbereitschaft und -fähigkeit zu steigern.1208 Auch die in Teilen auf diesen Richtlinien basierende Erziehungsschrift für die Bundeswehr zeigte sich bestrebt, vor allem den jungen Vorgesetzten zu »helfen, bestimmten Schwierigkeiten so einsichts- und wirkungsvoll wie möglich zu begegnen« und ihm so die Erziehungsaufgabe im Umgang mit anfälligen Soldaten zu erleichtern. Nicht nur Anleitung »zur richtigen Erkenntnis und Erziehung von schwierigen Soldaten«, sollte die Handreichung ihm auch die Ursachen für abweichendes Verhalten erläutern und aufzeigen, wie er derartigen Schwierigkeiten vorbeugend begegnen könne. Ältere und erfahrene Vorgesetzte wurden angehalten, die Inhalte mit den Jüngeren unter Einbeziehung des Militärseelsorgers, des Truppenarztes und der Handreichung »Soldatische Pflicht«1209 zu besprechen; Unteroffizier- und Offizierschulen sollten die Ausführungen in ihre Lehrpläne aufnehmen.1210 Als Ursache abweichenden Verhaltens identifiziert der Leitfaden die Entwicklung des jungen Menschen in seiner Bezogenheit auf die ihn umgebenden Bildungskräfte der Familie und der Gesellschaft. Eine lieblose Mutter könne die soziale Anpassung ebenso erschweren wie eine fehlende väterliche Autorität, der »vornehmlich die Führung, die Weckung der Kräfte des Standhaltens und des Sichzurechtfindens in der Welt« obliege. Andererseits verbiete sich auch eine zu starke Bindung an die Mutter, da die Hinwendung zum Vater als männliches Leitbild für die weitere Entwicklung der Jungen unabdingbar sei. Gehemmt werde die Entwicklung der Heranwachsenden auch durch übermäßige Entbehrungen in der Jugend. Diesbe zügliche Entwicklungsstörungen könne man auch bei Kindern beobachten, »die eine langanhaltende Heimerziehung außerhalb der Familie genossen« hätten.1211 Ohne die Kriterien einer ausgewogenen Erziehung aufzuzeigen, schließt dieser Abschnitt der Analyse mit dem Befund, dass jede zu harte oder zu weiche Erziehung »zu einer Fehlentwicklung [führe], wenn es das Kind nicht fertigbringt, sich im Laufe des Heranwachsens freizumachen und selbständig seinen Weg zu gehen.«1212 Spranger auflistet. Siehe Soldatische Sorgenkinder (Schwierige junge Soldaten), Anhang zum An schreiben Karst, »Führung und Erziehung schwieriger Soldaten«, 11.7.1960, BArch, N 493/v. 45, S. 40. 1207 Siehe Dreist, Richtlinien. In: BArch, N 493/v. 45, S. 25. 1208 Siehe ebd., S. 37‑68. 1209 Siehe Soldatische Pflicht. 1210 Siehe Schwierige junge Soldaten, S. 8, Zitate ebd. 1211 Zieht man die damaligen Zustände in deutschen Kinder-, Erziehungs- und Fürsorgeheimen in Betracht, waren die verantwortlichen Bearbeiter des Leitfadens mit ihren pädagogisch und psychologisch fundierten Analysen und Forderungen vielen professionellen Erziehern ihrer Zeit weit voraus. Vgl. hierzu Wensierski, Schläge. 1212 Siehe Schwierige junge Soldaten, S. 9, Zitate ebd. Die Richtlinien Dreists beschränkten sich im nationalsozialistischen Sinne auf die Fehlentwicklungen in Folge einer zu weichen Erziehung: »Jede fehlerhafte Erziehung (Verweichlichung, Verängstigung, Entmutigung) kann charakterliche Entwicklung richtunggebend beeinflussen, oft in falsche Bahnen lenken.« Falsche Einstellungen
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Im Weiteren wird die hohe Bedeutung der Reifejahre als Phase der Ablösung von den Eltern hervorgehoben. Nur der Mensch, der seine innere Selbstständigkeit erlange, sei in der Lage, sich in der Gemeinschaft zu bewähren. Fehler der Eltern, insbesondere eines zu autoritären Vaters, könnten zur Auflehnung gegen jede Art von Autorität führen; eine pessimistische Selbsteinschätzung, die Lebensleistung des Vaters nie zu erreichen, berge hingegen die Gefahr der Resignation. Gelinge der Ablöseprozess nicht, bliebe der junge Mensch innerlich Kind, dessen fehlende Selbstständigkeit seine Einordnung in die »größere menschliche Gemeinschaft« erschwere. In ihr suche der junge Mensch aber nicht nur das Erlebnis der Gemeinschaft, sondern auch die in ihr verborgene Führungspersönlichkeit. Der Jugendliche strebe stets »einem Vorbild nach: in der Familie dem Vorbild des verehrten Vaters und der geliebten Mutter, im Beruf dem des geschätzten Lehrers oder Meisters, beim Militär dem des geachteten Gruppen,- Zug- oder Kompanieführers.« Diese zum Wesen der heranwachsenden Jugend gehörende Idealbildung »drücke ein Streben nach höheren Lebenszielen aus.« Versage der Vorgesetzte in seiner Funktion als Vorbild, seien daraus resultierende Fehlentwicklungen nicht auszuschließen.1213 Baudissin hätte hier anstelle des überhöhten Vorbildbegriffes wohl die Beispielhaftigkeit des soldatischen Führers gesetzt. Als gleichsam notwendig zum Verständnis der Probleme von Jugendlichen betrachtet die Handreichung Kenntnisse über den Reifungsprozess, der sich erheblich von der bisherigen Entwicklung unterscheide und durchschnittlich zwei Jahre früher als in der Vergangenheit einsetze. Folglich entstehe der Eindruck, »dass bei diesen körperlich verfrühten Jugendlichen alle Kraft in die leibliche Entwicklung hineingeht, und dass die seelische Entwicklung zurückbleibt.« Von der Umwelt wegen ihres erwachsenen Aussehens überfordert, litten sie zudem »unter starken inneren Spannungen.« Aber nicht alle Reifungsschwierigkeiten ließen sich mit einer »körperlichen[n] Entwicklungsverfrühung« erklären, da neben einer solchen »Ver frühung und Beschleunigung« auch »eine körperliche Entwicklungsverspätung« auftreten könne. Für differenzierte Urteile stünden dem Vorgesetzten aber der Militär seelsorger, der Truppenarzt oder, sofern verfügbar, ein Psychologe beratend zur Seite. Da die Aus- und Weiterbildung von Soldaten oftmals in Form von Lehrgängen außerhalb ihrer gewohnten Umgebung stattfindet, solle der »innere[n] gemüthafte[n] Bindung, Anpassung und Einordnung« die erforderliche Beachtung zuteil werden. Besonders für »Spätentwickler« würden Lehrgangskommandierungen eine besondere Belastung darstellen. Daher empfehle es sich, »bei der Auswahl zu Lehrgängen nicht nur nach der fachlichen, sondern auch nach der persönlichen Eignung zu fragen.«1214 In seiner geistig-seelischen Entwicklung beweise der Jugendliche eine frühzeitige Anpassungsfähigkeit. Auf äußere Situationen reagiere er schneller, wendiger, sei »clever«. Dieser Fähigkeit stehe aber »ein Zurückbleiben in der Eigenständigkeit der Gewissensbildung, der Urteils- und Kritikfähigkeit, vor allem auch der Selbst kritik« gegenüber. Materielles Denken überwiege, bei der Berufsausbildung besitze zu sich selbst und zum Mitmenschen seien das Resultat. Siehe Dreist, Richtlinien. In: BArch, N 493/v. 45, S. 57. Hervorhebungen im Original. 1213 Siehe Schwierige junge Soldaten, S. 9 f., Zitate S. 10. 1214 Siehe ebd., S. 11 f., Zitate ebd. Hervorhebungen im Original.
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der Gelderwerb Vorrang. Der Wissensdrang sei auf das berufliche Fortkommen ausgerichtet, Strebertum und Selbstüberforderung die Konsequenz. Es herrsche eine Ich-Bezogenheit vor, die jedoch unbekümmert und nicht bösartig veranlagt sei. Ein Hang zu »außergewöhnlichem Handeln [Mutproben, der Verfasser] sowie zu Übersteigerungen« trete hinzu. Oft seien Anmaßung und Trotz aber nur ein Zeichen für Unsicherheit und Hilflosigkeit. Das »Halbstarkenproblem« zeige, wie anfällig der junge Mensch in diesem ungefestigten Lebensalter sei. Die Ich-Bezogenheit sei aber auch ein Rückzug als Folge der immer komplexer werdenden Welt. Auf der Suche nach Antworten, frage die Jugend aber »nicht immer hintergründig nach dem Sinn des Lebens, sondern strebt zunächst danach, die äußeren Erscheinungen zu bewältigen.« Dabei ließe sie oftmals eine Scheu erkennen, sich herkömmlichen Organisationen anzuschließen.1215 Ungeachtet dieser auf den jungen Menschen einwirkenden Faktoren hätten die bisherigen Erfahrungen mit den Rekruten, die sich »entwicklungsmäßig im Übergang zum reifen Erwachsenen« befänden, aber deren grundsätzliche Aufgeschlossenheit gezeigt.1216 Veränderungen in der Gruppenstruktur, in der sich bald ein Zusammen gehörigkeitsgefühl einstelle, würden wenig geschätzt; Aufgaben, die sein Interesse weckten, nehme er gerne an. Nicht gefühlsarm, habe er sich der nüchternen Berufs welt angepasst. Gut informiert über seine Rechte, fehle es ihm aber an der Vorstellung seiner Pflichten und »der Einstellung zum Begriff des Dienens.« Verzicht falle ihm manches Mal schwer. Oft bewerte der junge Soldat seine dienstlichen Aufgaben nach dem persönlichen Nutzen für das spätere Zivilleben. So werde die Kraftfahrausbildung der Waffenausbildung vorgezogen. Gelänge es dem Vorgesetzten aber, »die Soldaten richtig anzusprechen und sie bei ihrer Begeisterungsfähigkeit zu packen, so zeigen sie sich auch für Aufgaben und Forderungen aufgeschlossen, die über das Materielle hinausreichen.«1217 Entwicklung und Leben des Menschen seien aber auch von Krisen1218 geprägt, für die sich besonders der junge Mensch, dem es noch an Festigkeit und Lebenserfahrung fehle, anfällig zeige. In seiner Auseinandersetzung mit der Lebenswirklichkeit müsse er lernen, seelische Belastungen zu verarbeiten und Gelegenheit erhalten, auftretende Konflikte eigenständig zu lösen. Die »eigentlich ›schwierigen‹ Fälle« seien jene, bei denen sich die selbstständige Krisenbewältigung als aussichtslos erweise. Hier sei die Aufmerksamkeit und Hilfestellung des Vorgesetzten vonnöten, der mit Empathie und gemäß der angestrebten Selbsterziehung Hilfe zur Selbsthilfe leisten solle. Verhalte sich ein Soldat »trotz aller Hilfen immer wieder anders [...], als man es von ihm verlangen und erwarten muss, und [stört] dadurch den Ablauf des Dienstes und das Leben in der Gemeinschaft [...], hat man es mit einem schwieriSiehe ebd., S. 12 f., Zitate ebd., S. 12. Hervorhebung im Original. Siehe hierzu auch Der junge Soldat 1957. Auf den Erfahrungen der Truppe basierend, wird ein allgemeines Bild des jungen Soldaten beschrieben. Neben seinen geistigen Anlagen und der körperlichen Leistungsfähigkeit wird seine Stellung zur Bundeswehr und zum Staat ebenso einer Analyse unterworfen wie sein Verhältnis zu den Vorgesetzten, zum Dienst und zur Freizeit. 1217 Siehe Schwierige junge Soldaten, S. 13, Zitate ebd. 1218 Trennung von Familie und Freundeskreis, Probleme in der Familie, Tod eines geliebten Menschen, Liebeskummer, Konflikte im Berufsleben. 1215 1216
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gen Soldaten, einem sogenannten ›Sorgenkind‹ zu tun.« Hier müsse, auch unter Inkaufnahme menschlicher Härten, eingegriffen werden, »da es nicht nur um den schwierigen Soldaten selbst geht, sondern um die nachteilige Wirkung, die er auf die Einheit ausübt.« Gelänge es nicht, den Soldaten mit den Mitteln soldatischer Erziehung auf Dauer zu formen, müsse man von Schwererziehbarkeit im Sinne der Jugendgesetzgebung ausgehen.1219 Bereits die 1944 erlassenen Richtlinien forderten den Truppenoffizier auf, keinesfalls das im allgemeinen Sprachgebrauch übliche, aber abfällige Werturteil des Psychopathen zu verwenden. Diese Diagnose bleibe dem Truppenarzt vorbehalten. Schließlich könne man dem abweichenden Verhalten nicht ansehen, ob es anlagebedingt oder situationsabhängig sei. Stattdessen sei von »schwierigen Persönlichkeiten« zu sprechen1220; ein Ratschlag, den die Erziehungsschrift durch stringente Vermeidung des Diagnosebegriffes beherzigte. Vielfach »geistig, seelisch, gelegentlich auch körperlich anormal«, sei der schwer erziehbare Soldat mit einem ausführlichen Bericht des Disziplinarvorgesetzten dem Truppen- oder Facharzt vorzustellen. Werde Abnormalität diagnostiziert, sei ein Ent lassungsverfahren einzuleiten. Um des Wohles der Gemeinschaft willen, sei es wichtig, die Grenze der Erziehbarkeit so früh wie möglich zu erkennen. Dabei dürfe die Möglichkeit einer Besserung bis zur medizinischen Bestätigung des Verdachtes aber nicht ausgeschlossen werden, denn nichts wäre schädlicher für die Truppe, »als wenn ein Soldat vorzeitig zum ›hoffnungslosen‹ Fall gestempelt« werde. Außerdem habe der Vorgesetzte auch diejenigen zu berücksichtigen, die sich durch Verstellung dem Dienst zu entziehen suchten. Hier könne oft nur der Fachmann den Simulanten enttarnen. Strafe sei die verdiente Maßregelung, ansonsten verleite deren Verhalten zur Nachahmung.1221 In der umfassenden Analyse über die Formen auftretenden Fehlverhaltens von »Sorgenkindern« oder »Schwererziehbaren«, unterscheidet der Wegweiser zwischen anlagebedingten Mängeln und umweltbedingten Schäden sowie zwischen sich aktiv und passiv auswirkenden Fehlhaltungen. Am meisten werde die Truppe dabei durch das aktive Fehlverhalten der Störer gefährdet. In diese Kategorie fielen die »ewig Mürrischen«, die »Querulanten« und die »Misstrauischen« sowie die »Erregbaren«, die beim geringsten Anlass »aufbrausenden explosiblen Charaktere«, die besonders unter Alkoholeinfluss gefährlich seien. Die höchste Gefahr ginge aber von den »Gemütlosen« aus. Kalt egozentrisch seien sie »zu höheren Gemütsbewegungen nicht fähig, achten kaum die sittlichen Maßstäbe und gehen ›über Leichen‹.«1222 Vergleicht man die Beschreibung der Störer mit den Ausführungen der Wehr machtrichtlinien, kommt man unschwer zu dem Ergebnis, dass sich die Bearbeiter der Erziehungsschrift in Diktion und Gliederung sehr eng an die, wenngleich umfangreiche, Vorlage angelehnt haben, ohne jedoch deren Schlussfolgerungen zu teilen. 1944 als schwere Psychopathen charakterisiert, wurden langwierige Erziehungs versuche bei Störern, zu denen auch Homosexuelle, Alkoholiker und Sadisten gezählt Siehe Schwierige junge Soldaten, S. 14 f., Zitate ebd. Hervorhebungen im Original. Siehe Dreist, Richtlinien. In: BArch, N 493/v. 45, S. 37. 1221 Siehe Schwierige junge Soldaten, S. 14 f., Zitate ebd. 1222 Ebd., S. 16. 1219 1220
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wurden, als fruchtlos eingeschätzt. Ebenso unbeeinflussbar wie geborene Verbrecher, »habe es keinen Sinn, irgendwelche Bedenken gegenüber Menschen zu haben, die biologisch minderwertig sind und bleiben.« In stringenter Fortführung der 1940 vom Heeressanitätsinspekteur erlassenen Anordnung wurde deren Überweisung in Sondereinheiten oder falls geboten in Konzentrationslager angeregt.1223 Zwar teilte das Referat die Einschätzung, dass diesem Personenkreis nur mit Entschiedenheit und Strenge begegnet werden könne, eine Forderung nach besonderen Einheiten wurde daraus aber nicht abgeleitet. Obwohl der Ruf nach »Sonder einheiten« auch in der Bundeswehr bis Mitte der 1960er-Jahre nicht verstummen sollte, zeigte die Erziehungshilfe, trotz begrifflicher und inhaltlicher Reminiszenzen an vergangene Zeiten, neue Wege im Umgang mit auffälligen Soldaten auf, ohne dabei einer »weichen Welle« das Wort zu reden. Sollten alle, unter Mithilfe des Truppenarztes und Militärseelsorgers unternommenen Bemühungen, das auffällige Verhalten der Störer zu ergründen und zu unterbinden, scheitern, müsse der Disziplinarvorgesetzte die Angelegenheit als schuldhaft begangenes Dienstvergehen würdigen.1224 In der Kategorie passiven Fehlverhaltens fanden sich die »Versager« wieder. Zu ihnen zählten die »Willensschwachen«, »Haltlosen«, »leicht Erschöpfbaren«, »Nervösen«, »Nervenkranken« (inklusive der eingebildeten Kranken), »Minderbegabten«, »Ver wöhn ten«, anlagebedingt »Kontaktarmen« (Einzelgänger), »Gehemmten«, »Stot terer« und »Bettnässer«.1225 Ebenso energisch wie den »Gemütlosen«, müsse auch den »Haltlosen«, die »zumeist stark erbbelastet und dann fast aussichtslose Fälle« seien, entgegengetreten werden. Obgleich nur wenige dieser »Versager« in die Bundes wehr gelangen würden, hätte eine Untersuchung der Familienverhältnisse zumeist eine Entlassung wegen Dienstunfähigkeit durch den Truppenarzt zur Folge.1226 Im Weiteren werden die Ausdrucksformen passiven Fehlverhaltens ebenso detailliert beschrieben wie die Handlungsfelder, mit denen man ihnen begegnen könne.1227 Auch in diesem Fall kann mit einem Textvergleich eine teils wörtliche, teils sinngemäße Anlehnung an die Erläuterungen und Folgerungen der Wehrmacht nachgewiesen werden. In einer abschließenden Zusammenfassung wird festgehalten, dass es sich in zahlreichen Fällen nicht um Erziehungsdefizite, sondern um Krankheitssymptome handle, deren Behandlung dem Truppenarzt vorbehalten bliebe und gegebenenfalls eine Entlassung aus dem Dienstverhältnis nach sich zöge (Haltlose, Nervenkranke, Siehe Dreist, Richtlinien. In: BArch, N493/v.45, S. 37‑41 und Schwierige junge Soldaten, S. 16. Bis auf den ungenannt bleibenden Sadismus listet die Erziehungsschrift die Homosexualität und den Alkoholismus in einem eigenständigen Abschnitt als besondere Gefährdungen auf. Hierzu treten der Selbstmord, dem auch die Richtlinien umfassende Beachtung schenken, sowie Verkehrsdelikte, die in der verstärkt motorisierten Welt an Bedeutung gewonnen hatten. Zum Problem des Selbstmordes und dessen Verhütung in den Richtlinien siehe ebd., S. 25‑32, zum Alkohol- und Nikotinproblem ebd., S. 69‑74. 1224 Siehe Schwierige junge Soldaten, S. 16. 1225 Siehe ebd., S. 16‑20, Zitat S. 16. 1226 Siehe ebd., S. 17, Zitat ebd. 1227 Als Einleitung des Ratgebers werden fünf Beispiele aktiven und passiven Fehlverhaltens aufgezeigt. Siehe ebd., S. 4‑7. 1223
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Empfindsame, Schwermütige, Bettnässer, Minderbegabte und schwere Stotterer).1228 Bei anderen reiche Ermutigung und Anleitung. Hilfreich seien Lob und Anerkennung; Ermahnungen und »scharfe ›Anpfiffe‹« hingegen eher kontraproduktiv. Trete man diesen »Versagern« verständnisvoll entgegen, gäben sie sich große Mühe (Willenlose, leicht Erschöpfbare, Nervöse, Minderbegabte und Verwöhnte). Entscheidend für den Erfolg, diese jungen Menschen in die Gemeinschaft und ihre Aufgaben zu integrieren, sei die gelebte Kameradschaft, die der Vorgesetzte vor allem in den Fällen einzufordern habe, wo die betroffenen Soldaten von ihren Kameraden gehänselt oder ausgenutzt würden. Gerade den Schwerfälligen, Gehemmten und Stotterern bedeute eine gute Kameradschaft viel und müsse daher zu einem besonderen Erlebnis für sie werden.1229 Diese Schlussfolgerungen waren bereits 1944 gezogen worden. Als besondere Gefährdungen für die jungen Soldaten und damit die soldatische Gemeinschaft listet die Handreichung Alkoholmissbrauch, Homosexualität, Selbst mord und Verkehrsdelikte auf. Im Falle des Alkoholmissbrauchs könne mit Strafen nur wenig erreicht werden. Stattdessen müsse der Truppenarzt feststellen, ob eine Sucht vorliege, die eine Entlassung rechtfertige. Um Delikte unter Alkoholeinfluss zu verhindern, solle der Vorgesetzte durch sein Beispiel zeigen, »dass der disziplinierte Soldat sich nicht betrinkt, und dass er sich auch ohne völlige Abstinenz in der Hand zu behalten vermag.«1230 Verkehrsdelikten, oft aus Übermut, Selbstüberschätzung, Kraft- und Bewe gungsüberschuss sowie Rücksichtslosigkeit begangen, könne man mit einem sinnvollen, bis an die Leistungsgrenze gehenden Dienst vorbeugen. Appelle an eine »soldatisch-ritterliche Einstellung« und »Selbstbeherrschung beim Fahren (›Ritter am Steuer‹)« sowie der Hinweis, dass das Ansehen der Bundeswehr auf dem Spiel stehe, sollten erzieherisch auf den Soldaten einwirken. Zusätzliche Informationen zu Verkehrsunfällen anhand von Bildstatistiken könnten ebenfalls dazu beitragen, den jungen Soldaten zur Einsicht zu bekehren.1231 Für das soldatische Zusammenleben sehr schwer zu ertragen sei die »sexuelle Fehlentwicklung der Homosexualität.« Dabei müsse zwischen dem leicht zu erkennenden »passiven Homosexuellen« und dem »weitaus gefährlicheren, weil schwer zu erkennenden, meist sehr männlich erscheinenden ›aktiven‹ Homosexuellen« unterschieden werden, »welcher der eigentliche Verführer ist.« Werde Homosexualität durch eine Untersuchung des Truppenarztes bestätigt, müsse bei der zuständigen Auch 1944 kam eine Entlassung aus dem Wehrdienst aus Gründen der Wehrmoral nur dann in Frage, wenn ein fachärztliches Urteil eine »krankhafte charakterliche Abartigkeit« festgestellt hatte. Diese konnte aber nur dann ausgesprochen werden, wenn der Betreffende keine Gefahr für die zivile Allgemeinheit darstellte. Während die Störer über kurz oder lang in die Sondereinheiten überwiesen würden, müsse die Truppe mit »den übrigen schwierigen Persönlichkeiten [...] wohl oder übel auf irgendeine Weise fertig werden.« Siehe Dreist, Richtlinien. In: BArch, N 493/v. 45, S. 43, Zitate ebd. 1229 Siehe Schwierige junge Soldaten, S. 21. 1230 Siehe ebd., S. 21‑25, Zitat S. 21. 1231 Siehe ebd., S. 24 f., Zitat S. 25. Der Verfasser erinnert sich an einen Sanitätsoffizier an der Panzer truppenschule in Munster, der Mitte der 1980er-Jahre mit sehr drastischen Unfallfotographien, aufgenommen freitags und sonntags auf der Bundesstraße zwischen Munster und der Bundes autobahn, Beklemmung und Nachdenklichkeit auslöste. 1228
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Strafverfolgungsbehörde Strafanzeige erstattet werden und die Dienstunfähigkeit des Betreffenden geprüft werden.1232 Sehr ausführlich widmet sich der Ratgeber dem Selbstmordproblem. Gerade der in eine ungewohnte Umgebung hineinversetzte junge Soldat erscheine im Gegensatz zu seinen zivilen Altersgenossen stärker selbstmordgefährdet. Andererseits wirke die soldatische Gemeinschaft mit Ihrem Geborgenheitsgefühl in der Gruppe aber auch selbstmordverhindernd. Ausgelöst werden könne ein Selbstmord durch zahlreiche Gründe; ein daraus resultierender Selbstmordversuch müsse sich aber nicht wiederholen. Nur im Falle einer anlagebedingten Fehlhaltung läge eine Dienstuntauglichkeit nahe. Dies könne aber nur ein Facharzt feststellen. Eine Fehlbeurteilung durch den Laien, der äußeren Anlass und innere Ursache leicht verwechseln könne, müsse zu einer Fehlbehandlung führen. Anzeichen einer Selbstmordgefährdung1233 müssten dem Disziplinarvorgesetzten rechtzeitig zur Kenntnis gebracht werden, um mithilfe einer Aussprache des Truppenarztes und des Militärseelsorgers entsprechende Abwehrmaßnahmen einleiten zu können. Erfolge ein Selbstmordversuch oder eine -androhung, müsse der Soldat auf jeden Fall dem Truppenarzt zugeführt und der Militärseelsorger hinzugezogen werden, da der Laie nicht erkennen könne, ob eine ernstgemeinte Absicht oder ein fingierter Versuch vorliege. Von seiner Verantwortung gegenüber dem Soldaten dürfe sich der Vorgesetzte hierdurch aber nicht entbunden fühlen.1234 Einordnung, Gewöhnung, Führung und Aussprache dienen der Handreichung als vorbeugende Maßnahmen gegen Erziehungsschwierigkeiten. Mit der Wehrpflicht stelle der Staat Anforderungen, die sich der junge Mann nicht freiwillig ausgesucht hat. Die nunmehr erwartete Hintanstellung seiner persönlichen Bedürfnisse und Erwartungen, »Grundlage der soldatischen Gemeinschaft und der Schlagkraft der Truppe«, könne daher bei Einzelnen Krisen verursachen. Mithin hänge es nicht nur von der persönlichen Anpassungsfähigkeit, sondern auch von der gelebten Inneren Führung, »vom ›Klima‹ in der Kaserne, vom Geist der Truppe und vielen äußeren Bedingungen [...] ab, ob diese Anfangsschwierigkeiten schnell überwunden werden, und ob der Soldat ein inniges Verhältnis zum Dienst gewinnt.« Hierzu beitragen könne auch eine positive Stellung des Soldaten in der Bundeswehr und die »Achtung, die der Soldat in der Gesellschaft« genieße. Der Anforderung des modernen Kriegsbildes nach verantwortlichem Handeln und eigener Entscheidungsfähigkeit im Sinne der übergeordneten Führung könne nur mit der Vermittlung von Selbstständigkeit und Selbstverantwortung begegnet werden, ohne die militärischen Grenzen von Befehl und Gehorsam dabei aufzuheben.1235 Als eines der besten Erziehungsmittel wird ein geregelter Tagesablauf und »ein straffer, wohlüberlegter Dienst [gefordert], der den Soldaten voll ausfüllt und seiSiehe Schwierige junge Soldaten, S. 66, Zitat ebd. Gemäß § 175 StGB war Homosexualität bis 1994 strafbar. 1233 Aufgeführt werden Absonderung aus der Gemeinschaft, Schlaflosigkeit, Unruhe, grundlose Angst und Erregung, krankhafte Verstimmung. 1234 Siehe Schwierige junge Soldaten, S. 22‑24. 1235 Siehe ebd., S. 26 f., Zitate S. 26. 1232
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ne ganze Kraft beansprucht.« Leerlauf verführe zu dummen Gedanken und könne Erziehungsschwierigkeiten zur Folge haben. Der Soldat müsse in beispielhaft vorgelebte und »sinnvoll geordnete Gewohnheiten« und sich immer wiederholende Verhaltensweisen eingefügt werden. Erkenne der junge Soldat, »dass die Ordnung des dienstlichen Lebens nicht nur für die Gemeinschaft, sondern auch für ihn selbst zweckmäßig« sei, werde er sich ihr umso leichter anpassen. Hierzu nimmt der Ratgeber die Vorgesetzten in ihrer Beispielhaftigkeit in die Pflicht, denn alle »Formen soldatischer Sitte, sowohl im Anzug wie im Auftreten wie im Umgang, werden durch Nachahmung übernommen und zu wichtigen Ordnungselementen.« Zur Erleichterung müsse der Vorgesetzte die wesentlichen Zusammenhänge erklären, damit der Soldat die an ihn gestellten Anforderungen als rechtmäßig anerkenne. Die Einsicht des Soldaten, sei umso wichtiger, »als die Ausbildung zwangsläufig mit der Forderung beginnt, zu folgen, ohne erst zu prüfen«, der Soldat also zunächst einmal lernen müsse, zu gehorchen. Eine gerechte Verteilung von Lob, Tadel, Vergünstigung und Strafe begünstigten den Gewöhnungsprozess; vor allem Freiheit und Zucht müssten in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Erziehung könne sich nicht allein auf Freiwilligkeit stützen, sondern sei auf Zucht angewiesen. Werde sie sinnvoll angewandt, fühle sich der junge Soldat »als Mann angesprochen und ist stolz darauf, eine Härteprüfung bestehen zu können.« Ihr Missbrauch hingegen führe zu einer »nicht mehr ansprechbaren ›Sturheit‹.«1236 Eine maßgebliche Rolle für die erfolgreiche Erziehungsarbeit komme dem Grup pen führer zu, der mit seinem »vorbildlichen[n] Verhalten« die Eingewöhnung ausschlaggebend beeinflussen könne. Dies verlange Qualitäten, »die über ein gutes Fachwissen hinausgehen, nämlich charakterliche Reife, Liebe zum Beruf und Sorge um die Untergebenen«, wohl eingestehend, dass diese Eigenschaften in der Aufbauzeit bei den Unterführern noch unzureichend ausgeprägt seien.1237 Dabei hänge die Schlagkraft der Truppe weitgehend von ihrer inneren Haltung ab, die der Soldat »nicht nur durch eine einsichtige, sondern mehr noch durch eine willentliche und gemüthafte Einordnung [...] in die Besonderheiten des Wehrdienstes« mitbestimmt und deren Entwicklung sich maßgeblich in der kleinsten Einheit der Truppe, der leicht überschau- und formbaren Gruppe, vollzöge.1238 Mitmenschliches Verhalten innerhalb der Gruppe fördere eine Meinungsbildung über Vorgesetzte, Vorkommnisse und die Bundeswehr im Allgemeinen. Je beispielgebender das Verhalten der Offiziere, insbesondere des Disziplinarvorgesetzten, desto größer die Gewähr »über die Meinung in der Gruppe auf den Geist der Truppe Einfluss« zu nehmen und den »Gesamtprozess der soldatischen Erziehung in die gewünschten Bahnen« zu lenken.1239 Im Falle eines schwierigen Soldaten solle von einem älteren Vorgesetzten die persönliche Aussprache gesucht werden. In möglichst ungezwungener und natürlicher Atmosphäre gelte es, die Ursache des Konfliktes zu ermitteln und sich ein Bild von der seelischen Reife des Gegenübers zu machen. Fragen zu Familie, SchulSiehe ebd., S. 27 f., Zitate ebd. Siehe ebd., S. 28, Zitate ebd. 1238 Siehe ebd., S. 27, Zitat ebd. 1239 Siehe ebd., S. 28 f., Zitate ebd. Hervorhebung im Original. 1236 1237
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und Berufsausbildung, Lebensplan, Freizeitaktivitäten und persönlichen Interessen könnten auch für den psychologisch nicht ausgebildeten Vorgesetzten Anhaltspunkte über die Ursachen eines Fehlverhalten bieten. Voraussetzung sei jedoch die Fähigkeit des Zuhörens und des sich Zeitnehmens. Belehrungen und betonte Distanz verböten sich. Stattdessen müsse eine Begegnung von Mensch zu Mensch ermöglicht werden, in der es »auf das rechte Verstehen und Einfühlen des Vorgesetzten« ankomme, damit sich ein Vertrauensverhältnis einstellen könne. Gegenseitiges Vertrauen bilde aber nicht nur die Grundlage für derartige Gespräche, sondern auch die menschliche Grundlage der Erziehung und Ausbildung. Nur unter der Voraussetzung gegenseitigen Vertrauens könne man den jungen Menschen »hohe Leistungen und volle Hingabe« abverlangen. Nur dann stelle die Härte des Dienstes kein Problem dar, denn sie werde nicht als Brutalität empfunden. Herrsche stattdessen Misstrauen und Kontaktarmut, wirke »jede unter Umständen notwendige erzieherische Härte zerstörerisch.« Einschränkend wies die Handreichung aber darauf hin, dass trotz allen menschlichen Miteinanders zwischen Vorgesetzten und Untergebenen die Beziehung des Soldaten zu seinem »militärischen Auftrag und zur gemeinsamen Pflicht« vorrangig sei. Das Vorgesetztenverhältnis beruhe trotz aller menschlichen Beziehungen »nicht auf ›Beliebtheit‹ und purer Menschlichkeit«, denn übertriebene menschliche Rücksichtsnahme könne die Erziehung zum kampftüchtigen Soldaten negativ beeinflussen1240 und damit letztendlich neue Schwierigkeiten hervorrufen. Aber auch die dem hilfsbedürftigen Soldaten nicht als Vorgesetzte entgegentretenden Militärseelsorger und Truppenärzte wirkten an der Seite der Disziplinarvor gesetzten erzieherisch. Eine enge Abstimmung untereinander sei daher unverzichtbar, um die in dem vorliegenden Leitfaden beschriebenen Probleme zu erkennen und auffälligen Soldaten zu helfen.1241 Abschließend heben die Ausführungen noch einmal deutlich hervor, dass »eine militärische Einheit [...] keine Erziehungseinrichtung im Sinne angewandter Psychologie« sei, sondern in ihr »das klare militärische Gesetz von Befehl und Gehorsam, sowie der Blick auf das Ganze« herrsche. Es sei die »Pflicht aller Vorgesetzten«, sich der Soldaten und vor allem der schwierigen Soldaten innerhalb dieser Grenzen anzu nehmen. Die Wortwahl ließ jedoch für überforderte oder noch ganz im traditionellen Denken verhaftete Vorgesetzte die Option offen, sich auf die bislang üblichen Verfahren der Zwangsausübung mittels Befehl und Gehorsam zurückzuziehen. Schon die Einschätzung als »Sorgenkinder« eröffnet gedankliche Spielräume, sich dieser zusätzlichen Sorgen durch ärztliche Atteste respektive dem Ruf nach besonderen Einheiten zu entledigen. Außerdem wurde der Vorgesetzte in dem Leitfaden sogar dazu angehalten, eine Überbewertung der »Behandlung von Sorgenkindern« zu vermeiden.1242 Auch die Erziehungshilfe selbst verkannte nicht, dass ein Vorgesetzter Fachkennt nisse besitzen oder besonders begabt sein müsse, wenn er jederzeit erkennen wolle, »worin das schwierige Verhalten des Soldaten im Einzelfall begründet« sei. Siehe ebd., S. 30 f., Zitate ebd. In den Richtlinien von 1944 fand der Militärseelsorger hingegen keinerlei Erwähnung. 1242 Siehe Schwierige junge Soldaten, S. 8, Zitate ebd. Hervorhebung im Original 1240 1241
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Obgleich dies meist seine Möglichkeiten übersteige, würden viele Vorgesetzte diese Führungsaufgabe aber anhand ihrer ausreichenden Erfahrung bewältigen.1243 Vor dem Hintergrund mangelnder, oftmals nicht ausreichend ausgebildeter Gruppenführer und mit der Aufstellung belasteter Disziplinvorgesetzter war das eine sehr optimistische Einstellung. Kritik, dass der Vorgesetzte mit der an ihn gestellten Aufgabe überfordert werde, wurde in einer ministeriumsinternen Stellungnahme entgegengehalten, dass der Offizier mit diesem Leitfaden »eine wertvolle Hilfe« erhalte. Ein klar umrissener Inhalt und »präzise interpretiert[e]« Begrifflichkeiten zeichneten die Abhandlung aus. Abitur und ein vom Offizier zu erwartendes »lebhaftes Interesse an diesen Dingen« würden das Verständnis und die praktische Handhabung der Erziehungshilfe gewährleisten.1244 Bedauerlicherweise betrug die Abiturquote in der Dienstgradgruppe der Hauptleute, also der sich unmittelbar am Mann befindlichen Disziplinarvorgesetzten, nur 44,2 Prozent, bei einer Gesamtquote im Offizierkorps von 64 Prozent.1245 Über diese Kriegs-, Volks- und Tapferkeitsoffiziere, geprägt durch das sinkende Bildungsniveau des »Dritten Reiches«, besonders während des Krieges, urteilte 1961 das Vortragsmanuskript des Truppenamtes: »Natürlich sind die zu diesem größeren Teil zu rechnenden Chefs nicht alles totale Versager. Sie sind auf Teilgebieten brauchbar. Durch scharfe Dienstaufsicht können Mindestleistungen erzwungen werden.«1246 Im Sinne des Erziehungsgedankens der Inneren Führung und der propagierten Absicht, »dem Vorgesetzten seine Erziehungsaufgabe zu erleichtern«, stellte die Erziehungsschrift eine anschauliche Orientierungshilfe für den Vorgesetzten dar. Für Baudissin, der zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Ministerium ausgeschieden war und als Brigadekommandeur in Göttingen ein Truppenkommando innehatte, schloss diese Orientierungshilfe eine Lücke. Baudissin, der weiterhin Anteil an der Arbeit seiner vorherigen Dienststelle nahm, war der Entwurf zur »Führung und Erziehung schwieriger Soldaten« von Wangenheim zur Stellungnahme zugesandt worden. In seinem Antwortschreiben gab Baudissin auch die Einschätzung eines seiner Truppenoffiziere wider, der es bedauerte, dass ihm während seiner Ausbildung eine solche Orientierungshilfe nicht zur Verfügung gestanden hatte. Auf Baudissins Vorschlag hin wurden die Beispiele von zwei auf fünf erhöht. Um den der Inneren Führung entgegengebrachten Vorwurf der »Weltfremdheit« zu umgehen, regte er an, bei den Ausführungen zur »intimen Gruppe« darauf hinzuweisen, dass die Aufbausituation eine zeitnahe Realisierung der angestrebten Ziele vorerst behindere.1247 Ausgehend von einer Analyse über die Konstitution, Einstellung sowie geistige und seelische Verfassung, werden dem Vorgesetzten die grundsätzlichen Überlegungen Siehe ebd., S. 7, Zitat ebd. Hervorhebungen im Original. Siehe Stellungnahme IV-A-3a, zu »Schwierige Fragen in der Menschenführung«, BArch, N 493/ v. 45, S. 2 f., Zitate S. 2. 1245 Pauli, Wehrmachtsoffiziere, S. 286. 1246 Truppenamt, Vortragsmanuskript, »Wie sieht z. Zt. das Innere Gefüge unserer Truppen aus«, 14.12.1961. Zit. nach Pauli, Wehrmachtsoffiziere, S. 287. 1247 Siehe BArch, N 493/ v. 45, S. 1‑70; und Schreiben Baudissin an Wangenheim, 29.3.1960, BArch, N 493/v. 8, S. 1. 1243 1244
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zum Umgang mit jungen Soldaten und deren Erziehung verständlicher und vor allem praxisorientierter als in den »Leitsätzen zur Erziehung der Soldaten« nahegebracht. Symptome und Ursachen auftretender Verhaltensauffälligkeiten werden ebenso anschaulich vermittelt wie die zu ihrer Verhinderung oder Beseitigung beitragenden dienstlichen Rahmenbedingungen, menschlichen Beziehungen und Wege zur Selbsthilfe, -verantwortung und -erziehung. Einschränkung erfährt das menschliche Miteinander zwischen Vorgesetztem und Untergebenen aber dort, wo der militärische Auftrag und die Pflichterfüllung gefährdet erscheinen. Hier blieben Interpretationsräume zu kurzsichtiger Auslegung. Richtig angewandt, machte die Erziehungsschrift den Ruf nach Erziehungseinheiten jedoch obsolet, es sei denn, die Verantwortlichen zeigten sich ihrer Aufgabe und Verantwortung als Folge der skizzierten Bildungssituation nicht gewachsen oder vertraten die unzeitgemäße Ansicht, dass die Bundeswehr als Schule oder gar Korrekturanstalt der Nation diene.
d) Eine Renaissance des »Alten Geistes«? – Militärjustiz und Sondereinheiten In welchem Maße die Hilfestellung zum Umgang mit schwierigen jungen Soldaten Anwendung gefunden hat oder gar ungenutzt blieb, ist anhand fehlender Umfragewerte nicht zu ermitteln. Es kann jedoch vermerkt werden, dass die Schrift in den ausgewerteten Berichten der Teilnehmer von Lehrgängen an der Schule der Bundeswehr für Innere Führung keine Erwähnung fand. Andererseits bündelten sich in den Erfahrungsberichten der Lehrgänge die Forderungen nach Wegen, wie mit verhaltensauffälligen Soldaten umgegangen werden sollte. Die Kommandeure gestanden zwar ein, dass die Anzahl der vorbestraften und schwierigen Soldaten nur ein Prozent oder weniger der einberufenen Soldaten aus machte, sie ihnen und den Kompaniechefs aber unverhältnismäßig viel Arbeit bereiteten. Als moderate Lösung des Problems ist der wiederholte Vorschlag einer möglichst raschen Entlassung »asoziale[r] Wehrpflichtiger«1248 anzusehen. Diese Vorgehens weise deckte sich nach Ansicht der Kommandeure auch mit den Vorstellungen der Stubenkameraden sowie der Eltern, die keinen Umgang ihrer Söhne mit Menschen wünschten, »die bereits mit dem Gericht oder gar mit dem Gefängnis Bekannt schaft gemacht« hatten.1249 Andere Lehrgangsteilnehmer vertraten die Auffassung, dass die Erziehungsbemühungen bei vorbestraften jungen Soldaten bessere Erfolge erzielen würden, wenn die Kompaniechefs bereits im Vorfeld über die Vergehen ihrer zukünftigen Untergebenen informiert würden. Hierzu wurde angeregt, »dass die Bewährungshelfer dieser straffällig gewordenen Jugendlichen veranlasst werden sollten, sofort nach Einberufung der Wehrpflichtigen mit den Einheitsführern Kontakt Schule der Bundeswehr für Innere Führung, – Lehrgruppe II –, 11.4.1960, Zusammenstellung der Fragen XI./XII./XIII: Kdr.-Lehrgang und deren Beantwortung durch Fü B, BArch, BW 11/90 II, Bl. 20, S. 1‑14, hier S. 9. 1249 Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an BMVg – Fü B I 4, 26.6.1963, Erfahrungsbericht XXII. Kommandeur-Lehrgang vom 17.4.‑29.5.1963, BArch, BW 11/60 II, S. 1‑3, hier S. 2 f. 1248
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aufzunehmen.«1250 In der Gangart schärfer stellte sich die Forderung nach Änderung der Vollzugsbedingungen der Arreststrafe dar, die bei zahlreichen Soldaten die angestrebte Wirkung verfehle. Es könne nicht sein, dass die Würde des Arrestanten bewusst in den Vordergrund gerückt werde, während die Würde des Wachsoldaten unberücksichtigt bliebe. Diese werde infolge der gewährten Vergünstigungen für den Arrestanten sogar zusätzlich belastet. Nächtige der Wachsoldat auf Holzpritschen und müsse für den Delinquenten Essen holen, Einkäufe tätigen und Feuer reichen, besäße dieser das Privileg, in einem normalen Bett zu schlafen.1251 Selbst die Ver büßung einer längeren Arreststrafe wurde von den Betroffenen daher nicht als »unangenehm empfunden, ›man schiebe dort die ruhigste Kugel und brauche kaum auf Annehmlichkeiten zu verzichten‹.«1252 Mithin wurde für den Arrestanten zukünftig ein hartes »Lager, karge Kost, Rauchverbot, Verbot des Lesens von Zeitungen und Erlaubnis zum Kirchgang (nur bei längerem Arrest und guter Führung)«1253 als durchaus angemessen betrachtet. Als ähnlich gelagert erwies sich das Begehren der Lehrgangsteilnehmer nach einer eigenen Militärgerichtsbarkeit oder wenigstens der Heranziehung von Soldaten als Schöffen bei Gerichtsverfahren gegen Soldaten. Angestrebt wurde einerseits eine Anpassung der Strafen und des Strafvollzuges an die Bedürfnisse des militärischen Dienstes, andererseits versprachen sich die Befürworter, dass die »richterlichen Entscheidungen in vermehrten Maße eine wirkliche Hilfe für die Einheitsführer bei ihrem Erziehungsauftrag sein« würden.1254 Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an BMVg – Fü B I 4, 26.5.1963, Erfahrungsbericht Lehrgang für S 1 – Offiziere, Btl/Brig-Ebene vom 7.4.‑25.4.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 1‑3, hier S. 3. Dieser Forderung hatte sich schon der Führungsstab Heer angenommen, der die Ansicht vertrat, dass die Kommandeure über begangene Straftaten der Wehrpflichtigen informiert werden müssten. Gefordert wurden Strafregisterauszüge über Jugendstrafen an die Bataillonskommandeure und Kreiswehrersatzämter. Siehe Schreiben Fü H I 1, Einschlägig vorbestrafte Wehrpflichtige, die wegen gleicher Straftaten aus dem Wehrdienst entlassen werden müssen, BArch, BW 1/315592, S. 1‑3. Hier auch weiterer Schriftverkehr zu diesem Sachverhalt. Vgl. auch Ilsemann, Die Bundeswehr, S. 47 f. 1251 Siehe Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an BMVg – Fü B I 4, 30.7.1964, Erfahrungsbericht Lehrgang für S 1 – Offiziere, Btl/Brig-Ebene vom 2.‑20.6.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 1‑3, hier S. 2 f. 1252 Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an BMVg – Fü B I 4, 26.5.1963, Erfahrungsbericht Lehrgang für S 1 – Offiziere, Btl/Brig-Ebene vom 7.4.‑25.4.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 1‑3, hier S. 3. 1253 Siehe Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an BMVg – Fü B I 4, 30.7.1964, Erfahrungsbericht Lehrgang für S 1 – Offiziere, Btl/Brig-Ebene vom 2.‑20.6.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 1‑3, hier S. 3. Siehe auch Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an BMVg – Fü B I 4, 26.5.1963, Erfahrungsbericht Lehrgang für S 1 – Offiziere, Btl/Brig-Ebene vom 7.4.‑25.4.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 1‑3, hier S. 3. In diesem Erfahrungsbericht wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Auffassung auch von Teilnehmern der Kompaniechefund Kommandeurlehrgänge geteilt wurde. 1254 Siehe Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an BMVg – Fü B I 4, 30.7.1964, Erfahrungsbericht Lehrgang für S 1 – Offiziere, Btl/Brig-Ebene vom 2.‑20.6.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 3. Verstöße gegen die Disziplinarordnung oder Verfahren zur Wehrbe schwerdeordnung werden vor Truppendienstgerichten verhandelt. Den Vorsitz führt ein ziviler Richter, der von zwei Soldaten als ehrenamtliche Richter unterstützt wird. Einer der ehrenamtlichen Richter muss der Dienstgradgruppe des Angeklagten/Beschwerdeführers angehören. 1250
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Mit Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel1255 erfuhr dieses Ansinnen Unterstützung von höchster Stelle, da Soldaten nach seinem Dafürhalten »grundsätzlich vor ein Militärgericht« gehörten.1256 Ungediente Richter oder Hausfrauen als Schöffen in einem Strafverfahren gegen Soldaten könnten die Eigenheiten und Bedürfnisse der Truppe schließlich nicht realistisch einschätzen. Tatsächlich fiel die Rechtssprechung gegenüber Soldaten sehr ambivalent aus. Unverhältnismäßig milden Urteilen standen sehr harte gegenüber, was den FDP-Bundestagsabgeordneten und nachmaligen Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Fritz-Rudolf Schultz1257, zu der Stellungnahme veranlasste, dass es »an der verhältnismäßig gleichmäßigen Betrachtung der Dinge ... im militärischen Bereich« fehle.1258 Auf die Fortführung der klassischen Militärgerichtsbarkeit hatte der Gesetzgeber beim Aufbau der Bundeswehr bewusst verzichtet. Stattdessen werden Straftaten von Soldaten, auch mittels des Wehrstrafgesetzes1259, vor Ordentlichen Gerichten verhandelt, doch bereits 1956 war der Artikel 96a des Grundgesetzes (GG) verabschiedet worden, der es dem Bund erlaubte, im Verteidigungsfalle Wehrstrafgerichte einzurichten.1260 Diese Gesetzeserweiterung nahm das Verteidigungsministerium gerne auf. Bereits die Nato-Übung FALLEX 62 sah die Erfassung von Offizieren mit Befähigung zum Richteramt vor, damit diese den Wehrstrafgerichten im Bedarfsfalle zur Verfügung standen,1261 und am fünften Übungstag nach »Kriegsbeginn« hatten die Wehrstrafgerichte schließlich ihre Arbeit aufgenommen.1262 In einer abschließenden Lagebesprechung beurteilte der als Staatssekretär übende Ministerialdirektor Wirmer viele von den Übungsteilnehmern angestellte juristische Überlegungen als Zu Hassel siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 310 f. Der Spiegel, 8.4.1964, S. 21. 1257 Schultz war 1970‑1975 Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages. Siehe Biographisches Handbuch, Bd 2, S. 792 f.; Schlaffer, Der Wehrbeauftragte. 1258 Der Spiegel, 8.4.1964, S. 21. 1259 Siehe Wehrstrafgesetz (WStG), 30.3.1957. In: BGBl 1957, T. I, S. 298‑305; Einführungsgesetz zum Wehrstrafgesetz, 30.3.1957. In: Ebd., S. 306‑308; Wehrstrafrecht, S. 57‑74. 1260 Siehe Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 96a: »(1) Der Bund kann Wehrstrafgerichte für die Streitkräfte als Bundesgericht errichten. Sie können die Strafgerichtsbarkeit nur im Vertei digungsfalle sowie über Angehörige der Streitkräfte ausüben, die in das Ausland entsandt oder an Bord von Kriegsschiffen eingeschifft sind. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. (2) Diese Gerichte gehören zum Geschäftsbereich des Bundesjustizministers. Ihre hauptamtlichen Richter müssen die Befähigung zum Richteramt haben. (3) Oberstes Bundesgericht für die Wehrstrafgerichte ist der Bundesgerichtshof.« BGBl. 1956, T. I, S. 112 f. In seiner Antwort auf die Frage des DBJR, ob die Ordentliche Gerichtsbarkeit oder eine Militärgerichtsbarkeit für die Soldaten zuständig sei und wie die Unabhängigkeit der Richter gewährlistet werde, führte das Amt Blank noch 1953 aus, dass in »Übereinstimmung mit der Regelung der Teilnehmerstaaten, die sämtlich eine Militärgerichtsbarkeit kennen, [...] Wehrstrafgerichte vorgesehen [seien], die sich aus praktisch-technischen Erwägungen bei der Truppe befinden« müssten. Die Richter sollten jedoch ihren zivilen Status behalten und keine Uniformen tragen und eine ebenso garantierte Unabhängigkeit wie ihre an Ordentlichen Gerichten tätigen Kollegen besitzen. Die Institution eines Gerichtsherrn (Divisionskommandeur) sollte nicht widerkehren, die Staatsanwaltschaft von den Wehrgerichten organisatorisch getrennt sein. Siehe IG II, Beantwortung des Fragekataloges des Deutschen Bundesjugendringes an die Dienststelle Blank, 14.8.1953, BArch, BW 9/220, S. 7 f., Zitat S. 7. 1261 Übung Fallex 62, Kriegstagebuch Nr. 1, Staffel C, 18.9.‑27.9.1962, BW 1/313129, S. 1‑113, hier S. 57. 1262 Ebd., S. 68. 1255 1256
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»insofern unreal, als sie bei der im Spiel gegebenen Kriegslage zu spät kamen.« Die Einrichtung der Wehrstrafgerichte wurde von Wirmer zwar nicht explizit angeführt, »aber die Lage stellte uns vor die Notwendigkeit, diese Fülle von Verordnungen und Gesetzen zu erlassen. Wir müssen erreichen, dass in Zukunft alle diese Gesetze, sofern sie nicht schon vorher erlassen werden können, im WARBOOK enthalten sind.«1263 Als Hassel im Verlauf einer Debatte des Deutschen Bundestages über den Bericht des Wehrbeauftragten Juristen als Wehrstrafrichter bezeichnete, löste er 1964 zwar keine Reaktion bei den Abgeordneten aus, rückte die Wehrstrafgerichte und deren Angehörige aber in den Fokus der Öffentlichkeit. Den Anlass bildeten so genannte Informationstagungen des Bundesjustizministeriums für Juristen, deren Durchführung der Verteidigungsminister ausdrücklich befürwortete.1264 Diese scheinbar verbale Unvorsichtigkeit Hassels griff die Presse auf und verwies auf die seit einem Jahr stattfindenden Veranstaltungen.1265 Hassel benutzte diesen Begriff aber nicht ohne Hintergedanken, war es doch, wie er Justizminister Ewald Bucher1266 in einem vertraulichen Gespräch wissen ließ, seine Absicht, das Grundgesetz dahingehend ändern zu lassen, dass die Wehrstrafgerichte bereits in Friedenszeiten ihrer Aufgabe nachkommen sollten. Ein Soldat gehöre schließlich vor ein Militärgericht, deren Mitglieder im Gegensatz zu den zivilen Gerichten über die Sonderheiten der Truppe informiert seien. Des Weiteren wies Hassel darauf hin, dass der Verteidigungsfall so schnell eintreten könne, dass dann die Zeit zur Einrichtung der Wehrstrafgerichte fehle und die ausgewählten Wehrstrafrichter bereits zu Friedenszeiten Erfahrungen in und mit der Truppe sammeln müssten. Es sei schließlich bekannt, dass »immer nur das im Verteidigungsfall funktionieren wird, was bereits im Frieden eingerichtet wurde.« Sein Kabinettskollege befand die Militärgerichte in Friedenszeiten hingegen als nicht notwendig und war an einer Änderung des Grundgesetzes nicht interessiert. Einerseits sei es »nicht gut, die Bürger in Uniform durch eine vom Grundgesetzgeber nicht gewollte Militärgerichtsbarkeit in Friedenszeiten ›zu weitgehend aus der Allgemeinheit herauszuheben‹«, andererseits zweifelte er an der dafür notwendigen Mehrheit im Bundestag. Stattdessen umging das Justizministerium das Gesetzgebungsverfahren und lud militärerfahrene Richter und Staatsanwälte auch weiterhin zu besagten Tagungen ein, um sie anhand von Fallbeispielen auf ihre Aufgabe als zukünftige Wehrstrafrichter vorzubereiten.1267 Ebd., S. 103. Bei dem WARBOOK handelte sich um eine auf nationaler Ebene anzuwendende Handlungsanweisung für den Spannungs- und Verteidigungsfall. Für diese Information bin ich meinem Kollegen, Herrn Wissenschaftlichen Oberrat Dr. Bernd Lemke, zu Dank verpflichtet. 1264 Hassel beklagte das Desinteresse der Abgeordneten trotz ergangener Einladungen, an diesen Ver anstaltungen teilzunehmen. Die SPD war als einzige Fraktion an bisherigen Sitzungen mit Abge ordneten vertreten, hatte aber zu der von Hassel beworbenen gemäß Zurufen aus dem Plenum keine Einladung erhalten. Siehe BT, 4. WP., Sten.Ber., 117. Sitzung, 21.2.1964, 5372 (A) – (B). Die FDP sicherte ihre Teilnahme an einer anderen Veranstaltung des laufenden Jahres zu. Siehe ebd. (C). Die Frage des Abgeordneten Bausch (SPD), ob sich der Verteidigungsausschuss zu dieser Frage geäußert habe, blieb unbeantwortet. Siehe ebd. (B). 1265 Vgl. Der Spiegel, 8.4.1964, S. 20. Nach Vultejus fanden diese Informationstagungen bereits seit 1962 statt. Vgl. Vultejus, Kampfanzug, S. 16. 1266 Zu Bucher siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 107 f. 1267 Siehe Der Spiegel, 8.4.1964, S. 21 f. Zitate S. 22. Zur Anwerbung und Fortführung der Tagungen vgl. Vultejus, Kampfanzug, S. 16. 1263
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Eine vom Bundesjustizministerium eingesetzte »Wehrstrafrechtskommission« hatte bereits 1963 damit begonnen, in Ergänzung zu dem bereits gültigen Wehr strafgesetz geheime Entwürfe für eine Wehrstrafgerichtsbarkeit zu erstellen.1268 Ein öffentlicher oder politischer Diskurs wurde durch die Berichterstattung nicht angeregt. Erst im Verlauf der Debatte zur Notstandsgesetzgebung wurde die Einrichtung von Wehrstrafgerichten 1968 im Kabinett thematisiert. Dabei vertrat das Bundes justizministerium in seiner Kabinettsvorlage die Auffassung, dass die Wehrstraf gerichts barkeit bereits in Spannungszeiten ihre Arbeit aufnehmen und seinem Geschäftsbereich angehören sollte. Dieser so genannten Kleinen Lösung widersprechend, forderte die militärische Seite nicht nur die Errichtung der Wehrgerichte in Frieden und Krieg unter ihrer Ägide, sondern, in Anlehnung an die Wehrmacht, auch die Ausübung ihrer Strafgerichtsbarkeit gegenüber allen Soldaten bereits in Friedenszeiten.1269 In stringenter Fortführung seiner Auswertung der FALLEX-Übung, beurteilte Wirmer eine Errichtung der Wehrgerichtsbarkeit erst im Spannungsfall als unzureichend. Für die notwendigen Organisationsmaßnahmen fehle im Spannungsfall die Zeit, »die Truppe müsse aber mit ihren Richtern in die Einsatzräume ausrücken. Die Wehrstrafgerichte seien deshalb bereits im Frieden nötig.« Die Ressortkompetenzen verteidigend, wolle man sich aber lieber mit der jetzigen Regelung des Art. 96a GG begnügen, als dem Vorschlag des Bundesjustizministeriums zu folgen.1270 Da eine abschließende Entscheidung zu diesem Zeitpunkt für nicht notwendig erachtet wurde, beschloss das Kabinett, die Vorlagen der Ministerien in die Koalitionsgespräche zu verweisen, in denen die Beratungen jedoch auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben wurden.1271 Diese Verzögerungstaktik hatte aber keinen nachteiligen Einfluss auf den Arbeitseifer der juristischen Ministerialbeamten. Sie vertraten die Auffassung, dass die Justiz ihre Arbeit im Kriegsfall ohne eine eigenständige Wehrgerichtsbarkeit nicht erfüllen könne, und formulierten Entwürfe für alle notwendigen Gesetze einer zukünftigen Wehr- oder Kriegsgerichtsbarkeit.1272 Anhand Vgl. Vultejus, Kampfanzug, S. 16. Die Kommission bestand von 1963 bis 1966. Siehe Die Kabinettsprotokolle, Bd 21, 1968, 120. Sitzung, 17.4.1968, S. 164, Anm. 9. 1270 Siehe ebd., 122. Sitzung, 6.5.1968, S. 192, Zitat ebd. Vgl. auch Vultejus, Kampfanzug, S. 16. 1271 Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger lehnte es ab, die Disziplinargerichtsbarkeit dem Bundesministerium der Justiz (BMJ) zuzuordnen. Staatssekretär Horst Ehmke (BMJ) hielt dagegen eine Trennung von Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit im Spannungs- und Verteidigungsfall für nicht möglich. Siehe Die Kabinettsprotokolle, Bd 21, 1968, 122. Sitzung, 6.5.1968, S. 192 und Anm. 34. Es erfolgte zwar eine Umbenennung des Art. 96a in Art. 96, eine Änderung im Sinne der Vorlagen kam jedoch nicht zustande. Siehe BGBl. 1968, T. I, 18.6.1968, S. 657 f. Zu Kiesinger siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 416 f., zu Ehmke, ebd., S. 168 f. 1272 Siehe Vorläufiger Referentenentwurf eines Gesetzes zum Schutz der Landesverteidigung, Stand 15. August 1975; Vorläufiger Referentenentwurf eines Gesetzes über die Verfassung und das Verfahren der Wehrstrafgerichte in einem Verteidigungsfall (Wehrstrafgerichtsordnung – WstGO), Stand: 17. März 1977; Vorläufiger Referentenentwurf eines Einführungsgesetzes zur Wehrstraf gerichtsordnung (EG WStGO), Stand: 1. Oktober 1976 (Auszug); Vorläufiger Referentenentwurf eines Gesetzes über die Grundlagen der Wehrjustiz und den Wehrjustizdienst in einem Verteidi gungsfall – Wehrjustizgesetz (WJG), Stand: 30. März 1976 (Auszug); Entwurf einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Ausweiskarten der Angehörigen des Wehrjustizdienstes, Stand: 1. Februar 1977; Entwurf einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Amtstracht bei den Wehrstrafgerichten, Stand: 1. Oktober 1976; Entwurf einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift 1268 1269
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dieser Vorgaben sollten die Ankläger und Angehörigen »die Disziplin der Truppe stärken« und den Verteidigungswillen der Soldaten »auch in außergewöhnlichen Lagen [...] erhalten oder wenigstens wieder [...] festigen.«1273 Diese Texte entstanden wohlgemerkt ohne den Auftrag des Bundesministeriums für Verteidigung, das die Erklärung der Juristen als eigentlicher Bedarfsträger zwar hinnahm, selbst »aber keine Initiative zur Schaffung einer eigenständigen Wehr gerichtsbarkeit entwickelt« hatte.1274 Entgegen allen Stereotypen vertrat das feder führende Justizressort in den gemeinsamen Beratungen den rückwärtsgewandten, das mitberatende Verteidigungsressort den moderneren Standpunkt.1275 Weiteren Konfliktstoff barg der Status möglicher Wehrstrafrichter. Auch hier strebte das Justizministerium mit dem Kombattantenstatus für die Angehörigen der Wehr gerichtsbarkeit in die Streitkräfte, indes das Militär diesem Ansinnen mit dem Verweis auf die Völkerrechts- und Grundgesetzwidrigkeit ablehnend gegenüberstand. Mit der Affäre um den ehemaligen Marinerichter und Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, Hans Karl Filbinger (CDU)1276, sah sich das Ver teidigungsministerium schließlich veranlasst, die Notbremse zu ziehen und beim Justizministerium das Ende der administrativen Vorbereitungen für eine Wehr gerichtsbarkeit zu beantragen. Es sollte zunächst eine gesetzliche Grundlage anhand der im Wesentlichen fertiggestellten Gesetzesentwürfe geschaffen werden. Nicht geneigt der Bitte zu entsprechen, erklärte sich das Justizressort aber bereit, auf die administrative Unterstützung des Verteidigungsministeriums künftig zu verzichten.1277 In ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren wurden die Gesetzentwürfe trotz der Aufforderung durch das Verteidigungsressort indes nicht überführt, da sie weder dem Rechts- noch dem Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages zur Begutachtung und Beratung vorgelegt wurden. Erst die fortgesetzte Berichterstattung des Hamburger Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« und die Veröffentlichung des Hildes heimer Amtsrichters und Gegners einer Wehrstrafgerichtsbarkeit, Ulrich Vultejus, führten die Angelegenheit zwischen 1983 und 1987 schließlich in das öf-
über die Uniform der Angehörigen des Wehrjustizdienstes, Stand: 20. Dezember 1977. In: Vultejus, Kampfanzug, S. 143‑196. 1273 So der Ministerialrat im Justizministerium Carl-Heinz Schönherr. Zit. nach Der Spiegel, 22.8.1983, S. 77; Der Spiegel, 26.10.87, S. 126. 1274 Vultejus, Kampfanzug, S. 16. 1275 Zu berücksichtigen ist, dass sich der Berufsstand der Juristen keinem Selbstreinigungsverfahren wie dem Personalgutachterausschuss unterworfen hatte. Zur Kontinuität der juristischen Tätigkeit nach dem Krieg vgl. Miquel, Juristen. 1276 Filbinger trat 1978 wegen vier von ihm als Militärjurist beantragter oder gefällter Todesurteile nach öffentlicher und parteiinterner Kritik zurück. Zur so genannten Filbinger-Affäre vgl. Der Spiegel, 8.5.1978, S. 4, S. 140‑144, 15.5.1978, S. 23‑27; 29.5.1978, S. 52, 19.6.1978, S. 18; 17.7.1978, S. 27, S. 26‑29; Vultejus, Kampfanzug, S. 98‑102. 1277 Vgl. Vultejus, Kampfanzug, S. 17 f. Das Verteidigungsministerium stellte alsbald die Forderung nach einem unabhängigen Aufbau der Organisation der Wehrgerichte auf, obwohl diese auf Unterstützung des Militärs angewiesen bleibe. Der Einsatz der Wehrgerichte sollte weit hinter der Front erfolgen und die Wehrstrafrichter keinen Kombattantenstatus erhalten. Vgl. ebd.
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fentliche Bewusstsein.1278 Eine nachhaltige Diskussion löste die Berichterstattung jedoch nicht aus.1279 Kritikpunkte waren die bewusste Umgehung des Deutschen Bundestages durch das Justizministerium, die Einübung der künftigen Militärgerichtsbarkeit ohne gesetzliche Grundlage (»Schwarze Wehrgerichtsbarkeit«) und der Verstoß der vorbereiteten Gesetze gegen das Gebot der Rechtsstaatlichkeit.1280 Die Brüskierung des Deutschen Bundestages als gesetzgebende Versammlung durch das Justizministerium war Vultejus zufolge den Differenzen mit dem Ver teidigungsministerium und der Erwartung geschuldet, im Falle einer Gesetzes vorlage keine parlamentarische Mehrheit für die grundgesetzwidrigen Entwürfe zu erringen. Infolge dessen hatte die Ministeriumsführung von der Absicht, den Bun des tag über die Einrichtung einer eigenständigen Wehrgerichtsbarkeit entscheiden zu lassen, schließlich Abstand genommen.1281 Stattdessen wurde »mit der Möglichkeit geliebäugelt« das gesamte Gesetzespaket erst im Verteidigungsfall dem Gemeinsamen Ausschuss aus Bundestag und Bundesrat (Notparlament)1282 zur Verabschiedung vorzulegen. In einem Schreiben an den damaligen Bundes tagspräsidenten und Vorsitzenden des Gemeinsamen Ausschusses, Rainer Barzel (CDU)1283, brachte der kritische Jurist Vultejus seine Befürchtungen zum Ausdruck, dass das Notparlament »unter dem Druck der Verhältnisse, auch dem Zeitdruck,
Davon angeregt, griffen Juristen der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV), der Grünen und der SPD das Thema auf, das sich nach Ansicht des Spiegels »bestens eignet, die Diskussion über die geplante Aufstellung von Pershing-Raketen in der Bundesrepublik anzuheizen.« Siehe Der Spiegel, 22.8.1983, S. 77‑81, Zitat, S. 77; Der Spiegel, 26.10.1987, S. 124‑128; Vultejus, Kampfanzug. In der historischen Forschung wurde auf diesen Sachverhalt noch nicht hingewiesen. Eine quellenkritische Untersuchung kann hier jedoch nicht geleistet werden und muss einer komparatistischen Untersuchung zwischen der Militärstrafgerichtsbarkeit des Zweiten Weltkrieges mit den diesbezüglichen Planungen des Bundesministeriums der Justiz und der Verteidigung vorbehalten bleiben. 1279 Auch die historische Forschung nahm diesen Sachverhalt nicht weiter zur Kenntnis. Erst mit der Veröffentlichung von Manfred Görtemaker und Christoph Safferling zur Geschichte des Bundesministeriums der Justiz mit Blick auf die NS-Zeit fand die Angelegenheit wieder Berück sichtigung. Die Autoren konzentrieren sich in ihren Betrachtungen im Wesentlichen auf das in der NS-Zeit enstandene und auch in der Bundesrepublik fortwirkende Netzwerk der ehemaligen Wehrmachtrichter. Zudem wird die Personalpolitik des Ministeriums für Justiz in der Causa Wehrstrafgerichtsbarkeit an der Person von Joachim Schölz, einem ehemaligen Heeresrichter und Mitglied der Abteilung Wehrrecht im Oberkommando der Wehrmacht, beleutet. Ähnlich wie Vultejus stellen auch Görtemaker/Saffering das Auswahlverfahren der zukünftigen Wehrstrafrichter, deren Weiterbildungsveranstaltungen sowie die Debatten über Uniformen, Dienstausweise etc. dar. Vgl. Görtemaker/Safferlin, Die Akte Rosenburg, S. 435‑450. 1280 Vgl. Vultejus, Kampfanzug, S. 18. 1281 Die Bundesjustizminister Gerhard Jahn und Hans-Jochen Vogel, beide SPD, haben es zwischen 1969 und 1981 »ausdrücklich abgelehnt, Entwürfe zur Wehrgerichtsbarkeit einzubringen, weil sie sicher waren, in der SPD-Fraktion keine Mehrheit zu bekommen.« Ebd., S. 15. Zu Jahn siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 385; zu Vogel ebd., Bd 2, S. 900 f. 1282 Der Gemeinsame Ausschuss nimmt im Verteidigungsfall als Notparlament die Funktionen von Bundestag und Bundesrat wahr. Er wird aus Abgeordneten des Bundestages und des Bundesrates im Verhältnis zwei zu eins gebildet. Seine rechtliche Grundlage bilden die Art. 53a und 115e GG. 1283 Zur Person siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 39 f. 1278
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gar keine andere Wahl [hätte], als den Entwürfen zuzustimmen.«1284 Hinzu komme, so Vultejus’ These, dass die für die Justiz zuständigen »Bundesländer erklären werden, sie seien auf die Aufgaben einer Wehrjustiz im Krieg nicht vorbereitet und dieser Belastung deshalb nicht gewachsen.«1285 Deren Zuarbeit wurde aber gar nicht benötigt, da die Bundesjuristen den Aufbau der Wehrstrafgerichtsbarkeit bereits bestens vorbereitet hatten. Büroausstattung und Bibliothek standen ebenso zur Verfügung wie Roben mit Tätigkeitsabzeichen und Kennnummern für den Schriftverkehr und die Aktenführung der Wehrgerichte.1286 Auch an dem benötigten Personal für die 31 Wehrgerichte und acht Oberwehrgerichte herrschte kein Mangel. Ohne gesetzliche Legitimation hatten von 1962 bis 1983 rund 900 Richter, Staatsanwälte und Justizbeamte einen Einberufungsbescheid für ihren Dienst innerhalb der Wehrgerichtsbarkeit erhalten.1287 Als »Kaderlösung« konzipiert, erfolgte die Stellenbesetzung durch Richter der Truppendienstgerichte und Richter der Strafund Zivilgerichtsbarkeit, die sich freiwillig zur Mitarbeit bereit erklärt hatten. Die reibungslos ablaufende Rekrutierung wurde entweder durch Befragung aller Richter der Ordentlichen Gerichtsbarkeit oder direkte Ansprache geeignet erscheinender Richter durch die Gerichtspräsidenten gewährleistet. Richter der Arbeits-, Sozialund Verwaltungsgerichte wurden ebenso wenig berücksichtigt wie Richterinnen, die sich gemeldet hatten, aber nicht Angehörige der kämpfenden Truppe sein konnten. Hatte die Anwerbung zunächst keine Schwierigkeit bereitet, traten jedoch zahlreiche zukünftige Wehrrichter anlässlich »der öffentlichen Erörterung des Falls Filbinger« von ihrem Amt zurück.1288 Gefördert wurde die Bereitschaft zur Mitarbeit an den Wehrstrafgerichten durch eine großzügige Besoldung, eine zusätzliche Aufwandsentschädigung von bis zu 600,– DM und den Erwerb eines Anspruchs auf bevorzugte Einstellung in den Öffentlichen Dienst. Für Vultejus war dies ein Versuch, »den Widerwille[n] vieler Richter gegen eine Mitwirkung an der Kriegsgerichtsbarkeit« zu überwinden.1289 Die Zulassung als Wehrrichter wurde im § 17 des geplanten Wehrjustizgesetzes (WJG) Zit. nach Der Spiegel, 22.8.1983, S. 80. Ein Vorhaben, das »für die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen an den ›Tatbestand der Vorbereitung eines Staatsstreichs‹ grenzt.« Ebd. 1285 Vultejus, Kampfanzug, S. 18 f. Vultejus sah zwei Anzeichen für seine Annahme. Erstens hätte das Justizministerium die Gesetzesentwürfe, deren Vorarbeiten weit fortgeschritten waren, schon vor geraumer Zeit dem Bundestag zur Beratung vorlegen können. Es wurde jedoch lediglich der Haus haltsausschuss mit eher verdeckten Formulierungen informiert, um benötigte Finanzmittel für die Ausstattung der Wehrgerichte zu erlangen. Dabei traf es sich, dass der für die Verhandlung mit dem Haushaltsausschuss betraute Ministerialbeamte des Justizministeriums gleichzeitig für dessen Haushalt und für die Planung der Wehrgerichte zuständig war. Ein weiteres Indiz stellte für Vultejus die Ausstellung von zwei unterschiedlichen Ausweisen für die Angehörigen der Wehrgerichtsbarkeit dar, die auf keinen Fall gemeinsam mitgeführt werden durften. Ein Ausweis wies seinen Träger als Gefolge (Nicht-Kombattant), der andere als Angehörigen der Truppe (Kombattant) aus. Offensichtlich sollte der erste Ausweis nur bis zur Verabschiedung der Gesetze Gültigkeit besitzen. Eine frühzeitige Entscheidung durch den Bundestag hätte diese Vorgehensweise unnötig gemacht. Vgl. ebd., S. 19. Entwurf einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Ausweiskartender Angehörigen des Wehrjustizdienstes – Stand: 1. Februar 1977. In: Ebd., S. 193 f. 1286 Siehe Der Spiegel, 22.8.1983, S. 80; Der Spiegel, 26.10.1987, S. 124, 126. 1287 Siehe ebd., S. 80. 1288 Vgl. Vultejus, Kampfanzug, S. 16. 1289 Vgl. ebd., S. 35, Zitat ebd. 1284
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geregelt, demzufolge nur diejenigen Juristen als Wehrrichter bestallt werden sollten, die »aus Gründen der Sicherheit unbedenklich« erschienen.1290 Juristen, die sich »liberalen und demokratischen Auffassungen« gegenüber aufgeschlossen zeigten, ordnete Vultejus hingegen als bedenklich im Sinne des Paragraphen ein. Sie hätten sich bislang geweigert und würden sich auch »in Zukunft weigern, an jeder Form von Kriegsgerichtsbarkeit mitzuwirken und, selbst wenn sie hierzu bereit sein sollten«, würden sie nicht angenommen werden. Aus Sicht der Angeklagten stellten die Richter der Wehrstrafgerichtsbarkeit daher eine Negativauswahl dar.1291 Pessimistisch beurteilte Vultejus auch den Inhalt der im Verteidigungsfall einzuführenden Gesetze. So seien neue Strafbestimmungen hinzugekommen, das Strafmaß verschärft und der Strafvollzug geändert worden. Der »Vorläufige Referentenentwurf eines Gesetzes zum Schutz der Landesverteidigung« von 1975 änderte das Wehr strafgesetz und erweiterte es unter anderem um die »Übergabe an den Feind«, die »Dienstpflichtverletzung aus Furcht«, die »Preisgabe von Wehrmitteln« als neue Straftatbestände und um eine »Erweiterung der Nichtanzeige von Straftaten«. Das Strafmaß variierte zwischen sechs Monaten und bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug.1292 Vultejus wies in seiner Kritik besonders auf den § 61 »Übergabe an den Feind« hin. Er richte sich vornehmlich gegen militärische Vorgesetzte und zwinge sie, »bis zur letzten Patrone zu kämpfen. Die ihnen Untergebenen hat man in einer solchen militärischen Lage mit den Strafbestimmungen über Gehorsamsverweigerung und Fahnenflucht im Griff.«1293 Die bereits im Wehrstrafgesetz aufgelisteten Straftatbestände der »Eigenmächtigen Abwesenheit«, »Fahnenflucht«, »Selbstverstümmelung«, »Dienst entziehung durch Täuschung« und »Unwahre dienstliche Meldung« wurden wie alle beibehaltenen Vergehen mit dem Zusatz »im Felde« versehen und im Strafmaß verschärft.1294 Vultejus befürchtete nicht nur eine Wiederholung Stalingrads, sondern sah auch die freie Meinungsäußerung des »Staatsbürgers in Uniform« durch die Rückkehr des Tatbestandes der Wehrkraftzersetzung gefährdet. Als Beispiel Siehe Vorläufiger Referentenentwurf eines Gesetzes über die Grundlagen der Wehrjustiz und den Wehrjustizdienst in einem Verteidigungsfall – Wehrjustizgesetz (WJG), Stand: 30. März 1976 (Auszug). In: Ebd., S. 186. 1291 Siehe ebd., S. 35, Zitate ebd. Die Ausgrenzung missliebiger Juristen wurde jedoch nicht nur durch den eigenen Berufsstand vollzogen. Auf einer der Wehrgerichtsübungen äußerte ein promovierter Jurist und Hauptmann der Reserve – tätig als Rechtsberater einer Division und Wehrdisziplinar anwalt – Kritik an den ausgeteilten geheimen Gesetzesentwürfen, die er als verfassungswidrig bezeichnete. Infolge seiner internen Kritik wurde ihm vonseiten der Bundeswehr die Teilnahme an weiteren Übungen der Truppe untersagt. Vgl. Der Spiegel, 22.8.1983, S. 77, 81. 1292 Es handelt sich hierbei um die §§ 61, 62, 63 und Artikel 4, Dritter Abschnitt § 13 Vorläufiger Referentenentwurf eines Gesetzes zum Schutz der Landesverteidigung – Stand 15. August 1975. In: Vultejus, Kampfanzug, S. 146, 151. 1293 Vultejus, Kampfanzug, S. 32. 1294 Siehe §§ 15‑18, 42 Wehrstrafgesetz; §§ 53‑56, 59 Vorläufiger Referentenentwurf eines Gesetzes zum Schutz der Landesverteidigung – Stand 15. August 1975. In: Vultejus, Kampfanzug, S. 144. So konnte das Strafmaß je nach Folge bei »Unerlaubter Abwesenheit« bis zu fünf Jahre (WStG Strafarrest, Gefängnis bis zu zwei Jahre), bei »Fahnenflucht im Felde« bis zu zehn Jahre (WStG Strafarrest, Gefängnis im Ermessen des Gerichts), bei »Selbstverstümmelung im Felde« bis zu zehn Jahre (WStG Strafarrest, Gefängnis nicht unter drei Monate), »Dienstentziehung durch Täuschung im Felde« bis zu zehn Jahre (WStG Strafarrest, Gefängnis), bei »Unwahrer dienstlicher Meldung im Felde« bis zu fünf Jahre (WStG Strafarrest, Gefängnis bis zu drei Jahre) Freiheitsentzug betragen. 1290
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diente ihm ein 1982 eingeleitetes Verfahren nach § 89 StGB1295 gegen einen Arzt und Reserveoffizier. Der Friedensaktivist hatte sich während der NATO-Nach rüstungsdebatte auf einem Flugblatt gegen jede Kriegshetze und aggressive Kriegs politik gewandt und zur Verweigerung im Kriegsfalle aufgerufen. War die Klage vom Landgericht zunächst zurückgewiesen worden, hatte die Beschwerde der Staatsan waltschaft beim Oberlandesgericht Koblenz Erfolg. Die Begründung des Gerichtes zur Verfahrensaufnahme sprach allen Bemühungen, den Staatsbürger in Uniform zu realisieren, Hohn: »Bei der Würdigung des Flugblatts müsse auf das Verständnis des Lesers abgestellt werden und eben hier nicht auf die intellektuellen Fähigkeiten der Richter der Strafkammer, sondern der Soldaten. Hier handele es sich zum erheblichen Teil nur um ›einfache Soldaten‹, die nur ein begrenztes Wissen und Interesse auf politischem Gebiet hätten und dementsprechend auch nur in der Lage seien, aus einem umfangreichen Schriftstück die einfachen, leicht verständlichen Formulierungen und Appelle aufzunehmen; sie seien unfähig, komplizierte historische Herleitungen zu verstehen. Ihm werde vorgespiegelt, jeder Dienst in der Bundeswehr diene einer über den Kopf des Soldaten hinweg beschlossenen Aggressionspolitik. Von der wirklichen Aufgabe der Bundeswehr sei keine Rede. Dies sei die Verteidigung der Bundesrepublik. So ergäbe sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Flugblattes, wohl aber aus dem Gesamtinhalt ›klar‹ der Plan, die Soldaten bei der Erfüllung ihrer Dienstpflichten zu verunsichern.«1296 Für Vultejus hatte noch niemand, »auch kein Gericht das Bild vom ›mündigen‹ Bürger und ›Staatsbürger in Uniform‹« so rücksichtslos zerstört. Wenn es ernst werde, »sei der ›Staatsbürger in Uniform‹ nur noch der ›einfache Soldat mit nur begrenztem Wissen und Interesse auf politischem Gebiet‹!« Den Weg vom Staatsbürger in Uniform zum Kanonenfutter interpretierte Vultejus demzufolge als kurz.1297 Für den Juristen knüpfte diese Art der Rechtsprechung eines bundesdeutschen Gerichtes an den § 5 Kriegssonderstrafrechtsverordnung von 1938 an.1298 § 89 StGB (Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane): »(1) Wer auf Angehörige der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans planmäßig einwirkt, um deren pflichtmäßige Bereitschaft zum Schutze der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder der verfassungsmäßigen Ordnung zu untergraben, und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) § 86 Abs. 4 gilt entsprechend.« 1296 Vultejus, Kampfanzug, S. 125. In einer Fußnote erläutert Vultejus, dass es sich bei seinen Aus führungen nur um eine Zusammenfassung des Beschlusses des Oberlandesgerichtes handelt. Eine wörtliche Wiedergabe sei aufgrund § 353 d (Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen) nicht möglich. 1297 Vgl. ebd., Zitate ebd. Über das weitere Verfahren konnten keine Informationen ermittelt werden. 1298 § 5 KSSVO (Zersetzung der Wehrkraft): »(1) Wegen Zersetzung der Wehrkraft wird mit dem Tode bestraft: 1. wer öffentlich dazu auffordert oder anreizt, die Erfüllung der Dienstpflicht in der deutschen oder einer verbündeten Wehrmacht zu verweigern, oder sonst öffentlich den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen sucht; 2. wer es unternimmt, einen Soldaten oder Wehrpflichtigen des Beurlaubungsstandes zum Ungehorsam, zur Widersetzung oder Tätlichkeit gegen einen Vorgesetzten oder zur Fahnenflucht oder unerlaubten Entfernung zu verleiten oder sonst die Manneszucht in der deutschen oder einer verbündeten Wehrmacht zu untergraben [...] (2) In minderschweren Fällen kann auf Zuchthaus oder Gefängnis erkannt werden. (3) Neben der Todes- oder Zuchthausstrafe ist die Einziehung des 1295
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Aber auch der in den geheimen Gesetzesvorlagen geplante Strafvollzug erinnert an die militärjuristische Vergangenheit, denn der Bundesminister der Justiz wurde im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Verteidigung zur Bildung von Vollzugseinheiten ermächtigt. In diesen Einheiten sollte »militärischer Dienst im geschlossenen Arbeitseinsatz« innerhalb und außerhalb militärischer Einrichtungen geleistet werden.1299 Aber nicht nur die Juristen, auch das Führungspersonal der Truppe hatte sich in diesem Sinne rückwärtsgewandt gezeigt. Als unverwüstlich stellten sich auch hier die bereits Mitte der 1960er-Jahre mit »großem Eifer«1300 vertretenen Bestrebungen nach einer Wiedereinführung von Sondereinheiten dar, die von den Lehrgangsteilnehmern an der Schule für Innere Führung in Reminiszenz an alte Zeiten auch unverblümt als Straf- bzw. Bewährungsbataillone bezeichnet wurden.1301 Hervorgehoben wurde nicht nur die hohe Belastung, die schwer erziehbare Soldaten verursachten, sondern auch deren zersetzender Einfluss auf die betroffenen Einheiten. Hier galt es nach An sicht der Lehrgangsteilnehmer vorrangig, Abhilfe zu schaffen.1302 Die Schule Innere Führung reagierte hingegen ablehnend auf die Vorschläge der Lehrgangsteilnehmer, da die Aufstellung besonderer Einheiten dem Erziehungsauftrag der Bundeswehr widerspräche. In Anlehnung an die Erziehungsschrift »Schwierige junge Soldaten« begründete die Schule ihre Entscheidung damit, dass der schwierige Soldat nur in der Gemeinschaft gutwilliger Kameraden erzogen werden könne.1303 Die Forderungen der Lehrgangsteilnehmer wurden aber nicht nur bundeswehrintern diskutiert, sondern vom SPD-Abgeordneten und Juristen Karl Wienand1304 während einer Sitzung des Verteidigungsausschusses 1964 erneut auf das politische Tableau gehoben. Auf persönliche Gespräche mit einem Kommandierenden General und Truppenoffizieren einer Brigade Bezug nehmend, führte der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses aus, »dass wenige schwer erziehbare oder vorbestrafte Soldaten den Geist der Kompanie negativ beeinflussten, indem sie Druck auf andere ausübten oder ein schlechtes Beispiel geben.« Die Truppe besitze kein Verständnis für die daraus resultierenden enormen Belastungen und würde auf diesen Vermögens zulässig.« § 89 StGB sieht eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor. 1299 Siehe § 27 Vorläufiger Referentenentwurf eines Einführungsgesetzes zur Wehrstrafgerichtsordnung (EG WStGO) – Stand: 1. Oktober 1976. In: Vultejus, Kampfanzug, S. 179. 1300 Siehe Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an BMVg – Fü B I 4, 30.7.1964, Erfahrungsbericht Lehrgang für S 1 – Offiziere, Btl-Ebene vom 2.‑20.6.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 1‑3, hier S. 3. 1301 Siehe Schule der Bundeswehr für Innere Führung – Lehrgruppe III –, 14.4.1964, Erfahrungsbericht Lehrgänge für Kp-Feldwebel in Oberlahnstein vom: 7.1.‑25.1964, 4.2.‑22.2.1964, 3.3.‑31.3.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 1 f., hier S. 2. 1302 Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an BMVg – Fü B I 4, 26.5.1963, Erfahrungsbericht Lehrgang für S 1 – Offiziere, Btl/Brig-Ebene vom 7.4.‑25.4.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 1‑3, hier S. 3. 1303 Siehe Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an BMVg – Fü B I 4, 30.7.1964, Erfahrungsbericht Lehrgang für S 1 – Offiziere, Btl-Ebene vom 2.6.‑20.6.1964, BArch, BW 11/60 II, S. 3; Schule der Bundeswehr für Innere Führung, – Lehrgruppe II –, 11.4.1960, Zusammenstellung der Fragen XI./XII./XIII: Kdr.-Lehrgang und deren Beantwortung durch Fü B, BArch, BW 11/90 II, Bl. 20, S. 1‑14, hier S. 9. 1304 Zu Wienand siehe Biographisches Handbuch, S. 951 f.
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Personenkreis gerne verzichten. Eine Entlassung käme aber zurzeit nicht in Frage, da weder Parlament noch Ministerium an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung interessiert seien. Auch für Wienand blieb als Alternative nur die immer wieder eingeforderte, wenngleich den truppeninternen und politischen Realitäten zuwiderlaufende Zusammenfassung der Renitenten, Vorbestraften und schwer Erziehbaren in Einheiten unter Führung besonders gut ausgebildeter und pädagogisch geschulter Offiziere und Unteroffiziere. Die Entscheidung, ob ein Soldat dieser Einheit zugeführt werden soll, habe jedoch nicht der Kompaniechef zu treffen, sondern bliebe den Bataillons-, Regiments- und Brigadekommandeuren vorbehalten. Weder Strafnoch Sondereinheit, sollten diese Formationen auf Korps- oder Divisionsebene mit Fachaufgaben oder mit Aufgaben im »Interesse des Dienstes – eine Begründung werde sich schon finden lassen«, betraut werden. Um das Verfahren politisch zu legitimieren, sollte der Ausschuss entweder stillschweigendes Einverständnis oder offene Zustimmung bekunden. Gestärkt durch ein positives Votum der Ausschussmitglieder wäre das Verteidigungsministerium in die Lage versetzt, das Problem in enger Zusammenarbeit mit den Kommandeuren sowohl aus medizinischer und seelsorgerischer Sicht als auch vom Gesichtspunkt der Inneren Führung her eingehend zu prüfen. Anschließend solle ein Truppenversuch durchgeführt werden, über dessen Ergebnisse sich der Ausschuss austauschen sollte.1305 Der anwesende Brigadegeneral Wolfgang Otto Köstlin1306, Unterabteilungsleiter »Innere Führung« im Führungsstab der Bundeswehr, bestätigte die von Wienand angeführten Beschwerden dahingehend, dass rund die Hälfte aller Truppenkommandeure mit der Forderung an das Ministerium herangetreten seien, »ihnen die Möglichkeit zu geben, schwer erziehbare, renitente Soldaten in irgendeiner Form anders zu behandeln.«1307 Diese Forderung werde »im wesentlichen vom Führungsstab des Heeres unterstützt«.1308 Das Ministerium plane aber nicht, eine generelle Weisung zur Aufstellung von Zügen oder Kompanien bei den Bataillonen oder Brigaden zu erlassen. Den Bataillonskommandeuren stünde jedoch das Recht zu, schwierige Soldaten in einem Zug unter Führung hierfür besonders geeigneter Ausbilder zusammenzufassen. Von dieser Alternative werde im Allgemeinen aber kein Gebrauch gemacht und das Ministerium wolle sich in dieser schwierigen Frage der Inneren Führung »nicht vorhalten lassen, dass wieder ›Sondereinheiten‹ gebildet würden, ein Wort, das in der Öffentlichkeit keinen guten Klang habe.«1309 In dieser Einschätzung konnte sich das Ministerium der Zustimmung des Ausschusses sicher sein, da Köstlin den Eindruck gewonnen hatte, »dass die überwiegende Zahl der Abgeordneten eindeutig irgendwelche Sondereinheiten als ›Institution‹ – von oben befohlen – BT, 4. WP, Sten. Prot. der 95. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 10.12.1964, BW 1/54955, S. 30 f. 1306 Zur Person siehe Nägler, Der gewollte Soldat, S. 408 f., Anm. 197. 1307 BT, 4. WP, Sten. Prot. der 95. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 10.12.1964, BW 1/54955, S. 33. 1308 Schreiben Köstlin an Generalinspekteur; Einführung Wiederholungskompanien, BW 1/66177, S. 1‑3, hier S. 1. 1309 BT, 4. WP, Sten.Prot. der 95. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 10.12.1964, BW 1/54955, S. 34. 1305
BArch, BArch, BArch, BArch,
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ablehnt«1310 und Vorstöße in diese Richtung von den Ausschussmitgliedern bislang immer abschlägig beschieden worden waren. Köstlin wird seine Teilnahme an dieser Ausschusssitzung als eine Wanderung auf sehr schmalem Grat empfunden haben, hatte er den Ausschussmitgliedern im Verlauf der Debatte über die Errichtung von Sondereinheiten doch eine wesentliche Tatsache wissentlich vorenthalten. Unausgesprochen geblieben war, dass die Forderung Wienands nach einem Truppenversuch bereits in Form eines Sicherungszuges bei der 6. Panzergrenadierdivision umgesetzt worden war.1311 In einer Stellungnahme für den Generalinspekteur, General Heinz Trettner1312, führte Köstlin aus, dass die Zusammenführung der mehrfach bestraften Soldaten »zu einer Gefährdung der Manneszucht und Ordnung in dieser Einheit« geführt hatte und die »Disziplin und Autorität der Vorgesetzten [schließlich] nur noch mit Hilfe von Feldjägern aufrechterhalten werden« konnte.1313 Daraufhin war der Versuch »trotz bester Voraussetzungen und nach anfänglichem Erfolg [...] nach drei Monaten abgebrochen« worden.1314 Im Weiteren verwies Köstlin darauf, dass die Massierung von etwa 100 einschlägig vorbestraften oder schwersterziehbaren Soldaten in einer Einheit, selbst mit hehren Absichten und unter besten Organisationsbedingungen, sehr schnell den Anschein einer »Strafkompanie« erwecken würde. Außerdem wiesen die auch in anderen Bereichen gewonnenen Erfahrungen darauf hin, dass eine Resozialisierung aufgrund der heterogenen Zusammensetzung und der negativen Auslese1315 in der Regel nicht erreicht werde. Im Gegensatz dazu würden diese Gefahren in »Sonder-Teileinheiten«, also der Zusammenfassung schwieriger Soldaten in ihren Bataillonen oder Brigaden, nicht derart massiv auftreten, da die »Züge im Rahmen der Bataillone hinsichtlich der Erziehung und der Ausbildung homogen eingegliedert« blieben.1316 Ferner bot diese Alternative auch weniger Angriffsfläche für eine kritische Öffentlichkeit und Medienberichterstattung.1317 Anlage zum Schreiben Fü B I an Generalinspekteur, 9.4.1965, Auszugsweise Abschrift aus dem Sten.Prot. der 95. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung vom 10.12.1964, BArch, BW 1/66177, S. 1 f., hier S. 2. 1311 Es könnte sich bei dieser Einheit um den am 1.10.1964 bei der Stabskompanie der Panzerbrigade aufgestellten Sicherungszug handeln. Der Zug setzte sich aus 1 Offizier, 3 Unteroffizieren und 24 Mannschaftsdienstgraden zusammen. Siehe 6. Panzergrenadierdivision, Tätigkeitsbericht für das Jahr 1964, Anlage 13, 11.1.1965, BArch, BH 8-6, 410, S. 2. 1312 Zu Trettner siehe Nägler, Der gewollte Soldat, S. 460, Anm. 376; Hammerich [u.a.], Das Heer, S. 704. 1313 Schreiben Köstlin an Generalinspekteur; Einführung Wiederholungskompanien, BArch, BW 1/66177, S. 1‑3, hier S. 2. 1314 Niederschrift über die 8. Sitzung des Beirates Innere Führung, 10.2.1966, BArch, BW 11/72 II, S. 3. 1315 Siehe Auswertung Kommandeurtagung in Flensburg, 23.6.1965, BArch, BW 2/27487, S. 10. 1316 Schreiben Köstlin an Generalinspekteur; Einführung Wiederholungskompanien, BArch, BW 1/66177, S. 2; Zitate ebd. 1317 »›Sondereinheiten‹ für schwierige Soldaten, z.B. Schaffung von Arbeitseinheiten? ›Besserungseinheiten‹ für nicht kriminelle aber schwierige Soldaten werden die Probleme nicht lösen, sind auch rechtlich und politisch nicht durchsetzbar. Stillschweigende Schaffung von Teileinheiten (Zügen) ist intern möglich, ohne jede Auffälligkeit.« Anlage 2 zu Fü B I 4, 16.2.1965, Arbeitstagung mit G 1/A 1 – Offizieren an der InFüSBw vom 26.‑27.1.1965, Ergebnis der Arbeitsgruppen vom 27.1.1965, BArch, BW 1/66177, S. 6‑8, hier S. 8. 1310
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Der vom Inspekteur des Heeres eingebrachte Vorschlag, in jedem Korps eine Einheit ähnlich der des Truppenversuches aufzustellen, hatte sich zwar letzten Endes als undurchführbar erwiesen1318, doch die Truppenkommandeure mussten sich nicht allein gelassen fühlen, da ihnen mittlerweile neue Wege offenstanden, sich der »Sorgenkinder« zu entledigen. So war es durch die Ergänzung der ZDv 46/11319 seit dem 1. April 1965 möglich, krankhaft schwer erziehbare Soldaten kurzfristig aus dem Wehrdienst zu entlassen. Während es sich bei diesen Soldaten nach ärztlichem »Urteil [...] um die Mehrzahl der gemeinschaftsunfähigen, unverbesserlichen Elemente handeln« würde, sollten besserungsfähige Soldaten »grundsätzlich in der fürsorglichen Obhut ihrer Vorgesetzten« verbleiben. Andererseits bot die zeitgleich erfolgende Novellierung des § 29 Wehrpflichtgesetz (WPflG) die Gewähr, »sich von vornherein oder schneller als bisher von [...] schwer erziehbaren oder sogar nicht mehr erziehbaren Wehrpflichtigen zu befreien.«1320 Demzufolge war der »Wehrpflichtige [...] zu entlassen, wenn nach dem bisherigen Verhalten durch sein Verbleiben in der Bundeswehr die militärische Ordnung oder die Sicherheit der Truppe ernstlich gefährdet wird.«1321 Köstlin beurteilte diese neuen Möglichkeiten als spürbare Entlastung der Truppe. Dem Generalinspekteur empfahl er, die dabei zu gewinnenden Erfahrungen abzuwarten und den Sachverhalt auf der kommenden Kommandeurtagung vorzutragen.1322 Die Truppe hatte aber bereits vor der Novellierung gesetzliche Mittel an der Hand, sich der unerwünschten Soldaten zu entledigen oder deren Einberufung zu verhindern. Ausgeschlossen vom Wehrdienst war derjenige, der »durch ein deutsches Gericht zu Zuchthaus oder wegen einer vorsätzlichen hochverräterischen, staatsgefährdenden oder landesverräterischen Handlung zu Gefängnis von sechs Monaten oder mehr verurteilt worden ist, es sei denn, dass der Vermerk über die Verurteilung im Strafregister getilgt ist.«1323 Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, waren ebenso diskreditierend wie eine Erkennung »auf Maßregeln der Sicherung und Besserung nach §§ 42 c bis 42 e des Strafgesetzbuches [...], solange diese Maßregel nicht erledigt ist.«1324
Ob diese Forderung von dem seit 1.10.1964 amtierenden Generalleutnant Ulrich de Maizière oder, was anhand der Zeitachse wahrscheinlicher erscheint, von dessen Vorgänger Generalleutnant Alfred Zerbel stammt, konnte nicht ermittelt werden. 1319 Siehe ZDv 46/1 »Bestimmungen für die Durchführung der ärztlichen Untersuchung bei Musterung und Diensteintritt von Wehrpflichtigen, Annahme und Einstellung von freiwilligen Bewerbern sowie bei der Entlassung von Soldaten.« 1320 Ilsemann, Die Bundeswehr, S. 48. 1321 Siehe § 29 Abs. 1 Satz 5 WPflG. In: BGBl. 1965, T. 1, 14.5.1965, S. 390‑405, hier S. 400; Scherer/Krekeler, Wehrpflichtgesetz, S. 20. 1322 Schreiben Köstlin an Generalinspekteur; Einführung Wiederholungskompanien, BArch, BW 1/66177, S. 3. 1323 § 10 Abs. 1 Satz 1 WPflG. In: BGBl, 1956, T. 1, 21.7.1956, S. 651‑661, hier S. 653. 1324 Siehe § 10 Abs. 1 Satz 2 und 3WPflG. In: Ebd; BGBl. 1965, T. 1, 14.5.1965, S. 394; Scherer/ Krekeler, Wehrpflichtgesetz, S. 7. Die §§ 42 c bis 42 e StGB sahen die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt, in einem Arbeitshaus oder die Sicherheitsverwahrung vor. Siehe Strafgesetzbuch. In: Wehrstrafrecht, S. 91. 1318
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Ferner konnte ein Wehrpflichtiger »zurückgestellt werden, wenn gegen ihn ein Strafverfahren anhängig ist, in dem eine Freiheitsstrafe oder eine mit Freiheits entziehung verbundene Maßregel der Sicherung und Besserung zu erwarten ist.«1325 Die Entscheidung über die Zurückstellung vom Wehrdienst wurde durch die Musterungsausschüsse getroffen, deren Beisitzer, oftmals im traditionellem Denken von den Streitkräften als »Schule der Nation« verhaftet, den Standpunkt vertraten, »dass eine Resozialisierung von gestrauchelten Wehrpflichtigen in den Reihen der Bundeswehr besonders gut zu verwirklichen sei.«1326 Nach Einschätzung eines Bataillons- und Brigadekommandeurs zeigte die Praxis aber, »dass die Bundeswehr in ihren normalen Einheiten als Erziehungseinrichtungen nur unter Beeinträchtigung ihres Hauptauftrages in der Lage ist, mit derlei störenden Elementen fertig zu werden.«1327 Infolge dessen begrüßte er, dass mit der Gesetzesnovelle die Zurück stellungsbefugnis auf die Kreiswehrersatzämter übertragen1328 und dahingehend erweitert worden war, dass eine Zurückstellung auch dann erfolgen konnte, wenn die Einberufung des Wehrpflichtigen »die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde.«1329 In seiner Ansprache auf der Kommandeurtagung folgte Trettner der Stellungnahme Köstlins. In Sorge um die zu erwartende Wirkung in der Öffentlichkeit, betonte er die historische Hypothek der Sonder- und Strafabteilungen der Wehrmacht und verwies auf die ablehnende Haltung der medizinischen Seite bezüglich ihrer Wieder auferstehung. Die Alternative, spezielle Züge in den Bataillonen und Brigaden aufzustellen, machte er davon abhängig, »dass der Erziehungscharakter nicht in einen Strafcharakter umschlägt«, und erinnerte die hohen Kommandeure an ihre Dienst aufsichtspflicht. Die neu zur Verfügung stehenden Alternativen sollten voll ausgeschöpft werden, eine Bevorzugung vorzeitig – und damit unehrenhaft entlassener Soldaten – in der Berufswelt sah Trettner nicht, warnte aber vor Missbrauch durch die Wehrpflichtigen.1330 Erst 15 Monate nach Abbruch des Truppenversuches trug der damalige Kommandeur der 6. Panzergrenadierdivision, Generalmajor Werner Haag1331, seine Auswertung vor dem Beirat »Innere Führung« vor. Zuvor hatte Verteidigungsminister Hassel angeordnet, dass der Abschnitt C der Studie den Beiratsmitgliedern nicht zur Kenntnis gebracht werden sollte.1332 Der Bericht war als vertraulich eingestuft wor§ 12 Abs. 5 WPflG. In: BGBl, 1956, T. 1, 21.7.1956, S. 654. Ilsemann, Die Bundeswehr, S. 48. 1327 Ebd. 1328 Siehe § 18 Abs. 1 WPflG. In: BGBl. 1965, T. 1, 14.5.1965, S. 396; Scherer/Krekeler, Wehrpflichtgesetz, S. 12 f. 1329 Siehe § 12 Abs. 5 WPflG. In: BGBl. 1965, T. 1, 14.5.1965, S. 395; Scherer/Krekeler, Wehrpflichtgesetz, S. 9. 1330 Siehe Auswertung Kommandeurtagung in Flensburg, 23.6.1965, BArch, BW 2/27487, S. 8‑11; Zitat S. 10. Hervorhebungen im Original. Der Verlust einiger weniger Soldaten, die sich mithilfe der Gesetzesnovellierung drücken würden, war nach Ansicht des damaligen Obersten und späteren Generalleutnant Gero von Ilsemann zu verkraften. Das weitaus größere Übel stellten die unerwünschten asozialen Gruppen unter den Wehrpflichtigen dar. Vgl. Ilsemann, Die Bundeswehr, S. 49. 1331 Zu Haag siehe Hammerich [u.a.], Das Heer, S. 717. 1332 Schreiben Fü S I an Abteilungsleiter Personal, 21.1.1966, BArch, BW 2/16297, S. 1 f., hier S. 1. 1325
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den, auch die auszugsweise Wiedergabe nicht gestattet. Interessierten Mitgliedern sollte die Einsicht in den Bericht aber jederzeit ermöglicht werden. Ob mit Ab schnitt C oder ohne, geht aus den Unterlagen nicht hervor.1333 Der Bericht selbst konnte trotz intensiver Archivrecherche nicht aufgefunden, der Inhalt als »anschauliche Erfahrungsgrundlage hinsichtlich der Behandlung und auch des Verhaltens und der Reaktion von Soldaten, die sich schwer in die militärische Ordnung fügen«, daher nicht analysiert werden.1334 Das Verteidigungsministerium war sich also bewusst darüber, dass es mit der Durchführung eines solchen Versuches ein großes Risiko einging, und hatte den informierten Personenkreis sehr gering gehalten. So wurde weder die Rechtsabteilung einbezogen1335 noch der Verteidigungsausschuss, auch nicht im Nachhinein, informiert. Konsequenterweise beinhaltet die Niederschrift der Beiratssitzung auch nur die Information, dass der Versuch stattgefunden hatte und letztlich gescheitert war. Inhalte des Haag’schen Vortrages werden, mit Ausnahme der Hinweise auf die neuen gesetzlichen Regelungen zur Entlassung schwieriger Soldaten, nicht wiedergegeben. Staatssekretär im Bundeskanzleramt Karl Gumbel1336 ergänzte die Ausführungen dahingehend, dass der Versuch nicht wiederholt werde, der Erziehungswille der Bundeswehr aber trotz des § 29 WPflG Gültigkeit behalte. In der anschließenden Diskussion wollte der Beirat, trotz der ernüchternden Erfahrung, die Aufstellung von Sondereinheiten, deren ausgesuchtes Führungspersonal durch geeignete Psychologen verstärkt werden müsse, nicht vollends von der Tagesordnung genommen sehen. Hintergrund seiner Überlegung war die Sorge über die von den Wehrpflichtigen nicht einzuschätzenden Folgen einer vorzeitigen und damit unehrenhaften Entlassung. Der gleichsam erörterten Gefahr einer Ausnutzung der Gesetzesnovellierung durch die Wehrpflichtigen mit Ziel der vorzeitigen Entlassung wurde das zunehmende Interesse in der Öffentlichkeit an den Gründen einer vorzeitigen Entlassung entgegengehalten. In dem Bemühen, der Truppe die harten, guten Einzelkämpfer, also die für Kommandounternehmen besonders geeigneten Landsknechstypen, die sich im Frieden nur schwer in eine Gemeinschaft einfügten, zu erhalten, müssten diese in der Beurteilung schwieriger Soldaten von den asozial veranlagten Soldaten, die eine Gefahr für die Truppe und Sicherheit darstellten, unterschieden werden. Haag, mittlerweile Abteilungsleiter Personal im Ministerium, teilte diese Einschätzung aus eigener Erfahrung und sicherte dem Beirat zu, dass die Bundeswehr sich trotz dieser Siehe Niederschrift der 8. Sitzung des Beirates Innere Führung, 10.2.1966, BArch, BW 11/72 II, S. 3. 1334 Siehe Briefentwurf Kommandeur Schule der Bundeswehr für Innere Führung an Bundesminister der Verteidigung Fü S I 4, BArch, BW 11/72 II, S. 1 f., hier S. 2. Der Kommandeur bedauerte, dass der Bericht nur sehr wenigen Angehörigen seiner Dienststelle zur Kenntnisnahme übergeben werden durfte. Eine Auswertung wurde daher sehr erschwert, besonders da der Lehrstabsoffizier für das Sanitätswesen von der Einsichtnahme ausgeschlossen blieb. So blieb auch eine Archivrecherche in den Aktenbeständen des Inspekteurs des Sanitäts- und Gesundheitswesen der Bundeswehr ohne Erfolg. Für ihre Bemühungen bin ich Frau Archivoberinspektorin Cynthia Flohr zu Dank verpflichtet. 1335 Siehe VR II 6, Vermerk Wiederholungskompanie, 14.4.1965, BArch, BW 1/66177, in dem über den durchgeführten Versuch informiert und vorgeschlagen wird, sich mit dem Referat Erziehungsund Bildungswesen (Fü B I 4) in Verbindung zu setzen. 1336 Zu Gumbel siehe Krüger, Das Amt Blank, S. 189. 1333
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Erkenntnis und der negativen Erfahrung des Truppenversuches nicht entmutigen lasse, sich der schwierigen Soldaten besonders anzunehmen. Die Einordnung dieser jungen Männer in die soldatische Gemeinschaft und damit in die Gesellschaft sei aber nicht nur eine besondere Erziehungsaufgabe der Bundeswehr, sondern gleichfalls eine der gesamten Gesellschaft. Damit wurde der »Schule der Nation« und der Auffassung, dass das Militär für die Erziehung gerade der Schwierigen verantwortlich sei, eine weitere Absage erteilt. Andererseits wurde auch die Ausgrenzung schwieriger Soldaten in besondere Abteilungen abgelehnt und der Erziehungsgedanke grundsätzlich in den Mittelpunkt gerückt. Die Schule für Innere Führung war bereits 1960 zu der Einschätzung gelangt, dass der Truppe mit der Wehrdisziplinarordnung und dem Wehrstrafgesetz ausreichende Machtmittel zur Verfügung standen, um auftretenden Widerstand zu brechen.1337 Diese hatten durch die Nivellierung des Wehrpflichtgesetzes und der Erweiterung der ärztlichen Befugnisse nunmehr eine sinnvolle und die Truppe entlastende Ergänzung gefunden. Trotz dieser Einschätzung und Entwicklung wurden die juristischen Informationstagungen zur Einübung einer Wehrstrafgerichtsbarkeit und die Arbeiten an den dazu notwendigen Gesetzen im Geheimen fortgesetzt. Erst 1982 sollte Bundesjustizminister Jürgen Schmude1338 (SPD) das Ende der Informationsveranstaltungen verfügen1339 und in einem Schreiben an Verteidigungsminister Hans Apel1340 (SPD) erstmalig die Frage stellen, »ob eine eigenständige Wehrgerichtsbarkeit überhaupt erforderlich sei.«1341 In dem Bestreben, endlich eine abschließende Entscheidung herbeizuführen, votierten Mitte der 1980er-Jahre die Vertreter der beiden betroffenen Ministerien im Bundessicherheitsrat dafür, die strittigen Gesetzentwürfe zur Entscheidung in den Bundestag einzubringen. Zur Vorbereitung sollte eine Kommission aus ehemaligen Militärs, Völker-, Staats- und Verfassungsrechtlern sowie Bundes- und Lan des politikern gebildet werden. Vom Bundessicherheitsrat genehmigt, fand sich aber nur der ehemalige CSU-Bundesinnenmister Hermann Höcherl1342 bereit, den Vorsitz zu übernehmen. Der bekannte Gewerkschaftsfunktionär und SPD-Politiker Georg Leber hatte auf den zweiten, gleichberechtigten Vorsitz verzichtet. Der ehemalige Bundesverteidigungsminister hatte die Angelegenheit wohl als zu risikobehaftet bewertet. Eine konstituierende Sitzung des Gremiums hat niemals stattgefunden und auch das Justizministerium rückte schließlich von seiner bisherigen Position ab. In einem internen Schreiben an die Justizminister der Bundesländer erklärte Bundesjustizminister Hans Arnold Engelhard1343, dass es »in erster Linie [nicht] um militärische Hintergründe wie die Disziplin der Truppe« ginge, sondern Siehe Schule der Bundeswehr für Innere Führung, – Lehrgruppe II –, 11.4.1960, Zusammenstellung der Fragen XI./XII./XIII: Kdr.-Lehrgang und deren Beantwortung durch Fü B, BArch, BW 11/90 II, Bl. 20, S. 1‑14, hier S. 9. 1338 Zu Schmude siehe Biographisches Handbuch, Bd 2, S. 767. 1339 Siehe Der Spiegel, 26.10.1987, S. 126. 1340 Zu Apel siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 17. 1341 Vultejus, Kampfanzug, S. 17. 1342 Zu Höcherl siehe Biographisches Handbuch, Bd 1, S. 346 f. 1343 Zu Engelhard siehe ebd., S. 180 f. 1337
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»die Gesichtspunkte des Schutzes des Soldaten und der Zivilbevölkerung sowie die Verpflichtung zur Einhaltung des Kriegsvölkerrechts« die maßgebenden Kriterien seien.1344 Erneute Aktualität sollte das Thema im Verlauf der Auslandseinsätze der Bun deswehr gewinnen, da gemäß Art. 96a GG eine Wehrgerichtsbarkeit für die im Ausland eingesetzten Soldaten durch ein Bundesgesetz eingerichtet werden kann. Die Bemühungen um eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Kempten ließen alte Befürchtungen wieder aufleben. Die Juristen in Kempten tragen als Zivilisten zwar keinen Kampfanzug unter der Robe, dennoch befürchteten die Historiker Helmut Kramer und Wolfram Wette1345, beide ausgewiesene Experten der Erforschung der Militärjustiz des »Dritten Reiches«, anlässlich der Konzentration weniger handverlesener Juristen eine Wiederkehr der Militärjustiz »durch die Hintertür.« Der Gesetzentwurf sieht vor, dass alle von deutschen Soldaten begangenen Straftaten künftig im bayrischen Kempten bearbeitet werden sollen. Das bedeutet zwar nicht die Rückkehr der gefürchteten Militärjustiz, aber die enge Zusammenarbeit einiger spezialisierter Staatsanwälte mit den Rechtsberatern der Bundeswehr sorgt für Unbehagen. Dass der Bundeswehr die Staatsanwälte willkommen sind, drückt die gemeinsame Ausbildung mit den Rechtsberatern der Streitkräfte aus.1346
8. Erziehung im Alltag der Bundeswehr Mit den bislang vorgestellten und analysierten Leitsätzen und Erlassen zur soldatischen Erziehung war zwar das theoretische Gerüst für eine zeitgemäße Menschen führung und Erziehung errichtet worden, eine Gewähr für ihre ordnungsgemäße Anwendung war damit aber nicht verbunden. Nüchtern betrachtet musste eine sofortige Umsetzung der Inneren Führung und Anwendung ihrer Erziehungsrichtlinien in der mittleren und unteren Führungsebene scheitern, solange es unter den Abteilungsleitern im Ministerium als guter »Styl« [sic!] galt, »die Fragen der Inneren Führung unter dem Motto ›Gerede‹ und ›Schaumgummimatratzen‹ als unwichtig oder gar als nicht existent beiseite zu schieben.«1347 Diese Einschätzung ergänzte Baudissin durch einen Zustandsbericht über die Innere Führung, in dem er die materiellen und personellen Voraussetzungen zu deren Umsetzung als unzureichend kritisiert. Mangelhafte Ausstattung mit Ausbildungsmaterial, Vorschriften und der Zeitdruck führten zu fortlaufender Improvisation, das Bemühen, sich die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse anzueignen, scheiterte an zu geringen Aus bildungskapazitäten. Als Folge der mangelnden Kenntnis und Erfahrung in der sysZit. nach Der Spiegel, 26.10.1987, S. 128. Vgl. Kramer, Die versäumte juristische Aufarbeitung; Das letzte Tabu. 1346 Siehe Der Spiegel, 11.6.2012, S. 33 f., Zitat S. 33. 1347 Schreiben Baudissin an Eberbach, 3.1.1957, BArch, N 717/28, S. 1 f., hier S. 1. Auch Schlaffer hebt die Wirkungslosigkeit der Führungsphilosophie der Inneren Führung in der Früh- und Aufbauphase (1955‑1968) hervor: »Wie sollte auch eine derart fortschrittliche militärische ›Ideologie‹ von einem Führerpersonal von gestern, das mehrheitlich aus der Wehrmacht übernommen worden war, umgesetzt werden?« Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 89. 1344 1345
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tematischen Ausbildungs- und Erziehungsarbeit sah Baudissin einen Rückzug der überforderten Vorgesetzten in die ihnen »geläufige drillmäßige Formalausbildung.« Sie scheuten sich, »Neuland zu betreten [...] Ein zunehmender Rückstau restaurativer Vorstellungen von außen bestärkt diese Begnügungen im Überholten und gibt ihr mit ›traditionellen Argumenten‹ moralische Untermauerung.«1348 Die für den staatsbürgerlichen Unterricht herausgegebene Schrift »Information für die Truppe« werde zwar dankbar angenommen, doch werde der Unterricht durch die mangelnde oder nicht vorhandene Erfahrung der Offiziere »in der pädagogisch-geschickten Behandlung staatsbürgerlicher Unterrichtsgegenstände« behindert. Hinzu komme eine wenig überzeugende Antwort auf die Frage, wofür der Soldat diene. Als Folge dessen herrsche eine Unsicherheit gegenüber der gegenwärtigen staatlichen Ordnung, der nationalen Vergangenheit, der soldatischen Tradition und der Bedrohung aus dem Osten.1349 Auch in der Anwendung einer zeitgemäßen Menschenführung herrsche, trotz grundsätzlicher Aufgeschlossenheit, vielfach Unsicherheit, die »sich auf Unkenntnis infolge mangelnder Vorbereitung (nichtverarbeitete neue Gedanken) und auf Scheu gegenüber möglicher Überwachung und Kritik durch Parlament, Presse und Öffent lichkeit« gründe. Es müsse vermittelt werden, dass die Veränderungen auf dem Gebiet der Waffentechnik und der Taktik neuartige Ausbildungs- und Führungsmethoden notwendig machten.1350 Die Verantwortlichen verstünden nicht, »dass die Innere Führung als neuzeitliche Menschenführung den Soldaten zu der im Gefecht unerlässlichen Härte gegen sich selbst erziehen kann und soll, wenn gleichzeitig neue Wege zur Wahrung der Menschlichkeit, zur Stärkung des Freiheitsbewusstseins und zur Weckung des Verantwortungsgefühls als Voraussetzung für diese Erziehung verlangt werden. Man ist zunächst geneigt, Formen, Wege und Ziele soldatischer Erziehung aus vortechnischer und obrigkeitsstaatlicher Zeit für das Soldatische schlechthin zu setzen, und übersieht dabei, dass Disziplin, Autorität und Gehorsam allein schon durch den kalten, d[as] h[heißt] psychologischen Krieg und die Technisierung der Truppe neue Aspekte erhielten.« Gleichsam bliebe unberücksichtigt, »dass der Rekrut von 1956 nicht mehr der Rekrut von 1936« sei und »sich der tiefgreifende Wandel unserer gesamten politischen, gesellschaftlichen und geistigen Wirklichkeit auch in der Jugend widerspiegelt.«1351 Diese Änderungen gegenüber früher seien entweder nicht erfasst oder mit dem Anziehen der Uniform vergessen worden.1352 Baudissins Kritik zur Inneren Führung in der Truppe richtete sich in besonderem Maße gegen die Führungsorgane der Bundeswehr, denen das entschiedene Bekenntnis zu den Grundsätzen zeitgemäßer Menschenführung fehle. Mithin würden viele Offiziere die Innere Führung als »›Führungstrick‹ einiger wirklichkeitsfremder Theoretiker« betrachten. Der nicht klar erkennbare Wille der militärischen Siehe IV B-1831/56, Zustandsbericht über die Innere Führung, 10.11.1956, BArch, N 693/v. 11, S. 1‑10, hier S. 3 f.; Zitat S. 4. Hervorhebungen im Original. 1349 Siehe ebd., S. 6. 1350 Siehe IV B-1831/56, Zustandsbericht über die Innere Führung, 10.11.1956, BArch, N 693/v. 11, S. 5; Zitat ebd. 1351 Siehe ebd., S. 6. Hervorhebungen im Original. 1352 Siehe ebd. 1348
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Führungsspitze führe schließlich zu Unklarheiten über Aufgaben und Absichten der Inneren Führung und lasse die Truppe in geistigen Führungsfragen teilweise hilflos zurück.1353 Als Fazit seiner Kritik hält Baudissin abschließend fest, dass die »Innere Führung als geistige Rüstung im psychologischen Krieg und als zeitgemäße Menschenführung [...] mit der materiellen Rüstung nicht Schritt gehalten« habe und ihre Aufgaben weder von der Führung noch von der Truppe »mit voller Klarheit und Konsequenz angefasst worden« seien.1354 Die Folgen spiegelten sich in zunehmenden restaurativen Tendenzen wider, die, so der spiritus rector der Inneren Führung in einem Schreiben, aber niemanden zu bekümmern schienen. Willens, sich keine Unannehmlichkeiten zu machen, funktionierten Beschwerdewesen und Dienstaufsicht nur sehr bedingt, was den Eindruck erwecke, dass es keine Probleme in der Menschenführung gebe und man allerorten glücklich darüber sei.1355 Ein ministerieller Versuch, dieser hausinternen Kritik und den Defiziten bei der Anwendung der Inneren Führung und ihrer zeitgemäßen Erziehungsarbeit entgegenzuwirken, stellten die vom Generalinspekteur erlassenen und auf Arbeitsgrundlagen der Unterabteilung »Innere Führung« beruhenden »Richtlinien für die Erziehung 1959/60«1356 dar, die gravierende Mängel in der Erziehung des Soldaten eingestanden. Den Grund sah Heusinger in der geistigen und politischen Situation der Bundeswehr sowie in deren schnellen Aufbau. Personell gesehen, verfügten zahlreiche Offiziere über keine gründliche friedensmäßige Ausbildung und hätten die Herausforderungen der Inneren Führung und zeitgemäßen Menschenführung nicht verstanden. In der von Baudissin eingeforderten Klarheit betonten die Richtlinien, dass die Innere Führung gleichbedeutend mit »soldatische[r] Menschenführung, Bildung und psychologisch[er] Rüstung ist.« Dabei sei sie »kein Dienstzweig neben anderen. Sie ist der Dachbegriff für die erzieherische Tätigkeit und Verantwortung der Vorgesetzten in und außer Dienst. Sie kann daher nicht nur stundenweise im Unterricht oder als Betreuung nach Dienst verwirklicht werden.« Außerdem stelle die Innere Führung, die den Soldaten als freien Menschen, guten Soldaten und mitverantwortlichen Staatsbürger sehe und fortbilde, keine Kannbestimmung, sondern eine vom Staat per Gesetz auferlegte Verpflichtung dar.1357 Als Konsequenz ihrer Siehe ebd., S. 7, Zitat ebd. Ebd. Hervorhebungen im Original. Als erforderliche Maßnahmen forderte Baudissin unter anderem die Intensivierung der Lehre zu den Grundlagen der Inneren Führung an den Schulen der Teilstreitkräfte und eine entsprechende Lehrplangestaltung, scharfe Abschlussprüfungen zum Ausbildungsthema Innere Führung und entsprechende Beurteilungsvermerke, um den personalbearbeitenden Stellen einen besseren Überblick über die diesbezüglichen Fähigkeiten der Vorgesetzten zu vermitteln, sowie den unverzüglicher Aufbau der Schule Innere Führung und die systematische Ausbildung von Kommandeuren an dieser Bildungseinrichtung sowie die Einrichtung von Stabsoffizier-Lehrgängen an den Truppenschulen, die jeder Hauptmann vor seiner Beförderung zum Major absolvieren müsse. Von der militärischen Führung verlangte er schließlich ein unmissverständliches Bekenntnis zur Inneren Führung und klare Forderungen zur Durchsetzung und Anwendung der Inneren Führung in der Truppe. Siehe ebd., S. 8‑10. 1355 Siehe Schreiben Baudissin an Eberbach, 3.1.1957, BArch, N 717/28, S. 2. 1356 Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Richtlinien für die Erziehung 1959/60, 21.10.1959, BArch, N 621/v. Kiste 6, S. 1‑31. 1357 Siehe ebd., S. 7., Zitate ebd. Hervorhebungen im Original. 1353 1354
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mangelhaften Umsetzung verlangte Heusinger von den Kommandeuren, dass sie »die ›Leitsätze für die Erziehung des Soldaten‹ (ZDv. 11/1) mehr als bisher zur Grundlage ihrer erzieherischen Bemühungen machen und den Offizieren und Unteroffizieren in geeigneter Form anhand von Beispielen nahebringen«,1358 denn der Kern der Inneren Führung sei die Erziehung.1359 Ob Baudissins pessimistische Eindrücke auch für die weitere Gestaltung und Durchführung der soldatischen Erziehung Geltung besaßen oder die Richtlinien des Generalinspekteurs Wirkung zeigten, soll im Weiteren anhand der seit 1960 erstellten Jahresberichte des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages analysiert werden.1360 Inspiriert durch das Amt des schwedischen Militärombudsmann1361, wurde das, wenngleich in seinen Kompetenzen abgeschwächte, bundesdeutsche Pendant im März 1956 durch eine Grundgesetzänderung geschaffen.1362 Rechte und Pflichten des Wehrbeauftragten wurden in einem Bundesgesetz geregelt.1363 Dies sieht unter anderem vor, dass der vom Parlament gewählte Wehrbeauftragte »auf Weisung des Bundestages oder des Bundestagsausschusses für Verteidigung zur Prüfung bestimmter Vorgänge« tätig werden soll oder »wenn ihm durch Mitteilung von Mitgliedern des Bundestages, Beschwerden von Soldaten oder auf andere Weise Umstände bekanntwerden, die auf eine Verletzung der Grundrechte der Soldaten oder der Siehe Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Richtlinien für die Erziehung 1959/60, 21.10.1959, BArch, N 621/v. Kiste 6, S. 8. Hervorhebungen im Original. Nachfolgend stellen die Richtlinien klare Forderungen zur Erziehung, zur Verantwortungsfreude und Strenge, zum Gehorsam, zur Dienstaufsicht, zu Sauberkeit und Sprachzucht in und außer Dienst sowie zur Erziehung der jungen Soldaten und des Führernachwuchses. Ergänzt werden diese Forderungen durch erzieherische Hinweise zur Politischen Bildung und zur Militärseelsorge. 1359 Siehe ebd. 1360 Ausgewertet wurden die Jahresberichte für die Berichtszeiträume von 1959 bis 1967. Die Analyse konzentriert sich auf die Eingaben zur Erziehung und berücksichtigt mit der gewählten Zeitachse auch die Auswirkungen der Neufassung des Erlasses »Erzieherische Maßnahmen« von 1965. 1361 Jeder Soldat konnte den Militärombudsmann zur Klärung eines Sachverhaltes ohne Einhaltung des Dienst- und Beschwerdeweges direkt anrufen. Zum schwedischen Militärombudsmann vgl. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 48‑54, 74‑88. 1362 Art 45 b GG: »Zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle wird ein Wehrbeauftragter des Bundestages berufen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.« BGBl. 1956, T. I, S. 112. Schlaffer ist in seiner wegweisenden Studie zur Konzeption und Entwicklung des Amtes des Wehrbeauftragten von der These ausgegangen, dass der erste Wehrbeauftrage eine ungünstige Startposition zur Wahrnehmung seines Amtes vorfand: »Die unklare gesetzliche Grundlage seiner Tätigkeit, seine Abhängigkeit von der Regierungsmehrheit im Parlament, die Wahrnehmung des Wehrbeauftragten sowohl bei den Soldaten als auch von außen als personifiziertes Misstrauen gegenüber der Bundeswehr sowie seine öffentliche Präsenzpflicht bildeten kaum eine Basis für eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit Regierung, Parlament und Bundeswehrführung. In der Konsequenz hieß das: Der Wehrbeauftragte konnte durch diese Rahmenbedingungen kaum Einfluss auf die Entwicklung im sozialen und organisatorischen Gefüge der Bundewehr nehmen. Somit war er wie die ›Innere Führung‹ ein Placebo zur Beruhigung der Bevölkerung im Hinblick auf den Aufbau der Bundeswehr.« Schlaffer, Der Wehrbeauftrage, S. 90. Im weiteren Verlauf seiner Studie verwirft Schlaffer die These und kommt zu dem Ergebnis, das der Wehrbeauftragte schließlich als »Modernisierer von Armee und Staat« wirkte, »den Durchbruch der ›Inneren Führung‹ wesentlich« beförderte und als Person das uneingeschränktes Vertrauen seiner Klientel erlangen konnte. Vgl. ebd., S. 334 f.; Zitate S. 334. 1363 Siehe Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages vom 26. Juni 1957. In: BGBl. 1957, T. I, S. 652‑654. 1358
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Grundsätze über die innere Führung schließen lassen.«1364 Die Majorität der rasch zunehmenden Anzahl der Eingaben wurde jedoch von Soldaten oder deren Ange hörigen verfasst,1365 was Baudissins Pessimismus bezüglich einer mangelnden Be schwerdebereitschaft spätestens mit der Einführung der Wehrpflicht und des Amtes des Wehrbeauftragten in Frage stellte.1366 Über seine Tätigkeit hat der Wehrbeauf tragte dem Bundestag einen jährlichen Rechenschaftsbericht vorzulegen,1367 der nicht nur eine statistische Aufschlüsselung der Eingabe nach Inhalt, Herkunft, Dienstgrad gruppen, Anteil der Teilstreitkräfte und Erledigung beinhaltet, sondern auch zahlreiche Beispiele für die Verletzung der Grundrechte des Soldaten oder der Prinzipien der Inneren Führung sowie deren Bearbeitung durch den Wehrbeauftragten aufzeigt. Ganz im Sinne Baudissins und der Grundsätze der Inneren Führung hielt der Wehrbeauftragte Grolman in seinem ersten Jahresbericht den Gegnern der Inneren Führung vor, dass ein dem zeitgemäßen Kriegsbild entsprechender Soldat, der selbstständig und verantwortungsbewusst agieren soll, nicht mit Ausbildungs- und Erziehungsmethoden der Vergangenheit in Form einer »drillmäßige[n] Erziehung des Soldaten zu einer uniformierten Masse« erreicht werden könne. Eine auf bedingungslosem Gehorsam begründete Disziplin, die »durch allzu große Rücksichtnahme auf staatsbürgerliche Rechte eher gefährdet als gefördert« werde, müsse durch »geistige Erziehung und zeitgemäße Menschenführung, die die Einzelpersönlichkeit des Soldaten respektieren, ihn zu Selbstverantwortung und Eigeninitiative erziehen und zur Selbstzucht befähigen«, abgelöst werden.1368 Fatal wirke hierbei das der Inneren Führung zuwiderlaufende Erziehungsprinzip, dass der Soldat lernen müsse, Ungerechtigkeiten zu ertragen, ohne dagegen Beschwerde einzulegen. Dieses auch von Hitler propagierte Prinzip des schweigend gehorsamen Soldaten1369 vertrage sich aber nicht mit dem Erziehungsziel eines freiheitlichen Rechtsbewusstseins des Staatsbürgers in Uniform und dem Verantwortungsgefühl einer selbstbewussten Persönlichkeit.1370 Grolman gab daher zu bedenken, dass die im Krieg kurzfristig ausgebildeten Offiziere und jetzigen Kompaniechefs für die Wahrnehmung einer friedensmäßigen Erziehung und Ausbildung noch sorgsamer Anleitung bedürften. Andererseits verkannte der erfahrene Soldat auch nicht die Gefahren eines überhasteten Aufbaus der Bundeswehr, da ständige »Versetzungen, insbesondere bewährter Kompaniechefs und Kommandeure [...] sich auf Erziehung und Menschen Ebd., S. 652, § 2, Abs. 1 und 2. Wie in den schwedischen Streitkräften hat jeder Soldat »das Recht sich einzeln ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an den Wehrbeauftragten zu wenden. Wegen der Tatsache der Anrufung des Wehrbeauftragten darf er nicht dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt werden.« Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages vom 26. Juni 1957. In: BGBl. 1957, T. I, S. 652, § 7. 1366 Im ausgewerteten Zeitraum variierten die Eingaben zwischen 3400 und 6000. Der Durchschnitt lag bei jährlich etwa 4750 Eingaben. 1367 Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages vom 26. Juni 1957. In: BGBl. 1957, T. I, S. 652 § 2, Abs. 3. 1368 Bericht des Wehrbeauftraggten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1959, S. 5. 1369 Hitlers Forderung an den Soldaten: »Er soll lernen zu schweigen, nicht nur, wenn er mit Recht getadelt wird, sondern soll auch lernen, wenn nötig, Unrecht schweigend zu ertragen.« Hitler, Mein Kampf, S. 459. 1370 Vgl. Bericht des Wehrbeauftraggten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1959, S. 9 f. 1364 1365
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führung wie auf die Organisation und Leitung der Ausbildung fühlbar nachteilig« auswirkten.1371 Trotz zahlreicher negativer Eindrücke über das erzieherische Wirken mancher im Alten verharrender oder junger, unerfahrener Vorgesetzten beurteilten Grolman und seine Nachfolger die geleistete Erziehungsarbeit in den Streitkräften in den Jahresberichten keineswegs als gescheitert oder auf dem falschen, dem reaktionären Weg befindlich. Stattdessen, so Grolman, zeige sich gerade durch das freimütige und disziplinierte Auftreten der jungen Soldaten der »Erfolg einer guten und gesunden Erziehungsarbeit.«1372 Gerade diese Freimütigkeit, Freude an der Kritik sowie die Unbefangenheit und »Sachlichkeit, mit denen die jungen Soldaten ihre Ansichten, auch gegenüber Vorgesetzten, vertreten«, gehörten zum »Wesen der heutigen Jugend und sind Ausdruck eines gewandelten Stils, dessen freiheitlicher Grundzug sich mit überholten Methoden der Ausbildung und Erziehung nicht verträgt. Es ist deshalb ebenso natürlich wie unerläßlich, dass die Menschenführung in der Bundeswehr sich auf diese Eigenschaften einstellt.«1373 Diesen positiven Eindrücken zur Jugend und den jungen Soldaten stehen aber auch zahlreiche und immer wiederkehrende Beispiele von Verstößen gegen die Grundrechte, die Prinzipien der Inneren Führung sowie falschen Erziehungsverhaltens seitens der Vorgesetzten entgegen. Deren Fehlverhalten drückte sich unter anderem durch ein mangelndes Verständnis für die im Erlass festgeschriebenen Er ziehungsmaßnahmen sowie deren Missbrauch aus. Die Folgen waren eine falsche Anwendung der Erziehungsmittel und -wege, der unrechtmäßigen Anwendung von Erziehungsmaßnahmen und Anmaßung von Erziehungsbefugnissen. In letzterem Fall konnte die überarbeitete und erweiterte Fassung des Erlasses »Erzieherische Maßnahmen« zur Abhilfe beitragen, da sie Befugnisse der Unteroffiziere in Füh rungsverwendungen erweiterte und nach Einschätzung Matthias Hoogens1374 stärker auf die Belange der Truppe ausgerichtet war. Im Weiteren bemängelte er zwar die Neigung zur Anwendung unzulässiger Kollektivmaßnahmen und forderte eine vermehrte Nutzung der zusätzlich eingeführten positiven Erziehungsmaßnahmen, würdigte aber die nach seiner Erfahrung sinnvolle Anwendung des überarbeiteten Erlasses in der Truppe.1375 Die in den Berichten beispielhaft aufgeführten Übergriffe junger Offiziere und Unteroffiziere basierten nach Einschätzung der Wehrbeauftragten in der Regel auf mangelnder Erfahrung und fehlgeleitetem Idealismus. Böser Wille wurde nur für ganz wenige Fälle angenommen. Hier seien ältere Vorgesetzte und Kameraden als Beispiel und korrigierend eingreifende Helfer gefordert.1376
Ebd., S. 10. Ebd., 1960, S. 9. 1373 Ebd., 1962, S. 5. 1374 Hoogen war 1964‑1970 Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages. Vgl. Schlaffer, Der Wehr beauftragte, S. 348. 1375 Siehe Bericht des Wehrbeauftraggten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1965, S. 6; 1966, S. 6. 1376 Siehe ebd., 1961, S. 31; 1966, S. 9. 1371
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Aber nicht nur die Vorgesetzten gerieten in das Blickfeld des Wehrbeauftragten. Ein Fall von gerichtlich geahndeter Körperverletzung, begangen in der Absicht, erzieherisch auf einen unbeliebten Kameraden einzuwirken, fand nicht nur Eingang in den Jahresbericht,1377 sondern veranlasste Heusinger zu einer Ergänzung seines Richtlinienerlasses zur Erziehung. Hierin erteilte der Generalinspekteur diesem Auswuchs der Kameradenselbsterziehung, im Militär als »Heiliger Geist« bekannt und von der Verteidigung der angeklagten Soldaten als legitime Erziehungsmaßnahme bezeichnet,1378 eine eindeutige Absage. Kameraden, die wider den Grundsätzen der Kameradschaft handelten oder die erforderliche Ordnung vermissen ließen, dürften von der Stubengemeinschaft lediglich durch eigenes Beispiel, Rat, Vorhaltung oder praktische Hilfe auf ihr falsches Verhalten aufmerksam gemacht werden. Sollten diese Maßnahmen nicht ausreichen, habe eine Meldung an den Vorgesetzten zu erfolgen, der im Rahmen der Wehrdisziplinarordnung oder des Erlasses »Erzieherische Maßnahmen« zu reagieren habe.1379 Auch den gehegten Befürchtungen oder Hoffnungen, die Bundeswehr verstünde ihre Erziehungsaufgabe als »Schule der Nation«, trat der Wehrbeauftragte 1961 entgegen. In seinen Gesprächen mit militärischen Vorgesetzten, so Heye, habe er nicht den Eindruck gewonnen, »dass sie ihre Aufgaben in der Menschenführung in solcher Hinsicht missverstehen.« Wenngleich zu diesem obsoleten Erziehungsauftrag »jegliche Voraussetzung im politischen Bereich« fehlte, »beklagen sich immer wieder Offiziere – nach dem Eindruck des Wehrbeauftragten nicht zu Unrecht –, dass ihnen Erziehungsaufgaben zugemutet werden, die von Elternhaus, Schule und Lehr meistern wahrgenommen werden müssten.«1380 Stattdessen forderte Hoogen diese Erziehungsmächte auf, gerade an der Erziehung zur Wahrung und Einforderung der Grundrechte aktiv mitzuwirken, denn »nur dann wird es möglich sein, dass die Grundrechte auch im militärischen Alltag, der allzuleicht in Schema und Routine abzugleiten droht, die gebührende Beachtung finden.«1381 Auch der Thematik der »Schwierigen Soldaten« wandten sich die Jahresberichte zu und bemängelten, dass die Kompaniechefs, wenngleich aus nachvollziehbaren Gründen, nichts über das Vorleben der betroffenen Soldaten erführen. Andererseits könnten sie bei Vorkenntnis besser auf diese Soldaten reagieren.1382 Gerade diese Soldaten bedürften »einer großen Erziehungskunst der Vorgesetzten«, um zu verhindern, dass sie »den Ton ihrer Stube oder gar in ihrer Einheit angeben. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn mache es notwendig, dass die Vorgesetzten über eventuelle Vorstrafen oder gerichtliche Erziehungsmaßnahmen der entsprechen-
Siehe ebd., 1960, S. 29‑32. Siehe ebd., 1960, S. 30. 1379 Siehe Generalinspekteur der Bundeswehr, Ergänzung zu »Richtlinien für die Erziehung 1959/60«, 25.8.1960, BArch, N 690/v. 76, S. 1 f. 1380 Bericht des Wehrbeauftraggten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1961, S. 31. In diesen Anmerkungen spiegeln sich die Erwartung überforderter Eltern wider, auf die bereits zu Beginn dieser Studie hingewiesen wurde. 1381 Ebd., 1966, S. 3. 1382 Siehe ebd., 1964, S. 10 f.; 1965, S. 8 f. 1377 1378
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den Soldaten informiert würden, damit andere Soldaten durch diese vorbestraften Kameraden nicht negativ beeinflusst werden.«1383 Angemahnt wurde auch eine verstärkte Anwendung der Strafaussetzung zur Bewährung bei der Verhängung von Disziplinarstrafen. Gerade bei gutwilligen und einsichtigen Soldaten könne damit eine günstige erzieherische Wirkung erzielt werden.1384 Auch sollte, sofern nicht ausdrücklich geboten, nicht sogleich mit einer Disziplinarmaßnahme, sondern zunächst mit Erzieherischen Maßnahmen auf das Fehlverhalten von Soldaten reagiert werden.1385 Hier müssten die Vorgesetzten noch sicherer im Umgang mit den ihnen zu Gebote stehenden erzieherischen Mitteln werden. Trotz der Schilderung zum Teil gravierender Verstöße gegen die Grundrechte der Soldaten, die Innere Führung und die Grundsätze zeitgemäßer Erziehung waren die Jahresberichte in sachlich-moderatem Ton verfasst. Dies gilt auch für den letzten Jahresbericht unter Verantwortung Heyes, der in seinen abschließenden Bemerkungen darauf hinwies, dass auch im siebten Jahr des Bestehens der Bundeswehr in der »Frage, ob die Grundsätze der inneren Führung richtig sind«, keine Beruhigung eingetreten sei. Stattdessen sei die »Diskussion um diese Grundsätze [...] mit einer Heftigkeit entbrannt, wie sie bisher nicht bekannt war. Darüber darf auch die Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass die oberste politische und militärische Bundeswehrführung sich stets zu diesen Grundsätzen bekannt hat und ein guter Teil der Offiziere und Unteroffiziere sie als selbstverständlich empfindet und zu verwirklichen sucht. Die Grundsätze der inneren Führung, die unerläßliche Voraussetzung für guten Geist und strenge Disziplin einer schlagkräftigen, modernen Truppe sind, werden von ihren Gegnern, die den Wesensgehalt dieser Grundsätze völlig verkennen, als zu weich, für die Truppenpraxis ungeeignet und als bloße Konzession an den Zeitgeist abgetan.«1386 Heye begrüßte es, dass die Auseinandersetzung um die Innere Führung anhand der bekanntgewordenen menschenunwürdigen Ausbildungs- und Erziehungsmethoden in einer Ausbildungskompanie der Fallschirmjägertrupppe in Nagold (1962/63) nunmehr öffentlich sichtbar geworden sei1387, denn bisher »war es vielen Gegner der inneren Führung leichter möglich, ihr wirkliches Bild vom Soldaten mehr oder weniger verborgen zu halten. Sie bekannten sich zwar grundsätzlich zu den zeitlosen, und somit auch der inneren Führung eigenen Postulaten der Fürsorglichkeit und Gerechtigkeit des Vorgesetzten, verschwiegen aber, dass sie von einem Bild des Soldaten ausgingen, der blind zu gehorchen und ›auch mal‹ Unrecht zu ertragen habe. Für sie ist es zum Beispiel selbstverständlich, dass der Soldat – weil die Soldatensprache ›rauh aber herzlich‹ sei – barschen Korporalston und sogar Kränkungen hinzunehmen hat, dass er bei Schikanen ›nicht zimperlich‹ zu sein hat, weil dort, ›wo gehobelt wird, Späne fliegen‹. Um die Rekruten zur Härte zu erziehen, sei es notwendig, dass sie – wie früher ›die Alten‹ – ›geschliffen‹ werden. Auch wird von dieser Seite nicht selten betont, der gute Soldat beschwere sich nicht und berufe Bericht des Wehrbeauftraggten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1967, S. 11. Siehe ebd., 1960, S. 26; 1961, S. 17. 1385 Siehe ebd., 1960, S. 16; 1963, S. 16. 1386 Ebd., 1963, S. 26. 1387 Zu den verschiedenen, aufeinanderfolgenden Vorfällen menschenunwürdiger Behandlung von Re kruten in Nagold vgl. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 160‑165; Schlaffer, Schleifer a.D.? 1383 1384
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sich allenfalls dort auf seine Rechte, wo sie in unerträglicher Weise verletzt seien. All dies gehöre zum richtigen Bild vom Soldaten. Ohne diesen Soldaten sei eine schlagkräftige Truppe nicht denkbar.«1388 Im krassen Widerspruch zu den Prinzipien der Inneren Führung stehend, spiegelte diese überkommene, aber gemäß den angeführten Beispielen in den Jahresberichten partiell praktizierte Doktrin militärischer Erziehung, Führung und Ausbildung das Bild der Bevölkerung vom »Kommiss«, des literarisch und cineastisch überlieferten Typus eines Himmelstoß und Platzek sowie bei den ehemaligen Soldaten oft eigene leidvolle Erfahrungen wider. Darüber hinaus, so Heye, stünde sie im Widerspruch zum Grundgesetz und »den Erkenntnissen moderner Pädagogik und damit auch einer geläuterten soldatischen Tradition.«1389 Die betroffene Jugend lehne eine derartige Vorstellung des Soldaten ab, stehe nach seiner Einschätzung aber einer »Menschenführung, die den Soldaten als Persönlichkeit und als Staatsbürger respektiert und seinen guten Willen nicht bricht, sondern ihn in Erziehung und Ausbildung einbezieht« grundsätzlich ebenso aufgeschlossen gegenüber wie einem Engagement für die Gemeinschaft. Gleichwohl brach Heye auch eine Lanze für die guten Ausbilder, die bewiesen, »daß man ohne Schikane und in anständigem Ton, ohne verletzende Ausdrücke« vorzüglich ausbilden und Disziplin halten könne, ohne die Rechte der Soldaten einzuschränken. Militärische Führer, die ihr Denken und Handeln nicht an den Grundsätzen der Inneren Führung ausrichteten, müssten scheitern. Ihre Argumentation, dass deren Anwendung nur zu Weichheit und Disziplinlosigkeit führten, zeige lediglich, dass sie die Innere Führung nicht verstanden hatten und wenig vom echten Soldatentum wüssten.1390 Neben den unbelehrbaren »Alten« sah Heye die Gefahr auch in der Jugend und militärischen Unerfahrenheit zahlreicher militärischer Vorgesetzter begründet. Sie suchten ihre Unsicherheit »nicht selten durch Ausbildungsmaßnahmen auszugleichen, die einen Rückfall in überholte und unzulässige Methoden bedeuten. Eine besondere Gefahr scheint für sie darin zu liegen, formale Elemente, die im militärischen Leben zwar unerläßlich sind, aber keineswegs dessen Wesen ausmachen, doktrinär überzubewerten. Dies führt manchmal dazu, daß solche Vorgesetzte den Wert des Soldaten zu sehr an der Beherrschung der militärischen Form messen und außer acht lassen, daß sich der wirkliche Wert des Soldaten vor allem nach seinem inneren Engagement, seiner Verantwortungsbereitschaft und seinem Mitdenken bemißt.«1391 Lösen ließe sich dieses Problem durch eine »nachdrückliche anleitende Erziehung, die den älteren militärischen Führern besonders am Herzen liegen« müsse.1392 Hierzu müssten sie aber Willens und in der Lage sein. Ein von Heye angeführtes Beispiel zeigt jedoch, dass der hierzu geeignete Erlass »Erzieherische Maßnahmen« von 1958 einem Bataillonskommandeur, und daher vermutlich allen militärischen
Bericht des Wehrbeauftraggten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1963, S. 26. Ebd. 1390 Siehe ebd., Zitate ebd. 1391 Ebd., S. 26 f. 1392 Ebd. 1963, S. 27. 1388 1389
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Vorgesetzten seines Bataillons, gar nicht bekannt war.1393 Dies war kein Einzelfall, wie der bereits erwähnte Erfahrungsbericht eines Einheitsführerlehrgangs an der Schule der Bundeswehr für Innere Führung beweist.
1393
Vgl. In Sorge, S. 50 f. Heye sah seinen letzten Jahresbericht weder vom Bundestag noch vom Verteidigungsausschuss ausreichend gewürdigt und beschloss, dieser Missachtung seiner Be mühungen für die Grundrechte des Soldaten und die Durchsetzung der Inneren Führung öffentlich keitswirksam entgegenzutreten. Da die Politik keine Kenntnis von seinen Eindrücken über das mangelhafte Verständnis und die seiner Meinung nach oftmals unzureichende Anwendung der Grundsätze der Inneren Führungen nahm – Heye konnte vor dem Bundestags nicht persönlich zu seinem Jahresbericht Stellung nehmen –, fasste er seine Erfahrungen über die Praxis der Inneren Führung in der Bundeswehr in drei Ausgaben der Illustrierten Quick sehr pointiert zusammen. Die Ausführungen seines Jahresberichtes wurden durch weitere, sehr einprägsam dargestellte Beispiele menschenverachtender Führung, Ausbildung und Erziehung ergänzt. Vergleiche mit anderen Streitkräften zeigten Alternativen auf. Den moderaten Ton des Jahresberichtes hintanstellend, terminierte er die Zeit der Bundeswehr auf fünf Minuten vor Zwölf: »Es ist noch nicht zu spät für eine Umkehr. Der richtige Weg, der zu einer modernen Armee führt, die in unserem demokratischen Staat kein Fremdkörper ist, dieser Weg kann noch gefunden werden. Alle guten Kräfte innerhalb und außerhalb müssen jetzt zusammenstehen für diesen Kampf. Die Gleichgültigen müssen aufgerüttelt, die Gegner des neuen Weges in ihre Schranken gewiesen werden. Dazu soll dieser Bericht beitragen.« Ebd., S. 67. Zu den Pressereaktionen aus dem In- und Ausland vgl. ebd., S. 69‑85. Zur Stellungnahme Strauß’ und eines Anonymus vgl. ebd., S. 87‑100, 101‑114.
III. Bilanz Spiegelte die Erziehung in der Aufbauphase der Bundeswehr dennoch eine Erfolgs geschichte wider? Ein abschließendes Fazit lassen sowohl die ambivalenten Aussagen der ausgewerteten Akten und Literatur als auch die Fragestellung der vorliegenden Studie nicht zu. Einerseits wurde aufgezeigt, dass die kriegsgedienten Vorgesetzten Defizite im Verständnis zeitgemäßer Menschenführung und Erziehung aufwiesen und insbesondere mit der Forderung nach Sondereinheiten für schwer erziehbare oder vorbestrafte Soldaten in nationalsozialistische Erziehungsmuster zurückfielen, andererseits fanden, trotz aller Verstöße, die von der unsachgemäßen Anwendung der zur Verfügung stehenden Erziehungsmittel bis hin zur körperlichen und seelischen Misshandlung von Soldaten reichten, die Erziehungsbemühungen der Truppe in den Jahresberichten der Wehrbeauftragen auch lobende Erwähnung. Lag die praktische Erziehungsarbeit in den Händen und der Verantwortung der Vorgesetzten, wurden die hierzu notwendigen theoretischen und ausbildungsbegründenden Grundlagen für die Erziehung und Bildung der Soldaten mit den »Leitsätzen für die Erziehung des Soldaten«, dem Merkheft »Lebenskundlicher Unterricht«, dem Erlass »Erzieherische Maßnahmen« sowie den Unterrichtsmaterialien für den staats bürgerlichen Unterricht vom Amt Blank, vorrangig vom Referat »Inneres Gefüge«, später Gruppe und Unterabteilung »Innere Führung«, konzipiert und verantwortet. Unter Federführung Baudissins wurde die umfassend erörterte Konzeption einer Gesamterziehung des Soldaten, die auch eine ethische und staatsbürgerliche Er ziehung einschloss, durch die Anbindung an die vorherrschende Theorie der Geistes wissenschaftlichen Pädagogik sowie die Einbindung ihrer maßgeblichen Vertreter in den Gestaltungsprozess abgesichert und wissenschaftlich legitimiert. Bohnenkamp und Weniger sorgten darüber hinaus für ein entsprechendes Votum des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen. Politische Legitimation erlangten die Erziehungsgedanken durch die uneingeschränkte Unterstützung der Mitglieder des Ausschusses für europäische Sicherheit, des späteren Verteidigungs ausschusses. Mit dem Versuch, das Arbeitsgebiet »Innere Führung« personell aufzustocken und damit dessen Position zu festigen, scheiterte der Ausschuss hingegen an dem von Wirmer und dem Finanzministerium errichteten Bollwerk. Im Fall Wirmers sei die These erlaubt, dass er sich der Stellenvermehrung in den Sitzungen des Ausschusses widersetzte, um hausintern die zivile Kontrolle zu wahren und zu verhindern, dass sich Soldaten mithilfe von Politikern, einige davon ehemals hohe Offizierdienstgrade, mit ihren, wenngleich berechtigten, Forderungen durchsetzen konnten.
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III. Bilanz
Obwohl er bei den Tagungen zur Erörterung der späteren »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« nicht vertreten war, erwies sich der Dachverband der deutschen Jugendverbände als nicht immer einfacher, aber konstruktiver Gesprächspartner, der das Erziehungskonzept ebenfalls positiv beurteilte: »Man habe lange gesucht, ob man nicht etwas Grundsätzliches aussetzen könne, aber es sei beim besten Willen nichts Beanstandenswertes zu finden.«1 Die Vertreter der Jugendverbände zeigten sich abschließend nicht nur sehr einverstanden mit den vorgelegten Gedanken, sondern betonten ausdrücklich die Irrelevanz anderer Konzeptionen.2 Konstruktive Gegenentwürfe gab es jedoch keine, wenn man von der wenig hilfreichen Idee Foertschs absieht, die Pflichten des Soldaten als Erziehungsziele für den künftigen Soldaten zu definieren. Auch Pfister legte, trotz entsprechender Tagungen, kein eigenständiges, pädagogisch abgesichertes Konzept für eine Gesamterziehung des Soldaten vor, was beide jedoch nicht daran hinderte, massive Kritik an den Leitsätzen für die Erziehung des zukünftigen Soldaten zu üben. Als scharfsinnigster Kritiker erwies sich jedoch der zivile Leiter der Zentralabteilung des Amtes Blank, Ernst Wirmer, dessen Einwände man auf drei Ebenen festmachen kann. Sie beinhalteten zunächst eine pädagogische Dimension, die den Erziehungsanspruch der Streitkräfte als solchen zurückwies sowie die Überforderung der Ausbilder mit einem Erziehungsauftrag kritisierte. Die politische Dimension wurde durch Wirmers Befürchtungen einer autonomen Armee gespeist, die erneut als Erziehungsschule der Nation verstanden werden könnte, während die persönliche Dimension seinen negativen Erfahrungen als Soldat geschuldet war, die ihn eine menschliche Beziehung des Soldaten zu den Ausbildern ablehnen ließ. Aber Wirmer schnitt mit seiner umfangreichen Kritik auch Probleme handfester Natur an. So sollte sich seine Skepsis hinsichtlich der praktischen Anwendung der Erziehungsleitsätze durch pädagogisch unzureichend qualifizierte Ausbilder zum Teil als berechtigt erweisen. Zu Recht bemängelte er auch das Versäumnis, den Erziehungsbegriff, der den Arbeiten für die Erziehung des Soldaten zugrunde lag, eindeutig zu definieren. Einerseits war es Baudissin mit Unterstützung der universitären Wissenschaft zwar gelungen, ein pädagogisches Konzept für die Erziehung des Soldaten zu entwickeln, dessen Modernität im teilweise krassen Gegensatz zur pädagogischen Realität hinsichtlich Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Individuums in Familie, Schule und Kirche in den 1950er-Jahren stand, anderseits hatte er es aber versäumt, sein Erziehungsverständnis klar zu definieren, um damit ein allgemeingültiges Verständnis sowie eine einheitliche Anwendung zu gewährleisten.3 1 2
3
So das Votum des BDKJ im Juni 1954. Tagebuch Baudissin, Eintrag Pollmann, 18.6.1954, BArch, N 717/2, Bl. 326. Siehe Tagebuch Baudissin, Eintrag Baudissin, 13./14.1.1955, BArch, N 717/4, Bl. 44 f. Baudissin fasst hier die Ergebnisse einer Besprechung mit dem DBJR zusammen, an der Vertreter der ostdeutschen, evangelischen und katholischen Jugend teilnahmen. Weitere Teilnehmer vertraten die der SPD nahestehenden Falken und den Jugendverband der DAG. Diesem Versäumnis unterlag die NVA nicht. 1962 wurde in der Schriftenreihe des Deutschen Militärverlages zu Fragen der militärischen Erziehung und Bildung eine Ausbildungshilfe herausgegeben. Die Begriffe Erziehung, Pädagogik und Militärpädagogik umfassend erläuternd und definierend, diente sie dem Vorgesetzten als Einführung in Gegenstand und Aufgaben der Theorie der Erziehung und Bildung in militärischen Einheiten. Siehe Uckel, Der militärische Vorgesetzte.
III. Bilanz
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Obwohl Baudissin radikal mit der Armee als »Erziehungsschule der Nation« zu brechen und an die preußischen Heeresreformer um Scharnhorst anzuknüpfen gedachte, die die »Armee als Hauptbildungsschule der Nation für den Krieg« (Boyen) verstanden wissen wollten, behielt er – wo die Anwendung des Bildungsbegriffs nahe lag – den im Militärischen negativ tradierten Erziehungsbegriff bei. Bedingt durch seine apolitische und elitäre Bedeutung im deutschen Bildungsbürgertum erschien ihm der Bildungsbegriff wohl nicht geeignet. Damit setzte er sein Konzept aber der Gefahr aus, dass die Vorgesetzten – militärisch sozialisiert im Sinne des tradierten Erziehungsbegriffes – das Neue nicht erkannten oder erkennen wollten. Die vorhergegenagenen Ausführungen zeigten bereits deutlich, wie notwendig es sein würde, den Vorgesetzten die veränderten Inhalte des neudefinierten Erziehungsbegriffes durch intensive Aufklärung zu vermitteln. Aber alle von Baudissin und seinem Referat erstellten Ausbildungsplanungen zum frühzeitigen Verständnis des neuformierten Inneren Gefüges wurden nicht umgesetzt oder bei Lehrgängen zugunsten des militärfachlichen Teils radikal beschnitten. Aber auch Baudissin war vor Rückfällen in nicht mehr zeitgemäße Erziehungs muster nicht gefeit, wie sein zeitweiliges Eintreten für separate Einheiten zur Aufnahme von schwer erziehbaren Soldaten beweist. Allein in diesem Falle blieb ihm die politische Unterstützung versagt, denn der Ausschuss erteilte diesem Vorhaben eine klare Absage. Diese Linie sollte der Ausschuss auch im Weiteren beibehalten. Anklang fanden diese Vorstellungen vor allem im aktiven Offizierkorps, was schließlich zu einem Truppenversuch bei einer Panzergrenadierdivision führte, der jedoch vorzeitig abgebrochen werden musste. Von den Abgeordneten im Ausschuss für europäische Sicherheit wurden diese Einheiten unter anderem mit dem Argument vergangener Missstände und der Gefahr ihrer Wiederbelebung strikt abgelehnt und Gero von Ilsemann stellte hierzu fest, »dass die so genannten ›Schwer-Erziehbaren‹ meist gar nicht militärtauglich sind. Der Bundeswehr sollte erspart werden, mit Nicht-Vernünftigen vernünftigen Dienst versuchen zu müssen. Es hätte sowieso keinen Sinn, Menschen auszubilden, die den zu erwartenden Belastungen durchaus nicht gewachsen wären. Auch wenn sich auf diesem Wege einige Wehrpflichtige drücken werden, die nur bedingt ›Krank‹ sind, wäre dieser Verlust für die Verteidigung zu verschmerzen. Die Belastung, die unerwünschte asoziale Gruppe [sic] unter den Wehrpflichtigen für die Truppe mit sich bringt, stellt das größere Übel dar. Auch in dieser Hinsicht ist die Bundeswehr nicht ›Schule der Nation‹. Sie ist nicht dazu da, missratene Söhne des deutschen Volkes zu bessern.«4 Mithin zerrannen die Erwartungen all derer, die von den Streitkräften auch weiterhin eine im klassischen Sinne verstandene Erziehung ihrer »missratenen« Spröss linge erhofften. Gleichwohl ließen die militärischen und zivilen Planer das erzieherische Potenzial, das den Streitkräften innewohnt, nicht brachliegen. Einerseits mit traditionellen Vorstellungen von Erziehung im Militär brechend, andererseits aber den von der NS-Ideologie getragenen Gedanken eines »Volksheeres« – nunmehr in Form einer »demokratischen Volksarmee« (Theodor Blank) – fortführend, 4
Ilsemann, Die Bundeswehr, S. 49.
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wurde die Erziehung des Soldaten an die freiheitlich-demokratische Grundordnung gebunden und »die staatsbürgerliche Verantwortung für die Freiheit [...] zur höchsten Maxime erhoben.«5 Baudissin und seine Mitstreiter innerhalb und außerhalb des Bundesministeriums für Verteidigung und seines Vorgängers lehnten eine autonome Erziehung in den Streitkräften strikt ab und erhoben das Erleben freiheitlich-demokratischer Werte auch in den Streitkräften zum Prinzip. Für sie waren diese Streitkräfte nur noch »als ein Glied in der Erziehungskette zur politischen Verantwortung, die von der Familie über Schule und Jugendgruppe zum Betrieb, den Parteien und den öffentlichen Institutionen reicht«, denkbar.6 Nicht die militärische Sozialisation des Zivilen, sondern eine zivile Prägewirkung in das Militärische war das erklärte Ziel. Infolgedessen sahen sich die Streitkräfte in Umkehrung bisheriger Vorstellungen nicht mehr als Schule einer auf das Militär hin ausgerichteten Nation, sondern als Abbild der demokratischen Verfasstheit von Staat und Gesellschaft. Als »Schule der demokratischen Nation« dienten sie gleichsam als Werbeträger für den demokratischen Staat, indem der Soldat die verteidigungswürdigen Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung während seines Dienstes unter Umständen erstmalig bewusst erlebte.7 Das Leitbild eines Staatsbürgers in Uniform als Ziel militärischer Erziehungsbemühungen beantwortete auch die 150 Jahre zuvor vom Freiburger Professor und badischen Liberalen Karl von Rotteck8 aufgeworfene Frage, ob man die Nation selbst zum Heer oder ob man die Soldaten zu Bürgern machen wolle, eindeutig zugunsten des Letzteren.9 Wenn, wie die preußische Militär-Reorganisationskommission 1808 feststellte, alle »Bewohner des Staates geborene Verteidiger desselben« sind,10 darf der Soldat nicht aufhören, Bürger zu sein. Gerade in der Situation des permanenten Weltbürgerkrieges erlangte diese von Rotteck eingeforderte Bürgerqualität des Sol daten, den er als »Nationalstreiter« charakterisierte, eine besondere Bedeutung, der die Planer im Amt Blank mit der Konzeption des Leitbildes vom »Staatsbürger in Uniform« Rechnung trugen. Die atomare Vernichtung vor Augen, fand der Soldat hierin die Legitimation zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grund ordnung. Die Vermittlung und Realisierung dieses Leitbildes allein legitimierte die Erziehung im Militär!
5 6 7 8 9 10
Hartmann/Richter/Rosen, Wolf Graf von Baudissin, S. 222. Baudissin, Soldat, S. 221. Zu den Streitkräften als Werbeträger der Demokratie vgl. ebd., S. 233. Zu Rotteck siehe NDB 22 (2005), S. 138‑140 (Beitrag Manfred Friedrich). Vgl. hierzu auch Förster, Die Wehrmacht, S. 129. Immediatbericht der Militär-Reorganisationskommission. Königsberg, 15. März 1808. In: Die Re organisation, S. 320‑332, hier S. 324.
Abkürzungen Abg. Abgeordnete/r Abs. Absatz AEJ Arbeitskreis der Evangelischen Jugend Deutschlands a.D. außer Dienst ADK Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise AFIT Atelier filmových triků (Prager Studio für Filmtricks) AG Aktiengesellschaft Anl. Anlage(n) Anm. Anmerkung(en) Art. Artikel ASTA Allgemeiner Studentenausschuss AVI Ausbildungsvorschrift für die Infanterie AVJ Arbeitsgemeinschaft Vaterländischer Jugendverbände BArch Bundesarchiv Bd/Bde Band/Bände BDF Bund Deutscher Fallschirmjäger BDKJ Bund der Deutschen Katholischen Jugend BDL Bund Deutscher Landjugend BDSV Bund Demokratischer Studentenvereinigungen BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BH Bundeswehr Führungsstab Heer BMVg Bundesministerium für/der Verteidigung BMJ Bundesministerium der Justiz BT Deutscher Bundestag BW Bundeswehr CDU Christlich Demokratische Union CINCENT Commander-in-Chief Allied Forces Central Europe (Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte Europa-Mitte) Col. Colonel (Oberst der US-amerikanischen Streitkräfte) CSU Christlich Soziale Union CVJM Christlicher Verein Junger Männer
348 Abkürzungen
DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst DAG Deutsche Angestelltengewerkschaft DBJR Deutscher Bundesjugendring Dez. Dezember DJBK Deutsche Jugendbund Kyffhäuser DDR Deutsche Demokratische Republik DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DM Deutsche Mark DPSG Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg Drs. Drucksache(n) Dok. Dokument(e) d.R. der Reserve DSACEUR Deputy Supreme Allied Commander Europe (Stellvertretender alliierter Oberbefehlshaber Europa) DSJ Deutsche Sportjugend ebd. ebenda EJD Evangelische Jugend Deutschlands EKD, EKiD Evangelische Kirche in Deutschland EUCOM European Command (Europäisches Kommando) e.V. eingetragener Verein EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDP Freie Demokratische Partei FDJ Freie Deutsche Jugend Frhr. Freiherr Fü B Führungsstab Bundeswehr Fü H Führungsstab des Heeres G 1 Generalstabsoffizier Führungsgrundgebiet 1 (Personal) G 2 Generalstabsoffizier Führungsgrundgebiet 2 (Nachrichten) GBl Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik GG Grundgesetz HDV., H.Dv. Heeresdienstvorschrift HJ Hitlerjugend H.M. Her Majesty’s Ia 1. Generalsstabsoffizier (Führungsabteilung) Ic 3. Generalsstabsoffizier (Feindaufklärung und Abwehr, geistige Betreuung) i.G. im Generalstab IG Inneres Gefüge
Abkürzungen 349
Inf. Infanterie InFüSBw Schule der Bundeswehr für Innere Führung IZE Internationale Zeitschrift für Erziehung Jan. Januar JGG Jugendgerichtsgesetz KNJ Kameradschaftsring Nationaler Jugendverbände Kdr. Kommandeur KPD Kommunistische Partei Deutschlands KSSVO Kriegssonderstrafrechtsverordnung LDS Liberale Studentenbund Deutschlands MSg Militärisches Schriftgut N Nachlass NATO North Atlantic Treaty Organisation (Organisation des Nordatlantikvertrags) NDB Neue Deutsche Biographie NFJ Naturfreundejugend Nov. November Nr. Nummer NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSFO, N.S.F.O. Nationalsozialistischer Führungsoffizier NSLB Nationalsozialistischer Lehrerbund NVA Nationale Volksarmee ÖTV Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr OKH Oberkommando des Heeres Okt. Oktober OKW Oberkommando der Wehrmacht Op Operation PL Planung Pz.Tr. Panzertruppe RAD Reichsarbeitsdienst RAEC Royal Army Education Corps (Ausbildungskorps der britischen Königlichen Armee) RCDS Ring Christlich-Demokratischer Hochschulgruppen RDP Ring der Deutschen Pfadfinderbünde RGBl. Reichsgesetzblatt
350 Abkürzungen
RH Reich Heer (Aktenbestand BArch) RSHA Reichssicherheitshauptamt SA Sturmabteilung SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sep. September SD Sicherheitsdienst SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund SHAPE Supreme Headquarters Allied Powers Europe (Oberstes Hauptquartier der alliierten Mächte in Europa) SJD Sozialistische Jugend Deutschlands – »Die Falken« Sp Spalte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschland SS Schutzstaffel StB/STB Studien-Bureau Pfister Sten.Ber. Stenographischer Bericht Sten.Prot. Stenographische Protokolle StGB Strafgesetzbuch T.F. Truppenführung U-Abt. Unterabteilung Uffz Unteroffizier UN United Nations US United States USA/U.S.A. United States of America v. vom v. von v. vorläufig VB Völkischer Beobachter VdS Verband deutscher Soldaten vgl. vergleiche WDO Wehrdisziplinarordnung WJG Wehrjustizgesetz WP Wahlperiode WPflG Wehrpflichtgesetz WStG Wehrstrafgesetz WStGO Wehrstrafgerichtsordnung ZDv Zentrale Dienstvorschrift ZMSBw Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr z.S. zur See
Quellen und Literatur 1. Ungedruckte Quellen Bundesarchiv (BArch) Findbücher zu den Beständen des Bundesarchives, Bd 40: Dienststellen zur Vor bereitung des westdeutschen Verteidigungsbeitrages 1950‑1955. Bestand BW 2, Teil 1. Bearb. von Dieter Krüger, Koblenz 1992 BH 1 BH 8-6 BW 1 BW 2 BW 9
Führungsstab des Heeres 6. Panzergrenadierdivision Bundesministerium der Verteidigung Führungsstab der Streitkräfte Deutsche Dienststellen zur Vorbereitung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft BW 11/II Schule der Bundeswehr für Innere Führung Kartei NSLB MSg Militärisches Schriftgut NSDAP-Gauleiterkartei N 488 Nachlass Erich Weniger N 493 Nachlass Hellmuth Freiherr von Wangenheim N 617 Nachlass Hasso von Manteuffel N 621 Nachlass Josef H. Pfister N 648 Nachlass Erich Dethleffsen N 690 Nachlass Heinz Karst N 717 Nachlass Wolf Traugott Graf von Baudissin N 825 Nachlass Horst Krüger Pers Personal R 109 Universum Film AG RH 15 OKH/Allgemeines Heeresamt RK J 81 Reichskartei
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Quellen und Literatur
2. Vorschriften Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, Bonn 1965 H.Dv. 39, Die Sonderabteilungen der Wehrmacht, vom 26.3.1938 H.Dv. 130, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, vom 26.10.1922 H.Dv. 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Heft 1, vom 1.10.1938 H.Dv. 300/1, Truppenführung, Teil 1 (Abschnitt I-XIII), Berlin 1936 Preußische Felddienstordnung, Berlin 1908 ZDv 3/1 Methodik der Ausbildung, Bonn 1997 ZDv 3/10 Sport in der Bundeswehr, Bonn 1988 ZDv 10/1 Innere Führung, Bonn 1993 ZDv 20/6 Personelle Auswahlmittel für Soldaten der Bundeswehr, Bonn 1979 ZDv 11/1 Leitsätze für die Erziehung des Soldaten, Bonn 1957 »Leitsätze für die Erziehung des Soldaten« und Erlaß »Erzieherische Maßnahmen«, Bonn, o.J. ZDv 66/2 Lebenskundlicher Unterricht (Merkschrift), Bonn 1959
3. Ausbildungshilfen Der junge Soldat 1957. Bericht und Auswertung. Hrsg. vom Bundesministerium für Verteidigung, Bonn 1958 (= Schriftenreihe Innere Führung, Reihe: Erziehung, 4) Handbuch Innere Führung. Hilfen zur Klärung der Begriffe. Hrsg. vom Bundes ministerium für Verteidigung, Führungsstab der Bundeswehr I 6, September 1957 (= Schriftenreihe Innere Führung) Schwierige junge Soldaten. Hinweise zum Erkennen und Erziehen. Hrsg. vom Bun desministerium für Verteidigung, Bonn 1961 (= Schriftenreihe Innere Führung, Reihe: Erziehung, 7) Soldatische Pflicht. Hrsg. vom Bundesministerium für Verteidigung, Bonn 1954 (= Schriftenreihe Innere Führung, Reihe: Erziehung, 3)
4. Drucksachen des Deutschen Bundestages Deutscher Bundestag, 3. WP, Drucksache 1796, Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1959 vom 8.4.1960 Deutscher Bundestag, 3. WP, Drucksache 2666, Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1960 vom 14.4.1961 Deutscher Bundestag, 4. WP, Drucksache IV/371, Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages für das Berichtsjahr 1961 vom 27.4.1962
Quellen und Literatur
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Volkmann, Hans-Erich, Die innenpolitische Dimension Adenauerscher Sicherheits politik in der EVG-Phase. In: AWS, Bd 2, S. 235‑604 Volkmann, Hans-Erich, Von Blomberg zu Keitel – Die Wehrmachtführung und die Demontage des Rechtsstaates. In: Die Wehrmacht. Mythos und Realität, S. 47‑65 Vultejus, Ulrich, Kampfanzug unter der Robe. Kriegsgerichtsbarkeit des Zweiten und Dritten Weltkrieges, 2. Aufl., Hamburg 1984 Weber, Erich, Pädagogik, Donauwörth 1972 Weber, Klaus, Vom Aufbau des Herrenmenschen. Philipp Lersch. Eine Karriere als Militärpsychologe und Charakterloge, Pfaffenweiler 1993 Wehler, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 4 Bde, Frankfurt a.M., München 1987‑2003 Wehnes, Franz-Josef, Theorien der Bildung – Bildung als historisches und aktuelles Problem. In: Pädagogik. Handbuch für Studium und Praxis, S. 256‑270 Wehr, Gerhard, Martin Buber in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1968 Wehrdisziplinarordnung (WDO) und wichtige einschlägige Bestimmungen anderer Gesetze, Verordnungen und Erlasse. Mit Musterbeispielen für die Praxis von Manfred Baden und Dr. jur. Hans-Jürgen v. Mitzlaff, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1958 Die Wehrmacht. Mythos und Realität. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen For schungsamtes hrsg. von Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann, Mün chen 1999 Die Wehrpflicht. Entstehung, Erscheinungsformen und politisch-militärische Wir kung. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Roland G. Foerster, München 1994 (= Beiträge zur Militärgeschichte, 43) Wehrstrafrecht. Mit Wehrdisziplinar- und Wehrbeschwerdeordnung, Strafgesetzbuch und Jugendgerichtsgesetz, Textausg. mit Verweisungen und Sachverzeichnis, 2., durchges. Aufl., München, Berlin 1959 Die Weimarer Republik 1918‑1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Hrsg. von Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke und Hans-Adolf Jacobsen, Bonn 1987 Weniger, Erich, Ausgewählte Schriften zur geisteswissenschaftlichen Pädagogik. Aus gewählt und mit einer editorischen Notiz versehen von Bruno Schonig, 2. Aufl., Weinheim, Basel 1990 (= Pädagogische Bibliothek Beltz, 6) Weniger, Erich, Das Bild des Krieges. In: Die Erziehung, 5 (1930), S. 1‑21 Weniger, Erich, Die Eigenständigkeit der Erziehung in Theorie und Praxis. Probleme der akademischen Lehrerbildung, Weinheim 1952 Weniger, Erich, Die Gefährdung der Freiheit durch ihre Verteidiger. In: Schicksals fragen, Bd 4, S. 349‑381 Weniger, Erich, Wehrmachtserziehung und Kriegserfahrung, Berlin 1938 Weniger Erich, Zur Frage der staatsbürgerlichen Erziehung, Oldenburg 1951 Wensierski, Peter, Schläge im Namen des Herrn. Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik, 2. Aufl., München 2006 Wer ist wer? Das deutsche Who’s Who, 1999/2000, 38. Ausg., Lübeck 1999
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Quellen und Literatur
Wer ist wer? Das deutsche Who’s Who. Begr. von Walter Habel, 28. Ausg., Lübeck 1989 Werthmann, Georg, Wir wollen dienen! Glaubenskraft als Quelle unserer Wehrkraft, Berlin 1935 Westphal, Heinz, Jugend braucht Demokratie. Demokratie braucht Jugend. Mein jugendpolitisches Engagement 1945‑1974. Erinnerungen, Rostock 1994 Wiggershaus, Norbert, Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbei trag 1950. In: AWS, Bd 1, S. 325‑402 Wiggershaus, Norbert, Zur Debatte um die Tradition künftiger Streitkräfte 1950‑1955/56. In: Tradition und Reform, S. 7‑96 Wilhelm, Theodor, Pädagogik der Gegenwart, 5., völlig umgearb. Aufl., Stuttgart 1977 Wilhelm, Theodor, Wilhelm, Theodor. In: Pädagogik in Selbstdarstellungen, Bd 2, S. 315‑347 Will, Günter, Freiheit und Verantwortung. Die Grundsätze der Konzeption Innere Führung. Ein politisch-militärischer Essay. Hrsg. von Elisabeth Will, Egg 2002 (= documenta militaria) Willensmenschen. Über deutsche Offiziere. Hrsg. von Ursula Breymayer, Bernd Ulrich und Karin Wieland, Frankfurt a.M. 1999 Winkler, Heinrich August, Das Holz, aus dem Kanzler geschnitzt werden. In: Die Zeit, 9.10.2003 Winkler, Heinrich August, Weimar 1918‑1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, Frankfurt a.M., Wien 1994 Wittenberg, Lutz, Geschichte der individualpsychologischen Versuchsschule in Wien. Eine Synthese aus Reformpädagogik und Individualpsychologie. Mit einem Vorw. von Helmut Engelbrecht, Wien 2002 Wörterbuch Erziehungswissenschaft. Hrsg. von Heinz-Hermann Krüger und Cathleen Grunert, 2., durchges. Aufl., Opladen, Farmington Hill 2006 Wolf Graf von Baudissin 1907‑1993. Modernisierer zwischen totalitärer Herrschaft und freiheitlicher Ordnung. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungs amtes hrsg. von Rudolf J. Schlaffer und Wolfgang Schmidt, München 2007 Wright, Jonathan, Gustav Stresemann 1878‑1929. Weimars größter Staatsmann. Übers. von Klaus-Dieter Schmidt, München 2006 Wullich, Peter E., Die Konzeption der »Inneren Führung« der Bundeswehr als Grundlage einer allgemeinen Wehrpädagogik, Regensburg 1981 (= Reihe Wehr pädagogik, 4) Zimmermann, John, Ulrich de Maizière. General der Bonner Republik, 1912‑2006, München 2012 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 12)
Personenregister Ach, Kaspar 164 Adenauer, Konrad 192 f., 206 f., 236 Albert, Hans 32 Alfken, Hans 162 f., 169, 183 Altrichter, Friedrich 69 f., 216 Apel, Hans 331 Arndt, Herbert 284‑286 Arnold, William Richard 19, 99, 151, 166, 183 Baeumler, Alfred 158 Bald, Detlef 7, 16, 121 Balke, Peter 14 f. Barth, Eberhard 228 Barzel, Rainer 321 Baudissin, Wolf Graf von 1, 4‑8, 10‑13, 15 f., 63, 65, 69‑79, 84‑86, 90, 104, 107‑119, 121 f., 125‑128, 130, 133, 138‑142, 148 f., 152 f., 155, 159, 161, 167, 172‑174, 177‑184, 190, 197, 201, 204 f., 207, 211, 213, 216‑224, 228‑233, 237, 239‑242, 248 f., 252, 254‑258, 260 f., 264‑270, 272, 274, 278, 297, 299‑303, 306, 314, 332‑336, 343‑346 Bausch, Paul 259 f., 262‑264 Becker, Carl Heinrich 144 f., 147 Beck, Ludwig 220, 222, 238 Beermann, Friedrich 167, 169 Benecke, Otto 144 Bergstraesser, Arnold 138 f., 166, 169, 172, 183 Beutler, Kurt 13 Beyer, Hans 159‑162, 169, 183 Biancini, Bianca 135 Blankertz, Herwig 21 f.
Blank, Theodor 9, 71, 81 f., 85, 97, 102, 104, 107 f., 112, 115‑117, 119, 150, 168, 176, 182, 190, 196 f., 205‑208, 210‑214, 216, 227‑231, 239, 257, 264, 266‑270, 345 Blomberg, Werner von 218, 237 Böhler, Wilhelm 105, 107 f. Böhme, Franz 237 Böhm, Winfried 55 Bohnenkamp, Hans 147 f., 150 f., 153, 155, 169, 248 f., 252, 254 f., 271‑275, 278, 343 Bollnow, Otto Friedrich 27, 36‑38, 146 Bondy, Curt Werner 297‑300 Bonin, Bogislaw von 208, 211, 267 Boyen, Hermann von 45, 345 Brezinka, Wolfgang 33, 35, 39‑41, 44 Buber, Martin 298 Bucher, Ewald 318 Bucksch, Heinrich 176 f., 214, 228, 231, 254 Bumm, Karl-Ernst 107, 182 Burmeister, Werner 123, 127‑129 Busch, Hans-Eberhard 170 f. Bussche-Streithorst, Axel Freiherr von dem 5, 70 f., 267 Canaris, Wilhelm 238 Caprivi, Leo von 93 Clausewitz, Carl von 242 Comenius, Johann Amos 25 Craig, Gordon A. 209 Cremers, Annelie 90 Dehner, Ernst 237
374 Personenregister
Dethleffsen, Erich 79, 163, 167, 169, 183 Dilthey, Wilhelm 23‑26, 28 f., 37‑39, 49 f., 59, 65 Dirks, Walter 248, 253, 255 Dörfler-Dierken, Angelika 12 Dohna-Schlodien, Dagmar Gräfin und Burggräfin zu 70 Dostoevskij, Fëdor M. 165 Dreist (Oberstabsarzt) 304 f. Drews, Werner 83, 227, 229 Ebert, Friedrich 209 Ehlert, Hans 15, 100 Ehmke, Horst 319 Einem, Karl von 7, 83, 94 Ellwein, Thomas 83, 175 Elßner, Thomas R. 16 Engelhard, Hans Arnold 331 Erhard, Ludwig 208 Erler, Fritz 196, 256 f., 259‑262, 265 Felmy, Hans 237 Ferber, Ernst 142, 150 Fett, Kurt 229 Fichte, Johann Gottlieb 23 Filbinger, Hans Karl 320, 322 Fischer, Aloys 155 Flex, Walter 226 Flitner, Wilhelm 26‑28, 32, 36, 38, 54‑59, 61, 146, 155 Foertsch, Hermann 4, 6, 18, 83 f., 138, 154, 170, 184, 204 f., 218, 232‑245, 247, 344 Frischeisen-Köhler, Max 27 Fritsch, Werner Freiherr von 218, 237, 244 Fröbel, Friedrich 52 Gaßen, Helmut 13, 146 Geissler, Ewald 222 Geitner, Kurt Ritter von 237 Genschel, Dieter 11 f., 175, 177, 179 f., 205, 229, 266 268‑270 Gladisch, Walter 6 Globke, Hans 11, 181 Görtemaker, Manfred 321 Goethe, Johann Wolfgang von 23
Golling, Ernst 170 f., 271 Grashey, Hellmuth Christian Ludwig 251 Grimme, Adolf 145, 148, 163 Grimm, Siegfried 15 Gröschel 187 Grolman, Helmuth Otto von 163, 299, 336 f. Günther (Leutnant) 266 Gumbel, Karl 330 Haag, Werner 329 f. Halder, Franz 146 Hartmann, Alfred 13, 17, 21, 36, 39 f., 46‑51, 54, 56 f., 60 f., 68, 74, 155, 229, 230 Hassel, Kai-Uwe von 317 f., 329 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 23 Heinemann, Gustav 192 f. Helfer, Karl Heinrich 85, 167 Herbart, Johann Friedrich 23, 25 Herder, Johann Gottfried 23 Hesse, Kurt 210 Heusinger, Adolf 4, 6, 71, 85 f., 111, 119, 174, 177, 179, 181 f., 198, 204, 207 f., 228 f., 231‑233, 236, 239, 245, 249, 257, 264, 267‑270, 278, 334 f., 338 Heydrich, Reinhardt 159‑161 Heye, Hellmuth Guido 223, 263 f., 291 f., 338‑341 Hindenburg, Paul von 209, 234 Hitler, Adolf 5, 15, 28, 45, 69, 103, 157, 164, 205, 210, 218 f., 235, 237 f., 243, 247, 336 Höcherl, Hermann 331 Höhn, Reinhard 91 f., 162 Hoenig, Fritz 299 Holtz, Wolfgang 71, 228 Hoogen, Matthias 337 f. Hüttmann, Adolf 222 Humboldt, Wilhelm von 24, 46 f., 50, 62‑64 Husserl, Edmund 25 Ilsemann, Gero von 12 f., 197, 291, 293, 329, 345
Personenregister 375
Jaeger, Richard 193, 262, 264 f. Jahn, Gerhard 321 Jentsch, Werner 155, 165, 168 f., 183 John, Otto 206 Jünger, Ernst 73, 222, 238 Kaltenborn-Stachau, Hans Karl Georg von 93 Kampmann, Theoderich 155, 165 f., 169, 183 Kant, Immanuel 23 f., 35 Karsen, Fritz 162 f. Karst, Heinz 15, 84, 104, 111 f., 121, 153, 155, 162 f., 168, 170‑172, 175, 180, 182 f., 196‑199, 205, 207, 211, 215, 222 f., 225, 228‑230, 232, 239‑245, 247, 255‑258, 264‑266, 269 Keim, Wolfgang 13, 149, 156‑158 Kerschensteiner, Georg 27 Kershaw, Ian 210 Kielmansegg, Johann Adolf Graf von 6, 182, 213, 259, 262 f. Kienitz, Werner 222 Kiesinger, Kurt Georg 319 Kittel, Helmuth 148, 150 f. Klafki, Wolfgang 22, 28, 36, 156 f. Kliesing, Georg 78, 260 Knauss, Robert 4, 6 Knieper, Werner 182 Köstlin, Wolfgang 329 Köstlin, Otto 326‑328 Kraehe, Horst 170 Kramer, Helmut 332 Kraske, Konrad 142, 150, 228, 267 Krenn, Stephanie 180 Krieck, Ernst 37, 145 Kroh, Oswald 162 Krüger, Dieter 174 f., 207, 268 Krüger, Horst 4‑6, 143, 152 f. Kruse, Herbert 11, 16 Kunst, Hermann 107, 115 Kuntze, Walter 237 Laabs (Rechtsberater beim Befh WB IV, Mainz) 284‑286
Langeveld, Martinus Jan 27 Lanz, Hubert 237 Leber, Georg 208, 331 Lersch, Philipp 151, 155, 164‑166, 169 Leyser, Ernst von 237 Lichtenberg, Georg Christoph 18 Lingelbach, 148, 156 List, Wilhelm 237 Litt, Theodor 17, 26‑28, 32, 58‑60, 86, 155‑157, 162, 169, 272 Locke, John 25 Lubbers, Franz 11, 104, 106‑108, 112, 119, 121 Ludendorff, Erich 209 Luther, Martin 170 Maizière, Ulrich de 111 f., 177, 214 f., 225, 228 f., 231 f., 268, 270, 328 Majonica, Ernst 196 Manteuffel, Edwin Freiherr von 209 Manteuffel, Hasso von 140 f., 196, 223, 256‑258, 263 f., 270 Marx, Karl 65 Meister, Richard 6, 27, 35, 215 Meister, Rudolf 6 Melanchthon, Philipp 25 Mellies, Wilhelm 262 Mende, Erich 196 Merkatz, Friedrich Augsut Oskar 222 Merker, E. 180 Merten, Hans 227 f. Messerschmidt, Felix 248 Meyer, Georg 88, 177‑179, 197, 205, 229, 267 f., 270, 286‑289 Mierke, Karl 155, 163 f., 169 Mollenhauer, Klaus 22 Moltke, Hellmuth Graf von 154, 220, 222 Nägler, Frank 3, 12‑14, 254, 276, 278 Nähring, Alfred 170 f., 199 Neudeck, Heinz 174 f., 183, 297 f., 303 Niemeier, Gottfried 115, 117 Niemöller, Martin 192
376 Personenregister
Nohl, Hermann 26‑29, 31, 36, 40 f., 50‑54, 56, 65 f., 143, 146, 155, 297 f. Oelrich, Waldemar 155, 165, 169 Osterloh, Edo 102, 104, 106, 161 Overmans, Rüdiger 244 Paul, Ernst 123, 135, 209, 223, 256 Pauli, Frank 12, 14, 86 f. Paulsen, Friedrich 50 f. Pestalozzi, Johan Heinrich 39, 220 Pfister, Josef H. 10, 12, 15, 19, 82‑86, 104, 107‑112, 114‑117, 122 f., 128 f., 142, 149, 153, 165, 173‑185, 204 f., 211, 232‑234, 236 f., 239 f., 245‑248, 260, 268, 344 Pleus, Hermann 100‑102 Pollmann, Othmar 173 f., 180, 215, 269 Ramcke, Bernhard 194 Rasch, Otto 160 Rautenberg, Hans-Jürgen 233 Reeb, Hans-Joachim 42, 44 f. Reichenau, Walter von 237 Reichwein, Adolf 148 Rendulic, Lothar 237 Ricker, 150 f. Ridgway, Matthew Bunker 129 Röttiger, Hans 6 Roewer, Peter 170 f. Roosevelt, Franklin D. 129 Rosen, Claus Freiherr von 10, 12 Rotberg, Arnold von 107 Roth (Major a.D.) 159‑161, 170 f. Rotteck, Karl von 346 Rousseau, Jean Jacques 25, 31, 39, 52 Royl, Wolfgang 67f. Rüstow, Alexander 166 f., 169, 172 Ruge, Friedrich 6 Safferling, Christoph 321 Safrian, Hans 161 Salviati, Adolf von 170 Salzmann, Christian Gotthilf 220 Scharnhorst, Gerhard Johann David von 1, 72, 154, 188 f., 244, 345
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 23 Schelsky, Helmut 149 f., 166 Schiller, Friedrich 23 Schlaffer, Rudolf 12, 332, 335 Schleiermacher, Friedrich Daniel 23 f., 30, 33 f., 46‑50, 52, 54 f. Schmidt, Helmut 148, 259, 261‑263 Schmidt-Wittmark, Karl Franz 123 Schmidt, Wolfgang 12 Schmude, Jürgen 331 Schmückle, Gerd 127, 254 Schönnenbeck, Günther 266, 269 Schönherr, Carl-Heinz 320 Schorr, Helmut J. 186 Schubert, Peter von 11 f. Schultz, Fritz-Rudolf 317 Schwenk, Bernhard 13, 80, 143, 146 Seeckt, Hans von 209, 213‑215, 221 Senger und Etterlin, Fridolin von 6 Siemsen, Barbara 13, 143, 146, 157, 297 Simon, Alfons 149, 153, 169, 176 Simoneit, Max 155 Speidel, Hans 4, 6, 206 f., 225‑227, 229, 231‑233, 236 f., 249 Speidel, Wilhelm 237 Spranger, Eduard 17, 26‑28, 65, 153‑157, 163, 165, 304 f. Stammler, Eberhard 197 Starke, Heinz 262, 277 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 238 Stein, Heinrich Friedrich Karl vom und zum 143 Stein, Oliver 93 Strauß, Franz Josef 196 f., 291 Stresemann, Gustav 209 Stülpnagel, Karl-Heinrich von 146 Suermann, Manfred 16 Tänzler, Hans 142, 177, 266, 269 Taysen, Elimar Friedrich von 222 Tempelhoff, Hans-Georg von 107 Treskow, Henning von 69 Trettner, Heinz 327, 329 Verlohr, Wilhelm 170
Personenregister 377
Vialon, Friedrich-Karl 264 Vietinghoff, Heinrich von 6 Vogeler, Heinrich 162 Vogel, Hans-Jochen 321 Volkmann, Hans-Erich 193 f. Vultejus, Ulrich 318‑324 Wangenheim, Hellmuth Freiherr von 104, 121, 171, 189, 269, 287, 289, 314 Washington, George 129 Weber, Artur 143 Weber, Erich 39, 167 Wechsler, David 298 Wehler, Hans-Ulrich 62 Weichs, Maximilian Freiherr von 237 Weinstein, Adelbert 143 Wende, Erich 248 Weniger, Erich 11, 13, 15, 17, 19, 22, 26‑28, 30 f., 38, 60‑62, 79‑81, 85 f., 131, 143‑148, 150, 153, 155, 157, 163, 168‑172, 183, 185, 199 f., 202‑204, 220, 229, 232, 236 f., 248 f., 252‑255, 271‑274, 278, 297‑299, 343
Werthmann, Georg 95‑108, 114‑117, 119 f. Westernhagen, von (Offizier) 222 Westphal, Heinz 190, 196 f. Wette, Wolfram 332 Wieland, Christoph Martin 23 Wienand, Karl 325‑327 Wilcke, Henning 125 Wilhelm II., preußischer König und deutscher Kaiser 91, 94 Wilhelm, Theodor 155, 157‑159, 169, 172, 183, 304 Will, Günter 7, 133, 170, 173 f., 180, 204, 269 Wirmer, Ernst 10 f., 12, 19, 90, 103 f., 107 f., 112, 119, 121, 142, 151, 153, 170, 174, 176 f., 179, 182, 190, 204‑221, 223‑232, 235, 240 f., 245, 247 f., 259‑262, 265, 267, 275, 317‑319, 343 f. Wirmer, Josef 205 Zeise, Ludwig 151, 294 f. Zenker, Kurt 170 Zerbel, Alfred 328