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German Pages 288 [289] Year 2007
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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 124
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Boris Schinkels
Normsatzstruktur des IPR Zur rechtstheoretischen Einordnung des Befehls der „Anwendung“ ausländischem Recht entnommener Normsätze im autonomen deutschen IPR
Mohr Siebeck
IV Boris Schinkels, geboren 1971; 1991–1996 Studium der Rechtswissenschaft in Bielefeld; 1996– 1999 sowie 2000–2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter/Assistent in Bielefeld; 1999–2001 Referendariat; 2001 Promotion; 2001–2002 LL.M.-Programm an der University of Cambridge, England; seit 2002 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht, Universität Heidelberg; dort 2007 Habilitation, Lehrstuhlvertretung SS 2007.
e-ISBN PDF 978-3-16-151201-8 ISBN 978-3-16-149299-0 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2007 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
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„Kein Imperativ ohne Imperator“ Hans Kelsen
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Vorwort In rechtstheoretischen Stellungnahmen zum IPR erscheint dieses eigentümlich abgekoppelt von den Kategorien der Rechtsordnung im Übrigen: Obgleich man die theoretische Unterscheidung von Geltung und bloßer „Anwendbarkeit“ eines Normsatzes einerseits durchaus als „dunklen Fleck in der Theorie des IPR“ (Lüderitz) erkennt, erklärt man andererseits bereits den „Versuch, die Kelsen/Merklsche Stufenbautheorie für das Verhältnis von Kollisionsnorm und Sachrecht nutzbar zu machen“, als „von vornherein zum Scheitern verurteilt“ (Schurig). Dies hat zur Folge, dass auch heute noch die verfassungsrechtliche Kontrolle kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehle durch das BVerfG einem „Ritt in dichtem Nebel“ (Wengler) gleichkommt. Anlass für diese Schrift war meine Überzeugung, dass es möglich sein müsse, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, das IPR in die allgemeine Rechtstheorie zurückzuholen und hieraus schärfere Vorgaben für die Verfassungskontrolle sowohl der Techniken als auch der Ergebnisse des IPR abzuleiten. Diese Untersuchung ist im Wintersemester 2006/2007 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Habilitationsschrift angenommen worden. Mein erster Dank gilt meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Thomas Pfeiffer, gleichermaßen für seine Unterstützung wie für die großzügige Gewährung der nötigen Freiräume. Dank schulde ich auch Herrn Prof. Dr. Burkhard Hess für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens. Die Schrift wäre nicht denkbar ohne die Anregungen einer Vielzahl von Diskussionspartnern insbesondere aus dem Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftrecht. Als gleichermaßen erkenntnisfördernd wie unterhaltsam bleiben mir vor allem die Gespräche mit Stefan Huber, Martin Gebauer und Matthias Weller im Gedächtnis. Martin stehe ich dafür in der Schuld, dass er es sogar auf sich genommen hat, eine frühe Manuskriptfassung zu lesen. Heidelberg im Februar 2007
Boris Schinkels
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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erster Teil:
Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR A. Zur Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Diskussion spezifisch zum IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Zur „Anwendbarkeit“ ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Der gesetzliche Ansatzpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Die Entwicklung der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 a) Völkerrechtliche Geltung als Fremdrecht (Zitelmann) . . . . . . . . . . . . b) Die in Deutschland bis heute traditionelle Sicht vom IPR als doppelfunktionalem „Zuständigkeitsverteiler“ . . . . . . . . . . . . . . aa) „Anwendbarkeit ausländischen Rechts als ausländisches“ kraft souveränen Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zur Verschiedenheit von Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung und „Anwendbarkeit als Fremdrecht“ . . . . . . . (1) Die unterschiedlichen Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zur Charakteristik des Anwendbarkeitskonzepts . . . . . . . . cc) Begründungsansätze für die Anwendbarkeitsthese . . . . . . . . . . dd) IPR als doppelfunktionaler, „privatrechtlicher Zuständigkeitsverteiler“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die „unilateralistischen“ Gegenpositionen: „Parallelnorm“, „Verweisung inländischen Rechts“, Inkorporation . . . . . . . . . . . . . . d) Zur US-amerikanischen local law theory (Cook) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zur italienischen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Universalismus, insbesondere das Konzept der Rechtsquellennormen (Ago) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendung ausländischen Rechts als ausländisches; doppelfunktionales IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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f) Reaktionen der deutschen Kollisionsrechtswissenschaft auf universalistische Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Missachtung Kelsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Polemik (Zajtay, Goldschmidt) und Ratlosigkeit (Rabel) . . . . . . cc) Ambivalentes Unbehagen (Beitzke, BVerfG) . . . . . . . . . . . . . . . . g) Folge: Stillstand der Rechtstheorie des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Der zivilprozessuale „Nebenkriegsschauplatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Äußerungen zu den zivilprozessualen Aspekten . . . . . . . . . . . . . bb) Unbeachtlichkeit der ZPO für unsere Fragestellung . . . . . . . . .
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3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Der Streit um den Tatbestand der Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungsmoment . . . . . . . . . . 2. Plus Sachverhalt und Sachnormen: Von Rabel bis Kegel/Schurig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nur Anknüpfungsgegenstand (Kropholler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit: Rechtstheoretische Unschärfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Das traditionelle Privatrechtsdogma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Der heutige Stand: IPR als Privatrecht sui generis . . . . . . . . . . . . . 33 a) Staatsferne des IPR und Interessentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Gedanke der Trennung von Staat und freier Gesellschaft . bb) Ablehnung der Interessentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Privatrecht mangels Beteiligung eines Hoheitsträgers . . . . . . . . . . . .
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2. Die alternativen Konzepte in historischer Einordnung . . . . . . . . 41 a) Vom Kompetenzrecht zum kompetenzrechtlichen Tertium . . . . . . . aa) Rechtsanwendungs- bzw. Grenzrecht als Kompetenzrecht (Ludwig von Bar) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Öffentlich-rechtlicher Charakter mangels materiellen Gehalts (Schmid) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Öffentlich-rechtliche Rechtsanwendungsnorm (Zitelmann) . . . dd) IPR als Tertium (Gutzwiller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zur Kritik insbesondere Beitzkes und zum Gegenkonzept bei Ago und Wengler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Entwicklung des Dogmas vom „nicht materiellen“ Privatrecht sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zugehörigkeit zum Privatrecht „wie der Rahmen zum Bilde“ (Kahn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bürgerliches Recht unter dem Gesichtspunkt des Raumes (Frankenstein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik der These der Untrennbarkeit von Kollisionsund Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Privatrecht kraft historischen Verständnisses (Sonnenberger) . . c) Die Antithese: IPR als „materielles“ Privatrecht (Kelsen) . . . . . . . . .
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C. Stellungnahmen aus der Perspektive des internationalen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Privatrecht kraft Hierarchieebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Die These Vogels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Wider eine Rechtstheorie nach Hierarchieebenen . . . . . . . . . . . . . 49 II. Von Geltung verschiedener Anwendungsbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Zwei-Quellen-Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Die These Ohlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Irrelevanz des Zwei-Quellen-Arguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 c) Der Charakter der Anwendbarkeit nach Ohler . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
2. Kein Maßstab für rechtmäßiges Handeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Die Differenzierung bei Gerhard Hoffmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Analyse: inländische Geltung der durch IPR herangezogenen Rechtssätze nach Gerhard Hoffmanns Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . 52
III. Anwendung ausländischen als Schaffung inländischen Rechts (Neumeyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 D. Das internationale Privatrecht in der Diskussion zur dynamischen Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 I. Zum Begriff der dynamischen Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Das Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. IPR als aliud sui generis gegenüber der dynamischen Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) IPR als Weichenstellung zwischen ganzen Rechtsordnungen . . . . . 56 b) „Anwendung als ausländisch“ bzw.Vorbehalt zugunsten ausländischer Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
2. IPR als dynamische Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 E. Resümee: Rekurse auf Dogmen statt Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
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Zweiter Teil:
Entfaltung des eigenen Standpunkts zur Natur der Verbindlichkeit kollisionsrechtlicher Verweisung A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte oder Anwendung ausländischen Rechts „als ausländisches“? . . . . . . . . . . 63 I. Grundlagen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Noch einmal zur Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Begriffe von Geltung und Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 a) b) c) d)
Sollenssätze als Objekt der Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elemente des Geltungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung zum Begriff der Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. „Intrakonstitutioneller“ Geltungsbegriff als Untersuchungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4. Die notwendige Komplexität als Untersuchungsgegenstand . . . 68 II. Zum Charakter einer „Anwendbarkeit“ sui generis: unbeantwortete Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Historische Metamorphose der herrschenden Konzeption . . . . . 69 a) Anwendung und Anwendbarkeit im völkerrechtlichen IPR Zitelmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Heutiges Verständnis: Ausländische ratio und inländischer „Imperativ“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Heutiges IPR in Zitelmanns Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit: Tradition trotz Wegfalls der dogmatischen Fundierung . . . . .
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2. Eigentümlichkeit der herrschenden Anwendbarkeitskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Noch einmal zum „Tatbestand der Kollisionsnorm“ . . . . . . . . . . . . . aa) Erste Bewertung der verschiedenen Positionen . . . . . . . . . . . . . . bb) Unklare Prämissen: Vollständige oder unvollständige Rechtssätze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung gegenüber der dynamischen Verweisung . . . . . . . . . . . c) Unklare Abgrenzung zur Geltungsnorm: Anwendbarkeit als normativ befohlene, faktische, nicht normative Geltung . . . . . . .
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III. Untersuchung der Möglichkeit eines widerspruchsfreien Konzepts „bloßer Anwendbarkeit“ als von Geltung verschiedener Rechtsfigur sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Keine Rechtsnormqualität des ausländischen Bezugsobjekts . . . 79 a) Zum Begriff der Rechtsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Staat als zusätzlicher Adressat oder Zwang normkonstituierend? . . 81
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c) Zu Imperativentheorie und prozessualem Rechtsbegriff . . . . . . . . . . aa) Imperativentheorie mit unterschiedlichen Adressaten von Primär- und Sekundärnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verneinung der Normqualität von an Private gerichteten Imperativen (Kelsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fehlen eines vom Prozess abstrakten, materiellen Rechts . . . . . d) Kritik der impliziten Prämissen der Anwendbarkeitskonzeption . . aa) Prämisse eines ausländischen materiellen Rechts . . . . . . . . . . . . bb) Prämisse der absoluten Trennung von Sein und Sollen . . . . . . . . cc) Prämisse nicht geltender Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtstheoretischer Subjektivismus der Anwendbarkeitsthese . . . .
82 82 83 83 84 84 86 88 91
2. Synthese statt Nachvollzug fremder ratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Wider ein Verständnis von IPR als Grenzrecht, „Abgrenzung verschiedener Rechtsordnungen“ oder „Anwendung einer Rechtsordnung als Ganzer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine vollständige Nationalisierung internationaler Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Problem der Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Weitere Beispiele für die mit der Anwendbarkeitsthese nicht erklärbare Synthese neuer Normgehalte . . . . . . . . . . . . . . . (1) Selbständige Anknüpfung von Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verweisungsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Anpassung/Angleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Lückenfüllung nach Ordre-public-Kontrolle . . . . . . . . . . . . (5) Intertemporal modifizierende Inbezugnahme . . . . . . . . . . . . dd) Das Phänomen der Interdependenz auch jenseits der Extremfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Schluss: Der Bund ist Subjekt der aus seinem IPR folgenden Sollenssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Sachnormverweisung als sogar auf Modifikation abzielende Gesetzestechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erste Abgrenzung von Kompetenznorm und dynamischer Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhältnis von Sach- und Kollisionsnorm derselben Rechtsordnung: Sinn oder Unsinn des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die traditionelle Sicht: Kollisionsrecht auch für deutsches Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kollisionsrecht als Spezialrecht für heterogen verknüpfte Sachverhalte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bewertung: Kein Unterschied im Ergebnis . . . . . . . . . . . . . (4) Unterscheidbarkeit und Zusammenspiel von sachund kollisionsrechtlicher Aussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verweisung auf ausländisches Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93 93 94 95 95 96 97 98 99 100 100 101 102 102
103 103 103 104 106 108 109 111
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3. Keine Abgrenzbarkeit von Anwendungsbefehl und Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Einordnung nach allgemeiner rechtstheoretischer Begrifflichkeit . aa) IPR und Begriff der Rechtsnorm: Recht als Produkt des Willens des Souveräns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Inländischer Imperativ“ als Synonym für intrakonstitutionelle Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Normqualität innerhalb der deutschen Rechtsordnung folgt allein aus der Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderer kollisionsrechtlicher Geltungsbegriff? . . . . . . . . . . . . . aa) Fehlender Begriff des (geltenden) Rechts der Kollisionsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Notwendigkeit und Fehlen eines Gestaltungsunterschiedes zwischen „bloßem Anwendungsbefehl“ und Verschaffung von Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Oberste Anwendungsnorm (Gerhard Hoffmann) nicht von der Grundnorm (Kelsen) abgrenzbar . . . . . . . . . . (2) Untrennbarkeit von Anwendungsbefehl und Geltung am Beispiel der Technik des intertemporalen Privatrechts . (3) Anwendung einer Idee aufgrund ihrer Subsumtion unter fremde Geltungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Differenzierung von Norm- bzw. Rechtssatz („Sachrechtssatz“) und seiner Geltung . . . . . . . . . . . . . . (b) Anwendung einer Idee statt einer Norm oder einer Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Subsumtion unter fremde Geltungsvoraussetzungen als Identifikationsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Grundsätzliche Irrelevanz der Rechtsnormqualität des Bezugsobjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Betonung der Ordnungsfunktion ausländischen Rechts allenfalls Motivation des einfachen Gesetzgebers . . . . . . . . (6) Irrelevanz eines gegen Inkorporation gerichteten Willens des einfachen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Das Scheinargument der Auslegung nach ausländischer Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Modifikation ausländischer Methode durch unser Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Möglichkeit des Nachvollzugs ausländischer Methodik durch Normen der deutschen Rechtsordnung . . . . . . .
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4. Die gescheiterte Flucht aus der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 5. Ergebnis: Kein Anwendungsbefehl ohne Geltung . . . . . . . . . . . . 135 6. Zusammenfassung und Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Rechtstheoretischer Subjektivismus der herrschenden Anwendbarkeitskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 b) Synthese statt Nachvollzug fremder ratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
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c) Inländische Geltung nach allgemeiner rechtstheoretischer Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Notwendigkeit eines besonderen Begriffs geltenden Rechts für die besondere Anwendbarkeitskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Notwendigkeit und Fehlen eines Gestaltungsunterschieds gegenüber der Schaffung inländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV 138 138 139 140
IV. Ergebnis: Intrakonstitutionell geltendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 B. „Schlicht“ Bundesrecht statt „inländisch geltendes Fremdrecht“ . . . . . 141 I. Kein „foreign content“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 II. These: Geltung „als Fremdrecht“ ist Ausdruck von Hoheitsübertragung auf fremdes Normsetzungssubjekt . . . . 143 III. Differenzierung innerhalb der Normen des Verbandssubjekts Bund rechtstheoretisch nicht definierbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Fehlen eines Gestaltungsunterschieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Normsätze sind weder in- noch ausländisch . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 IV. Exkurs: Zur Vollzugstheorie zu Art. 25 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 V. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Dritter Teil:
Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung A. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 I. Noch einmal zum traditionellen Gedanken der Kompetenzzuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 II. Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Sach- und Gesamtnormverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 B. Begriffliche Klärung in Betracht kommender Techniken . . . . . . . . . . . . . 154 I. II. III. IV.
Noch einmal zum Begriff der dynamischen Verweisung . . . . . . . . Zum Begriff der Delegation von Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Natur des Art. 25 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Abgrenzung von dynamischer Verweisung auf der Ebene regulativer Normsätze und Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
155 155 156 158
1. Literaturansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
XVI
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2. Kritik und eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) „Ob“ der Unvollständigkeit kein taugliches Differenzierungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Verwirklichung einer ratio des Bezugsobjekts oder Schaffung einer neuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
3. Differenzierungskriterien für die weitere Untersuchung . . . . . . 162 V. Erste Folgerung: Art. 25 S. 1 GG ist aus dynamischer Verweisung gewonnenes Kompetenzrecht (Geltungsnorm, secondary rule) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 C. Einordnung der Sachnormverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Dynamische Verweisung auf der Ebene des regulativen Rechts . . 164 II. Mittelbare dynamische Verweisung auf fremdes Sachrecht . . . . . . 166 III. Weitere Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Die Sachnormverweisung ist Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Synthese privatrechtlicher Rechtsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Der dynamische Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
2. Ablehnung der Theorien zu Tatbestand und Rechtsfolge „der“ Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Gleiche Ebene von Sachnormverweisung und Sachnorm . . . . . . 170 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Die Sachnormverweisung ist der Archetypus des „materiell“ privatrechtlichen Normsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Konsequenzen für das Eingangsbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 D. Einordnung der Gesamtverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 I. Delegationsstruktur der „Grund“-Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Abbildung selbst vollständiger fremder Rechtssätze . . . . . . . . . . 173 2. Keine Modifikation der Satzstruktur bei Abbildung unvollständiger Rechtssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Dynamische Verweisung auf fremdes Kompetenzgefüge inklusive dessen dynamischer Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Verweis auf fremde Sachnormverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Verweis auf fremde Gesamtverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Organqualität des sachnormverweisenden Staates . . . . . . . . . . . . . . 178
4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 II. Generelle Modifikationen der „Grund“-Verweisungen . . . . . . . . . . 179 1. Art. 6 EGBGB – ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
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XVII
a) Grundzüge der Regelungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die kontroversen rechtstheoretischen Literaturansätze . . . . . . . . . aa) Kritik der Idee vom ordre public als selbständiger Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ordre public als unvollständige Norm bzw. „Hilfskollisionsnorm“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Besonderheit der Rangkollision als allein untersuchungserheblich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Exkurs: Universelle Verfassungsbindung der den deutschen Zivilprozess determinierenden Regeln statt Verfassungskollisionsrecht in Art. 6 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Ob“ der Grundrechtsbindung keine Frage der Intensität des Inlandsbezugs des zu entscheidenden Falles . . . . . . . . . (a) Theorien „fehlender Einbindung in die deutsche Rechtsordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Universelle Grundrechtsbindung oder Statuslehre . . . (2) Prinzipienabwägung statt Regelkollisionsrecht . . . . . . . . . . (3) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Einwirkung des ordre public auf die „Grund“-Verweisung . . aa) Der kassierende Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der modifizierende Aspekt: dynamische Verweisung . . . . . . . d) Konsequenzen für die Einordnung der Gesamtverweisung . . . . . . aa) Kein Einwand gegen den kompetenzrechtlichen Charakter . . bb) Vorläufige Einordnung als dynamisch verweisende, konservierende Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
179 181 181 182 182
183 184 184 186 187 190 191 191 193 194 194 194
2. Exkurs: Korrigierende/kumulative Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . 195 3. Unbeachtlichkeit des ausländischen ordre public? . . . . . . . . . . . . 196 4. Verweisungsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 III. Erste Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Die Gesamtverweisung gehört zu den konstitutiven bzw. Geltungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Korrektur des Bildes von der „Annahme der Verweisung“ . . . . 199 IV. Fehlendes Normsetzungsbewusstsein des Delegatars . . . . . . . . . . . 199 V. Wesentliches Ergebnis: Dynamisch verweisende Delegation . . . . . 200 VI. Begriffsvorschläge und weitere Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Eigene Begriffsvorschläge: IPR-Delegation; internationale Organleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) ist öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zu Tatbestand und Rechtsfolge der IPR-Delegation . . . . . . . . . . 4. Wider die Gleichordnung der „Ebenen“ von Kollisionsund Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201 202 202 203
XVIII
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Vierter Teil:
Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick A. Zielsetzung dieses Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 B. Die Sachnormverweisung: Eine Frage der Prinzipienkollision . . . . . . . . 205 I. Zum Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 1. Zurückdrängung demokratischer Legitimation . . . . . . . . . . . . . . 206 2. BVerfG: Demokratieprinzip und „Eingliederung in die Staatengemeinschaft“ als auszugleichende Optimierungsgebote bei heterogen verknüpften Sachverhalten . . . . . . . . . . . . . . 207 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 II. Zum Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 III. Art. 82 Abs. 1 GG: Regel oder Prinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Der im Wortlaut erkennbaren Regel genügt die Sachnormverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Das in Art. 82 GG niedergelegte Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3. Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 C. Die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) als Frage nach der Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 I. Grundsätzliches Erfordernis und Fehlen einer Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 1. Zur Notwendigkeit einer Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . 215 2. Nichteingreifen denkbarer Ermächtigungsgrundlagen . . . . . . . . 217 II. Berücksichtigung der Besonderheit von heterogen verknüpften Sachverhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Keine Berücksichtigung eines Optimierungsgebots für heterogen verknüpfte Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Kompetenz-Kompetenz kraft Natur der Sache? . . . . . . . . . . . . . . 219 III. Ungeschriebene Ermächtigung aus Verfassungsgewohnheitsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Wider die Figur der Delegationskompetenz kraft wiederholter Usurpation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Richterliches Gewohnheitsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
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XIX
D. Die IPR-Delegation als Demokratieproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 I. Die Berücksichtigung auch fremden Kollisionsrechts als qualifizierte Zurückdrängung des Demokratieprinzips . . . . . . 226 II. Internationaler Entscheidungseinklang als denkbares Optimierungsgebot von Verfassungsrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 III. Die Überbeanspruchung eines solchen Optimierungsgebots am Beispiel des rechtswahlfesten Verweisungsabbruchs . . . . . . . . . 228 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 E. Abschließende Erwägung: Begrenzte Berücksichtigung nur der Rückverweisung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I. Die Idee einer bedingten Sachnormverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 II. Verfassungsmindestanforderungen: realer bilateraler Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 III. Auslegungsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 F. Endergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
Fünfter Teil:
Zusammenfassung zentraler Thesen A. Die Normsatzstruktur des autonomen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 I. Die Produkte des autonomen IPR sind Bundesrecht . . . . . . . . . . . . 235 1. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte . . . . . 235 2. Keine Geltung „als Fremdrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 II. Die Sachnormverweisung ist der Archetypus der vollständigen Norm des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 III. Die Gesamtverweisung als IPR-Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Kumulativ konservierende, partielle Delegation . . . . . . . . . . . . . . 238 2. Die hierbei zu Grunde gelegte Differenzierung von dynamischer Verweisung auf der Ebene des regulativen Rechts und Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 IV. Zum Tatbestand „der“ Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 V. Keine „Gleichordnung der Ebenen“ von Kollisionsund Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
XX
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B. Zur Verfassungskonformität der Normsatzstruktur des autonomen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I. Prämissen zur Wirkweise der Verfassung bei heterogen verknüpften Sachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Gleichförmige Bindung der Produkte des deutschen IPR an Verfassungsprinzipien ungeachtet des Inlandsbezugs des zu entscheidenden Falls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Anerkennung eines besonderen Optimierungsgebots für heterogen verknüpfte Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 II. Vereinbarkeit der Sachnormverweisung mit Verfassungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 III. Verfassungswidrigkeit der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) . 247 1. Das Fehlen einer Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Die IPR-Delegation als ungelöstes Demokratieproblem . . . . . . 248 3. Verfassungskonforme Auslegung von Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
1
Einleitung Die Bindung des deutschen internationalen Privatrechts (IPR) an die Verfassung steht – erst – seit der Spanierentscheidung1 des BVerfG aus dem Jahre 1971 außer Frage. Die Diskussion über die Reichweite dieser Bindung konzentriert sich seitdem auf die Grundrechtskonformität der jeweils im System des Kollisionsrechts vorgesehenen Anknüpfungspunkte bzw. die Grundrechtskonformität der Anwendung ausländischen Rechts2. Den diesen Erwägungen logisch vorgeordneten Fragen nach der rechtstheoretischen Einordnung der Regelungstechniken des autonomen deutschen Kollisionsrechts in den Stufenbau der Rechtsordnung des Grundgesetzes und nach den sich hieraus ergebenden, spezifischen Verfassungsanforderungen ist demgegenüber nicht nur noch nicht monographisch nachgegangen worden. Vielmehr hat beispielsweise bereits Lüderitz3 gegen den Versuch angeschrieben, „das IPR in Schemata der allgemeinen Rechtstheorie zu pressen“, und ist nach Schurig jeder „Versuch, die Kelsen/Merklsche Stufenbautheorie für das Verhältnis von Kollisionsnorm und Sachrecht nutzbar zu machen, von vornherein zum Scheitern verurteilt“4. In der Folge findet in zeitgenössischer Literatur insbesondere keine rechtstheoretische Differenzierung zwischen Gesamt- und Sachnormverweisung statt. Immerhin ist aber vielfach das Bedürfnis nach Fundierung des IPR in dem normenhierarchisch über einfachem Gesetzesrecht stehenden Gleichheitssatz empfunden worden, welcher die Anwendung ausländischen Rechts bei der Beurteilung von Rechtsfragen aus „heterogen verknüpften Sachverhalten“5 ge1
BVerfGE 31, 58 ff. Vgl. etwa Coester-Waltjen, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 9 ff.; Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, passim; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 23 ff.; Rainer Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 115 ff.; Kokott, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 71 ff.; Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 33 ff.; Schröder, in: FS Schlochauer, S. 137 ff.; Tomuschat, IPRax 1996, 83 ff. 3 Lüderitz, RabelsZ 29 (1965), S. 426, 429. 4 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70. 5 Den Begriff des heterogen verknüpften Sachverhalts im Gegensatz zum homogen verknüpften Sachverhalt verdankt die Kollisionsrechtswissenschaft Wengler (Eranion Maridakis, S. 323 ff., 348), der ersteren in Abgrenzung zu letzterem (dem reinen Inlandssachverhalt) als einen Fall mit einer internationalprivatrechtlich relevanten Auslandsbeziehung versteht. 2
2
Einleitung
biete6. Aber selbst wenn man einmal unterstellt, dass die Alternative der umfassenden Bildung von Sondernormen für internationale Sachverhalte nicht praktikabel sei7, so fällt doch auf, dass der Gleichheitssatz allein allenfalls die Notwendigkeit der Anwendung von ausländischen Sachvorschriften, nicht hingegen auch der Berücksichtigung von ausländischem Kollisionsrecht plausibel machen kann. Weiterer Anlass für diese Untersuchung war daher die Überzeugung, dass nicht nur die Vereinbarkeit des autonomen deutschen IPR mit dem Demokratieprinzip nähere Betrachtung verdient, sondern dass darüber hinaus die Berücksichtigung ausländischen Kollisionsrechts gegenüber der Berücksichtigung ausländischen Sachrechts bereits als abstrakte Regelungstechnik qualifizierten Verfassungsanforderungen unterliegt, deren Erfüllung keineswegs selbstverständlich ist. Das insoweit nicht differenzierende, traditionelle Erklärungsmodell der von Geltung verschiedenen, bloßen Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“ in einer „privatrechtlichen Zuständigkeitszuweisung“ sui generis hat seine diffuse Gestalt im Rahmen einer Diskussion angenommen, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger zum Stillstand gekommen ist8 und welche die allgemeine Rechtstheorie, die zur gleichen Zeit ihren Durchbruch als eigenständige Disziplin erfahren hat, für a priori unbeachtlich erklärt. Insbesondere Kelsens Konzept vom IPR wird sowohl von der Kollisionsrechtswissenschaft als auch vom BVerfG bis heute weithin ignoriert9. Dass zudem die kollisionsrechtliche Diskussion der Rechtsnatur des IPR auch durch den Erlass des Grundgesetzes nicht belebt, sondern vielmehr gedämpft wurde, dürfte ferner mit der noch 1975 von Ferid prominent artikulierten Furcht zusammen hängen, dass „Verfassungstotalitarismus“ die Ersetzung des überkommenen Anknüpfungssystems durch ein „primitives Territorialitätsprinzip“ erzwingen könne10. Schon in dieser Befürchtung zeigt sich, dass die Rechtsnatur des IPR keineswegs nur eine rein akademische Frage, sondern eine von eminenter praktischer
6 Vgl. insbesondere Egon Lorenz, Zur Struktur des internationalen Privatrechts, S. 60, unter Berufung auf Wengler, Eranion Maridakis, S. 323, 342, 347; der Gedanke findet sich auch bei Beitzke, Grundgesetz und IPR, S. 5; Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 72 f. und aus jüngerer Zeit bei Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, S. 139 ff.; für das italienische Recht vgl. Vitta, Riv. Trim. Proc. 18 (1964), 1578 ff., hierzu Jayme, RabelsZ 34 (1970), S. 194 f. 7 So etwa Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, S. 147; kritisch hiergegen etwa Christian v. Bar, in: Liber memorialis François Laurent, S. 1167, 1173; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 56. 8 Eingehend etwa Christian v. Bar, in: Liber memorialis François Laurent, S. 1167. 9 Vgl. aber immerhin die Andeutung bei Schnitzer, Handbuch des IPR4, Bd. 1, S. 191, dazu näher unten S. 25. 10 Ferid, IPR1, 2–63, S. 45.
Einleitung
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Relevanz ist. Ihre stete Aktualität sei kurz an einer Entscheidung des BFH 11 aus 2002 verdeutlicht: Der Kläger, ein in Deutschland lebender Türke, war aufgrund des nach Art. 18 EGBGB berufenen türkischen Unterhaltsrechts seiner Stiefmutter sowie seiner Schwester und deren Kindern unterhaltspflichtig. Dies in Deutschland steuerlich geltend zu machen, untersagte der BFH mit Verweis auf § 33a Abs. 1 S. 5 HS. 2 EStG, nach welchem „nach inländischen Maßstäben“ zu beurteilen ist, ob der Steuerpflichtige gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist: Das BGB sehe keine Unterhaltpflicht in der Seitenlinie vor12. Bemerkenswert ist nun, dass die traditionelle Einordnung des IPR entscheidend die Begründung des BFH für die Konformität einer solchen Regel mit Art. 3 GG trägt. So führt der BFH aus: „Hinzu kommt, dass die Unterhaltspflichten dem Kläger nicht durch die inländische, sondern durch die türkische Rechtsordnung auferlegt werden“13.
Dies scheint im Sinne der vested rights theory zu implizieren, dass unser IPR nur durch fremde Rechtsordnungen begründete Rechtsverhältnisse vorfindet und respektiert14. Entsprechendes ist einst gar als völkerrechtliche Verpflichtung begriffen worden: „Daraus folgt, dass auch im Gebiet der internationalen Privatbeziehungen jedes Recht, das aufgrund der Gesetze irgendwelches Staates entstanden ist oder unter dem Schutz desselben steht, im ganzen Umkreise der internationalen Gemeinschaft als Recht seitens der Gerichte aller civilisierten Staaten insgesammt anerkannt werden muss“ (Martens15 1886).
Freilich wird nicht nur die vested rights theory heute allgemein als Zirkelschluss verworfen16. Vielmehr enthält der Satz des BFH bereits aus sozialethischer Perspektive kein tragfähiges Argument, wenn man Neumeyer folgt: „Soziologisch betrachtet handelt es sich bei einer Anwendung fremden Rechts zunächst nicht um Betätigung im Dienst einer angenommenen Rechtspflegegemeinschaft unter den Völkern, noch weniger um eine Maßnahme, mit der dem Willen eines fremden Staates, Regeln zu begründen, Rechtshilfe geleistet würde: es sind die Bedürfnisse einer Ordnung im eigenen Bereich, die veranlassen, der Tatsache einer Rechtswirksamkeit andrer Staaten Rechnung zu tragen“17.
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BFH, IPRax 2004, 342. BFH, IPRax 2004, 342, 343 f. 13 BFH, IPRax 2004, 342, 345. 14 So schreibt 1935 Beale (A Treatise on the Conflicts of Laws, Bd. III, S. 1969): „A right having been created by the appropriate law, the recognition of its existence should follow everywhere“. 15 Martens, Völkerrecht, Bd. 2, S. 289. 16 Vgl. nur Kropholler, IPR6 , § 21 I 2 a, S. 147 oder Nadelmann, in: FS Gutzwiller, S. 263, 280, jeweils m.w.N. 17 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 177. 12
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Noch prägnanter sagt Schurig: „Indessen ist es Sache eines jeden Staates, in seinem Bereich die Gerechtigkeit selbst zu verwirklichen“18.
Während deshalb Gebauer/Hufeld überzeugend dartun, dass doch die Minderung der Leistungsfähigkeit des türkischen Steuerschuldners in dem vom BFH entschiedenen Fall vom deutschen Gesetzgeber über den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl in Art. 18 EGBGB verursacht worden ist und schon deshalb in seine Verantwortung fällt19, ist das BVerfG mit seinem Beschluss der Nichtannahme der gegen das BFH-Urteil gerichteten Verfassungsbeschwerde20 – insoweit in trauriger Tradition zur Spanier-Entscheidung – auch 2005 wieder vor einer grundlegenden rechtstheoretischen Stellungnahme zum IPR zurückgeschreckt, obwohl dessen Verfassungskonformität ohne rechtstheoretische Einordnung gar nicht beurteilt werden kann. Wenn zudem das BVerfG einerseits auffällig gewunden einräumt, dass der Gesetzgeber „ausländische Unterhaltspflichten“ insoweit „in seinen Willen aufgenommen hat, als er durch Regelungen des internationalen Privatrechts die Durchsetzbarkeit dieser ausl. Pflichten durch Einklagbarkeit und Vollstreckbarkeit im Inland gewährleistet“21,
andererseits aber der Meinung ist, dass der deutsche Gesetzgeber diese Verpflichtung nicht in gleicher Weise wie bei „inländischen Unterhaltspflichten“ berücksichtigen müsse, weil er sich „die familienrechtliche Wertung der ausl. Unterhaltspflicht nicht zu Eigen gemacht“22 habe, so liegt in dieser Verweigerung einer klaren rechtstheoretischen Stellungnahme weniger eine befriedigende Begründung als ein Anlass für neue Fragen: Kann der einfache Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsmacht wirklich dadurch zurückdrängen, dass er geltend macht, nur einen Befehl, nicht aber dessen Telos in seinen Willen aufzunehmen? Wird die Verfassungskontrolle wirklich umso geringer, je weniger der Gesetzgeber das für richtig hält, was er unter Zwangsandrohung zu befolgen befiehlt? Stern zeichnet den deutschen Gesetzgeber nicht nur von legislativer Verantwortung für die Produkte seines IPR, sondern gleich weitgehend vom „Ob“ der Grundrechtsbindung im Rahmen der „Anwendung ausländischen Rechts“ frei, wenn er über den ordre public (Art. 6 EGBGB) schreibt:
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Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 66. Gebauer/Hufeld, IPRax 2004, 327, 329 f. BVerfG, FamRZ 2005, 1813. BVerfG, FamRZ 2005, 1813, 1815. BVerfG, FamRZ 2005, 1813, 1815.
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„Sowohl nach altem [vor 198623] als auch nach neuem Recht ist maßgeblich, dass ausländisches Recht nur dann überhaupt auf seine Grundrechtsgemäßheit zu überprüfen ist, wenn eine enge Inlandsbeziehung besteht“24.
Bereits eine beschränkte Anwendbarkeit der Grundrechte konstatiert auch Kokott: „Allein die Tatsache, daß deutsche Gerichte oder Behörden fremdes Recht anwenden oder ausländische Hoheitsakte anerkennen/durchsetzen, unterstellt die Rechtsbeziehung nicht voll der deutschen Rechtsordnung. Also müssen deutsche Gerichte und Behörden auf Rechtsverhältnisse, die von der deutschen Rechtsordnung nicht mit alleinigem Gültigkeitsanspruch beherrscht werden, die Grundrechte nicht in dem selben Maße anwenden, wie auf Rechtsverhältnisse, die ausschließlich der deutschen Hoheitsgewalt unterstehen“25.
Beide Aussagen erscheinen indes aus der Perspektive des juristischen Geltungsbegriffs schon im Ansatz genauso fragwürdig wie die Sicht des BFH, wenn Kelsen die Berufung ausländischen Rechts durch inländisches IPR richtig einordnet: „The norm of a foreign law applied by the organ of a State is ,foreign‘ only with respect to its contents. With respect to the reason for its validity it is a norm of the State whose organ is bound to apply it. Strictly speaking, the organ of a State can apply only norms of the legal order of its own state“26.
Die Äußerungen Sterns und Kokotts sind ferner insoweit bemerkenswert, als es doch der „einfache“ Gesetzgeber des IPR ist, der aus eigenem Ermessen entscheidet, ob er auf einen Sachverhalt ausländisches oder deutsches Sachrecht oder eine Mischung, beispielsweise deutsches Erb- und schweizerisches Ehegüterrecht anwendet. Insbesondere an Kokott richtet sich daher die Frage, ob sie im Ergebnis annehmen will, dass die Intensität der Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte insoweit zur Disposition des „einfachen“ Gesetzgebers steht, als dieser sich für oder gegen die Anwendbarkeit deutschen Sachrechts verstanden als „vollständige Unterstellung der Rechtsbeziehung unter die deutsche Rechtsordnung“ – wohlgemerkt auf ein und denselben Sachverhalt – entscheidet. Denn das bedeu23 Gemeint ist die Neukodifikation durch Gesetz vom 25.07.1986, BGBl. I 1986 Nr.37, 30.07.1986, S.1142 ff., durch welche die Grundrechte ausdrücklich in die neue Vorschrift über den ordre public (Art. 6 EGBGB) aufgenommen wurden. 24 Stern, Staatrecht III/1, § 72 V 6, S. 1241 (Hervorhebung im Original). 25 Kokott, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 71, 99, zugleich These Nr. 9, a.a.O., S. 110 f.; etwas unklar bleibt es, wenn Hofmann, Diskussionsbeitrag, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 115, 124 f., Kokotts These 9 einerseits als mit seinen Vorstellungen ziemlich genau übereinstimmend einordnet, andererseits aber kritisiert, dass man Art. 1 Abs. 3 GG nicht außer Acht lassen dürfe; ähnliche Erwägungen über die „Einbindung in die Rechtsordnung“ finden sich schließlich bei Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 186 f. 26 Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244.
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tete eine zumindest partielle Wiederkehr der durch die Spanierentscheidung zu Recht in den Orkus der Ideengeschichte verbannten, bis dahin herrschenden kollisionsrechtlichen Doktrin, dass die Kollisionsvorschriften die räumliche bzw. persönliche Geltung der Verfassung abgrenzten und daher das Grundgesetz – obwohl normenhierarchisch über einfachgesetzlichem IPR stehend – nur im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeit deutschen Privatrechts Wirkung entfaltete27 – also nicht bei Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“. Sieht man demgegenüber als durch die Spanierentscheidung gesichert an, dass die Verfassung selbst über ihre Reichweite, d.h. vor allem autonom gegenüber einfachgesetzlichem IPR entscheidet 28, so kann die Intensität der Grundrechtsbindung bei einem heterogen verknüpften Sachverhalt hingegen nur vom Ausmaß der Auslands- bzw. der spiegelbildlichen Inlandsbeziehung, nicht aber prinzipiell davon abhängen, ob sich das IPR für die Anwendung deutschen oder ausländischen Sachrechts auf diesen Sachverhalt entscheidet. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, müsste Kokott aber annehmen, dass der deutsche IPR-Gesetzgeber auch mit dem Befehl der Anwendung deutschen Sachrechts auf einen heterogen verknüpften Sachverhalt „die Rechtsbeziehung nicht voll der deutschen Rechtsordnung“ unterstellt. Was aber macht dann überhaupt eine „Rechtsbeziehung der deutschen Rechtsordnung“ aus? Dass der von ihr erfasste Sachverhalt keinen Auslandsbezug aufweist? Dann litten im Zeitalter von e-commerce und Globalisierung die deutsche Rechtsordnung im Allgemeinen und das Grundgesetz im Besonderen an galoppierender Schwindsucht. Man darf nach alledem wohl sagen, dass die Verfassungskontrolle des autonomen deutschen IPR und seiner Produkte durch das BVerfG auch heute noch deshalb notwendig einem „Ritt in dichtem Nebel“ (Wengler 29) gleichkommt, weil immer noch im Dunkeln liegt, inwieweit sich die deutsche Rechtsordnung und damit die legislative Verantwortlichkeit des Bundesgesetzgebers auf die Produkte seines IPR erstrecken. Vor diesem Hintergrund erscheint die rechtstheoretische Einordnung des Anwendungsbefehls des autonomen deutschen Kollisionsrechts in den Stufen27 Vgl. nur BGHZ 42, 7, 13 ff.; Beitzke, Grundgesetz und IPR, S. 34; Ferid, FS Dölle, Bd. II, 1963, S. 119, 143; sowie durchaus auch noch nach der Spanierentscheidung Kegel, in: Soergel11 (1984), Vor Art. 13 EGBGB Rn. 10; Neuhaus, RabelsZ 36 (1972), 127, 136. 28 Zu diesem Fazit aus der Spanierentscheidung vgl. etwa Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2, § 7 Rn. 266; Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, S. 93; Isensee, VVDStRL 32 (1974), 49, 60; Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 45 ff.; Pfeiffer, in: FS Laufs, S. 1193, 1196; Tomuschat, IPRax 1996, 83 ff.; bereits vorher in diesem Sinne Wengler, Anm. zu BGH, Beschl. v. 12. 2. 1964, IV AR (VZ) 39, 63, JZ 1964, 622 f.; ders., Anm. zu BGH, Urt. v. 29. 4. 1964, IV ZR 93/63, JZ 1965, 100, 101; Bernstein, NJW 1965, 2273 ff.; Stöcker, JZ 1965, 456, 457. 29 Wengler, IPRax 1984, 68, in Anmerkung zu BVerfG, Beschl. v. 30. 11. 1982, 1 BvR 818/81 (Witwen i. S. von § 1264 RVO sind auch Hinterbliebene aus „hinkenden Ehen“).
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bau der Rechtsordnung fast ein halbes Jahrhundert nach Inkrafttreten des Grundgesetzes als mehr denn überfällig. Denn die „Zweigleisigkeit von ,Gelten‘ und ,Anwenden‘“ ist ein „logisches Gespenst“, ein „dunkler Fleck in der Theorie des IPR“ (Lüderitz30), dessen Aufhellung mit Blick auf die vom BFH hierauf gestützte, pauschale Freizeichnung des deutschen Kollisionsrechtsgebers von der legislativen Verantwortung für die in seinen Willen aufgenommenen Befehle dringlicher denn je ist. Dieses Untersuchungsziel bestimmt den Gang der nachfolgenden Untersuchung: Im ersten Teil werden die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR dargestellt und kritisch gewürdigt. Sodann wird im zweiten Teil der eigene Standpunkt zur Rechtsnatur der Verbindlichkeit der Produkte der kollisionsrechtlichen Verweisungen entfaltet. Darauf baut die genaue Einordnung von Sachnorm- und Gesamtverweisung im dritten Teil auf. Abschließend dient der als verfassungsrechtlicher Ausblick gedachte vierte Teil dazu, aus der rechtstheoretischen Einordnung Grundaussagen zur Verfassungskonformität von Sachnormverweisung einerseits und Gesamtverweisung andererseits zu treffen.
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Lüderitz, RabelsZ (29) 1965, S. 426, 428 f.
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Erster Teil:
Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR „Wer sich vor der Idee scheut, hat zuletzt auch den Begriff nicht mehr“ Johann Wolfgang v. Goethe1
A. Zur Terminologie Um jedes Missverständnis über den Gegenstand der nachfolgenden Betrachtung auszuschließen, bedarf es zunächst einer kurzen Klärung der Terminologie. Wird durch die Vorschriften des deutschen IPR auf das Recht eines anderen Staates verwiesen, so ist nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch dessen IPR anzuwenden, sofern dies nicht dem Sinn der Verweisung widerspricht. Verweist das Recht des anderen Staates auf deutsches Recht zurück, sollen die deutschen Sachvorschriften Anwendung finden. Mit Vorrang vor dieser Grundregel wird allerdings in Spezialvorschriften, etwa Art. 35 EGBGB, gesondert angeordnet, dass bestimmte Verweisungen als Verweisung auf die „Sachvorschriften“ zu verstehen sind. Diese umfassen gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 2 EGBGB die Rechtsnormen der maßgebenden Rechtsordnung unter Ausschluss derjenigen des IPR. Man kann also zwischen der Verweisung nur auf die Sachvorschriften und der Verweisung auch auf das internationale Kollisionsrecht eines Staates unterscheiden. Ersteres wird gemeinhin trotz gewisser begrifflicher Unschärfe als Sachnormverweisung bezeichnet2. Für letzteres Phänomen werden traditionell die Begriffe Gesamtverweisung, Gesamtrechtsverweisung oder Gesamtnormverweisung 3 verwandt. Durch die Inbezugnahme auch des Kollisionsrechts einer ausländischen Rechtsordnung wird dieser die Entscheidung entnommen, ob ihr eigenes Sachrecht, nur das Sachrecht der deutschen bzw. einer dritten 1
Goethe, Gesamtausgabe, Abteilung I Bd. 13, Maximen und Reflexionen 1.47. Näher zur Kritik am Begriff aufgrund der Inbezugnahme auch des internen Kollisionsrechts vgl. etwa Kropholler, IPR6 , § 24 I 2, S. 165. 3 Näher zu den Begriffen etwa Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 4 Rn. 18; Kropholler, IPR6 , § 24 I 2, S. 165; Sonnentag, Der Renvoi im IPR, S. 5. 2
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
Rechtsordnung oder auch das jeweilige Kollisionsrecht und damit gegebenenfalls das Recht eines in einer Vielzahl weiterer Verweisungen ermittelten Staates Anwendung finden soll. Da die in Bezug genommenen fremden Kollisionsvorschriften ihrerseits gegebenenfalls das Sachrecht der eigenen Rechtsordnung für unanwendbar erklären, wird teilweise angenommen, dass bei Verweisung auf fremdes Kollisionsrecht nie die gesamte fremde Rechtsordnung, sondern stets nur deren Kollisionsrecht zur Anwendung gelange, weshalb der Ausdruck Gesamtverweisung inkorrekt sei4. Im Bemühen um sprachliche Präzision werden daher auch die Begriffe Kollisionsrechtsverweisung, Kollisionsnormverweisung und IPR-Verweisung5 verwandt. Die Kritik missachtet jedoch, dass in der Kollisionsrechtsordnung eines Staates der räumliche Geltungsanspruch seiner Sachrechtsordnung zum Ausdruck kommt und daher dessen Gesamtrechtsordnung selbst dann Anwendung findet, wenn das Kollisionsrecht des berufenen Staates auf das Recht eines dritten Staates weiter verweist. Der Vorwurf, dass aus diesem Grunde der Begriff der Gesamtverweisung sprachlich inkorrekt sei, überzeugt daher nicht. Größte rechtstheoretische Unschärfe liegt demgegenüber im Begriff der Verweisung, was wiederum gerade Gegenstand der rechtstheoretischen Einordnung des deutschen IPR sein soll. Bis zu deren Klärung soll daher vorläufig der übliche Begriff der Gesamtverweisung gebraucht werden. Verweist das durch unser IPR in Bezug genommene fremde Kollisionsrecht wieder auf das deutsche Recht, spricht man von Zurückverweisung (Rückverweisung im engeren Sinne, renvoi au premier degré); den Verweis auf das Recht eines dritten Staates nennt man Weiterweisung (renvoi au second degré); beide Phänomene werden also durch den Terminus renvoi (Verweisung) erfasst6. Zwar kann man aus dem Begriff des renvoi in enger Betrachtung den Fall der „Annahme“ der Verweisung durch die in Bezug genommene Rechtsordnung ausscheiden, denn in diesem wird der Unterschied zwischen Sachnorm- und Gesamtverweisung nicht ergebnisrelevant. Da freilich unter „das Renvoiproblem“ gemeinhin bereits die Frage gefasst wird, ob eine Verweisung auch auf fremdes Kollisionsrecht gerichtet ist7, erscheint es legitim, den Begriff renvoi im Rahmen einer rechtstheoretischen Betrachtung gegebenenfalls synonym für die Technik der Gesamtverweisung zu verwenden, auf der Rück- und Weiterverweisung beruhen8.
4 In diesem Sinne etwa Kegel/Schurig, IPR9, § 10 II, S. 391; vgl. ferner die Nachweise bei Sonnentag, Der Renvoi im IPR, S. 5. 5 Etwa Kegel/Schurig, IPR9, § 10 II, S. 391; Sonnentag, Der Renvoi im IPR, S. 5. 6 Kegel/Schurig, IPR9, § 10 II, S. 391; Kropholler, IPR6 , § 24 I 2, S. 163. 7 Vgl. nur Sonnentag, Der Renvoi im IPR, S. 5. 8 Die Begriffe bereits ebenfalls gleichsetzend Maridakis, Annuaire de l’Institut de Droit International 47 II (1957), S. 1, 15.
B. Die Diskussion spezifisch zum IPR
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B. Die Diskussion spezifisch zum IPR Wie bereits angedeutet, ist die Kollisionsrechtswissenschaft heute nicht mehr um eine rechtstheoretische Einordnung des IPR bemüht. Schon die von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Dreißiger des 20. Jahrhunderts viel diskutierte Frage nach der Einordnung von IPR als öffentliches oder privates Recht9 wird etwa von Sonnenberger 10 für „bedeutungslos“ gehalten und auch in den Lehrbüchern von Kegel 11 bzw. Kegel/Schurig12 seit 1960 apodiktisch als belanglos abgetan: „Die Frage ist müßig“. Dieser Satz wirkt aus geschichtlicher Perspektive freilich wie ein verkürztes Echo auf Frankenstein, bei dem es noch 1926 heißt: „Ja, diese Frage erscheint müssig, solange nicht feststeht, ob sich aus der Zuteilung des Grenzrechts zu dem einen oder anderen der herkömmlichen Rechtsgebiete überhaupt irgendwelche Folgerungen ziehen lassen“13.
Demnach kann die Frage schon deshalb nicht müßig sein, weil – was etwa Beitzke14 bereits 1961 im Grundsatz erkannt hat – die Ermächtigung des Bundesgesetzgebers zum Erlass von IPR von dessen genauer Einordnung abhängt. Konkrete Folgerungen setzen aber die genaue Einordnung in die Kategorien der dynamischen Inbezugnahme von Texten, die nicht vom kompetenten Normsetzungsorgan stammen, voraus.
I. Zur „Anwendbarkeit“ ausländischen Rechts 1. Der gesetzliche Ansatzpunkt Als erste Vorschrift des deutschen IPR sieht Art. 3 EGBGB vor, dass sich nach den dieser Norm folgenden Vorschriften bestimmt, „welche Rechtsordnungen anzuwenden sind“. Unser IPR gibt also die „Anwendbarkeit ausländischer Rechtsnormen“ vor, wobei als ausländischer hier jeder Rechtssatz verstanden werden soll, der innerhalb der Rechtsordnung eines fremden Staaten als Normgebungssubjekt geltendes Recht darstellt, also von einer Stelle formuliert wurde, die – zumindest unter Außerachtlassung der kollisionsrechtlichen Inbezugnahme – kein zur Normsetzung kompetentes Organ der deutschen Rechtsordnung ist15. 9
Eingehende Darstellung unten S. 33 ff. Sonnenberger, in: MüKo BGB4, Einl. IPR, Rn. 232. 11 Vgl. Kegel, IPR1 (1960), § 1 V S. 10. 12 Kegel/Schurig, IPR9, § 1 V, S. 23. 13 Frankenstein, IPR, Bd. 1, S. 250. 14 Beitzke, Grundgesetz und IPR, S. 5 ff. 15 Vgl. hierzu auch Gerhard Hoffmann, in: v. Münch, VerwaltungsR BT 7, Internationales VerwaltungsR, S. 856. 10
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
Dass unser IPR eine besondere Regelungstechnik darstellt, zeigt sich auch an der Funktionsweise der Ordre-public-Klausel. Nach Art. 6 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung ein Ergebnis herbeiführt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere den Grundrechten, nicht vereinbar ist. Gemeint ist nach herrschender Auffassung insoweit eine Kontrolle nicht der ausländischen Norm anhand inländischer Maßstäbe, sondern nur eine Kontrolle des Anwendungsergebnisses im Einzelfall nach Maßgabe der Intensität seines Inlandsbezugs16. Die im Gegensatz zur vorherigen Ordre-Public-Vorschrift des Art. 30 EGBGB a.F. ausdrückliche Nennung der Grundrechte durch Art. 6 S. 2 EGBGB in der Neufassung durch die IPR-Reform von 198617 war nicht zuletzt eine Reaktion auf die Spanierentscheidung18 des BVerfG. In dieser wird zur Wirkweise der Grundrechte bei der „Anwendung“ ausländischen Rechts ausgeführt: „Das ausländische Recht wird nicht (…) generell auf eine Übereinstimmung mit dem Grundgesetz überprüft. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob eine innerstaatliche Rechtshandlung deutscher Staatsgewalt in bezug auf einen konkreten Sachverhalt, der eine mehr oder weniger starke Inlandsbeziehung aufweist, zu einer Grundrechtsverletzung führt.“
Das bedeutet auf den ersten Blick gegenüber „normalen“ Normen – solchen aus regelmäßiger inländischer Rechtsquelle – die bei Verfassungswidrigkeit nichtig sind, eine qualitativ verringerte Kontrolldichte. Insbesondere kann eine nach deutschen Vorstellungen verfassungswidrige ausländische Vorschrift nach der Konzeption des Art. 6 EGBGB dennoch angewandt werden, wenn das Ergebnis der Anwendung der Norm im zu entscheidenden Fall auch Ergebnis einer nach deutschen Vorstellungen nicht zu beanstandenden Regelung sein könnte19. Es liegt auf der Hand, dass die Vereinbarkeit dieser Regelungstechnik mit der Verfassung einer besonderen Erklärung bedarf.
16 Heldrich, in. Palandt66 , Art. 6 EGBGB Rn. 7; Sonnenberger, in: MüKo BGB 4, Art. 6 EGBGB Rn. 47; Sonnentag, der Renvoi im IPR, S. 125 f. 17 Gesetz vom 25.07.1986, BGBl. I 1986 Nr.37, 30.07.1986, S.1142 ff. 18 BVerfGE 31, 58. 19 Vgl. nur einerseits das Beispiel bei Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2 , § 7 Rn. 266: Einverständnis der Ehefrau mit der Ehebeendigung durch Talaq bei zerrütteter Ehe; andererseits das Beispiel bei Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 6 Rn. 151: Anwendbarkeit eines Gesetzes, das Eheschließung von Verwandten bis zum 5. Grad verbietet, auf den Fall, dass Bruder und Schwester in Deutschland heiraten wollen; zum Grundsatz ferner etwa Kropholler, IPR6 , § 36 II 1, S. 245; Spickhoff, Der ordre public im IPR, S. 79 f.
B. Die Diskussion spezifisch zum IPR
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2. Die Entwicklung der Diskussion a) Völkerrechtliche Geltung als Fremdrecht (Zitelmann) Noch 1919 hat Zitelmann vertreten, dass eine Anwendung ohne Geltung nicht in Betracht komme, dass vielmehr die Anwendbarkeit nur eine Folge des Gegoltenhabens und darum ein Zeichen und Erkenntnisgrund dafür sei20. Allerdings ging er von einem heute nahezu einhellig als überholt angesehenen Konzept vom IPR als Zuweisung von Regelungshoheit auf der Ebene des Völkerrechts, gegebenenfalls durch Zurücknahme der eigenen Hoheit, aus, auf das noch einzugehen sein wird21. Immerhin folgt 1995 Schemmer der Einschätzung, dass es Anwendung ohne Geltung nicht geben könne22. Auch in seinen weiteren Ausführungen bietet er eine partielle Wiederkehr Zitelmannschen Denkens. So geht er unter Rückgriff auf die der Diskussion zu Art. 25 S. 1 GG entlehnte Vollzugslehre von der inländischen Geltung ausländischen Rechts „als Fremdrecht“ kraft im deutschen IPR zu sehenden Vollzugsbefehls aus23 und versteht den ordre public als Ausdruck der Abgrenzung von Gebietshoheiten 24. Dennoch stehen seine Vorstellungen letztlich wohl denjenigen Ferids (dazu sogleich S. 14) näher, als denen Zitelmanns.
b) Die in Deutschland bis heute traditionelle Sicht vom IPR als doppelfunktionalem „Zuständigkeitsverteiler“ aa) „Anwendbarkeit ausländischen Rechts als ausländisches“ kraft souveränen Kollisionsrechts Mit der Lösung von völkerrechtlichem Denken und unter der Prämisse, dass der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl des autonomen IPR Ausübung der eigenen Souveränität bedeutet, hat sich die bis heute weitaus herrschende traditionelle These entwickelt, dass ausländisches Recht einerseits nicht im Inland kraft ausländischer Souveränität gelte25, andererseits das inländische IPR aber auch keine Transformation bewirke, sondern dass ausländisches Recht vielmehr „als ausländisches Recht“ im Inland „anwendbar“ sei, ohne seinen Charakter
20
Zitelmann, in: FS Bergbohm, S. 206, 231. Vgl. unten S. 69 f. 22 Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter Geltung des Grundgesetzes, S. 17 ff., unter ausdrücklichem Verweis auf Zitelmann und Beitzke, S. 21 Fn. 64 f. 23 Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter Geltung des Grundgesetzes, S. 35. 24 Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter Geltung des Grundgesetzes, 32 ff. 25 Sehr klar Beitzke, FS Smend, S. 1, 10 ff.; Ferid, FS Dölle, Bd. II, S. 130; Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 75. 21
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
als ausländisches Recht zu verlieren, insbesondere ohne rezipiert bzw. inkorporiert oder durch deutsche Parallelnormen nachvollzogen zu werden 26.
bb) Zur Verschiedenheit von Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung und „Anwendbarkeit als Fremdrecht“ (1) Die unterschiedlichen Stellungnahmen Während nun etwa Ferid (1963) trotz expliziter Verneinung der Schaffung inländischer Rechtssätze27 ausdrücklich davon ausgeht, dass die Sätze des eigenen Kollisionsrechts die Geltung des eigenen Rechts einschränken und dem fremden Recht Geltung „als solchem“ zuweisen 28, argumentiert Sonnenberger (1962) diametral, dass dann, wenn man nicht von einer Erstreckung des Geltungsbereichs der ausländischen Rechtsordnung, sondern von einer souveränen Entscheidung des inländischen Gesetzgebers ausgeht, mit der Annahme inländischer Geltung notwendig auch inländische Rechtssätze entstünden 29. Weil er die daraus folgende „Anwendung von Inlandsrecht“ für mit der Wertung des § 293 ZPO unvereinbar hält30 und außerdem die Folge der Verfassungsbindung des Gesetzgebers hinsichtlich der angewandten Inhalte als nicht wünschenswert empfindet31, gelangt er zu dem dieses vermeintliche Dilemma scheinbar auflösenden Konzept der Anwendbarkeit ausländischen Recht im Inland als ausländisches, d.h. ohne im Inland zu gelten32: „Die Anwendung ausländischen Rechts bedeutet Übernahme der ausländischen Tatbestände, die mit den internen Rechtsfolgen bekleidet werden“33.
Weit überwiegend wird in einschlägigen Stellungnahmen zu dieser Frage unter Verwendung des Begriffs der „Anwendbarkeit“ der Ausdruck der „Geltung ausländischen Rechts im Inland“ entweder peinlichst vermieden oder allenfalls
26 Vgl. nur Ferid, in: FS Dölle, Bd. II, S. 119, 130 f.; Dölle, in: FS Raape, S 149, 151 f.; Goldschmidt, in: FS Martin Wolff, S. 203, 213 f.; Gerhard Hoffmann, in: v. Münch, VerwaltungsR BT7, Internationales VerwaltungsR, S. 857 f.; Kropholler, IPR6 , § 31 I 1, S. 212; Müller, in: Die Anwendung ausländischen Rechts im IPR, S. 66, 68; Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2, § 43 I, S. 322 f.; Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 175, 178; Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 147; Raape, IPR 5; § 17 I, S. 120 ff., Raape/Fritz Sturm, IPR6 Bd. 1, § 17 I, S. 305 f.; Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 158 ff.; Zajtay, in: Die Anwendung ausländischen Rechts im IPR, S. 193, 194. 27 Ferid, FS Dölle, Bd. II, S. 119, 131. 28 Ferid, FS Dölle, Bd. II, S. 119, 132. 29 Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 74. 30 Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 75. 31 Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 74. 32 Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 76. 33 Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 76, Fn. 154.
B. Die Diskussion spezifisch zum IPR
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in Anführungszeichen gebraucht. Repräsentativ für die Kollisionsrechtswissenschaft34 liest man bei Kropholler: „Ihrem Wesen nach ist die Anwendung fremden Rechts – entgegen allen gekünstelten Theorien – wirklich Anwendung fremden Rechts, nicht etwa Anwendung eigenen Rechts in bloßer Nachahmung eines fremden (also nicht Anwendung einer von Fall zu Fall geschaffenen Parallelnorm) und auch nicht eine Art der Rezeption (wie ein fremdes Gesetzbuch rezipiert wird oder das beibehaltene Recht eines annektierten Gebietes)“35.
Allerdings spaltet insbesondere Schurig fremde Sachnormen in ein rationales und ein imperatives Element auf, von denen nur das erstere durch unser autonomes IPR in Bezug genommen werde36: „Bei der Berufung ausländischer Normen haben die inländischen Kollisionsnormen also (neben der Auswahl der ,richtigen‘ Rechtsordnung) die Funktion, diesen ausländischen Rechtssätzen für das Inland den Anwendungsbefehl hinzuzufügen und damit den eigentlichen Grund für ihre (relative) ,Geltung‘, oder, da man diesen Begriff dem ,Ursprungsland‘ vorbehalten sollte, für ihre ,Anwendung‘ im Inland zu liefern“37.
(2) Zur Charakteristik des Anwendbarkeitskonzepts „Anwendbarkeit als Fremdrecht“ und die Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung erscheinen nach den besonderen kollisionsrechtlichen Normkonzepten jedenfalls als notwendig verschiedene Phänomene. Unter Vorgriff auf die nähere Erörterung des juristischen Geltungsbegriffs38 sei einmal davon ausgegangen, dass der Begriff der Geltung im Sinne einer Rechtsfindungsmethode darauf gerichtet ist, eine Aussage über die Zugehörigkeit eines Normsatzes zu einer Rechtsordnung zu treffen 39, weshalb insbesondere Hart Geltung als Übereinstimmung mit einer Regel der Anerkennung (rule of recognition40) als Norm einer Rechtsordnung versteht. Sonnenberger ist also darin zuzustimmen, dass der Begriff der Geltung die Zugehörigkeit eines Normsatzes zu einer Rechtsordnung als deren Rechtsnorm beschreibt. Wer also, wie die deutsche Kollisionsrechtswissenschaft41, davon ausgeht, dass 34 Vgl. bereits Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, , S. 79; ferner etwa Beitzke, FS Smend, S. 1 f.; Betti, in: FS Gutzwiller, S. 233, 238 ff.; Gebauer, in: FS Jayme, S. 223, 227; Gebauer/Hufeld, IPRax 2004, 327, 329; Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2, § 43 I, S. 322 f.; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70–72; Zajtay, in: Die Anwendung ausländischen Rechts im IPR, S. 193, 195 f. 35 Kropholler, IPR6 , § 31 I 1, S. 212 (Hervorhebung im Original). 36 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 71. 37 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 72. 38 Vertiefung vgl. unten S. 65 ff. 39 Vgl. nur Barros, Rechtsgeltung und Rechtsordnung, S. 28; Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, S. 291; Hollo, Die Definition von geltendem Recht in der Rechtsfindung, S. 13. 40 Hart, The Concept of Law2 , S. 100 ff. 41 Vgl. etwa Beitzke, FS Smend, S. 1 f.; Betti, in: FS Gutzwiller, S. 233, 238 ff.; Gebauer, in: FS Jayme, S. 223, 227; Gebauer/Hufeld, IPRax 2004, 327, 329; Kropholler, IPR6 , § 31 I 1,
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
ausländische Normen trotz Hinzufügung des „imperativen Elements“ durch die lex fori als fremde angewandt werden, ohne dadurch zu Normen des deutschen Rechts zu werden, muss, will er nicht vom in der Rechtstheorie allgemeinen Grundverständnis von Geltung abweichen, die Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung verneinen. Deshalb erforderte die Annahme Ferids, dass fremde Rechtssätze bei kollisionsrechtlicher Inbezugnahme auch ohne jede Integration der ausländischen Rechtssätze in die deutsche Rechtsordnung dennoch kraft dieser gelten, erst einmal die Benennung eines von den die allgemeine Rechtstheorie prägenden Vorstellungen abweichenden Geltungsbegriffs, die Ferid nicht anbietet. „Anwendbarkeit als ausländisches Recht“ und Geltung unterscheiden sich also konzeptionell dadurch, dass die Geltung eines Normsatzes innerhalb einer Rechtsordnung die Zugehörigkeit des Normsatzes zu dieser Rechtsordnung als deren Norm konstituiert, während bloße „Anwendbarkeit“ eine Form von Verbindlichkeit eines Normsatzes kraft kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls („imperatives Element“) beschreibt, die dessen Zugehörigkeit zur Rechtsordnung, in der er Verbindlichkeit entfaltet, nicht begründet. Dem müsste freilich nicht nur Kant widersprechen, der ganz selbstverständlich den Gesetzgeber (legislator) als den Gebietenden (imperans) definiert42. Denn das Konzept ist prima facie schon mit einem scheinbar selbstverständlichen Satz der Rechtstheorie nicht in Einklang zu bringen: „Kein Imperativ ohne Imperator“43, den man wohl auch umkehren darf: Kein Imperator ohne Imperativ. Begreift man nun den Souverän einer Rechtsordnung als Imperator der verbindlichen Sollensgebote (Normen) dieser Rechtsordnung, so führt „Anwendbarkeit ausländischen Rechts als ausländisches im Inland“ im Wege der Ersetzung des „ausländischen imperativen Elements“ durch ein inländisches zum Auseinanderfallen von Imperator und Imperativ: Im Gegensatz zur ratio stammt der Imperativ nicht vom ausländischen Imperator, während der inländische Kollisionsgesetzgeber befiehlt, ohne Befehlender (Gesetzgeber) sein zu wollen. Vor diesem Hintergrund vermag es nicht zu überraschen, dass Lüderitz die „Zweigleisigkeit von ,Gelten‘ und ,Anwenden‘“ als „logisches Gespenst“ eingeordnet und zum „dunklen Fleck in der Theorie des IPR“ 44 erklärt hat.
S. 212; Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2, § 43 I, S. 322 f.; Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 79; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70–72; Zajtay, in: Die Anwendung ausländischen Rechts im IPR, S. 193, 195 f. 42 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 29. 43 Vgl. nur Kelsen, in: FS Nipperdey, Bd. I, S. 57, 59, m.w.N. 44 Lüderitz, RabelsZ (29) 1965, S. 426, 428 f.
B. Die Diskussion spezifisch zum IPR
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cc) Begründungsansätze für die Anwendbarkeitsthese Die von Neuhaus als Begründung für die These bloßer Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“ angebotenen Ausführungen prägen bis heute das Standardlehrbuch von Kropholler: „Zwar entfaltet ein ausländischer Rechtsetzungsakt als solcher keine Verbindlichkeit über den Hoheitsbereich des betreffenden Staates hinaus; vielmehr bedarf es für die Anwendung fremden Rechtes eines entsprechenden Befehls der inländischen Rechtsordnung. Aber nicht der staatliche Befehl macht das Wesen des Rechtes aus – sonst gäbe es kein außerstaatliches Völker- Kirchen- Welthandelsrecht –, sondern die Ordnungsfunktion, d.h. seine Bestimmung zur gerechten Regelung menschlichen Zusammenlebens. Die Eigenart der Anwendung fremden Rechtes zeigt sich vor allem darin, daß die fremden Normen – wohl unbestritten – auch im Inland aus dem Zusammenhang und Geist der fremden Rechtsordnung ausgelegt werden müssen; eine bloße Tatsache (wie eine private Willenserklärung) und eine wirklich rezipierte – also nunmehr inländische – Rechtsnorm sind dagegen nach den Maßstäben des inländischen Rechts zu werten45.“
Freilich handelt es sich bei diesen Ausführungen eher um Thesen als um eine Begründung. Dass die Ordnungsfunktion und nicht der „Imperativ“ staatlichen Rechts entscheidend sei, bedürfte einer Begründung, die in einem unspezifischen Verweis auf außerstaatliches Recht schwerlich gesehen werden kann, zumal Völkerrecht sich jedenfalls von staatlichem Recht signifikant unterscheidet46 und beispielsweise für Radbruch erst der „Imperativ“ die Rechtsnorm ausmacht47. In vergleichbarem Sinne zitiert etwa der Kollisionsrechtler Maridakis48 Modestinus: „Legis virtus haec est: imperare, vetare, permittere, punire (Digest. 1.3.7)“. Widersprechen müssen aber vor allem diejenigen Autoren, die zur Essenz des Rechts nicht einen „staatlichen Imperativ“, sondern ganz spezifisch den Zwang erheben, der zur Durchsetzung abstrakt-genereller Verhaltensgebote bereitsteht49. Die klassische Verabsolutierung des Gedankens findet sich bekanntlich bei Ihering: „Der vom Staate in Vollzug gesetzte Zwang bildet das absolute Kriterium des Rechts, ein Rechtssatz ohne Rechtszwang ist ein Widerspruch in sich selbst, ein Feuer, das nicht brennt, ein Licht, das nicht leuchtet“50.
Auch der Hinweis auf die „Eigenart der Anwendung fremden Rechts“ ist weniger Begründung hierfür als Rekurs auf das gewollte Ergebnis: Anwendung aus-
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Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2, § 43 I, S. 322 f.; Kropholler, IPR6 , § 31 I 1, S. 212. Vgl. nur vertiefend Hart, The Concept of Law2, S. 213 ff.; ferner Kelsen, Reine Rechtslehre2, S. 323 ff. 47 Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie8 , S. 170. 48 Maridakis, Annuaire de l’Institut de Droit International 47 II (1957), S. 17, 19 (Hervorhebung im Original). 49 Vgl. in diesem Sinne nur Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 , S. 188. 50 Vgl. Ihering, Der Zweck im Recht, Bd. I, S. 250 f. 46
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
ländischen Rechts als ausländisches heiße, dass dieses nicht inländischen Maßstäben unterliege. Der Gedanke der weitgehenden Freiheit der kollisionsrechtlichen Gesetzestechnik gegenüber inländischen Maßstäben prägt auch den älteren Begründungsansatz etwa bei Dölle (1948), der insoweit ausführt: „Die die Kollisionsnorm erlassende eigene Rechtsordnung übernimmt nur die Verantwortung dafür, dass der Sachverhalt dem ausländischen Recht unterstellt wird. Die Kollisionsnorm ist daher heimisches Recht im eigentlichen Sinne. Aber die eigene Rechtsordnung übernimmt nicht mehr die Verantwortung dafür, daß die in Bezug genommene fremde Sachnorm den Fall gerecht und zweckmäßig regelt. Das bleibt vielmehr der fremden Rechtsordnung überlassen; hier sind nur die Grenzen zu beachten, welche der eigene ordre public zieht“51.
Dem klar verwandt klingen auch die bereits in der Einleitung angesprochene Stellungnahmen einerseits von Kokott, nach welcher „allein die Tatsache, daß deutsche Gerichte oder Behörden fremdes Recht anwenden […] die Rechtsbeziehung nicht voll der deutschen Rechtsordnung“ unterstellt52, sowie andererseits des BFH, der trotz einer Berufung türkischen Unterhaltsrechts durch Art. 18 EGBGB festhält: „Hinzu kommt, dass die Unterhaltspflichten dem Kläger nicht durch die inländische, sondern durch die türkische Rechtsordnung auferlegt werden“53.
dd) IPR als doppelfunktionaler, „privatrechtlicher Zuständigkeitsverteiler“ Nach dieser Sicht der Anwendung ausländischen Rechts als ausländisches kraft kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls besteht die Aufgabe von internationalem Privatrecht darin, einen Lebenssachverhalt nach einer unter Gesichtspunkten räumlicher Gerechtigkeit ausgewählten Rechtsordnung zu beurteilen54. Sonnenberger spricht insoweit vom Kollisionsrecht als „Zuständigkeitsverteiler“55. Steindorff bezeichnet damit übereinstimmend die herrschende Sicht vom IPR als Inbegriff der die maßgebliche Rechtsordnung bestimmenden Normen auch als „Zuständigkeitstheorie“56. Der Gedanke der Zuweisung einer besonderen „privatrechtlichen Regelungszuständigkeit“ durch unser Kollisionsrecht findet sich aber z.B. auch bereits bei Neumeyer 57. Für Betti schließ51 Dölle, in: FS Raape, S. 149, 151 f.; ähnlich Raape/Fritz Sturm, IPR6 , Bd. 1, § 17 I, S. 305 f. 52 Kokott, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 71, 99, zugleich These Nr. 9, a.a.O., S. 110 f. 53 BFH, IPRax 2004, 342, 345. 54 Vgl. etwa Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 69 ff. 55 Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 77. 56 Steindorff, Sachnormen im IPR, S. 12. 57 Vgl. Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 79 f.
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lich übt der Staat durch sein Kollisionsrecht eine Kompetenz-Kompetenz dahingehend aus, „über die Ordnungsfunktion fremder Rechtsordnungen Zuständigkeitsrichtlinien zu treffen“58. Allseitiges Kollisionsrecht ist danach insoweit doppelfunktional, als es zumindest für heterogen verknüpfte Sachverhalte gleichermaßen ausländisches wie deutsches Recht beruft.
c) Die „unilateralistischen“ Gegenpositionen: „Parallelnorm“, „Verweisung inländischen Rechts“, Inkorporation Die Gegenposition hierzu beschreiben die mitunter unilateralistisch bzw. universalistisch59 genannten Theorien, denen gemein ist, dass nach ihnen anderes als inländisches Recht nicht zur Anwendung kommt. Die von Neuhaus/Kropholler betonte Differenzierung zwischen ausländischer Provenienz der Ordnungsfunktion und inländischem „Imperativ“ klingt bereits 1953 bei Wengler an. Wengler hält jedoch in Übereinstimmung mit der oben60 zitierten These Iherings und in erkennbarer Anlehnung an die reine Rechtslehre Kelsens den an die Sollensanordnung geknüpften staatlichen Zwang – die „Unrechtsfolge“ – für entscheidend: „Die Verweisung des staatlichen internationalen Privatrechts auf ausländisches materielles Privatrecht bedeutet daher in den meisten Fällen […] Schaffung einer Parallelnorm zu einer Norm einer ausländischen Rechtsordnung, einer Parallelnorm, die durch Eingriffe in andere Rechtsgüter wie die der betreffenden ausländischen Rechtsordnung zu erzwingen versucht wird“61.
Unter Bezugnahme auf Wengler macht auch Stöcker (1965) geltend, dass ausländisches Recht nicht „als“, sondern bestenfalls „wie ausländisches“ angewandt werde, genau genommen aber eine Parallelnorm zur Anwendung komme62. Ähnlich schreibt v. Olshausen (1981): „Der Richter (bzw. jedes sonst zur Rechtsanwendung berufene Organ) wendet immer nur sein Recht an: wenn das interne Recht eine Verweisung auf fremdes Recht enthält, so muß der Richter das interne Recht so ausfüllen, als ob er fremdes Rechts anwenden würde“63.
Unilateralistisch äußert sich ferner auch Kelsen selbst. Die erste greifbare Stellungnahme – noch ohne Differenzierung zwischen Sachnorm- und Gesamtverweisung – findet sich in seiner General Theory of Law and State (3. Aufl. 1949): 58
Betti, in: FS Gutzwiller, S. 233, 240. So die Terminologie etwa bei Steindorff, Sachnormen im IPR, S. 12; sowie hinsichtlich der vergleichbaren italienischen Konzepte bei Lindenau, Die Einführung des Renvoi in das IPR Italiens, S. 69 ff. 60 Vgl. oben S. 17 (Zitat von Ihering, der Zweck im Recht, Bd. I, S. 250 f.) 61 Wengler, in: FS Laun, S. 719, 726 f. 62 Stöcker, JR 1965, 456, 458. 63 V. Olshausen, in: FS Mühl, S. 471, 485 (Hervorhebung im Original). 59
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
„The norm applied by the organ of the State is valid for the sphere of validity of the State’s law only if its application is prescribed by that law. With reference to its reason of validity it is a norm of the legal system of that State. The rule obliging the courts of a state to apply norms of a foreign law to certain cases has the effect of incorporating the norms of the foreign law into the law of this State. Such a rule has the same character as the provision of a new, revolution-established constitution stating that some statutes valid under the old, revolution-abolished constitution should continue to be in force under the new constitution. The contents of these statutes remain the same, but the reason for their validity is changed. The making of such ,reference‘ is but an abriged legislation. Likewise the norms of so-called private international law prescribing the application of norms of a foreign law to certain cases ,refer‘ to norms of another legal system instead of reproducing the contents of these norms. The norm of a foreign law applied by the organ of a State is ,foreign‘ only with respect to its contents. With respect to the reason for its validity it is a norm of the State whose organ is bound to apply it. Strictly speaking, the organ of a State can apply only norms of the legal order of its own state“ 64.
Hieran wird klar, welche ideengeschichtliche Zäsur Ossenbühls Aufsatz über die dynamische Verweisung65 dargestellt haben muss, wenn selbst eine Ausnahmeerscheinung wie Kelsen den dynamischen Charakter des IPR entweder gar nicht wahrnimmt oder für nicht bemerkenswert hält. Denn die Anordnung der „Fortgeltung“ vorkonstitutionellen Rechts durch eine neue Verfassung, mit der Kelsen das IPR kurzerhand gleichsetzt, ist im Gegensatz zu unserem Kollisionsrecht notwendig statischer Natur. Kelsen wiederholt seinen unilateralistischen Ausgangspunkt in seiner Reaktion auf den Maridakis-Bericht zum renvoi (1957) noch einmal in ähnlicher, französischer Fassung66: „L’organe d’un Etat ne peut appliquer que les normes de son propre droit national“.
Bedauerlicher Weise nutzt er diese Stellungnahme zum renvoi nicht zu vertiefter Betrachtung desselben, sondern bezeichnet die Technik schlicht als mögliche Positivierung: „Si l’on admet qu’il n’y a pas des justice absolue, on ne peut pas arguer d’une prétendue incompatibilité avec l’idée de justice pour exclure la possibilité de prescrire, dans une règle de droit international privé, de tenir compte non seulement du droit matériel, mais aussi du droit international privé d’un autre Etat“67.
Die Entscheidung zwischen Sachnorm- und Gesamtverweisung in den Bereich der Rechtspolitik verweisend68, unterlässt Kelsen jeden Versuch einer rechtstheoretischen Differenzierung zwischen den beiden Figuren.
64
Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244. Ossenbühl, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, in: DVBl. 1967, 401. 66 Vgl. Kelsen, Annuaire de l’Institut de Droit International 47 II (1957), S. 115, 119 f. 67 Kelsen, Annuaire de l’Institut de Droit International 47 II (1957), S. 115, 122. 68 Kelsen, Annuaire de l’Institut de Droit International 47 II (1957), S. 115, 121 ff. 65
B. Die Diskussion spezifisch zum IPR
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Aus dem Gedanken der Territorialhoheit leitet ferner Kralik ab, dass Kollisionsrecht Rechtserzeugungsrecht sei: „Man muss sich überhaupt davor hüten, die Kollisionsnormen als über die Kompetenzverteilung zwischen in- und ausländischem Recht anzusehen. Zu einer derartigen Kompetenzverteilung fehlt dem inländischen Gesetzgeber jede Befugnis. Diese Verteilung ist ihm durch das Territorialsystem des Völkerrechts bereits vorgegeben, wonach jeder Staat die auf seinem Gebiete eintretenden Rechtsfolgen eines Tatbestandes regelt. Daher fehlt auch dem ausländischen Gesetzgeber jede Kompetenz, die von ihm statuierten Rechtsfolgen auf fremdes Gebiet auszudehnen. Deshalb kann die ausländische Norm bei Anwendung im Inland ihre Rechtsnatur nicht aus dem Gesetzesbefehl des ausländischen Gesetzgebers schöpfen. So stellt sich die Kollisionsnorm als Rechtserzeugungsregel dar, durch die eine im Ausland tatsächlich vorhandene Norm für das Inland Rechtsqualität erhält, also zur Rechtsnorm wird. Es erhält also die ausländische Norm die Kraft, Rechtsmaßstab zu sein, allein vom inländischen Gesetzgeber. Damit wird sie trotz ausländischer Herkunft inländisches Recht“ 69.
Zum Ergebnis der Inkorporation ausländischer Rechtssätze in deutsches Recht kommt schließlich auch Knittel (1962) in seiner Dissertation über „Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR“ auf der Grundlage der Prämisse, dass Anwendung ausländischen Rechts nur in Betracht komme, wenn die durch inländisches IPR herangezogenen Inhalte in der in Bezug genommenen Rechtsordnung geltendes Recht darstellen. Aus der Einschätzung, dass es im Rahmen der Angleichung/Anpassung, der Füllung von durch die Ordre-public-Kontrolle gerissenen Lücken und der Verweisung unter intertemporalen Vorgaben zur Anwendung von im Ursprungssystem nicht oder nicht mehr geltenden Rechtssätzen komme, folgert er, dass die „Wirksamkeit der ausländischen Rechtsquelle“ generell irrelevant sei70. Auch die Darstellung Knittels verzichtet auf eine Differenzierung zwischen Sachnorm- und Gesamtverweisung71.
d) Zur US-amerikanischen local law theory (Cook) Insbesondere Wenglers Parallelnormkonzept ist zwar klar von Kelsens Normverständnis beeinflusst, dürfte aber auch nicht weniger von der local law theory geprägt sein, welche der US-Amerikaner Walter Wheeler Cook Anfang des 20. Jahrhunderts unter Rückgriff auf die Ausführungen des Bundesrichters Learned Hand im Urteil Guinness v. Miller72 entwickelte. Diese zielte insbesondere auf Widerlegung der älteren vested rights theory 73 und geht davon aus, 69
Kralik, ZfRV 1962, S. 75, 79. Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 94. 71 Dies monierend Lüderitz, RabelsZ 29 (1965), S. 426, 428. 72 Vgl. die Erörterungen zu Guinness v. Miller, (1923), 291 Fed. 769, bei Cook, The Logical and Legal Bases of the Conflict of Laws, S. 26 ff. 73 Vgl. deren Ausprägung bei Beale, A Treatise on the Conflicts of Laws (1935), Bd. III, S. 1969: „A right having been created by the appropriate law, the recognition of its existence should follow everywhere. Thus an act valid where done cannot be called in question anywhere“; siehe ferner (first) Restatement of Conflict of Laws, §§ 6–8 (1934). Die vested rights 70
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
dass der amerikanische Richter bei der Berücksichtigung ausländischen Rechts nicht einem fremden Normgeber gehorche, sondern stets originär amerikanisches Recht schaffe, nämlich das ausländische Recht nachvollziehende inländische Parallelnormen: „the forum, when confronted by a case involving foreign elements, always applies its own law to the case, but in doing so adopts and enforces as its own law a rule of decision identical, or at least highly similar though not identical, in scope with a rule or decision found in the system of law in force in another state or country with which some or all of the foreign elements are connected […]“74.
Teilweise wird diese Position gar als Auslöser der amerikanischen conflicts revolution75 angesehen. Immerhin hat v. Mehren sie ausdrücklich zum Ausgangspunkt seiner Idee der „special substantive rules for multistate problems“76 erhoben und auch anderweitig betont: „From the perspective of the constitutional source of authority, courts in plural-State situations always apply local law even where the rule utilized is, in substantive terms, that of another legal order and it is axiomatic that these decisions derive their formal authority from the legal order that constituted the tribunal. In this sense, ‚every system of private international law is a system of national law‘ [F. A. Mann] and every substantive rule used by a court is a rule of local law“77.
e) Zur italienischen Diskussion aa) Universalismus, insbesondere das Konzept der Rechtsquellennormen (Ago) In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts hat besonders Ago die italienische Diskussion geprägt. Ago geht davon aus, dass das italienische Kollisionsrecht nicht in einer Doppelfunktion einerseits italienisches Sachrecht, andererseits ausländisches Sachrecht jeweils gleichermaßen im Sinne einer gedachten Zuständigkeitszuweisung an eine Rechtsordnung berufe. Vielmehr gälten die Vorschriften des italienischen Sachrechts ohne besondere kollisionsrechtliche Berufung unmittelbar und soweit, als sie nicht durch spezielles Sachrecht verdrängt würden78 – also universell, d.h. ungeachtet der internationalen Bezüge des zu entscheidenden Sachverhaltes. Kollisionsnormen begrenzten den Anwendungsbereich der nationalen Sachnormen mittelbar durch Schaffung theory wird heute allgemein als Zirkelschluss verworfen; vgl. nur Kropholler, IPR6 , § 21 I 2 a, S. 147 oder Nadelmann, in: FS Gutzwiller, S. 263, 280, jeweils m.w.N. 74 Cook, The Logical and Legal Bases of the Conflict of Laws, S. 20–21. 75 Vgl. Christian v. Bar, in: Liber memorialis François Laurent, S. 1167, 1172. 76 V. Mehren, Harvard L. Rev. 88 (1974), 347, 361. 77 V. Mehren, in: Etudes offertes à Berthold Goldman, Le Droit des Relations Économiques Internationales, S. 219. 78 Ago, Teoria del diritto internazionale privato, S. 96 ff.; ders., in: RdC 58 (1936 IV), S. 243, 296 ff.
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von materiellem (inländischen) Sonderrecht unter Inbezugnahme ausländischer Rechtsvorschriften79. Von besonderem Interesse für unsere Untersuchung ist dabei Agos dogmatischer Ausgangspunkt, wonach eine Norm nur Rechtswirkung entfalten kann, wenn sie Teil der entsprechenden Rechtsordnung ist. Mit Herauslösung aus ihrer Herkunftsrechtsordnung werde eine Norm nur noch zum schlichten Faktum, zu einer Tatsache ohne rechtliche Bedeutung80. Einem ausländischen Rechtssatz dennoch Wirkung im Inland zuzuschreiben, heiße daher notwendig, ihn als einer inländischen Rechtsquelle entspringenden Teil der inländischen Rechtsordnung einzuordnen: „Se quindi si parla di attribuzione di efficacia al diritto straniero, non sembra che con questo si possa intendere altro che attribuzione di giuridicità nell’ordinamente richiamante, e quindi, in questo senso, incorporazione del diritto straniero stesso81 / Quand on parle, par conséquent, d’une attribution d’efficacité au droit étranger, il paraît bien évident que par cela on ne peut entendre autre chose qu’une attribution de valeur juridique dans l’ordre juridique interne, ce qui ne peut se traduire que dans une incorporation du droit étranger dans l’ordre national“82.
Dafür gebe es nur zwei denkbare, in der italienischen Lehre seiner Zeit diskutierte Alternativen, nämlich die Schaffung einer mit ausländischem Recht identischen inländischen (Parallel-)Norm oder die Inkorporation ausländischer Rechtsquellen83. Ersterenfalls ergebe sich eine materielle oder rezipierende Verweisung (rinvio ricettizio; renvoi de réception)84, letzterenfalls seien Kollisionsnormen ihrerseits Normen hervorbringende Normen bzw. Rechtsquellennormen (norme sulla produzione giuridica/norme sulle fonti dell’ordinamento giuridico; normes sur la production juridique/normes sur les sources de l’ordre juridique)85. So oder so sind danach ausländische Normen bloßer Rohstoff für die Schaffung italienischer Normen86. Ago geht nun von der Einordnung als Rechtsquellennormen aus, da bei einem Verständnis von IPR als Sachnormen im Sinne einer materiellen Verweisung diese notwendig nach den Regeln des nationalen (italienischen) Rechts 79 Ago, Teoria del diritto internazionale privato, S. 98 ff.; ders., in: RdC 58 (1936 IV), S. 247, 298. 80 Ago, in: RdC 58 (1936 IV), S. 247, 302; zur Einordnung ausländischen Rechts als res facti bereits Anzilotti, Corso di diritto internazionale privato, S. 57 ff. 81 Ago, Teoria del diritto internazionale privato, S. 106. 82 Ago, in: RdC 58 (1936 IV), S. 247, 302. 83 Ago, Teoria del diritto internazionale privato, S. 108 ff. 84 Zum Grundgedanken Anzilotti, Opere II, Corso di diritto internationale, S. 58 f. (Lehrbuch des Völkerrechts, S. 43); dies ferner für das IPR annehmend Carnelutti, Teoria generale del diritto3, S. 99 ff.; Chiovenda, Principii di diritto processuale civile, S. 302 ff. 85 Davon ausgehend Ghirardini, Rivista di diritto internazionale 1919, S. 3, 17 ff.; Ago, Teoria del diritto internazionale privato, S. 101 ff.; Monaco, L’efficacia della legge nello spazio2, S. 30 ff.; Morelli, Lezioni di diritto internazionale privato2, S. 42 ff.; vgl. zur Diskussion auch Lindenau, Die Einführung des Renvoi in das IPR Italiens, S. 69 ff. 86 Lindenau, Die Einführung des Renvoi in das IPR Italiens, S. 70.
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
und damit gegenüber der ausländischen Ausgangsnorm gegebenenfalls „denaturierend“ auszulegen seien, wodurch ihnen gegebenenfalls jeder Sinn geraubt werde87. Nach seinem besonderen Verständnis der Normen des IPR als Rechtsquellennormen werden die Vorgänge einer fremden Rechtsordnung, die dort geltendes Recht hervorbringen (procedimenti di produzione giuridica), zu einer Rechtsquelle der italienischen Rechtsordnung erhoben, die als besonderes Sachrecht für internationale Sachverhalte die italienischen Sachnormen im Wege der Spezialität verdrängen88. Abschließend sei noch bemerkt, dass Ago zwar entgegen der zwischenzeitlichen Positivierung in Italien89 die Berücksichtigung des renvoi rechtspolitisch begründet ablehnte90, dieses aber nicht logisch zwingende Konsequenz aus seiner Konzeption der Rechtsquellennormen ist91.
bb) Anwendung ausländischen Rechts als ausländisches; doppelfunktionales IPR In der späteren italienischen Diskussion werden die universalistischen Standpunkte als exzessiver Formalismus92 kritisiert; insbesondere sei nicht einzusehen, warum man ausländisches Recht in ein Faktum umwandeln solle, nur damit es der italienische Richter dann doch anwende93. Zudem wird teilweise aus Art. 15 des italienischen IPR-Gesetzes – 218/95 vom 31. 5. 1995 – der die Aus– legungsmaßgeblichkeit der Rechtsordnung der in Bezug genommenen ausländischen Rechtsnormen ausdrücklich anordnet, gefolgert, dass ausländisches Recht „als ausländisches“ angewandt werde94. Ferner wird argumentiert, dass bei einer Konzeption von Kollisionsnormen als Rechtsquellennormen deren Verfassungskonformität zweifelhaft wäre, da die italienische Verfassung dazu schweige95. Freilich gemahnt eine Argumentation, welche die rechtstheoretische Einordnung einer Gestaltungsform von vornherein von der Verfassungskonformität der denkbaren Alternativen abhängig macht, an das literarische 87 Ago, Teoria del diritto internazionale privato, S. 111; ders, in: RdC 58 (1936 IV), S. 247, 306 f.; ders., Lezioni di diritto internazionale privato, S. 59. 88 Ago, in: RdC 58 (1936 IV), S. 247, 310. 89 Vgl. Art. 13 des IPR-Gesetz – 218/95 vom 31. 5. 1995; eingehend dazu Lindenau, Die Einführung des Renvoi in das internationale Privatrecht Italiens, S. 114 ff. 90 Ago, Lezioni di diritto internazionale privato, S. 150 ff: Der nationale Gesetzgeber entscheide autonom über die geeignetsten Rechtsquellen und wolle daher nur die „normalen“ Rechtsquellen der Bezugsrechtsordnung berücksichtigen. 91 So auch das Fazit aus der Kontroverse zwischen Anzilotti und Ago bei Lindenau, Die Einführung des Renvoi in das internationale Privatrecht Italiens, S. 72. 92 Vitta, Diritto Internazionale Privato, Bd. 1, S. 219. 93 Tommasi di Vignano, Lex fori e diritto straniero, S. 45 ff., 49; Vitta, Diritto Internazionale Privato, Bd. 1, S. 219 f.; dazu auch Ballarino, Diritto Internazionale Privato3, S. 285 f. 94 Carbone, Lezioni di diritto internazionale privato, S. 44 ff. 95 Vitta, Diritto Internazionale Privato, Bd. 1, S. 220.
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Vorbild Palmströms: „Nicht sein kann, was nicht sein darf“96. Man findet schließlich heute auch die Sicht, dass italienisches Kollisionsrecht zumindest jenseits reiner Inlandsfälle doppelfunktional eigenes wie fremdes Sachrecht berufe97.
f) Reaktionen der deutschen Kollisionsrechtswissenschaft auf universalistische Positionen aa) Missachtung Kelsens Die traditionelle deutsche kollisionsrechtliche Literatur, nach der ausländisches Recht in einer Rechtsfigur sui generis „als ausländisches“ angewandt wird, ohne es zu inkorporieren oder sonst inländisches Recht zu schaffen, hat Kelsens spezifische Aussagen zum IPR verblüffender Weise nicht rezipiert 98. Wie sehr sich die Protagonisten der spezifisch kollisionsrechtlichen Diskussion aber ohnehin auf einem rechtstheoretischen Feld sui generis wähnen, zeigen die Skepsis bei Lüderitz, „das IPR in Schemata der allgemeinen Rechtslehre zu pressen“99 und die vollmundige These Schurigs, es sei „jeder Versuch, die Kelsen/Merklsche Stufenbautheorie für das Verhältnis von Kollisionsnorm und Sachnorm nutzbar zu machen, zum Scheitern verurteilt“100. In bemerkenswertem Kontrast hierzu steht freilich neben dem Wenglerschen Denken in Unrechtsfolgen die bereits von Adolf F. Schnitzer 101 artikulierte Einschätzung, dass durch die kollisionsrechtliche Inbezugnahme für den konkreten Fall ein „formales Band“ zwischen der ausländischen Norm und der Grundnorm des eigenen Rechts geknüpft werde, welches sogar den „Anforderungen einer reinen Rechtslehre“ genüge. Während demgegenüber Schurig102 betont, dass die Kollisionsnorm nicht Geltungsquelle der Sachnorm sei, hat jüngst Schilf ohne Auseinandersetzung mit der besonderen Theorie von der Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“ beiläufig festgestellt, dass über die Kollisionsnormen eine durchgängige Legitimationskette im Stufenbau der Rechtsordnung hergestellt werde, wobei die Kollisionsnormen ihrem Bezugsobjekt Rechtscharakter verliehen103: Gel96
Vgl. Christian Morgenstern, Die unmögliche Tatsache, JuS 2004, 360. Näher dazu etwa Vitta/Mosconi, Corso di diritto internazionale privato e processuale5, Kap. II Nr. 12, S. 57; Vitta, Diritto Internazionale Privato, Bd. 1, S. 210 ff. 98 Immerhin werden die Aussagen Kelsens zum IPR bei Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 227, Fn. 68, zitiert. Vogel nimmt aber zur diesbezüglichen Kontroverse ausdrücklich – a.a.O., S. 235 f. – keine Stellung. 99 Lüderitz, RabelsZ 29 (1965), S. 426, 429. 100 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70. 101 Schnitzer, Handbuch des IPR4, Bd. 1, S. 191. 102 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70. 103 Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, S. 276. 97
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
tungsgrund einer von einem staatlichen Gericht nach Maßgabe des IPR dieses Staates angewandten, ausländischen Norm sei die Rechtsordnung des Forums und damit letztlich dessen Grundnorm104.
bb) Polemik (Zajtay, Goldschmidt) und Ratlosigkeit (Rabel) Auch ungeachtet der These Kelsens haben aber bereits die local law theory und die italienischen Unilateralisten einen Begründungsdruck aufgebaut, auf den die deutsche Literatur zunächst mit scharfer Polemik reagiert hat. Deren rechtstheoretischer Gehalt ist freilich mitunter wenig greifbar. So steht etwa für Zajtay, der dem Konzept der Schaffung inländischen Rechts entgegenhält, dass Kollisionsnormen kein „materielles“ Recht erzeugten, aus folgendem Grund „außer Zweifel“, dass der „rinvio ricettizio“ eine Fiktion darstelle: „Ein nationales Rechtssystem kann unmöglich alle ausländischen Normen, die in den verschiedenen Rechtsstreitigkeiten vor den einheimischen Gerichten angewandt werden, in sich aufnehmen; eine solche Rechtsordnung müßte sich wirklich in eine Art von ,boa constrictor‘ verwandeln“105.
Wer allerdings meint, Metaphern ersetzten eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des geltenden Rechts, der sei mit Goethe106 gewarnt: „Gehalt ohne Methode führt zur Schwärmerey“. Paradigmatisch für diese Gefahr steht insbesondere das Verdikt bei Goldschmidt: „Die Lehre der neuen italienischen Schule, die behauptet, daß das ausländische Recht sich durch die es herbeirufende Kollisionsnorm in inländisches verwandle, mag logisch haltbar sein, ist aber jedenfalls axiologisch eine der verhängnisvollsten Theorien, die in der schmerzensreichen Geschichte des IPR jemals vorgebracht worden sind. Die Würde des IPR beruht gerade auf der Anerkennung des Fremden als solchem. Es nur durchschlüpfen zu lassen, wenn es sich als einheimisches Recht tarnt, läuft dem axiologisch Gebotenen schnurstracks zuwider107.“
Hier wird eine notwendige Gleichrichtung der unterscheidbaren Kategorien von Gesetzesteleologie – Achtung vor fremden Rechtsordnungen – und schlichter Regelungstechnik impliziert, nicht aber begründet. „Der Gegenpol des Schwärmers ist der Positivist“108 – so ist man daher versucht, mit Zweigert zu resümieren, wenn man den Argumentationsduktus Goldschmidts mit der konsequent unmetaphysisch109 begründeten Gegenposition Kelsens110 vergleicht. 104
Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, S. 284. Zajtay, in: Die Anwendung ausländischen Rechts im IPR, S. 193, 194. 106 Goethe, Gesamtausgabe, Abteilung I Bd. 13, Maximen und Reflexionen 6.1.15. 107 Goldschmidt, in: FS Martin Wolff, S. 203, 213 f. 108 Zweigert, in: FS Raape, S. 35, 36; Zweigert zielte freilich auf „Internationalisten“ wie Zitelmann und verstand die „Nationalisten“ als Positivisten. 109 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre 2 , S. 60 ff., insb. S. 68 ff; dies als Merkmal der analytischen Rechtstheorie insgesamt einordnend Albert, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, S. 115. 105
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Letztlich erscheint die herrschende deutsche Sicht also im Kern metaphysisch antirechtstheoretisch motiviert. Denn wer die Einordnung des IPR als metaphysisch fundiert begreift, der macht daraus eine Glaubensfrage. Wenn aber die Rechtsnatur des IPR eine Glaubensfrage wird, muss Wissenschaft aufhören und muss rechtstheoretischer Agnostizismus einkehren. So bietet denn auch die Kritik Rabels an den italienischen Unilateralisten wie an der amerikanischen local law theory statt eines Argumentes nur noch eine Frage: „After all, why can the foreign rule not simply come into court without crutches? Is it not sufficient that the court’s own conflict rule orders application?“111
Jedoch gilt auch für die Rechtstheorie der Grundsatz, dass derjenige, der eine Ausnahme von der Regel behauptet, die Darlegungslast trägt112. Insbesondere Kelsen hält nun die Bindung des nationalen Gerichts an das eigene Recht für eine universelle Grundregel jeder Rechtsordnung113. Das Grundgesetz ordnet jedenfalls als Regel die Bindung der Judikative an das eigene Recht ausdrücklich an (Art. 20 Abs. 3 GG). Wer sich also für die deutsche Rechtsordnung mit Rabel auf die Position des Fragenden zurückziehen will, dem sei entgegen gehalten, dass er mit einer Frage nicht mehr ausgesagt, als dass er die rechtstheoretische Darlegung für seine Sicht schuldig bleibt.
cc) Ambivalentes Unbehagen (Beitzke, BVerfG) Der insoweit bestehende Begründungsdruck für die traditionelle These von der Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“ hat aber auch Stellungnahmen von bemerkenswerter Unschärfe provoziert. Den Ausgangspunkt Zitelmanns – Anwendung ist ein Indiz für Geltung – aufgreifend geht beispielsweise Beitzke 1952 hinsichtlich der Ausstattung ausländischen Rechts mit inländischer Sanktion einerseits traditionsbewusst davon aus, dass es „materiell“ ausländisches Recht bleibe; andererseits räumt er aber ein, dass man es als „ ,formell‘ inländisches Recht“ ansehen könne114. Dabei bleibt allerdings im Dunkeln, welche Konsequenzen Beitzke aus dieser Differenzierung ziehen möchte. Das ist insofern bemerkenswert, als einerseits Kelsen115 dieselbe Differenzierung andeutet – „foreign with respect to its contents“ – um nichtsdestotrotz die rechtstheoretische Maßgeblichkeit der „formalen“ Betrachtung mehr oder weniger selbstverständlich vorauszusetzen und andererseits v. Mehren ausdrück110
Vgl. Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244; zitiert oben S. 20. Rabel, The Conflict of Laws2, Vol. 1, S. 69. 112 Röhl, Allgemeine Rechtslehre2 , § 21 IV, S. 164 f. 113 Vgl. nur Kelsen, General Theory of Law and State, S. 243; ähnlich v. Mehren, in: Etudes offertes à Berthold Goldman, Le Droit des Relations Économiques Internationales, S. 219. 114 Beitzke, in: FS Smend, S. 1, 12. 115 Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244. 111
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
lich die Maßgeblichkeit der „formalen“ Qualität als inländisches Recht für die normative Verbindlichkeit einer Regel im Rahmen der inländischen Streitentscheidung betont: „In this process, rules are utilized whose sources are, in a substantive sense, non-local. Still, formally considered, these rules are a part of local law. It is this quality that gives them their authoritative character“ 116.
Unentschlossen muss man wohl schließlich das BVerfG nennen, das bis heute den Begriff der Geltung im Zusammenhang mit den Produkten des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls strikt vermeidet und stattdessen beispielsweise gewunden umschreibt, dass der Gesetzgeber gegebenenfalls ausländische Unterhaltspflichten insoweit: „in seinen Willen aufgenommen hat, als er durch Regelungen des internationalen Privatrechts die Durchsetzbarkeit dieser ausl. Pflichten durch Einklagbarkeit und Vollstreckbarkeit im Inland gewährleistet“ 117.
Mit welcher Präzision das BVerfG damit unmittelbar vor der entscheidenden Aussage zurückschreckt, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass etwa Cook dieser Formulierung durchaus zustimmen, sie aber wie folgt ergänzen würde: „The forum thus enforces not a foreign right but a right created by its own law“118.
g) Folge: Stillstand der Rechtstheorie des IPR Dass der Einschätzung Lüderitz’, für den die „Zweigleisigkeit von ,Gelten‘ und ,Anwenden‘“ einen „dunklen Fleck in der Theorie des IPR“119 darstellt, auch heute noch volle Berechtigung zukommt, ist nach alledem kein Zufall. Die metaphysisch überformte, traditionelle Herangehensweise der Kollisionsrechtswissenschaft hat sich vielmehr selbst die Aufklärungsmittel für ihren dunklen Punkt dadurch genommen, dass sie kurzerhand die Entwicklungen der Rechtstheorie im 20. Jahrhundert für a priori unmaßgeblich erklärt. Dabei unterlässt sie nicht nur seit Jahrzehnten den präzisen Rekurs auf eine zu Grunde gelegte Anschauung über den Begriff des inländisch geltenden Rechts. Vielmehr wird der juristischen Geltungslehre etwa von Lüderitz120 unterstellt, sie sage über die Geltungsquelle ebenso wie über den räumlichen Geltungsbereich der Norm gar nichts aus.
116 V. Mehren, in: Etudes offertes à Berthold Goldman, Le Droit des Relations Économiques Internationales, S. 219. 117 BVerfG, FamRZ 2005, 1813, 1815. 118 Cook, The Logical and Legal Bases of the Conflict of Laws, S. 21. 119 Lüderitz, RabelsZ 29 (1965), S. 426, 428 f. 120 Lüderitz, RabelsZ 29 (1965), S. 426, 427.
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In dieser rechtstheoriefeindlichen Atmosphäre musste die Beschäftigung mit der Frage nach der rechtstheoretische Natur der Anwendung ausländischen Rechts im Inland geradezu notwendig zum Stillstand kommen. Bereits 1989 hat denn auch Christian v. Bar konstatiert, dass die selbständige Auseinandersetzung mit dieser Frage, die zwischen der Mitte des 17. und der Mitte des 20. Jahrhunderts immer wieder die Schaffenskraft ganzer Generationen von Kollisionsrechtlern in Anspruch genommen habe, aus dem Schrifttum des ausgehenden 20. Jahrhunderts mehr und mehr verschwinde121. In Abhandlungen über die Anwendung ausländischen Rechts aus dem frühen 21. Jahrhundert kommt man bereits ohne jeden Hinweis hierzu aus122.
h) Der zivilprozessuale „Nebenkriegsschauplatz“ aa) Äußerungen zu den zivilprozessualen Aspekten Die Frage der Natur der Anwendung fremden Rechts ist ferner ein Gesichtspunkt der zivilprozessualen Behandlung der Inbezugnahme ausländischen Rechts durch das deutsche Kollisionsrecht. Sie ist insbesondere für die Frage beachtlich, ob die fehlerhafte Anwendung einer durch deutsches IPR berufenen ausländischen Rechtsnorm die Revision begründen kann, oder ob dieser hierfür die nach § 545 ZPO (bzw. nach ihren Vorläufern) erforderliche Eigenschaft als Bundesrecht (bzw. Reichsrecht) fehlt. Die auf den ersten Blick nahe liegende Konsequenz der herrschenden Sicht unter den Kollisionsrechtswissenschaftlern ist die Verneinung der Revisibilität123. Dies war bereits die Sicht des Reichsgerichts124 und ist heute noch dogmatischer Ausgangspunkt des BGH125. Allerdings wird in jüngerer Literatur nicht zuletzt wegen der Anwendbarkeit auch grundsätzlich nicht revisibler Rechtssätze bei deren Nichtbeachtung durch das Berufungsgericht gemäß § 560 ZPO durchaus angedacht, vom Postulat der Nichtrevisibilität der Anwendung ausländischen Rechts generell Abstand zu nehmen126. Außerdem behandelt das BAG ausländisches Recht im arbeitsgerichtlichen Verfahren als voll revisibel127. Ferner ist argumentiert worden, aus § 293 ZPO folge der fehlende Charakter ausländischen Rechts entweder überhaupt als Recht im Sinne der ZPO (gegebenenfalls unter Einordnung als Tatsache) oder zumindest als inländisches 121
Christian v. Bar, in: Liber memorialis François Laurent, S. 1167. Vgl. nur aus 2003 Lindacher, in: FS Beys, Bd. 2, S. 909 ff. 123 So etwa Müller, in: Die Anwendung ausländischen Rechts im IPR, S. 66, 74; einen notwendigen Zusammenhang zwischen der Einordnung des IPR und zivilprozessualen Fragen betonend auch Ferid, in: FS Dölle, Bd. II, S. 119, 132 f.; kritisch demgegenüber etwa Kropholler, IPR6 , § 59 I 3,S. 646 f. 124 Vgl. RGZ 3, 203, 205; 10, 113, 115. 125 Vgl. nur BGH, WM 1977, 1322; NJW 2002, 3335 ff. 126 Pfeiffer, NJW 2002, 3306, 3308; vgl. ferner Kropholler, IPR6 , § 59 I 3,S. 646 f. 127 BAG, MDR 1975, 874, 875. 122
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Recht128. Freilich war auch dies nie unstreitig. Zitiert sei hier die Begründung für die Gegenansicht in einem frühen Aufsatz von Peter Klein über die Revisibilität des IPR (1903): „Erklärt er [der Staat] aber durch diese Verweisung die Rechtsordnung des fremden Staates für unsern deutschen Richter für verbindlich und legt er diesen „ausländischen“ Normen reichsrechtliche Wirksamkeit bei, so erhebt er die ausländischen Rechtsordnungen durch diese Verweisung zum Reichsgesetz“129.
bb) Unbeachtlichkeit der ZPO für unsere Fragestellung Für die weitere Untersuchung kann eine Betrachtung der zivilprozessualen Implikationen der Anwendung ausländischen Rechts unterbleiben, weil aus diesen für die Frage nach der Rechtsnatur des kollisionsrechtlichen Befehls zur Anwendung fremden Rechts nichts folgt. Dies gilt nicht nur einfach deshalb, weil derselbe Begriff bei Verwendung in unterschiedlichen Normzusammenhängen durchaus unterschiedlich ausgelegt werden kann und weil die besondere Teleologie der genannten prozessualen Normen nicht von der Qualifikation der „Anwendung“ ausländischen Rechts abhängt130. Vielmehr beruht der auch nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ungebrochen weiter vertretene Ansatz, aus der Annahme fehlender Revisibilität auf die fehlende Eigenschaft des Produkts der Inbezugnahme fremden Rechts als Bundesrecht zu schließen131, auf einem Denkfehler: Die rechtsdogmatische Einordnung von Akten des „einfachen“ Gesetzgebers (insbesondere EGBGB) und von „einfachem“ Gewohnheitsrecht (ungeschriebene Regeln des IPR) als Grundlage der verfassungsrechtlichen Kontrolle kann nicht vom in weiteren Rechtsakten (ZPO) ausgedrückten Willen des einfachen Gesetzgebers abhängen. Mit anderen Worten folgt aus einer Regelung der ZPO nichts für die Natur der kollisionsrechtlichen Inbezugnahme fremden Rechts. Vielmehr hängt umgekehrt von der Natur dieser Inbezugnahme ab, wie die ZPO im Rahmen der Verfassung ausgestaltet werden kann. Ebenso wenig wie aus dem Gesichtspunkt der Revisibilität kann daher für unsere Frage etwas aus der Erwägung folgen, inwieweit im Zivilprozess für die Inbezugnahme ausländischen Rechts im Rahmen des § 293 ZPO 128 Etwa Clemens, AöR 111 (1986), 63, 73; Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 75. 129 Peter Klein, Die Revisibilität des Internationalen Privatrechts, in: Z. f. internationales Privat- und öffentliches Recht (Niemeyers Z.), 8 (1903), S. 353, 364 (Hervorhebung im Original; Bemerkung in Klammern durch den Verfasser). 130 Darauf schon in erster Auflage zu Recht hinweisend Kegel, IPR1, S. 163; ferner Zajtay, in: Die Anwendung ausländischen Rechts im IPR, S. 193, 198. 131 So etwa Clemens, AöR 111 (1986), 63, 73; Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter der Geltung des Grundgesetzes, S. 27; wohl auch Frankenstein, IPR, Bd. 1, S. 252, der insoweit dem Verweis auf die die Revisibilität verneinende Rechtssprechung des Reichsgerichts „Berechtigung“ zuspricht, auch wenn er sie aus anderen Gründen für falsch hält (Frankenstein, a.a.O., S. 294).
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der Amtsermittlungsgrundsatz greift132. Insbesondere kann entgegen einem Literaturansatz133 für die dogmatische Einordnung von Kollisionsrecht nichts daraus abgeleitet werden, wie das Prozessrecht auf das prozessuale Problem der Nichtermittelbarkeit von ausländischem Recht reagiert. Aus entsprechenden Gründen vermag die insbesondere im angloamerikanischen Rechtsraum verbreitete134, zivilprozessrechtliche Doktrin vom „foreign law as a fact“135 keine Erkenntnisse beizutragen, nach der ausländisches Recht im Zivilprozess zur Vermeidung des Grundsatzes „jura novit curia“ als Tatsache angesehen werden soll136.
3. Resümee Festzuhalten bleibt, dass die heutige deutsche Kollisionsrechtwissenschaft traditionell die „Anwendbarkeit ausländischen Rechts als ausländisches“ als Rechtsfigur sui generis behandelt, ohne eine nähere Abgrenzung gegenüber den rechtstheoretischen Kategorien dynamischer Inbezugnahme auch nur zu versuchen.
II. Der Streit um den Tatbestand der Kollisionsnorm Die Unklarheit über die Natur eines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls, welcher nicht zur inländischen Geltung der in Bezug genommenen Normsätze, sondern zur „Anwendbarkeit“ als Konzept sui generis führt, manifestiert sich mit ganzer Deutlichkeit in der bis heute geführten Kontroverse, was Tatbestand und was Rechtsfolge „der Kollisionsnorm“ sei.
132 Ausführliche Erwägungen hierzu bereits bei Dölle, in: FS Raape, S. 149, 152; vgl. ferner etwa Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, S. 112 ff. 133 Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 49 ff. 134 Zu vergleichbaren Konzepten des französischen Rechts vgl. auch Zajtay, Zur Stellung des ausländischen Rechts im französischen IPR. 135 Vertiefend hierzu North/Fawcett, Cheshire and North’s Private International Law13, S. 99; ferner auch Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, S. 111 ff. 136 Diese Lehre wird zudem vielfach als spezifisch zivilprozessuale Fiktion eingeordnet; vgl. etwa Zajtay, in: Die Anwendung ausländischen Rechts im internationalen Privatrecht, S. 193, 194; Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, S. 111.
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
1. Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungsmoment Bereits Zitelmann137 geht davon aus, dass auch die „Anwendungsnorm“ (selbständige Kollisionsnorm) „Thatbestand“ und „Rechtswirkung“ (Rechtsfolge) aufweise. Den Tatbestand unterteilt er in eine „materiellrechtliche Rechtsfrage“, beispielsweise, wie eine Frage des ehelichen Güterstandes zu entscheiden sei138 (heute spricht man von Verweisungs- bzw. Anknüpfungsgegenstand), und die „staatliche Beziehung des Falls“139 (Anknüpfungsmoment). Rechtsfolge sei die Anwendbarkeit der Rechtsordnung, auf die verwiesen wird140. Dem ist etwa Gutzwiller (1930) gefolgt141; heute vertreten beispielsweise v. Hoffmann/Thorn, dass der Tatbestand einer selbständigen Kollisionsnorm Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungsmoment aufweise142.
2. Plus Sachverhalt und Sachnormen: Von Rabel bis Kegel/Schurig Rabel 143 erhebt demgegenüber (1931) den zu entscheidenden Sachverhalt zum Tatbestandsmerkmal der Kollisionsnorm, welche die „Lebensverhältnisse“ zur rechtlichen Beurteilung zuweise und daher Tatsachen zum Gegenstand habe; ähnlich äußert sich auch Martin Wolff 144. Während nun allerdings für Rabel und Martin Wolff die in Bezug genommenen Sachnormen nicht zum „Gegenstand des IPR“ gehören, nimmt Kegel auch diese in das von ihm 1948 entwickelte, bis heute weiteste Modell vom „internationalprivatrechtlichen Sachverhalt“ auf: Der Tatbestand der internationalprivatrechtlichen Kollisionsnorm erfasse den internationalprivatrechtlichen Sachverhalt, welcher sich wie folgt zusammensetze: „1. aus einem privatrechtlichen Sachverhalt, 2. aus einem Anknüpfungsmoment, das diesen Sachverhalt mit einem bestimmten Staate verbindet, 3. aus privatrechtlichen Sachnormen, 4. aus einem Anknüpfungsmoment, das diese Sachnormen mit einem bestimmten Staate (und zwar demselben wie zu 2) verbindet“145. „Gegenstand des IPR“ seien „Sachverhalte und Sachnormen“146.
Schurig folgt grundsätzlich Kegel, präzisiert dabei aber zu 4.: Geltung des Sachrechtssatzes in diesem Rechtsgebiet als weiteres Anknüpfungsmoment147.
137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147
Zitelmann, IPR I, S. 205 ff. Zitelmann, IPR I, S. 205, 207 ff. Zitelmann, IPR I, S. 206. Zitelmann, IPR I, S. 205. Gutzwiller, Internationalprivatrecht, S. 1540. Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 4 Rn. 4. Rabel, RabelsZ 5 (1931), S. 241, 245. Martin Wolff, IPR 3, S. 2. Kegel, in: FS Raape, S. 13, 27. Kegel, in: FS Raape, S. 13, 27. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 87.
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3. Nur Anknüpfungsgegenstand (Kropholler) Wieder anders argumentiert schließlich Kropholler. Entsprechend allgemeiner Sicht ordnet er zwar den Anknüpfungs- bzw. Verweisungsgegenstand dem Tatbestand und die Anwendbarkeit fremdem Rechts der Rechtsfolgenseite zu148. Das Anknüpfungsmoment sei aber Ausdruck einer wesentlichen Entscheidung der Kollisionsnorm – ob nun für den Anknüpfungsgegenstand auf die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt oder ein sonstiges Merkmal abzustellen ist. Das Anknüpfungsmoment gehöre daher jedenfalls zur Rechtsfolgenseite, könne aber bereits in die Formulierung der Tatbestandsseite einbezogen werden149.
4. Fazit: Rechtstheoretische Unschärfe Man darf festhalten, dass die Diskussion darüber, was Tatbestand und was Rechtsfolge „der Kollisionsnorm“ sei, von einer Vielfalt gänzlich unvereinbarer Ansichten geprägt ist, die symptomatisch für methodische Unschärfe ist: Wenn doch gemeinhin angenommen wird, dass die Kollisionsnorm zur „Anwendbarkeit“ fremden Rechts führt, so muss doch notwendig erst geklärt werden, was diese Anwendbarkeit ausmacht, bevor man die Kollisionsnorm rechtstheoretisch einordnen kann. Es ist widersprüchlich, durch Verweigerung einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Geltungsbegriff die hiervon verschiedene Natur der Anwendbarkeit ausländischen Rechts offen zu lassen, aber gleichwohl zu beanspruchen, Tatbestand und Rechtsfolge der Kollisionsnorm beschreiben zu können.
III. Das traditionelle Privatrechtsdogma 1. Der heutige Stand: IPR als Privatrecht sui generis Die „Unlust“ an der Dogmatik erstreckt sich, wie gesagt, auch auf die Frage der Einordnung von IPR als öffentliches oder privates Recht, welche von Kegel/ Schurig150 als „müßig“ bezeichnet wird, obwohl sie für die Ermächtigung zum Erlass des IPR maßgeblich ist. Diese Sicht der Dinge reizt freilich zu der Entgegnung, dass die Abgrenzung von öffentlichem und Privatrecht nicht müßig, sondern schlicht unmöglich ist, solange man sich nicht der rechtstheoretischen Einordnung von Kollisionsrecht versichert. Alle greifbaren deutschen kollisionsrechtlichen Quellen leiden an dieser Unschärfe, die bereits das Gesetzgebungsverfahren prägte, welches immerhin nahe legt, dass der Gesetzgeber des 148 149 150
Kropholler, IPR6 , § 13 II 2., S. 104. Kropholler, IPR6 , § 13 II 2., S. 105. Kegel/Schurig, IPR9, § 1 V, S. 23 f.
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
ursprünglichen EGBGB von einer privatrechtlichen Natur des IPR ausgegangen ist 151. Auch die heutigen kollisionsrechtlichen Stimmen ordnen das Internationale Privatrecht – abgesehen von den überwiegend so genannten Eingriffsnormen152 – dem Privatrecht zu153.
a) Staatsferne des IPR und Interessentheorie Den überkommenen geistesgeschichtlichen Hintergrund hierfür findet man etwa noch bei Christian v. Bar/Mankowski, für die das internationale Privatrecht unausgesprochen auf der Ebene der „freien, vom Staat getrennten Gesellschaft“ operiert154. Hier wird noch in Anlehnung an Savigny eine Gleichsetzung von Autonomie mit Privatrecht und von Heteronomie mit öffentlichem Recht vorgenommen. Savigny postulierte die Trennung des „allgemeinen“ IPR von den „anomalischen“ Gesetzen „streng positiver zwingender Natur“155, „aus Gründen öffentlichen Wohls“, insbesondere solche „volkswirtschaftlichen Charakters“156, die maßgeblich für das spätere Verständnis der Eingriffsnormen als öffentliches Recht gewirkt hat. Deren Eigenschaft als öffentliches Recht soll nach überkommener Sicht daraus folgen, dass sie überwiegend rechts-, wirtschafts- und sozialpolitische Ziele und damit „öffentliche Interessen“ verfolgen157. Kegel/Schurig158 stellen auf dem Boden der Interessentheorie lapidar fest:
151 So waren bei der Schaffung des BGB von 1900 kollisionsrechtliche Vorschriften zunächst im allgemeinen Teil des BGB (Vorentwurf), dann in einer „Beilage“ zum BGB (erster Entwurf), danach im 6. Buch des BGB (Zweiter Entwurf) und erst ab der Reichstagsvorlage im EGBGB vorgesehen (vgl. die Synopse von Zitelmann, Art. 7 bis 31 EGBGB, S. 4 ff.). Die erste Kommission hat die Einfügung des IPR in ein 6. Buch des BGB ausdrücklich auf die Erwägung gestützt, dass das IPR „Bestandteil des materiellen Rechts“ sei (vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB, Bd. I S. 255). Näher zum Ganzen Beitzke, Grundgesetz und IPR, S. 6. 152 Eingriffsnormen oder auch „international zwingende Bestimmungen“ sind solche Vorschriften, die ohne Rücksicht auf das im Übrigen anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln (vgl. Art. 34 EGBGB). Vgl. eingehend Kropholler, IPR6 , § 3 II, S. 18 ff. Dieser, a.a.O., § 36 I, S. 244 f., geht von einem regelmäßig öffentlich-rechtlichen Charakter der Eingriffsnorm aus. 153 Etwa Christian v. Bar, in: Liber memorialis François Laurent, S. 1167, 1178; Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2, § 3 Rn. 6; Kegel/Schurig, IPR9, § 1 V, S. 23; Fritz Sturm/Gudrun Sturm, in Staudinger2003, Einl. zum IPR, Rn. 32 m.w.N.; Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 82. 154 Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2 , § 3 Rn. 6. 155 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, S. 33. 156 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, S. 36. 157 Im Sinne einer solchen Interessenbetrachtung vgl. nur jüngst Mankowski, RIW 2006, 321, 326 f. 158 Kegel/Schurig, IPR9, § 1 V, S. 23 f. (Hervorhebung im Original).
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„Das IPR dient überwiegend den Interessen der einzelnen, weil es dazu beiträgt, einen privaten Rechtsfall angemessen zu entscheiden, indem es unter den zur Verfügung stehenden die richtige Rechtsordnung auswählt (…) Es ist deswegen Privatrecht, wenngleich es anderen Interessen der einzelnen dient, als das materielle Privatrecht.“
Beide Argumentationslinien sind freilich bereits ohne nähere Einordnung des Kollisionsrechts angreifbar.
b) Kritik aa) Der Gedanke der Trennung von Staat und freier Gesellschaft Für Savigny als „Vater des modernen IPR“ ist das Recht nicht ein gezieltes Einwirken auf die Wirklichkeit im Sinne moderner Gesetzgebung, das der Legitimation aus einer Gestaltungsaufgabe bedarf, sondern eine sich organisch entwickelnde, „sich selbst geschichtlich entfaltende Größe“159. Schöpfer des Rechts ist der Volksgeist160. Aufgabe des Gesetzgebers ist daher nicht die kreative Neuschaffung, sondern „das gemeinsame Bewusstsein des Volkes“ zu formulieren und zu ergänzen161. Die von Kantscher Vernunftethik beeinflusste Grundüberzeugung von der Freiheit des Individuums zur Gestaltung seiner Privatrechtsverhältnisse162 liegt danach notwendig innerhalb des Rechts verstanden als „fest begränztes Gebiet individueller Freiheit, worin sie unbedingt zu herrschen hat163.“ Privatrecht und Gesellschaft sind danach untrennbar. Wo den Archetyp des Privatrechts das Gewohnheitsrecht bildet und die Neuerung durch den Gesetzgeber die Ausnahme ist, ist Privatrecht organisches Wachstum statt interventionistischer Sozialgestaltung. Ein Freiheitseingriff durch Privatrecht grenzt nach diesem Vorverständnis in der Tat an eine contradictio in re164. Bedenkt man nun, dass nach Savigny nicht nur der Volksgeist Schöpfer des Rechts ist165, sondern vielmehr „nur in dem Staat das Volk seine wahre Realität 159 Böckenförde, Die historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts, in: Collegium philosophicum, Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, S. 9, 19. 160 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I S. 14 ff.; dazu auch Böckenförde, Die historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts, in: Collegium philosophicum, Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, S. 9, 11. 161 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 11 ff. 162 Dazu eingehend Kiefner, in: FS Coing, S. 149, 167. 163 Vgl. Savignys Erste Redaction des § 52, Über das „Wesen der Rechtsverhältnisse“ für das zweite Buch des Systems des heutigen Römischen Rechts, zitiert nach Kiefner, in: FS Coing, S. 149, 155. 164 Bereits Kelsen, Grundprobleme der Staatsrechtslehre, S. 33 ff., beschreibt die besondere Nähe von Sollen und Wollen beim Gewohnheitsrecht. 165 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I S. 14 ff.; dazu auch Böckenförde, Die historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts, in: Collegium philosophicum, Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, S. 9, 11.
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
hat“166, bleibt zwar die berühmte These Vogels 167 von der notwendigen „Vorstaatlichkeit“ der Savignyschen Privatrechtskonzeption zweifelhaft. Jedenfalls aber lässt sich feststellen, dass die Volksgeistlehre das heutige Recht – auch verstanden als reales geschichtliches Phänomen – nicht erklären kann. Wer heute Privatrecht sagt, meint keine behutsame Selbstregulierung der Gesellschaft, sondern aktive Sozialgestaltung („social engineering168“) durch den Gesetzgeber169, der vermutetem Versagen der Selbstregulierung der Gesellschaft mit permanenter Intervention, z.B. in Form von der Privatautonomie entzogenem Verbraucherprivatrecht entgegentritt. Während Savigny die Zeit für die Schaffung einer Kodifikation noch nicht als gekommen ansah, begreift die zeitgenössische Rechtssoziologie gerade die Positivität des Rechts als evolutionäre Errungenschaft der bürgerlichen Gesellschaft170. Die Geltung positiven Rechts ist aber im Gegensatz zum Gewohnheitsrecht offensichtlich nicht vorstaatlich, sondern Ausdruck der politischen Entscheidung171 der zur Gesetzgebung berufenen Staatsorgane, mögen diese auch in erheblichem Umfang tatsächliche oder vermeintliche Anschauungen und Übungen ihrer in der Gesellschaft zusammengefassten Wähler reaktiv aufnehmen. Daher kann man für unsere Rechtsordnung festhalten, dass die Konkretisierung von Freiheit und – umfassender – Gerechtigkeit nicht unmittelbar aus der Volksbefindlichkeit destilliert wird. Dass jedes Recht auf Vereinbarkeit mit der Wertordnung des Grundgesetzes zu überprüfen ist, gilt auch, wenn man das Grundgesetz und insbesondere seine Freiheitsverbürgung nicht als positivistisches Axiom, sondern als Ausdruck einer überpositiven und insoweit vorstaatlichen Wertordnung begreift172. Ein Rekurs auf in der Verfassung nicht zu verortende Naturrechtsgrundsätze ist ausgeschlossen173. 166
Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, S. 14. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Kollisionsnorm, S. 206 ff., 221; dem folgend etwa Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 25 f.; hiergegen etwa Wulf-Henning Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 133 ff. 168 Grundlegend zur Idee Pound, Interpretations of Legal History, S. 141 ff. 169 Wulf-Henning Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 154. 170 Vgl. Luhmann, Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1 (1970), S. 175 ff.; einführend auch Calliess, in: Neue Theorien des Rechts, S. 57, 64. 171 Brüggemeier, in: Wirtschaftsrecht als Kritik des Privatrechts, S. 9, 23. 172 Zum überpositiven Charakter des hinter der Parteiautonomie stehenden Autonomieund Freiheitsgedankens etwa Leible, FS Jayme, 485, 488; ferner Jayme, in: RdC 251 (1995), 9, 147 ff.; zur Verortung „vorpositiver“ Werte im Grundgesetz etwa Larenz, Methodenlehre 6 , S. 122. 173 Wie hier Lecheler, Unrecht in Gesetzesform?, Gedanken zur „Radbruchschen Formel“, S. 28; vgl. auch näher die Kritik an der naturrechtlichen Kritik des Rechtspositivismus besonders mit Blick auf das Wirtschaftskollisionsrecht bei Habermeier, Neue Wege zum Wirtschaftskollisionsrecht, S. 94. 167
B. Die Diskussion spezifisch zum IPR
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Das ist entscheidend für das Verständnis des Koordinatensystems von Staat, Gesellschaft und Autonomie. Es mag dahinstehen, inwieweit der von maßgeblichen Stimmen zum IPR hochgehaltene Gedanke der Trennung von Staat und Gesellschaft und der Ferne des Privatrechts vom Staat174 tatsächlich ein Fundament in der Volksgeistlehre hat175. Wenn aber v. Bar/Mankowski feststellen, das IPR operiere unausgesprochen auf der Ebene der „freien, vom Staat getrennten Gesellschaft“ 176, so muss dem zumindest für die heutige Rechtswirklichkeit177 entschieden widersprochen werden. Soweit das zunehmend kodifizierte internationale Privatrecht Freiheit der Gesellschaft – vor allem in Form von Freiheit von zwingenden Vorschriften des eigenen nationalen Sachrechts – gewährleistet, ist es nicht „staatsfern“, sondern einfachgesetzliche Ausgestaltung der vom Grundgesetz verbürgten Freiheit. Wo es aber die Anwendung nicht dispositiven Sachrechts einer Rechtsordnung zwingend vorgibt, setzt es der Freiheit Grenzen, weil es eben nicht unmittelbar Produkt der Autonomie des Volksgeistes, sondern positiv gesetztes Recht und damit Beschränkung der Freiheit des Individuums ist. Hier kann die Verneinung der Grundgesetzkonformität von IPR zur Verteidigung der Freiheit der individualistischen Gesellschaft gegen den durch IPR eingreifenden Staat werden. Statt auf die idealisierte Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im bürgerlichen Liberalismus, als dessen Vertreter Savigny, wie gesagt, ohnehin nicht unproblematisch einzuordnen ist178, muss daher in der heutigen Rechtswirklichkeit der Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen einfachgesetzlicher staatlicher – bzw. supranationaler – Zwangsordnung auch in Form von IPR und grundrechtlich verbürgter Freiheit des Individuums gerichtet werden. Das betrifft nicht zuletzt die Frage, inwieweit die Parteiautonomie grundrechtlich fundiert ist179. Weil es zwingendes Privatrecht gibt, ist die Trennlinie zwischen Heteronomie und Autonomie entgegen Christian v. Bar/Mankowski180 auch im IPR nicht mit der Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht gleich zu setzen. Sie verläuft vielmehr zwischen international zwingendem Recht – auch durch allseitige Kollisionsnormen – und Parteiautonomie.
174
Vgl. etwa Christian v. Bar/Mankowski IPR I 2, § 3 Rn. 6. Wie gesagt, sind Volk und Staat bei Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I S. 14, kein Gegensatz, sondern hat das Volk seine Realität nur im Staat; dazu näher W. H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 134. 176 Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2 , § 3 Rn. 6. 177 Skeptisch hinsichtlich der Dichotomie von Staat und Gesellschaft schon zu Savignys Zeiten etwa Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 277. 178 Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 272. 179 Dies bereits annehmend Beitzke, Grundgesetz und IPR, S. 17; Parteiautonomie als Menschenrecht einordnend Jayme, in: RdC 251 (1995), S. 9, 148. 180 Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2 , § 3 Rn. 6. 175
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
bb) Ablehnung der Interessentheorie Der zweite Einwand richtet sich grundlegend gegen die Interessentheorie. Hier ist nicht nur die exorbitante Handhabung fragwürdig, die sie bei Kegel/Schurig erfährt – schließlich wird bislang auch nicht behauptet, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Verbandskompetenz des Bundes zum Erlass von Privatrecht) sei Privatrecht, weil die Vorschrift im überwiegenden Interesse der Einzelnen dazu beiträgt, einen privaten Rechtsfall angemessen zu entscheiden, indem sie dem Gesetzgeber im Zusammenspiel mit den Grundprinzipien der Verfassung die Schaffung der richtigen (d.h. gerechten) Privatrechtsordnung aufgibt. Am Beispiel der ZPO, die primär der unmittelbaren Durchsetzung subjektiver Rechte Privater dient181 und dennoch heute allgemein öffentlich-rechtlich qualifiziert wird182, zeigt sich vielmehr, dass die Interessentheorie, welche in der Diskussion außerhalb des IPR zur Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht zunehmend allenfalls subsidiär herangezogen wird183, heute zu Recht als ohne Relevanz überholt gilt, soweit es um die Einordnung von Normen geht184, über welche bereits die modifizierte Subjekts- bzw. Sonderrechtstheorie185 eine Aussage erlaubt. Wach186 hat in diesem Sinne bereits 1885 insbesondere dem Umstand, „dass das Prozessrecht den Zwecken des Privatrechts dient“, jede „unterscheidende Bedeutung“ abgesprochen. Auch im IPR ist die Interessentheorie nicht zielführend. Vielmehr ist bereits der Begriff des öffentlichen Interesses als unscharf zu verwerfen, weil nur Individuen Bedürfnisse und damit Interessen im ursprünglichen anthropologischen Wortsinne187 haben, während es für den Staat als bedürfnislose Abstraktion nur Allgemeinwohlziele gibt. Alles Recht dient letzt181 BGHZ 10, 333, 336; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO16 , § 1 III 1 Rn. 7; Brehm, in: Stein/Jonas, ZPO22, Einleitung vor § 1 Rn. 9 m.w.N. 182 So bereits Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Bd. 1, § 9 II, S. 114 ff.; für das heutige Meinungsbild vgl. nur Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO16 , § 1 VII Rn. 25; Brehm, in: Stein/Jonas, ZPO22, Einleitung vor § 1 Rn. 118, jeweils m.w.N. 183 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht16 , § 3 Rn. 19. 184 Burgi, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Vosskuhle, GVwR I, § 17 Rn 19 Fn. 54. 185 Entscheidend ist danach, ob ein Träger hoheitlicher Gewalt notwendig in dieser Eigenschaft berechtigt oder verpflichtet wird; vgl. etwa Burgi, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Vosskuhle, GVwR I, § 17 Rn 21. 186 Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Bd. 1, § 9 II, S. 115. 187 Hinsichtlich des Begriffs des Interesses (von lat. inter, zwischen, und esse, sein) unterscheidet bereits die Staatsphilosophie des 17. und 18. Jh. subjektive und objektive Interessen, wobei insbesondere im 18. und 19. Jh. das Verhältnis von individuellen und allgemeinen – staatlichen – Interessen in den Vordergrund rückte; näher dazu etwa Rehfus (Hrsg.), Handwörterbuch der Philosophie, Stichwort Interesse, S. 411. Als subjektive Interessen genannt werden Gewinn, Nutzen, Bedürfnisse, die man zu erringen oder zu haben glaubt, sowie die damit verbundene Aufmerksamkeit bzw. das Gefallen daran und das Streben nach Befriedigung von Bedürfnissen bzw. nach Erringung eines Nutzens. Als objektives Interesse werden die Bedürfnisse bezeichnet, die man tatsächlich besitzt – unabhängig davon, ob man sich ih-
B. Die Diskussion spezifisch zum IPR
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lich individuellen Bedürfnissen188; allein deren Befriedigung ist Maßstab für das Allgemeinwohl. Der Verfasser189 folgt insoweit also der Konzeption des Allgemeinwohls als Zielbestimmung des richtigen Ausgleichs von Individualinteressen im Sinne etwa Dahrendorfs190: Ziel des Ausgleichs von Individualinteressen sind „die größten Lebenschancen der größten Zahl“. Die Etikettierung der Allgemeinwohlorientierung einer staatlichen Maßnahme als „Verfolgung öffentlicher Interessen“ bietet nun aber keinen Erkenntnisgewinn, der die Begriffsverwirrung rechtfertigen könnte, das Ziel einer staatlichen Maßnahme – Interessenausgleich – mit dem Objekt dieser Maßnahme – Interessen – kategorial gleichzusetzen191: Es ist schlechterdings unmöglich, in einem Abwägungsvorgang („private“) Interessen gegen das Ziel des gerechten Interessenausgleichs („öffentliches Interesse“) abzuwägen. Zudem ist die für eine Maßnahme „im öffentlichen Interesse“ wohl letztlich vorauszusetzende, überwiegende Allgemeinwohlorientierung allenfalls für solche Normen plausibel, die besonders der Durchsetzung abstrakter Prinzipien dienen und die daher nur noch ganz mittelbar das Produkt einer Abwägung von Interessen darstellen. Mit darauf gestützten Begründungsansätzen könnte man aber gegen die Privatrechtsthese bei Kegel/Schurig und mit nicht geringerer Überzeugungskraft das gesamte IPR zu einem „Normenkomplex im öffentlichen Interesse“ erklären, eben weil es abstraktes Rechtsanwendungsrecht ist. In der Tat fasst Giesker-Zeller staatliches IPR unter die Kategorie der von ihm so genannten internationalen Geltungsgebietsnormen192 und sagt über diese nicht minder apodiktisch als Kegel/Schurig: „Definiert man nun das öffentliche Recht als die Summe derjenigen Regeln, die das öffentliche Interesse zum Gegenstand haben, so ist ohne weiteres klar, daß die auf den Rechtswillen eines öffentlichrechtlichen Verbandes bezüglichen Rechtsanwendungsnormen (wie namentlich Völkerrechtskompetenznormen, internationale Geltungsgebietsnormen und Autonomieregeln) öffentlichrechtlich sind193.“
Warnung ist aber vor allem der Versuch, den international zwingenden Charakter von vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich als Eingriffsnormen bezeichneten Vorschriften aus dem mit ihnen verfolgten „öffentlichen Interesse“ abzurer bewusst ist oder nicht. Zu den Problemen der Berücksichtigung objektiver Bedürfnisse etwa Höffe, Lexikon der Ethik6 , Stichwort Bedürfnis, S. 20 f. 188 Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht7, § 2 Rn. 67. 189 Insoweit gegebenenfalls als Träger eines „Erkenntnisinteresses“ nach Habermas, der davon ausgeht, dass Theorie nicht interesselos ist, sondern dass auch das Aufstellen von Theorien Zwecken und Absichten folgt; eingehend Habermas, Erkenntnis und Interesse11. 190 Dahrendorf, Auf der Suche nach einer neuen Ordnung, S. 44. 191 Vgl. auch das Verdikt über den Begriff staatlichen „Zuständigkeitsinteressen“ bei Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und zivilprozessuale Gerechtigkeit, S. 178: „Nach alledem schafft die Kategorie der Zuständigkeitsinteressen mehr Verwirrung als Nutzen“. 192 Giesker-Zeller, Die Rechtsanwendbarkeitsnormen, S. 44. 193 Giesker-Zeller, Die Rechtsanwendbarkeitsnormen, S. 76.
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
leiten, den auch der BGH jüngst unternommen hat194. Diese Argumentationslinie führt die ihr nachfolgenden Autoren mit einer Regelmäßigkeit zu gänzlich unterschiedlichen195 und daher „nicht konsensfähigen Ergebnissen“ (Weller 196), welche glänzend die These von Habermas stützt, dass Theorie nicht interesseloses Suchen nach Wahrheit ist, sondern dass auch das Aufstellen von Theorien Zwecken und Absichten folgt197: Als im besonderen „öffentlichen Interesse“ stehende Normen kann man nach diesem Ansatz im Ergebnis solche definieren, für die der BGH einen international zwingenden Charakter als angemessen erachtet. Zu Recht wird demgegenüber in jüngeren Stellungnahmen – durchaus in der Tradition Savignys198 – betont, dass nicht der vom Gesetzgeber verfolgte Sachnormzweck letzte Maßgeblichkeit für die Einordnung einer Norm als Eingriffsnorm besitzt, sondern allein ein auf international zwingende Eigenschaft gerichteter, nicht von den Regelungszwecken abhängiger Wille des Gesetzgebers, für den wiederum Sachnormzwecke nur ein Auslegungsgesichtspunkt sein können199. Die Eingriffsnorm ist also eine Regelungstechnik, aus der keine Aussage über eine notwendige Natur des mit ihr im Einzelfall verfolgten Regelungsziels gefolgert werden kann. Dass schließlich die Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht eine Frage der Einordnung der gewählten Regelungstechnik und diese ihrerseits gerade abstrakt von der Frage des hiermit verfolgten Zieles ist, wird zunehmend erkannt: Während das BVerwG in ständiger Rechtsprechung200 feststellt, dass der Staat sich bei der Verfolgung „öffentlicher Interessen“ durchaus der Formen des Privatrechts bedienen kann, verweist umgekehrt Schack201 für das
194 BGH XI ZR 82/05, NJW 2006, 762, 2. Erwägungsgrund: „Zwingende Normen im Sinne des Art. 34 EGBGB sind Bestimmungen, die beanspruchen, einen Sachverhalt mit Auslandsberührung ohne Rücksicht auf das jeweilige Vertragsstatut zu regeln. Diese Voraussetzung erfüllen nur Vorschriften, die nicht nur dem Schutz und Ausgleich widerstreitender Interessen der Vertragsparteien und damit reinen Individualbelangen dienen, sondern daneben zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgen“; dem grundsätzlich zustimmend Mankowski, RIW 2006, 321, 326 f. 195 Vgl. nur die Beispiele bei Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 135 ff. und bei Mankowski, RIW 2006, 321, 328 Fn. 121. Kritik an der Linie des BGH, NJW 2006, 762, gerade auch mit Blick auf Art. 34 EGBGB üben Pfeiffer, IPRax 2006, 238, 240 f.; Schinkels, LMK 2006, 172179; Weller, NJW 2006, 1247 ff. 196 Weller, NJW 2006, 1247, 1249. 197 Eingehend Habermas, Erkenntnis und Interesse11. 198 Nach Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, S. 33, 34 f., hängt allein von der Absicht des Gesetzgebers ab, ob ein Gesetz zu denjenigen von „streng positiver, zwingender Natur“ gehört, die diese zur „freien Behandlung, unabhängig von den Gränzen verschiedener Staaten“ ungeeignet machen. 199 Etwa Pfeiffer, in: FS Geimer, 821, 825; ders., IPRax 2006, 238, 240 f.; dem folgend Schinkels, LMK 2006, 172179. 200 BVerwGE 19, 308, 312, 47, 247, 250. 201 Schack, IZPR4, Rn. 12.
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internationale Zivilprozessrecht ganz in der Tradition Wachs 202 darauf, dass zur Verfolgung privatrechtsbezogener Zwecke auch auf öffentlich-rechtliche Mittel zurückgegriffen werden kann. Die Verfolgung eines privatrechtsbezogenen Zwecks ist nach alledem für die Einordnung der Techniken des IPR als Privatrecht weder notwendig noch hinreichend. Vielmehr lassen die hier angestellten Erwägungen die These Wachs unwiderlegt, dass diesem Umstand für die Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht keinerlei Unterscheidungskraft zukommt.
c) Privatrecht mangels Beteiligung eines Hoheitsträgers Auch unter Gesichtspunkten der Subjektstheorie wird freilich eine Zuweisung des IPR zum Privatrecht unternommen. Insbesondere Neuhaus hat argumentiert, dass IPR Privatrecht sei, weil es ohne Beteiligung eines Hoheitsträgers private Beziehungen regele, indem es den Anwendungsbereich verschiedener Privatrechtsordnungen abgrenze203. Für eine stichhaltige Einordnung auf dem Boden der modifizierten Subjekts- bzw. Sonderrechtstheorie204 muss freilich erst noch untersucht werden, in welcher Weise Elemente ausländischer Rechtsvorschriften durch deutsches IPR mit inländischer hoheitlicher Gewalt versehen werden, die das Substrat jeder Subjektsqualität als Hoheitsträger ist. Hier kann nur wiederholt werden, dass eine Einordnung von IPR in die Kategorien von öffentlichem und privatem Recht nicht gelingen kann, solange man sich nicht seiner präzisen rechtstheoretischen Einordnung versichert. Hierfür ist wiederum zunächst das Augenmerk darauf zu richten, dass IPR und Kompetenzrecht zumindest parallele Strukturen aufweisen.
2. Die alternativen Konzepte in historischer Einordnung a) Vom Kompetenzrecht zum kompetenzrechtlichen Tertium Mit der „Entdeckung“ der Nationalstaaten wurde auch die Frage nach der Abgrenzung der Geltungsbereiche der verschiedenen nationalen Rechtsordnungen virulent. Insbesondere gegen Ende des 19. Jahrhunderts suchten Kollisionsrechtswissenschaftler vornehmlich nach einer völkerrechtlichen Lösung für die Frage nach dem anwendbaren Recht. Maßgeblich war dabei die Vorstellung, dass nach völkerrechtlichem IPR abgrenzbar sei, ob die Hoheitsgewalt des einen oder des anderen Staates zur Geltung komme205. 202
Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Bd. 1, § 9 II, S. 115. Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2, § 1 III, S. 5; ebenso etwa Hess, Intertemporales Privatrecht, S. 327; Fritz Sturm/Gudrun Sturm, in Staudinger2003, Einl. zum IPR, Rn. 32. 204 Entscheidend ist danach, ob ein Träger hoheitlicher Gewalt notwendig in dieser Eigenschaft berechtigt oder verpflichtet wird; vgl. etwa Burgi, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Vosskuhle, GVwR I, § 17 Rn 21. 205 So die Vorstellungswelt bei Ludwig v. Bar, Theorie und Praxis des internationalen 203
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Wenn ein Staat nun ausländisches Recht für anwendbar erklärt, heißt das nach dieser Vorstellung, dass er hierzu seiner Hoheitsgewalt Grenzen setzt. Eine Rechtsordnung „für anwendbar erklären“ bedeutet nach Zitelmann, zu erklären, dass diese Rechtsordnung und damit der Staat, der Subjekt dieser Rechtsordnung ist, Gewalt über Personen bzw. ein Gebiet habe206.
aa) Rechtsanwendungs- bzw. Grenzrecht als Kompetenzrecht (Ludwig von Bar) Mit der völkerrechtlichen Konzeption ging ein Verständnis von IPR als Kompetenzrecht einher. So formulierte etwa Ludwig v. Bar 207 (1889): „Das internationale Privatrecht bestimmt die Competenz der Gesetzgebung der einzelnen Staaten für die privaten Rechtsverhältnisse“.
Ludwig v. Bar sah das IPR als selbständig gegenüber dem Recht der Einzelstaaten an 208. Den Gedanken des Kollisionsrechts als „Zuständigkeitsverteilers“209 prägt immer noch die herrschende Sicht vom IPR als Inbegriff der die maßgebliche Rechtsordnung bestimmenden Normen („Zuständigkeitstheorie“210). Dezidierte Folgerungen über die Rechtsnatur des IPR ziehen aus einer zuständigkeitsbezogenen Sichtweise Schmid, Zitelmann und Gutzwiller.
bb) Öffentlich-rechtlicher Charakter mangels materiellen Gehalts (Schmid) Bei Schmid 211 heißt es: „Allein, daß privatrechtliche Gesetze den Gegenstand der Untersuchung bilden, gibt der Lehre noch nicht selbst einen privatrechtlichen Charakter; es handelt sich dabei nicht um den Inhalt der Gesetze, die in Anwendung zu bringen sind, um die Art und Weise, wie die die rechtlichen Verhältnisse von Privatpersonen regeln, sondern es soll untersucht werden, welchen concurrierenden Gesetzgebungen in gewissen Fällen die entscheidenden Normen zu entnehmen sind. Es sind also Acte der gesetzgebenden Gewalt, für die wir die Grenzen der Wirksamkeit bestimmen wollen, und darüber müssen nothwendig Grundsätze des öffentlichen Rechts entscheiden.“
Privatrechts2, Bd. I, S. 1 ff.; Zitelmann, Geltungsbereich und Anwendungsbereich der Gesetze. Zur Grundlegung der völkerrechtlichen Theorie des Zwischenprivatrechts Zitelmann, in: FS Bergbohm, S. 207 ff. 206 Zitelmann, IPR I, S. 199 f. 207 Ludwig v. Bar, Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts 2 , Bd. I, S. 1. 208 Ludwig v. Bar, Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts 2 , Bd. I, S. 6. 209 So der Begriff bei Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 77. 210 So der Begriff bei Steindorff, Sachnormen im IPR, S. 12. 211 Schmid, Die Herrschaft der Gesetze nach ihren räumlichen und zeitlichen Grenzen, Einl. S. 2 (Hervorhebung im Original).
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cc) Öffentlich-rechtliche Rechtsanwendungsnorm (Zitelmann) Zitelmann, der einerseits von der Existenz völkerrechtlichen IPR ausgeht212, andererseits aber nationale Regelungen hierzu schon als autonom gesetztes, innerstaatliches Recht begreift, schreibt 1897: „Denn die Anwendungsnorm grenzt die Herrschaft der einen materiellen Rechtsordnung gegen andere oder mehrerer untereinander ab, sie regelt die Anwendbarkeit der Rechtsordnungen, setzt also deren Dasein als ihr Objekt bereits voraus und kann darum nicht selbst materielles Recht sein (…) Ist die Anwendung aber nicht Norm des materiellen Privatrechts, so ist sie überhaupt nicht Norm des Privatrechts, denn ein anderes als das materielle Privatrecht giebt es nicht. Und daraus ergiebt sich: da sie nicht Völkerrecht und nicht Privatrecht ist, kann sie nur innerstaatliches öffentliches Recht sein (…) Eine Rechtsordnung für anwendbar erklären, heißt in jedem Fall: erklären daß diese Rechtsordnung und damit dieser Staat, der Subjekt der Rechtsordnung ist, Gewalt über solche Personen, solches Gebiet habe. Jede Anwendungsnorm ist mithin, mag das dem, der sie schafft, auch nicht bewußt sein, ihrem eigentlichen Grundinhalt nach eine Erklärung des Staats über die Grenzen der Gesetzgebungsgewalt in privatrechtlichen Dingen, die ihm selbst oder die anderen Staaten zukommt“213.
Auch die Monographie Giesker-Zellers über die Rechtsanwendbarkeitsnormen (1914), die das staatliche IPR dem Staatsrecht zuschlägt214, ist von diesem Ansatz Zitelmanns mehr noch als durch Ludwig v. Bar maßgeblich geprägt. 1919 freilich relativiert Zitelmann – wohl auch als Reaktion auf die Kritik Kahns (dazu sogleich unten S. 46) – seine Sicht vom numerus clausus der Kategorien Privat-, öffentliches und Völkerrecht, der nur für das Sachrecht erschöpfend sein könne, um das Kollisionsrecht als „Recht über Privatrecht“ nur noch als dem öffentlichen Recht des Staates und dem Völkerrecht „nahe stehendes“ zu bezeichnen 215.
dd) IPR als Tertium (Gutzwiller) Gutzwiller 216 schreibt 1930: „Die in Deutschland (…) herrschende Meinung sieht im IPR. Abgrenzungsrecht („Grenzrecht“). Seine Vorschriften treten als „Grenznormen“ den Sachnormen gegenüber. Sie sind Zuständigkeitsbestimmungen. Die Aufgabe besteht ausschließlich in der möglichst korrekten Aufteilung der Bereiche der einzelnen Privatrechtsordnungen. Diese Lehre tritt einerseits auf bald in materiellrechtlicher, bald in prozessualer Fassung. Danach enthalten die IPR.-Normen Inanspruchnahme bezw. Gewährung von Gesetzgebungsmacht in privatrechtlichen Dingen oder Ordnung der Voraussetzungen für die Anwendung des
212 Vgl. dazu Zitelmann, Geltungsbereich und Anwendungsbereich der Gesetze, Zur Grundlegung der völkerrechtlichen Theorie des Zwischenprivatrechts Zitelmann, in: FS Bergbohm, S. 207 ff. 213 Zitelmann, IPR I, S. 199 f. (Hervorhebung im Original). 214 Giesker-Zeller, Die Rechtsanwendbarkeitsnormen, 77 ff., 88 f. 215 Zitelmann, in: FS Bergbohm, S. 207, 218 f. 216 Gutzwiller, Internationalprivatrecht, S. 1537.
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
eigenen bezw. fremden Privatrechts; beides unter dem Gesichtspunkte der staatlichen Kompetenz“.
Der mit dem IPR nicht vertraute Spezialist für öffentliches Recht dürfte nach diesen Ausführungen eine Einordnung des Kollisionsrechts als öffentliches Recht naheliegend finden. Doch Gutzwiller steht auf dem Boden der Subjektions- bzw. Subordinationstheorie217: Gegen eine Zuordnung zum öffentlichen Recht führt er das Fehlen des „typisch publizistischen Substrats“ an, die er in der Regelung des Verhältnisses öffentlicher Verbände zu den Staatsbürgern „auf dem Boden der Über- und Unterordnung“ sieht 218. Dennoch sieht er sich außerstande, das IPR als Privatrecht zu begreifen, sondern folgert nach weiteren Erwägungen ähnlich dem späten Zitelmann: „Demnach gehört das IPR., ohne Privatrecht zu sein, doch zum Privatrecht“219.
ee) Zur Kritik insbesondere Beitzkes und zum Gegenkonzept bei Ago und Wengler Die völkerrechtlich determinierte, kompetenzrechtliche Sicht des IPR vermochte sich indes nicht durchzusetzen 220. Heute werden nur noch völkerrechtliche Mindestanforderungen an die Ausgestaltung eines nationalstaatlichen IPR – skeptisch – diskutiert221. Der Bundesgesetzgeber nimmt nach aktueller Vorstellung mit dem Befehl der Anwendung ausländischer Normen durch unser innerstaatliches IPR nicht seine Hoheit als Regelungssubjekt zurück, um die für anwendbar erklärten Normen fremder Staaten kraft deren Subjekthoheit gelten zu lassen, sondern nimmt vielmehr die eigene organschaftliche Gesetzgebungskompetenz für den verbandskompetenten Bund wahr, indem er autonom darüber entscheidet, welche ausländischen Rechtsvorschriften in welchem Umfang befolgt werden sollen. Das BVerfG hat diese Frage zwar in seiner Spanierentscheidung222 mit dem Hinweis darauf offen gelassen, dass jedenfalls die Anwendung ausländischen Rechts durch deutsche Behörden und Gerichte Ausübung deutscher Staatsgewalt bedeutet. In dem in der Einleitung zitierten Nichtannahmebeschluss von 2005 spricht es aber darüber hinausgehend auch davon, dass der deutsche Gesetzgeber „in ausländischem Recht vorgesehene 217 Nach dieser insbesondere vom Reichsgericht (RGZ 167, 281, 284 f.) vertretenen Theorie ist die entscheidende Frage, ob die zu beurteilende Rechtsnorm eine Unterordnung des Bürgers gegenüber dem Staat bewirkt; vgl. näher etwa Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht7, § 2 Rn. 68. 218 Gutzwiller, Internationalprivatrecht, S. 1536. 219 Gutzwiller, Internationalprivatrecht, S. 1538. 220 Aus den letzten Jahrzehnten finden sich an Souveränitätserwägungen orientierte Stellungnahmen bei Schnorr von Carolsfeld, in: FS Beitzke, S. 697 ff., und Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter Geltung des Grundgesetzes, 32 ff. 221 Vgl. hierzu eingehend Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2 , § 3 Rn. 8 ff. 222 BVerfGE 31, 58, 74.
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Pflichten“ in seinen Willen aufnimmt, soweit er deren Einklagbarkeit und Vollstreckbarkeit im Inland über deutsches Kollisionsrecht anordnet223. Die entscheidende Kritik am Verständnis von IPR als völkerrechtliches Kompetenzrecht hat neben Kralik224 besonders pointiert Beitzke 225 vorgetragen: Ein Staat könne nur seine eigenen Zuständigkeiten definieren, nicht aber die Zuständigkeiten fremder Staaten untereinander abgrenzen. Ein sich in innerstaatlichen Kompetenzvorschriften erschöpfendes IPR sei daher nur als einseitiges, d.h. nur den räumlichen Anwendungsbereich des eigenen Rechts bestimmendes, denkbar226. Der erste Satz ist wahr: Deutsches Kollisionsrecht kann nicht die völkerrechtlichen Kompetenzen der USA und der Volksrepublik China gegeneinander abgrenzen. Der zweite Satz ist hingegen nur richtig, soweit man ihn auf Kompetenzen von Staaten als Regelungssubjekten bezieht. Ausgehend von einer Hoheitsausübung durch das Subjekt Bundesrepublik Deutschland ist demgegenüber durchaus denkbar, dass der Bund als Inhaber der Verbandskompetenz ausländischen Hoheitsträgern bzw. dessen Organen inländische Hoheitsgewalt in Form von organschaftlicher Gesetzgebungskompetenz für den Bund zuweist und so ein allseitiges, nationales Kollisionsrecht auf der Basis „rein innerstaatlicher“ Kompetenznormen schafft. Auf dem Gedanken der Einbindung ausländischer Vorgänge in die innerstaatliche Organisation beruht nicht nur im Grundsatz die bereits dargestellte227 Position Agos, der die Normen des italienischen IPR deswegen als von ihm so genannte Rechtsquellennormen nicht nur allgemein dem öffentlichen Recht, sondern spezifisch dem Verfassungsrecht zuordnet 228. Auch Wengler denkt in solchen Kategorien: „Möglich ist aber, wie gesagt, auch daß die Verweisung sich richtet auf den jeweiligen Inhalt einer Quelle eines bestimmten Rechtserzeugungssystems; denkbar ist also, daß ein Satz der Rechtsordnung A das Organ XY ermächtigt, Rechtsnorminhalte, die für die Rechtsordnung A bestimmt sind, zu setzen, obwohl das Organ XY zunächst nur durch das der Rechtsordnung B zugeordnete Rechtserzeugungssystem für die Rechtserzeugung innerhalb der Rechtsordnung B eingerichtet worden ist und nur als Organ der Rechtsordnung B auch in der verweisenden Norm bezeichnet werden kann“229.
223
BVerfG, FamRZ 2005, 1813, 1815. Kralik, ZfRV 1962, 75, 79. 225 Beitzke, in: FS Smend, S. 1, 8. 226 Bemerkenswerterweise geht Frankenstein, IPR, Bd. 1, S. 46, tatsächlich davon aus, dass IPR darauf beschränkt sei, durch einseitige Sätze die Grenzen der Herrschaft der eigenen Rechtsordnung über diejenigen, die ihr „angehören“, zu benennen. 227 Vgl. oben S. 22 ff. 228 Vgl. Ago, Teoria del diritto internazionale privato, S. 115; ders., in: RdC 58 (1936 IV), S. 243, 309. 229 Wengler, in: FS Laun, S. 719, 735. 224
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
Was Wengler hier entfaltet, lässt sich auch kurz zusammenfassen als Konzept der internationalen Organleihe230. Die Kritik insbesondere an Zitelmann war freilich vielfältiger und initiierte die deutsche Vorstellung vom Privatrecht sui generis.
b) Die Entwicklung des Dogmas vom „nicht materiellen“ Privatrecht sui generis aa) Zugehörigkeit zum Privatrecht „wie der Rahmen zum Bilde“ (Kahn) So brandmarkte bereits Kahn231 1898 den Satz, dass es nur „materielles“ Privatrecht gebe, als einer petitio prinicipii nahe stehend und stellte – wohl den späten Zitelmann beeindruckend – fest, dass Kollisionsnormen kein öffentliches Recht sui generis, sondern allenfalls „überhaupt ein Recht sui generis“ darstellen könnten. Sie verhielten sich zum Privatrecht „wie der Rahmen zum Bilde“; ihre Zuordnung zum Privatrecht sei daher „natürlicher und zweckmäßiger“232. Dies ist aber vor dem Hintergrund zu sehen, dass Kahn die Beachtung fremden Kollisionsrechts entschieden ablehnte, die er durchaus als Regelung der Weitergabe von Gesetzgebungskompetenz bzw. als Frage der Kompetenzabgrenzung begriff233. Für die privatrechtliche Einordnung des renvoi bietet er daher keine Autorität.
bb) Bürgerliches Recht unter dem Gesichtspunkt des Raumes (Frankenstein) Die Fortführung dieser Sicht Kahns bietet Frankenstein (1926), der sie freilich nicht auf die Sachnormverweisung beschränkt. Für ihn ist Kollisionsrecht nichts anderes als die Definition eines räumlichen Anwendungsbereichs des Zivilrechts. „Das Grenzrecht des bürgerlichen Rechts, das wir kurz Grenzrecht ohne jeden Zusatz nennen, ist also nichts anderes als eine systematische Zusammenfassung aller räumlichen Beziehungen dieses bürgerlichen Rechts, es ist das bürgerliche Recht selbst unter dem Gesichtspunkt des Raumes […] Es gibt kein Recht, das nicht sein Grenzrecht hätte, aber es gibt auch kein Grenzrecht ohne das dazugehörige Rechtsgebiet, eben weil es nur eine Betrachtungsweise dieses Rechtsgebiets ist“234.
Ferner ist bemerkenswert, dass Frankenstein im Rahmen der Zielsetzung, die Untrennbarkeit einer jeweiligen Rechtsmaterie von ihrem „Grenzrecht“ zu be230 Zu dieser Figur etwa Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 240 ff. 231 Kahn, IheringsJ 40 (1898), S. 1, 53 f. 232 Kahn, IheringsJ 40 (1898), S. 1, 54. 233 Kahn, IheringsJ 40 (1898), S. 1, 60 f. 234 Frankenstein, IPR, Bd. 1, S. 259 (Hervorhebung im Original).
B. Die Diskussion spezifisch zum IPR
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weisen, das Bedürfnis empfindet, die logischen Unterscheidbarkeit von Kollisions- und Sachrecht zu relativieren und der denkbaren Zuordnung zu verschiedenen Hierarchieebenen entgegenzutreten. Er fährt daher fort: „Dieser Wahrheit ist Klein sehr nahe gekommen, als er […] das Grenzrecht als eine ,äußerste Rechtsschicht‘ bezeichnete – freilich mit dem irrigen Zusatz, daß sie nicht Bestandteil der beherrschten (materiellen) Rechtsordnung sei, sondern über ihr stehe. Denn in Wirklichkeit ist das Grenzrecht nichts von der Rechtsmaterie getrenntes, gehört zu ihr, weil es die Rechtsmaterie selbst sub specie des Raumes ist“235.
cc) Kritik der These der Untrennbarkeit von Kollisions- und Sachrecht Der Gedanke der Einheit von Kollisions- und Sachrecht ist von erheblicher Überzeugungskraft für die Berufung unseres eigenen Sachrechts durch das deutsche Kollisionsrecht. Jedoch erscheint der Befehl der Anwendung fremden Sachrechts hiermit nicht mehr erklärbar, da diesem insbesondere bei der Sachnormverweisung durchaus ein räumlicher Anwendungsbereich zugewiesen werden kann, welcher ihm nach dem Kollisionsrecht seiner eigenen Rechtsordnung nicht eröffnet ist und für den es daher selbst „unter dem Gesichtspunkt des Raumes“ keine Geltung beansprucht. Eine notwendige Einheit beispielsweise von französischem Code civil und deutschem IPR lässt sich also nicht damit erklären, dass jede Norm des französischen Sachrechts notwendigerweise einen durch das französische Kollisionsrecht bestimmten internationalen Anwendungsbereich für sich in Anspruch nimmt. Der weitere Gedanke der hierarchischen Gleichordnung von Kollisionsund Sachrecht soll erst im Zusammenhang mit seiner Vertiefung bei Vogel (unten S. 48) bewertet werden.
dd) Privatrecht kraft historischen Verständnisses (Sonnenberger) Als Endpunkt der Entwicklung der kollisionsrechtlichen Diskussion sei schließlich Sonnenberger angeführt, der 1962 aus Skepsis gegenüber Interessen-, Subjekts- und Subordinationstheorie letztlich folgert, dass es sich beim Privatrecht um eine Summe von Rechtsvorschriften handele, die „nicht logisch, sondern historisch bedingt“ vom öffentlichen Recht zu unterscheiden sei236. Wer aber sagt, dass Kollisionsrecht Privatrecht sei, weil man es traditionell als solches ansehe, ergänzt gedanklich den zur gleichen Zeit geprägten Satz Kegels in einer Weise, die jede weitere Untersuchung dadurch ausschließt, dass sie das Ergebnis zur Begründung erhebt: Die Frage, ob Kollisionsrecht Privatrecht oder öffentliches Recht ist, ist müßig, weil wir es als Privatrecht ansehen.
235 236
Frankenstein, IPR, Bd. 1, S. 259. Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 22.
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
c) Die Antithese: IPR als „materielles“ Privatrecht (Kelsen) Abschließend sei noch auf die Ironie hingewiesen, dass die Vertreter der herrschenden Privatrechtsthese eine – bislang von ihnen ignorierte – Unterstützung erfahren, die ihnen gänzlich unwillkommen sein muss, weil sie das herrschenden Konzept vom „nicht materiellen Privatrecht“ sui generis negiert: Aus der Annahme, dass eine Inkorporation ausländischen Rechts erfolge, zieht Kelsen nämlich auch explizit eine Konsequenz für die Frage der Einordnung als öffentliches oder privates Recht: Aufgrund der Inkorporation fremder privatrechtlicher Normen in die Kollisionsnormen der eigenen Rechtsordnung seien die Normen des IPR selbst „materielles“ Privatrecht 237.
C. Stellungnahmen aus der Perspektive des internationalen Verwaltungsrechts I. Privatrecht kraft Hierarchieebene 1. Die These Vogels In seiner Untersuchung zum räumlichen Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm (1965) versucht Vogel, aus der Betrachtung des IPR Gewinn für das internationale Verwaltungsrecht zu gewinnen. Dabei setzt er freilich gegenüber der herrschenden Sicht der Internationalprivatrechtler wenig neue Akzente. Seine Bewertung des IPR liest sich vielmehr weitgehend als Synthese der bildhaften Replik Kahns auf Zitelmanns Folgerungen aus dem fehlenden „materiellrechtlichen“ Gehalt der Kollisionsnorm mit dem Argument mangelnder Überordnung des IPR über das materielle Privatrecht bei Frankenstein. Bemerkenswert ist allerdings, dass er weiter gehend als Frankenstein immerhin eine „logische Vorordnung“ des IPR vor das Sachrecht annimmt. Vogel begreift das IPR zwar als von ihm so bezeichnete Metarechtsordnung, die sich zum „materiellen“ Privatrecht wie Verfassungsrecht zum Gesetzesrecht verhalte238, will diese aber dennoch dem Privatrecht zuschlagen, obwohl er sie als im Verhältnis zum materiellen Privatrecht „logisch eigenständig“ anerkennt: „Gleichwohl bleiben auch die Kollisionsnormen Rechtsnormen des Privatrechts: es besteht schon deshalb kein Anlass, sie dem öffentlichen Recht zuzuordnen, weil sie im Rahmen des rechtlichen ,Geltungszusammenhanges‘ nach wie vor auf der gleichen ,Stufe‘ wie die Sachnormen des Privatrechts stehen“239.
237 238 239
Kelsen, General Theory of Law and State, S. 247. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 275 f. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 276.
C. Stellungnahmen aus der Perspektive des internationalen Verwaltungsrechts
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2. Wider eine Rechtstheorie nach Hierarchieebenen Freilich impliziert Vogel damit wie Frankenstein die bejahende Antwort auf eine fundamentale Frage, die erst einmal der Begründung bedarf. Zur Verdeutlichung soll an die von Vogel selbst vorgenommene Einschätzung angeknüpft werden, dass zwischen Vorschriften über die Gesetzgebungskompetenz im Bundesstaat und den Regeln des internationalen Privatrechts strukturelle Übereinstimmung bestehe240. Man stelle sich nun vor, der Bund würde durch einfaches Gesetz seine Gesetzgebungskompetenz für Zivilrecht an die Bundesländer delegieren. Schon im Lichte der modifizierten Subjekts- bzw. Sonderrechtstheorie241 wäre die Frage doch nicht, ob aufgrund der gewählten Hierarchieebene „kein Anlass“ bestünde, das delegierende Gesetz dem öffentlichen Recht zuzuschlagen. Vielmehr wäre erst einmal zu klären, ob der Bund dazu durch höherrangiges Recht überhaupt ermächtigt ist. Vogels Stellungnahme bleibt also die Begründung für die implizite Prämisse der Zulässigkeit der Regelungstechnik des IPR auf der gewählten Hierarchieebene schuldig. Seiner Position ist prinzipiell entgegen zu halten, dass von der Gestaltung auf einer bestimmten Hierarchieebene nicht auf die Rechtsnatur des Gestaltungsaktes geschlossen werden kann. Vielmehr muss umgekehrt die Rechtsnatur des Aktes zuerst ermittelt werden, um sagen zu können, auf welcher Hierarchieebene welche Voraussetzungen für seine Rechtmäßigkeit erfüllt sein müssen und ob die Gestaltung auf der gewählten Ebene überhaupt zulässig ist. Diese Frage ist insbesondere für den renvoi erst noch zu erörtern.
II. Von Geltung verschiedener Anwendungsbefehl 1. Zwei-Quellen-Betrachtung a) Die These Ohlers Ohler legt in seiner Habilitation zur Kollisionsordnung des internationalen Verwaltungsrechts aus 2005 die in der deutschen Kollisionsrechtswissenschaft herrschende und auch im Gesetzeswortlaut der Art. 3 ff. EGBGB angelegte Differenzierung zwischen Geltung und „bloßer Anwendbarkeit“ zu Grunde; beide Begriffe verlangten streng auseinander gehalten zu werden 242. Dies wird zunächst, gewissermaßen in einer sehr späten Replik auf Zitelmann, darauf ge240
Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 276. Entscheidend ist danach, ob ein Träger hoheitlicher Gewalt notwendig in dieser Eigenschaft berechtigt oder verpflichtet wird; vgl. etwa Burgi, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Vosskuhle, GVwR I, § 17 Rn 21. 242 Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 140 f., 141. 241
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
stützt, dass ausländisches Recht mangels Hoheitsübertragung nicht als ausländisches im Inland gelten könne243. Die weitere Argumentation stützt sich insbesondere darauf, dass der „inländische Wirkungsbefehl“ aus zwei Quellen schöpfe, wobei die Geltung aus der Herkunftsrechtsordnung herrühre, während der Anwendungsbefehl aus der inländischen Rechtsordnung abgeleitet werde244. Ähnlich wie Ohler hat einmal Lüderitz245 angedeutet, dass ausländisches Recht, welches im Inland lediglich angewandt werde, deshalb kein inländisches Recht sei, weil es sich aus zwei „gleichrangigen Rechtsquellen“ speise. Dass schließlich für Ohler Geltung(sbefehl) und Anwendungsbefehl unterscheidbare rechtstheoretische Kategorien darstellen, wird auch durch seine weiteren Ausführungen zum inländischen Recht gestützt: „Geltung und Anwendung inländischen Rechts auf ausländische Sachverhalte […] befiehlt jeweils die inländische Rechtsordnung“246.
b) Irrelevanz des Zwei-Quellen-Arguments Freilich bleibt die „Zwei-Quellen-Betrachtung“ nicht nur in ihren rechtstheoretischen Konturen unscharf. Sie trägt vielmehr die traditionelle Anwendbarkeitsthese gar nicht, sondern setzt sie letztlich voraus. Versteht man vorbehaltlich einer eingehenden Erörterung 247 des juristischen Geltungsbegriffs die Geltung eines Normsatzes innerhalb einer Rechtsordnung stark vereinfachend als ein auf die Grundnorm dieser Rechtsordnung rückführbares Gesolltsein des durch den Normsatz beschriebenen zukünftigen Verhaltens, so ist Geltung stets nur in Bezug auf eine Rechtsordnung definierbar; sie stellt eine rein systemrelative Kategorie dar248. Die Idee einer Norm mit sowohl einer inländischen als auch einer ausländischen Geltungsquelle ist mit einer solchen Kategorie schlechterdings unvereinbar und erforderte die Definition eines gegenüber den vorherrschenden Vorstellungen allgemeiner Rechtstheorie neuen Geltungsbegriffs. Einen solchen bieten aber weder Ohler noch Lüderitz an; vielmehr lässt ihre Zwei-Quellen-Argumentation gerade die Natur der durch diese implizierten Bedeutung der „ausländischen Geltung“ innerhalb der inländischen Rechtsordnung völlig offen. Nach „herkömmlichen“ Konzepten von Geltung hingegen folgte aus der Annahme, dass ein Normsatz gleichermaßen ein auf die Grundordnung der ausländischen wie ein auf die Grundordnung der inlän243
Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 141–145. Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 147. 245 Lüderitz, RabelsZ 29 (1965), S. 426, 429. 246 Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 146. 247 Vertiefung vgl. unten S. 64 ff. 248 Weinberger, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, S. 134, 138, 155; in diesem Sinne bereits Anzilotti, Corso di diritto internazionale privato, S. 58. 244
C. Stellungnahmen aus der Perspektive des internationalen Verwaltungsrechts
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dischen Rechtsordnung rückführbares Gesolltsein des durch diesen beschriebenen zukünftigen Verhaltens zum Ausdruck bringt, nichts anderes, als dass dieser Normsatz sowohl in der ausländischen als auch in der inländischen Rechtsordnung geltendes Recht darstellt. Dies ist der tiefere Hintergrund der in der Kollisionsrechtswissenschaft herrschenden Einschätzung, dass die Anwendbarkeit einer ausländischen Norm nach Maßgabe inländischen Kollisionsrechts gerade nicht Ausfluss ihrer ausländischen Geltung ist249, sondern dass durch unser eigenes Kollisionsrecht nur das rationale Element einer ausländischen Sachnorm herangezogen und mit dem „imperativen Element“ für unsere Rechtsordnung erst durch unser Kollisionsrecht versehen wird250. Um nun aber die Qualität der „Auslösung von Rechtsfolgen im Inland“ 251 durch kollisionsrechtlichen Befehl als von Geltung verschiedene Anwendbarkeit zu erklären, müsste man also begründen, warum kraft ihrer Rückführbarkeit auf die inländische Verfassung geltende Kollisionsnormen, welche die von ihnen in Bezug genommenen Normsätze dadurch abstrakt-generell umschreiben, dass diese die Geltungsvoraussetzungen einer fremden Rechtsordnung erfüllen müssen, nicht die Rückführbarkeit eines solchermaßen in Bezug genommenen Normsatzes auf die Grundnorm einer fremden Rechtsordnung schlicht zum Kriterium der Rückführbarkeit des in diesem Normsatz beschriebenen zukünftigen Verhaltens auf die inländische Verfassung als nach dieser Gesolltes im Sinne von Geltung erheben. Das Zwei-Quellen-Argument setzt demgegenüber mit dem Ziel der Verneinung inländischer Geltung schon voraus, was es begründen gilt: Die rechtstheoretische Unterscheidbarkeit von „bloßem“ Anwendungsbefehl („imperatives Element“) und Geltung (Gesolltsein des durch den Normsatz beschriebenen zukünftigen Verhaltens innerhalb der Rechtsordnung).
c) Der Charakter der Anwendbarkeit nach Ohler Hierzu räumt Ohler zwar ein, dass dann, wenn sich deutsches Recht für die Inbezugnahme ausländischen Rechts entscheide, die Kollisionsnorm den Rechtsgrund für die Anwendbarkeit von fremdem Recht im Sinne der „Auslösung von Rechtsfolgen im Inland“ darstelle252. Zur Frage, was denn diese „Rechtswirkung von Normsätzen im Inland“ von Geltung unterscheide, die Ohler selbst wohl als Wirksamkeit eines Sollensgebots begreift253, bietet dieser allerdings nur die folgende Begründung: 249 Besonders klar Betti, in: FS Gutzwiller, S. 233, 239; vgl. ferner nur Ferid, in: FS Dölle, Bd. 2 S. 119, 130; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70–72; Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter Geltung des Grundgesetzes, S. 30. 250 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70–72. 251 So Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 147. 252 Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 147. 253 Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 141.
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
„Im Gegensatz zum inländischen Recht, das als solches gilt, besteht die Wirkung des anzuwenden ausländischen Rechts zunächst darin, dass es seinen Charakter als ausländisches Recht behält“254.
Dabei handelt es sich freilich um eine petitio principii, nicht aber um ein Argument, warum die Gegenthese falsch sei: „In virtù di queste norme d’applicazione il giudice applica diritto straniero, ma come diritto nazionalizzato e non come diritto straniero“ (Chiovenda 255).
2. Kein Maßstab für rechtmäßiges Handeln? a) Die Differenzierung bei Gerhard Hoffmann Der Gedanke des nicht Geltung veschaffenden Anwendungsbefehls erfährt allerdings bei Gerhard Hoffmann eine besondere Konturierung. Dieser geht grundsätzlich davon aus, dass „im Ursprung fremdes Recht“ zunächst für die rechtsanwendenden Organe kein Recht sei, aber von den rechtssetzenden Organen in innerstaatliches Recht umgewandelt werden könne. Mit Blick auf das IPR nimmt er aber an, dass alternativ auch Anwendung ohne Geltung möglich sei: „Bei dieser Unterscheidung zwischen ,Geltung‘ und ,bloßer Anwendbarkeit‘ (ohne Geltung anwendbar sein) ist klarzustellen, daß eine Norm für denjenigen Geltung besitzt, der unmittelbar aus ihr zu einem bestimmten Verhalten berechtigt oder verpflichtet ist. Ist die betreffende Norm im Bereich eines Staates und damit für dessen Angehörige zwar ohne Geltung, aber dennoch in bestimmten Fällen anwendbar (wie z.B. das Eherecht eines fremden Staates), so zeigt sich darin, daß der einzelne zwar sein Verhalten nicht danach richten braucht, um rechtmäßig zu handeln, wohl aber später in eine rechtliche Situation geraten kann, daß aus dieser Norm Rechtsfolgen an sein von ihr damals nicht geregeltes Verhalten geknüpft werden“256.
b) Analyse: inländische Geltung der durch IPR herangezogenen Rechtssätze nach Gerhard Hoffmanns Kriterium Wenn freilich für Gerhard Hoffmann die „bloße Anwendbarkeit“ von der Geltung unterscheidet, dass die lediglich anzuwendenden Normen nicht Maßstab für nach der anwendenden Rechtsordnung rechtmäßiges Verhalten der Angehörigen dieses Staates werden, so lässt sich unschwer dartun, dass nach Hoffmanns Maßstab der Anwendungsbefehl durch deutsches IPR zur Geltung der angewandten fremden Normen führt: Will beispielsweise ein Ausländer eine Deutsche in Deutschland heiraten, so kann dem entgegen stehen, dass er nach 254 255
Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 147. Chiovenda, Principii di diritto processuale civile, S. 302 (Hervorhebung im Origi-
nal). 256
S. 857.
Gerhard Hoffmann, in: v. Münch, VerwaltungsR BT7, Internationales VerwaltungsR,
C. Stellungnahmen aus der Perspektive des internationalen Verwaltungsrechts
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seinem Heimatrecht nicht ehefähig ist (Art. 13 Abs. 1 EGBGB; in der Ursprungsfassung des EGBGB gab es von der Maßgeblichkeit des Heimatrechts keine Ausnahme). Der Staat kann nun aber keine Eheschließung versagen, die nach seiner Rechtsordnung rechtmäßig ist. In einer widerspruchsfreien Rechtsordnung liegt vielmehr in der Versagung einer Eheschließung notwendig die Aussage, dass diese rechtswidrig sei. Dann aber ist nach deutschem IPR anzuwendendes Heimatrecht des ausländischen Verlobten notwendig zukunftsgerichteter Maßstab für nach der deutschen Rechtsordnung rechtmäßiges Verhalten auch der deutschen Verlobten; diese ist nach der deutschen Rechtsordnung zur Heirat ihres Verlobten nicht berechtigt, solange dieser die Staatsangehörigkeit nicht wechselt. Gerade weil damit das Heimatrecht nicht nur retrospektiv herangezogen, sondern zum Maßstab einer rechtmäßigen Heirat in Deutschland erhoben und damit die Freiheit der Eheschließung gegenwärtig und zukunftsgerichtet eingeschränkt wird, hat doch das BVerfG in der Spanierentscheidung257 die Verhinderung der Eheschließung unter Verweis auf spanisches Recht für verfassungswidrig erklärt. Als Reaktion auf diese Entscheidung ist heute explizit vorgesehen, dass bei Fehlen der Ehevoraussetzungen nach dem Heimatrecht eines Verlobten insbesondere dann deutsches Recht anwendbar ist, wenn die Versagung der Eheschließung mit der Eheschließungsfreiheit nicht vereinbar ist (Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB).
III. Anwendung ausländischen als Schaffung inländischen Rechts (Neumeyer) Schlussendlich vermag auch die Betrachtung Neumeyers (1936) zum internationalen Verwaltungsrecht zwar keine neuen Argumente zum Wesen des Befehls der Anwendung ausländischen Rechts zu bieten. Bemerkenswert ist aber, dass ihnen eine universalistische Denkweise zugrunde liegt. Nach Neumeyer ist der Gedanke, der Befehl der Anwendung ausländischer Verwaltungsrechtsnormen durch die Technik der Verweisung führe zur unmittelbaren Unterstellung eines Tatbestandes unter ausländisches Recht „ein Irrtum“258: „Ausländisches Recht wird in den Inhalt inländischen Rechts überführt. Der Satz aber, der aufgrund der Übernahme gebildet wird, ist ein Satz des Inlandsrechts mit allen Eigenschaften eines solchen“259.
257 258 259
BVerfGE 31, 58 ff. Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 185 f. Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 186.
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Allerdings geht Neumeyer davon aus, dass ausländisches Zivilrecht durchaus im Inland als solches zur Anwendung komme260, obwohl er die Verweisungsstruktur für ausländisches öffentliches Recht insbesondere anhand der Technik des IPR entwickelt261. Die Differenzierung begründet sich wohl daraus, dass nach Neumeyer der Staat auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts nur die Wahl zwischen „eigener Zuständigkeit“ und Nichtregelung hat, während er durch Kollisionsvorschriften fremden Staaten die „privatrechtliche Regelungszuständigkeit“ zuweisen kann 262. Bedenkt man allerdings, dass die Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht bis heute nicht als vollständig befriedigend bewältigt erscheint und die deutsche Betonung dieser Dichotomie keineswegs einem Konsens unter den Rechtsordnungen dieser Welt entspricht, so erscheint es geradezu verblüffend, diese zum kategorischen Differenzierungskriterium der rechtstheoretischen Einordnung des Befehls der Anwendung fremden Rechts zu erheben.
D. Das internationale Privatrecht in der Diskussion zur dynamischen Verweisung Insbesondere mit den Ausführungen Neumeyers wird zugleich das Augenmerk auf einen Diskussionszusammenhang gerichtet, der von der kollisionsrechtlichen Literatur bisher weitgehend unbeachtet geblieben ist. Die Rede ist von der Diskussion über den Problemkreis der dynamischen Verweisung.
I. Zum Begriff der dynamischen Verweisung Die kollisionsrechtliche Terminologie vom IPR als „Verweisungsrecht263“ darf nicht voreilig mit der öffentlich-rechtlichen Terminologie von der dynamischen Verweisung gleichgesetzt werden, auch wenn fremdes Recht durch unser IPR dynamisch, d.h. regelmäßig in seiner jeweils nach dem intertemporalem Recht der berufenen Rechtsordnung geltenden Fassung 264 angewandt wird. Mit der gemeinhin als „echte“265 bzw. „konstitutive“266 Verweisung bezeichneten Re260
Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 178 (Verweis auf S. 79). Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 174 ff. 262 Vgl. Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 79 f. 263 Vgl. nur Kropholler, IPR6 , § 1 I 3, S. 1. 264 Vgl. nur Gebauer, in: FS Jayme, S. 223, 224 m.w.N.; zur früher vertretenen Ausnahme der „Versteinerung“ des Güterstandes siehe unten S. 99. 265 So die Terminologie bei Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 21. 266 So Guckelberger, ZG 2004, 62, 63; Herschel, BB 1963, 1220. 261
D. Das internationale Privatrecht in der Diskussion zur dynamischen Verweisung
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gelungstechnik inkorporiert der Normgeber Inhalte eines fremden Textes dergestalt in die Verweisungsnorm, dass diese durch die Inbezugnahme einen zusätzlichen Gehalt bekommt und bei Hinwegdenken der Inbezugnahme unvollständig wäre267. Die Grundform der statischen Verweisung268 repräsentiert dabei aus Gründen der Texteinsparung den Vorgang des „copy and paste“ bei der Textverarbeitung; es wird dem Leser abverlangt, gedanklich den in Bezug genommenen Text zu kopieren und in die Verweisungsnorm aufzunehmen269. Verfassungsrechtlich relevant wird vor allem die Eigenart der dynamischen – früher auch als wandelbare270 oder antezipierende271 bezeichneten – Verweisung, auf einen anderen (Norm-)Text nicht in seiner aktuellen, sondern in der jeweils „geltenden“ Fassung zu verweisen 272. Dadurch kann nämlich der für den Bereich des in Bezug genommenen (Norm-)Textes nach Maßgabe der Verweisungsnorm „zuständige“ (Norm-)Textgeber durch Ändern des Bezugs(norm)textes die Anordnung der Verweisungsnorm ändern273. Dies ist formell unter dem Publizitätsgesichtspunkt des Art. 82 GG und materiell vornehmlich unter den Aspekten von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip274 problematisch. Bei nur abstrakt genereller Umschreibung des Bezugsobjekts stellt sich zudem die Frage nach der hinreichenden Bestimmtheit 275.
II. Das Meinungsbild Stellungnahmen zur dynamischen Verweisung gehen häufig nicht auf das IPR ein oder erwähnen es nur flüchtig. Soweit beispielsweise Ossenbühl in seiner wegweisenden Abhandlung zur Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik (1967) die Verweisung auf Gesetze anderer Länder als eine der denkbaren Gestaltungsmöglichkeiten aufzählt 276, denkt er augenscheinlich nur an Bundesländer. Spezifische Aussagen zum IPR aber decken hinsichtlich seiner Einordnung das gesamte Spektrum denkbarer Positionen ab.
267 Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 f.: Brugger, VerwArch 78 (1987), 1, 4, der auch von „externer Auffüllung“ spricht; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 65 f.; Grauer, Die Verweisung im Bundesrecht, insbesondere auf Landesrecht, S. 24; Guckelberger, ZG 2004, 62, 63 f.; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 20; Schenke, NJW 1980, 743. 268 Begriffsprägend bereits Ossenbühl, DVBl. 1967, 401. 269 Clemens, AöR 111 (1986), 63, 65 f. 270 Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, S. 94. 271 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401. 272 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401; Klindt, DVBl. 1998, 373, 374. 273 Etwa Fuß, FS Paulick 1973, S. 293, 295. 274 Vgl. nur BVerfGE 47, 285, 312 ff.; 64, 214 f. 275 Vgl. dazu insbesondere BVerfGE 5, 25, 31 ff. 276 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401.
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
1. IPR als aliud sui generis gegenüber der dynamischen Verweisung a) IPR als Weichenstellung zwischen ganzen Rechtsordnungen Karpen macht in seiner Monographie über die Verweisung (1970) unter Verweis auf das kollisionsrechtliche Schrifttum geltend, dass die Vorschriften des IPR ohne materielle Regelung des Sachverhaltes nur die Weichen zwischen verschiedenen Rechtsordnungen „als Ganzes“ stellten und nicht zu einer Einverleibung des Rechtes fremder Staaten in das deutsche Recht führten277. Bemerkenswerter Weise ist für ihn dabei die generelle Heranziehung einer „Rechtsordnung als Ganze“ als entscheidend anzusehen: Karpen hält „eine (echte) Verweisung auf Einzelgesetze oder -vorschriften eines ausländischen Staates“ nicht nur für denkbar278, sondern sieht in Gefolgschaft Zitelmanns in der Regelung des Art. 7 Abs. 2 EGBGB a.F. 279 über die Beibehaltung der Volljährigkeit bei Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit sogar eine solche Verweisung 280. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass nach Zitelmann auch das „materielle“ Privatrecht durch von ihm so genannte „materiellrechtliche Verweisung“ fremde Rechtsordnungen dergestalt in Bezug nehmen kann, dass das Produkt inländisches Privatrecht wird 281. Der Unterschied zwischen materiellrechtlicher Verweisung des Privatrechts und „wahrer Kollisionsnorm“ liegt für Zitelmann insbesondere darin, dass eine solche materiellrechtliche Verweisung selbst erst dann eingreift, wenn die materielle Zivilrechtsordnung, in der sie ausgesprochen wird, kollisionsrechtlich berufen wird 282. Da nun nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB a.F. 283 die Geschäftsfähigkeit an die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird, geht Zitelmann284 davon aus, dass Art. 7 Abs. 1 EGBGB die Kollisionsnorm für die Anwendbarkeit des deutschen Rechts und die Verweisung des Abs. 2 unter den Vorbehalt der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeit des deutschen Privatrechts nach Abs. 1 gestellt ist. Nicht verschwiegen werden soll hier freilich, dass bereits Frankenstein285 das Konzept der „materiellrechtlichen
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Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 49 f. Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 49 f. 279 Art. 7 Abs. 2 EGBGB lautete vor der IPR Reform von 1986: „Erwirbt ein Ausländer, der volljährig ist oder die rechtliche Stellung eines Volljährigen hat, die Reichsangehörigkeit, so behält er die rechtliche Stellung eines Volljährigen, auch wenn er nach den deutschen Gesetzen nicht volljährig ist“. 280 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 51 Fn. 94. 281 Zitelmann, IPR I, S. 257 ff. 282 Zitelmann, IPR I, S. 259. 283 Art. 7 Abs. 1 EGBGB lautete vor der IPR Reform von 1986: „Die Geschäftsfähigkeit einer Person wird nach den Gesetzen des Staates beurteilt, dem die Person angehört“. 284 Zitelmann, IPR I, S. 266; dem folgend Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 26 Fn. 3. 285 Frankenstein, IPR I, S. 261 f., 262. 278
D. Das internationale Privatrecht in der Diskussion zur dynamischen Verweisung
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Verweisung“ scharf angegriffen und Art. 7 Abs. 2 EGBGB a.F. als „Grenzsatz“, also als Satz des IPR eingeordnet hat. Schließlich erläutert Karpen leider nicht, was genau die von ihm für das IPR angenommene Technik der Verweisung auf eine Rechtsordnung „als Ganze“ von einer „generellen echten Verweisung“ unterscheiden soll, die Karpen286 in der Inbezugnahme der allgemeinen Regeln des Völkerrechts in Art. 25 S. 1 GG sieht.
b) „Anwendung als ausländisch“ bzw. Vorbehalt zugunsten ausländischer Gesetzgebung Überwiegend belassen es die Stellungnahmen zur dynamischen Verweisung dabei, am Rande die vermeintlich gesicherten Erkenntnisse der Kollisionsrechtswissenschaft zu übernehmen. So verweist Brugger 287 ohne nähere Begründung darauf, dass fremdes Recht nach herrschender Ansicht nicht in das deutsche Recht inkorporiert, sondern ausländisches Recht unter dem Vorbehalt des ordre public zur Anwendung gebracht werde. Schenke wendet mit wenig höherem Aufwand gegen die Gleichsetzung von dynamischer Verweisung und IPR ein, dass die nationalen Regeln des internationalen Privatrechts lediglich Kollisionsregelungen darstellten, die den Anwendungsbereich der nationalen Rechtsordnung zugunsten einer ausländischen Rechtsordnung einschränkten, ohne dass die ausländischen Normen in das innerstaatliche Recht inkorporiert würden, weshalb diese keine Geltung als deutsches Recht erlangten 288. Mit ergänzender Argumentation zieht Clemens in seiner Abhandlung zur Verweisung von einer Rechtsnorm auf andere Vorschriften aus der Einschätzung, dass die Kollisionsnormen ausländisches Recht zur Anwendung brächten und dieses nicht im Sinne revisiblen Bundesrechts inkorporierten, sondern lediglich einer Ordre-public-Kontrolle (Art. 6 EGBGB) unterwürfen, den Schluss, dass kollisionsrechtliche Verweisungen als „Vorbehalte zugunsten der ausländischen Gesetzgebung“ zu qualifizieren seien – ohne freilich den rechtlichen Rahmen dieser Kategorie zu vertiefen. Clemens geht dabei ausdrücklich davon aus, dass die durch deutsches IPR in Bezug genommenen Normsätze des ausländischen Rechts keine Geltung innerhalb der inländischen Rechtsordnung erlangen 289. Das Konzept der Beschränkung der eigenen Rechtsordnung zugunsten ausländischer atmet freilich das überholte Souveränitätsdenken Zitelmanns. Auch ist die Argumentation mit der fehlenden Revisibilität bereits als Denkfehler 286 287 288 289
Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 48. Brugger, VerwArch 78 (1987), 1, 6. Schenke, NJW 1980, 743, 749. Clemens, AöR 111 (1986), 63, 72 ff.
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
verworfen worden 290. Insbesondere aber sind die nicht erfolgende Inkorporation und der fehlende Charakter als Bundesrecht die zu begründenden Ergebnisse, weshalb der Hinweis hierauf nur deren Begründungsbedarf maskiert, ohne selbst Begründung zu sein. Geradezu demaskierend sind demgegenüber die über Brugger und Schenke hinausgehenden Argumente Clemens’: „Die Qualifizierung der Kollisionsnormen als Verweisungen wäre im übrigen auch von den Konsequenzen her unzweckmäßig: Die Vielfalt und Unüberschaubarkeit der zur Anwendung kommenden Normen zwänge möglicherweise zur Annahme eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot (…); außerdem ergäbe sich eine Verletzung des Publikationsgebotes (…) sowie – ausgehend von dem dynamischen Charakter der Verweisung – auch ein Verstoß gegen das Gebot hinreichender rechtsstaatlich-demokratischer Legitimation“291.
Auch bei Clemens kommt damit der sprichwörtliche Palmström zu Ehren: „Nicht sein kann was nicht sein darf“292. Allerdings verlässt derjenige, der die rechtstheoretische Einordnung einer Gestaltungstechnik von der jeweiligen Verfassungskonformität der in Frage kommenden Alternativen abhängig macht, durch Erhebung des Ergebnisses zur Methode den Boden der Wissenschaft. Außerdem muss man sich doch die Frage stellen, ob der einfache Gesetzgeber allein durch Deklaration einer besonderen Regelungstechnik seine verfassungsrechtlichen Handlungsspielräume selbst bestimmen kann. Anders ausgedrückt: Woraus soll eigentlich folgen, dass die Reichweite des Demokratieprinzips davon abhängt, ob der einfache Gesetzgeber aus ausländischem Recht kopierte Normsätze nun in innerstaatliches Recht inkorporieren oder nur zu einer von Geltung verschiedenen, normativ verbindlichen Anwendbarkeit sui generis bringen will?
2. IPR als dynamische Verweisung Herschel 293 hingegen nennt das IPR ausdrücklich als Beispiel einer konstitutiven Verweisung. Auch den Ausführungen Walter Jellineks 294 darf man wohl die Einordnung von IPR als von ihm damals (1913) noch „wandelbare Verweisung“ genannte dynamische Verweisung entnehmen. Schröcker 295 mobilisiert ferner den von ihm axiomatisch behaupteten Umstand, dass der Gesetzgeber durch Kollisionsrecht die Anwendung fremden Rechts befehlen könne, als Argument für die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen von Landes- auf Bundesrecht; dieser Schluss impliziert notwendig die Gleichsetzbarkeit von Kollisionsrecht
290 291 292 293 294 295
Vgl. oben S. 30. Clemens, AöR 111 (1986), 63, 74. Vgl. Christian Morgenstern, Die unmögliche Tatsache, JuS 2004, 360. Herschel, BB 1963, 1220. Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, S. 94. Schröcker, NJW 1967, 2285, 2290.
E. Resümee: Rekurse auf Dogmen statt Begründung
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und dynamischer Verweisung, erklärt aber nicht, wie IPR mit der Verfassung in Einklang steht. Da schließlich die echte Verweisung den Inhalt des Verweisungsobjekts im Umfang der Inbezugnahme so inkorporiert, dass das Produkt der Verweisung in dieser geltendes Recht wird296, erscheint es als notwendige Folgerung aus der Einordnung von IPR als dynamischer Verweisung, das Produkt dieser Verweisung als inländisches Recht zu begreifen. Übereinstimmend mit Peter Klein297 formuliert daher Walter Jellinek für das IPR ausdrücklich: „Das ausländische Recht wird einfach deshalb angewandt, weil es einen Teil der inländischen Rechtsordnung bildet 298“.
In diesem Sinne wird man wohl auch Engisch als Vertreter einer Einordnung des IPR als echter dynamischer Verweisung verstehen dürfen, wenn er über die Verweisung auf Normen ausländischen Rechts feststellt: „Es werden einverleibt die Worte als Sinnträger. Diese werden aber wirklich zum Bestandteil der verweisenden Rechtsnorm und nehmen an deren Charakter teil“299.
3. Zusammenfassung Festzuhalten bleibt, dass eine Gleichsetzbarkeit von IPR und dynamischer Verweisung sowohl vertreten als auch bestritten wird. Die Behauptung nicht erfolgender Inkorporation stützt sich, soweit sie überhaupt begründet wird, im Wesentlichen auf die der kollisionsrechtlichen Literatur entlehnten Argumente der Eigentümlichkeit der „Anwendung als ausländische Normen“ bzw. auf die Heranziehung von Rechtsordnungen „als Ganze“.
E. Resümee: Rekurse auf Dogmen statt Begründung Die bisherige Betrachtung muss ernüchtern. Versuche seitens der Kollisionsrechtswissenschaft zur Einordnung von IPR als privatrechtliche Zuständigkeitsverteilung sui generis werden auf Grundlage der überholten 300 Interessentheorie oder sonst fragwürdigen Argumenten vorgetragen und blenden die Dimension der dynamischen Inbezugnahme von fremdem Recht als strukturelles Verfassungsproblem aus. Betrachtungen des Problems dynamischer Inbezug296 Vgl. nur Arndt, JuS 179, 784 f.; Brugger, VerwArch 78 (1987), 1, 4 f.; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 65 f.; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 32; Schenke, NJW 1980, 743. 297 Peter Klein, Z. f. internationales Privat- und öffentliches Recht (Niemeyers Z.), 8 (1903), S. 353, 361 ff. 298 Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, S. 94. 299 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 26 Fn. 3. 300 Zumindest für die Einordnung von Normen, vgl. Burgi, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Vosskuhle, GVwR I, § 17 Rn 19 Fn. 54.
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Erster Teil: Die bisherigen Ansätze zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR
nahme aus öffentlich-rechtlicher Perspektive streifen das IPR nur am Rande. Trotz diametraler Ansichten über die Gleichsetzbarkeit von dynamischer Verweisung und IPR schreckt man letztlich vor der terra incognita zurück. Die in allen Lagern vorzufindende Qualität der Argumente – als Beispiele seien noch einmal die Stichworte „Zweckmäßigkeit“, „historische Erfahrung“, „Zugehörigkeit des Rahmens zum Bilde“, „Würde des IPR“ und „Rechtsordnung als boa constrictor“ genannt – lassen die rechtstheoretische Einordnung des Kollisionsrechts geradezu als Paradefall der Flucht aus Agrippas Trilemma vollständiger Begründung (nach Albert: „Münchhausen-Trilemma“301) durch willkürlichen Abbruch der Argumentationskette erscheinen 302. Die metaphysisch motivierte Konzeption von der Anwendung fremden Rechts „als ausländisches“ aufgrund eines nicht Geltung verschaffenden Anwendungsbefehls in einer privatrechtlichen Zuständigkeitsverteilung sui generis durch die überwiegenden Stimmen der Kollisionsrechtswissenschaft hat gleichermaßen wie die an Zitelmann gemahnende Konzeption des „Vorbehalts zugunsten ausländischer Gesetzgebung“ bei Clemens weniger den Charakter einer rechtstheoretischen Begründung denn einer petitio principii, deren Wahrheit vorausgesetzt und damit nicht mehr begründungsbedürftig ist, also eines begründungsersetzenden Rekurses auf ein Dogma. Hierfür ist insbesondere symptomatisch, dass diejenigen, welche die Idee einer Inkorporation ausländischer Normgehalte in die deutsche Rechtsordnung scheuen, ohne Begriff des inländisch geltenden Rechts dastehen. Soweit demgegenüber die zur Verneinung der Einordnung der Produkte der kollisionsrechtlichen Inbezugnahme ausländischen Rechts als Normen der deutschen Rechtsordnung notwendige Definition des Begriffs des inländisch geltenden Rechts in der kollisionsrechtlichen Diskussion immerhin ansatzweise von Wengler 303 unternommen wird, gelangt dieser bezeichnender Weise zum von der herrschenden Sicht abgelehnten Parallelnormkonzept. Für den Geltungstheoretiker Kelsen304 ist gar das, was Kollisionsrechtswissenschaftler als 301 Das Erfordernis der vollständigen Begründung führt zum Trilemma der Alternativen infiniter Regress, logischer Zirkel und Abbruch des Verfahrens, vgl. etwa Albert, Traktat über kritische Vernunft 5, S. 15; Wiethölter, in: FS Kegel (1977), S. 213, 216. 302 Albert, Traktat über kritische Vernunft 5, S. 16, schreibt hierzu: „Man pflegt in bezug auf Aussagen, bei denen man bereit ist, das Begründungsverfahren abzubrechen, von Selbstevidenz, Selbstbegründung, Fundierung in unmittelbarer Erkenntnis – in Intuition, Erlebnis oder Erfahrung – zu sprechen oder in anderer Weise zu umschreiben, daß man bereit ist, den Begründungsregreß an einem bestimmten Punkt abzubrechen und das Begründungspostulat für diesen Punkt zu suspendieren, indem man ihn als archimedischen Punkt der Erkenntnis deklariert“. 303 Wengler, in: FS Laun, S. 719, 720, versteht in klarer Anlehnung an Kelsen die Rechtsnorm als Umschreibung eines gesollten menschlichen Verhaltens, an dessen Ausbleiben eine Unrechtsfolge geknüpft wird. 304 Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244.
E. Resümee: Rekurse auf Dogmen statt Begründung
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„gekünstelt“305 abtun, nämlich die inländische Geltung der Produkte inländischen Kollisionsrechts, ohne weiteres logisch zwingend. Ein willkürlicher Begründungsabbruch ist aber schließlich auch darin sehen, dass eine Differenzierung zwischen Gesamt- und Sachnormverweisung nicht stattfindet.
305 Vgl. in diesem Sinne Kropholler, IPR6 , § 31 I 1, S. 212; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 72, Fn. 107.
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Zweiter Teil:
Entfaltung des eigenen Standpunkts zur Natur der Verbindlichkeit kollisionsrechtlicher Verweisung A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte oder Anwendung ausländischen Rechts „als ausländisches“? „Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden, aber nicht einfacher“1
I. Grundlagen der Untersuchung 1. Noch einmal zur Diskussion Wie ausgeführt 2, ist in der heutigen kollisionsrechtlichen Literatur die These herrschend, dass der Anwendungsbefehl durch inländisches IPR keine Inkorporation bewirke, sondern dass ausländisches Recht vielmehr in einer Rechtsfigur sui generis für „als ausländisches Recht“ im Inland „anwendbar“ erklärt werde, wobei Ferid3 und Schemmer4 nichtsdestotrotz die „inländische Geltung als fremdes Recht“ annehmen und Beitzke eine Differenzierung in materielle und formelle Betrachtung erwägt 5. Demgegenüber geht ein Teil der kollisionsrechtlichen Literatur ohne weiteres von der Schaffung inländischen Rechts aus6. Die Gleichsetzbarkeit von IPR und dynamischer Verweisung wird 1 Wird Albert Einstein zugeschrieben, vgl. http://www.daszitat.de, Eintrag Einstein, Albert. 2 Vgl. oben S. 13 ff. 3 Ferid, FS Dölle, Bd. II, S. 119, 132. 4 Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter Geltung des Grundgesetzes, S. 35. 5 Beitzke, in: FS Smend, S. 1, 12. 6 Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, S. 94; Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244; Peter Klein, Z. f. internationales Privat- und öffentliches Recht (Niemeyers Z.), 8 (1903), S. 353, 364; Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 94; v. Olshausen, in: FS Mühl, S. 471, 485; Stöcker, JR 1965, 456, 458; Wengler, in: FS Laun, S. 719, 726 f.
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
in Abhandlungen zur letzteren kontrovers diskutiert. Die überwiegende Ablehnung7 wird teilweise explizit auf die mangels Inkorporation fehlende Schaffung inländisch geltenden Rechts gestützt8, wobei die nicht erfolgende Inkorporation ihrerseits nicht begründet, sondern unter Verweis auf die kollisionsrechtliche Literatur vorausgesetzt wird. Soweit Vertreter einer Einordnung von IPR als dynamische Verweisung hierzu ausdrücklich Stellung nehmen, gehen sie demgegenüber von der Schaffung inländischen Rechts aus9.
2. Begriffe von Geltung und Anwendung a) Sollenssätze als Objekt der Geltung Ohne rudimentäres Vorverständnis vom Wesen der Rechtsnorm gibt es keinen Geltungsbegriff, weil die Frage nach der Geltung nicht unabhängig vom Objekt der Geltung gestellt werden kann. Insoweit scheint die Einschätzung etwa bei Engisch10, dass die Rechtsordnung aus Sollenssätzen bestehe, ungeachtet der Unterschiede aller rechtsphilosophischer Strömungen bis heute weitaus prägend zu sein11. Ausgangsbegriff der Rechtstheorie ist die Norm. Bereits für Bierling (1894) ist die Norm zunächst „Ausdruck eines Wollens, das seine Vollziehung von anderen erwartet12“, weshalb der Rechtsnorm nicht der Status einer Seins- sondern der einer Sollensaussage zukomme13. Aus verwandten Erwägungen sind daher etwa für Radbruch Norm und Geltung nicht zu trennen: „Der von seiner psychologischen Grundlage losgelöste Sinn eines Wollens ist ein Sollen, der aus der Tatsächlichkeit des Befehlsvorgangs sauber herauspräparierte Inhalt des Imperativs – eine Norm. Die Rechtswissenschaft begreift also den Rechtsinhalt mit methodologischer Notwendigkeit als etwas Geltendes, etwas Gesolltes, etwas Verpflichtendes“14.
Auch bei Kelsen schließlich ist die Geltung ein Sollensurteil der Rechtsordnung: „Die Norm soll nicht wie das Naturgesetz Seiendes erklären, sie soll ein Neues schaffen, ein Geschehen hervorbringen. Allein auch die Norm „gilt“ nicht, weil und insofern sie „wirkt“, ihre Geltung besteht nicht in ihrer Wirkung, in ihrem tatsächlichen Befolgtwer7
Vgl. oben S. 55 ff. Clemens, AöR 111 (1986), 63, 73; Schenke, NJW 1980, 743, 749; Schröcker, NJW 1967, 2285, 2290. 9 Vgl. Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, S. 94; Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244; Peter Klein, Z. f. internationales Privat- und öffentliches Recht (Niemeyers Z.), 8 (1903), S. 353, 361 ff. 10 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 4. 11 Eingehend hierzu etwa Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, S. 200 ff., 290. 12 Bierling, Juristische Prinzipienlehre I, S. 29. 13 Bierling, Juristische Prinzipienlehre I, S. 29; V (Exkurs I), S. 133 ff. 14 Radbruch, Rechtsphilosophie8 , S. 170. 8
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
65
den, nicht in einem Sein (Geschehen), sondern in ihrem Sollen. Die Norm gilt, soferne sie befolgt werden soll; der Zweck der Norm ist wohl ihre Wirkung“15.
b) Elemente des Geltungsbegriffs Der reine juristische positivistische Geltungsbegriff umfasst nach heute verbreiteter Sicht das Erfordernis, dass eine Norm von einem dafür zuständigen Organ in der dafür vorgegebenen Weise ohne Verstoß gegen höherrangiges Recht geschaffen worden ist, beinhaltet also die Ableitung der Geltung eines Rechtssatzes aus anderen höherrangigen Normen. Geltung ist danach zunächst nur innerhalb einer Rechtsordnung und prima facie insoweit zirkulär definiert, als sie eine Art Geltung, nämlich die Geltung höchster Normen oder einer Grundnorm voraussetzt16. Mitunter wird zudem die starke Setzungsbezogenheit dieser Sicht kritisiert und insbesondere hinsichtlich der Fortentwicklung des gesetzten Rechts vielmehr die Bedeutung des Geltungsbegriffs für die Bindung solcher Fortentwicklung an Verfassungsvorgaben, namentlich die Grundrechte, betont17. In allen Ansätzen kommt aber zum Ausdruck, dass der Begriff der Geltung im Sinne einer Rechtsfindungsmethode darauf gerichtet ist, eine Aussage über die Zugehörigkeit einer Norm zu einer Rechtsordnung zu treffen18. Schon Bierling betont darüber hinaus sogar, „dass das spezifische Merkmal der Rechtsnorm in der Anerkennung der fraglichen Normen als Gemeinschaftsnormen zwischen Genossen und Genossen“19 liege, die allerdings nicht notwendig eine bewusste sei 20. Ganz in diesem Sinne versteht schließlich Hart Geltung als Übereinstimmung mit einer Anerkennungsregel: „To say that a given rule is valid is to recognize it as passing all the tests provided by the rule of recognition and so as a rule of the system 21.“
Aus dieser Perspektive ist die „Geltung“ der Grundnorm oder auch der Rechtsordnung insgesamt notwendig von anderer Qualität als die juristische Geltung 15
Kelsen, Grundprobleme der Staatsrechtslehre, S. 14 (Hervorhebung im Original). Vgl. näher Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 142 f.; Kelsen, Reine Rechtslehre2, S. 364 f.; Klug, in: FS Nipperdey, Bd. I, S. 71, 89; Otte, in: FS Gmür, S. 359; Mock, in: Rechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 51; Radbruch, Rechtsphilosophie8 , S. 170 ff.; Rüthers, Rechtstheorie2, Rn. 334; Zippelius, Rechtsphilosophie4, § 5 I S. 24 f.; Zitelmann, in: FS Bergbohm, S. 207, 212; ferner Hart, The Concept of Law2, S. 100 ff., insbesondere S. 107–110, für den sich „validity“ nach einer „rule of recognition“ bemisst, deren Existenz er als „matter of fact“ begreift. 17 Etwa Hammer, in: Rechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 37 ff., insbesondere S. 42 f. 18 Vgl. nur Barros, Rechtsgeltung und Rechtsordnung, S. 28; Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, S. 291; Hollo, Die Definition von geltendem Recht in der Rechtsfindung, S. 13. 19 Bierling, Juristische Prinzipienlehre I, S. 47 20 Bierling, Juristische Prinzipienlehre I, S. 46. 21 Hart, The Concept of Law2 , S. 103. 16
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
der übrigen Normen, da die Frage nach der Geltung der Grundnorm oder der Rechtsordnung insgesamt nicht sinnvoll dahingehend gestellt werden kann, ob sie mit sich vereinbar und sich zugehörig ist 22. Die Natur der Geltung der Rechtsordnung23 braucht hier freilich nicht vertieft zu werden. Vielmehr operiert diese Untersuchung ausdrücklich unter dem Axiom der Geltung des Grundgesetzes. In seiner reinen Rechtslehre erweitert nun Kelsen seinen positivistischen Geltungsbegriff um ein Element des soziologischen Geltungsbegriffs. Nunmehr die Trennung von Sollen und Sein relativierend, verlangt er ein Minimum an (sozialer) Wirksamkeit24. Solche, heute verbreitet für die Geltung vorausgesetzte25, soziale Wirksamkeit wird auch als faktische Geltung umschrieben 26. Nicht positivistische Geltungsbegriffe fügen diesen Elementen noch einen Aspekt ethischer Legitimität hinzu 27. Da es aber der vorliegenden Untersuchung um die rechtstheoretische Frage geht, ob das Produkt der kollisionsrechtlichen Inbezugnahme grundsätzlich gilt oder nicht gilt, können die rechtsphilosophische Frage nach dem „richtigen Recht“ und damit die Kontroverse zwischen Positivisten und Nichtpositivisten über Verbindung oder Trennung von Recht und Moral 28 hier vernachlässigt werden.
c) Abgrenzung zum Begriff der Anwendung Hinsichtlich der Anwendung einer Norm stellt Kelsen besonders heraus, dass diese als Beurteilung bereits erfolgter Handlungen die Sollensebene verlässt: „Die Norm fungiert hier nicht ihrem ursprünglichen und primären Zwecke nach als Verursachung der normierten Handlung, sie bedeutet für die Handlung, auf die sie angewendet wird, nicht das gleiche, wie für die von ihr beinhaltete Handlung – sie dient nur als Beurteilungsmaßstab dessen, was geschehen ist. Die geschehene Handlung kann niemals mehr zur Norm in jener einzigartigen Relation stehen, die für das Verhältnis der Norm zur Handlung charakteristisch ist: in der Relation des Sollens“29. 22
Näher zu den möglichen Konsequenzen etwa Otte, in: FS Gmür, S. 359, 361 ff. Vgl. näher dazu etwa Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, S. 245 ff. 24 Kelsen, Reine Rechtslehre 2 , S. 10 f. 25 Vgl. nur Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 201; Dreier, NJW 1986, 890, 896; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 479; Mock, in: Rechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 51; Zippelius, Juristische Methodenlehre10 , § 2, S. 6 f.; anders wohl etwa Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 14; kritisch gegenüber der Verbindung von Geltung und Wirksamkeit auch Hollo, Die Definition von geltendem Recht in der Rechtsfindung, S. 28 f. 26 Eingehend etwa Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, S. 58 ff. 27 Besonders erwähnt sei der späte Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, S. 7 ff.; vgl. ferner eingehend Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 142 f. 28 Vertiefend hierzu etwa Birgit Hoffmann, Das Verhältnis von Gesetz und Recht, insb. S. 229 ff.; Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, S. 54 ff. 29 Kelsen, Grundprobleme der Staatsrechtslehre, S. 14. 23
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
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d) Zusammenfassung Verkürzt kann man für die Zwecke dieser Untersuchung sagen, dass danach Geltung eine (das Sein nicht völlig unberührt lassende) Aussage der Rechtsordnung über das Gesolltsein des durch den Normsatz beschriebenen zukünftigen Verhaltens, Anwendung hingegen ein Subsumtionsvorgang ist.
3. „Intrakonstitutioneller“ Geltungsbegriff als Untersuchungsmaßstab Aus der internationalen Perspektive können nun verschiedene Rechtsordnungen für einen Sachverhalt unterschiedliche Regelungen aufstellen, ohne dass nach heutiger Vorstellung aus einem höherrangigen Völkerrechtssatz im Verhältnis der nationalen Rechtsordnungen einer die „völkerrechtliche Geltung“ zugewiesen wäre. Daraus hat Knittel gefolgert, dass auf dem Feld des IPR die bloßen nationalen Geltungsansprüche maßgeblich seien, und dass dann, wenn verschiedene Staaten nach ihrem Kollisionsrecht Geltung ihres Rechts für einen Sachverhalt beanspruchten, eben mehrere Rechtsordnungen parallel gälten. Aus dieser Perspektive bestehe schon deshalb keine Gleichsetzbarkeit der Begriffe von Anwendung und Geltung, weil nicht jede Norm, die nach ihrer Rechtsordnung Geltung „beansprucht“, deshalb von jeder anderen Rechtsordnung angewandt wird30. Allerdings kommt Knittel zu der Einschätzung, dass nur angewandt werde, was auch gelte31. Das Konzept konkurrierender Beanspruchung, welches Knittel analog zur Situation der Revolution mit widersprechenden Normen sich befehdender Autoritäten entwickelt32, erscheint jedoch für unsere Frage nicht weiterführend. Grundsätzlich erkennt der deutsche Gesetzgeber die Autorität ausländischer Rechtssetzer schon dadurch an, dass er durch ein positivistisches Kollisionsrechtskonzept auf ausländische Normen unter der Voraussetzung verweist, dass sie nach ihrer Rechtsordnung ordnungsgemäß gesetzt und daher in dieser für bestimmte Fälle geltend sind33. Von „konkurrierender Beanspruchung“ kann man deshalb beispielsweise dann nicht sprechen, wenn das Kollisionsrecht der Rechtsordnung A für einen Fall auf die Rechtsordnung B verweist, das Kollisionsrecht von B und die Kollisionsregeln aller übrigen Rechtsordnungen der Welt aber auf das Recht von A verweisen. Zwar mag zudem ein Sachverhaltsbetroffener in der Tat durch verschiedene Rechtsordnungen in abstracto verschiedenen Normbefehlen ausgesetzt sein. Es fehlt aber an einer Konkurrenz insoweit, als keine Rechtsordnung exklusive und universelle Maßgeblichkeit ihrer Sachnormen in Form von deren Durchsetzung in fremder Ho-
30 31 32 33
In diesem Sinne Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 16. Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 16. Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 14. Schilf, IHR 2004, 236, 244.
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
heitssphäre beansprucht. So weist etwa Schurig 34 darauf hin, dass der Anwendungsbefehl einer Norm sich „nur an die der Hoheitsgewalt Unterworfenen“ richte, sie also in „intransitiver Territorialität“ Wirkung „gewöhnlich nur innerhalb des jeweiligen Territoriums des gesetzgebenden Staates“ entfalte. Für die weitere Betrachtung ist schließlich bereits entscheidend, dass fremdes Recht nur nach Maßgabe inländischer Kollisionsvorschriften herangezogen wird. Denn dadurch ist die Technik des deutschen IPR einer Bewertung nach dem nur auf eine Rechtsordnung abstellenden juristischen Geltungsbegriff aus der Perspektive allein der inländischen Rechtsordnung, sozusagen einer intrakonstitutionellen 35 Betrachtung aus der Teilnehmerperspektive36 zugänglich.
4. Die notwendige Komplexität als Untersuchungsgegenstand Wie bereits zitiert, fragt nun Rabel: „Is it not sufficient that the court’s own conflict rule orders application?37“ und wird den Positionen Agos und Cooks „excessivo formalismo“38 und unnötiger Aufwand bzw., wie Cook selbst anspricht, „needless complexity“39 vorgehalten. Aus der Perspektive eines intrakonstitutionellen Geltungsbegriffs wird daraus die Frage nach der notwendigen Komplexität, nämlich die Frage, ob unser Staat, wenn er sich souverän für die Inbezugnahme ausländischer Vorschriften entscheidet, diese überhaupt „für anwendbar erklären“ kann, ohne der in Bezug genommenen ratio dadurch aus seiner Perspektive auch intrakonstitutionelle Geltung zu verschaffen, ohne also eine Norm der deutschen Rechtsordnung zu kreieren. Zur Beantwortung dieser Frage soll zunächst ein kurzer Blick auf die historische Entwicklung des Begriffs der Anwendbarkeitserklärung ausländischen Rechts geworfen werden.
34 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70 f., insbesondere Fn. 102 (Verweis auf Vogel ). 35 Den Begriff verwendet Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 21, bei der Charakterisierung der Rechtsnorm. 36 Näher zu den Perspektiven des Außenstehenden und des Teilnehmers etwa Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 47; Barros, Rechtsgeltung und Rechtsordnung, S. 1 ff.; Hart, The Concept of Law2, S. 88 ff. 37 Rabel, The Conflict of Laws2 , Vol. 1, S. 69. 38 Vitta, Diritto Internazionale Privato, Bd. 1, S. 219. 39 Cook, The Logical and Legal Bases of the Conflict of Laws, S. 33.
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
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II. Zum Charakter einer „Anwendbarkeit“ sui generis: unbeantwortete Fragen 1. Historische Metamorphose der herrschenden Konzeption a) Anwendung und Anwendbarkeit im völkerrechtlichen IPR Zitelmanns Das heute „überholte“ Konzept Zitelmanns hat für die Betrachtung der Geltung im Sinne der Rückführung auf höherrangige Normen durchaus noch Aussagekraft, weil danach im Grundsatz einer Rechtsordnung die Geltung kraft einer Rechtsquelle des Völkerrechts40 zukommt. Nach dem Ursprungskonzept Zitelmanns, das für unseren heutigen Geltungsbegriff durchaus prägend gewirkt hat41, kommt daher gerade der Anwendbarkeitserklärung eine völlig andere Bedeutung zu, als nach heute herrschender Sicht. Sein Ausgangspunkt entspricht dem Kelsens. So stellt Zitelmann 42 fest: „Das bei der Entscheidung anzuwendende Gesetz ist also dasjenige, das für diesen Fall geltend war: nur weil und soweit es geltend war, kann es auch angewandt werden; die Anwendbarkeit ist eine Folge des Gegoltenhabens und darum ein Zeichen und Erkenntnisgrund dafür“ 43.
Auch für Zitelmann ist die Anwendung also ein Subsumtionsvorgang. Im „Für anwendbar Erklären“, also im Anwendungsbefehl des IPR sieht Zitelmann allerdings etwas anderes. Für ihn bedeutet Kollisionsrecht nicht, dass ein souveräner Nationalstaat nach rein nationalen Vorstellungen räumlicher Gerechtigkeit fremde Rechtsordnungen als Quellen von Problemlösungen für die eigene Entscheidung über die Behandlung eines Sachverhalts in Bezug nimmt. Er geht vielmehr davon aus, dass zunächst nach Maßgabe eines völkerrechtlichen „Geltungsrechtssatzes“ die Herrschaft verschiedener Rechtsordnungen gegeneinander abzugrenzen sei44. Nationalstaatliches IPR („Zwischenprivatrecht“) wirkt, wie bereits ausgeführt, nach Zitelmann durch „Anwendungsnormen“ auf diese Zuordnung ein: „Eine Rechtsordnung für anwendbar erklären, heißt in jedem Fall: erklären daß diese Rechtsordnung und damit dieser Staat, der Subjekt der Rechtsordnung ist, Gewalt über solche Personen, solches Gebiet habe“45. 40 Zur kritischen Würdigung der völkerrechtlichen Ableitung des IPR bei Zitelmann und zu parallelen Erwägungen bei Donati vgl. bereits Ago, RdC 58 (1936 IV), S. 243, 253 ff.; zum Gedanken der Rückführung der staatlichen Rechtsordnung auf völkerrechtliche Geltung vgl. auch Kelsen, Reine Rechtslehre2, S. 221 ff. 41 Hess, Intertemporales Privatrecht, S. 37 Fn. 50, bezeichnet insbesondere die heutige Sicht des BVerfG als durch Zitelmann, FS Bergbohm, 207, 219 ff., 230 ff. geprägt. 42 Zitelmann, in: FS Bergbohm, S. 207, 209, 220 ff. 43 Zitelmann, in: FS Bergbohm, S. 206, 231. 44 Zitelmann, in: FS Bergbohm, S. 206, 237 ff. 45 Zitelmann, IPR I, S. 199 f.
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
Der nationale Gesetzgeber kann nun nach Zitelmann durch eigenes Recht den seiner Rechtsordnung nach dem völkerrechtlichen Geltungssatz zukommenden Geltungsbereich jedenfalls einschränken. Bei einer Erweiterung über diesen hinaus kann er hingegen in Konflikt mit dem Völkerrecht geraten und muss die Nichtanerkennung seiner Kollisionsrechtssätze durch ausländische Gerichte befürchten46. Ausländischen Rechts für anwendbar erklären heißt daher für Zitelmann so oder so Geltung verschaffen, gegebenenfalls unter Beschränkung der Geltung des inländischen Rechts47. Nach Zitelmann weist also nationales Kollisionsrecht Gehalten fremder Rechtsordnungen Geltung zu, wenn es diese für anwendbar erklärt. Deren Anwendung ist danach eine Subsumtion unter geltendes Recht durch den nationalen Richter. Deshalb gibt es für Zitelmann keine Anwendbarkeit ohne Geltung.
b) Heutiges Verständnis: Ausländische ratio und inländischer „Imperativ“ Für die Betrachtung aus heutiger Perspektive bleibt vom Denken in Kategorien der Abgrenzung der Regelungskompetenzen von Völkerrechtssubjekten für den Begriff der „Anwendbarkeit“ nur noch eine Problembeschreibung: Wenn man von der Vorstellung abrückt, dass der auf fremdes Recht verweisende Staat in einer völkerrechtlichen Dimension seine Hoheit zurücknimmt, um dem anderen Staat die Erstreckung von dessen Hoheitsgewalt als Subjekt der Normsetzung zu überlassen, stellt sich die Frage, wie ausländisches Recht in unserer Hoheitssphäre wirkt, in der es nicht kraft eigener Hoheit gelten kann, sondern aufgrund souveräner Entscheidung unserer Rechtsordnung „anwendbar“ ist. Heute entspricht es allgemeiner Ansicht, dass über innerstaatliches IPR die Vorstellungen fremden Rechts mit innerstaatlicher hoheitlicher Gewalt versehen werden. Die Differenzierung zwischen dem „rationalen Element“ einer Sachnorm (ihr sachlicher Inhalt) und ihrem „imperativen Element“ durch Henri Batiffol 48 aufgreifend entwickelt beispielsweise Schurig anschaulich, dass durch unser eigenes Kollisionsrecht nur das rationale Element einer ausländischen Sachnorm herangezogen und mit dem „imperativen Element“ für unsere Rechtsordnung erst durch unser Kollisionsrecht versehen werde 49. Diese Sicht hat sich in der Kollisionsrechtswissenschaft allgemein durchgesetzt 50; freilich werden noch die Modifikationen beim Nachvollzug der ausländischen 46
Zitelmann, in: FS Bergbohm, S. 206, 239. Zitelmann, in: FS Bergbohm, S. 206, 237. 48 Batiffol, Aspects philosophiques du droit international privé, S. 110–116, 139. 49 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70–72. 50 Vgl. bereits Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 79; ferner etwa Beitzke, FS Smend, S. 1 f.; Betti, in: FS Gutzwiller, S. 233, 238 ff.; Gebauer, in: FS Jayme, S. 223, 227; Gebauer/Hufeld, IPRax 2004, 327, 329; Kropholler, IPR6 , § 31 I 1, S. 212; Neu47
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
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rationes zu erörtern sein51. Anerkannte Konsequenz dieser Sichtweise ist zunächst, dass die Anwendbarkeit einer ausländischen Norm nach Maßgabe inländischen Kollisionsrechts nicht Ausfluss ihrer ausländischen Geltung ist 52.
c) Heutiges IPR in Zitelmanns Kategorien Weitere Einsicht verspricht damit die Antwort auf die Frage, wie denn Zitelmann die heutige Konzeption von IPR dogmatisch einordnen würde. Aufschlussreich hierfür sind Zitelmanns Ausführungen zu der Fallkonstellation, die aus seiner Perspektive der heute generellen Einschätzung für das IPR am ehesten entspricht. Er erörtert, was passiert, wenn nach „völkerrechtlichem Geltungssatz“ inländisches Recht „gilt“, dieses aber seine Anwendbarkeit einschränkt und ausländisches Recht für anwendbar erklärt. Dazu führt er aus, dass zwei Auffassungen möglich seien: „Der Gesetzgeber kann im Sinn gehabt haben, eine Bestimmung über den Herrschaftskreis der ausländischen oder der inländischen Rechtsordnung zu geben. Dann würde in einer solchen Bestimmung in Wahrheit eine Änderung des allgemeinen Satzes über den staatlichen (örtlichen) Geltungsbereich der eigenen Rechtsordnung liegen: die Geltung des inländischen Rechts wird in dieser Hinsicht eingeschränkt, zugleich aber wird einem ausländischen Recht die Geltung zugesprochen, entgegen dem, was aus der völkerrechtlichen Herrschaftsabgrenzung zwischen den Machtkreisen der einzelnen Staaten folgt. Wir hätten hier also eine wahre ,Kollisionsbestimmung‘. Technisch-logisch könnte aber der Rechtssatz auch dahin aufgefaßt werden, daß das inländische, für diesen Fall allein geltende und anwendbare Recht doch durch Verweisung auf das ausländische Recht dieses zu seinem eigenen sachlichen Inhalt mache: es handelt sich wiederum um einen materiellrechtlichen Verweisungssatz“ 53.
Geht man nun mit der heute allgemeinen Ansicht davon aus, dass die Bundesrepublik durch deutsches IPR auch bei „Anwendung“ ausländischen Rechts nicht zu dessen Gunsten ihren Hoheitsbereich zurücknimmt, so kann darin nach Zitelmann nur die Alternative der Gestaltung durch „materiellrechtlichen Verweisungssatz“ zu sehen sein, welcher ausländische Rechtsinhalte zu inländischen macht und den man wohl mit der dynamischen Verweisung im Sinne heutiger öffentlich-rechtlicher Dogmatik gleichsetzen darf. Den nächstliegenden Schluss aus Anerkennung eines vom Völkerrecht weitgehend unbeleckten, staatlichen IPR, dass das Produkt der Inbezugnahme ohne weiteres inländisch geltendes Recht und damit Bestandteil der deutschen Rechtsordnung werde, haben zwar die überwiegenden Stimmen der deutschen Kollisionsrechtswishaus, Die Grundbegriffe des IPR 2, § 43 I, S. 322 f.; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70–72; Zajtay, in: Die Anwendung ausländischen Rechts im IPR, S. 193, 195 f. 51 Vgl. unten S. 92 ff., insbesondere zur Sachnormverweisung S. 102 ff. 52 Besonders klar Betti, in: FS Gutzwiller, S. 233, 239; vgl. ferner nur Ferid, in: FS Dölle, Bd. 2 S. 119, 130; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70–72; Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter Geltung des Grundgesetzes, S. 30. 53 Zitelmann, in: FS Bergbohm, S. 206, 237 f. (Hervorhebung nicht im Original).
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
senschaft, welche von der keine Inkorporation begründenden „Anwendbarkeit“ als Rechtsfigur sui generis ausgehen, nicht gezogen. Stattdessen aber fand Zitelmann in Italien Gehör: Bemerkenswerter Weise kennt und zitiert gerade Anzilotti als Vordenker des italienischen Unilateralismus’ die „materiellrechtlichen Verweisungssätze“ Zitelmanns54.
d) Fazit: Tradition trotz Wegfalls der dogmatischen Fundierung Der Befund erscheint bemerkenswert. Nach Zitelmanns Ansatz bedeutet eine völkerrechtskonforme Erklärung der Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“, dass diesem – gegebenenfalls infolge der Zurücknahme der Geltung des eigenen Rechts – Geltung zugesprochen wird. Dieser fußt also auf einem völkerrechtlich gedachten, grundsätzlichen Gleichlauf von Anwendbarkeit und Geltung, bei dem ein fremder Staat Subjekt der im Inland geltenden Regeln ist. Der metaphysisch untermauerte55 Gedanke der Achtung fremder Rechtsordnungen ließ die Kollisionsrechtswissenschaft die Tradition von der Anwendung ausländischen Rechts „als ausländisches“ im Sinne einer Zuweisung von Regelungszuständigkeit trotz Entwicklung eines innerstaatlichen Verständnisses von IPR beibehalten56, obwohl nach einem solchen Verständnis nur innerstaatliche Normen innerstaatliche Geltung entfalten können. Sonnenberger sagt mit aller Klarheit, dass ausländische Normen herangezogen würden, ohne deren Geltungsbereich zu erweitern57. In der vermeintlichen Tradition liegt also ein völlig neues Konzept der souveränen Anwendbarkeitserklärung (Anwendungsbefehl) durch inländische Staatsgewalt ohne Zuweisung einer Normqualität für die inländische Rechtsordnung. Weil aber nach dem heute in der allgemeinen Rechtstheorie anerkannten Grundkonzept Geltung nichts anderes als die Zugehörigkeit eines Normsatzes zu einer Rechtsordnung als deren Norm ist, muss danach die nicht auf Inkorporation beruhende „Anwendbarkeit“ von Geltung notwendig verschieden sein. Wie bereits festgestellt58, ist daher insbesondere die von Ferid vertretene Variante der „nicht inkorporierenden Geltung als Fremdrecht“ mit den in der allgemeinen Rechtstheorie diskutierten Konzepten von Geltung unvereinbar. Unter der Prämisse fehlender Inkorporation muss man also entweder die Geltung der Produkte kollisionsrechtlicher Inbezugnahme innerhalb der deutschen Rechtsordnung verneinen oder einen neuen Geltungsbegriff aufstellen. 54 55 56
Anzilotti, Opere III, Scritti di diritto internazionale privato, S. 388. Vgl. die oben (S. 26) zitierten Ausführungen Goldschmidts zur „Würde des IPR“. Sehr deutlich wird dies etwa in den Ausführungen Bettis, in: FS Gutzwiller, S. 233,
238 f. 57 58
Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 75. Vgl. oben S. 15 f.
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
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Auch soweit schließlich Beitzke59 in Verabsolutierung des Zitelmannschen Grundsatzes festgestellt, dass Geltung und Anwendung einander entsprächen und Anwendung nur die Durchführung dessen sei, was schon gelte, bleibt unerfindlich, auf welche rechtstheoretische Kategorie abgehoben wird, wenn das IPR „formell inländisches“, „materiell“ aber ausländisches Recht darstellen soll.
2. Eigentümlichkeit der herrschenden Anwendbarkeitskonzeption a) Noch einmal zum „Tatbestand der Kollisionsnorm“ aa) Erste Bewertung der verschiedenen Positionen Das Konzept eines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls soll zur bloßen „Anwendbarkeit“ ausländischen Rechts als ausländisches ohne Integration der anzuwendenden Normsätze in das deutsche Recht führen. Die „bloße Anwendbarkeit“ unterscheidet sich deshalb nach dem hier zu Grunde gelegten Geltungsbegriff von Geltung deshalb, weil Geltung allein mit der Zuweisung verbindlichen Gesolltseins des durch einen Normsatz beschriebenen zukünftigen Verhaltens eine Aussage über die Zugehörigkeit dieses Normsatzes zu einer Rechtsordnung als deren Norm trifft: Normsätze sind Normen der deutschen Rechtsordnung (gelten), sobald sie kraft ordnungsgemäßer Setzung für die deutsche Rechtsordnung ein auf die Verfassung rückführbares, verbindliches Sollen ausdrücken. Die daraus folgende Unschärfe des kollisionsrechtlichen Konzepts der „bloßen Anwendbarkeit“, welche einem Rechtssatz Verbindlichkeit innerhalb der deutschen Rechtsordnung zuweist, ohne damit die Aussage von dessen Zugehörigkeit zur deutschen Rechtsordnung zu treffen, zeigt sich auch symptomatisch in der fortdauernden Kontroverse über Tatbestand und Rechtsfolge der Kollisionsnorm. Wie gesagt, ging Zitelmann 60 davon aus, dass der Tatbestand „der“ Kollisionsnorm eine „materiellrechtliche Rechtsfrage“61 (heute spricht man von Verweisungs- bzw. Anknüpfungsgegenstand), und die „staatliche Beziehung des Falls“ 62 (Anknüpfungsmoment) umfasse und dass Rechtsfolge der Kollisionsnorm die Anwendbarkeit der Rechtsordnung sei, auf die verwiesen wird63 – heute vertreten etwa v. Hoffmann/Thorn, dass der Tatbestand einer selbständigen Kollisionsnorm Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungsmoment aufweise 64.
59 60 61 62 63 64
Beitzke, in: FS Smend, S. 1, S. 13. Zitelmann, IPR I, S. 205 ff. Zitelmann, IPR I, S. 205, 207 ff. Zitelmann, IPR I, S. 206. Zitelmann, IPR I, S. 205. Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 4 Rn. 4.
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Bedenkt man nun, dass Zitelmann „eine Rechtsordnung für anwendbar Erklären“ mit dem Zusprechen von Geltung gleichsetzt65, so ist die Kollisionsnorm eine Hoheitszuweisung vergleichbar dem Art. 24 GG und damit eine Geltungsnorm, eine Norm des konstitutiven Rechts. Danach ist es folgerichtig, den zu entscheidenden Sachverhalt nicht als dem Tatbestand „der“ Kollisionsnorm unterfallend zu begreifen, da dieser dann nur in den Tatbestand der regulativen Norm des ausländischen Rechts fällt, die kraft kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls gilt – man würde auch nicht sagen, dass ein von einer europäischen Verordnung erfasster Sachverhalt in den Tatbestand von Art. 23 f. GG fällt. Diese für das Verhältnis von konstitutiven und regulativen Normen klare Unterscheidung verliert sich aber, sobald man einerseits bei der Rechtsfolge „Geltung“ durch „Anwendbarkeit“ ersetzt und andererseits über die Rechtsnatur dieser Anwendbarkeit keine weitere Aussage trifft, als dass sie von intrakonstitutioneller Rechtsnormqualität verschieden sei. Wie gesagt, hat etwa Rabel 66 den zu entscheidenden Sachverhalt zum Tatbestandsmerkmal der Kollisionsnorm erhoben, welche die „Lebensverhältnisse“ zur rechtlichen Beurteilung zuweise und daher Tatsachen zum Gegenstand habe67 und hat Kegel 68 darüber hinausgehend das weitestgehende Modell vom „internationalprivatrechtlichen Sachverhalt“ entwickelt, das auch noch die privatrechtlichen Sachnormen und ein „weiteres Anknüpfungsmoment“ aufnimmt, welches Schurig als Geltung des Sachrechtssatzes im Rechtsgebiet eines Staates 69 konkretisiert. Für zusätzliche Verwirrung sorgt schließlich Kropholler, wenn er zwar den Anknüpfungs- bzw. Verweisungsgegenstand dem Tatbestand, die Anwendbarkeit fremdem Rechts aber der Rechtsfolgenseite zuschlägt70. Denn die Folgerung aus seiner Prämisse, dass das Anknüpfungsmoment Ausdruck einer wesentlichen Entscheidung der Kollisionsnorm sei – ob nun für den Anknüpfungsgegenstand auf die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt oder ein sonstiges Merkmal abzustellen ist – ist nicht eindeutig: Das Anknüpfungsmoment gehöre jedenfalls zur Rechtsfolgenseite, könne aber bereits in die Formulierung der Tatbestandseite einbezogen werden71. Richtig ist wiederum sicher die Feststellung bei Neuhaus, dass die anwendbare Rechtsordnung gegebenenfalls unter Bezugnahme auf das Anknüpfungsmoment konkretisiert wird72. Insoweit geht es aber um zwei unterschiedliche Funktionen, was sich 65 66 67 68 69 70 71 72
Zitelmann, IPR I, S. 199 f. Rabel, RabelsZ 5 (1921), S. 241, 245. Ähnlich Martin Wolff, IPR 3, S. 2. Kegel, in: FS Raape, S. 13, 27. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 87. Kropholler, IPR6 , § 13 II 2., S. 104. Kropholler, IPR6 , § 13 II 2., S. 105. Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2, § 11 III, S. 100.
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zeigt, wenn man einmal mit Schurig davon ausgeht, dass eine gedachte, allseitige Kollisionsnorm: „Erbfälle sind nach dem Heimatrecht des Erblassers zum Zeitpunkt des Todeseintritts zu beurteilen“ in „Element-Kollisionsnormen“ zerlegt werden kann73 – Französisches Erbrecht ist anzuwenden, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes Franzose war – und sich klar macht, dass theoretisch auch dieselbe Folge an eine ganz andere Voraussetzung geknüpft werden könnte: Französisches Erbrecht ist anzuwenden, wenn der Erblasser Italiener war. Das Anknüpfungsmoment (Französische Staatsangehörigkeit des Erblassers) dient also einerseits als Voraussetzung – wenn Erblasser Franzose – und andererseits in einer zweiten logischen Operation auch zur Konkretisierung der von der Kollisionsrechtswissenschaft angenommenen Rechtsfolge der Anwendbarkeit einer Rechtsordnung – dann französisches Recht.
bb) Unklare Prämissen: Vollständige oder unvollständige Rechtssätze? Die nähere Betrachtung der unvereinbaren Stellungnahmen zu Tatbestand und Rechtsfolge „der“ Kollisionsnorm auf der gemeinsamen Grundüberzeugung von der „bloßen Anwendbarkeit“ ausländischen Rechts erhärtet noch einmal die bereits oben gefasste Diagnose methodischer Unschärfe: Wenn die Kollisionsnorm zur „Anwendbarkeit“ fremden Rechts führt, so muss doch notwendig erst geklärt werden, was diese Anwendbarkeit ausmacht, bevor man die Kollisionsnorm rechtstheoretisch einordnen kann. Es wäre widersprüchlich, die Natur der Anwendbarkeit ausländischen Rechts offen zu lassen, aber gleichwohl zu beanspruchen, Tatbestand und Rechtsfolge der Kollisionsnorm beschreiben zu können. Eine eigene Einschätzung zur Frage von Tatbestand und Rechtsfolge der Kollisionsnorm und diesbezüglich gegebenenfalls notwendiger Differenzierung zwischen Sachnormverweisung und renvoi kann und soll schon deshalb erst im Anschluss an die Klärung der Rechtsnatur des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls entwickelt werden74. Dazu muss zudem eine weitere Frage geklärt werden, ohne deren Beantwortung eine Theorie zum Tatbestand „der“ Kollisionsnorm nicht vollständig begründet werden kann: Umfassen Kollisionsnormen überhaupt vollständige oder vielmehr nur unvollständige Rechtssätze? Hierzu sei an die Terminologie bei Larenz angeknüpft, nach dem prägend für einen vollständigen Rechtssatz ist, dass er eine Regel enthält, welche die Entscheidung eines Konflikts ermöglicht, die also ein Gesolltsein zum Ausdruck bringt, das ihn von einem Aussagesatz unterscheidet75. Im Gegensatz
73 74 75
Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 92. Eingehend dazu unten S. 112 ff. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 , S. 250 ff.
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dazu vermögen unvollständige Rechtssätze nur in Verbindung mit anderen Rechtssätzen Rechtsfolgen zu begründen76. Die kollisionsrechtswissenschaftliche Quellenlage ist aber auch in diesem Punkt bemerkenswert unscharf. Für eine Einordnung der Kollisionsnormen als unvollständige scheint auf den ersten Blick etwa die Stellungnahme Goldschmidts 77 zu sprechen, dass die Vorschriften des IPR „indirekte Normen“ seien, welche an die Erfüllung ihres international gefassten Tatbestandes keine „unmittelbare materielle Rechtsfolge“ knüpften. Dies gilt aber eben nur auf den ersten Blick, was sich daran zeigt, dass auch für Neuhaus die Kollisionsnorm keine Rechtsfolge „unmittelbar materiellrechtlicher Art“78 aufweist, dieser aber dennoch geltend macht, dass die sog. selbständigen Kollisionsnormen „selbständige“79 Rechtsnormen darstellten. Darin liegt im Lichte der Larenzschen Differenzierung prima vista ein Widerspruch.
b) Abgrenzung gegenüber der dynamischen Verweisung Eindeutig abgrenzbar ist das herrschende Konzept „bloßer Anwendbarkeit“ ausländischen Rechts damit nur von der allgemein anerkannten Charakteristik der echten bzw. konstitutiven Verweisung. Die echte Verweisung wird zwar nach Karpen gerade dadurch charakterisiert, dass sie die Anwendbarkeit des Verweisungsobjekts auf den Geltungsbereich der Verweisungsnorm erstreckt, ohne ihm dadurch weitergehende Gesetzeskraft zu verleihen80. Jedoch inkorporiert nach h.M. die echte Verweisung den Inhalt des Verweisungsobjekts im Umfang der Inbezugnahme, so dass das Produkt der Verweisung in dieser geltendes Recht wird81. Das „herkömmliche“ Konzept der dynamischen Verweisung führt also gerade nicht zu einer von Inkorporation verschiedenen „Anwendbarkeit“ , weil zwar nicht die Geltung der in Bezug genommenen Norm verändert wird, dem dieser entlehnten (Teil-)Rechtssatz aber in der Verweisungsnorm als Bestandteil der Rechtsordnung der Verweisungsnorm modifiziert Geltung zukommt.
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Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 , S. 257. Goldschmidt, in: FS Martin Wolff, S. 203, 221. 78 Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2 , § 11 III, S. 100. 79 Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2 , § 11 III, S. 100. 80 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 30. 81 Arndt, JuS 1979, 784 f.; Brugger, VerwArch 78 (1987), 1, 4 f.; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 65 f.; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 32; Schenke, NJW 1980, 743. 77
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c) Unklare Abgrenzung zur Geltungsnorm: Anwendbarkeit als normativ befohlene, faktische, nicht normative Geltung Völlig unklar sind demgegenüber die Abgrenzung der Rechtsfolge „bloßer Anwendbarkeit“, die nicht zur Rezeption bzw. Inkorporation oder Bildung inländischer Parallelnormen führt, von der Normen der deutschen Rechtsordnung konstituierenden Geltung und damit die Abgrenzung der internationalprivatrechtlichen Kollisionsnormen von den konstitutiven bzw. Geltungsnormen. Denn „Anwendbarkeit“ ist strikt von bloßer Anwendung im Sinne von Subsumtion durch einen den Einzelfall entscheidenden Richter zu unterscheiden. Durch den abstrakt-generellen Anwendungsbefehl des deutschen Kollisionsrechts wird den Normsätzen fremden Rechts ein nur abstrakt-generell umgrenzter „Wirkbereich“ zugewiesen. Innerhalb dieses Wirkbereichs werden sie – gegebenenfalls durch deutsches Kollisionsrecht inhaltlich modifiziert – abstrakt-genereller Handlungsmaßstab dergestalt, dass insbesondere, wie es das BVerfG formuliert „durch Regelungen des internationalen Privatrechts die Durchsetzbarkeit […] ausl. Pflichten durch Einklagbarkeit und Vollstreckbarkeit im Inland gewährleistet“82 wird. Die regelmäßige Anwendung und Durchsetzung eines Normsatzes durch die Organe einer Rechtsordnung wird nun auch als „faktische Geltung“ bezeichnet83. Diese ist Gegenstand des soziologischen Geltungsbegriffs, zu dem Habermas schreibt: „Die soziale Geltung von Rechtsnormen bestimmt sich nach dem Grad der Durchsetzung, also der faktisch zu erwartenden Akzeptanz im Kreise der Rechtsgenossen. Anders als die konventionelle Geltung von Brauch und Sitte stützt sich freilich das gesatzte Recht nicht auf die gewachsene Faktizität eingewöhnter und tradierter Lebensformen, sondern auf die artifiziell hergestellte Faktizität der Androhung rechtsförmig definierter und vor Gericht einklagbarer Sanktionen“84.
Für den soziologischen Geltungsbegriff kann hierzu festgestellt werden, dass unter dem Gesichtspunkt der sozialen Wirkung in Form artifizieller Faktizität durch rechtsförmig determinierten Sanktionsapparat das Konzept der verbindlichen Anwendbarkeit kraft kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls nicht grundsätzlich von „herkömmlichen“ Rechtsnormen der deutschen Rechtsordnung unterschieden werden kann. Durch den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl werden daher die in Bezug genommenen Texte fremden Rechts – Norm- bzw. Rechtssätze – nach Maßgabe der Inbezugnahme zumindest faktisch geltend. Zudem ist bereits ausgeführt worden, dass die Prämisse der Anwendbarkeitsthese, wonach die Produkte der kollisionsrechtlichen Inbezug82
BVerfG, FamRZ 2005, 1813, 1815. Eingehend Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, S. 58 ff; vgl. ferner Hollo, Die Definition von geltendem Recht in der Rechtsfindung, S. 27; Otte, in: FS Gmür, S. 359, 360. 84 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 47. 83
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nahme nicht Normen der deutschen Rechtsordnung werden, zur Unvereinbarkeit von „bloßer Anwendbarkeit“ und juristischer Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung führen, weil Geltung gerade die Zugehörigkeit eines Normsatzes zur deutschen Rechtsordnung als deren Rechtsnorm beschreibt. Daraus folgt – Legalität des Vorgangs vorausgesetzt – dass die herrschende Konzeption eines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls, der weder inkorporiert bzw. rezipiert noch inländische Parallelnormen schafft, auf die Anerkennung einer gesetzlichen Anordnung faktischer Geltung ohne rechtliche Geltung hinausläuft. Zwar bereitet nun die gesetzliche Anordnung faktischer Geltung aus der Perspektive des soziologischen Geltungsbegriffs keine gedanklichen Schwierigkeiten, denn die Annahme der faktischen Geltung einer Norm setzt ohnehin die Beschreibung des Sollensgehalts dieser Norm voraus85. Die Frage nach der juristischen Geltung hingegen ist die Frage nach der Normativität des Faktischen. Versteht man nun aus der Perspektive des juristischen Geltungsbegriffs Geltung als nicht nur faktisch, sondern normativ verbindliches Gesolltsein des durch einen Normsatz beschriebenen zukünftigen Verhaltens, so beinhaltet das Konzept des keine Geltung verschaffenden, kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls die normativ verbindliche Anordnung eines nicht normativen, aber in abstrakt-generellen Normsätzen formulierten Gesolltseins. Man kann damit nicht nur Lüderitz beipflichten, dass die „Zweigleisigkeit von ,Gelten‘ und ,Anwenden‘“ ein „logisches Gespenst“86 bedeutet. Geht man vielmehr mit Weinberger davon aus, dass der normative Charakter des Rechts aus nichts anderem folgt, als dass es eine in Normsätzen formulierte bzw. formulierbare, systemrelative Willensäußerung darstellt87, liegt in der herrschenden Konzeption der Anwendbarkeitserklärung durch IPR eine contradictio in re. Die Möglichkeit, ein solches Konzept dennoch widerspruchsfrei rechtstheoretisch zu konstruieren, soll im Folgenden näher beleuchtet werden.
85
Otte, in: FS Gmür, S. 359, 360. Lüderitz, RabelsZ (29) 1965, S. 426, 428 f. 87 Weinberger, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, S. 134, 138 f. 86
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III. Untersuchung der Möglichkeit eines widerspruchsfreien Konzepts „bloßer Anwendbarkeit“ als von Geltung verschiedener Rechtsfigur sui generis 1. Keine Rechtsnormqualität des ausländischen Bezugsobjekts Der im Begriff der Anwendung als ausländisches Recht zum Ausdruck kommende kongruente Nachvollzug ausländischer Normen durch die inländische Rechtsordnung basiert zunächst auf einer Mehrzahl von unausgesprochenen Implikationen hinsichtlich der Natur der Rechtsnorm, die nicht unbestritten sind. So setzt das Konzept voraus, dass das jeweilige ausländische Bezugsobjekt überhaupt ausländische Rechtsnorm ist. Dies impliziert insbesondere, dass die in Bezug genommenen zivilrechtlichen Verhaltensgebote unabhängig vom damit verbundenen staatlichen Sanktionsapparat Rechtsnormen sind.
a) Zum Begriff der Rechtsnorm Damit ist der Begriff der Rechtsnorm angesprochen. Wie bereits gesagt, ist die Frage nach der Geltung des Rechts mit der Frage, was eine Rechtsnorm ist, untrennbar verwoben88. Der vielschichtige Begriff der Rechtsnorm kann im Rahmen dieser Arbeit aber nicht umfassend durchdrungen werden. Es sollen daher nur Aspekte mit besonderem Bezug zur Frage der Natur der kollisionsrechtlichen Inbezugnahme erörtert werden. Zunächst einmal soll für die nähere Untersuchung ein rechtstheoretischer Rechtsnormbegriff verwandt werden, der insbesondere nicht von der im Verfassungsrecht bekannten Differenzierung in formelle und materielle Gesetze ausgeht, sondern jedwede materielle Rechtsnorm ungeachtet ihrer Form, also insbesondere auch Sätze des Gewohnheitsrechts erfasst89. Über die wohl überwiegend zugebilligte Eigenschaft der Rechtsnorm als generelle Regelung zur Steuerung menschlichen Zusammenlebens90 hinaus hat etwa Alexy betont, dass das mit dem juristischen Geltungsbegriff korrespondierende Element des Rechtsnormbegriffs in der ordnungsgemäßen Gesetztheit zu sehen ist 91. Ob ein Rechtsnormbegriff darauf verzichten kann, den der Geltung in sich aufzunehmen, ist zwar umstritten92. Diese Untersuchung operiert aber jedenfalls un88
Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 15. Vertiefend zu dieser Differenzierung Stern, Staatsrecht II, § 37 I g ff., S. 565 ff. 90 Näher Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 19; Lüderssen, Genesis und Geltung in der Jurisprudenz, S. 127; Rüthers, Rechtstheorie2, Rn. 48 ff. 91 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 139. 92 Keinen solchen vertretend aber die Möglichkeit einräumend Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 44 ff.; ablehnend etwa Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, S. 255, These Nr. 2; Weinberger, in: Rechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 109; wohl auch Radbruch, Rechtsphilosophie8 , S. 170. 89
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ter der Prämisse der grundsätzlichen Geltung93 der deutschen Rechtsordnung und stellt sich die Frage nach der Zugehörigkeit von Normen zu dieser als staatliches Recht, wofür die Geltung gerade das entscheidende Zuordnungskriterium ist94. Die den hier untersuchten Meinungsstreit determinierenden Kategorien von ausländischem und inländischem Recht sind daher Geltungskategorien: Deutsches Recht ist nur innerhalb der deutschen Rechtsordnung geltendes Recht, französisches Recht ist innerhalb der französischen Rechtsordnung geltendes Recht usw. Für die hier zu untersuchende Unterscheidbarkeit von Geltung und besonderer kollisionsrechtlicher Anwendbarkeitserklärung des Objekts der kollisionsrechtlichen Inbezugnahme interessieren daher notwendig nur sozusagen funktionale Rechtsnormen im Sinne Radbruchs 95, die ein im Rahmen einer Rechtsordnung verbindliches Sollen ausdrücken. Nicht für ihre Erzeugungsrechtsordnungen verbindliches Sollen ausdrückende „Normen“ sind letztlich ohnehin nicht mehr als Rechtsideen, also Möglichkeiten von Rechtsnormen96, mit denen sie nur die semantische Struktur des Normsatzes teilen. Für die weitere Betrachtung wird also ein funktioneller, d.h. nicht geltungsfreier Begriff der Rechtsnorm zu Grunde gelegt. Dies harmoniert damit, dass gerade jüngere Betrachtungen zur Rechtstheorie hierzulande in den Begriff der Rechtsnorm die Bedingung aufnehmen, dass ein Satz ein Minimum an sozialer Wirksamkeit(-schance) aufweisen muss97: Eine gesetzte Norm, die ihre soziale Autorität nur auf den Sanktionswillen ihrer Erzeugungsrechtsordnung stützen kann, welche diese Norm explizit als außer Kraft betrachtet, wird regelmäßig nicht einmal ein Minimum an sozialer Wirksamkeit aufweisen. Schließlich kann, wie schon beim Geltungsbegriff ausgeführt, für unsere Fragestellung vernachlässigt werden, ob eine Rechtsnorm im Sinne nichtpositivistischer Verbindung von Recht und Moral ein Minimum an ethischer Rechtfertigung(-sfähigkeit) aufweisen muss98. 93 Wobei die „Geltung“ der Rechtsordnung insgesamt etwas anderes sein muss, als die juristische Geltung der übrigen Normen, da die Frage nach der Geltung der Rechtsordnung nicht sinnvoll dahingehend gestellt werden kann, ob sie mit sich vereinbar und sich zugehörig ist; vgl. näher etwa Otte, in: FS Gmür, S. 359, 361. 94 Vgl. näher oben S. 65. 95 Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie8 , S. 170. 96 Dazu etwa Huber, Recht und Rechtsverwirklichung, S. 388: „Nichtgeltende Rechtssätze haben vielleicht die Gestalt des Rechtsbegriffs, sind aber gleichwohl nicht Recht oder doch totes Recht“; sowie Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, S. 204: „Juristisch relevant sind Normbedeutungen nur, wenn sie geltende Rechtsnormen enthalten“. 97 Vgl. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 201; Dreier, NJW 1986, 890, 896; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 479; Mock, in: Rechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 51; Zippelius, Juristische Methodenlehre10 , § 2, S. 6 f.; so aber auch bereits etwa Kelsen, Reine Rechtslehre2, S. 10 f.; Radbruch, Rechtsphilosophie8 , S. 170. 98 In diesem Sinne etwa Dreier, NJW 1986, 890, 896; ähnlich Auch Alexy, Begriff und
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Anders verhält es sich insbesondere mit den Fragen, wer Adressat staatlicher Normen ist, bzw., ob die Sanktion zur Rechtsnorm gehört.
b) Staat als zusätzlicher Adressat oder Zwang normkonstituierend? Gerade die positivistischen Rechtsbegriffe99 bezeichnen vielfach als Strukturelement von (geltendem) Recht, ein Verhalten zu definieren, dessen Einhaltung bzw. Nichteinhaltung mit Zwang sanktioniert wird, wessen Durchführung innerhalb der Rechtsordnung einer besonderen Gruppe von Menschen – Organen – zugewiesen wird100. Keine Rechtsordnung beansprucht aber nun in Abgrenzung gegenüber den anderen Rechtsordnungen exklusive universelle Geltung ihrer Sachnormen101. Wie bereits ausgeführt, weist etwa Schurig102 darauf hin, dass der Anwendungsbefehl einer Norm sich „nur an die der Hoheitsgewalt Unterworfenen“ richte, es also in „intransitiver Territorialität“ Wirkung „gewöhnlich nur innerhalb des jeweiligen Territoriums des gesetzgebenden Staates“ entfalte. Ein Aspekt desselben Phänomens lässt sich auch aus anderer Perspektive beschreiben: Ausländische Normen beanspruchen nicht ihre Anwendung durch die deutsche Staatsgewalt. Erst ihre Inbezugnahme durch deutsches Kollisionsrecht bindet den deutschen Richter103. In diesem Sinne hat nun Stöcker 104 angenommen, dass Adressat einer Rechtsnorm nicht nur der „Tatbestandsbetroffene“, sondern „zugleich jedes zur Rechtsverwirklichung eingesetzte, zuständige Organ“ sei. Wengler vertritt demgegenüber, dass erst der staatliche Zwang gegenüber Rechten bzw. Rechtsgütern, die wiederum durch die staatlichen Rechtsordnungen erst unterschiedlich ausgestaltet werden und daher notwendig von Staat zu Staat unterschiedlich sind, eine Norm ausmache105. Aus diesen Erwägungen erwächst ein denkbares prinzipielles Argument gegen die Konzeption einer Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“: Gehört das an seine Organe gerichtete Gebot des Staates zur Sanktionierung zum Inhalt jeder Rechtsnorm dieser Rechtsordnung oder ist die Sanktion konstituierend für die Norm, so ergeben sich, wenn ein und dasselbe Verhaltensgebot an Private von verschiedenen Staaten verwirklicht wird, inhaltlich unterschiedliche Normen. Geltung des Rechts, S. 201; vertiefend zur Frage von Verbindung oder Trennung von Recht und Moral Birgit Hoffmann, Das Verhältnis von Gesetz und Recht, insb. S. 229 ff. 99 Einen Überblick über von ihm so genannte wirksamkeitsorientierte und setzungsorientierte Rechtsbegriffe gibt Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 31 ff. 100 Vgl. in diesem Sinne etwa Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre2 , S. 8 ff., 13. 101 Betti, in: FS Gutzwiller, S. 233. 102 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70 f., insbesondere Fn. 102 (Verweis auf Vogel ). 103 So bereits Zajtay, in: Die Anwendung ausländischen Rechts im IPR, S. 193, 195 f. 104 Stöcker, JR 1965, 456, 457 f. 105 Wengler, in: FS Laun, S. 719, 725 ff.
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Freilich bestehen in der Rechtstheorie widerstreitende Positionen sowohl darüber, wer Adressat einer Rechtsnorm ist, als auch, welche Bedeutung dabei der Sanktion zukommt. Insbesondere die Frage, ob Stöcker mit seiner „Doppeladressatentheorie“ tatsächlich die herrschende internationalprivatrechtliche Anwendbarkeitskonzeption in Frage zu stellen vermag, bedarf der näheren Betrachtung der Imperativentheorie.
c) Zu Imperativentheorie und prozessualem Rechtsbegriff aa) Imperativentheorie mit unterschiedlichen Adressaten von Primär- und Sekundärnorm Stöcker steht unausgesprochen auf dem Boden der Imperativentheorie, nach welcher die Rechtsnorm stets die Struktur eines Befehls hat. Auch nach dieser Sicht – die etwa hinsichtlich der Befehlsstruktur einer Ermächtigung namhaft angegriffen wird106 – ist es aber nicht logisch zwingend, das Verhaltensgebot an Private und das Gebot der Sanktionierung an die Staatsorgane zu fusionieren. Plastisch unterscheidet auf ihrem Boden etwa Nawiasky diametral zu Stöcker unter Verweis auf Thon107 eine primäre Norm – „Du sollst das Eigentum anderer nicht verletzen“ – von einer sekundären, an die staatlichen Organe gerichteten Norm – Wer dem zuwiderhandelt, den sollen „die dazu Berufenen zur Wiedergutmachung zwingen“108. Ähnlich haben bereits Binding109 und der Vater der Imperativentheorie, Bentham110, den Befehl des rechtmäßigen Verhaltens (Norm; law creating an offence), den ein Straftäter verletzt, von dem Satz, der Bestrafung anordnet (Strafrechtssatz; law commanding a punishment), getrennt. Unser Kollisionsrecht kombiniert nach dieser Sichtweise gegebenenfalls Elemente einer ausländischen Primärnorm mit inländischen Sekundärnormen, dem Sanktionssystem. Zur Vermeidung begrifflicher Verwirrung sei aber darauf hingewiesen, dass Hart als Kritiker der Imperativentheorie zwar ebenfalls „primary rules“ und „secondary rules“ differenziert111, unter die erste Gruppe aber nicht nur Befehle/Gebotsnormen sondern auch nach ihm hiervon abzugrenzende Ermächtigungen sowie zudem auch Sanktionsnormen fasst, während die zweite nach ihm Normen bezeichnet, die etwas über die Geltung der ersten Gruppe aussa106 Kritisch hierzu etwa Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 , S. 197 ff.; Hart, The Concept of Law2, S. 27 ff.; Larenz, Methodenlehre 6 , S. 253 ff. 107 Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, S. 8 ff. 108 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre2 , S. 14; vgl. in diesem Sinne auch Zippelius, Juristische Methodenlehre10 , § 2 S. 7 f. 109 Vgl. Binding, Die Normen und ihre Übertretung I 2 , S. 1 ff. 110 Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 302: „A law confining itself to the creation of an offence, and a law commanding a punishment to be administered in case of the commission of such an offence, are two distinct laws“. 111 Hart, The Concept of Law2 , S. 79 ff.
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gen („rules about primary rules“112). Diese Zweifaltigkeit zielt also eher auf die Unterscheidung von regulativen Normen und konstitutiven Normen (Geltungsnormen113 bzw. Kreationsnormen114). Letztere Differenzierung wird auch im Rahmen dieser Arbeit noch zu vertiefen sein.
bb) Verneinung der Normqualität von an Private gerichteten Imperativen (Kelsen) Kelsen hingegen geht noch radikal über Stöckers Doppeladressatentheorie hinaus: Für ihn existieren nur an die Staatsorgane gerichtete Normen, während er ein vom Sanktionssystem getrennt gedachtes Verhaltensgebot an Private gar nicht als Rechtsnorm begreift115. Der Zweck einer jeden Anordnung eines Nachteils erschöpft sich für Kelsen in der Bewirkung der Befolgung der sanktionierten Verhaltensanordnung, während er einem Verhaltensgebot, dem zuwider zu Handeln nicht mit Unrechtsfolgen belegt ist, die Rechtsqualität abspricht: Ein Verhalten sei Unrecht, nicht weil es gegen einen obrigkeitlichen Befehl verstoße, sondern nur insofern es Voraussetzung für eine Unrechtsfolge sei116. Ein rechtlicher Imperativ gegenüber Privaten existiere nicht; der Imperativ sei nur im Sinne Kants ein pragmatischer Imperativ der Klugheit117. Kelsen begreift stattdessen jeglichen Rechtssatz als hypothetisches Urteil über den Sanktionswillen des Staates118. Legt man dies zu Grunde, gewinnt auch hinsichtlich der Vorgaben des Zivil„Rechts“ erst die Einschätzung Normqualität, dass der Staat ihre Einhaltung sanktionieren wolle. Gedachte zivilrechtliche Verhaltensgebote an Private sind also aus der extremen Perspektive Kelsens nur Bedingungen für Normen bzw. in den Worten Harts „,if-clauses‘, not complete rules“119.
cc) Fehlen eines vom Prozess abstrakten, materiellen Rechts Betont man schließlich allein den tatsächlichen Zwang, der von einer Rechtsordnung ausgeht, kann man prima facie auf eine Kategorie isolierten materiellen Zivilrechts jenseits des Prozesses verzichten: Aus Zivilrecht folgt staatlicher Zwang in der Regel erst durch Vollstreckung eines Vollstreckungstitels als Produkt eines Zivilverfahrens. Wenn man allein dem Sanktionsmechanismus 112
Hart, The Concept of Law2, S. 94 ff. Hierzu vertiefend noch Albert, in Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, S. 115, 119; Barros, Rechtsgeltung und Rechtsordnung, S. 28 f. 114 So die Terminologie bei Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. 115 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 270 ff.; ders., Reine Rechtslehre 2 , S. 120 ff. 116 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 286. 117 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 230. 118 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 228 ff., 234. 119 Hart, The Concept of Law2 , S. 36. 113
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Normqualität zubilligt, erscheint die Herstellungs-120 oder auch Kreationstheorie bzw. konkrete Prozessrechtslehre121 konsequent, nach welcher kein unabhängig vom Zivilprozess gedachtes objektives Recht durch diesen geschützt, sondern das zwischen den Parteien bestehende Recht erst durch den Prozess fixiert wird122. Angelegt ist eine solche Fokussierung auf den Prozess etwa bereits im berühmten Satz Oliver Wendell Holmes’: „The prophecies of what the court will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law“123.
d) Kritik der impliziten Prämissen der Anwendbarkeitskonzeption aa) Prämisse eines ausländischen materiellen Rechts Mit Verneinung eines vom Prozess unabhängigen materiellen Rechts entfällt die Funktion materiellen Rechts als verbindlicher Entscheidungsmaßstab124 im Rahmen eines Richtigkeitspostulats125 für Urteile und damit auch die gedankliche Kategorie des materiellen Rechts als „Imperativ“ gegenüber den „Tatbestandsbetroffenen“126, mit der nicht nur Stöcker argumentiert, sondern die auch implizite Voraussetzung der Differenzierung zwischen kollisionsrechtlicher Anwendbarkeitserklärung und Geltung ist. Die Verneinung materiellen Rechts ist indes nicht überzeugend. Insbesondere Art. 1 Abs. 3 GG ist Ausdruck eines Verfassungspositivismus, wonach die richterliche Entscheidungsfindung im Prozess nicht stets erstmalige Gestaltung sondern in erster Linie Kognition127 einer aus der Verfassung abgeleiteten Ordnung ist, an die das Gericht gebunden ist. Zu Recht weist zudem Luhmann darauf hin, dass ein Prozess, begriffen als Folge selektiver Ereignisse, eine außerhalb seiner selbst liegende Struktur voraussetzt, die ihm Möglichkeiten und Kriterien der Selektion und dadurch erst seine Identität gibt128. 120 So der Begriff bei Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und zivilprozessuale Gerechtigkeit, S. 261 ff. 121 So die Begriffe bei Sauer, Allgemeine Prozessrechtslehre, S. 3. 122 Vgl. in diesem Sinne etwa Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345, 368. 123 Holmes, in: Harv. L. Rev. 10 (1897), 457, 461; vgl. auch die in diese Richtung gehenden Erwägungen bei Lüderssen, Genesis und Geltung, S. 132. 124 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und zivilprozessuale Gerechtigkeit, S. 266; Schaper, Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfahrens, S. 68; vgl. auch Roland Hoffmann, Verfahrensgerechtigkeit, S. 204 f. 125 Gilles, in: FS Schiedermair, S. 183, 195 f. 126 Nach Schaper, Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfahrens, S. 68, ist das materielle Recht hingegen kein Imperativ an den Richter. 127 Dies betonend etwa auch Hollo, Die Definition von geltendem Recht in der Rechtsfindung, S. 4. 128 Luhmann, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, S. 255, 260; das schließt freilich nicht aus, von einem „zirkulären Verweisungszusammen-
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Das internationalprivatrechtliche Anwendbarkeitskonzept ist aber auch dann nicht haltbar, wenn man im Sinne Kelsens den isolierten Verhaltensgeboten bzw. der Zuweisung von Rechten an Private die Rechtsnormqualität abspricht, denn dann sind die durch unser Kollisionsrecht herangezogenen zivil-„rechtlichen“ Verhaltensgebote bzw. Rechte ausländischer Provenienz weder ausländisches noch inländisches Recht, sondern isoliert nicht einmal „pragmatische Imperative der Klugheit“, weil auch dies voraussetzt, dass sie von – inländischen oder ausländischen – Sanktionsnormen zur Bedingung erhoben werden. Die herrschende These von der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeit ausländischen Rechts impliziert demnach notwendig die Anerkennung der Existenz eines an Private gerichteten – materiellprivatrechtlichen – regulativen Rechts. Daraus folgt allerdings nicht nur, dass Kelsen auf dem Boden seiner Normenlehre die kollisionsrechtliche These von der Anwendung „als ausländisches Recht“ verwerfen muss, sondern darüber hinaus, dass Kelsen mit seinen Ausführungen über das internationale Privatrecht in logischen Widerspruch zu seiner allgemeinen Normenlehre gerät. Wie bereits zitiert, schreibt er über: „the norms of so-called private international law prescribing the application of norms of a foreign law to certain cases“129. Nach Kelsens generellem Konzept werden doch durch IPR ausländischem Recht nur zivilrechtliche Verhaltensgebote, d.h. keine Rechtsnormen, sondern nur Bedingungen für Rechtsnormen entnommen und in das eigene Recht inkorporiert. Denn aus den Vorgaben seines Privatrechts ergibt sich isoliert kein Sanktionswille des fremden Staates; sein Sanktionssystem, in dem sich sein Sanktionswille erst manifestiert, wird nicht in Bezug genommen. Allerdings wird die extreme Sichtweise Kelsens heute ohnehin zu Recht gemeinhin abgelehnt130. So erscheint es nicht nur künstlich, beispielsweise einer Ermächtigung/Geltungsanordnung (z.B. einer Kompetenznorm)131 oder einer Auslegungsregel die Rechtsnormqualität abzusprechen, nur um dann die gesamte objektive Ordnung in höchst komplexe Sanktionsnormen hineinzulesen. Vielmehr kann Kelsen mit der Verneinung der Rechtsqualität höherangiger konstitutiver Normen, die nur im Rahmen ihrer Aussage über die Zugehörigkeit nachrangiger Normen zur Rechtsordnung mittelbar mit dem staatlichen Sanktionssystem verbundenen sind, kaum mehr überzeugend den Stufenbau hang“ von Urteil und Norm auszugehen, dazu etwa Callies, in: Neue Theorien des Rechts, 57, 61 f. 129 Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244 (Hervorhebung nicht im Original). 130 Näher etwa Hart, The Concept of Law2 , S. 35 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 , S. 253 ff.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre2, S. 14 ff.; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 249 ff. 131 Etwa Kelsen, General Theory of Law and State, S. 90 f.; kritisch dazu Hart, The Concept of Law2, S. 79.
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der Rechtsordnung erklären132: Streng genommen müsste er von einem „Stufenbau der Rechtsbedingungsordnung“ sprechen; insbesondere die „Grundnorm“ könnte schwerlich eine Rechtsnorm sein. Auch bei der Beschreibung von IPR taugt Kelsens Normkonzept nur zur Schaffung übergroßer weil durch keinen Erkenntnisgewinn gerechtfertigter Komplexität, die, wie gerade gezeigt, Kelsen selbst in einen logischen Widerspruch führt. Schließlich ermöglicht allein das Denken in Tatbeständen und Rechtsfolgen nicht nur hinsichtlich an Private gerichteter Verhaltensgebote, sondern auch hinsichtlich der Zuweisung bzw. Aberkennung privater Rechte oder einer Rechtsmacht wie der Vertretungsmacht schon im Vorfeld staatlichen Zwangs die diesbezügliche Differenzierung von vollständigen und unvollständigen Norm- bzw. Rechtssätzen133. Ohne diese Differenzierung kann beispielsweise auch Karpens Werk über die dynamische Verweisung nicht auskommen134. Auf sie wird auch im Rahmen dieser Untersuchung noch zurückgegriffen werden müssen135. Ob man aber insoweit, wie etwa Hart136 meint, Normen, die ein Recht zuweisen, von den Imperativen verstanden als Verhaltensbefehlen in engerem Sinne strikt trennen oder ob man in weiter Begrifflichkeit auch Ermächtigungen im Sinne einer Sollensanordnung als Imperativ begreifen sollte, was bereits Bierling137 ausdrücklich annimmt, ist letztlich eine Streitfrage reiner Begriffsjurisprudenz. Aus ihr ist für den Fortgang dieser Arbeit kein Erkenntnisgewinn zu ziehen, weil beide Sichtweisen jedenfalls an Private gerichtete, regulative Normen anerkennen, die keine Befehlsstruktur im Sinne einer unmittelbaren Handlungsanweisung aufweisen.
bb) Prämisse der absoluten Trennung von Sein und Sollen Ferner ist aber auch dann, wenn man einen Dualismus von regulativen (Primär-)Normen und Sanktionssystem für jede fremde Rechtsordnung unterstellt, noch nicht ausgeschlossen, sich mit Wengler auf den Standpunkt zu stellen, dass jede an Private gerichtete Norm erst dadurch ihre Rechtsnormqualität gewinnt, dass sie mit einem (von besonderen Organen getragenen) Sanktionsapparat verbunden ist, mag das Sanktionssystem auch imperfekt sein138. 132 Eingehende Kritik hierzu bei Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 249 ff. 133 Vgl. hierzu etwa Röhl, Allgemeine Rechtslehre2 , § 27 IV, S. 206 f.; für Kelsen, Reine Rechtslehre2, S. 55 ff., sind demgegenüber ausnahmslos alle privatrechtlichen Rechtssätze unvollständig. 134 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, etwa S. 22 ff. 135 Vgl. etwa die unten hieraus abgeleiteten Kriterien der Differenzierung zwischen dynamischer Verweisung und Delegation, S. 178 ff. 136 Hart, The Concept of Law2 , S. 27 ff. 137 Bierling, Juristische Prinzipienlehre V (Exkurs I) S. 130 ff, 137; eingehend zu dieser Frage Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, S. 202 ff. 138 Vertiefend hierzu etwa Hofmann, Legitimität und Rechtsgeltung, S. 43 ff.; Samu, in:
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Weitaus prosaischer als Ihering139 spricht Bydlinski140 insoweit von der „seit altersher verbreiteten Auffassung“, dass eine „im Großen und Ganzen wirksame Zwangsordnung“ notwendiges Merkmal des Rechtsbegriffs sei. Wie gesagt, entsteht nach Wengler 141 dann, wenn eine ausländische Zivilrechtsnorm über die kollisionsrechtliche Inbezugnahme in das Sanktionssystem eines anderen Staates eingebunden wird, eine neue Norm. Ebenfalls kann der traditionellen kollisionsrechtlichen Anwendbarkeitsthese nicht widerspruchsfrei folgen, wer mit Zippelius142 der Ansicht ist, dass in der „spezifischen Technik der Durchsetzbarkeit das charakteristische Merkmal des garantierten staatlichen Rechts“ liege und daher „das garantierte Recht seinem Begriffe nach mit Macht verbunden“ sei143. Diese Sicht ist wiederum nichts anderes als eine Folge der heute zu Recht verbreitet geforderten144 Aufnahme eines Kriteriums der (minimalen) sozialen Verwirklichung(schance) in den Begriff der Rechtsnorm, durch welche die strikte Trennung von Sein und Sollen aufgehoben wird: Eine staatlich gesetzte Norm kann ihre soziale Autorität regelmäßig nur auf den Sanktionswillen ihrer Erzeugungsrechtsordnung stützen und wird daher dort, wohin dieser nicht reicht, regelmäßig nicht einmal ein Minimum an sozialer Wirksamkeit aufweisen145. Alexy146 spricht in diesem Zusammenhang von den Merkmalen Zwang und Dominanz gegenüber konkurrierenden Normensystemen. Soweit ein ausländischer Staat also den Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland als gegenüber eigenen Vollstreckungsanstrengungen unverletzlich respektiert, sind danach die Rechtsnormen dieses ausländischen Staates im deutschen Hoheitsbereich als solche eines fremden Regelungssubjekts nicht existent. Nun vertreten auch die Verfechter des besonderen kollisionsrechtlichen Anwendbarkeitsmodells nicht, dass die Qualität eines Normsatzes als fremdes Recht aus der Inbezugnahme durch unser Kollisionsrecht folge: Die franzöRechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 67 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre10 , § 2, S. 8. 139 Vgl. Ihering, der Zweck im Recht, Bd. I, S. 250 f.: „Der vom Staate in Vollzug gesetzte Zwang bildet das absolute Kriterium des Rechts, ein Rechtssatz ohne Rechtszwang ist ein Widerspruch in sich selbst, ein Feuer, das nicht brennt, ein Licht, das nicht leuchtet“. 140 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 , S. 188. 141 Wengler, in: FS Laun, S. 719, 725 ff. 142 Zippelius, Juristische Methodenlehre10 , § 2, S. 8. 143 Zippelius, Rechtsphilosophie 4, § 5 IV 2, S. 35. 144 Vgl. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 201; Dreier, NJW 1986, 890, 896; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 479; Mock, in: Rechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 51; Zippelius, Juristische Methodenlehre10 , § 2, S. 7 f.; so aber auch bereits etwa Kelsen, Reine Rechtslehre2, S. 10 f.; Radbruch, Rechtsphilosophie8 , S. 170. 145 Vgl. in diesem Sinne etwa Gaul, ZZP 112 (1999), 135 f: „Eine Rechtsordnung ohne die Möglichkeit ihrer notfalls zwangsweisen Durchsetzung entbehrt der Geltungskraft für das Zusammenleben der Menschen …“ 146 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 203 f.
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sischem Recht entliehenen Normsätze werden also jedenfalls nicht dadurch, dass sie von einer deutschen Kollisionsnorm zum Entscheidungsmaßstab für den deutschen Zivilprozess erhoben werden, zu französischem Recht. Dann aber setzt die These von der Anwendbarkeit fremden Rechts „als ausländisches Recht“ notwendig voraus, dass man schon den in fremdem Recht aufgefundenen Normsatz als Objekt der kollisionsrechtlichen Inbezugnahme – d.h. unter Außerachtlassen der erst aus der Inbezugnahme folgenden Sanktionsbewehrung durch den in Bezug nehmenden Staat – als Rechtsnorm auch jenseits einer ihre Verwirklichungschance tragenden Machtausübung ihres Erlassstaates ansieht: Stellen wir uns einen zuletzt in Deutschland dauerhaft niedergelassenen Erblasser mit der Staatsangehörigkeit (Art. 25 Abs. 1 EGBGB) des Staates X vor, der nur ein in Deutschland belegenes Grundstück hinterlässt, um das sich zwei in Deutschland lebende (vermeintliche) Erben deutscher Staatsangehörigkeit streiten. X knüpft die Rechtnachfolge von Todes wegen ebenfalls an die Staatsangehörigkeit an. Dennoch entspricht es der allgemeinen Staatenübung, dass X auf eine Ausübung von Zwang durch seine Vollstreckungsorgane verzichtet; X würde eine andere Anknüpfung durch deutsches IPR, etwa an den gewöhnlichen Aufenthalt, sowie ungeachtet einer eigenen Beanspruchung der internationalen Zuständigkeit insbesondere eine etwaige Nichtanerkennung von Urteilen der Gerichte aus X in Deutschland sanktionslos hinnehmen. Die Anwendbarkeit dem Zivilrecht von X entlehnter Normsätze „als Recht des Staates X“ durch deutsche Gerichte auf diesen Fall setzt also voraus, dass die von einem Staat formulierten Normsätze unabhängig davon dessen Recht sind, ob dieser Staat sie auch durchsetzen würde. Gänzlich absurd wird dieser Gedanke ohnehin bei der Sachnormverweisung für einen Fall, auf den das Kollisionsrecht der Rechtsordnung, dem die Sachnormsätze entliehen werden, gar nicht das eigene Sachrecht anwenden würde (vgl. eingehend unten S. 102 ff.). Entgegen der in Deutschland in der allgemeinen Rechtstheorie zu Recht herrschenden Betrachtung, wonach im Ergebnis auch eine an Private gerichtete, staatlich gesetzte regulative Norm von vornherein nur im Rahmen der (durch ihre Adressaten antezipierten) Machtausübung dieses Staates (Verwirklichungschance durch Zwang und Dominanz) existiert, impliziert die traditionell kollisionsrechtliche Anwendbarkeitsthese also eine kategorische Trennung von Sein und Sollen.
cc) Prämisse nicht geltender Rechtsnormen Hierauf kommt es freilich nicht einmal an, denn durch unser Kollisionsrecht werden ausländische Normen gar nicht in Bezug genommen. Wie bereits ausgeführt, gehen auch die Vertreter der besonderen internationalprivatrechtlichen Anwendbarkeitskonzeption heute einhellig davon aus,
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dass durch unser eigenes Kollisionsrecht nur das „rationale Element“ einer ausländischen Sachnorm herangezogen und mit dem „imperativen Element“ für unsere Rechtsordnung erst durch unser Kollisionsrecht versehen wird147. Die „Anwendung einer ausländischen Norm“ nach Maßgabe inländischen Kollisionsrechts folgt jedenfalls nicht aus ihrer ausländischen Geltung148. Mit der ratio, welche Schurig149 auch als „der Rechtsidee verpflichtete Problemlösung“ bezeichnet hat, wird also nur eine Idee vom Gesollten, ein Text und damit nur das semantische Element ausländischer Rechtsnormen, nicht aber deren verbindlicher Sollensgehalt als funktionales150 Element herangezogen. Henri Batiffol, bei dem Schurig151 die Differenzierung zwischen rationalem und „imperativem“ Element einer Rechtsnorm für die deutsche Kollisionsrechtswissenschaft entliehen hat, spricht allerdings hinsichtlich der Anwendung fremden Rechts treffend von einer „dissociation des éléments de la loi“152. Denn obwohl Batiffol aus philosophischer Sicht das rationale Element der Rechtsnorm als das „essentielle“ begreifen möchte153, erkennt er das „élément impératif“ als „élément intégrant de la notion de droit“ an154. Um dieses Konzept zu gewinnen, hätte die deutsche Kollisionsrechtswissenschaft freilich den Blick statt nach Frankreich auch in die eigene Ideengeschichte richten können: Bereits im 19. Jahrhundert stellte der deutsche Staatsrechtler Paul Laband fest, dass ein Gesetz im materiellen Sinne aus zwei „Elementen“ bestehe, nämlich aus dem „Rechtssatz“ und der „rechtsverbindlichen Anordnung“ desselben155. Bei näherer Betrachtung offenbart zudem die Aussage Labands die Brisanz der Frage nach der Natur des „imperativen Elements“. Die Vermutung liegt nahe, dass auch das „imperative Element“ im Sinne Batiffols nur die Geltungsanordnung im Sinne Labands, also die juristische Geltung beschreibt. Freilich wäre die Folge, dass die „Versehung mit inländischem Imperativ“ Anordnung intrakonstitutioneller Geltung und damit Schaffung von Normen der deutschen Rechtsordnung wäre156, was die greifbaren ausdrücklichen Stellungnahmen deutscher Kollisionsrechtler überwiegend gerade bestreiten. Inwieweit die Natur des „inländischen Imperativs“ überhaupt von 147
Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70–72. Besonders klar Betti, in: FS Gutzwiller, S. 233, 239. 149 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 54. 150 Die Terminologie von semantischem und funktionalem Merkmal des Rechtssatzes verwendet Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 124. 151 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70, verweist auf Batiffol, Aspects philosophiques du droit international privé, S. 110 ff. 152 Batiffol, Aspects philosophiques du droit international privé, S. 111 f. 153 Batiffol, Aspects philosophiques du droit international privé, S. 141. 154 Batiffol, Aspects philosophiques du droit international privé, S. 111. 155 Vgl. nur Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches I 3, S. 488. 156 Vgl. auch die Kritik an Batiffol bei Kralik, ZfRV 1962, 75, 79, der aus dem inländischen „imperativen Element“ auch inländische Rechtsqualität ableitet. 148
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Geltung abgrenzbar ist, bleibt damit im Dunkeln; hiervon wird noch zu handeln sein157. Auch nach dem hier aus deutscher Perspektive zu Grunde gelegten, „nicht geltungsfreien“ Rechtsnormbegriff158 ist jedenfalls nicht bereits die Idee von einem Sollensinhalt, sondern erst das nach Maßgabe einer Rechtsordnung verbindliche Sollen konstitutiv für eine Rechtsnorm im Sinne eines Satzes, der einer Rechtsordnung zugehörig ist. Das ist insbesondere gemeint, wenn Radbruch sagt, dass erst der „Imperativ“ die Rechtsnorm ausmache159; bei diesem sind Geltung und „Imperativ“ untrennbar. Bemerkenswerter Weise wird diese Differenzierung auch von Vertretern der traditionellen kollisionsrechtlichen Anwendbarkeitsthese implizit als Grundstruktur des Kollisionsrechts anerkannt. Wie bereits im Rahmen der Darstellung der theoretischen Konzepte von Tatbestand und Rechtsfolge der Kollisionsnorm dargetan160, geht beispielsweise Schurig unter Verweisung auf das Modell Kegels161 davon aus, dass der Tatbestand der Kollisionsnorm konstituiert werde durch (1.) einen materiellrechtlichen Sachverhalt, der (2.) durch ein Anknüpfungsmoment mit einem bestimmten Rechtsgebiet verbunden ist sowie (3.) einen „Sachrechtssatz“, dessen Tatbestand durch den Sachverhalt erfüllt wird, und (4.) der Geltung des Sachrechtssatzes in diesem Rechtsgebiet als weiteres Anknüpfungsmoment 162. Das impliziert notwendig die Unterscheidung zwischen der semantischen Struktur eines Norm- bzw. Rechtssatzes („Sachrechtssatz“) und seiner Geltung in einer fremden Rechtsordnung. Demnach ist der Anwendbarkeitsthese entgegen zu halten, dass das, was zur Anwendung kommt, jedenfalls nach hier für die deutsche Rechtsordnung zu Grunde gelegter Rechtstheorie kein Recht ist. In einer Dissoziation des semantischen Elements (Text) vom funktionalen Element (rechtsverbindliche Sollensanordnung) einer ausländischen Rechtsnorm wird nur ein Text für anwendbar erklärt, der isoliert keine – auch keine ausländische – funktionelle Rechtsnormqualität („valeur juridique“163) aufweist. Engisch spricht in Bezug auf den Vorgang von der Einverleibung nicht der fremden Norm, sondern nur des Norminhaltes, nur der „Worte als Sinnträger“164. Nach der rechtstheoretischen Terminologie Weinbergers werden allein die von ihm so genannte Normsätze herangezogen, von deren Verhältnis zu für ihn real existenten Normen (geltende Normsätze) er sagt: 157 158 159 160 161 162 163 164
Dazu unten S. 112 ff. Vgl. dazu näher oben S. 80. Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie8 , S. 170. Vgl. oben S. 31 ff. Grundlegend Kegel, in: FS Raape, S. 13, 27. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 87. So der Ausdruck bei Ago, in: RdC 58 (1936 IV), S. 247, 302. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 26 Fn. 3.
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
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„Die Normen (Normsätze) der Sprache bilden ein Reservoir möglicher Normierungen, die in Sprechakten hervorgehoben (benützt) werden. Die in einem gesellschaftlichen Normensystem geltenden Normsätze stellen eine Auswahl der möglichen Normsätze dar“165.
Diese Feststellung gilt ungeachtet der Frage, inwieweit sich die danach herangezogenen ausländischen Normsätze aus geschriebenem Recht einerseits und „fortbildender Interpretation“ durch Rechtsprechung und Lehre der Bezugsrechtsordnung andererseits ergeben. Schon deshalb ist jede Anwendbarkeitskonzeption abzulehnen, nach der durch unser Kollisionsrecht ausländisches „Recht“ für anwendbar erklärt wird. Unser Kollisionsrecht bedient sich einer in Bezug genommenen ausländischen Rechtsordnung vielmehr als Reservoir von Ideen, also Norm- bzw. Rechtssätzen166, nicht von Rechtsnormen. Im Übrigen wird noch darzutun sein, inwieweit sich unser Kollisionsrecht insbesondere bei der Sachnormverweisung nur unvollständiger ausländischer Rechts- bzw. Normsätze bedient167.
e) Rechtstheoretischer Subjektivismus der Anwendbarkeitsthese Selbst wenn man schließlich dieser Einschätzung aus Sicht der deutschen Rechtstheorie widersprechen will, muss in den Blick genommen werden, dass die herrschende internationalprivatrechtliche Anwendbarkeitskonzeption zur notwendigen Prämisse nicht nur hat, dass auch in allen in Bezug genommenen ausländischen Rechtsordnungen materiellprivatrechtliche Normen mit gegenüber dem Sanktionssystem abstrakter Rechtsnormqualität zu finden sind, sondern auch, dass deren Normsätze isoliert von ihrer verbindlichen Sollensanordnung (Geltung) Rechtsnormqualität aufweisen, was nach dem soeben Gesagten nicht einmal auf Gefolgschaft innerhalb der deutschen allgemein-rechtstheoretischen Literatur hoffen kann. Darin liegt zudem eine Projektion der eigenen Rechtstheorie in alle Rechtsordnungen der Welt. Die Vertreter der besonderen internationalprivatrechtlichen Anwendbarkeitskonzeption maßen sich also notwendig an, mit ihrem impliziten, geltungsfreien Rechtsnormkonzept auch fremden Rechtsordnungen die Rechtstheorie vorzugeben. Wenn daher Goldschmidt die Gegenthese von der Schaffung inländischen Rechts für verhängnisvoll hält, weil „die Würde des IPR gerade auf der Anerkennung des Fremden als solchem“ beruhe168, so scheint er Anerkennung mit Missachtung zu verwechseln. Auch in der Rechtstheorie muss am deutschen Wesen nicht notwendig die Welt genesen. Wer einräumt, dass er fremdes Recht mit den vielleicht unzulänglichen Mitteln der 165 Weinberger, in: Rechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 109, 114; dem folgend Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 42. 166 So die Terminologie etwa bei Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 22. 167 Vgl. unten S. 103 ff. 168 Goldschmidt, in: FS Martin Wolff, S. 203, 213 f.
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deutschen Rechtsordnung nur nachvollzieht, der bringt durchaus Achtung vor der fremden Rechtsordnung zum Ausdruck. Das herrschende kollisionsrechtliche Anwendbarkeitskonzept hingegen bedeutet Missachtung der Bezugsrechtsordnung: Eine fremde Rechtsordnung, die einen prozessualen Rechtsbegriff hat oder an Private gerichteten Normen keine von ihrem Sanktionssystem abstrakte Rechtsnormqualität zubilligt oder die Geltung („imperatives Element“?) als konstitutives Element jeder Rechtsnorm begreift oder die „Anwendung“ ihres Rechts aus der Perspektive der local law theory betrachtet bzw. als „materielle Rezeption“ begreift, kann in ihrer Inbezugnahme durch deutsches Kollisionsrecht nicht ohne Widerspruch eine identitätswahrende Anwendung ihres Rechts sehen. Wenn deutsche Kollisionsrechtwissenschaftler eine Anwendung ausländischen Rechts „als ausländisches“ notfalls auch gegen die Rechtstheorie der Bezugsrechtsordnung annehmen, so missachten sie gerade das „Fremde als solches“, indem sie es von vornherein nur durch die Brille ihrer besonderen deutschen Rechtstheorie betrachten: Geachtet wird nicht, was ist, sondern was man sehen will. Nicht nur Goldschmidt muss sich daher durchaus fragen lassen, ob er nicht gerade durch seinen internationalistischen Idealismus nach seinen eigenen Maßstäben selbst die von ihm ins Feld geführte „Würde des IPR“ verletzt. Vielmehr ist die These, ausländisches Recht könne auch gegen seine eigene Rechtstheorie von deutschen Gerichten identitätswahrend als solches angewandt werden, nur auf der Grundlage eines extremen rechtstheoretischen Subjektivismus’ denkbar. Dieses theoretische Fundament lässt die herrschende Anwendbarkeitskonzeption als parochialen Pseudointernationalismus erscheinen.
2. Synthese statt Nachvollzug fremder ratio „Die jeweils anwendbare Rechtsordnung bildet ein einheitliches Ganzes, so daß selbst die Anwendung wörtlich übereinstimmender, in verschiedenen Ländern geltender Vorschriften nach ihrem Zusammenhang mit den anderen Sachnormen der jeweiligen Rechtsordnung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.“ BGH, WM 1969, 1140
Es lässt sich ferner nachweisen, dass die herrschende Anwendbarkeitsthese unser Kollisionsrecht auch aus weiteren Gründen nicht zutreffend beschreibt. Denn auch als abstrakte Idee vom Recht wird die ratio einer ausländischen Norm (Rechts- bzw. Normsatz) durch deutsches IPR nicht lediglich nachvollzogen. Vielmehr werden auch insoweit neue Norminhalte synthetisiert.
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
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a) Wider ein Verständnis von IPR als Grenzrecht, „Abgrenzung verschiedener Rechtsordnungen“ oder „Anwendung einer Rechtsordnung als Ganzer“ aa) Keine vollständige Nationalisierung internationaler Sachverhalte Insbesondere der von Karpen, Schenke und Schemmer betonte Aspekt der Abgrenzung verschiedener Rechtsordnungen erscheint nicht nur als Nachwirkung der Idee eines zumindest im Zitelmannschen Sinne völkerrechtlich geprägten IPR, was die besondere Ironie in sich trägt, dass Zitelmann das heutige Konzept von IPR gerade als dynamische Verweisung begreifen würde169. Verfehlt ist vielmehr bereits die dem zu Grunde liegende rechtstheoretische Prämisse, dass deutsches Kollisionsrecht ausländisches Recht kongruent abbilde. Denn die Inbezugnahme ausländischen Rechts durch deutsches Kollisionsrecht produziert im Gegenteil regulative Normsätze, die außerhalb der deutschen Rechtsordnung nicht existieren. Insbesondere Karpens Betonung der Maßgeblichkeit der „Anwendung einer Rechtsordnung als Ganzer“170 impliziert zu Unrecht, dass die durch unser IPR bewirkte Nationalisierung internationaler Sachverhalte eine absolute sei. Dabei war schon vor Erlass der Kollisionsvorschriften im EGBGB klar, dass eine solche Annahme verfehlt ist. Bereits 1895 warnte etwa Niemeyer vor dem sich leicht einschleichenden Irrtum, dass es beim IPR um die Anwendungssphäre der Rechtsordnung im Ganzen gehe, „nach Analogie der räumlich begrenzten Gebietshoheit des Staates“171. Treffend führt auch schon Engisch (1935) aus: „Auch das bedeutet nun ,Anwendung der ganzen Rechtsordnung auf den einzelnen Fall‘, daß wir alle derselben Rechtsordnung zugehörigen ,vollständigen‘ Rechtnormen, die auf den Einzelfall passen, heranziehen und die zwischen ihnen auftauchenden Konkurrenzprobleme lösen“172.
Unser IPR unterstellt im Gegensatz hierzu einen Sachverhalt nicht pauschal nur einer Rechtsordnung. Vielmehr löst es die Rechtsordnungen in einzelne Normgruppen auf173, die jeweils in Bezug genommen werden. Ein Sachverhalt mit Bezügen zu verschiedenen Rechtsordnungen wird analytisch in Teilprobleme zerstückelt, deren Lösung dann jeweils einer Rechtsordnung zugewiesen wird. So können etwa für Einigung und materielle Wirksamkeit eines Vertrags kumulativ die Rechtsordnungen A und B174 sowie daneben für die Frage der Geschäftsfähigkeit seiner Parteien deren Heimatrechte C und D maßgeblich 169
Eingehend oben S. 71 f. So Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 49 f. 171 Niemeyer, Vorschläge und Materialien zur Kodifikation des IPR, S. 30 f. 172 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 28 f. (Hervorhebung nicht im Original). 173 So schon Neuner, RabelsZ 8 (1934), S. 81, 119 f. 174 Neben dem nach Art. 31 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen Recht kann es gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf eine weitere Rechtsordnung ankommen. 170
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
sein175. Die mögliche Zahl der auf einen einzigen Vertrag anzuwendenden „Rechte“ wird zudem dadurch vervielfacht, dass alle abtrennbaren Teile des Vertrags jeweils unterschiedlichen Rechtsordnungen unterstellt werden können (Dépeçage176). Die Technik der Sonderanknüpfung von Vor-, Erst- und Teilfragen177 kann bewirken, dass Vorschriften einer theoretisch nicht begrenzten Vielzahl von Rechtsordnungen nebeneinander auf einen Sachverhalt anzuwenden sind. Hierzu resümiert Ehrenzweig prägnant: „Some […] distortion is of the very essence of a foreign rule’s incorporation in a forum rule of decision“178.
Werden nämlich Normen aus verschiedenen Rechtsordnungen nebeneinander auf einen Sachverhalt für anwendbar erklärt, führt dies regelmäßig zu einem Sollen, das keine der Herkunftsrechtsordnungen der „angewandten“ Normen vollständig kongruent aussagen würde, wenn sie zur Gänze Anwendung fände. Bereits immer dann, wenn nach der Technik des deutschen IPR Vorschriften aus mehr als einer Rechtsordnung auf einen Sachverhalt für anwendbar erklärt werden, taugt der Gedanke der Anwendbarkeit ganzer fremder Rechtsordnungen als idealistisches Bild nicht mehr zur Beschreibung der rechtstheoretischen Zusammenhänge. Denn schon dann beginnt die Synthese einer materiellprivatrechtlichen Gesamtrechtsordnung nach den internationalen Bezügen des Falles.
bb) Das Problem der Kohärenz Während also innerhalb einer nationalen Privatrechtsordnung der Gesetzgeber stets die Kohärenz eines Gesamtsystems im Auge behält, hat bereits Goldschmidt der Methode des IPR ein „führungsloses Zusammenstückeln von Fragmenten verschiedener Privatrechtsordnungen179“ bescheinigt. In dieser Hinsicht ist das IPR geradezu eine Vorwegnahme der Postmoderne. Keine andere Technik der deutschen Rechtsordnung produziert eine auch nur annähernd vergleichbare Dichte von Normenhäufung und Normenmangel180. So besteht beispielsweise ein „klassisches“ Problem des IPR darin, dass bei Kombination des Erbrechts eines Staates A mit dem Güterrecht eines Staates B der überlebende Ehegatte signifikant weniger oder mehr vom Vermögen des Verstorbenen erhält, als sowohl die Rechtsordnung von A als auch die von B jeweils als 175
Vgl. Art. 7 EGBGB. Vgl. Artt. 27 Abs. 1 S. 3, Art. 28 Abs. 1 S. 2 EGBGB; eingehend zum Phänomen etwa Jayme, in: FS Kegel (1987), S. 253 ff. 177 Vgl. dazu nur Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 6 Rn. 42 ff. 178 Ehrenzweig, Private International Law, S. 56. 179 So die treffende Analyse bei Goldschmidt, in: FS Martin Wolff, S. 203, 209 f. 180 Beispielsfälle bei Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 32 ff.; eingehend auch Kropholler, IPR6 , § 34 III, S. 236 f. 176
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
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Ganze betrachtet für angemessen halten. Gegebenenfalls muss dann das unkoordinierte Nebeneinander nicht aufeinander abgestimmter Normenkomplexe verschiedener Rechtsordnungen durch so genannte Anpassung/Angleichung und Lückenfüllung, d.h. im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung durch die inländischen Gerichte181 abgestimmt werden. Dadurch wird aber der Inhalt der angewandten ausländischen Norm mit einem Ergebnis modifiziert, das die in Bezug genommenen Rechtsordnungen als Ganze betrachtet jeweils für den konkreten Fall gegebenenfalls nicht nur aufgrund ihrer abweichenden Sachnormen, sondern schon deshalb nicht zeitigen würden, weil nach deren jeweiligen Kollisionsrechten zum Teil andere Rechtsordnungen berufen sein mögen und gegebenenfalls eine andere Melange von Sachrechtsvorschriften für anwendbar erklärt wird182.
cc) Weitere Beispiele für die mit der Anwendbarkeitsthese nicht erklärbare Synthese neuer Normgehalte (1) Selbständige Anknüpfung von Vorfragen Dass unser Kollisionsrecht nicht einfach fremdes Recht abbildet, wird an Extremfällen derart offensichtlich, dass auch die herrschende Sicht von der Anwendung ausländischen Rechts nicht ohne signifikante Korrekturen auskommt. Insbesondere die vom BGH183 und der h.L.184 grundsätzlich vertretene, selbständige Anknüpfung von Vorfragen ist nicht mit der Idee der Anwendung ausländischen Rechts „als ausländisches“ zu erklären. Das Problem stellt sich etwa in der klassischen Konstellation, dass ein Grieche M eine Griechin F in Deutschland nicht vor einem Standesamt, sondern allein in religiöser Zeremonie vor einem griechischen Popen heiratet, der keine Ermächtigung der griechischen Regierung nach Art. 13 Abs. 3 S. 2 EGBGB besitzt. Nehmen wir an, dass M kinderlos stirbt185. Über die Frage, ob die F den M beerbt, entscheidet gemäß Art. 25 I EGBGB griechisches Recht, das ebenfalls dem Staatsangehörigkeitsgrundsatz folgt (Art. 28 griech. ZGB) und die Gesamtverweisung „annimmt“. Gemäß Art. 1821 griech. ZGB erbt die Ehefrau bei Kinderlosigkeit alles. Anstatt nun aber die Frage nach dem präjudiziellen 181
Zu dieser Einordnung etwa Steindorff, Sachnormen im IPR, S. 18. Vgl. auch Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 37: Die Auffassung von der Heranziehung ausländischen Rechts als solchen könne die positive Umgestaltung desselben durch Angleichung nicht erklären; das Problem ist ein wesentlicher Ausgangspunkt für Steindorffs Untersuchung der Sachnormen im IPR. 183 BGHZ 43, 213, 218. 184 Vgl. Kropholler, IPR6 , § 32 IV, S. 224 ff., 226; Kegel/Schurig, IPR9, § 9 II 1, S. 381, Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2, § 7 Rn. 195 ff.; a. A. Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 6 Rn. 71–72; Wengler, RabelsZ 8 (1934), S. 148 ff, 207; vgl. auch ders., IPRax 1984, 68 ff. 185 Fall nach Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 6 Rn. 59. 182
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Rechtsverhältnis der Ehe ebenfalls der griechischen Rechtsordnung zu überlassen, wird nach heute h.M. die Vorfrage selbständig angeknüpft, d.h. nach Art. 13 Abs. 3 EGBGB von einer unwirksamen Ehe ausgegangen. Wenn nun für denselben Fall ein griechischer Richter nach Artt. 13 Abs. 1 S. 2, 1367 griech. ZGB von Formwirksamkeit ausgehen und die Erbenstellung der F annehmen, der deutsche diese aber verneinen würde, so ist die Behauptung, der deutsche Richter wende „griechisches Recht als griechisches“ an, Fiktion186. Demgegenüber ist die selbständige Anknüpfung geradezu die „technisch“ nächstliegende, wenn man von der Schaffung inländischer Normen ausgeht: Art. 1821 griech. ZGB verweist für die Vorfrage des Vorliegens einer Ehe dynamisch auf die Wertung der Rechtsordnung im Übrigen, d.h. auf diejenigen der griechischen Rechtsordnung, zu der die Vorschrift gehört. Nimmt man an, dass unser Kollisionsrecht ohnehin eine Norm der deutschen Rechtsordnung produziert, so ist nahe liegend, den dynamischen Verweis auf die Wertung der Rechtsordnung im Übrigen als Verweis auf die Wertung der deutschen Rechtsordnung, d.h. auf Art. 13 EGBGB zu verstehen. Logisch zwingend ist die selbständige Anknüpfung freilich auch unter dieser Prämisse nicht. So verficht Wengler aus der Teleologie des internationalen Entscheidungseinklangs187 heraus die unselbständige Anknüpfung der Vorfrage188, obwohl er dem Konzept der Bildung inländischer Parallelnormen, die das ausländische Recht nur nachvollziehen, folgt189.
(2) Verweisungsabbruch Bekanntlich ist der Gesamtverweisung ferner das Problem inhärent, dass sie nicht sinnvoll „in Reinform“ durchgehalten werden kann, d.h., dass nicht auf die Kollisionsnormen einer Rechtsordnung verwiesen werden kann, ohne Regelungen für einen Verweisungsabbruch zu Gunsten der Sachvorschriften eines Staates vorzusehen. Anderenfalls ergäbe sich etwa bei einer Verweisung des Kollisionsrechts des Staates A auf das Kollisionsrecht des Staates B, welches wiederum auf das Kollisionsrecht von A zurückverweist, ein unendlicher Verweisungskreislauf. Als Lösung dieses Spezialfalls sieht Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB vor, dass dann, wenn das Kollisionsrecht eines anderen Staates, auf welches deutsches Kollisionsrecht verweist, wiederum auf deutsches (Kollisions-)Recht zurückverweist, jedenfalls die deutschen Sachvorschriften anzuwenden sind. Darüber hinaus wird teilweise vertreten, bei einer nicht angenommenen Weiter186 Für solche Fälle will allerdings Kropholler, IPR6 , § 32 IV, S. 226 f., gerade eine Ausnahme von der selbständigen Vorfragenanknüpfung machen. 187 Internationaler Entscheidungseinklang wird erreicht, wenn unabhängig davon, in welchem Staat ein Urteil über einen Sachverhalt gefällt wird, das diesen beherrschende Rechtsverhältnis gleich beurteilt wird; vgl. dazu nur Jayme, in: FS Bosch, S, 459. 188 Wengler, RabelsZ 8 (1934), S. 148 ff., 207. 189 Wengler, in: FS Laun, S. 719, 726 f.; näher dazu oben S. 19 ff.
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verweisung abzubrechen und das Recht des 2. Staates anzuwenden190. Diese Position findet aber keine Stütze im Gesetzeswortlaut und erscheint hinsichtlich der Festlegung der Zahl der berücksichtigten ausländischen Kollisionsrechte als schlicht willkürlich. Sie ist daher abzulehnen191. Verfährt nun ein anderer Staat genauso wie die Bundesrepublik mit Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB, so kommen die Gerichte beider Staaten für die Rückverweisungssituation zu unterschiedlichen Ergebnissen: In dem Fall, dass bei einem in Hamburg verstorbenen Erblasser französischer Staatsangehörigkeit grundsätzlich Art. 25 Abs. 1 EGBGB auf französisches Recht, französisches Kollisionsrecht aber grundsätzlich auf deutsches Recht als Wohnsitzrecht192 verweisen würde, hat der deutsche Richter aufgrund des renvoi nach Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB deutsches Erbrecht, der französische hingegen aufgrund des renvoi in der Linie der Forgo-Entscheidung193 der Cour de cassation französisches Erbrecht anzuwenden. Bricht aber der deutsche Richter trotz „grundsätzlicher“ Verweisung auf französisches Recht zu Gunsten des deutschen Sachrechts ab, während der französische Richter zu Gunsten des französischen Sachrechts abbrechen würde, so kann man nach dem oben Gesagten nicht mehr von der Anwendung französischen Rechts sprechen.
(3) Anpassung/Angleichung Wengler sagt zur Anpassung: „Wenn unter solchen Umständen das Gericht die mehreren, nach verschiedenen Rechtsverhältnisse einander ,angleicht‘, so bedeutet dies, daß es dem einen oder dem anderen Rechtsverhältnis, oder gar beiden, einen Inhalt zuweist, der an sich in dem anwendbaren Recht nicht vorgesehen ist, und mit dem die Parteien auch nicht rechnen konnten. Der Richter entfernt sich also von der Funktion bloßer Feststellung der Befolgung gegebener Verhaltensnormen und geht dazu über, die konkreten Rechtverhältnisse durch seine Entscheidung konkret zu gestalten“194.
Kegel hat für Extremfälle des Anpassungsproblems – für zwei Erblasser wird nach ihrem jeweiligem Heimatrecht angenommen, sie hätten jeweils den anderen überlebt – die Bildung von Sachnormen durch IPR (gleichzeitiger Tod) angenommen, weil es „ganz irreal wäre“, „in den materiellen Rechten nach Aushilfsnormen zu suchen“195. Neben Analogieschlüssen und teleologischen Extensionen entsteht auch immer dann, wenn deutsche Gerichte wiederholt 190
RGZ 64, 389, 394; Ferid, IPR 3, Rn. 3–104; Kropholler, IPR6 , § 24 II 4, S. 174 f., m.w.N. BayObLG, IPRspr. 1972, Nr. 128, S. 348, 350 f.; Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 6 Rn. 104; Sonnenberger, in: MüKo BGB4, Art. 4 EGBGB Rn. 37 m.w.N. 192 Vgl. hierzu Mayer/Heuzé, Droit international privé8 , Rn. 803. 193 Civ. 24 juin 1878, Forgo, précité n° 218; zur Anerkennung des renvoi bei Mobilien Mayer/Heuzé, Droit international privé8 , Rn. 805. 194 Wengler, RabelsZ 16 (1951), S. 1, 8. 195 So Kegel, IPR, bis zur 7. Aufl., dort § 8 III 4, S. 270. 191
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auftretende, typische Anpassungsprobleme in einer Vielzahl gleichartiger Fälle nach einer in freier Rechtsfortbildung formulierten Regel entscheiden, ein gewohnheitsrechtlich verbindlicher Sachrechtssatz. Ein in den Normsätzen ausländischen Rechts nicht zu findender Sachrechtssatz mit Verbindlichkeit ausschließlich innerhalb der deutschen Rechtsordnung ist aber jedenfalls kein ausländisches Recht. Kegels Schüler Schurig will zwar bei der Sicht der Anpassung anhand der „vermuteten Gerechtigkeitsmaßstäbe“ der berufenen Rechte bleiben, räumt aber ein, dass die Ergebnisse „irreal“ seien196. Das heißt aber nichts anderes, als dass Inhalte synthetisiert werden, welche die ausländischen Rechtsordnungen gegebenenfalls schon deshalb nicht enthalten, weil sich nach deren IPR die Konfliktlage anders stellt.
(4) Lückenfüllung nach Ordre-public-Kontrolle Um eine Modifikation der ratio ausländischen Rechts handelt es sich aber beispielsweise auch stets bei der Füllung von durch die Ordre-public-Kontrolle (Art. 6 EGBGB) in der „Anwendung“ ausländischen Rechts – nicht in diesem197 – gerissenen Lücken. Klar zu Tage liegt dies, wenn man hierfür auf die lex fori zurückgreift198. Es gilt aber auch für die Alternative der Lückenschließung durch möglichst geltungserhaltende Reduktion der lex causae im Wege der Rechtsfortbildung der übrigen Normen der ausländischen Rechtsordnung. Hierzu führt Schurig treffend aus: „… wenn wir aus anderen Normen (die in casu oft gar nicht berufen sind) Rechtsgrundsätze entnehmen und damit – angeblich ,im fremden Recht‘ – eine neue Norm zusammenstückeln, die es dort nicht nur nicht gibt, die sogar zu der existierenden (aber wegen des ordre public nicht angewandten) Sachnorm in erheblichem Gegensatz stehen muß, so wenden wir eben nicht eine Norm dieser Rechtsordnung an, sondern eine für diesen Fall von uns selbst geschaffene“199.
Kegel hat jedenfalls für die Füllung von durch den ordre public bedingten Lücken eingeräumt: „Daß hier gegebenenfalls Recht angewandt wird, das sonst nicht gilt (weder im Ausland noch in Deutschland) ist unbedenklich, da Ausnahmefälle in Rede stehen. Es handelt sich dann um Neubildung materiellen Rechts im IPR“200.
Schurig bezeichnet solchermaßen gefundene Normen zwar „als Sondernormen der lex fori“, sieht den Unterschied zu Kegel aber nur als terminologische „Ge196
Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 240. So aber Kegel, in: Soergel12, Art. 6 EGBGB Rn. 34. 198 Näher zu diesem Ansatz und weiteren denkbaren Ansätzen etwa Spickhoff, Der ordre public im IPR, S. 103 f. 199 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 255 (Hervorhebung im Original); in diesem Sinne bereits Bucher, Grundfragen der Anknüpfungsgerechtigkeit im IPR, S. 127 f. 200 Kegel, in: Soergel12 , Art. 6 EGBGB Rn. 35. 197
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schmackssache“201. So oder so geht es nicht um die „Anwendung“ fremden Rechts, sondern um die Anwendung von Sachrechtssätzen, die den in Bezug genommenen fremden Rechtsordnungen gar nicht zu entnehmen sind.
(5) Intertemporal modifizierende Inbezugnahme Ferner müsste nach der Konzeption der bloßen Anwendbarkeit ausländischen Rechts im Inland „als ausländisches“ notwendig das fremde Recht stets in seiner Geltung nach dem zur Zeit der Rechtsfindung geltenden intertemporalen Recht seiner eigenen Rechtsordnung angewandt werden, weil man nicht von der Anwendung ausländischen Rechts sprechen kann, wenn die in Bezug genommene Norm nach dem intertemporalen Recht ihrer Rechtsordnung gar nicht für den Fall gilt, auf den unser IPR sie für anwendbar erklärt. Eine entsprechende Grundregel wird denn auch insoweit konsequent heute gemeinhin vertreten202. Bemerkenswerter Weise hat die dogmatische Ausgangsposition aber weder Rechtsprechung noch Lehre prinzipiell davon abgehalten, intertemporale Aspekte der in Bezug genommenen Rechtsordnung zu ignorieren. Beleg dafür ist beispielsweise die Theorie zur Versteinerung des Güterstandes (Art. 15 a.F. EGBGB), nach welcher von einem bestimmten Zeitpunkt an ein einmal für berufen befundenes Sachrecht unverändert, d.h. ohne Rücksicht auf zwischenzeitliche Veränderungen des Kollisions- oder des Sachrechts maßgeblich bleibt 203. Die Versteinerungstheorie ist mit dem Ziel des Schutzes von Ehegatten vor Rechtsänderungen eines (vornehmlich in sowjetischer Einflusszone gelegenen) Staates, mit dem sie nichts mehr zu tun haben wollen, sowohl in der BGH-Rechtsprechung204 als auch in der Literatur205 vertreten worden. Mag nun auch, wie etwa Mankowski 206 meint, diese Lehre als zeitbedingter Ausdruck des Ost-West-Konflikts heute aus dem Instrumentarium des IPR auszuscheiden sein, so zeigen dennoch nicht zuletzt die BGH-Rechtsprechung auf ihrer Grundlage, dass das deutsche Kollisionsrecht selbstverständlich das intertemporale Recht der in Bezug genommenen Rechtsordnung ignorieren kann und dass dies auch erfolgt, wenn es rechtspolitisch geboten erscheint, obwohl diese Vorgehensweise als Anwendung ausländischen Rechts nicht zu erklären ist 207. 201
Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 255. Vgl. nur Gebauer, in: FS Jayme, S. 223, 224 m.w.N. 203 Näher Mankowski, in: Staudinger2003, Art. 15 EGBGB Rn. 58. 204 Vgl. nur BGHZ 40, 32, 35. 205 Ferid, Der Neubürger im IPR, S. 81 f.; Heldrich, FamRZ 1959, 46 f., 47; Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 63 ff. 206 Mankowski, in: Staudinger2003, Art. 15 EGBGB Rn. 60; Sonnenberger, in: MüKo BGB4, Einl. IPR, Rn. 663, sieht die tragende Idee des Konzepts als dem Arsenal des ordre public zugehörig. 207 In diesem Sinne bereits Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 94. 202
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Zudem ist schließlich ein Ordre-public-Verstoß spezifisch des ausländischen intertemporalen Privatrechts beispielsweise dann denkbar, wenn dieses echte Rückwirkung anordnet.
dd) Das Phänomen der Interdependenz auch jenseits der Extremfälle Während nun aber die Vertreter der herrschenden kollisionsrechtlichen Anwendbarkeitsthese nur von Ausnahmefällen ausgehen, hat bereits Steindorff geltend gemacht, dass „materiellrechtliche Lösungen“ keine Randerscheinung des IPR darstellten, sondern „ein Kernstück des IPR selbst“ seien 208. Jedenfalls erfolgt eine signifikante Modifikation der Normsätze ausländischer Normen bereits immer dann, wenn Vorschriften aus nur einer anderen Rechtsordnung im Inland auf einen Sachverhalt für anwendbar erklärt werden. Denn innerhalb jeder nationalen Gesamtrechtsordnung tritt das Phänomen der (limitierten) Interdependenz209 auf. Insbesondere ist jede Rechtsnorm nicht nur nach Maßgabe höherrangiger Normen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Systemgerechtigkeit (systematische Interpretation, Analogie, teleologische Reduktion/ Extension) nach Maßgabe gleichrangiger Normen auszulegen bzw. fortzubilden; alle innerhalb einer Rechtsordnung anzuwendenden Normen stehen in einem Sinnzusammenhang210. Zu Recht bezeichnet Betti daher den Gesamtvorgang der kollisionsrechtlichen Inbezugnahme fremder Rechtsordnungen auch nicht mehr als „Erklärung der Anwendbarkeit fremden Rechts“, sondern spricht von der „Einordnung“, bzw. der: „Einarbeitung der aus den ausländischen Sachnormen abzugewinnenden Entscheidungsmaxime in das Rechtssystem des Gerichtsstaates: eine Einordnung – eine Einarbeitung – die, nach dem Grundsatz der übergreifenden Entscheidungsharmonie, evtl. weitere Auslegungsverfahren der Angleichung und Zusammenpassung, der Nachgestaltung und Umdeutung erfordern wird“211.
ee) Zusammenfassung Schon vor einer näheren Betrachtung der Besonderheiten von Gesamt- und Sachnormverweisung kann festgehalten werden, dass Kollisionsrecht aus rechtstheoretischer Perspektive weder notwendig noch regelmäßig nur eine gegebenenfalls ausländische Rechtsordnung „als Ganze“ verwirklicht. Vielmehr wird bei gleichzeitiger Inbezugnahme verschiedener Rechtsordnungen nach den Beziehungen eines zu entscheidenden Falls zu diesen Rechtsordnungen aus 208
Vgl. Steindorff, Sachnormen im IPR, S. 18. Eingehend Luhmann, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, S., 255, 262 ff. 210 Vgl. nur Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 138 f. 211 Betti, in: FS Gutzwiller, S. 233, 243. 209
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deren Bestandteilen nicht nur für diesen allein, sondern für alle Fälle mit nach den abstrakt-generellen Maßstäben unserer Kollisionsnormen gleichartigen internationalen Bezügen, d.h. abstrakt-generell, eine neue materiell-privatrechtliche „Rechtsordnung“ synthetisiert, die sowohl hinsichtlich ihrer genauen Zusammensetzung als auch ihrer „systematischen“ Kohärenz insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Interdependenz (gegebenenfalls durch Lückenfüllung und Anpassung) Produkt der deutschen Rechtsordnung ist und außerhalb dieser nicht existiert. Der Gedanke der Anwendung einer Rechtsordnung „als Ganze“ mag demnach als idealistisches Bild mit Blick auf die Auslegung der in Bezug genommenen Rechtssätze212 eine gewisse Berechtigung haben. Im Ansatz verfehlt ist es hingegen, dieses Bild unbesehen auf die Rechtstheorie zu übertragen, etwa indem man damit wider die Einordnung von IPR als dynamische Verweisung argumentiert: Auf der Ebene der Rechtstheorie ist das Bild von der Anwendung einer Rechtsordnung „als Ganze“ für das IPR eine falsa demonstratio.
ff) Schluss: Der Bund ist Subjekt der aus seinem IPR folgenden Sollenssätze Schon allein aus dieser synthetisierenden Technik ergibt sich, warum Zitelmannsches Denken in Kategorien der Delegation von Hoheitsbefugnissen an fremde Staaten als Regelungssubjekte nicht richtig sein kann: Begreift man nämlich Hoheitsrechte im Kern als die Macht des Hoheitssubjektes, den in ihm zusammengeschlossenen Personen über seine Organe Verhaltensbefehle zu erteilen und diese mit Zwang durchzusetzen213, so bedeutet Zitelmanns Konzept vom IPR die Zuweisung nicht von Organkompetenz sondern von Verbandskompetenz an einen fremden Staat als Subjekt der Normgebung 214. Dafür müsste also ein fremder Staat als wollendes Subjekt des infolge eines Verweises des deutschen IPR normativ Gesollten anzusehen sein, welches durch deutsche Gerichte notfalls angewandt wird. Soweit aber das deutsche Kollisionsrecht nach eigenem Gutdünken Elemente einer Vielzahl von Rechtsordnungen kombiniert und damit letztlich ein verbindliches, abstrakt-generelles Sollen produziert, dass in keiner der Bezugsrechtsordnungen zu finden ist, kann nicht die Vielzahl von Staaten, deren Rechtsordnungen gegebenenfalls nebeneinander für einen Sachverhalt in Bezug genommen werden, sondern allein die Bundesrepublik Subjekt der aus deutschem Kollisionsrecht folgenden Sollensanordnung sein. 212
Zur rechtstheoretischen Reichweite des Auslegungsargumentes unten S. 128 ff. Vgl. in diesem Sinne etwa Karl Heinz Klein, Die Übertragung von Hoheitsrechten, S. 22; Lauscher, Die Delegation von Hoheitsrechten durch Gemeinden auf Gemeinden und Gemeindeverbände, S. 33. 214 Vgl. Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 24 f. 213
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
Subjekt der aus autonomem deutschen IPR folgenden, abstrakt-generellen Sollenssätze ist allein der Bund.
b) Die Sachnormverweisung als sogar auf Modifikation abzielende Gesetzestechnik „On ne peut appliquer la législation étrangère ou la loi étrangère la où, elle-même, elle se déclare incompétente“ Jean-Paulin Niboyet 215
Die These von der Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“ kann schon nach dem bisher Gesagten die vielfältigen Synthesen durch unser IPR nicht abschließend erklären. Darüber hinaus soll nun in Vorbereitung der endgültigen Einordnung der Figuren des autonomen deutschen Kollisionsrechts erläutert werden, dass die Sachnormverweisung als Regelungstechnik schon konzeptionell gar nicht auf Abbildung, sondern auf Modifikation der Vorgaben fremden Rechts gerichtet ist.
aa) Erste Abgrenzung von Kompetenznorm und dynamischer Verweisung Das traditionelle Denken in Zuständigkeitskategorien kann die Technik der Sachnormverweisung nicht erklären, die ausländisches Recht stets signifikant modifiziert. Während nämlich die Zuweisung einer Kompetenz grundsätzlich bewirkt, dass eine in Ausübung dieser Kompetenz geschaffene Norm des Zuweisungsempfängers in Tatbestand und Rechtsfolge so wirksam wird, wie sie von diesem geschaffen worden ist, kommt nur eine Verweisung durch Übernahme von „Regelungsbausteinen“ aus fremden Normen in Betracht, wenn eine neue Regelung synthetisiert wird. Dafür ist maßgeblich, ob das Bezugsobjekt ein vollständiger oder nur ein unvollständiger Normsatz ist. Hier sei noch einmal daran erinnert, dass diese Bearbeitung der Terminologie Larenz’ folgt, nach dem prägend für einen vollständigen Rechtssatz ist, dass er eine Regel enthält, welche die Entscheidung eines Konflikts ermöglicht, die also ein Gesolltsein zum Ausdruck bringt, das ihn von einem Aussagesatz unterscheidet 216. Im Gegensatz dazu vermögen unvollständige Rechtssätze nur in Verbindung mit anderen Rechtssätzen Rechtsfolgen zu begründen 217. Die Synthese einer ganz neuen Norm ist nun immer anzunehmen, wenn das Bezugsobjekt nur ein unvollständiger Normsatz ist, der erst durch die in Bezug 215 216 217
Niboyet, Cours de Droit International Privé2, S. 351. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 , S. 250 ff. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 , S. 257.
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nehmende Norm vervollständigt wird. Eine Synthese liegt aber jedenfalls auch immer dann vor, wenn durch die Inbezugnahme eine Norm produziert wird, deren Tatbestand Fälle erfasst, die nicht unter denjenigen des Bezugsobjekts fallen, oder deren Rechtsfolge nicht mit derjenigen der in Bezug genommenen Norm übereinstimmt. Die Kompetenzzuweisung ist also notwendig auf Verwirklichung der ratio des Zuweisungsempfängers gerichtet, während die Verweisung regelmäßig nicht lediglich die ratio der in Bezug genommenen Norm verwirklicht, sondern eine neue schafft.
bb) Verhältnis von Sach- und Kollisionsnorm derselben Rechtsordnung: Sinn oder Unsinn des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB? Für die nähere Einordnung der Sachnormverweisung muss zunächst das Verhältnis von Internationalem Privatrecht des Gebers der Sachnorm und der Sachnorm geklärt werden.
(1) Die traditionelle Sicht: Kollisionsrecht auch für deutsches Sachrecht Die vor Einführung von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB entwickelte, wohl in Deutschland traditionelle Sicht besagt, dass nach der Technik des deutschen IPR auch für jede Sachnorm des deutschen Rechts, also auch für Normen des BGB – ausnahmslos deren Geltung nach Maßgabe des deutschen Kollisionsrechts beurteilt werden muss218. Dieses beinhaltet insoweit eine Gruppe von durch Goldschmidt 219 so bezeichneten „indirekten Normen“, welche an die Erfüllung ihres international gefassten Tatbestandes keine „unmittelbare materielle Rechtsfolge“ knüpfen, sondern den Anwendungsbereich auch der deutschen Sachnormen erst eröffnen. Dabei macht es keinen dogmatischen Unterschied, ob der Gesetzgeber die internationale Anwendbarkeit des eigenen Sachrechts auf reine Inlandssachverhalte in ausdrückliche Kollisionsnormen fasst oder auch nur stillschweigend anordnet. Insoweit stellt Niemeyer folgerichtig fest, dass deutsches Kollisionsrecht hinsichtlich deutschen Sachrechts auf eine Bestimmung der Tatbestände inländischer Normen nach räumlichen bzw. personalen Kriterien hinausläuft 220.
(2) Kollisionsrecht als Spezialrecht für heterogen verknüpfte Sachverhalte? Dem steht das bereits von Ago entwickelte Konzept entgegen, wonach die Vorschriften des eigenen Sachrechts ohne besondere kollisionsrechtliche Berufung unmittelbar und soweit gelten, als sie nicht durch Spezialrecht verdrängt wer218 Vgl. etwa Goldschmidt, in: FS Martin Wolff, S. 203, 221; Makarov, Grundriß des IPR, S. 20; Zitelmann, IPR, Band I, S. 254. 219 Goldschmidt, in: FS Martin Wolff, S. 203, 221. 220 Niemeyer, Vorschläge und Materialien zur Kodifikation des IPR, S. 31; vgl. zu dieser Frage auch Isay, Revue internationale de la théorie du droit 10 (1936), 39, 44.
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den 221 – also im Ausgangspunkt universell, d.h. ungeachtet der internationalen Bezüge des zu entscheidenden Sachverhaltes. Kollisionsnormen begrenzen danach nur den Anwendungsbereich der nationalen Sachnormen mittelbar durch spezielle Inbezugnahme ausländischer Rechtsvorschriften 222. Diese Sicht scheint für das deutsche Kollisionsrecht nunmehr Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB zu stützen. Nach dieser Vorschrift bestimmen die dieser nachfolgenden Vorschriften des EGBGB die anwendbare Rechtsordnung nur bei Sachverhalten mit einer Verbindung zum Recht eines ausländischen Staates. So steht heute Heldrich223 gewissermaßen unausgesprochen in der Tradition Agos, wenn er zu Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB feststellt, dass die Anwendbarkeit deutschen Rechts bei reinen Inlandsachverhalten keiner Begründung bedürfe. Verbreitet wird die Vorschrift allerdings als funktionslos, d.h. als verunglückte Klarstellung ohne jede Rechtsfolge begriffen 224.
(3) Bewertung: Kein Unterschied im Ergebnis Zunächst muss man Ago zugeben, dass eine Begrenzung des Geltungsbereichs einer Sachnorm nach weiteren räumlichen oder persönlichen Kriterien wie demjenigen der Staatsangehörigkeit dieser nicht denknotwendig inhärent ist 225. Dennoch ist allein mit der Feststellung, dass eine Sachnorm in ihrem Tatbestand keine Eingrenzungen nach räumlichen oder persönlichen Kriterien aufweist, noch nicht gesagt, dass sie ohne Rücksicht auf solche universelle Geltung für jeden Sachverhalt beanspruchte, der die in ihr genannten Tatbestandsmerkmale erfüllt. Allerdings scheint innerhalb der deutschen Rechtsordnung Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB zumindest auf den ersten Blick eine Präferenz für die Sicht Agos zu begründen: Erst aus dem Fehlen der nach kollisionsrechtlicher Wertung zu ermittelnden Auslandsbeziehung folgt ein „reiner Inlandssachverhalt“226, der nicht erfasst wird. Da nun einerseits die Kollisionsregeln nicht nur des EGBGB nur bei Vorliegen von Auslandsbezügen auf ausländische Rechtsordnungen verweisen und andererseits eine Beschränkung der Verweisungen auf fremdes Recht durch Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB offenbar nicht intendiert war, liegt ein Auslandsbezug im Sinne dieser Norm jedenfalls bereits immer dann vor, wenn eine Kollisionsnorm des deutschen Rechts auf ausländisches Recht verweist 227. Folglich wird 221 Ago, Teoria del diritto internazionale privato, S. 96 ff.; ders., in: RdC 58 (1936 IV), S. 243, 296 ff. 222 Ago, Teoria del diritto internazionale privato, S. 98 ff.; ders., in: RdC 58 (1936 IV), S. 247, 298. 223 Heldrich, in: Palandt66 , Art. 3 EGBGB Rn. 2. 224 So etwa Sonnenberger, in: MüKo BGB 4, Art. 3 Rn. 3 m.w.N.; für eine Streichung der Vorschrift MPI Hamburg, RabelsZ 47 (1983), S. 595, 692. 225 So bereits auch Isay, Revue internationale de la théorie du droit 10 (1936), 39, 44. 226 Eingehend bereits Beitzke, FS Smend, S. 1, 4. 227 Zumindest wenn man auch die Rechtswahl als solchen Bezug begründend begreift.
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ein „reiner Inlandssachverhalt“ dadurch definiert, dass die nachfolgenden Vorschriften des EGBGB nicht auf ausländisches Recht verweisen. Damit beschränkt sich der allein denkbare Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB notwendig darauf, als Spezialnorm die nach dem Wortlaut der ihm folgenden Kollisionsvorschriften ansonsten einschlägige Verweisung auf deutsches Recht im reinen Inlandssachverhalt auszuschließen. Man könnte daher argumentieren, dass Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB überhaupt nur Sinn mache, wenn man nach dem Modell Agos annimmt, dass die Normen des deutschen Sachrechts ohnehin universell gelten, solange sie nicht durch spezielle Befehle des deutschen Kollisionsrechts von der Anwendung ausgeschlossen werden. Allerdings bliebe Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB auch unter dieser Prämisse eigentümlich. Denn nach dem Konzept von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist auch nicht ausgeschlossen, dass in einem Fall mit Auslandsberührung deutsches Kollisionsrecht letztlich – gegebenenfalls durch Annahme einer Rückverweisung – auf deutsches Sachrecht verweist. Dann muss man nach Agos Modell gegebenenfalls die Vorschriften X-Y des BGB als durch im Wege der kollisionsrechtlichen Verweisung auf die Vorschriften X-Y BGB gewonnene Spezialvorschriften gleichen sachrechtlichen Gehalts verdrängt ansehen – das ist zwar völlig widerspruchsfrei, aber nicht als vom historischen Gesetzgeber bewusst gewolltes Konzept vorstellbar. Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB erscheint daher jedenfalls als eine rechtstheoretisch nicht durchdachte Vorschrift. Lüderitz228 bezeichnet sie als „gesetzestechnischen Missgriff“, der nur als „Wegweiser“ didaktisch angemessen sei. Bereits ungeachtet der Frage, inwieweit der Gesetzgeber überhaupt rechtstheoretische Vorgaben machen kann 229, muss man Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB wohl in der Tat teleologisch als Hinweis an den Rechtsanwender begreifen, wann die „Anwendung fremden Rechts“ in Betracht kommt, und sich der Einschätzung anschließen, dass man der Norm keine rechtstheoretische Grundaussage230 und damit auch keine Rechtsfolge hinsichtlich der „Verbindung zum Recht eines ausländischen Staates“ entnehmen kann. Demnach schließt also auch Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB jedenfalls nicht die wohl vorherrschende Betrachtung aus, dass die deutschen Sachvorschriften auch bei einem reinen Inlandssachverhalt vom deutschen Kollisionsrecht zur Anwendung berufen werden. Betrachtet man Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB als missglückten Klarstellungsversuch ohne Rechtsfolgenanordnung, so bedarf es hierfür nicht des Rückgriffs auf eine ungeschriebenen Kollisionsnorm für den reinen Inlandssachverhalt 231, der freilich konstruktiv ohne weiteres denkbar 228
Lüderitz, in: FS Kegel (1987), S. 343, 349. Für Art. 3 Abs. 1 EGBGB verneinend Dörner, in: Handkommentar-BGB5, Art. 3 EGBGB Rn 2. 230 Dörner, in: Handkommentar-BGB5, Art. 3 EGBGB Rn 2. 231 In diesem Sinne etwa Makarov, Grundriß des IPR, S. 20; Zitelmann, IPR, Band I, S. 254. 229
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bleibt: das ist insbesondere für die ungeschriebenen Kollisionsnormen etwa des Gesellschaftsrechts evident, die der insofern irreführende232 Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 EGBGB auch nicht erfasst. Letztlich wird man aber ohnehin sagen dürfen, dass zwischen beiden Positionen im Ergebnis gar kein relevanter Unterschied besteht: Wer mit Ago vom zunächst universellen Geltungsanspruch des eigenen Sachrechts ausgeht, wird einräumen, dass dies in einer Rechtsordnung, die überhaupt fremdes Recht berücksichtigt, eine bewusste kollisionsrechtliche Entscheidung unter Vorbehalt des besonderen Kollisionsrechts ist.
(4) Unterscheidbarkeit und Zusammenspiel von sach- und kollisionsrechtlicher Aussage Entscheidend bleibt nach alledem nur, stets im Auge zu behalten, dass sachrechtliche und kollisionsrechtliche Aussage einerseits verknüpft, andererseits aber nicht eins sind. Deshalb dient es meines Erachtens der dogmatischen Klarheit, stets von der kollisionsrechtlichen Berufung auch des eigenen Sachrechts auszugehen. Wenn sich demgegenüber der Leser fragt, warum man nicht einfach mit Ago auch hinsichtlich deutscher Sachnormen von deren universellem Geltungswillen ausgeht, so liegt die Antwort darin, dass dies nur scheinbar einfacher ist, weil Agos „Sachnorm mit universalem Geltungswillen“ eben nicht einfach nur Sachnorm ist, sondern Züge einer Sachnormverweisung auf eigenes Recht trägt. Natürlich kann man sachrechtliche Aussage und internationalen Geltungswillen in eine Norm fassen. Das ändert aber nichts daran, dass zumindest dann, wenn eine Rechtsordnung überhaupt fremdes Recht über Kollisionsregeln berücksichtigt, die Aussage über den internationalen Geltungswillen einer Norm logisch von der sachrechtlichen Aussage unterscheidbar ist. Nur diese Unterscheidung erlaubt zudem, die Frage nach Vollständigkeit oder Unvollständigkeit der Sachnormen verständlich zu machen: Folgt man der hier zu Grunde gelegten Einschätzung und versteht man mit Larenz als vollständige Rechtsnormen nur solche, die ein normatives Gesolltsein im Sinne einer Regel für eine in ihnen abstrakt-generell definierte Gruppe von Fällen 233 beschreibt, bzw. begreift man mit Karpen234 als vollständige Rechtssätze nur solche, die an einen vollständigen Tatbestand einen vollständigen Rechtsfolgenausspruch knüpfen, so umfassen die Sachnormen des deutschen Zivilrechts im Rahmen ihrer sachrechtlichen Aussage unvollständige Rechts- bzw. Normsätze des regulativen Rechts, weil nur aus ihnen selbst die von ihren Regeln erfassten Sachverhalte gar nicht bestimmbar sind: Allein dem BGB ist ein rechtliches Gesolltsein hinsichtlich der letztwilligen Verfügung wahlweise eines deutschen 232 233 234
Sonnenberger, in: MüKo BGB4, Art. 3 Rn. 2. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 , S. 250. Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 22 ff.
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oder eines französischen Staatsbürgers ebenso wenig zu entnehmen, wie den erbrechtlichen Vorschriften des Code civil. Eine vollständige Norm ergibt sich eben erst, wenn zu der sachrechtlichen Aussage auch diejenige über die kollisionsrechtliche Reichweite dieser sachrechtlichen Aussage tritt. Nur weil er beide Aussagen zusammenfasst, sind nach dem Modell Agos die eigenen Sachnormen als vollständige Rechtssätze denkbar. Dies droht aber zu verschleiern, dass es sich dabei um zwei unterscheidbare Aussagen handelt. Allerdings ist als überpositive Erkenntnis festzuhalten, dass auch dann, wenn sich ein Gesetzgeber dafür entscheidet, die Frage der internationalen Anwendbarkeit seiner eigenen Sachnormen systematisch in davon getrennten Kollisionsregeln zu beantworten, nicht angenommen werden kann, Sachnormen hätten einen von der kollisionsrechtlichen Entscheidung abstrakten Tatbestand 235. Die ratio des Gesetzgebers ergibt sich erst aus dem Zusammenspiel von Sach- und Kollisionsnormen. Denn auch wenn man diese ratio logisch in ein sachrechtliches und ein kollisionsrechtliches Element unterteilen kann, steht die ratio legis der Sachnorm doch stets unter dem Vorbehalt derjenigen der Kollisionsnorm. Das folgt schon daraus, dass jeder Gesetzgeber die Geltung seiner Sachnormen unter den Vorbehalt der eigenen Kollisionsnormen stellt. Deshalb ist die sachrechtliche Aussage einer jeden Sachnorm eine unvollständige. Diese Erkenntnis ist im Übrigen keineswegs neu, sondern schon in Niemeyers Materialien zur Kodifikation des IPR von 1895 niedergelegt: „Der Gesetzgeber darf sich der Aufgabe nicht entschlagen, den Bereich der von ihm normierten Thatbestände auch nach ihren lokalen und personalen Merkmalen abzugrenzen. Die Feststellung dieser Merkmale ist nicht eine Zuthat zu den Rechtsnormen, welche sich auf außergewöhnliche, sozusagen krankhafte Bedürfnisse bezieht, und auf welche man deswegen verzichten kann, ohne dem normalen Rechtsbedürfnisse etwas schuldig zu bleiben. Vielmehr fehlt jedem Rechtssatz ein wesentliches Glied, ein fundamentaler Teil, solange für ihn die internationalrechtliche Frage nicht gelöst ist“236.
Dieses stellt nur die Betrachtungsweise, dass deutsches Sachrecht stets und ohne Rücksicht auf die Frage eines reinen Inlandssachverhalts dann anwendbar ist, wenn die Normen des deutschen IPR hierauf verweisen, mit der gebotenen Schärfe heraus. Diese wird daher im Folgenden zu Grunde gelegt: Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB hat keine Rechtsfolge, sondern stellt nur den untauglichen Versuch einer Klarstellung dar.
235 So aber Kahn, IheringsJ 40 (1898), S. 1. 63 ff.; dagegen wie hier Niemeyer, Vorschläge und Materialien zur Kodifikation des IPR, S. 31. 236 Niemeyer, Vorschläge und Materialien zur Kodifikation des IPR, S. 32 (Hervorhebung nicht im Original).
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cc) Verweisung auf ausländisches Sachrecht Wie bereits ausgeführt 237, muss der Gedanke einer „privatrechtlichen Kompetenzzuweisung sui generis“ verworfen werden, soweit unser Kollisionsrecht nur einen unvollständigen Normsatz in Bezug nimmt und zu einem vollständigen ergänzt und soweit es entweder Fälle erfasst, die nicht unter den Tatbestand der Bezugsnorm fallen, oder für den Tatbestand andere Rechtsfolgen anordnet. Die Sachnormverweisung führt nun bereits jenseits der noch zu erörternden 238 Besonderheiten des ordre public grundsätzlich zu einer Modifikation, weil die ratio legis der in Bezug genommenen Rechtsordnung nicht in eine sachrechtliche und eine kollisionsrechtliche aufgespalten werden kann und die isolierte sachrechtliche Aussage einer Sachnorm daher einen unvollständigen Rechts- bzw. Normsatz darstellt: Bei der Sachnormverweisung auf fremdes Recht wird eine fremde Sachnorm auf internationale Sachverhalte für anwendbar erklärt, auf die sie nach dem IPR ihres Normgebers gegebenenfalls nicht anwendbar wäre. Wenn die Richter des Staates A aufgrund ihres Kollisionsrechts auf einen internationalen Sachverhalt nicht das Erbrecht von A, sondern das von B anzuwenden haben, so ist der Anwendungsbereich des Erbrechts von A nicht eröffnet. Wendet ein Richter des Staates C aufgrund einer Sachnormverweisung seines Kollisionsrechts auf denselben Fall dennoch das Erbrecht von A an, so werden dessen Normen auf einen Fall erstreckt, den sie nicht erfassen, weil Sachnormen einen vom Kollisionsrecht ihres Erlassstaates trennbaren Geltungsbereich nicht haben. Durch die Sachnormverweisung wird der Regelausspruch der ausländischen Sachnorm auf Sachverhalte erstreckt, die nicht diejenigen Voraussetzungen erfüllen müssen, die der Geber der Sachnorm für den Regelausspruch aufgestellt hat239. Insoweit sei noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Einschätzung unabhängig davon ist, welches Kollisionsrechtsverständnis man zu Grunde legt. Das lässt sich nachweisen, wenn man einmal – allgemein oder immerhin für Italien – Agos Konzeption 240 der unmittelbaren intransitiven Anwendbarkeit der Sachnormen zu Grunde legt, nach dem man die entsprechenden Sachnormen zwar als vollständige Rechtssätze einordnen kann, dies aber nur deshalb, weil sie sach- und kollisionsrechtliche Aussage verbinden und damit den Charakter einer Art Sachnormverweisung auf eigenes Recht gewinnen. Begreift man nämlich italienische Sachnormen aufgrund der Heranziehung fremder Sachnormen durch das italienische IPR als für einen internationalen Sachverhalt aufgrund materiellrechtlicher Spezialität verdrängt, so ist die dies ignorierende Verweisung auf die verdrängten italienischen Sachnormen 237
Dazu oben S. 102 ff. Vgl. unten S. 179 ff. 239 Besonderheiten eines vereinheitlichten Binnenmarkt-IPR sollen insoweit hier nicht vertieft werden. 240 Dazu näher oben S. 22 ff. 238
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ebenfalls „Anwendung“ von Normsätzen, die gar nicht zum in Italien geltenden Recht gehören. Zumindest im Ergebnis erschließt sich also selbst nach Agos Konzept der Anwendungsbereich der nationalen Sachnormen erst aus ihrem Zusammenspiel mit dem Kollisionsrecht ihrer eigenen Rechtsordnung, mag auch Ago241 die Mittelbarkeit dieses Effekts betonen. Wenn nämlich Ago in seine „Sachnorm“ in scheinbarer Vereinfachung sowohl die sachrechtliche Aussage als auch die kollisionsrechtliche Aussage (universeller Geltungswille vorbehaltlich speziellen Kollisionsrechts) hineinlegt, so erfasst eine deutsche Sachnormverweisung hierauf dennoch nur die sachrechtliche Aussage und ignoriert die kollisionsrechtliche. Folgt man also der hier zumindest für die deutsche Rechtsordnung präferierten Einschätzung, dass Sachnormen stets (d.h. auch die deutschen selbst im reinen Inlandsfall) durch einen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl berufen werden, so werden diese zwar bei Inbezugnahme durch deutsches Kollisionsrecht grundsätzlich kongruent abgebildet, stellen aber nur unvollständige Rechtssätze dar, die erst durch das deutsche Kollisionsrecht hinsichtlich der internationalen Reichweite vervollständigt werden. Folgt man Agos Idee, so mag man die „Sachnormen“ der Bezugsrechtsordnung zwar als vollständige Rechtssätze ansehen, diese werden aber nicht unmodifiziert angewandt, weil unser Kollisionsrecht gegebenenfalls ignoriert, dass eine Sachnorm für den zu entscheidenden Sachverhalt aufgrund der Verdrängung durch spezielle Normen gar nicht anwendbar ist. So oder so produziert die Sachnormverweisung regelmäßig Normsätze, die nicht regelmäßig in der in Bezug genommenen Rechtsordnung vorhanden sind, weil eine unvollständige sachrechtliche Aussage des fremden Rechts mit einer eigenen Entscheidung der in Bezug nehmenden Rechtsordnung über die kollisionsrechtliche Reichweite dieser Aussage kombiniert wird. Die Erkenntnis, dass Sachnormen zumindest insoweit als unvollständige Rechts- bzw. Normsätze zu begreifen sind, als sie einen vom Kollisionsrecht ihrer Rechtsordnung abstrakten Anwendungsbereich nicht haben, ist also unabhängig davon, welches dogmatische Verständnis von Kollisionsrecht man zu Grunde legt.
dd) Schlussfolgerung Dem pauschalen Konzept vom Kollisionsrecht als „Zuständigkeitsverteiler“242 ist daher für die Sachnormverweisung bereits entgegen zu halten, dass die Rechtsordnung, deren privatrechtlichen Sachnormen durch Sachnormverwei241
Ago, Teoria del diritto internazionale privato, S. 110; ders., in: RdC 58 (1936 IV), S. 247,
298. 242 So der Ausdruck bei Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 77.
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sung die Regelungs-„Zuständigkeit“ zugewiesen sein soll, den von der Zuweisung betroffenen Fall gegebenenfalls – schon ohne Berücksichtigung der Ordre-public-Kontrolle – anders entscheiden würde, als es die Verweisung bewirkt. Methodisch ist also bereits der Begriff der „Anwendung ausländischen Rechts“ für die Sachnormverweisung eine falsa demonstratio: Durch Missachtung der kollisionsrechtlichen Entscheidung ihres Gebers über den internationalen Anwendungsbereich von Sachnormen werden diese je nach dogmatischer Sicht entweder nur als unvollständige Rechts- bzw. Normsätze oder unter Missachtung der eigentlich für den Sachverhalt einschlägigen Spezialnormen herangezogen. So oder so wird nicht das geltende Recht der in Bezug genommenen Gesamtrechtsordnung insgesamt herangezogen. Es wird nicht wie bei einer Kompetenzzuweisung einer Entscheidung des Zuweisungsempfängers Wirkung verliehen. Denn ausländisches Recht kommt nicht unmodifiziert zur Geltung. Wenn über das IPR behauptet wird, dass es ohne materielle Regelung des Sachverhalts nur die Weichen zwischen verschiedenen Rechtsordnungen stelle243, so ist das für die Sachnormverweisung nicht überzeugend. Insoweit entsteht aber insbesondere auch keine inländische „Parallelnorm“ zu ausländischem Recht244. Vielmehr wird unter Rückgriff nur auf einen Teilaspekt der ratio ausländischen Rechts ein neuer, nur innerhalb der deutschen Rechtsordnung verbindlicher Normsatz privatrechtlicher Natur synthetisiert, zu dem eine kongruente ausländische Norm nicht regelmäßig 245 existiert. Abschließend sei noch angemerkt, dass der Verfasser, wenn er auch Agos Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit des eigenen Sachrechts ohne besondere Berufung durch eigenes Kollisionsrecht ablehnt, diesem durchaus darin zustimmt, dass zwischen der kollisionsrechtlichen Berufung eigenen und fremden Sachrechts ein qualitativer Unterschied besteht: Der Geltungswille einer Sachnorm als unvollständiger Rechts- bzw. Normsatz ergibt sich erst aus ihrem Zusammenspiel mit dem Kollisionsrecht ihres Gebers. Der Tatbestand einer „vollständigen Norm“ im Sinne aller Umstände, an deren Vorliegen der deutsche Gesetzgeber den Regelausspruch der Sachnorm knüpfen will, wird erst durch das von ihm selbst gesetzte Kollisionsrecht in Ergänzung der Sachnorm definiert; diese wird also durch das Kollisionsrecht der eigenen Rechtsordnung nicht modifiziert.
243
Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 49 f. So wohl auch Wengler, in: FS Laun, S. 719, 726 f. 245 Das kann man nur dann anders sehen, wenn das Kollisionsrecht der in Bezug genommenen Sachnorm mit dem inländischen Kollisionsrecht übereinstimmt. Besonderheiten eines vereinheitlichten Binnenmarkt-IPR sollen hier nicht vertieft werden. 244
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c) Zusammenfassung und Zwischenergebnis Nach alledem reduziert sich der heuristische Wert pathetisch anmutender Aussagen, die Konzeption vom IPR als Schaffung inländischen Rechts sei ein „verhängnisvoller Irrtum“ oder mache aus der Rechtsordnung eine „boa constrictor“ 246, auf denjenigen einer lediglich rechtspolitischen Kritik am geltenden Recht, welches zu dieser rechtpolitischen Position diametrale Gestaltungen aufweist. Denn während die These von der Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“ impliziert, diesem unmodifiziert im Inland so Verbindlichkeit zu verleihen, wie es innerhalb der ausländischen Rechtsordnung gilt, ist insbesondere die Sachnormverweisung als Missachtung des internationalen Anwendungsbereichs ausländischer Normen schon als legislatives Konzept auf Modifikation und nicht auf bloßen Nachvollzug der Rechts- bzw. Normsätze ausländischen Rechts gerichtet. Offensichtlich werden damit aber sowohl das Konzept der Bildung inländischer, zum ausländischen Recht kongruenter „Parallelnormen“ als auch Agos Idee von den Rechtsquellennormen dieser Regelungstechnik nicht gerecht. Nur für die Gesamtverweisung lässt sich behaupten, dass eine kongruente Abbildung ausländisches Rechts hinsichtlich von Teilproblemen eines Falles auch nur angestrebt wird. Aber auch die Gesamtverweisung kann fremdes Recht allenfalls dann kongruent abbilden, wenn auf alle Rechtsfragen eines Sachverhalts Normen derselben Rechtsordnung angewandt werden. Die gleichzeitige Inbezugnahme verschiedener Rechtsordnungen für eine Gruppe von Fällen, die nach den abstrakt-generellen Kriterien des deutschen IPR gleichartige räumliche Bezüge aufweist, führt demgegenüber stets zur Synthese einer neuen materiell-privatrechtlichen „Rechtsordnung“ für diese abstrakt-generell erfasste Gruppe. Die so synthetisierte, materiell-privatrechtliche „Rechtsordnung“ ist sowohl hinsichtlich ihrer genauen Zusammensetzung als auch ihrer „systematischen“ Kohärenz Produkt der deutschen Rechtsordnung und existiert außerhalb dieser nicht. Besonders offensichtlich führen die Anpassung sowie die Füllung von Lücken, die aus gleichzeitigem Rekurs auf verschiedene Rechtsordnungen resultieren, ebenso zur Synthese von in ausländischem Recht nicht enthaltenen sachrechtlichen Inhalten, wie die Füllung von durch die Ordre-public-Kontrolle aufgeworfenen Lücken in der Heranziehung ausländischen Rechts. Folgt man der überzeugenden Einschätzung bereits bei Neumeyer 247 und Knittel248, dass das Produkt der Inbezugnahme „inländisches“ (intrakonstitutionell geltendes) Recht sein muss, wenn eine ausländische Norm durch die In246
So Zajtay, in: Die Anwendung ausländischen Rechts im IPR, S. 193, 194. Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 186; ebenso Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 94. 248 Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 94. 247
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bezugnahme modifiziert wird, weil dann das Produkt der Inbezugnahme im ausländischen Recht gar nicht vorhanden ist, so ist ein einheitliches Konzept der Anwendung ausländischen Rechts als ausländisches kraft kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls schon deshalb genauso wenig logisch haltbar, wie ein Parallelnormkonzept. Zur Verneinung der Schaffung intrakonstitutionell geltender und damit zur deutschen Rechtsordnung zugehöriger Normen muss man insoweit die Möglichkeit einer Synthese von durch deutsches Recht normativ aufgestellten, abstrakt-generell verbindlichen und sanktionierten, aber nicht geltenden Verhaltensgeboten dartun.
3. Keine Abgrenzbarkeit von Anwendungsbefehl und Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung „A law may be defined as an assemblage of signs declarative of a volition conceived or adopted by the sovereign in a state“ Jeremy Bentham 249
a) Einordnung nach allgemeiner rechtstheoretischer Begrifflichkeit aa) IPR und Begriff der Rechtsnorm: Recht als Produkt des Willens des Souveräns Wenn nun aber etwa Lüderitz250, Neuhaus/Kropholler 251, Ohler 252, Schurig 253 und Sonnenberger 254 betonen, dass nur das „imperative Element“ aus der inländischen Rechtsordnung stamme, bei Betrachtung sowohl des imperativen als auch des rationalen Elements die angewandte ausländische Norm zwei Rechtsordnungen entspringe, so stützt dies die kollisionsrechtliche Anwendbarkeitsthese nicht. Nichts anderes ließe sich von der Inkorporation sagen. Ordnete der deutsche Gesetzgeber an, Vorschriften des BGB nunmehr durch Vorschriften des schweizerischen Obligationenrechts in der aktuellen Fassung zu ersetzen, so schüfe er schlicht deutsches Recht 255.
249
Bentham, Of Laws in General, S. 1. Lüderitz, RabelsZ 29 (1965), S. 426, 429. 251 Vgl. Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2 , § 43 I, S. 322 f.; Kropholler, IPR6 , § 31 I 1, S. 212; zitiert oben S. 17. 252 Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 147. 253 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 72 Fn. 107. 254 Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 75 f. Fn. 54. 255 In diesem Sinne bereits Peter Klein, Z. f. internationales Privat- und öffentliches Recht (Niemeyers Z.), 8 (1903), 353, 364. 250
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Entscheidend bleibt, dass nur die ratio ausländischer Rechtsnormen, nicht aber das diese konstituierende, normativ verbindliche Sollen Gegenstand ihrer Inbezugnahme durch unser Kollisionsrecht ist256. Erst kraft unseres Kollisionsrechts wird das Produkt der Inbezugnahme ein verbindliches Sollensgebot. Es ist daher bereits oben 257 angesprochen worden, dass die Annahme der kollisionsrechtlichen Literatur, wonach eine ausländische ratio mit einem inländischen „imperativen Element“ versehen wird, die Frage im Dunkeln lässt, was dieses „imperative Element“ Batiffols 258 von der verbindlichen Sollensanordnung im Sinne Labands 259 und damit von der juristischen Geltung unterscheiden soll. Man darf wohl annehmen, dass auch das „imperative Element“ nicht den Inhalt einer zivilrechtlichen Regel, sondern die für diese ausgesprochene Geltungsanordnung, also die juristische Geltung beschreibt. Zur Begriffkonfusion führt hier, dass der Begriff des Imperativs in der rechtstheoretischen Diskussion nicht nur im Rahmen der die Normratio betreffenden Differenzierung von Befehlen und sonstigen regulativen Normen (Zuweisung von Rechten) verwandt wird, sondern vielfach die Verbindlichmachung der ratio bezeichnen soll. Wo der Begriff des Imperativs im letzteren Sinne verwandt wird, wird er allerdings entgegen der kollisionsrechtlichen Literatur synonym für Geltung bzw. eine geltende Rechtnorm verwandt. So schreibt etwa Heckmann ganz allgemein über den Vorgang der Rechtsnormsetzung: „Anlaß und tragendes Element der Setzung ist der Wille, eine Rechtsnorm zum Entstehen zu bringen, ein Sollen anzuordnen. Dieser Normwille (voluntatives Element) stellt die Verbindung zwischen Rechtssatz (objektives Element) und Normgeber (subjektives Element) her. Er macht aus dem Rechtssatz einen Imperativ; der Rechtssatz gilt, weil es der Normgeber will“260.
Wohlgemerkt: Heckmann spricht von einer geltenden Norm, nicht von einer lediglich kraft Anwendungsbefehls „anzuwendenden“, die nicht Bestandteil der anwendenden Rechtsordnung wird. Der Verfasser macht sich jedenfalls die bei Heckmann zum Ausdruck kommende und in der Rechtstheorie seit Bentham261 ganz herrschende262 Einschätzung zu eigen, dass jeder staatlichen Rechtsnorm 256
Dies wurde oben, S. 88 ff., entwickelt. Vgl. oben S. 88 ff. 258 Batiffol, Aspects philosophiques du droit international privé, S. 111. 259 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches I 3, S. 488. 260 Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 129 f. 261 Vgl. Bentham, Of Laws in General, S. 1. 262 Das voluntative Element betonend etwa Ago, Annuaire de l’Institut de Droit International 47 II (1957), S. 54 f.; Bierling, Juristische Prinzipienlehre I, S. 29; Chiovenda, Principii di diritto processuale civile, S. 304; Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, S.287; Hart, The Concept of Law2, S. 50 ff; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 42; H. Hofmann, Legitimität und Rechtsgeltung, S. 25 ff.; Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 228 ff., 97 ff.; ders., in: FS Nipperdey, Bd. I, S. 57, 59; vgl. ferner auch Radbruch, Rechtsphilosophie8 , S. 170; Barros, Rechtsgeltung und Rechts257
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ein auf Verbindlichmachen eines Sollens gerichtetes Element des Wollens des Souveräns innewohnt, mag man sich auch insbesondere mit Blick auf die Fortentwicklung des Rechts gegen die Betonung der Setzung aussprechen und besonders die Institutionalisierung des Rechts betonen263. Denn auch die Fortentwicklung des Rechts im Rahmen der Verfassung lässt sich einem ohnehin nicht psychologisch zu verstehenden 264 Willen des Souveräns zuordnen. Ungeachtet der Frage, inwieweit man Richterrecht überhaupt Rechtsnormqualität zubilligen will265, führte völlig freie richterliche Rechtsfortbildung jedenfalls wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 3 GG und das Demokratieprinzip nicht zu (geltendem) Recht. Unabdingbares Charakteristikum des staatlichen Rechts ist also seine Subjektrelativität 266. Das Verhältnis einer ratio legis, also eines Rechts- bzw. Normsatzes („rationales Element“) zu einer staatlichen Rechtsnorm entspricht damit dem Verhältnis von Gedanke und Vorstellung, wie es Frege 267 definiert: Ein Gedanke bleibt unwandelbar derselbe, egal von welchem Subjekt, an welchem Ort und zu welcher Zeit er gedacht wird. Die Vorstellung aber ist definiert über ein in Zeit und Raum identifizierbares Subjekt, sie existiert nicht isoliert von einem Träger und jede Vorstellung hat nur einen Träger268. Kurz gesagt: Der Normsatz ist ein Gedanke. Die Rechtsnorm eines Staates ist die artikulierte Sollensvorstellung des Souveräns dieses Staates269. Begreift man nun staatliche Normen als dem Staatswillen zurechenbare Normsätze, so ist das „für anwendbar Erklären fremden Rechts“ durch unser Kollisionsrechts notwendig Schaffung einer neuen, vom Objekt der Inbezugnahme verschiedenen Rechtsnorm, weil einerseits kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl und in Bezug genommener ausländischer Normtext insoweit notwendig zusammen gehören, als erst aus deren Zusammenspiel ein Urteil über den konkreten Willen unseres Staates gebildet werden kann, und andererseits das Produkt dieses Zusammenspiels den inhaltlich veränderten Willen ordnung, S. 28; das voluntative Element anerkennend aber nicht für die „Essenz des Rechts“ haltend Batiffol, Aspects philosophiques du droit international privé, S. 136 ff. 263 In diesem Sinne etwa Hammer, in: ARSP-Beiheft 27 (1986), 37 ff.; Weinberger, in: Rechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 109, 112 f.; vgl. ferner Barros, Rechtsgeltung und Rechtsordnung, S. 62 ff. 264 Dazu eingehend H. Hofmann, Legitimität und Rechtsgeltung, S. 61 ff.; Radbruch, Rechtsphilosphie8 , S. 170. 265 Vertiefend hierzu etwa Stern, Staatsrecht II, § 37 II 2 e, S. 581 ff. m.w.N. 266 Zum Begriff Weinberger, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, S. 134, 139. 267 Frege, Logische Untersuchungen4, S. 30 ff. 268 Frege, Logische Untersuchungen4, S. 42. 269 Deshalb halte ich die Terminologie bei Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 175, für nicht gelungen, soweit dieser – freilich in anderem Sinnzusammenhang – von der „Norm als Gedanken“ spricht.
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eines neuen Regelungssubjektes, nämlich eines anderen Staates als desjenigen ergibt, aus dessen Rechtsordnung der ausländische Normsatz kopiert wird. Das gilt unabhängig davon, inwieweit der deutsche Staat durch die Verweisung wirklich die Sollensvorstellung eines fremden Staates in seinen Willen aufzunehmen trachtet. Maßgeblich ist also entgegen Neuhaus/Kropholler notwendig nicht die Herkunft der ratio – „Ordnungsfunktion“ – aus ausländischem Recht, sondern der diese aufnehmende Wille eines bestimmten Staates, weil erst die Vorstellung des Souveräns von der Gesolltheit der Ordnung die Rechtsnormqualität innerhalb der staatlichen Rechtsordnung konstituiert.
bb) „Inländischer Imperativ“ als Synonym für intrakonstitutionelle Geltung Die kollisionsrechtliche Sicht von der nicht auf Inkorporation beruhenden, bloßen Anwendbarkeit ist damit insbesondere eine Abweichung von der sonst in der Rechtstheorie geübten Handhabung des Geltungsbegriffs: Der deutsche Gesetzgeber ordnet durch Kollisionsrecht an, dass der Text der ausländischen Norm im Rahmen der Inbezugnahme zukünftig befolgt werden soll. Dieses Sollen innerhalb des inländischen Rechtssystems hängt ganz im Sinne des juristischen Geltungsbegriffs davon ab, dass der in Bezug genommene Text über verfassungskonforme inländische Kollisionsnormen auf die Grundordnung der Verfassung zurückgeführt werden kann. Bereits der „Entdecker“ der Anknüpfung an die vertragscharakteristische Leistung, Adolf F. Schnitzer, hat in diesem Sinne explizit darauf hingewiesen, dass durch die kollisionsrechtliche Inbezugnahme für den konkreten Fall ein „formales Band“ zwischen der ausländischen Norm und der Grundnorm des eigenen Rechts geknüpft werde, welches sogar den „Anforderungen einer reinen Rechtslehre“ genüge270. Das in diesem Band zum Ausdruck kommende Urteil der deutschen Rechtsordnung, dass der Text einer ausländischen Norm im Rahmen der Inbezugnahme zukünftig befolgt werden soll, erfüllt, wenn man unserem Kollisionsrecht auch ein Minimum an sozialer Wirkung zubilligt, den juristischen Geltungsbegriff271, weshalb insbesondere Kelsen272 die Produkte des IPR als innerhalb der verweisenden Rechtsordnung geltendes Recht ansieht. Es geht nicht nur um die Bereitstellung eines Beurteilungsmaßstabs für bereits erfolgtes Handeln (Anwendung); eine von Geltung verschiedene, normativ verbindliche „bloße Anwendbarkeit“ ist der allgemeinen Rechtstheorie unbekannt.
270 Schnitzer, Handbuch des IPR4, Bd. 1, S. 191; vgl. ferner Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, S. 276, nach welchem über die Kollisionsnormen eine durchgängige Legitimationskette im Stufenbau der Rechtsordnung hergestellt wird. 271 Vgl. dazu eingehend oben S. 65 ff. 272 Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244.
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Kurz gesagt: Der „inländische Imperativ“, mit dem ausländische Rechtsnormtexte durch unser Kollisionsrecht nach herrschender Sicht in der Kollisionsrechtswissenschaft versehen werden, ist im Lichte allgemeiner rechtstheoretischer Begrifflichkeit nichts anderes als ein Synonym für intrakonstitutionelle Geltung.
cc) Die Normqualität innerhalb der deutschen Rechtsordnung folgt allein aus der Geltung Wie gesagt, ist der Begriff der Geltung im Sinne einer Rechtsfindungsmethode darauf gerichtet, eine Aussage über die Zugehörigkeit eines Normsatzes zu einer Rechtsordnung zu treffen 273, weshalb insbesondere Hart Geltung als Übereinstimmung mit einer Regel der Anerkennung (rule of recognition274) als Norm einer Rechtsordnung versteht. Der Begriff der Geltung beschreibt die Zugehörigkeit eines Normsatzes zu einer Rechtsordnung als deren Rechtsnorm. Die Frage nach einer Inkorporation oder Rezeption kann daher isoliert von der Frage der Geltung gar nicht sinnvoll gestellt werden; vielmehr ist die Eigenschaft eines Normsatzes als verbindliche Rechtsnorm einer Rechtsordnung mit seiner Geltung innerhalb dieser abschließend festgestellt. Nimmt der deutsche Bundesgesetzgeber formal ordnungsgemäß einen Normsatz in seinen Willen auf, so wird dieser, Verfassungskonformität des normativ Gesollten vorausgesetzt, innerhalb der deutschen Rechtsordnung mit Rechtsnormqualität für diese geltend.
b) Besonderer kollisionsrechtlicher Geltungsbegriff? aa) Fehlender Begriff des (geltenden) Rechts der Kollisionsrechtswissenschaft Daraus folgt, dass die herrschende Sicht von der durch kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl gesetzlich angeordneten faktischen Geltung der in Bezug genommenen Normtexte ohne rechtliche Geltung, will sie folgerichtig bleiben, einen abweichenden Begriff von (geltendem) Recht aufstellen muss. Getreu dem bereits zitierten Aphorismus Goethes freilich, dass wer die Idee scheut, zuletzt auch den Begriff nicht mehr hat275, verzichten kollisionsrechtsspezifische Stellungnahmen, nach denen Anwendung ohne inländische Geltung anzunehmen sein soll, regelmäßig auf eine Definition der Rechtsnorm bzw. der inländischen Geltung. 273 Vgl. nur Barros, Rechtsgeltung und Rechtsordnung, S. 28; Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, S. 291; Hollo, Die Definition von Geltendem Recht in der Rechtsfindung, S. 13. 274 Hart, The Concept of Law2 , S. 100 ff. 275 Vgl. Goethe, Gesamtausgabe, Abteilung I Bd. 13, Maximen und Reflexionen 1.47.
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Vereinzelt wird immerhin behauptet, Geltung setze voraus, dass eine Rechtsnorm „vom inländischen Gesetzgeber erlassen“ sei276. Das Merkmal des „Erlassens“ scheint dabei auf die Herkunft eines Normsatzes aus den „regelmäßigen“ inländischen Rechtsquellen abzuzielen. Einer entsprechenden Sicht sei ein schlichter Verweis auf Art. 25 GG entgegen gehalten, wonach Sätze aus einer „nicht regelmäßig“ inländischen Quelle dennoch zu (geltendem) Bundesrecht werden. Angesichts eines im Übrigen nicht konturierten rechtstheoretischen Grundbegriffs der herrschenden kollisionsrechtlichen Betrachtungsweise kann die weitere Untersuchung nur nach der Möglichkeit forschen, ein Konzept der normativen Verbindlichkeit des Produkts kollisionsrechtlicher Inbezugnahme ohne Geltung – d.h. Zugehörigkeit zur deutschen Rechtsordnung als deutsche Rechtsnorm – zu konstruieren. Der Erfolg eines derartigen Unterfangens hängt davon ab, ob sich innerhalb der Ableitung des abstrakt generellen Sollens der Befolgung des durch einen Normsatz beschriebenen zukünftigen Verhaltens aus dem inländischen Rechtssystem zwischen Geltung – auf die Grundordnung rückführbares Gesolltsein – und auf die Grundordnung rückführbares Gesolltsein kraft „bloßen Anwendungsbefehls“ ohne Geltung differenzieren lässt.
bb) Notwendigkeit und Fehlen eines Gestaltungsunterschiedes zwischen „bloßem Anwendungsbefehl“ und Verschaffung von Geltung (1) Oberste Anwendungsnorm (Gerhard Hoffmann) nicht von der Grundnorm (Kelsen) abgrenzbar Gerhard Hoffmann führt mit Blick auf die Anwendung ausländischen Rechts aus, dass jede Rechtsordnung zumindest ungeschrieben eine oberste Rechtsanwendungsnorm enthalte, die zum Ausdruck bringe, welches Recht die Organe anzuwenden hätten 277. Dieser sei zu entnehmen, dass Normsätze anzuwenden sind, die zur inländischen Rechtsordnung gehören, soweit nicht der Anwendungsbefehl auf ausländisches Gesetz verweise. Nur diese Sicht ermöglicht die der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeitsthese zu Grunde liegende Idee, dass eine Anwendungsnorm auch „bloße Anwendung“ nicht zum inländischen Recht gehöriger Gehalte befehlen kann. Soweit ersichtlich, wird aber nicht bestritten, dass es dem Gesetzgeber zumindest frei steht, fremdes Recht dergestalt in Bezug zu nehmen, dass das Produkt inländisches Recht wird. Wer also von der Anwendung „als ausländisch“ ausgeht, der muss dartun, wie sich diese Gestaltungstechnik von der Alterna276
Raape, IPR 5, § 17 I, S. 120 f., Fn. 121; Raape/Fritz Sturm, IPR6 , § 17, S. 314, Fn. 9. Gerhard Hoffmann, in: v. Münch, VerwaltungsR BT7, Internationales VerwaltungsR, S. 863; Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter Geltung des Grundgesetzes, S. 2. 277
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tive der Schaffung intrakonstitutionell geltenden Rechts unterscheidet, die doch den Normalfall legislativer Tätigkeit bildet. Insbesondere kann aber ein Gestaltungsunterschied für das IPR nicht mit dem von Gerhard Hoffmann278 vertretenen Kriterium begründet werden, dass von einem Staat „lediglich angewandte“ Texte für dessen Angehörige nicht gälten, aber dennoch in bestimmten Fällen anwendbar seien, so dass der einzelne zwar sein Verhalten nicht danach richten brauche, um rechtmäßig zu handeln, wohl aber später in eine rechtliche Situation geraten könne, dass aus dieser Norm Rechtsfolgen an sein von der inländischen Rechtsordnung „damals nicht geregeltes Verhalten“ geknüpft würden. Denn dieses Kriterium steht zwar in gewissem Übereinklang mit der Einschätzung bei Kelsen279, dass die Norm bei Anwendung aus der Retrospektive eines entscheidenden Gerichts nicht ihrem ursprünglichen und primären Zweck entsprechend als Verursachung der normierten Handlung diene, weil sie in Bezug auf eine bereits geschehene Handlung nicht mehr „in der einzigartigen Relation des Sollens“ stehen könne, welche die Geltung ausmache. Doch ist bereits anhand des Beispiels der Maßgeblichkeit des Heimatrechts der Verlobten für die Eheschließungsvoraussetzungen dargelegt worden, dass der deutsche Staat über sein IPR Normsätze fremder Rechtsordnungen durchaus zum Maßstab der Rechtmäßigkeit auch des zukünftigen Verhaltens seiner eigenen Angehörigen macht280. Der notwendig noch zu beschreibende Gestaltungsunterschied zwischen „bloßer Anwendbarkeit“ kraft Anwendungsbefehls und Geltung müsste also erklären, wie sich gegenüber dem hier zu Grunde gelegten Begriff der Geltung als auf die Verfassung rückführbares Gesolltsein des durch einen Normsatz beschriebenen zukünftigen Verhaltens ein Phänomen beschreiben lässt, dass trotz des auf die Verfassung rückführbaren Gesolltseins der zukünftigen Befolgung in Bezug genommener Texte von Geltung durch ein weiteres, in den Begriff der Geltung noch aufzunehmendes Kriterium abgrenzen lässt. Weil aber Geltung das auf die Verfassung rückführbares Gesolltsein des durch den Normsatz beschriebenen zukünftigen Verhaltens ist und der Sinn jedes normativen Gesolltseins in der Steuerung menschlichen Zusammenlebens liegt281, die notfalls durch Anwendung des Geltenden durchgesetzt wird, ist Geltung nicht einfach ein Tatbestandsmerkmal einer besonderen „obersten Anwendungsnorm“, zu dem noch alternativ ein anderes – etwa kollisionsrecht-
278
Gerhard Hoffmann, in: v. Münch, VerwaltungsR BT7, Internationales VerwaltungsR,
S. 863. 279
Kelsen, Grundprobleme der Staatsrechtslehre, S. 14. Vgl. oben S. 52 f. 281 Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, S. 291; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 19; Lüderssen, Genesis und Geltung in der Jurisprudenz, S. 127; Rüthers, Rechtstheorie2, Rn. 48 ff. 280
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liche Inbezugnahme – treten könnte. Hiergegen spricht vielmehr eine Erkenntnis, die etwa bei Dreier aufscheint, wenn dieser festhält: „Recht ist für den Richter die Gesamtheit der Normen, nach denen er Fälle zu entscheiden hat“282.
Begreift man nämlich mit Luhmann den Prozess als Folge selektiver Ereignisse, die eine außerhalb seiner selbst liegende Struktur voraussetzt, die ihm Möglichkeiten und Kriterien der Selektion und dadurch erst seine Identität gibt 283, so besteht in einer widerspruchsfreien Rechtsordnung notwendig eine Interdependenz zwischen Struktur – (geltender) regulativer Rechtsordnung – und Prozess. So, wie die materielle Rechtsordnung dem Prozess Identität gibt, wird die Zugehörigkeit eines regulativen („materiell-privatrechtlichen“) Normsatzes zur Rechtsordnung dadurch definiert, dass er Kriterium zukünftiger, der Gesamtrechtsordnung entsprechender (Zivil-)Prozesse ist. Daher trifft der Befehl, auf zukünftige Sachverhalte einen Normsatz notfalls in der Ex-post-Perspektive des Gerichts als Entscheidungskriterium auch anzuwenden, für die Rechtsordnung, die nicht widersprüchlich werden will, genauso notwendig die Aussage, dass das Bezugsobjekt des Anwendungsbefehls auch befolgt werden – d.h. gelten – soll 284, wie eine Rechtsordnung einen Normsatz als verbindliches Sollen (Norm) im Rahmen der materiellen Rechtsordnung nur widerspruchsfrei dadurch statuieren kann, dass sie an diesen Normsatz auch einen Anwendungsbefehl knüpft. Weder kann eine Rechtsordnung widerspruchsfrei behaupten, dass ein durch einen Normsatz beschriebenes zukünftiges Verhalten nach ihr gesollt sei, wenn sie dieses nicht auch grundsätzlich durchzusetzen bereit ist – zumal dann regelmäßig bereits das verbreitet aufgestellte Geltungskriterium der (minimalen) sozialen Verwirklichung(schance) 285 entfällt – noch, dass ein durch einen Normsatz beschriebenes Verhaltens nach ihr nicht gesollt sein soll, obwohl sie dessen zukünftige Einhaltung sanktioniert. Auf die Grundordnung rückführbares normatives Gesolltsein eines Normsatzes (Geltung) und auf die Grundordnung rückführbarer Befehl der Anwendung dieses Normsatzes – auch vermittels IPR – sind also in einer widerspruchsfreien Rechtsordnung untrennbar miteinander verwoben. 282
Dreier, NJW 1986, S. 890, 894. Luhmann, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, S. 255, 260. 284 Das impliziert wohl auch Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244. 285 Vgl. nur Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 201; Dreier, NJW 1986, 890, 896; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 479 Mock, in: Rechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 51; Zippelius, Juristische Methodenlehre10 , § 2, S. 7.; anders wohl etwa Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 14; kritisch gegenüber der Verbindung von Geltung und Wirksamkeit auch Hollo, Die Definition von geltendem Recht in der Rechtsfindung, S. 28 f. 283
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Es knüpft nicht der Anwendungsbefehl an ein außerhalb seiner liegendes Merkmal der Geltung an. Vielmehr bedingen Anwendungsbefehl und Geltung einander: Es gelten diejenigen Normsätze, welche im Rahmen künftiger Prozesse auf gegenwärtige und zukünftige Vorgänge anzuwenden die Rechtsordnung befiehlt. Die von Gerhard Hoffmann beschriebene oberste Anwendungsnorm ist insoweit von der Kelsenschen Grundnorm nicht abgrenzbar.
(2) Untrennbarkeit von Anwendungsbefehl und Geltung am Beispiel der Technik des intertemporalen Privatrechts Dass die der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeitsthese zu Grunde liegende Konzeption eines nicht Geltung verschaffenden Anwendungsbefehls in die Absurdität führt, lässt sich am Beispiel des intertemporalen Kollisionsrechts weiter exemplifizieren, auf dessen Strukturparallelität zum IPR seit Savigny immer wieder hingewiesen worden ist 286. Das deutsche Sachrecht steht – auch beim reinen Inlandssachverhalt – stets unter dem Vorbehalt eines intertemporalen Anwendungsbefehls, ohne dass bislang daraus gefolgert würde, dass ihm daher im Inland keine Geltung zukäme. Vielmehr begreift man hier Anwendung selbstverständlich als Folge der Geltung, nämlich als Subsumtionsvorgang. Hess schreibt im Standardwerk zum intertemporalen Privatrecht in Übereinstimmung mit Kelsen und auch im Sinne der grundsätzlichen Vorstellung Zitelmanns: „Eine Norm anzuwenden, bedeutet, das Gesetz für bestimmte Sachverhalte zur verbindlichen Grundlage der Rechtsfindung zu machen. Es geht also um den eigentlichen Subsumtionsvorgang, um die Funktion des Gesetzes als Beurteilungsmaßstab für tatsächliche Vorgänge, um die Entscheidung des Falls287.“
Als geradezu notwendige Folge hiervon erscheint dann auch, dass Hess die intertemporale Verweisung auf zukünftige Rechtsnormen in ihrer jeweils aktuellen Fassung ohne weiteres als dynamische Verweisung begreift 288. Das heißt aber nichts anderes, als dass der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl Geltung produziert. Will man nicht Hess widersprechen und sich auf den Standpunkt zurückziehen, dass im Inland nur die Kollisionsnormen gelten, während selbst Normen des BGB stets nur „angewandt“ werden, stellt sich auch hier die Frage nach dem Gestaltungsunterschied.
286 287 288
Vertiefend auch zur Gegenansicht Hess, Intertemporales Privatrecht, S. 325 ff. Hess, Intertemporales Privatrecht, S. 43. Hess, Intertemporales Privatrecht, S. 492.
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(3) Anwendung einer Idee aufgrund ihrer Subsumtion unter fremde Geltungsnormen Gerade diese Frage wird insbesondere durch den aus dem Prozessrecht abgeleiteten Streit, ob ausländisches Recht nun „als Tatsache“ oder „als Recht“ angewandt werde289, nicht erhellt, sondern durch kategoriale Verwirrung vernebelt.
(a) Differenzierung von Norm- bzw. Rechtssatz („Sachrechtssatz“) und seiner Geltung Wie gesagt, projiziert die unter den Kollisionsrechtswissenschaftlern herrschende Sicht mit der Unterteilung ausländischer Rechtsnormen in eine ratio und den ihr zugewiesenen rechtlichen „Imperativ“ einen geltungsfreien Rechtsnormbegriff in alle Rechtordnungen der Welt 290. Während nun die darauf gestützte Behauptung der „bloßen Anwendbarkeit“ ausländischen Rechts „als ausländisches Recht“ oben 291 als „parochialen Pseudointernationalismus“ darstellende, planvolle Missachtung der gegebenenfalls anders wertenden Rechtstheorie einer in Bezug genommenen Rechtsordnung eingeordnet worden ist, kann auch die Zugrundelegung dieses Konzeptes für die rechtstheoretische Betrachtung der deutschen Rechtsordnung die herrschende kollisionsrechtliche Anwendbarkeitsthese nicht tragen. Denn heute wird von den Kollisionsrechtswissenschaftlern jedenfalls eingeräumt, dass nur die ratio herangezogen wird, welche Schurig 292 auch als „der Rechtsidee verpflichtete Problemlösung“ bezeichnet hat. Es ist daher bereits festgehalten worden, dass nach Maßgabe des hier für die deutsche Rechtsordnung zu Grunde gelegten rechtstheoretischen Verständnisses nur eine Idee vom Gesollten, ein Text, d.h. ein Normsatz293 bzw. ein Rechtssatz294 und damit nur das semantische Element ausländischer Rechtsnormen, nicht aber deren verbindlicher Sollensgehalt als funktionales Element295 herangezogen wird, welcher aus einer Idee im Sinne einer potentiellen Rechtsnorm erst eine (geltende) Rechtsnorm macht. Es ist auch schon darauf hingewiesen worden, dass selbst Schurig durch den Rückgriff auf das Mo-
289 Vgl. zum prozessualen Aspekt der Fragestellung bereits oben S. 29 ff.; eingehend auch Kralik, ZfRV 1962, 75 ff., m.w.N. 290 Siehe oben S. 91. 291 Dazu oben S. 92. 292 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 54. 293 So die Terminologie bei Weinberger, in: Rechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 109, 114. 294 So die Terminologie etwa bei Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 129 f. und Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 22 ff. 295 Die Terminologie von semantischem und funktionalem Merkmal des Rechtssatzes verwendet Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 124.
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dell Kegels impliziert, dass zwischen der semantischen Struktur eines Rechtssatzes („Sachrechtssatz“) und seiner Geltung zu differenzieren sei 296. Objekt der Inbezugnahme ist aber allein der Normsatz; seine Geltung in einer bestimmten Rechtsordnung ist nur Kriterium der Inbezugnahme. Wer demgegenüber auch jenseits der Zuweisung von Hoheitsgewalt an ein fremdes Subjekt der Normgebung von der Anwendung fremden Rechts „als fremdes Recht“ 297 spricht, setzt das Objekt der Anwendung und ein Merkmal seiner Identifikation gleich.
(b) Anwendung einer Idee statt einer Norm oder einer Tatsache Richtigerweise ist nun die Einordnung eines Normsatzes in die Kategorie der Tatsache, verstanden als objektive, reale und daher verifizierbare Gegebenheit, ausgeschlossen: Jeglicher Normsatz entzieht sich der Verifikation/Falsifikation durch den Vergleich seines Inhalts mit der Wirklichkeit – des vorgeschriebenen Verhaltens mit dem tatsächlichen Verhalten 298. Ein durch unser IPR ausländischem Recht entnommener Norm- bzw. Rechtssatz als reine Idee ist also weder Norm, weil er isoliert von seiner Geltung herangezogen wird, noch Tatsache, weil er nicht inhaltlich auf Übereinstimmung mit der Realität verifiziert werden kann. Der Streit, ob ausländisches Recht „als Tatsache“ oder „als Recht“ angewandt werde, ist daher vollständig irregeleitet: Die in ausländischem Recht aufgefundenen Normsätze als Bezugsobjekte unseres IPR können weder als Recht noch als Tatsache eingeordnet werden. Sie sind Ideen bzw. Gedanken.
(c) Subsumtion unter fremde Geltungsvoraussetzungen als Identifikationsmerkmal Der in fremdem Recht zu findende Text (Norm- bzw. Rechtssatz) wird aber durch Kollisionsrecht in aller Regel aus dem Grund herangezogen, dass er nach dem Normerzeugungsverfahren einer fremden Rechtsordnung dort zumindest für bestimmte Fälle gilt, zu denen allerdings nicht notwendig derjenige gehören muss, für den die kollisionsrechtliche Inbezugnahme erfolgt299. Entgegen
296
Näher Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 87. Zum Gedanken der „Geltung als Fremdrecht“ vgl. noch unten S. 141 ff. 298 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 , S. 251; Weinberger, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, S. 134, 150. 299 Beispielsweise wird bei einer Sachnormverweisung durch unser IPR gegebenenfalls ein Sachnormsatz für auf einen Fall anwendbar erklärt, auf den er nach dem Kollisionsrecht seiner eigenen Rechtsordnung nicht anwendbar ist; für den also die Sachnorm der Bezugsrechtsordnung gar nicht gilt. 297
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Ago300, Batiffol301 und Kralik302 ist damit allerdings auch dem innerhalb ausländischer Rechtsordnung „geltenden Recht“ noch keine Realität zugesprochen, die pauschal seine Einordnung als Tatsache erlaubte. Denn die Frage der juristischen Geltung, also nach der Zugehörigkeit eines Normsatzes zu einer Rechtsordnung, ist ebenfalls nicht in naturwissenschaftlichen/empirischen Kategorien verifizierbar – vertretbar ist auch bei Geltungsnormen (konstitutiven Normen) der jeweils in Bezug genommenen ausländischen Rechtsordnung nicht immer nur eine Auslegung. Während damit allein die faktische Geltung eines Normsatzes klar eine Tatsachenfrage ist, ist seine juristische Geltung innerhalb einer Rechtsordnung aber immerhin mit einiger Rationalität nachprüfbar. Kann man nämlich auch den Inhalt einer Rechtserzeugungsregel und damit insbesondere die Voraussetzungen für systemrelative Geltung als Gesolltsein innerhalb einer fremden Rechtsordnung nicht anhand der Wirklichkeit verifizieren, so lässt sich doch ein Sachverhalt darunter subsumieren, d.h. eine objektbezogene Aussage darüber treffen, ob der tatsächliche Vorgang der Setzung eines Textes den Geltungsnormen der Bezugsrechtsordnung entspricht. Allein darin liegt der berechtigte Kern sowohl der Faktum-Theorie Agos303 als auch der Einschätzung bei Batiffol304, dass die Inbezugnahme fremden Rechts die Inbezugnahme eines Textes aufgrund der (vermeintlichen) „Tatsache“ bedeute, dass er normativ verbindlich in ein fremdes Rechtssystem eingebunden sei. Das heißt nun zwar, dass in der Regel ein Normsatz herangezogen wird, weil er als im Ausland geltend subsumiert wird. Das Abstellen auf die Rechtsnormqualität im Ausland dient aber nur zur Identifikation des Bezugstextes, was isoliert keine Aussage über die rechtstheoretische Natur der Inbezugnahme des Textes erlaubt. Dieser Befund gilt für das Kollisionsrecht gerade unabhängig davon, wie man sich zu der Frage stellt, ob fremdes Recht „als ausländisches“ herangezogen werden soll. Würde der deutsche Kollisionsrechtsgesetzgeber ausdrücklich anordnen, entweder ausländisches Recht unter Belassung seiner Qualität als ausländisches Recht „anzuwenden“ oder unter Inbezugnahme ausländischen Rechts „als Tatsache“ inländische „Parallelnormen“ zu schaffen, so würde in beiden Fällen dennoch gleichermaßen nur ein Text (Idee des Gesollten, Normbzw. Rechtssatz, potentielle Rechtsnorm) aufgrund der Subsumtion herangezogen, dass er die Rechtserzeugungsvoraussetzungen der Bezugsrechtsordnung erfüllt305. Wer daher mit der Kategorie einer Erklärung für anwendbar 300
Vgl. dazu oben S. 22 ff. Batiffol, Aspects philosophiques du droit international privé, S. 109. 302 Kralik, ZfRV 1962, 75, 76. 303 Vgl. dazu oben S. 22 ff. 304 Batiffol, Aspects philosophiques du droit international privé, S. 109. 305 Wohlgemerkt geht es der Darstellung insoweit nicht um die prozessualen Fragen der Inbezugnahme fremder Rechtsordnungen. Vgl. dazu bereits oben S. 29 ff. 301
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„als ausländisches Recht“ gegenüber der Schaffung intrakonstitutionell geltenden Rechts eine von der Geltung abgrenzbare, aber dennoch aus dem Rückbezug auf die Grundordnung abgeleitete, abstrakt generelle Festlegung des Gesollten innerhalb der inländischen Rechtsordnung behauptet, kommt nicht über eine rechtheoretische petitio principii hinaus, wenn er keinen rechtstechnischen Gestaltungsunterschied zwischen diesen Kategorien benennen kann, der mit schon im kategorialen Ansatz verfehlten Behauptungen über die Anwendung „als Recht“ oder „als Tatsache“ nicht begründbar ist. Ein solcher Unterschied ist aber nicht einmal denkbar.
(4) Grundsätzliche Irrelevanz der Rechtsnormqualität des Bezugsobjekts Insbesondere dass eine Idee aufgrund ihrer Einordnung in ein fremdes Rechtserzeugungssystem herangezogen wird, ändert nichts daran, dass für die dogmatische Einordnung der dynamischen Inbezugnahme schon das „Ob“ der Rechtsnormqualität des in Bezug genommen Textes irrelevant ist. Dies bestätigt ein Blick auf die Diskussion des Problemkreises der dynamischen Verweisung. Während die heutige kollisionsrechtliche Literatur die Argumente Knittels weithin ignoriert, der aus der Anwendung z.B. im Ausland intertemporal für den Fall nicht geltender Rechtsnormen durch unser IPR gefolgert hat, dass es auf die Geltung der in Bezug genommen Normtexte als Rechtsnormen in der in Bezug genommenen Rechtsordnung gar nicht ankomme306, wird gerade dies in der Diskussion zur dynamischen Verweisung aus parallelen Erwägungen dezidiert angenommen. So formuliert etwa Schenke zur Inbezugnahme bereits außer Kraft getretener Vorschriften in völliger Übereinstimmung mit Kelsen307: „Für die Zulässigkeit der Verweisung ist unter dem Aspekt der oben angeführten staatsrechtlichen Strukturprinzipien ohne Bedeutung, ob die im Verweisungsobjekt getroffene Regelung derzeit noch gilt oder außer Kraft getreten ist, da sie ihre normative Wirkungskraft im Rahmen der Verweisung ohnehin dem Geltungsbefehl der Verweisungsnorm verdankt“308.
Vergleichbar wird die von Herschel309 vorgeschlagene Differenzierung danach, ob die in Bezug genommene Norm für die Adressaten der Verweisungsnorm bereits ohne Verweisung gilt (bspw. durch § 823 Abs. 2 BGB in Bezug genommene Schutzgesetze) oder nicht, von Karpen zu Recht mit dem Hinweis abgetan, dass sie „für die Bestimmung der Verweisungsstruktur keine neuen Gesichtspunkte enthält“310. 306
Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 71, 94. Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244; zitiert oben S. 20. 308 Schenke, in: FS Fröhler, S. 87, 95; ähnlich bereits Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 73 f. 309 Herschel, BB 1963, S. 1220. 310 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 30. 307
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Ist aber schon das „Ob“ der Rechtsnormqualität (Geltung) des Bezugstextes irrelevant, so kann es erst recht nicht auf die Differenzierung zwischen ausländischer und inländischer Rechtsnormqualität ankommen. Eine dogmatische Besonderheit der „Anwendbarkeit ausländischen Rechts als ausländisches“ lässt sich also nicht allein damit begründen, dass der durch unser Kollisionsrecht in Bezug genommene Text die ratio ausländischen Rechts darstellt, weil es für die Technik der Inbezugnahme irrelevant ist, ob und für wen der in Bezug genommene Text bereits ohne diese Inbezugnahme Geltung entfaltet.
(5) Betonung der Ordnungsfunktion ausländischen Rechts allenfalls Motivation des einfachen Gesetzgebers Eine weitere Kontrollerwägung liegt in Folgendem: Auf Grundlage der Prämisse von der Maßgeblichkeit der Provenienz der Ordnungsfunktion müsste man, solange man einen Gestaltungsunterschied zu benennen nicht in der Lage ist, konsequenter Weise bei innerstaatlicher dynamischer Verweisung von Bundes- auf Landesrecht entgegen dem BVerfG311 und der h.L. 312 annehmen, dass das Produkt der Verweisung Landesrecht sei, weil Landesrecht aufgrund der Provenienz seiner Ordnungsfunktion „als Landesrecht“ angewandt werde, ohne Bundesrecht zu werden. All diese Überlegungen lassen offenbar werden, dass die gesamte Differenzierung darauf hinaus läuft, eine Motivation der in Bezug nehmenden Norm zum Maßstab ihrer rechtsdogmatischen Einordnung zu erheben. Wie bereits ausgeführt, hat schon Wengler 313 vertreten, dass die Unterscheidung, ob es sich um eigene oder fremde Rechtsnormen bzw. um eigene oder fremde Rechtsorgane handelt, stets auf die Frage hinauslaufe, ob der „durch Rechtszwang und Rechtsgut vermittelte Zusammenhang einer Norm mit den übrigen Normen einer Rechtsordnung“ maßgeblich sein soll, oder ob es auf die Zugehörigkeit der Norm zu den Normen ankommen soll, die in einem der Rechtsordnung „normalerweise zugeordneten Rechtserzeugungssystem“ geschaffen sind. Diese Unterscheidung bietet strukturelle Parallelen zur Differenzierung zwischen Ordnungsfunktion und Imperativ bei Neuhaus/Kropholler 314. Während aber Neuhaus/Kropholler ihrer Differenzierung rechtsdogmatische Maßgeblichkeit zuweisen, handelt es sich für Wengler 315 um eine 311
Vgl. nur BVerfGE 47, 285, S. 310. Vgl. Arndt, JuS 1979, S. 784, 785; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 32; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401, 403; Schröcker, NJW 1967, 2285, 2289, erörtert schließlich nur den umgekehrten Fall der Verweisung von Landes- auf Bundesrecht, für den er von der Schaffung „materiellen“ Landesrechts ausgeht, was übertragen für das IPR wohl bedeutete, dass die Inbezugnahme „materielles“ deutsches Recht erzeugt. 313 Wengler, in: FS Laun, S. 719, 740. 314 Das impliziert bereits v. Olshausen, in: FS Mühl, S. 471, 481 f. 315 Wengler, in: FS Laun, S. 719, 740. 312
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bloße „Zweckmäßigkeitserwägung“ des Gesetzgebers. Diese von Wengler angenommene Subjektivität der Fragestellung wird auch durch die bereits zitierte316 Argumentation Dölles belegt, für den ausländisches Recht, auch wenn es durch den heimischen Richter anzuwenden ist, nicht heimisches Recht wird, weil die die Kollisionsnorm erlassende Rechtsordnung nur die Verantwortung dafür, dass der Sachverhalt ausländischem Recht unterstellt wird, übernehme, nicht aber „die Verantwortung dafür, dass die in Bezug genommene fremde Sachnorm den Fall gerecht und zweckmäßig regelt“317. Der Terminus der Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“ beinhaltet also eine subjektive Distanzierung vom Inhalt fremder Regelungen durch den auf diese verweisenden einfachen Gesetzgeber. Beitzke pflichtet dem dahingehend bei, dass im Gegensatz zu einer Rezeption „wir die Verantwortung für den gerechten Inhalt des ausländischen Rechts mit seiner Heranziehung durch unser IPR nicht übernehmen“318.
(6) Irrelevanz eines gegen Inkorporation gerichteten Willens des einfachen Gesetzgebers Einen etwaigen Willen des IPR-Gesetzgebers zu berücksichtigen, nach dem die Gehalte der in Bezug genommenen ausländischen Rechte nicht inkorporiert werden sollen, stellt nun eine rechtstheoretische Sackgasse dar, die als solche in der Diskussion zur dynamischen Verweisung hinreichend beschrieben worden ist. Dort ist nämlich die Idee vertreten worden, durch Vermeidung der Inkorporation des Verweisungsobjekts könne man dem Publizitätsgebot des Art. 82 GG entkommen: Als Bruder im Geiste der Kollisionsrechtswissenschaftler, die davon ausgehen, dass ausländisches Recht nicht inkorporiert werde, schreibt Staats 1978 über die Verweisung auf „Regelungen“ des deutschen Instituts für Normung (DIN): „Zweck der Verweisung anstelle der „Inkorporation“ ist es gerade, die Verkündung des Verweisungsobjekts zu vermeiden. Dann kann der gesetzgeberische Wille nur dahin verstanden werden, daß die in Bezug genommene Regelung nicht Bestandteil der verweisenden Rechtsnorm werden soll“319.
DIN-Vorschriften werden danach also durch Verweisung nicht Bestandteil des verweisenden Bundesgesetzes, sondern „als DIN-Vorschriften angewandt“, ohne als Bundesgesetz zu gelten. Weil diese Sicht mit der herrschenden Vorstellung von IPR strukturell kongruent ist, sind die Argumente aus der Diskussion zur dynamischen Verweisung vollständig auf das IPR übertragbar. Die Replik 316 317 318 319
Vgl. oben S. 18. Dölle, in: FS Raape, S. 149, 151. Beitzke, in: FS Smend, S. 1, 13. Staats, ZRP 1978, 59, 61.
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Schenkes auf die vereinzelt gebliebene Sicht von Staats trifft daher auch jedes Abstellen auf die subjektive Distanzierung des IPR-Gesetzgebers gegenüber dem in Bezug genommenen ausländischen Recht: Für die rechtliche Qualifizierung kann nicht ein innerer Wille der Legislative maßgeblich sein; rechtliche Erscheinungen sind nach ihren objektiven Wirkungen zu bewerten320. Ganz allgemein gilt nämlich die Erkenntnis bereits bei Ossenbühl321, dass es einen „verhängnisvollen methodischen Irrweg“ darstellt, eine gesetzgeberische Deklaration zu übernehmen, anstatt eine objektiven Würdigung vorzunehmen, weil die Einordnung einer Norm als Rechtssatz nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers steht. Allein die Funktion des Rechtssatzes regiert seine rechtstheoretische Qualifikation322. Für die Beurteilung einer denkbaren „Mentalreservation des einfachen Gesetzgebers“ gegenüber der Inkorporation der Bezugsobjekte des deutschen Kollisionsrechts sei zudem noch einmal darauf hingewiesen, dass bei aller Distanzierung die Inbezugnahme des ausländischen Normtextes durch unser Kollisionsrecht nichtsdestotrotz ein Urteil der inländischen Rechtsordnung ausdrückt, dass der Normtext im Rahmen der Inbezugnahme zukünftig befolgt werden soll. Das bedeutet nicht nur Geltung etwa im Sinne Kelsens. Vielmehr werden von keinem der oben 323 erörterten Begriffe des geltenden Rechts rechtstheoretische Vorstellungen des Gesetzgebers auch nur berücksichtigt. Wenn also Karpen324 geltend macht, dass die Kollisionsnormen im Gegensatz zur Verweisung „nicht zur inhaltlichen Einverleibung des Rechtes fremder Staaten in das deutsche Recht“ führen, so ist daran allein richtig, was auch das BVerfG325 betont: dass die Kollisionsnorm sich nicht den Telos der in Bezug genommenen Norm zu eigen macht. Sie hat vielmehr den abweichenden Zweck, dass in Bezug genommene ratio nicht wegen deren Inhalts, sondern aufgrund einer spezifisch kollisionsrechtlichen Erwägung befolgt werde, obwohl sie von Gerechtigkeitsvorstellungen des eigenen Sachrechts abweichen mag. Das aber betrifft nicht die Ebene der Geltung, sondern die Motivation der Anordnung der Geltung. Es ermöglicht insbesondere entgegen Karpen keine Abgrenzung gegenüber der dynamischen Verweisung: dass die Normzwecke von verweisender Norm und in Bezug genommener Norm nicht deckungsgleich sind, ist gerade charakteristisch für die dynamische Verweisung.
320 321 322 323 324 325
Schenke, in: FS Fröhler, S. 87, 96. Ossenbühl, DVBl. 1967, 401, 403. So etwa Pestalozza, DÖV 1972, 181, 183. Vgl. oben S. 65 ff. Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 50. BVerfG, FamRZ 2005, 1813, 1815.
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(7) Das Scheinargument der Auslegung nach ausländischer Methodik Bis hierher lässt sich also festhalten, dass die traditionelle Kollisionsrechtswissenschaft die Provenienz der Ordnungsfunktion ausländischen Recht als maßgeblich für die rechtsdogmatische Einordnung ansieht, wodurch auf einen schlichten Telos des einfachgesetzlichen inländischen IPR abgehoben wird, nach welchem insbesondere, wie Neuhaus326 formuliert hat, ausländische Normen „im Inland aus dem Zusammenhang und Geist der fremden Rechtsordnung ausgelegt werden müssen“. Weitergehend hat Goldschmidt 327 mit der vielzitierten Metapher, dass der inländische Richter fremdes Recht lediglich zu „photographieren“ habe328, sogar dessen Befugnis zur Fortbildung des anzuwendenden Fremdrechts kategorisch verneint – freilich wird dies heute gemeinhin anders gesehen329. Bedeutung kann die Maßgeblichkeit des ausländischen Interpretationskanons aber nach dem bisher Gesagten für die Frage nach der Geltung nur gewinnen, wenn man hierin auch eine rechtstechnische Gestaltungsbesonderheit sieht, die sich notwendig von der Schaffung inländischen Rechts unterscheidet330. Dafür lässt sich immerhin anführen, dass selbst Ago331 als Vertreter der Schaffung inländischen Rechts angenommen hat, dass bei einer „materiellrechtlichen“ bzw. dynamischen Verweisung auf ausländische Vorschriften diese notwendig vom Methodenhorizont der Verweisungsnorm aus interpretiert werden müssten. Wie bereits gesagt, ist auch Art. 15 des italienischen IPR-Gesetzes – 218/95 vom 31. 5. 1995 – der die Auslegungsmaßgeblichkeit der Rechtsordnung der in Bezug genommenen ausländischen Rechtsnormen ausdrücklich anordnet, als Beleg dafür gewertet worden, dass in Italien ausländisches Recht „als ausländisches“ angewandt werde332. In dem Rekurs auf den Auslegungshorizont der in Bezug genommenen ausländischen Vorschriften liegt allerdings ein Scheinargument, das einen Gestaltungsunterschied gegenüber der Schaffung inländischen Rechts nicht begründen kann.
326
Vgl. das Zitat oben S. 17. Vgl. Goldschmidt, in: FS Martin Wolff, S. 203, 217: „Am eigenen Rechte bauen wir als Architekten mit, das fremde photographieren wir lediglich“. 328 Dazu auch Lindacher, in: FS Beys, Bd. 2, S. 909, 909 f.; Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 75 f. 329 Vgl. nur Kropholler, IPR6 , § 31 I 2, S. 213; Sonnenberger, in: MüKo BGB 4, Einl. IPR, Rn. 640. 330 So insbesondere Ferid, in: FS Dölle, Bd. II, S. 119, 130; Schemmer, Der ordre publicVorbehalt unter der Geltung des Grundgesetzes, S. 27. 331 Ago, Teoria del diritto internazionale privato, S. 111; ders, in: RdC 58 (1936 IV), S. 247, 306 f.; ders., Lezioni di diritto internazionale privato, S. 59. 332 Carbone, Lezioni di diritto internazionale privato, S. 44 ff. 327
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(a) Modifikation ausländischer Methode durch unser Kollisionsrecht Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass schon das Bild Goldschmidts vom inländischen Richter als Fotografen fremden Rechts nicht mit der Rechtswirklichkeit deckungsgleich ist, weil nach den bisherigen Ergebnissen dieser Betrachtung333, unser IPR aufgrund seiner synthetisierenden Regelungstechnik das hinter einem entsprechenden Auslegungsgrundsatz stehende Postulat der kongruenten Abbildung der „ausländischen Rechtswirklichkeit“334 nur beschränkt verwirklicht. Das gilt zwangsläufig auch für die Methodik ausländischen Rechts. Bildet beispielsweise der deutsche Richter bei einem Anpassungsproblem mehrere Rechtsordnungen fort, kombiniert er gegebenenfalls auch die Interpretations- und Rechtsfortbildungsmethoden verschiedener Rechtsordnungen. Dann synthetisiert er nicht nur Inhalte, die sich mit keiner der Ausgangsrechtsordnungen decken, sondern geht auch nach einer Methodik vor, die den einzelnen ausländischen Rechten so gar nicht innewohnt. Steindorff macht geltend, dass es sich sogar verbiete, durch das Zusammentreffen verschiedener Rechtsordnungen ausgelöste Lücken oder Widersprüche nach Prinzipien zu überwinden, die allein für ein nationales Recht gelten 335. Diesbezüglich kann man also nur von Auslegung nach dem Horizont des in Bezug genommenen Rechts sprechen, wenn man mit Betti336 eine Aufspaltung dergestalt vornimmt, dass erst im Anschluss an eine eigenständige Phase der Auslegung von Sachnormen nach ihrer Rechtsordnung in einer weiteren Phase die Herstellung der Kohärenz aller für einen Sachverhalt herangezogenen Sachnormen nach von den jeweils in Bezug genommenen Rechtsordnungen abstrakter Interpretationsmethode erfolge. Diese ideale Phasentrennung ist aber nicht vollständig durchführbar. Anerkanntermaßen ist möglich, dass gerade eine bestimmte Auslegungsmaxime des ausländischen Rechts – z.B. Entscheidung nach „revolutionärem Bewusstsein“ – gegen unseren ordre public verstößt und daher spezifisch die ausländische Auslegungsmethode nicht bzw. nur modifiziert übernommen wird337. Entsprechendes lässt sich an einem Beispiel des intertemporalen Privatrechts sogar als explizit positivierte Detailregelung aufzeigen: Nach Art. 1 Abs. 2 DDR-VerfassungsgrundsätzeG338 und Art. 2 des Staatsvertrags 333
Eingehend zum synthetisierenden Charakter des IPR oben S. 93 ff. So etwa Lindacher, in: FS Beys, S. 909. 335 Vgl. Steindorff, Sachnormen im IPR, S. 28. 336 Betti, in: FS Gutzwiller, S. 233, 235 f. 337 Dazu näher Kropholler, IPR6 , § 31 I 2, S. 214. 338 Die Vorschrift lautet: „Vorschriften der Verfassung und sonstiger Rechtsvorschriften sind entsprechend diesem Verfassungsgesetz anzuwenden. Bestimmungen in Rechtsvorschriften, die den einzelnen oder Organe der staatlichen Gewalt auf die sozialistische Staatsund Rechtsordnung, auf das Prinzip des demokratischen Zentralismus, auf die sozialistische Gesetzlichkeit, das sozialistische Rechtsbewußtsein oder die Anschauungen einzelner Bevölkerungsgruppen oder Parteien verpflichten, sind aufgehoben“. 334
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von 1990 sind rechtsstaatswidrige Interpretationsmethoden bei der Anwendung von DDR-Recht ausgeschlossen339. Geht aber der inländische Richter nach einer synthetischen Interpretationsund gegebenenfalls Rechtsfortbildungsmethode vor, so handelt es sich bei dieser Methode um eine solche, die Produkt allein der deutschen Rechtsordnung ist.
(b) Möglichkeit des Nachvollzugs ausländischer Methodik durch Normen der deutschen Rechtsordnung Ohnehin setzt ferner das Grundgesetz die rechtstheoretische Möglichkeit der Auslegung nach den Grundsätzen fremder Rechtsquellen für innerhalb der deutschen Rechtsordnung geltende Normen voraus, was bereits an der Diskussion über die innerstaatliche Verwirklichung völkerrechtlicher Gehalte über die Artt. 25, 59 GG aufgezeigt werden kann. Für die hierzu vertretene, sog. Vollzugstheorie, nach der Völkerrecht kraft besonderen Anwendungsbefehls340 als solches im Inland gilt, ohne seine Völkerrechtsqualität zu verlieren, und gegen die Transformationslehre wird zwar unter anderem auch vorgetragen, dass letztere nicht die völkerrechtsbezogene Auslegung, insbesondere die Auslegung völkerrechtlicher Verträge nach völkerrechtlichen Maßgaben erklären könne341. Nichtsdestotrotz geht aber selbst die Vollzugstheorie vom einem „Ininnerstaatliche-Geltung-Setzen“ kraft „innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls“342 aus, was dem Streit im Rahmen des Art. 25 GG die Ergebnisrelevanz nimmt. Wenn demgegenüber Verfechter der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeitsthese mit dem Auslegungsargument schon die rechtstheoretische Möglichkeit inländischer Geltung kraft Anwendungsbefehls verneinen, so müssen sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie denn auf der Grundlage ihres Auslegungsargumentes auch hinsichtlich des Art. 25 GG entgegen dessen Wortlaut, der Rechtsprechung des BVerfG343 und der in der Spezialliteratur hierzu einhelligen Sicht, dass diese Vorschrift völkerrechtliche Gehalte zu Bundesrecht, d.h. Recht im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG erhebt 344, konsequenter Weise von der nicht Geltung konstituierenden, „bloßen Anwendbarkeit“ völkerrechtlicher Gehalte innerhalb der deutschen Rechtsordnung ausgehen wol339
Näher Hess, Intertemporales Privatrecht, S. 385. Diesen betont auch BVerfGE 46, 342, 263 341 Etwa Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GGK II5, Art. 59 Rn. 33a; Hofmann, in Umbach/ Clemens, Mitarbeiterkommentar zum GG, Bd. I, Art. 25 Rn. 18; Steinberger, ZaöRV 48 (1988), 1, 4. 342 Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GGK II5, Art. 59 Rn. 33a; Steinberger, in: Handbuch des Staatsrechts VII1, § 173 Rn. 42. 343 Vgl. nur BVerfGE 46, 342, 364. 344 Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GGK II5, Art. 25 Rn. 2; Steinberger, in: Handbuch des Staatsrechts VII1, § 173 Rn. 48; Koenig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Art. 25 Rn. 44; Menzel, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 25 S. 11. 340
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len. Im Übrigen wird die Geltung „als Fremdrecht“ bei Art. 25 GG insbesondere auch damit begründet, dass diese Vorschrift die Rechtssätze des Völkerrechts nicht von ihrem völkerrechtlichen Geltungsgrund löse345, während für die kraft autonomen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls maßgeblichen Normsätze fremdstaatlicher Rechtsordnungen nach den bisherigen Ergebnissen ohnehin nur das Grundgesetz als Geltungsgrund in Betracht kommt. Allerdings ist nicht nur aus der Parallele zu Art. 25 GG der Schluss zu ziehen, dass sich eine Regel der Auslegung von Normen nach Maßgabe ihrer „fremden“ Rechtsquelle ohne jede rechtsdogmatische Verwerfung auch dann als Maxime für das deutsche Kollisionsrecht verwirklichen lässt, wenn man das Produkt der Inbezugnahme ausländischen Rechts als intrakonstitutionell geltendes Recht begreift346. Vielmehr ist das Auslegungsargument als Scheinargument auch zur Begründung der Vollzugstheorie im Rahmen des Art. 25 GG ungeeignet. Entgegen Steinberger 347 geht mit der Annahme einer „Transformation völkerrechtlicher Gehalte in deutsches Recht“ die Unmaßgeblichkeit völkerrechtlicher Auslegungskriterien keineswegs einher. Vielmehr hat bereits v. Olshausen zu Recht für das IPR formuliert: „Die Erkenntnis, daß Kollisionsnormen des Forumstaates nie fremdes Recht ,als solches‘ zur Anwendung berufen können, trägt nun keinesfalls den Schluß, fremde Rechtsinhalte seien allemal nach der Methodik des heimischen Rechts zu bestimmen. Im Gegenteil: der Verweis auf fremde Rechtsinhalte impliziert auch die Inkorporation der Methodik, mittels derer die Organe fremder Ordnungen ihr Recht zu ermitteln haben“348.
Die Schaffung inländisch geltenden Rechts durch Nachvollzug unter Einschluss von Systematik und Interpretationskanon der Ordnung des Bezugsobjektes ist aber nicht nur dogmatisch möglich, sondern lässt sich auch als geradezu universelle Gestaltung des geltenden deutschen Privatrechts nachweisen. Hess schreibt in seiner Monographie zum intertemporalen Privatrecht über die Parallele von IPR und Anwendung früheren Sachrechts: „Im IPR ist anerkannt, daß ausländisches Recht authentisch, anhand der fremden Rechtsquellenlehre und Methodik, nachzuvollziehen ist, so wie die Gerichte des betreffenden Staates es auslegen und anwenden […] Für das intertemporale Privatrecht gilt nichts anderes: Das frühere Recht ist seiner eigenen Begrifflichkeit und Systematik [nach] anhand des Interpretationskanons und der Rechtsprechungspraxis seiner Geltungszeit anzuwenden“349.
345
Vgl. Steinberger, in: Handbuch des Staatsrechts VII1, § 173 Rn. 43. Für die Möglichkeit einer Rezeption unter Einschluss fremder Methodenlehre bereits Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht S. 105; v. Olshausen, in: FS Mühl, S. 471, 485; Stöcker, JR 1965, 456, 458. 347 Steinberger, ZaöRV 48 (1988), 1, 4 f. 348 V. Olshausen, in: FS Mühl, S. 471, 485. 349 Hess, Intertemporales Privatrecht, S. 384. 346
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
Wie im IPR die Abbildung ausländischer Rechtswirklichkeit erstrebt wird, postuliert Hess für das intertemporale Recht das Erfordernis der „wirklichkeitsgetreuen Sachrechtsanwendung“ aus dem Prinzip der lex temporis actus350. Wie IPR in räumlicher Perspektive ausländischem Recht, das im Inland nicht gilt, ein Gesolltsein bemisst, das es ohne den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl nicht hätte, so verschafft in zeitlicher Hinsicht die intertemporale Kollisionsnorm einer Rechtsnorm erst ein normatives Gesolltsein für einen bestimmten Zeitraum, das ohne kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl nicht denkbar wäre. Meines Erachtens folgt daraus und aus der Einschätzung bei Hess351 und Karpen352, dass die intertemporale Verweisung auf zukünftige Rechtsnormen in ihrer jeweils aktuellen Fassung eine dynamische Verweisung darstellt, dass auch die „materiellrechtliche Verweisung“ entgegen Ago grundsätzlich unter Einbeziehung des Methodenkanons des Bezugsobjekts als Auslegungsgrundsatz der in Bezug nehmenden Vorschrift erfolgen kann. Denn die einzig denkbare Alternative hierzu läge nach den Prämissen Agos darin, Sachnormen auch innerhalb ihrer eigenen Rechtsordnung nicht als Recht, sondern nur als „Rohstoff“ für die intertemporalen Kollisionsnormen als Rechtsquellennormen zu begreifen – eine Konsequenz, die Ago selbst nicht einmal in Betracht zieht. Demnach lässt sich also seine Lehre von den Vorschriften des IPR als besondere „Rechtsquellennormen“ mit der Unmöglichkeit einer Verweisung unter Einschluss des Methodenhorizonts des Bezugsobjekts nicht überzeugend begründen. Wer demgegenüber vertritt, dass mit der Schaffung inländischen Rechts durch Kollisionsnormen eine Auslegung nach dem Methodenhorizont der Kollisionsnorm aus notwendig verbunden sei, der muss entweder Hess widersprechen oder erklären, wo der signifikante Unterschied zwischen räumlichem und zeitlichem Aspekt des Horizonts einer Kollisionsnorm liegen soll. Denn die denkbare strukturelle Parallele zur herrschenden Sicht im IPR, anzunehmen, dass intertemporal berufenes Recht nur angewandt werde, ohne zu gelten, führt die herrschende These von der „bloßen Anwendbarkeit“ in die Absurdität: Genauso, wie inländische Sachnormen unter dem Vorbehalt des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls des deutschen IPR stehen 353, wird inländisches Recht unter den Vorbehalt eines intertemporalen Anwendungsbefehls gestellt. Verschafft aber auch intertemporales Recht nur Anwendbarkeit ohne Geltung, gibt es abgesehen von den Kollisionsnormen nur anwendbares, aber kein geltendes inländisches Recht. Dies lässt sich zwar widerspruchsfrei annehmen, birgt aber die Konsequenz, dass die Anwendung inländischen und auslän350 351 352 353
Hess, Intertemporales Privatrecht, S. 384. Hess, Intertemporales Privatrecht, S. 492. Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 75. Vgl. oben S. 107.
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
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dischen Sachrechts doch wieder dogmatisch gleichgestellt werden muss. Die Vermeidung dieser Konsequenz ist aber alleinige Daseinsberechtigung des besonderen internationalprivatrechtlichen Anwendbarkeitskonzepts, die sich erst unter dem Blickwinkel der Frage nach der Verfassungsbindung der Produkte kollisionsrechtlicher Verweisung voll erschließt.
4. Die gescheiterte Flucht aus der Verfassung Der Nachvollzug einer ausländischen ratio durch inländisches Recht kann offenkundig nur in den Grenzen unserer Verfassung erfolgen, während prominente Kollisionsrechtswissenschaftler und auch der BGH354 zumindest vor der Spanierentscheidung355 des BVerfG sogar davon ausgegangen sind, dass die Kollisionsvorschriften die räumliche bzw. persönliche Geltung der Verfassung abgrenzten und diese daher – obwohl normenhierarchisch über einfachgesetzlichem IPR stehend – nur im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeit deutschen Privatrechts Wirkung entfalte356 – also nicht bei Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“. Die Konzeption der Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“ muss daher als Ausdruck der traditionellen Furcht vor der Kontrolle des IPR anhand inländischer Verfassungsmaßstäbe begriffen werden, welcher von Ferid noch 1975 das Potential beigemessen worden ist, die Ersetzung des überkommenen Anknüpfungssystems durch ein „primitives Territorialitätsprinzip“ zu erzwingen 357. Sonnenberger hat schon 1962 betont, dass die – ihm offenbar unerwünschte – Folge einer „Transformation“ auch darin bestehe, dass ausländisches Recht all jenen Beschränkungen unterworfen würde, die sich für den inländischen Gesetzgeber aus seiner verfassungsmäßigen Bindung ergeben358. Bemerkenswerter Weise ist auch in der italienischen Paralleldiskussion von Vitta gegen Agos Konzeption der Rechtsquellennormen die Möglichkeit der Verfassungswidrigkeit eines so verstandenen Kollisionsrechts eingewandt worden359. Hinter einer Argumentation wider die Transformation ausländischen Rechts mit der daraus folgenden Bindungswirkung der Verfassung steht freilich die wissenschaftswidrige Erhebung des gewünschten Ergebnisses zur Methode in einer Weise, die exakt dem bereits beschriebenen360 Argumentationsduktus bei 354
BGHZ 42, 7, 13 ff. BVerfGE 31, 58 ff. 356 Vgl. nur Beitzke, Grundgesetz und IPR, S. 34; Ferid, FS Dölle, Bd. II, 1963, S. 119, 143; sowie durchaus auch noch nach der Spanierentscheidung Kegel, in: Soergel11 (1984), Vor Art. 13 EGBGB Rn. 10; Neuhaus, RabelsZ 36 (1972), 136. 357 In diesem Sinne noch 1975 Ferid, IPR1, 2–63, S. 45. 358 Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR,S. 74. 359 Vitta, Diritto Internazionale Privato, Bd. 1, S. 220. 360 Vgl. oben S. 126. 355
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Staats hinsichtlich der Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit Art. 82 GG entspricht, wonach dann, wenn der Zweck der Verweisung darin bestehe, die Erstreckung der Verfassungsanforderungen an die verweisende Norm auf den herangezogenen Gehalt der Bezugsnorm zu verhindern, nach dem gesetzgeberische Willen die in Bezug genommene Regelung nicht Bestandteil der verweisenden Rechtsnorm werden solle. Jegliche Berücksichtigung eines gegen Inkorporation des Bezugsobjekts gerichteten Willens des einfachen Gesetzgebers einer in Bezug nehmenden Vorschrift ist jedoch bereits mit Ossenbühl und Schenke als rechtstheoretischer Irrweg sowie als für die Frage der Schaffung inländisch geltenden Rechts irrelevant eingeordnet worden 361. Der Möglichkeit, die Geltung der Verfassung unter den Vorbehalt des einfachgesetzlichen IPR zu stellen, hat ferner bereits 1964 Wengler 362 entgegen gehalten, dass sich die internationale Reichweite der Vorgaben unserer Verfassung nach deren autonomen Maßstäben und nicht etwa nach einer rechtstechnischen Ausgestaltung des einfachgesetzlichen Kollisionsrechts richte. In dieser, heute wohl weithin anerkannten363 Weise hat sich dann auch das BVerfG dem IPR genähert und jede Hoffnung zerstört, mit dem Konstrukt der Anwendung ausländischen Rechts „als ausländisches“ ließe sich der Verfassung entkommen: Für das „Ob“ der Verfassungsbindung, das hat das BVerfG in seiner Spanierentscheidung364 mit aller Klarheit festgestellt, sei schon deshalb irrelevant, ob ausländisches Recht durch die Anwendung im Inland seine Natur als ausländisches nicht verliert, weil die Rechtsanwendung durch deutsche Behörden und Gerichte Ausübung deutscher Staatsgewalt bedeute, die unter den Geboten aus Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG stehe. Nachdrücklich sei daher noch einmal betont, was in der Literatur bis heute nur vereinzelt anklingt 365: Wenn der Gesetzgeber fremde Rechtsideen (Normbzw. Rechtssätze) über eine eigene Rechtsnorm zum verbindlich abstrakt generell Gesollten macht, so hat er für die Verfassungsgemäßheit der Problemlösung im Sinne von Artt. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG einzustehen. Führt die „Anwendbarkeit ausländischen Rechts“ kraft Anwendungsbefehls des deutschen Kollisionsrechts zu Grundrechtseingriffen, so kann der Gesetzgeber gegenü-
361
Vgl. oben S. 126 ff. Wengler, Anm. zu BGH, Beschl. v. 12. 2. 1964, IV AR (VZ) 39, 63, JZ 1964, 622 f.; ders., Anm. zu BGH, Urt. v. 29. 4. 1964, IV ZR 93/63, JZ 1965, 100, 101; ähnlich bereits Bernstein, NJW 1965, 2273 ff.; Stöcker, JZ 1965, 456, 457. 363 Vgl. etwa Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2 , § 7 Rn. 266; Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, S. 93; Isensee, VVDStRL 32 (1974), 49, 60; Pfeiffer, in: FS Laufs, S. 1193, 1196. 364 BVerfGE 31, 58, 74. 365 Vgl. Kralik, ZfRV 1962, S. 75, 80; Stöcker, JR 1965, 456, 457, Gebauer/Hufeld, IPRax 2004, 327, 329 f. 362
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
135
ber dem sich auf Grundrechte berufenden Individuum entgegen Dölle366 und dem BFH367 gerade nicht pauschal geltend machen, er sei für Normsätze, deren Gesolltsein er objektiv zurechenbar angeordnet und mit Sanktionen bewehrt hat, „nicht verantwortlich“, nur weil er sie durch Rückgriff auf nach eigenem Gutdünken kombinierte Vorstellungen ausländischer Rechtsordnungen synthetisiert hat.
5. Ergebnis: Kein Anwendungsbefehl ohne Geltung Gegen Zitelmann mag man nach alledem schon deshalb einwenden, dass selbst regelmäßige Anwendung keine Geltung erfordert, weil faktische Geltung und juristische Geltung nicht notwendig kongruent sind. Notwendige Prämisse der herrschenden kollisionsrechtlichen Anwendbarkeitsthese ist aber über bloße Anwendung ausländischen Rechts durch inländische Organe (faktische Geltung) hinaus, dass ein innerhalb der deutschen Rechtsordnung geltender Anwendungsbefehl den in Bezug genommenen Text nicht mit intrakonstitutioneller Geltung versieht. Der Begriff der juristischen Geltung eines Normsatzes lässt sich aber im Kern gleichsetzen mit einer Willensäußerung des Souveräns, dass der Normsatz (zukünftig) befolgt werden solle. Ein nicht Geltung verschaffender, kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl durch geltendes inländisches Recht ist deshalb unmöglich, weil Geltung eines Rechts- bzw. Normsatzes durch einen auf die inländischen Grundnormen rückführbaren Befehl, den Normsatz auf zukünftige Sachverhalte notfalls in der Ex-post-Perspektive eines zukünftig befassten Gerichts auch anzuwenden, notwendig konstituiert wird368. Denn unter der Prämisse der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung drückt diese durch einen solchen zukunftsgerichteten Anwendungsbefehl auch notwendig aus, dass der Normsatz zukünftig befolgt werden soll (Geltung). Durch den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl wird der in Bezug genommene Normsatz im Rahmen der Inbezugnahme zum normativ Gesollten, d.h. geltend. Die Geltung eines Normsatzes innerhalb unserer Rechtsordnung wiederum drückt dessen Zugehörigkeit zu dieser als Rechtsnorm aus. Der Befehl der deutschen Rechtsordnung, einen regulativen Rechts- bzw. Normsatz (primary rule im Sinne Harts) zum Maßstab von Prozessen über gegenwärtige und zukünftige Sachverhalte zu machen („anzuwenden“), konstituiert dessen Geltung als Norm der deutschen Rechtsordnung.
366 367 368
Dölle, in: FS Raape, S. 149, 151 f. BFH, IPRax 2004, 342, 345. Insoweit zu Recht bereits Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244.
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
Entgegen Kropholler 369 und Schurig 370 ist damit nicht die These „künstlich“, dass der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl Normen des eigenen Rechts produziere. Künstlich ist vielmehr die These, der Gesetzgeber könne ohne jede Hoheitsübertragung Normsätze mit Verbindlichkeit innerhalb der eigenen Rechtsordnung versehen, ohne diesbezüglich zu legiferieren.
6. Zusammenfassung und Folgerung a) Rechtstheoretischer Subjektivismus der herrschenden Anwendbarkeitskonzeption Für durch unser Kollisionsrecht in Bezug genommene Verhaltensgebote ausländischen Rechts ist eine Anwendbarkeit „als ausländisches Recht“ ohne Geltung erst denkbar, wenn man entgegen Kelsen die Kategorie einer materiellrechtlichen Primärnorm bzw. regulativen Norm anerkennt, diese nicht nur entgegen Wengler und Zippelius als gänzlich abstrakt vom staatlichen Sanktionsapparat ihrer Rechtsordnung versteht, sondern darüber hinaus bereits die ratio legis, also den Rechts- bzw. Normsatz isoliert von seiner Geltung als Rechtsnorm begreift und schließlich die entsprechende Bewertung auf jede in Bezug genommene Rechtsordnung ungeachtet deren eigener Rechtstheorie überträgt. Denn von einer fremden Rechtsnorm wird nach allgemeiner Ansicht in der Kollisionsrechtswissenschaft nicht ihr rechtliches Gesolltsein, sondern nur ihr Text, also ihre darin zum Ausdruck kommende Idee vom Gesollten (Normbzw. Rechtssatz, potentielle Rechtsnorm), herangezogen. Nach dem hier für die deutsche Rechtsordnung zu Grunde gelegten, funktionellen Rechtsbegriff371 ist damit das ausländische Bezugsobjekt des deutschen Kollisionsrechts aus der Perspektive der deutschen Rechtsordnung gar kein Recht. Darüber hinaus liegt in der herrschenden kollisionsrechtlichen Anwendbarkeitsthese die Anmaßung, ausländische Rechtsordnungen durch die Brille der eigenen Rechtstheorie zu betrachten. Folgt eine ausländische Rechtsordnung einem prozessualen Rechtsverständnis oder erkennt sie keine von ihrem Sanktionssystem abstrakte Primärnorm an oder begreift sie die Geltung als konstitutiv für eine Rechtsnorm oder folgt sie hinsichtlich der kollisionsrechtlichen „Anwendung“ fremden Rechts Konzepten wie der local law theory, so ist aus ihrer eigenen Perspektive eine Heranziehung gedachter Verhaltensgebote an Private durch deutsche Kollisionsnormen notwendig keine Anwendung ihres Rechts. Diesen Umstand durch das internationalprivatrechtliche Anwendbarkeitskonzept a priori zu ignorieren, bedeutet also nicht die angestrebte „Achtung des Fremden als solches“, sondern im Gegenteil parochialen Pseudointer369 370 371
Kropholler, IPR6 , § 31 I 1, S. 212. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 72, Fn. 107. Siehe oben S. 79 f.
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
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nationalismus auf der Grundlage eines extremen rechtstheoretischen Subjektivismus’.
b) Synthese statt Nachvollzug fremder ratio Ferner könnte man auch in Bezug auf die bloßen rationes (Normsätze) ausländischer Rechtsordnungen von Anwendbarkeit nur überzeugend sprechen, wenn diese in Tatbestand und vorgesehener Rechtsfolge unmodifiziert so für inländisch anwendbar erklärt würden, wie diese innerhalb ihrer Heimatrechtsordnung Normsätze geltenden Rechts darstellen. Diese Voraussetzung ist nicht regelmäßig erfüllt. Schon nach ihrem legislativen Konzept ist insbesondere die Sachnormverweisung als Missachtung der Entscheidung der in Bezug genommenen Rechtsordnung über den internationalen Anwendungsbereich eben dieser Sachnormen auf Modifikation, also auf Schaffung neuer Inhalte und nicht auf Abbildung der ausländischen Rechtsordnung gerichtet. Aber auch im Rahmen der Gesamtverweisung, die den Nachvollzug ausländischen Rechts immerhin anstrebt, ist der Gedanke, deutsches IPR bilde in Bezug genommene Rechtsordnungen kongruent ab, ein Trugbild. Diesem sei die – freilich aus völkerrechtlicher Perspektive als Kritik gemeinte – Analyse Frankensteins entgegen gehalten, dass Kollisionsrecht durchaus darauf hinauslaufen kann, den Fremden zwangsweise vorzuschreiben, „wie ihr Recht auszusehen habe“372. Denn auch im Rahmen der Gesamtverweisung bedient sich unser IPR nur einzelner „Bausteine“ fremden Rechts und synthetisiert dadurch je nach Maßgabe der internationalen Bezüge eines Sachverhalts eine neue Privatrechtrechtsordnung, welche außerhalb der deutschen Rechtsordnung nicht existiert373. Bei jeder Verbindung von Sachnormen aus mehr als einer Rechtsordnung entsteht eine von den Bezugsobjekten verschiedene Gesamtordnung. Damit bricht aber die Konzeption von IPR als Kollisionsrecht im Sinne von „Grenzrecht“, welches ganze Rechtsordnungen gegeneinander abgrenzt, zusammen. Hierdurch ist nicht nur die an Zitelmann gemahnende Prämisse bei Karpen und Schenke widerlegt, deutsches IPR würde den Anwendungsbereich deutschen Sachrechts zugunsten ganzer ausländischer Rechtsordnungen einschränken. Auch das traditionelle Denken in Kategorien der pauschalen Zuweisung einer Regelungszuständigkeit an fremde Staaten wird der tatsächlich erfolgenden Synthese von außerhalb der deutschen Rechtsordnung nicht existierenden Privatrechtsordnungen nicht gerecht. Soweit inländisches Kollisionsrecht das in Bezug genommene ausländische Recht modifiziert, wird durch die „Anwendbarerklärung“ nicht lediglich eine ausländische ratio „mit inländischem Imperativ versehen“, sondern durch die Modifikation eine neue, notwendig inländische weil im ausländischen Recht gar nicht vorhandene ratio ge372 373
Frankenstein, IPR, Bd. 1, S. 48. Vgl. dazu eingehend oben S. 92 ff.
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
schaffen. Subjekt des aus dem autonomen deutschen Kollisionsrecht folgenden Sollens ist schon deshalb allein der Bund.
c) Inländische Geltung nach allgemeiner rechtstheoretischer Begrifflichkeit Schließlich ordnet der deutsche Gesetzgeber durch Kollisionsrecht an, dass der Text der ausländischen Norm im Rahmen der Inbezugnahme zukünftig befolgt werden soll. Dadurch wird das Gesolltsein in den inländischen Staatswillen aufgenommen, der konstitutiv für eine Rechtsnorm ist 374. Das Gesolltsein innerhalb des inländischen Rechtssystems hängt ganz im Sinne des juristischen Geltungsbegriffs davon ab, dass der in Bezug genommene Text über verfassungskonforme inländische Kollisionsnormen auf die Verfassung zurückgeführt werden kann. Dabei unterliegt insbesondere der in Bezug genommene Text im Rahmen der Inbezugnahme selbst der Verfassungskontrolle, weil er – was auch das BVerfG375 unterstreicht – dem Willen des Kollisionsnormgesetzgebers objektiv zuzurechnen ist. Nach gemeinhin geübter Handhabung der Begriffe von Rechtsnorm und Geltung werden demnach die durch Inbezugnahme fremder Rechtstexte geschaffenen Inhalte innerhalb der deutschen Rechtsordnung geltendes Recht. Dem entspricht die Erkenntnis insbesondere in der Literatur zur dynamischen Verweisung, dass für die Natur der Inbezugnahme die anderweitige Geltung des Bezugsobjekts insofern irrelevant ist, als die Normqualität aus der Inbezugnahme folgt376.
d) Notwendigkeit eines besonderen Begriffs geltenden Rechts für die besondere Anwendbarkeitskonzeption Ist aber eine „Anwendbarkeit als ausländisches Recht“ nicht plausibel, so wäre immerhin eine Synthese verbindlicher, nicht aber geltender Normsätze zu erwägen. Das Konzept einer durch IPR gesetzlich angeordneten faktischen Geltung ohne rechtliche Geltung bedürfte allerdings der Definition eines neuen Begriffs des (geltenden) Rechts. Die kollisionsrechtsspezifischen Stellungnahmen verzichten demgegenüber regelmäßig auf eine rechtstheoretische Fundierung. Das teilweise vertretene Erfordernis des unmittelbaren Erlassens durch den inländischen Gesetzgeber, welches für durch IPR in Bezug genommenes ausländisches Recht nicht erfüllt sein soll, ist schon angesichts des Art. 25 GG unhaltbar.
374 375 376
Vgl. oben S. 112 ff. BVerfG, FamRZ 2005, 1813, 1815. Siehe oben S. 124 ff.
A. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte
139
e) Notwendigkeit und Fehlen eines Gestaltungsunterschieds gegenüber der Schaffung inländischen Rechts Zudem müsste ein solcher besonderer Geltungsbegriff auf der Darstellung einer diesem nicht unterfallenden rechtstechnischen Besonderheit des Kollisionsrechts aufbauen, da der Gesetzgeber insoweit unstreitig die Möglichkeit hat, durch Nachvollzug fremder Konzepte im Inland geltendes Recht zu schaffen. Mit anderen Worten würde das Konzept der Heranziehung ausländischen Rechts „als ausländisches“ ohne Geltung im Inland nur plausibel, wenn sich ein rechtstechnischer Gestaltungsunterschied gegenüber der Schaffung inländischen Rechts dartun ließe, der gegenüber dem hier zu Grunde gelegten Begriff der Geltung als auf die Verfassung rückführbares Gesolltsein ein Phänomen abgrenzte, welches sich trotz des auf die Verfassung rückführbaren Gesolltseins der Befolgung in Bezug genommener Texte von Geltung durch ein weiteres, in den Geltungsbegriff noch aufzunehmendes Kriterium unterschiede. Demgegenüber ist dargetan worden, dass der Anwendungsbefehl der Rechtsordnung nicht an ein außerhalb seiner selbst liegendes Merkmal der Geltung anknüpft, sondern dass vielmehr der Anwendungsbefehl bereits Geltung konstituiert. Ein Rechts- bzw. Normsatz gilt in der deutschen Rechtsordnung, wenn diese befiehlt, ihn in Prozessen als Entscheidungsmaßstab für gegenwärtige und zukünftige Sachverhalte anzuwenden. Ein nicht Geltung verschaffender Anwendungsbefehl lässt sich entgegen Neuhaus/Kropholler 377 nicht aus der Maßgeblichkeit der Auslegungsmaßstäbe des ausländischen Rechts, ja nicht einmal aus der – heute ohnehin zu Recht überwiegend abgelehnten378 – Prämisse ableiten, dass der nationale Richter gehalten sei, ausländisches Recht nicht fortzubilden, sondern – nach der Metapher von Goldschmidt 379 – das fremde Recht lediglich zu „photographieren“. Selbst wenn diese zuträfe, würde dies in den Grenzen der inländischen Verfassung aufgrund der Teleologie und als Auslegungsgrundsatz unseres Kollisionsrechts gelten, welches ebenfalls unstreitig inländisch ist.
377
Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2, § 43 I, S. 322 f.; Kropholler, IPR6 , § 31 I 1,
S. 212. 378 Vgl. nur Kropholler, IPR6 , § 31 I 2, S. 213; Sonnenberger, in: MüKo BGB 4, Einl. IPR, Rn. 640. 379 Vgl. Goldschmidt, in: FS Martin Wolff, S. 203, 217: „Am eigenen Rechte bauen wir als Architekten mit, das fremde photographieren wir lediglich“.
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
f) Folgerung Da – das herrschende internationalprivatrechtliche Anwendbarkeitskonzept auf der extremen rechtstheoretischen Subjektivismus konstituierenden Prämisse beruht, in alle Rechtsordnungen der Welt gegebenenfalls auch gegen deren eigene Rechtstheorie ein besonderes geltungsfreies Rechtsnormkonzept projizieren zu können, welches schon mit der in Deutschland herrschenden allgemein-rechtstheoretischen Sicht kollidiert, – durch unser Kollisionsrecht bei funktionalem Rechtsverständnis nicht ausländisches Recht angewandt, sondern unter Inbezugnahme nur der Texte ausländischer Rechtsnormen davon verschiedene Rechtssätze synthetisiert werden, deren Subjekt allein die Bundesrepublik ist, – jegliches abstrakt-generelle Verhaltensgebot welcher Provenienz auch immer aufgrund der Inbezugnahme durch deutsches Kollisionsrecht nach dem Willen unseres Staates gesollt ist, der eine Rechtsnorm konstituiert, – das entsprechende Sollensgebot der inländischen Rechtsordnung unter der Voraussetzung der Verfassungsmäßigkeit der Kollisionsnormen dem allgemeinen Begriff des (geltenden) Rechts entspricht, – die Kollisionsrechtswissenschaft für ihr Konzept der besonderen internationalprivatrechtlichen „bloßen Anwendbarkeit“ als normativ verbindlicher Anordnung eines trotz Formulierung in Normsätzen nicht normativen Sollens einen abweichenden Begriff des (geltenden) Rechts nicht vorträgt, – dieser aber ohnehin nur auf einem rechtstechnischen Gestaltungsunterschied gegenüber der Schaffung inländischen Rechts aufzubauen wäre, aber – der Anwendungsbefehl der inländischen Rechtsordnung gerade die Geltung eines Normsatzes konstituiert und deshalb der Befehl der Anwendung ausländischen Rechts „als ausländisches“ gar keine besondere rechtstechnische Gestaltungsform sondern allenfalls Ausdruck einer teleologischen Wertung des einfachen Gesetzgebers darstellt, dessen Einschätzung nicht die rechtstheoretische Einordnung bestimmen kann, ist die herrschende These der bloßen Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“ ohne Schaffung inländischer Normen als normativ verbindliche Anordnung eines trotz Formulierung in Normsätzen rein faktischen, nicht normativen Sollens zu verwerfen. Stattdessen muss für den Begriff der Geltung allein das der Bundesrepublik kraft willentlicher Inbezugnahme durch Kollisionsrecht zurechenbare Sollensurteil maßgeblich sein, aus dem die Verfassungskontrolle inländischer legislativer Verantwortlichkeit erwächst. Für das internationale wie für das intertemporale Privatrecht lässt sich daher einheitlich feststellen, dass ein verfassungskonformer kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl zur Geltung des
B. „Schlicht“ Bundesrecht statt „inländisch geltendes Fremdrecht“
141
(gegebenenfalls modifiziert) in Bezug genommenen Normtextes innerhalb unserer Rechtsordnung führt.
IV. Ergebnis: Intrakonstitutionell geltendes Recht Das Produkt der Inbezugnahme fremden Rechts durch deutsches Kollisionsrecht ist, seine Verfassungskonformität vorausgesetzt, innerhalb der deutschen Rechtsordnung geltendes Recht. Das Für-anwendbar-Erklären ausländischen Rechts im Sinne der Ausstattung einer (modifizierten) abstrakt generellen Regelungsidee (Rechts- bzw. Normsatz) ausländischer Provenienz mit Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung verschafft den Produkten der Inbezugnahme die Qualität von Rechtsnormen innerhalb der deutschen Rechtsordnung380.
B. „Schlicht“ Bundesrecht statt „inländisch geltendes Fremdrecht“ Damit verbleibt die Frage, ob denn nun das Produkt der kollisionsrechtlichen Inbezugnahme ohne weitere Differenzierung „schlicht“ Bundesrecht wird, ob es, wie neben Ferid381 auch Schemmer in Parallele zur Vollzugstheorie zum Völkerrecht meint382, zur „inländischen Geltung ausländischen Rechts als Fremdrecht“ kommt, weil das IPR entscheide, welche Rechtsordnung die Beziehungen „beherrsche“, oder ob man bei Annahme nur „formellen“ Inlandsrechts von zugleich „materiellem“ Fremdrecht ausgehen kann, wie Beitzke 383 meint und wie es auch bei Kelsen384 immerhin anklingt, wenn er das Produkt der kollisionsrechtlichen Inbezugnahme als „foreign with respect to its contents“ bezeichnet.
380 So im Ergebnis bereits Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 26 Fn. 3; Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, S. 94; Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244; Peter Klein, Z. f. internationales Privat- und öffentliches Recht (Niemeyers Z.), 8 (1903), S. 353, 364; Knittel, Geltendes und nicht geltendes Auslandsrecht im IPR, S. 94; Kralik, ZfRV 1962, 75, 79; v. Olshausen, in: FS Mühl, S. 471, 485; Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter Geltung des Grundgesetzes, S. 35; Stöcker, JR 1965, 456, 458. 381 Ferid, FS Dölle, Bd. II, S. 119, 132. 382 Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter Geltung des Grundgesetzes, S. 35. 383 Beitzke, in: FS Smend, S. 1, 12. 384 Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244.
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
I. Kein „foreign content“ Allerdings können pauschale Konzepte der „Anerkennung“ von fremden Rechtsordnungen „als Ganzen“ bzw. der Zuweisung von „Regelungszuständigkeit“ oder auch „Herrschaft“ über den Sachverhalt an eine fremde „Rechtsordnung als Ganze“ nach den Erkenntnissen dieser Arbeit die Synthese einer mit den in Bezug genommenen Rechtsordnungen nicht übereinstimmenden Privatrechtsordnung nach Maßgabe der internationalen Bezüge eines Sachverhalts durch das deutsche IPR nicht erklären. Zwar liegt die besondere Teleologie unseres IPR darin, bei heterogen verknüpften Sachverhalten für Entscheidungen deutscher Gerichte nach Regeln zu sorgen, die denen nahe kommen, welche die Gerichte einer Bezugsrechtsordnung hypothetisch befolgen würden. Hingegen hat sich schon die Idee eines uneingeschränkten gesetzgeberischen Ziels vollständiger Kongruenz der jeweils entscheidungsleitenden Regeln als Fehlvorstellung erwiesen. Insbesondere die Sachnormverweisung dient nach dem oben Gesagten 385 bereits als abstrakte Regelungstechnik einem solchen Ziel schon deshalb nicht, weil sie die kollisionsrechtliche Entscheidung ihrer jeweiligen Bezugsrechtsordnung ignoriert und daher die Sachrechtssätze dieser Bezugsrechtsordnung gegebenenfalls auf Fälle zur Anwendung bringt, die sie nach dem Kollisionsrecht ihrer eigenen Rechtsordnung gar nicht erfassen. Es konnte aber auch für die Gesamtverweisung, die den möglichst kongruenten Nachvollzug fremden Rechts immerhin anstrebt, dargelegt werden, dass unser Kollisionsrecht im weiten Umfang die rationes der in Bezug genommenen fremden Rechtsordnungen nicht kongruent nachvollzieht, sondern modifiziert, etwa dadurch, dass sie bei gleichzeitiger Inbezugnahme mehrer Rechtsordnungen Fragmente verschiedener Rechtsordnungen rekombiniert. Dadurch werden in diesen Rechtsordnungen gar nicht vorhandene Normsatzordnungen synthetisiert. Im Fremdrecht nicht kongruent vorzufindende Inhalte müssen rechtstheoretisch schon deshalb genauso als inländisches Recht begriffen werden, wie die Normen des EGBGB selbst nicht als französisches oder italienisches Recht angesehen werden können. Alles andere wäre Fiktion, weil das durch autonomes deutsches IPR produzierte normative Gesolltsein außerhalb der deutschen Rechtsordnung nicht existiert, mag es auch eine Annäherung an Sollensmaßstäbe derjenigen Rechtsordnungen sein, deren sich unser IPR als „Steinbrüche von Ideen“ für seine eigentümliche Synthese bedient. Insbesondere das Produkt der Sachnormverweisung und jede gewohnheitsrechtlich verfestigte Kompensation von Normenmangel und Normenhäufung ist daher notwendig allein Bundesrecht, weil dieses Produkt entgegen Kelsen aus der von ihm zu Grunde gelegten formallogischen Perspektive nicht einmal als „foreign 385
Siehe oben S. 102 ff.; 109 f.
B. „Schlicht“ Bundesrecht statt „inländisch geltendes Fremdrecht“
143
content“, angesehen werden kann (sondern bestenfalls als „varyingly similar to but not congruent with foreign content“). Die so oft postulierte „Anwendung fremden Rechts“ ist aber letztlich auch für die Teleologie des IPR eine falsa demonstratio: Die kongruente Abbildung fremder Rechtsregeln wird eben nicht einmal ausnahmslos angestrebt; auch teleologisch geht es um nur graduellen Nachvollzug fremder Regelungen als besondere Form der Synthese von Regeln. Bestreiten lässt sich der synthetisierende Charakter unseres Kollisionsrechts allenfalls für die Gesamtverweisung, insbesondere für den Spezialfall, dass für alle Rechtsfragen eines Sachverhaltes auf eine einzige Rechtsordnung verwiesen wird und es weder zum Eingreifen des ordre public noch zu einem Verweisungsabbruch aufgrund einer Rückverweisung kommt.
II. These: Geltung „als Fremdrecht“ ist Ausdruck von Hoheitsübertragung auf fremdes Normsetzungssubjekt Selbst wenn man aber einmal annehmen wollte, dass durch deutsches IPR stets Normsätze ausländischen Rechts kongruent nachvollzogen werden, so müsste immer noch präzisiert werden, was denn die „Geltung als Fremdrecht“ rechtstheoretisch von der Geltung als „herkömmliches Inlandsrecht“ unterscheidet. Beitzke, Ferid und Schemmer liefern hierfür keine nachvollziehbare rechtstheoretische Differenzierung. Zudem ist entgegen der Einschätzung Ferids, mit dem Konzept der Fremdrechtsgeltung könne die Qualität der Produkte des deutschen IPR als Normen innerhalb der deutschen Rechtsordnung verneint werden386, bereits mehrfach festgehalten worden, dass der Begriff der Geltung die Zugehörigkeit eines Normsatzes zu einer Rechtsordnung als deren Rechtsnorm beschreibt. Auch Geltung „als Fremdrecht“ impliziert also Rechtsnormqualität innerhalb der deutschen Rechtsordnung. Weiter führende Ideen für ein Konzept der Geltung „als Fremdrecht“ bietet aber immerhin Gerhard Hoffmann, der hierzu feststellt: „Eine Rechtsnorm stellt für das rechtsanwendende Organ fremdes Recht dar, wenn diese Norm von Rechtssetzungssubjekten erzeugt worden ist, die nicht rechtserzeugende Organe seines Staates (d.h. des Staates, dessen rechtsanwendendes Organ es ist) sind. Dieses für das rechtsanwendende Organ fremde Rechtssetzungssubjekt kann der Völkerrechtsordnung, einem ausländischen Staat oder einer supranationalen Gemeinschaft (welche bekanntlich keine Staatseigenschaft besitzt) zugehören. Auch Besatzungsrecht – stamme es von einer einzelnen Besatzungsmacht oder einer Gruppe von Besatzungsmächten – ist in diesem Sinne fremdes Recht“387.
386 387
S. 856.
Vgl. oben S. 14. Gerhard Hoffmann, in: v. Münch, VerwaltungsR BT7, Internationales VerwaltungsR,
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
Es wäre nun aber ein unzulässiger Schluss, für die Produkte des IPR kurzerhand eine Fremdrechtsgeltung mit dem Argument anzunehmen, dass doch mit den fremdem Recht entliehenen Normsätzen das Recht eines fremden Subjekts angewandt werde, das von Organen stamme, die nicht zu denjenigen der deutschen Rechtsordnung gehören. Dies wäre deshalb unzulässig, weil damit ohne hinreichende Begründung impliziert würde, dass die kollisionsrechtliche Inbezugnahme ausländische Rechtsquellen nicht zugleich zu inländischen macht. Hierbei ist insbesondere zu bedenken, was Barbey über die Existenz von Organen sagt: „Die Zuständigkeitsordnung erkennt die durch sie begründeten Zuständigkeiten nicht Subjekten zu, die logisch bereits vor dieser Zuständigkeitsordnung existieren: Es gibt kein Organ „Bundespräsident“ an sich, d.h., ohne eine das Organ Bundespräsident konstituierende Zuständigkeitsordnung. Die Hoheitsträger und Organe sind als solche in ihrer spezifischen Qualität durch ihre Zuständigkeiten bestimmt und haben keine von diesen Zuständigkeiten unabhängige Existenz“388.
Für unsere Fragestellung lässt sich daher meines Erachtens formulieren: Die Eigenschaft einer beliebigen Stelle als Rechtsquelle einer Rechtsordnung wird durch nichts anderes begründet, als dass eine Geltungs- bzw. Kreationsnorm389 dieser Rechtsordnung den von der bezeichneten Stelle formulierten Rechtssätzen Geltung für diese Rechtsordnung zuspricht. Selbst unter der – hier abgelehnten – Prämisse des kongruenten Nachvollzugs ausländischen Rechts wäre damit also erst einmal zu begründen, was das IPR von einer „schlichten“ inländischen Geltungsnorm unterscheidet, die unter Zuweisung einer Qualität als Rechtsquelle der deutschen Rechtsordnung eine Aussage darüber trifft, dass die von über eine dynamische Inbezugnahme ausländischer Kompetenzgefüge ermittelten Stellen formulierten Normsätze Normen des Regelungssubjekts Bundesrepublik werden. Meines Erachtens kann daher die Unterscheidung, ob nun Normen eines fremden Regelungssubjekts also solche mit Geltung – als Fremdrecht – versehen werden, durch die Inbezugnahme ausländische Rechtsquellen zugleich zu inländischen Rechtsquellen erhoben werden, allein mit einem Kriterium der Hoheitsübertragung auf ein fremdes Regelungssubjekt und der daraus folgenden unmittelbaren Geltung fremder Hoheitsgewalt 390 begründet werden391. Ordnet eine konstitutive Norm (secondary rule392 bzw. Kreationsnorm393) lediglich 388
Barbey, Delegation und Rechtsübertragung, S. 49. So die Terminologie bei Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. 390 Vertiefend hierzu etwa Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, S. 34 ff. 391 Ebenso wohl Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 141–145. 392 Vgl. die Differenzierung zwischen primary rules und secondary rules bei Hart, The Concept of Law2, S. 79 ff. 393 So die Terminologie bei Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. 389
B. „Schlicht“ Bundesrecht statt „inländisch geltendes Fremdrecht“
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an, dass die von einer bestimmten Stelle formulierten Normsätze innerhalb der eigenen Rechtsordnung geltende Normen seien, so wird dadurch die bestimmte Stelle zur Rechtsquelle der Rechtsordnung dieser konstitutiven Norm, auch wenn diese Stelle in der konstitutiven Norm nur dadurch bestimmt wird, dass sie schon Rechtsquelle eines anderen Subjekts ist. Mit anderen Worten: Jedenfalls solange keine Hoheit an ein fremdes Regelungssubjekt übertragen wird, wird die in Bezug genommene Quelle von Normsätzen nur zum Gegenstand der internen Organisation der Gesetzgebung der in Bezug nehmenden Rechtsordnung; ausländische Quellen werden gegebenenfalls im Sinne Agos 394 und Wenglers 395 zu inländischen Rechtsquellen. Für diese Arbeit ergibt sich daraus folgende These: Von Geltung „als Fremdrecht“ kann im Gegensatz zur „schlichten“ Geltung „als Inlandsrecht“ allenfalls dann gesprochen werden, wenn eine Rechtsordnung für einen bestimmten Regelungsbereich durch Zuweisung von Hoheitsgewalt die Normsetzung einem fremden Subjekt der Normgebung überlässt. Gerade eine solche Übertragung von Hoheitsgewalt wird aber für das autonome deutsche IPR heute zu Recht vom BVerfG und der Kollisionsrechtswissenschaft nicht angenommen. Das autonome deutsche Kollisionsrecht weist nicht fremden Staaten Kompetenzen als Subjekte der Gesetzgebung zu. Es bewirkt also keine Hoheitsübertragung auf fremde Staaten als Regelungssubjekte, die das Grundgesetz gar nicht kennt, sondern ist Ausübung der eigenen Hoheit396: Zurechnungssubjekt der aus bundesrechtlichem Kollisionsrecht folgenden, inländisch geltenden Normsätze ist der Bund 397. Schon mangels Übertragung von Hoheitsgewalt für die Produkte des autonomen deutschen IPR auf fremde Regelungssubjekte kann daher – im Gegensatz etwa zu einer Verordnung nach Art. 249 Abs. 2 EG – von Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung „als Fremdrecht“ nicht gesprochen werden. Damit fällt schließlich schon die Frage nicht mehr in den Untersuchungsgegenstand, inwieweit eine solchermaßen definierte „Geltung als Fremdrecht“ auf der Grundlage der auch vom Grundgesetz vorausgesetzten (vgl. etwa Art. 24 GG) gedanklichen Kategorie einer Zuweisung von Hoheit an ein fremdes Subjekt überhaupt gegenüber der „herkömmlichen Geltung“ ein rechtstheoretisches aliud bedeutet – immerhin beschreibt die Zuweisung von Hoheit an ein fremdes Subjekt für die Gesetzgebung prima vista im Ergebnis auch nur eine dynamische Inbezugnahme des Rechtsquellensystems dieses Subjekts.
394
Vgl. oben S. 22 ff. Wengler, in: FS Laun, S. 719, 735. 396 Nach BVerfG, FamRZ 2005, 1813, 1815, nimmt der deutsche Gesetzgeber Gehalte fremder Rechtsordnungen in seinen Willen auf. 397 Vgl. oben S. 101 f. 395
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
III. Differenzierung innerhalb der Normen des Verbandssubjekts Bund rechtstheoretisch nicht definierbar 1. Fehlen eines Gestaltungsunterschieds Dass hingegen jenseits der Hoheitsübertragung auf fremde Subjekte der Gesetzgebung innerhalb der inländischen Geltung eines Normsatzes, also seiner aus der Rückführbarkeit auf die Verfassung folgenden Rechtsqualität innerhalb der deutschen Rechtsordnung, die „inländische Geltung als Fremdrecht“ ungeachtet der besonderen Teleologie des IPR keine rechtstheoretisch anzuerkennende Kategorie darstellt, lässt sich schließlich auch damit begründen, dass dies einen Gestaltungsunterschied gegenüber der „inländischen Geltung als Inlandsrecht“ voraussetzt, der jenseits Zitelmannschen Denkens in Hoheitskategorien nicht begründet werden kann: Wie gesagt, ist allein der Bund Zurechnungssubjekt der aus deutschem Kollisionsrecht folgenden, inländisch geltenden Normsätze. Die Geltung dieser Normsätze setzt nicht nur Verfassungskonformität voraus, sondern folgt auch allein aus der Verfassung398. Während also die durchaus umstrittene Kategorie der Geltung „als Völkerrecht“ bei Art. 25 GG insbesondere auch damit begründet wird, dass diese Vorschrift die Rechtssätze des Völkerrechts nicht von ihrem „völkerrechtlichen Geltungsgrund“ löse399, ist allein das Grundgesetz Grund und Quelle der intrakonstitutionellen Geltung der Produkte unseres Kollisionsrechts400. Das Kriterium der Geltung eines Normsatzes innerhalb der deutschen Rechtsordnung umfasst die Aussage, dass der Inhalt dieses Normsatzes eine Rechtsnorm der deutschen Rechtsordnung ist. In dieser Aussage ist das Geltungskriterium gegenüber der Frage, auf welche „Inspirationsquelle“ für diesen Normsatz zurückgegriffen wurde, absolut indifferent: Der souveräne Anwendungsbefehl der deutschen Rechtsordnung verschafft einem Normsatz beliebiger Provenienz Geltung, d.h. die Qualität einer Norm innerhalb der deutschen Rechtsordnung. Diese Regelungstechnik ermöglicht daher keine weitere rechtstheoretische Differenzierung allein nach Herkunft des Normsatzes. Selbst ein eindeutiger Wille des einfachen Gesetzgebers, gerichtet auf Geltung „als Fremdrecht“ oder „als Inlandsrecht“, der ohnehin dem EGBGB nicht eindeutig entnommen und erst recht nicht den gewohnheitsrechtlichen Kollisionsregeln unterlegt werden kann, ist nach den bisherigen Erkenntnissen prinzipiell genauso irrelevant wie etwa ein Wille des Bundesgesetzgebers, dy398 Vgl. in diesem Sinne bereits Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244; Schnitzer, Handbuch des IPR4, Bd. 1, S. 191. 399 Vgl. Steinberger, in: Handbuch des Staatsrecht VII 1, § 173 Rn. 43. 400 Vgl. in diesem Sinne bereits Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244; Schnitzer, Handbuch des IPR4, Bd. 1, S. 191.
B. „Schlicht“ Bundesrecht statt „inländisch geltendes Fremdrecht“
147
namisch in Bezug genommene Inhalte des Landesrechts nicht zu Bundesrecht werden zu lassen. Demnach handelt es sich bei der Kategorie der Geltung von Normsätzen des Subjektes Bundesrepublik Deutschland innerhalb der deutschen Rechtsordnung „als Fremdrecht“ um keine rechtstheoretisch relevante Gestaltungsbesonderheit, sondern um eine Beschreibung, die allein auf die besondere Teleologie unseres Kollisionsrechts, sich den Regeln fremder Rechtsordnungen anzunähern, abzielt (und selbst diese nach dem oben Gesagten401 nicht ganz treffend beschreibt). Die Ebene der Teleologie kollisionsrechtlicher Verweisung ist aber scharf von der rechtstheoretischen Ebene zu trennen, auf der sich die Frage stellt, welcher Rechtsordnung die Produkte der kollisionsrechtlichen Verweisung angehören. Gibt es demnach keine besondere rechtstheoretische Kategorie der Geltung von Normsätzen des Zuordnungssubjektes Bund innerhalb der deutschen Rechtsordnung „als Fremdrecht“, so könnte allein die Verfassung eine entsprechende Kategorie deklarieren, genauso wie sie vorsehen könnte, dass bestimmte Akte des Bundestages „als Landesrecht“ gelten. Da aber die Verfassung über die Inbezugnahme ausländischer Rechtsordnungen ohne Übertragung von Hoheit auf fremde Regelungssubjekte schweigt, müssen im Kompetenzbereich des Bundes kraft souveränen bundesrechtlichen Anwendungsbefehls normativ verbindliche Rechts- bzw. Normsätze als Bundesrecht angesehen werden.
2. Normsätze sind weder in- noch ausländisch Das deckt sich auch mit der bereits dargestellten Einschätzung, dass erst die Geltung, also die Sollensvorstellung des Souveräns, aus einem Norm- bzw. Rechtssatz eine staatliche Rechtsnorm macht402 und dass selbst in dem Spezialfall, dass unser Kollisionsrecht einmal die Normsätze aller für einen Sachverhalt einschlägigen regulativen Normen einer einzigen fremden Rechtsordnung kongruent nachvollzieht, die Objekte der Inbezugnahme dieser Rechtsordnung nur deren Normsätze („rationale Elemente“) sind, die isoliert weder ausländische noch inländische, sondern gar keine Rechtsqualität aufweisen403. Es handelt sich vielmehr um Ideen bzw. Gedanken, die unabhängig davon, wer sie (zuerst) gedacht hat, unwandelbar und damit nicht systemrelativ sind. Wird auf die Rechtsordnung eines anderen Staates verwiesen, so liegt der einzig spezifische Bezug zu dieser Rechtsordnung darin, dass ein ausländischer Souverän diese Gedanken als seine Sollensvorstellung artikuliert und damit zu (geltendem) Recht erhoben hat. Nicht die Normsätze können also einer Rechtsord401 Insbesondere die Sachnormverweisung ist bereits konzeptionell auf Modifikation gerichtet, siehe oben S. 102 ff., 109 f. 402 Vgl. oben S. 112 ff. 403 Eingehend oben S. 79 ff.
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Zweiter Teil: Entfaltung des eigenen Standpunkts
nung zugeordnet werden, sondern allein die Geltung der Normsätze innerhalb dieser. Die ausländische Rechtsqualität erst konstituierende Geltung innerhalb der ausländischen Rechtsordnung für bestimmte Fälle404 ist aber nicht Bezugsobjekt unseres Kollisionsrechts, sondern nur ein Identifikationskriterium für die in Bezug genommenen Normsätze405. Sind nun aber Normsätze weder inländisch („municipal“/„domestic“) noch ausländisch („foreign“) noch überhaupt Recht, sondern abstrakte Ideen bzw. Gedanken, d.h. im Gegensatz zur Geltung innerhalb einer Rechtsordnung – Sollensvorstellung des Souveräns – nicht systemrelativ, so lässt sich ausschließlich die Aussage treffen, ob ein Norm- bzw. Rechtssatz innerhalb einer Rechtsordnung kraft souveräner Anordnung – „inländisch“ – gilt oder nicht gilt. Daran ändert weder die Maßgeblichkeit des Auslegungshorizonts der Bezugsrechtsordnung noch der dynamische Charakter der Inbezugnahme etwas.
3. Ergebnis Innerhalb der inländischen Geltung eines Normsatzes als Norm des Zuordnungssubjekts Bund im Sinne eines auf die Verfassung rückführbaren Gesolltseins ist eine weitere rechtstheoretische Differenzierung der Geltung „als Fremdrecht“ oder „als Heimatrecht“ bzw. als nur „formelles“ In- und „materielles“ Auslandsrecht im Gegensatz zu „auch materiellem“ Inlandsrecht nicht einmal definierbar.
IV. Exkurs: Zur Vollzugstheorie zu Art. 25 GG Die Themenstellung dieser Untersuchung verbietet schließlich eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit es im nach wie vor umstrittenen Verhältnis von staatlichem zu Völkerrecht besondere Gesichtspunkte zu berücksichtigen gilt. Allerdings bleibt die Vollzugstheorie unter der Prämisse, dass verfassungswidrigen Sätzen des Völkerrechts die inländische Anwendbarkeit verwehrt bleibt406 und bei Hinwegdenken von Art. 25 GG die inländische Geltung der hierdurch in Bezug genommenen allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts gänzlich entfiele, die Darlegung schuldig, was den auch vom BVerfG407 betonten (generellen) Rechtsanwendungsbefehl des Art. 25 S. 1 GG als letztlich auf das Grundgesetz rückführbares Gesolltsein rechtstheoretisch von demjenigen Anwendungsbefehl qualitativ unterscheiden soll, aus dem auch 404 Bei der Sachnormverweisung werden Sachnormsätze des ausländischen Rechts, die nach dessen Kollisionsrecht für den Inlandsachverhalt gelten, gegebenenfalls auf Auslandssachverhalte erstreckt, für die sie nach eigenem Kollisionsrecht nicht regelmäßig gelten. 405 Siehe oben S. 121 ff. 406 Hierzu etwa Steinberger, ZaöRV 48 (1988), 1, 6. 407 Vgl. BVerfGE 46, 342, 263; dazu auch Steinberger, ZaöRV 48 (1988), 1, 4.
B. „Schlicht“ Bundesrecht statt „inländisch geltendes Fremdrecht“
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jede „herkömmliche“ inländische Geltung, also auch diejenige der von regelmäßigen inländischen Rechtsquellen formulierten Rechtssätze fließt. In rechtstheoretischer Betrachtung erscheint dem Verfasser der Anwendungsbefehl des Art. 25 S. 1 GG jedenfalls dann als nichts anderes denn eine besondere Ausformung der rule of recognition im Sinne Harts408, wenn man Art. 25 S. 1 GG nicht im Sinne des IPR-Modells Zitelmanns409 als Rücknahme der Souveränität der Bundesrepublik zu Gunsten eines anderen Subjekts der Normsetzung (Staatengemeinschaft?) begreifen will, bei der inländische Geltung „als Völkerrecht“ bedeutet, dass die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts als Normen eines fremden Hoheitssubjekts innerhalb der deutschen Rechtsordnung gelten. Die Genese von Art. 25 GG, sein von Bundesrecht handelnder Wortlaut und der Verzicht auf einen ausdrücklichen Rekurs auf den Hoheitsbegriff wie in Art. 24 GG sprechen freilich sämtlich hiergegen.
V. Ergebnisse Die Idee der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeit „als ausländisches Recht“ beinhaltet neben einer Auslegungsmaxime nur die Distanzierung des einfachen Gesetzgebers gegenüber der inhaltlichen Richtigkeit der ratio legis der ausländischen Rechtsordnungen entliehenen Normsätze, also einen besonderen Normtelos. Dieser ist für die rechtstheoretische Einordnung der Inbezugnahme ausländischen Rechts durch das inländische Kollisionsrecht unmaßgeblich. Das Produkt der Inbezugnahme fremden Rechts durch bundesrechtliches IPR ist, seine Verfassungskonformität vorausgesetzt, Bundesrecht410. Das Kriterium der Geltung entscheidet allein darüber, ob ein Normsatz als Norm der deutschen Rechtsordnung dieser zugehörig, d.h. verbindlich ist. Innerhalb der Geltung ist daher eine Differenzierung zwischen Geltung „als Fremd-“ oder „als Eigenrecht“ allenfalls insofern begründbar, als man eine Geltung „als Fremdrecht“ dort annimmt, wo die Bundesrepublik Deutschland unter Zurücknahme der eigenen Hoheit einem anderen Subjekt der Gesetzgebung hoheitliche Gestaltungsmacht einräumt. Gerade dies wird aber für das autonome deutsche IPR heute zu Recht vom BVerfG und von der Kollisionsrechtswissenschaft nicht angenommen.
408
Vgl. dazu eingehend oben S. 65 f. Vgl. dazu oben S. 43 ff., 69 ff. 410 In diesem Sinne bereits ausdrücklich von Reichsrecht ausgehend Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, S. 94; Peter Klein, Z. f. internationales Privat- und öffentliches Recht (Niemeyers Z.), 8 (1903), S. 353, 364. 409
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Dritter Teil:
Die Rekonstruktion von Sachnormund Gesamtverweisung A. Vorüberlegungen Nach den bisherigen Erkenntnissen wird durch deutsches Kollisionsrecht im Wege einer dynamischen Inbezugnahme ausländischer Rechtsnormen Bundesrecht geschaffen. Dabei erfolgt keine Hoheitsübertragung auf fremde Staaten als Regelungssubjekte. Subjekt der Produkte des deutschen IPR ist vielmehr allein der Bund. Das autonome IPR bereits deshalb einfach mit dem Konzept der dynamischen Verweisung gleichzusetzen, wäre jedoch voreilig. Zwar kommt durchaus in Betracht, was insbesondere Engisch1 und Kelsen2 pauschal für das autonome IPR insgesamt annehmen, nämlich dass (Teil-)Norm- bzw. Rechtssätze ausländischen Rechts in die diese in Bezug nehmenden Vorschriften des deutschen IPR inkorporiert werden. Doch sei hierzu noch einmal daran erinnert, dass durchaus auch eine Kompetenzzuweisung in Betracht kommt, zumal nach den bisherigen Ergebnissen „das IPR“ als einheitliche Regelungstechnik nicht existiert. Die Alternative zur Annahme Kelsens, dass aufgrund der Inkorporation fremder Normen in die deutschen Kollisionsnormen die Kollisionsnormen selbst zu „materiellem“ Privatrecht werden 3, liegt daher in der insbesondere bei Wengler4 anklingenden Vorstellung, dass dem ausländischen Recht entliehene Norm- bzw. Rechtssätze mit inländischer Geltung versehen und dadurch zu gegenüber den deutschen Kollisionsvorschriften selbständigen Rechtsnormen der deutschen Rechtsordnung werden. Die entsprechenden deutschen Kollisionsnormen sind dann Kompetenzrecht.
1 2 3 4
Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 26 Fn. 3. Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244 ff. Kelsen, General Theory of Law and State, S. 247. Wengler, in: FS Laun, S. 719, 735.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
I. Noch einmal zum traditionellen Gedanken der Kompetenzzuweisung Hinsichtlich der denkbaren Einordnung von IPR als Kompetenzzuweisung sei noch einmal an das traditionelle Denken der Kollisionsrechtswissenschaft in Zuständigkeitskategorien erinnert. Obwohl heute Kollisionsrecht in Deutschland allgemein nicht mehr als „echtes“ Kompetenzrecht, sondern als Zuständigkeitszuweisung des Privatrechts sui generis begriffen wird 5, bezeichnet etwa Steindorff die herrschende Sicht vom IPR als Inbegriff der die maßgebliche Rechtsordnung bestimmenden Normen auch als „Zuständigkeitstheorie“6 und spricht Betti gar davon, dass der Staat durch sein Kollisionsrecht eine Kompetenz-Kompetenz dahingehend ausübe, „über die Ordnungsfunktion ausländischer Rechtsordnungen Zuständigkeitsrichtlinien zu schaffen“7. Auch wurde bereits erörtert, dass die herrschende deutsche Sicht sich vom ursprünglich kompetenzrechtlichen Verständnis vor allem deshalb gelöst hat, weil dieses als internationale Regelungszuständigkeit eines anderen Staates als Zurechnungssubjekt auf der Ebene des Völkerrechts verstanden worden war, während heute von autonomem nationalen Kollisionsrecht als souveräner staatlicher Gestaltung ausgegangen wird. Durch unser IPR wird keine Zuständigkeit eines fremden Staates als Subjekt der Gesetzgebung begründet. Nicht widerlegt ist damit aber die Grundidee Agos8, dass inländisches Kollisionsrecht ausländische Vorgänge zur Quelle der inländischen Rechtsordnung erhebt und somit zum Gegenstand der internen Organisation der Gesetzgebung des Bundes macht. Berücksichtigt man zudem, dass jede dynamische Verweisung dem Geber der in Bezug genommenen Norm mittelbar die Gestaltung der in Bezug nehmenden Norm eröffnet, so ist bereits die dynamische Verweisung immer auch eine mittelbare Zuweisung von organschaftlicher Gesetzgebungskompetenz9, die teilweise auch als „versteckte“10 bezeichnet wird. Während allerdings die Bezeichnung der dynamischen Verweisung als „apokryphe Legislativ-Delegation“11 bzw. „De-facto-Delegation“12 noch zu erörternde Unterschiede zwischen dynamischer Verweisung und Delegation voreilig verwischt, erscheint es vor dem Hintergrund der Einordnung des deutschen IPR als Instrument nicht zur Anwendbarkeit auslän5
Vgl. zur Entwicklung oben S. 33 ff. Steindorff, Sachnormen im IPR, S. 12. 7 Betti, in: FS Gutzwiller, S. 233, 240. 8 Siehe oben S. 22 ff. 9 Arndt, JuS 1979, 784, 785; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 136, 224 f. 10 So die Terminologie in BVerfGE 47, 285, 312. 11 So der Ausdruck Ossenbühl, DVBl. 1967, 401, 403 f. 12 So die Terminologie bei Arndt, JuS 1979, 784, 785. 6
A. Vorüberlegungen
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dischen Rechts „als ausländisches“ sondern zur Schaffung inländischen Rechts fraglich, was denn die Gesamtverweisung als Inanspruchnahme einer „Kompetenz-Kompetenz“ noch von einer Delegation, einer unmittelbaren Zuweisung von „inländischer“, d.h. für den Bund organschaftlicher Gesetzgebungskompetenz unterscheidet. Heißt es doch hierzu bei Kegel/Schurig13: „Folglich müssen wir die ausländischen Kollisionsnormen genau so anwenden, wie sie im Ausland angewandt werden. Wir haben ihren Entscheidungen zu folgen.“
II. Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Sach- und Gesamtnormverweisung Damit klingt bereits an, dass Gesamt- und Sachnormverweisung gegebenenfalls gesonderter rechtstheoretischer Kategorisierung bedürfen. Bisherige Ansätze, das IPR einheitlich in Kategorien der dynamischen Inbezugnahme einzuordnen, sind daher insoweit fragwürdig, als sie den Unterschied zwischen der Verweisung auf Kollisionsrecht und derjenigen auf Sachnormen nicht berücksichtigen. Dass nämlich dieser Unterschied nicht außer Betracht bleiben darf, ist ein Schluss, der sich bereits nach den Erkenntnissen der Kollisionsrechtswissenschaft geradezu aufdrängt: Für Schurig14, dessen Bündelungsmodell zur Beschreibung von Kollisionsrecht in der Kollisionsrechtswissenschaft große Autorität genießt, sind Normen, die auf (fremdes) Kollisionsrechts verweisen „Kollisionsgrundnormen“. Auf fremdes Sachrecht verweisende Vorschriften begreift er hingegen als – sozusagen schlichte – Kollisionsnormen15. Durch diese Terminologie wird bereits klar herausgestellt, dass zwischen der Inbezugnahme von fremden Sachvorschriften und der Inbezugnahme fremden Kollisionsrechts ein qualitativer Sprung liegt. Bei ersterem Vorgehen werden einzelne rechtliche Bewertungen eines Sachverhalts jeweils einem nach autonomen Wertungen der deutschen Kollisionsrechtsordnung ausgewählten, gegebenenfalls ausländischen, Sachrecht unterstellt. Bei der Inbezugnahme von fremdem Kollisionsrecht wird darüber hinaus schon die Entscheidung darüber, welcher Rechtsordnung Sachrecht „Anwendung“ finden soll, ausländischen Wertungen überlassen16.
13
Kegel/Schurig, IPR9, § 10 VI S. 406. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 73 ff. 15 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 74, beschreibt eine einfache Weiterverweisung wie folgt: „Lex fori (Kollisionsgrundnorm 2) beruft ,Kollisionsrecht‘ des Staates A; dieses (Kollisionsgrundnorm1) beruft Kollisionsrecht des Staates B; jenes (Kollisionsnorm) beruft eigenes Sachrecht“. 16 Dazu auch Gebauer, in: FS Jayme, S. 223. 14
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
Kühne17 greift insoweit die Einordnung des IPR (Kollisionsrecht) als Metarecht durch Vogel 18 auf und bezeichnet Kollisionsrecht, das auch auf fremdes Kollisionsrecht verweist (Kollisionsrecht der Kollisionsrechte19), gar als MetaMetarechtsordnung. Gemeint ist bei Vogel allerdings kein Rang-, sondern ein logisches Stufenverhältnis20. Bereits die Ausführungen Vogels enthalten freilich unhaltbare Schlüsse21. Deshalb soll hier auch davon abgesehen werden, die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Inbezugnahme von fremdem Kollisionsrecht auch noch mit dem wenig schönen Etikett der Meta-Meta-Metarechtsordnung zu belegen. Eine dogmatische Differenzierung nach der jeweiligen Regelungstechnik bietet trotz aller evidenten strukturellen Unterschiede dennoch nur Kahn: Die – von ihm seinerzeit abgelehnte – Gesamtverweisung sei nicht nur eine Weitergabe von Gesetzgebungskompetenz (freilich an andere Staaten als Subjekte der Normgebung)22, sondern sogar die Zuweisung eines „Zuständigkeitsblanketts“ im Sinne der Bezeichnung der Rechtsordnung, die ihrerseits über die Zuständigkeit entscheiden solle23. Die Sachnormverweisung zähle hingegen zum Privatrecht 24.
B. Begriffliche Klärung in Betracht kommender Techniken Die abschließende genaue Einordnung der Regelungstechniken des IPR bedarf nach diesen Vorüberlegungen der begrifflichen Abgrenzung der in Betracht kommenden Figuren der dynamischer Verweisung und der Delegation.
17
Kühne, FS Ferid (1988), 251, 252. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 275 f. 19 Näher zu diesem Begriff Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 73. 20 Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 275 f. 21 Soweit Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 285, etwa behauptet, dass fremdes Kollisionsrecht („Objektrechtsordnung“) aus logischen Gründen nicht auf das eigene Kollisionsrecht („Metarechtsordnung“) zurückverweisen könne (Problem des „Verweisungs-Ping-Pong“), weil die Objektrechtsordnung keine Aussage über die Metarechtsordnung treffen könne, läuft dies auf die unhaltbare Behauptung hinaus, dass Reziprozität den Gesetzen der Logik widerspreche. Zahllose Software dürfte demnach nicht funktionieren. 22 Kahn, IheringsJ 40 (1898), S. 1, 60 ff. 23 Kahn, IheringsJ 40 (1898), S. 1, 62. 24 Kahn, IheringsJ 40 (1898), S. 1, 54. 18
B. Begriffliche Klärung in Betracht kommender Techniken
155
I. Noch einmal zum Begriff der dynamischen Verweisung Wie bereits ausgeführt, werden durch die „echte“25 bzw. „konstitutive“26 Verweisung Inhalte eines fremden Textes dergestalt in die Verweisungsnorm inkorporiert, dass diese durch die Inbezugnahme einen zusätzlichen Gehalt bekommt und bei Hinwegdenken der Inbezugnahme unvollständig wäre 27. Die Verweisung ist dynamisch, wenn auf einen anderen (Norm-)Text nicht in seiner aktuellen, sondern in der jeweils „geltenden“ Fassung verwiesen wird28.
II. Zum Begriff der Delegation von Gesetzgebung Teilweise werden die Begriffe von Ermächtigung und Delegation synonym gebraucht 29; teilweise wird die Delegation als Unterfall der Ermächtigung gesehen30. Karpen sieht als prägend für beide an, dass ein Organ eine ihm nach einer allgemeinen Zuständigkeitsordnung zugewiesene Zuständigkeit abweichend von der allgemeinen Ordnung einer anderen Stelle zuweist 31. Er sieht also in der Delegation die Übertragung einer außerordentlichen Zuständigkeit durch die ordentlich zuständige Stelle32 und steht damit klar in der Tradition Triepels, für den die von ihm so genannte echte Delegation die Abschiebung und die Zuschiebung von Kompetenz umfasst, die auf dem Willen dessen beruhen, der die Kompetenz verliert33. Dem folgt jüngst auch Reinhardt 34. Überzeugender scheint es demgegenüber, mit Barbey35 die Delegation allein als Begründung einer außerordentlichen Kompetenz zu begreifen, da die Zu25 So die Terminologie bei Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 21. 26 So etwa Guckelberger, ZG 2004, 62, 63; Herschel, BB 1963, 1220. 27 Brugger, VerwArch 78 (1987), 1, 4; Grauer, Die Verweisung im Bundesrecht, insbesondere auf Landesrecht, S. 24; Guckelberger, ZG 2004, 62, 63 f.; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 21 ff. 28 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401; Klindt, DVBl. 1998, 373, 374. 29 Vgl. Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik S. 106, m.w.N.; ferner Kuhne, das Problem der Delegation und Subdelegation von Kompetenzen der Staatsorgane, S. 11. 30 In diesem Sinne insbesondere Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 107 m. w. N. 31 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 107. 32 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 108. 33 Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 23, 51; ähnlich denken Kuhne, Das Problem der Delegation und Subdelegation von Kompetenzen der Staatsorgane, S. 40; Lauscher, Die Delegation von Hoheitsrechten durch Gemeinden auf Gemeinden und Gemeindeverbände, S. 51, der allerdings statt von Abschiebung und Zuschiebung von Aufgabe und Begründung spricht. 34 Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 20 f. 35 Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 60 ff.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
weisung einer außerordentlichen Kompetenz weder die ordentliche Kompetenz notwendig beseitigt noch hierfür das Innehaben der ordentlichen Kompetenz, sondern allein einer entsprechenden Rechtsmacht erforderlich ist, die aus der ordentlichen Zuständigkeit nicht folgt: Die Delegation ist nicht Ausübung der Kompetenz, sondern einer Kompetenz-Kompetenz36 (Delegationskompetenz). Ob der Delegant die ordentliche Kompetenz innehat, ist daher eine rechtstatsächliche Unterscheidung, die nicht für die Verfassungsanforderungen an die Delegation maßgeblich ist. Außerordentlich ist eine zugewiesene Kompetenz nach Barbey dann, wenn die kompetenzzuweisende (delegierende) Norm im Rang niedriger als diejenige, eine Zuständigkeit begründende Norm (Regelnorm) ist, von der die delegierende Norm abweicht37. Anstelle des Begriffs der Regelnorm soll hier allerdings von Regelkompetenznorm gesprochen werden. Eine Einordnung als Kompetenzzuweisung vorausgesetzt, begründete eine Vorschrift des IPR im Sinne Barbeys also nur eine außerordentliche Kompetenz, da von der Organkompetenz des Bundestages zum Beschluss der Bundesgesetze in Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG (Regelkompetenznorm) durch rangniedereres Bundesrecht (EGBGB bzw. gewohnheitsrechtliches IPR als Komplex delegierender Normen) abgewichen würde. Nun hat bereits Kuhne anschaulich entwickelt, dass eine so verstandene Delegation nach dem Stufenbau der Rechtsordnung grundsätzlich unzulässig ist38. Eine Delegation setzt daher eine von Barbey so genannte Delegationsnorm voraus, für die aber der Begriff Delegationskompetenznorm treffender erscheint. Diese muss zumindest im Range der Regelkompetenznorm – bei Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG also im Range einer Verfassungsnorm – stehen und bestimmen, unter welchen Voraussetzungen welche Rechtssätze (delegierende Normen) den Vorrang ranghöherer (Regelkompetenznormen) vor rangniederen Normen (delegierenden Normen) durchbrechen können39.
III. Zur Natur des Art. 25 S. 1 GG Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Kategorie der Rechtsquellennorm bei Ago40 stellt sich zudem die Frage nach der Einordnung des Art. 25 S. 1 GG, welcher der Regelungstechnik der Gesamtverweisung nicht unähnlich ist. Hinsicht36 So bereits Kuhne, Das Problem der Delegation und Subdelegation von Kompetenzen der Staatsorgane, S. 50. 37 Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 77. 38 Kuhne, Das Problem der Delegation und Subdelegation von Kompetenzen der Staatsorgane, S. 110 ff. 39 Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 76 f. 40 Vgl. oben S. 22 ff.
B. Begriffliche Klärung in Betracht kommender Techniken
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lich der Rechtsnatur dieser Vorschrift bleibt die Literatur aber recht unscharf. Eher „untechnisch“ wird teilweise von einer „dynamischen Inkorporation“ gesprochen41, während andererseits dem Bild vom „Verweis auf Rechtsquellen des Völkerrechts“42 durchaus auch eine kompetenzrechtliche Konnotation zukommt. Insbesondere43 Karpen nimmt demgegenüber ausdrücklich eine echte dynamische Verweisung an: „Die Regeln des Völkerrechts sind nach dem Wortlaut des Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets. Die Transformation ist nicht anders zu verstehen denn als generelle (echte) Verweisung auf die bezeichneten Völkerrechtsnormen“44.
Allerdings lässt die Annahme einer dynamischen Verweisung unmittelbar auf die regulativen Völkerrechtsnormen voreilig die Möglichkeit außer Acht, dass die Vorschrift eine kompetenzrechtliche sein kann. Dass man sie kaum auf ein Phänomen des „materielles Rechts“ reduzieren kann, zeigt ein Blick in die Ausführungen von Menzel im Bonner Kommentar: „Ferner ist bedeutsam, daß Art. 25 ausdrücklich die Aufnahme der Regeln des Völkerrechts in das Bundesrecht verfügt und damit den Charakter einer Kompetenzverteilungsvorschrift hat“45.
Ungeachtet der Streitfrage, ob Art. 25 GG, wie Menzel 46 meint, eine ausschließliche Bundeskompetenz auf dem Gebiet der allgemeinen Normen des Völkerrechts begründet47, wird durch Art. 25 GG zumindest eine Verbandskompetenz vorgesehen und zugleich in den Worten des BVerfG dergestalt ausgeschöpft, dass die Regeln des Völkerrechts unmittelbar, d.h. ohne weiteres Transformationsgesetz Eingang in die deutsche Rechtsordnung finden48. Das bedeutet aber, dass kraft dynamischer Inbezugnahme bundesrechtliche Normen entstehen, die weder dem Bundestag noch sonst einem „regelmäßigen“ inländischen Normgebungsorgan zurechenbar sind, sondern von anderen Stellen zukünftig formuliert werden. Dies legt nahe, dass Art. 25 S. 1 GG nicht auf die Ebene der regulativen Normen (primary rules im Sinne Harts) beschränkt ist, sondern vielmehr darüber hinaus die Eigenschaft einer Geltungsnorm (secondary rule49, Kreations41
So Menzel, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 25 S. 9. Vgl. etwa Steinberger, in: Handbuch des Staatsrecht VII1, § 173 Rn. 8. 43 Ebenso Herdegen, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 25 Rn. 12. 44 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 48 (Hervorhebung im Original). 45 Menzel, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 25 S. 15 (Hervorhebung nicht im Original). 46 Menzel, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 25 S. 15 f. 47 Zweifelnd hieran Herdegen, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 25 Rn. 11. 48 BVerfGE 6, 309, 363. 49 Zur Differenzierung zwischen beiden Normtypen Hart, The Concept of Law2 , S. 79 ff. 42
158
Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
norm50) und damit kompetenzrechtlichen Charakter aufweist: Da Recht nicht ohne seine Setzung denkbar ist und diese wiederum Kompetenz voraussetzt, ist prima facie ein Verständnis von Art. 25 S. 1 GG als organschaftlicher Kompetenzzuweisung im Sinne einer Rechtsquellennorm nach Ago in Betracht zu ziehen, bei der bestimmte Rechtserzeugungsvorgänge – insbesondere Staatenpraxis – neben die „regelmäßigen“ Rechtserzeugungsvorgänge – insbesondere Gesetzesbeschluss des Bundestags – gestellt werden. Denn aufgrund des dynamischen Charakters der Inbezugnahme werden letztlich nicht allein regulative Rechtssätze des Völkerrechts – statisch – in Bezug genommen, sondern gegebenenfalls Quellen des Völkerrechts zu Quellen des Bundesrechts erhoben. Wer immer allgemeine Regeln des Völkerrechts zu produzieren vermag, hätte bei dieser Sicht in einem weiteren Sinne über Art. 25 S. 1 GG zugleich eine Kompetenz für die Setzung von Bundesrecht; die „Organe“ der Setzung von Völkerrechtsgrundsätzen würden auch „Organe“ der Setzung von Bundesrecht. Denn Organe der Gesetzgebung werden in ihrer spezifischen Qualität durch Zuweisung von Gesetzgebungskompetenz notwendig geschaffen51. Die endgültige Zuordnung kann allerdings erst im Anschluss an die Entwicklung einer Abgrenzung von dynamischer Verweisung auf der Ebene des regulativen Rechts und – ggfs. im Wege der dynamischen Verweisung auf fremdes Kompetenzrecht gewonnener – Delegation erfolgen.
IV. Zur Abgrenzung von dynamischer Verweisung auf der Ebene regulativer Normsätze und Delegation 1. Literaturansätze Für die dynamische Verweisung ist allgemein anerkannt, dass diese eine strukturelle Nähe zur Zuweisung von Kompetenz aufweist 52. Nach Karpen liegt aber der zentrale Unterschied zwischen dynamischer Verweisung einerseits und Delegation/Ermächtigung andererseits darin, dass erstere die Zuständigkeitsordnung unberührt lasse, während diese durch letztere verändert werde. Ermächtigung sei Machtverleihung, Verweisung Machtanknüpfung53. Für Karpen ist die ermächtigende Norm deshalb keine unvollständige (Verweisungs-)Norm, weil sie den Inhalt der in Ausübung der Ermächtigung noch zu 50
So die Terminologie bei Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. Hart, The Concept of Law2, S. 80; vgl. ferner Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 49. 52 Vgl. nur Kuhne, das Problem der Delegation und Subdelegation von Kompetenzen der Staatsorgane, S. 39, 41; gar von „apokrypher Legislativ-Delegation“ sprechend Ossenbühl, DVBl. 1967, 401, 403 f.; daraus wird bei Arndt, JuS 1979, 784, 785, die „De-facto-Delegation“. 53 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 109. 51
B. Begriffliche Klärung in Betracht kommender Techniken
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erlassenden Norm nicht inkorporiere; diese solle vielmehr als „materielles Gesetzesrecht“ gelten54. Durchaus ähnlich sieht auch Clemens den entscheidenden Unterschied zwischen dynamischer Verweisung und Delegation der Normsetzung darin, dass bei der Verweisung eine andere Norm bzw. ein anderer Normenkomplex durch die Inbezugnahme inkorporiert werde, während durch die Delegation einem anderen Normgeber in einem ihm sonst nicht eröffneten Bereich die Befugnis zur Setzung eigener Normen dergestalt eingeräumt werde, dass die Zuordnung des Inhalts dieser Normen zu dem anderen Normgeber und der sich dabei ergebende „Geltungsrang“ nicht angetastet werde. Im Gegensatz zur dynamischen Verweisung auf der Ebene der regulativen Rechtssätze gibt es danach bei der Delegation einen zweiten Normgeber55.
2. Kritik und eigener Ansatz Mögen diese Abgrenzungen auch auf den ersten Blick plausibel wirken, so leiden sie einerseits an einer von vornherein verengten Perspektive und lassen sie andererseits das Kernproblem der Abgrenzung gerade offen. Eine perspektivische Verengung ist darin zu sehen, dass bislang nicht ersichtlich erörtert wird, dass beides gleichzeitig vorliegen kann: Denkbar ist doch auch eine Delegation unter dynamischer Verweisung auf fremdes Kompetenzrecht. In der Literatur zur dynamischen Verweisung wird demgegenüber regelmäßig nur die dynamische Verweisung auf der Ebene des regulativen Rechts bedacht. Wenn ferner die Verweisung das Bezugsobjekt inkorporiert, so dass es nur in dieser Geltung entfaltet, während die Delegation dem Bezugsobjekt zur eigenen Geltung unter Einordnung seines Gebers als Organ der Normsetzung verhilft, so ist doch die entscheidende Frage, wie zu ermitteln ist, ob Inkorporation oder Verschaffung von Geltung vorliegt. Da zudem nach den bisherigen Erkenntnissen56 einem eventuell identifizierbaren, auf oder gegen Inkorporation gerichteten Willen des einfachen Gesetzgebers keinerlei Relevanz zukommt, muss auch insoweit ein objektiver Gestaltungsunterschied beschrieben werden. Wie schon bei Karpen anklingt, erscheint insoweit eine Analyse der Vollständigkeit bzw. Unvollständigkeit der beteiligten Rechts- bzw. Normsätze als aussichtsreich.
54 55 56
Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 110. Clemens, AöR 111 (1986), 63, 67. Siehe S. 126 ff.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
a) „Ob“ der Unvollständigkeit kein taugliches Differenzierungskriterium Wenn aber Karpen die Lösung in der Einschätzung sieht, dass die Ermächtigung nicht „wie eine Verweisung unvollständig“ sei57, ist das eine durchaus angreifbare Einschätzung, welche zudem die Differenzierung zwischen dynamischer Verweisung und Kompetenzzuweisung nicht auffinden hilft, sondern bereits voraussetzt. Wie gesagt, wird hier der Terminologie bei Larenz gefolgt, nach welcher ein vollständiger Rechtssatz dadurch bestimmt ist, dass er eine Regel enthält, welche die Entscheidung eines Konflikts ermöglicht, dass er also ein Gesolltsein zum Ausdruck bringt, was ihn von einem reinen Aussagesatz unterscheidet 58. Im Gegensatz dazu vermögen unvollständige Rechtssätze nur in Verbindung mit anderen Rechtssätzen Rechtsfolgen zu begründen59. Der Kompetenznorm kommt in diesem Sinne stets rein dienende Funktion zu, da sie nur eine Aussage über die Zugehörigkeit von durch eine bestimmte Stelle formulierten Norm- bzw. Rechtssätzen zur Rechtsordnung trifft: sie macht aus bloßen Normsätzen Normen. So begreift denn auch Röhl 60 Kompetenz- und Ermächtigungsnormen ausdrücklich als unvollständige Normen. Läge in dem „Ob“ der Unvollständigkeit das entscheidende Charakteristikum der dynamischen Verweisung, könnte man also jede Kompetenznorm als dynamische Verweisung begreifen. Auch Karpen räumt schließlich ein, dass die Ermächtigungsnorm der inhaltlichen Ergänzung durch die in Ausübung der Ermächtigung erlassene Norm bedarf61. Genauer lässt sich mit Zippelius62 sagen, dass jede Ermächtigung zur Normsetzung nur eine Bedingung für eine Sollensnorm (regulative Norm) darstellt. Weinberger nennt deshalb Delegations-/Ermächtigungsnormen als Ausdruck von Normsätzen, welche Kreationsbedingungen für die Erzeugung von Normen statuieren („Kreationsnormen“), auch „Bedingungsnormsätze“63. Hier sei noch einmal daran erinnert, dass aus diesem Grunde eine Kompetenznorm nach dem Konzept Kelsens, für den die Rechtsnorm ein hypothetisches Urteil über den Sanktionswillen des Staates darstellt64, isoliert gar keine Rechtsnormqualität aufweist65. 57
Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 110. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 , S. 250 ff. 59 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 , S. 257. 60 Röhl, Allgemeine Rechtslehre2 , § 27 II, S. 201. 61 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 110. 62 Zippelius, Juristische Methodenlehre10 , § 1 I. S. 2 f. 63 Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. 64 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 228 ff., 234. 65 Vgl. zum extremen Standpunkt Kelsens näher oben S. 83 ff.; die entsprechende Einordnung von Kompetenznormen als absurd kritisierend allerdings Hart, The Concept of Law2, S. 79. 58
B. Begriffliche Klärung in Betracht kommender Techniken
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Auch ohne der Kompetenznorm deshalb notwendig die Rechtsnormqualität abzusprechen kann man jedenfalls festhalten, dass eine nicht ausgenutzte Kompetenznorm lediglich eine Aussage über eine Möglichkeit eines durch sie bezeichneten Normsatzgebers trifft, normativ verbindliche Inhalte zu schaffen. Mit der Feststellung, ob die in Bezug nehmende Norm unvollständig ist, lässt sich also eine Unterscheidung zwischen dynamischer Verweisung und Kompetenzzuweisung nicht begründen, weil beide Figuren unvollständige Rechtssätze bezeichnen. Wenn demgegenüber nach Karpen 66 die Ermächtigungsvorschrift nicht unvollständig sein soll, weil sie im Gegensatz zur Verweisung nicht inkorporiert, dann setzt auch diese Abgrenzung bereits eine Antwort auf die Frage der Inkorporation voraus, die mit der Unvollständigkeit der in Bezug nehmenden Norm nicht anders als zirkulär begründet werden kann.
b) Verwirklichung einer ratio des Bezugsobjekts oder Schaffung einer neuen Entscheidend für die Abgrenzung von „materiellrechtlicher“ dynamischer Verweisung auf der Ebene der regulativen Rechtssätze und Delegation ist vielmehr, dass die Verweisung die Synthese oder zumindest Modifikation einer regulativen Norm (primary rule im Sinne Harts), das heißt eines durch Tatbestand und Rechtsfolge bestimmten Rechtsatzes, bedeutet, während die Kompetenznorm nicht einen Rechtssatz synthetisiert oder inhaltlich modifiziert, sondern eine Aussage über die Geltung eines Sollenssatzes ohne dessen Modifikation trifft (Geltungs- bzw. Kreationsnorm67 / secondary rule 68). Hierfür müssen die Art der Unvollständigkeit der in Bezug nehmenden Norm und damit die Behandlung des Bezugsobjekts maßgeblich sein. Hier sei noch einmal daran erinnert, dass bereits oben69 in Ablehnung des überkommenen Konzepts vom IPR als „privatrechtlichem Zuständigkeitsverteiler“ für die Sachnormverweisung vertreten worden ist, dass die (unmittelbare) Zuweisung einer Kompetenz grundsätzlich bewirkt, dass eine in Ausübung dieser Kompetenz geschaffene Norm des Zuweisungsempfängers in Tatbestand und Rechtsfolge so wirksam wird, wie sie von diesem geschaffen worden ist, also eine ratio des Zuweisungsempfängers verwirklicht wird, während die Schaffung einer neuen ratio, d.h. die Synthese einer neuen Regelung durch Inkorporation nur von „Regelungsbausteinen“, welche einen anderen Tatbestand oder eine andere Rechtsfolge als die in Bezug genommenen Norm aufweist, prima facie eine dynamische Ver66
Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 110. So die Terminologie bei Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. 68 Vgl. die Differenzierung zwischen primary rules und secondary rules bei Hart, The Concept of Law2, S. 79 ff. 69 Siehe dazu eingehend oben S. 102 ff. 67
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
weisung darstellt. Nur dynamische Verweisung und nicht unmittelbare Zuweisung einer Kompetenz kommt in Betracht, soweit durch die in Bezug nehmende Norm Fälle erfasst werden, die nicht unter den Tatbestand der Bezugsnorm fallen, oder für den Tatbestand andere Rechtsfolgen ausgesprochen werden. Ein weiterer, hiervon abgrenzbarer Aspekt der Delegation wird entschleiert, wenn man sich von Triepels Delegationsbegriff frei macht, wonach die Delegation notwendig auf freiwilliger Mitwirkung des Inhabers der ordentlichen Kompetenz beruhen soll, und sich mit Barbey 70 vergegenwärtigt, dass die Delegation gerade nicht voraussetzt, dass der Delegant die ordentliche Kompetenz inne hat: Grundsätzlich bedarf in dem Moment, in welchem unmittelbar durch die Inbezugnahme eine Norm produziert wird, deren Norm- bzw. Rechtssatz mit dem in Bezug genommenen Satz nicht kongruent ist, der Geber der in Bezug nehmenden Norm hierfür der Gesetzgebungskompetenz. Wo er hingegen nur eine Aussage trifft, dass ein in Bezug genommener Norm- bzw. Rechtssatz Teil der Rechtsordnung sein soll, bedarf er hierfür nicht der eigenen Gesetzgebungskompetenz, sondern einer Kompetenz-Kompetenz, also einer Rechtsmacht, die nicht aus der Kompetenz folgt – das ist für die primäre Zuweisung einer ordentlichen Kompetenz evident.
3. Differenzierungskriterien für die weitere Untersuchung Nach dem Gesagten spricht für die Zuweisung einer Form von (außerordentlicher) Kompetenz in Abgrenzung zur dynamischen Verweisung auf der Ebene der regulativen Rechtssätze, wenn das Bezugsobjekt durch die Inbezugnahme nicht in einer Weise modifiziert bzw. ergänzt wird, die eine eigene Normsetzungskompetenz bei der die Rechtsmacht zuweisenden Stelle erfordert. Das ist immer dann evident erfüllt, wenn die in Bezug nehmende Norm auf unmodifizierte Verwirklichung vollständiger regulativer Normen gerichtet ist. Es lassen sich allerdings auch für die Abgrenzung in weniger eindeutigen Fällen weitergehende Grundaussagen treffen: Das Bezugsobjekt muss nicht selbst notwendig eine vollständige Norm sein. Allerdings muss bei einer Delegation im Gegensatz zur dynamischen Verweisung die in Bezug nehmende Norm notwendig von solcher Unvollständigkeit sein, dass das isolierte Produkt der Inbezugnahme nur dann ein vollständiger (regulativer) Rechtssatz sein kann, wenn das Bezugsobjekt ein vollständiger Rechtssatz ist. Im Gegensatz zur Synthese regulativer Normen durch eine dynamische Verweisung liegt das Wesen der Delegation darin, dass das Bezugsobjekt im Rahmen der Inbezugnahme nicht unmittelbar durch die in Bezug nehmende Norm in seiner Satzstruktur modifiziert wird. 70
Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 60 ff.
B. Begriffliche Klärung in Betracht kommender Techniken
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Eine dynamische Verweisung ist demgegenüber anzunehmen, wenn bereits die in Bezug nehmende Norm isoliert einen Normsatz produziert, dessen Tatbestand sich vom Tatbestand des Bezugsnormsatzes unterscheidet, oder wenn der solchermaßen produzierte Rechtssatz einen anderen Rechtsfolgenausspruch vorsieht. Eine Delegation ist damit insbesondere ausgeschlossen, soweit eine unvollständige regulative Norm als Bezugsobjekt allein durch die in Bezug nehmende Norm vervollständigt wird.
V. Erste Folgerung: Art. 25 S. 1 GG ist aus dynamischer Verweisung gewonnenes Kompetenzrecht (Geltungsnorm, secondary rule) Für Art. 25 S. 1 GG ist bereits oben71 prima facie eine Einordnung als Organkompetenzrecht mit dem Argument vermutet worden, dass es kein Recht ohne Setzung und keine wirksame Setzung ohne Kompetenz der setzenden Stelle gibt. Überträgt man nun die soeben entwickelten Kriterien auf Art. 25 S. 1 GG, so ist Karpens Einordnung des Art. 25 S. 1 GG als eine echte Verweisung unmittelbar auf die allgemeinen Sätze des Völkerrechts72 – Synthese regulativer Normen – zu widersprechen: Die Norm des Art. 25 S. 1 GG ist in der Form eine unvollständige, dass das Produkt der Inbezugnahme nur dann ein vollständiger Rechtssatz sein kann, wenn schon das Objekt der Inbezugnahme ein vollständiger (Völker-)Rechtssatz ist. Durch die Vorschrift werden nicht neue regulative Rechtssätze synthetisiert. Vielmehr wird – wenn man Art. 25 GG nicht auf der Grundlage eines monistischen Modells mit Völkerrechtsvorrang als deklaratorisch begreifen will – Rechtsgrundsätzen aus fremder Quelle ohne inhaltliche Modifikation innerstaatliche Geltung verschafft. Von einer „herkömmlichen“ Kompetenznorm unterscheidet die Vorschrift allerdings, dass sie nicht eine bestimmte Stelle zum Organ der Rechtssetzung erhebt, sondern diese Entscheidung an das Völkerrecht delegiert und insofern dynamisch auf das Rechtsquellensystem des Völkerrechts verweist: Alles, was Quelle allgemeiner Rechtsgrundsätze des Völkerrechts ist, wird aufgrund des dynamischen Charakters der Inbezugnahme auch zur Quelle der inländischen Rechtsordnung. Wenn also Karpen von dynamischer Verweisung auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts spricht, so ist dies insofern irreführend, als nicht diese durch Modifikation in Art. 25 S. 1 GG inkorporiert werden. Vielmehr wird auf das Kompetenzgefüge des Völkerrechts dynamisch verwiesen und dieses dadurch in der Weise modifiziert in Art. 25 S. 1 GG inkorporiert, dass derjenige Vorgang, der eine allgemeine Regel des Völkerrechts begründet, 71 72
Vgl. oben S. 156. Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 48.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
auch zugleich bundesrechtliche Geltung eines kongruenten Rechtssatzes produziert, der selbständig neben Art. 25 S. 1 GG und nicht nur in diesem inkorporiert existiert. Durch diese dynamische Verweisung auf der Ebene des Kompetenzrechts verändert sich im Gegensatz zur „schlicht materiellrechtlichen“ dynamischen Verweisung die innerstaatliche Kompetenzordnung, eben weil zusätzliche Rechtsquellen der inländischen Rechtsordnung – des Bundesrechts – begründet werden. Art. 25 S. 1 GG inkorporiert im Wege der dynamischen Verweisung nicht unmittelbar die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, sondern vielmehr das Kompetenzgefüge des Völkerrechts in der Weise, dass Vorgänge, die allgemeine Regeln des Völkerrechts begründen, bundesrechtliche Geltung kongruenter Rechtssätze produzieren. Als dynamische Verweisung auf der Ebene des Kompetenzrechts unterscheidet sich die Norm von der dynamischen Verweisung auf der Ebene der regulativen Rechtssätze nach der Begrifflichkeit Karpens 73 dadurch, dass sie nicht lediglich Machtanknüpfung, sondern im Wege der Machtanknüpfung definierte Machtverleihung bedeutet. Es handelt sich um eine konstitutive bzw. Geltungs-Norm (secondary rule im Sinne Harts 74; Kreationsnorm im Sinne Weinbergers 75).
C. Einordnung der Sachnormverweisung I. Dynamische Verweisung auf der Ebene des regulativen Rechts Nach den Erkenntnissen dieser Untersuchung ist deutsches IPR nicht auf Anwendung ausländischen Rechts „als ausländisches“ in einer von der Verfassung nicht vorgesehenen Privatrechtsfigur sui generis, sondern auf Schaffung von Bundesrecht gerichtet76. Im Rahmen der bisherigen Betrachtung77 ist dargetan worden, dass Sachnormen aus Sicht des Verfassers nur unvollständige Rechtsbzw. Normsätze umfassen. Zwar besteht ein widerspruchsfreies Alternativkonzept darin, mit Ago die Sachnormen als vollständige Rechtssätze mit grundsätzlich universellem Geltungsanspruch zu begreifen, die je nach den internationalen Bezügen eines Sachverhalts durch im IPR derselben Rechtsordnung synthetisierte Normen auf der Ebene des regulativen („materiellen“) Rechts im Wege der Spezialität verdrängt werden. So oder so haben aber die Sachnormen einer beliebigen Rechtsordnung keinen vom Kollisionsrecht dieser Rechtsord73
Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 109. Vgl. die Differenzierung zwischen primary rules und secondary rules bei Hart, The Concept of Law2, S. 79 ff. 75 Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. 76 Siehe oben S. 149. 77 Dazu oben S. 107. 74
C. Einordnung der Sachnormverweisung
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nung abstrakten Tatbestand. Vielmehr definiert erst das Kollisionsrecht einer Rechtsordnung den Anwendungsbereich der Sachnormen dieser Rechtsordnung abschließend. Daher ist das Bezugsobjekt bei der Sachnormverweisung des deutschen IPR jedenfalls ein unvollständiger Norm- bzw. Rechtssatz: entweder, weil die Sachnormen ausländischer Rechtsordnungen isoliert vom IPR ihrer Rechtsordnung stets unvollständig sind – hier bevorzugte Sicht – oder, weil zwar die ausländischen Sachnormen im Sinne Agos vollständige Normen insofern sind, als sie grundsätzlich universelle Geltung beanspruchen und damit sowohl eine sach- und kollisionsrechtliche Aussage treffen (was sie zu einer Art Sachnormverweisung macht78), die so verstanden Sachnormen aber Geltung nur beanspruchen, soweit sie nicht von durch eigenes IPR geschaffenen Privatrechtsnormen im Wege der Spezialität verdrängt werden. Weil unser IPR dies bei einer Sachnormverweisung ignoriert und die Sachnorm gegebenenfalls auf einen Sachverhalt erstreckt, für den nach ihrem eigenen IPR statt ihrer eine „materielle“ Spezialnorm gilt, wird aus einer im Sinne Agos als vollständige Norm gedachte Sachnorm mit sowohl sach- als auch kollisionsrechtlicher Aussage (universeller Geltungswille vorbehaltlich des speziellen IPR der eigenen Rechtsordnung) durch unser IPR ein unvollständiger Normsatz, nämlich die sachrechtliche Aussage herauspräpariert und allein in Bezug genommen. Die Unvollständigkeit hinsichtlich des internationalen Anwendungsbereichs des Bezugsobjekts einer Sachnormverweisung des deutschen IPR wird daher jedenfalls erst durch die in Bezug nehmende Norm des deutschen Kollisionsrechts vervollständigt. Folgt man der oben79 aufgestellten These des Verfassers, dass die Delegation eine Inbezugnahme beschreibt, deren isoliertes Produkt nur dann ein vollständiger Rechtssatz sein kann, wenn bereits das Bezugsobjekt ein vollständiger Rechtssatz ist, so ist die Sachnormverweisung bereits deshalb eine hiervon verschiedene dynamische Verweisung. Das deckt sich zudem mit der bereits gefassten Einschätzung80, dass die Sachnormverweisung schon ungeachtet der Frage der Ordre-Public-Kontrolle als Missachtung des internationalen Anwendungsbereichs ausländischer Sachnormen als legislatives Konzept auf Modifikation, auf Synthese einer neuen ratio und nicht auf bloßen Nachvollzug ausländischen Rechts gerichtet ist. Dass die Sachnormverweisung insbesondere zur Anwendung von ausländischen Sachnormen auf Sachverhalte führt, auf die diese Sachnormen nach dem Kollisionsrecht ihrer eigenen Rechtsordnung nicht anwendbar sind, bedeutet nicht nur, dass sie weder mit dem Konzept der Bildung inländischer, zum ausländischen Recht kongruenter „Parallelnormen“ noch mit Agos Konzept von den 78 79 80
Vgl. oben S. 106 ff. Vgl. oben S. 162. Siehe oben S. 110.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
Rechtsquellennormen erklärt werden kann. Vielmehr folgt daraus, dass bereits das Grundkonzept der Sachnormverweisung im Gegensatz zur Delegation eine Gesetzgebungskompetenz für Zivilrecht der in Bezug nehmenden Stelle – Gesetzgeber des deutschen IPR – erfordert.
II. Mittelbare dynamische Verweisung auf fremdes Sachrecht Nun mag man gegen diese Einordnung als dynamische Verweisung auf regulative (Teil-)Rechtssätze einwenden, dass sich die Sachnormverweisung in einem Punkt signifikant von den bekannten Formen der dynamischen Verweisung innerhalb der deutschen Rechtsordnung unterscheide: Bei den bekannten Fällen innerstaatlicher dynamischer Verweisung wird auf den ersten Blick dynamisch auf Vorschriften eines bestimmten Normgebers verwiesen. Soweit hingegen Kollisionsvorschriften auf ausländisches Recht verweisen, werden die maßgeblichen Rechtsnormen nur nach abstrakten Systembegriffen81 umschrieben. Verwiesen wird auf diesen Systembegriffen genügende Rechtsnormen unabhängig davon, ob es sich um formelle Gesetze, richterrechtliche Rechtsfortbildung (soweit man diese als Recht anerkennt82) oder Gewohnheitsrecht handelt. Der Unterschied besteht aber eben nur prima facie. So ist jede innerstaatliche dynamische Verweisung von Bundesrecht auf Sätze des Rechts eines Bundeslandes letztlich immer auch eine Verweisung auf das Kompetenzgefüge dieses Landes insofern, als man erst der Kompetenzordnung des Bundeslandes entnehmen kann, dass vom Landesparlament formulierte Gesetze überhaupt zum Landesrecht zählen. Entscheidend ist daher nicht die Parallele zwischen der Sachnormverweisung und dem oben83 als Kompetenzrecht eingeordneten Art. 25 S. 1 GG, die darin besteht, dass auch das Kompetenzgefüge einer jeweils für maßgeblich erklärten Rechtsordnung dynamisch in Bezug genommen wird, um über deren Rechtsquellen erst die dort als Privatrecht für reine Inlandsfälle geltenden Texte als Bezugsobjekte der Verweisung zu identifizieren. Entscheidend ist vielmehr, dass im Unterschied zu Art. 25 S. 1 GG durch eine Sachnormverweisung nicht von den in Bezug genommenen Quellen formulierte, vollständige (regulative) Rechtssätze unmodifiziert mit Geltung versehen werden, sondern dass nur Regelbausteine zur Synthese eigener vollständiger Normen herangezogen werden. Es bleibt daher bei der bereits oben84 gefassten Einschätzung, dass Vorgaben der in Bezug nehmenden Norm zur Identifikation des Bezugstextes isoliert keine Aussage über die Natur der Inbezugnahme des Textes erlauben. Das impliziert schließlich auch Karpen, wenn er – freilich entgegen der 81 82 83 84
Zu diesem Merkmal des IPR bereits Kegel, in: FS Raape, S. 13, 28. Eingehend hierzu etwa Stern, Staatsrecht II, § 37 II 2 e, S. 581 ff. m.w.N. Siehe oben S. 163 f. Vgl. oben S. 123.
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hier vertretenen Sicht – Art. 25 S. 1 GG als „generelle echte Verweisung“ auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts einordnet85. Im Ergebnis kann man aber um der begrifflichen Präzision willen die Sachnormverweisung als mittelbare dynamische Verweisung einordnen: Es wird nicht unmittelbar in der Verweisungsnorm selbst eine Stelle bestimmt, auf deren privatrechtlichen Normsätze verwiesen wird, sondern es wird unter dynamischer Inbezugnahme des Kompetenzgefüges fremden Rechts auf die von denjenigen Stellen formulierten Rechtssätze verwiesen, die nach ihrer Rechtsordnung die Macht zur Setzung von Privatrecht haben.
III. Weitere Folgerungen 1. Die Sachnormverweisung ist Privatrecht Nach den bisherigen Ergebnissen ist man damit zwar versucht, auf die Frage, ob die Sachnormverweisung nun öffentliches oder privates Recht sei, mit einem entschiedenen: „sowohl als auch“ zu antworten. Meines Erachtens überwiegen allerdings die Argumente für eine Einordnung als Phänomen des regulativen Rechts, also des als „materiellen“ Privatrechts.
a) Synthese privatrechtlicher Rechtsätze Zum einen ist die herrschende kollisionsrechtliche Sicht vom „Privatrecht sui generis“86 zu verwerfen. Stattdessen ist der von Kelsen 87 voreilig für das gesamte IPR gestellten Diagnose vom „materiellen“ Privatrecht für die Sachnormverweisung insoweit beizupflichten, als diese jedenfalls auch regulatives (Privat-) Recht ist. Es ist bereits mehrfach ausgeführt worden, dass die Sachnormverweisung insbesondere zur „Anwendung“ von ausländischem Sachrecht entliehenen Normsätzen auf Sachverhalte führt, auf die diese nach dem Kollisionsrecht ihrer eigenen Rechtsordnung nicht anwendbar sind, weshalb die Technik weder mit dem Konzept der Bildung inländischer, zum ausländischen Recht kongruenter „Parallelnormen“ noch mit Agos Konzept von den Rechtsquellennormen erklärt werden kann. Durch Inkorporation von fremden Rechtsordnungen entnommenen Bausteinen in die Sachnormverweisungen des deutschen IPR werden daher privatrechtliche Rechtssätze synthetisiert, die in den Bezugsrechtsordnungen nicht regelmäßig vorhanden sind. Insbesondere ist daraus bereits gefolgert worden88, dass die Sachnormverweisung eine Gesetzge-
85 86 87 88
Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 48. Dazu eingehend oben S. 33 ff. Kelsen, General Theory of Law and State, S. 244 ff. Vgl. oben S. 166.
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bungskompetenz für Zivilrecht der in Bezug nehmenden Stelle – Gesetzgeber des deutschen IPR – erfordert.
b) Der dynamische Charakter Was hingegen für eine Einordnung der Sachnormverweisung als auch öffentlich-rechtlich ins Feld geführt werden kann, ist ihr Charakter als dynamische Verweisung nicht nur auf die privatrechtlichen Normsätze einer in der verweisenden Norm unmittelbar benannten Stelle, sondern vielmehr auch auf die Kompetenzgefüge fremder Rechtsordnungen, aus denen sich die in Bezug genommenen Stellen erst ergeben. Wie zudem bereits angesprochen, ist die dynamische Verweisung immer auch eine mittelbare Zuweisung von Gesetzgebungskompetenz89, die teilweise auch als „versteckte“90 bezeichnet wird. Die dynamische Verweisung ist daher auch als „apokryphe Legislativ-Delegation“91 bzw. „De-facto-Delegation“92 gebrandmarkt worden; die Delegation wiederum ist öffentliches Recht, denn der Adressat einer Kompetenzzuweisung ist im Sinne der modifizierten Subjekts- bzw. Sonderrechtstheorie93 stets notwendig Träger der aus der Kompetenzzuweisung folgenden hoheitlichen Gewalt. Die Gleichsetzung von Delegation als Kompetenzzuweisung und dynamischer Verweisung – in der Literatur wird hierbei regelmäßig nur an die Verweisung auf regulative Rechtssätze gedacht – ist allerdings nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen zu verwerfen: Die dynamische Verweisung auf Sätze des Privatrechts ist auch bei deren mittelbarer Bestimmung unter Verweisung auf das Kompetenzgefüge einer in Bezug genommenen Rechtsordnung immer noch auf Synthese einer regulativen Norm, das heißt eines in Tatbestand oder Rechtsfolge vom Bezugsobjekt verschiedenen Rechtssatzes mit einer Sollensaussage für das gesellschaftliche Zusammenleben gerichtet, während die Kompetenznorm nicht einen Rechtssatz synthetisiert oder inhaltlich modifiziert, sondern eine Aussage über die Geltung eines Rechtssatzes trifft. Während die Zuweisung einer Kompetenz bewirkt, dass ein in Ausübung dieser Kompetenz formulierter Normsatz des Zuweisungsempfängers in Tatbestand und Rechtsfolge so geltend wird, wie er von diesem formuliert worden ist, also eine ratio des Zuweisungsempfängers verwirklicht, bedeutet die dynamische Verweisung die Schaffung einer neuen ratio, d.h. die Synthese einer neuen Regelung durch Inkorporation nur von „Regelungsbausteinen“, welche einen an89 Arndt, JuS 1979, 784, 785; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 136, 224 f. 90 So die Terminologie in BVerfGE 47, 285, 312. 91 So der Ausdruck Ossenbühl, DVBl. 1967, 401, 403 f. 92 So die Terminologie bei Arndt, JuS 1979, 784, 785. 93 Entscheidend ist danach, ob ein Träger hoheitlicher Gewalt notwendig in dieser Eigenschaft berechtigt oder verpflichtet wird; vgl. etwa Burgi, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Vosskuhle, GVwR I, § 17 Rn 21.
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deren Tatbestand oder eine andere Rechtsfolge als die in Bezug genommene Norm aufweist. Auf beiden Ebenen der Inbezugnahme fremder Rechtsordnungen durch eine Sachnormverweisung des deutschen IPR wird aber nur modifizierend in Bezug genommen: Zum einen wird keine ratio des Gebers des in Bezug genommenen privatrechtlichen Normsatzes, sondern eine neue ratio des Gebers der in Bezug nehmenden Rechtsnorm verwirklicht. Die dem Geber des letztlich in Bezug genommenen privatrechtlichen Normsatzes eröffnete Gestaltungsmöglichkeit ist eben nur eine mittelbare; in den Worten Karpens 94 erfolgt nur eine Machtanknüpfung und keine Machtverleihung. Zum anderen wird auch nicht etwa eine ratio des Gebers der kompetenzbegründenden Vorschriften der in Bezug genommenen Rechtsordnung verwirklicht, da diese schon ungeachtet der Frage der Modifikation des privatrechtlichen Normsatzes allein auf Geltung innerhalb der eigenen Rechtsordnung gerichtet ist, während die Inbezugnahme durch unser IPR allein auf Schaffung in der deutschen Rechtsordnung geltender Produkte gerichtet ist. Daher verändert die dynamische Verweisung die eigene Kompetenzordnung auch dann nicht, wenn die Verweisung mittelbar über das Kompetenzgefüge einer fremden Rechtsordnung erfolgt, d.h., wenn die Bestimmung des in Bezug genommenen, privatrechtlichen Normsatzes über eine dynamische Verweisung auf die Kompetenzordnung einer fremden Rechtsordnung erfolgt. Auch die „mittelbare“ dynamische Verweisung auf fremdes Privatrecht verlässt nicht die Ebene der regulativen Normen, während die Delegation zu den konstitutiven bzw. Geltungsnormen zählt.
2. Ablehnung der Theorien zu Tatbestand und Rechtsfolge „der“ Kollisionsnorm Schließlich vermögen die oben95 dargestellten, kollisionsrechtlichen Stellungnahmen zu Tatbestand und Rechtsfolge „der“ Kollisionsnorm schon deshalb sämtlich nicht zu überzeugen, weil sie nicht zwischen Sachnorm- und Gesamtverweisung differenzieren. Zwar ist den kollisionsrechtlichen Stellungnahmen zuzugeben, dass die Ermittlung der durch eine Sachnormverweisung in Bezug genommenen sachrechtlichen Normsätze ein Subsumtionsvorgang ist. Die Sachnormverweisung ist aber eine unvollständige Norm auf der Ebene des regulativen Rechts und hat daher weder einen vollständigen Tatbestand noch isoliert von ihrem Bezugsobjekt, dem Normsatz einer (ausländischen) Sachnorm, eine eigenständige Rechtsfolge. Rechtsfolge der Sachnormverweisung ist schon deshalb entgegen herrschender kollisionsrechtlicher Betrachtungsweise nicht die „Anwendbarkeit“ 94 95
Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 109. Dazu eingehend oben S. 31 ff.
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einer von ihr getrennten Sachnorm, weil dem fremdem Recht nur ein Normsatz (rationales Element nach Batiffol/Schurig) entnommen wird, der bei der Sachnormverweisung zudem auf Fälle erstreckt wird, für den die ausländische Sachnorm, der er entnommen ist, nach dem Kollisionsrecht ihrer eigenen Rechtsordnung nicht regelmäßig gilt. Vielmehr wird nach hier entwickelter Sicht96 bei der Sachnormverweisung ein sachrechtlicher (unvollständiger) Normsatz aufgrund seiner Subsumtion unter Geltungsanforderungen einer bestimmten Rechtsordnung für den Inlandsfall in die deutsche Kollisionsnorm insofern inkorporiert, als er als unvollständiger Rechtssatz hinsichtlich seiner internationalen Reichweite durch die Kollisionsnorm vervollständigt und somit erst in dieser ein gegebenenfalls vollständiger Rechtssatz synthetisiert wird. Die synthetisierte Norm ist hinsichtlich ihres Tatbestandes ein aliud gegenüber dem inkorporierten Sachnormsatz, spricht aber dessen Rechtsfolge aus. Für die durch die Synthese geschaffene, gegebenenfalls vollständige deutsche Norm ist daher der ausländische Sachnormsatz entgegen Kegel97 und Schurig 98 Baustein, nicht Tatbestandsvoraussetzung. Nur in deren Tatbestand und nicht in den der unvollständigen Kollisionsnorm unter Hinwegdenken der Inkorporation fällt aber entgegen Rabel99, Kegel100 und Schurig101 der zu entscheidende Sachverhalt bzw. das Lebensverhältnis. Das Rechtsverhältnis im Rahmen der deutschen Rechtsordnung ist erst das Produkt der in der Sachnormverweisung synthetisierten Norm.
3. Gleiche Ebene von Sachnormverweisung und Sachnorm Wenn schließlich etwa Vogel102 und Schurig103 annehmen, dass Kollisions- und Sachrecht auf derselben Ebene liegen, so ist daran für die Sachnormverweisung richtig, dass der unvollständige Normsatz, der ausländischem Sachrecht entliehen wird, und die Sachnormverweisung, die ihn inkorporiert, gleichermaßen zur Ebene der regulativen Rechtssätze gehören.
96 97 98 99 100 101 102 103
Vgl. oben S. 164 ff. Kegel, in: FS Raape, S. 13, 27. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 87. Rabel, RabelsZ 5 (1921), S. 241, 245. Kegel, in: FS Raape, S. 13, 27. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 87. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 276. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 72.
C. Einordnung der Sachnormverweisung
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IV. Ergebnis 1. Die Sachnormverweisung ist der Archetypus des „materiell“ privatrechtlichen Normsatzes Die gemeinhin mit dem Begriff Sachrecht umschriebenen Normen des Privatrechts, beispielsweise diejenigen des BGB, sind aus rechtstheoretischer Sicht unvollständige Normen, soweit ihnen ein internationaler Geltungsbereich nicht zu entnehmen ist: Ob § 2247 BGB auf das von einem französischen Staatsangehörigen in Deutschland abgefasste Testament anwendbar ist, kann allein dem BGB nicht entnommen werden; der Tatbestand von § 2247 BGB ist also unvollständig. Erst durch Inkorporation einer Sachvorschrift in die Sachnormverweisung entsteht in dieser unabhängig davon, ob sie eigenes oder fremdes Sachrecht in Bezug nimmt, ein vollständiger privatrechtlicher Normsatz (regulativer Normsatz, primary rule im Sinne Harts). Die auf Kahn zurückgehende, traditionelle Betrachtung in der Kollisionsrechtswissenschaft, wonach „die“ Kollisionsnorm ein vom „materiellen“ Privatrecht verschiedenes Privatrecht sui generis darstelle, ist daher im Ansatz verfehlt. Erst die Sachnormverweisungen bilden vollständige „materiell“ privatrechtliche Rechtssätze; ein Sachnormsatz ist als unvollständiger Normsatz zusammen mit seinem intertemporalen Kollisionsrecht nur Baustein für den vollständigen privatrechtlichen Normsatz, der durch Inkorporation der Sachnorm (im Rahmen ihrer intertemporalen Geltung) in die Sachnormverweisung erst synthetisiert wird. Sind aber die unvollständigen Normsätze des BGB genauso wie die unvollständigen Normen etwa des französischen Code civil Bausteine zur Synthese dieses vollständigen Normsatzes durch eine auf Sachnormen verweisende Vorschrift des deutschen IPR, so geht schon deshalb – ungeachtet aller grundsätzlichen Erwägungen zum Verhältnis von Anwendungsbefehl und Geltung104 – die traditionelle Sicht im Kollisionsrecht fehl, dass die Normen des BGB inländisch gälten, ausländisches Sachrecht aber nur „für anwendbar erklärt“ würde, ohne zu gelten. Bei einer geltenden Vorschrift des deutschen IPR, welche auf Sachrechtssätze verweist, erlangt stets der in dieser synthetisierte, vollständige Normsatz inländische Geltung, der sich von seinen Bausteinen, seien sie nun dem Code civil oder dem BGB entnommen, unterscheidet. Das letztlich maßgebliche regulative Sollen, das den deutschen Richter im Zivilprozess bindet, findet dieser also nicht im BGB, sondern in der nach deutschem Kollisionsrecht maßgeblichen Sachnormverweisung; nur um diese zu verstehen, muss er mal in das BGB, mal in ein ausländisches Zivilgesetzbuch hineinschauen. Als zentrale These zum Verhältnis von Kollisions- und Sachrecht sei daher postuliert: 104
Eingehend dazu siehe oben S. 112 ff.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
Innerhalb der deutschen Rechtsordnung ist die Sachnormverweisung kein aliud gegenüber dem „materiellen“ Privatrecht, sondern vielmehr der Archetypus des vollständigen „materiell“ privatrechtlichen Normsatzes. Erst die Sachnormverweisung bildet eine vollständige regulative Norm; die in Bezug genommenen Sachnormen sind unvollständig.
2. Konsequenzen für das Eingangsbeispiel Damit kann schließlich die Begründung der in der Einleitung zitierten Entscheidung des BFH aus 2002105 bewertet werden, in der es darum ging, dass der Kläger als in Deutschland lebender Türke aufgrund des kraft Sachnormverweisung des Art. 18 EGBGB berufenen türkischen Unterhaltsrechts seiner Stiefmutter sowie seiner Schwester und deren Kindern unterhaltspflichtig war. Wie ausgeführt, hat der BFH die Konformität des § 33a Abs. 1 S. 5 HS. 2 EStG, nach welchem „nach inländischen Maßstäben“ zu beurteilen ist, ob der Steuerpflichtige gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist, insbesondere mit folgender Erwägung begründet: „Hinzu kommt, dass die Unterhaltspflichten dem Kläger nicht durch die inländische, sondern durch die türkische Rechtsordnung auferlegt werden.106“.
Diese Aussage ist nach den Ergebnissen dieser Arbeit ebenso falsch wie die Prämisse Kokotts: „Allein die Tatsache, daß deutsche Gerichte oder Behörden fremdes Rechts anwenden […] unterstellt die Rechtsbeziehung nicht voll der deutschen Rechtsordnung“107.
Auch die bemerkenswert unscharfe Ausführung des BVerfG im Beschluss der Nichtannahme der gegen das BFH-Urteil gerichteten Verfassungsbeschwerde108, dass der deutsche Gesetzgeber ausländische Unterhaltspflichten insoweit „in seinen Willen aufgenommen hat, als er durch Regelungen des internationalen Privatrechts die Durchsetzbarkeit dieser ausl. Pflichten durch Einklagbarkeit und Vollstreckbarkeit im Inland gewährleistet“109, muss präzisiert werden: In den Sachnormverweisungen des Art. 18 EGBGB, welcher Gehalte ausländischen wie inländischen Sachrechts unterschiedslos in dynamischer Verweisung auf der Ebene des regulativen Rechts inkorporiert, finden sich die vollständigen regulativen Normen des deutschen „materiellen“ Unterhaltsrechts. Da in dieser Untersuchung Art. 3 Abs. 1 EGBGB hinsichtlich der Auslandsverbindung kein Regelungsgehalt zugemessen worden ist110, gilt dies inklusive des Un105 106 107
BFH, IPRax 2004, 342. BFH, IPRax 2004, 342, 345. Kokott, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 71,
99. 108 109 110
BVerfG, FamRZ 2005, 1813. BVerfG, FamRZ 2005, 1813, 1815. Vgl. dazu oben S. 103 ff.
D. Einordnung der Gesamtverweisung
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terhaltsrechts für den „reinen Inlandssachverhalt“, welches ansonsten in einer ungeschriebenen Sachnormverweisung für den Inlandssachverhalt inkorporiert wäre111. Das bedeutet, dass der Kläger im vom BFH entschiedenen Fall ungeachtet des Fehlens einer entsprechenden Regel im BGB seinen Verwandten in der Seitenlinie nach deutschem „materiellen“ Privatrecht (Art. 18 EGBGB), kraft eines aus deutschem Bundesrecht folgenden Rechtsverhältnisses unterhaltspflichtig gewesen ist. Es mag zwar diametral dem Willen des historischen Gesetzgebers des EStG zuwider laufen, doch ist es daher sogar ohne weiteres möglich, unter den Wortlaut von § 33a Abs. 1 S. 5 HS. 2 EStG, nach welchem „nach inländischen Maßstäben“ zu beurteilen ist, ob der Steuerpflichtige gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist, auch die über Art. 18 EGBGB maßgebliche Unterhaltsverpflichtung in der Seitenlinie zu fassen.
D. Einordnung der Gesamtverweisung Damit verbleibt die Frage, ob die Gesamtverweisung den Charakter einer dynamischen Verweisung oder denjenigen einer Zuweisung von Gesetzgebungskompetenz, also einer Delegation aufweist. Der mit dem IPR vertraute Leser, der hier sofort an den nahe liegenden Einwand gegen eine Delegation denken wird, dass wir die Anwendbarkeit fremden Rechts doch von vornherein unter den Vorbehalt des ordre public (Art. 6 EGBGB) stellen, muss allerdings um Geduld gebeten werden. Zunächst sollen die „Grund“-Verweisungen isoliert einer Strukturanalyse unterzogen werden. Erst danach sollen deren signifikante Modifikationen, insbesondere also der ordre public, auf ihr Zusammenspiel mit den „Grund“-Verweisungen hin untersucht werden.
I. Delegationsstruktur der „Grund“-Verweisungen 1. Abbildung selbst vollständiger fremder Rechtssätze Weil Sachnormen keinen vom Kollisionsrecht ihrer Rechtsordnung abstrakten Anwendungsbereich haben, produziert erst das Zusammenspiel von Kollisions- und Sachrecht vollständige Rechts- bzw. Normsätze. Erst durch Inkorporation von Sachvorschriften in der Sachnormverweisung entsteht in dieser unabhängig davon, ob sie eigenes oder fremdes Sachrecht in Bezug nimmt, ein gegebenenfalls vollständiger privatrechtlicher Normsatz, also ein vollständiger 111 Dies deckt sich damit, dass selbst nach der Konzeption Agos dessen „Sachnorm mit universalem Geltungswillen“ letztendlich ein Art Sachnormverweisung ist, vgl. dazu oben S. 106.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
regulativer Normsatz (primary rule im Sinne Harts). Damit ergibt sich für den strukturell einfachsten Fall der Inbezugnahme fremden Kollisionsrechts, dass dieses nämlich eine Sachnormverweisung ausspricht, folgendes Bild: Nimmt beispielsweise autonomes deutsches IPR das schweizerische Kollisionsrecht in Bezug und spricht dieses eine Sachnormverweisung auf den französischen Code civil aus, so ist der mit Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung versehene Normsatz nicht allein der unvollständige Normsatz der französischen Kodifikation, sondern der in der schweizerischen Sachnormverweisung zum Ausdruck kommende, gegebenenfalls vollständige privatrechtliche Rechtssatz, in welchen der unvollständige französische Normsatz inkorporiert wird. Da die schweizerische Sachnormverweisung dem unvollständigen französischen Normsatz gegebenenfalls einen anderen internationalen Anwendungsbereich zuweist, als das französische IPR, wendet der deutsche Richter also letztlich einem dem schweizerischen Recht entnommenen, vollständigen privatrechtlichen Normsatz an, auch wenn er zu dessen abschließender Ermittlung letztlich in den Code civil schauen muss. Wie nun oben112 für die Delegation gefordert, sind die Produkte der Inbezugnahme auch des fremden Kollisionsrecht durch deutsches IPR nur dann vollständige regulative Rechtssätze, wenn schon die Bezugsobjekte – zumindest am Ende der Verweisungskette steht immer eine Sachnormverweisung als gegebenenfalls vollständiger Satz des Privatrechts – vollständige Rechtssätze sind.
2. Keine Modifikation der Satzstruktur bei Abbildung unvollständiger Rechtssätze Insoweit darf man allerdings nicht die Augen davor verschließen, dass die Technik der Gesamtverweisung unter dem Gesichtspunkt der Sonderanknüpfung von Teil- und Vorfragen bereits unter Ausblendung der prinzipiellen Unvollständigkeit allen Sachrechts113 hinsichtlich dessen internationaler Reichweite dazu führen kann, dass nur Sätze des ausländischen Sachrechts in Bezug genommen werden, die schon aus rein sachrechtlicher Perspektive unvollständig sind. Besonders klar tritt dies bei den bereits oben114 angesprochenen Vorfragen zu Tage. Auch wenn mangels eindeutiger Vorgaben hierzu im EGBGB einiges dafür spricht, dass nicht die Behandlung der Vorfrage die dogmatische Einordnung des renvoi bestimmen kann, sondern dass vielmehr die dogmatische Einordnung der prinzipiellen Regelungstechnik die Handhabung der Vorfrage bestimmen muss, soll hier untersucht werden, ob auch die vorherr-
112 113 114
Oben S. 162. Siehe dazu oben S. 106 ff. Vgl. oben S. 95.
D. Einordnung der Gesamtverweisung
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schende Einschätzung, dass Vorfragen selbständig anzuknüpfen seien115, mit dem Gedanken der Kompetenzzuweisung im Einklang steht. Als Beispiel soll wiederum ein sachrechtlicher Normsatz einer Rechtsordnung X dienen, dass Alleinerbin eines kinderlos Versterbenden die Ehefrau ist. Unser Kollisionsrecht spricht eine Gesamtverweisung für fremdes Erbrecht aus; die selbständige Anknüpfung der familienrechtlichen Vorfragen – Ehe, Vorhandensein von Abkömmlingen – sei einmal angenommen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass nach hier vertretener Sicht Bezugsobjekt der Gesamtverweisung des deutschen IPR gar nicht unmittelbar die Sachnorm ist, die von der Sachnormverweisung am Ende der Verweisungskette erfasst wird, sondern diese Sachnormverweisung als Norm auf der Ebene des regulativen Rechts, in die der Sachrechtssatz inkorporiert wird. Kennt nun die von unserem IPR in Bezug genommene Rechtsordnung den renvoi und verweist sie beispielsweise für erbrechtliche Fragen ebenfalls auf ihr eigenes Recht, so kommt es hier zu einer Divergenz, wenn diese Rechtsordnung unter Betonung des internationalen Entscheidungseinklangs eine unselbständige Vorfragenanknüpfung vorsieht. Denn dann umfasst die fremde Sachnormverweisung auf eigenes Recht neben erb- auch präjudizielle familienrechtliche Vorschriften, wird aber nur hinsichtlich des Verweises auf die erbrechtlichen Vorschriften von unserem IPR in Bezug genommen. Im Ergebnis wird damit bei selbständiger Anknüpfung der präjudiziellen familienrechtlichen Fragen der in der fremden Sachnormverweisung zu sehende Rechtssatz hinsichtlich seiner sachrechtlichen Aussage nur unvollständig kopiert. Es ergibt sich insofern ein aliud gegenüber der in Bezug genommenen Sachrechtsordnung, als durch Einfügung des unvollständigen Normsatzes in eine neue Rechtsordnung, welche die präjudiziellen Fragen anders beantwortet, gegebenenfalls ein anderer vollständiger Rechtssatz entsteht: Die Bezugsrechtsordnung gestaltet das Institut der Ehe gegebenenfalls anders aus, als die in Bezug nehmende, weshalb die Rechtsfolge der Erbenstellung letztlich an teilweise abweichende Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft wird. Ohnehin wird schließlich jeder Rechtssatz allein durch Einfügung in eine andere Rechtsordnung in seiner Bedeutung modifiziert. Für die Frage der Kompetenzzuweisung unter Einordnung der ausländischen Rechtsquelle der in Bezug genommenen Sachnormverweisung als auch inländische ist aber die Modifikation im Verhältnis zur Herkunftsrechtsordnung auch nicht entscheidend. Weder ist im Rahmen dieser Untersuchung zur Voraussetzung erhoben worden, dass es zu keinerlei Modifikationen kommen darf, noch ist gefordert worden, dass das Produkt der Inbezugnahme stets ein vollständiger Rechtssatz sein müsse. Vielmehr ist oben116 postuliert worden, 115 Vgl. BGHZ 43, 213, 218; Kropholler, IPR6 , § 32 IV, S. 226; Kegel/Schurig, IPR9, § 9 II 1, S. 381, Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2, § 7 Rn. 195 ff.; a. A. Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 6 Rn. 71–72; Wengler, RabelsZ 8 (1934), S. 148 ff, 207. 116 Siehe dazu oben S. 162.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
dass für die Frage, ob die in Bezug nehmende Norm das Bezugsobjekt inkorporiere (dynamische Verweisung) oder als von ihr verschiedenen Normsatz mit Geltung versehe (Delegation), allein entscheidend sei, ob im Rahmen der Inbezugnahme unmittelbar durch die in Bezug nehmende Norm eine Modifikation der Satzstruktur des Bezugsobjekts erfolgt, weshalb eine Delegation insbesondere dann ausscheidet, wenn bereits durch die isolierte Inbezugnahme ein unvollständiger Rechtssatz vervollständigt wird. Demgegenüber wird die fremde Sachnormverweisung im Rahmen ihrer auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen beschränkten Inbezugnahme auch bei selbständiger Vorfragenanknüpfung durchaus kongruent abgebildet: Mit der von der fremden Sachnormverweisung vorgesehenen internationalen Reichweite wird die von ihr in Bezug genommene erbrechtliche Aussage – Sind keine Abkömmlinge vorhanden, so erbt der überlebende Ehegatte allein – für die deutsche Rechtsordnung kongruent nachvollzogen. Die Normsatzstruktur der Sachnormverweisung am Ende der Gesamtverweisungskette wird also durch die deutsche Gesamtverweisung nicht verändert; insbesondere wird die Unvollständigkeit nicht durch die gesamtverweisende Kollisionsnorm selbst vervollständigt. Diese produziert also keine Sätze des regulativen Rechts, die im Rahmen der Inbezugnahme von den in Bezug genommenen Sätzen abweichen. Letztlich kann man sich eben durchaus eine Rechtsordnung vorstellen, in der die privatrechtliche Gesetzgebungskompetenz unter anderem in eine erbrechtliche und eine familienrechtliche aufgespalten und verschiedenen Organen zugewiesen wird. Das für das Erbrecht kompetente Organ kann dann hinsichtlich erbrechtlicher Implikationen familienrechtlicher Rechtsverhältnisse seine Kompetenz nur durch unvollständige Normen ausüben, die für die Frage des Bestehens familienrechtlicher Rechtsverhältnisse auf die Rechtsordnung im Übrigen verweisen. Aufgrund der entsprechenden Aufspaltung der einheitlichen Regelkompetenz für das gesamte Zivilrecht kommt es gegebenenfalls zu einer Mehrzahl von „partiellen Delegationen“, die bereits Triepel als besondere Ausprägung der Delegation von der von ihm sog. „totalen Delegation“ abgrenzt, bei der eine außerordentliche Kompetenz im vollen Umfang der Regelkompetenz zugewiesen wird117. Reinhardt verwendet hierfür die abweichende Terminologie der „Spezialdelegation“118. Im Ergebnis steht damit einer Einordnung der Gesamtverweisung als Phänomen des konstitutiven Rechts nicht entgegen, dass das Bezugsobjekt, nämlich die Sachnormverweisung, einerseits nicht hinsichtlich der Verweisung auf die familienrechtlichen Vorfragen in Bezug genommen wird und dadurch andererseits allein mit dem Verweis auf dasjenige Sachrecht, welches die Rechtsnachfolge von Todes wegen betrifft, unvollständige Normsätze umfasst wer117 118
Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 93 ff. Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 26.
D. Einordnung der Gesamtverweisung
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den mögen. Denn all dies ändert nichts daran, dass die fremde Sachnormverweisung auch im Umfang ihrer Berücksichtigung nicht in die gesamtverweisende Norm des deutschen Kollisionsrechts inkorporiert wird, weil sie zwar nicht vollständig in Bezug genommen, aber im Rahmen der Inbezugnahme nicht modifiziert wird. Die fremde kollisionsrechtliche Entscheidung über die Behandlung von Vorfragen liegt nur in einem weiteren Sinne außerhalb der zugewiesenen Rechtsmacht.
3. Dynamische Verweisung auf fremdes Kompetenzgefüge inklusive dessen dynamischer Verweisungen Für die Gesamtverweisung lässt sich ferner im Gegensatz zu einer „herkömmlichen“ Kompetenzzuweisung festhalten, dass die Macht zur Setzung inländischen Rechts nicht einer bestimmten Stelle zugewiesen, sondern bereits diese Zuweisung dem Kompetenzgefüge einer fremden Rechtsordnung entnommen wird. Insoweit kommt aber wie bei Art. 25 GG eine aus dynamischer Verweisung auf fremdes Kompetenzrecht gewonnene Kompetenzzuweisung in Betracht: Wird auf französisches Kollisionsrecht verwiesen, werden nach Maßgabe der französischen Gesamtrechtsordnung ausländische Vorgänge zu Quellen des deutschen Rechts erhoben. Das entspricht vorbehaltlich noch zu erörternder Besonderheiten grundsätzlich der Struktur einer aus dynamischer Verweisung gewonnenen Kompetenzzuweisung: Kompetenz zur Schaffung innerhalb der deutschen Rechtsordnung geltender Privatrechtssätze hat dann, wer die entsprechende Kompetenz nach Maßgabe der französischen Rechtsordnung innehat.
a) Verweis auf fremde Sachnormverweisung Spricht also die Rechtsordnung, die unser IPR im Wege der Gesamtverweisung in Bezug nimmt, eine Sachnormverweisung aus, so liegt darin nach den bisherigen Erkenntnissen119 aus der hier für die Rechtstheorie der deutschen Rechtsordnung zu Grunde gelegten Sicht eine dynamische Verweisung auf der Ebene des regulativen (Privat-)Rechts und damit eine Norm des Privatrechts der in Bezug genommenen Rechtsordnung. Mit dem diese Norm erfassenden Anwendungsbefehl des deutschen IPR wird daher der Geber der Sachnormverweisung der in Bezug genommenen Rechtsordnung im Wege der dynamischen Verweisung möglicherweise mit Gesetzgebungskompetenz für das deutsche Zivilrecht ausgestattet. Weil dann das einfachgesetzliche IPR auf Zuweisung einer außerordentlichen Kompetenz insoweit hinausläuft, als von der Organkompetenz des Bundestages zum Erlass von Zivilrecht des Bundes (Bundeskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) gemäß Art 77 Abs. 1 S. 1 GG (Regelkompetenz119
Siehe oben S. 164 ff.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
norm) durch rangniedereres Bundesrecht (EGBGB bzw. gewohnheitsrechtliches IPR als Komplex delegierender Normen) abgewichen wird120, handelt es sich prima vista um eine Delegation.
b) Verweis auf fremde Gesamtverweisung Spricht schließlich die in Bezug genommene Rechtsordnung eine Gesamtverweisung aus, so nimmt sie ihrerseits im Wege dynamischer Verweisung ein fremdes Kompetenzgefüge in Bezug. Wiederum wird dann möglicherweise unabhängig von der Zahl der Gesamtverweisungen innerhalb einer Verweisungskette der ersten Stelle, die eine Sachnormverweisung ausspricht – und nur dieser – die privatrechtliche Rechtssetzungskompetenz für die deutsche Rechtsordnung zugewiesen. Denn die Kompetenzgefüge fremder Rechtsordnungen werden schon deshalb nicht unmodifiziert abgebildet, weil beispielsweise die Sätze des mexikanischen IPR keine Aussage über die Kompetenzordnung des deutschen Rechts treffen, sondern sich nur dazu äußern, was im Rahmen der mexikanischen Rechtsordnung verbindlich sein soll. An fremdes Kompetenzrecht wird also nur modifizierend angeknüpft. Die von Kahn als Zuweisung eines „Zuständigkeitsblanketts“ behauptete Wirkung der Gesamtverweisung, die Rechtsordnung zu bestimmen, die ihrerseits über die Zuständigkeit entscheiden solle121, suggeriert daher eine Entscheidung der Bezugsrechtsordnung, die diese gar nicht trifft, weil keine ausländische Rechtsordnung Sätze darüber enthält, welcher Stelle die Rechtsmacht zukommen soll, innerhalb der deutschen Rechtsordnung geltende Rechtssätze formulieren zu können: Die Gesamtverweisung ist keine Delegation der Kompetenz zur Subdelegation122 an die Rechtsordnung, auf die unser IPR verweist. Vielmehr wird allein an die jeweils letzte Stelle in der Verweisungskette, also diejenige, die eine Sachnormverweisung ausspricht, delegiert. Die Ermittlung der zur Rechtssetzung berufenen Stelle erfolgt dabei durch dynamische Verweisung auf ein fremdes Kompetenzgefüge und damit dessen dynamischer Verweisungen, d.h. gegebenenfalls durch eine (hinsichtlich der Stufenzahl theoretisch unbegrenzte) mehrstufige dynamische Verweisung auf der Ebene der Geltungsnormen.
c) Organqualität des sachnormverweisenden Staates Prima facie kann man daher sagen, dass die Gesamtverweisung eine Delegation an denjenigen Staat bzw. dessen Normsetzungsorgane ist, der am Ende der Ver120
Vgl. zu diesem Kriterium für die Delegation oben S. 156. Kahn, IheringsJ 40 (1898), S. 1, 62. 122 Die Subdelegation beschreibt den Fall, dass ein Hoheitsträger, dem im Wege der Delegation eine Kompetenz zugewiesen wurde, diese im Wege einer weiteren Delegation – Subdelegation – überträgt (Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 26 m.w.N.). 121
D. Einordnung der Gesamtverweisung
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weisungskette eine Sachnormverweisung ausspricht. Dieser wird dabei aber nicht im Zitelmannschen Sinne Subjekt der Gesetzgebung, sondern – Verfassungskonformität vorausgesetzt – außerordentliches Organ des Bundes. Er erledigt keine eigene Angelegenheit als Völkerrechtssubjekt, sondern produziert nur einzelne Normen des Zurechnungssubjekts Bund. Der Bund greift durch die souveräne Entscheidung seines autonomen IPR nach den internationalen Bezügen eines zu entscheidenden Sachverhalts gegebenenfalls auf Normsätze aus unterschiedlichsten Rechtsordnungen gleichzeitig zurück und synthetisiert dadurch ein innerhalb der deutschen Rechtsordnung verbindliches Sollen, das in den Bezugsrechtsordnungen nicht regelmäßig deckungsgleich zu finden ist123.
4. Zwischenergebnis Im Rahmen der Gesamtverweisung haben die „Grund“-Verweisungen die Struktur einer aus dynamischer Verweisung auf fremde Kompetenzordnungen gewonnenen Delegation. Die Technik der Gesamtverweisung ist daher derjenigen des Art. 25 S. 1 GG verwandt.
II. Generelle Modifikationen der „Grund“-Verweisungen Wie bereits eingangs angedeutet, wäre es nun aber voreilig, allein auf dieser Grundlage die Gesamtverweisung als besondere Form der Delegation einzuordnen. Näherer Betrachtung bedürfen vorher die Modifikationen der „Grund“-Verweisungen, die für die Technik der Gesamtverweisung stets Wirkung entfalten. Das betrifft insbesondere die Ordre-public-Kontrolle (Art. 6 EGBGB) und die Möglichkeit des Abbruchs der Verweisung (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB).
1. Art. 6 EGBGB – ordre public a) Grundzüge der Regelungstechnik Die auffälligste Modifikation der vollständigen Normsätze der in Bezug genommenen Rechtsordnung bewirkt der (negative124) ordre public. Nach Art. 6 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht „anzuwenden“, wenn die Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere den Grundrechten, offensichtlich unvereinbar ist. 123
Vgl. dazu bereits oben S. 101 ff., 109 ff. Zur Differenzierung von negativem und positivem ordre public etwa Kropholler, IPR6 , § 36 I, S. 244 f. 124
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
Die Technik des ordre public bietet im Vergleich zur gewohnten Verfassungskontrolle inländischer Vorschriften sowohl ein Plus als auch ein Minus an Kontrolle, was im Zusammenspiel die rechtstheoretische Erfassung des ordre public erschwert. Das Plus an Kontrolle ergibt sich zunächst aus dem Maßstab der „wesentlichen Grundsätze“, einem generalklauselartig unbestimmten Rechtsbegriff. Dieser mag sich zwar weitgehend mit den Verfassungsanforderungen, insbesondere denjenigen aus den Grundrechten decken, umfasst aber gegebenenfalls durch die Verfassung nicht vollständig vorgegebene, zwingende Sätze des einfachen Gesetzesrechts und ist offen für staats- und wirtschaftpolitische Erwägungen125. Der Maßstab ermöglicht daher, die Anwendbarkeit ausländischer Normen auszuschließen, deren Anwendung die Verfassung nicht zwingend verböte. Zu einer besonderen Modifikation der Inbezugnahme führt die Technik des ordre public allerdings gerade durch ein Minus an Kontrolle. Selbst dem ausländischen Recht entnommene Normsätze, die bei abstrakt genereller Betrachtung unter Ausblendung der Idee des verminderten Inlandsbezugs grundrechtswidrig sind, werden nicht einfach kassiert, sondern im zu entscheidenden Fall dennoch angewandt, wenn das konkrete Anwendungsergebnis hinnehmbar ist126. Das ist zunächst dann der Fall, wenn sich die Wesensinkompatibilität im zu entscheidenden Fall nicht auswirkt, weil das Anwendungsergebnis hypothetisch auch Produkt einer nicht zu beanstandenden Norm sein könnte. Darüber hinaus ist die sog. Relativität des ordre public127 anerkannt, nach der an die Unvereinbarkeit des Anwendungsergebnisses mit Vorstellungen der deutschen Rechtsordnung um so höhere Anforderungen zu stellen sind, je geringer der Inlandsbezug des zu entscheidenden Falls ist. Durch die Technik des ordre public werden – ihre Verfassungsgemäßheit vorausgesetzt – ausländische Normen also nicht kassiert, sondern in besonderer Weise geltungserhaltend reduziert. Damit stellt sich die Frage, ob die generelle Unterwerfung der unter Rückgriff auf ausländisches Recht gebildeten Normsätze unter die Ordre-PublicKontrolle, auch wenn sie nur in Extremfällen zur Modifikation führt, dennoch eine prinzipielle Einordnung der Regelungstechnik der Gesamtverweisung als dynamische Verweisung auf der Ebene der regulativen Normen zu begründen vermag. Dazu muss geklärt werden, was der ordre public rechtstheoretisch bedeutet. 125
Vertiefend hierzu etwa Spickhoff, Der ordre public im IPR, S. 83 ff. Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2, § 7 Rn. 266; Kropholler, IPR6 , § 36 II 1, S. 245; Spickhoff, Der ordre public im IPR, S. 79 f. 127 Vgl. nur Bucher, Grundfragen der Anknüpfungsgerechtigkeit im IPR, S. 128 ff; Dölle, in: Deutsche Landesreferate zum III. internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in London, S. 397, 409; Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 4 Rn. 18; Kropholler, IPR6 , § 36 II 2, S. 246; Spickhoff, Der ordre public im IPR, S. 96 ff., jeweils m.w.N. 126
D. Einordnung der Gesamtverweisung
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b) Die kontroversen rechtstheoretischen Literaturansätze aa) Kritik der Idee vom ordre public als selbständiger Kollisionsnorm Den bereits bei Kahn128 zu findenden Gedanken vom Inlandsbezug als kollisionsrechtlicher Anknüpfung aufnehmend begreift insbesondere129 Schurig nicht nur die Normen des positiven ordre public, sondern auch den negativen ordre public (Art. 6 EGBG) als selbständige Kollisionsnorm. Wie bereits gesagt, geht er dabei auf Kegel130 verweisend davon aus, dass der Tatbestand der Kollisionsnorm konstituiert werde durch (1.) einen materiellrechtlichen Sachverhalt, der (2.) durch ein Anknüpfungsmoment mit einem bestimmten Rechtsgebiet verbunden ist, sowie (3.) einen „Sachrechtssatz“, dessen Tatbestand durch den Sachverhalt erfüllt wird, und (4.) die Geltung des Sachrechtssatzes in diesem Rechtsgebiet als weiteres Anknüpfungsmoment131. Als problematisch erörtert Schurig allein das erste kollisionsrechtliche Anknüpfungsmoment. Dieses sieht er dadurch erfüllt, dass der ordre public erst bei Vorhandensein eines hinreichenden Inlandsbezugs verstanden als kollisionsrechtliches Anknüpfungsmoment die „wesentlichen Grundsätze“ der deutschen Rechtsordnung zur Anwendung auf einen Sachverhalt berufe132. Freilich soll hier nicht verschwiegen werden, dass ursprünglich bei Kegel133 nicht zufällig statt von einem „Sachrechtssatz“ explizit von einer „privatrechtlichen Sachnorm“ als Tatbestandsmerkmal der Kollisionsnorm die Rede war. Die „wesentlichen Grundsätze“, zu denen insbesondere die Grundrechte gehören, genügen schon deshalb nicht umfänglich der Ursprungsdefinition Kegels; der Sache nach gerät Schurigs Konstrukt zumindest hinsichtlich der Grundrechte zu internationalem öffentlichen Recht. Zudem ist bereits das Kegelsche Grundmodell vom Tatbestand „der Kollisionsnorm“ nicht überzeugend. Für die Sachnormverweisung als dynamische Verweisung ist es bereits134 verworfen worden. Von den weiteren Ergebnissen wird abhängen, inwieweit sich die Gesamtverweisung prinzipiell von der Sachnormverweisung unterscheidet.
128 Kahn, IheringsJ 39 (1898), S. 1 ff. passim, etwa S. 25, 35; näher zur Streitfrage, ob Kahn, der die „Prohibitvgesetze“ erörterte, dabei auch den negativen ordre public im Blick gehabt hat, Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, S. 205; vgl. zur Binnenbeziehung als Grundlage kollisionsrechtlicher Normbildung auch Bucher, Grundfragen der Anknüpfungsgerechtigkeit im IPR, S. 115 ff. 129 Vgl. ferner Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, S. 183 ff.; Epe, Die Funktion des ordre public im deutschen IPR, S. 140 ff. 130 Grundlegend Kegel, in: FS Raape, S. 13, 27. 131 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 87. 132 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 253; Kegel/Schurig, IPR9, § 16 II, S. 520 ff. 133 Kegel, in: FS Raape, S. 13, 27. 134 Vgl. oben S. 169 f.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
bb) Ordre public als unvollständige Norm bzw. „Hilfskollisionsnorm“ Die extreme Gegenposition zu Schurig bieten etwa Neumayer, für den die Vorbehaltsklausel keine Kollisionsnorm, sondern nur ein gesetzlicher Vorbehalt gegen Kollisionsnormen ist135, und Marti136, nach welchem die Vorbehaltsklausel eine Interpretationsregel und keine Verweisungsnorm ist. Auch Kegel stellt fest, dass der ordre public nur die Kollisionsnorm begrenze, ohne eine zu sein137. Verbreitet ist in der kollisionsrechtlichen Literatur auch die Einschätzung, dass der negative ordre public eine unselbständige, „kollisionsrechtliche Hilfsnorm“ darstelle138. Überwiegend bleibt man der Frage gegenüber aber eher indifferent. So folgert etwa Spickhoff139 aus dem Umstand, dass Art. 6 EGBGB die Anwendbarkeit eines ausländischen Rechtssatzes kraft „Grundverweisung“ voraussetzt und diese begrenzt, lediglich, dass die Einordnung des ordre public als „unselbständige Kollisionsnorm“, welche die Grundverweisung begrenze, „näher liegend“ sei. Besonders klar greift demgegenüber Schemmer 140 die in der allgemein rechtstheoretischen Diskussion gebräuchliche Differenzierung zwischen vollständigen und unvollständigen Rechtssätzen, die ihre Rechtsfolgen begründende Kraft nur in Verbindung mit anderen Rechtssätzen entfalten, auf und ordnet den ordre public denjenigen unvollständigen Normen zu, welche den Geltungsbereich anderer Normen einschränken. Einschränkende Rechtssätze enthalten nach Larenz eine „negative Geltungsanordnung“ und sind nach diesem unvollständig, weil sie nur in Verbindung mit der vorausgegangenen „positiven Geltungsanordnung“ eines anderen Rechtssatzes verständlich werden141.
cc) Besonderheit der Rangkollision als allein untersuchungserheblich Für die weitere Untersuchung ist nun nur ein Aspekt des ordre public maßgeblich, der freilich Schurigs rechtstheoretisches Ideal, den negativen ordre public nicht als aliud gegenüber dem Anknüpfungssystem des IPR begreifen zu müssen142, in Frage stellt: Mag man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass der negative ordre public bei seinem Eingreifen deutsche Rechtsgrundsätze positiv zur Wirkung bringt, so ist es dennoch im Gegensatz zu einer „normalen“ Kollisionsnorm in Form einer Sonderanknüpfung nicht als sinnvoll denkbar, dass der ordre public isoliert maßgeblich wird, dass er also im Umfang seines Ein135
Neumayer, in: FS Dölle, Bd. II, S. 178, 190. Marti, Der Vorbehalt des eigenen Rechtes im IPR der Schweiz, S. 68. 137 Kegel, IPR 7, § 16 XI, S. 385. 138 Vgl. etwa Kropholler, IPR6 , § 13 I, S. 103; Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2 , § 11 I, S. 97; Wengler, ZöffR 23 (1944), 473, 480. 139 Spickhoff, Der ordre public im IPR, S. 135. 140 Schemmer, Der ordre public-Vorbehalt unter Geltung des Grundgesetzes, S. 15 f. 141 Larenz, Methodenlehre 6 , S. 259. 142 Kegel/Schurig, IPR9, § 16 II, S. 520. 136
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greifens bereits die „allgemeinen“ Kollisionsnormen im Wege der Spezialität verdrängt143: das absurde Ergebnis wäre die Anwendbarkeit nur der deutschen „wesentlichen Grundsätze“ bei Nichtanwendbarkeit selbst solcher ausländischer Normsätze, die mit diesen Grundsätzen vereinbar sind. Stattdessen werden vielmehr stets ausländische Normsätze durch die „normalen“ Kollisionsnormen bei gleichzeitigem Eingreifen der allgemeinen Rechtsgrundsätze deutschen Rechts mit der Maßgabe berufen, dass sie bei Inkompatibilität im Wege einer Rangkollision hinter den wesentlichen Rechtsgrundsätzen zurücktreten. Daraus folgt, dass der (negative) ordre public stets auf einer Metaebene im Sinne einer unvollständigen Norm negative Aussagen über die Maßgeblichkeit der Produkte der „normalen“ Kollisionsnormen trifft. Im Gegensatz zu einer „normalen“ Sonderanknüpfung ist dem ordre public ohne Berücksichtigung der Ergebnisse der „Grund“-Verweisung auf fremdes Recht keine Rechtsfolge zu entnehmen144. Für die rechtstheoretische Problematik ist nun an dieser Stelle allein die hieraus folgende Frage relevant, inwieweit die Ordre-public-Kontrolle die rechtstheoretische Einordnung einer „normalen“ bzw. „Grund“-verweisung auf ausländisches Recht berührt. Denn auch verstanden als selbständige Kollisionsnorm im Sinne Schurigs verweist der ordre public selbst nicht auf ausländisches Recht.
dd) Exkurs: Universelle Verfassungsbindung der den deutschen Zivilprozess determinierenden Regeln statt Verfassungskollisionsrecht in Art. 6 EGBGB „Anknüpfungspunkte von internationalprivatrechtlicher Art und Schärfe aus den Grundrechten herauslesen zu wollen, setzt voraus, daß man sie vorher hineinliest“ Herbert Kronke145
Der Verfasser möchte sich an dieser Stelle nicht ohne Replik auf Schurigs Ansatz vom Felde stehlen, zumal die Frage nach der Reichweite der Grundrechte, die im Rahmen des ordre public ihrer Konkretisierung erfahren, bereits in der Einleitung besonders angesprochen worden ist. Der nur an der Entwicklung 143 Dem widerspricht auch Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, S. 204 nicht, die sich mit entsprechenden Argumenten bei Meise, Zur Relativität der Vorbehaltsklausel im interlokalen Privatrecht, S. 101, auseinandersetzt. 144 In diesem Sinne bereits Marti, Der Vorbehalt des eigenen Rechtes im IPR der Schweiz, S. 68; Wengler, Allgemeine Rechtsgrundsätze, ZöffR 23 (1944), 473, 480. 145 Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 33, 66.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
der rechtstheoretischen Einordnung der Gesamtverweisung interessierte Leser kann diesen Exkurs allerdings überblättern. Schurigs pauschale Prämisse, dass im Rahmen der Ordre-Public-Kontrolle die „wesentlichen Grundsätze“ erst dann kollisionsrechtlich berufen werden, wenn ein besonderer Inlandsbezug vorliegt, welche auch Stern146 ausdrücklich für Grundrechte teilt, überträgt für die weitaus wichtigsten dieser „wesentlichen Grundsätze“, die Grundrechte, die für zivilrechtliche Regeln konzipierte Technik des einfachgesetzlichen IPR auf Verfassungsprinzipien, auf die sie nicht passt147.
(1) „Ob“ der Grundrechtsbindung keine Frage der Intensität des Inlandsbezugs des zu entscheidenden Falles Zwar hat das BVerfG einst in der Spanierentscheidung ausgeführt, dass für jede Vorschrift der Verfassung zu prüfen sei, ob und wieweit sie für internationale Sachverhalte Geltung beanspruche und dass ein Grundrecht „wesensgemäß eine bestimmte Beziehung zur Lebensordnung im Geltungsbereich der Verfassung“ voraussetzen könne148. Den hier erstmalig und noch unscharf aufgeworfenen Gedanken des Verfassungskollisionsrechts nun in den Kategorien des IPR verstehen zu wollen149, ist jedoch verfehlt. Es existiert kein Verfassungskollisionsrecht nach dem Modell des internationalen Privatrechts für das internationale Privatrecht. Für die Gesamtheit der Grundrechte kann nicht behauptet werden, dass das „Ob“ ihres Eingreifens von der Intensität einer Inlandsbeziehung des vor einem deutschen Gericht verhandelten Einzelfalls abhinge.
(a) Theorien „fehlender Einbindung in die deutsche Rechtsordnung“ Bereits im Ansatz verfehlt sind alle Theorien, die auf der Idee aufbauen, dass IPR nur ausländisches Recht „als ausländisches“ zur Anwendung bringe. Dies gilt insbesondere für Stern150, wenn er explizit annimmt, dass im Rahmen des ordre public „ausländisches Recht“ nur dann überhaupt auf seine Grundrechts146 Nach Stern, Staatrecht III/1, § 72 V 6, S. 1241 soll im Rahmen des ordre public „ausländisches Recht“ nur dann auf seine Grundrechtsgemäßheit zu überprüfen sein, wenn eine enge Inlandsbeziehung besteht. 147 Sehr klar Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 37; Schröder, in: FS Schlochauer, S. 137, 138 ff., insb. S. 141: „Ein besonderes Verfassungskollisionsrecht gibt es nicht“. 148 BVerfGE 31, 58, 77. 149 So bereits Bernstein, Ein Kollisionsrecht für die Verfassung, NJW 1965, 2273, 2275; dem folgend etwa Wiethölter, in: FS Kegel (1977), S. 213, 253 ff.; ablehnend Schröder, in: FS Schlochauer, S. 137, 138 ff., insb. S. 141: „Ein besonderes Verfassungskollisionsrecht gibt es nicht“. 150 Stern, Staatrecht III/1, § 72 V 6, S. 1241.
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gemäßheit zu überprüfen sei, wenn eine enge Inlandsbeziehung besteht, und Kokott151, die gerade für das IPR geltend macht, dass allein dadurch, dass deutsche Gerichte fremdes Rechts anwenden, die entsprechende „Rechtsbeziehung nicht voll der deutschen Rechtsordnung“ unterstellt werde. Insoweit kann auf die Erkenntnis dieser Arbeit verwiesen werden, wonach nicht nur alle Produkte des autonomen deutschen IPR ausnahmslos deutsches Bundesrecht sind152, ohne dass es darauf ankäme, ob für einen Sachverhalt nun auf ausländisches oder deutsches Sachrecht verwiesen wird. Vielmehr produziert unser IPR unter Rückgriff auf eine nach eigenem Gutdünken kombinierte Melange fremden Rechtsordnungen entliehener Normsätze ein normatives Gesolltsein, dass in den in Bezug genommenen Rechtsordnungen gar nicht kongruent vorzufinden ist und dessen Zurechnungssubjekt daher notwendig allein der Bund ist153. Die „Anwendung ausländischen Rechts“ ist keine rechtstheoretische Kategorie, sondern eine Metapher, welche die Beschreibung bzw. Vorstellung kollisionsrechtlicher Verweisungen erleichtert. Autonomes deutsches IPR unterwirft die Parteien des deutschen Zivilprozesses ungeachtet einer Berücksichtung fremder Rechtsordnungen allein und vollständig dem deutschen Zivilrecht. Im Übrigen gilt die Erkenntnis aus der Spanierentscheidung154, dass die Reichweite der Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte auf einen Sachverhalt nicht davon abhängen kann, ob der einfache Gesetzgeber nun auf Normsätze des in- oder des ausländischen Sachrechts verweist155. Die einzige Möglichkeit des einfachen Gesetzgebers, einen Sachverhalt „nicht voll der deutschen Rechtsordnung zu unterstellen“, besteht daher in der Entscheidung, für diesen Sachverhalt die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte auszuschließen. Auch insoweit ist er aber aufgrund des Justizgewährungsanspruchs156 nicht frei von Verfassungsbindung157.
151 Kokott, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 71, 99, zugleich These Nr. 9, a.a.O., S. 110 f. 152 Vgl. oben S. 149 ff. 153 Siehe dazu oben S. 101. 154 BVerfGE 31, 58. 155 Zu diesem Fazit aus der Spanierentscheidung vgl. etwa Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2, § 7 Rn. 266; Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, S. 93; Isensee, VVDStRL 32 (1974), 49, 60; Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 45 ff.; Pfeiffer, in: FS Laufs, S. 1193, 1196; Tomuschat, IPRax 1996, 83 ff.; bereits vor der Spanierentscheidung in diesem Sinne Wengler, Anm. zu BGH, Beschl. v. 12. 2. 1964, IV AR (VZ) 39, 63, JZ 1964, 622 f.; ders., Anm. zu BGH, Urt. v. 29. 4. 1964, IV ZR 93/63, JZ 1965, 100, 101; Bernstein, NJW 1965, 2273 ff.; Stöcker, JZ 1965, 456, 457. 156 Eingehend Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und zivilprozessuale Gerechtigkeit, S. 337 ff. 157 Zudem sind die durch europäisches Zuständigkeitsrecht auf Grundlage der Artt. 61c, 65 EGV gelassenen Freiräume für autonomes IZPR im Schwinden begriffen.
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(b) Universelle Grundrechtsbindung oder Statuslehre Grundrechtsverpflichtet ist die deutsche Staatsgewalt158. Die Reichweite der Grundrechte in Sachverhalten mit Auslandsbezug ist daher zunächst einmal eine Frage nach dem Grundrechtsträger, ob also jedem Menschen für die Jedermann-Grundrechte Aktivlegitimation zukommt, der irgendwo von der deutschen Staatsgewalt betroffen wird. Insoweit ist aus dem Grundgesetz nach überzeugender, heute weitaus herrschender Betrachtungsweise jedenfalls keine allgemeine territoriale Begrenzung des Geltungsbereichs der Grundrechte, d.h. für das „Ob“ der Bindung deutscher Staatsgewalt an diese nach Art. 1 Abs. 3 GG, ableitbar159. Die Statuslehre etwa in ihrer Ausprägung bei Isensee160 hingegen, nach welcher der Grundrechtsprätendent der Gebiets- oder der Personalhoheit Deutschlands unterstehen muss und daher nicht in Deutschland ansässige Ausländer grundsätzlich keinen Grundrechtsschutz genießen, erfüllt gerade im Lichte US-amerikanischer Internierungslager auf Guantanamo Bay mit einem gewissen rechtsstaatlichen Unbehagen. Soll, wie es Isensees Schüler Heintzen161 ausführt, Art. 1 Abs. 3 GG wirklich nur die „nach innen“ gerichtete Staatsgewalt162 binden? Das BVerfG hat die Statuslehre jedenfalls als Grundregel für die Grundrechtsaktivlegitimation mit der Entscheidung „Telekommunkationsüberwachung I“163 verworfen: Die Bundesregierung hatte im Verfahren vorgetragen, Art. 10 GG schütze nicht den Fernmeldeverkehr von Ausländern im Ausland164, weil Auswirkungen der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland, die sich weder auf die Gebiets- noch auf die Personalhoheit zurückführen ließen, nicht unter Berufung auf die Grundrechte des Grundgesetzes abgewehrt werden könnten165. Dies hat das BVerfG kurzerhand dahin beschieden, dass das Eingreifen des Art. 10 GG auch bei im Ausland stattfindender Telekommunikation jedenfalls keinen anderen „territorialen Bezug“ 158
Stern, Staatsrecht III/1, § 72 V 5, S. 1232. Vgl. nur Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2, § 7 Rn. 261 ff.; Bernhardt, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. II, S. 154, 183 f.; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 316; Rainer Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 28 ff.; Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 33, 40 f.; Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf fremde Staaten, S. 293; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsnorm, S. 146 ff.; Schröder, in: FS Schlochauer, S. 137, 138; grundsätzlich Stern, Staatsrecht III/1, § 72 V 5, S. 1230; Tomuschat, IPRax 1996, 83. 160 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V2 , § 115 Rn. 83 ff.; ders. VVDStRL 32 (1974), 49 ff.; gegen eine grundsätzlich intransitive Grundrechtsgeltung auch Oppermann, FS Grewe, 521 ff. 161 Heintzen, Auswärtige Beziehungen privater Verbände, S. 109, 130 ff. 162 Dies als petitio principii einordnend Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 33, 42. 163 BVerfGE 100, 313. 164 Wiedergegeben in BVerfGE 100, 313, S. 338. 165 Wiedergegeben in BVerfGE 100, 313, S. 339. 159
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verlange, als dass diese durch Erfassung und Auswertung im Inland hinreichend mit inländischem staatlichem Handeln verknüpft sei166. Letztlich dürfte aber sogar aus der Statuslehre für das hier allein interessierende autonome IPR und seine Produkte als abstrakt-generell zu beurteilende Normen schon deshalb eine grundsätzliche Grundrechtsbindung folgen, weil es sich dabei nach den Erkenntnissen dieser Arbeit167 um deutsches Recht handelt, welches im Rahmen deutscher Prozesse für deutsche Urteile entscheidungserheblich wird, die mit vorhersehbarer Regelmäßigkeit über deutsche sowie im Inland ansässige ausländische Parteien ergehen. In einer entsprechenden prozessualen Situation muss eine deutsche bzw. im Inland niedergelassene Partei zudem bemerkenswerter Weise nach der Statusbetrachtung völlig ungeachtet der in Schurigs und Sterns Konzepten des Art. 6 EGBGB als maßgeblich implizierten Frage, welche Inlandsbeziehung der zu entscheidende Fall aufweist, grundrechtsberechtigt sein. Ein inländisches Grundstück oder ein Bankkonto schließlich, welche Isensee als für das partielle, sachbezogene Entstehen eines Jedermann-Grundrechts in der Person eines im Ausland lebenden Ausländers hinreichenden Gebietskontakt anerkennen will168, erscheinen kaum als intensivere Kontakte denn eine Unterwerfung unter einen deutschen Zivilprozess. Selbst wenn man also Minimalkontakte zur deutschen Rechtsordnung als Voraussetzung für die Grundrechtsaktivlegitimation erwägt, so muss sich, auch wer als nicht in Deutschland ansässiger Ausländer Partei im deutschen Zivilprozess ist, gegenüber deutschem IPR und seinen Produkten ohne Rücksicht auf das Ausmaß der Inlandsbeziehung des zu entscheidenden Sachverhalts auf die Jedermann-Grundrechte bereits deshalb berufen können, weil das autonome deutsche IPR in einem deutschen Prozess die Parteien deutschem Zivilrecht unterwirft.
(2) Prinzipienabwägung statt Regelkollisionsrecht Entscheidet aber demnach die Intensität des Inlandsbezugs des zu beurteilenden Falles nicht regelmäßig über die Anwendbarkeit der Grundrechte, sondern binden diese den deutschen Gesetzgeber regelmäßig gegenüber den Beteiligten eines deutschen Zivilprozesses auch insoweit, als dieser für Sachverhalte mit Auslandsbezug legiferiert, so muss die Berücksichtigung der Intensität des Inlands- bzw. des spiegelbildlichen Auslandsbezugs regelmäßig im Rahmen der Auslegung der als anwendbar erkannten Grundrechte erfolgen169. 166
BVerfGE 100, 313, Leitsatz 2. Vgl. oben S. 161 ff. 168 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V2 , § 115 Rn. 83 ff. 169 Vgl. in diesem Sinne auch Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 47: „Die Variable ist also immer das Maß der Grundrechtswirkung“. 167
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In der Zweitregisterentscheidung170 hat denn auch das BVerfG – den so häufig zitierten Satz der Spanierentscheidung stillschweigend unter den Tisch fallen lassend – die Idee, dass ein verminderter Inlandsbezug bei internationalen Sachverhalten bereits das „Ob“ des Eingreifens der Grundrechte hindern könne, gar nicht erst erwogen, sondern selbstverständlich angenommen, dass der deutsche Staat in internationalen Sachverhalten auch an Art. 9 Abs. 3 GG gebunden ist. Es hat stattdessen unter der Prämisse des Eingreifens der Grundrechte aufgrund der verminderten Gestaltungsmacht der Bundesrepublik im internationalen Verkehr die Verminderung der inhaltlichen Anforderungen der Grundrechte angenommen: „Berührt die Ausübung des Grundrechts zwangsläufig die Rechtsordnungen anderer Staaten und werden die widerstreitenden Interessen der Grundrechtsträger in einem Raum ausgetragen, der von der deutschen Rechtsordnung nicht mit alleinigem Gültigkeitsanspruch beherrscht wird, ist die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers größer als bei der Regelung von Rechtsbeziehungen mit inländischem Schwerpunkt. Namentlich ist es ihm nicht verwehrt, besondere Gegebenheiten zu berücksichtigen, die den ausgestaltungsbedürftigen Sachbereich prägen, sich aber seiner Verfügungsgewalt entziehen. So darf er auf die zwischenstaatlichen Beziehungen und auf die Rahmenbedingungen internationaler Märkte Bedacht nehmen. Auch dann bleibt er aber verpflichtet, dem Grundrecht die unter den obwaltenden und von ihm nicht beeinflußbaren Bedingungen größtmögliche Anwendung zu sichern“171.
Auch wenn nun der hier verwandte Begriff der „größtmöglichen Anwendung“ wiederum Irreführungspotential besitzt, ist das Schrifttum zur Reichweite der Grundrechte in internationalen Sachverhalten heute zu Recht von dem Gedanken geprägt, dass die Internationalität eines Sachverhaltes nicht das Eingreifen der Grundrechte, sondern erst ihren inhaltlichen Maßstab berührt172. Grundrechtsdogmatisch kann man in der Entscheidung eine Akzentverschiebung von der Abwehrdimension der Grundrechte hin zu einem Einwirkungsanspruch auf nicht voll von der deutschen Staatsgewalt beherrschte Sachverhalte im Sinne einer Schutzpflicht173, also von der Erfolgsverantwortlichkeit hin zur Bemühenslast174 sehen. Hierin zeigt sich ein prinzipieller Unterschied, wie das Grundgesetz einerseits und unser IPR andererseits auf die Internationalität eines Sachverhalts reagieren. Die kollisionsrechtliche Berücksichtung des Bezugs 170
BVerfGE 92, 26. BVerfGE 92, 41 f. 172 In diesem Sinne etwa Bernhardt, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. II, S. 154, 183 f. Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 315; Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 33, 40 f.; Rainer Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 28 ff., 130; Schröder, in: FS Schlochauer, S. 137 ff. 173 Eingehend zu diesem Phänomen bei Sachverhalten mit Auslandsbezug bereits Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 98 ff. 174 Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 123 ff. 171
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eines Sachverhaltes zu einer Rechtsordnung durch ein von den Sachnormen abstrahiertes, abschließendes Kollisionsrechtssystem ist für das Zivilrecht nur deshalb unabdingbar, weil die materiellen Zivilrechtsordnungen überwiegend aus Regeln (Normen, welche stets nur erfüllt oder nicht erfüllt sein können175) bestehen und daher im Rahmen ihrer Anwendung die Berücksichtigung des Maßes des Inlandsbezugs nur noch korrigierend über die Generalklauseln erlauben176. Bei den Grundrechten handelt es sich demgegenüber um etwas ganz anderes, nämlich Prinzipien (lat. principium, „Anfang, Ursprung, Grundlage“177). Unter Prinzipien versteht man allgemein Grundwertungen, die als Ausdruck einer über die Einzelfallentscheidung (Einzelwertung) hinausgehenden ratio juris systembildend wirken178. Das gegenüber Regeln besondere Merkmal von Prinzipien besteht nun darin, dass sie zueinander in Widerspruch treten und sich daher wechselseitig beschränken können179. Insbesondere für die deutsche Grundrechtsdogmatik hat sich für ihren Ausgleich der Begriff der „praktischen Konkordanz“180 verfestigt. Prinzipien sind also Optimierungsgebote181, die sich von Regeln gerade dadurch unterscheiden, dass sie in unterschiedlichem Maße erfüllt werden können182. Im Gegensatz zu zivilrechtlichen Regeln erlauben die Grundrechte als Optimierungsgebote uneingeschränkt noch im Rahmen ihrer Anwendung eine Berücksichtigung der Internationalität eines Sachverhaltes183 (zum Gedanken der Einordnung in die Staatengemeinschaft als Optimierungsgebot von Verfassungsrang vgl. unten S. 207 ff.). Der Verfassung kann daher kein ungeschriebenes, außerhalb der Grundrechte liegendes, von diesen abstraktes und zugleich abschließend vollständiges Kollisionsrechtssystem entnommen werden. Zu Recht stellt vielmehr Rainer Hofmann fest, dass auch die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes bei heterogen verknüpften Sachverhalten keinen „außerhalb der Verfassung begründeten Eingriff in den umfassenden Geltungsanspruch dieser Grundrechtsordnung“184 erlaubt. Will man nicht gar die Unterscheidung zwischen Deutschen- und Menschengrundrechten oder Art. 19 Abs. 3 GG zum Kollisionsrecht stilisieren, ist eine kollisionsrechtliche Anknüpfung für die Gesamtheit 175
So die Definition bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76. Vgl. etwa BGHZ 59, 82 ff.: Sittenwidrigkeit eines das nigerianische Ausfuhrverbot für Kunstgegenstände missachtenden See-Güterversicherungsvertrags. 177 Näher Rehfus (Hrsg.), Handwörterbuch Philosophie, Stichwort Prinzip, S. 568. 178 Vgl. nur Esser, Grundsatz und Norm4, S. 43 ff. 227 ff. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 46 ff; Larenz, Methodenlehre 6 , S 165 ff. insb. 169 ff. 179 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 52 ff. 180 Prägend Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland 20 , Rn. 317. 181 Eingehend Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff. 182 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76. 183 In diesem Sinne bereits Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 33, 66, These 8. 184 Rainer Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 68. 176
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der Grundrechte konstruktiv nur so formulierbar, dass die Anwendbarkeit der Grundrechte voraussetzt, dass der handelnde – nach Isensee: der Gebiets- oder Personalhoheit ausübende – Staat der deutsche ist. Die weiteren „spezifisch kollisionsrechtlichen Wertungen“, insbesondere die Berücksichtigung des Ausmaßes, in dem ein über die Befassung eines deutschen Gerichts hinausgehender Inlandsbezug vorliegt, können innerhalb der Auslegung der als „anwendbar“ erkannten Grundrechte erfolgen. Der Satz der Spanierentscheidung mit bleibender Bedeutung, der regelmäßig nicht zitiert wird, lautet daher: „Eine sinngerechte Auslegung der Grundrechte läßt durchaus eine Berücksichtigung der hier [beim heterogen verknüpften Sachverhalt] bestehenden Besonderheiten zu“185. Aus all dem folgt, dass schon die von Schurig mit dem Bezug auf das Kegelsche Modell implizierte, kategorische Unterscheidung von „Sachrechtssatz“ ohne kollisionsrechtliche Wertung und kollisionsrechtlichem „Anknüpfungsmoment“ die Wirkweise der Grundrechte nicht abzubilden vermag. Vor diesem Hintergrund ist auch die bei Kollisionsrechtswissenschaftlern geläufige Wendung186 unscharf, dass „die Abweichung des nach IPR anwendbaren fremden Rechts von einer inländischen Grundrechtsnorm nicht stets eine Grundrechtsverletzung“ bedeute, da eine „nicht verletzende Abweichung“ nicht definiert ist: Wenn einem Grundrecht unter Berücksichtigung der Internationalität des Sachverhalts Genüge getan ist, liegt auch keine Abweichung vom Grundrecht vor; anderenfalls ist es verletzt187.
(3) Folgerungen Das „Ob“ des Eingreifens eines Menschengrundrechts hängt nicht regelmäßig von einem über die Begründung der Zuständigkeit eines deutschen Gerichts hinausgehenden Inlandsbezug ab. Vielmehr ist jedes deutsche Gericht an die Verfassung, insbesondere deren Grundrechte gebunden (Artt. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). Ein deutsches Gericht kann daher jedenfalls nicht mit der Begründung, es fehle ein hinreichender Inlandsbezug, die Grundrechte insgesamt als „nicht kollisionsrechtlich berufen“, d.h. unanwendbar einordnen und a priori außer Acht lassen. Daher geht es also zumindest hinsichtlich der durch Art. 6 EGBGB konkretisierten Verfassungsanforderungen nicht um eine besondere Kollisionsnorm dergestalt, dass die „allgemeinen“ Kollisionsnormen ohne jede Verfassungskontrolle dort zum Zuge kommen, wo mangels hinreichenden Inlandsbezugs die „wesentlichen Grundsätze“ der deutschen Rechtsordnung, 185 BVerfGE 31, 58, 77; ganz in diesem Sinne etwa auch Bernhardt, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. II, S. 154, 183 f. 186 Vgl. etwa Kropholler, IPR6 , § 36 IV 1, S. 252; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, S. 123. 187 Vgl. präzise Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 33, 50: Ein gerechtfertigter Grundrechtseingriff ist keine Verletzung.
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insbesondere die Grundrechte, nicht kollisionsrechtlich berufen sind, sondern um einen umfassenden Vorrang der Verfassungsprinzipien. Mit dieser Erkenntnis gerät insbesondere Schurig in Widerspruch, wenn er die Befassung der deutschen Staatsgewalt mit einem Sachverhalt als dessen alleinigen Inlandsbezug im Sinne einer „kollisionsrechtlichen Anknüpfung“ im Rahmen des ordre public nur bei „besonders schwerwiegenden Grundsatzverstößen“ wie Menschenrechtsverstößen genügen lassen will188. Von der Unabdingbarkeit eines Inlandsbezugs für die „kollisionsrechtliche Berufung der wesentlichen Rechtsgrundsätze“ kann man, wie gesagt, nur sprechen, wenn man bereits die Befassung eines deutschen Gerichts als stets hinreichenden Inlandsbezug des streitbefangenen Sachverhalts begreift, wenn man also bereits den schlichten Umstand, dass der deutsche Staat Adressat der Verpflichtung zur Beachtung der Grundrechte ist, als die kollisionsrechtliche Anknüpfung wertet. In aller Entschiedenheit ist daher der Aussage Schurigs, dass stets die Frage sei, ob die Grundprinzipien der deutschen lex fori „im Einzelfall heranzuziehen“ sind189, zu widersprechen, weil Grundrechte von einem deutschen Gericht regelmäßig auch für heteronom verknüpfte Sachverhalte entscheidungsleitend „heranzuziehen“ – d.h. auf diese anwendbar – sind. Hiervon scharf zu unterscheiden ist die in der Tat vom Ausmaß des Inlandsbezugs abhängige Frage, ob die Grundrechte auch ergebnisrelevant werden, d.h. der kollisionsrechtlichen Anwendung eines fremdem Recht entnommenen Normsatzes im Einzelfall entgegen stehen. Die Verfassungprinzipien werden also entgegen Stern und Schurig vom deutschen Richter nicht erst bei Vorliegen einer „unter Bewertung kollisionsrechtlicher Interessen“ ermittelten Inlandsbeziehung ausschließlich bei Eingreifen des ordre public „in casu ,angewandt‘“190. „Angewandt“ hat der deutsche Richter ein Grundrecht im Rahmen der Konkretisierung des Art. 6 EGBGB auch immer dann, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass der Schutzbereich eines Grundrechts durch Anwendung eines fremdem Recht entliehenen Normsatzes tangiert wird, dieses der Anwendung in casu aber nicht entgegensteht.
c) Die Einwirkung des ordre public auf die „Grund“-Verweisung aa) Der kassierende Aspekt Würde sich nun die Ordre-public-Kontrolle darauf beschränken, nach Maßgabe des unbestimmten Rechtsbegriffs der „wesentlichen Grundsätze“ in abstrakt genereller Betrachtung unverträgliche Normsätze vollständig zu kassieren, so ergäbe sich daraus kein Anlass, den ordre public anders denn als Begren188 189 190
Kegel/Schurig, IPR9, § 16 II, S. 527 f. Kegel/Schurig, IPR9, § 16 II, S. 520 f. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 265.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
zung der Zuweisung der Rechtsmacht zu begreifen; es ergäben sich keine Argumente gegen eine Einordnung der Gesamtverweisung als besondere Form der Delegation: Es würde im Ergebnis nur durch den Deleganten der Umfang der zugewiesenen Rechtsmacht definiert; damit unvereinbare Normen wären wegen Überschreitung der zugewiesenen außerordentlichen Rechtsmacht genauso unwirksam wie „normale“ inländische Vorschriften. Dieser Gedanke steht augenscheinlich hinter den Positionen von Marti191, der den ordre public schlicht als Interpretationsregel hinsichtlich der Reichweite der „Grund“-Verweisungen auf ausländisches Recht versteht, und Neumayer, für den die Vorbehaltsklausel keine Kollisionsnorm, sondern nur ein gesetzlicher Vorbehalt gegen Kollisionsnormen ist192. Als solche Begrenzung der zugewiesenen Rechtsmacht wäre der ordre public in der Tat „Bestandteil“ jeder kollisionsrechtlichen Gesamtverweisung verstanden als bereits die Kompetenznormen einschränkende unvollständige Norm. Für ein rein kassierendes Korrektiv ließe sich zudem gegen das Erfordernis einer eigenen Gesetzgebungskompetenz der erlassenden Stelle für das Zivilrecht einwenden, dass durch die Eingrenzung der in Bezug genommenen Normen selbst nach einem inhaltlichen Maßstab nicht das Prinzip der unmodifizierten Anwendbarkeit der in Bezug genommenen Normen tangiert würde. Dies gilt auch, soweit die „wesentlichen Grundsätze“ des Art. 6 EGBGB nicht bereits durch die Verfassung zwingend vorgegeben sind. Lässt die Verfassung allerdings einen weiteren Rahmen, als die Konkretisierung der „wesentlichen Grundsätze“ dem „ausländischen Recht“ zubilligt, lässt sich argumentieren, dass die Regelkompetenz verstanden als Regelungsmacht für einen Sachbereich, die inhaltlich nur durch die Verfassung begrenzt wird, nicht vollständig übertragen wird. Denn die Verfassung eröffnet dann einen inhaltlichen Gestaltungsspielraum, der der in Bezug genommenen Rechtsordnung nicht eingeräumt wird. Ohnehin wird zudem nach der Technik der Gesamtverweisung nicht einem Staat umfassend die Regelungsmacht für bestimmte Regelungskomplexe des Zivilrechts zugeordnet, sondern diese wird durch die kollisionsrechtliche Anknüpfung aufgespalten und einer Vielzahl von Staaten zugewiesen. Beides ist allerdings mit dem rechtstheoretischen Konzept der Delegation ohne weiteres kompatibel: wie gesagt, unterscheidet bereits Triepel die von ihm sog. „totale Delegation“, bei der eine außerordentliche Kompetenz im vollen Umfang der Regelkompetenz zugewiesen wird, von der „partiellen Delegation“193, die Reinhardt194 als „Spezialdelegation“ bezeichnet. 191 192 193 194
Marti, Der Vorbehalt des eigenen Rechtes im IPR der Schweiz, S. 68 ff. Neumayer, in: FS Dölle, Bd. II, S. 178, 190. Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 93 ff. Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 26.
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Dass in fremdem Recht aufgefundene Normsätze nach Maßgabe des ordre public ganz von der Anwendbarkeit ausgeschlossen werden, steht demnach der Annahme einer Delegation nicht entgegen, ist also kein Argument dafür, dass die selbst bei abstrakt genereller Betrachtung für den reinen Inlandssachverhalt mit den wesentlichen deutschen Rechtsgrundsätzen zu vereinbarenden, fremdem Recht entliehenen Normsätze zu innerhalb der deutschen Rechtsordnung selbständig geltenden Normen werden.
bb) Der modifizierende Aspekt: dynamische Verweisung Wie bereits ausgeführt, bewirkt aber der ordre public auch eine Anwendungskontrolle im Einzelfall. Selbst dem ausländischen Recht entnommene Normsätze, die bei abstrakt genereller Betrachtung unter Ausblendung der Idee des verminderten Inlandsbezugs grundrechtswidrig sind, werden nicht einfach kassiert, sondern im zu entscheidenden Fall dennoch angewandt, wenn das konkrete Anwendungsergebnis hinnehmbar ist195, wenn also entweder die Wesensfremdheit des Normsatzes gegenüber inländischen Wertvorstellungen sich im zu entscheidenden Fall nicht auswirkt oder aufgrund des geringen Inlandsbezugs noch erträglich erscheint. Ausländische Normen werden also, wie gesagt, nicht kassiert, sondern in besonderer Weise geltungserhaltend reduziert. Dies ist als kompetenzrechtliche Beschränkung (Ebene der Kreationsnormen196 bzw. secondary rules197) der „Grund“-Verweisung nicht mehr zu erklären; vielmehr wird hier der Inhalt des Verweisungsprodukts, der dem fremden Recht entliehene Normsatz auf regulativer Ebene (primary rules), modifiziert. Soweit die „wesentlichen Grundsätze“ einen Anwendungsausschluss im Einzelfall begründen, handelt es sich bei der Ordre-public-Kontrolle also um eine dynamische Verweisung auf der Ebene der regulativen Rechtssätze, eine unvollständige negative Norm, die im Ergebnis den Tatbestand des durch die „Grund“-Verweisung mit inländischer Geltung versehenen Normsatzes ausländischer Herkunft einschränkt, und die zumindest insoweit Gesetzgebungskompetenz für das Zivilrecht voraussetzt, als der Ausschluss der Anwendung fremdem Recht entnommener Normsätze nicht bereits zwingend von der Verfassung geboten ist.
195 Vgl. nur Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2 , § 7 Rn. 266; Kropholler, IPR6 , § 36 II 1, S. 245; Spickhoff, Der ordre public im IPR, S. 79 f. 196 So die Terminologie bei Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. 197 Hart, The Concept of Law2 , S. 79 ff.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
d) Konsequenzen für die Einordnung der Gesamtverweisung aa) Kein Einwand gegen den kompetenzrechtlichen Charakter Nun kann man sich fragen, ob sich nicht mit der Einschätzung, dass die dynamische Verweisung das Verweisungsobjekt inkorporiere198, begründen lasse, dass jede „Grund“-Verweisung insgesamt in Art. 6 EGBGB inkorporiert werde, so dass letztlich für das gesamte deutsche IPR nur von einer in Art. 6 EGBGB zu verortenden dynamischen Verweisung auf der Ebene des regulativen Rechts auszugehen sei. Dagegen spricht aber bereits, dass die Inkorporation nur ein Bild dafür ist, dass das Bezugsobjekt der dynamischen Verweisung als „Baustein“ der Synthese einer Norm dient und nur als solcher in die verweisende/synthetisierende Norm inkorporiert wird. Das bedeutet, dass eine Inkorporation nur so weit angenommen werden kann, wie Tatbestand und Rechtsfolge des in der Verweisungsnorm synthetisierten Normsatzes reichen. Daraus folgt, dass die einschränkenden Rechtssätze im Rahmen ihrer „negativen Geltungsanordnung“ (Larenz) nicht etwa die eingeschränkte Norm vollständig inkorporieren und dadurch als selbständige beseitigen, weil die positiv angeordnete Rechtsfolge des in Bezug genommenen Rechtssatzes sich nicht aus dem einschränkenden Rechtssatz ergibt. Vielmehr überlagert die einschränkende Norm die eingeschränkte Norm im Sinne einer Spezialnorm. Insbesondere für ausländischem Recht entliehene Normsätze, die bereits bei abstrakt genereller Betrachtung und Unterstellung eines maximalen Inlandsbezugs unbedenklich erscheinen, trifft der negative ordre public keine Aussage, weshalb diese genauso nicht in Art. 6 EGBGB inkorporiert werden, wie die Rechtsnormen des BGB nicht in die Grundrechte des Grundgesetzes inkorporiert werden.
bb) Vorläufige Einordnung als dynamisch verweisende, konservierende Delegation Allerdings zeigt sich daran, dass Art. 6 EGBGB enger ist, als die Grenzen der Verfassung, dass der inländische Gesetzgeber sich trotz der grundsätzlichen Zuweisung der Gestaltungsmacht an fremde Rechtsquellen selbst noch eine modifizierende Gestaltung vorbehält. Das entspricht nach der von Triepel 199 begründeten Terminologie einer „konservierenden Delegation“200. Während Triepel diese Delegationsform als dadurch geprägt ansieht, dass der Delegant 198 Vgl. Arndt, JuS 1979, 784 f.: Brugger, VerwArch 78 (1987), 1, 4, der auch von „externer Auffüllung“ spricht; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 65 f.; Grauer, Die Verweisung im Bundesrecht, insbesondere auf Landesrecht, S. 24; Guckelberger, ZG 2004, 62, 63 f.; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 20; Schenke, NJW 1980, 743. 199 Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 53 f. 200 Dazu näher auch Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 22, 26.
D. Einordnung der Gesamtverweisung
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sich vorbehalte, „nach Gefallen die gleiche Kompetenz auch selber auszuüben“201, äußert Barbey 202 gegen von ihm sog. „kumulativ konkurrierende Zuständigkeiten“ rechtsstaatliche Bedenken, hält die konservierende Delegation aber jedenfalls dann für möglich, wenn die Ausübung der einen Zuständigkeit davon abhängig ist, dass die Ausübung der anderen faktisch unmöglich („Gefahr im Verzug“) oder rechtlich unzulässig ist – von ihm so genannte „alternativ konkurrierende Zuständigkeit“203. Innerhalb dieser Unterteilung spricht für die Einordnung des ordre public als Fall kumulativ konkurrierender Kompetenz, dass dieser die über die Grundverweisung maßgebliche Norm modifizierend überlagert. Allerdings ist mit dem vorrangigen Maßstab der „wesentlichen Grundsätze“ und der Beschränkung des Eingriffs auf geltungserhaltende Reduktion und anschließende Lückenfüllung sichergestellt, dass es nicht zu einem willkürlichen Normengemenge aufgrund doppelter Kompetenzen kommen kann. Wie bereits erläutert204, folgt das eigentliche Problem kaum koordinierten Nebeneinanders von Normsätzen aus dem partiellen Charakter der Verweisung, wenn etwa Normsätze aus dem Erbrecht des Staates A mit Normsätzen aus dem Güterrecht des Staates B kombiniert werden und dies zu Normenmangel oder Normenhäufung führt. Die Überlagerung der „Grund“-Verweisung durch Art. 6 EGBGB steht nach alledem deren Einordnung als delegierende Rechtsquellennorm nicht entgegen; gegebenenfalls ist aber aufgrund des Art. 6 EGBGB von einem kumulativ konservierend delegierenden Charakter auszugehen.
2. Exkurs: Korrigierende/kumulative Anknüpfung Da diese Bearbeitung nach der grundsätzlichen Einordnung der Technik der Inbezugnahme fremden Kollisionsrechts forscht, können besondere Formen der Anknüpfung vernachlässigt werden. Dennoch sei kurz festgehalten, dass sich die Erwägung zum allgemeinen negativen ordre public auch auf korrigierende Anknüpfungen, etwa in Form spezieller Vorbehaltsklauseln 205, übertragen lassen. Wenn beispielsweise die grundsätzliche Maßgeblichkeit des Heimatrechts eines jeden Verlobten für die Voraussetzungen der Eheschließung (Art. 13 Abs. 1 EGBGB, sog. gekoppelte Anknüpfung 206)207 bei Fehlen einer 201
Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 53, Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 124. 203 Dem folgend Lauscher, Die Delegation von Hoheitsrechten durch Gemeinden und Gemeindeverbände, S. 54, der freilich entgegen Barbey zwischen Zuständigkeit und Kompetenz unterscheidet; kritisch auch Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 140 ff. 204 Vgl. oben S. 93 ff. 205 So der Begriff bei Kropholler, IPR6 , § 36 VIII, S. 259. 206 Begriff bei Kropholler, IPR6 , § 20 V, S. 145. 207 Hier wird von einer Beachtlichkeit der Rück- und Weiterverweisung ausgegangen, vgl. nur Heldrich, in: Palandt66 , Art. 13 EGBGB Rn. 1. 202
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
dem Heimatrecht entnommenen Voraussetzung gemäß Art. 13 Abs. 2 EGBGB unter weiteren Voraussetzungen durch Anwendbarkeit deutschen Rechts modifiziert wird, so überlagert Art. 13 Abs. 2 EGBGB die durch Art. 13 Abs. 1 EGBGB herangezogenen Normsätze als dynamische Verweisung auf deutsches Sachrecht im Sinne einer Spezialvorschrift. Da trotz dieser Überlagerung Fälle übrig bleiben, in denen einerseits das Vorliegen der Voraussetzungen nach dem Heimatrecht trotz Nichterfüllung der Voraussetzungen nach deutschem Recht maßgeblich wird und andererseits das Fehlen der Eheschließungsvoraussetzungen nach den jeweiligen Heimatrechten der Eheschließung über Art. 13 Abs. 1 EGBGB entgegensteht, wird die „Grund“-Verweisung in Art. 13 Abs. 1 EGBGB nicht vollständig in Art. 13 Abs. 2 EGBGB inkorporiert; für diese bleibt es also bei der kompetenzrechtlichen Betrachtung. Ebenfalls um eine im Wege dynamischer Verweisung gewonnene, überlagernde Spezialnorm handelt es sich bei Art. 17 Abs. 3 S. 1 EGBGB. Trotz sehr weitgehender Überlagerung wird also der kompetenzrechtliche Charakter der „Grund“-Verweisung nicht völlig beseitigt, wenn auch das Produkt ein eigentümliches Hybrid aus dynamischen Verweisungen auf der Ebene der Kompetenznormen einerseits und auf der Ebene der regulativen Normen andererseits darstellt.
3. Unbeachtlichkeit des ausländischen ordre public? Ferner ist die Behandlung des Sonderfalles streitig, dass unser Kollisionsrecht auf fremdes Recht verweist, welches seinerseits grundsätzlich auf deutsches Sachrecht zurückverweist, einen bestimmten deutschen Sachrechtssatz aber wegen Verstoßes gegen den eigenen (fremden) ordre public nicht anwenden würde. Überwiegend wird angenommen, dass in diesem Fall der fremde ordre public zu berücksichtigen sei 208; teilweise wird aber die Anwendung des deutschen Sachrechtssatzes vertreten 209. Diese Position, welche vom Verfasser schon deshalb nicht geteilt wird, weil sie keine Stütze im Gesetz findet, begründet ihrer Struktur nach einen besonderen Fall des (partiellen) Verweisungsabbruchs, der sogleich beleuchtet werden soll.
4. Verweisungsabbruch Eine weitere, prinzipielle Modifikation der Gesamtverweisung liegt im Verweisungsabbruch (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB), mit dem auf das Problem reagiert wird, dass Gesamtverweisungen ohne Regelungen für den Verweisungsabbruch zu Gunsten der Sachvorschriften eines Staates zu einem infiniten „Verweisungspingpong“ zwischen den Kollisionsrechten zweier Staaten führen 208 Vgl. nur Gebauer, in: FS Jayme, S. 223, 233; Sonnentag, Der Renvoi im IPR, S. 125 f., jeweils m.w.N. 209 Stephan Lorenz, in: FS Geimer, S. 555, 561 ff. m.w.N.
D. Einordnung der Gesamtverweisung
197
könnten. Art. 4 Abs. 1 S. 2 EBGB ordnet für den Fall, dass das Kollisionsrecht eines anderen Staates, auf welches deutsches Kollisionsrecht verweist, wiederum auf deutsches (Kollisions-)Recht zurückverweist, an, dass jedenfalls die deutschen Sachvorschriften anzuwenden sind. Die darüber hinausgehende Ansicht, wonach auch bei einer nicht angenommen Weiterverweisung abzubrechen und das Recht des 2. Staates anzuwenden sein soll210, ist demgegenüber bereits oben mit der wohl heute herrschenden Sicht 211 abgelehnt worden. Ferner ist ebenfalls bereits ausgeführt worden 212, dass die Lösung des Problems des Rückverweisungspingpongs durch Verweisungsabbruch nach Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB nicht mehr als Anwendung des fremden Rechts begriffen werden kann. Auch diese Vorschrift ist letztlich eine unvollständige Norm, welche die kraft „Grund“-Verweisung mit inländischer Geltung versehenen Normsätze ausländischer Herkunft einschränkt; anders als Art. 6 EGBGB zieht sie allerdings ohne weiteres deutsches Sachrecht heran. Im Wege der dynamischen Inbezugnahme der Normsätze des auf deutsches Recht grundsätzlich zurückweisenden Kollisionsrechts wird der Befehl eben dieses Kollisionsrechts, die deutsche Rückverweisung zu beachten und sodann die Verweisungskette zu Gunsten des eigenen (ausländischen) Rechts abzubrechen, für die deutsche Rechtsordnung außer Kraft gesetzt und durch eine Sachnormverweisung auf deutsches Recht ersetzt. Die „positive Anordnung“ des ausländischen Kollisionsrechts, grundsätzlich nach bestimmten Anknüpfungsmomenten auf andere Kollisionsrechte zu verweisen, aus der die (Rück-)Verweisung auf deutsches Recht erst folgt, wird hingegen in Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB nicht inkorporiert. Der Befund ähnelt daher demjenigen zu Art. 6 EGBGB: Die Einschätzung, dass aus ausländischen Rechtsordnungen gewonnene, gegebenenfalls vollständige Normsätze durch die „Grund“-Verweisungen des deutschen IPR grundsätzlich im Inland mit Geltung versehen und dadurch zu selbständigen Rechtsnormen der deutschen Rechtsordnung werden, wird durch Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB nicht in Frage gestellt. Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB führt allerdings zu einem partiellen Anwendungsausschluss infolge der Überlagerung der „Grund“-Verweisung mit einer aus dynamischer Verweisung gewonnen Spezialnorm. Insoweit kommt wiederum die Einordnung der „Grund“-Verweisung als konservierend delegierende Rechtsquellennorm in Betracht.
210
RGZ 64, 389, 394; Ferid, IPR 3, Rn. 3–104; Kropholler, IPR6 , § 24 II 4, S. 174 f. m.w.N. BayOBLG, IPRspr. 1972, Nr. 128, S. 348, 350 f.; Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 6 Rn. 104; Sonnenberger, in: MüKo BGB4, Art. 4 EGBGB Rn. 37 m.w.N. 212 Siehe dazu S. 96 f. 211
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
III. Erste Folgerungen 1. Die Gesamtverweisung gehört zu den konstitutiven bzw. Geltungsnormen Die Produkte der Inbezugnahme des fremden Kollisionsrechts durch deutsches IPR sind nur dann vollständige Rechtssätze, wenn schon die gegebenenfalls mittelbaren Bezugsobjekte – die Sachnormverweisungen – vollständige Rechtssätze des Privatrechts sind. Die jeweilige „Grund“-Verweisung zielt darauf ab, diesen Rechtssätzen innerstaatliche Geltung zu verschaffen, ohne sie in ihrer Satzstruktur zu modifizieren, was diese prima vista zu selbständigen Normen der deutschen Rechtsordnung unter Einordnung ihrer jeweiligen ausländischen Rechtsquelle als Rechtsquelle des Bundesrechts macht. Zwar kommt es vor allem durch die für jede Verweisung maßgebliche Ordre-public-Kontrolle im Einzelfall, aber auch durch den Abbruch der Gesamtverweisung im Ergebnis gegebenenfalls zu erheblichen Modifikationen der dem ausländischen Recht entnommenen Rechtssätze. Die Artt. 6 und 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB umfassen allerdings insoweit aus dynamischer Verweisung gewonnene, einschränkende Rechtssätze. Solche einschränkenden Rechtssätze im Sinne Larenz’ inkorporieren aber im Rahmen ihrer „negativen Geltungsanordnung“ nicht die eingeschränkte Norm vollständig, weil die positiv angeordnete Rechtsfolge des in Bezug genommenen Rechtssatzes sich nicht aus dem einschränkenden Rechtssatz ergibt. Vielmehr überlagert die einschränkende Norm die eingeschränkte Norm im Sinne einer Spezialnorm, ohne die Selbständigkeit der eingeschränkten Norm vollständig zu beseitigen. Wenn aber die „Grund“-Verweisungen sich darauf beschränken, Rechtssätzen ausländischer Herkunft ohne inhaltliche Modifikation Geltung zuzuweisen, also ihnen gegenüber selbständige Normen des Bundesrechts zu schaffen, und auch insbesondere die Modifikation durch den ordre public deren Selbständigkeit nicht durch vollständige Inkorporation der Produkte der „Grund“-Verweisungen in Art. 6 EGBGB beseitigt, so bleibt es dabei, dass die Grundtechnik der Gesamtverweisung eine kompetenzrechtliche Figur ist; sie verlässt die Ebene der regulativen Normen und operiert auf der Ebene der konstitutiven bzw. Geltungs-/Kreationsnormen213 (secondary rules im Sinne Harts 214).
213 214
So die Terminologie bei Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. Hart, The Concept of Law2, S. 79 ff.
D. Einordnung der Gesamtverweisung
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2. Korrektur des Bildes von der „Annahme der Verweisung“ Damit ist insbesondere das in der kollisionsrechtlichen Literatur gebräuchliche Bild, dass nur dann, wenn eine Rechtsordnung, welche durch unser IPR – gegebenenfalls mittelbar über weitere Gesamtverweisungen – in Bezug genommen wird, auf ihr eigenes Sachrecht verweist, diese Rechtsordnung die Verweisung „annehme“, unzutreffend: Die Gesamtverweisung findet auf der Ebene der regulativen Normen (Kompetenzgefüge) statt, während bereits die Sachnormverweisung und nicht erst die Sachnorm auf der Ebene der regulativen Normen (Privatrecht) operiert. Deshalb wird die Gesamtverweisung als Kompetenzzuweisung stets dadurch „angenommen“, dass eine in Bezug genommene Rechtsordnung eine Sachnormverweisung ausspricht, also die Kompetenz ausübt, anstatt selbst eine Gesamtverweisung auszusprechen. Ob dabei auf eigenes oder fremdes Sachrecht verwiesen wird, ist rechtstheoretisch nicht entscheidend. Der Staat, der am Ende der Kette von Verweisungen auf fremdes Kollisionsrecht die Sachnormverweisung ausspricht, (bzw. dessen Normsetzungsorgane) wird (werden) – Verfassungskonformität vorausgesetzt – zu(m) außerordentlichen Gesetzgebungsorgan(en) für die deutsche Rechtsordnung.
IV. Fehlendes Normsetzungsbewusstsein des Delegatars Von den gewöhnlich unter dem Stichwort der Delegation von Gesetzgebungskompetenz betrachteten Fällen unterscheidet die Gesamtverweisung schließlich neben der mehrstufigen dynamischen Inbezugnahme fremder Kompetenzordnungen auch noch, dass die Empfänger der Gestaltungsmacht diese nicht notwendig bewusst und zielgerichtet ausüben: Ein fremder Gesetzgeber wird selten darüber nachdenken, ob er mit dem Erlass einer Sachnormverweisung zugleich deutsches Recht produziert, wenn auch das Bewusstsein, dass deutsches IPR mitunter auf fremdes verweist, in vielen Staaten selbstverständlich vorhanden ist. Dies führt zu der Frage, ob aufgrund dieser für dynamische Verweisungen typischen Besonderheit gar neben der Delegation eine weitere Figur der kompetenzrechtlichen Anknüpfung an fremdes Recht isoliert werden muss, für welche die Bezeichnung als verweisende Delegation in Betracht kommt. Fraglich ist mit anderen Worten, ob die Figur nun gegenüber der Delegation ein aliud oder nur ein Unterfall ist. Dabei ist insbesondere zu bedenken, ob sich an die Frage des Legiferierungsbewusstseins des Delegatars jenseits reiner Rechtstheorie auch Konsequenzen knüpfen. Schon das Beispiel des Gewohnheitsrechts, für dessen Entstehung nur die Übung in der Überzeugung, dass diese geltendes Recht sei – opinio iuris – nicht aber die Überzeugung, Recht gerade erst zu setzen, erforderlich ist 215, zeigt, 215
Vgl. etwa Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, S. 215. Das gilt ge-
200
Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
dass unsere Rechtsordnung Recht kennt, welches ein Legiferierungsbewusstsein der dieses schaffenden Stelle nicht voraussetzt. Nach Ansicht des Verfassers ist daneben entscheidend, dass das Normsetzungsbewusstsein des Delegatars für die Eigenschaft der gesamtverweisenden Norm als konstitutiver (Kreationsnorm 216 bzw. secondary rule 217) schlicht irrelevant ist. Auch alle verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine „herkömmliche“ Delegation müssen ebenfalls erfüllt sein: Wenn eine Rechtsmacht einer Stelle nicht zur bewussten Ausübung zugewiesen werden kann, so kann sie dieser Stelle a fortiori nicht zur unbewussten Ausübung verschafft werden. Demnach ist ein Bewusstsein des Delegatars der Legiferierung für die delegierende Rechtsordnung bei Ausübung der delegierten Kompetenz keine Voraussetzung der Delegation.
V. Wesentliches Ergebnis: Dynamisch verweisende Delegation Die in Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB für das deutsche IPR normierte Grundtechnik der dynamischen Inbezugnahme fremden Kollisionsrechts umfasst eine aus dynamischer Verweisung auf die Kompetenzordnungen fremder Rechtsordnungen gewonnene, kumulativ konservierende, partielle218 Delegation. Sie stellt einen Unterfall der Delegation mit der Besonderheit dar, dass die Delegatare der hierdurch zugewiesenen Gestaltungsmacht diese gegebenenfalls unbewusst ausüben. Will man diese Besonderheit betonen, kann man von dynamisch verweisender Delegation sprechen.
VI. Begriffsvorschläge und weitere Folgerungen 1. Eigene Begriffsvorschläge: IPR-Delegation; internationale Organleihe Damit zeigt sich, dass der bis hier vorläufig verwandte Begriff der Gesamtverweisung ebenso irreführend ist, wie der Alternativbegriff der IPR-Verweisung. Die Inbezugnahme fremden Kollisionsrechts ist zwar dynamische Verweisung, aber im Gegensatz zur Sachnormverweisung keine Verweisung auf der Ebene der regulativen Normen, sondern auf der Ebene des Kompetenzrechts. Sie ist eine aus dynamischer Verweisung gewonnene Delegation: ausländische Rechtsquellen werden – Verfassungskonformität vorausgesetzt – im Wege der Abännauso auch für die „allgemeine Überzeugung“ beim normativ (§ 346 HGB) wirkenden Handelsbrauch, vgl. zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von opinio iuris und allgemeiner Überzeugung Schinkels, in: Pfeiffer (Hrsg.), Handbuch der Handelsgeschäfte, § 5 Rn. 9. 216 So die Terminologie bei Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. 217 Vgl. Hart, The Concept of Law2 , S. 79 ff. 218 Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 26, verwendet hierfür den Terminus der Spezialdelegation.
D. Einordnung der Gesamtverweisung
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derung der Kompetenzordnung der Verfassung durch einfaches Bundesgesetz zu Rechtsquellen des Bundesrechts erhoben. Im Gegensatz zur bloßen Machtanknüpfung der dynamischen Verweisung in Form einer Sachnormverweisung ist die Gesamtverweisung im Wege der Machtanknüpfung gewonnene Machtzuweisung an denjenigen Staat, der eine Sachnormverweisung ausspricht, als außerordentliches Gesetzgebungsorgan innerhalb der internen Organisation der Bundes. Dieser ist alleiniges Zurechnungssubjekt der kraft bundesrechtlicher Kollisionsnorm zum Entscheidungsmaßstab inländischer Prozesse erhobenen Normsätze. Dies bedeutet eine internationale Organleihe219, wie sie Wengler 220 für das IPR insgesamt angenommen hat: Ein fremder Staat bzw. die Gesamtheit seiner Rechtsquellen werden im Rahmen der Inbezugnahme zu Rechtssetzungsorganen für den Bund erhoben. Da der präzise Begriff der dynamisch verweisenden, partiellen und kumulativ konservierenden Delegation aber mehr als sperrig ist und die hierdurch bezeichnete Technik allein im IPR vorkommt, soll im Folgenden der kürzere Begriff der IPR-Delegation verwandt werden.
2. Die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) ist öffentliches Recht Im Staatsorganisationsrecht wird die Einordnung der Delegation als öffentliches Recht als selbstverständlich angenommen. Indem die Zuweisung einer Normsetzungskompetenz an eine bestimmte Stelle die von dieser noch zu formulierenden Normsätze dynamisch mit Geltungskraft versieht, verschafft sie dieser Stelle hoheitliche Gewalt. Erst hieraus folgt deren Eigenschaft als Organ der Gesetzgebung. Daher ist Adressat einer Kompetenzzuweisung im Sinne der modifizierten Subjekts- bzw. Sonderrechtstheorie221 stets notwendig Träger der aus der Kompetenzzuweisung folgenden hoheitlichen Gewalt. An dieser Einschätzung ändert sich nichts dadurch, dass die Kompetenznorm nicht unmittelbar selbst die Stelle bestimmt, der die Gestaltungsmacht zukommen soll, sondern bereits die Entscheidung hierüber einer dynamischen Inbezugnahme des Kompetenzgefüges fremder Rechtsordnungen entnimmt. Wie bereits zu Art. 25 GG ausgeführt 222, wird unter der Voraussetzung der Verfassungskonformität allein dadurch, dass überhaupt ausländische Vorgänge zu Quellen der inländischen Rechtsordnung erhoben werden, im Gegensatz zur dynamischen Verweisung auf der Ebene der regulativen Normen die inner219 Jüngst hat etwa auch Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 32 f., zu Recht festgestellt, dass Delegation und Organleihe nicht einander ausschließende Phänomene sind, sondern dass die Delegation im Wege der Organleihe erfolgen kann. 220 Wengler, in: FS Laun, S. 719, 735. 221 Entscheidend ist danach, ob ein Träger hoheitlicher Gewalt notwendig in dieser Eigenschaft berechtigt oder verpflichtet wird; vgl. etwa Burgi, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Vosskuhle, GVwR I, § 17 Rn 21. 222 Vgl. oben S. 163 f.
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Dritter Teil: Die Rekonstruktion von Sachnorm- und Gesamtverweisung
staatliche Kompetenzordnung verändert, eben weil zusätzliche Rechtsquellen der inländischen Rechtsordnung – des Bundesrechts – begründet werden. Als Kompetenzrecht – Machtzuweisung statt bloßer Machtanknüpfung – operiert die dynamische Inbezugnahme fremden Kollisionsrechts auf der Ebene der konstitutiven bzw. Geltungs-/Kreationsnormen 223 (secondary rules im Sinne Harts 224) und gehört damit – sofern sie rechtmäßig ist – zum öffentlichen Recht. Genauer läuft die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) auf eine Art einfachgesetzliches Verfassungsrecht hinaus.
3. Zu Tatbestand und Rechtsfolge der IPR-Delegation Auch hinsichtlich der Inbezugnahme fremden Kollisionsrechts durch autonomes deutsches IPR vermögen schließlich die kollisionsrechtlichen Theorien nicht zu überzeugen: Als Phänomen auf der Ebene der konstitutiven Norm ist die Gesamtverweisung eine unvollständige Norm, deren Rechtsfolge darin besteht, dass der nach den oben ausgeführten Erkenntnissen225 in der Sachnormverweisung am Ende der Verweisungskette synthetisierte, gegebenenfalls vollständige „materiell privatrechtrechtliche“ (regulative) Normsatz innerhalb der deutschen Rechtsordnung als Bundesrecht geltend wird. Der Tatbestand der IPR-Delegation dient also zur abstrakt generellen Umschreibung derjenigen Stelle, der Kompetenz für die Schaffung von bundesrechtlichem Privatrecht zugewiesen wird; dies erfolgt im Wege der dynamischen Verweisung auf das Kompetenzgefüge der Rechtsordnung, die über Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungsmoment ermittelt wird. Der Staat, der am Ende der Kette von Verweisungen auf fremdes Kollisionsrecht die Sachnormverweisung ausspricht (bzw. die Gesamtheit seiner Rechtssetzungsorgane) wird im Wege der Organleihe zum außerordentlichen Gesetzgebungsorgan für die deutsche Rechtsordnung, sofern der Vorgang verfassungskonform ist. Der zu entscheidende Sachverhalt fällt damit entgegen Rabel, Kegel und Schurig nicht in den Tatbestand der fremdes Kollisionsrecht in Bezug nehmenden deutschen Kollisionsnorm, sondern allein in den Tatbestand des in der Sachnormverweisung am Ende der Verweisungskette synthetisierten und kraft unserer Kollisionsnorm mit Geltung versehenen, regulativen Normsatzes. Zur Klarstellung sei noch einmal das Eingangsbeispiel wiederholt: Nimmt autonomes deutsches Recht das schweizerische Kollisionsrecht in Bezug und spricht dieses eine Sachnormverweisung auf den französischen Code civil aus, so ist der mit Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung versehene Normsatz nicht allein der unvollständige Normsatz der französischen Kodifikation, sondern der in der schweizerischen Sachnormverweisung zum Ausdruck kom223 224 225
So die Terminologie bei Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. Dazu Hart, The Concept of Law2, S. 79 ff. Vgl. oben S. 175 ff.
D. Einordnung der Gesamtverweisung
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mende, gegebenenfalls vollständige Rechtssatz, in den der französischem Recht entliehene, unvollständige Normsatz inkorporiert wird. Da die schweizerische Sachnormverweisung dem unvollständigen französischen Normsatz gegebenenfalls einen anderen internationalen Anwendungsbereich zuweist, als das französische IPR, wendet der deutsche Richter also letztlich einen dem schweizerischen Recht entnommenen, vollständigen regulativen Normsatz an. Dessen Geltung als Norm der deutschen Rechtsordnung ist Rechtsfolge der Gesamtverweisung des deutschen auf das schweizerische IPR.
4. Wider die Gleichordnung der „Ebenen“ von Kollisions- und Sachrecht Damit bleibt noch, Vogel226 und Schurig 227 zu widersprechen, soweit diese geltend machen, dass „das“ Kollisions- und das Sachrecht auf „derselben Ebene“ liegen: Zwar ist Schurig 228 immerhin zuzugeben, dass man nicht pauschal sagen kann, „die“ Kollisionsnorm sei Geltungsquelle der Sachnorm. Das liegt aber daran, dass es „die“ Kollisionsnorm gar nicht gibt. Sachnormverweisung und IPR-Delegation (Gesamtverweisung) sind kategorial verschiedene Phänomene. Die Sachnormverweisung gehört ebenso wie der in ihr inkorporierte unvollständige Normsatz, welcher gegebenenfalls ausländischem Sachrecht entliehen wird, zur Ebene der regulativen Rechtssätze. Die IPR-Delegation operiert demgegenüber auf der Ebene der konstitutiven bzw. Geltungs-/Kreationsnormen (secondary rules im Sinne Harts 229). Eine deutsche Sachnormverweisung inkorporiert die in Bezug genommenen Sätze ausländischen wie inländischen Sachrechts, die dadurch zum Baustein der in der Sachnormverweisung synthetisierten, vollständigen regulativen Norm des deutschen Privatrechts werden und insoweit an der Geltung der die Sachnormverweisung aussprechenden Norm teilhaben. Hingegen erlangt eine ausländische Sachnormverweisung, die gegebenenfalls am Ende einer Kette von IPR-Delegationen steht und die ihrerseits eine Sachnorm inkorporiert, durchaus ihre Geltung als vollständige regulative Norm der deutschen Rechtsordnung aus der IPR-Delegation des deutschen Kollisionsrechts als Geltungsnorm. Die IPR-Delegation als Geltungsnorm und die gegebenenfalls vollständige (regulative /„materiell-privatrechtliche“) Norm am Ende der Verweisungskette – die ausländische Sachnormverweisung – liegen also sehr wohl auf unterschiedlichen rechtstheoretischen Ebenen.
226 227 228 229
Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 276. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 72. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70. Vgl. Hart, The Concept of Law2, S. 79 ff.
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Vierter Teil:
Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick A. Zielsetzung dieses Teils Ziel dieser Arbeit war insbesondere die rechtstheoretische Klärung der Normsatzstruktur des autonomen IPR. Eine daran anschließende, vertiefte verfassungsrechtliche Untersuchung aller seiner Facetten würde einerseits eine den Titel dieses Werks weit übersteigende, eigenständige Monographie erfordern und drohte andererseits den engen Bezug zur auf das Grundlegende beschränkten rechtstheoretischen Einordnung im Rahmen der vorangehenden Teile zu verlieren. Dieser vierte Teil soll daher nur diejenigen Leitlinien ansprechen, die aus der grundsätzlichen Einordnung der Techniken von Sachnormverweisung und Gesamtverweisung als dynamische Verweisung einerseits und als Delegation andererseits folgen, und innerhalb derer eine weitere verfassungsrechtliche Klärung erfolgen muss, welche das BVerfG seit nunmehr über einem halben Jahrhundert unterlässt. Besonderes Anliegen des Verfassers ist dabei, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es nicht nur „das IPR“ nicht gibt, sondern dass gerade die Regelungstechnik der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) von bisher unbeachteter verfassungsrechtlicher Brisanz ist.
B. Die Sachnormverweisung: Eine Frage der Prinzipienkollision Nach den Ergebnissen des ersten Kapitels ist die Sachnormverweisung eine dynamische Verweisung, die als Phänomen des regulativen Rechts die Kompetenzordnung unberührt lässt1. Daher sollen diejenigen verfassungsrechtlichen Bedenken kurz beleuchtet werden, die Clemens 2 gegen die Einordnung des IPR als dynamische Verweisung ins Feld geführt hat. Wie ausgeführt, befürchtet dieser Verstöße gegen Bestimmtheitsgebot und Demokratieprinzip (Art. 20 GG) sowie gegen das Publikationsgebot (Art. 82 Abs. 1 GG). Diese Einwände lassen sich auch nicht für das IPR insgesamt mit einem pauschalen Verweis auf den häufig zitierten Satz des BVerfG aus der Spanierent1 2
Vgl. oben S. 164 ff. Clemens, AöR 111 (1986), 63, 74; vgl. dazu näher oben S. 58.
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Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
scheidung „vom Tisch wischen“, dass für jede Vorschrift der Verfassung zu prüfen sei, ob und wieweit sie für internationale Sachverhalte Geltung beanspruche und dass ein Grundrecht „wesensgemäß eine bestimmte Beziehung zur Lebensordnung im Geltungsbereich der Verfassung“ voraussetzen könne3. Denn wie bereits oben4 eingehend erläutertet worden ist, gibt es insbesondere kein den Grundrechten vorgeschaltetes Verfassungskollisionsrecht, welches über das „Ob“ ihres Eingreifens entscheidet. Vielmehr sind diese als Prinzipien eingeordnet worden, welche die deutsche Staatsgewalt regelmäßig ungeachtet der Intensität des Inlandsbezugs eines Sachverhalts binden, dafür aber im Rahmen ihrer Anwendung eine Berücksichtigung des Auslandsbezugs eines Sachverhalts erlauben. Dieser Gedanke lässt sich freilich auch gegen Clemens’ Einwände mobilisieren. Dass also unter der Prämisse einer dynamischen Verweisung die Sachnormverweisung schon als Regelungstechnik verfassungswidrig sei, ist noch nicht ausgemacht, wenn man hier Prinzipien am Werke sieht, also Grundwertungen, die als Ausdruck einer über die Einzelfallentscheidung (Einzelwertung) hinausgehenden ratio juris systembildend wirken5. Das besondere Merkmal von Prinzipien besteht, wie bereits ausgeführt, darin, dass sie zueinander in Widerspruch treten können und sich dann wechselseitig beschränken6. Prinzipien sind Optimierungsgebote7, die sich von Regeln gerade dadurch unterscheiden, dass sie ohne Rechtsbruch in unterschiedlichem Maße erfüllt werden können8, weil sie lediglich ihre Realisierung in möglichst hohem Maße gebieten.
I. Zum Demokratieprinzip 1. Zurückdrängung demokratischer Legitimation Auf den ersten Blick scheint das Demokratieprinzip die größte Hürde für eine dynamische Verweisung auf Sätze ausländischen Rechts zu sein. Schon mit Blick auf „innerstaatliche“ Sachverhalte ist die Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen auf Regelungen anderer Normsätze mit dem Demokratieprinzip grundsätzlich in Frage gestellt worden9. Soweit sie demgegenüber teilweise pragmatisch damit begründet wird, dass der Gesetzgeber die Ände3
BVerfGE 31, 58, 77. Vgl. oben S. 184 ff. 5 Grundlegend dazu Esser, Grundsatz und Norm4, S. 43 ff. 227 ff. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 46 ff; Larenz, Methodenlehre, S 165 ff. insb. 169 ff. 6 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 52 ff. 7 Eingehend Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff. 8 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76. 9 Nach Sachs, NJW 1981, 1651, 1652, sind sie ausnahmslos verfassungswidrig. 4
B. Die Sachnormverweisung: Eine Frage der Prinzipienkollision
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rung des Verweisungsobjekts beobachten und darauf jederzeit reagieren könne, also nicht „blind für nachfolgende Änderungen sei“10, gilt diese tatsächliche Prämisse gerade nicht für den im IPR zum Ausdruck kommenden, sprichwörtlichen „Sprung ins Dunkle“11, von dem auch das BVerfG12 ausgeht: Niemand überblickt die jeweils intertemporal anwendbaren Vorschriften aller Rechtsordnungen der Welt und ihre unzähligen Kombinationsmöglichkeiten im Rahmen der Heranziehung durch unser Kollisionsrecht nach den jeweils unterschiedlichen Auslandsberührungen eines jeden heterogen verknüpften Sachverhalts.
2. BVerfG: Demokratieprinzip und „Eingliederung in die Staatengemeinschaft“ als auszugleichende Optimierungsgebote bei heterogen verknüpften Sachverhalten Indessen verletzt die Sachnormverweisung nicht bereits als abstrakte Regelungstechnik das Demokratieprinzip, wenn man gemäß dem oben zu den Prinzipien als Optimierungsgeboten Gesagten die folgenden zwei Prämissen akzeptiert: Erstens ist das Demokratieprinzip zumindest bei heterogen verknüpften Sachverhalten ein echtes Optimierungsgebot, welches im Falle einer Kollision mit einem anderen Optimierungsgebot von Verfassungsrang aufgrund der Auflösung der Prinzipienkollision durch praktische Konkordanz gegebenenfalls geringere Anforderungen produziert13, als ohne eine solche Kollision. Zweitens enthält die Verfassung ein solches besonderes Optimierungsgebot für heterogen verknüpfte Sachverhalte. Diese Prämissen, die meines Erachtens erfüllt sind, legt wohl auch das BVerfG zumindest unausgesprochen zugrunde. Dass das Demokratieprinzip bei heterogen verknüpften Sachverhalten Charakterzüge eines Optimierungsgebotes trägt, ergibt sich mittelbar schon aus dem, was das Gericht in der bereits angesprochenen Zweitregister-Entscheidung zu den Grundrechten ausführt: „Berührt die Ausübung des Grundrechts zwangsläufig die Rechtsordnungen anderer Staaten und werden die widerstreitenden Interessen der Grundrechtsträger in einem Raum ausgetragen, der von der deutschen Rechtsordnung nicht mit alleinigem Gültigkeitsanspruch beherrscht wird, ist die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers größer als bei der Regelung von Rechtsbeziehungen mit inländischem Schwerpunkt. Namentlich ist es ihm nicht verwehrt, besondere Gegebenheiten zu berücksichtigen, die den ausgestaltungsbedürftigen Sachbereich prägen, sich aber seiner Verfügungsgewalt entziehen. So darf er auf die zwischenstaatlichen Beziehungen und auf die Rahmenbedingungen interna10
Klindt, DVBl. 1998, 373, 376. Vgl. Raape, IPR 5, § 13 I, S. 90. 12 Vgl. BVerfGE 31, 58, 73 (Spanierentscheidung). 13 Vgl. in diesem Sinne bereits Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 33, 66, These 8. 11
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Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
tionaler Märkte Bedacht nehmen. Auch dann bleibt er aber verpflichtet, dem Grundrecht die unter den obwaltenden und von ihm nicht beeinflußbaren Bedingungen größtmögliche Anwendung zu sichern“14.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass hier eine Akzentverschiebung von der Abwehrdimension der Grundrechte hin zu einem Einwirkungsanspruch auf nicht voll von der deutschen Staatsgewalt beherrschte Sachverhalte im Sinne einer Schutzpflicht15 aufscheint. Erhöht nun aber die verminderte Gestaltungsmacht bei heterogen verknüpften Sachverhalten die Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers gegenüber den Grundrechten, so muss dies zugleich auch den Gestaltungsspielraum gegenüber dem Demokratieprinzip beeinflussen. Denn das BVerfG sieht doch bei dynamischen Verweisungen ein mögliches verfassungswidriges Demokratiedefizit gerade darin, dass Grundrechtseingriffe nicht hinreichend demokratisch legitimiert sind16. Das BVerfG hat sich aber auch bereits spezifisch zum Demokratieprinzip in heterogen verknüpften Sachverhalten geäußert. So führt es in seiner Entscheidung17 zum Rechtshilfevertrag zwischen Deutschland und Österreich über die Vollstreckung eines österreichischen Abgabenbescheids in Deutschland aus: „Die Folgerungen, die der Beschwerdeführer aus dem Demokratiegrundsatz des Grundgesetzes herleitet, würden vor allem die Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich weithin zur Unfähigkeit verurteilen, sich am internationalen Rechtshilfeverkehr zu beteiligen; sie würden weit darüber hinaus auch die Anwendbarkeit fremden Rechts durch deutsche Behörden und Gerichte lahmlegen. Denn diese Folgerungen ließen sich keineswegs auf die Vollstreckung ausländischer Abgabentitel begrenzen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers böte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht den hinreichenden Ausgleich für fehlende demokratische Repräsentation gegenüber der Anwendung ausländischen öffentlichen oder auch bürgerlichen Rechts. Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des von ihm verfaßten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengesellschaft aus (Präambel, Art. 24 bis 26 GG). Auch das Demokratieprinzip des Art. 20 GG ist im Lichte dieser Einordnung zu sehen. Es verwehrt als solches nicht schon die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Hoheitsakte durch deutsche Behörden und Gerichte im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland“18.
Hieraus ist schon andernorts eine „abgeschwächte Stringenz des Demokratieprinzips bei grenzüberschreitenden Sachverhalten“ gefolgert worden19. Jeden14
BVerfGE 92, 41 f. Eingehend zu diesem Phänomen bei Sachverhalten mit Auslandsbezug bereits Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 98 ff. 16 BVerfGE 64, 208, 214f. 17 BVerfGE 63, 343. 18 BVerfGE 63, 343, 369 f. (Hervorhebung nicht im Original). 19 So die Wendung bei Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, S. 266; vgl. auch das Resümee bei Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 68 ff.; ferner Tomuschat, IPRax 1996, 83, 84; ohne Rekurs auf diese Entscheidung zum gleichen Ergebnis gelangend Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 33, 66, These 8; die Offenheit des Grundgesetzes für die internationale Zusammenarbeit betonend Bernhardt, in: Bundesverfassungsgericht und Grundge15
B. Die Sachnormverweisung: Eine Frage der Prinzipienkollision
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falls liegt klar zu Tage, dass das BVerfG ein Optimierungsgebot der Einordnung der Bundesrepublik in die Staatengemeinschaft von Verfassungsrang anerkennt. Dessen genaue Reichweite zu vertiefen, kann hier nicht unternommen werden. Insbesondere für den hier untersuchten Bereich des autonomen IPR erscheint jedoch die Formulierung bei Rainer Hofmann nicht glücklich, wenn dieser einerseits zu Recht betont, dass die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes bei heterogen verknüpften Sachverhalten keinen „außerhalb der Verfassung begründeten Eingriff in den umfassenden Geltungsanspruch dieser Grundrechtsordnung“20 erlaube, dann aber weiter ausführt, dass es sich um „eine vom Grundgesetz selbst angeordnete Beschränkung der Anwendbarkeit des Geltungsanspruchs seiner Grundrechtsordnung“21 handele. Denn diese Begrifflichkeit birgt die Gefahr der Verwechslung mit der oben 22 abgelehnten Konzeption Schurigs und Sterns, wonach regelmäßig von der Intensität des Inlandsbezugs eines zu entscheidenden Sachverhalts abhängig sein soll, ob die Grundrechte überhaupt auf diesen anwendbar seien. Entsprechend der oben 23 gefassten Einschätzung, dass das „Ob“ der Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte insbesondere gegenüber den Parteien des deutschen Prozesses nicht regelmäßig vom Inlandsbezug des zu entscheidenden Sachverhalts abhängt, also Sachverhalte mit Auslandsbezug nicht regelmäßig außerhalb des Schutzbereiches der Grundrechte fallen, lässt sich zwar feststellen, dass bei heterogen verknüpften Sachverhalten die inhaltlichen Anforderungen an staatliches Handeln, welche aus der Grundordnung folgen, in besonderer Weise durch das Optimierungsgebot der Einordnung in die Staatengemeinschaft und die verminderte Gestaltungsmacht der Staatsgewalt beeinflusst werden 24. Nimmt man aber an, dass der Geltungsbereich eines Grundrechts sich mit seinem Schutzbereich deckt 25, so ist der Umstand, dass insbesondere im Rahmen der Abwehrfunktion der Grundrechte ein Auslandsbezug besondere Gesichtspunkte für die Rechtfertigung von Eingriffen aufwirft und sich im Rahmen der Leistungsfunktion der Grundrechte aus einem geschuldeten Einwirken des Staates im Sinne der Grundrechtsoptimierung als Folge setz, Bd. II, S. 154, 183 f.; für einen verminderten Grundrechtsstandard aus ähnlichen Erwägungen Kokott, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 71, 97 ff.; mit Fokus auf den anerkennungsrechtlichen ordre public schließlich Pfeiffer, in: FS Jayme, S. 675, 679 f.; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, S. 124. 20 Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 68. 21 Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 68. 22 Vgl. oben S. 184 ff. 23 Siehe oben S. 190. 24 Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 181 f., betont, dass hinsichtlich der Leistungsfunktion der Grundrechte schon strukturell eine Einschränkung derselben ausscheide. 25 Vgl. in diesem Sinne Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 273, Fn. 61; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 49.
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Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
begrenzter Gestaltungsmacht eben kein geschuldeter Optimierungserfolg ergibt, genauso wenig Ausdruck eines verminderten Geltungsanspruchs der Verfassung im Allgemeinen und der Grundrechte im Besonderen, wie man bei einem reinen Inlandssachverhalt hinsichtlich eines gerechtfertigten Grundrechtseingriff von einem aufgrund des Eingriffs „verminderten Geltungsanspruch“ dieses Grundrechts sprechen würde. Die Verfassung beherrscht daher das deutsche IPR und das aus ihm folgende deutsche Privatrecht für homogen26 und heterogen verknüpfte Sachverhalte regelmäßig nach denselben Prinzipien in unmodifizierter Wirkweise; sie ist ungeachtet des Ausmaßes von In- bzw. Auslandsbeziehungen eines Sachverhaltes regelmäßig uneingeschränkt „anwendbar“. Eine Beschränkung der Geltung der Verfassungsordnung lässt sich gerade nicht damit begründen, dass es Grenzen der Gestaltungsmacht und Optimierungsgebote gibt, die typischerweise nur bei Fällen mit Auslandsberührung im Rahmen der Prinzipienabwägung ergebnisrelevant werden.
3. Fazit Erkennt man an, dass ein Optimierungsgebot der Einordnung der Bundesrepublik in die Staatengemeinschaft von Verfassungsrang existiert, so kann die mit Blick auf das Demokratieprinzip kaum ergebnisrelevante Frage, ob es sich dabei um einen Grundsatz handelt, der „rein national“ aus der Verfassung folgt, oder ob es darüber hinaus auch einen gegebenenfalls über Art. 25 GG verbindlichen völkerrechtlichen Minimalkonsens darüber gibt, dass ein Staat auf heterogen verknüpfte Sachverhalte nicht ausschließlich sein eigenes Sachrecht anwenden dürfe – was heute durchaus skeptisch beurteilt wird 27 – offen bleiben. Auch die rechtstatsächliche Frage, ob die umfassende Bildung von Sondernormen für internationale Sachverhalte wirklich nicht praktikabel ist 28, was diejenige Literaturansicht impliziert, nach der Art. 3 GG für die „Anwendung ausländischen Rechts“ bei der Beurteilung von Rechtsfragen aus heterogen verknüpften Sachverhalten streitet 29, erscheint für den begrenzten Zweck dieses 26 Auch der reine Inlandssachverhalt ist das Produkt einer kollisionsrechtlichen Wertung, eingehend siehe oben S. 104. 27 Eingehend hierzu Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2 , § 3 Rn. 8 ff., skeptisch etwa auch Damm, Die Einwirkung des GG auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, S. 127 Fn. 258. 28 So etwa Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, S. 147; kritisch hiergegen etwa Christian v. Bar, in: Liber memorialis François Laurent, S. 1167, 1173; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 56. 29 Vgl. insbesondere Egon Lorenz, Zur Struktur des internationalen Privatrechts, S. 60, unter Berufung auf Wengler, Eranion Maridakis, S. 323, 342, 347; der Gedanke findet sich auch bei Beitzke, Grundgesetz und IPR, S. 5; Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 72 f. und aus jüngerer Zeit bei Damm, Die Einwirkung der
B. Die Sachnormverweisung: Eine Frage der Prinzipienkollision
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Ausblicks nicht mehr als klärungsbedürftig. Denn jedenfalls kann behauptet werden, dass das Demokratieprinzip bei heterogen verknüpften Sachverhalten ein Optimierungsgebot darstellt, das bei Kollision mit weiteren hierfür geltenden Optimierungsgeboten von Verfassungsrang gegebenenfalls im Vergleich zum reinen Inlandssachverhalt geringere Anforderungen produziert. Bereits ungeachtet einer Konkretisierung des vom BVerfG formulierten Gedankens der Einordnung in die Staatengemeinschaft als besonderes Optimierungsgebot für heterogen verknüpfte Sachverhalte ist die Sachnormverweisung daher nicht bereits als abstrakte Regelungstechnik mit dem Demokratieprinzip a priori unvereinbar.
II. Zum Bestimmtheitsgebot Seit das BVerfG einmal die Verweisung in den „Apothekenstoppgesetzen“ auf „das am 1. Oktober 1945 in den Ländern geltende Recht“ wegen Unbestimmtheit für nichtig erklärt hat30, gilt die dynamische Verweisung als Problem des Bestimmtheitsgebotes31. Indessen ist auch das Bestimmtheitsgebot ein Prinzip, ein Optimierungsgebot. Dass beispielsweise weit gefasste Generalklauseln nicht sämtlich gegen das Bestimmtheitsprinzip verstoßen, liegt daran, dass in der Abwägung zwischen einerseits Vorhersehbarkeit und andererseits Effektivität staatlichen Handelns höhere Flexibilität geringere Vorhersehbarkeit rechtfertigen kann32. Man darf daher aus der Furcht, die das BVerfG im Entscheid über den deutsch-österreichischen Rechtsverkehr artikuliert, dass nämlich die Verabsolutierung von Prinzipien die Anwendung ausländischen Rechts durch deutsche Gerichte und Behörden lahm legen könne33, durchaus die Vermutung ableiten, dass das Gericht den Gedanken der Einordnung in die Staatengemeinschaft als besonderes Optimierungsgebot für heterogen verknüpfte Sachverhalte auch in einer Prinzipienabwägung mit dem Bestimmtheitsgebot berücksichtigen würde.
Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht; für das italienische Recht vgl. Vitta, Riv. Trim. Proc. 18 (1964), 1578 ff., hierzu Jayme, RabelsZ 34 (1970), S. 194 f. 30 Vgl. BVerfGE 5, 25, 31 ff. 31 Vgl. dazu etwa Clemens, AöR 111 (1986), 63, 84 f. 32 Vgl. BVerfGE 49, 168, 181: „Das rechtsstaatliche Gebot der Bestimmtheit der Gesetze zwingt den Gesetzgeber nicht, Gesetzestatbestände stets mit genau erfaßbaren Maßstäben zu beschreiben. Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe sind deshalb grundsätzlich zulässig, weil sich die Vielfalt der Verwaltungsaufgaben nicht immer in klar umrissene Begriffe einfangen läßt“. 33 BVerfGE 63, 343, 370.
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III. Art. 82 Abs. 1 GG: Regel oder Prinzip? Somit verbleibt als mögliches Argument gegen die Verfassungsmäßigkeit der Sachnormverweisung bereits als abstrakte Regelungstechnik das Publizitätsgebot des Art. 82 Abs. 1 GG, wonach Gesetze vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet werden müssen. Ein „klassisches“ Argument gegen die Verfassungsgemäßheit von dynamischen Verweisungen ist daher, dass deren Bezugsobjekte nicht im Gesetzblatt verkündet werden 34. Das Argument erscheint zunächst für unsere Fragestellung deshalb von besonderem Gewicht, weil der Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 GG eine Regel und nicht nur ein Prinzip umfasst, welches die Berücksichtigung des Auslandsbezugs eines Sachverhalts erlaubt. Denn gegenüber einer Regel ist deren teilweise Begrenzung unter Rückgriff auf den Gedanken eines kollidierenden Optimierungsgebotes für heterogen verknüpfte Sachverhalte grundsätzlich ausgeschlossen: Sie kann nur erfüllt oder nicht erfüllt sein35. Allerdings ist auch bei einer Regel grundsätzlich möglich, was Schenke36 für Art. 82 Abs. 1 GG mit Blick auf Verweisungen allgemein vorgeschlagen hat: Die teleologische Reduktion, d.h. die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Regel jenseits der engsten möglichen Wortlautauslegung, weil selbst die engste mögliche Wortlautauslegung über das zur Verwirklichung der ratio legis Erforderliche hinausschießt.
1. Der im Wortlaut erkennbaren Regel genügt die Sachnormverweisung Indessen ist die vermeintlich so wichtige Wortlautgrenze ohnehin oftmals eine diffuse Grauzone. Was also ist der engst mögliche Wortlaut, wenn die Norm aussagt, dass das Bundesgesetz verkündet werden muss? Bereits Erbsen37 hat darauf hingewiesen, dass die Frage nach der Wortlautgrenze davon abhänge, ob man aus Art. 82 GG eine Aussage über den Gesetzestext oder eine über den Gesetzesinhalt ableitet, und die Verweisung für mit einer Wortlautauslegung vereinbar erachtet38. Freilich ist damit noch nicht gesagt, warum das Verweisungsobjekt nicht zum Gesetzestext gehört. Entscheidend dürfte daher letztlich sein, was bei einer Verweisung normativ verbindlich, d.h. geltendes Recht ist. Unter diesem Blickwinkel verlangt der Wortlaut der Regel des Art. 82 Abs. 1 GG bereits deshalb nicht zwingend die Publikation des Bezugsobjekts einer Verweisung, weil das Bezugsobjekt einer dynamischen Verweisung nur gedanklich in 34 Vgl. hierzu bereits Ossenbühl, DVBl. 1967, 401, 405 ff.; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 138 ff.; Staats, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, S. 244, 256. 35 So die Definition bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76. 36 Schenke, FS Fröhler, S. 87, 97 ff. 37 Erbsen, DÖV 1984, 654, 658, linke Spalte. 38 Erbsen, DÖV 1984, 654, 658, rechte Spalte.
B. Die Sachnormverweisung: Eine Frage der Prinzipienkollision
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die dieses in Bezug nehmende Norm inkorporiert wird39, wodurch ein Normsatz entsteht, der vom Bezugsobjekt abweicht – ansonsten läge keine dynamische Verweisung, sondern eine Kompetenzzuweisung durch eine konstitutive bzw. Geltungsnorm vor40. Das heißt, dass das Bezugsobjekt selbst durch die Inbezugnahme außerhalb derselben keinerlei Normqualität erlangt. Das Produkt der Verweisung entfaltet seine normative Wirkungskraft nur im Rahmen der Verweisung kraft der Geltung der Verweisungsnorm41. Für das IPR gesagt: Durch eine deutsche Sachnormverweisung auf den französischen Code civil wird dieser nicht zum Bundesgesetz, sondern innerhalb der Sachnormverweisung wird eine Norm synthetisiert, für die der Code civil gedanklicher Steinbruch ist. Diese synthetisierte Norm unterscheidet sich im Tatbestand (internationale Reichweite) vom Bezugsobjekt. Deshalb ist bei einer dynamischen Verweisung durch ein Bundesgesetz nur die Verweisungsnorm Bundesgesetz, sofern das Bezugsobjekt nicht bereits ohne die Inbezugnahme Bundesgesetz ist. Dem Wortlaut der von Art. 82 Abs. 1 GG aufgestellten Regel ist bei enger Auslegung für eine Sachnormverweisung des EGBGB also schon dadurch genügt, dass die IPR-Vorschriften des EGBGB entsprechend Art. 82 Abs. 1 GG ausgefertigt und verkündet worden sind.
2. Das in Art. 82 GG niedergelegte Prinzip Nun kann man es nicht bei einer kunstfertigen engen Wortlautauslegung der Norm belassen, wenn man deren ratio legis – vor allem die Erkennbarkeit der Gesetzeslage für den Normadressaten sicherzustellen42 – gerecht werden will. Zweifellos kollidiert jede Verweisung mit dem Rechtsgedanken des Art. 82 GG. So zu argumentieren heißt aber nichts anderes, als eine vom Wortlaut unabhängige ratio juris systembildend zu einer Grundwertung fortzuentwickeln, also ein Prinzip zu formulieren: nämlich das Gebot rechtsstaatlicher Normenklarheit43. Ein solches Prinzip erlaubt aber zumindest jenseits des Wortlauts von Art. 82 GG die Ausgleichung mit anderen Prinzipien im Wege der praktischen Konkordanz. Die Verfassungsgemäßheit bzw. -widrigkeit einer Verweisung aufgrund mangelnder Publizität der Bezugsobjekte ist damit eine Frage der Prinzipienabwägung.
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Siehe dazu näher oben S. 54 f. Vgl. zu diesem Differenzierungskriterium oben S. 162 ff. 41 Vgl. in diesem Sinne Erbsen, DÖV 1984, 654, 659; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 73 f.; Schenke, in: FS Fröhler, S. 87, 95. 42 Eingehend Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 137 ff.; Erbsen, DÖV 1984, 654, 656. 43 Eingehend Erbsen, DÖV 1984, 654, 659. 40
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Das impliziert beispielsweise im Ergebnis sogar Karpen, wenn er einerseits das Prinzip der Formenstrenge betont44, andererseits aber eine Ausnahme für den Fall zulassen will, dass die Bekanntgabe wegen der Beschaffenheit der bekanntzumachenden Vorschrift unmöglich ist45 und die Möglichkeit einer Ersatzverkündung nicht kategorisch ausschließt46.
3. Folgerung Mit dem Wortlaut von Art. 82 GG kann die dynamische Verweisung in Einklang gebracht werden. Mag demnach für den reinen Inlandsachverhalt gegen die Verfassungskonformität der Regelungstechnik der dynamischen Verweisungen im Bundesrecht ein den Wortlaut des Art. 82 GG übersteigendes Prinzip der Mindestanforderungen an die Publizität eingewandt werden, so hindert selbst dies nicht, im Rahmen der Prinzipienkollision mit dem vom BVerfG rudimentär angedeuteten Optimierungsgebot der Einordnung in die Staatengemeinschaft darauf zu verzichten, dass ausländischem Recht entliehene Normsätze als Bezugsobjekte der Sachnormverweisungen des autonomen deutschen Rechts im Bundesgesetzblatt verkündet werden müssten. Der von Schenke erwogenen teleologischen Reduktion bedarf es dazu nicht; allerdings ergeben sich aus dem Art. 82 GG zu Grunde liegenden Prinzip rechtsstaatlicher Normenklarheit durchaus qualifizierte Anforderungen an die Verkündung der Bezugsobjekte nach Maßgabe der ausländischen Rechtsordnungen.
IV. Ergebnis Die von Clemens gegen das Kollisionsrecht verstanden als dynamische Verweisung ins Feld geführten Bedenken hinsichtlich Demokratieprinzip, Bestimmtheits- und Publikationsgebot greifen nicht zwingend durch, wenn man hier eine Prinzipienkollision mit dem vom BVerfG zumindest rudimentär entwickelten Gedanken der Einordnung der Bundesrepublik in die Staatengemeinschaft als besonderem Optimierungsgebot für heterogen verknüpfte Sachverhalte annimmt. Die wohl allgemeinem Judiz entsprechende Lösung, dass die Verfassung nicht das allen entwickelten Rechtsordnungen bekannte Institut des Internationalen Privatrechts kategorisch verbietet, lässt sich also rational aus dem Wertungssystem des Grundgesetzes ableiten, ohne dass es dafür eines rechtstheoretischen „Gespenstes“ (Lüderitz) wie der Anwendbarkeit ausländischen Rechts „als ausländisches“ in einer Rechtsfigur privatrechtlicher Zuständigkeitsverteilung sui generis bedürfte. Wäre dem nicht so, müsste man 44 45 46
Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 141. Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 142. Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 159.
C. Die IPR-Delegation (Gesamtverweisung)
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ohnehin umgekehrt fragen, warum sogar das „Ob“ Bindung der deutschen Staatsgewalt insbesondere an das Demokratieprinzip maßgeblich von einer methodischen Finesse des einfachen Gesetzes abhängen sollte.
C. Die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) als Frage nach der Ermächtigungsgrundlage Mit der wenig überraschenden These, dass die Verfassung dem Gedanken der Berücksichtigung fremden Privatrechts nach Maßgabe der internationalen Bezüge eines Sachverhalts nicht prinzipiell entgegen steht, ist jedoch die Verfassungskonformität der hier so genannten IPR-Delegation (Gesamtverweisung) noch nicht ausgesagt. Denn diese läuft nach den Erkenntnissen dieser Arbeit im Gegensatz zur Sachnormverweisung darauf hinaus, die Kompetenzordnung des Grundgesetzes für die Zivilrechtsgesetzgebung durch einfaches Gesetz abzuändern.
I. Grundsätzliches Erfordernis und Fehlen einer Ermächtigungsgrundlage 1. Zur Notwendigkeit einer Ermächtigungsgrundlage Nach den Ergebnissen dieser Arbeit bedeutet die in Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB für das deutsche IPR normierte Grundtechnik der dynamischen Inbezugnahme fremden Kollisionsrechts eine aus dynamischer Verweisung auf die Kompetenzordnungen fremder Rechtsordnungen gewonnene, kumulativ konservierende, partielle Delegation. Hierbei kommt es aber nicht zu einer Hoheitsübertragung auf fremde Staaten als Regelungssubjekte im Sinne Zitelmanns. Vielmehr werden im Sinne Agos und Wenglers kraft Bezugnahme durch die Gesamtverweisung Vorgänge, die in einer ausländischen Rechtsordnung Normen erzeugen, auch zu Rechtsquellen innerhalb der internen Organisation der Gesetzgebung des Bundes. Man kann auch sagen, dass der Bund durch eine Gesamtverweisung im Wege der internationalen Organleihe den Staat, der am Ende der Verweisungskette die Sachnormverweisung ausspricht, bzw. dessen Gesetzgebungsorgane im Wege gegebenenfalls mehrstufiger dynamischer Verweisung zu(m) außerordentlichen Gesetzgebungsorgan(en) für Bundesrecht erhebt, wobei dies insbesondere insofern einen Sonderfall der Delegation darstellt, als der Delegatar die hierdurch zugewiesene Gestaltungsmacht für die deutsche Rechtsordnung gegebenenfalls unbewusst ausübt. Ungeachtet aller Besonderheiten dieser Rechtsfigur gegenüber sonstigen Formen der Delegation ist sie damit jedenfalls ein Instrument nicht des regula-
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Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
tiven, sondern des konstitutiven Rechts (Kreationsnorm nach Weinberger47; secondary rule nach Hart48); sie zielt auf die Veränderung des Kompetenzgefüges der Verfassung ab. Dabei wird mit Barbey49 die Delegation allein als Begründung einer außerordentlichen Kompetenz begriffen. Außerordentlich ist eine Kompetenz, soweit die kompetenzzuweisende (delegierende) Norm im Rang niedriger als diejenige, eine Kompetenz begründende Norm (oben als Regelkompetenznorm bezeichnet) ist, von der die delegierende Norm abweicht 50. Bereits Kuhne hat entwickelt, dass eine Delegation nach dem Stufenbau der Rechtsordnung grundsätzlich unwirksam ist51, weil danach höherrangige Normen die niederrangigen derogieren52, während die Delegation das Gegenteil unternimmt. Eine Delegation setzt daher eine von Barbey so genannte Delegationsnorm voraus, für die hier der Begriff Delegationskompetenznorm bevorzugt wird. Diese muss zumindest im Range der Regelkompetenznorm – bei Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG (Organkompetenz des Bundestags für die Bundesgesetzgebung) also im Range einer Verfassungsnorm – stehen und bestimmen, unter welchen Voraussetzungen welche Rechtssätze (delegierende Normen) den Vorrang ranghöherer (Regelkompetenznormen) vor rangniederen Normen (delegierenden Normen) durchbrechen können53. Dies ist der theoretische Unterbau der für die Delegation von Gesetzgebung anerkannten Regel, dass die Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes nicht ohne besondere Ermächtigung durch einfaches Gesetz verändert werden kann54. Deshalb gibt es die besondere Delegationsermächtigung in Art. 80 GG. Demnach bedarf die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) grundsätzlich einer Ermächtigungsgrundlage, weil sie darauf hinausläuft, durch einfaches Gesetzesrecht (EGBGB) die im Grundgesetz vorgesehene Organkompetenz des Bundestages für die Bundesgesetzgebung jenseits der Anforderungen des Art. 80 GG zu modifizieren. Insofern handelt es sich bei der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) um eine Art einfachgesetzliches Verfassungsrecht.
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Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. Zur Differenzierung zwischen beiden Normtypen Hart, The Concept of Law2, S. 79 ff. 49 Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 60 ff. 50 Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 77. 51 Kuhne, Das Problem der Delegation und Subdelegation von Kompetenzen der Staatsorgane, S. 110 ff. 52 Zu diesem schon bei Bierling entwickelten Gedanken grundsätzlich Funke, Allgemeine Rechtslehre als Strukturtheorie, S. 232. 53 Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 76 f.; ferner Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 259, These 1. 54 Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 71 Rn. 4. 48
C. Die IPR-Delegation (Gesamtverweisung)
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2. Nichteingreifen denkbarer Ermächtigungsgrundlagen Bekanntlich schweigt nun die Verfassung zum IPR. Dies kann daran liegen, dass der Verfassungsgeber überhaupt nicht an das IPR gedacht hat; es erscheint aber auch nicht ausgeschlossen, dass der historische Verfassungsgeber den renvoi selbstverständlich zum Privatrecht gezählt und deshalb gar bewusst angenommen hat, mit Art. 74 Nr. 1 GG a.F. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) das Nötige gesagt zu haben, um die die dem IPR eigentümliche Technik der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) in der Verfassung zu verankern. Selbst wenn man einmal Letzteres als Arbeitshypothese unterstellt, wäre es jedoch ein Trugschluss, anzunehmen, dass deshalb Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG eine Kompetenz des einfachen Gesetzgebers für die Technik der IPR-Delegation als „Privatrecht nach historischem Verständnis“ (Sonnenberger 55) begründen könnte. Denn dieser Gedanke beruhte auf einer Vermengung unterschiedlicher Kategorien: Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG grenzt nach Wortlaut und Systematik eindeutig nur die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes gegenüber denjenigen der Länder ab. Sein Rechtsfolgenausspruch betrifft damit allein die Ebene der Verbandskompetenz. Mit einer solchen Zuordnung der Verbandskompetenz an den Bund kollidiert auch die Technik des renvoi schon deshalb nicht, weil deren Endprodukte (Verfassungskonformität unterstellt) Normen des Subjekts Bund darstellen, die zum Privatrecht zählen. Die Besonderheit der Technik liegt nur darin, dass eine einfachgesetzliche Delegation von Organkompetenz erfolgt, indem ausländische Rechtsquellen zu außerordentlichen Quellen von Bundesrecht erhoben werden. Über die Organkompetenz trifft nun aber Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ungeachtet der historischen Vorstellungen über die Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht keine Aussage: Wie die Norm nicht anordnet, dass der Bundestag regelmäßiges Gesetzgebungsorgan des Bundes sei, trifft sie auch keine Aussage, an welche Stellen der Bundestag seine Organkompetenz für die Gesetzgebung des Bundes delegieren könne – die hiermit befasste Norm der Verfassung ist Art. 80 GG. Aus Art. 80 GG ergibt sich aber gerade der Schluss e contrario, dass die Normsetzung an andere als die dort genannten Stellen – Bundesregierung, Bundesminister, Landesregierungen – nicht delegiert werden darf. Überzeugend nimmt das BVerfG ferner an, dass Art. 24 Abs. 1 GG als Ermächtigungsgrundlage für autonomes IPR insgesamt ausscheidet56. Bereits abgesehen davon, dass die Vorschrift nach weitaus h.M. nicht die Hoheitsübertragung an fremde Staaten erlaubt57, handelt es sich insbesondere bei der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) gerade nicht um die Übertragung von 55
Sonnenberger, Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche IPR, S. 22. BVerfGE 31, 58, 76 (Spanierentscheidung). 57 Vgl. nur Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 143, m.w.N. in Fn. 314. 56
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Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
Hoheitsrechten an ein fremdes Zurechnungssubjekt. Es geht um die interne Organisation der Gesetzgebung von Zivilrecht des Bundes unter Rückgriff auf fremde Rechtsquellensysteme im Wege internationaler Organleihe. Die Verantwortung des Bundes als Zurechnungssubjekt der Gesetzgebung wird nicht tangiert. Aus diesem Grunde ist schließlich auch Art. 32 GG nicht einschlägig: Die interne Organisation der Gesetzgebungsorgane des Bundes ist keine Frage auswärtiger Beziehungen.
II. Berücksichtigung der Besonderheit von heterogen verknüpften Sachverhalten? 1. Keine Berücksichtigung eines Optimierungsgebots für heterogen verknüpfte Sachverhalte Allerdings ist bereits zur Sachnormverweisung entwickelt worden, dass das Grundgesetz nicht blind gegenüber den internationalen Bezügen eines zu entscheidenden Sachverhalts ist. Dies betrifft jedoch allein Prinzipienkollisionen. Nur bei diesen wird das Postulat des BVerfG relevant, wonach das Grundgesetz von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengesellschaft ausgeht (Präambel, Art. 24 bis 26 GG)58, welches oben als besonderes Optimierungsgebot für heterogen verknüpfte Sachverhalte von Verfassungsrang eingeordnet worden ist, das im Rahmen einer Prinzipienkollision insbesondere die verminderte demokratische Legitimation der Sachnormverweisung zu erklären vermag. Zur Frage nach dem Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage trägt dieser Gedanke daher nichts bei, denn dieses Erfordernis folgt aus dem Kompetenzgefüge des Grundgesetzes und dem Stufenbau der Rechtsordnung. Bei beiden handelt es sich um Regeln, die nur erfüllt oder nicht erfüllt sein können59 und die aufgrund ihrer formallogischen Natur nicht nur Ausdruck hinter ihnen stehender Prinzipien sind, welche lediglich ihre Realisierung in möglichst hohem Maße geböten: Die Regel, dass höherrangige Normen niederrangige derogieren, kann also nicht unter Verweis auf die Internationalität eines Sachverhalts teleologisch reduziert, d.h. in der für Prinzipienkollisionen spezifischen Weise so modifiziert werden, dass beispielsweise höherrangige Normen niederrangige nur zu 90 Prozent derogieren.
58 59
BVerfGE 63, 343, 370. So die Definition bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76.
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2. Kompetenz-Kompetenz kraft Natur der Sache? Damit stellt sich die Frage, ob eine geschriebene Ermächtigungsgrundlage nicht unter Annahme einer ungeschriebenen Delegationskompetenz analog der Figur einer ungeschriebenen Bundeskompetenz „kraft Natur der Sache“60 entbehrlich ist. Darüber ließe sich im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG, wonach das Grundgesetz von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengesellschaft ausgeht (Präambel, Art. 24 bis 26 GG)61, nachdenken, wenn hierfür spezifisch die Technik der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) erforderlich wäre, wenn also eine entwickelte, völkerrechtsfreundliche Rechtsordnung ohne diese Technik gar nicht denkbar wäre. Indes ist die Zahl der Rechtsordnungen, welche Gesamtverweisungen aussprechen, in stetem Fluss; viele Rechtsordnungen der Welt kommen ohne erkennbare Unzuträglichkeiten allein mit Sachnormverweisungen aus62. Ob die Technik des renvoi im künftigen europäischen Kollisionsrecht, welches das autonome deutsche IPR in Zukunft vollständig verdrängen wird, zumindest mit Blick auf Drittstaaten beibehalten werden wird, erscheint derzeit völlig offen63. Und auch für die deutsche Rechtsordnung haben sich zu allen Zeiten Stimmen erhoben, die die Berücksichtigung fremden Kollisionsrechts mit Vehemenz als rechtspolitischen Irrtum 64 bzw. als schlicht überflüssig65 gebrandmarkt haben. Besonders plastisch begreift Ehrenzweig die Regelungstechnik mit Blick auf das Problem des Verweisungsabbruchs sogar als in Willkür endende Erscheinung dogmatischen Verfalls: „It was left to the conceptualist decay of our discipline to turn what started as a debatable proposition usually predicated on the clashes between nationality and domicile states into the ping-pong game of the law of conflict of laws. The resulting infinite circle of two laws referring to each other has been cut in several equally arbitrary ways“66.
60 Diese Figur ist allgemein anerkannt, vgl. BVerfGE 11, 89, 96 f.; 98, 265, 299; ferner etwa Jarass, NVwZ 2000, 1089, 1090, 1091. 61 BVerfGE 63, 343, 370. 62 Vgl. etwa den Überblick bei Mäsch, RabelsZ 61 (1997), S. 285, 286. 63 Nach dem Grünbuch Erb- und Testamentsrecht, KOM (2005) 65 endgültig, sollen einerseits alle Drittstaatensachverhalte erfasst werden, während andererseits mit Frage 12 Argumente zur Zweckmäßigkeit des renvoi erbeten werden. 64 So bereits Kahn, IheringsJ 40 (1898), S. 1, 60 f., Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 131 ff.; Lewald, FS Fritzsche, S. 165, 166 ff. 65 Mäsch, Der Renvoi – Plädoyer für die Abschaffung einer überflüssigen Rechtsfigur, RabelsZ 61 (1997), S. 285 ff.; nach Sonnenberger, in: MüKo BGB4, Art. 4 Rn. 21, legt der Sinn einer jeden Verweisung (vgl. Art. 4 Abs. 1 S. 1 a. E.) zumindest „auf den ersten Blick“ nahe, jeglichen renvoi außer Acht zu lassen. 66 Ehrenzweig, A Treatise on the Conflict of Laws, S. 335.
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Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
Soweit ferner die Gesamtverweisung weit überwiegend67, insbesondere auch durch die Gesetzesbegründung68 rechtsethisch auf die besondere Idee der Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs gestützt wird, der erreicht wäre, wenn unabhängig davon, in welchem Staat ein Urteil über einen Sachverhalt gefällt wird, das diesen beherrschende Rechtsverhältnis gleich beurteilt würde69, ist zu berücksichtigen, dass das BVerfG in der Spanierentscheidung70 das „Prinzip des äußeren Entscheidungseinklangs“ kurzerhand als „weithin unerfülltes Ideal“ eingeordnet und diesem in seiner Abwägung kein signifikantes Gewicht eingeräumt hat. Über die praktische Unmöglichkeit der vollständigen Erreichung des Ideals mit den Mitteln des einzelnen Nationalstaats herrscht Konsens71. Streit herrscht vielmehr darüber, ob die nur bedingte Eignung des renvoi zur Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs72 mehr als nur eine marginale ist73, zumal die Technik unmittelbar nur auf bilateralen Entscheidungseinklang mit nur einem anderen Staat, dessen IPR gegebenenfalls nur Sachnormverweisungen kennt, gerichtet ist. Rechtsethisch ist zudem zweifelhaft, warum man bilateralen Entscheidungseinklang mit einem Staat ohne Rücksicht darauf suchen sollte, ob dieser Staat überhaupt eine internationale Zuständigkeit für den zu entscheidenden Fall beansprucht74. Schließlich verfolgt unser IPR den internationalen Entscheidungseinklang bereits als Ideal schon deshalb, weil es auch Sachnormverweisungen vorsieht (Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB: entscheidend ist der „Sinn der Verweisung“), jedenfalls nicht universell, sondern allenfalls eklektisch, zudem bei nach h.M.75 grundsätzlich selbständiger Vorfragenanknüpfung nur grundsätzlich subsidiär gegenüber dem internen Entscheidungseinklang76 und im Detail durchaus inkonsequent (vgl. etwa Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB: allein die deutsche Staatsangehörigkeit ist selbst dann maßgeblich, wenn sie nicht die effektive ist: das zielt 67 Vgl. nur die umfangreichen Nachweise bei Sonnentag, Der Renvoi im IPR, S. 119 Fn. 16. 68 BT-Drucks. 10/504, S. 38. 69 S. nur Jayme, in: FS Bosch, S, 459. 70 BVerfGE 31, 58, 83. 71 Vgl. etwa Kegel, in: Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, 18. Folge (1961), Geisteswissenschaften, S. 7, 38; Pagenstecher, Der Grundsatz des Entscheidungseinklangs im IPR, S. 8; Sonnentag, Der Renvoi im IPR, S. 118. 72 So insbesondere das Resümee bei Sonnentag, Der Renvoi im IPR, S. 140. 73 Kritisch Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 131 f.; Lewald, FS Fritzsche, S. 165, 166 ff.; Mäsch, RabelsZ 61 (1997), S. 285, 296 ff. 74 Nur bei konkurrierenden Zuständigkeiten einen Sinn der Gesamtverweisung für möglich haltend Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 131; dies sogar auf Fälle „nicht nur theoretischer Konkurrenz“ beschränkend Mäsch, RabelsZ 61 (1997), S. 285, 297. 75 Vgl. Kropholler, IPR6 , § 32 IV, S. 226; Kegel/Schurig, IPR9, § 9 II 1, S. 381, Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2, § 7 Rn. 195 ff.; a. A. Bernd v. Hoffmann/Thorn, IPR8 , § 6 Rn. 71–72; Wengler, RabelsZ 8 (1934), S. 148 ff., 207. 76 Näher zum Spannungsverhältnis von renvoi und selbständiger Vorfragenanknüpfung etwa Sonnentag, Der Renvoi im IPR, S. 130 f.
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nicht einmal mehr auf Entscheidungseinklang; zum Verweisungsabbruch s. unten S. 228 ff.)77. Ungeachtet der rechtspolitischen Zweckmäßigkeit der Berücksichtigung fremden Kollisionsrechts ist daher jedenfalls keine rechtsethische Notwendigkeit erkennbar, aus der sich folgern ließe, dass die Verfassung bereits mit ihrer Grundentscheidung zur Einordnung in die Staatengemeinschaft die Zulässigkeit der IPR-Delegation „kraft Natur der Sache“ im Sinne einer ungeschriebenen Ermächtigungsgrundlage impliziere, welche das geschriebene Kompetenzgefüge der Verfassung derogiert. Anderenfalls wäre für das autonome deutsche IPR umgekehrt die Frage zu stellen, ob der internationale Entscheidungseinklang gedacht als Optimierungsgebot von Verfassungsrang aus besonderer rechtsethischer Notwendigkeit überhaupt mit der Verfassung genügender Konsequenz verfolgt wird.
III. Ungeschriebene Ermächtigung aus Verfassungsgewohnheitsrecht? Nach dem bisher Gesagten bleibt noch die Erwägung, ob sich eine Ermächtigung des IPR-Gesetzgebers zur Modifikation der Kompetenzordnung des Grundgesetzes aus Verfassungsgewohnheitsrecht deshalb ergeben kann, weil die Verfassungskonformität der im EGBGB kodifizierten Gesamtverweisung als abstrakte Regelungstechnik bislang nicht bezweifelt worden ist.
1. Wider die Figur der Delegationskompetenz kraft wiederholter Usurpation Neben dem sogleich zu erörternden richterrechtlichen Gewohnheitsrecht wird gemeinhin die Bildung von Gewohnheitsrecht in der Weise anerkannt, dass der beteiligte Verkehrskreis eine ständige Übung in der Überzeugung, dass diese rechtlich verbindlich sei (opinio iuris 78), an den Tag legt. Fraglich ist aber bereits, ob eine Delegationskompetenz, also die von der durch eine Delegation derogierten regelmäßigen Kompetenz streng zu unterscheidende Rechtsmacht zur Delegation, überhaupt durch wiederholte Delegation begründet werden kann. Reinhardt hält dies für den Bereich der unter Gesetzesvorbehalt stehenden Delegation für ausgeschlossen, trifft daneben aber lapidar die Feststellung, dass es keinen Grund gebe, keine Delegationsermächtigung aus Gewohnheitsrecht anzunehmen, wenn die Voraussetzungen für die Bildung von Gewohnheitsrecht erfüllt 77 Zudem wird beispielsweise von Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, S. 176 ff., für den großen Bereich des in rasanter Entwicklung befindlichen Verbrauchervertragsrechts gar „der schleichende Tod der Comitas“ konstatiert. 78 Vgl. nur Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 , S. 215.
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Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
seien; jedoch würden die Voraussetzzungen kaum je erfüllt sein79. Damit impliziert er offenbar, dass der Inhaber der ordentlichen Kompetenz ohne weiteres mit dem zur Schaffung einer gewohnheitsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage für die Delegation berufenen Verkehrskreis identisch sei. Dabei ist aber zu bedenken, dass nach der hier geteilten Prämisse Barbeys die Identität des Inhabers der ordentlichen Kompetenz mit dem Urheber der delegierenden Norm kein spezifisches Merkmal der Delegation ist80. Daraus folgert Barbey, dass die grundsätzliche Annahme der Möglichkeit einer verfassungsgewohnheitsrechtlichen Delegationsermächtigung sich nicht auf bereits ungeachtet dieser gewohnheitsrechtlichen Ermächtigung als Verfassungsorgane einzuordnende Stellen beschränken lasse, dass also unter der Prämisse der Möglichkeit der gewohnheitsrechtlichen Schaffung einer Delegationskompetenz jedermann diese erlangen könne. Aus diesem Grunde lehnt Barbey die Figur der Schaffung einer Delegationskompetenz durch wiederholte Delegation kategorisch ab81. Das ist im Ergebnis für die Bildung von Gewohnheitsrecht kraft Übung des beteiligten Verkehrskreises aus folgender Erwägung überzeugend: Wie soeben gesagt, wird gemeinhin die Bildung von Gewohnheitsrecht in der Weise anerkannt, dass der beteiligte Verkehrskreis eine ständige Übung in der Überzeugung, dass diese rechtens sei, verfolgt. Eine solche Bildung von Gewohnheitsrecht ist dabei nicht gegen zwingendes Recht möglich, solange man nicht für dieses aufgrund einer generellen und dauernden Nichtanwendung auch bei Anlass hierfür – desuetudo82 – aufgrund des Wegfalls selbst eines Minimums an sozialer Wirksamkeit(-schance)83 von einem Geltungsverlust ausgeht. Die rechtsethische Idee der Bildung von Gewohnheitsrecht durch ständige Übung hat sich ferner zunächst eindeutig für die Ebene des regulativen Rechts (primary rules im Sinne Harts84), insbesondere des Privatrechts entwickelt. Gewohnheitsrecht durch Übung entsteht, wenn im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten, welche das zwingende Recht der Privatautonomie einem Verkehrskreis anheim stellt, die diesem Kreis Zugehörigen diesen Spielraum gleichförmig im Sinne der Selbstbindung auf eine bestimmte Gestaltung einschränken. Ge79
Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 96. Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 86 ff. 81 Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, S. 97 ff. 82 Zu diesem Gedanken vgl. nur Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, S. 215.; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 418, der insofern von „Obsoletwerden“ spricht. 83 Diese heute als Merkmal geltenden Rechts begreifend Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 201; Dreier, NJW 1986, 890, 896; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 479; Mock, in: Rechtsgeltung, ARSP-Beiheft 27 (1986), S. 51; Zippelius, Juristische Methodenlehre10 , § 2, S. 7; so aber auch bereits etwa Kelsen, Reine Rechtslehre2, S. 10 f.; Radbruch, Rechtsphilosophie8 , S. 170. 84 Zur Differenzierung zwischen primary und secondary rules Hart, The Concept of Law2, S. 79 ff. 80
C. Die IPR-Delegation (Gesamtverweisung)
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wohnheitsrecht auf der Ebene des Privatrechts ist also kurz gesagt die kollektiv privatautonome Selbstbeschränkung eines Verkehrskreises auf eine bestimmte Gestaltung. Privatrecht definiert über die Zuweisung von Rechten einen Spielraum privater Gestaltung, der durch Selbstbindung weiter beschränkt werden kann. Es können sich daher als beteiligter Verkehrskreis durch einen Gewohnheitsrechtssatz diejenigen kollektiv binden, die durch die Schaffung des Gewohnheitsrechtssatzes eine ihnen von der Rechtsordnung zugewiesene individuelle Freiheit beschränken. Gewohnheitsrecht erlaubt nicht die Anmaßung einer vorher nicht vorhandenen Freiheit gegen zwingendes Recht. Selbst wenn man nicht nur die Verfassung im Allgemeinen, sondern auch ihr Kompetenzgefüge im Besonderen für der Figur des Gewohnheitsrechts grundsätzlich zugänglich hält85, so liegt das Kernproblem in der Frage, wer eigentlich zur Setzung von Kompetenzgewohnheitsrecht berufener Verkehrskreis sein soll. Das ist der tiefere Hintergrund der Einschätzung Barbeys, dass jedermann sich die Delegation anmaßen könne. Um dagegen den Inhaber der ordentlichen Kompetenz als „geborenen Verkehrskreis“ zur Schaffung einer gewohnheitsrechtlichen Delegationskompetenz durch wiederholte Delegation anzusehen, müsste man in der Delegation die Selbstbeschränkung im Rahmen eines dem Inhaber der ordentlichen Kompetenz durch die Rechtsordnung zugewiesenen Freiraums sehen. Ein solcher Freiraum ist aber gar nicht Inhalt der ordentlichen Kompetenz, sondern der Kompetenz-Kompetenz, die allein beim Geber der Regelkompetenznorm liegt, sofern dieser nicht einer beliebigen Stelle eine Kompetenz-Kompetenz zuweist. Als zur Schaffung von Gewohnheitsrecht durch Delegation berufener „Verkehrskreis“ ist demnach allein derjenige denkbar, der eine Delegationskompetenz bereits innehat: Die Regeln der Verfassung über die Gesetzgebungskompetenz definieren als zwingendes Recht, wer die Kompetenz innehat, ob diese delegiert werden kann und gegebenenfalls von wem. Ist eine Delegationskompetenz nicht vom Geber der Regelkompetenznorm besonders angeordnet, so hat aufgrund des Stufenbaus der Rechtsordnung insbesondere der Inhaber der ordentlichen Kompetenz keine Kompetenz-Kompetenz (Delegationskompetenz). Für eine generelle desuetudo des Stufenbaus der Rechtsordnung des Grundgesetzes im Sinne des Verlusts selbst einer minimalen Verwirklichungschance bestehen keine Anzeichen; sie käme ohnehin einem Ordnungs- und damit Geltungsverlust der Verfassung gleich. Die Usurpation einer nicht in der Verfassung vorgesehenen Delegationskompetenz durch Delegation erfolgt daher contra legem und kann eine gewohnheitsrechtliche Delegationskompetenz des Inhabers der Regelkompetenz nicht begründen.
85
Grundsätzlich ablehnend BVerfGE 61, 149, 203.
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Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
Daraus folgt, dass der Bundesgesetzgeber sich insbesondere durch den Erlass von Art. 4 Abs. 1 EGBGB nicht selbst die hierfür notwendige KompetenzKompetenz im Wege der schlichten Usurpation verschaffen konnte.
2. Richterliches Gewohnheitsrecht? Das Problem, dass es schon keinen Verkehrskreis gibt, der durch gewohnheitsmäßige Delegation eine gewohnheitsrechtliche Delegationskompetenz begründen könnte, weil der zur Delegation berufene Verkehrskreis eben erst aus einer Kompetenz-Kompetenz folgt, stellt sich freilich nicht, soweit man auch dauerhaft gleichförmige gerichtliche Kognition als Quelle von Gewohnheitsrecht anerkennt86. Doch ist aus einer solchen Quelle für die IPR-Delegation nichts zu gewinnen. Insbesondere trägt der nahe liegende Gedanke eines vom Reichsgericht geprägten, vorkonstitutionellen gewohnheitsrechtlichen IPR nicht. Selbst wenn man annehmen wollte, dass die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes vom Reichsgericht anerkannten Gesamtverweisungen richterrechtlich verfestigt gewesen seien, so beträfe dies doch allenfalls die darin zu sehenden Delegationen, nicht aber eine nachkonstitutionelle Delegationskompetenz des Bundesgesetzgebers, deren es insbesondere für die Neukodifizierung von 198687, auf die Art. 4 Abs. 1 EGBGB in seiner heutigen Form zurückgeht, bedurft hätte. Insofern sei darauf hingewiesen, dass das BVerfG einer Beeinflussung der Kompetenzordnung durch Gewohnheitsrecht ablehnend gegenüber steht. In seiner Entscheidung zur Bundeskompetenz für Staatshaftungsrecht hat das Gericht in apodiktischer Kürze festgestellt, dass zu Gewohnheitsrecht erstarkte Regeln keine Veränderung der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes für gesetztes Recht zur Folge haben88. Ganz generell spricht aber gegen jede gewohnheitsrechtliche Anerkennung der IPR-Delegation (Gesamtverweisung), dass auch richterliches Gewohnheitsrecht die Äußerung einer dieses tragenden Rechtsüberzeugung – opinio iuris – erfordert. Gewohnheitsrechtliche Verfestigung durch gerichtliche Kognition setzte also Kognition erst einmal voraus. Soweit aber der BGH in frühen Entscheidungen89 kollisionsrechtlichen Stellungnahmen90 in der Einschätzung gefolgt ist, dass das IPR die räumliche bzw. 86 Vertiefend zur Rechtsnatur von Richterrecht etwa Stern, Staatsrecht II, § 37 II 2 e, S. 581 ff. m.w.N. 87 Gesetz vom 25.07.1986, BGBl. I 1986 Nr.37, 30.07.1986, S.1142 ff. 88 BVerfGE 61, 149, 203. 89 Vgl. BGHZ 42, 7, 13 ff. 90 Vgl. nur Beitzke, Grundgesetz und IPR, S. 34; Ferid, in: FS Dölle, Bd. II, 1963, S. 119, 143; sowie durchaus auch noch nach der Spanierentscheidung Kegel, in: Soergel11 (1984), Art. 13 EGBGB Rn. 10; Neuhaus, RabelsZ 36 (1972), 136.
C. Die IPR-Delegation (Gesamtverweisung)
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persönliche Geltung der Verfassung abgrenze und diese daher – obwohl normenhierarchisch über einfachgesetzlichem IPR stehend – nur im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeit deutschen Privatrechts Wirkung entfalte, ist dies mit der Spanierentscheidung91 des BVerfG überzeugend kassiert worden. Wie bereits in der Einleitung kritisiert, verweigert das BVerfG allerdings seitdem jede nähere Stellungnahme zur Rechtsnatur des IPR und umschreibt stattdessen gewunden, dass der Gesetzgeber gegebenenfalls „ausländische Pflichten“ „in seinen Willen aufgenommen hat, als er durch Regelungen des internationalen Privatrechts die Durchsetzbarkeit dieser ausl. Pflichten durch Einklagbarkeit und Vollstreckbarkeit im Inland gewährleistet“92,
sich dabei aber nicht die Wertungen dieser „ausländischen Pflichten“ zu Eigen gemacht habe93. Es konnte demgegenüber in dieser Arbeit gezeigt werden, dass der Gesetzgeber sich zwar in der Tat nicht die Teleologie der ausländischem Recht entlehnten Normsätze zu Eigen macht, dass aber nichtsdestotrotz die Produkte der kollisionsrechtlichen Verweisung Bundesrecht sind94. Die „in den Willen des deutschen Gesetzgebers aufgenommenen Pflichten“ sind Pflichten aus deutschem Bundesrecht. Ohne zutreffende gerichtliche Einordnung der Gesamtverweisung als besondere Form der Delegation von Gesetzgebung konnte sich aber notwendig auch keine richterrechtlich verfestigte Rechtsüberzeugung bilden, dass der Bundesgesetzgeber seine Kompetenz für das Zivilrecht jenseits der Anforderungen des Art. 80 GG delegieren dürfe. Schon aufgrund des Mangels einer solchen Überzeugung gibt es jedenfalls keine Delegationsermächtigung kraft richterrechtlichen Verfassungsgewohnheitsrechts.
IV. Ergebnis Die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) ist schon mangels einer Ermächtigungsgrundlage hierfür verfassungswidrig.
91 92 93 94
BVerfGE 31, 58 72 ff. BVerfG, FamRZ 2005, 1813, 1815. BVerfG, FamRZ 2005, 1813, 1815. Vgl. die diesbezügliche Zusammenfassung oben S. 136 ff.
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D. Die IPR-Delegation als Demokratieproblem I. Die Berücksichtigung auch fremden Kollisionsrechts als qualifizierte Zurückdrängung des Demokratieprinzips Schließlich ist die Berücksichtigung fremden Kollisionsrechts nicht nur einfach ein formales Problem, welches allein mit der Aufnahme einer Ermächtigungsgrundlage für die IPR-Delegation in die Verfassung befriedigend gelöst wäre. Hierzu sei noch einmal der kategoriale Unterschied zwischen Sachnormverweisung und IPR-Delegation (Gesamtverweisung) hervorgehoben. Bei ersterer werden einzelne rechtliche Bewertungen eines Sachverhalts jeweils einem nach autonomen Wertungen der deutschen Kollisionsrechtsordnung ausgewählten, gegebenenfalls ausländischen Sachrecht unterstellt. Bei der Inbezugnahme von fremdem Kollisionsrecht wird darüber hinaus schon die Entscheidung darüber, welcher Rechtsordnung Sachrecht „Anwendung“ finden soll, ausländischen Wertungen überlassen95. Darin liegt ein qualitativer Sprung vom Kollisionsrecht zum „Kollisionsrecht der Kollisionsrechte“ 96. Gegenüber der Sachnormverweisung bedeutet die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) eine qualitativ höhere Zurückdrängung des Demokratieprinzips. Diese bedarf im Rahmen der Prinzipienabwägung der besonderen Rechtfertigung.
II. Internationaler Entscheidungseinklang als denkbares Optimierungsgebot von Verfassungsrang Nun ist bereits oben97 das Demokratieprinzip für heterogen verknüpfte Sachverhalte als echtes Optimierungsgebot eingeordnet worden, welches im Falle einer Kollision mit einem anderen Optimierungsgebot von Verfassungsrang aufgrund der Auflösung der Prinzipienkollision durch praktische Konkordanz gegebenenfalls geringere Anforderungen produziert als ohne eine solche Kollision. Allerdings kann eine Zurückdrängung der demokratischen Legitimation des deutschen Zivilrechts offensichtlich nicht mit der traditionell für die Beachtung des renvoi ins Feld geführten98 „fehlenden Anwendungswilligkeit“ einer Rechtsordnung, auf die unser IPR verweist, begründet werden99. Ebenso wenig trägt die 95
Dazu auch Gebauer, in: FS Jayme, S. 223. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 73; der Idee eines Kollisionsrechts der Kollisionsrechte spürt bereits Eckstein, RabelsZ 8 (1934), 121 ff., nach. 97 Vgl. oben S. 207 ff. 98 Etwa durch Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR 2 , S. 271. 99 Bereits aus allgemein rechtsethischen Erwägungen zu Recht skeptisch hierzu Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 294 f. 96
D. Die IPR-Delegation als Demokratieproblem
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insbesondere auch vom Gesetzgeber100 für die Gesamtverweisung ins Feld geführte vermehrte Heimatrechtsanwendung durch Beachtung des renvoi: Diese kann die qualifizierte Zurückdrängung des Demokratieprinzips schon deshalb nicht rechtfertigen, weil zur vermehrten Heimatrechtsanwendung die Berücksichtigung fremden Kollisionsrechts gar nicht erforderlich wäre. Entgegen Mäsch101 muss zwar die konsequente Verfolgung des Heimwärtsstrebens nicht zu einem fakultativen Kollisionsrecht 102 führen. Stattdessen könnte man aber z. B. auch Sachnormverweisungen mit alternativen Anknüpfungen definieren – deutsches Recht ist anzuwenden, wenn der Betroffene entweder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat – und erst dann ausländisches Sachrecht berücksichtigen, wenn keine dieser Anknüpfungen zu deutschem Sachrecht führt. Gegen ein solches Modell mag man aus rechtspolitischer Perspektive einwenden, dass dies chauvinistisch sei, doch muss, wer so argumentiert, konsequenter Weise bereits das Ziel der vermehrten Heimatrechtsanwendung als chauvinistisch einordnen, also auch dann, wenn man es mithilfe des renvoi unter dem Deckmantel des internationalen Entscheidungseinklangs verfolgt oder offen die einfachere und effizientere Handhabbarkeit deutschen Sachrechts für den deutschen Richter betont103. Demnach kommt auch zur Rechtfertigung der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) nur der vom BVerfG vielfach herausgestellte Gedanke der Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in die Staatengemeinschaft als besonderes Optimierungsgebot von Verfassungsrang für heterogen verknüpfte Sachverhalte in Betracht104. Aufgrund seiner bisher geringen Konturierung ist jedoch noch nicht klar, ob dieses Optimierungsgebot die IPR-Delegation tragen kann. Denn eine Einordnung in die Staatengemeinschaft erfolgt jedenfalls auch schon über die Sachnormverweisung. Hier gewinnt allerdings das traditionelle und auch die Gesetzesbegründung tragende105 Argument der Kollisionsrechtswissenschaft Gewicht, dass die Gesamtverweisung den internationalen Entscheidungseinklang besonders fördere. Nimmt man einmal – gegebenenfalls als Ausdruck einer Einschätzungsprärogative des IPR-Gesetzgebers – an, dass die IPR-Delegation den internationalen Entscheidungseinklang tatsächlich signifikant besser verwirklicht106, muss man also begründen, dass es nicht nur ein Optimierungs100
Vgl. BT-Drucks. 10/504, S. 38. Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 298 f. 102 Entwickelt von Flessner, Fakultatives Kollisionsrecht, RabelsZ 34 (1970), 547 ff.; dazu ders., Interessenjurisprudenz, S. 59, 119 ff., 122. 103 Grundlegend Drobnig, RabelsZ 34 (1970), S. 636, 639 f.; dieses Argument mit Verweis auf den Stand der Rechtsvergleichung generell für unbeachtlich haltend dagegen Sonnenberger, in: MüKo BGB4, Art. 4 Rn. 22. 104 Vgl. dazu bereits oben S. 207 ff. 105 BT-Drucks. 10/504, S. 38. 106 Kritisch insbesondere Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 131 f.; Lewald, FS Fritzsche, S. 165, 166 ff.; Mäsch, RabelsZ 61 (1997), S. 285, 296 ff. 101
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Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
gebot der Einordnung Deutschlands in die Staatengemeinschaft gibt, sondern dass auch die besondere Zielsetzung der Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs hierdurch gedeckt ist. Die Rechtsprechung des BVerfG bietet hierfür zwar kaum Autorität, hat dieses doch in der Spanierentscheidung das „Prinzip des äußeren Entscheidungseinklangs“ nur einmal en passant als „weithin unerfülltes Ideal“ abqualifiziert107. Jedoch würde die Aufnahme einer besonderen Ermächtigungsgrundlage für die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) in die Verfassung ein entsprechendes Optimierungsgebot von Verfassungsrang implizieren. Indessen wäre selbst dann immer noch nicht ganz zweifelsfrei, ob ein solchermaßen impliziertes Optimierungsgebot auch darauf gerichtet wäre, im Wege der Gesamtverweisung/IPR-Delegation den bilateralen Entscheidungseinklang mit einem Staat zu suchen, der für den zu entscheidenden Fall gar keine internationale Zuständigkeit beansprucht108.
III. Die Überbeanspruchung eines solchen Optimierungsgebots am Beispiel des rechtswahlfesten Verweisungsabbruchs Selbst bei Anerkennung des internationalen Entscheidungseinklangs als Optimierungsgebot von Verfassungsrang durch Aufnahme einer besonderen Ermächtigungsgrundlage in die Verfassung wäre Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch aus einem weiteren Gesichtspunkt nicht pauschal als verfassungskonform einzuordnen: Die Einschränkung eines Verfassungsprinzips, die über das hinausgeht, was nach dem Gewicht der gegenläufigen Verfassungsprinzipien zulässig ist, ist stets unzulässig109. Nimmt man also an, dass die qualifizierte Zurückdrängung des Demokratieprinzips allein durch ein besonderes Optimierungsgebot des internationalen Entscheidungseinklangs begründet werden könne, so liegt angesichts der Marginalisierung der Eignung der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) zur Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs durch das Gesamtkonzept unseres IPR (insbesondere durch selbständige Vorfragenanknüpfung110 und Ordre-public-Kontrolle111) auf der Hand, dass Art. 4 Abs. 1 EGBGB sich bereits ungeachtet der Frage nach einer Ermächtigungsgrundlage stets zumindest am äußersten Rand des gegenüber dem Demokratieprinzip begründbaren Spielraums bewegt. Unter diesem Gesichtspunkt alle Aspekte der IPR-Delega107
BVerfGE 31, 58, 83. Nur bei konkurrierenden Zuständigkeiten einen Sinn der Gesamtverweisung anerkennend Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 131; Mäsch, RabelsZ 61 (1997), S. 285, 296. 109 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 266. 110 Vgl. zur Figur oben S. 95 ff. 111 Siehe zu deren Bewertung näher oben S. 179 ff. 108
D. Die IPR-Delegation als Demokratieproblem
229
tionen des deutschen Kollisionsrechts zu beleuchten, hieße freilich wiederum, das Thema dieser Bearbeitung weit hinter sich zu lassen. Es soll daher lediglich am folgenden Beispiel kurz gezeigt werden, dass zumindest die starre Regelung des Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB bereits ungeachtet der Frage einer Ermächtigungsgrundlage für die IPR-Delegation den Boden der Verfassung verlässt. Man stelle sich vor, dass zwei (vermeintliche) Erben über den sich in beweglichem Vermögen erschöpfenden Nachlass eines in Hamburg verstorbenen Erblassers französischer Staatsangehörigkeit streiten, der in seinem Testament für die Rechtsnachfolge von Todes wegen französisches Sachrecht gewählt hat. Art. 25 Abs. 1 EGBGB verweist für die Frage der Rechtsnachfolge von Todes wegen unter Ausschluss der Rechtswahl grundsätzlich auf französisches Kollisionsrecht, französisches Kollisionsrecht aber – ebenfalls eine Rechtswahl des Erblassers ausschließend112 – grundsätzlich auf deutsches Recht als Wohnsitzrecht113. In diesem Fall hat der deutsche Richter aufgrund des renvoi aus deutscher Sicht nach Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB deutsches Erbrecht, der französische aufgrund des renvoi aus französischer Sicht in der Linie der Forgo-Entscheidung114 der Cour de cassation französisches Erbrecht anzuwenden. Der grundsätzlich angestrebte Entscheidungseinklang mit der französischen Rechtsordnung wird nicht zuletzt deshalb verfehlt, weil der Verweisungsabbruch des EGBGB zu Gunsten deutschen Sachrechts im Ergebnis selbst die Wahl französischen Sachrechts durch den Erblasser ignoriert, obwohl zur französischen Rechtsordnung nach der Grundwertung des Art. 25 EGBGB die engste Verbindung besteht. Nun bedeutet die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) nach dem oben Gesagten deshalb eine gegenüber der Sachnormverweisung qualifizierte Zurückdrängung des Demokratieprinzips, weil schon die Entscheidung über das anwendbare Sachrecht von fremdem Kollisionsrecht abhängig gemacht wird. Das ändert sich auch nicht prinzipiell, wenn bedingt durch eine grundsätzliche Rückverweisung zu Gunsten des deutschen Sachrechts abgebrochen wird. Die Zurückdrängung des Demokratieprinzips bedarf der Rechtfertigung, für die nach den bisherigen Ergebnissen überhaupt nur eine Prinzipienkollision mit dem Optimierungsgebot des internationalen Entscheidungseinklangs als besondere Ausprägung des Gedankens der Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die Staatengemeinschaft in Betracht kommt. Dieses denkbare Optimierungsgebot wird aber durch kategorischen Abbruch zu Gunsten der eigenen Rechtsordnung verfehlt; der Abbruch vereitelt den Entscheidungseinklang mit der Bezugsrechtsordnung, ohne dessen grundsätzliche Förderung die Technik der Gesamtverweisung jedenfalls das Demokratieprinzip verletzt. 112
Mayer/Heuzé, Droit international privé8 , Rn. 807. Vgl. hierzu Mayer/Heuzé, Droit international privé8 , Rn. 803, 806. 114 Civ. 24 juin 1878, Forgo, précité n° 218; zur Anerkennung des renvoi bei Mobilien Mayer/Heuzé, Droit international privé8 , Rn. 805. 113
230
Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
Auch kann man hinsichtlich der Vereitelung des Entscheidungseinklangs nicht anführen, Gesetzgebung dürfe in komplexen Situationen pauschalieren und generalisieren, so dass Unzuträglichkeiten in Einzelfällen hinnehmbar seien. Denn schon eine einfache abstrakt-generelle Regelung, nämlich die Zulassung einer beschränkten Rechtwahl zu Gunsten des nur grundsätzlich rückverweisenden (französischen) Rechts, wäre geeignet, den internationalen Entscheidungseinklang zu fördern, den die starre Abbruchsregel des Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB sehenden Auges vereitelt. Damit lässt sich bereits ganz ungeachtet dessen, dass nach jüngerer Betrachtung die Rechtswahl des Erblassers in den Schutzbereich der in Art. 14 GG grundrechtlich verankerten Testierfreiheit fällt115, festhalten, dass der selbst die testamentarische Rechtswahl zu Gunsten des grundsätzlich rückverweisenden Rechts ignorierende Verweisungsabbruch das Demokratieprinzip verletzt, weil er das einzig als von Verfassungsrang denkbare Optimierungsgebot missachtet, welches zur Rechtfertigung der gegenüber der Sachnormverweisung qualifizierten Zurückdrängung demokratischer Legitimation bei der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) in Betracht kommt. Damit wird zwar die im Vordringen befindliche Erkenntnis gar nicht mehr ergebnisrelevant, dass objektive Anknüpfungen „die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme, nicht die Regel“116 sein müssen. Auch daraus ergibt sich freilich ein Aspekt mangelnder sachlicher Rechtfertigung: Verweist der deutsche Gesetzgeber auf das Kollisionsrecht einer Rechtsordnung, so ist er mit dessen Verweisung auf das Sachrecht dieser Rechtsordnung als derjenigen mit nach deutschen Vorstellungen engster Verbindung zum Sachverhalt grundsätzlich einverstanden. Im Beispiel räumt also deutsches IPR jedenfalls keinem Gesichtspunkt, der eine Beschränkung der Rechtswahl rechtsethisch legitimieren könnte – Interessen potentieller Erben oder besonderer Dritter sowie Allgemeinwohlgesichtspunkte – gegenüber der Anwendung französischen Sachrechts Priorität ein. Die Verweigerung selbst einer auf französisches Recht beschränkten Wahl für den Fall des „Verweisungspingpongs“ ist damit ein ungerechtfertigter Eingriff in die Rechtswahlfreiheit des Erblassers, weil man den Ausschluss der Rechtswahl, die Entscheidungseinklang herbeiführt, nicht mit dem Entscheidungseinklang rechtfertigen kann, den man vereitelt.
115
Vgl. Dreher, Die Rechtswahl im internationalen Erbrecht, S. 113, 130. Schack, in: Liber Amicorum, Gerhard Kegel (2002), S. 179, 196; dem folgend Leible, in: FS Jayme, S. 485, 503. 116
E. Abschließende Erwägung
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IV. Ergebnis Die Regelungstechnik der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) ist bereits ungeachtet der Frage einer Ermächtigungsgrundlage hierfür stets ein besonderes Demokratieproblem, weil sie das Demokratieprinzip im Vergleich zur Sachnormverweisung stets qualifiziert zurückdrängt. Selbst wenn das BVerfG in der Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs eine besondere Ausprägung des Gedankens der Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in die Staatengemeinschaft als besonderes Optimierungsgebot von Verfassungsrang für heterogen verknüpfte Sachverhalte erkennen und der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) eine signifikante Eignung hierfür zubilligen sollte, vermag ein solches Optimierungsgebot die gegenwärtige Positivierung in Art. 4 Abs. 1 EGBGB nicht vollumfänglich zu rechtfertigen. Auch wenn dessen punktuelle Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit keinesfalls als hinreichender Beleg für Ehrenzweigs pauschale Verdammung jeglicher Lösung des Verweisungsabbruchs und damit der Regelungstechnik der Gesamtverweisung insgesamt als Willkür117 geeignet ist, so kann dem Verweisungsabbruch de lege lata umgekehrt aber auch keine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt werden. Hat sich doch gezeigt, dass jedenfalls im Zusammenwirken der Artt. 4 Abs. 1 S. 2, 25 Abs. 1 EGBGB der pauschale Verweisungsabbruch unter Missachtung selbst der testamentarischen Wahl des Sachrechts der nur grundsätzlich rückverweisenden (weil ebenfalls eigennützig abbrechenden) Rechtsordnung insbesondere eine sachlich nicht gerechtfertigte Zurückdrängung, d.h. Verletzung des Demokratieprinzips bedeutet.
E. Abschließende Erwägung: Begrenzte Berücksichtigung nur der Rückverweisung? I. Die Idee einer bedingten Sachnormverweisung Ist aber die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) verfassungswidrig, so liegt nahe, Art. 4 Abs. 1 EGBGB verfassungskonform so auszulegen, dass die Berücksichtigung fremden Kollisionsrechts regelmäßig dem Sinn der Verweisung widerspricht. Das erscheint freilich nicht a priori zwingend. Denkbar wäre beispielsweise auch, prinzipiell von einer Sachnormverweisung auszugehen und 117 Vgl. Ehrenzweig, A Treatise on the Conflict of Laws, S. 335: „It was left to the conceptualist decay of our discipline to turn what started as a debatable proposition usually predicated on the clashes between nationality and domicile states into the ping-pong game of the law of conflict of laws. The resulting infinite circle of two laws referring to each other has been cut in several equally arbitrary ways“.
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Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
dennoch ausländisches Kollisionsrecht nicht im Wege einer Machtzuweisung, sondern nur im Wege einer Machtanknüpfung, also in dynamischer Verweisung zu berücksichtigen. Insbesondere kommt eine Sachnormverweisung unter der Bedingung in Betracht, dass die Rechtsordnung, auf die verwiesen wird, nicht unmittelbar oder mittelbar durch eine Weiterverweisungskette auf deutsches Recht zurückverweist. Dadurch würde im Gegensatz zur bisherigen Konzeption der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) nicht eine fremde Sachnormverweisung grundsätzlich kongruent abgebildet, d.h. zur geltenden Norm inländischen Rechts erhoben, sondern eine deutsche Sachnormverweisung als materielles deutsches Privatrecht im Wege einer dynamischen Verweisung auf fremdes Kollisionsrecht unter eine Bedingung gestellt. Das Produkt dieser Operation bliebe ein aliud gegenüber von ausländischen Rechtsquellen formulierten Normsätzen. Damit handelte es sich nicht um eine Kompetenzzuweisung, sondern es bliebe bei einer dynamischen Verweisung auf der Ebene des (regulativen) Privatrechts.
II. Verfassungsmindestanforderungen: realer bilateraler Entscheidungseinklang Mangels eines Eingriffs in die Kompetenzordnung des Grundgesetzes bedürfte es für eine beschränkte Berücksichtigung fremden Kollisionsrechts nur zu Gunsten des deutschen Sachrechts keiner Ermächtigungsgrundlage von Verfassungsrang. Zudem ließe sich als Kompensation für das erhöhte Demokratiedefizit infolge der Berücksichtigung auch des fremden Kollisionsrechts118 einwenden, dass diese Form der Berücksichtigung stets nur die Anwendbarkeit deutschen Sachrechts zur Folge haben kann, dessen Inhalte im Gegensatz zu denjenigen ausländischen Sachrechts fundamental höhere demokratische Legitimation aufweisen. Machte man allerdings die Anwendbarkeit eines grundsätzlich berufenen Sachrechts einer ausländischen Rechtsordnung davon abhängig, dass das Kollisionsrecht dieser Rechtsordnung nicht auf deutsches Recht verweist, so behandelte man zwei vergleichbare Fälle – jeweils grundsätzliche Verweisung auf ausländisches Sachrecht – je nach (mittelbarer) Rückverweisung unterschiedlich. Dafür bedürfte es im Lichte des Art 3 Abs. 1 GG eines sachlichen Rechtfertigungskriteriums. Im Gedanken der vermehrten Heimatrechtsanwendung allein kann ein solches aber nicht liegen, weil alle Vor- und Nachteile der vermehrten Heimatrechtsanwendung völlig unabhängig davon sind, was der Gehalt ausländischen Kollisionsrechts ist. Mit anderen Worten bedürfte es eines sachlichen Kriteriums, warum man den Wechsel von der grundsätzlichen Ver118
Vgl. oben S. 226 ff.
E. Abschließende Erwägung
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folgung autonomer Vorstellungen räumlicher Gerechtigkeit hin zum Heimwärtsstreben ausschließlich von der Rückverweisung fremden Kollisionsrechts abhängig macht. Denkbar ist auch insoweit also wieder nur der Entscheidungseinklang als sachliches Differenzierungskriterium. Freilich hat sich gerade die Abbruchsregelung des Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB als wesentliches Argument gegen die Eignung der Technik der Gesamtverweisung zur Herbeiführung internationalen Entscheidungseinklangs erwiesen. Auch wäre eine Beachtung nicht jeder Weiterverweisung, sondern nur einer gegebenenfalls mittelbaren Verweisung auf deutsches Recht von vornherein nicht auf internationalen Entscheidungseinklang gerichtet, sondern nur auf Eigenrechtsbevorzugung gegenüber der ansonsten autonomen Bestimmung des räumlich besten Sachrechts. Eine solche Nichtanwendung des eigentlich berufenen Sachrechts könnte also im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG allenfalls durch bilateralen Entscheidungseinklang mit der nach autonomer deutscher Wertung räumlich nächsten Rechtsordnung begründet werden. Will man dies überhaupt annehmen, so muss die Verweisungstechnik aber zumindest so ausgestaltet werden, dass sie zu realem bilateralen Entscheidungseinklang führt. D.h., dass das selektive Heimwärtsstreben mit Blick auf fremdes Kollisionsrecht im Rahmen der Technik einer bedingten Sachnormverweisung allenfalls dann eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung darstellt, wenn die Bezugsrechtsordnung der bedingten Sachnormverweisung ihren Gerichten tatsächlich die Anwendung deutschen Sachrechts vorgeben würde. Im obigen Beispielsfall der Verweisung auf französisches internationales Erbrecht bei französischem Erblasser mit Wohnsitz in Deutschland wäre diese Bedingung also nicht erfüllt, da französische Gerichte letztlich französisches Sachrecht anwenden würden. Sie wäre aber insbesondere dann erfüllt, wenn das fremde Kollisionsrecht eine Sachnormverweisung auf deutsches Recht aussprechen würde. Bekanntlich hat sich aus diesem Grunde bereits Pagenstecher dafür ausgesprochen, die unmittelbare Rückverweisung nur dann zu berücksichtigen, wenn diese in Form einer Sachnormverweisung erfolgt119.
III. Auslegungsgrenzen Demnach wäre es als verfassungsgemäß einschränkende Auslegung immerhin im Ansatz erwägenswert, Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB so zu verstehen, dass die Berücksichtigung fremden Kollisionsrechts dem Sinn der Verweisung widerspricht, es sei denn, dass dieses Kollisionsrecht unmittelbar oder über Weiterverweisungen real auf deutsches Sachrecht verweist, den Richtern seiner Rechtsord119 Pagenstecher, Der Grundsatz des Entscheidungseinklangs im internationalen Privatrecht, S. 16.
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Vierter Teil: Kurzer verfassungsrechtlicher Ausblick
nung deutsches Sachrecht also tatsächlich als Entscheidungsmaßstab vorschreiben würde. Indessen wäre eine solche Konzeption der grundsätzlich autonomen Auswahl des räumlich richtigen Sachrechts unter dem Vorbehalt des Heimwärtsstrebens im Falle dadurch erreichbaren bilateralen Entscheidungseinklangs nur noch ein Zerrbild der vom Gesetzgeber intendierten Konzeption einer Gesamtverweisung aus dem Ideal des internationalen Entscheidungseinklangs. Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB so zu interpretieren, wäre daher keine verfassungskonform einschränkende Auslegung. Vielmehr konstruierte man letztlich ein aliud gegenüber dem Regelungsplan des Gesetzgebers. Das erscheint durch die Figur der Auslegung nicht mehr gedeckt.
F. Endergebnis In verfassungskonformer Auslegung des Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB widerspricht es regelmäßig dem Sinn der Verweisung, fremdes Kollisionsrecht zu berücksichtigen. Die Sachnormverweisung ist als abstrakte Regelungstechnik – dynamische Verweisung – verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Fünfter Teil:
Zusammenfassung zentraler Thesen A. Die Normsatzstruktur des autonomen IPR I. Die Produkte des autonomen IPR sind Bundesrecht 1. Intrakonstitutionelle Geltung der Verweisungsprodukte Das besondere kollisionsrechtliche Dogma der von inländischer Geltung verschiedenen, bloßen „Anwendbarkeit ausländischen Rechts als ausländisches“ in einer privatrechtlichen Zuständigkeitszuweisung sui generis ist als normativ verbindliche Anordnung eines trotz Formulierung in Normsätzen rein faktischen, nicht normativen Sollens im Lichte allgemeiner Rechtstheorie unhaltbar. Dieses Konzept beruht nicht nur auf der pseudointernationalistischen weil extremen rechtstheoretischen Subjektivismus konstituierenden Prämisse, in alle Rechtsordnungen der Welt gegebenenfalls auch gegen deren eigene Rechtstheorie ein eigentümliches, geltungsfreies Rechtsnormkonzept (absolute Trennung von Sein und Sollen) projizieren zu können, welches schon mit der in Deutschland herrschenden allgemein-rechtstheoretischen Sicht kollidiert. Es vernachlässigt vielmehr insbesondere die notwendige Unterscheidung zwischen Normsatz und Norm: Der Normsatz ist ein Gedanke, d.h. nicht subjektrelativ. Die staatliche Rechtsnorm ist die artikulierte Sollensvorstellung des Souveräns dieses Staates. Jede Vorstellung hat nur einen Träger1, weil sie durch diesen erst definiert wird. Durch unser Kollisionsrecht wird bei funktionalem Rechtsverständnis nicht ausländisches Recht (Normen) angewandt; stattdessen werden unter Inbezugnahme nur der Texte ausländischer Rechtsnormen (Normsätze) davon verschiedene Rechtssätze synthetisiert: Deutsches IPR produziert unter Rückgriff auf eine nach eigenem Gutdünken kombinierte Melange fremden Rechtsordnungen entliehener Normsätze ein normatives Gesolltsein, dass in den in Bezug genommenen Rechtsordnungen gar nicht kongruent vorzufinden ist und dessen Zurechnungssubjekt daher notwendig allein der Bund ist. Außerdem wird jegliches abstrakt-generelle Verhaltensgebot welcher Provenienz auch immer aufgrund der Inbezugnahme durch autonomes deutsches 1
Frege, Logische Untersuchungen4, S. 42.
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Fünfter Teil: Zusammenfassung zentraler Thesen
Kollisionsrecht nach dem Willen unseres Staates zu einem Sollensgebot der inländischen Rechtsordnung, welches unter der Voraussetzung der Verfassungsmäßigkeit der Kollisionsnormen dem allgemeinen Begriff des (geltenden) Rechts genügt. Die Kollisionsrechtswissenschaft müsste daher für ihr Konzept der besonderen internationalprivatrechtlichen „bloßen Anwendbarkeit“ als normativ verbindlicher Anordnung eines trotz Formulierung in Normsätzen nicht normativen Sollens einen abweichenden Begriff des (geltenden) Rechts erst einmal vortragen. Ein solcher könnte allerdings nur auf einem rechtstechnischen Gestaltungsunterschied gegenüber der Schaffung inländischen Rechts aufbauen. Der Begriff der juristischen Geltung eines Normsatzes lässt sich jedoch im Kern gleichsetzen mit einer Willensäußerung des Souveräns, dass der Normsatz (zukünftig) befolgt werden solle. Ein nicht Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung verschaffender, kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl durch intrakonstitutionell geltendes Rechts ist deshalb unmöglich, weil Geltung eines Rechts- bzw. Normsatzes durch einen auf die inländischen Grundnormen rückführbaren Befehl, den Normsatz auf zukünftige Sachverhalte notfalls in der Ex-post-Perspektive eines zukünftig befassten Gerichts auch anzuwenden, notwendig konstituiert wird. Begreift man nämlich mit Luhmann den Prozess als Folge selektiver Ereignisse, die eine außerhalb seiner selbst liegende Struktur voraussetzt, die ihm Möglichkeiten und Kriterien der Selektion und dadurch erst seine Identität gibt2, so besteht in einer widerspruchsfreien Rechtsordnung notwendig eine Interdependenz zwischen Struktur – (geltender) materieller Rechtsordnung – und Prozess. So, wie die materielle Rechtsordnung dem Prozess Identität gibt, wird die Zugehörigkeit eines regulativen (materiell-privatrechtlichen) Normsatzes zur Rechtsordnung dadurch definiert, dass er Kriterium zukünftiger, der Gesamtrechtsordnung entsprechender (Zivil-)Prozesse ist. Daher trifft der Befehl, auf zukünftige Sachverhalte einen Normsatz notfalls in der Ex-post-Perspektive des Gerichts als Entscheidungskriterium auch anzuwenden, für die Rechtsordnung, die nicht widersprüchlich werden will, genauso notwendig die Aussage, dass das Bezugsobjekt des Anwendungsbefehls auch befolgt werden – d.h. gelten – soll, wie eine Rechtsordnung einen Normsatz als verbindliches Sollen im Rahmen der materiellen Rechtsordnung nur widerspruchsfrei dadurch statuieren kann, dass sie an diesen Normsatz auch einen Anwendungsbefehl für zukünftige Prozesse knüpft: Weder kann eine Rechtsordnung widerspruchsfrei behaupten, dass ein durch einen Normsatz beschriebenes zukünftiges Verhalten nach ihr gesollt sei, wenn sie dieses nicht auch grundsätzlich durchzusetzen bereit ist – zumal dann regelmäßig bereits 2 Luhmann, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, S. 255, 260.
A. Die Normsatzstruktur des autonomen IPR
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das verbreitet aufgestellte Geltungskriterium der (minimalen) sozialen Verwirklichung(schance) entfällt – noch, dass ein durch einen Normsatz beschriebenes Verhalten nach ihr nicht gesollt sein soll, obwohl sie dessen zukünftige Einhaltung sanktioniert. Auf die Grundordnung rückführbares Gesolltsein eines Normsatzes – Geltung – und auf die Grundordnung rückführbarer Befehl der Anwendung dieses Normsatzes – auch vermittels IPR – sind also in einer widerspruchsfreien Rechtsordnung untrennbar miteinander verwoben. Es knüpft nicht der Anwendungsbefehl an ein außerhalb seiner liegendes Merkmal der Geltung an. Vielmehr gilt, was im Rahmen künftiger Prozesse auf gegenwärtige und zukünftige Vorgänge anzuwenden die Rechtsordnung befiehlt. Insbesondere die von Gerhard Hoffmann3 beschriebene „oberste Anwendungsnorm“ ist insoweit von der Kelsenschen Grundnorm nicht abgrenzbar. Durch den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl wird daher der in Bezug genommene Normsatz im Rahmen der Inbezugnahme zum normativ Gesollten, d.h. geltend. Die Geltung eines Normsatzes innerhalb einer Rechtsordnung wiederum konstituiert dessen Zugehörigkeit zu dieser als deren Rechtsnorm.
2. Keine Geltung „als Fremdrecht“ Eine Geltung „als Fremdrecht“ in Abgrenzung zur „schlichten“ Geltung „als Inlandsrecht“ sowie die Kategorie von „nur formellem, aber nicht materiellem Inlandsrecht“ sind nicht einmal definierbar, soweit nicht eine Rechtsordnung für einen bestimmten Regelungsbereich durch Zuweisung von Hoheitsgewalt die Normsetzung einem fremden Zuordnungssubjekt der Normgebung überlässt. Das autonome IPR und seine Produkte sind ausschließlich eine Frage der internen Organisation der Gesetzgebung des Bundes; dessen Verbandskompetenz für das Privatrecht bleibt unberührt. Das Produkt der Inbezugnahme fremden Rechts durch bundesrechtliches IPR ist daher, Verfassungskonformität der Inbezugnahme vorausgesetzt, Bundesrecht. Die „Anwendung ausländischen Rechts“ ist keine rechtstheoretische Kategorie, sondern nur eine Metapher, welche die Beschreibung bzw. Vorstellung kollisionsrechtlicher Verweisungen erleichtert.
3 Gerhard Hoffmann, in: v. Münch, VerwaltungsR BT 7, Internationales VerwaltungsR, S. 863.
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Fünfter Teil: Zusammenfassung zentraler Thesen
II. Die Sachnormverweisung ist der Archetypus der vollständigen Norm des Privatrechts Die Sachnormverweisung ist eine mittelbare dynamische Verweisung, d.h. eine dynamische Verweisung, bei der nicht unmittelbar in der Verweisungsnorm selbst eine Stelle bestimmt wird, auf deren privatrechtliche Normsätze verwiesen wird. Vielmehr wird unter dynamischer Inbezugnahme des Kompetenzgefüges fremder Rechtsordnungen auf die von denjenigen Stellen formulierten Rechtssätze verwiesen, die nach ihrer Rechtsordnung die Macht zur Setzung von Privatrecht haben. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung ist die Sachnormverweisung kein aliud gegenüber dem „materiellen“ Privatrecht, sondern vielmehr der Archetypus des vollständigen „materiell“ privatrechtlichen – regulativen – Normsatzes. Denn erst die Sachnormverweisung bildet durch Inkorporation ihrer Bezugsobjekte gegebenenfalls eine vollständige regulative Norm; Sachnormsätze – auch die des BGB – sind demgegenüber grundsätzlich unvollständig, weil sie keine Aussage über ihre internationale Reichweite treffen. Beispielsweise finden sich in den Sachnormverweisungen des Art. 18 EGBGB, welcher Gehalte ausländischen wie inländischen Sachrechts unterschiedslos in dynamischer Verweisung auf der Ebene des regulativen Rechts inkorporiert, die vollständigen regulativen Normen des deutschen „materiellen“ Unterhaltsrechts. Da in dieser Untersuchung Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB hinsichtlich der Auslandsverbindung kein Regelungsgehalt zugebilligt worden ist4, gilt dies auch für das Unterhaltsrecht für den „reinen Inlandssachverhalt“, welches anderenfalls in einer ungeschriebenen Sachnormverweisung für den Inlandssachverhalt inkorporiert wäre.
III. Die Gesamtverweisung als IPR-Delegation 1. Kumulativ konservierende, partielle Delegation Die in Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB für das deutsche IPR normierte Grundtechnik der dynamischen Inbezugnahme fremden Kollisionsrechts umfasst eine aus dynamischer Verweisung auf die Kompetenzordnungen fremder Rechtsordnungen gewonnene, kumulativ konservierende, partielle Delegation. Hierbei kommt es aber nicht zu einer Hoheitsübertragung auf fremde Staaten als Normsetzungssubjekte im Sinne Zitelmanns. Vielmehr werden im Sinne Agos und Wenglers kraft Bezugnahme durch die Gesamtverweisung Vorgänge, die in einer ausländischen Rechtsordnung Normen erzeugen, auch zu Rechtsquellen 4
Vgl. dazu oben S. 103 ff.
A. Die Normsatzstruktur des autonomen IPR
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innerhalb der internen Organisation der Gesetzgebung des Bundes. Allerdings erfolgt die Delegation nicht einfach an die erste Rechtsordnung, auf deren Kollisionsrecht verwiesen wird; dieser wird insbesondere entgegen Kahn auch keine Kompetenz zur Subdelegation durch eigene Gesamtverweisung eingeräumt. Vielmehr kann man sagen, dass der Bundesgesetzgeber durch eine Gesamtverweisung nur den Staat, der am Ende einer gegebenenfalls mehrstufigen Verweisungskette die Sachnormverweisung ausspricht, (bzw. dessen Gesetzgebungsorgane) im Wege gegebenenfalls mehrstufiger dynamischer Verweisung zu(m) außerordentlichen Gesetzgebungsorgan(en) für Bundesrecht erhebt. Insofern handelt es sich um einen Fall internationaler Organleihe. Mit Blick auf die Rechtsmacht des Deleganten – Gesetzgebungskompetenz für das Zivilrecht – erfolgen nur partielle Delegationen, da jeweils nur für Teilaspekte – Anknüpfungsgegenstände – nach Maßgabe der Anknüpfungsmomente eine Vielzahl unterschiedlicher Kollisionsrechte in Bezug genommen werden. Die Überlagerung der jeweiligen „Grund“-Verweisung, insbesondere durch Art. 6 EGBGB, begründet einen kumulativ konservierend delegierenden Charakter. Die Inbezugnahme fremden Kollisionsrechts stellt damit einen Unterfall der Delegation mit der Besonderheit dar, dass die Delegatare der hierdurch zugewiesenen Gestaltungsmacht für die deutsche Rechtsordnung diese gegebenenfalls unbewusst ausüben. Für die Regelungstechnik der Inbezugnahme fremden Kollisionsrechts (Art. 4 Abs. 1 EGBGB) wird daher anstelle des überkommenen Begriffs der Gesamtverweisung derjenige der IPR-Delegation vorgeschlagen. Die IPR-Delegation zielt auf Änderung des Gefüges der Gesetzgebungsorgane des Bundes im Grundgesetz ab. Sie gehört damit zum öffentlichen Recht. Genauer gesagt ist sie eine Form einfachgesetzlichen Verfassungsrechts.
2. Die hierbei zu Grunde gelegte Differenzierung von dynamischer Verweisung auf der Ebene des regulativen Rechts und Delegation Entgegen Karpen lässt sich aus dem „Ob“ der Unvollständigkeit der in Bezug nehmenden Norm keine Differenzierung zwischen dynamischer Verweisung und Delegation ableiten, weil beide Figuren unvollständige Normsätze beschreiben. Entscheidend ist vielmehr die Art der Unvollständigkeit der in Bezug nehmenden Norm. Für die Zuweisung einer Form von (außerordentlicher) Kompetenz spricht in Abgrenzung zur dynamischen Verweisung auf der Ebene der regulativen Rechtssätze, wenn das Bezugsobjekt durch die Inbezugnahme nicht in einer Weise modifiziert bzw. ergänzt wird, die eine eigene Normsetzungskompetenz der die Rechtsmacht zuweisenden Stelle erfordert. Das ist immer dann evident erfüllt, wenn die in Bezug nehmende Norm auf unmodifizierte Verwirklichung vollständiger regulativer Normen gerichtet ist. Es lassen sich al-
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Fünfter Teil: Zusammenfassung zentraler Thesen
lerdings auch für Abgrenzung in weniger eindeutigen Fällen weitergehende Grundaussagen treffen: Das Bezugsobjekt muss nicht selbst notwendig eine vollständige Norm sein. Allerdings muss bei einer Delegation im Gegensatz zur dynamischen Verweisung die in Bezug nehmende Norm notwendig von solcher Unvollständigkeit sein, dass das isolierte Produkt der Inbezugnahme nur dann ein vollständiger (regulativer) Rechtssatz sein kann, wenn das Bezugsobjekt ein vollständiger Rechtssatz ist. Im Gegensatz zur Synthese regulativer Normen durch eine dynamische Verweisung liegt das Wesen der Delegation also darin, dass das Bezugsobjekt im Rahmen der Inbezugnahme nicht bereits unmittelbar durch die in Bezug nehmende Norm in seiner Satzstruktur modifiziert wird. Eine dynamische Verweisung liegt demgegenüber vor, wenn bereits die in Bezug nehmende Norm isoliert einen Normsatz produziert, dessen Tatbestand sich vom Tatbestand des Bezugsnormsatzes unterscheidet, oder wenn der solchermaßen produzierte Rechtssatz einen anderen Rechtsfolgenausspruch vorsieht. Eine Delegation ist insbesondere ausgeschlossen, soweit eine unvollständige regulative Norm als Bezugsobjekt allein durch die in Bezug nehmende Norm vervollständigt wird, wie dies bei der Sachnormverweisung der Fall ist, bei der den Normsätzen einer fremden Rechtsordnung eine sachrechtliche Aussage entnommen und mit einer Aussage über deren kollisionsrechtliche Reichweite aus der Sachnormverweisung verbunden wird, so dass eine vollständige Norm des „materiellen Privatrechts“ (regulativen Rechts) synthetisiert wird.
IV. Zum Tatbestand „der“ Kollisionsnorm Die kollisionsrechtlichen Theorien zu Tatbestand und Rechtsfolge „der“ Kollisionsnorm vermögen schon deshalb sämtlich nicht zu überzeugen, weil sie nicht zwischen Sachnormverweisung und IPR-Delegation (Gesamtverweisung) differenzieren. Zwar ist den kollisionsrechtlichen Stellungnahmen zuzugeben, dass die Ermittlung der durch eine Sachnormverweisung in Bezug genommenen sachrechtlichen Normsätze ein Subsumtionsvorgang ist. Die Sachnormverweisung ist aber eine unvollständige Norm auf der Ebene des regulativen Rechts und hat daher weder einen vollständigen Tatbestand noch isoliert von ihrem Bezugsobjekt, dem Normsatz einer (ausländischen) Sachnorm, eine eigenständige Rechtsfolge. Rechtsfolge der Sachnormverweisung ist schon deshalb entgegen herrschender kollisionsrechtlicher Betrachtungsweise nicht die „Anwendbarkeit“ einer von ihr getrennten Sachnorm, weil dem fremdem Recht nur ein Normsatz (rationales Element nach Batiffol/Schurig) entnommen wird, der bei der Sach-
A. Die Normsatzstruktur des autonomen IPR
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normverweisung zudem auf Fälle erstreckt wird, für den die ausländische Sachnorm, der er entnommen ist, nach dem Kollisionsrecht ihrer eigenen Rechtsordnung nicht regelmäßig gilt. Vielmehr wird bei der Sachnormverweisung ein sachrechtlicher (unvollständiger) Normsatz aufgrund seiner Subsumtion unter Geltungsanforderungen einer bestimmten Rechtsordnung für den Inlandsfall in die deutsche Kollisionsnorm insofern inkorporiert, als er als unvollständiger Rechtssatz hinsichtlich seiner internationalen Reichweite durch die Kollisionsnorm vervollständigt und somit erst in dieser ein gegebenenfalls vollständiger Rechtssatz synthetisiert wird. Die synthetisierte Norm ist hinsichtlich ihres Tatbestandes ein aliud gegenüber dem inkorporierten Sachnormsatz, spricht aber dessen Rechtsfolge aus. Für die durch die Synthese geschaffene, gegebenenfalls vollständige deutsche Norm ist daher der ausländische Sachnormsatz entgegen Kegel5 und Schurig6 Baustein, nicht Tatbestandsvoraussetzung. Nur in deren Tatbestand und nicht in den der unvollständigen Kollisionsnorm unter Hinwegdenken der Inkorporation fällt aber entgegen Rabel7, Kegel8 und Schurig 9 der zu entscheidende Sachverhalt bzw. das Lebensverhältnis. Das Rechtsverhältnis im Rahmen der deutschen Rechtsordnung ist erst das Produkt der in der Sachnormverweisung synthetisierten Norm. Demgegenüber ist die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) als Phänomen auf der Ebene der konstitutiven Normen eine unvollständige Norm, deren Rechtsfolge darin besteht, dass der in der Sachnormverweisung am Ende der Verweisungskette synthetisierte, gegebenenfalls vollständige „materiell privatrechtrechtliche“ (regulative) Normsatz innerhalb der deutschen Rechtsordnung als Bundesrecht geltend wird. Der Tatbestand der IPR-Delegation dient also zur abstrakt generellen Umschreibung derjenigen Stelle, der Organkompetenz für die Schaffung von bundesrechtlichem Privatrecht zugewiesen wird; dies erfolgt im Wege der dynamischen Verweisung auf das Kompetenzgefüge der Rechtsordnung, die über Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungsmoment ermittelt wird. Der Staat, der am Ende der Kette von Verweisungen auf fremdes Kollisionsrecht die Sachnormverweisung ausspricht (bzw. die Gesamtheit seiner Rechtssetzungsorgane) wird im Wege der internationalen Organleihe zum außerordentlichen Gesetzgebungsorgan des Bundes erklärt. Der zu entscheidende Sachverhalt fällt damit entgegen Rabel, Kegel und Schurig nicht in den Tatbestand der fremdes Kollisionsrecht in Bezug nehmenden deutschen Kollisionsnorm, sondern allein in den Tatbestand des in der 5 6 7 8 9
Kegel, in: FS Raape, S. 13, 27. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 87. Rabel, RabelsZ 5 (1921), S. 241, 245. Kegel, in: FS Raape, S. 13, 27. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 87.
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Fünfter Teil: Zusammenfassung zentraler Thesen
Sachnormverweisung am Ende der Verweisungskette synthetisierten und kraft unserer Kollisionsnorm mit Geltung versehenen, regulativen Normsatzes.
V. Keine „Gleichordnung der Ebenen“ von Kollisions- und Sachrecht Entgegen Vogel10 und Schurig11 liegen „das“ Kollisions- und das Sachrecht damit nicht pauschal auf „derselben Ebene“. Zwar ist Schurig12 immerhin zuzugeben, dass man nicht pauschal sagen kann, „die“ Kollisionsnorm sei Geltungsquelle der Sachnorm. Das liegt aber daran, dass es „die“ Kollisionsnorm gar nicht gibt. Sachnormverweisung und IPR-Delegation (Gesamtverweisung) sind kategorial verschiedene Phänomene. Die Sachnormverweisung gehört ebenso wie der in ihr inkorporierte unvollständige Normsatz, welcher gegebenenfalls ausländischem Sachrecht entliehen wird, zur Ebene der regulativen Rechtssätze. Die IPR-Delegation operiert demgegenüber als einfachgesetzliches Verfassungsrecht auf der Ebene der konstitutiven bzw. Geltungsnormen (Kreationsnormen im Sinne Weinbergers13 bzw. secondary rules im Sinne Harts14). Eine deutsche Sachnormverweisung inkorporiert die in Bezug genommenen Sätze ausländischen wie inländischen Sachrechts, die dadurch zum Baustein der in der Sachnormverweisung synthetisierten, vollständigen regulativen Norm des deutschen Privatrechts werden und insoweit an der Geltung der die Sachnormverweisung aussprechenden Norm teilhaben. Hingegen erlangt eine ausländische Sachnormverweisung, die gegebenenfalls am Ende einer Kette von IPR-Delegationen steht und die ihrerseits eine Sachnorm inkorporiert, durchaus ihre Geltung als vollständige regulative Norm der deutschen Rechtsordnung aus der IPR-Delegation des deutschen Kollisionsrechts als Geltungsnorm. Die IPR-Delegation als Geltungsnorm und die gegebenenfalls vollständige (regulative / „materiell-privatrechtliche“) Norm am Ende der Verweisungskette – die ausländische Sachnormverweisung – liegen also sehr wohl auf unterschiedlichen rechtstheoretischen Ebenen.
10 11 12 13 14
Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 276. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 72. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70. Weinberger, Gedächtnisschrift Rödig, S. 173, 176. Vgl. Hart, The Concept of Law2, S. 79 ff.
B. Zur Verfassungskonformität der Normsatzstruktur des autonomen IPR
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B. Zur Verfassungskonformität der Normsatzstruktur des autonomen IPR I. Prämissen zur Wirkweise der Verfassung bei heterogen verknüpften Sachverhalten 1. Gleichförmige Bindung der Produkte des deutschen IPR an Verfassungsprinzipien ungeachtet des Inlandsbezugs des zu entscheidenden Falls Es existiert kein Verfassungskollisionsrecht nach dem Modell des internationalen Privatrechts für das internationale Privatrecht. Für die Gesamtheit der Grundrechte kann nicht behauptet werden, dass das „Ob“ ihres Eingreifens regelmäßig von der Intensität einer Inlandsbeziehung eines vor deutschen Gerichten verhandelten Einzelfalls abhinge. Dieses „Ob“ der Bindung deutscher Staatsgewalt ist eine Frage der Aktivlegitimation, für welche überwiegend angenommen wird, dass es keine generelle territoriale Begrenzung des Geltungsbereichs der Grundrechte existiere. Eine Grundrechtsbindung dürfte zudem selbst aus der durch die Entscheidung „Telekommunkationsüberwachung I“15 des BVerfG implizit verworfenen Statusbetrachtung Isensees und Heintzens für das autonome IPR und seine Produkte als abstrakt-generell zu beurteilende Normen schon deshalb folgen, weil diese im Rahmen deutscher Prozesse für deutsche Urteile entscheidungserheblich werden, die mit vorhersehbarer Regelmäßigkeit auch über deutsche sowie im Inland ansässige ausländische Parteien ergehen. Bemerkenswert ist insoweit, dass in dieser prozessualen Situation eine entsprechende Partei auch nach Isensee insbesondere unabhängig davon, welche Inlandsbeziehung der zu entscheidende Fall aufweist, grundrechtsberechtigt sein muss. Aber auch wenn der Gedanke von für die Grundrechtsaktivlegitimation erforderlichen Minimalkontakten zur deutschen Rechtsordnung erwägenswert erscheint, muss ein solcher jedenfalls bereits allein in der Unterwerfung unter deutsche Gerichtsbarkeit gesehen werden16. Auch wer als nicht in Deutschland ansässiger Ausländer Partei im deutschen Zivilprozess ist, kann sich gegenüber deutschem IPR und seinen Produkten ohne Rücksicht auf das Ausmaß der Inlandsbeziehung des zu entscheidenden Sachverhalts auf die Jedermann-Grundrechte berufen.
15
BVerfGE 100, 313. Entsprechendes allgemein für die Beteiligtenstellung in einem von einer deutschen Behörde geführten Verwaltungsverfahrens erwägend Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 279; Oppermann, FS Grewe, 521, S. 535 f. 16
244
Fünfter Teil: Zusammenfassung zentraler Thesen
Wenn dagegen Stern17 explizit annimmt, dass im Rahmen des ordre public „ausländisches Recht“ nur dann überhaupt auf seine Grundrechtsgemäßheit zu überprüfen sei, wenn eine enge Inlandsbeziehung besteht, was auch Schurig18 impliziert, und Kokott19 für das IPR geltend macht, dass allein dadurch, dass deutsche Gerichte fremdes Recht anwenden, die entsprechende „Rechtsbeziehung nicht voll der deutschen Rechtsordnung“ unterstellt werde, kann auf die Erkenntnis dieser Arbeit verwiesen werden, dass die Produkte des autonomen deutschen IPR ausnahmslos deutsches Bundesrecht sind, ohne dass es darauf ankäme, ob für einen Sachverhalt nun auf ausländisches oder deutsches Sachrecht verwiesen wird. Dabei produziert deutsches IPR unter Rückgriff auf eine nach eigenem Gutdünken kombinierte Melange fremden Rechtsordnungen entliehener Normsätze ein normatives Gesolltsein, dass in den in Bezug genommenen Rechtsordnungen gar nicht kongruent vorzufinden ist und dessen Zurechnungssubjekt daher notwendig allein der Bund ist. Die „Anwendung ausländischen Rechts“ ist keine rechtstheoretische Kategorie, sondern eine Metapher, welche die Beschreibung bzw. Vorstellung kollisionsrechtlicher Verweisungen erleichtert. Im Übrigen gilt die Erkenntnis aus der Spanierentscheidung20, dass die Reichweite der Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte auf einen Sachverhalt nicht davon abhängen kann, ob der einfache Gesetzgeber nun auf Normsätze des in- oder des ausländischen Sachrechts verweist21. Die Verfassung beherrscht daher das deutsche IPR und das aus ihm folgende deutsche Privatrecht für homogen 22 und heterogen verknüpfte Sachverhalte regelmäßig nach denselben Prinzipien in unmodifizierter Wirkweise; insbesondere die Grundrechte sind regelmäßig ungeachtet des Ausmaßes von In- bzw. Auslandsbeziehungen des zu entscheidenden Sachverhaltes anwendbar.
17
Stern, Staatrecht III/1, § 72 V 6, S. 1241. Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 265; Kegel/Schurig, IPR9, § 16 II, S. 527 f. 19 Kokott, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 71, 99, zugleich These Nr. 9, a.a.O., S. 110 f. 20 BVerfGE 31, 58. 21 Zu diesem Fazit aus der Spanierentscheidung vgl. etwa Christian v. Bar/Mankowski, IPR I 2, § 7 Rn. 266; Damm, Die Einwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes auf das nach deutschem IPR anwendbare ausländische Sach- und Kollisionsrecht, S. 93; Isensee, VVDStRL 32 (1974), 49, 60; Kronke, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, S. 45 ff.; Pfeiffer, in: FS Laufs, S. 1193, 1196; Tomuschat, IPRax 1996, 83 ff.; bereits vorher in diesem Sinne Wengler, Anm. zu BGH, Beschl. v. 12. 2. 1964, IV AR (VZ) 39, 63, JZ 1964, 622 f.; ders., Anm. zu BGH, Urt. v. 29. 4. 1964, IV ZR 93/63, JZ 1965, 100, 101; Bernstein, NJW 1965, 2273 ff.; Stöcker, JZ 1965, 456, 457. 22 Auch der reine Inlandssachverhalt ist das Produkt einer kollisionsrechtlichen Wertung, vgl. dazu eingehend oben S. 104. 18
B. Zur Verfassungskonformität der Normsatzstruktur des autonomen IPR
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Aus diesem Grund ist die Idee eines Verfassungskollisionsrechts nach dem Modell des internationalen Privatrechts verfehlt. Die kollisionsrechtliche Berücksichtung des Bezugs eines Sachverhaltes zu einer Rechtsordnung durch ein von den Sachnormen abstrahiertes, abschließendes Kollisionsrechtssystem ist für das Zivilrecht nur deshalb unabdingbar, weil die materiellen Zivilrechtsordnungen überwiegend aus Regeln bestehen und daher im Rahmen ihrer Anwendung die Berücksichtigung des Maßes des Inlandsbezugs nur noch korrigierend über die Generalklauseln erlauben. Insbesondere bei den Grundrechten handelt es sich demgegenüber um Prinzipien, die zueinander in Widerspruch treten und sich daher wechselseitig beschränken können 23. Prinzipien sind also Optimierungsgebote24, die sich von Regeln gerade dadurch unterscheiden, dass sie in unterschiedlichem Maße erfüllt werden können 25. Im Gegensatz zu zivilrechtlichen Regeln erlauben die Verfassungsprinzipien als Optimierungsgebote uneingeschränkt noch im Rahmen ihrer Anwendung eine Berücksichtigung der Internationalität eines Sachverhaltes. Der Verfassung kann daher kein ungeschriebenes, außerhalb der Grundrechte liegendes, von diesen abstraktes und zugleich abschließend vollständiges Kollisionsrechtssystem entnommen werden. Deshalb setzt das Eingreifen der Grundrechte im Rahmen der Konkretisierung des Art. 6 EGBGB entgegen Schurig 26 regelmäßig keinen über die Befassung eines deutschen Gerichts hinausgehenden Inlandsbezug des zu entscheidenden Falles voraus, auf den es, wie gesagt, nicht einmal nach der Statuslehre Isensees prinzipiell ankommen kann. Die Grundrechte wendet ein deutscher Zivilrichter bei Kontrolle ausländischem Recht entlehnter Normsätze entgegen Schurig nicht nur dann an, wenn er einen Ordre-public-Verstoß annimmt, sondern auch dann, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass der Schutzbereich eines Grundrechts durch Anwendung eines fremdem Recht entliehenen Normsatzes tangiert wird, dieses der Anwendung im konkreten Fall aber nicht entgegensteht.
2. Anerkennung eines besonderen Optimierungsgebots für heterogen verknüpfte Sachverhalte Mit der Bindung des autonomen deutschen IPR an die Verfassung ist ohne weiteres vereinbar, dass es Grenzen der Gestaltungsmacht und Optimierungsgebote gibt, die typischerweise nur bei Sachverhalten mit Auslandsberührung im Rahmen der Abwägung von Verfassungsprinzipien ergebnisrelevant werden. 23
Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 52 f. Eingehend Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff. 25 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76. 26 Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 265; Kegel/Schurig, IPR9, § 16 II, S. 527 f. 24
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Fünfter Teil: Zusammenfassung zentraler Thesen
Ein solches besonderes Optimierungsgebot von Verfassungsrang hat das BVerfG insbesondere mit seiner Entscheidung zum Rechtshilfevertrag zwischen Deutschland und Österreich rudimentär entwickelt, wonach das Grundgesetz „von der Eingliederung des von ihm verfaßten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengesellschaft […] (Präambel, Art. 24 bis 26 GG)“ ausgeht, in deren Licht insbesondere das Demokratieprinzip des Art. 20 GG zu sehen sei, weshalb dieses auch nicht prinzipiell der Anwendung ausländischen Privatrechts durch die deutsche Staatsgewalt entgegen stehe 27.
II. Vereinbarkeit der Sachnormverweisung mit Verfassungsprinzipien Vor diesem Hintergrund ist die Sachnormverweisung ungeachtet ihrer Rechtsnatur als dynamische Verweisung nicht unvereinbar mit der Verfassung. Die insbesondere von Clemens 28 gegen das Kollisionsrecht verstanden als dynamische Verweisung ins Feld geführten Bedenken hinsichtlich Demokratieprinzip, Bestimmtheits- und Publikationsgebot greifen nicht zwingend durch, weil diese einer Abwägung im Rahmen der Prinzipienkollision mit dem vom BVerfG zumindest rudimentär entwickelten Gedanken der Einordnung der Bundesrepublik in die Staatengemeinschaft als besonderem Optimierungsgebot für heterogen verknüpfte Sachverhalte zugänglich sind. Die Prinzipiennatur von Demokratieprinzip und Bestimmtheitsgebot liegt auf der Hand. Soweit demgegenüber in Art. 82 GG eine Regel formuliert ist, wird deren Wortlaut durch eine dynamische Verweisung stets genüge getan, wenn die verweisende Norm formal ordnungsgemäß verkündet wird, weil die dynamische Verweisung nicht ihr Bezugsobjekt außerhalb ihrer selbst mit Normqualität versieht. Das darüber hinausgehende Ziel der Erkennbarkeit des Normgehalts für den Normadressaten, mit welchem jede dynamische Verweisung notwendig kollidiert, ist eine den Wortlaut von Art. 82 GG übersteigende ratio legis, mithin ebenfalls ein der Abwägung zugängliches Prinzip.
27 28
BVerfGE 63, 343, 369 f. Clemens, AöR 111 (1986), 63, 74.
B. Zur Verfassungskonformität der Normsatzstruktur des autonomen IPR
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III. Verfassungswidrigkeit der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) 1. Das Fehlen einer Ermächtigungsgrundlage Die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) des autonomen deutschen IPR bedürfte als einfachgesetzliche Abänderung der Vorgaben des Grundgesetzes über die Organkompetenz des Bundestages für die Gesetzgebung des Bundes in Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG einer Ermächtigungsgrundlage von Verfassungsrang. Indessen kann man nicht kurzerhand mit der These, dass der historische Verfassungsgeber das IPR als Teil des Privatrechts angesehen habe, auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zurückgreifen, um die die dem IPR eigentümliche Technik der IPRDelegation (Gesamtverweisung) als in der Verfassung verankertes „Privatrecht nach historischem Verständnis“ zu begreifen. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG betrifft allein die Ebene der Verbandskompetenz des Bundes, während die Besonderheit der IPR-Delegation in der einfachgesetzliche Delegation von Organkompetenz liegt. Hierüber trifft Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ungeachtet der historischen Vorstellungen über die Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht keine Aussage. An welche Stellen der Bundestag seine Organkompetenz für die Gesetzgebung des Bundes delegieren darf, regelt vielmehr Art. 80 GG. Aus dieser Vorschrift ergibt sich aber gerade der Schluss e contrario, dass die Normsetzung an andere als die dort genannten Stellen – Bundesregierung, Bundesminister, Landesregierungen – nicht delegiert werden darf. Schließlich greifen weder Art. 24 GG noch Art. 32 GG. Das Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage wird auch nicht durch den Gedanken der Eingliederung des von Grundgesetz verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengesellschaft als besonderes Optimierungsgebot für heterogen verknüpfte Sachverhalte von Verfassungsrang aufgehoben, da es sich bei dem Kompetenzgefüge der Verfassung und dem Stufenbau der Rechtsordnung um Regeln handelt, die nicht über das Modell einer Prinzipienkollision – graduell – beschränkbar sind. Auch kann allein aus der Entscheidung des Grundgesetzes für die Einordnung des von ihm verfassten Staates in die Staatengemeinschaft keine ungeschriebene Ermächtigung kraft „rechtsethischer Notwendigkeit“ abgeleitet werden, da einerseits die Möglichkeit der Sachnormverweisung besteht und andererseits das „Prinzip des äußeren Entscheidungseinklangs“ vom BVerfG 29 bislang nur als „weithin unerfülltes Ideal“ eingeordnet sowie auch mithilfe der Technik der IPR-Delegation (Gesamtverweisung), deren rechtspolitische Überzeugungskraft in der Literatur umstritten ist, von unserem IPR bereits als Ideal nur eklektisch, subsidiär und inkonsequent verfolgt wird. 29
BVerfGE 31, 58, 83.
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Fünfter Teil: Zusammenfassung zentraler Thesen
Da schließlich auch eine gewohnheitsrechtliche Kompetenz-Kompetenz des IPR-Gesetzgebers ausscheidet30, ist die IPR-Delegation (Gesamtverweisung) bereits als abstrakte Regelungstechnik mangels einer Ermächtigungsgrundlage hierfür verfassungswidrig.
2. Die IPR-Delegation als ungelöstes Demokratieproblem Ferner ist die Regelungstechnik der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) bereits ungeachtet der Frage einer Ermächtigungsgrundlage hierfür ein besonderes Demokratieproblem, weil sie das Demokratieprinzip im Vergleich zur Sachnormverweisung stets qualifiziert zurückdrängt. Selbst wenn das BVerfG in der Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs eine besondere Ausprägung des Gedankens der Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in die Staatengemeinschaft als besonderes Optimierungsgebot von Verfassungsrang für heterogen verknüpfte Sachverhalte erkennen und der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) eine signifikante Eignung hierfür zubilligen sollte, vermag ein solches Optimierungsgebot die gegenwärtige Positivierung in Art. 4 Abs. 1 EGBGB nicht vollumfänglich zu rechtfertigen, weil die Einschränkung eines Verfassungsprinzips, die über das hinausgeht, was nach dem Gewicht der gegenläufigen Verfassungsprinzipien zulässig ist, stets unzulässig ist31. Die Technik der IPR-Delegation (Gesamtverweisung) bedeutet nun einerseits stets eine rechtfertigungsbedürftige Zurückdrängung des Demokratieprinzips, verfolgt aber andererseits nicht einmal das Ziel des bilateralen Entscheidungseinklangs konsequent. Beispielhaft konnte dargetan werden, dass jedenfalls im Zusammenwirken der Artt. 4 Abs. 1 S. 2, 25 Abs. 1 EGBGB der pauschale Verweisungsabbruch unter Missachtung selbst der testamentarischen Wahl des Sachrechts der nur grundsätzlich rückverweisenden (weil real ebenfalls eigennützig abbrechenden) Rechtsordnung insbesondere eine ungerechtfertigte Zurückdrängung, d.h. Verletzung des Demokratieprinzips bedeutet.
3. Verfassungskonforme Auslegung von Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB In verfassungskonformer Auslegung des Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB widerspricht es regelmäßig dem Sinn der Verweisung, fremdes Kollisionsrecht zu berücksichtigen.
30 31
Im Einzelnen s. oben S. 221 ff. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 266.
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Anwendungsbefehl 4, 6, 13, 15, 18, 27, 31, 49 ff., 60, 64, 68, 69, 72, 74, 78, 81, 109, 112–136, 139, 140, 146 f., 148 f., 171, 177, 236 f. – siehe auch Geltung/Anwendungsbefehl Anwendungsnorm, oberste siehe Oberste Anwendungsnorm Anwendungsobjekt – Anwendung „als Norm“ oder „als Tatsache“ 17, 23, 29, 121–124, 149 – Anwendung einer Idee aufgrund ihrer Subsumtion unter fremde Geltungsnormen 121 ff. – Anwendung eines Normsatzes 121 ff. – Rechtsnormqualität des Bezugsobjekts irrelevant 124 – siehe auch Faktum, Rechtsnorm/als Sollensvorstellung des Souveräns Anwendungswilligkeit 226 Apokryphe Legislativ-Delegation 152, 168 Art. 25 GG – als aus dynamischer Verweisung gewonnenes Kompetenzrecht 163 f. – als generelle echte Verweisung siehe dort – als secondary rule 157 f., 163 f. – Transformationslehre 130 f., 157 – Vollzugstheorie siehe dort Ausländisches Recht als Tatsache siehe Faktum Auslegung nach ausländischer Methodik – Ablehnung als Scheinargument 128 ff. – als Argument gegen Inkorporation 24, 128 – Modifikation ausländischer Methode 129 ff. – Möglichkeit des Nachvollzugs aus– ländischer Methode 130 ff.
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Sachregister
Außerordentliche Kompetenz siehe Delegation Bentham 82, 112 f. Bestimmtheitsgebot siehe Grundgesetz und IPR Bezugsobjekt der Verweisung siehe Anwendungsobjekt Bündelungsmodell 153 Conflicts Revolution 22 Cook 21, 28, 68 De-facto-Delegation 152, 168 Delegation – Abgrenzung zur dynamischen Verweisung auf der Ebene der regulativen Rechtssätze 158 ff., 162 f., 239 f. – als Machtverleihung 158, 164, 202 – alternativ konkurrierend konservierende Delegation 195 – begründet außerordentliche Kompetenz 155 f., 176f., 192, 216 – Delegationsbegriff bei Barbey 155 f. – Delegationsbegriff bei Triepel 155 f. – Delegationskompetenz 156, 216, 219, siehe auch Ermächtigungsgrundlage – delegierende Norm 156, 177 f., 216 – konservierende Delegation 194 f., 200 f., 215, 238 f. – kumulativ konkurrierend konservierende Delegation 195, 200 f., 215, 238 f. – Normsetzungsbewusstsein 199 f. – partielle Delegation 176, 192, 200 f., 215, 239 – Regelkompetenznorm 156, 177 f., 216, 223 – Spezialdelegation 176, 192 – Stufenbau der Rechtsordnung und Delegation 156, 216 – unvollständige Norm 160 f. Delegationskompetenz siehe Delegation Delegierende Norm siehe Delegation Demokratieprinzip – IPR-Delegation (Gesamtverweisung) als Demokratieproblem 226 ff., 248 – und rechtswahlfester Verweisungsabbruch 228 ff., 248 – und Sachnormverweisung 206 ff., 246
Deutsch-österreichischer Rechtshilfeverkehr 208 Dominanz gegenüber konkurrierenden Systemen 87 Doppelfunktionales IPR 13 ff., 18 f., 24 Dynamische Verweisung – Abgrenzung gegenüber „Anwendbarkeit als ausländisch“ 76 ff. – Abgrenzung von dynamischer Verweisung auf der Ebene regulativer Rechtssätze und Delegation 158–163, 239 – als Machtanknüpfung 158, 169, 201 – Begriff 54 f. – IPR als 58 f., 164–169 – ordre public als siehe Ordre public – Sachnormverweisung als dynamische Verweisung auf der Ebene des regulativen Rechts 164–169 – unvollständige Norm 158 ff., 160 f. Einfachgesetzliches Verfassungsrecht siehe IPR-Delegation Eingliederung in die Staatengemeinschaft siehe Optimierungsgebot Eingriffsnormen – als öffentliches Recht 34, 39 f. – und Interessentheorie 39 f. Einschränkender Rechts- bzw. Normsatz – Begriff 182 – negative Geltungsanordnung 182, 198 – ordre public als 182, 192, 198 Element-Kollisionsnorm 75 Entscheidungseinklang, äußerer/internationaler 104, 175, 220 f., 226–231, 232 ff. – Begriff 220 – bilateraler 220, 232 f. – realer 232 f. – siehe auch Optimierungsgebot Entscheidungseinklang, interner 220 f. Ermächtigungsgrundlage für IPR-Delegation (Gesamtverweisung) – Erfordernis einer Ermächtigung 215 ff. – Keine Delegationskompetenz aus Verfassungsgewohnheitsrecht 221 ff. Faktum, ausländisches Recht als – bei Ago 23, bei Batiffol/Kralik 123 – foreign law as a fact 31 – siehe auch Anwendung/einer Idee auf-
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grund ihrer Subsumtion unter fremde Geltungsnormen Fakultatives Kollisionsrecht 227 Flucht aus der Verfassung 133 ff. Foreign Content (Kelsen) 5, 20, 27, 141 ff. Foreign Law as a Fact 31 Formell inländisches, aber materiell ausländisches Recht (Beitzke) 27, 63, 73, 141, 148, 237 Funktionales Normverständnis siehe Rechtsnorm/funktionales Normverständnis Gebiets- bzw. Personalhoheit 13, 93, 186, 190 Geltung – Anwendbarkeit siehe dort – Anwendungsbefehl und Geltung 15 f., 49 f., 69 ff., 112 -136, 139, 140, 146 f., 148 f., 236 f. – Entscheidungsmaßgeblichkeit für künftige Prozesse und Geltung 119, 135 – Geltung „als Fremdrecht“ 14, 65, 72 – Geltungsbegriffe, siehe dort – Geltungsquelle, siehe dort – intrakonstitutionelle Geltung 67 – negative Geltungsanordnung siehe einschränkende Rechtssätze – Systemrelativität 50, 123, 161 – von Geltung verschiedene „Anwendbarkeit als ausländisches Recht“ siehe dort Geltungsbegriffe – faktische (soziologische) Geltung 66, 77 – juristische Geltung 65 ff. Geltungserhaltende Reduktion siehe ordre public Geltungsnorm – IPR-Delegation (Gesamtverweisung) als Geltungsnorm siehe IPR-Delegation – konstitutive Norm 74, 77, 83, 85, 123, 144, 160 f., 169, 176, 198, 202, 213, 216, 241 f. – Kreationsnorm 83, 144, 157 f., 160 f., 164, 193, 198, 202 f., 216, 242 – secondary rule (Hart) siehe dort
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Geltungsquelle – Kollisionsnorm nicht Geltungsquelle der Sachnorm? 25 – Rechtsquellennormen (Ago) siehe dort – Zwei-Quellen-Betrachtung für das IPR 49 ff. Generelle „echte“ Verweisung, Art. 25 GG als 57, 157 Gesamtverweisung siehe IPR-Delegation Grundgesetz und IPR – allgemeiner Gleichheitssatz 1 f. – Bestimmtheitsgebot 58, 205, 211, 246 – Demokratieprinzip siehe dort – Deutsch-österreichischer Rechtshilfeverkehr siehe dort – „Eingliederung in die Staatengemeinschaft“ siehe Optimierungsgebot – Ermächtigungsgrundlage für die IPRDelegation siehe Ermächtigungsgrundlage – fehlende Einbindung in die deutsche Rechtsordnung? 5 f., 18, 172, 184 f., 244 – Grundrechtsprätendent 186 – Inlandsbezug siehe dort – internationaler Entscheidungseinklang siehe Optimierungsgebot – ordre public 183–191 – Parteiautonomie 37, 230 – Prinzipienabwägung statt Regelkollisionsrecht 187 ff. – Publizitätsgebot 55, 126, 212 ff., 246 – Rechtswahlfreiheit siehe Parteiautonomie – Sachnormverweisung 205–215, 246 – Spanierentscheidung siehe dort – Statuslehre 186 f., 243, 245 – Telekommunikation I siehe dort – Testierfreiheit 230 – Verfassungskollisionsrecht? 183 ff. – universelle Grundrechtsbindung statt Statuslehre 186 f., 243 f. – Zweitregisterentscheidung siehe dort Grundnorm 26, 50 f., 65, 86, 115, 117, 120, 135, 236 f. Grundrechtsprätendent siehe Grundgesetz und IPR Grundverweisung 182, 191 ff., 239 Habermas 40, 77 Hart 15, 65, 82 f., 86, 116, 135, 149, 157,
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161, 164, 171, 174, 198, 202, 203, 216, 222, 242 Heimwärtsstreben 227, 233, 234 Heterogen verknüpfter Sachverhalt 1, 6, 19, 103, 142, 189 f., 207 ff., 210 ff., 218, 226 f., 231, 243 ff. – Begriff 1 (Fußnote 5) Hoheitsübertragung 13, 41 ff., 50, 69 f., 136, 143 ff., 151, 215, 218, 238 Ihering 17, 19, 87 Imperativ(es Element) 15, 16, 17, 19, 51, 64, 70, 83 f., 86, 89 f., 92, 112 ff., 121, 125, 137 Imperativentheorie 82 f. Imperator 16 Indirekte Normen 76, 103 Inkorporation – ablehnende Stellungnahmen zur Inkorporation durch IPR 14, 56 ff., 64, 76 – Auslegungsargument siehe Auslegung – bejahende Stellungnahmen zur Inkorporation durch IPR 19 ff., 58 f. – als Merkmal der dynamischen Verweisung 55, 76 – Irrelevanz eines hiergegen gerichteten Willen des einfachen Gesetzgebers 126 f. – Art der Unvollständigkeit einer Norm als Maßstab für Inkorporation 161 ff., 239 f. Inländische Maßstäbe bei § 33a EStG 3, 172 f. Inlandsbezug – kein über die Befassung eines deutschen Gerichts hinausgehender Inlandsbezug Voraussetzung für Grundrechtsgeltung 190 f. – und ordre public 12, 180 – siehe auch Grundgesetz und IPR/ Statuslehre Inlandssachverhalt, reiner 25, 103–109, 120, 166, 173, 193, 210 f., 214, 238 Interessentheorie – bei Kegel/Schurig 34 f. – Einordnung als überholt 38 ff. Internationale Organleihe siehe Organleihe Internationaler Entscheidungseinklang siehe Entscheidungseinklang
Internationales Vewaltungsrecht 48–53 Interner Entscheidungseinklang siehe Entscheidungseinklang Intertemporales Privatrecht 99 f., 120, 131 ff. IPR – als öffentliches Recht siehe dort – als „Privatrecht sui generis“, siehe dort – als Regelkollisionsrecht siehe Regelkollisionsrecht – als Spezialrecht für heterogen verknüpfte Sachverhalte siehe dort – als Tertium zwischen öffentlichem und Privatrecht 43 – als Völkerrecht siehe Völkerrechtliches IPR-Verständnis – als Weichenstellung zwischen ganzen Rechtsordnungen 56 – Staatsferne des IPR, siehe Trennung von Staat und Gesellschaft – und Grundgesetz siehe Grundgesetz und IPR IPR-Delegation (Gesamtverweisung) – als Demokratieproblem siehe Demokratieprinzip – als einfachgesetzliches Verfassungsrecht 202, 216, 239 – als kumulativ konservierende, partielle Delegation 195, 200 f., 215, 238 f. – Ermächtigungsgrundlage siehe dort – IPR-Delegation als secondary rule 198, 202 f., 216 – siehe auch secondary rule Kahn 43, 46, 48, 154, 171, 178, 181, 239 Kelsen 1, 2, 5, 19 f., 21, 25, 26, 27, 48, 60, 64, 66, 69, 83, 85 f., 115, 117, 120, 124, 127, 136, 141 f., 151, 160, 167, 237 Kollisionsgrundnorm 153 Kollisionsnorm, „die“ – Rechtsfolge „der“ Kollisionsnorm siehe dort – Tatbestand „der“ Kollisionsnorm siehe dort – siehe auch Sach- und Kollisionsrecht einer Rechtsordnung, Verhältnis Kollisionsrecht der Kollisionsrechte 154, 226 Kompetenz-Kompetenz 19, 219 ff.
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– siehe auch Delegation/Delegationskompetenz Kompetenzzuweisung, IPR als 19, 21, 39, 41f., 44–46, 69 ff., 101, 108, 144 f., 150, 151 ff. , 154, 161, 173 ff., 178–200, 215 ff. Konstitutive Normen siehe Geltungsnormen Korrigierende Anknüpfung 195 f. Kreationsnorm siehe Geltungsnorm Kumulative Anknüpfung 195 f. Laband 89, 113 Lex fori 16, 98, 191 Lex temporis actus 132 Limitierte Interdependenz (Luhmann) 100 Local Law Theory 21 f., 27, 92, 136 Lückenfüllung nach Ordre-publicKontrolle siehe Ordre public Machtanknüpfung 158, 164, 169, 201– 202, 232 Machtverleihung/-zuweisung 158, 164, 169, 201 f., 232 Materielle Verweisung – materielle Verweisung (Ago) 23 – materiellrechtliche Verweisungssätze (Zitelmann) 71, 72 Metakollisionsrecht 154 Modifizierte Subjektstheorie siehe Sonderrechtstheorie Negative Geltungsanordnung siehe einschränkender Rechts -bzw. Normsatz Normenhäufung 94, 142, 195 Normenmangel 94, 142, 195 Normsatz – als Idee bzw. Gedanke 80, 89, 91, 121 ff., 134, 136, 141, 147 – einschränkender siehe einschränkender Norm- bzw. Rechtssatz – nicht systemrelativ 147 – unvollständiger Normsatz siehe dort – vollständiger Normsatz siehe dort Oberste Anwendungsnorm (Hoffmann) 117–120, 237 Öffentliches Recht, IPR als – IPR-Delegation (Gesamtverweisung) als öffentliches Recht 202
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– Kompetenzzuweisung siehe dort – öffentlich-rechtliche Rechtsanwendungsnorm 39, 43 – öffentliches Recht mangels materiellen Gehalts 42 – Zuständigkeitsblankett, siehe dort Optimierungsgebot – Begriff 189 – Bestimmtheitsgebot als 211 – Demokratieprinzip als 207 ff. – „Eingliederung in die Staatengemeinschaft“ als 207 ff. – internationaler Entscheidungseinklang als 226–231, 232 f. – Publizitätsgebot (Art. 82 GG) als 211–214, 246 Ordnungsfunktion des ausländischen Rechts 17, 19, 115, 125 f., 128, 152 Ordre public – als dynamische Verweisung 193 – als einschränkender Rechtssatz siehe einschränkender Rechts- bzw. Normsatz – als Rangkollisionsrecht 182 f. – als selbständige Kollisionsnorm 181 – als Spezialnorm 182, 194 – als unvollständige-/Hilfskollisionsnorm 182 f. – ausländischer 196 – geltungserhaltende Reduktion 180 – Inlandsbezug siehe dort – kassierender Aspekt 191 ff. – Lückenfüllung 98 f., 195 – modifizierender Aspekt 193 – Relativität 180 – und Grundgesetz siehe Grundgesetz und IPR – wesentliche Grundsätze 12, 179–181, 183 f., 190–192, 195 Organkompetenz 101, 156, 163, 177, 216, 217, 241, 247 Organleihe, internationale 45 f., 200, 202, 218, 239, 241 – IPR-Delegation (Gesamtverweisung) als 200 f., 218, 239, 241 Organqualität des sachnormverweisenden Staates am Ende der Verweisungskette 178 f., 199, 202, 215, 239 Palmström 25, 58
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Parallelnorm 14, 15, 19, 21, 23, 60, 77, 96, 110, 111 f., 123, 165, 167 Parteiautonomie siehe Grundgesetz und IPR Primär- und Sekundärnormen – als Begriffe der Imperativentheorie 82 – die abweichende Terminologie von primary and secondary rules bei Hart 82 f. Primary Rule (Hart) 82 f., 135, 157, 161, 171, 174, 193, 222 Prinzip siehe Optimierungsgebot Prinzipienabwägung siehe Grundgesetz und IPR Privatrecht, IPR als – Bürgerliches Recht unter dem Gesichtspunkt des Raumes 46 – „materielles“ Privatrecht 48 – Privatrecht kraft Hierachieebene 48 – Privatrecht kraft historischen Veständnisses 47 – Privatrecht kraft Sachzusammenhang 46 – Sachnormverweisung als Privatrecht 167 f., 171 f., 238 – siehe auch Interessentheorie Prozess und materielles Recht 119 Prozessualer Rechtsbegriff siehe Rechtsnorm Pseudointernationalismus 92, 121, 136 f., 235 Publizitätsgebot (Art. 82 GG) siehe Grundgesetz und IPR Quelle siehe Geltungsquelle
Rechtsnorm – als Sollensvorstellung des Souveräns 114, 147, 235 – Begriff 79 f. – Element des Wollens 113 f. – funktionales Normverständnis 80 – Imperativentheorie siehe dort – nicht geltendes Recht? 88 ff. – prozessualer Rechtsbegriff 83 f. – Staat als Adressat? 81 – Subjektrelativität 114, 235 – Trennung von Sein und Sollen? siehe dort – Verwirklichungschance 87, 119, 222 f., 237 – Zwang siehe dort Rechtsquellennorm (Ago) 22–24, 45, 111, 132, 133, 156, 158, 166, 167, 195, 197 Rechtssatz siehe Normsatz Rechtstheoretischer Subjektivismus 91, 136 Regelkollisionsrecht, IPR als 187 ff. Regelkompetenznorm siehe Delegation Reiner Inlandssachverhalt siehe Inlandssachverhalt Renvoi – Begriff 10 – renvoi au premier degré 10 – renvoi au second degré 10 – renvoi de réception/rinvio ricettizio siehe materielle Verweisung Revisibilität ausländischen Rechts 29, 57 f. Richterrecht 114, 166, 224 f. Rinvio ricettizio (renvoi de réception) siehe materielle Verweisung Rule of Recognition (Hart) 15, 65, 116, 149
Radbruch 17, 64, 80, 90 Rangkollision siehe ordre public Ratio(nales Element) 15, 16, 51, 68, 70 f., 89, 92, 98, 103, 107, 108, 110, 112–115, 121, 125, 127, 133, 136, 137, 142, 147, 149, 161, 165, 168, 170, 189, 206, 212, 213, 240, 246 Rechtserzeugungsregel 21 Rechtsfolge „der“ Kollisionsnorm 11 ff. 14, 19 ff., 31–33, 51, 52, 73–78, 90, 103 f., 107 ff., 169 f., 202 f., 240 f. – siehe auch Anwendbarkeit, Geltung/ Anwendungsbefehl und Geltung
Sach- und Kollisionsrecht einer Rechtsordnung, Verhältnis 103 ff. Sachnormverweisung – als Archetyp der „materiell“ privatrechtlichen Norm 171 f. 238 – als auf Modifikation abzielende Regelungstechnik siehe Synthese Sachrechtssatz 32, 74, 90, 98, 121, 122, 175, 181, 190, 196 – als unvollständiger Normsatz siehe Unvollständige Norm- bzw. Rechssätze Sanktionswille eines Staates 80, 83, 85, 87, 160
Sachregister
Satzstruktur 162, 174 ff., 198, 205, 235 ff. Savigny 34–37, 40, 120 Secondary Rule (Hart) 82 f., 144, 157, 161, 163 f., 193, 198, 200, 202 f., 216, 242 – zum Begriff 82 f. – siehe auch Geltungsnormen, IPR-Delegation (Gesamtverweisung) Sein und Sollen siehe Trennung von Sonderanknüpfung 94, 174, 182 f. Sonderrechtstheorie 38, 41, 49, 168, 201 Spanierentscheidung 1, 4, 6, 12, 44, 53, 133 f., 184 f., 188, 190, 205 f., 220, 225, 228, 244 Special Substantive Rules (v. Mehren) 22 Spezialrecht für heterogen verknüpfte Sachverhalte, IPR als 103 ff. Statuslehre siehe Grundgesetz und IPR Stufenbau der Rechtsordnung – Unbrauchbarkeit für die Zwecke des IPR? 25 – und Delegation siehe dort Subjektrelativität der Rechtsnorm siehe Rechtsnorm Subordinationstheorie 44 Synthese (statt Nachvollzug fremden Rechts) – synthetisierender Charakter des IPR 92–112 – Sachnormverweisung als auf Modifikation gerichtete Technik 102 ff. Systemrelativität der Geltung siehe Geltung Tatbestand „der“ Kollisionsnorm 31 f., 73 ff., 90, 169 ff., 181, 202 f., 240 ff. Tatsache, ausländisches Recht als siehe Faktum Telekommunikation I 186 f., 243 Telos – Kein Zueigenmachen des ausländischen Normtelos 4, 18, 126 f., 225 – Teleologie unseres Kollisionsrechts 26, 105, 128, 139, 140, 142 f., 146, 147, 149, Territorialität 68, 81 Territorialitätsprinzip, primitives (Ferid) 2, 133 Transformation 13, 130, 133, 157 Trennung von Sein und Sollen 86 f. Trennung von Staat und Gesellschaft 34 ff.
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Triepels Delegationsbegriff siehe Delegation Universalismus/Unilateralismus – die rechtstheoretische Strömung 19 ff. 24 ff. – Reaktion der deutschen Kollisionsrechtswissenschaft 25 ff. Unterhaltspflicht nach inländischen Maßstäben siehe Inländische Maßstäbe Unvollständiger Norm- bzw. Rechtssatz – Art der Unvollständigkeit als Kriterium der Differenzierung von dynamischer Verweisung und Delegation 161 ff., 239 f. – Begriff 75 f. – Delegation als siehe Delegation – dynamische Verweisung als siehe Dynamische Verweisung – Sachrechtssätze als unvollständige 106 f., 109 Valeur juridique 23, 90 Verbandskompetenz 38, 45, 101, 157, 217, 237, 247 Verfassungsgewohnheitsrecht 221 ff. Verfassungskontrolle des IPR siehe Grundgesetz und IPR Verweisungsabbruch 96 f., 143, 179, 196 f., 198, 219, 221, 228–231, 233, 248 Verweisungskette 174, 175, 176, 178 f., 197, 199, 202 f., 215, 232, 239, 241, 242 Vested Rights Theory 3, 21 Völkerrechtliches IPR-Verständnis 3, 13, 41 ff., 69 ff. Vollständiger Norm- bzw. Rechtssatz 75 f., 86, 102 f., 106–110, 158–166, 170–175, 179, 182, 197, 198, 202 f., 238–242, Vollzugstheorie zu Art. 25 GG siehe Art. 25 GG Vorbehalt zu Gunsten ausländischer Rechtsordnungen (Clemens) 57 Vorbehaltsklausel siehe ordre public Vorfragenanknüpfung, selbstständige 95 f., 174 ff., 220, 228 Vorstaatlichkeit des IPR 36 Weinberger 78, 90, 160, 164, 216, 242
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Sachregister
Wengler 6, 19, 21, 25, 44 f., 60, 81, 87, 96, 97, 125 f., 134, 136, 145, 151, 201, 215, 238 Wille des einfachen Gesetzgebers – gegen Inkoporation siehe dort – Kein Zueigenmachen des ausländischen Normtelos siehe Telos – Sanktionswille siehe dort Würde des IPR 26, 60, 91, 92 Zitelmann 13, 27, 32, 42 f., 44, 46, 48 f., 56 f., 60, 69–74, 93, 101, 120, 135, 137, 146, 149, 179, 215, 238
Zivilprozessuale Behandlung des IPR als rechtstheoretisches Argument – Stellungnahmen 29 ff., 57 – Unbeachtlichkeit 30 – siehe auch Revisibilität Zuständigkeit eines deutschen Gerichts als Inlandsbezug siehe Inlandsbezug Zuständigkeitsblankett, Gesamtverweisung als 154, 178 Zwang 17, 19, 81 ff. , 87 f., 101, 125 Zweitregisterentscheidung 188, 207 f.