Eingriffsnormen - Der 'unfertige Teil' des europäischen IPR 9783161525322, 9783161525315

Mit Erlass der Verordnungen zum IPR der vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnisse wurde der Problematik de

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German Pages 376 [378] Year 2013

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Kapitel 1: Dogmatische Grundlagen der Eingriffsnormenproblematik
A. Das Phänomen der Eingriffsnormen
B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System
I. Notwendigkeit einer kollisionsrechtlichen Entscheidung
II. Eingriffsnormen als Definitionsproblem
1. Eingriffsnormen im formalen Sinne
2. Eingriffsnormen im materiellen Sinne
a) Funktionsunterscheidung zwischen Kollisionsrecht und Sachrecht
b) Kollisionsrechtliches Zweitsystem für Normen mit überindividuellen Schutzzwecken
c) Definition anhand öffentlicher Normzwecke
aa) Minimalerfordernis: „zumindest auch öffentliche Interessen“
bb) Abgrenzung anhand qualifizierter Kriterien
cc) Abschließende Stellungnahme
3. Zwischenergebnis
III. Notwendigkeit eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems für Eingriffsnormen
1. Extrinsischer Systemdualismus: Verortung der Eingriffsnormenproblematik außerhalb des IPR
a) Die These der Trennung von Staat und Gesellschaft
aa) Darstellung
bb) Stellungnahme
b) Abgrenzung von Öffentlichem Recht und Privatrecht
2. Intrinsischer Systemdualismus: Verortung der Eingriffsnormenproblematik innerhalb des IPR
a) Gegenstand des IPR
aa) Relevanz für die Eingriffsnormenproblematik
bb) Sachnormen als Gegenstand des IPR
cc) Zusammenfassende Stellungnahme
dd) Folgerungen für die Ausgangsfrage
b) IPR als wertneutrales Zuordnungsrecht?
aa) Der Grund für ein mehrseitiges IPR
bb) Die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit
cc) Zusammenhang zwischen international privatrechtlicher und materiellrechtlicher Gerechtigkeit
(1) „Sachrechtsabhängigkeit“ des IPR
(2) Die Bedeutung der Sachnormzwecke für die kollisionsrechtliche Anknüpfung
i. Kahn als Wegbereiter des „sachnormbezogenen Ansatzes“
ii. Die Interessenlehre Kegels
iii. Die Bedeutung des Sachnormzwecks für die kollisionsrechtliche Interessenlage
iv. Zwischenergebnis
3. Die Struktur und Reichweite einer allseitigen Kollisionsnorm
a) Das Bündelungsmodell Schurigs
b) Reichweite einer Kollisionsnorm nach dem Bündelungsmodell
c) Folgerungen für die Eingriffsnormenproblematik
4. Zwischenergebnis
IV. Eingriffsnormen als Problem der Rechtsfortbildung innerhalb des IPR
1. Ausgangssituation
2. Reichweite der allgemeinen Kollisionsnormen
3. „Disqualifikation“ als Voraussetzung der statutsunabhängigen Anknüpfung
4. Kollisionsnormbildung modo legislatoris
5. Zusammenfassung
C. Ergebnis
Kapitel 2: Die kollisionsrechtliche Behandlung inländischer Eingriffsnormen
A. Verortung der Eingriffsnormenproblematik im europäischen IPR
I. Eingriffsnormen de lege lata: Art. 9 Rom I, Art. 16 Rom II
II. Anwendungsbefehl aus dem nationalen Recht
1. Probleme hinsichtlich des nationalen Anwendungswillens
2. Probleme hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe zur Durchsetzung nationaler Vorschriften
III. Anwendungsbefehl aus dem europäischen Recht
1. Eröffnung des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen gem. Art. 1 Rom I /II
2. Art. 9/16 Rom I/II als kodifikationsinterne Beschränkung des Anwendungsbereiches?
a) Vorgaben des Wortlauts von Art. 9/16 Rom I/II
aa) Art. 9 I Rom I: „Anwendungsbereich“
bb) Art. 9 I Rom I: finale Verknüpfung von materiellen Normzwecken und kollisionsrechtlicher Behandlung
cc) Art. 9 II Rom I bzw. Art. 16 Rom II
dd) Zwischenergebnis
b) Abschließende Stellungnahme
3. Art. 9/16 Rom I/II als Grundlage der europäischen Rechtsfortbildung
IV. Zwischenergebnis
B. Die Bedeutung des dargestellten Ansatzes im Einzelnen
I. „Selbstgerechte Sachnormen“ (Eingriffsnormen im formalen Sinne)
1. „Selbstgerechte Sachnorm“ nationaler Herkunft
2. „Selbstgerechte Sachnorm“ europäischer Herkunft
II. „Schlicht disqualifizierte Normen“ (Eingriffsnorm im materiellen Sinne)
1. Sachnorm nationaler Herkunft (insbesondere Sonderprivatrecht)
a) Durchsetzung von Sonderprivatrecht im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems
b) Durchsetzung von Sonderprivatrecht im Rahmen des herkömmlichen kollisionsrechtlichen Systems
2. Sachnormen europäischer Herkunft
a) Besondere kollisionsrechtliche Behandlung europäischer Sachnormen?
b) Sachnormen aus Verordnungen
c) Sachnormen aus Richtlinien (insbesondere Ingmar-Entscheidung)
aa) Allgemeines
bb) Ingmar-Entscheidung
d) Zwischenergebnis
C. Primärrechtliche Grenzen für die Anwendung von Eingriffsnormen
D. Ergebnis
Kapitel 3: Die kollisionsrechtliche Behandlung ausländischer Eingriffsnormen
A. Einführung
B. Die Wirkungsverleihung ausländischer Eingriffsnormen de lege lata: Art. 9 III Rom I
I. Sachrechtliche Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen
1. Berücksichtigung faktischer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen
2. Berücksichtigung normativer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen
3. Zwischenergebnis
II. Regelungsgehalt des Art. 9 III Rom I bezüglich der kollisionsrechtlichen Berufung ausländischer Eingriffsnormen
1. Bedeutung der Wirkungsverleihung
2. Herkunft des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls
3. Zwischenergebnis
C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I
I. Kollisionsrechtliches Zweitsystem für ausländische Eingriffsnormen
1. Die Lehre von der Sonderanknüpfung
a) „Anwendungswilligkeit“ als Anknüpfungspunkt der kollisionsrechtlichen Berufung
b) Konstitutiver Charakter materiellrechtlicher Kriterien
c) Autonome Einschränkungen
aa) Ausreichend enge Verbindung zum Erlassstaat
bb) Inhaltskontrolle
d) Zusammenfassung
2. Übertragbarkeit der Sonderanknüpfungslehre auf Art. 9 III Rom I
a) Vorgaben des Wortlauts von Art. 9 Rom I
b) Notwendigkeit eines unilateralistischen kollisionsrechtlichen Zweitsystems?
aa) Universalistische Erklärungsansätze
bb) Untauglichkeit des herkömmlichen IPR-Systems hinsichtlich der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen
(1) „Untrennbarkeit“ von materieller Sachnorm und Kollisionsnorm des Erlassstaates
(2) Unfähigkeit der herkömmlichen IPR-Methodik
(3) Abschließende Stellungnahme
II. Ausländische Eingriffsnormen im herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen kollisionsrechtlichen System
1. Vorbemerkung
2. Identifikation der gesondert anzuknüpfenden Eingriffsnormen
a) Unrechtmäßigkeit der Erfüllung
b) Eingriffsnormen des Erfüllungsortes
aa) Rechtlicher Erfüllungsort
bb) Autonome Bestimmung des Erfüllungsortes
(1) Einheitlicher Erfüllungsort i.S.d. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO
(2) Autonome kollisionsrechtliche Erfüllungsortbestimmung
3. Kollisionsrechtliche Interessenbewertung der identifizierten Bestimmungen
4. Einschränkungen des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls
a) Inhaltskontrolle einer ausländischen Eingriffsnorm als Anwendungsvoraussetzung
aa) Bisherige Ansätze
bb) Rechtfertigung zusätzlicher materieller Kriterien bei der Berufung bestimmter ausländischer Normen
cc) Einschränkende materielle Kriterien im Rahmen von Art. 9 III Rom I
(1) Interesse an der Anwendung einer Norm
(2) Bestimmung des europäischen Anwendungsinteresses
i. Nationale „policy-Prüfung“
ii. Europäische „policy-Prüfung“
(3) Konkretisierung genuin europäischer Wertungen
(4) Prüfungsmaßstab
(5) Zwischenergebnis
b) Berücksichtigung des ausländischen „Anwendungswillens“ als Kriterium der Nichtanwendung
5. Reichweite der Kollisionsnorm
6. Ergebnis
D. Anwendung von ausländischen Eingriffsnormen über Art. 9 III Rom I hinaus
I. „Sperrwirkung“ von Art. 9 III Rom I, Art. 16 Rom II
1. Abschließender Charakter des Art. 9 III Rom I
a) Beschränkung in sachlicher Hinsicht: Unrechtmäßigkeit der Erfüllung
b) Beschränkung in räumlicher Hinsicht: Eingriffsnormen des Erfüllungsortes
2. Abschließender Charakter von Art. 16 Rom II
II. Anknüpfungsmöglichkeiten
1. „Schuldstatutstheorie“
2. „Gesonderte Anknüpfung“ im Rahmen eines potentiell allseitigen Systems
III. Die Behandlung ausländischer Normen des Sonderprivatrechts
IV. Ergebnis
E. Die Behandlung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen
I. Ausgangssituation
II. Primärrechtliche Anwendungspflicht für mitgliedstaatliche Eingriffsnormen
1. Sogenanntes „Herkunftslandprinzip“
2. Unionsrechtliche Zuweisung von Regelungszuständigkeiten an die einzelnen Mitgliedstaaten
3. Binnenmarktprinzip i.V.m. Art. 4 III 2 EUV
4. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz i.V.m. Art. 4 III 2 EUV
5. Zuständigkeits- und Verfahrenskonzentration i.V.m. Art. 4 III 2 EUV
6. Abschließende Stellungnahme
III. Eigener Begründungsansatz: sekundärrechtliche Anwendungspflicht
1. Strukturelle Erwägungen
2. Teleologische Erwägungen im Rahmen des Sekundärrechtsaktes
a) Verwirklichung des Binnenmarktes
b) Funktionaler Zusammenhang zwischen den RomI/II-Verordnungen und der EuGVVO
3. Gefahr einer Überschneidung der kollisionsrechtlichen Anwendungsbereiche mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen
4. Ergebnis
Kapitel 4: Prüfungskompetenz des EuGH
A. Eingriffsnormenproblematik außerhalb des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen
B. Eingriffsnormenproblematik innerhalb des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Register
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Eingriffsnormen - Der 'unfertige Teil' des europäischen IPR
 9783161525322, 9783161525315

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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 287 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:

Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann

Andreas Köhler

Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR

Mohr Siebeck

Andreas Köhler, geboren 1983; Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen; 2009–11 Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung der Universität Tübingen; seit 2011 Rechtsreferendar am LG Passau (OLG-Bezirk München) und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung der Universität Passau; 2012 Promotion.

e-ISBN PDF 978-3-16-152532-2 ISSN 978-3-16-152531-5 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2013  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­ tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek­ tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­ papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

Meinen Eltern und meinem Großvater

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Zeit als Akademischer Mitarbeiter an der Universität Tübingen. Mein besonders herzlicher Dank gilt allen voran meinem Lehrer Herrn Prof. Dr. Dennis Solomon, LL.M. (Berkeley), der diese Arbeit mit sehr viel Verständnis, Geduld und großem Interesse betreute und mir jederzeit mit Rat und Tat beiseitestand. Bereits während meines Studiums begeisterte er mich für das Internationale Privatrecht und prägte seit dieser Zeit maßgeblich mein Verständnis von Recht und Rechtswissenschaft. Hierfür und für seinen fortwährenden menschlichen und fachlichen Zuspruch, den er mir über die Jahre als Student, Doktorand und Mitarbeiter hat zukommen lassen, bin ich zutiefst dankbar. Herrn Prof. Dr. Martin Gebauer, an dessen Lehrstuhl ich über zwei Jahre gearbeitet habe, danke ich sehr herzlich für den gewährten Freiraum bei der Erstellung meiner Arbeit, für viele lehrreiche Gespräche und für die schöne Zeit, die ich an seinem Lehrstuhl verbringen konnte. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Hau bin ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sehr verbunden, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Basedow, LL.M. (Harvard) danke ich für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Die Studienstiftung ius vivum von Prof. Dr. Haimo Schack, LL.M. (Berkeley), förderte die Veröffentlichung der Arbeit mit einer großzügigen Beteiligung an den Druckkosten, für die ich mich ebenfalls bedanken möchte. Die Anfertigung einer Dissertation ist eine sehr zeitintensive und mitunter nicht leichte Beschäftigung, die viel Geduld und Verständnis von Familie und Freunden abverlangt. Ich hatte das Glück, dass mir beides entgegengebracht wurde, und hierfür bin ich außerordentlich dankbar. Für ihre jahrelange liebevolle Unterstützung, nicht nur in Bezug auf die vorliegende Arbeit, bin ich meiner Freundin, Frau Dipl.-Biol. Christin Riegel, in Liebe und Dankbarkeit verbunden. Sie, mein Vater, Herr Rainer Köhler, und meine Schwester, Frau Julia Köhler, nahmen zudem die Durchsicht des Manuskripts auf sich – auch hierfür bin ich ausgesprochen dankbar. Für eine frühe Durchsicht meiner Arbeit darf ich mich zudem bei Frau Claudia Schneiderhan, für die Durchsicht der endgültigen Fassung bei Frau Dr. Claudia Mayer, LL.M. (Chicago), sehr herzlich bedanken.

Vorwort

VIII

Meine Eltern, Frau Gisela und Herr Rainer Köhler, und mein Großvater, Herr Heinrich Willert, unterstützten mich nicht nur während meiner Promotionszeit, sondern auch während meiner gesamten Ausbildung tatkräftig. Ihnen ist die vorliegende Arbeit in Dankbarkeit gewidmet. Passau, im Dezember 2012

Andreas Köhler

Inhaltsübersicht Vorwort ...................................................................................................VII Inhaltsverzeichnis .................................................................................... XI Abkürzungsverzeichnis ......................................................................... XIX

Einleitung ................................................................................................ 1 Kapitel 1: Dogmatische Grundlagen der Eingriffsnormenproblematik ............................................................... 5 A. Das Phänomen der Eingriffsnormen ...................................................... 5 B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System ................................. 5 C. Ergebnis ............................................................................................ 101

Kapitel 2: Die kollisionsrechtliche Behandlung inländischer Eingriffsnormen .................................................. 103 A. Verortung der Eingriffsnormenproblematik im europäischen IPR ............................................................................... 103 B. Die Bedeutung des dargestellten Ansatzes im Einzelnen ................... 127 C. Primärrechtliche Grenzen für die Anwendung von Eingriffsnormen ................................................................................. 163 D. Ergebnis ............................................................................................ 165

Kapitel 3: Die kollisionsrechtliche Behandlung ausländischer Eingriffsnormen ....................................................... 168 A. Einführung ........................................................................................ 168 B. Die Wirkungsverleihung ausländischer Eingriffsnormen de lege lata: Art. 9 III Rom I .............................................................. 173 C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I ................................................. 189

X

Inhaltsübersicht

D. Anwendung von ausländischen Eingriffsnormen über Art. 9 III Rom I hinaus ...................................................................... 264 E. Die Behandlung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen ........................ 292

Kapitel 4: Prüfungskompetenz des EuGH .................................... 321 A. Eingriffsnormenproblematik außerhalb des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen ................................. 322 B. Eingriffsnormenproblematik innerhalb des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen ................................. 325

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Schlussbetrachtung .................................................................... 329 Literaturverzeichnis ............................................................................... 333 Register .................................................................................................. 353

Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................VII Inhaltsübersicht ........................................................................................ IX Abkürzungsverzeichnis ......................................................................... XIX

Einleitung ................................................................................................ 1 Kapitel 1: Dogmatische Grundlagen der Eingriffsnormenproblematik ............................................................... 5 A. Das Phänomen der Eingriffsnormen ...................................................... 5 B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System ................................... 5 I. Notwendigkeit einer kollisionsrechtlichen Entscheidung..................... 6 II. Eingriffsnormen als Definitionsproblem .............................................. 8 1. Eingriffsnormen im formalen Sinne .............................................. 10 2. Eingriffsnormen im materiellen Sinne........................................... 17 a) Funktionsunterscheidung zwischen Kollisionsrecht und Sachrecht ........................................................................... 18 b) Kollisionsrechtliches Zweitsystem für Normen mit überindividuellen Schutzzwecken ............................................. 20 c) Definition anhand öffentlicher Normzwecke ............................ 22 aa) Minimalerfordernis: „zumindest auch öffentliche Interessen“ ......................................................................... 23 bb) Abgrenzung anhand qualifizierter Kriterien ....................... 26 cc) Abschließende Stellungnahme ........................................... 34 3. Zwischenergebnis ......................................................................... 39 III. Notwendigkeit eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems für Eingriffsnormen ........................................................................... 39 1. Extrinsischer Systemdualismus: Verortung der Eingriffsnormenproblematik außerhalb des IPR ............................ 40 a) Die These der Trennung von Staat und Gesellschaft ................. 41 aa) Darstellung ........................................................................ 41

XII

Inhaltsverzeichnis

bb) Stellungnahme ................................................................... 43 b) Abgrenzung von Öffentlichem Recht und Privatrecht ............... 46 2. Intrinsischer Systemdualismus: Verortung der Eingriffsnormenproblematik innerhalb des IPR ............................ 50 a) Gegenstand des IPR .................................................................. 53 aa) Relevanz für die Eingriffsnormenproblematik ................... 53 bb) Sachnormen als Gegenstand des IPR ................................. 56 cc) Zusammenfassende Stellungnahme .................................... 59 dd) Folgerungen für die Ausgangsfrage ................................... 61 b) IPR als wertneutrales Zuordnungsrecht? ................................... 62 aa) Der Grund für ein mehrseitiges IPR ................................... 62 bb) Die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit.................. 68 cc) Zusammenhang zwischen international privatrechtlicher und materiellrechtlicher Gerechtigkeit ............................... 70 (1) „Sachrechtsabhängigkeit“ des IPR .............................. 70 (2) Die Bedeutung der Sachnormzwecke für die kollisionsrechtliche Anknüpfung ................................. 72 i. Kahn als Wegbereiter des „sachnormbezogenen Ansatzes“ .............................................................. 75 ii. Die Interessenlehre Kegels ................................... 76 iii. Die Bedeutung des Sachnormzwecks für die kollisionsrechtliche Interessenlage ....................... 79 iv. Zwischenergebnis ................................................. 83 3. Die Struktur und Reichweite einer allseitigen Kollisionsnorm ...... 84 a) Das Bündelungsmodell Schurigs .............................................. 84 b) Reichweite einer Kollisionsnorm nach dem Bündelungsmodell ............................................................ 85 c) Folgerungen für die Eingriffsnormenproblematik ..................... 86 4. Zwischenergebnis ......................................................................... 87 IV. Eingriffsnormen als Problem der Rechtsfortbildung innerhalb des IPR .............................................................................. 88 1. Ausgangssituation ......................................................................... 88 2. Reichweite der allgemeinen Kollisionsnormen ............................. 88 3. „Disqualifikation“ als Voraussetzung der statutsunabhängigen Anknüpfung .................................................................................. 92 4. Kollisionsnormbildung modo legislatoris ...................................... 97 5. Zusammenfassung ....................................................................... 100 C. Ergebnis ............................................................................................ 101

Inhaltsverzeichnis

XIII

Kapitel 2: Die kollisionsrechtliche Behandlung inländischer Eingriffsnormen .......................................................... 103 A. Verortung der Eingriffsnormenproblematik im europäischen IPR ..... 103 I. Eingriffsnormen de lege lata: Art. 9 Rom I, Art. 16 Rom II ............ 104 II. Anwendungsbefehl aus dem nationalen Recht ................................. 106 1. Probleme hinsichtlich des nationalen Anwendungswillens ......... 107 2. Probleme hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe zur Durchsetzung nationaler Vorschriften ......................................... 111 III. Anwendungsbefehl aus dem europäischen Recht............................. 113 1. Eröffnung des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen gem. Art. 1 Rom I /II .................................. 113 2. Art. 9/16 Rom I/II als kodifikationsinterne Beschränkung des Anwendungsbereiches? ......................................................... 114 a) Vorgaben des Wortlauts von Art. 9/16 Rom I/II ..................... 114 aa) Art. 9 I Rom I: „Anwendungsbereich“ ............................. 114 bb) Art. 9 I Rom I: finale Verknüpfung von materiellen Normzwecken und kollisionsrechtlicher Behandlung ....... 115 cc) Art. 9 II Rom I bzw. Art. 16 Rom II................................. 118 dd) Zwischenergebnis ............................................................ 119 b) Abschließende Stellungnahme ................................................ 119 3. Art. 9/16 Rom I/II als Grundlage der europäischen Rechtsfortbildung ........................................................................ 123 IV. Zwischenergebnis ............................................................................ 126 B. Die Bedeutung des dargestellten Ansatzes im Einzelnen .................... 127 I.

„Selbstgerechte Sachnormen“ (Eingriffsnormen im formalen Sinne) ............................................................................... 127 1. „Selbstgerechte Sachnorm“ nationaler Herkunft ......................... 127 2. „Selbstgerechte Sachnorm“ europäischer Herkunft ..................... 133 II. „Schlicht disqualifizierte Normen“ (Eingriffsnorm im materiellen Sinne) .............................................. 134 1. Sachnorm nationaler Herkunft (insbesondere Sonderprivatrecht) ...................................................................... 134 a) Durchsetzung von Sonderprivatrecht im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems ........................................ 135 b) Durchsetzung von Sonderprivatrecht im Rahmen des herkömmlichen kollisionsrechtlichen Systems ....................... 141 2. Sachnormen europäischer Herkunft ............................................ 148

XIV

Inhaltsverzeichnis

a) Besondere kollisionsrechtliche Behandlung europäischer Sachnormen? .......................................................................... 148 b) Sachnormen aus Verordnungen .............................................. 151 c) Sachnormen aus Richtlinien (insbesondere Ingmar-Entscheidung) ............................................................ 152 aa) Allgemeines ..................................................................... 152 bb) Ingmar-Entscheidung ....................................................... 154 d) Zwischenergebnis ................................................................... 162 C. Primärrechtliche Grenzen für die Anwendung von Eingriffsnormen ............................................................................... 163 D. Ergebnis ............................................................................................ 165

Kapitel 3: Die kollisionsrechtliche Behandlung ausländischer Eingriffsnormen ....................................................... 168 A. Einführung ......................................................................................... 168 B. Die Wirkungsverleihung ausländischer Eingriffsnormen de lege lata: Art. 9 III Rom I .................................................................. 173 I.

Sachrechtliche Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen .... 174 1. Berücksichtigung faktischer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen .......................................................................... 175 2. Berücksichtigung normativer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen .......................................................................... 180 3. Zwischenergebnis ....................................................................... 185 II. Regelungsgehalt des Art. 9 III Rom I bezüglich der kollisionsrechtlichen Berufung ausländischer Eingriffsnormen ....... 186 1. Bedeutung der Wirkungsverleihung ............................................ 186 2. Herkunft des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls ............. 187 3. Zwischenergebnis ....................................................................... 189 C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I .................................................. 189 I.

Kollisionsrechtliches Zweitsystem für ausländische Eingriffsnormen.......................................................... 190 1. Die Lehre von der Sonderanknüpfung ......................................... 190 a) „Anwendungswilligkeit“ als Anknüpfungspunkt der kollisionsrechtlichen Berufung ............................................... 190 b) Konstitutiver Charakter materiellrechtlicher Kriterien ............ 194 c) Autonome Einschränkungen ................................................... 195

Inhaltsverzeichnis

XV

aa) Ausreichend enge Verbindung zum Erlassstaat ................ 195 bb) Inhaltskontrolle ................................................................ 197 d) Zusammenfassung .................................................................. 198 2. Übertragbarkeit der Sonderanknüpfungslehre auf Art. 9 III Rom I ..................................................................... 198 a) Vorgaben des Wortlauts von Art. 9 Rom I .............................. 198 b) Notwendigkeit eines unilateralistischen kollisionsrechtlichen Zweitsystems? ....................................... 201 aa) Universalistische Erklärungsansätze ................................ 201 bb) Untauglichkeit des herkömmlichen IPR-Systems hinsichtlich der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen ............................................................... 203 (1) „Untrennbarkeit“ von materieller Sachnorm und Kollisionsnorm des Erlassstaates ............................... 203 (2) Unfähigkeit der herkömmlichen IPR-Methodik ......... 205 (3) Abschließende Stellungnahme ................................... 207 II. Ausländische Eingriffsnormen im herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen kollisionsrechtlichen System .. 210 1. Vorbemerkung ............................................................................ 210 2. Identifikation der gesondert anzuknüpfenden Eingriffsnormen ... 210 a) Unrechtmäßigkeit der Erfüllung ............................................. 211 b) Eingriffsnormen des Erfüllungsortes ...................................... 215 aa) Rechtlicher Erfüllungsort ................................................. 215 bb) Autonome Bestimmung des Erfüllungsortes .................... 217 (1) Einheitlicher Erfüllungsort i.S.d. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO ....................................... 218 (2) Autonome kollisionsrechtliche Erfüllungsortbestimmung .......................................... 222 3. Kollisionsrechtliche Interessenbewertung der identifizierten Bestimmungen ............................................................................ 231 4. Einschränkungen des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls .................................................................... 235 a) Inhaltskontrolle einer ausländischen Eingriffsnorm als Anwendungsvoraussetzung ..................................................... 235 aa) Bisherige Ansätze ............................................................ 236 bb) Rechtfertigung zusätzlicher materieller Kriterien bei der Berufung bestimmter ausländischer Normen .............. 240 cc) Einschränkende materielle Kriterien im Rahmen von Art. 9 III Rom I ......................................................... 246 (1) Interesse an der Anwendung einer Norm ................... 246 (2) Bestimmung des europäischen Anwendungsinteresses .............................................. 246

XVI

Inhaltsverzeichnis

i. Nationale „policy-Prüfung“ ................................ 249 ii. Europäische „policy-Prüfung“ ............................ 251 (3) Konkretisierung genuin europäischer Wertungen ...... 253 (4) Prüfungsmaßstab ....................................................... 256 (5) Zwischenergebnis ...................................................... 258 b) Berücksichtigung des ausländischen „Anwendungswillens“ als Kriterium der Nichtanwendung ......................................... 258 5. Reichweite der Kollisionsnorm ................................................... 261 6. Ergebnis ...................................................................................... 263 D. Anwendung von ausländischen Eingriffsnormen über Art. 9 III Rom I hinaus ........................................................................... 264 I.

„Sperrwirkung“ von Art. 9 III Rom I, Art. 16 Rom II ..................... 264 1. Abschließender Charakter des Art. 9 III Rom I ........................... 265 a) Beschränkung in sachlicher Hinsicht: Unrechtmäßigkeit der Erfüllung .......................................................................... 267 b) Beschränkung in räumlicher Hinsicht: Eingriffsnormen des Erfüllungsortes ................................................................. 267 2. Abschließender Charakter von Art. 16 Rom II ............................ 274 II. Anknüpfungsmöglichkeiten ............................................................. 278 1. „Schuldstatutstheorie“ ................................................................. 279 2. „Gesonderte Anknüpfung“ im Rahmen eines potentiell allseitigen Systems ...................................................................... 286 III. Die Behandlung ausländischer Normen des Sonderprivatrechts ...... 290 IV. Ergebnis .......................................................................................... 291 E. Die Behandlung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen ........................ 292 I. Ausgangssituation ........................................................................... 293 II. Primärrechtliche Anwendungspflicht für mitgliedstaatliche Eingriffsnormen .............................................................................. 294 1. Sogenanntes „Herkunftslandprinzip“ .......................................... 297 2. Unionsrechtliche Zuweisung von Regelungszuständigkeiten an die einzelnen Mitgliedstaaten ................................................. 299 3. Binnenmarktprinzip i.V.m. Art. 4 III 2 EUV ............................... 303 4. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz i.V.m. Art. 4 III 2 EUV.............. 304 5. Zuständigkeits- und Verfahrenskonzentration i.V.m. Art. 4 III 2 EUV .......................................................................... 306 6. Abschließende Stellungnahme .................................................... 309 III. Eigener Begründungsansatz: sekundärrechtliche Anwendungspflicht ......................................................................... 309 1. Strukturelle Erwägungen ............................................................. 309

Inhaltsverzeichnis

XVII

2. Teleologische Erwägungen im Rahmen des Sekundärrechtsaktes .................................................................... 313 a) Verwirklichung des Binnenmarktes ........................................ 314 b) Funktionaler Zusammenhang zwischen den RomI/IIVerordnungen und der EuGVVO ............................................ 315 3. Gefahr einer Überschneidung der kollisionsrechtlichen Anwendungsbereiche mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen ......... 319 4. Ergebnis ...................................................................................... 320

Kapitel 4: Prüfungskompetenz des EuGH .................................... 321 A. Eingriffsnormenproblematik außerhalb des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen ...................................... 322 B. Eingriffsnormenproblematik innerhalb des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen ...................................... 325

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Schlussbetrachtung .................................................................... 329 Literaturverzeichnis ............................................................................... 333 Register .................................................................................................. 353

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis

a.A. a.a.O. a.F. Abs. AcP AEUV Anm. AnwBl AöR Art. BAG BB BerGesVR BGB BGBl. BGH BGHZ Bt-Ds. BVerfG bspw. bzgl. bzw. CMLRev. d.h. ders./dies. DVBl EG EGBGB EGV ERA Forum ErbRVO

etc. EU

anderer Ansicht am angegebenen Orte alte Fassung Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Anmerkung Anwaltsblatt (Zeitschrift) Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Artikel Bundesarbeitsgericht Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Entscheidungssammlung) Drucksache des Bundestages Bundesverfassungsgericht beispielsweise bezüglich beziehungsweise Common Market Law Review (Zeitschrift) das heißt derselbe/dieselben Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch EG-Vertrag scripta iuris europaei, Europäische Rechtsakademie Trier (Zeitschrift) Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses et cetera Europäische Union

XX

Abkürzungsverzeichnis

EuGH EuGVÜ

Europäischer Gerichtshof Übereinkommen von Brüssel über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 27.09.1968 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Europäisches) Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.06.1980 Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- & Steuerrecht (Zeitschrift) folgende Fußnote Festschrift gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht grundsätzlich Gedächtnisschrift herrschende Meinung Herausgeber im Sinne des/der in Verbindung mit Internationales Handelsrecht (Zeitschrift) The International and Comparative Law Quarterly (Zeitschrift) Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Internationales Öffentliches Recht Juristische Blätter Journal du Droit International Journal of Private International Law Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Juristenzeitung Lindenmaier-Möhring, kommentierte BGHRechtsprechung mit anderen Worten mit (weiteren) Nachweis(en) Münchener Kommentar Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

EuGVVO

EUV EuZW EVÜ EWiR EWS f./ff. Fn. FS gem. GG ggf. GPR grds. GS h.M. Hrsg. i.S.d. i.V.m. IHR Int.Comp.L.Q. IPR IPRax IÖR JBl JDI JPIL JR JW JZ LMK m.a.W. m.(w.)N. MüKo NJW RabelsZ

Abkürzungsverzeichnis Rec. des Cours Red. RdA Rev. crit. d.i.p. RG RGRK RGZ Riv. dir. int. priv. proc. RIW Rn. Rom I

Rom II

Rs. S. sog. u.a. u.U. VersR vgl. VO WM z.B. ZEuP ZfRV ZIP ZöffR ZSchwR ZVglRWiss

XXI

Recueil des Cours Redakteur Recht der Arbeit (Zeitschrift) Revue critique de droit international privé (Zeitschrift) Reichsgericht Reichsgerichtsräte-Kommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (Entscheidungssammlung) Rivista di diritto internazionale privato e processuale (Zeitschrift) Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Rechtssache Seite sogenannt unter anderem unter Umständen Versicherungsrecht (Zeitschrift) vergleiche Verordnung Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft

Einleitung Einleitung

„Der Weg des IPR wie der Wissenschaft überhaupt ist ein Weg der Verfeinerung. Kunstvoller werden die Einzellösungen, gestaltreicher die Grundsätze“1. Betrachtet man die bisherige Diskussion um die Problematik der kollisionsrechtlichen Behandlung in- und ausländischer Eingriffsnormen im Lichte dieses Befundes von Gerhard Kegel, so lässt sich vorab bemerken, dass zwar kein Mangel an diesbezüglichen „kunstvollen Einzellösungen“ besteht, jedoch eine allgemein anerkannte systematische, dogmatische und methodische Verortung der Eingriffsnormenproblematik im Kollisionsrecht auch über 160 Jahre nach ihrer „Entdeckung“ durch Friedrich Carl von Savigny noch immer nicht gelungen ist2. Einigkeit bestand im bisherigen nationalen Recht alleine darin, dass bestimmte, als Eingriffsnormen zu bezeichnende Bestimmungen, die regelmäßig öffentlichen Interessen des jeweiligen Erlassstaates dienen, auch dann angewandt werden können, wenn die durch die herkömmlichen Kollisionsnormen bestimmte lex causae einem anderen Recht entstammt – alles andere ist streitig3. Dies gilt nicht nur für die wohl bereits als „klassisch“ zu bezeichnende wissenschaftliche Auseinandersetzung, ob ausländische Eingriffsnormen überhaupt zur Anwendung gebracht werden können, sondern bereits für die viel grundlegenderen Fragen, um welche Normen es sich hierbei überhaupt handelt, warum sich diese gegenüber einem von den herkömmlichen Kollisionsnormen bestimmten Statut durchsetzen können und anhand welcher Anknüpfungsgrundsätze dies zu erfolgen hat. Zumindest in der Beantwortung der ersten Frage versucht sich nun erstmalig eine gesetzliche Regelung: Gemäß Art. 9 I Rom I handelt es sich bei einer Eingriffsnorm um „eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“. 1

Kegel, FS Lewald, 259 (259). Junker, JZ 1991, 699 (699) bezeichnet die Eingriffsnormenproblematik daher – sicher nicht zu Unrecht – als „the last frontier of Conflicts Law“. 3 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 1 (S. 5 ff.). 2

2

Einleitung

Wenngleich diese Legaldefinition jedenfalls in terminologischer Hinsicht begrüßenswerte Klarheit darüber zu bringen scheint, welche Normen einer von den herkömmlichen Kollisionsnormen abweichenden kollisionsrechtlichen Behandlung bedürfen sollen, bleiben – und das darf vorweggenommen werden – die bislang hoch kontrovers diskutierten Grundsatzfragen bezüglich der dogmatischen Verortung der Eingriffsnormenproblematik auch im europäischen Kollisionsrecht weiterhin ungeklärt, so dass Art. 9 Rom I bzw. der noch „schweigsamere“ Art. 16 Rom II keinesfalls alle Zweifelsfragen beseitigen und daher auch keine „kodifizierten Schlusssteine“ der bisherigen Diskussion um die Behandlung in- und ausländischer Eingriffsnormen zu bilden vermögen. Sie geben der Eingriffsnormenproblematik vielmehr eine neue europäische Dimension, weil alte Streitfragen um weitere – nunmehr europäisch determinierte – Problemfelder ergänzt werden. So bedarf es unter der neuen Rechtslage insbesondere der Klärung, welche konkreten Vorgaben Art. 9 Rom I und Art. 16 Rom II als vorrangig zu beachtendes europäisches Recht enthalten, also unter welchen Voraussetzungen nationale Eingriffsnormen überhaupt noch zur Anwendung gebracht werden können. Denn hier besteht ein Spannungsverhältnis: Erlaubt man den Mitgliedstaaten im Rahmen des europäischen IPR weiterhin die Durchsetzung der ihren Interessen dienenden Rechtssätze, trägt man zwar einerseits der materiellen Wertungskohärenz innerhalb der nationalen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Rechnung, da das schlichte Faktum eines Auslandssachverhaltes wertungsmäßig sicher keinen generellen Dispens von zwingenden nationalen Bestimmungen rechtfertigen kann. Andererseits läuft man dann jedoch auch Gefahr, mit einer solchen, von den kodifizierten Kollisionsnormen der RomVerordnungen unabhängigen Durchsetzung nationalen Eingriffsrechts „das fein abgestufte Anknüpfungssystem der Verordnung[en]“ zu erodieren 4 und zudem den europäischen Entscheidungseinklang – das Hauptziel der unionsrechtlichen IPR-Vereinheitlichung – zu beeinträchtigen5, weil die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen – und damit auch solcher anderer EU-Mitgliedstaaten – expressis verbis nur im Bereich des Internationalen Vertragsrechts, und auch hier nur unter den sehr engen, deutlich hinter Art. 9 II Rom I zurückbleibenden Voraussetzungen des Art. 9 III Rom I, möglich scheint. 4

So Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (542). Letzteres zumindest dann, wenn mit der nationalen Durchsetzungsbefugnis nicht zugleich eine Anwendungspflicht bezüglich derjenigen mitgliedstaatlichen Bestimmungen korreliert, welche die einzelnen Mitgliedstaaten bei eigener Zuständigkeit über Art. 9 II Rom I zur Anwendung bringen könnten. Dies scheint der restriktive Wortlaut des Art. 9 III Rom I – ganz zu schweigen von Art. 16 Rom II, der ausdrücklich nur eine Durchsetzung inländischer Eingriffsnormen gestattet – allerdings prima facie nicht zuzulassen. 5

Einleitung

3

Hat der europäische Gesetzgeber mit der Regelung der Eingriffsnormenproblematik demnach einem „trojanischen Pferd“ 6 den Weg ins europäische Kollisionsrecht geebnet? Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, ob eine dogmatisch und methodisch kohärente Behandlung der Eingriffsnormenproblematik gelingt und gleichzeitig das Spannungsverhältnis von Wertungskohärenz innerhalb einer nationalen mitgliedstaatlichen Rechtsordnung und europäischem Entscheidungseinklang aufgelöst werden kann. Dies soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit, deren Untersuchungsgegenstand die kollisionsrechtliche Behandlung in- und ausländischer Eingriffsnormen im europäischen Kollisionsrecht bildet, versucht werden. Zu diesem Zwecke bedarf es einführend einer grundlegenden dogmatischen Einordnung der Eingriffsnormenproblematik, die in Kapitel 1 unter Berücksichtigung der bislang vorgetragenen Begründungsansätze erfolgt. Zur Verdeutlichung werden spezifisch europarechtliche Aspekte und die Besonderheiten, die bei einer Anwendung ausländischer Eingriffsnormen bestehen, zunächst ausgeblendet, so dass – ausgehend von einer Beschreibung des Phänomens der Eingriffsnormen, welche den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ aller bislang vertretenen Ansichten bildet – im Zentrum der Ausführungen die Beantwortung der Frage steht, warum wir bestimmte Normen, die regelmäßig öffentlichen Interessen des jeweiligen Erlassstaates dienen, von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängig zur Anwendung bringen müssen. Nachdem die Eingriffsnormenproblematik innerhalb eines normhierarchisch auf einer Stufe stehenden kollisionsrechtlichen Systems verortet worden ist, soll in dem sich anschließenden Kapitel 2 die Frage geklärt werden, inwieweit die in Kapitel 1 gewonnenen Erkenntnisse auf das europäische IPR übertragen werden können und welche Besonderheiten sich vornehmlich aus der mit Inkrafttreten der Rom-Verordnungen nunmehr bestehenden Normhierarchie von europäischem und nationalem Recht im Bereich des Kollisionsrechts für die Anwendung inländischer Eingriffsnormen ergeben. Den Untersuchungsgegenstand des Kapitels 3 bildet die Problematik um die kollisionsrechtliche Behandlung ausländischer Eingriffsnormen. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht Art. 9 III Rom I, der zumindest expressis verbis eine Wirkungsverleihung ausländischer Eingriffsnormen des Erfüllungsortes zulässt, „soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen“. Auch wird die kollisionsrechtliche Behandlung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen zu thematisieren sein, da sich für diese – wenngleich vom Wortlaut der maßgeblichen europäischen Vorschriften nicht indiziert – aufgrund des im Rahmen dieser Arbeit zu entwickelnden Ansatzes Besonderheiten ergeben. In dem abschließenden Kapitel 4 soll 6

Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (104).

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Einleitung

zuletzt auf die Prüfungskompetenz des EuGH bezüglich der kollisionsrechtlichen Anwendungsvoraussetzungen in- und ausländischer Eingriffsnormen, wie sie sich insbesondere nach dem hier vertretenen Ansatz darstellt, eingegangen werden. Der Untersuchungsgegenstand der nachfolgenden Ausführungen beschränkt sich ausschließlich auf Eingriffsnormen und damit – wenn man so will – auf den „positiven“ ordre public. Wenngleich auch die herkömmliche „negative“ Funktion des ordre public mit der Eingriffsnormenproblematik strukturell vergleichbare Probleme aufweist 7 , können diese im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter verfolgt werden. Für die Zwecke dieser Untersuchung soll daher das herkömmliche Verständnis des ordre public als (nachträglicher) einzelfallbezogener Korrekturmechanismus, der eine Durchbrechung der internationalprivatrechtlichen zugunsten der materiellen Gerechtigkeit ermöglicht, zugrunde gelegt werden8. Im Vordergrund der nachstehenden Untersuchung stehen zudem Eingriffsnormen aus dem Bereich des Internationalen Vertragsrechts, was seinen Grund zum einen darin hat, dass die Eingriffsnormenproblematik in diesem Bereich ihre größte Bedeutung entfaltet, zum anderen aber auch darin, dass der später erlassene Art. 9 Rom I deutlich konkretere Vorgaben enthält als sein deliktisches Pendant. Zu betonen ist jedoch, dass es sich bei der hier zu untersuchenden Problematik um ein allgemeines Problemfeld des Kollisionsrechts handelt9, welches keinesfalls auf die Bereiche des Internationalen Vertrags- oder Deliktsrechts beschränkt ist, so dass die nachfolgenden Ausführungen auch auf andere Rechtsgebiete bezogen werden können.

7 Hierfür sei verwiesen auf Schurig S. 248-269; Kegel/Schurig § 16 (S. 513-542); Siehr, RabelsZ 36 (1972), 93 (98-110). 8 Vgl. hierzu etwa Kegel (7. Auflage) § 16 XI (S. 385); ders., FS Lewald, 259 (278); ders., FS Beitzke, 551 (572); Kropholler § 36 (S. 244 f.); von Hoffmann/Thorn § 6 Rn. 136. 9 So auch MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 38; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 15.

Kapitel 1

Dogmatische Grundlagen der Eingriffsnormenproblematik 1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

A. Das Phänomen der Eingriffsnormen A. Das Phänomen der Eingriffsnormen Als Eingriffsnormen werden solche Normen bezeichnet, die meist aufgrund ihrer überindividuellen Interessen Rechnung tragenden Normzwecke unabhängig von dem jeweiligen regulär berufenen Statut zur Anwendung zu bringen sind und insoweit in dieses „eingreifen“. Gegenstand des Eingriffs ist damit nicht – oder genauer formuliert nicht nur – die sachrechtliche Privatautonomie, sondern – wenn man so will – die regulär berufene lex causae im Allgemeinen1. Klassische Fälle bilden etwa kartellrechtliche, ein- und ausfuhrrechtliche, devisenrechtliche oder kulturgüterschutzrechtliche Bestimmungen, sofern sie zivilrechtliche Rechtsfolgen, etwa die Nichtigkeit eines Vertrages, anordnen und insoweit in das Vertragsstatut „hineinregieren wollen“. Selbst wenn das Vertragsstatut subjektiv oder objektiv bestimmt wurde und dieses gem. Art. 10 I Rom I auch regelmäßig Fragen der Vertragsnichtigkeit zu beantworten hat, setzen wir solche als Eingriffsnormen erkannten Bestimmungen auch dann durch, wenn sie gerade nicht der lex causae entstammen.

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System Charakteristikum der Eingriffsnormenproblematik ist folglich die statutsunabhängige Durchsetzung bestimmter Normen, die überwiegend öffentlichen Interessen dienen. Die entscheidende Frage ist damit, warum wir solche Normen auch gegenüber dem regulär berufenen Statut durchsetzen. Im Folgenden soll diese Frage zunächst für Eingriffsnormen der lex fori untersucht werden. 1 Zumindest ungenau ist die häufig zu lesende Aussage, Gegenstand des Eingriffs sei die (kollisionsrechtliche) Parteiautonomie, da sich Eingriffsnormen ebenfalls gegen ein objektiv berufenes Statut durchzusetzen vermögen. Daher lässt sich mit Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (3 Fn. 4) auch von einem „Eingriff in das allgemeine Gefüge des IPR“ sprechen.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

I. Notwendigkeit einer kollisionsrechtlichen Entscheidung Ausgangspunkt unserer Überlegungen muss die rechtstheoretische Erkenntnis sein, dass keine Norm ohne eine zwischengeschaltete kollisionsrechtliche Entscheidung angewandt werden kann2. Dies folgt aus der unserem Kollisionsrecht zugrunde liegenden rechtspolitischen Entscheidung, fremdem Recht Rechtsqualität zuzusprechen und dieses somit als „Recht“ anzuerkennen3. Weil wir diese Entscheidung getroffen haben4, steht unseren nationalen Sachnormen eine Vielzahl ausländischer Sachnormen gegenüber (und sei es auch nur in Form einer „Nichtregelung“5), die den in Frage stehenden Lebenssachverhalt ebenfalls beurteilen könnten. Damit erfolgt jede Normanwendung vor dem Hintergrund inhaltlich konkurrierender Bestimmungen anderer Rechtsordnungen, so dass jede Anwendung eines Rechtssatzes zugleich eine kollisionsrechtliche Entscheidung zugunsten dieses angewandten Rechtssatzes darstellt6 – sollte diese Entscheidung 2 Hierzu besonders deutlich Schurig S. 51-57; ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (233); ders., Lois d’application immédiate, 55 (63); Kegel/Schurig § 1 III (S. 6 f.); Neuhaus § 11 V (S. 105 f.); Kropholler § 13 V (S. 109); von Bar/Mankowski § 4 Rn. 12; Voser S. 90, 92. 3 Aus dieser Anerkennung folgt die notwendige Existenz des Kollisionsrechts; vgl. hierzu Schurig S. 56, der diesen formalen Grund des IPR wohl am deutlichsten herausstellt. Anders etwa Lorenz S. 60 ff. (ihm folgend Looschelders, Anpassung, S. 82 f.; ders., IPR, Übersicht Rn. 18; Benzenberg S. 39; Schubert, RIW 1987, 729 (740 f.); MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 1 m.w.N.) im Anschluss an Wengler (etwa RGRKWengler (Band VI 1) S. 62 i.V.m. (Band VI 2) S. 768 Fn. 2), der den Grund des Kollisionsrechts aus dem Gleichheitsprinzip (Art. 3 GG) herleitet. Abgesehen davon, dass zumindest Art. 3 GG nicht als Begründung für das europäische IPR herangezogen werden kann, betrifft der Gleichheitssatz allenfalls die Frage nach der Ausgestaltung des Kollisionsrechts, nicht aber seinen Grund, da man der festgestellten Ungleichbehandlung auch mit anderen Mitteln begegnen könnte, etwa mit der Ausbildung von Sonderrecht. Näher hierzu Schurig S. 56, ablehnend ebenso von Bar/Mankowski § 4 Rn. 37-39; Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (8) Fn. 28 m.w.N. 4 Diese rechtspolitische Grundentscheidung kann indes nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Abgesehen davon, dass ein – wie Schurig es nennt – „juristischer Solipsismus“ sicher völkerrechtswidrig wäre (dies stellt bereits Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 286 f. heraus; ebenso Schurig S. 52; ders., Völkerrecht und IPR, S. 60; Kegel/Schurig § 1 III (S. 6); Raape/Sturm S. 44; Voser S. 92), geht de lege lata sowohl das nationale als auch das europäische Kollisionsrecht davon aus, dass wir ausländisches „Recht“ anwenden, so dass diesem selbstverständlich Rechtsqualität beigemessen wird. 5 Vgl. Schurig S. 86 f., der insoweit von einer „Negativnorm“ spricht; näher hierzu Fn. 295. 6 Schurig S. 54, 57; Kegel/Schurig § 1 III (S. 6 f.). Auch für rein öffentlich-rechtliche Normen ergibt sich insoweit keine abweichende Einschätzung. Selbst wenn wir für bestimmte Bereiche – insbesondere Ermächtigungsgrundlagen für hoheitliche Eingriffe – stets nur eigenes Recht anzuwenden bereit sind, leugnen wir nicht die Rechtsqualität ausländischen Öffentlichen Rechts, sondern sind allenfalls nicht bereit, dieses kollisions-

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

7

etwa bei einem reinen Inlandssachverhalt auch unbewusst erfolgen, weil deren Ergebnis (Anwendung der materiellen lex fori) von vorneherein unzweifelhaft feststeht7. Übertragen auf unsere Problematik bedeutet diese Erkenntnis, dass sich eine Eingriffsnorm gegenüber dem regulären Statut nur dann durchzusetzen vermag, wenn eine auf diese bezogene, ggf. vorrangig zu beachtende8 Kollisionsnorm existiert, welche die Eingriffsnorm vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen zur Anwendung bringt. Sie kann nicht unmittelbar ohne Zwischenschaltung des IPR anwendbar sein, wie etwa die von Francescakis begründete Lehre der lois d’application immédiate vermittelt 9 , da auch eine „unmittelbare“ Anwendungsentscheidung vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen getroffen wird und somit analytisch betrachtet stets eine kollisionsrechtliche Auswahlentscheidung zugunsten des angewandten materiellen Rechtssatzes beinhaltet, mag auch diese unbewusst erfolgen, etwa weil man solchen Normen aufgrund

rechtlich zu berufen. Zu dem entscheidenden Unterschied der primären und sekundären Unanwendbarkeit ausländischen Öffentlichen Rechts Schurig S. 143; von Bar/Mankowski § 4 Rn. 61; vgl. hierzu auch Kapitel 3 Fn. 163. 7 Kegel/Schurig § 1 III (S. 7); Schurig S. 57: „Auch eine selbstverständliche Entscheidung ist eine Entscheidung“; ders., Lois d’application immédiate, 55 (60 f., insbesondere Fn. 26); MüKo-Sonnenberger Art. 3 EGBGB Rn. 8; Kropholler § 1 IV (S. 7); von Hoffmann/Thorn § 1 Rn. 21-22; ebenso Voser S. 95; a.A.: Lorenz, FS Kegel (1987), 303 (310 f.); ders. S. 56 (was jedoch wohl aus der – abzulehnenden, vgl. Fn. 3 – Prämisse folgt, dass sich die notwendige Existenz des IPR aus Art. 3 GG ergebe und somit allein für einen „heterogen verknüpften Sachverhalt“ legislatorischer Handlungsbedarf bestehe; näher zu diesem Ansatz Lorenz S. 56 f.); ebenso ablehnend (und den Gleichheitsgrundsatz zugrunde legend) Looschelders, IPR, Art. 3 EGBGB Rn. 3; Schubert, RIW 1987, 729 (739); ablehnend auch Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (345). 8 Dies dann, wenn die fragliche Sachnorm auch von der Reichweite einer herkömmlichen Kollisionsnorm erfasst wird, also unter diese qualifiziert werden kann. Ob und ggf. wann dies der Fall ist, vgl. sub Kapitel 1 B.IV.3 (S. 92 ff.); zur Spezialität sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 10 f.). 9 Francescakis, La théorie du Renvoi, S. 11 ff. (einen Überblick gibt Voser S. 7-9); insbesondere Francescakis, Riv. dir. int. priv. proc. 3 (1967), 691 (695): „l’application [de ces lois] ne passe pas par l’intermédiaire des règles de conflit“, (697): „sans passer par l’intérmediaire d’une règle de conflit“; ders., Répertoire de droit international (Band 1), S. 480 (Nr. 124): „Leur application est dite ‚immédiate’ en ce sens qu’elle se fait sans l’intérmediaire des règles de conflits de lois, notion propre aux conflits de lois de droit privé“; ders., Y-a-t-il du nouveau en matière d’ordre public?, 149 (164): „Immédiate, c’est-à-dire sans recours à une règle de conflit“; ebenso De Nova, FS Ferid, 307 (311); aus neuerer Zeit etwa Niboyet/de Geouffre de La Pradelle Nr. 190 (S. 163 f.); ebenso Bureau/Watt (Band 1) Nr. 552 (S. 594): „Sans utiliser la règle de conflit, il fut fait application immédiate [...]“, Nr. 553 (S. 594): „sans tolérer l’intermédiation de la règle de conflit de lois bilatérale“.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

ihrer „Wichtigkeit“ universelle Geltung zugestehen will10. Anwendbar ist eine Eingriffsnorm demgemäß alleine dann, wenn sie durch eine spezielle, nicht notwendigerweise einseitige Kollisionsnorm berufen wird 11 . Sie bildet mit den Worten von Neuhaus kein „Tertium“ zwischen den Kategorien Kollisionsrecht und Sachrecht, sondern kann (und muss) diesen zugeordnet werden12. II. Eingriffsnormen als Definitionsproblem Nimmt man diese rechtstheoretische Erkenntnis zum Ausgangspunkt, so müssen wir uns fragen, wie der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl der Eingriffsnormen bestimmt werden kann, der eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung gebietet. Art. 34 EGBGB a.F. ebenso wie Art. 16 Rom II geben hierfür wenig Hinweise, da beide schlicht einen Vorbehalt zugunsten derjenigen Bestimmungen der lex fori anordnen, die ohne Rücksicht auf das jeweils anwendbare Recht den Sachverhalt zwingend regeln. Beide setzen folglich den jeweiligen kollisionsrechtlichen Befehl voraus, ebenso wie der später erlassene Art. 9 II Rom I, wenngleich Abs. 1 – insoweit präziser – nach seinem Wortlaut zusätzlich verlangt, dass Eingriffsnormen öffentlichen Interessen Rechnung tragen müssen13. 10

Verzichtet man für die Durchsetzung einer Eingriffsnorm auf einen Inlandsbezug (hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.c)cc) (S. 37 f.)), wendet man eine solche Norm also stets an, so ist die getroffene kollisionsrechtliche Anwendungsentscheidung nicht offensichtlich – dies könnte ein Grund für die Annahme darstellen, solche Normen seien „unmittelbar“ anzuwenden. 11 So könnte auch Francescakis seinen Ansatz verstanden haben, vgl. Schurig S. 319 Fn. 211; Mäsch S. 134 f. Beide beziehen sich auf Francescakis „Präzisierung“ der lois d’application immédiate in Rev. crit. d.i.p. 55 (1966), 1 (9), wo es heißt: „Nos ‚lois’ sont soumises, en effet, bel et bien à des règles de conflit et ne sont ‚immédiates’ que par rapport au type de conflits de lois considéré comme universel par la doctrine contemporaine“. Voser S. 18-19 weist ausführlich auf die Widersprüchlichkeiten in der dogmatischen Begründung von Francescakis Lehre hin, geht aber im Ergebnis davon aus, dass dieser von der unmittelbaren Anwendung solcher Normen ohne Zwischenschaltung des Kollisionsrechts ausgegangen sei (m.w.N. S. 21 Fn. 88). 12 Neuhaus § 11 V (S. 105); übernommen von Kropholler § 13 V (S. 109); ebenso von Bar/Mankowski § 4 Rn. 12; von Hoffmann/Thorn § 4 Rn. 15; Kuckein S. 22; Lorenz, RIW 1987, 569 (578); Voser S. 108. 13 Die überwiegende Ansicht sieht die jeweiligen Regeln daher auch als „Öffnungsklauseln“ ohne anwendungsrechtlichen Gehalt (MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 108; PWW-Remien Art. 34 EGBGB Rn. 4, Art. 9 Rom I Rn. 4; Fetsch S. 10; Kuckein S. 65 Fn. 7 m.w.N.) oder als „Blocker“, die „anderen Normen den Weg frei“ sperren, „den diese gehen wollen“, so von Bar/Mankowski § 4 Rn. 86; ders., RIW 1998, 287 (290); ebenso Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 1; Hk-BGB/Staudinger (6. Auflage) Art. 34 EGBGB Rn. 1; BGH NJW 2003, 2020 (2021): „Art. 34 EGBGB enthält selbst keine Anknüpfungsregelung, so dass die Kollisionsnorm der zwingenden Norm zu entnehmen ist“; ebenso Bamberger/Roth-Spickhoff Art. 9 Rom I Rn. 1; Looschelders, IPR,

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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Da somit weder das EGBGB noch die nunmehr erlassenen RomVerordnungen den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl expressis verbis aussprechen, geht die überwiegende Ansicht davon aus, dass sich jener aus der jeweils fraglichen Sachnorm selbst ergeben müsse14. Dies lässt den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl zu einem notwendigen Korrelat für die Qualifikation als Eingriffsnorm werden, so dass die Bemühungen, eine Definition für Eingriffsnormen zu erlangen, sich um dieses notwendige Korrelat drehen. In diesem Sinne haben sich bislang zwei Wege herauskristallisiert: Im Rahmen einer formalen Definition 15 wird auf den selbstformulierten Anwendungs- oder Geltungsanspruch 16 einer Norm abgestellt, also auf ihren „Willen“, unabhängig vom regulär berufenen Statut kollisionsrechtlich zur Anwendung gebracht zu werden17. Lässt sich ein solcher mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht feststellen, müsse dieser mittels Sinn und Zweck der fraglichen Norm bestimmt werden18. Dient diese – so die gängige Formulierung in Literatur19 Art. 34 EGBGB Rn. 2. Zur Bedeutung von Art. 9 II Rom I vgl. sub Kapitel 2 A (S. 103 ff.). 14 Neuhaus und Kropholler sprechen bildlich davon, dass wir für Eingriffsnormen die Rechtsanwendungsfrage „vom Gesetz“ her stellen müssen (im Gegensatz zu den allgemeinen Kollisionsnormen, welche die Rechtsanwendungsfrage „vom Sachverhalt“ her stellen); hierzu Neuhaus § 4 II (S. 32 f.); Kropholler § 3 II (S. 18); Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 4. Auf die „gegenüber den allgemeinen Kollisionsnormen abweichende Fragestellung“ bereits hinweisend Neumayer, BerGesVR 2 (1958), 35 (53, vgl. auch Fn. 47). 15 Die Unterscheidung anhand einer formalen oder materiellen Definition geht auf Anderegg S. 3 f. zurück und wurde etwa von Voser S. 198-200 und Kuckein S. 17 ff. übernommen. Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (227 f.) spricht hierbei von einer kollisionsrechtlichen Definition von Eingriffsnormen einerseits, von einer sachlich-inhaltlichen andererseits. 16 Zur Unterscheidung dieser beiden Begriffe Kropholler § 22 I 2 (S. 153), wenngleich er einräumt, dass sie sich nicht konsequent durchführen lässt. Im Folgenden werden beide als Synonyme verwendet. 17 Vgl. nur Kropholler § 3 II (S. 19); Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 5; MüKoMartiny Art. 9 Rom I Rn. 8; Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 10-12, 51; Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 1; Freitag/Leible, RIW 2001, 287 (288); BGH NJW 2006, 762 (763). 18 Kropholler § 3 II (S. 19: „wenn sie – expressis verbis oder nach ihrem Sinn und Zweck gelten wollen“), § 52 IX (S. 498: „wobei – mangels ausdrücklicher Regelung – der Zweck des Gesetzes seinen vom Vertragsstatut unabhängigen Charakter ergeben kann“); von Hoffmann/Thorn § 10 Rn. 94 („Fehlt eine ausdrückliche Bestimmung, so ist auf den Normzweck abzustellen“); MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 9; StaudingerMagnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 54; Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 1; HkBGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 4; BGH NJW 2006, 762 (763). 19 Vgl. etwa Kropholler § 3 II 3 (S. 22), § 52 IX (S. 498); MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 13; Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 57; Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 10; Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 4.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

und Rechtsprechung 20 – Gemeinwohlinteressen, könne aufgrund dieser besonderen Normzwecke auf den Anwendungswillen geschlossen werden. Eine solche Bestimmung von Eingriffsnormen, die anhand materiellrechtlicher Kriterien „hilfsweise“ den Anwendungswillen erschließen will, kann man demgegenüber als materielle Definition einer Eingriffsnorm bezeichnen. Der Sache nach wird auf diese Weise, so scheint es zumindest, ein kollisionsrechtliches Zweitsystem für Eingriffsnormen21 errichtet, das dem herkömmlichen IPR gegenübergestellt wird: Auf der einen Seite stehen diejenigen Normen, die keinen Anwendungswillen vorweisen und dem herkömmlichen IPR unterfallen – die Rechtsanwendungsfrage kann hier nach Neuhaus und Kropholler22 „vom Sachverhalt her“ gestellt werden –, auf der anderen Seite diejenigen Normen, die einen Anwendungswillen in sich tragen und für welche die Rechtsanwendungsfrage demnach „vom Gesetz her“ zu stellen ist. Dies bedarf der näheren Untersuchung. 1. Eingriffsnormen im formalen Sinne Beschreibt man Eingriffsnormen dahingehend, dass solche Bestimmungen unabhängig von der jeweiligen lex causae durchgesetzt werden, so bleibt, wie wir gesehen haben, die entscheidende Frage außer Betracht, woraus sich denn der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl ergibt, der als notwendige Voraussetzung für das Vorliegen einer Eingriffsnorm angenommen wird23. Diesen Anwendungsbefehl leitet die überwiegende Ansicht aus dem jeweiligen Anwendungs- oder Geltungsanspruch der fraglichen Norm her, so dass sich die Frage stellt, was genau hierunter zu verstehen ist. Ein solcher beschreibt zunächst den Umstand, dass ein Gesetzgeber den Anwendungs- oder Geltungsbereich – meist für spezialgesetzliche Materien – ausdrücklich regelt, wobei man gewöhnlich den sachlichen, persönlichen und räumlichen Anwendungsbereich unterscheidet. Regelmäßig hat die Festlegung des Anwendungsbereichs allein sachrechtliche Bedeutung: Sofern der Anwendungsbereich eröffnet ist, verdrängen die nunmehr anwendbaren Normen die sonst geltenden Bestimmungen derselben Rechts20 Vgl. etwa BGH NJW 2006, 762 (764); BAG IPRax 1991, 407 (411); BAG IPRax 1994, 123 (128); BAG IPRax 1996, 416 (419); BAG IPRax 2003, 258 (261). 21 Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (10) spricht von einem – das herkömmliche IPR ergänzenden – neuen, einseitigen Kollisionsrecht, Martinek S. 59 von einer „zweite[n] Säule“ des IPR und Kropholler § 3 II (S. 23) konstatiert eine „Zweipoligkeit des IPR“. 22 Vgl. Fn. 14. 23 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (228) spricht in Anlehnung an Kegels „selbstgerechte Sachnorm“ pointiert von einer „selbsttragenden Definition“, die sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen könne; den deskriptiven Charakter einer formalen Definition ebenfalls betonend Voser S. 4; Mäsch S. 143; Wördemann S. 96.

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ordnung im Wege der Spezialität. Der Gesetzgeber kann mit der Festlegung des Anwendungsbereiches jedoch ebenfalls eine kollisionsrechtliche Entscheidung treffen, indem er dem Anwendungsbefehl nicht nur sachrechtliche, sondern auch kollisionsrechtliche Bedeutung insoweit beimisst, als das Gesetz auch im Falle eines Sachverhaltes mit Auslandsbezug zur Anwendung gebracht werden soll. Es handelt sich dann meist um eine – da nur auf das jeweilige Gesetz oder den jeweiligen Rechtssatz bezogene – einseitige Kollisionsnorm, die – sofern sie in den Regelungsbereich der allgemeinen, insoweit „regulär“ erscheinenden Kollisionsnormen „eingreift“ – diesen gemäß dem allgemeinen Grundsatz des lex specialis derogat leges generales vorgeht24, auch ohne weitere materiellrechtliche Kriterien zu erfüllen25. Eine Eingriffsnorm im formalen Sinne, für die sich in der Literatur zahlreiche Bezeichnungen finden (autolimitierte26, selbstbeschränkende, international zwingende, selbstgerechte Sachnorm 27 , loi d´application immédiate28), ist damit eine Sachnorm, der ein spezieller kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl beigefügt worden ist29. Dieser kann gesetzestechnisch getrennt in einer eigenen Norm geregelt sein (etwa § 130 II GWB, § 32 b UrhG, §§ 449 III, 451 h III, 466 IV HGB) oder sich auch in einer Sachnorm selbst als zusätzliches Tatbestandsmerkmal befinden (möglicherweise § 244 BGB30, § 92 c HGB31). Letzteres bereitet zumindest theoretisch keine Schwierigkeiten, da die beiden Bestandteile solcher Normen analytisch auseinandergehalten werden können32 und auch diese somit kein „Tertium“ darstellen. Die entscheidende Problematik, die uns in dieser Fallgruppe begegnet, ist weniger theoretischer denn praktischer Natur. So muss die Frage beantwortet werden, wann die Festlegung des Anwendungsbereiches kollisions-

24 Vgl. etwa Siehr, RabelsZ 46 (1982), 357 (375); von Bar/Mankowski § 4 Rn. 8; Kropholler § 13 IV 2 (S. 108). 25 Was freilich wiederum voraussetzt, dass diese Kollisionsnorm nicht selbst durch höherrangiges Recht derogiert wird; vgl. hierzu sub Kapitel 2 B.I (S. 127 ff.). 26 Kropholler § 13 IV 2 (S. 108). 27 Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (53); dieser Begriff soll aufgrund seiner Plastizität im Folgenden zur Kennzeichnung dieser Fallgruppe dienen. 28 Francescakis, vgl. Fn. 9. 29 Vgl. die in Fn. 12 Genannten; zudem Schurig S. 247, 319 f.; Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325 (331). Wenn man an der wenig glücklichen Terminologie des Anwendungswillens festhalten will, so bietet es sich daher eher an, nicht von dem Anwendungswillen einer Norm, sondern von dem Anwendungswillen des Erlassstaates zu sprechen; so etwa Lorenz, RIW 1987, 569 (578). 30 Zum Streitstand MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Anh. I Rom I Rn. 25. 31 Hierzu sub Kapitel 2 B.II.2.c)bb) (S. 154 ff.). 32 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 7; deutlich auch Schurig S. 60-64, 319.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

rechtliche, wann schlicht sachrechtliche Bedeutung hat33. Eindeutige Fälle sind diejenigen, in denen der Gesetzgeber selbst die kollisionsrechtliche Bedeutung ausdrücklich klarstellt und gewisse Normen etwa als „international zwingend“ bezeichnet. Sollte sich der Gesetzgeber auf die Festlegung des international zwingenden Charakters beschränkt haben, stellt sich allenfalls die Frage, unter welchen weiteren Umständen eine solche Norm zur Anwendung zu bringen ist, also welches Anknüpfungsmoment diese erfordert34. Problematischer sind jedoch diejenigen Fälle, in denen sich – wie regelmäßig – der kollisionsrechtliche Gehalt der in Frage stehenden Norm nicht ausdrücklich aus deren Wortlaut ergibt und die Tatbestandsmerkmale dieser Bestimmung sowohl eine sach- als auch eine kollisionsrechtliche Deutung zulassen. A priori kommen insoweit alle Tatbestandsmerkmale in Betracht, die nicht nur als sachrechtliche Limitierung des Anwendungsbereiches, sondern eben auch als kollisionsrechtliches Anknüpfungsmoment verwendet werden können (Anknüpfung an den Ort der Niederlassung, an die Staatsangehörigkeit, an den gewöhnlichen Aufenthalt etc.), so dass zumindest eine eindeutige Klassifizierung der Norm anhand des Wortlauts nicht möglich ist. Beispielsweise35 verwenden § 244 I BGB und § 92 c HGB jeweils ein räumliches Tatbestandsmerkmal (bei § 244 I BGB: Zahlung im Inland, bei § 92 c HGB: Tätigkeit des Handelsvertreters innerhalb des Gebietes der Europäischen Gemeinschaft), welches nach seinem Wortlaut sowohl eine Festlegung des kollisionsrechtlichen Anwendungsbereichs (mit der Folge, dass sich die fraglichen Bestimmungen auch gegenüber einem ausländischen Vertragsstatut durchzusetzen vermögen) als auch eine Limitierung des sachrechtlichen Anwendungsbereiches darstellen könnte (mit der Folge, dass diese Vor-

33 Diese Problematik behandelte bereits Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 27 f.; ders., Die Lehre vom ordre public, S. 174. Hierzu etwa Kegel/Schurig § 1 VIII (S. 57); Kuckein S. 20 f.; Voser S. 108; auch Schubert, RIW 1987, 729 (733). 34 Zwar kann der Gesetzgeber auf ein Anknüpfungsmoment verzichten und bestimmte inländische Normen auch ohne Inlandsbezug zur Anwendung bringen (vgl. etwa Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 76; von Bar/Mankowski § 4 Rn. 86 Fn. 445; Kuckein S. 71; Voser S. 120), doch ist bei einer solchen Annahme Vorsicht geboten. Da der Gerechtigkeitsgehalt eines jeden Rechtssatzes räumlich relativ ist (hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 62 ff.)), sollte dem Gesetzgeber bei Fehlen eines Anknüpfungsmomentes nicht leichtfertig der Wille zur „universellen Anwendung“ unterstellt werden. Ist dieser Wille nicht ausdrücklich geäußert (etwa im Rahmen der Gesetzesmaterialien), so sollte im Zweifel das Vorliegen eines Inlandsbezuges verlangt und der explizit geäußerte Anwendungsbefehl in diesem Sinne ergänzt werden; insoweit handelt es sich methodisch ebenfalls um (ergänzende) Rechtsfortbildung, da das kollisionsrechtliche Element nur partiell ausgesprochen wurde. 35 Vgl. hierzu Kegel/Schurig § 1 VIII 1 (S. 58).

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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schriften grundsätzlich36 nur bei Maßgeblichkeit deutschen Rechts als lex causae zur Anwendung zu bringen wären).

In diesen Fällen bleibt zu klären, ob der Gesetzgeber mit der Verwendung eines „doppelfunktionalen“ Tatbestandsmerkmals eine sach- oder eine kollisionsrechtliche Aussage treffen wollte. Hierbei handelt es sich methodisch um ein (im Einzelfall nicht immer leicht zu lösendes37) Problem der Auslegung38, und dies stellt – das sei bereits an dieser Stelle betont – die einzige Konstellation dar, in der unmittelbar durch Auslegung einer Bestimmung eine möglicherweise in ihr „versteckte“ Kollisionsnorm gewonnen werden kann39. Unterschieden werden muss dieses Vorgehen von dem noch darzustellenden Versuch, durch Auslegung gewisser materieller Sachnormzwecke unmittelbar auf die internationale Anwendbarkeit einer Sachnorm zu schließen und somit aus besonderen Sachnormzwecken Kollisionsnormen „herauszupressen“ 40. Die Grenze der Auslegung bildet der Wortlaut einer Norm 41, so dass dieser zumindest Anhaltspunkte (also eine „Andeutung“, die methodisch eine Auslegung noch ermöglicht) über eine möglicherweise vom Gesetzgeber beigeordnete Kollisionsnorm enthalten muss, will man eine Kollisionsnorm durch Auslegung einer Bestimmung gewinnen. Dies ist durch die Verwendung eines „doppelfunktionalen“ Tatbestandsmerkmals gewährleistet, so dass in diesen Fällen eine möglicherweise in einer Norm „versteckte“ Kollisionsnorm durch Auslegung derselben gewonnen werden kann. Fehlt demgegenüber jegliche „Andeutung“ eines kollisionsrechtlichen Gehalts im Wortlaut der fraglichen Bestimmung, so führt das methodische Instrument der Auslegung zur Herleitung eines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls nicht weiter42, weil wir uns in diesem Falle außerhalb der vom Wortlaut gezogenen Grenze und damit auch außerhalb des sachlichen Regelungsgegenstandes der fraglichen Norm bewegen – eine auf diese Norm bezogene Kollisionsnorm kann daher nicht in ihr „versteckt“, also bereits durch den Gesetzgeber – quasi konkludent – mitgeregelt sein, sondern ist allenfalls methodisch durch Rechtsfortbildung zu entwickeln.

Die Auslegungsproblematik kann mit dem von Schurig entwickelten, bereits bei Kahn angelegten Alternativentest gelöst werden43. Ausgehend von der Feststellung, die Existenz des IPR stelle eine notwendige Folge der 36

Zu den Besonderheiten aufgrund der Ingmar-Entscheidung des EuGH sub Kapitel 2 B.II.2.c)bb) (S. 154 ff.). 37 So auch die Einschätzung von Kuckein S. 20 f.; Schurig S. 60, 62, 319; Voser S. 110; Schubert, RIW 1987, 729 (733). 38 Kegel/Schurig § 1 VIII 1 (S. 57); Schurig S. 62; Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (69); ebenso Voser S. 110; Schubert, RIW 1987, 729 (733). 39 Wohl auch Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (69, 78). 40 Besonders deutlich Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (78), von dem auch die zitierte Formulierung stammt; vgl. auch Schurig S. 62 Fn. 57; hierzu Kapitel 1 B.II.2 (S. 17 ff.). 41 BVerfG NJW 1990, 1593 (1594); Larenz/Wolf § 4 Rn. 39; Larenz/Canaris S. 143. 42 So auch Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (78). 43 Schurig S. 60 ff.; Kegel/Schurig § 1 VIII 1 (S. 57); bereits Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 27 f.; ebenso Siehr, RabelsZ 46 (1982), 357 (363); Voser S. 109; Kuckein S. 20 f.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

Anerkennung fremden Rechts als „Recht“ dar44, sieht Schurig das entscheidende Merkmal einer Kollisionsnorm darin, dass sie „deshalb auf einen Rechtssatz einer nationalen Rechtsordnung verweist, weil verschiedene Rechtsordnungen existieren, von denen eine für anwendbar erklärt werden muss“; Alternative zu der anwendbaren Norm wäre somit nur ein entsprechender Rechtssatz einer anderen Rechtsordnung45. Demgegenüber handelt es sich um eine rein sachrechtliche Begrenzung des Anwendungsbereiches, sofern sich die Alternative aus derselben Rechtsordnung ergibt46. Problematisch sind natürlich gerade die Fälle, in denen die Alternative – wie häufig im Bereich der Eingriffsnormen – eine „Nichtregelung“ darstellt, also etwa gerade in der „Nichtauferlegung von Pflichten oder der Nichtgewährung von Rechten“47 liegt. Hierbei bietet es sich nach Schurig an, Überlegungen anzustellen, „wie weit eine eigene Sachregelung bei Fehlen der gewählten Anknüpfung überhaupt sinnvoll, vor allem – unmittelbar oder mittelbar – durchsetzbar wäre“48. Nehmen wir zur Illustration etwa § 130 II GWB, der den räumlichen Anwendungsbereich des deutschen Kartellrechts festlegt (und ebenfalls ein „doppelfunktionales“ räumliches Tatbestandsmerkmal – Auswirkung auf das Inland – enthält): Die sachrechtliche Alternative lautete hier, wettbewerbswidrige Verstöße, die sich auf einen anderen als den deutschen Markt auswirken, einer sachrechtlichen Regelung zuzuführen, so dass eine nationale materielle „Alternativregelung“ einen ausländischen Markt und demnach öffentliche Interessen eines ausländischen Staates schützte49. Warum wir jedoch diesbezügliches materielles Sonderrecht schaffen sollten, lässt sich – ganz abgesehen von den damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten 50 – nicht wirklich begründen: Nähmen wir diesen Ansatz ernst, so müsste die Ausbildung materiellen Sonderrechts anhand einer autonomen Bewertung der tangierten materiellen Interessen erfolgen, was regelmäßig dazu führt, dass wir zu anderen als den in diesem Staat tatsächlich geltenden Regelungen gelangten. Damit kreierten wir indes ein rechtliches „Phantasiegebilde“, dessen Anerkennung durch die Gerichte des insoweit „bevormun44

Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.I (S. 6 f.). Schurig S. 60 (Hervorhebung im Original); Kegel/Schurig § 1 VIII 1 (S. 57). 46 Schurig S. 61; Kegel/Schurig § 1 VIII 1 (S. 57). 47 Kuckein S. 20. 48 Schurig S. 62; Kegel/Schurig § 1 VIII 1 (S. 57). 49 Näher hierzu Kapitel 3 B.I.2 (S. 182 f.). 50 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 67). Ein völkerrechtlicher Verstoß dürfte hierin indes nicht liegen: Wenngleich es freilich jedem Staat selbst überlassen ist, seine Wirtschaftsordnung festzulegen, wäre diesbezügliches materielles Sonderrecht eines anderen Staates allein für diesen verbindlich, so dass ein Eingriff in die Souveränität des „bevormundeten“ Staates nicht gegeben ist; vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 62 ff.). 45

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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deten“ Staates schwer vorstellbar erscheint, weil der Anerkennungsstaat freilich sein konkretes Abwägungsergebnis zum Maßstab der Anerkennungsprüfung nehmen wird. Stellten wir demgegenüber – hinsichtlich des Interesses an äußerem Entscheidungseinklang und (damit einhergehend) des Interesses an realer und damit durchsetzbarer Entscheidung sinnvollerweise – auf den konkreten Regelungsgehalt der in dem fraglichen ausländischen Staat tatsächlich geltenden Bestimmungen ab – etwa, indem wir diese im Rahmen der materiellrechtlichen Generalklausel des § 138 BGB „berücksichtigten“ –, träfen wir jedoch – was noch näher auszuführen sein wird51 – bei Lichte betrachtet keine sachrechtliche, sondern eine kollisionsrechtliche Entscheidung zugunsten dieser ausländischen Rechtssätze, eben weil auf deren konkreten materiellen Regelungsgehalt abgestellt wird. Wollen wir demnach öffentlichen Interessen eines ausländischen Staates vor unseren Gerichten Rechnung tragen, so kann dies – mangels schlüssiger und insbesondere durchsetzbarer Alternative – nur auf kollisionsrechtlichem Wege erfolgen. Folglich handelt es sich bei § 130 II GWB um eine – zumindest nach ihrem Wortlaut – einseitige Kollisionsnorm 52 , welche die Anwendung des GWB von der Auswirkung auf das Inland abhängig macht53. Bestehen weiterhin Zweifel, so bietet es sich an, die durch die fragliche Sachnorm implizierten kollisionsrechtlichen Interessen54 zu analysieren, ggf. hilfsweise eine aufgrund der materiellen Interessen indizierte Anknüpfung zu bestimmen und hieraus Rückschlüsse auf die gesetzgeberische Intention zu ziehen. Allerdings verschwimmen bei einem solchen Vorgehen die Grenzen zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung. Bei der kollisionsrechtlichen Interessenanalyse bewegen wir uns außerhalb des Norminhaltes und damit nicht mehr im Bereich der Auslegung dieser Sachnorm, wenngleich wir natürlich abklären können, ob auch die kollisionsrechtliche Interessenbewertung für diese Norm zu dem in der Sachnorm vorausgesetzten (eventuellen) Anknüpfungsmoment führt. Ist dies der Fall, handelt es sich um eine „selbstgerechte Sachnorm“, die ihren kollisionsrechtlichen Gehalt in sich trägt, ansonsten liegt eine schlichte Sachnorm vor.

Damit lässt sich festhalten: Eingriffsnormen im formalen Sinne, die anhand ihres Anwendungs- oder Geltungswillens bestimmt werden, sind schlicht Sachnormen mit beigeordneten speziellen, meist einseitigen 51

Ausführlich hierzu Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 ff.). Dies zumindest primär. Wie noch auszuführen sein wird, enthält § 130 II GWB zugleich auch eine sachrechtliche Beschränkung, vgl. hierzu sub Kapitel 2 B.I.1 (S. 132 f.). 53 Vgl. zu diesem Ergebnis auch die kartellrechtliche Literatur, etwa Immenga/ Mestmäcker-Emmerich/Rehbinder/Markert GWB § 130 Rn. 125, 303; Bechtold § 130 Rn. 13. Insbesondere im Bereich von Normen, die öffentlichen Interessen Rechnung tragen, dürfte bei Vorliegen eines „doppelfunktionalen“ Tatbestandsmerkmals stets eine Vermutung für eine kollisionsrechtliche Bedeutung streiten, da aus den genannten Gründen nicht anzunehmen ist, dass der deutsche Gesetzgeber das öffentliche Interesse anderer Staaten mit eigenem Sonderrecht wahrnehmen will. 54 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 79 ff.). 52

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

Kollisionsnormen, die sich ggf. aufgrund ihrer Spezialität gegenüber einer „regulären“ Kollisionsnorm durchzusetzen vermögen55. Solche Kollisionsnormen können gesetzestechnisch „vor die Klammer“ gezogen oder mit einzelnen Sachnormen „verschmolzen“ sein – in letzterem Falle lassen sie sich jedoch anhand ihrer Funktion von dem jeweiligen materiellen Gehalt der Bestimmungen unterscheiden und bereiten somit zumindest keine methodischen Probleme. „Selbstgerechte Sachnormen“ sind daher – wie Kegel formuliert – allenfalls im „Phänotyp“, keinesfalls im „Genotyp“ eine anormale Erscheinung im kollisionsrechtlichen System56 und müssen insoweit sicher nicht einem kollisionsrechtlichen Zweitsystem zugeordnet werden: Denn dass spezielle Kollisionsnormen der lex fori zu beachten sind, folgt allgemein aus der Bindung an Recht und Gesetz, Art. 20 III GG, (zumindest solange dieser Anwendungsbefehl nicht durch höherrangiges Recht derogiert wird57) und ist als solches mit den Worten Schurigs eine „bare Selbstverständlichkeit“58. Einer Definition anhand dieses Anwendungswillens bedarf es nicht, da eine solche Eingriffsnorm nicht deswegen angewandt wird, weil sie aufgrund ihres Anwendungswillens Eingriffsnorm ist, sondern deswegen, weil sie einen kollisionsrechtlichen Befehl in sich trägt, der sie – wenn man so will – erst zur Eingriffsnorm macht59; als Beschreibung des Phänomens mag die deklaratorische, keinesfalls konstitutive Definition aber tauglich sein60. Weitere kumulativ zu prüfende Voraussetzungen – etwa das Vorliegen öffentlicher Sachnormzwecke – sind für die Durchsetzung einer „selbstgerechten Sachnorm“ zumindest im nationalen Recht nicht erforderlich61. 55

Sofern man die etwas irreführende Terminologie des Anwendungs- oder Geltungswillens beibehalten will, bietet es sich deshalb an, vom internationalen (in Abgrenzung zum rein sachrechtlich zu verstehenden) Anwendungs- oder Geltungsbereich zu sprechen; so deutlich Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 5. 56 Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (70). 57 Hierzu sub Kapitel 2 B (S. 127 ff.). 58 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (233); ebenso von Bar/Mankowski § 4 Rn. 92; Anderegg S. 3; Kuckein S. 70; Mäsch S. 131 f.; bereits Wächter, AcP 24 (1841), 230 (239); Savigny, System (Band 8), S. 34 f.: Hat sich der Gesetzgeber über die internationale Anwendbarkeit eines Gesetzes „ausdrücklich erklärt, so muß diese Erklärung gelten, da dieselbe dann die Natur eines Gesetzes über die Collisionen hat, welches stets unbedingt befolgt werden muß“. 59 So treffend Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (228). 60 Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (87) gesteht der Figur der „selbstgerechten Sachnorm“ – „immerhin verdienstlich“ – einen „Beleuchtungseffekt“ zu; kritischer Schurig S. 322. 61 Daher ist es jedenfalls im nationalen Recht falsch, wenn für das Vorliegen einer „selbstgerechten Sachnorm“ noch zusätzlich auf eine besondere materielle Struktur als konstitutives Durchsetzungskriterium abgestellt wird; so aber etwa Beulker S. 44 f., Zusammenfassung S. 46. Ergibt sich der Anwendungsbefehl expressis verbis aus der Norm, so ist diese gem. Art. 20 III GG anzuwenden und als lex specialis vorrangig zu be-

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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Größere Schwierigkeiten bereitet demgegenüber eine formale Bestimmung ausländischer Eingriffsnormen, da auf diese Weise der ausländische kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl zum maßgeblichen Anknüpfungspunkt unserer kollisionsrechtlichen Anwendungsentscheidung erhoben wird. Wie noch darzustellen sein wird62, geht mit einem solchen Vorgehen ein (zumindest partieller) Übergang zu einem unilateralistischen Kollisionsrechtssystem und damit ein Bruch mit dem herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen System einher, der nicht ohne weiteres zu rechtfertigen ist.

2. Eingriffsnormen im materiellen Sinne Während es bislang darum ging, aus bestimmten Normen einen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl zu gewinnen, weil deren jeweiliger Wortlaut Anhaltspunkte für eine vom Gesetzgeber beigeordnete einseitige Kollisionsnorm enthält (eben weil das räumliche oder personale Tatbestandsmerkmal einer Norm auch als kollisionsrechtliches Anknüpfungsmoment begriffen werden könnte), geht es bei der materiellrechtlichen Bestimmung von Eingriffsnormen um etwas anderes. Bei solchen Normen haben wir keinerlei Hinweis dahingehend, dass der Gesetzgeber neben der sachrechtlichen zugleich auch eine kollisionsrechtliche Entscheidung getroffen haben könnte. Es handelt sich hierbei schlicht um eine Sachnorm, die einen Lebenssachverhalt einer materiellen Lösung zuführen will. Dennoch geht die überwiegende Ansicht davon aus, man könne aus bestimmten materiellrechtlichen Normzwecken unmittelbar den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl bestimmen. So formuliert etwa der BGH in Anschluss an das BAG und den überwiegenden Teil der Literatur, dass im Wege der Auslegung zu ermitteln sei, ob Normen ohne ausdrücklich geäußerten Anwendungswillen „nach ihrem Sinn und Zweck ohne Rücksicht auf das nach sonstigen Kollisionsnormen anzuwendende Recht eines anderen Staates international gelten“ sollen63.

achten; ebenso Kuckein S. 71; ähnlich wohl Pfeiffer, IPRax 2006, 238 (241), der die These, „bei international zwingenden Normen handele es sich um solche mit ordnungspolitischem Gehalt“, als „nur auf einer heuristischen Ebene zutreffend“ bezeichnet. Zur Bedeutung der materiellen Kriterien des Art. 9 Rom I sub Kapitel 2 (S. 103 ff.). 62 Hierzu Kapitel 3 C.I (S. 190 ff.). 63 BGH NJW 2006, 762 (763); BAG IPRax 1991, 407 (411); BAG IPRax 1994, 123 (128); BAG IPRax 1996, 416 (419); BAG IPRax 2003, 258 (261); ebenso StaudingerMagnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 54: „Ist der internationale Geltungswille der Norm nicht ausdrücklich zu entnehmen, muss der Anwender ihn durch Auslegung ermitteln“; MüKoMartiny Art. 9 Rom I Rn. 107; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 9; Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 5; Erman-Hohloch Anh II Art. 26 EGBGB Art. 9 Rom I Rn. 12; Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 10; Freitag/Leible, RIW 2001, 287 (288); Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325 (331); Thorn, Eingriffsnormen, 129 (132). Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (48) Fn. 11 bezeichnet dieses Vorgehen sogar als allgemeine Meinung.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

a) Funktionsunterscheidung zwischen Kollisionsrecht und Sachrecht Der Vorstellung, aus materiellrechtlichen Zwecken unmittelbar durch Auslegung „versteckte“ Kollisionsnormen gewinnen zu können64, stehen indes grundsätzliche methodische Bedenken gegenüber65. Kollisionsnormen und Sachnormen unterscheiden sich in ihrer jeweiligen Funktion, sie verfolgen jeweils unterschiedliche rechtspolitische Ziele66. Eine Kollisionsnorm trifft die Entscheidung über das in casu anzuwendende Recht, wählt also aus der Vielzahl der existierenden Rechtsordnungen diejenige aus, die nach ihrem Gerechtigkeitsideal die angemessene Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung des in Frage stehenden Sachverhaltes darstellt67. Die maßgeblichen Erwägungsgründe, die der Gesetzgeber bei Aufstellung einer solchen Norm berücksichtigt hat, sind auf das Für und Wider der Anwendung einer Rechtsordnung gerichtet, so dass eine Kollisionsnorm das Ergebnis einer durch den Gesetzgeber vollzogenen Gewichtung der jeweils tangierten Rechtsanwendungsinteressen darstellt68. Demgegenüber trifft eine Sachnorm eine Entscheidung in der „Sache“, führt also einen sozialen Konflikt einer konkreten materiellrechtlichen Lösung zu69. Die hierbei vom Gesetzgeber berücksichtigten Interessen sind alleine auf die gerechte Lösung des vom Tatbestand einer Norm umschriebenen Lebenssachverhalts gerichtet, Rechtsanwendungsfragen werden regelmäßig – 64

So – neben den in Fn. 63 Genannten – besonders deutlich Stoll S. 39-41, insbesondere S. 40 Fn. 204: Ob es sich bei der Ermittlung des internationalen Geltungswillens um eine „rechtsschöpferische“ Tätigkeit handele, erscheine aber fraglich; auch wenn diese „schwierig sein mag, geht sie doch von der bestehenden Gesetzeslage aus“ (Hervorhebung hinzugefügt); deutlich ebenso Jayme, IPRax 2001, 190 (190): Für das Vorliegen einer Eingriffsnorm komme es „allein auf die Auslegung der Sachnormen an“ (Hervorhebung hinzugefügt). Dies entspricht auch der grundsätzlichen Methode von Currie (Currie, Selected Essays in the Conflict of Laws, S. 188 f. und passim) und insbesondere Ehrenzweig (Ehrenzweig, Rec. des Cours 124 (1968-II), 167 (182): „In the absence of both national rules and superlaws, choice between the forum´s and a foreign law can be based only on the interpretation of the substantive rule of the forum“ (Hervorhebung hinzugefügt); anders wohl aber ders., FS Wengler (Band 2), 251 (258 f.): materieller Rechtszweck sei nur „erster Angriffspunkt“ zur Gewinnung einer Kollisionsnorm, bei der es sich „um eine ‚rechtsschöpferische’ Tätigkeit des Richters handelt“); zu den Ansätzen von Currie und Ehrenzweig etwa von Bar/Mankowski § 6 Rn. 88-90; Kegel/Schurig § 3 XI 2 b (S. 199 f.). 65 Vgl. hierzu bereits sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 13). 66 Grundlegend Kegel, FS Lewald, 259 (270); ders., GS Ehrenzweig, 51 (69); ders., FS Beitzke, 551 (552 f.) in Abgrenzung zu den Ansätzen der amerikanischen „IPRRevolution“; Schurig S. 58 ff.; deutlich auch von Bar/Mankowski § 4 Rn. 1 f., 13; von Hoffmann/Thorn § 1 Rn. 3-4, § 4 Rn. 1-4; näher hierzu Kapitel 1 B.III.2.b)bb) (S. 68 ff.). 67 Schurig S. 58; Kegel/Schurig § 2 I (S. 132). 68 Hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)bb) (S. 68 ff.). 69 Schurig S. 58; Kegel/Schurig § 2 I (S. 132); von Bar/Mankowski § 4 Rn. 2.

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mit Ausnahme der bereits dargestellten „selbstgerechten Sachnorm“ – ausgeklammert70. Sachnormen enthalten daher keinen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl, sie sind insofern mit den bekannten Worten Rabels „simply neutral; the answer is not in them“71. Kollisionsnormen und Sachnormen stehen sich demnach „rechtspolitisch [als] aliud“72 gegenüber. Eine Sachnorm ist gerade Sachnorm, weil der ihr zugeordnete kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl nicht von ihrem sachlichen Regelungsgegenstand erfasst ist, so dass der Versuch, durch Auslegung materieller Zwecke unmittelbar „versteckte“, also bereits seitens des Gesetzgebers erlassene Kollisionsnormen zu gewinnen, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist73. Verdeutlichen lässt sich dies anhand des intertemporalen Kollisionsrechts: Auch dieses Kollisionsrecht trifft eine Auswahlentscheidung anhand eines imperativen Geltungsbefehls bezüglich (inhaltlich) konkurrierender, da sachlich einschlägiger Normen, wenngleich hier wohl niemand auf die Idee kommen dürfte, bei Fehlen eines ausdrücklichen intertemporalen Anwendungsbefehls diesen unmittelbar durch Auslegung materieller Normzwecke gewinnen zu wollen. Und dies auch völlig zu Recht: Sachnormen lösen materiellrechtliche Fragen, die Frage nach der – intertemporalen, interpersonalen, interlokalen etc. – Anwendbarkeit einer Sachnorm ist von jenen funktional verschieden, so dass sie – bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung – nicht durch Auslegung der fraglichen Sachnormzwecke beantwortet werden kann, sondern allenfalls anhand von (Anwendungs-) Kriterien, die außerhalb des sachlichen Regelungsgegenstandes einer Sachnorm liegen (im Bereich des intertemporalen Kollisionsrechts insbesondere anhand des Grundsatzes lex posterior derogat legi priori, der sicher nicht innerhalb des sachlichen Regelungsgehalts einer schlichten Sachnorm zu verorten ist). Freilich schließt 70 Vgl. von Bar/Mankowski § 4 Rn. 13. Eine Bestätigung dieser Funktionstrennung findet sich gerade darin, dass eigenständige kollisionsrechtliche Gesetze erlassen wurden, welche die rechtsanwendungsrechtlichen Fragen – praktisch „vor die Klammer“ gezogen – behandeln. 71 Rabel, The Conflict of Laws (Volume 1), S. 103 (Hervorhebung hinzugefügt); ebenso Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (78); von Bar/Mankowski § 4 Rn. 13. 72 Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (78). 73 Deutlich Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (78); ders., FS Beitzke, 551 (559 f.); von Bar/Mankowski § 4 Rn. 13; vgl. hierzu bereits sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 13). Treffende Einschätzung von Epe S. 90 f.: „Die Vorstellung ‚versteckter’ Kollisionsnormen, die es nur ‚zu finden’ gilt, legt die Vermutung nahe, daß hier der Versuch unternommen wird, der dogmatischen Enge der regulären Kollisionsnormen zu entgehen, indem man eine aufgrund einer Vielzahl von Gesichtspunkten als sachgerecht erscheinende Anknüpfung als Interpretation der Normen des materiellen Rechts ausgibt. Einerseits gewinnt man damit von der positivistischen Grundlage aus die Legitimation zur Durchbrechung der regulären Kollisionsnorm. Andererseits bleibt das übrige kollisionsrechtliche System hiervon unberührt, die Gliederung in Rechtswahl (i.S.v. Rechtsauswahl), Rechtsanwendung und Kontrolle der Rechtsanwendung durch ordre public und die Vorstellung von der Unabhängigkeit vom materiellen Recht kann beibehalten werden, denn nur die spezielle, im Gesetz – wenn auch ‚versteckt’ – vorhandene Anordnung ‚zwingt’ zur Durchbrechung der ‚regulären’ Kollisionsnormen“.

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diese Feststellung nicht aus, dass jene Anwendungskriterien, die den imperativen Geltungsbefehl konstituieren, selbst durch materielle Normzwecke beeinflusst werden können 74, nur sind sie eben von diesen verschieden und können folglich nicht in diesen bereits enthalten sein.

b) Kollisionsrechtliches Zweitsystem für Normen mit überindividuellen Schutzzwecken Wenn wir dennoch Normen aufgrund ihrer besonderen Sachnormzwecke zur Anwendung bringen, kann es also nicht darum gehen, aus diesen den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl „herauszupressen“75, sondern allenfalls darum, den Anwendungsbefehl anhand der besonderen Sachnormzwecke herzuleiten. Vorstellbar wäre etwa die Existenz einer (allgemeinen) Kollisionsnorm, die Normen mit bestimmten Sachnormzwecken stets zur Anwendung bringt und als lex specialis eine von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängige Anknüpfung ermöglicht. In diesem Falle könnten wir anhand der durch Auslegung der fraglichen Sachnorm gewonnenen Feststellung, die Norm diene dem für die kollisionsrechtliche Sonderbehandlung vorausgesetzten Normzweck, wenigstens unmittelbar auf die kollisionsrechtliche Behandlung solcher Normen schließen – denn diese stünde ja a priori fest. Nun existiert keine solche Kollisionsnorm – Art. 9 II Rom I, Art. 16 Rom II ebenso wie Art. 34 EBGBG a.F. setzen, wie bereits erwähnt wurde76, den jeweiligen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl voraus und sprechen ihn somit nicht selbst aus. Wenn dieser auch nicht in der Sachnorm zu finden ist – wie es bei der „selbstgerechten Sachnorm“ der Fall ist –, so kann es folglich allenfalls darum gehen, unmittelbar anhand des speziellen Sachnormzwecks eine Kollisionsnorm im Wege der Rechtsfortbildung zu entwickeln77. Ausgangspunkt und Grund hierfür wird dann ein besonderer materieller Sachnormzweck, anhand 74 Zur Bedeutung des Sachnormzwecks für die kollisionsrechtliche Interessenlage sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 79 ff.). 75 Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (78). 76 Vgl. sub Kapitel 1 B.II (S. 8). 77 Da wir in dieser Fallgruppe nicht einmal eine Andeutung einer vom Gesetzgeber beigefügten Kollisionsnorm im Wortlaut der fraglichen Norm festmachen können, bewegen wir uns außerhalb des Regelungsgehaltes der fraglichen Norm und können deswegen nicht den Anwendungsbefehl im Wege der Auslegung gewinnen (vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 13)). Dass es sich hierbei um Rechtsfortbildung handelt, betonen etwa: MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 52; von Bar/Mankowski § 4 Rn. 12 (deutlicher jedoch die Vorauflage, Chr. von Bar, IPR (Band 1), § 4 Rn. 217); Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (17); Freitag, Einfach und international zwingende Normen, 167 (176); Voser S. 142; bereits Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (179) spricht von „gesetzesergänzender Interpretation“; zurückhaltender wohl Lorenz, RIW 1987, 569 (578): „(beinahe) rechtsschöpferische Dimension“; ablehnend Stoll S. 40 Fn. 204 (vgl. hierzu bereits Fn. 64).

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dessen wir erkennen können, dass der fraglichen Norm eine auf sie bezogene Kollisionsnorm beiseite gestellt werden muss, welche die statutsunabhängige Durchsetzung der Sachnorm im Wege der Spezialität ermöglicht. Ausgangsprämisse einer materiellen Definition der Eingriffsnormenproblematik ist damit die Möglichkeit, anhand materieller Kriterien eine Klasse von Normen zu beschreiben, für die wir solche speziellen Kollisionsnormen zu entwickeln haben. Haben wir solche Kriterien gefunden, so besteht das methodische Vorgehen darin, im Wege der Auslegung einer Sachnorm zu prüfen, ob diese die für die kollisionsrechtliche Sonderbehandlung vorausgesetzten materiellen Kriterien erfüllt. Ist das der Fall, müssten wir der in Frage stehenden Sachnorm eine spezielle rechtssatzbezogene Kollisionsnorm im Wege der Rechtsfortbildung zur Seite stellen, welche die statutsunabhängige Anknüpfung ermöglicht – verkürzt ließe sich dann in der Tat sagen, wir leiten durch Auslegung der Sachnormzwecke den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl her 78 . Ein solches Vorgehen führt – anders als bei einer „formalen“ Bestimmung inländischer Eingriffsnormen, deren statutsunabhängige Durchsetzung wir (wenngleich oftmals nicht getan) durchaus mit den Mitteln des herkömmlichen kollisionsrechtlichen Systems erklären könnten79 – nun tatsächlich zur Errichtung eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems80, da den Grund für die kollisionsrechtliche Durchsetzung besondere materielle Zwecke darstellen und diese somit unmittelbar auf die kollisionsrechtliche Behandlung durchschlagen, auch wenn sie den Anwendungsbefehl nicht selbst enthalten. Auf der einen Seite stehen demnach diejenigen Bestimmungen, die keinen solchen besonderen Zweck aufweisen und daher von den herkömmlichen Kollisionsnormen erfasst werden, auf der anderen Seite diejenigen Normen, die diesen besonderen Zwecken dienen und daher von speziellen, erst im Wege der Rechtsfortbildung zu schaffenden Kollisionsnormen statutsunabhängig angeknüpft werden. Entscheidend wird damit die materielle Definition einer Eingriffsnorm, da diese als Anknüpfungspunkt für die kollisionsrechtliche Sonderbehandlung auch die Grenze zwischen beiden Systemen bildet81. Ob eine solche gelingt, ob also materielle Kriterien aufgestellt werden können, von denen sich unmittelbar und abschließend 78

So die in Fn. 63 Genannten. Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 10 ff.). 80 Deutlich etwa von Bar/Mankowski § 4 Rn. 104 m.w.N.: „Eingriffsrecht ist Gegenstand eines eigenen Anknüpfungssystems, das separat neben dem IPR steht“. Vgl. hierzu bereits Fn. 21. 81 Mäsch S. 135; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (226 f.); Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (106): „Definition der Ordnungsfunktion der Normen [ist] A und O der Zweigleisigkeit ihrer kollisionsrechtlichen Behandlung“. 79

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auf eine von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängige Anknüpfung schließen lässt, soll im Folgenden untersucht werden. c) Definition anhand öffentlicher Normzwecke Die bislang vorgeschlagenen Kriterien für eine materielle Definition einer Eingriffsnorm sind kaum mehr überschaubar82. Zeichnet man die groben Linien nach, so wird nahezu einheitlich davon ausgegangen, dass solche sonderanzuknüpfenden Eingriffsnormen überindividuellen, gemeinwohlbezogenen oder – wie nun Art. 9 I Rom I ausdrücklich vorsieht – öffentlichen (insbesondere staats-, wirtschafts- und sozialpolitischen) Zwecken dienen müssen, was entweder schon aus dem materiellen Normzweck selbst oder aus der systematischen Stellung einer Norm im Gesamtgefüge einer Rechtsordnung (Zugehörigkeit zum Öffentlichen Recht, Ordnungsrelevanz einer Vorschrift) folgen kann83. Streit herrscht jedoch insbesondere darüber, wie prägend diese Zwecksetzung sein muss. Reicht es etwa aus, dass Eingriffsnormen – so die Formulierung des BGH – „zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen“ verfolgen84, müssen sie überwiegend85 oder gar ausschließlich öffentlichen Interessen dienen86? Auf diese Frage gibt auch der nunmehr erlassene Art. 9 I Rom I keine Antwort, will man ihn denn im Sinne dieser materiellen Definition begreifen. Zwar deutet der Wortlaut („so entscheidend“) und die Formulierung in Erwägungsgrund 37 – dass „unter außergewöhnlichen Umständen“ Eingriffsnormen 82

MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 39 spricht von „babylonischem Sprachengewirr“; eine Übersicht geben etwa Mäsch S. 135-142; Wördemann S. 85-95; Fetsch S. 2326; Kuckein S. 30-32. 83 Teilweise werden hier zusätzlich Indizien vorgeschlagen, anhand derer man auf das öffentliche Interesse schließen kann. So meint etwa Mankowski, dass ein „relativ sicheres Indiz für den eingriffsrechtlichen Charakter einer Norm“ in ihrer regulären Durchsetzung „durch eigens zuständige Behörden in verwaltungsrechtlichen Verfahren“ gesehen werden könne; vgl. von Bar/Mankowski § 4 Rn. 95. Kropholler § 3 II (S. 22) sieht ein solches Indiz etwa in der mit einer Norm verbundenen Strafandrohung; ebenso Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 11. 84 BGH NJW 2006, 762 (764) im Anschluss an BAG IPRax 1991, 407 (411); BAG IPRax 1994, 123 (128); BAG IPRax 1996, 416 (419); BAG IPRax 2003, 258 (261); ebenso Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 10 m.w.N.; hierzu sogleich Kapitel 1 B.II.2.c)aa) (S. 23 ff.). 85 So die überwiegende Ansicht, etwa Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 59 f.; MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 13; Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 511; HkBGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 4; Bamberger/Roth-Spickhoff Art. 9 Rom I Rn. 14; von Bar/Mankowski § 4 Rn. 91, 96; Beulker S. 29; ähnlich auch Kropholler § 52 IX 1 (S. 498): „Für die Klassifizierung als Eingriffsnorm ist notwendig, dass die Norm überwiegend oder zumindest stark im öffentlichen Interesse liegt und nicht nur im Interesse der Vertragsparteien“. Hierzu Kapitel 1 B.II.2.c)bb) (S. 26 ff.) m.w.N. 86 Anderegg S. 87, 90, 199 f.; Zeppenfeld S. 28.

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angewandt werden können – auf eine restriktive Handhabung hin, jedoch relativiert der anschließende Satz in Erwägungsgrund 37 diesen Eindruck schnell wieder: Er enthält eine schlichte Empfehlung, dass Eingriffsnormen von normalen statutszugehörigen Normen unterschieden und enger ausgelegt werden sollten87. Die Tauglichkeit solcher Definitionsversuche muss danach beurteilt werden, ob sie der Ausgangsprämisse gerecht werden, diejenigen Normen sachrechtlich zu beschreiben, die einer von den herkömmlichen Kollisionsnormen abweichenden kollisionsrechtlichen Behandlung bedürfen. aa) Minimalerfordernis: „zumindest auch öffentliche Interessen“ Lässt man für die Klassifikation als sonderanzuknüpfende Eingriffsnorm ausreichen, dass eine Norm zumindest auch öffentlichen Interessen dient, so steht man vor der Schwierigkeit, dass es wohl keine Norm geben dürfte, die dies nicht für sich in Anspruch nimmt – denn ohne öffentliches Interesse setzt, wie bereits Kahn feststellte, „der Staat in der Regel die Klinke der Gesetzgebung gar nicht in Bewegung“88. Die Zivilrechtsordnung als Ganzes erfüllt eine öffentliche Funktion, sie ist „Mittel zur Gestaltung einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“89, sie ist Verkörperung des Freiheitsanspruches des Einzelnen in der Gesellschaft und damit letztlich eine einfachgesetzliche Konkretisierung der Grundrechte, insbesondere der allgemeinen Handlungsfreiheit90. Bereits das ius dispositivum erfüllt somit als Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit eine „öffentliche“ Aufgabe, noch deutlicher das ius cogens, das jene zugunsten höherrangiger, also gemeinwohlbezogener Interessen einschränkt91. Insbesondere im Bereich des Sonderprivatrechts (soziales Mietrecht, Arbeitsrecht, Verbrau87 Mankowski ist daher zuzustimmen, wenn er feststellt, dass ebenfalls die neue Formulierung so viel Raum lässt, „um auch ‚einfach’ zwingendes Vertragsrecht zu den Eingriffsnormen zu ziehen“, vgl. Mankowski, IHR 2008, 133 (147); ders., Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 54; ebenso Freitag, Einfach und international zwingende Normen, 167 (177); ders., IPRax 2009, 109 (112); skeptischer MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 15. 88 Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 247, ebenso bereits C. L. von Bar, IPR (Band 1), S. 90; aus neuerer Zeit etwa MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 13; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (227 f.); Mäsch S. 135 f.; Stoll S. 27-29; Fetsch S. 46; Beulker S. 30; Kuckein S. 34; Zeppenfeld S. 27; Schinkels, LMK 2006, 172179. 89 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 92; Mankowski, RIW 2006, 321 (327). 90 Hierzu etwa Larenz/Wolf § 1 Rn. 2; BVerfG NJW 1994, 36 (38). 91 Fetsch S. 46 f. weist zutreffend darauf hin, dass auch hinter ganz „unverdächtigen“ Normen überindividuelle Normzwecke stehen: So dient § 123 BGB als zivilrechtliche Sanktion des strafrechtlichen Betrugstatbestands letztlich „auch dem staatlichen Interesse an einem funktionierenden Markt“, die Generalklauseln des § 138 und § 242 BGB dienen als „Einfallstore“ für Grundrechte und verhelfen als solche unserer verfassungsrechtlichen Werteordnung im Zivilrecht zur Geltung.

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cherschutzrecht) greift der Gesetzgeber aufgrund einer zwischen den Parteien bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichtslage in die Privatautonomie ein und verhilft damit sozial- und gesellschaftspolitischen Anliegen auch im zivilrechtlichen Rechtsverkehr zur Geltung. Er betreibt auf diese Weise aktiv Sozialpolitik mit den Mitteln des Zivilrechts92 und kommt mit dem Eingriff in „das Spiel der freien Kräfte“93 letztlich auch dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 I, 28 I GG nach94. Weit stärker als das Vertragsrecht ist daneben etwa das Familien- und Erbrecht mit öffentlichen Zwecken „durchsetzt“, da beide Materien stark verfassungsrechtlich geprägt und Ausdruck fundamentaler gesellschafts- und sozialpolitischer Wertungen sind. Kurzum: Leitet man schlicht aus dem Vorhandensein öffentlicher Zwecke eine Sonderanknüpfung her, so wäre man in der Lage, praktisch jede Norm der lex fori gegenüber dem regulär berufenen Statut durchzusetzen95. Das herkömmliche IPR würde vollständig bedeutungslos und durch das kollisionsrechtliche Zweitsystem surrogiert werden – ein Ergebnis, zu dem auch die Vertreter dieser Ansicht nicht gelangen. So führt der BGH in seinem zentralen Urteil zum Verbraucherkreditgesetz aus, dass dieses „nach seiner Zielsetzung [...] dem Schutz des einzelnen Verbrauchers vor einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Interessen sowie der Korrektur der strukturellen Ungleichgewichtslage gegenüber dem professionellen, in der Regel finanziell weit überlegenen Anbieter und damit dem Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien“ 96 dient. „Dass daneben auch ein öffentliches Interesse an einem privatrechtlichen Verbraucherschutz mit dem Sozialstaatsprinzip, der Marktregulierungsfunktion von Verbrauchervertragsrecht oder dem Interesse an einem funktionierenden Binnenmarkt begründet werden kann, ändert nichts. Das Verbraucherkreditgesetz verfolgt dieses Interesse nämlich nicht. Vielmehr handelt es sich insoweit um eine bloße Nebenwirkung, wie sie mit vielen Gesetzen verbunden ist, die dem Schutz einer bestimmten Bevölkerungsgruppe dienen. Ein solcher reflexartiger Schutz öffentlicher Gemeinwohlinteressen reicht für eine Anwendung des [Art.] 34 EGBGB nicht aus“97. Eine dahingehende Begründung 92

Nach Schinkels S. 36 „social engineering“; Roth S. 154 spricht von „Privatrecht als Instrument staatlicher Sozialordnung“. 93 Angelehnt an von Bar/Mankowski § 4 Rn. 92. 94 Mäsch S. 136 f.; der sich auf Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 568 beruft; (bezüglich der Bürgenhaftung naher Angehöriger) auch BVerfG NJW 1994, 36 (38). So dienen etwa das soziale Mietrecht und das Arbeitsrecht „zugleich dem Interesse der Allgemeinheit an der Verhinderung oder doch Eindämmung von Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit“, vgl. Larenz/Wolf § 1 Rn. 8. 95 Treffend Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 247: „Der Richter hat es also mit Hilfe dieser Doktrin in der Hand, überall das Inlandsrecht anzuwenden, wo nur irgendeine Neigung dazu besteht“. Vgl. insbesondere Mäsch S. 140; ähnlich Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (108), der „die Gefahr einer schleichenden Ausweitung“ von Eingriffsrecht konstatiert. 96 BGH NJW 2006, 762 (764). 97 BGH NJW 2006, 762 (764), (Hervorhebung hinzugefügt).

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unterschlägt indes die sozialpolitische Grundentscheidung, die der Gesetzgeber mit der Einführung des Verbraucherschutzes getroffen hat 98. Denn indem der Gesetzgeber die strukturelle Ungleichgewichtslage als solche erkennt und korrigiert, sieht er einen sozialpolitisch motivierten Handlungsbedarf99, die Zivilrechtsordnung nach seinen – und damit gemeinwohlorientierten – Gerechtigkeitsvorstellungen zu korrigieren, und dies eben zulasten einer weiten Privatautonomie. Dass er diese Korrektur innerhalb der Zivilrechtsordnung, also mit den Mitteln des Zivilrechts vornimmt, bedeutet keinesfalls, dass er solche Ziele nicht verfolgt, wie die Ausführungen des BGH vermitteln, sondern allenfalls, dass der Gesetzgeber diese öffentlichen Ziele im Sinne der Subsidiarität mit geringerer Intensität verfolgt. Sofern man tatsächlich davon ausgeht, dass das Vorliegen öffentlicher Zwecke allein ausreicht, eine Sonderanknüpfung durchzuführen, müsste man daher – entgegen dem BGH in der genannten Entscheidung – folgerichtig Verbraucherschutzrecht auf diesem Wege zur Anwendung bringen100.

Für unsere Ausgangsfrage ergibt sich somit Folgendes: Gerade weil die Zivilrechtsordnung von öffentlichen Zwecken in unterschiedlicher Intensität durchzogen ist und als Ganzes „einen gesamtgesellschaftlichen Gestaltungsauftrag im öffentlichen Interesse“101 erfüllt, kann in dem schlichten Vorhandensein öffentlicher Zwecke keine Legitimation für eine Sonderanknüpfung gesehen werden. Unsere herkömmlichen Kollisionsnormen haben eben diese Normen zum Gegenstand, so dass das einfache Vorliegen öffentlicher Zwecke keinesfalls unmittelbar und abschließend darüber Auskunft geben könnte, ob eine solche Norm im Rahmen des herkömmlichen IPR oder im Rahmen des kollisionsrechtlichen Zweitsystems durchsetzbar wäre. Hält man dennoch an einer solchen Ausgangsprämisse fest, kann man sich allenfalls durch schlichtes Leugnen der beteiligten öffentlichen Interessen einem Ergebnis entziehen, welches das kodifizierte IPR ad absurdum führen würde – ein Vorgehen, das man wohl kaum als methodisch überzeugend bezeichnen kann. Eine Definition anhand nur beteiligter öffentlicher Interessen ohne weitere Einschränkung ist somit nicht in der Lage, diejenigen Normen abschließend und unmittelbar zu beschreiben, die einer kollisionsrechtlichen Sonderbehandlung bedürfen, so dass eine so verstandene Definition der Ausgangsprämisse dieser Ansicht nicht gerecht werden kann. 98

Kritisch zu dieser Entscheidung ebenso Kuckein S. 35; Schinkels, LMK 2006, 172179. 99 Der Ausgleich einer strukturellen Ungleichgewichtslage folgt nach dem BVerfG NJW 1994, 36 (38) „aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie (Art. 2 I GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I, 28 I GG)“, so dass – da der Gesetzgeber gem. Art. 1 III GG an die Grundrechte gebunden ist – ein öffentlicher Gestaltungsauftrag besteht; vgl. hierzu sub Kapitel 2 B.II.1.a) (S. 136 f.). 100 Näher zur Problematik des Sonderprivatrechts siehe sub Kapitel 2 B.II.1 (S. 134 ff.). 101 So Mäsch S. 142, der sich auf Großfeld, Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, S. 2 beruft; ebenso Wördemann S. 93; Kuckein S. 34.

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bb) Abgrenzung anhand qualifizierter Kriterien Dass das schlichte Vorhandensein öffentlicher Zwecke kein geeignetes Abgrenzungskriterium zwischen den beiden postulierten kollisionsrechtlichen Systemen darstellt, wird auch aufgrund der beschriebenen Probleme wohl von den meisten Vertretern einer materiellen Definition anerkannt. Vorgeschlagen wird daher, qualifizierte Kriterien an die verfolgten öffentlichen Zwecke anzulegen. Zumeist wird hierfür eine Schwerpunktbetrachtung bemüht: Dienen Normen überwiegend privaten Interessen, bezwecken sie also hauptsächlich den gerechten Interessenausgleich inter partes, unterfallen sie dem herkömmlichen IPR, dienen sie überwiegend öffentlichen Interessen, werden sie im Wege der Sonderanknüpfung durchgesetzt102. Zur Bestimmung des Schwerpunktes wird nuancenreich darauf abgestellt, welche „Stoßrichtung“103 eine Norm vorweist, welches Interesse dominiert104, welche „Ordnungsrelevanz“ einer Norm zukommt105, ob sie dem Gruppen- oder dem Institutionenschutz dient106, ob sie im Rahmen ihrer Bedeutung für unsere Wirtschaftsordnung eine „Mikro“- oder „Makrofunktion“ einnimmt107 oder ob sie marktimmanentes oder systematisches Marktversagen korrigiert108. All diese Ansätze sind darauf gerichtet, das „allgemeine“ öffentliche Interesse an einem gerechten zivilrechtlichen Interessenausgleich auszublenden und diejenigen Normen zu bestimmen, die aufgrund überindividueller Zwecke gegen diesen selbst gerichtet sind109. Nehmen wir zur Verdeutlichung etwa das Verbraucherschutzrecht: Anlass des gesetzgeberischen Handlungsbedarfs ist hier das Vorliegen einer gestörten Vertragsparität, deren Ausgleich erst einen gerechten Interessenausgleich inter partes ermöglicht. Wenngleich der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung der Gerechtigkeit inter partes durchaus öffentliche Erwägungen zugrunde liegen – so dient der Ausgleich der strukturellen Ungleichgewichtslage neben sozial- und wirtschaftspolitischen Zwecken insbesondere der Herstellung der durch Art. 2 I GG garantierten Handlungsfreiheit der schwächeren Partei –, tragen diese Normen 102

Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 85. MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 13. 104 MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 13. 105 Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 4; Voser S. 58; bereits Rehbinder, JZ 1973, 151 (156); kritisch hierzu Schurig S. 327 Fn. 245; ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (228); Mäsch S. 141 f.; Wördemann S. 91-93. 106 Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 4 (lässt diesem Kriterium allerdings nur Indizwirkung zukommen). 107 Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 83; ebenso Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 4; Voser S. 58. 108 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 92. 109 So etwa besonders deutlich Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325 (328); Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (108). 103

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dennoch der – wenn auch in gewisser Weise „öffentlich“ determinierten – Gerechtigkeit inter partes Rechnung. Die zugrunde liegenden öffentlichen Zwecke gestalten diese allenfalls (mit) aus und sind im Übrigen darauf gerichtet, den gerechten Interessenausgleich inter partes zu gewährleisten, nicht jedoch darauf, ihn einzuschränken. Sofern öffentliche Zwecke somit auf die Verwirklichung der Gerechtigkeit inter partes gerichtet sind, treten sie bei einer solchen Betrachtung in den Hintergrund und erscheinen insoweit als bloßer (mittelbarer) Nebeneffekt. In diese Richtung tendiert auch der BGH in der zuvor genannten Entscheidung zum Verbraucherkreditgesetz, da er den Vorschriften dieses Gesetzes zwar keine gemeinwohlbezogene Zweckverfolgung zugestehen will, ihnen jedoch immerhin – als „bloße[] Nebenwirkung“ – einen „reflexartige[n] Schutz öffentlicher Gemeinwohlinteressen“ attestiert 110. Der Sache nach dürfte der BGH daher – trotz seiner postulierten Ausgangsprämisse – ebenfalls eine Abgrenzung anhand des Schwerpunktes der beteiligten Normzwecke vornehmen, also qualifizierte Anforderungen an das „öffentliche Interesse“, das zu einer Sonderanknüpfung berechtigen soll, stellen.

Demgegenüber werden Eingriffsnormen als Bestimmungen beschrieben, die gerade nicht den als gerecht erkannten Interessenausgleich Privater bezwecken, sondern wiederum diesen aus überindividuellen Erwägungen in den Hintergrund treten lassen111. Wenn beispielsweise kartellrechtliche, devisenrechtliche, ein- und ausfuhrrechtliche Bestimmungen die Nichtigkeit eines Vertrags vorsehen, so erfolgt dies nicht zum Zwecke des individuellen Interessenausgleiches, sondern aus staats- und wirtschaftspolitischen Gründen. Eingriffsnormen sind damit von ihrer „Stoßrichtung“112 nicht darauf gerichtet, die Gerechtigkeit inter partes auszugestalten, sondern zugunsten überindividueller Zwecke einzuschränken. Solche Normen wirken demnach – anders als einfach zwingende Vorschriften – nicht „endogen“113 als systemimmanente Korrekturmechanismen zur Herstellung des gerechten Interessenausgleiches, sondern „exogen“ 114, indem sie „von außen“ in das zivilrechtliche Gerechtigkeitsideal „eingreifen“115.

110

BGH NJW 2006, 762 (764); vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.c)aa) (S. 24). So etwa Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325 (328); Voser S. 63; vgl. auch von Bar/Mankowski § 4 Rn. 91 f. Neumayer, BerGesVR 2 (1958), 35 (47) formuliert anschaulich: Eine Eingriffsnorm (in seiner Terminologie „international unnachgiebig[e], konfliktfest[e]“ Norm, vgl. a.a.O. (45)) dient „nicht der inneren Ausbalancierung des Synallagmas, sie schützt nicht die Vertragsbeteiligten untereinander, sondern die Gesellschaft vor der Willkür der Individuen“ (Hervorhebung hinzugefügt). 112 MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 13. 113 Mäsch S. 137, der sich wiederum auf Kroeger S. 98 beruft. 114 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 91; Kroeger S. 97. 115 Vgl. hierzu etwa von Bar/Mankowski § 4 Rn. 91 f.; Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, Rz. 13. 111

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Sofern demnach die „allgemeinen“ öffentlichen Interessen, die an einem gerechten Interessenausgleich inter partes bestehen, in geschilderter Weise ausgeblendet werden, dürfte es – entgegen anders lautenden Stimmen in der Literatur, die eine dahingehende Abgrenzung praktisch für undurchführbar halten116 – durchaus möglich sein, einen unmittelbaren Schwerpunkt einzelner Vorschriften zu bestimmen. Es mag sich hierbei, wie Mankowski eingesteht, um „Kärrnerarbeit“ handeln, die aber zumindest theoretisch zu bewältigen ist117. Die insbesondere von Mäsch vorgetragene Gegenansicht stützt sich demgegenüber auf die Annahme, dass bestimmte Normen stets eine „Doppelfunktion“118 wahrnehmen, also sowohl individuellen als auch überindividuellen Zwecken Rechnung tragen, die jedoch nicht getrennt werden könnten: So dienen etwa Verbraucherschutzvorschriften einerseits den „Interessen der schwächeren Vertragspartei“; aber „daß sie geschützt werden müssen, beruht auf einem Marktversagen, womit zum anderen diesen Normen auch eine marktlenkende, also wirtschaftspolitische Komponente zu eigen ist“119. „Das heißt: Die ,Mikrofunktion’ des Vertrages als rechtliches Verkehrsmedium der Marktordnung ist von deren makroökonomischer Steuerung nicht zu trennen“ 120, so dass auch keine Abgrenzung anhand dieses Kriteriums erfolgen könne. Dem kann zumindest insoweit zugestimmt werden, als dass – wie bereits ausgeführt wurde – letztlich jede Norm – und insbesondere das Sonderprivatrecht – zumindest auch öffentlichen Interessen dient und öffentliche Normzwecke somit stets vorhanden sind. Nur: Dieses Faktum schließt gerade nicht aus, dass eine Gewichtung der dieser Bestimmung zugrunde liegenden Normzwecke erfolgen kann. Und hierzu ist die materielle Definition der überwiegenden Ansicht durchaus in der Lage: Denn wenn öffentliche Zwecke – wie insbesondere im Bereich des Sonderprivatrechts – auf die Verwirklichung der Gerechtigkeit inter partes (und nicht auf deren Einschränkung) gerichtet sind, stehen diese eben nicht im Vordergrund, sondern sind privaten Interessen untergeordnet. Folglich dienen solche Normen schwerpunktmäßig privaten Interessen, wenngleich diesen freilich auch öffentliche Interessen zugrunde liegen. Dass bei einer solchen Abgrenzung – wie auch Vertreter einer dahingehenden materiellen Definition einräumen – eine gewisse „Restunschärfe und ein Bereich dezionistischer Entscheidung“ 121 verbleiben mag, bedeutet für sich genommen indes nicht, dass ein dahingehender Ansatz zur Bestimmung des Schwerpunktes einer

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Mäsch S. 135-141; Wördemann S. 86-91; Stoll S. 22-29; ebenso wohl bereits Mann, FS Wahl, 139 (147): „unlösbare[] Frage[]“; kritisch auch Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (414-416). 117 So auch von Bar/Mankowski § 4 Rn. 95-98; Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (110). 118 Mäsch S. 138. 119 Mäsch S. 138 (Hervorhebung im Original); ebenso Wördemann S. 88-90; vgl. auch Stoll S. 26 f. 120 Mäsch S. 138; vgl. auch Wördemann S. 89 f.: „Ob nun jedoch gerade [der] Schutz [des Schwächeren] oder aber die [...] marktkompensatorische Funktion im Vordergrund der jeweiligen verbraucherschützenden Regelung steht, wird sich in den seltensten Fällen eindeutig beantworten lassen“. 121 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 95; so die Kritik von Mäsch S. 138; Wördemann S. 90: „[k]eine verlässliche Regel“; Stoll S. 28: „willkürlich“.

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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Bestimmung a priori praktisch untauglich und aus diesem Grunde bereits abzulehnen wäre122.

Die entscheidende Frage zur Beurteilung der Tauglichkeit eines Definitionsversuches anhand des Schwerpunkts einer Sachnorm ist jedoch, ob er der geschilderten Ausgangsprämisse dieser Ansicht gerecht werden kann, diejenigen Sachnormen materiellrechtlich zu beschreiben, die einer von den herkömmlichen kodifizierten Kollisionsnormen unabhängigen Behandlung bedürfen – und insoweit bestehen durchaus Zweifel. Wenngleich eine Schwerpunktbetrachtung im Bereich des internationalen Vertragsrechts für sich in Anspruch nehmen kann, zumindest größtenteils diejenigen Normen zu beschreiben, die sich den vertraglichen Kollisionsnormen entziehen (was nicht weiter verwundern sollte, da diese ja typischerweise Normen zum Gegenstand haben, die überwiegend dem Interessenausgleich inter partes dienen)123, könnte eine materielle Definition nur dann überzeugen, wenn sie geeignet ist, die statutsunabhängig anzuknüpfenden Bestimmungen aller Rechtsgebiete zu beschreiben: Denn wenn ein besonderer materieller Normzweck Grund und Legitimation der kollisionsrechtlichen Sonderbehandlung bildet, gilt dies – da es sich dann um ein allgemeines Prinzip handelt124 – für alle Sachnormen, gleichgültig ob sie dem Vertragsrecht oder Rechtsbereichen entstammen, die deutlich stärker öffentlichen Zwecken Rechnung tragen – und insbesondere bei letzteren zeigen sich die Schwächen eines dahingehenden materiellen Definitionsversuchs. Nehmen wir zunächst zum Beispiel § 1306 BGB, der das Verbot der Mehrehe konstituiert. Dieses dient „der Wahrung des Grundsatzes der Einehe (,Monogamie’), dessen Verletzung strafrechtlich durch § 172 StGB sanktioniert ist“125 und der eine „Ausprägung eines als unantastbar empfundenen kulturellen Besitzes“126 darstellt. Bei diesen zugrunde liegenden Normzwecken lässt sich jedoch schwerlich behaupten, das Eheverbot diene primär dem Interessenausgleich Privater und allenfalls „reflexartig“ öffentlichen Interessen. Dennoch wird der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl von Art. 13 I EGBGB ausgesprochen, eine Sonderanknüpfung im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems vertritt – soweit ersichtlich – niemand127. 122

Ausführlich hierzu von Bar/Mankowski § 4 Rn. 95-98. Vgl. zu den Gründen sub Kapitel 1 B.IV.2 (S. 88 ff.). 124 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.b) (S. 20 ff.). 125 Bamberger/Roth-Hahn § 1306 Rn. 1. 126 Gernhuber/Coester-Waltjen § 10 Rn. 10; ebenfalls wörtlich zitierend Bamberger/ Roth-Hahn § 1306 Rn. 1. 127 Vgl. etwa MüKo-Coester Art. 13 EGBGB Rn. 10 (weist zwar in Rn. 47 auf die Möglichkeit hin, dass Eheverbote im überwiegend öffentlichen Interesse als Eingriffsnormen qualifiziert werden können, verneint dies aber implizit für § 1306 BGB in Rn. 48); Kegel/Schurig § 20 IV 1 a) bb) (S. 801); Kropholler § 44 I 1 (S. 331); von 123

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

Ein weiteres Beispiel findet sich nunmehr im Bereich des internationalen Deliktsrechts: Art. 6 Rom II sieht eine herkömmliche allseitige Kollisionsnorm für außervertragliche Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb und aus einem den Wettbewerb einschränkenden Verhalten vor. Sowohl das Lauterkeitsrecht als auch das Kartellrecht verfolgt den Zweck, den unverfälschten Wettbewerb und damit das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft sicherzustellen, wie auch Erwägungsgrund 21 Rom II ausdrücklich anerkennt. Bereits im Lauterkeitsrecht, das nach seiner „Schutzzwecktrias“ die Mitbewerber, die Marktteilnehmer und das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb schützt, kann nicht begründet werden, dass dessen Vorschriften überwiegend dem privaten Interessenausgleich dienen würden128. Weit deutlicher wird dies im Bereich des Kartellrechts, das nicht nur endogen das Verhalten der Teilnehmer auf einem Markt reguliert, sondern durch „Marktstrukturkontrolle“129 den Markt exogen erhält oder überhaupt erst herstellt130. Primärziel des Kartellrechts ist es, den Wettbewerb umfassend zu schützen131, und zivilrechtliche Ansprüche werden als flankierende Maßnahmen in diesen Dienst gestellt132. Insbesondere auf Druck des EuGH 133 und der Kommission134 wurde in den letzten Jahren versucht, „das Interesse der durch Wettbewerbsverstöße betroffenen Dritten an einer allseitigen Beachtung der Wettbewerbsregeln zu aktivieren, vornehmlich in Gestalt von Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen“135. Zentrales Anliegen der 7. Gesetzesnovelle zum GWB von 2005 war sodann die Aufwertung der privatrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts, welche der Gesetzgeber zudem auch als zivilrechtliche Kompensation für die aus dem Übergang von dem System der Administrativfreistellung zum System der LegalausHoffmann/Thorn § 8 Rn. 2. Zur Durchsetzung von § 1306 BGB im Rahmen des ordre public vgl. Fn. 449. 128 Vielmehr sind die über die Schutzzwecktrias geschützten Interessen nach MüKoDrexl IntUnlWettbR Rn. 4 „grundsätzlich gleichrangig“; siehe auch Kropholler § 53 VI 1 (S. 543). 129 Ohly/Sosnitza-Ohly Einführung A I 1. b) Rn. 2. 130 Palandt-Thorn Art. 6 Rom II Rn. 5; Mankowski, RIW 2008, 177 (179). 131 Emmerich § 1 Rn. 1; Kegel/Schurig § 23 V 3 (S. 1126). 132 Vgl. etwa von Hoffmann, FS Henrich, 283 (290): „privatrechtliche Sanktion als Instrument der Durchsetzung öffentlicher Interessen“; Bechtold Einführung Rn. 29 spricht von einer „Tendenz, den zivilrechtlichen Schadensersatz über seinen ureigenen Zweck als Schadensausgleich hinaus für die Kartellbekämpfung einzusetzen“. 133 Vgl. hierzu die zentrale Entscheidung des EuGH 20.09.2001 – Rs. C-453/99 (Courage). 134 Vgl. hierzu das Grünbuch der Kommission zu Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts vom 19.12.2005, SEK (2005), 1732 (insbesondere S. 3 f.). 135 Emmerich § 7 Rn. 10, 11 f.

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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nahme resultierende verminderte behördliche Kontrolldichte für notwendig erachtete136. Hervorzuheben ist hier insbesondere die deutliche Ausweitung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen, deren Gewährung vor der Reform von 2005 davon abhängig war, ob die jeweils verletzten kartellrechtlichen Normen oder Verfügungen der Kartellbehörde gerade auch dem Schutz des Betroffenen dienten, ob sie also Schutzgesetzcharakter hatten137. Nunmehr wird auf dieses Erfordernis ganz verzichtet, so dass jeder Mitbewerber oder sonstige Marktbeteiligte, der durch den Verstoß beeinträchtigt ist, als Betroffener diese Ansprüche geltend machen kann138, vgl. § 33 I 3 GWB. Gerade aber der Verzicht auf den Schutzgesetzcharakter macht deutlich, dass es im Kartellprivatrecht nicht (mehr) darum geht, einen angemessenen Ausgleich inter partes zu erreichen, sondern um „private enforcement“, das den von einer Kartellverletzung Betroffenen zu einer Art „private attorney“ im Dienste des Wettbewerbsschutzes werden lässt und das auf eine breite und effektive Durchsetzung des Wettbewerbsrechts mit zivilrechtlichen Mitteln abzielt 139 . Folglich beruft Art. 6 Rom II zumindest auch Bestimmungen, die im Schwerpunkt öffentlichen Interessen dienen und daher die eingriffsrechtliche Definition der überwiegenden Ansicht erfüllen. Dass es sich bei kartellrechtlichen Bestimmungen um „klassisches“ Eingriffsrecht handelt, das auch überwiegend öffentlichen Interessen dient, dürfte nahezu einhellig aner-

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Vgl. hierzu die Begründung der Bundesregierung, Bt-Ds. 15/3640, S. 35: „Die Abschaffung des bisherigen Systems der Administrativfreistellung und seine Ersetzung durch ein System der Legalausnahme vermindern tendenziell die behördliche Kontrolldichte gegenüber wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und Verhaltensweisen. Damit soll jedoch keine Einbuße an Wettbewerbsschutz verbunden sein. Zum Ausgleich werden neben den verwaltungsrechtlichen auch die zivilrechtlichen Sanktionen bei Kartellrechtsverstößen ausgeweitet. Damit soll ein effektives zivilrechtliches Sanktionssystem geschaffen werden, von dem eine zusätzliche spürbare Abschreckungswirkung ausgeht. Dies entspricht den Vorstellungen der Kommission für eine verbesserte Effizienz des Wettbewerbsschutzes im neuen System der Legalausnahme“ (Hervorhebungen hinzugefügt); zur Historie des § 33 GWB etwa Immenga/Mestmäcker-Emmerich GWB § 33 Rn. 1-9. 137 Zum früheren Rechtszustand etwa Immenga/Mestmäcker-Emmerich GWB § 33 Rn. 12. 138 Immenga/Mestmäcker-Emmerich GWB § 33 Rn. 22 f.; Bt-Ds. 15/3640, S. 35. 139 So führt der EuGH in seiner zentralen Courage-Entscheidung (vom 20.09.2001 – C-453/99, Rn. 27) bezüglich eines privatrechtlichen Schadensersatzanspruchs aus, dass dieser „die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln“ erhöht und geeignet ist, von „Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können. Aus dieser Sicht können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen“; vgl. hierzu Bt-Ds. 15/3640, S. 35.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

kannt sein140, wenngleich sich dahingehende Feststellungen wohl teilweise auf kartellrechtliche Verbotsnormen beziehen, welche (i.V.m. § 134 BGB) die Nichtigkeit des Vertrages anordnen. Nun kann – ganz abgesehen davon, dass durch den Verzicht auf den Schutzgesetzcharakter insoweit eigentlich keine Zweifel mehr bestehen können – auch für die Beurteilung von kartellrechtlichen Bestimmungen, die (wie § 33 GWB) außervertragliche Ansprüche begründen, nichts anderes gelten: Denn auch hier bilden dieselben kartellrechtlichen Verbotsnormen (etwa § 1 GWB) jeweils die „tatbestandsbegründende“ (und unter Art. 6 Rom II zu qualifizierende) Grundnorm – und auf die mit dieser Norm verfolgten Zwecke hat die konkrete Rechtsfolge (Nichtigkeit, außervertraglicher Anspruch) keinen Einfluss141.

Damit wird jedoch evident: Die Ausgangsprämisse der überwiegenden Ansicht, man könne anhand einer materiellen Schwerpunktbetrachtung diejenigen Normen kennzeichnen, die sich stets den herkömmlichen Kollisionsnormen entziehen und im Wege einer von diesen unabhängigen Anknüpfung zur Anwendung zu bringen sind, ist nicht konsequent durchzuhalten. Gerade weil Art. 6 Rom II auch Normen, die überwiegend öffentlichen Interessen dienen, als allseitige 142 Kollisionsnorm des herkömmlichen143 IPR beruft, kann aus der besonderen materiellen Struktur 140 Vgl. nur MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 72; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 61, 182; von Hoffmann, FS Henrich, 283 (290): „Die deutschen Normen des Kartelldeliktsrechts gehören zu den ‚streng positiven Gesetzen’ i.S. Savigny´s“. Auch der Gesetzesentwurf der Bundesregierung von 1986 zur Neuregelung des IPR (Bt-Ds. 10/504, S. 83) bezeichnet Vorschriften des Kartellrechts ausdrücklich als Eingriffsnormen, ebenso der Giuliano/Lagarde-Bericht bzgl. des EVÜ (S. 60, abgedruckt in Bt-Ds. 10/503, S. 33-82). 141 Nicht überzeugend erscheint es daher, mit Mankowski, IPRax 2010, 389 (396) Normen des „private enforcement“ alleine eine „mittelbare“ öffentliche Funktion zuzugestehen und diese als im überwiegenden Privatinteresse erlassene Bestimmungen zu betrachten. Mankowskis Begründung hierfür, dass bei Dominanz des öffentlichen Interesses „der ganze Bereich konsequenterweise aus der Rom II-VO herausfallen [müsse], womit Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO jegliche Daseinsberechtigung verlieren würde“, zeigt schlicht, dass seine Ausgangsprämisse nicht zu halten ist, nicht jedoch, dass diese Vorschriften nur untergeordneten öffentlichen Zwecken dienten. 142 Deutlich Roth, FS Kropholler, 623 (635): „Drittstaatliches Kartellrecht wird unabhängig davon zur Anwendung berufen, ob es primär den Individualinteressen dient oder aber als Marktordnungsrecht dem Allgemeinwohl verpflichtet ist“. Eine – abzulehnende – Beschränkung der Allseitigkeit des Art. 6 III Rom II alleine auf mitgliedstaatliches Recht nimmt MüKo-Immenga IntWettbR/KartellR Rn. 74 an; dagegen treffend Mankowski, IPRax 2010, 389 (396 f.) m.w.N. in Fn. 93, ebenso Palandt-Thorn Art. 6 Rom II Rn. 7. 143 Dem ließe sich auch nicht überzeugend entgegenhalten, Art. 6 Rom I stelle eine „konkretisierte“ Kollisionsnorm des kollisionsrechtlichen Zweitsystems dar. Denn Charakteristikum dieses Zweitsystems ist nach Ansicht deren Vertreter, dass für bestimmte, anhand materieller Kriterien zu identifizierende Sachnormen die Rechtsanwendungsfrage „vom Gesetz her“ gestellt werden muss, diese Frage also nicht von allseitigen Kollisionsnormen, sondern von der einzelnen Sachnorm selbst beantwortet wird. Im Rahmen von Art. 6 Rom II ist dies aber ersichtlich nicht der Fall, da diese allseitig

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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solcher Normen eben nicht abschließend und endgültig hergeleitet werden, dass diese nur Gegenstand des postulierten kollisionsrechtlichen Zweitsystems sein können. Ebenso wenig kann auch angenommen werden, dass solche Bestimmungen stets von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängig zur Anwendung zu bringen sind – denn würde man so verfahren, könnten im Ergebnis auch diejenigen Normen der lex fori zur Anwendung gebracht werden, deren Nichtanwendung Art. 6 Rom I bei Maßgeblichkeit einer ausländischen lex causae gerade implizit anordnet. Will man einer solchen Konsequenz – zu Recht – entgehen, so lässt sich dies nur durch einen Bruch mit der eigenen Prämisse, eine statutsunabhängige Anknüpfung könne alleine anhand materieller Kriterien begründet werden, erreichen. Die geschilderten Schwierigkeiten lassen sich indes auch nicht mit noch strengeren materiellrechtlichen Kriterien beheben, etwa indem man für eine statutsunabhängige Anknüpfung ausschließlich öffentliche Interessen verlangt. Zunächst ist fraglich, ob es solche Bestimmungen überhaupt gibt, da ja die für uns in Betracht kommenden Normen stets zivilrechtliche Rechtsfolgen vorsehen und man insoweit – etwas polemisch – behaupten könnte, auch zivilrechtliche Verträge invalidierende Verbotsnormen als klassisches Eingriffsrecht dienten zumindest auch dem Interesse des Schuldners, seine verbotene Leistung nicht erbringen zu müssen144. Der entscheidende Grund liegt jedoch vielmehr darin, dass sich keine qualitativen Unterschiede zu den von den regulären Kollisionsnormen umfassten Normen feststellen lassen: Denn wenn nunmehr zweifelsfrei auch kartellrechtliche Normen ohne Schutzgesetzcharakter zur Begründung außervertraglicher Schuldverhältnisse im Rahmen des „klassischen IPR“ zur Anwendung gebracht werden können, handelt es sich hierbei gerade um einen Teil jener Normen, welche die Vertreter einer solchen Ansicht als „ausschließlich im öffentlichen Interesse erlassen“ bezeichnen. So betrachtet Anderegg etwa § 1 GWB als eine Regelung, die „ausschließlich das Gemeinwohl [...] verfolgt“ 145 , und Zeppenfeld qualifiziert Normen des Kartellrechts formulierte Kollisionsnorm – entsprechend der Savignyschen Fragestellung – die Rechtsanwendungsfrage für in- und ausländische Bestimmungen „vom Sachverhalt her“ stellt und damit die Anwendung von Normen der lex fori unabhängig davon bestimmt, was diese – nach welchen Kriterien man das auch immer bestimmen mag – kollisionsrechtlich „wollen“ (zu einer möglichen Berücksichtigung des Anwendungswillens als „Kriterium der Nichtanwendung“ im Rahmen von Art. 6 Rom II vgl. sub Kapitel 3 C.II.4.b) (S. 261 f.)). 144 Und damit zugleich seinem Interesse, einer möglicherweise vorhandenen strafrechtlichen Sanktion zu entgehen. 145 Anderegg S. 99 Fn. 143 (wenngleich Anderegg kartellrechtliche Bestimmungen, welche einer Privatperson „Ansprüche gegen eine andere einräumen“, grundsätzlich nicht zu den Eingriffsnormen zählt; sie macht jedoch eine Ausnahme für solche Normen, „die

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

pauschal als Eingriffsnormen 146, welche er wiederum als Bestimmungen beschreibt, die „ausschließlich Staats- oder Gemeinwohlinteressen verfolgen“147.

Folglich wäre auch eine dahingehende Definition zur Begründung einer statutsunabhängigen Anknüpfung im Rahmen des postulierten kollisionsrechtlichen Zweitsystems ungeeignet. cc) Abschließende Stellungnahme Die Ausführungen zeigen, dass die Ausgangsprämisse der materiellen Definition, man könne anhand materieller Kriterien abschließend diejenigen Normen kennzeichnen, die wir im Rahmen einer Sonderanknüpfung zur Anwendung zu bringen haben, nicht zutreffend ist. Eingriffsnormen sind – wie zudem noch auf deduktive Weise zu begründen sein wird148 – schlicht sachrechtlich nicht definierbar149 – und dies ausdrücklich nicht, weil wir nicht in der Lage wären, die einzelnen einer Sachnorm zugrunde liegenden Normzwecke herauszuarbeiten und nach ihrer Intensität zu gewichten, sondern deswegen nicht, weil es uns nicht gelingt, auch mit noch so strengen materiellen Anforderungen – so geistreich sie auch sein mögen – diejenigen Normen zu beschreiben, die wir stets und unmittelbar im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems gegenüber dem regulär berufenen Statut zur Anwendung bringen müssen150. Auch Normen mit überwiegenden oder mit – wenn man so will – ausschließlichen öffentlichen Normzwecken entziehen sich nicht a priori aufgrund ihrer materiellen Struktur dem herkömmlichen IPR-System und müssen nicht zwangsläufig einem kollisionsrechtlichen Zweitsystem unterstellt werden, wie insbesondere Art. 6 Rom II zeigt, der auch die strengsten materiellen Anforderungen an das Vorliegen einer Eingriffsnorm obsolet werden lässt. Die vorangegangenen Überlegungen müssen uns vielmehr generell an der Grenzziehung anhand öffentlicher Zwecke zweifeln lassen, auch wenn diese uns mittels restriktiver Kriterien gelungen wäre. Denn es ist keineswegs so, dass wir nur unsere „wichtigsten“ Normen gegen ein „regulär“ die Begünstigung Einzelner nur als Anreiz zur Wahrnehmung allgemeiner Belange benutzen“, vgl. Anderegg S. 98 f. – diese Anforderung ist nunmehr durch den Wegfall des Erfordernisses eines Schutzgesetzcharakters im Bereich des § 33 GWB zu bejahen). 146 Zeppenfeld S. 32. 147 Zeppenfeld S. 28 (Hervorhebung im Original), ebenso S. 32. 148 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.IV.3 (S. 94 ff.). 149 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (228); ders., FS Jayme, 837 (842; insbesondere Fn. 24); ders. S. 320 f.; Brüning S. 171 f.; Kuckein S. 36; im Ergebnis ebenso, jedoch mit grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der praktischen Durchführbarkeit einer Abgrenzung die in Fn. 116 Genannten. 150 Dies sei den Ausführungen Mankowskis (in: von Bar/Mankowski § 4 Rn. 98) entgegengehalten. Zu den deduktiv abgeleiteten Gründen vgl. sub Kapitel 1 B.IV.3 (S. 94 ff.).

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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berufenes Statut durchsetzen, sondern dass zumindest bislang die „Eingriffsschwelle“ auch deutlich niedriger liegen konnte. Dies zeigt sich insbesondere im Bereich des Sonderprivatrechts151, genauer im Bereich des sozialen Mietrechts. Nach der Definition der überwiegenden Ansicht kann es sich hierbei nicht um eine Eingriffsnorm handeln, da der private Interessenausgleich dominiert. Dennoch geht die überwiegende Ansicht152 – im Anschluss an den Gesetzentwurf der Bundesregierung betreffend der Neuregelung des IPR153 – von einer eingriffsrechtlichen Qualifikation aus, so dass diese Bestimmungen im Wege einer Sonderanknüpfung auch gegen eine fremde lex causae durchzusetzen seien – und dies wird sogar von denjenigen vertreten, die für die Definition einer Eingriffsnorm überwiegend öffentliche Zwecke verlangen. So fordert etwa Magnus für das Vorliegen einer Eingriffsnorm, dass sie „ausschließlich oder überwiegend einen überindividuellen Regelungszweck verfolgen“ solle154. Dennoch will er zwingende Mieterschutzbestimmungen des deutschen Rechts gegenüber dem herkömmlichen, also über Art. 3 I 1 bzw. – mangels Rechtswahl – Art. 4 I lit. c Rom I berufenen Statut als Eingriffsnormen durchsetzen, „[a]uch wenn der Mieterschutz in erheblichem Maß Individualinteressen betrifft“; denn es bestehe „ein starkes öffentliches Interesse an einer angemessenen Wohnraumversorgung unter rechtlichen Bedingungen, die im Inland gleich sind und nicht danach unterscheiden, ob für den Mietvertrag in- oder ausländisches Recht gilt“ 155. Auch Martiny gelangt zu einer eingriffsrechtlichen Qualifikation des sozialen Mietrechts, obwohl er für deren materielle Kennzeichnung auf das dominierende Interesse, die „Stoßrichtung“ eines Gesetzes abstellt 156 , und ebenso Freitag 157, wenngleich dieser bei der Anwendung des Art. 9 Rom I „unbedingte Zurückhaltung“158 fordert und für eine Qualifikation als Eingriffsnorm verlangt, dass solche

151

Ausführlich hierzu sub Kapitel 2 B.II.1 (S. 134 ff.). So etwa MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 94, 128; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 155; Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 568; Rauscher/Thorn, EuZPR/ EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 54; Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 8; PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 4, ex Art. 34 EGBGB Rn. 11; Erman-Hohloch Anh II Art. 26 EGBGB Art. 9 Rom I Rn. 15; ablehnend wohl Reithmann/Martiny-Mankowski Rn. 1743; unter der alten Rechtslage bejahend etwa: Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 88; Erman-Hohloch (2008) Art. 34 EGBGB Rn. 15; Kropholler § 52 IX 2 d (S. 500). 153 Bt-Ds. 10/504, S. 83 f.: „Beispielsweise ist für das deutsche Wohnraummietrecht, das der Gesetzgeber weithin für zwingend erklärt hat und das zudem stark mit öffentlichrechtlichen Vorschriften verflochten ist, deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es insoweit für Wohnraum innerhalb der Bundesrepublik Deutschland auch international zwingend sein soll. Die deutschen Gerichte werden also, wenn es etwa um den Kündigungsschutz für eine inländische Wohnung geht, unabhängig von Auslandsbezügen des Falles deutsches Mietrecht anzuwenden haben“. 154 Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 59 (Hervorhebung im Original). 155 Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 155. 156 Vgl. MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 13 einerseits und Rn. 94, 128 andererseits. 157 Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 568. 158 Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 508. 152

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

Bestimmungen „höhere[n] Ziele[n]“159 dienen und „primär allgemein ordnungspolitische Interessen“ 160 oder „fundamentale öffentliche Interessen“161 verfolgen müssen. Dieselben Widersprüchlichkeiten finden sich zudem auch in den Ausführungen von Staudinger 162, Spickhoff 163 und wohl auch von Kropholler 164.

Andererseits sollen jedoch wiederum nach Ansicht der gerade Genannten 165 verbraucher- und arbeitsrechtliche Vorschriften des Sonderprivatrechts einer Sonderanknüpfung (zumindest grundsätzlich 166 ) nicht zugänglich sein – nur: wie soll – die Richtigkeit dieser Ansicht einmal unterstellt – eine dahingehende Differenzierung anhand rein materieller Kriterien begründet werden können? Graduelle materielle Unterschiede insoweit, dass das soziale Mietrecht in größerem Maße öffentlichen Zwecken Rechnung tragen würde als das Verbraucher- und Arbeitsrecht, lassen sich nicht feststellen. Der einzige sachliche Unterschied zwischen diesen Gebieten des Sonderprivatrechts liegt darin, dass wir im Verbraucher- und Arbeitsrecht mit Art. 6, 8 Rom I spezielle Kollisionsnormen vorfinden, die der gestörten Vertragsparität durch die Beschränkung der Rechtswahl Rechnung tragen, nicht jedoch im Bereich des Mietrechts, da hier eine nach Art. 3 I 1 Rom I gestattete Rechtswahl dazu führen kann, dass dem 159

Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 494. Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 511 (Hervorhebung hinzugefügt). 161 Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 514. 162 Vgl. Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 4 (Eingriffsnormen müssten „hauptsächlich oder überwiegend öffentliche Interessen bzw. Kollektivbelange“ verfolgen) einerseits und Rn. 8 andererseits; vgl. auch Ferrari/Staudinger Int. VertragsR Art. 9 Rom I Rn. 8 und Rn. 26. 163 Vgl. Bamberger/Roth-Spickhoff Art. 9 Rom I Rn. 13 und 14 (wenngleich er das soziale Mietrecht ausdrücklich als Sonderfall von dem von ihm postulierten Grundsatz bezeichnet). 164 Vgl. Kropholler § 52 IX 1 (S. 498: Eingriffsnorm müsse „überwiegend oder zumindest stark im öffentlichen Interesse“ liegen) einerseits und § 52 IX 2 c (S. 500) andererseits. 165 Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 21 m.w.N.: „Als weitgehend akzeptierte Leitlinie lässt sich festhalten, dass Verbraucher-, Arbeitnehmer- oder weitere Schutzregime in der Regel keine Eingriffsnormen darstellen, also meist nicht in den Anwendungsbereich des Art. 9 fallen“; MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 15 f. (Sonderanknüpfung von Sonderprivatrecht „dürfte nach der Rom I-VO nicht mehr vertretbar sein“), Rn. 23; Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 515, 518; Kropholler § 52 IX 3 a (S. 501), b (S. 502 f.); wohl auch Bamberger/Roth-Spickhoff Art. 9 Rom I Rn. 13 (vgl. aber Rn. 4); zurückhaltender Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 7. Demgegenüber ging der Giuliano/Lagarde-Bericht (abgedruckt in Bt-Ds. 10/503, S. 33 ff.) explizit davon aus (a.a.O. S. 60), dass verbraucherschutzrechtliche Bestimmungen als Eingriffsnormen gem. Art. 7 II EVÜ durchgesetzt werden konnten; kritisch hierzu jedoch Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (105 f.). 166 Vgl. etwa Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 21: „Eine generelle Antwort verbietet sich“. 160

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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Mieter – mangels spezieller Kollisionsnorm – der seitens des sozialen Mietrechts gewährte Schutz entzogen wird. Berücksichtigt man jedoch – was dieses Beispiel bereits nahelegt – bei der Frage nach einer statutsunabhängigen Anknüpfung zusätzlich, ob die Ausgestaltung der Regelanknüpfung den von der Sachnorm verfolgten Zwecken kollisionsrechtlich Rechnung tragen kann, kommt ein weiteres An- oder Nichtanwendungskriterium ins Spiel, das indes alleine auf kollisionsrechtlicher Ebene – nämlich nur von dem Regelungsgehalt der einzelnen Kollisionsnorm selbst – beantwortet werden kann und sich einer Beschreibung ausschließlich anhand materieller Kriterien entzieht167. Dem Befund von Mäsch, „daß die Formel vom ‚öffentlichen Interesse’ nur als Schlagwort eingesetzt wird, um bestimmte als sachgerecht empfundene Ergebnisse zu rechtfertigen, sie aber selber nicht den alleinigen Maßstab für die Sachgerechtigkeit zu liefern vermag“168, kann daher vollumfänglich zugestimmt werden. Insoweit mag der Rechtsprechung also durchaus beizupflichten sein, wenn sie es für eine Sonderanknüpfung ausreichen lässt, dass gewisse Normen zumindest auch öffentlichen Zwecken dienen können; entscheidend ist aber, dass wir diese in einem solchen Falle nicht durchsetzen müssen. Öffentliche Zwecke mögen nämlich – wie noch auszuführen sein wird – durchaus Anlass für eine von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängige Anknüpfung geben, sie stellen jedoch nicht das ausschließliche Anwendungskriterium dar und deshalb muss eine alleine an materiellrechtlichen Kriterien orientierte konstitutive Definition der Eingriffsnormenproblematik scheitern169.

Hinzu kommt noch ein Weiteres. Eine materielle Definition, wäre sie gelungen, hätte allenfalls Aufschluss über die Frage nach dem „Ob“ einer statutsunabhängigen Sonderanknüpfung geben können170 – unter welchen weiteren Voraussetzungen die als Eingriffsnorm erkannte Vorschrift zur Anwendung gebracht werden müsste, wäre damit allerdings noch nicht geklärt. Daraus ließe sich wiederum schließen, dass wir eine solche Norm stets anzuwenden hätten171. Bereits Kahn stellte jedoch in seiner wegweisenden Arbeit gegen Savignys Prohibitivgesetze heraus, dass wir keine Norm aufgrund ihres „ungewöhnlich hohen Gehalt[s] an sozialem Öl“ zur Anwendung bringen, sondern dass hierfür immer ein auf sie bezogenes 167

Ausführlich hierzu sub Kapitel 1 B.IV.3 (S. 92 ff.). Mäsch S. 140; ebenso Kuckein S. 35; ähnlich Zeppenfeld S. 27. 169 Vgl. zu den (deduktiv abgeleiteten) Gründen sub Kapitel 1 B.IV.3 (S. 94 ff.). 170 Differenzierend zwischen der Frage nach dem „Ob“ einer statutsunabhängigen Anknüpfung und der weiteren Frage, „unter welchen Voraussetzungen die lex causae verdrängt werden soll“, Kuckein S. 21; bereits Fetsch S. 29. 171 So möglicherweise Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325 (331), der zusätzlich zum Vorliegen eines internationalen Anwendungswillens, den er aus dem materiellen Zweck der Norm herleiten will (329), keinen Inlandsbezug verlangt; jedoch will er den Inlandsbezug „bei der Auslegung, ob die inländische Norm wirklich anwendungswillig ist“, berücksichtigen (329, 331). 168

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

Anknüpfungsmoment erfüllt sein muss172. Selbst die Anwendung unserer wichtigsten und unentbehrlichsten Normen setzt daher das Vorliegen eines gewissen Inlandsbezugs voraus173, so dass insoweit ein weiteres kollisionsrechtliches An- oder Nichtanwendungskriterium hinzutritt, welches sich jedoch ebenfalls einer Beschreibung anhand der genannten materiellen Kriterien entzieht. Auch handelt es sich hierbei keinesfalls um ein einheitliches, also für alle Eingriffsnormen identisches und daher a priori definierbares Tatbestandsmerkmal, welches die kollisionsrechtliche Behandlung der als Eingriffsnormen erkannten Bestimmungen insoweit antizipierte, dass diese nur noch anhand der postulierten materiellen Kriterien identifiziert werden müssten (und man daher anhand dieser Kriterien unmittelbar auf die kollisionsrechtliche Behandlung der hiernach identifizierten Bestimmungen schließen könnte). Denn es ließe sich wohl kaum als „Ruhmesblatt der Dogmatik“174 verkaufen, würden wir etwa Eheverbote und kartellrechtliche Bestimmungen anhand desselben Anknüpfungsmomentes zur Anwendung bringen, nur weil private Interessen hier nicht im Vordergrund stehen – eine solche Grobschlächtigkeit statutistischen Ausmaßes wird auch überwiegend abgelehnt, wenn gefordert wird, dass der Inlandsbezug anhand des jeweils betroffenen Regelungsgegenstands – also speziell für jede einzelne Norm selbst – bestimmt werden muss175. Folglich lässt sich eine statutsunabhängige Anwendung von Eingriffsnormen auch unter diesem Aspekt keinesfalls ausschließlich anhand der von der herrschenden Ansicht postulierten materiellen Kriterien begründen. Demnach lässt sich festhalten: Eine materielle Definition ist auf zweifache Weise ungeeignet. Zum einen kann sie uns keinen Aufschluss darüber geben, ob wir bestimmte Normen auch gegenüber regulären Kollisions172 Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 182; hierzu sub Kapitel 1 B.IV.4 (S. 98); auf die zitierte Formulierung von Kahn beruft sich wiederholt auch Schurig (etwa S. 321 und passim). 173 So die ganz überwiegende Ansicht, vgl. nur MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 120; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 81-84; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 15; Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 5; Bamberger/RothSpickhoff Art. 9 Rom I Rn. 16; zum alten Recht etwa Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 76; Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 25 jeweils m.w.N.; Kropholler § 52 IX 1 (S. 498); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (49); der Grund hierfür liegt darin, dass auch der Gerechtigkeitsgehalt unserer „wichtigsten“ Bestimmungen räumlich relativ ist (und nicht etwa – wie verbreitet behauptet (etwa Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 5) – darin, dass ein diesbezügliches völkerrechtliches Gebot bestehe), vgl. allgemein sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 62 ff.). 174 In anderem Zusammenhang von Bar/Mankowski § 4 Rn. 54. 175 Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 85; MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 124; zum alten Recht Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 81; Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 26; Stoll S. 71 f.; Kuckein S. 145; näher hierzu sub Kapitel 1 B.IV.4 (S. 97 ff.).

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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normen im Wege einer anhand dieser Kriterien entwickelten Sonderanknüpfung zur Anwendung zu bringen haben, zum anderen auch nicht darüber, unter welchen weiteren Voraussetzungen dies geschehen muss. Wir können demnach nicht unmittelbar und endgültig anhand materieller Zwecke auf den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl schließen, so dass bestimmte materielle Zwecke keinesfalls alleiniger Ausgangspunkt für die Bildung spezieller Kollisionsnormen sein können. Dennoch kann – und das ist der richtige Kern einer materiellen Beschreibung – das Vorliegen öffentlicher Zwecke durchaus eine Sonderanknüpfung gebieten – nur nicht in jedem Falle, so dass öffentliche Zwecke durchaus Anlass einer Sonderanknüpfung sein können, keinesfalls jedoch ausschließliches Anwendungskriterium. Das Problem der Eingriffsnormen kann sich daher nicht darin erschöpfen, diese materiellrechtlich zu definieren, sondern muss anhand weiterer Kriterien bestimmt werden 176. 3. Zwischenergebnis Eine konstitutive Definition von Eingriffsnormen anhand formaler und materiellrechtlicher Kriterien, aus der sich die statutsunabhängige Anknüpfung bestimmter Normen ergeben soll, kann nicht gelingen. Sobald der fraglichen Sachnorm ein spezieller einseitiger Anwendungsbefehl zugeordnet ist, liegt darin die besondere kollisionsrechtliche Behandlung begründet; insoweit ist die „Definition“ rein deklaratorisch. Liegt kein ausdrücklicher Anwendungsbefehl vor, so können wir keine überzeugenden materiellen Kriterien aufstellen, anhand derer wir stets unmittelbar und abschließend auf eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung schließen könnten – eine materielle Beschreibung von Eingriffsnormen mag allenfalls in die richtige Richtung weisen und kann damit ebenfalls keine konstitutive Bedeutung erlangen. III. Notwendigkeit eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems für Eingriffsnormen In Anbetracht der geschilderten Abgrenzungsschwierigkeiten drängt sich die Frage auf, warum wir überhaupt ein besonderes kollisionsrechtliches Zweitsystem für Eingriffsnormen benötigen. Dies wird von vielen aus zwei Gründen angenommen: Zum einen wird im Anschluss an Savigny behauptet, Eingriffsnormen entzögen sich aufgrund ihres öffentlich-rechtlichen Charakters a priori dem IPR als Anknüpfungsgegenstand177. Den Ausführungen Kegels, Sonnenbergers und auch des BGH können wir etwa 176

Hierzu sub Kapitel 1 B.IV (S. 88 ff.). Dass zum Anknüpfungsgegenstand (auch) Sachnormen gehören, vgl. sub Kapitel 1 B.III.2.a) (S. 53 ff.). 177

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

entnehmen, dass das klassische Eingriffsrecht Gegenstand des Internationalen Öffentlichen Rechts sei178, und von Hoffmann schreibt, dass für Eingriffsnormen „nicht die Kollisionsnormen des IPR, sondern diejenigen des Internationalen Verwaltungsrechts maßgeblich sind“179. Ordnet man die Eingriffsnormenproblematik dem IÖR zu, so ist einleuchtend, dass sie sich dem herkömmlichen IPR entziehen und im Rahmen eines besonderen kollisionsrechtlichen Zweitsystems zur Anwendung gebracht werden müssen, welcher Gestalt dieses auch immer sein mag. Eine solche Sicht ist – wie wir sogleich sehen werden – eng mit den Besonderheiten des deutschen Rechts verbunden und daher nur bedingt im Rahmen einer europarechtlichautonomen Handhabung des europäischen Kollisionsrechts nutzbar zu machen – insbesondere, da Art. 6 Rom II auch das Gegenteil zum Ausdruck bringt. Im Ergebnis – und das darf vorweggenommen werden – ist die Eingriffsnormenproblematik innerhalb des IPR zu verorten, so dass sich die Notwendigkeit eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems – als zweiter Grund – allenfalls aus der methodischen Beengtheit des „klassischen“ IPR ergeben kann, die zu einem methodischen „Patchwork“ 180 zwingt. 1. Extrinsischer Systemdualismus: Verortung der Eingriffsnormenproblematik außerhalb des IPR Die Herausnahme von Eingriffsnormen aus dem IPR folgt zwei eng verwandten Begründungsmustern. Zum einen wird dem IPR eine „sachliche Beengtheit“181 unterstellt, weil es nur solche Normen zum Gegenstand habe, zu denen der Staat eine gewisse „Distanz“182 aufweise und auf deren internationale Durchsetzung er daher im Falle einer engeren Verbindung zu einem anderen Staat verzichten könne. Zum anderen geht es um die eher formale Abgrenzung nach der Zugehörigkeit der Eingriffsnormen zum Öffentlichen Recht oder Privatrecht, aus deren Zuordnung die kollisionsrechtliche Behandlung im Rahmen des Internationalen Öffentlichen Rechts oder des IPR folge. Beides soll in dieser Reihenfolge dargestellt werden. 178

Kegel (7. Auflage) § 2 IV (S. 118); unverändert übernommen von Schurig in: Kegel/Schurig § 2 IV 1 (S. 148), vgl. insbesondere Kegels Ausführungen zum IÖR § 23 (S. 1090 ff.); zurückhaltender, aber im Ergebnis ebenso MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 36, 388; BGHZ 31, 367 (370 ff.); ähnlich von Bar/Mankowski § 4 Rn. 52 (Eingriffsnormen sind „privatrechtliches IÖR“). Unter Geltung der Rom I-Verordnung auch Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 7 und deutlich Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 60 (90 f.). 179 Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 3 (Hervorhebung im Original); ebenso von Hoffmann/Thorn § 10 Rn. 94. 180 Schurig S. 336; ebenso Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (5). 181 Dies feststellend Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (230). 182 So Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 10.

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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a) Die These der Trennung von Staat und Gesellschaft aa) Darstellung Hintergrund für die angebliche Dichotomie von öffentlichen und privaten Interessen, die eine unterschiedliche kollisionsrechtliche Behandlung gebiete, bildet die aus der Zeit des Liberalismus stammende und insbesondere in Deutschland verankerte rechtstheoretische Vorstellung der Trennung von Staat und Gesellschaft, die sich im Öffentlichen Recht als Ausprägung der Heteronomie und im Privatrecht als Ausprägung der Autonomie aktualisiere183. Das Privatrecht sei etwa nach von Bar als Ausprägung dieser Trennung zu begreifen, weil es gerade den Rechtssubjekten ermögliche, „fern vom Staat [...] als frei in der Gesellschaft sich bewegende Bürger frei zu handeln“184. Privatrecht wird damit als autonomer Gestaltungsraum der Gesellschaft staatsfern und als strikter Gegensatz zum heteronomen Öffentlichen Recht, also dem Recht des Staates, gesehen. Aus dieser rechtstheoretischen Unterscheidung folge eine unterschiedliche kollisionsrechtliche Behandlung. Da das Privatrecht „staatsfern“ und für den Staat insoweit – salopp formuliert – weniger wichtig sei185, könne man im Rahmen allseitiger Kollisionsnormen in- und ausländischem Recht prinzipielle Gleichbehandlung zukommen lassen – die nationalen Privatrechtsnormen erscheinen aufgrund dieser Distanz austauschbar 186. Dies treffe jedoch nicht für Normen zu, die im öffentlichen Interesse erlassen wurden und deswegen Staatsinteressen verwirklichen – sie entzögen sich der „internationalen Fungibilität“ und müssten daher im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems durch einseitige Kollisionsnormen zur Anwendung gebracht werden187. Legt man ein solches Verständnis zugrunde und betrachtet das Privatrecht somit als dem Staat vorgegebenen Freiraum der Gesellschaft, so erhält die bereits erwähnte Unterscheidung nach exogenem und endogenem Eingriff in das zivilrechtliche Regelungsgefüge 183 Auf diese Trennung als Grundlage des IPR auch heute noch abstellend von Bar, in von Bar/Mankowski § 3 Rn. 6. 184 Von Bar/Mankowski § 3 Rn. 6. 185 Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 10 spricht von staatlichem „Desinteresse am Privatrecht“. 186 So etwa Kropholler § 3 II (S. 18); ausführlich Vogel S. 215-225, insbesondere S. 224 f.; im Hinblick auf die Austauschbarkeit der Rechtsordnungen als Grundlage des IPR ebenso Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (9, 19, 22); Junker, IPRax 1998, 65 (66); deutlich Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 10; von Bar/Mankowski § 3 Rn. 6, § 4 Rn. 57. 187 Kropholler § 3 II (S. 18); Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (19); Vogel S. 237: „Die Normen des öffentlichen Rechts sind der Staatsgewalt nicht nur nicht vorgegeben, sondern sie sind, staatstheoretisch gesprochen, die Staatsgewalt selber“ (Hervorhebung im Original); ihm folgend von Bar/Mankowski § 4 Rn. 57.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

einen tieferen Sinn. Endogene Eingriffe zur Gestaltung des zivilrechtlichen Interessenausgleiches bewegen sich innerhalb des autonomen Freiraums, haben also nur ausgestaltende Wirkung, exogene Eingriffe schränken diesen ein und können daher der Abstraktionsebene „Staat“188 und damit dem Öffentlichen Recht als Ausprägung der Heteronomie zugeordnet werden. Die kollisionsrechtliche Behandlung ist bei einer solchen Betrachtung vorgezeichnet: Weil solche exogenen Eingriffe Teil des Öffentlichen Rechts sind, können sie nicht dem normalen internationalprivatrechtlichen Verweisungsbefehl unterfallen und unterstehen somit einem eigenen Internationalen Öffentlichen Recht, das zumindest nach traditioneller Sicht streng einseitig territorial anknüpft189. Eine solche Vorstellung ist eng mit dem Namen Savigny verbunden. Dieser legte mit seinem IPR-System die Grundlage für die Zweipoligkeit des Kollisionsrechts, indem er für das zweckfreie „reine Rechtsgebiet“ und für die Klasse derjenigen absoluten Gesetze, die „keinen anderen Grund und Zweck“ haben, „als die Handhabung des Rechts durch feste Regeln zu sichern, so daß sie erlassen werden lediglich um der Personen Willen“ 190, bekanntlich verlangte, dass für die rechtliche Beurteilung eines Rechtsverhältnisses „dasjenige Rechtsgebiet aufgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältniß seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist“191. Dem gegenüber stellte er eine Gruppe von Normen, die einer solch „freien Behandlung“ nicht zugänglich sind und folglich unabhängig von der über die allseitigen, dem äußeren Entscheidungseinklang Rechnung tragenden Kollisionsnormen bestimmten lex causae zur Anwendung gebracht werden müssen. Dies sind die „Gesetze von streng positiver, zwingender Natur, die eben wegen dieser Natur zu jener freien Behandlung [...] nicht geeignet sind“ 192. Solche Gesetze, die wir heute als Eingriffsnormen bezeichnen, haben „ihren Grund und Zweck außer dem reinen, in seinem abstracten Dasein aufgefaßten, Rechtsgebiet, so daß sie erlassen werden nicht lediglich um der Personen Willen“. Sie beruhen auf „sittlichen Gründen“ oder solchen des „öffentlichen Wohls“, wozu Savigny Normen mit politischem, polizeilichem oder volkswirtschaftlichem Charakter zählte 193 . Vogel stellt in seiner Untersuchung zum räumlichen Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm die bekannte These auf, dass die Fragestellung „vom Sachverhalt“ und die damit verbundene Allseitigkeit der Kollisionsnormen in Savignys vorstaatlicher Privatrechtskonzeption liege194. Da nach Savigny der „Volksgeist“ Schöpfer des Rechts sei195, verstehe dieser

188

So die Terminologie von von Bar/Mankowski § 3 Rn. 6. So etwa BGHZ 31, 367 (371) m.w.N. aus der Rechtsprechung; kritisch hierzu die heute überwiegende Ansicht, vgl. etwa die Darstellung bei Kuckein S. 100-103 m.N. 190 Savigny, System (Band 8), S. 35. 191 Savigny, System (Band 8), S. 28. 192 Savigny, System (Band 8), S. 33. 193 Savigny, System (Band 8), S. 35 f. 194 Vogel S. 205 ff., 215 ff.; ebenso Rehbinder, JZ 1973, 151 (153); Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 8-10; Wiethölter, DVBl 1967, 465 (465); Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (15); vgl. auch Seif, RabelsZ 65 (2001), 492 (500-505). 195 Savigny, System (Band 1), S. 14: „Vielmehr ist es der in allen Einzelnen gemeinschaftlich lebende und wirkende Volksgeist, der das positive Recht erzeugt“. 189

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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Privatrecht „als eine dem Staat bereits vorgegebene rechtliche Ordnung“ 196, also nicht „als ein vom Staat abgeleitetes Recht, sondern als einen dem Staate selbstständig gegenüberstehenden rechtlichen Kosmos“197. Allein diese Distanz des Staates zu dem ihm vorgegebenen Privatrecht ermögliche die prinzipielle Gleichbehandlung in- und ausländischen Rechts im Rahmen einer allseitigen Kollisionsnorm, die jedoch bei den politischen Eingriffsnormen nicht gegeben sei und die deswegen streng einseitig anzuknüpfen wären. Ob Savigny wirklich von einem vorstaatlichen Privatrechtsmodell ausgegangen ist, lässt sich mit Schurig und Roth198 indes bezweifeln, da für Savigny Volk und Staat untrennbar verbunden sind und es für ihn einen „Naturzustand“ vor Erfindung des Staates nicht gibt199. Dies ist jedoch allein von rechtshistorischem Interesse, da das heutige Privatrecht keinesfalls einem vorpositivistischen „Volksgeist“ entspringt, den der Gesetzgeber allenfalls nur zu formulieren habe, sondern aktiv von diesem in dem ihm von der Verfassung gewährten Rahmen gestaltet wird200; kollisionsrechtliche Schlüsse trägt die Vorstaatlichkeitsthese für das heutige Recht somit nicht. Zweifelsohne hat jedoch Savignys Zweiteilung dem liberalen Verständnis der Trennung von Staat und Gesellschaft den Weg bereitet und die Einordnung von Eingriffsnormen als Öffentliches Recht „maßgeblich“ begünstigt201.

bb) Stellungnahme Die Vorstellung, Zivilrecht – und mit ihm das IPR – operiere unausgesprochen auf der „Ebene der freien, vom Staat getrennten Gesellschaft“202 und sei demnach staatsfern („zweckfrei“ im Sinne Savignys), ist nicht haltbar. Zivilrecht ist vom Staat gesetztes Recht, es entspringt nicht einem vorpositivistischen „Volksgeist“, sondern es wird aktiv durch den Gesetzgeber auch unter Berücksichtigung öffentlicher Zwecke 203 gestaltet und kann daher nicht als dem Staat vorgegebener Freiraum der Gesellschaft begrif-

196

Vogel S. 217 (Hervorhebung im Original). Vogel S. 218 (Hervorhebung im Original). 198 Schurig S. 271 ff. („geistvolle Legende“); Roth S. 133 ff.; sich anschließend Hohloch S. 238; zweifelnd auch Schinkels S. 36. 199 Hierauf weist Roth S. 134 f. hin; vgl. Savigny, System (Band 1), S. 23 f.: „Das hat jedoch nicht den Sinn, daß in dem Leben der Völker in der That eine Zeit vor Erfindung des Staates vorkäme, worin das Privatrecht diese unvollkommene Natur hätte (Naturzustand). Vielmehr wird jedes Volk, sobald es als solches erscheint, zugleich als Staat erscheinen [...]“. 200 Schinkels S. 36 f. 201 Zu dieser treffenden Einschätzung gelangt Schinkels S. 34; darauf bereits ebenfalls hinweisend Vogel S. 221; Rehbinder, JZ 1973, 151 (153): Savignys „Auffassung harmonierte, wenngleich diese Verbindung nicht notwendig war – Savigny selbst war gewiss kein Liberaler – mit dem politisch-ökonomischen Liberalismus, nach dessen Konzept Freiheit, Eigentum und Gleichheit und als deren Folge Wettbewerb für eine automatische Steuerung von Wirtschaft und Gesellschaft sorgten, während der Staat unter Verzicht auf inhaltliche Gestaltung lediglich die Rahmenbedingungen setzte“. 202 Von Bar/Mankowski § 3 Rn. 6. 203 Siehe insbesondere sub Kapitel 1 B.II.2.c)aa) (S. 23 ff.). 197

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

fen werden204. Die Trennung von Staat und Gesellschaft als Ausprägung der Heteronomie und Autonomie ist eine staatsrechtstheoretische Vorstellung, die dem 19. Jahrhundert entstammt und die deutschen konstitutionellen Monarchien dieser Zeit beschreibt. Dem monarchischen Staat, der seine Legitimation nicht vom Volk, sondern alleine vom Gottesgnadentum ableitete, stand eine Gesellschaft gegenüber, die sich nach gescheiterter Revolution einen Freiraum zur eigenen Entfaltung erkämpfte, welcher als strikter Gegensatz zur monarchischen Staatsgewalt betrachtet wurde 205. Die Grundlagen dieses deutschen206 Dualismus von Staat und Gesellschaft sind mit dem Übergang zur Demokratie entfallen, da die Gesellschaft als Inhaber und Schöpfer der Staatsgewalt nicht neben dem Staat steht, sondern einen integralen Bestandteil desselben bildet207. Das hat Bedeutung für die Grenzziehung zwischen Heteronomie und Autonomie, die nicht mehr zwischen dem Staat und einer von ihm getrennten Gesellschaft gezogen werden kann, sondern sich innerhalb des „Staatswesens“ vollzieht. In unserer Rechtsordnung wird diese Grenze durch die Grundrechte gezogen, die dem einzelnen Individuum einen autonomen Handlungs- und Gestaltungsspielraum gewähren, welchen jeder Grundrechtsträger als subjektives Recht auch gegenüber der Staatsmacht geltend machen kann. Aber auch dieser Freiraum kann allenfalls als „frei von Staatsmacht“ bezeichnet werden, keinesfalls jedoch als „staatsfrei“, da er von der Rechtsordnung und demgemäß „vom Staat“ gewährt wird208.

204

Ebenso Schinkels S. 37. Vgl. hierzu etwa Isensee/Kirchhof-Rupp § 31 Rn. 4 ff. 206 Der beschriebene Dualismus ist auf das engste mit der deutschen Geschichte verbunden, vgl. Isensee/Kirchhof-Rupp § 31 Rn. 4: „Während in den großen Revolutionen des Westens das Bürgertum das politische Selbstbestimmungsrecht und damit letztlich den ‚Staat’ erkämpft, ist die bürgerliche Revolution auf deutschem Boden zum Scheitern verurteilt, und es entwickelt sich jene für Deutschland typische Umbiegung der Freiheitslehre, unter Verzicht auf politische Selbstbestimmung und Mündigkeit sich mit den bürgerlichen Freiheiten [...] zu begnügen und sich in der Beteuerung dessen Heiligkeit als eines ‚absoluten Rechts’ zu erschöpfen“. 207 Hierzu etwa Isensee S. 154 (zitiert auch bei Isensee/Kirchhof-Rupp § 31 Rn. 26): „Staat und Gesellschaft stellen sich heute nicht mehr als autarke Ordnungen dar, sondern als eine dialektische Einheit. In dieser dialektischen Zuordnung, die Diversität und Identität umschließt, bildet der Staat die Antithese zur Gesellschaft und die umgreifende einheitsstiftende Synthese“. Vgl. auch Joerges, RabelsZ 36 (1972), 421 (467 f.), Rehbinder, JZ 1973, 151 (153) und Wiethölter, DVBl 1967, 465 (465) freilich mit dem Ergebnis, die Existenzberechtigung des „klassischen“ IPR in Frage zu stellen; näher zum Ansatz der „politischen Schule“ sub Kapitel 1 B.III.2 (S. 51 f.). 208 Isensee/Kirchhof-Rupp § 31 Rn. 26. Allenfalls für den der pouvoir constitué entzogenen Bereich des Art. 79 III GG könnte man von einem „staatsfreien“ Raum sprechen, da sich dieser alleine auf die pouvoir constituant zurückführen lässt. 205

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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Verdeutlicht man sich dies, so kann das Privatrecht als Ganzes weder einem „staatsfreien“ Raum noch dem autonomen Bereich des Individuums zugeordnet werden. Privatrecht ist nicht gleichbedeutend mit Privatautonomie (die von dem autonomen Bereich vollständig abgedeckt wird), sondern kennt bekanntlich eine Vielzahl von zwingenden Bestimmungen, die jene aus überindividuellen Gründen einschränken und die folglich dem heteronomen Bereich zuzuordnen sind209. Da es zwingende Normen im Privatrecht gibt, die den autonomen, grundrechtlich geschützten Bereich des Individuums konkretisieren und diesen damit im Hinblick auf den heteronomen Bereich abgrenzen, verläuft die Grenze zwischen Heteronomie und Autonomie nicht – entgegen von Bar – entlang der Grenze zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht, sondern vielmehr mitten durch diese Rechtsgebiete210. Das Zivilrecht ist demnach nicht „staatsfern“211, sondern als Konkretisierung des dem Einzelnen in unserer Rechtsordnung zukommenden (zivilrechtlichen) Handlungsfreiraums fundamentaler Ausdruck unseres „Staates“, so dass die postulierte Austauschbarkeit der Rechtsordnungen aufgrund „Desinteresses“ des Staates an seiner Zivilrechtsordnung als Begründung des herkömmlichen IPR und damit verbundener Aussonderung „staatsnaher“ Vorschriften nicht haltbar ist. Damit entfällt jedoch ebenfalls die Berechtigung, die Grenze zwischen beiden kollisionsrechtlichen Systemen anhand der Differenzierung exogener oder endogener Eingriffe in die Privatautonomie zu ziehen212. Beide Eingriffe sind dem heteronomen Bereich zuzuordnen und es besteht insoweit zwischen ihnen kein qualitativer Unterschied 213, der eine unterschiedliche kollisionsrechtliche Behandlung rechtfertigen könnte.

Die Austauschbarkeit der Rechtsordnungen als Grundlage des IPR ist demnach – wie Schurig formuliert – eine „Schimäre“214, so dass der Grund für 209

Vgl. Schinkels S. 37. So treffend Schinkels S. 37. 211 Vgl. hierzu etwa Rehbinder, JZ 1973, 151 (153 f.). 212 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.c)bb) (S. 26 ff.). 213 Ein Unterschied besteht alleine in der Intensität, mit der der Staat seine gemeinwohlorientierten Ziele verfolgt; vgl. bereits sub Kapitel 1 B.II.2.c)aa) (S. 25). 214 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (230). Vgl. auch Mäsch S. 149, der zudem betont, dass die Unterschiedlichkeit der einzelnen Rechtsordnungen der Annahme ihrer Austauschbarkeit entgegensteht und dass diese Unterschiedlichkeit ja gerade die „Daseinsberechtigung“ eines allseitigen IPR ausmache. Grundlage eines allseitigen IPR ist, wie noch sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 62 ff.) zu zeigen sein wird, der Ausgleich des materiellen Gerechtigkeitsdefizites, das aufgrund des räumlich beschränkten Gerechtigkeitsgehalts jeder nationalen Rechtsordnung bei der Beurteilung eines Sachverhaltes mit Auslandsbezug entsteht – es geht also um die Suche nach der gerechten Rechtsordnung, nicht um die Anwendung einer mit der lex fori materiellinhaltlich möglichst vergleichbaren (und möglicherweise auch deswegen als „austauschbar“ erscheinenden) Rechtsordnung. Die Austauschbarkeit der Rechtsordnungen als Grundlage des IPR ebenfalls ableh210

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

die Aussonderung von Eingriffsnormen aus dem „klassischen“ IPR nicht darin gesehen werden kann. b) Abgrenzung von Öffentlichem Recht und Privatrecht Scheidet folglich eine inhaltliche Beschränkung des IPR hinsichtlich typischer Eingriffsnormen aus, könnte sich jedoch ein notwendiger Systemdualismus aus der – nunmehr formalen – Zuordnung solcher Normen zum Öffentlichen Recht und der damit verbundenen Durchsetzung durch das Internationale Öffentliche Recht ergeben. Da eine Trennung von Staat und Gesellschaft, von Heteronomie und Autonomie anhand der Grenze Öffentliches Recht und Privatrecht entgegen von Bar in unserer heutigen Rechtswirklichkeit nicht existiert, kann eine Abgrenzung beider Rechtsgebiete nicht anhand der verfolgten öffentlichen oder privaten Interessen erfolgen215. Sowohl das Privatrecht als auch das Öffentliche Recht dienen – in unterschiedlichem Ausmaß – sowohl privaten als auch öffentlichen Interessen, da der demokratische Rechtsstaat keinen Selbstzweck erfüllt, sondern dem Wohle des Individuums verpflichtet ist216. Auch sind beide Materien nicht Ausprägung der Heteronomie bzw. Autonomie, da es Öffentliches Recht – etwa der Anspruch auf eine Baugenehmigung – gibt, das als Ausprägung der grundrechtlich gewährten Autonomie dem Interesse des Einzelnen dient, und es Privatrecht – etwa Eheverbote und Kartellprivatrecht – gibt, das als Ausprägung der Heteronomie allen voran öffentlichen Interessen dient. Diese Erkenntnis ist im Verwaltungsrecht seit langem Allgemeingut, so dass der Interessenlehre Ulpians allenfalls noch Indizwirkung zugesprochen wird217. Nach überwiegender Ansicht liegt der entscheidende Bezugspunkt zur Abgrenzung beider Rechtsmaterien nicht in der materiellen Struktur einer Norm begründet, sondern in dem „Zuordnungssubjekt des jeweils maßgeblichen Rechtssatzes“218. Öffentliches Recht betrifft – zumindest grundsätzlich – das vertikale Verhältnis Staat – Individuum, Privatrecht das horizontale Verhältnis Individuum – Individuum. Ersteres ist geprägt durch ein Über-/Unterordnungsverhältnis, nend Brüning S. 177; Kuckein S. 142; Schubert, RIW 1987, 729 (743); Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41 (88). 215 So aber Kegel (7. Auflage) § 2 IV (S. 118 ff.); kritischer MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 36, im Ergebnis aber ebenso, vgl. insbesondere Rn. 388. Von Bar/ Mankowski § 4 Rn. 54 bezeichnen es zu Recht als „verblüffend“, dass „alle gängigen kollisionsrechtlichen Qualifikationen von öffentlichem Recht von dem abweichen bzw. hinter dem zurückbleiben, was im innerstaatlichen Bereich längst zum überwiegend gesicherten Erkenntnisstand gehört“. 216 Treffend definiert daher Schinkels, LMK 2006, 172179 das Allgemeinwohl als „die höchste Befriedigung aller Individualinteressen eines Gemeinwesens“. 217 Vgl. hierzu nur Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner-Ehlers VwGO § 40 Rn. 222. 218 Hufen § 11 Rn. 17.

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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letzteres durch Gleichordnung der Zuordnungssubjekte. Mit der in der verwaltungsrechtlichen Literatur herrschenden Subjekttheorie lässt sich Öffentliches Recht vielmehr dahingehend beschreiben, dass die fraglichen Rechtssätze ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten, Privatrecht dahingehend, dass es sich um „Jedermann-Recht“ handelt219. Übertragen wir diese Erkenntnis auf die Eingriffsnormenproblematik, so ist zunächst zu konstatieren, dass an typischen Eingriffsnormen häufig sowohl hoheitliche Maßnahmen als auch zivilrechtliche Rechtsfolgen anknüpfen können. Nehmen wir zum Beispiel einen Verstoß gegen kartellrechtliche Verbotsnormen: Ein solcher kann sowohl Behörden zu hoheitlichen Maßnahmen (§§ 32, 32 a, 81 GWB) ermächtigen als auch zivilrechtliche Folgen – etwa die Nichtigkeit eines Vertrages (i.V.m. § 134 BGB), Schadensersatzansprüche (§ 33 GWB) – auslösen 220 . Da die einzelnen kartellrechtlichen Verbotsnormen (§§ 1 ff. GWB) regelmäßig nur bestimmen, was verboten ist, nicht jedoch, welche Rechtsfolgen aus einem solchen Verstoß erwachsen (insoweit nehmen sie nur eine „tatbestandsbegründende“ Funktion ein), scheitert eine isolierte Betrachtung dieser Bestimmungen – als leges imperfectae entziehen sie sich einer Zuordnung zu beiden Rechtsgebieten221. Erst wenn man die – quasi vor die Klammer der Rechtsfolgen gezogene – jeweilige Norm mit der konkreten Rechtsfolge (die sich wiederum etwa aus §§ 32, 32 a, 33, 81 GWB oder § 134 BGB ergibt) zusammensetzt, kann der wahre Bedeutungsgehalt erschlossen und eine Abgrenzung vorgenommen werden222. Sofern die somit „zusammengesetzten“ Normen zivilrechtliche Rechtsfolgen (Nichtigkeit, Schadensersatz) aussprechen – um solche handelt es sich bei der hier interessierenden Eingriffsproblematik –, wirken sie gegen jedermann, ganz gleich, ob zusätzlich auch noch behördliche Eingriffsbefugnisse bestehen – sie sind 219

Hufen § 11 Rn. 17. Beispiel von von Bar/Mankowski § 4 Rn. 55. 221 Ähnlich von Bar/Mankowski § 4 Rn. 55: Solche Normen „sind dieser Qualifikation vorgeordnet, weil sie in den Schoß der Einheit der Rechtsordnung gehören“. Deswegen ist es falsch, die tatbestandsbegründenden Normen dem Öffentlichen Recht zuzuordnen, so aber etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 492, der jedoch den „kombinierten zivilund öffentlich-rechtlichen Gesamttatbestand“ als Ganzes dem „Zivilrecht im weiteren Sinne“ zurechnet. 222 Dass der Rechtsfolgen begründende Tatbestand vor die Klammer gezogen ist, hat alleine „gesetzesökonomische“ Gründe, aus denen sich keinesfalls Schlussfolgerungen für die Qualifikation ziehen lassen. Erst die „zusammengesetzte“ und damit „vollständige“ Norm – die der Gesetzgeber auch als solche hätte erlassen können – gibt über deren rationalen Gehalt Auskunft und kann damit erst Gegenstand der Qualifikation sein. Bei Lichte betrachtet handelt es sich bei den „zusammengesetzten“ Normen jeweils um unterschiedliche und damit auch unterscheidbare Rechtssätze. Im Ergebnis ebenfalls auf die Rechtsfolgen abstellend Stoll S. 33 f. 220

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

dann nach den genannten Abgrenzungsgrundsätzen zivilrechtlich zu qualifizieren223. Tatbestandsbegründende Eingriffsnormen können also „doppelfunktional“224 sein – beide Funktionen lassen sich jedoch anhand der konkreten Rechtsfolgen analytisch auseinanderhalten und insoweit unterscheiden, ohne dass man diese einer nur Verwirrung auslösenden „Grauzone“225 zuordnen müsste. Demgegenüber kann man das Internationale Öffentliche Recht als dasjenige Rechtsanwendungsrecht bezeichnen, das „wirkliches“ Öffentliches Recht nach der genannten Definition zum Gegenstand hat, also insbesondere die kollisionsrechtliche Frage beantwortet, nach welchem Recht deutsche Behörden hoheitlich handeln können 226. Dass bei dieser kollisionsrechtlichen Entscheidung andere Rechtsanwendungsinteressen bestehen, liegt auf der Hand. Zum einen ist die Anwendung fremden Rechts hier nicht nur aus zuständigkeitsrechtlichen Gründen praktisch ausgeschlossen 227, sondern es bestehen auch verfassungsrechtliche Vorgaben, insbesondere durch das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 I GG, die zumindest ein durch Rechtsfortbildung gewonnenes mehrseitiges Kollisionsrecht im Bereich von belastenden hoheitlichen Maßnahmen von vornherein ausschließen228.

223 Im Ergebnis ebenso von Bar/Mankowski § 4 Rn. 56; Benzenberg S. 60 f.; Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 492; Voser S. 41; ähnlich bereits Neumayer, RabelsZ 25 (1960), 649 (651-653). 224 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (228) spricht von „privat-öffentlichrechtlichen juristischen Hybridgewächsen“; ebenso Kuckein S. 33. 225 So aber etwa Schurig S. 139; Zeppenfeld S. 23; bereits Neumayer, BerGesVR 2 (1958), 35 (44). Die fehlende Bereitschaft zu einer klaren Zuordnung der Eingriffsnormenproblematik zeigt sich regelmäßig auch in der hierfür verwendeten Terminologie: So spricht etwa Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (187 Fn. 2) von reinem Privatrecht mit „öffentlich-rechtlichem Hintergrund“, Stoll, RabelsZ 24 (1959), 601 (636) von „öffentlich-rechtliche[n] Normen mit Privatrechtswirkung“, Neumayer, RabelsZ 25 (1960), 649 (653) von „zwingende[n] Privatrechtssätze[n], die eine öffentlich-rechtliche Einstrahlung erkennen lassen“ (Hervorhebung im Original) und Wiethölter, BerGesVR 7 (1967), 133 (158) von „öffentlich infizierte[m] Privatrecht“ (bezeichnet dies aber ausdrücklich als „Verlegenheitsausdruck“). Vgl. hierzu Fn. 222. 226 So auch Voser S. 42 f., wenngleich sie die Bezeichnung „Internationale[s] Verwaltungsrecht[]“ vorzieht. 227 Zuständigkeit und anwendbares Recht sind im IÖR eng miteinander verbunden: „Sind deutsche Behörden zuständig, so wenden sie deutsches öffentliches Recht an, und wo deutsches öffentliches Recht anzuwenden ist, gibt es auch zuständige deutsche Behörden“, Kegel/Schurig § 2 IV 1 (S. 148); ebenso von Bar/Mankowski § 4 Rn. 61; hinsichtlich des Kartellrechts etwa Martinek S. 26. Damit kommt es zu einem „Gleichlauf“ von Zuständigkeit und anwendbarem Recht, so dass im Ergebnis deutsche Hoheitsträger stets deutsches Recht anzuwenden haben. Die zur Anwendung deutschen Rechts erforderliche einseitige Kollisionsnorm (vgl. Fn. 6) ist damit – sofern ausdrückliche Normen (etwa § 130 II GWB, §§ 3 ff. StGB) fehlen – regelmäßig in den Zuständigkeitsvorschriften „versteckt“. 228 Wenn auch nicht strukturell, vgl. hierzu Schurig S. 138-166; Kegel/Schurig § 2 IV 1 (S. 148 f.); treffend (im Unterschied zur Vorauflage) von Bar/Mankowski § 4 Rn. 61.

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Für unsere Ausgangsfrage folgt daraus, dass zivilrechtlich relevante Eingriffsnormen im nationalen Recht Teil des Zivilrechts sind und sich dem IPR damit nicht a priori als Anknüpfungsgegenstand entziehen, weil sie etwa alleiniger Gegenstand des Internationalen Öffentlichen Rechts wären. Die Frage nach der internationalen Anwendbarkeit von zivilrechtliche Rechtsfolgen setzenden Eingriffsnormen ist demnach eine originäre Aufgabe des IPR, so dass sich dieses keinesfalls nur mit den Folgen des Zusammenwirkens zweier unterschiedlicher kollisionsrechtlicher Systeme befassen muss229. Ein extrinsisch motivierter Systemdualismus besteht im nationalen 230 Recht insoweit nicht, allenfalls ist eine Notwendigkeit zu einem System- oder Methodendualismus 231 innerhalb des IPR gegeben, dem im Anschluss an diese Ausführungen nachzugehen ist. Festzuhalten bleibt jedoch, dass sich die Rechtsfortbildung einseitiger Kollisionsnormen für Eingriffsnormen im materiellen Sinne (als Phänomen verstanden, nicht als konstitutive Definition) folglich innerhalb des insoweit „lückenhaften“ IPR – und gerade nicht innerhalb des (möglicherweise anderen Anknüpfungsgrundsätzen folgenden) IÖR – bewegen muss und damit auch zumindest grundsätzlich an den Systemvorgaben des IPR partizipiert.

Zum Gesetzesvorbehalt bei Ermächtigungsgrundlagen treffend Benzenberg S. 56 f.; Meessen, AöR 110 (1985), 398 (406 f.). 229 So aber MüKo-Sonnenberger Einl IPR Rn. 2. 230 Und ebenso wenig im europäischen Recht. Denn das Problem der sachlichen Beschränkung des IPR ist, wie bereits erwähnt, spezifisch mit den Besonderheiten des deutschen Rechts verbunden, so dass im Rahmen des europäischen IPR keine anwendungsrechtlichen Schlüsse aus der materiellen Bedeutung der Trennung von Staat und Gesellschaft oder aus der formalen Zugehörigkeit zum Öffentlichen Recht hergeleitet werden können. Insbesondere Art. 6 Rom II zeigt, dass sich typische Eingriffsnormen gerade nicht dem europäischen IPR als Anknüpfungsgegenstand entziehen, sondern integraler Bestandteil desselben sind. Zum Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen sub Kapitel 2 A.III.1 (S. 113 f.). 231 So etwa Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (20 f.). Kritisch Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (237), der die Bezeichnung Methodendualismus als Verharmlosung betrachtet und stattdessen von Systemdualismus spricht; ausführlich ders. S. 336-338; zumindest im Rahmen der Behandlung inländischer Eingriffsnormen scheint eine Unterscheidung von System- oder Methodendualismus schwer durchführbar (so zutreffend Mäsch S. 134 Fn. 26). Sofern man mit der Sonderanknüpfungslehre die für die kollisionsrechtliche Behandlung inländischer Eingriffsnormen entwickelten Anknüpfungsgrundsätze auch auf ausländische Eingriffsnormen überträgt, liegt hierin jedoch – wie noch sub Kapitel 3 C.I.1.a) (S. 190 ff.) ausführlich darzustellen sein wird – aufgrund der primären Anknüpfung an den „Anwendungswillen“ einer ausländischen Norm ein Bruch mit dem herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen kollisionsrechtlichen System, so dass zumindest insoweit von einem Systemdualismus gesprochen werden kann; vgl. hierzu Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (237); ders., Lois d’application immédiate, 55 (67 f.); Mäsch S. 134 Fn. 26.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

2. Intrinsischer Systemdualismus: Verortung der Eingriffsnormenproblematik innerhalb des IPR Wenn demnach die Eingriffsnormenproblematik innerhalb des IPR zu verorten ist, bedarf es einer besonderen Rechtfertigung dafür, weshalb wir diese einem – nunmehr internationalprivatrechtlichen – Zweitsystem unterstellen sollten. Denn ein Rechtssystem ist – wie Coester ausführt – kein „Selbstzweck, wohl aber unerlässliches Kontrollinstrument für Verständnis, Ergänzung und Fortbildung des Rechts – letztlich somit Postulat der Rechtsidee selbst. [...] Die Systematik des Rechts liefert Rahmen und Leitlinien für gerechte Einzelfallentscheidungen und setzt der sich über den Einzelfall vorwärtstastenden Rechtsfortbildung Orientierungsdaten für den gebotenen Verfestigungs- und Generalisierungsprozeß“232. Die wertmäßige und wertverwirklichende Systematik des Rechts233 büßt jedoch an Überzeugungskraft ein, wenn sich Teilsysteme ohne besonderen Grund (und damit auch ohne Rechtfertigung) gegenüberstehen, insbesondere, wenn es – wie in unserem Fall – nicht gelingt, überzeugende Abgrenzungskriterien zwischen beiden Systemen aufzustellen, so dass die „zweite Säule“234 des IPR zur Einzelfallentscheidung ohne Systembindung zu degenerieren droht. Zur entscheidenden Frage wird damit, woraus sich die – wenngleich von manchen bedauerte 235 – Notwendigkeit ergibt, dem herkömmlichen IPR ein kollisionsrechtliches Zweitsystem gegenüberzustellen, das eine „Zweipoligkeit“236 des IPR begründet und eine Durchbrechung der methodischen Kohärenz des IPR bedeutet. Der Grund hierfür liegt nach verbreiteter Ansicht darin, dass das herkömmliche IPR aufgrund seiner auf Savigny zurückgehenden Fragestellung „vom Sachverhalt her“ den besonderen materiellrechtlichen Zwecken der Eingriffsnormen nicht Rechnung tragen könne, so dass man hierfür den besser geeigneten statutistischen

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Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (5). Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (5). 234 So Martinek S. 59. 235 Kropholler § 3 II 4 (S. 23): „Insgesamt werden wir uns mit der Zweipoligkeit des IPR abfinden müssen, obwohl sie eine Quelle der Schwierigkeiten und der Verwirrung bedeutet“ (Hervorhebung im Original); anders Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (21): „nicht etwa Zeichen wissenschaftlicher Verlegenheit“. 236 So Kropholler § 3 II 4 (S. 23); Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (106) spricht von „Zweigleisigkeit“; vgl. auch Fn. 21. 233

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Ansatz 237 wiederbeleben und daher die Frage nach der internationalen Anwendbarkeit „vom Gesetz her“ stellen müsse238. In dieser Begründung aktualisieren sich diejenigen Vorwürfe, die insbesondere in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts von den Vertretern der sog. „politischen Schule des IPR“, die einen Ausläufer der „amerikanischen IPR-Revolution“ darstellte, gegen das „klassische IPR“ erhoben worden sind. Ihre Kritik richtete sich – vereinfacht dargestellt – gegen das „klassische IPR“ Savignyscher Prägung, das man aufgrund seiner vom materiellen Recht losgelösten, im Hinblick auf das materielle Ergebnis „blinden“ 239, „wertneutralen“ 240 Anknüpfungstechnik, die einem „Sprung ins Dunkle“ 241 gleiche, für ungeeignet hielt, dem modernen, wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Anliegen verwirklichenden Zivilrecht Rechnung zu tragen242. Die von Vogel formulierte These der Vorstaatlichkeit der Savignyschen Privatrechtskonzeption 243 wurde insbesondere von Joerges, Rehbinder und Wiethölter aufgegriffen, um mit dieser – freilich überholten Vorstellung – auch das „klassische IPR“ (zumindest teilweise) für hinfällig zu erklären, da dieses als Prämisse ein dem Staat vorgegebenes Zivilrecht voraussetze und ein solches nun unleugbar nicht mehr vorliege244. Als Konsequenz des privatrechtlichen Funktionswandels von einem reinen privaten Interessenschutz hin zu staatlicher Sozialgesetzgebung, so beschreibt Rehbinder die „politische Schule des IPR“, stelle sich dem IPR dementsprechend die Aufgabe, „die Kollision der Interessen zweier oder mehrerer Staaten an der Durchsetzung ihrer Sozialordnung gegenüber Sachverhalten mit Auslandsbeziehungen zu lösen“245, und Joerges fordert konkret, „bei der Entscheidung der Rechtsanwendungsfrage den Ansatz beim privaten Rechtsverhältnis aufzugeben und statt dessen den statutistischen Ansatz beim Gesetz neu aufzunehmen, nun jedoch so, dass der 237 Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (9): „geistige Rückkehr zur Statutentheorie“; Ferid 6-76 hält die Eingriffsnormenproblematik für eine „Nachwirkung der Statutentheorie“; zur besseren Geeignetheit der Fragestellung „vom Gesetz her“ für diese Problematik etwa Kropholler § 3 II (S. 18 ff., 23). Vgl. zum Ansatz der Statutentheorie Fn. 354. 238 Vgl. hierzu Neuhaus § 4 II (S. 32 f.); Kropholler § 3 II (S. 18). 239 So etwa Juenger S. 13, wohl in Anlehnung an Deelens berühmtes Bild von der „Augenbinde Savignys“. 240 Rehbinder, JZ 1973, 151 (155); Juenger S. 9; Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 8 spricht von einem „wertblinden Anknüpfungsprinzip“; Mann, FS Beitzke, 607 (620) von einem neutralen IPR, das „frei vom Tropfen sozialen Öls“ sei. Vgl. auch Weller, IPRax 2011, 429 (430): Nach der „méthode savignienne“ müssten Kollisionsregeln „allseitig und neutral formuliert sein, d.h. das anwendbare Recht ist durch Kollisionsregeln zu ermitteln, die im Hinblick auf Wertungen und Ziele des materiellen Rechts des Forumstaates indifferent sind“ (Hervorhebung hinzugefügt). 241 Raape S. 90. 242 Bekannt ist der Vorwurf von Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435 (435), das IPR weise eine „Armut [...] an sozialen Werten“ auf (näher ausführend S. 443 f.); vgl. zu den einzelnen Kritikpunkten Bt-Ds. 10/504, S. 25 f.; umfassend hierzu die Arbeiten von Lorenz (Überblick S. 15-25) und Schurig (Überblick S. 16-23). 243 Siehe oben sub Kapitel 1 B.III.1.a)aa) (S. 42); Vogel selbst zieht diese Konsequenz indes nicht. 244 Joerges, RabelsZ 36 (1972), 421 (467 ff.); Rehbinder, JZ 1973, 151 (153); Wiethölter, DVBl 1967, 465 (465). 245 Rehbinder, JZ 1973, 151 (151), (Hervorhebung im Original); ein Gedanke, der Curries governmental interest approach sehr nahe kommt, vgl. Mäsch S. 133.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

internationale Geltungsbereich von Rechtsnormen aus deren politischen, sozialen und ökonomischen Zwecken und Funktionen heraus bestimmt wird“ 246. Zwar kann man die in dieser Zeit beschworene „Krise des IPR“ heute als überwunden247 und den „Kampf ums Überleben“248 des „herkömmlichen“ IPR als erfolgreich beendet betrachten, dennoch hat er Spuren hinterlassen 249. Mag heute wohl niemand ernsthaft das allseitige IPR Savignyscher Prägung im Ganzen in Frage stellen und dürften die schillerndsten Ansätze – genannt seien nur Leflars better law, Curries governmental interest oder Ehrenzweigs lex fori approach – nicht nur in Europa im Grunde nur noch von rechtshistorischem Interesse sein250, so leben doch manche Ideen der „politischen Schule“ insbesondere im Bereich der Eingriffsnormenproblematik fort – man mag diese mit Mäsch somit zu Recht als deren „letztes Refugium“ bezeichnen251. Wenn wir etwa bei Wiethölter lesen können, dass sich das IPR „geradezu um den Preis der Sonderanknüpfungen in seiner klassischen Reinheit [hat] erhalten können“252, so ist dies Ausdruck dessen, dass dem IPR die Fähigkeit abgesprochen wird, „politisiertem“ Zivilrecht gerecht zu werden, und wir demnach dem Funktionswandel im Zivilrecht außerhalb der herkömmlichen IPR-Methode Rechnung tragen müssen.

Die attestierte Unfähigkeit der herkömmlichen IPR-Methode, dem Problem der Eingriffsnormen gerecht zu werden, beschränkt sich im Grunde auf zwei Problemfelder: Zum einen geht es um die eher „technische“ Frage, ob wir uns mit dem Übergang zur Savignyschen Fragestellung „vom Sachverhalt her“ der Möglichkeit beraubt haben, Eingriffsnormen einen Platz innerhalb des herkömmlichen IPR zuzuweisen, zum anderen um die Frage, ob und – wenn ja – inwieweit das gerne als wertneutral beschriebene IPR in der Lage ist, der besonderen materiellen Struktur einer Sachnorm bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung Rechnung zu tragen, insbesondere einer immer stärker mit öffentlichen Interessen durchdrungenen Zivilrechtsordnung hierbei gerecht zu werden.

246 Joerges, RabelsZ 36 (1972), 421 (467); Rehbinder, JZ 1973, 151 (155) hält es aufgrund der sozialgestaltenden Funktion des Privatrechts für „unabweisbar, mit Joerges den internationalen Geltungswillen der Privatrechtsnormen entgegen der traditionellen Methode des IPR zumindest unter Berücksichtigung der (sozialen, ökonomischen und politischen) Aufgaben und Funktionen des Privatrechts [zu] bestimmen“ (Hervorhebung im Original). 247 Insoweit hat sich in der Tat Kegels beruhigende Aussage („Crisis is a way of life“) bewahrheitet; Kegel, Rec. des Cours 112 (1964-II), 91 (263). 248 Lorenz S. 15. 249 Vgl. MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 30; Mäsch S. 133. 250 Vgl. hierzu Bt-Ds. 10/504, S. 25 f.; von Bar/Mankowski § 6 Rn. 91. 251 Mäsch S. 133; ebenso Brüning S. 170; Kuckein S. 134. 252 Wiethölter, FS Kegel (1977), 213 (257); ähnlich Lorenz, RIW 1987, 569 (579): Eingriffsnormen, die „nicht von dem allgemeinen Kollisionsrecht des Erlaßstaates erfasst werden“, dienen dazu, „das allgemeine Kollisionsrecht und insbesondere das allgemeine internationale (Schuld-) Vertragsrecht zu ergänzen und damit zu erhalten“.

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a) Gegenstand des IPR Die Beantwortung der ersten Frage ist davon abhängig, was denn als Gegenstand des IPR ausgemacht wird253. Hier kommen folgende Möglichkeiten in Betracht: das Lebensverhältnis, das Rechtsverhältnis, die jeweilige Rechtsfrage oder die Sachnorm selbst254. aa) Relevanz für die Eingriffsnormenproblematik Erheben wir etwa mit Rabel das Lebensverhältnis 255 (eine Heirat, ein Todesfall, ein – tatsächlich verstandener – Vertragsschluss) zum Gegenstand einer Kollisionsnorm, so haben wir nur die Möglichkeit, dieses in seiner – im Tatbestand der Kollisionsnorm beschriebenen – Gesamtheit einer Rechtsordnung zur Entscheidung zuzuordnen. Jede Anwendung einer Norm einer anderen Rechtsordnung, unter welche sich das der ersten Rechtsordnung zur Beurteilung zugewiesene Lebensverhältnis subsumieren lässt, muss insoweit „regelwidrig“ erscheinen, da der Ansatz beim Lebensverhältnis keine weitere Differenzierung zulässt und man sich deswegen zwangsläufig einer anderen Technik bedienen muss, etwa indem man die Anwendungsfrage „vom Gesetz her“ stellt256. Wenn wir beispielsweise als Gegenstand einer Kollisionsnorm ein tatsächliches vertragliches Verhältnis ansehen und dieses einer Rechtsordnung unterstellen, so kann anhand des beschriebenen Vorgehens nicht geklärt werden, warum wir den Vertrag invalidierende Eingriffsnormen einer anderen Rechtsordnung zur Anwendung bringen können, da das Lebensverhältnis als Anknüpfungsgegenstand bereits „verbraucht“ ist und dieses als Ganzes auch gar nicht noch einmal von dieser Rechtsordnung beurteilt werden soll, da ja nur einzelne Normen gegenüber dem regulären Statut durchgesetzt werden257; 253

Hierzu grundlegend Kegel, FS Raape, 13 (13-33); konturierend Schurig S. 78-89; vgl. auch Brüning S. 189-193. 254 So die systematisierende Einteilung von Kegel, FS Raape, 13 (13-19) und Schurig S. 78-83, die für die folgenden Ausführungen übernommen wird. Vgl. auch Brüning S. 189-193. 255 Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 (244 f.); ebenso Wolff S. 1, 2, 44; Ago, Rec. des Cours 58 (1936-IV), 243 (279 f.). 256 Außer Betracht bleiben kann hier die Möglichkeit der kumulativen Anknüpfung, da es insoweit darum ginge, das einheitliche Lebensverhältnis in seiner Gesamtheit mehreren Rechtsordnungen zu unterstellen, um ein bestimmtes materielles Ergebnis zu begünstigen. Die Eingriffsnormenproblematik zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass wir einzelne Normen gegenüber einem regulären Statut durchsetzen. 257 Theoretisch möglich erscheint indes, den tatsächlichen Lebenssachverhalt insoweit „aufzuteilen“, dass er nur den von einer oder auch mehreren Sachnormen beschriebenen Tatbestand umfasst. Dies mag Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 (245) andeuten, wenn er ausführt, das IPR könne bei Zugrundelegung des Lebensverhältnisses als Anknüpfungsgegenstand „seine Aufgabe technisch durch sehr mannigfaltige Bezugnahme auf alle die

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

insoweit müssen wir uns bei der Anwendung solcher Normen zwangsläufig außerhalb der so verstandenen „herkömmlichen“ IPR-Methodik bewegen. Gleiches gilt, wenn wir mit Savigny das Rechtsverhältnis258 zum Gegenstand einer Kollisionsnorm erheben, das eine durch objektive Normen geregelte tatsächliche Beziehung zwischen Personen untereinander oder zwischen Personen und Sachen darstellt und daher mit Kahn als „subjektive[s] Korrelat zu bestimmten Rechtsregeln im objektiven Sinne“ beschrieben werden kann259. Weist man einer Rechtsordnung ein solches Rechtsverhältnis zur Beurteilung zu, so lässt sich wiederum nicht erklären, warum wir Normen einer anderen Rechtsordnung zur Anwendung bringen, der wir das Rechtsverhältnis als Ganzes gar nicht zugeordnet haben – abermals bedürften wir eines abweichenden methodischen Ansatzes, der es uns ermöglichte, Normen zur Anwendung zu bringen, die in das von einer anderen Rechtsordnung zu beurteilende Rechtsverhältnis etwa mit einer Nichtigkeitsfolge „hineinregieren wollen“ und dieses somit rechtlich modifizieren. Differenzierter können wir vorgehen, wenn wir etwa mit Neuhaus und Kropholler (grundsätzlich260) die Rechtsfrage zum Gegenstand einer Kollisionsnorm erheben261. In einem solchen Falle sind wir in der Lage, einzelne Rechtsfragen unterschiedlichen Rechtsordnungen zur Beurteilung zuzuweisen, ohne uns eines methodischen Zweitsystems zu bedienen. Ein solcher Ansatz erklärt zwanglos die Existenz bestimmter Teilfragen, die Stadien bewerkstelligen, die zwischen den Tatsachen des Lebens und den fertigen Rechtsverhältnissen liegen, diese beiden Endpunkte inbegriffen“. Will man jedoch eine statutsunabhängige Anknüpfung einzelner Normen auf diese Weise erklären, so müsste dieser spezifizierte Teil des Sachverhaltes den Tatbestand der sonderanzuknüpfenden Norm erfüllen, also das subjektive Korrelat dieser Rechtsnorm darstellen. Zu dessen Bestimmung benötigten wir jedoch ebenfalls die in Frage stehende Rechtsnorm, da nur diese als „zweite Seite derselben Medaille“ Auskunft darüber geben kann, welchen tatsächlichen Sachverhalt (der wiederum den Gegenstand unserer Kollisionsnorm bilden müsste) sie regelt – ohne Berücksichtigung des konkreten Regelungsgehalts einer einzelnen Sachnorm ließe sich demnach eine so verstandene Anknüpfung nicht bewerkstelligen, so dass im Ergebnis kein Unterschied zu der hier vertretenen Ansicht (sub Kapitel 1 B.III.2.a)cc) (S. 59 ff.)) bestünde. 258 Savigny, System (Band 8), S. 1, insbesondere S. 28. 259 Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 23; hierzu Kapitel 1 B.III.2.a)bb) (S. 57). 260 Beide machen insoweit eine Ausnahme für Eingriffsnormen: Da die Rechtsanwendungsfrage hier „vom Gesetz her“ gestellt werden müsse, sei insoweit „stets eine Qualifikation von Normen erforderlich“, vgl. Neuhaus § 14 III (S. 121 f.); Kropholler § 15 II 4 b (S. 120 f.). 261 Neuhaus § 14 I 4 (S. 119 f.); Kropholler § 15 II 3 (S. 118 f.); ebenso bereits Zitelmann, IPR (Band 1), S. 205 (nähere Ausführungen S. 207-212); Lewald, JW 1932, 2253 (2253); ders., Rec. des Cours 69 (1939-III), 1 (10 f.).

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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ausdrücklich Rechtsfragen zum Gegenstand haben (etwa Art. 7, 11 EGBGB, die die Rechtsfragen nach der Rechtsfähigkeit und der Formwirksamkeit behandeln, welche jeweils von dem – insoweit undifferenzierten – jeweiligen Lebens- oder Rechtsverhältnisses umfasst sind). Dennoch kann auch die Rechtsfrage als Gegenstand einer Kollisionsnorm die Eingriffsnormenproblematik methodisch nicht bewältigen, da die von den einzelnen Eingriffsnormen vorgesehene Rechtsfolge regelmäßig von dem jeweiligen Statut umfasst ist. So unterfällt beispielsweise die Rechtsfrage der Nichtigkeit eines Vertrages gem. Art. 10 I Rom I dem Vertragsstatut, dennoch setzen wir bestimmte Eingriffsnormen mit jener Rechtsfolge auch gegenüber diesem Statut durch und könnten ein solches Vorgehen folglich allein mit einer abweichenden Methode bewerkstelligen262. Anders ist dies nur, wenn wir als Gegenstand der Kollisionsnormen die Sachnorm als solche ansehen263. Umfasst eine herkömmliche Kollisionsnorm als Anknüpfungsgegenstand Sachnormen, so haben wir die „technischen“ Voraussetzungen dafür geschaffen, einzelne besondere Sachnormen aus bestimmten Gründen aus der herkömmlichen Kollisionsnorm auszusondern und einer anderen Anknüpfung zu unterstellen. Wenn wir dies an unserem Beispiel veranschaulichen wollen, wären Gegenstand der vertraglichen Kollisionsnormen die einzelnen Sachnormen des Vertragsstatuts, also diejenigen Normen, die von den jeweiligen Kollisionsnormen im Ergebnis auch berufen werden und die somit von deren Reichweite umfasst sind. Hieraus könnten wir bestimmte Normen – aus noch näher zu präzisierenden Gründen – herausnehmen und einer eigenen Anknüpfung unterstellen, was als solches einen normalen Vorgang einer weiteren kollisionsrechtlichen Differenzierung darstellte. Ein methodischer Bruch läge hier nicht vor, da die Anknüpfung bestimmter Sachnormen als solche a priori nicht „regelwidrig“ wäre – dieser kann sich allenfalls aufgrund der inhaltlichen Kriterien ergeben, welche die Herausnahme bestimmter Normen aus dem regulären Statut veranlassen264.

262 Freilich wäre es – entsprechend dem in Fn. 257 Gesagten – ebenso theoretisch vorstellbar, nunmehr die (kollisionsrechtliche) Rechtsfrage so eng zu fassen, dass mit dieser einzelne, statutsunabhängig anzuknüpfende Normen beschrieben werden könnten. Aber auch hierfür benötigten wir wiederum die konkret in Frage stehende Rechtsnorm, weil sich nur anhand deren konkreten Regelungsgegenstands die insoweit passende Rechtsfrage formulieren ließe. Dann bestünde jedoch ebenfalls kein Unterschied zu der hier vertretenen Ansicht (sub Kapitel 1 B.III.2.a)cc) (S. 59 ff.)). 263 So insbesondere Neuner, RabelsZ 8 (1934), 81 (86, 118); Raape/Sturm S. 279 f.; Wengler, FS Wolff, 337 (356-359, 373 f.). 264 Hierzu Kapitel 1 B.III.3.c) (S. 86 f.).

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

bb) Sachnormen als Gegenstand des IPR Die entscheidende Frage ist somit, ob wir im Hinblick auf eine methodisch kohärente Behandlung der Eingriffsnormen Sachnormen als Gegenstand des IPR begreifen können. Dies mag zunächst Skepsis wecken – denn war es nicht Savignys großes Verdienst, nach Neuhaus sogar eine „kopernikanische Wende“265, den Ansatz der Statutentheorie „vom Gesetz“ zu überwinden und die Rechtsanwendungsfrage „vom Sachverhalt“ zu stellen? Gehen wir vom rein tatsächlich verstandenen, „vom Recht noch unberührte[n]“266 Lebensverhältnis aus, was ja durch die Fragestellung „vom Sachverhalt“ indiziert wird, so haben Kollisionsnormen und Sachnormen denselben Gegenstand. Während jedoch die Sachnorm selbst an eine (unter den Tatbestand subsumierte) Tatsache unmittelbare Rechtsfolgen knüpfen kann, folgt aus einer solchen niemals die Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung267. Vielmehr muss – worauf Kropholler hinweist – für die Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung „wenigstens von einer bestimmten Art materieller Rechtsfolgen die Rede sein“ 268. Kropholler nimmt zum Beispiel die Geburt eines Kindes: Hier knüpfen wir nicht an eine bestimmte Rechtsordnung an, sondern – abhängig vom jeweiligen rechtlichen Zusammenhang – etwa für dessen Rechtsfähigkeit an das Heimatrecht des Kindes (Art. 7 I EGBGB), für dessen Abstammung grundsätzlich an das Recht seines gewöhnlichen Aufenthaltes (Art. 19 I 1 EGBGB) usw.269, und gelangen folglich für verschiedene Rechtsfragen zu unterschiedlichen Rechtsordnungen. Zutreffende Erkenntnis dieser Ansicht ist natürlich, dass das Tatsächliche nicht nur den „Urstoff“270 für die Sachnormen, sondern auch für die Kollisionsnormen bildet – doch wir weisen nicht irgendeinen Lebenssachverhalt einer bestimmten Rechtsordnung zu, sondern – wie Schurig zu bedenken gibt – einen bereits rechtlich gefärbten271. Demnach kann das Lebensverhältnis allein nicht Gegenstand einer Kollisionsnorm sein. Näher am „Rechtlichen“ sind wir, wenn man mit Savigny ein Rechtsverhältnis als Gegenstand der Kollisionsnormen annimmt. 265

Neuhaus, RabelsZ 15 (1949/50), 363 (366); ders. § 10 II 4 a (S. 94). Von Bar/Mankowski § 7 Rn. 179. 267 Vgl. hierzu Kropholler § 15 II 2 (S. 117); bereits Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 93: „Aus Tatsachen allein lässt sich unmöglich ableiten, daß sie unter ein bestimmtes territoriales Recht zu subsumieren sind“. 268 Kropholler § 15 II 2 (S. 117); bereits Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 93. 269 Vgl. hierzu Kropholler § 15 II 2 (S. 118). 270 Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 (244); zitiert bei Kropholler § 15 II 2 (S. 117). 271 Schurig S. 83; ebenso von Bar/Mankowski § 7 Rn. 179: „Bloße Lebensverhältnisse ergeben nichts für die rechtsanwendungsrechtliche Entscheidung, denn sie müssen erst einer rechtlichen Kategorie zugeordnet werden“. 266

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Hier mag man sich die Frage stellen, ob Savigny von einem konkreten oder von einem abstrakten Rechtsverhältnis ausgegangen ist 272. Einem konkreten Rechtsverhältnis, dessen Sitz aufzusuchen sei, liegt die Vorstellung zugrunde, dass dieses etwas „allgemein Gültiges“ und „Internationales“ darstellt273, dem Staate vorgegeben und allenfalls in der konkreten Ausgestaltung in den einzelnen Rechtsordnungen verschieden wäre – eine Sichtweise, welche die von Vogel geäußerte „Vorstaatlichkeitsthese“ untermauern könnte 274 , der jedoch zumindest für die heutige Rechtswirklichkeit entscheidend zu widersprechen ist. Bereits Kahn hat in seiner Arbeit über „Gesetzeskollisionen“275 dargelegt, dass ein Rechtsverhältnis nicht nur konkret im Sinne einer dem Staat vorgegebenen zivilrechtlichen Rechtsbeziehung verstanden werden kann, sondern auch „als subjektives Korrelat zu bestimmten Rechtsregeln im objektiven Sinne“276, dessen Existenz – nicht nur die konkrete Erscheinungsform – von der jeweiligen anzuwendenden Rechtsordnung abhängig ist; eben ein „abstraktes“ Rechtsverhältnis, das sich konkret erst aus den Sachnormen der anzuwendenden Rechtsordnung ergibt (das konkrete Rechtsverhältnis ist damit zutreffend nach Kahn nicht als „Kriterium der Anknüpfung“, sondern nur „als Angeknüpftes“ denkbar)277. So gesehen ist die Frage nach dem Sitz des abstrakten Rechtsverhältnisses die Frage nach dem anwendbaren Recht auf das eventuell bestehende Rechtsverhältnis278, das einer Rechtsordnung zur Beurteilung zugewiesen wird.

Gehen wir von einem (konkreten oder abstrakten) Rechtsverhältnis aus, so kann sich dieses nur aus dem Zusammenspiel von Rechtsnormen und Sachverhalt ergeben – erst die erfolgreiche Subsumtion eines Sachverhaltes unter eine Rechtsnorm kann ein Rechtsverhältnis (etwa: A ist dem B zur Herausgabe der Sache verpflichtet) begründen. Ein Rechtsverhältnis – und denkt man sich dieses auch mit Kahn nur abstrakt im Hinblick auf die eventuell anwendbaren Normen – ist somit das Ergebnis der Anwendung 272

Hierzu Schurig S. 81 f.; Brüning S. 190 f. Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 48. 274 Vgl. hierzu Schurig S. 81; Brüning S. 190 f. Schurig S. 274 weist jedoch ebenfalls auf andere Deutungsmöglichkeiten hin. 275 Kahn, Gesetzeskollisionen, insbesondere S. 23, 48, 93 ff. 276 Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 23. 277 Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 93. Nimmt man ein abstraktes Rechtsverhältnis zum Ausgangspunkt, so läuft auch der gegen Savigny etwa von C. L. von Bar, IPR (Band 1), S. 107, Zitelmann, IPR (Band 1), S. 123, Kegel, FS Raape, 13 (22) und in neuerer Zeit von Kropholler § 15 II 1 (S. 117) ins Felde geführte Vorwurf eines Zirkelschlusses leer, ein (konkretes) Rechtsverhältnis könne nicht Anknüpfungsgegenstand einer Kollisionsnorm sein, da erst nach Anwendung der Sachnormen als Rechtsfolge der Kollisionsnorm dessen Existenz feststehe – wenn es sich um ein abstraktes Rechtsverhältnis im Sinne Kahns handelt, besteht das konkrete erst nach Anwendung der jeweiligen Sachnormen; vgl. hierzu Schurig S. 80 ff.; Brüning S. 190 f.; bereits Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 93; anders Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 (244). 278 Schurig S. 82, wenngleich er meint, dass das abstrakte Rechtsverhältnis nahe an die Sachnorm als Gegenstand des IPR heranrückt. Aber gerade weil Kahn weiterhin von einem – wenn auch abstrakten – Rechtsverhältnis ausgeht, wird doch deutlich, dass der tatsächliche Lebenssachverhalt stets mitgedacht wird, da dieser ja notwendige Voraussetzung für das Entstehen subjektiver Rechte als subjektives Korrelat objektiver Rechtsregeln darstellt, mögen diese in concreto erst noch aufzufinden sein. 273

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

bestimmter tatbestandlich einschlägiger Sachnormen. Der Anknüpfungsgegenstand „Rechtsverhältnis“ setzt sich somit bei Lichte betrachtet zusammen aus Sachnormen und dem in Frage stehenden Lebensverhältnis, umfasst demgemäß beides279. So gesehen beschreibt das Rechtsverhältnis als Ergebnis der Anwendung bestimmter Sachnormen alleine die Reichweite der jeweiligen Kollisionsnorm, die danach eben alle von ihrem Tatbestand einschlägigen Sachnormen einer Rechtsordnung umfasst. Ähnlich verhält es sich mit derjenigen Ansicht, welche die Rechtsfrage zum Gegenstand einer Kollisionsnorm erhebt. Wenn wir eine solche einer Rechtsordnung zur Entscheidung zuweisen, so soll anhand der jeweiligen Sachnormen dieser Rechtsordnung der fragliche Lebenssachverhalt gelöst werden. Eine Rechtsfrage umfasst somit wiederum zwei Komponenten: zum einen objektive Sachnormen, anhand derer eine materielle Entscheidung ergehen kann, und zum anderen ein tatsächliches Komplement, das diese Rechtsfolge in casu auslöst, so dass auch der Gegenstand der Rechtsfrage sowohl Sachnormen als auch ein Lebensverhältnis umfasst280. Sie ist insoweit nur enger und damit präziser gefasst als das von Savigny proklamierte Rechtsverhältnis (das sich erst aus der Klärung einzelner, regelmäßig mehrerer Rechtsfragen ergibt), da a priori nur diejenigen Normen einer Rechtsordnung berufen werden, welche die bestimmte Rechtsfrage beantworten (und nicht diejenigen, die das ganze Rechtsverhältnis begründen könnten). Nehmen wir allerdings nur die einzelnen Sachnormen zum Gegenstand, so bleibt offen, warum wir überhaupt eine Kollisionsnorm für einschlägig betrachten. Im Regelfall steht nicht die Anwendung einer bestimmten Sachnorm in Frage, sondern die Beurteilung eines bestimmten Lebenssachverhaltes 281. Anlass der kollisionsrechtlichen Prüfung ist damit der konkrete Sachverhalt, der etwa erbrechtliche Fragen aufwirft, so dass wir Art. 25 EGBGB als Grundlage für unsere kollisionsrechtliche Entscheidung identifizieren können. Wir benötigen insoweit zumindest auch einen tatsächlichen Lebenssachverhalt, um die kollisionsrechtliche Frage anhand der „richtigen“ Kollisionsnorm überhaupt stellen zu können282. 279

Ebenso Kegels Einschätzung des Savignyschen Ansatzes, vgl. Kegel, FS Raape, 13 (16 f.). 280 Ebenso Schurig S. 83; anders wohl Kegel, FS Raape, 13 (17; die Rechtsfrage als Gegenstand der Kollisionsnorm daher ablehnend 22 f.). 281 Vgl. auch Kegel, FS Raape, 13 (25). 282 Letztlich wird dies auch von denjenigen anerkannt, die ausschließlich Sachnormen zum Gegenstand des IPR erheben. So kann auch Neuner, RabelsZ 8 (1934), 81 (83) bei der Suche nach einer einschlägigen Kollisionsnorm nicht völlig auf ein tatsächliches Element verzichten, da er hierfür vom „erhobene[n] prozessuale[n] (!) Anspruch“ ausgeht, der freilich auch den Lebenssachverhalt enthält; ausführliche Darstellung und Kritik an Neuners Ansatz bei Kegel, FS Raape, 13 (18, 24 f.) und Schurig S. 80.

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cc) Zusammenfassende Stellungnahme Die Antipoden Lebensverhältnis oder Sachnorm als alleiniger Gegenstand des IPR können nicht überzeugen, da – wie es Kegel formuliert – Recht und Leben keine Gegensätze darstellen283; unsere Kollisionsnormen suchen nicht irgendwelche Sachnormen als Entscheidungsgrundlage auf, sondern nur diejenigen, die in casu aufgrund der konkreten Fallumstände auch sachlich einschlägig sind. Das Lebensverhältnis allein eignet sich nach den vorherigen Ausführungen nicht als Anknüpfungsgegenstand, da eine Kollisionsnorm regelmäßig nicht an reine Tatsachen anknüpft, sondern allenfalls bereits an „rechtlich gefärbte“284 (etwa „Rechtsnachfolge von Todes wegen“, Art. 25 EGBGB), so dass dieses in Beziehung zu objektiven Rechtsregeln gesetzt werden muss, will man die Anknüpfungsfrage beantworten. Gleiches gilt für den alleinigen Anknüpfungsgegenstand „Sachnorm“: Wir könnten nicht schlüssig begründen, warum wir eine bestimmte Kollisionsnorm zur Anwendung bringen, wenn wir vollständig auf ein tatsächliches Element verzichten. Richtigerweise ist daher davon auszugehen, dass sich der Gegenstand einer Kollisionsnorm sowohl aus dem tatsächlichen Lebensverhältnis als auch aus Sachnormen zusammensetzt285. Ob nun der Anknüpfungsgegenstand das Rechtsverhältnis, die Rechtsfrage oder die einzelne Sachnorm umfasst, ist – wie bereits erwähnt – allein eine Frage nach dessen Reichweite (also danach, welche Sachnormen von dem Anknüpfungsgegenstand erfasst werden), die in einem weiteren Schritt zu prüfen bleibt286 – der „doppelte“ Anknüpfungsgegenstand muss insoweit jedoch nicht in Frage gestellt werden. Dieses Ergebnis kann mit Schurigs – wie er es nennt – „empirischer“ Untersuchung zur Funktion einer kollisionsrechtlichen Verweisung veranschaulicht werden287. Ausgangspunkt seiner Überlegung ist die Erkenntnis, dass jede Norm etwas unter ganz bestimmten Voraussetzungen bewirkt; das für die Anwendung der Norm „Voraus-Gesetzte“ gehört zu deren Tatbestand, das „Bewirkte“ – also das, was durch die Anwendung der konkreten Norm erst „geschaffen“ wird288 – zu deren Rechtsfolge289. Bewirkt wird von einer Kollisionsnorm konkret die Anwendung einer fremden 283

Kegel (7. Auflage) § 6 III (S. 238). Schurig, vgl. Fn. 271. 285 Ebenso Kegel (7. Auflage) § 6 III (S. 236-238); ders., FS Raape, 13 ff. (Ergebnis S. 27); ders., GS Ehrenzweig, 51 (70); Schurig S. 83-88; von Bar/Mankowski § 7 Rn. 179; Brüning S. 192 f. 286 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.3.b) (S. 85 f.), Kapitel 1 B.III.3.c) (S. 86 f.) und Kapitel 1 B.IV.2 (S. 88 ff.). 287 Schurig S. 84-88; Kegel/Schurig § 6 II 1 (S. 311 f.); ihm folgend Brüning S. 192. 288 Schurig S. 85 (Hervorhebung im Original). 289 Schurig S. 84 (Hervorhebung im Original); in Anlehnung an die Überlegungen von Kegel, FS Raape, 13 (19-22). 284

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

Rechtsordnung, so dass dies die Rechtsfolge darstellt – zum Tatbestand einer Kollisionsnorm lassen sich demnach all diejenigen Elemente zählen, die conditio sine qua non für den Eintritt dieser Rechtsfolge sind 290 . Schurig führt u.a. das Beispiel an, dass ein Deutscher von einem Franzosen schuldhaft in Frankreich verletzt wird. Damit wir zu der Rechtsfolge „Anwendung französischen Rechts“ gelangen, müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein. Im Hinblick auf den Anknüpfungsgegenstand benötigen wir zum einen einen „zivilrechtliche[n] Sachverhalt“291 (in casu: „Unfall“), der uns ermöglicht, die im vorliegenden Fall einschlägige Kollisionsnorm aufzufinden, zum anderen auch die Existenz einer Sachnorm292, die wir anwenden können (in casu: „französische Deliktsnormen“). Die Sachnorm selbst kann – wie Schurig ausführt – nicht erst zur Rechtsfolge einer Kollisionsnorm gehören, „denn dies bedeutete“, dass die Sachnorm durch eine Kollisionsnorm „praktisch erst ‚geschaffen’ würde“, was aber nicht der Fall ist – eine Sachnorm wird „nur vorgefunden und ausgewählt“293. Diese Dialektik von tatsächlichen und rechtlichen Elementen setzt sich auch beim Anknüpfungsmoment fort, welches im Rahmen von Art. 4 I Rom II den Erfolgsort darstellt: Damit wir in Schurigs Beispiel zur Anwendung französischen Rechts gelangen, muss dieser in Frankreich liegen (tatsächliches Element) und die anzuwendende Norm muss in Frankreich gelten (rechtliches Element)294. Somit besteht der Tatbestand einer Kollisionsnorm nach Schurig im Anschluss an Kegel aus folgenden vier Elementen, welche die Voraussetzung für die Anwendung einer Rechtsordnung als Rechtsfolge bilden: „1. ein materiellrechtlicher Sachverhalt mit 2. einem Anknüpfungsmoment zu einem bestimmten Rechtsgebiet, 3. ein Sachrechtssatz (der auch ein Negativsatz sein kann), dessen Tatbestand durch den Sachverhalt (zu 1) erfüllt wird (der also ‚sachlich’ anwendbar wäre)295 290

Schurig S. 84 f. Schurig S. 85 f. 292 Schurig S. 86; diese kann auch in einer entsprechenden Nichtregelung („Negativnorm“) liegen, Schurig a.a.O. (vgl. hierzu Fn. 295). 293 Schurig S. 85. 294 Schurig S. 86. 295 Entscheidend hierfür ist, dass der in Frage stehende Sachverhalt in den sachlichen Regelungsbereich einer Sachnorm fällt, nicht jedoch, ob er konkret unter die positiven Tatbestandsmerkmale der Norm subsumierbar ist und daher die von dieser Norm vorgesehene Rechtsfolge auslöst; so zumindest der Sache nach Schurig S. 86 f.; Kegel/Schurig § 6 II 1 (S. 312). Verweisen wir etwa im Falle einer deliktischen Haftung für Vermögensschäden auf deutsches Recht, wenden wir § 823 I BGB dennoch an, obwohl in casu (mangels geschützten Rechtsguts) kein Anspruch gewährt wird – denn auch diese Sachverhaltskonstellation fällt in den sachlichen Regelungsbereich des § 823 I BGB, der hierfür schlicht den (negativen) Regelungsgehalt vorsieht, in diesen Fällen eben keinen Anspruch zu gewähren. Schurig S. 86 spricht insoweit von einer „Negativnorm“, die jedoch – und das wird durch diese Terminologie nicht ganz deutlich – innerhalb des 291

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mit 4. einem Anknüpfungsmoment, nämlich der ‚Geltung’ in dem Rechtsgebiet (zu 2)“296. dd) Folgerungen für die Ausgangsfrage Aus dem eben skizzierten Tatbestand einer Kollisionsnorm können wir mit Schurig weitreichende Schlüsse ziehen: Denn wenn sowohl der Sachverhalt als auch Sachnormen den Anknüpfungsgegenstand einer Kollisionsnorm bilden und auch das Anknüpfungsmoment sowohl aus einem tatsächlichen wie aus einem rechtlichen Element besteht, „kann es keinen Unterschied machen“, ob wir die Rechtsanwendungsfrage im Rahmen einer kodifizierten Kollisionsnorm „vom Sachverhalt her“ oder „vom Gesetz her“ stellen – es sind „zwei Seiten ein und derselben Frage“297. Greifen wir etwa das obige Beispiel auf, so besteht kein Unterschied, ob man „vom Sachverhalt her“ danach fragt, welches Recht auf einen Unfall in Frankreich anwendbar ist (Antwort: französisches Deliktsrecht), oder wenn man „vom Gesetz her“ fragt, wann französisches Deliktsrecht anwendbar ist (Antwort: wenn sich ein Unfall in Frankreich ereignet). Ein tiefgreifender Unterschied in der kollisionsrechtlichen Methodik, wie er von Neuhaus und Kropholler in der unterschiedlichen Fragestellung gesehen wird, kann somit nicht festgestellt werden298. Zu Recht wird darauf hingewiesen299, dass Savigny selbst in seiner geänderten Fragestellung keinesfalls einen Paradigmenwechsel sah. So schreibt dieser, dass „beide Arten, die Frage aufzufassen, [...] nur im Ausgangspunkt verschieden“ sind; „die Frage selbst ist hier und dort dieselbe, und die Entscheidung kann in beiden Fällen nicht verschieden ausfallen“300.

Für unsere Ausgangsfrage bedeutet der „doppelte“ Anknüpfungsgegenstand, dass das IPR methodisch durchaus das „Rüstzeug“ parat hat, eine separate Anknüpfung einzelner Normen vorzunehmen, ohne dass wir mit sachlichen Regelungsbereichs von § 823 I BGB zu verorten ist, so dass die fragliche Sachverhaltskonstellation ebenfalls – zumindest in einem erweiterten Sinn – unter § 823 I BGB subsumierbar ist. Besser spricht man in diesen Fällen daher von dem negativen Regelungsgehalt einer Sachnorm, der durch eine Kollisionsnorm stets „mitberufen“ wird. 296 Schurig S. 87 (Hervorhebung im Original, Fußnote eingefügt); ebenso Kegel (7. Auflage) § 6 III (S. 237); bereits ders., FS Raape, 13 (27); auch Brüning S. 193. 297 Schurig S. 89 (Hervorhebung im Original); Mäsch S. 146; im Ergebnis ebenso Voser S. 103 f.; Benzenberg S. 44; letzteres bereits Savigny, System (Band 8), S. 3 (hierzu sogleich) und Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 94: „Das eine ist genau dasselbe wie das andere“. 298 Zur Bedeutung des unterschiedlichen Ansatzes sub Kapitel 1 B.IV.4 (S. 99). 299 Kegel, FS Raape, 13 (14 ff., 16); Schurig S. 89 f.; Hohloch S. 237; Brüning S. 172 f.; Mäsch S. 144 f.; Fetsch S. 39; Voser S. 12 f.; bereits Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 94 f.; kritisch hierzu Neuhaus, RabelsZ 46 (1982), 4 (8 f.). 300 Savigny, System (Band 8), S. 3.

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der herkömmlichen IPR-Methodik in Konflikt geraten und uns a priori in ein kollisionsrechtliches Zweitsystem retten müssen. Der methodische Bruch kann sich daher allenfalls aus den Gründen ergeben, anhand derer wir solche Normen aus dem regulären Kollisionsrecht aussondern und einer besonderen Kollisionsnorm unterstellen301 – nicht jedoch aus der Anknüpfung bestimmter Sachnormen als solcher (also der Anknüpfungstechnik). b) IPR als wertneutrales Zuordnungsrecht? Der zweite Hinderungsgrund, Eingriffsnormen innerhalb des herkömmlichen IPR-Systems zu verorten, ergibt sich daraus, dass diesem die Fähigkeit abgesprochen wird, bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung den den Sachnormen zugrunde liegenden materiellen Normzwecken Rechnung zu tragen302. Man meint daher, diesen nur über ein besonderes kollisionsrechtliches Zweitsystem zum Durchbruch verhelfen zu können 303 – da ein solches Zweitsystem jedoch das herkömmliche IPR ad absurdum führen könnte304, folgert man hieraus allenfalls eine restriktive Durchsetzung von Eingriffsnormen, so dass allein ganz „wichtige“ Bestimmungen sonderanzuknüpfen sind305. Dies führt uns zu der Frage, inwieweit das herkömmliche IPR bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts tatsächlich eine wertneutrale „Elfenbeinturmbetrachtung“ an den Tag legt und zugunsten der Verwirklichung seines eigenen Gerechtigkeitsideals materielle Belange ausblendet. Hierfür bedarf es einiger grundlegender Gedanken. aa) Der Grund für ein mehrseitiges IPR Wie bereits festgestellt wurde, ist die Existenz des Kollisionsrechts als solches notwendige Folge der Anerkennung ausländischen Rechts als „Recht“: Auch wenn ein Staat stets seine lex fori anwenden sollte, findet 301

Hierzu sub Kapitel 1 B.III.3.c) (S. 86 f.). Das IPR sei ein „wertneutrales, technisches Zuordnungsrecht“ (Juenger S. 8), ein „sachrechtneutrales Ordnungssystem“ (Junker, IPRax 1998, 65 (66)), usw.; vgl. hierzu die Vorwürfe der „politischen Schule“ sub Kapitel 1 B.III.2 (S. 51 f.). 303 Deutlich Keller, FS Vischer, 175 (180): „Mit der Berücksichtigung des Zwecks des materiellen Rechts wird die klassische kollisionsrechtliche Methode im Sinne von Kegel verlassen, da sie bei der Wertung der für die Normbildung relevanten Interessen materiellrechtliche Aspekte nicht einbezieht“. Die Änderung der Methode dränge sich daher (im Bereich des sozialen Vertragsrechts) „geradezu auf“ (mit Verweis auf Rehbinder als Vertreter der „politischen Schule“, hierzu sub Kapitel 1 B.III.2 (S. 51 f.)). 304 Insbesondere dann, wenn man das schlichte Vorhandensein „auch öffentlicher Normzwecke“ für die Annahmen einer Sonderanknüpfung als ausreichend betrachtet, vgl. sub Kapitel 1 B.II.2.c)aa) (S. 23 ff.). 305 Vgl. etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 508; deutlich auch ders., Einfach und international zwingende Normen, 167 (171 f.); MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 4. 302

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die Anwendung dieser Normen vor dem Hintergrund konkurrierender ausländischer Rechtsordnungen statt und stellt damit analytisch betrachtet stets eine kollisionsrechtliche Entscheidung zugunsten der angewandten Normen dar, sollte diese möglicherweise auch unbewusst erfolgen306. Die entscheidende Frage ist daher, warum wir überhaupt ausländisches Recht zur Anwendung bringen sollten. Selbst wenn ein Staat den von Schurig so genannten „juristischen Solipsismus“ 307 überwindet und bereit ist, auch fremde Rechtsordnungen als „Recht“ anzuerkennen, so dürfte seine Rechtsordnung doch stets mit dem Anspruch antreten, die materiell „beste“ und „gerechteste“ zu sein. Vor diesem Hintergrund erscheint es um die Anwendung von fremdem Recht schlecht bestellt, da dieses den Vergleich mit der lex fori bestehen muss. Dass wir – und praktisch auch sonst jeder Staat auf der Welt – unter bestimmten Voraussetzungen dennoch fremdes Recht anwenden, muss daher einen Grund haben. Lange Zeit wurde angenommen, dass die Ausgestaltung des IPR a priori vorgegeben und jener Grund daher heteronomer Natur sei – ein Gedanke, der die angebliche „Sachrechtsneutralität“ des IPR maßgeblich begründet hat. Bereits die Statutentheorie baute auf einem solchen Fundament, solange deren Rechtsquelle im ius commune gesehen wurde308. Bedeutender war jedoch die Ansicht der insbesondere im romanischen Rechtskreis vorherrschenden internationalistischen Schule, die An- oder Nichtanwendung fremden Rechts könne in die Souveränität309 des jeweiligen Staates eingreifen, so dass die Ausgestaltung des IPR notwendigerweise völkerrechtlichen Geboten zu unterliegen habe. Dem IPR müsse es daher darum gehen, die legislativen Kompetenzbereiche der einzelnen Staaten abzugrenzen, also den Zuständigkeitsbereich zu bestimmen, den jeder Staat mit materieller Gesetzgebung wahrnehmen kann310. Kein Staat könne „mehr Macht gegen306

Vgl. Kapitel 1 B.I (S. 6 f.), insbesondere Fn. 3. Schurig S. 52, vgl. hierzu Fn. 4. 308 Zur lex cunctos populos als Rechtsgrundlage etwa Kegel/Schurig § 3 III 1 (S. 167 f.); von Bar/Mankowski § 6 Rn. 8. 309 Dass Souveränitätsgedanken im Rahmen des internationalen Kollisionsrechts eine Rolle spielten, wurde bereits von der niederländischen Schule in die kollisionsrechtliche Wissenschaft eingebracht, wenngleich der bekannte comitas-Gedanke gerade dazu diente, der im ius commune wurzelnden Statutentheorie (lex cunctos populos) durch Betonung der staatlichen Souveränität die Grundlage zu entziehen. Sie trug bereits die Anlage für ein autonomes, nicht in axiomatischen Vorgaben verhaftetes Kollisionsrecht in sich, da es sich bei der Anwendung fremden Rechts nur um ein „freundliches Entgegenkommen“, keinesfalls jedoch um eine Pflicht handelte. Vgl. hierzu von Bar/Mankowski § 6 Rn. 30. 310 Vgl. etwa C. L. von Bar, IPR (Band 1), S. 1: „das internationale Privatrecht bestimmt die Competenz der Gesetzgebung der einzelnen Staaten für die privaten Rechtsverhältnisse“; Zitelmann, IPR (Band 1), S. 122-124; ähnlich Frankenstein, IPR (Band 1), S. 31 f. (wenngleich er seine Vorstellungen nicht völkerrechtlich begründet, zum Unter307

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

über anderen Staaten in Anspruch nehmen, als er jenen selbst zuerkennt“311, schreibt etwa Zitelmann als deutscher Vertreter dieser internationalistischen Schule312 und meint, dass sich das ganze kollisionsrechtliche Problem löse, wenn man den staatlichen Herrschaftsbereich anhand der Personal- und Gebietshoheit bestimmt und abgegrenzt habe313. Eine solche Sichtweise muss für die heutige Rechtswirklichkeit als überholt betrachtet werden. Abgesehen davon, dass ein auf Personalität und Territorialität aufbauendes kollisionsrechtliches System der Kritik ausgesetzt ist, mit der Wächter bereits die Statutentheorie314 zum Einsturz gebracht hat315, kann ein völkerrechtliches System auch rechtstheoretisch nicht überzeugen, da es zum einen keine völkerrechtliche Grundlage gibt, die ein ganzes kollisionsrechtliches System tragen könnte316, zum anderen die Ausgangsprämisschied zu Zitelmann a.a.O. S. 32 Fn. 1); auch Wolff S. 9 („allstaatlich gemeinsame[] Kompetenzverteilung“; jedoch ebenfalls ohne völkerrechtliche Notwendigkeit (S. 8), sondern resultierend aus dem „Gedanken der Gemeinschaft der Völker“); aus neuerer Zeit insbesondere Bleckmann, Die völkerrechtlichen Grundlagen, S. 38: Bei dem nationalen IPR handelt es sich „nur um eine Konkretisierung der Zuständigkeitsregeln des Völkerrechts“; insoweit nimmt der nationale Gesetzgeber „doppelfunktionell als Organ und Sachwalter Aufgaben der Völkerrechtsgemeinschaft wahr“; näher insbesondere S. 41-47, S. 59-62. 311 Zitelmann, IPR (Band 1), S. 79. 312 Diese wurde überwiegend im romanischen Rechtskreis vertreten, fand aber auch in Deutschland mit C. L. von Bar, Zitelmann und Frankenstein ihre Anhänger. Zu der internationalistischen Schule etwa Schurig S. 121 ff.; von Bar/Mankowski § 3 Rn. 5 ff. 313 Zitelmann, IPR (Band 1), S. 119-122 (Ergebnis), S. 122; siehe hierzu von Bar/Mankowski § 3 Rn. 5; ähnlich auch Frankenstein, IPR (Band 1), S. 34. 314 Die inhaltliche Ausgestaltung der völkerrechtlichen Ansätze entsprachen der Dreiteilung der alten Statutentheorie, so dass man mit Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 194 den internationalistischen Ansatz zu Recht als „neue Statutentheorie“ bezeichnen kann. 315 Wächter, AcP 24 (1841), 230 (286): „daß ihre Hauptgrundsätze, auf welchen sie beruht, nicht für alle Fälle ausreichen, und daß sie unbestimmt, vieldeutig, unsicher und schwankend sind, daß sie, wenn man es mit jedem genau nehmen wollte, zum Theil einander gerade zu feindlich entgegenstehen und nur durch eine durchgreifende Willkür in Vereinigung gebracht werden könnten“. 316 Das RG stellte bereits fest, dass Zitelmann als ein Vertreter dieses völkerrechtlichen IPR „eine völkerrechtlich sichere Abgrenzung des Machtbereiches der Staaten in der vielfachen Verschlungenheit von Personal- und Gebietshoheit gegeneinander (unterstelle), von der das heutige Völkerrecht noch weit entfernt ist“, vgl. RGZ 95, 164 (165). Auch Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 274 bemerkte: „Denn was ist das völkerrechtliche Internationale Privatrecht jener Schule? Ein Völkerrecht, das nie und nirgends geübt oder anerkannt, das immer und überall missachtet und übertreten ist, und das alledem zum Trotz doch bestehen muß, weil es den Theoretikern nach allgemeinen Grundsätzen als das Richtige, als das Naturnotwendige erscheint“. Von Bar/Mankowski § 3 Rn. 6 Fn. 30 bezeichnen dieses völkerrechtliche IPR als erstaunlich, da es „mit aller Selbstverständlichkeit die nicht mit dem Personalitäts-

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se, die An- oder Nichtanwendung fremden Rechts könne zu einer Souveränitätsverletzung führen, fehlgeht. Eine solche Ansicht wäre nur haltbar, wenn der Norminhalt nicht von dem jeweiligen nationalen Geltungsbefehl getrennt werden könnte – und diese Ansicht ist falsch317. Wenn ein Staat fremdes Recht anwendet, dann usurpiert er keinesfalls ausländische Legislativgewalt, sondern macht sich ausschließlich den materiellen Regelungsgehalt einer fremden Norm zu eigen, indem er das rationale Element einer in einem anderen Staat geltenden Norm mit einem eigenen imperativen, also hoheitlichen Befehl versieht 318 . Diesen hoheitlichen Befehl kann er natürlich nur im Rahmen seiner Souveränität erteilen – was dann aber wiederum bedeutet, dass er die Souveränität des anderen Staates nicht verletzen kann319. Wenn wir axiomatischen Vorgaben aus dem Völkerrecht im internationalen Kollisionsrecht eine Absage erteilen und damit feststellen können, dass der Kollisionsrechtsgesetzgeber bei der Schaffung seines Kollisionsrechts grundsätzlich320 frei, also autonom ist, so bleibt die Frage bestehen, warum nationales ausländischem Recht weichen sollte. Kegel gibt hierauf eine pointierte Antwort: „Das Beste taugt nicht für alle. Sonst müsste man stets das eigene Recht anwenden“321. Damit ist treffend das Grundbedürfnis einer Rechtsordnung beschrieben, überhaupt fremdes Recht zur Anwendung zu bringen. Es ist die Erkenntnis, dass der Gerechtigkeitsgehalt jeder Rechtsordnung räumlich beschränkt, nur auf die je-

prinzip arbeitenden Rechtsordnungen – und das ist die Mehrzahl! – schlicht aus dem Kreis der völkerrechtmäßig sich verhaltenden Staaten verbannte“. Daneben müsste man sich fragen, wie völkerrechtliche Vorgaben – sollten sie denn bestehen – Teil der jeweiligen nationalen Rechtsordnung werden können. Nach dem in Deutschland herrschenden und im Grundgesetz verankerten dualistischen Völkerrechtsmodell bedarf Völkerrecht stets der innerstaatlichen Umsetzung, um Rechtsverbindlichkeit zu erlangen (freilich mit Ausnahme der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts, Art. 25 GG, die jedoch grundsätzlich einer – bislang noch nicht ergangenen – Entscheidung des BVerfG bedürfen, Art. 100 II GG). 317 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 6, jedoch mit anderer Begründung (Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft, vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.1.a) (S. 41 ff.)). 318 Schurig S. 54, 70-72, 91 Fn. 188 (der die Terminologie des rationalen und imperativen Elements von Batiffol übernimmt, vgl. Schurig S. 70 Fn. 95 m.N.). 319 Ebenso Anderegg S. 70. Pointiert weist Schurig S. 289 darauf hin, dass kein Staat hinsichtlich seiner Rechtsordnung „Urheberschutz“ genießt, so dass auch eine Totalrezeption ausländischen Rechts keinesfalls die Souveränität des diese Rechtsordnung erlassenden Staates verletzen könnte. 320 Das Völkerrecht mag dem IPR gewisse Vorgaben machen, beispielsweise die grundsätzliche Anerkennung fremder Rechtsordnung im Sinne der Rechtsidee (vgl. Fn. 4), jedoch tragen diese kein vollständiges kollisionsrechtliches System. 321 Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (68); kritisch hierzu von Bar/Mankowski § 4 Rn. 4 Fn. 8.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

weilige Rechtsgemeinschaft bezogen ist322. Wenn ein Gesetzgeber materielles Recht erlässt, so geht er im Regelfall von den sozialen, ökonomischen und kulturellen Besonderheiten der eigenen Rechtsgemeinschaft aus und führt den in Frage stehenden sozialen Konflikt auf dieser Grundlage einer „gerechten“ Lösung zu. Hinzu kommt die soziale Dimension des Rechts, das nicht nur – wie Kegel und Schurig hervorheben – „von außen an das Leben herangetragen“ wird, sondern „mit dem Leben in Wechselwirkung“ steht: „nach ihm wird in einer Gemeinschaft gelebt. Recht ist das, wonach man sich richtet oder – bei Ungehorsam – gerichtet wird“323. Dem positiven Recht ist daher eine Selbstbeschränkung immanent, die es ungeeignet werden lässt, zumindest jegliche Fälle mit Auslandsbezug „gerecht“ zu würdigen, da diesem – wenn man so will – die „Geschäftsgrundlage“ fehlen kann324. Wenn etwa ein deutsches Gericht über die Wirksamkeit einer im Iran zwischen zwei Iranern geschlossenen Ehe zu befinden hätte, wäre es schlicht „ungerecht“, den Sachverhalt anhand der lex fori zu beurteilen und die Unwirksamkeit der Ehe mangels Beteiligung eines Standesbeamten anzunehmen, obwohl es einen solchen im Iran nicht gibt. Sofern ein nationales Gericht über einen solchen Sachverhalt zu befinden hat, entsteht demnach aufgrund des relativen Gerechtigkeitsgehalts der lex fori ein „Gerechtigkeitsdefizit“, welches im Hinblick auf eine „gerechte“ – und durch die Zuständigkeitsregeln notwendig gewordene325 – Entschei322

MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 1; Looschelders, Anpassung, S. 85, ders., IPR, Übersicht Rn. 17; Kropholler § 4 I (S. 24). 323 Kegel/Schurig § 2 I (S. 131); vertiefend zur sozialen Dimension des Rechts Larenz S. 174: „Das Recht ist die jeweils in einer bestimmten Rechtsgemeinschaft als verbindlich gewußte Ordnung menschlichen Zusammenlebens unter der Anforderung der Gerechtigkeit“; „es ist eine im Dasein verwirklichte, von den Menschen im Bewußtsein ihrer Verbindlichkeit ständig eingehaltene und dadurch sich erhaltende ‚Lebensordnung’ – ein ‚Sein’, das die Bedeutung eines ‚Gesollten’ hat“. 324 Die lex fori ist nicht durchweg ungeeignet, Sachverhalte mit Auslandsbezug zu beurteilen. Besteht etwa der einzige Auslandsbezug eines ansonsten nur Beziehungen mit Deutschland aufweisenden Sachverhalts darin, dass der Gegenstand eines Kaufvertrages in einem ausländischen Staat hergestellt wurde (etwa Kauf eines Champagners in Deutschland), vermag das deutsche Recht den sozialen Konflikt durchaus „gerecht“ lösen. Die entscheidende Frage – die jedoch bereits die Ausgestaltung des IPR, nicht aber den Grund für den gesetzgeberischen Handlungsbedarf betrifft – ist damit, in welchen Fällen ein relevanter Auslandsbezug gegeben ist, welcher die lex fori als Beurteilungsgrundlage unangemessen werden lässt. Diese lässt sich allerdings nur in den seltensten Fällen abstrakt anhand faktischer Umstände beantworten, so dass es hierfür regelmäßig einer wertenden, also rechtspolitischen Entscheidung des IPR-Gesetzgebers bedarf (näher hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)bb) (S. 68 ff.)), welche dieser mit der Kodifikation bestimmter Anknüpfungsmomente für bestimmte Anknüpfungsgegenstände trifft. 325 Insoweit besteht ein Zusammenhang zwischen internationaler Zuständigkeit und der Notwendigkeit für ein IPR: Nur dann, wenn deutsche Gerichte für die Beurteilung eines Sachverhalts mit relevantem (vgl. Fn. 324) Auslandsbezug zuständig sind, muss

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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dung des Gerichtes ausgeglichen werden muss326. Wie dies erfolgen soll, ist zumindest im Ausgangspunkt offen. Vorstellbar wäre etwa die Ausbildung materiellen Sonderrechts für Auslandssachverhalte327. Allerdings ist die Leistungsfähigkeit eines solchen Systems beschränkt und es würde angesichts der heute denkbaren Fälle den Rahmen dessen sprengen, was eine Kodifikation zu leisten im Stande ist328. Eine solche Lösung scheidet daher aus, es bedarf ihrer auch nicht: Denn sobald ein Staat den „juristischen Solipsismus“ überwindet und erkennt, dass jenseits seiner Grenzen auch „Recht“ existiert, eröffnet sich die Möglichkeit, auf Regelungen zuzugreifen, die den jeweiligen sozialen und kulturellen Gegebenheiten angemessen sind. Es bedarf somit nur noch eines Systems, das in der Lage ist, zu bestimmen, welche der zahlreichen Rechtsordnungen die für die Beurteilung des jeweiligen Sachverhalts angemessene ist. Ein mehrseitiges Kollisionsrecht ist demnach zunächst eine „praktische Notwendigkeit“329, die aus der Unzulänglichkeit der eigenen Rechtsordnung resultiert, einen Auslandssachverhalt stets einer „gerechten“ Lösung zuzuführen.

auch eine „gerechte“ Entscheidung in der Sache ergehen, die nach dem soeben Gesagten eben nicht anhand der jeweiligen lex fori getroffen werden kann. Erst durch eine entsprechende Ausgestaltung der internationalen Zuständigkeit wird somit das Problem der Relativität der einzelnen Rechtsordnungen überhaupt relevant. 326 Treffend Cheshire, North & Fawcett S. 5: „The fact is, of course, that the application of a foreign law implies no act of courtesy, no sacrifice of sovereignty. It merely derives from a desire to do justice“. 327 Ein solches Sonderrecht könnte mit dem ius gentium und dem law merchant auf historische Vorbilder zurückblicken, vgl. hierzu etwa von Bar/Mankowski § 2 Rn. 1-18; ein spezielles materielles Sonderrecht für den internationalen Warenkauf bildet etwa das CISG. Die Ausbildung von materiellem Sonderrecht für Auslandssachverhalte führt – analytisch betrachtet – zu streng einseitigen Kollisionsnormen, welche diese materiellen Sonderregelungen (vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen und ggf. als leges speciales gegenüber den allgemeinen Kollisionsnormen der lex fori) zur Anwendung bringen. Im CISG sind diese speziellen Kollisionsnormen in Art. 1, 2 zu finden, die nicht nur den sachrechtlichen, sondern zugleich auch den kollisionsrechtlichen Anwendungsbereich des vereinheitlichten Kaufrechts festlegen (da diese ebenfalls staatsvertraglicher Herkunft sind, setzen sie sich – trotz nationaler Rechtsqualität des Transformationsgesetzes zum CISG – aufgrund der Öffnungsklausel des Art. 25 I Rom I auch gegenüber den Regelungen der Rom I-Verordnung weiterhin als leges speciales durch). 328 Vgl. hierzu von Bar/Mankowski § 6 Rn. 93: „das Unterfangen wäre aber zum Scheitern verurteilt“. Wie sollte man auch jegliche denkbare Interessenlage in einer Kodifikation berücksichtigen können? 329 Von Bar/Mankowski § 6 Rn. 93; ähnlich Voser S. 113: Die Anwendung einer fremden Rechtsordnung sei „Mittel zum Zweck, sachgerechte Lösungen für die Parteien von Rechtsverhältnissen mit ausländischen Berührungspunkten zu finden“; vgl. auch MüKoSonnenberger Einl. IPR Rn. 1.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

bb) Die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit Wenn wir das Grundbedürfnis für ein mehrseitiges IPR demnach in der Notwendigkeit sehen, das aus der Relativität einer Rechtsordnung resultierende materielle Gerechtigkeitsdefizit zu beseitigen, lässt sich die Aufgabe des IPR dahingehend beschreiben, dass es für die Beurteilung eines zivilrechtlichen Sachverhaltes aus den zur Verfügung stehenden, tatbestandlich einschlägigen und damit „regelungswilligen“ Sachnormen diejenigen zur Anwendung bringt, die dieses Gerechtigkeitsdefizit am besten ausgleichen. Aus der Erkenntnis, dass das jeweils geltende Recht grundsätzlich nur für einen Inlandssachverhalt angemessen ist, folgt, dass das „beste“ Recht dasjenige ist, das mit dem Sachverhalt am engsten verbunden ist und somit am ehesten einem Inlandssachverhalt gleichsteht. Seit Savigny begreift man die Aufgabe des IPR daher darin, „dass bei jedem Rechtsverhältniß dasjenige Rechtsgebiet aufgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältniß seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist“330. Da jedoch zweifelsfreie Anknüpfungsmomente, die jedem Rechtsverhältnis a priori seinen „Sitz“ unbestreitbar zuordnen, fehlen, bedarf es einer rechtspolitischen, normativen Entscheidung, die jeder kollisionsrechtliche Gesetzgeber autonom treffen kann und auch muss331. Dieser Entscheidung liegen als „Abwägungstopoi“ 332 bestimmte Rechtsanwendungsinteressen zugrunde, die für die Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung sprechen. Mit Kegel, dessen großes Verdienst in der Herausarbeitung dieser beteiligten Kräfte, der „Vektoren der Rechtsbildung“ 333, besteht, kann man diese Rechtsanwendungsinteressen insbesondere334 unterteilen in Partei-, Verkehrs-, Staats- und Ordnungsinteressen, wobei letztere sowohl das dem IPR seit Savigny zugrunde liegende „formale Ideal“ des äußeren Entscheidungseinklangs als auch des inneren Entscheidungseinklangs

330

Savigny, System (Band 8), S. 28. Insoweit bedeutet der Übergang vom „Sitz des Rechtsverhältnisses“ zum Prinzip der engsten Verbindung einen Wandel von einer (undurchführbaren) faktischen zu einer normativen Betrachtung; vgl. hierzu etwa Kropholler § 4 II 1; Kühne, FS Heldrich, 815 (816). Zur Verdeutlichung findet man heute deswegen auch den Zusatz: „Suche nach der engsten Verbindung unter Berücksichtigung der maßgebenden kollisionsrechtlichen Interessen“, so etwa bei Roth, FS Kühne, 859 (860). 332 MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 86. 333 Kegel/Schurig § 2 I (S. 133), (Hervorhebung im Original). 334 Es handelt sich hierbei keinesfalls um einen abschließenden Katalog der beteiligten Interessen, wie Kegel mehrmals – etwa Kegel, FS Lewald, 259 (279); Kegel (7. Auflage) § 2 II (S. 108) – herausstellt. Insoweit ist auch die Kritik von Neuhaus § 5 II 1 (S. 45) unberechtigt, der selbst nicht abschließende „Maximen“ postuliert. 331

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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umfassen335. Diese Rechtsanwendungsinteressen konstituieren die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit, die aufgrund ihres abweichenden rechtspolitischen Ziels von der materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit geschieden werden kann: Erstere umfasst nur die rechtspolitischen Beweggründe, die für die Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung sprechen336, letztere alleine die Beweggründe, die zur konkreten Lösung eines zu beurteilenden sozialen Konflikts geführt haben. Die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit bewertet damit nicht unmittelbar Sachinteressen, sondern trifft die denknotwendig vorher zu treffende Teilentscheidung, welche materielle Gerechtigkeit in casu die „gerechte“ ist. Es handelt sich jedoch hierbei alleine um „Facetten einer [insoweit unteilbaren] Gerechtigkeit“337: Nur durch Zusammensetzung der beiden gleichwertigen Teilentscheidungen, der internationalprivatrechtlichen und der materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit, wird die zivilrechtliche Gerechtigkeit konstituiert. Die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit ist der materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit daher nicht über-, sondern vielmehr nur (funktional auf gleicher Ebene) vorgeordnet338. Da auch Normen, die im überwiegend öffentlichen Interesse erlassen werden und zivilrechtliche Rechtsfolgen setzen, dem Zivilrecht zuzuordnen sind, muss sich das IPR ebenfalls mit der Anwendung dieser Normen originär befassen, da auch deren Gerechtigkeitsgehalt von der räumlichen Relativität betroffen ist. Damit kann das Gerechtigkeitsideal des IPR nicht dahingehend verkürzt werden, dass das IPR nur dem gerechten Interessenausgleich Privater zu dienen hat339. Zivilrechtliche Normen dienen, wie bereits festge335

Vgl. insbesondere den zentralen Aufsatz von Kegel, FS Lewald, 259 (259-288), mit dem er die Interessenjurisprudenz im IPR begründete; ebenso Kegel/Schurig § 2 II (S. 134 ff.). Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)ii (S. 76 ff.). 336 Man kann mit Kegel in Abgrenzung zu den amerikanischen Ansätzen, insbesondere dem better law approach, formulieren: Kollisionsnormen dienen der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit, die darauf gerichtet ist, das räumlich beste Recht zur Anwendung zu bringen, privatrechtliche Sachnormen der materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit, die darauf gerichtet ist, die materiell beste Entscheidung zu treffen; vgl. Kegel/Schurig § 2 I (S. 131); MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 76 („räumlich gerechten Rechts“); vgl. hierzu bereits Kapitel 1 B.II.2.a) (S. 18 f.). 337 Kegel/Schurig § 2 I (S. 131); Schurig S. 60 insbes. Fn. 50: Die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit wird – wie die materiellrechtliche Gerechtigkeit – „durch ihren Gegenstand bestimmt und abgegrenzt (ähnlich wie bei der ‚strafrechtlichen’, ‚verwaltungsrechtlichen’, ‚verfahrensrechtlichen’ Gerechtigkeit)“; ebenso Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (8): „Natürlich ist Gerechtigkeit unteilbar [...]. Nur: Als undifferenzierte Gesamtidee leistet sie nichts für eine rationale und eben darum unserem Rechtsempfinden entsprechende Rechtsfindung. Die Ausdifferenzierung der Gerechtigkeitsidee in sachlicher und funktioneller Hinsicht [...] ist [...] Voraussetzung ihrer Verwirklichung“. Ebenso von Bar/Mankowski § 6 Rn. 95; Kuckein S. 142 f. 338 Schurig S. 72; Kegel/Schurig § 2 I (S. 131). 339 So aber etwa von Bar/Mankowski § 6 Rn. 94; Kegel/Schurig § 2 I (S. 131); MüKoSonnenberger Einl. IPR Rn. 2, 86; dagegen zu Recht die in Fn. 406 Genannten.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

stellt wurde340, in unterschiedlichem Maße auch öffentlichen Interessen, die im Rahmen der kollisionsrechtlichen Behandlung nicht einfach „unter den Tisch“ fallen können, sofern man dem IPR eine der (vollständigen und nicht nur auf den individuellen Interessenausgleich inter partes bezogene) materiellen Gerechtigkeit dienende Funktion zugesteht341. Die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit ist daher – etwa entgegen Kegel, Sonnenberger, von Hoffmann/Thorn, die öffentliche Belange allgemein dem Öffentlichen Recht zuweisen342 – in einem weiteren funktionalen Sinne zu verstehen.

cc) Zusammenhang zwischen internationalprivatrechtlicher und materiellrechtlicher Gerechtigkeit (1) „Sachrechtsabhängigkeit“ des IPR Können wir die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit von der materiellrechtlichen Gerechtigkeit nach ihrer Funktion scheiden, so fragt sich, inwieweit erstere gegenüber letzterer zu verselbstständigen ist. Neigt man einer universalistischen Sichtweise zu – sei es, dass man dem IPR die Funktion eines „Überrechts“ zugestehen will, welches die Abgrenzung der Kompetenzbereiche einzelner Staaten zum Gegenstand hat343, sei es aber auch, dass man dem Ideal des Entscheidungseinklangs höchste Priorität zukommen lässt344 –, läuft man Gefahr, das IPR in „höhere Gerechtigkeitsdimensionen“345 zu verlegen und es von den Wertungen des Sachrechts vollständig zu lösen. Eine solche Tendenz herrschte in der Mitte des letzten Jahrhunderts vor und führte maßgeblich zur Kritik am IPR Savignyscher Prägung, die in der amerikanischen IPR-Revolution gipfelte und dem IPR die noch heute gebräuchlichen Attribute (formal, wertneutral, Sprung ins Dunkle, Augenbinde Savignys) bescherte346. Wenn man sich jedoch das

340

Vgl. sub Kapitel 1 B.II.2.c)aa) (S. 23 ff.). Näher hierzu sogleich sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc) (S. 70 ff.). 342 Siehe sub Kapitel 1 B.III (S. 39 f.). 343 Eine solche Sichtweise ist keinesfalls alleine auf völkerrechtlicher Grundlage vorstellbar, wie etwa die Ansätze von Frankenstein und Wolff (Fn. 310) zeigen. Vgl. zudem auch den Ansatz von Scelle, nach dessen Theorie der „lois du dédoublement fonctionnel“ dem jeweiligen nationalen Gesetzgeber die Aufgabe eines „internationalen Gesetzgebers“ zukomme, trotz fehlender völkerrechtlicher, also heteronomer Vorgaben ein universalistisches IPR-System auf Basis einer staatlichen Kompetenzabgrenzung zu kodifizieren; hierzu von Bar/Mankowski § 3 Rn. 3 Fn. 9 m.N. 344 Hierzu Schurig S. 189 f. 345 Begriff von von Bar/Mankowski § 6 Rn. 94; so deutlich etwa Mann, FS Beitzke, 607 (620): Das IPR sei „neutral“; es „ist mit der Bestimmung des für den gegebenen Sachverhalt relevanten Rechtssystems, nicht mit seinem Inhalt befaßt“. 346 Sie erhielt aber einen entscheidenden „Dämpfer“ durch die „Spanierentscheidung“ (BVerfGE 31, 58), welche die materielle Rückkopplung des IPR zu dem zugrunde liegenden Sachrecht wieder in Erinnerung rief. In der Geschichte des IPR wurde ein kollisionsrechtliches System immer in Frage gestellt (so die universalistische Statutentheorie von 341

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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oben skizzierte Grundbedürfnis einer Rechtsordnung vergegenwärtigt, das materiellrechtliche „Gerechtigkeitsdefizit“ der eigenen lex fori im Hinblick auf Sachverhalte mit Auslandsbezug auszugleichen, und gleichzeitig feststellt, dass das IPR dieses – mangels heteronomer Vorgaben – auch als Ziel verfolgt, so ergibt sich aus dieser Aufgabenstellung bereits, dass dem IPR die materielle Gerechtigkeit nicht gleichgültig sein kann, ja sogar anders gewendet, dass es sich gerade in ihren Dienst stellen will, wenn es deren Unzulänglichkeiten auszugleichen bezweckt 347. Dies zeigt bereits deutlich ein kurzer Blick auf unser heutiges Kollisionsrecht, das sich keinesfalls als wertneutrales „Überrecht“ darstellt, das über das „Schicksal“ einer Norm entscheidet, ohne ihren besonderen Normcharakter zu berücksichtigen 348 . Jegliche Kollisionsnorm trägt der besonderen materiellen Struktur der von ihr zu berufenden Sachnormen Rechnung, indem sie die für diese Sachnormen angemessene Anknüpfung bestimmt. Wenn wir etwa im Internationalen Vertragsrecht die Parteiautonomie zur grundsätzlichen Anknüpfung erheben, so ist dies die kollisionsrechtliche Umsetzung der sachrechtlichen Privatautonomie349. Dass wir jene wiederum durch eine kumulative Anknüpfung etwa im Bereich des Verbraucherschutz- und Arbeitnehmerschutzrechts beschränken, hat keinen Selbstzweck, sondern dient der kollisionsrechtlichen Verwirklichung besonderer, den fraglichen Sachnormen zugrunde liegender materieller Schutzzwecke. Gleiches gilt für andere Bereiche: Wenn wir etwa im Internationalen Deliktsrecht an den Erfolgsort anknüpfen, so trägt dies zum einen den den sachrechtlichen Vorschriften zugrunde liegenden Verkehrsschutzinteressen Rechnung, zum anderen – im Hinblick auf Distanzdelikte – der Ausgleichsfunktion des Deliktsrechts, die eine das Opfer begünstigende Anknüpfung nahelegt. Ebenso dienen sachenrechtliche Vorschriften maßgeblich dem Verkehrsschutzinteresse, was uns im Hinblick auf das kollisionsrechtliche Anknüp-

Wächter, so das „klassische IPR“ Savignyscher Prägung von der „politischen Schule des IPR“), wenn es sich von der materiellen Gerechtigkeit allzu stark emanzipierte. 347 Ähnlich Lorenz S. 62; Kropholler § 4 III 3 (S. 29): Die „internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit [dient] stets der materiellrechtlichen“. Vgl. auch Hohloch S. 237, der eine „Sachrechtsbezogenheit“ des Kollisionsrechts konstatiert und als Funktion des Kollisionsrechts die „Bestimmung des internationalen Anwendungsbereichs des Sachrechts im Lichte des Zweckes der Normen des Sachrechts“ bezeichnet; ihm zustimmend von Bar, JZ 1985, 961 (969). 348 Dies wäre auch – worauf Schurig S. 98 f. treffend hinweist – insoweit verwunderlich, da es sich bei der Sachnorm ja um ein – wie oben sub Kapitel 1 B.III.2.a)cc) (S. 59 ff.) festgestellt – Tatbestandsmerkmal der Kollisionsnorm handelt; ebenso Bucher S. 33. 349 Vgl. etwa auch Lehmann, FS Spellenberg, 245 (247): Parteiautonomie als „Verlängerung des Prinzips der Autonomie der Parteien [...] in das Internationale Privatrecht hinein“.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

fungsmoment zur lex rei sitae und zur Ablehnung einer Rechtswahlmöglichkeit führt, die jenen konterkarieren würde. Kurzum: Die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit wird de lege lata maßgeblich von der materiellrechtlichen Gerechtigkeit beeinflusst. Beide dienen der zivilrechtlichen Gerechtigkeit und verfolgen dieses gemeinsame Ziel allein mit unterschiedlichen Mitteln. Während Sachnormen unmittelbar die materielle Gerechtigkeit verwirklichen, kann das Kollisionsrecht dieser jedoch nur mittelbar Rechnung tragen, indem es den jeweiligen Sachnormen eine angemessene, d.h. ihrer materiellen Zwecksetzung entsprechende und verwirklichende kollisionsrechtliche Anknüpfung zur Verfügung stellt. Von einem wertneutralen, technischen „Überrecht“ kann mithin keine Rede sein – die internationalprivatrechtliche und die materiellrechtliche Gerechtigkeit stehen, wie Kropholler formuliert, „im Allgemeinen im Verhältnis der Analogie oder Parallelität“350. Dies bedarf indes noch näherer Aufschlüsselung. (2) Die Bedeutung der Sachnormzwecke für die kollisionsrechtliche Anknüpfung Verstehen wir den Sachnormzweck einer Sachnorm als Ergebnis der vom Gesetzgeber vollzogenen Gewichtung tangierter materieller Interessen, so fragt sich, welche Bedeutung diesem im Hinblick auf die kollisionsrechtliche Behandlung der Norm zukommt. Wenn oben ausgeführt wurde351, dass in einer Sach- und Kollisionsnorm jeweils unterschiedliche Interessen gewichtet und somit seitens des Gesetzgebers „verarbeitet“ 352 werden, folgt hieraus, dass der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl keinesfalls in der Sachnorm versteckt sein kann (mit Ausnahme der doppelfunktionalen „selbstgerechten Sachnorm“) und wir mit der Methode der Auslegung zur Gewinnung des kollisionsrechtlichen Gehalts aus einer Sachnorm scheitern müssen. Möglich ist jedoch, den Sachnormzweck im Hinblick auf die Aufgabe des IPR, der materiellen Gerechtigkeit zu dienen, zum Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Behandlung zu nehmen und anhand dessen eine kollisionsrechtliche Anknüpfung für diese Norm (und

350 Kropholler § 5 II 1 (S. 34); den inneren Zusammenhang von Kollisionsrecht und Sachrecht ebenfalls betonend von Bar/Mankowski § 6 Rn. 94 f.; Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466 (insbesondere 474-481); Looschelders, Anpassung, S. 82-84 (aufbauend jedoch auf dem Gleichheitssatz – hierzu Fn. 3 –, welchen er als „Bindeglied zwischen der internationalprivatrechtlichen und materiellrechtlichen Gerechtigkeit“ sieht). 351 Siehe hierzu Kapitel 1 B.II.2.a) (S. 18 ff.). 352 Formulierung von Schurig, etwa S. 187.

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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nicht aus dieser) zu entwickeln353. Dies soll im Folgenden näher untersucht werden354. Erste Ansätze eines sachnormbezogenen kollisionsrechtlichen Ansatzes finden sich bereits bei Wächter und Savigny. Wenngleich Wächter uns seine Gedanken zu einem Alternativsystem zu der von ihm in den Grundfesten erschütterten Statutentheorie „nur sehr schüchtern“355 mitteilt, will er zumindest bei Fehlen von ausdrücklichen Kollisionsnormen die Entscheidung über die kollisionsrechtliche Anwendbarkeit „zunächst im Sinne und Geiste derjenigen besonderen, in seinem Lande geltenden Gesetze, welche das [...] Verhältnis an sich zum Gegenstand haben, suchen“356. Anders hingegen scheint dies prima facie bei Savigny der Fall zu sein. Abgesehen davon, dass er die Prohibitivgesetze aus seinem IPR-System ausschließt und insoweit tatsächlich in einen statutistischen Ansatz zurückfällt, da er diese anhand materieller Kriterien einer besonderen Gruppe von Normen zuweist357, die stets Anwendung verlangen, sieht er in denjenigen Normen, die er seinem IPR-System unterstellt, „keinen anderen Grund und Zweck, als die Handhabung des Rechts durch feste Regeln zu sichern, so daß sie erlassen werden lediglich um der Personen Willen“ 358. Insoweit erscheint eine Berücksichtigung des Sachnormzwecks bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung a priori ausgeschlossen. Betrachtet man etwa Savignys Ausführungen zur Anknüpfung der Gesetze „über die Einschränkung der Handlungsfähigkeit wegen des Alters, des Geschlechtes u.s.w.“, so erscheint dies jedoch äußerst fraglich. Im Ergebnis gelangt Savigny hierbei zu einer allseitigen Kollisionsnorm

353 Ein solches Vorgehen bewegt sich zwangsläufig außerhalb des Regelungsbereiches einer Sachnorm, da dahingehende Erwägungen auf die An- oder Nichtanwendung eines Rechtssatzes gerichtet sind, also kollisionsrechtliche Abwägungstopoi darstellen, die in einer schlichten Sachnorm nicht enthalten sind, weil deren Regelungsgegenstand qua Definition ausschließlich materiellrechtlicher Natur ist; vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.a) (S. 18 f.). 354 Will man den Sachnormzweck bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung berücksichtigen, so wird dieses Vorgehen häufig als statutistisch bezeichnet (vgl. etwa Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (9): „geistige Rückkehr zur Statutentheorie“; Fetsch S. 22, 26; Benzenberg S. 41). Indes hat das methodische Vorgehen der Statutentheorie wenig mit dem zu tun, was im Rahmen dieser Arbeit unter einer sachnormbezogenen Anknüpfung verstanden wird. Die Statutentheorie stellte ein universalistisches, also dem Staat (durch das ius commune oder – im Sinne der „neuen“ Statutentheorie – durch Völkerrecht) vorgegebenes kollisionsrechtliches System dar, das auf drei verschiedenen Kollisionsnormen aufbaute. Insoweit musste man – ausgehend vom materiellen Zweck – jede Sachnorm einer dieser drei Kollisionsnormen zuordnen, so dass der materielle Zweck nur Grund für die Zuordnung zu einer „vorgegebenen“, a priori feststehenden kollisionsrechtlichen Behandlung (so treffend von Hoffmann/Thorn § 2 Rn. 32), nicht jedoch die Grundlage, also das Substrat der Anknüpfungsentscheidung selbst darstellte. 355 Wächter, AcP 24 (1841), 230 (235). 356 Wächter, AcP 24 (1841), 230 (261 f.); so liege es nach Wächter a.a.O. etwa im Sinne eines die Einklagbarkeit von Spielschulden verbietenden Gesetzes der lex fori, dass dieses auch dann anzuwenden ist, wenn nach dem Recht des Handlungsorts (als lex causae) eine solche Verbindlichkeit wirksam begründet wurde. 357 Dies hält Savigny „für die schwierigste Aufgabe in dieser ganzen Lehre“, vgl. Savigny, System (Band 8), S. 32; zum Ansatz der Statutentheorie Fn. 354. 358 Savigny, System (Band 8), S. 35.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

mit der Anknüpfung an den Wohnsitz359. Die Anwendung der lex loci contractus lehnt er ab, da diese der „Autonomie“, also der freien Unterwerfung unter das Recht des Abschlussortes entspringe und nicht anzunehmen sei, dass ein nach seinem Wohnsitz Handlungsfähiger sich einem Recht unterwerfen wolle, nach welchem ihm keine Handlungsfähigkeit zugestanden wird 360. Des Weiteren wäre es für Savigny „inconsequent“, wenn ein an seinem Wohnsitz Handlungsunfähiger „mit Hülfe einer kleinen Reise“ handlungsfähig werden könnte – „vielmehr wird ihn jenes Gesetz eben sowohl an der Unterwerfung unter das fremde Recht, als an dem Vertrag selbst, verhindern“, ohne dass man auf eine fraus legis abstellen müsste361. Trotz seiner Ausgangsprämisse bestimmt Savigny demnach die Anknüpfung maßgeblich anhand der besonderen Eigenschaft eines Gesetzes – mögen sich diese Gedanken auch noch im Bild des Sitzes eines Rechtsverhältnisses bewegen. Nach moderner Terminologie lässt sich mit Roth und Hohloch durchaus sagen, dass auch Savigny diesen Normen einen über den formalen Ordnungscharakter hinausgehenden Schutzzweck zugesteht und diesen kollisionsrechtlich zur Geltung bringt362. Somit bekommt auch die These, Savigny selbst habe ein im Grunde „wertneutrales, technisches Zuordnungsrecht“363 geschaffen, das materielle Belange vollständig ausblende, deutliche Risse364. Weit offensichtlicher wird die Berücksichtigung der Sachnormzwecke für die kollisionsrechtliche Anknüpfung bereits bei Carl Ludwig von Bar. Er verwirft Savignys Zweiteilung in zweckfreie Gesetze (die lediglich erlassen werden um der Personen willen) und Zweckrecht, da alle Rechtssätze einen Zweck vorweisen, „der außerhalb des reinen Rechtsgebiets liegt“ 365, und entwickelt in seiner „Skizze einer Theorie des internationalen Privatrechts“ die kollisionsrechtliche Anknüpfung maßgeblich anhand der der Sachnorm zugrunde liegenden Zwecke366, ohne jedoch von einer allseitigen IPR-Konzeption (und dies ausdrücklich trotz Anerkennung der gemeinwohlbezogenen Bedeutung des Privatrechts367) abzurücken. So entspreche es etwa dem Zwecke der Gesetze betreffend der Handlungsunfähigkeit, „dass die Angehörigen unseres Staates auch bei einem vorübergehenden Aufenthalt in anderen Staaten [...] jenen Gesetzen unterworfen bleiben. Umgekehrt kann der Zweck dieser Gesetze für Fremde, die nur temporär in unserem Staate sich aufhalten [...], nicht erreicht werden“368, so dass eine allseitige Kollisionsnorm zugunsten der Staatsangehörigkeit als Anknüpfungsmoment gebildet werden kann. Auch für die anderen Rechtsgebiete entwickelt von Bar anhand der Sachnormzwecke Kollisionsnormen und gelangt so etwa für das Sachenrecht zur Anknüpfung an den Be-

359

Savigny, System (Band 8), S. 140. Savigny, System (Band 8), S. 139. 361 Savigny, System (Band 8), S. 139. 362 Vgl. hierzu ausführlich Roth S. 140 ff.; Hohloch S. 238 Fn. 113; ebenso Fetsch S. 8 f. 363 Formulierung von Juenger S. 8; Nachweise sub Kapitel 1 B.III.2 (S. 51). 364 Nach Roth, EWS 2011, 314 (322) gehört es „zu den tradierten Mythen des Kollisionsrechts, dass das IPR Savignys mit seiner Frage nach dem Sitz des Rechtsverhältnisses als ein sachnormneutrales, nicht-regulatives IPR zu verstehen sei“. 365 C. L. von Bar, IPR (Band 1), S. 90; Roth S. 146 Fn. 181 weist dankenswerterweise darauf hin, dass der Neudruck der 2. Auflage von 1966 einen Druckfehler aufweist. 366 C. L. von Bar, IPR (Band 1), S. 116: Die „Untersuchung über die Interpretation eines Rechtssatzes in internationaler Beziehung“ müsste „streng genommen für jeden einzelnen Rechtssatz erfolgen“. 367 C. L. von Bar, IPR (Band 1), S. 91. 368 C. L. von Bar, IPR (Band 1), S. 117. 360

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legenheitsort, für das Deliksrecht an den Tatort usw.369. Allerdings legen die Ausführungen von Bars nahe, dass er durch „Interpretation eines Rechtssatzes“ unmittelbar die kollisionsrechtliche Anknüpfung bestimmen will370 – insoweit tritt bei ihm noch nicht hinreichend die funktionale Unterscheidung von Kollisionsrecht und Sachrecht zu Tage.

i. Kahn als Wegbereiter des „sachnormbezogenen Ansatzes“ Grundlegend für den Zusammenhang von Kollisionsrecht und Sachrecht sind die weiterführenden Gedanken von Franz Kahn. Auch er verwirft Savignys Zweiteilung, da er die hinter jeder privatrechtlichen Norm stehenden öffentlichen Zwecke erkennt371. Es gibt für ihn keine Norm, die Anspruch auf absolute und universelle Geltung erheben könnte, da der Gerechtigkeitsgehalt jeder Norm – und sei sie auch noch so wichtig – räumlich relativ ist und daher stets für ihre kollisionsrechtliche Anwendung einer besonderen Anknüpfung bedarf372; diese Anknüpfung gilt es zu finden und entscheidend hierfür ist der materielle Zweck einer Norm. „Jede Sachnorm wirft sozusagen ihren privatinternationalen Schatten“373, führt Kahn aus, und bringt damit die entscheidende Distanz zwischen Kollisions- und Sachrecht auf den Punkt, welche Carl Ludwig von Bar noch fehlte, ohne deren „präjudiziellen Zusammenhang“374 jedoch in Frage zu stellen. Denn „in Wahrheit verhält sich nämlich das materielle Privatrecht zum sogenannten internationalen durchaus nicht lediglich wie das Anzuwendende zur Anwendungsregel, wie das Tatsächliche zur Rechtsnorm; es ist der Stoff, aus welchem jenes sich bildet, das Fundament, auf dem es aufbaut“375. Damit kann sich der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl nicht unmittelbar aus den Sachnormzwecken selbst ergeben 376, da Kollisionsrecht und Sachrecht ein rechtspolitisches aliud377 darstellen, aber 369

Vgl. C. L. von Bar, IPR (Band 1), S. 116 ff. Zu dieser Einschätzung Schurig S. 100 Fn. 225. 371 Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 212 („Unseres Erachtens ist der ganze Gegensatz überhaupt schief“), S. 247; siehe bereits Kapitel 1 B.II.2.c)aa) (S. 23). 372 Vgl. insbesondere sub Kapitel 1 B.IV.4 (S. 98 f.). 373 Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 293. 374 Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 307 f. 375 Kahn, Bedeutung der Rechtsvergleichung, S. 493. 376 Kahn, Bedeutung der Rechtsvergleichung, S. 593 f.: „Aus dem materiellen Rechte heraus, aus dessen Tendenzen und Absichten wächst das internationale Privatrecht. Dies darf allerdings nicht so verstanden werden – wie es meist von der nationalistischen Schule verstanden worden ist –, als ob es möglich sei, aus den materiellen Normen eines positiven Rechtes konkludenterweise das ganze internationale Privatrecht abzuleiten“. 377 So die Formulierung von Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (78), aber bereits Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 307 f.: „Auf jenem anderen Blatt steht die Kollisionsnorm. Sie ist wohl mit der Sachnorm in einem präjudiziellen Zusammenhang, aber sie ist durchaus nicht gerade der Ausdruck dessen, was die Sachnorm an und für sich will und was sie nicht will“. 370

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

es besteht zwischen ihnen ein „Zusammenhang höchster Intimität“ 378 . Aufgabe der kollisionsrechtlichen Methode ist es damit, aus den „Sachnormen die Kollisionsnormen [zu] destillieren“, „aus dem materiellen Rechte die Zwecke und Ziele herauszuziehen, welche für das internationale Privatrecht von Bedeutung sind“ 379 . Kahn stellt sich jedoch mit seinem sachnormbezogenen Ansatz keinesfalls in Widerspruch zu dem von Savigny hochgehaltenen Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs, sondern hält diesen für unerlässlich, da ansonsten „die schwersten internationalen Verkehrsschädigungen“380 eintreten würden. Daher „ergibt sich, in Anlehnung an Kants berühmtes Rechtsprinzip, für jeden Gesetzgeber die Verpflichtung, seine natürliche Freiheit zum Handeln so weit einzuschränken, dass die gleiche Freiheit anderer [Gesetzgeber] daneben bestehen kann“381. Demgemäß ist für Kahn jede Kollisionsnorm „die Resultante aus zwei Kräften; einerseits: Sinn und Tendenz der materiellen Rechtsordnung; andererseits: das Streben nach internationaler Gesetzesharmonie“ 382. Erstrebt werden damit „diejenigen Kollisionsnormen, bei welchen unter Aufgabe des Minimums von nationalen Rechtszwecken ein Maximum von internationaler Gesetzesharmonie erreicht wird“383. ii. Die Interessenlehre Kegels Die bereits von Kahn erkannten, hinter einer Kollisionsnorm stehenden „Kräfte“ bedürfen aber noch einer weiteren Differenzierung, die erst Kegel im Anschluss an Arbeiten von Wengler, Zweigert und Beitzke gelang384. Ausgehend von der funktionalen Unterscheidung von Kollisionsrecht und Sachrecht trennt Kegel die kollisionsrechtlichen Interessen (die auf die Anwendung einer Rechtsordnung gerichtet sind) von den materiellen Interessen (die auf die gerechte materielle Lösung eines Lebenssachverhaltes gerichtet sind). Interessen sind für Kegel – und fortgeführt von Schurig – nicht nur „Begehrungsvorstellungen der an einem Rechtsstreit Beteiligten“ im Sinne der älteren Interessenjurisprudenz, „sondern auch und vor allem die hinter einer Rechtsnorm stehenden, teils parallelen, teils gegensätzlichen, einander verstärkenden oder dämpfenden abstrakten gesellschaft378

Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 298. Kahn, Bedeutung der Rechtsvergleichung, S. 498. 380 Kahn, Bedeutung der Rechtsvergleichung, S. 494. 381 Kahn, Bedeutung der Rechtsvergleichung, S. 494; ebenso auf Kants kategorischen Imperativ abstellend Neuhaus § 6 III (S. 55), Kropholler § 6 II (S. 38). 382 Kahn, Bedeutung der Rechtsvergleichung, S. 494. 383 Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 326. 384 Vgl. hierzu grundlegend Kegel, FS Lewald, 259 (270-279), (aufbauend auf den Arbeiten von Wengler, ZöffR 23 (1943/44), 473 (473-509), Zweigert, FS Raape, 35 (35-52) und Beitzke, FS Smend, 1 (1-22)); zusammenfassend und konturierend Kegel/Schurig § 2 (S. 131 ff.); kritisch zur Interessenlehre Kegels Neuhaus § 5 II 1 (S. 45). 379

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lichen Kräfte, sozusagen die Vektoren der Rechtsbildung“ 385 und nach Sonnenberger somit die „Abwägungstopoi für die Normbildung und richterliche Rechtsfortbildung“386. Welche kollisionsrechtliche Interessen der Gesetzgeber bei der Schaffung einer Kollisionsnorm berücksichtigt, wie er sie gewichtet, steht in seinem Ermessen. Hat dieser eine Kodifikation erlassen, so besteht hinsichtlich einer teleologischen Normanwendung und ggf. notwendigen Rechtsfortbildung die Aufgabe387, die in dem kodifizierten kollisionsrechtlichen System berücksichtigten – und damit auch berücksichtigungsfähigen, also „legitimen“388 – Rechtsanwendungsinteressen „herauszudestillieren“, einzugrenzen und zu typisieren. Die Einschränkung der Argumentationstopoi auf „legitime“ Interessen, die wohl über Schurigs Forderung hinausgeht, kollisionsrechtliche Interessen „abstrakt, praesumtiv und generalisierend“389 festzustellen, trägt insoweit der berechtigten Forderung Rechnung, die topische Methode, die in ihrer reinen Form „eine Rundum-Erörterung aller für ein Rechtsproblem maßgeblichen Gesichtspunkte“ durchführt, „mit der Gesetzesbindung und den Auslegungsmethoden in Einklang zu bringen“390. Als legitime kollisionsrechtliche Anwendungsinteressen können insoweit nur diejenigen betrachtet werden, denen der Gesetzgeber selbst Beachtung schenkt oder die – möglicherweise im Falle einer notwendigen Rechtsfortbildung – zumindest mit diesen in einer Kodifikation bereits „verarbeiteten“ Anwendungsinteressen vergleichbar sind und sich daher kohärent in die vorhandenen Abwägungstopoi einfügen können.

Kegel klassifiziert diese „legitimen“ Interessen insbesondere in Partei-, Verkehrs-, Ordnungs- und Staatsinteressen, wobei letztere besser gemeinwohlbezogene Interessen oder – kürzer – Gemeininteressen genannt werden sollten, um keine Assoziation zum Internationalen Öffentlichen Recht zu wecken391. Diese sind nach Kegel keinesfalls als abschließend zu 385

Kegel/Schurig § 2 I (S. 133), (Hervorhebung im Original); näher hierzu Schurig S. 96 ff., 184 ff. Insoweit ist die Kritik unangebracht, die Interessenlehre Kegels hätte den Übergang zur Wertungsjurisprudenz verpasst – es kann sich hierbei allenfalls um eine begriffliche Kritik handeln; vgl. auch MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 86. 386 MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 86. 387 Diese ist freilich kein Spezifikum des Kollisionsrechts, sondern herkömmliches Vorgehen im Rahmen jeder Rechtsanwendung. 388 Diese Bezeichnung geht auf MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 86 zurück. 389 Schurig S. 185. 390 So allgemein Larenz/Wolf § 4 Rn. 88; kritisch zur topischen Methode ebenso Mäsch S. 157. 391 Kegel selbst behält diese Interessen dem IÖR vor. Wie aber bereits geklärt wurde, kann das Eingriffsrecht zumindest dann nicht Gegenstand des IÖR sein, wenn es zivilrechtliche Rechtsfolgen setzt; das IPR muss demnach auch den von öffentlichen Sachnormzwecken implizierten Interessen, also den kollisionsrechtlichen Gemeininteressen, Rechnung tragen; anders etwa MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 86. Die Terminologie Staatsinteresse erweckt insoweit den Eindruck, dass hier ein typisches Über-/Unterordnungsverhältnis besteht, was aber nicht der Fall ist. Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.1.b) (S. 46 ff.).

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

verstehen, sie gewähren aber einen ersten Überblick392 über die beteiligten „Kräfte“ im Sinne Kahns und können somit für unsere Bedürfnisse zunächst zugrunde gelegt werden; sie sind jedoch bei Bedarf weiter aufzuschlüsseln393. Die entscheidende Frage ist allerdings, welchen Einfluss die konkreten Sachnormzwecke für die kollisionsrechtliche Interessenlage entfalten. Wenngleich die von Kegel hervorgehobene funktionale Trennung zwischen Kollisionsrecht und Sachrecht durchaus die Anlage dafür enthält, die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit in „höhere Gerechtigkeitssphären“ zu verlegen und so ein wertneutrales Überrecht im „leeren Raum“ ohne Anbindung an das Sachrecht zu zementieren, kann diese Trennung nicht in diesem Sinne – wenngleich häufig getan394 – verstanden werden. Zwar meint Kegel, dass man den Zweck der Sachnormen für die Bestimmung der Anknüpfung streichen könne, allerdings bezieht sich diese Aussage nur auf dessen unmittelbare Bedeutung395: Denn der Sachnormzweck schafft nicht die Anknüpfung396, gibt hierfür also unmittelbar nichts her – „er wird nur bedeutsam als Gegenstand bestimmter Interessen, und diese gilt es zu finden“397. Damit sieht auch Kegel eine gewisse Verbindung zwischen materieller und internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit, einen „genuine link“ oder im Sinne Kahns einen „Zusammenhang höchster Intimität“. Diese Verbindung wird – wenngleich diesbezügliche Aussagen im Vagen bleiben – über die kollisionsrechtlichen Interessen hergestellt, die als Abwägungstopoi der Kollisionsnormen maßgeblich von den jeweils zugrunde liegenden Sachnormen bestimmt werden. So führt etwa Schurig aus, dass die kollisionsrechtliche Interessenlage „durch den Inhalt der betreffenden Norm entscheidend beeinflußt“ 398 wird, Mäsch meint, für diese sei „auch der Inhalt der sachrechtlichen Regelung von entscheidender Bedeutung“399, und

392

So auch Schurig S. 96. Vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen zum Sonderprivatrecht sub Kapitel 2 B.II.1 (S. 134 ff.). 394 So etwa Junker, IPRax 1998, 65 (66): der Inhalt der berufenen Rechtsordnung spiele bei Kegel keine Rolle; vgl. ebenso etwa Juenger S. 8 f.; Chr. von Bar, IPR (Band 1), § 6 Rn. 510 Fn. 473; Looschelders, Anpassung, S. 80. Deutlich Keller, FS Vischer, 175 (180), siehe Fn. 303; ebenso Schwarz S. 52. 395 Kegel, FS Lewald, 259 (268); dies betont Schurig S. 100; ebenso Bucher S. 31. 396 Kegel, FS Lewald, 259 (268). 397 Kegel, FS Lewald, 259 (269), (Hervorhebung im Original). 398 Schurig S. 173; hierzu ausführlich ders. S. 98-102, insbesondere S. 100: Die kollisionsrechtliche Interessenwertung für eine Norm werde „aber zwangsläufig auch durch den Inhalt der Sachnorm und die durch sie materiell geschützten Interessen geprägt“, sie bilden für die Wertung „aber andererseits nur Material“ (Hervorhebung im Original). 399 Mäsch S. 159. 393

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Kuckein sieht „die kollisionsrechtliche Interessenlage maßgeblich vom Zweck der zu berufenden Sachnorm beeinflusst“400.

Der Einfluss der materiellen Sachnormzwecke auf die kollisionsrechtliche Interessenlage bedarf indes unter Berücksichtigung der Gedanken Kahns noch weiterer Präzisierung. iii. Die Bedeutung des Sachnormzwecks für die kollisionsrechtliche Interessenlage Im Hinblick auf die beschriebene Aufgabe des IPR, der materiellen Gerechtigkeit zu dienen, müssen die Sachnormzwecke daraufhin untersucht werden, anhand welcher Anknüpfung diesen hinsichtlich ihrer räumlichen Relativität am besten Rechnung getragen werden kann, diese am besten verwirklicht werden401. Diese Erwägungen, die auf die kollisionsrechtliche Anwendung eines Rechtssatzes gerichtet sind, liegen nicht – und das sei nochmals betont – der Sachnorm zugrunde, sondern sind für oder besser anhand der Sachnormzwecke zu entwickeln402. Von den auf diese Weise gewonnenen Argumentationstopoi sind diejenigen Erwägungen aufgrund der Systembindung an das geltende Recht auszusondern, denen der Gesetzgeber de lege lata keine Beachtung zukommen lässt und die deswegen nicht „legitim“ sind 403 . Übrig bleiben dann die „legitimen“ 400

Kuckein S. 39. Roth S. 160 spricht von „sachnormzweck-gerechten“ Anknüpfungen, RGRKWengler (Band VI 1) S. 226 von einem „sachnormgerecht[en]“ Anknüpfungsmoment. Fetsch S. 9 geht im Anschluss an Roth von einer „Fortschreibung der Sachnormzwecke für die Lösung international verknüpfter Fälle“ aus. Pfeiffer, FS Geimer, 821 (827) ist dahingehend zuzustimmen, dass „ein zwingender Schluss vom sachrechtlichen Gehalt auf den räumlich-territorialen Anwendungsbereich [...] nur in eingeschränktem Maße möglich“ ist. Er gibt für einen solchen Fall treffend zum Beispiel, dass ein „bestimmtes sachrechtliches Regelungsziel nur erreichbar ist, wenn einer Vorschrift ein bestimmter, zwingender räumlich-territorialer Anwendungsbereich zukommt“. Darüber hinaus ist zwar regelmäßig kein zwingender Schluss hinsichtlich des angemessenen Anknüpfungsmomentes möglich, jedoch schränkt der Sachnormzweck die in Betracht kommenden Möglichkeiten ein, so dass man von einem implizierten „sachnormgerechten“ Rahmen für die kollisionsrechtliche Anwendungsentscheidung sprechen kann; ähnlich RGRKWengler (Band VI 1) S. 226. 402 Die Auslegung der Sachnorm und die damit einhergehende Bestimmung der materiellen Normzwecke ist somit der erste Schritt, der erst die Frage nach der angemessenen kollisionsrechtlichen Behandlung dieser Norm aufwirft – keinesfalls beantwortet aber die Auslegung der materiellen Norm die kollisionsrechtliche Frage selbst; vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2 (S. 17 ff.). 403 Diese müssen jedoch nicht zwangsläufig bereits im kodifizierten System „verarbeitet“ sein, da ansonsten eine Rechtsfortbildung des Öfteren nicht möglich wäre. Es reicht aus, dass „neu entdeckte“ kollisionsrechtliche Interessen mit den vorhandenen vergleichbar sind und sich in das kodifizierte System einfügen können. Als nicht systemkonform 401

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

Argumentationstopoi, Kegels kollisionsrechtliche Interessen, die insoweit von der zugrunde liegenden Sachnorm „impliziert“404 werden – es handelt sich hierbei insbesondere um Partei-, Verkehrs- und Gemeininteressen. Demgegenüber sehen manche nur private Interessen als legitime Abwägungstopoi, „gemeinschaftsbezogene Anwendungsinteressen“, also Gemeininteressen, bleiben unberücksichtigt und sind der – dem Öffentlichen Recht zuzuordnenden – Eingriffsnormenproblematik vorbehalten 405. Macht man sich jedoch klar, dass das heutige materielle Zivilrecht nicht auf den Interessenausgleich inter partes zu reduzieren ist, sondern dass jenes vielfältigen öffentlichen Belangen ebenfalls Rechnung trägt, so kann auch die – der materiellen Gerechtigkeit zu dienen verpflichtete – kollisionsrechtliche Gerechtigkeit nicht auf die Wahrnehmung von Individualbelangen beschränkt werden, indem man die durch die materielle Struktur einer Sachnorm implizierten kollisionsrechtlichen Gemeininteressen aus der kollisionsrechtlichen Gerechtigkeit ausschließt406. Da nach hier vertretener Ansicht Eingriffsnormen als Teil des Zivilrechts betrachtet werden und insoweit von einem weiten Zivilrechtsbegriff ausgegangen wird, sind die durch öffentliche Sachnormzwecke implizierten kollisionsrechtlichen Interessen als gleichberechtigte Abwägungstopoi der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit anzuerkennen.

Diese anhand einer Sachnorm gewonnenen kollisionsrechtlichen Anwendungsinteressen legen bestimmte Anknüpfungsmomente nahe, ohne dass man jedoch streng deduktiv eine konkrete, über alle Zweifel erhabene Anknüpfung herleiten könnte407. Implizieren Sachnormen Parteiinteressen (etwa das Personen-, Erb- und Familienrecht), so legt dies die Anwendung eines Rechts nahe, mit dem die Person eng verbunden ist – in Betracht kommen grundsätzlich das Recht der Staatsangehörigkeit oder das Recht des auszusondern wären insoweit etwa Rechtsanwendungsinteressen, die sich unmittelbar am Inhalt der zu berufenden Sachnorm i.S.d. better law approach orientierten. 404 So der Terminus von Schurig, etwa Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (231) und passim. 405 MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 86, 388. Dies entspricht ebenfalls etwa der Auffassung von Kegel und von von Hoffmann/Thorn, vgl. sub Kapitel 1 B.III (S. 39) und Kapitel 1 B.III.2.b)bb) (S. 69). 406 Ebenso Voser S. 45, 113; Benzenberg S. 92 f.; Flessner S. 54, der eine „Zivilrechtsimmanenz des Allgemeininteresses“ feststellt und hieraus folgert, dass „solche Interessen auch im internationalen Privatrecht, wo sie denn tatsächlich feststellbar sind, bei Normbildung und Normanwendung [...] mit zu berücksichtigen“ sind; deutlich zeigt dies nunmehr Art. 6 Rom II, dem maßgeblich kollisionsrechtliche Gemeininteressen zugrunde liegen. 407 Insoweit ist MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 85 zuzustimmen, wenn er meint, dass kollisionsrechtliche Interessen außerstande sind, „unmittelbar zum räumlich angemessenen Recht im Sinn kollisionsrechtlicher Gerechtigkeit zu führen“; ebenso RGRKWengler (Band VI 1) S. 226. Hierfür bedarf es einer rechtspolitischen Entscheidung des Gesetzgebers, also einer Normierung gewisser Anknüpfungsmomente. Hat er diese getroffen, so können wir aber deduktiv ableiten, welche kollisionsrechtliche Interessen durch welches Anknüpfungsmoment zu verwirklichen sind. Insoweit kann jedoch erforderlich werden, die grobe Einteilung der Interessen Kegels weiter zu differenzieren, hierzu sogleich.

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Wohnsitzes408. Andererseits implizieren schuldrechtliche Normen ebenfalls Parteiinteressen, nur sind diese hier nach Kegel/Schurig „von anderer Art, nämlich vielseitiger und kurzlebiger als bei den persönlichen Verhältnissen“409, was die primäre Anknüpfung an die Rechtswahl der Parteien rechtfertigt – insoweit muss also noch weiter nach der der Sachnorm zugrunde liegenden materiellen Struktur differenziert und eine den Sachnormzwecken besser entsprechende Anknüpfung gesucht werden. Sind Verkehrsinteressen im Spiel, so wird man fragen müssen, welchen Verkehr die fraglichen Sachnormen schützen wollen – insoweit liegt eine territoriale Anknüpfung nahe, die jedoch je nach Ausprägung der fraglichen Sachnormen weiter zu verfeinern ist (etwa der Belegenheitsort im Sachenrecht, der Erfolgsort im Deliktsrecht etc.). Das Gleiche gilt dann, wenn Sachnormen öffentlichen Interessen Rechnung tragen – diese implizieren Gemeininteressen, die auf die Anwendung des Rechts desjenigen Staates gerichtet sind, dessen öffentliche Interessen durch die fraglichen Normen geschützt werden sollen – insoweit bietet sich wiederum eine territoriale410 oder auch personale411 Anknüpfung an. Nun dient eine Norm selten nur einem Zweck. Wenn der Gesetzgeber mit einer Norm verschiedene Zwecke verfolgt, die jeweils unterschiedliche kollisionsrechtliche Interessen implizieren, sind diese a priori beachtlich. Jedoch folgt aus dem sachnormbezogenen Ansatz, dass die Gewichtung der einzelnen materiellen Sachnormzwecke, also die materielle Struktur einer Norm, gleichfalls die Gewichtung der durch diese implizierten kollisionsrechtlichen Interessen präjudiziert412, so dass etwa eine Norm, die überwiegend der Gerechtigkeit inter partes dient, auch überwiegend kollisionsrechtliche Parteiinteressen impliziert; untergeordnete Sachnormzwecke implizieren demgemäß auch untergeordnete kollisionsrechtliche Interessen, die zumindest bei Unvereinbarkeit hinsichtlich der Bestimmung des Anknüpfungsmomentes zurücktreten müssen 413. Damit wirft jede Sachnorm einen spezifischen kollisionsrechtlichen „Schatten“, welcher deren materielle Struktur erkennen lässt. Sind die verfolgten Zwecke und die damit implizierten kollisi-

408

Hierzu etwa Kegel/Schurig § 2 II 1 (S. 135). Kegel/Schurig § 2 II 1 (S. 137). 410 Ebenso Schurig, FS Jayme, 837 (840). 411 Vgl. hierzu Fn. 449. 412 So betrachtet nimmt der sub Kapitel 1 B.II.2.c)bb) (S. 28) dargestellte Ansatz von Mankowski, die materielle Struktur von Sachnormen durch „Kärrnerarbeit“ herauszuarbeiten, also die Gewichtung der der fraglichen Norm zugrundeliegenden Normzwecke zu bestimmen, eine andere Bedeutung an – und insoweit kann ihr zugestimmt werden, wenngleich Mankowski hinsichtlich der Eingriffsnormenproblematik andere Schlussfolgerungen (nämlich eine unmittelbare Bestimmung des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls ausschließlich anhand materieller Kriterien) zieht. 413 Im Idealfall ist jedoch zu versuchen, allen implizierten Interessen mit einer einheitlichen Anknüpfung Rechnung zu tragen. Nur wenn dies nicht gelingt, ist dem dominierenden kollisionsrechtlichen Interesse der Vorrang einzuräumen. 409

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

onsrechtlichen Interessen gleichwertig und können sie nicht in Einklang gebracht werden, so besteht die Möglichkeit einer Mehrfachanknüpfung 414.

Von denjenigen kollisionsrechtlichen Anwendungsinteressen, die durch den konkreten Sachnormzweck impliziert werden, sind diejenigen kollisionsrechtlichen Interessen zu scheiden, die sich aus der spezifischen Aufgabe des IPR ergeben und im Sinne Kahns erstere begrenzen. Hierzu zählt jedoch nicht nur – wie Kahn noch meinte – das Interesse am äußeren Entscheidungseinklang, sondern insbesondere auch das Interesse am inneren Entscheidungseinklang. Diese „begrenzenden Kräfte“ lassen sich mit Kegel als Ordnungsinteressen zusammenfassen und können dazu führen, dass die durch einzelne Sachnormzwecke indizierten kollisionsrechtlichen Anwendungsinteressen im Rahmen der Abwägung zurückgedrängt werden und die Sachnorm einer anderen Anknüpfung zu unterstellen ist. So mag das Interesse am äußeren Entscheidungseinklang (insbesondere zur Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse) etwa dafür sprechen, bei der Bildung einer Kollisionsnorm international gebräuchliche – und damit akzeptanzfähige – Anknüpfungsmomente zu wählen415. Im Hinblick auf das Interesse am inneren Entscheidungseinklang416 liegt es demgegenüber etwa

414

Hierzu etwa Schurig S. 204-209; vgl. sub Kapitel 3 C.II.4.a)bb) (S. 240 f.). Kegel/Schurig § 2 II 3 a (S. 140). Freilich kann ein solches Vorgehen vor dem Hintergrund eines materielle Wertungen verwirklichenden IPR, das der jeweilige Gesetzgeber in eigener rechtspolitischer Verantwortung zu konkretisieren hat, nur dann überzeugen, wenn diese Anknüpfung zugleich auch eine nach autonomen Maßstäben „gerechte“ Anknüpfung darstellt, so dass dieser Erwägung allenfalls die Funktion eines „Stichentscheides“ zwischen mehreren „gleich-gerechten“ Anknüpfungen zukommen kann. Darüber hinaus ist das Interesse an äußerem Entscheidungseinklang – zumindest im Verhältnis zu Staaten, die nicht an rechtsvereinheitlichenden Akten teilnehmen – für die konkrete Frage der Rechtsanwendung regelmäßig unergiebig (vgl. etwa Kropholler § 6 II (S. 38): „Ideal der Entscheidungsgleichheit ist kein inhaltlich eindeutiger Gesichtspunkt“, Hervorhebung im Original): Denn solange andere, inhaltlich divergierende nationale Kollisionsrechte existieren (was auf absehbare Zeit freilich nicht zu bezweifeln ist), kann Entscheidungseinklang maximal mit mehreren, niemals jedoch mit allen Staaten verwirklicht werden (vgl. auch Kegel/Schurig a.a.O.), so dass zumindest vollständiger Entscheidungseinklang auf der Grundlage eines autonom ausgestalteten Kollisionsrechts niemals erreicht werden kann. Damit bleibt jedoch die Frage bestehen, mit welchem Staat Entscheidungseinklang hergestellt werden soll, und diese ist nur anhand weiterer Anwendungskriterien (engste Verbindung, tatsächliche Umstände wie „Macht“ etc.) zu beantworten. Diese Kriterien gehen indes regelmäßig über das schlichte Faktum des Entscheidungseinklangs hinaus und stellen herkömmliche kollisionsrechtliche Erwägungen dar (die zudem im Hinblick auf die Systembindung „legitim“ sein müssen). Der alleinige Verweis auf den Entscheidungseinklang mit einem Staat zur Begründung einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung ist daher regelmäßig zirkulär. 416 Hierzu etwa Kegel/Schurig § 2 II 3 b (S. 141 f.). Dieses Interesse resultiert aus der Kodifikationsidee selbst und liegt damit jeder Kodifikation zugrunde, wenngleich sich 415

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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nahe, zur Verhinderung einer dépeçage, die zu Normwidersprüchen führen kann, möglichst umfassende „Gesamt“-statute zu bilden und insoweit die materiellrechtlich indizierten kollisionsrechtlichen Interessen einzelner Normen zurückzudrängen. Will man das kollisionsrechtliche Gerechtigkeitsideal jedoch nicht in „höhere Sphären“ verlegen, so erfüllen die Ordnungsinteressen keinen Selbstzweck. Im Gegenteil: Sie haben die Aufgabe, das inhaltliche Ideal in einem rechtstechnisch handhabbaren Rahmen zu gewährleisten, und damit das Spannungsverhältnis von Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit zum Gegenstand. Errichtet man ein Rechtssystem nicht um seiner selbst willen, so ist dem inhaltlichen Ideal grundsätzlich dann der Vorrang einzuräumen, wenn dies nicht gegen die Rechtssicherheit verstößt 417. Hieraus folgt, dass Ordnungsinteressen ebenfalls nicht um ihrer selbst willen durchzusetzen sind, sondern grundsätzlich nur dann, wenn die Rechtssicherheit dies auch erfordert. Ist dies nicht der Fall, muss grundsätzlich den materiellrechtlich implizierten kollisionsrechtlichen Interessen der Vorrang eingeräumt werden 418.

iv. Zwischenergebnis Aus der Aufgabenstellung des IPR, das materielle Gerechtigkeitsdefizit einer Rechtsordnung auszugleichen, sofern in diesem Staate ein Fall mit Auslandsbezug zu entscheiden ist, folgt, dass die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit maßgeblich von der materiellen Gerechtigkeit abhängig ist – dies aber nicht in dem Sinne, dass man dem materiellen Sachnormzweck unmittelbar die Anknüpfung entnehmen könnte. Der Sachnormzweck ist „im Lichte des Kollisionsrechtes“419 zu betrachten und es muss eine diesem hinsichtlich der Relativität der Gerechtigkeit angemessene, den Sachnormzweck verwirklichende Anknüpfung gesucht werden. Die maßgeblichen Erwägungen, die im Hinblick auf die Anwendbarkeit der fraglichen Norm angestellt werden, bilden die kollisionsrechtlichen Interessen als Abwägungstopoi, als „Vektoren der Rechtsbildung“. Hier lässt sich unterteilen in diejenigen Interessen, die von der besonderen materiellen Struktur einer Sachnorm impliziert und insoweit von der materiellen Gerechtigkeit präjudiziert werden (insbesondere Partei-, Verkehrs- und Gemeininteressen), und diejenigen (insbesondere Ordnungs-) Interessen, die sich aus der Ordnungsaufgabe des IPR ergeben und jene im Sinne Kahns als gegensätzliche Kraft beschränken können. Die kollisionsrechtnatürlich spezifische kollisionsrechtliche Ausprägungen ergeben (etwa im Bereich der Vorfragenanknüpfung, der Anpassung etc.). 417 Vgl. Kropholler § 4 IV (S. 30 f.): „Jedoch darf man nicht um der vermeintlichen Rechtssicherheit willen eine rein mechanische Regel wählen, die in vielen Fällen zu offensichtlich unbilligen Ergebnissen führt“. 418 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.IV.2 (S. 90 f.). 419 In Anlehnung an Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 293 und Schurig S. 99 Fn. 222.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

liche Interessenwertung erfolgt damit für jede Sachnorm einzeln und individuell und anhand dieser muss eine ihr gerecht werdende kollisionsrechtliche Anknüpfung gefunden werden. Die These, unser IPR stelle ein wertneutrales, technisches Überrecht dar, das den materiellen Besonderheiten der Sachnormen bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung nicht Rechnung tragen kann, ist damit nicht haltbar. 3. Die Struktur und Reichweite einer allseitigen Kollisionsnorm a) Das Bündelungsmodell Schurigs Anhand der Erkenntnis, dass zumindest auch die einzelne Sachnorm Gegenstand der Kollisionsnorm ist und dass eine vom Gesetzgeber kodifizierte Kollisionsnorm das Ergebnis einer kollisionsrechtlichen Interessenabwägung für die mit dem Anknüpfungsgegenstand gekennzeichneten Sachnormen darstellt, hat Schurig grundlegende strukturelle Überlegungen angestellt und das Bündelungsmodell entwickelt, das im Folgenden kurz wiedergegeben werden soll420. Jede allseitige Kollisionsnorm lässt sich nach Schurig gedanklich als Bündel einzelner vertikal und horizontal zusammengefasster Element- oder Individualkollisionsnormen 421 begreifen, die jeweils auf einen Rechtssatz bezogen sind und die dessen Anwendungsbereich einseitig festlegen. So lassen sich etwa die kollisionsrechtlichen Aussagen, § 1923 BGB ist anwendbar, wenn der Erblasser Deutscher war, § 1924 BGB ist anwendbar, wenn der Erblasser Deutscher war usw., insoweit zusammenfassen, dass die Gesamtheit der deutschen erbrechtlichen Vorschriften anzuwenden ist, wenn der Erblasser Deutscher war – die gedanklichen Elementkollisionsnormen lassen sich „sachlich“ oder „vertikal“ bündeln und berufen in ihrer Gesamtheit das jeweilige Statut. Erweitern wir diese einseitige Bündelung auf andere Rechtsordnungen, indem wir österreichisches Recht zur Anwendung bringen, wenn der Erblasser Österreicher war, französisches Recht, wenn der Erblasser Franzose war usw., so erfolgt eine „internationale“ oder „horizontale“ Bündelung, wie sie Art. 25 I EGBGB vornimmt: Die Rechtsnachfolge von Todes wegen unterliegt dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehört. Damit stellt sich jede allseitige Kollisionsnorm als 420 Grundlegend Schurig S. 89-106 (Zusammenfassung S. 106-108); ders., Lois d’application immédiate, 55 (61-63); ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (231); Kegel/Schurig § 6 II (S. 313-316); dem Bündelungsmodell folgend etwa Mäsch S. 145 f.; Brüning S. 173 ff.; Wördemann S. 100-105; Fetsch S. 36-44; Kuckein S. 38 f.; von Bar/ Mankowski § 4 Rn. 5 f., § 7 Rn. 139 ff. (wenngleich Mankowski dieses allein als Grundlage des herkömmlichen IPR betrachtet und Eingriffsnormen aus diesem System aussondert; vgl. nur von Bar/Mankowski § 4 Rn. 104). 421 Der Begriff der Individualkollisionsnorm geht bereits auf Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (68) zurück.

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Zusammenfassung oder Bündelung einzelner, rechtssatzbezogener Elementkollisionsnormen dar. Da nun jede Kollisionsnorm das Ergebnis einer Abwägung der tangierten kollisionsrechtlichen Interessen durch den Gesetzgeber für eine spezielle Gruppe von Sachnormen darstellt, bedeutet dies nach Schurig gleichzeitig, dass alle in einer allseitigen Kollisionsnorm zusammengefassten Elementkollisionsnormen „auf einer vergleichbaren kollisionsrechtlichen Interessenabwägung [für jeden einzelnen statutszugehörigen Rechtssatz] beruhen, welche stets zu demselben Ergebnis (zu derselben abstrakten Anknüpfung) führt“422. Jede statutszugehörige Sachnorm impliziert damit dieselben kollisionsrechtlichen Interessen, die zum selben Anknüpfungsmoment führen, was wiederum die Zusammenfassung in einer allseitigen Kollisionsnorm ermöglicht. Damit sind die kollisionsrechtlichen Interessen nicht nur für die Bestimmung des Anknüpfungsmomentes relevant, sie bilden auch die Kriterien der Bündelung selbst423 – sie sind nach Schurig der „Kitt“, der die allseitige Kollisionsnorm als Bündel von Individualkollisionsnormen zusammenhält424. b) Reichweite einer Kollisionsnorm nach dem Bündelungsmodell Aus dieser strukturell-teleologischen Überlegung folgt, dass die Reichweite einer Kollisionsnorm von den in einer Kollisionsnorm verwerteten und konkret gewichteten kollisionsrechtlichen Interessen bestimmt wird – sie grenzen das Bündel nach innen und nach außen ab425. Daraus ergibt sich wiederum, dass der in einer Kollisionsnorm vorausgesetzte Systembegriff (etwa Rechtsnachfolge von Todes wegen) dem Anknüpfungsgegenstand nach Schurig allenfalls den „äußeren Rahmen“ setzen kann, quasi als „sprachliche[s] Hilfsmittel der Bündelung“426. Er dient als Bezeichnung einer bestimmten Normgruppe, die es uns in einem ersten Schritt ermöglicht, die jeweils einschlägigen Sachnormen aufzufinden – ob diese jedoch auch in concreto vom Anknüpfungsgegenstand umfasst ist, muss eine teleologische Interessenanalyse ergeben. Somit ist eine Qualifikation anhand einer rein begrifflichen Auslegung des Anknüpfungsgegenstandes 422

Schurig S. 103 (Hervorhebung im Original). Kegel/Schurig § 6 II 2 (S. 315); ebenso von Bar/Mankowski § 4 Rn. 5, § 7 Rn. 139. 424 Kegel/Schurig § 7 III 3 b bb (S. 348); § 6 II 2 (S. 315): „So ist in Bezug auf alle Vorschriften, die unter das ‚Erbstatut’ fallen, die kollisionsrechtliche Interessenabwägung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Parteiinteressen des Erblassers den Ausschlag geben müssen: alle diese Bestimmungen werden angewandt, wenn der Erblasser die Staatsangehörigkeit des betreffenden Staates hatte; daher ist eine vertikale Bündelung in diesem weiten Umfang möglich“ (Hervorhebung im Original). 425 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 5, § 7 Rn. 141. 426 Kegel/Schurig § 6 II 2 (S. 315 f.); ebenso von Bar/Mankowski § 7 Rn. 139 ff. 423

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von vornherein zum Scheitern verurteilt: Orientieren wir uns (zumindest im nationalen Recht) zur Bestimmung der Reichweite einer Kollisionsnorm an den Systembegriffen der (sachrechtlichen) lex fori (etwa weil sich diese auch im Wortlaut einer nationalen Kollisionsnorm wiederfinden und daher eine einheitliche Auslegung prima facie indiziert zu sein scheint) oder gar an den Systembegriffen der lex causae, so können diese keinesfalls den speziellen teleologischen Erwägungen der kollisionsrechtlichen Interessenabwägung Rechnung tragen und sind daher als rein „begriffliche Operation“ zu ungenau. Die Qualifikation des Anknüpfungsgegenstandes muss daher die Systembegriffe der lex fori oder der lex causae überwinden und teleologisch anhand der der Kollisionsnorm zugrunde liegenden Interessen erfolgen427. Bildlich kann man mit Schurig den so verstandenen Qualifikationsvorgang dahingehend beschreiben, dass zu prüfen ist, „ob die eine gewisse Sachnorm berufende Element-Kollisionsnorm Bestandteil der einen oder der anderen allseitigen Bündelung ist oder ob man sie etwa außerhalb der etablierten Bündelung anzusiedeln hat“ 428. Zumindest bei der Bestimmung der Reichweite einer nationalen Kollisionsnorm haben die mit der sachrechtlichen lex fori gleichlaufenden Systembegriffe aber durchaus eine Bedeutung über ein „sprachliches Hilfsmittel“ hinaus; denn hier liegt die Vermutung nahe, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der Kollisionsnorm auch diese sachrechtlichen Vorschriften als Anknüpfungsgegenstand „vor Augen“ hatte429. Als „Rohstoff“430, der kollisionsrechtliche Interessen impliziert, lassen diese „Modellnormen“ somit Schlussfolgerungen auf die vom Gesetzgeber in dieser Kollisionsnorm vorgenommenen Gewichtung der kollisionsrechtlichen Interessen zu, so dass man anhand dieser Überlegung leichter die Reichweite der Kollisionsnorm bestimmen kann. Dies – und nur dies 431 – ist im Rahmen des vereinheitlichten europäischen IPR anders, weil es weitgehend an einer einheitlichen europäischen lex fori fehlt, die solche Rückschlüsse und erste „Orientierungshilfe“ erlaubt. Insoweit besteht die zentrale Aufgabe in der konsequenten Sichtbarmachung der einzelnen kollisionsrechtlichen Interessen, die eine Begrenzung des Anknüpfungsgegenstandes erlauben und damit eine Qualifikation erst ermöglichen.

c) Folgerungen für die Eingriffsnormenproblematik Bestimmt sich die Reichweite einer Kollisionsnorm somit aus den ihr zugrunde liegenden kollisionsrechtlichen Interessen und nicht aus dem vom kollisionsrechtlichen Tatbestand umschriebenen Lebensverhältnis (so 427 Soergel-Kegel Vor Art. 3 EGBGB Rn. 120; ausführlich Kegel/Schurig § 7 III 3 b (S. 346-355); von Bar/Mankowski § 7 Rn. 139-141; ähnlich von Hoffmann/Thorn § 6 Rn. 30. 428 Schurig S. 224; Kegel/Schurig § 7 III 3 b bb (S. 348); sich anschließend von Bar/Mankowski § 7 Rn. 140: „Zu qualifizieren heißt, die einzelne Elementkollisionsnorm dem in Rede stehenden Bündel zuzuordnen oder nicht“. 429 Hierzu etwa Kegel/Schurig § 7 III (S. 339). 430 So anschaulich Schurig S. 99 und passim. 431 Ein Unterschied in der Methode besteht freilich nicht.

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Rabel), Rechtsverhältnis (so Savigny) oder der einzelnen Rechtsfrage (so etwa Neuhaus, Kropholler)432, so lässt sich mit Schurig zwanglos erklären, warum wir bestimmte Normen aus dem allseitigen Statut herausnehmen und separat anknüpfen, wenngleich diese Norm unter den Wortlaut des Anknüpfungsgegenstandes gefasst werden könnte: Dienen bestimmte Sachnormen anderen materiellen Interessen, die wiederum andere kollisionsrechtliche Interessen implizieren, so fallen solche Normen aus der allseitigen Bündelung und müssen ihren implizierten kollisionsrechtlichen Interessen entsprechend angeknüpft werden433. Auch wenn also eine allseitige Kollisionsnorm einen bestimmten Lebenssachverhalt und eine konkrete Rechtsfrage (etwa die Frage der Nichtigkeit eines Vertrages) einer Rechtsordnung zur Entscheidung zuweist, läge in der statutsunabhängigen kollisionsrechtlichen Anknüpfung einer Sachnorm, die sowohl jenen Sachverhalt regelt als auch eine Rechtsfrage beantwortet, die grundsätzlich von der allseitigen Kollisionsnorm umfasst ist, kein methodischer Bruch, sofern die Sachnorm andere kollisionsrechtliche Interessen impliziert, die eine Zuweisung zu dem allseitigen Bündel verhindern und eine separate Anknüpfung gebieten. Das herkömmliche IPR ist damit durchaus in der Lage, die für Eingriffsnormen charakteristische statutsunabhängige Durchsetzung bestimmter Normen aufgrund ihrer besonderen materiellen Struktur methodisch kohärent zu ermöglichen – eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems bedarf es hierfür nicht. 4. Zwischenergebnis Eingriffsnormen sind sachrechtlich nicht definierbar, so dass wir keine überzeugenden Abgrenzungskriterien zwischen zwei kollisionsrechtlichen Systemen aufstellen können. Hierzu besteht indes auch gar keine Notwendigkeit. Eingriffsnormen (im materiellen Sinne) unterfallen nicht etwa dem IÖR und entzögen sich deswegen dem IPR a priori als Anknüpfungsgegenstand – sie sind integraler Bestandteil („Rohstoff“434) des IPR, so dass sich dieses originär mit deren kollisionsrechtlicher Behandlung435 und nicht nur mit den Folgen einer – vorgegebenen – Anwendbarkeit dieser Regelungen beschäftigen muss. Hierfür ist das IPR sowohl technisch als auch methodisch in der Lage: Wir können bei der einzelnen Norm ansetzen, also die Frage „vom Gesetz her“ stellen, ohne uns in Widerspruch zu Savignys 432

Vgl. hierzu auch bereits sub Kapitel 1 B.III.2.a) (S. 53 ff.). Kegel/Schurig § 2 IV (S. 155); Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 234; ders., FS Jayme, 837 (842 Fn. 24). 434 Schurig, vgl. Fn. 430. 435 Und damit auch mit den durch öffentliche Zwecke implizierten kollisionsrechtlichen Gemeininteressen; vgl. sub Kapitel 1 B.III (S. 39), Kapitel 1 B.III.2.b)bb). (S. 69) und Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 80). 433

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

„klassischem IPR“ zu begeben, und wir können diese Normen aufgrund einer teleologischen Betrachtung kollisionsrechtlich anders behandeln als das reguläre Statut, wenngleich Eingriffsnormen in dieses „hineinregieren“ wollen. Machen wir mit der von Coester angemahnten wertmäßigen und wertverwirklichenden Systematik des Rechts Ernst, so müssen wir bei einer solchen Ausgangslage einem die reguläre kollisionsrechtliche Methode durchbrechenden kollisionsrechtlichen Zweitsystem eine Absage erteilen. Die Frage der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeit von Eingriffsnormen muss das IPR beantworten – ist diese Antwort nicht bereits durch kodifizierte Kollisionsnormen artikuliert, muss diese im Rahmen einer kohärenten, system- und methodenimmanenten Rechtsfortbildung innerhalb des IPR gefunden werden. Dies soll im Folgenden verdeutlicht werden. IV. Eingriffsnormen als Problem der Rechtsfortbildung innerhalb des IPR 1. Ausgangssituation Verorten wir die Eingriffsnormenproblematik somit richtigerweise innerhalb des herkömmlichen internationalprivatrechtlichen Systems, wird die kollisionsrechtliche Frage nach der Anwendbarkeit auch von Normen, die etwa überwiegend öffentlichen Interessen dienen, von Seiten des „klassischen“ IPR beantwortet. Sofern der Gesetzgeber eine Sachnorm der lex fori mit einem speziellen rechtssatzbezogenen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl versehen hat (so im Falle der „selbstgerechten Sachnorm“), setzt sich dieser, wie bereits festgestellt wurde, unproblematisch als lex specialis auch gegenüber einer allgemeinen Kollisionsnorm durch, wenngleich die fragliche Sachnorm von dieser grundsätzlich erfasst wäre – und dies unabhängig davon, ob die fragliche Norm kumulativ besondere materielle Rechtszwecke vorweist. Liegt ein solcher spezieller Anwendungsbefehl nicht vor, muss geklärt werden, ob die fragliche Sachnorm unter eine allgemeine kodifizierte Kollisionsnorm qualifiziert werden kann. Ist dies der Fall, geht die gedanklich zugeordnete Elementkollisionsnorm also in dem von der allgemeinen Kollisionsnorm geschnürten Bündel auf, bestimmt diese Kollisionsnorm über die kollisionsrechtliche Anwendbarkeit jener Sachnorm. 2. Reichweite der allgemeinen Kollisionsnormen Entscheidend für die kollisionsrechtliche Behandlung von Eingriffsnormen ohne expliziten Anwendungsbefehl ist damit die Frage, ob diese von den kodifizierten Kollisionsnormen erfasst werden. Folgt man Schurigs Bünde-

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lungsmodell436, bestimmt sich die Reichweite einer Kollisionsnorm nach den ihr zugrunde liegenden kollisionsrechtlichen Interessen mit der möglichen Folge, dass ein zu weit geratener Wortlaut teleologisch zu reduzieren ist437. Entscheidend für eine erfolgreiche Qualifikation unter eine allgemeine Kollisionsnorm ist daher, dass die fragliche Sachnorm diejenigen kollisionsrechtlichen Interessen impliziert, denen auch die möglicherweise einschlägige Kollisionsnorm Rechnung trägt. Betrachten wir typische Eingriffsnormen, so verfolgen diese überwiegend öffentliche Sachnormzwecke, implizieren also überwiegend kollisionsrechtliche Gemeininteressen, die eine territoriale oder auch personale Anknüpfung nahelegen. Im Hinblick auf eine erfolgreiche Qualifikation unter eine potentiell einschlägige Kollisionsnorm wird demgemäß zur Voraussetzung, dass diese ebenfalls Gemeininteressen Rechnung trägt, so dass eine Zuordnung zu dem von der allgemeinen Kollisionsnorm geschnürten „Bündel“ möglich ist. Diese Frage muss somit für jede einzelne Kollisionsnorm separat beantwortet werden. Nehmen wir zunächst zum Beispiel das Internationale Vertragsrecht, bei dem die Eingriffsnormenproblematik symptomatisch am stärksten hervortritt. Dieses hat regelmäßig Sachnormen zum Gegenstand, die – wenngleich sie durchaus auch öffentlichen Interessen dienen können – überwiegend die Gerechtigkeit inter partes bezwecken. Solche Normen implizieren damit ebenfalls überwiegend Parteiinteressen, deren übereinstimmende kollisionsrechtliche Interessenlage eine Zusammenfassung zum Vertragsstatut ermöglicht und eine einheitliche Anknüpfung an die Rechtswahl der Parteien rechtfertigt. Demgegenüber weisen typische Eingriffsnormen, welche die Gerechtigkeit inter partes exogen einschränken, andere materielle Zwecke als statutszugehörige Normen auf, die wiederum andere kollisionsrechtliche Interessen implizieren, denen die vertraglichen Kollisionsnormen mit der primären Anknüpfung an die Rechtswahl nicht Rechnung 436 Geht man demgegenüber davon aus, dass sich die Reichweite einer Kollisionsnorm nach dem von dem jeweiligen Tatbestand umschriebenen Sachverhalt, dem Rechtsverhältnis oder der Rechtsfrage bestimmt, so müsste man den allgemeinen Kollisionsnormen – wie bereits sub Kapitel 1 B.III.2.a)aa) (S. 53 ff.) ausgeführt – konsequenterweise typische Eingriffsnormen unterfallen lassen. Dies hätte zur Folge, dass die insoweit einschlägige Kollisionsnorm abschließend auch über die Anwendung inländischer Eingriffsnormen zu bestimmen hätte und eine statutsunabhängige Durchsetzung damit a priori ausschiede – ein (freilich ungewünschtes) Ergebnis, dem man sich bei einer solchen Ausgangsprämisse nur dann entziehen kann, wenn man Eingriffsnormen aus dem herkömmlichen IPR aussondert und einem besonderen kollisionsrechtlichen Zweitsystem unterstellt. 437 Insoweit handelt es sich methodisch um einen „normalen“ Fall der teleologischen Reduktion eines hinsichtlich des konkreten Gesetzeszwecks zu weit geratenen Wortlauts; vgl. Schurig S. 201.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

tragen 438. Typische Eingriffsnormen können deswegen nicht erfolgreich unter Art. 3 ff. Rom I qualifiziert werden, so dass sie – wenngleich vom Wortlaut (Art. 10 I Rom I) grundsätzlich erfasst – aus der vertraglichen Bündelung fallen439. Der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl für Normen, die exogen die Gerechtigkeit inter partes einschränken, kann damit nicht von Art. 3 ff. Rom I ausgesprochen werden, so dass eine statutsunabhängige Anknüpfung erfolgen muss. Zu einem anderen Ergebnis könnte man nach obigen Ausführungen möglicherweise dann gelangen, wenn man Ordnungsinteressen a priori einen höheren Stellenwert einräumt als materiellrechtlich implizierten kollisionsrechtlichen Interessen. Eine solches Vorgehen, das das IPR von den materiellen Wertungen des Sachrechts löst, ist nach hier vertretener Ansicht jedoch abzulehnen: Hinsichtlich der der materiellen Gerechtigkeit dienenden Funktion des IPR kann den Ordnungsinteressen kein Selbstzweck zugesprochen werden – als Ausprägung des Spannungsverhältnisses von Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit sind solche Interessen auf die rechtstechnische Durchführbarkeit des inhaltlichen Gerechtigkeitsideals gerichtet, so dass dessen Verwirklichung im Vordergrund steht. Hieraus folgt, dass Ordnungsinteressen als begrenzende „Kräfte“ im Sinne Kahns zumindest keine eindeutig materiellrechtlich implizierte Interessenlage – wie sie bei typischen Eingriffsnormen gegeben ist – überwinden können und eine vertragliche Qualifikation solcher Bestimmungen daher bereits aus diesem Grunde abzulehnen wäre. Zudem könnte ein solches Vorgehen auch in der Sache nicht überzeugen. Eine vertragliche Qualifikation typischer Eingriffsnormen der lex fori440 (und damit einhergehender Nichtanwendung dieser Bestimmungen bei ausländischem Vertragsstatut) ließe sich auf den äußeren Entscheidungseinklang alleine mit der Erwägung stützen, dass diese aufgrund der im Ausland verbreiteten Schuldstatutstheorie 441 hinkende Rechtsverhältnisse vermeiden könnte. Eine dahingehende Argumentation – die freilich zu einem international vollkom-

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Treffend von Bar/Mankowski § 4 Rn. 92, Rn. 120: Fasste man typische Eingriffsnormen unter Kollisionsnormen, die der Parteiautonomie Rechnung tragen, so stellte man „Staatsinteressen zur Disposition der Parteien [...]. Das kann so nicht angehen, denn Eingriffsnormen sind ihrem Selbstverständnis nach Grenze, nicht Objekt der Parteiautonomie“ (Aussage bezogen auf die Schuldstatutstheorie). 439 Im Ergebnis entspricht dies – zumindest für Eingriffsnormen der lex fori – freilich der allgemeinen Ansicht, da Charakteristikum der Eingriffsnormenproblematik ja gerade die statutsunabhängige Anknüpfung solcher Bestimmungen darstellt. Begründet mit dem Bündelungsmodell: Schurig, FS Jayme, 837 (840); Kegel/Schurig § 2 IV 2 (S. 155); Mäsch S. 159-165; Brüning S. 160 f.; Kuckein S. 40 f.; Fetsch S. 42. Begründet mit einem extrinsischen oder intrinsischen Systemdualismus anhand einer materiellen Definition etwa: MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 47 (deutlicher die Vorauflage Rn. 40); ders., IPRax 2003, 104 (106 f.); Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 15; von Bar/Mankowski § 4 Rn. 92, 120; Kropholler § 52 X 1 (S. 504); Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 81 ff.; Anderegg S. 79 f.; Zeppenfeld S. 70-73. Vorstehende Nachweise sind teilweise auf ausländische Eingriffsnormen bezogen, gelten aber freilich „erst recht“ für solche der lex fori. 440 Bzgl. ausländischer Eingriffsnormen vgl. sub Kapitel 3 D.II.1 (S. 283 f.). 441 Vgl. hierzu Kapitel 3 D.II.1 (S. 279 ff.).

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men unüblichen 442 und (vor dem Hintergrund eines materielle Wertungen verwirklichenden IPR) auch völlig unangemessenen Ergebnis führte – wäre indes bereits deswegen verfehlt, weil sich ein autonomes Kollisionsrecht als eigenverantwortliche Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee schwerlich an einem möglicherweise zwar international vorherrschenden, jedoch inhaltlich nicht überzeugenden Lösungsmodell orientieren kann 443. Darüber hinaus könnte auch der innere Entscheidungseinklang eine vertragliche Qualifikation typischer Eingriffsnormen nicht stützen, da dieser durch eine statutsunabhängige Anknüpfung bestimmter Normen nicht einmal konkret auf den Plan gerufen wird: Zwar mag – wie bereits erwähnt 444 – ein Ordnungsinteresse an möglichst umfassenden Statuten bestehen, um (mit einer Aufspaltung des Vertragsstatuts möglicherweise einhergehende) Normwidersprüche von vornherein zu vermeiden, doch sind die aus einer dépeçage resultierenden Gefahren allenfalls abstrakter Natur, denen wir bei Realisierung mit dem methodischen Instrument der Anpassung angemessen begegnen können; insoweit ist es jedoch keinesfalls erforderlich, zu einer vertraglichen Qualifikation typischer Eingriffsnormen der lex fori zu gelangen 445, so dass eine solche auch abzulehnen ist. Nicht anders verfährt im Übrigen die – zumindest in Deutschland von der überwiegenden Ansicht abgelehnte – Schuldstatutstheorie, die zwar ausländische Eingriffsnormen der lex causae von den herkömmlichen Kollisionsnormen als umfasst betrachtet, jedoch nicht inländische Eingriffsnormen. Deren Anwendung richtet sich nach eigenen Regeln, so dass diese ebenfalls aus dem – wenig überzeugend – geschnürten vertraglichen Bündel herausgenommen und gegen eine fremde lex causae durchgesetzt werden.

Auch wenn demnach typische Eingriffsnormen regelmäßig aus der vertraglichen Bündelung fallen, können solche Bestimmungen dennoch von anderen Kollisionsnormen erfasst werden. So wurde bereits festgestellt, dass Art. 6 Rom II als (herkömmliche) Kollisionsnorm für lauterkeits- und kartellrechtliche Ansprüche zumindest auch solche Normen zum Gegenstand hat, die überwiegend öffentliche Zwecke verfolgen446. Der Grund hierfür liegt schlicht darin, dass die territoriale Anknüpfung des Art. 6 Rom I an den Marktort den durch diese Sachnormen implizierten kollisionsrechtlichen Gemeininteressen Rechnung trägt, so dass eine Qualifikation etwa von kartellrechtlichen Bestimmungen, die einen Schadensersatzanspruch gewähren, unter Art. 6 Rom II erfolgreich ist – der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl wird insoweit von dieser Kollisionsnorm abschließend festgelegt447. Gleiches gilt grundsätzlich auch für erb- und 442 So wird wohl kein Staat die Anwendung von Bestimmungen, die seinem Interesse dienen, von der Rechtswahl der Parteien abhängig machen und insoweit zu deren Disposition stellen (vgl. hierzu Fn. 438). 443 Hierzu allgemein Kegel/Schurig § 2 II 3 a (S. 140); Kropholler § 6 II 2 (S. 38); vgl. auch Fn. 415. 444 Vgl. sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 82). 445 Deutlich wird dies bereits dadurch, dass das kodifizierte Kollisionsrecht selbst etwa mit Art. 7, 11 EGBGB einzelne, vom Vertragsstatut unabhängig abzuknüpfende Teilfragen vorsieht, so dass die abstrakte Gefahr eines Normwiderspruches einer weiteren Ausdifferenzierung des IPR nicht generell im Wege stehen kann. 446 Vgl. hierzu Kapitel 1 B.II.2.c)bb) (S. 30 ff.). 447 Näher hierzu sub Kapitel 2 B.I.1 (S. 127 f.).

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

familienrechtliche Kollisionsnormen, welche ebenfalls stark öffentlich geprägte Sachnormen zum Gegenstand haben448. So wird – um das zweite bereits genannte Beispiel aufzugreifen – § 1306 BGB nach allgemeiner Ansicht von Art. 13 I EGBGB erfasst, geht also in dieser Bündelung trotz – möglicherweise überwiegender – öffentlicher Zwecke auf449. Wenngleich Gemeininteressen impliziert werden, kann Art. 13 I EGBGB durch seine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit auch diesen kollisionsrechtlichen Interessen Rechnung tragen; eine statutsunabhängige Anknüpfung kommt insoweit trotz gewichtiger Beteiligung öffentlicher Zwecke nicht in Betracht. 3. „Disqualifikation“ als Voraussetzung der statutsunabhängigen Anknüpfung Den Beispielen ist zu entnehmen, dass die Frage nach einer statutsunabhängigen Anknüpfung von Normen, die möglicherweise sogar überwiegend öffentliche Zwecke verfolgen, nur von der jeweils potentiell einschlägigen Kollisionsnorm selbst beantwortet werden kann. Trägt diese ebenfalls den von typischen Eingriffsnormen implizierten kollisionsrechtlichen Gemeininteressen Rechnung, so kann die fragliche Bestimmung unter die jeweilige Kollisionsnorm qualifiziert und dem geschnürten Bündel zugeordnet werden. Ist der Qualifikationsvorgang jedoch erfolglos, werden die fraglichen Sachnormen also nach Kuckein „disqualifiziert“450, so gelangen wir zu dem Ergebnis, dass der fraglichen Sachnorm – mangels weiterer potentiell einschlägiger kodifizierter Kollisionsnormen – kein kollisions448

Vgl. etwa Rehbinder, JZ 1973, 151 (154); Voser S. 53: Wenngleich erb- und familienrechtliche Normen „seit jeher öffentliche Funktionen“ wahrnehmen, „reichen die traditionellen Kollisionsnormen in diesen Bereichen in der Regel auch heute noch aus“. 449 Vgl. Fn. 127. Und dies ist auch sachgerecht, da gemeinwohlbezogene Zwecke – neben einer territorialen Anknüpfung – ebenfalls eine personale Anknüpfung nahe legen können, weil sich das Gemeinwesen (also der Staat) nicht nur durch das Staatsgebiet, sondern auch durch das Staatsvolk definiert. Insoweit entspricht es grundsätzlich einer angemessenen kollisionsrechtlichen Verwirklichung des öffentlichen Zwecks von an die jeweilige Person gerichteten Eheverboten, wenn kollisionsrechtlich an die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird. Dennoch kann – auch wenn § 1306 BGB unter Art. 13 I EGBGB zu qualifizieren ist – in besonderen Fällen kumulativ eine territoriale Anknüpfung hinzutreten, und zwar im Rahmen des ordre public: Wollen etwa zwei Iraner vor einem deutschen Standesbeamten eine Mehrehe eingehen, so ist § 1306 BGB als bereits konkretisierter Grundsatz des ordre public ebenfalls anzuwenden, weil dessen Normzweck – Schutz „eines als unantastbar empfundenen kulturellen Besitzes“ (vgl. Fn. 126) – auch in diesem Falle eine kollisionsrechtliche Anwendung erfordert; näher hierzu Kegel/Schurig § 16 II (S. 523). 450 Kuckein S. 41; Schurig S. 320 spricht von „Negativfeststellung“; ders., Lois d’application immédiate, 55 (64): „Negativum“; ähnlich bereits Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 252 (vgl. Fn. 467).

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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rechtlicher Anwendungsbefehl von Seiten des Gesetzgebers beigefügt worden ist. Da nun jede Sachnorm vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen für ihre Anwendung – auch in einem reinen Inlandssachverhalt – eines solchen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls bedarf451 und Normen der lex fori zumindest in einem reinen Inlandssachverhalt zur Anwendung gebracht werden müssen, stoßen wir im Falle der „Disqualifikation“ auf eine Regelungslücke im kollisionsrechtlichen System, die wir im Wege systemkonformer und systemkohärenter Rechtsfortbildung schließen müssen. Die Problematik der forumeigenen Eingriffsnormen ohne expliziten Anwendungsbefehl geht somit im allgemeinen Problemfeld der Rechtsfortbildung innerhalb des IPR auf452. Damit kann festgestellt werden: Eingriffsnormen entziehen sich nicht aufgrund ihrer – wie auch immer zu bestimmenden – materiellen „Wichtigkeit“ den regulären Kollisionsnormen, wie die Vertreter eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems annehmen, sondern deshalb, weil sie aufgrund ihrer besonderen materiellen Struktur andere kollisionsrechtliche Interessen implizieren, die eine Zuordnung zu dem von der kodifizierten Kollisionsnorm geschnürten Bündel verhindern453. Damit entsteht eine Regelungslücke innerhalb des IPR, die zumindest für Normen der lex fori vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen stets geschlossen werden muss. Eingriffsnormen im materiellen Sinne bilden damit – wie bereits Kahn feststellte – den noch unerkannten und den noch unfertigen Teil des internationalen Privatrechts454. 451

Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.I (S. 6 ff.). Vgl. hierzu allgemein Kegel/Schurig § 6 III (S. 317 f.); speziell bezogen auf die Eingriffsnormenproblematik der Sache nach Schurig S. 320; ders., Lois d’application immédiate, 55 (64); ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (234); deutlich Mäsch S. 159 f., 163; Kuckein S. 71. Dass es sich bei der Frage nach der „Anwendungswilligkeit“ von Eingriffsnormen im materiellen Sinne um Rechtsfortbildung handelt, wird auch von manchen Vertretern eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems anerkannt, vgl. Fn. 77. Der entscheidende Unterschied zu der hier vertretenen Ansicht liegt jedoch darin, dass diese nicht außerhalb, sondern innerhalb des herkömmlichen IPR zu erfolgen hat und somit an dessen Systematik und Methodik gebunden ist. 453 So die Vertreter des Bündelungsmodells, Nachweise vgl. Fn. 439. 454 Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 251 (wenngleich sich Kahns Feststellung ausdrücklich auf den ordre public bezieht, geht es bei seiner Abhandlung insbesondere um die kollisionsrechtliche Behandlung von „Prohibitivgesetzen“ (so der in Klammer gesetzte Zusatz seines Titels) oder streng-zwingender, positiver Gesetze i.S. Savignys, also um den „positiven“ ordre public und damit um Normen, die wir heute als Eingriffsnormen bezeichnen). So führt Kahn, a.a.O., S. 251 f. aus: „Was man unter den ‚Gesetzen der öffentlichen Ordnung’, der ‚Vorbehaltsklausel’ und ähnlichem zusammenzufassen pflegt, ist im allgemeinen der noch unerkannte und der noch unfertige Teil des internationalen Privatrechts. Jede Ausnahme von einer sonst geltenden Regel, jede speziellere, neu sich bildende Kollisionsnorm, jede Abänderung, Umformung einer bestehenden pflegt eingeführt zu werden mit jenem passe-partout des ordre public. Diese Ausnahmen 452

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

Aus dieser Erkenntnis können zwei wichtige Folgerungen abgeleitet werden. Liegt der Grund der statutsunabhängigen Anknüpfung von typischen Eingriffsnormen in der „Lückenhaftigkeit“ des Kollisionsrechts und der damit notwendig verbundenen Rechtsfortbildung begründet, so ist die „Disqualifikation“ bestimmter Normen hinsichtlich der kodifizierten Kollisionsnormen notwendige Voraussetzung für eine statutsunabhängige Anknüpfung, da alleine dann eine Regelungslücke gegeben ist, die uns eine Kollisionsnormbildung modo legislatoris überhaupt erst ermöglicht. Geht die fragliche Sachnorm in einem herkömmlich geschnürten Bündel auf, fehlt es an einer Regelungslücke als notwendige Voraussetzung für die Rechtsfortbildung, so dass eine statutsunabhängige Durchsetzung a priori nicht in Betracht kommen kann455. Als zweite Folgerung können wir auf deduktive Weise die bereits empirisch gewonnene Erkenntnis bestätigen, dass Eingriffsnormen sachrechtlich nicht definierbar sind – dies jedenfalls nicht im Sinne der überwiegenden Auffassung, die mit einer solchen (konstitutiven) Definition all diejenigen Normen unmittelbar und abschließend zu beschreiben versucht, die einer von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängigen Anknüpfung bedürfen456. Denn wenn der Grund für die statutsunabhängige Durchsetzung eine Regelungslücke im kollisionsrechtlichen System darstellt, können materiellrechtliche Kriterien diese Lücke keinesfalls verbindlich bestimmen. Das Vorhandensein einer kollisionsrechtlichen Regelungslücke lässt sich vielmehr nur auf der Ebene des Kollisionsrechts anhand kollisionsrechtlicher Interessen feststellen („Disqualifikation“), und Schranken der geltenden Kollisionsnormen, diese ihre Umbildungen, Neubildungen, Ergänzungen heißt es zu erkennen und festzustellen. Und es hat dies für jede Einzelmaterie besonders zu geschehen, ist nur möglich auf der Basis von Spezialuntersuchungen. Eine Vorbehaltsklausel allgemeiner Art zugunsten streng-zwingender, positiver Gesetze, zugunsten von lois d’ordre public etc. gibt es nicht“ (Hervorhebung im Original). Aus der heutigen Literatur ebenso etwa Mäsch S. 163, der Eingriffsnormen „als richterrechtliche Ausnahmen von der gebündelten Verweisung in einer allseitigen Kollisionsnorm aufgrund einer abweichenden kollisionsrechtlichen Interessenbewertung“ bezeichnet, und Kuckein S. 49, der – von der materiellen Norm aus betrachtet – Eingriffsnormen als „Sachnormen, die etwa und insbesondere wegen einer ‚öffentlichen’ Zwecksetzung interessenmäßig nicht unter die bestehenden Kollisionsnormen subsumiert werden können“, definiert. 455 So treffend Mäsch S. 163: „Da die sog. Eingriffsnormen nichts anderes sind als richterrechtliche Ausnahmen von der gebündelten Verweisung in einer allseitigen Kollisionsnorm aufgrund einer abweichenden kollisionsrechtlichen Interessenbewertung, so ist dann, wenn eine positiv niedergelegte Verweisungsnorm in ihrer Gestaltung diese Interessen bereits berücksichtigt, eine solche Ausnahme nicht (mehr) notwendig. Richterrecht schließt Lücken und ist deshalb dort fehl am Platz, wo der Gesetzgeber selbst tätig geworden ist“. 456 Ausführlich hierzu Kapitel 1 B.II.2.b) (S. 20 ff.).

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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welche sich jedoch einer materiellrechtlichen Beschreibung entziehen. Damit kann einer rein materiellen Definition a priori keine konstitutive Bedeutung zugesprochen werden. Ebenso wenig eignet sie sich für eine deklaratorische Beschreibung all derjenigen Bestimmungen, die einer statutsunabhängigen Anknüpfung bedürfen, und dies auf zweifache Weise: Zum einen entziehen sich Normen, die aufgrund ihrer überwiegend öffentlichen Sachnormzwecke kollisionsrechtliche Gemeininteressen implizieren, keinesfalls allen kodifizierten Kollisionsnormen, wie insbesondere Art. 6 Rom II verdeutlicht, welcher kollisionsrechtlichen Gemeininteressen Rechnung trägt und der deswegen auch typische Eingriffsnormen zum Gegenstand hat. Darin liegt im Übrigen auch der Grund, warum die Eingriffsnormenproblematik im Kartellprivatrecht bislang kaum in Erscheinung getreten ist457. Die Durchsetzung bestimmter kartellprivatrechtlicher Vorschriften der lex fori im Bereich des Kartelldeliktsrechts scheitert damit an dem Fehlen einer Regelungslücke, nicht jedoch an der von der h.M. vorgeschlagenen materiellen Definition einer sonderanzuknüpfenden Eingriffsnorm, die auch mit den strengsten Anforderungen kartellrechtliche Bestimmungen nicht aussondern kann458.

Eine allgemein gültige Definition anhand des Vorliegens materieller öffentlicher Zwecke im Sinne eines „kleinsten gemeinsamen Nenners“, die eine notwendige „Disqualifikation“ hinsichtlich aller kodifizierter Kollisionsnormen beschreiben könnte, ist damit nicht möglich. Ihr kann allenfalls in Bezug auf die Beschreibung einer Regelungslücke im IPR eine heuristische Bedeutung459 zugesprochen werden, weil sie insbesondere im Bereich des Internationalen Vertragsrechts – für welchen sie ja auch entwickelt wurde – eine hohe „Trefferquote“ aufweist. Jedoch ist eine solche Definition auch hier – zum anderen – ungeeignet, jegliche mögliche kollisionsrechtliche Regelungslücke zu beschreiben, da nicht nur implizierte Gemeininteressen zu einer Disqualifikation hinsichtlich vertraglicher Kollisionsnormen führen können460. Lässt man einmal das Sonderprivatrecht

457 Letzteres feststellend Mäsch/Mäsch, PK-KartellR, § 130 Rn. 21 m.w.N.; treffend Wagner, IPRax 2008, 1 (15), der darauf hinweist, dass der sachrechtlichen Steuerungsfunktion der kartell- und lauterkeitsrechtlichen Haftung durch Art. 6 Rom II kollisionsrechtlich Rechnung getragen wird und daher eine Sonderanknüpfung nicht notwendig ist. 458 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.c)bb) (S. 30 ff.). 459 Treffend Pfeiffer, FS Geimer, 821 (824); Mäsch S. 161 spricht von „Indiz“; ebenso Kuckein S. 40. 460 Schurig, FS Jayme, 837 (842 Fn. 24) stellt treffend fest, dass überwiegend öffentliche Sachnormzwecke im Bereich des Vertragsrechts allenfalls „hinreichende“, keinesfalls jedoch eine „notwendige Bedingung“ für eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung darstellen; „vielmehr gilt allgemein: Dienen Normen anderen sachrechtlichen Interessen und rufen sie deswegen andere kollisionsrechtliche Interessen auf den Plan, so

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

außer Betracht, auf das noch näher einzugehen ist461, so trifft dies insbesondere für Bestimmungen des Gesellschafts- und des Stellvertretungsrechts zu, die sicher nicht im überwiegend öffentlichen Interesse erlassen wurden. Es handelt sich hierbei um Normen, die in besonderem Maße Drittinteressen berücksichtigen und die folglich kollisionsrechtliche Verkehrsinteressen implizieren, denen die subjektive und objektive Bestimmung des Vertragsstatuts nicht Rechnung tragen und die deswegen einer von dem herkömmlichen Vertragsstatut unabhängigen Anknüpfung bedürfen462. Betrachtet man die von der Rechtsprechung aufgestellten Anknüpfungsgrundsätze im Bereich des nationalen Rechts nicht bereits als Richterrecht, so liegt hier ebenfalls eine Lücke vor, die – mangels Eröffnung des Anwendungsbereiches der Rom I-Verordnung – im Wege nationaler Rechtsfortbildung zu schließen ist und die nicht von dem Definitionsversuch der h.M. erfasst ist. Dieser ist somit auch in einem heuristischen Sinne nur beschränkt brauchbar. Vor dem geschilderten Hintergrund wird deutlich: Will man eine konstitutive Definition für statutsunabhängig anzuknüpfende Bestimmungen 463 entwickeln, die den Anforderungen der überwiegenden Auffassung Rechnung trägt, lässt sich das nur dann erreichen, wenn diese Definition zum einen die Notwendigkeit einer Regelungslücke zum Ausdruck bringt und zum anderen auf das Vorliegen öffentlicher Normzwecke verzichtet – denn letztere können zwar durchaus Anlass einer kollisionsrechtlichen Sonderbehandlung sein, sie stellen jedoch keine notwendige Bedingung hierfür dar 464. Demgemäß ließe sich etwa formulieren, dass eine Sachnorm dann statutsunabhängig anzuknüpfen ist, wenn sie aufgrund ihrer materiellen Normzwecke von den herkömmlichen Kollisionsnormen abweichende kollisionsrechtliche Interessen impliziert, deswegen nicht unter diese qualifiziert werden kann und daher vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen einer speziellen, im Wege der Rechtsfortbildung zu entwickelnden Kollisionsnorm bedarf. Ob man jedoch all diese Bestimmungen wirklich als Eingriffsnormen (im materiellen Sinne) bezeichnen sollte, erscheint fraglich, auch wenn sie allesamt in das „regulär“ erscheinende Statut „eingreifen“. Denn zum einen ist der Begriff einer Eingriffsnorm aufgrund der in Art. 9 I Rom I vorgesehenen Legaldefinition nunmehr zumindest in einem deskrip-

müssen sie diesen entsprechend kollisionsrechtlich angeknüpft werden [...]“ (Hervorhebung im Original). 461 Vgl. hierzu sub Kapitel 2 B.II.1 (S. 135 ff.). 462 Die politisch motivierte Herausnahme dieser Bereiche aus dem Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung/des EVÜ ist somit ebenfalls Ausdruck einer erforderlichen vertragsstatutsunabhängigen Anknüpfung dieser Bestimmungen. Da Art. 1 II lit. f, g Rom I bzw. Art. 1 II lit. e, f EVÜ mit dem Anwendungsbereich zugleich auch die Reichweite der vertraglichen Kollisionsnormen ausdrücklich beschränken, erübrigt sich insoweit auch eine teleologische Reduktion der das Vertragsstatut bestimmenden Kollisionsnormen. 463 Gemeint sind in diesem Zusammenhang nur solche Bestimmungen, denen nicht bereits ein kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl seitens des Gesetzgebers zugeordnet worden ist, die also keine „selbstgerechten Sachnormen“ darstellen. 464 Schurig, vgl. Fn. 460.

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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tiven Sinne für Normen reserviert, die öffentliche Sachnormzwecke verfolgen, so dass eine Gleichsetzung von Eingriffsnormen mit allen statutsunabhängig anzuknüpfenden Bestimmungen wohl mehr Verwirrung denn Klarheit stiftet. Insbesondere bestehen jedoch zum anderen noch näher auszuführende465 Besonderheiten hinsichtlich der kollisionsrechtlichen Behandlung solcher Bestimmungen, die ein ausländischer Staat überwiegend in seinem öffentlichen Interesse erlassen hat. Insoweit bedarf es einer terminologischen Unterscheidung zwischen Bestimmungen, die einerseits aufgrund implizierter Gemeininteressen, anderseits aufgrund anderer materiellrechtlich implizierter Interessen „disqualifiziert“ wurden, so dass es sich auch für die Zwecke dieser Arbeit anbietet, den Begriff „Eingriffsnormen im materiellen Sinne“ auf solche Bestimmungen zu beschränken, die im überwiegenden öffentlichen Interesse erlassen worden sind und deswegen überwiegend kollisionsrechtliche Gemeininteressen implizieren. Zu betonen ist jedoch, dass mit dieser rein terminologischen Unterscheidung keine konstitutive Einschränkung statutsunabhängig anzuknüpfender Bestimmungen einhergeht, sondern alleine eine Differenzierung innerhalb dieser Normgruppe erfolgt, die jedenfalls für die kollisionsrechtliche Behandlung inländischer Sachnormen rein deskriptiven Charakter hat: Denn insoweit ist es völlig gleichgültig, warum die fraglichen Sachnormen aus einer „Bündelung“ fallen – sie müssen nur den durch ihre jeweilige materielle Struktur implizierten kollisionsrechtlichen Interessen entsprechend angeknüpft werden466.

Damit lässt sich festhalten: Notwendige Voraussetzung für die statutsunabhängige Anknüpfung einzelner Normen ist deren „Disqualifikation“ hinsichtlich der kodifizierten Kollisionsnormen, so dass aus diesem Grunde eine ausschließlich an materiellrechtlichen Kriterien orientierte Definition einer Eingriffsnorm scheitern muss. Eingriffsnormen im materiellen Sinne lassen sich daher nur als solche Bestimmungen beschreiben, die wegen ihrer zugrunde liegenden öffentlichen Sachnormzwecke überwiegend kollisionsrechtliche Gemeininteressen implizieren, deswegen nicht unter die herkömmlichen Kollisionsnormen qualifiziert werden können und daher vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnung spezieller Kollisionsnormen bedürfen, welche im Wege der Rechtsfortbildung zu entwickeln sind. 4. Kollisionsnormbildung modo legislatoris Stoßen wir aufgrund eines erfolglosen Qualifikationsvorgangs auf eine Regelungslücke im kodifizierten kollisionsrechtlichen System, stellt sich die Frage, wie diese für die hier interessierenden typischen Eingriffsnormen – also für Bestimmungen, die aufgrund überwiegend öffentlicher Zwecke „disqualifiziert“ wurden – zu schließen ist467. Denn aus dem Fak-

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Vgl. hierzu insbesondere sub Kapitel 3 C.II.4 (S. 235 ff.). Schurig, vgl. Fn. 460. 467 Treffend bereits Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 252: „Finden wir etwa bei dieser Prüfung [nach der Reichweite der Kollisionsnorm], daß gewisse Sachnormen in den Kreis der Kollisionsnorm nicht hineingehören, so ist damit die privatinternationale 466

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

tum der „Disqualifikation“ kann weder geschlossen werden, dass die Norm „nie gilt“ (dies kann offensichtlich nicht der Fall sein, da die „disqualifizierte“ Norm zumindest in einem reinen Inlandssachverhalt zur Anwendung gebracht wird) noch dass sie „immer gilt“. Letzteres mögen diejenigen annehmen, die im Anschluss an Savigny für die Anwendung von Eingriffsnormen keinerlei Inlandsbezug fordern und diese somit stets aufgrund ihrer „Wichtigkeit“ zur Anwendung bringen wollen468. Nun hat bereits Kahn herausgearbeitet, dass „keines unserer Gesetze, mag es auch noch so fundamental sein“, „exklusive, absolute Anwendung“ verlangt 469; entscheidend ist stets – vor dem Hintergrund der räumlichen Relativität des materiellen Gerechtigkeitsgehalts jeder Norm 470 – eine „besonders geartete Anknüpfung“471. Diese Anknüpfung ist „eine verschiedene [...] bei den verschiedenen Prohibitivgesetzen“ und entscheidend ist, „die maßgebende Anknüpfung – oder die maßgebenden Anknüpfungen – für die verschiedenen ‚Prohibitivgesetze’ oder die verschiedenen Klassen dieser Gesetze zu bestimmen. [...] Hier war der Punkt, die Lehre Savignys zu verbessern und weiterzuführen. Statt dessen ist man dabei stehen geblieben, zu glauben, es komme in der Hauptsache nur auf die Prüfung des sachlichen Inhalts bestimmter Gesetze von ganz besonderer Art an, und wenn man bei dieser Prüfung einen ungewöhnlich hohen Gehalt an sozialem Öl konstatiert habe, so sei die Analyse im wesentlichen beendet, und die Diagnose auf ‚exklusive Anwendbarkeit’ zu stellen“ 472.

Erforderlich ist somit vor dem Hintergrund der räumlichen Relativität eines jeden Rechtssatzes, der „disqualifizierten“ Sachnorm im Wege einer systemimmanenten und kohärenten Rechtsfortbildung473 eine Kollisionsnorm mit einem dieser sachrechtlichen Bestimmung angemessenen Anknüpfungsmoment zur Seite zu stellen. Ausgangspunkt hierfür ist wiederum die durch die materielle Struktur dieser Norm implizierte kollisionsrechtliche Interessenlage, die nach obigen Ausführungen bestimmte AnUntersuchung für diese Sachnormen nicht etwa beendigt, sondern sie fängt erst an. Wir haben nun zu forschen, welche andere Kollisionsnorm hier gilt“. 468 Hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.c)cc) (S. 37). Zu einem solchen Ergebnis können insbesondere diejenigen leicht gelangen, die Eingriffsnormen im Sinne eines extrinsischen Systemdualismus generell aus dem IPR aussondern. Dann liegt der Gedanke nahe, dass allein solche Normen, die Gegenstand des herkömmlichen allseitigen IPR sind, einen (durch „kollidierende“ Rechtsordnungen) beschränkten Anwendungsbereich haben, nicht jedoch Normen, die außerhalb dieses Systems stehen und daher möglicherweise stets zur Anwendung zu bringen sind (soweit vorhanden, freilich im Rahmen ihres selbstgesteckten Anwendungsbereiches). 469 Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 183. 470 Vgl. sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 62 ff.). 471 Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 182. 472 Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 182 (Hervorhebung im Original). 473 Entgegen der h.M., welche Eingriffsnormen einem kollisionsrechtlichen Zweitsystem unterstellt und welche die im Bereich von Eingriffsnormen im materiellen Sinne notwendige Rechtsfortbildung außerhalb des herkömmlichen kollisionsrechtlichen Systems alleine anhand materieller Sachnormzwecke vornehmen will, siehe hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.b) (S. 20 ff.), auch Fn. 452.

B. Eingriffsnormen im kollisionsrechtlichen System

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knüpfungsmomente nahelegt. Mag es jedoch bezüglich der Disqualifikation hinsichtlich des Vertragsstatuts ausreichen, überwiegend implizierte Gemeininteressen festzustellen, so ist damit hinsichtlich der Bestimmung des konkreten, für diese Norm angemessenen Anknüpfungsmomentes noch nicht viel gewonnen. Denn diese können – je nach konkreter Ausgestaltung – sowohl eine territoriale als auch personale Anknüpfung nahelegen, da öffentliche Interessen stets auf ein Gemeinwesen bezogen sind, das sich durch Territorium und Volk konstituiert und insoweit „lokalisierbar“ ist. Für die Bestimmung des in concreto angemessenen Anknüpfungsmomentes ist daher erforderlich, das implizierte Gemeininteresse näher zu konkretisieren, was wiederum nur anhand der der fraglichen Sachnorm zugrunde liegenden materiellen Rechtszwecke erfolgen kann474. Insoweit ist die Beobachtung von Neuhaus und Kropholler völlig zutreffend, dass es bei manchen Gesetzen sinnvoll ist, die Rechtsanwendungsfrage „vom Gesetz her“ zu stellen – sie lässt sich nämlich mangels einer geschriebenen Kollisionsnorm gar nicht anders stellen. Denn die Rechtsanwendungsfrage „vom Sachverhalt her“ kann nur erfolgreich beantwortet werden, wenn wir eine allseitige Kollisionsnorm vorfinden, die in ihrem Tatbestand zur Kennzeichnung des Normbündels eben auch den Sachverhalt voraussetzt – als kodifizierte „Relaisstation der Rechtsfindung“475 erspart sie uns dann den mitunter sicher nicht leichten Weg, anhand der durch die Sachnorm implizierten kollisionsrechtlichen Interessen eine angemessene Anknüpfung für diese Sachnorm zu entwickeln und eben die Rechtsanwendungsfrage „vom Gesetz her“ zu stellen. Die von Neuhaus und Kropholler postulierte Zweipoligkeit des IPR aufgrund der unterschiedlichen Fragestellung beschreibt so gesehen schlicht die „Zweipoligkeit“ von geschriebenem und ungeschriebenem Kollisionsrecht, nicht jedoch einen methodischen Gegensatz.

Ausgangspunkt für die Rechtsfortbildung modo legislatoris ist damit stets die „disqualifizierte“ Norm als solche, deren konkrete materielle Struktur zu analysieren und hinsichtlich ihrer kollisionsrechtlichen Bedeutung, ihres „kollisionsrechtlichen Schattens“, näher zu untersuchen ist. Hierfür sind die der Sachnorm zugrunde liegenden materiellen Normzwecke dahingehend zu prüfen, welches Anknüpfungsmoment diese am besten verwirklicht, diesen am besten Rechnung trägt. Die auf solche Weise gewonnenen Abwägungstopoi sind jedoch hinsichtlich einer kohärenten und insbesondere systemimmanenten Rechtsfortbildung auf ihre „Legitimität“ zu überprüfen, die zweifelsfrei dann vorliegt, wenn diese bereits – in anderem Kontext – in der kollisionsrechtlichen Kodifikation Berücksichtigung ge-

474

Dies betrifft regelmäßig alle die von Kegel genannten Interessen, die insoweit nur einen ersten Anhaltspunkt bilden. Deutlich wird dies insbesondere bei Parteiinteressen, die u.a. von personen-, erb-, familien- und schuldrechtlichen Normen impliziert werden – dass es hierbei weiterer Differenzierung bedarf, dürfte offensichtlich sein; vgl. sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 79 ff.). 475 In anderem Zusammenhang Schurig S. 280.

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

funden haben476. Hinsichtlich der konkreten Umsetzung der implizierten kollisionsrechtlichen Interessen dürfte aber regelmäßig ein Spielraum bestehen, so dass für die Rechtsfortbildung ein gewisser – natürlich nicht über alle Zweifel erhabener und damit bestreitbarer – „rechtspolitische[r] Kraftakt“477 zu vollbringen ist, den der Rechtsfortbilder zu erbringen hat. Orientierung muss uns jedoch stets die gesetzliche Kodifikation geben – hier sind bestimmte Anknüpfungsmomente kodifiziert, die im Hinblick auf die Systembindung bei der Rechtsfortbildung vorrangig auf ihre Geeignetheit zu untersuchen sind. So wird es sich bei Sachnormen, die eine territoriale Anknüpfung indizieren, regelmäßig anbieten, dem nunmehr Art. 6 Rom II zugrunde liegenden Auswirkungsprinzip „Modellcharakter“ zukommen zu lassen und allenfalls eine dem materiell geschützten Rechtsgut entsprechende Konkretisierung vorzunehmen. Beispielsweise dürfte im Bereich der Ein- und Ausfuhrverbote die maßgebliche Auswirkung auf das jeweils geschützte Rechtsgut in der konkreten Ein- bzw. Ausfuhr liegen, so dass diese insoweit auch das jeweils angemessene Anknüpfungsmoment bildet478.

5. Zusammenfassung Verortet man die Eingriffsnormenproblematik im herkömmlichen IPR, eben weil diese Normen privatrechtliche Fragen behandeln, und erkennt man an, dass das IPR der materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit zu dienen hat, die eben auch öffentliche Zwecke mitberücksichtigt, so kann der Gerechtigkeitsgehalt des IPR nicht auf Partei- oder Verkehrsinteressen reduziert werden, sondern muss auch die materiell implizierten Gemeininteressen umfassen. Das IPR ist sowohl „technisch“ (im Hinblick auf die „sachnormbezogene“ Anknüpfung) als auch inhaltlich-methodisch (im Hinblick auf die „sachnormgerechte“ Anknüpfung) in der Lage, jeder Norm eine ihr angemessene Anknüpfung zur Verfügung zu stellen, so dass hinsichtlich einer kohärenten und wertverwirklichenden kollisionsrechtlichen Methodik die Problemlösung innerhalb des IPR – und nicht in einem ergänzenden kollisionsrechtlichen Zweitsystem – zu finden ist. Folge dieser Ausgangsprämisse ist, dass die Problematik der (materiellen) Eingriffsnormen – wie bereits Kahn erkannte – in der Rechtsfortbildung des insoweit lückenhaften Kollisionsrechts aufgeht, sofern der Gesetzgeber der Sachnorm keinen speziellen Anwendungsbefehl beigeordnet hat. Da die Rechtsfortbildung an die Voraussetzung einer kollisionsrecht476

Dies ist aber nicht notwendige Voraussetzung; hinsichtlich einer kohärenten und systemverträglichen Rechtsfortbildung muss es als ausreichend betrachtet werden, wenn diese kollisionsrechtlichen Interessen mit den bereits der Kodifikation zugrunde liegenden vergleichbar sind, vgl. bereits sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)ii (S. 76 ff.). 477 Schurig S. 204; Kegel/Schurig § 6 IV (S. 319); vgl. hierzu Fn. 407. 478 Vgl. hierzu Kapitel 3 C.II.3 (S. 233 f.) m.N.

C. Ergebnis

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lichen Regelungslücke gebunden ist, die keinesfalls abstrakt im Voraus anhand materieller Kriterien beschrieben werden kann, ist jedenfalls eine konstitutive materielle Definition der Eingriffsnormenproblematik, wie sie die herrschende Auffassung vorzunehmen versucht, zum Scheitern verurteilt – das Vorliegen einer Regelungslücke kann sich nur auf der Ebene des Kollisionsrechts aus den einzelnen Kollisionsnormen ergeben, deren Reichweite daher anhand teleologischer Erwägungen (Kegels kollisionsrechtliche „Interessen“) im Hinblick auf die fragliche Sachnorm zu bestimmen ist. Eine materielle Beschreibung der Eingriffsnormen kann jedoch insbesondere in dem auf den gerechten Interessenausgleich inter partes zugeschnittenen Vertragsrecht zumindest heuristische Bedeutung für eine eventuelle „Disqualifikation“ und damit für die „Lückenfindung“ erlangen. Haben wir eine Regelungslücke ausgemacht, muss vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen, die auch für die Anwendung einer Norm in einem reinen Inlandssachverhalt eine kollisionsrechtliche Entscheidung nötig macht, eine Kollisionsnorm für die „disqualifizierte“ Norm gebildet werden. Dies erfolgt anhand der durch diese Sachnorm implizierten, hinsichtlich der Systembindung „legitimen“ kollisionsrechtlichen Anwendungsinteressen. Dient eine Norm überwiegend öffentlichen Zwecken, so werden überwiegend Gemeininteressen impliziert, die eine territoriale oder personale Anknüpfung nahelegen und die anhand des konkret geschützten Rechtsguts ggf. weiter zu konkretisieren ist.

C. Ergebnis C. Ergebnis Phänomenologisches Charakteristikum der Eingriffsnormenproblematik der lex fori ist die statutsunabhängige Anknüpfung bestimmter Normen gegenüber einem „regulären“ Statut. Hierfür gibt es zwei Gründe: Eingriffsnormen im formalen Sinne („selbstgerechte Sachnormen“) setzen sich, selbst wenn sie grundsätzlich von einer allgemeine Kollisionsnorm erfasst werden, dennoch gegen das von dieser Kollisionsnorm berufene Statut durch, weil ihnen von Seiten des Gesetzgebers ein expliziter kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl beigeordnet wurde, welcher der allgemeinen, grundsätzlich einschlägigen Kollisionsnorm im Wege der Spezialität vorgeht. Eingriffsnormen im materiellen Sinne setzen sich, wenngleich sie grundsätzlich vom Wortlaut der insoweit „regulär“ erscheinenden Kollisionsnorm erfasst werden, dennoch gegen das von dieser Kollisionsnorm berufene Statut durch, weil die fragliche Sachnorm bei Zugrundelegung einer teleologischen, interessenbezogenen Betrachtung nicht von jener Kollisi-

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1. Kapitel: Dogmatische Grundlagen

onsnorm erfasst wird und daher einer statutsunabhängigen Anknüpfung bedarf.

Kapitel 2

Die kollisionsrechtliche Behandlung inländischer Eingriffsnormen 2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

A. Verortung der Eingriffsnormenproblematik im europäischen IPR A. Verortung im europäischen IPR Wenngleich bereits im Rahmen des vorangegangenen Kapitels stellenweise auf die Rom I- und Rom II-Verordnungen Bezug genommen wurde, waren die Ausführungen allgemeiner, strukturell-dogmatischer Natur, die dazu dienen sollten, das Problem der Eingriffsnormen innerhalb eines normhierarchisch auf einer Stufe stehenden kollisionsrechtlichen Systems zu verorten. Während das EVÜ in das EGBGB inkorporiert wurde und sich insoweit keine spezifisch normhierarchischen Probleme stellten, da es sich einheitlich um Bundesrecht handelte, das allenfalls im Hinblick auf seine völkerrechtliche Herkunft gewissen Besonderheiten bei der Anwendung (Art. 35 EGBGB a.F.) unterlag, hat der europäische Gesetzgeber nunmehr das Instrument der Verordnung zur Vereinheitlichung des europäischen IPR gewählt. Damit besteht die Besonderheit, dass die bislang erlassenen Rom-Verordnungen aufgrund ihres Anwendungsvorrangs1 unmittelbar nationalen Regelungen in ihrem Anwendungsbereich vorgehen2, ohne diese jedoch nichtig werden zu lassen. Da eine vollständige Vereinheitlichung des IPR zwar angestrebt, jedoch noch längst nicht verwirklicht ist, besteht gegenwärtig ein Nebeneinander verschiedener Regelungsregime: Soweit der Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen greift, gelten diese, ansonsten weiterhin nationales Recht. 1

Die unmittelbare Geltung einer Verordnung ergibt sich aus Art. 288 AEUV; insoweit ist Art. 3 Nr. 1 EGBGB rein deklaratorisch. Zum Anwendungsvorrang etwa Gebauer/Wiedmann-Wiedmann Kapitel 2 Rn. 56. 2 Vom Anwendungsvorrang grundsätzlich betroffen sind auch durch Transformationsgesetze umgesetzte völkerrechtliche Verträge, die folglich mit dem „Manko“ behaftet sind, dass es sich hierbei um einfaches Bundesrecht handelt. Art. 25/Art. 28 Rom I/II sehen jedoch Öffnungsklauseln zugunsten bestehender internationaler Übereinkommen vor, die solche Vorschriften vor der Derogation schützen. Insoweit ist etwa Art. VIII Abschnitt 2 (b) des Abkommens von Bretton Wood über den Internationalen Währungsfond (BGBl. 1952 II, S. 637) weiterhin als Spezialregelung beachtlich; vgl. hierzu etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 671-700.

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

Im Folgenden soll nun untersucht werden, inwieweit die bisherigen Überlegungen hinsichtlich der dogmatischen Einordnung der Eingriffsnormen auf das neue europäische IPR übertragen werden können und inwieweit sich aus der nunmehr bestehenden Normhierarchie Besonderheiten ergeben. I. Eingriffsnormen de lege lata: Art. 9 Rom I, Art. 16 Rom II Während Art. 16 Rom II in der Tradition des Art. 34 EGBGB a.F. verhaftet bleibt und im Hinblick auf die Eingriffsnormen schlicht feststellt, dass die Verordnung „nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts geltenden Vorschriften“ berührt, „die ohne Rücksicht auf das für das außervertragliche Schuldverhältnis maßgebende Recht den Sachverhalt zwingend regeln“, geht Art. 9 I Rom I darüber hinaus, indem er zusätzlich zu dem international zwingenden Charakter auch materielle Anforderungen an das Vorliegen einer Eingriffsnorm stellt. Demnach ist eine Eingriffsnorm „eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“. Diese Formulierung ist bewusst an eine Definition des EuGH aus der Arblade und Leloup-Entscheidung3 angelehnt4, wenngleich diese die sich aus den Grundfreiheiten ergebenden Grenzen für nationales Eingriffsrecht und nicht deren kollisionsrechtliche Bedeutung zum Gegenstand hatte5. Dennoch wird in dieser Entscheidung allgemein „eine Bestätigung der bekannten Definition von Francescakis gesehen“6, und in der Tat ging 3 EuGH 23.11.1999 – Rs. C-369/96 (Arblade und Leloup) Rn. 30: Unter Polizei- und Sicherheitsgesetzen sind „nationale Vorschriften zu verstehen, deren Einhaltung als so entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats angesehen wird, daß ihre Beachtung für alle Personen, die sich im nationalen Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befinden, und für jedes dort lokalisierte Rechtsverhältnis vorgeschrieben ist“. 4 Kommissionsvorschlag zur Rom I-Verordnung, KOM (2005) 650 endg., S. 8; Grünbuch zur Rom I-Verordnung, KOM (2002) 654 endg., S. 41; zur Entstehungsgeschichte des Art. 9 Rom I etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 498 ff. 5 Mankowski, IHR 2008, 133 (147) betrachtet die Definition daher als weniger durchdacht; zudem handele es sich um eine bloße Wiedergabe einer im belgischen Recht vorherrschenden Terminologie „und nicht um einen eigenen Definitionsversuch des EuGH“ (Mankowski a.a.O.; ders., Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 54); ebenso Roth, FS Kühne, 859 (866 f.). 6 Sonnenberger, FS Kropholler, 227 (242, Fn. 30); ebenso PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 2; Bonomi, Le régime des règles impératives et des lois de police, 217 (224);

A. Verortung im europäischen IPR

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auch der europäische Gesetzgeber bei Schaffung des Art. 9 I Rom I von der Vorstellung unmittelbar anwendbarer Sachnormen aus7. Nun wurde bereits festgestellt 8 , dass es unmittelbar anwendbare Sachnormen ohne zwischengeschaltetes Kollisionsrecht vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen nicht geben kann – auch Francescakis, der maßgebliche Begründer dieser Lehre, erkennt dies möglicherweise „zaghaft“9 an. Etwas anderes ist rechtstheoretisch nur vorstellbar, wenn wir die Rechtsqualität fremden Eingriffsrechts leugneten, also zumindest partiell in den von Schurig so genannten „juristischen Solipsismus“ zurückfielen – wie jedoch Art. 9 III Rom I im Hinblick auf ausländische Eingriffsnormen ausdrücklich anerkennt, ist dies gerade nicht der Fall. Auch der europäische Gesetzgeber kann diese zwingende rechtstheoretische Schlussfolgerung nicht „par ordre du mufti“10 aus den Angeln heben, so dass der Theorie der unmittelbar anwendbaren Sachnormen eine Absage erteilt werden muss11. Da wir folglich einen Anwendungsbefehl zur Durchsetzung von Eingriffsnormen benötigen und dieser – wie bereits festgestellt wurde 12 – sich weder aus Art. 9 I, II Rom I noch aus Art. 16 Rom II expressis verbis ergibt, fragt sich allen voran, aus welchem Rechtsregime – nationalem oder europäischem – dieser Anwendungsbefehl entnommen werden kann.

wenngleich – worauf Leible/Lehmann, RIW 2008, (542) hinweisen – die Formulierung bereits auf Savigny zurückgeht, ebenso Lehmann, FS Spellenberg, 245 (256); Roth, FS Kühne, 859 (866); vgl. Savigny, System (Band 8), S. 36. Nach Francescakis, Répertoire de droit international (Band 1), S. 480 (Nr. 137) sind lois d’application immédiate Rechtssätze, „dont l’observation est nécessaire pour la sauvegarde de l’organisation politique, sociale ou économique du pays“ (Hervorhebung im Original). 7 So insbesondere das Grünbuch zur Rom I-Verordnung, KOM (2002) 654 endg., S. 40, insbesondere Begriffserläuterung S. 53: Als Eingriffsnormen werden diejenigen Normen bezeichnet, „denen ein Staat so viel Bedeutung beimisst, dass er unabhängig von dem im Übrigen anzuwendenden Recht auf ihrer Anwendung besteht, wenn der Sachverhalt Berührungspunkte mit seinem Hoheitsgebiet aufweist. Anders als bei Ausnahmen aus Gründen des internationalen „ordre public“ stellt das Gericht nicht erst anhand seiner eigenen Kollisionsnormen fest, welches Recht anwendbar ist und ob der Inhalt dieses Rechts ggf. mit der Werteordnung der lex fori unvereinbar ist, sondern wendet die Eingriffsnormen von vornherein an“ (Hervorhebung hinzugefügt). Vgl. ebenfalls die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 30.4.2004 (C 108/1), Punkt 4.10.2.4; zur Rom II-Verordnung: Kommissionsvorschlag zur Rom IIVerordnung, KOM (2003) 427 endg., S. 27. 8 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.I (S. 6 ff.). 9 Schurig S. 319; vgl. hierzu Kapitel 1 Fn. 11. 10 In anderem Zusammenhang von Bar/Mankowski § 4 Rn. 99. 11 Ähnlich MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 108: Der Konzeption der unmittelbar anwendbaren Sachnormen sei „nur bedingt zu folgen“. 12 Siehe sub Kapitel 1 B.II (S. 8, insbesondere Kapitel 1 Fn. 13).

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

II. Anwendungsbefehl aus dem nationalen Recht Da die europäischen Regelungen hinsichtlich der Eingriffsnormen keinen anwendungsrechtlichen Gehalt aufzuweisen scheinen, werden diese regelmäßig als Öffnungsklauseln verstanden, „die den Mitgliedstaaten die Option eröffnet, das einheitliche Anknüpfungssystem [der Rom-Verordnungen] ausnahmsweise zu Gunsten nationaler öffentlicher Interessen iSd Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zu durchbrechen“13. Weil sich der – notwendig vorhandene – kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl zudem aus der Eingriffsnorm selbst ergebe, dieser also ein notwendiges Korrelat für das Vorliegen einer Eingriffsnorm darstelle, folgert die wohl bislang einhellige Ansicht hieraus, dass der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl dem nationalen Recht entstammt14, zu welchem die als Eingriffsnorm erkannte Sachnorm zweifellos regelmäßig zuzuordnen ist. Hieraus ergibt sich etwa nach Freitag ein zweistufiges Prüfungsprogramm15: In einem ersten Schritt ist zunächst die internationale „Anwendungswilligkeit“ der fraglichen Norm festzustellen, also zu prüfen, ob der Sachnorm vom nationalen Gesetzgeber eine spezielle einseitige Kollisionsnorm beigeordnet wurde. Liegt ein solcher „nationaler“ internationaler Anwendungswille vor, so muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob die Norm die kumulativ zu prüfenden materiellen Voraussetzungen, die nunmehr das Unionsrecht mit Art. 9 I Rom I aufstellt, erfüllt; ist dies der Fall, darf die Norm die Öffnungsklausel „passieren“ und kann damit angewandt werden. Man kann ein solches Vorgehen mit Martiny als Kombination der speziellen nationalen Kollisionsnorm mit der europäischen Regelung betrachten 16 , der Sache nach wird jedoch auf diese Weise dem nationalen Gesetzgeber eine Kompetenz zur Schaffung eigener Kollisionsnormen für Eingriffsnormen neben den Rom-Verordnungen gewährt 17 , 13 Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 561; ders., Einfach und international zwingende Normen, 167 (176, 189); vgl. etwa auch MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 48; ders., FS Kropholler, 227 (242); MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 108; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 12, 55; Günther S. 146. 14 Deutlich etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 565: Der Anwendungsbefehl für Eingriffsnormen der lex fori stamme „von der auch für das erkennende Gericht zuständigen und für dieses verbindlichen Legislativinstanz“; ders., Einfach und international zwingende Normen, 167 (176, 189), hierzu Fn. 17; MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 47; MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 108; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 54; Bamberger/Roth-Spickhoff Art. 9 Rom I Rn. 9; Lüttringhaus S. 194; Kienle Rn. 186; Günther S. 146; Hauser S. 8, 45 f. 15 Zum Folgenden Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 511. 16 MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 108. 17 Deutlich Freitag, Einfach und international zwingende Normen, 167 (176): Zuständigkeit für den Erlass international zwingender Bestimmungen „bzw. für die Auslegung bestehenden nationalen Rechts im Sinne seiner international zwingenden Anwendung

A. Verortung im europäischen IPR

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welche allein durch den „Rahmen“ der materiellen Kriterien des Art. 9 I Rom I, die im Übrigen hinsichtlich einer einheitlichen Auslegung der europäischen Rechtsakte auf Art. 16 Rom II zu übertragen sei18, begrenzt wird. Einer solchen Sichtweise begegnen indes Bedenken. 1. Probleme hinsichtlich des nationalen Anwendungswillens Ein solches Verständnis setzt zunächst voraus, dass wir den nötigen Anwendungsbefehl im nationalen Recht überhaupt vorfinden, welchen wir dann im Rahmen eines so verstandenen „Andockverfahrens“ auch im Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen zur Geltung bringen könnten. Relativ unproblematisch funktioniert dies im Bereich der „selbstgerechten Sachnorm“, deren rechtssatzbezogenen Anwendungsbefehl wir allenfalls im Wege der Auslegung gewinnen müssten19. Wenn jedoch der Anwendungsbefehl vollständig dem nationalen Recht entnommen wird, wären die nationalen Gesetzgeber bei der Kodifikation einer „selbstgerechten Sachnorm“ nicht gehindert, auf weitere Einschränkungen, insbesondere auf ein angemessenes Anknüpfungsmoment, zu verzichten und könnten insoweit Normen, die die materiellen Anforderungen erfüllen, universell zur Geltung bringen20. Da ein solches Ergebnis im Hinblick auf die Relativität eines jeden Rechtssatzes völlig unangemessen wäre, wird zutreffend verlangt, dass für die Durchsetzung eines solchen Rechtssatzes auch ein (näher zu konkretisierender) Inlandsbezug, also ein Anknüpfungsmoment, vorliegen muss21. Nun kann dies, will man den Anwendungsbefehl vollständig dem nationalen Recht entnehmen, allein auf nationaler Ebene erfolgen, so dass weder gewährleistet ist, dass sich jeder Mitgliedstaat an [liegt] weiterhin bei den Mitgliedstaaten“, (189): „So ist weitgehend unstreitig, dass die Anwendung der international zwingenden Vorschriften der lex fori auch künftig in der Kompetenz der Mitgliedstaaten bleiben und allenfalls gemeinschaftsrechtlich begrenzt werden sollte“. Vgl. auch Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 20: „Dem EuGH wird daher zukünftig die Aufgabe zukommen, den Rahmen abzustecken, innerhalb dessen die nationalen Gesetzgeber Eingriffsnormen schaffen können. Dabei muss dem nationalen Gesetzgeber aber ein hinreichender gestalterischer Spielraum belassen werden“ (Hervorhebung im Original); ebenso ders., Eingriffsnormen, 129 (136); nun auch Hauser S. 14, 21. 18 MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 13; Palandt-Thorn Art. 16 Rom II Rn. 4; PWWRemien Art. 16 Rom II Rn. 2; Hk-BGB/Dörner Art. 16 Rom II Rn. 1; von Hein, ZEuP 2009, 6 (24). 19 Vgl. hierzu ausführlich sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 10 ff.). 20 Wenngleich bei einer solchen Annahme freilich Vorsicht geboten wäre, vgl. hierzu Kapitel 1 Fn. 34. 21 So etwa MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 116, 122 ff.; Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 564; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 81-84; Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 5; Bamberger/Roth-Spickhoff Art. 9 Rom I Rn. 16 f.; Bitterich, GPR 2006, 161 (165).

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

den „kategorischen Imperativ“ der „relativen“ Anwendung einer Norm hält, noch dass – sofern die nationalen Gesetzgeber den internationalen Anwendungsbereich limitieren – eine einheitliche europäische Bestimmung des angemessenen Anknüpfungsmomentes erfolgen kann. Daher wird vorgeschlagen, den notwendigen Inlandsbezug als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Art. 9 zu betrachten22. Da dieser jedoch nicht für alle Normen identisch ist23, müssten wir in einem solchen Fall für jede einzelne Norm einen angemessenen Inlandsbezug bestimmen, also anhand der implizierten kollisionsrechtlichen Interessenlage ein angemessenes Anknüpfungsmoment entwickeln – und die hierfür maßgeblichen „legitimen“ Interessen müssten, da sich das Erfordernis eines Inlandsbezuges insoweit aus einer europäischen Vorschrift ergäbe, aus dem europäischen IPR entwickelt werden. Im Ergebnis ist dies sicher hinsichtlich einer europaweit einheitlichen Rechtsanwendung wünschenswert, jedoch muss man sich im Klaren darüber sein, dass ein solches Vorgehen mit der eigenen Prämisse, den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl als solchen vollständig dem nationalen Recht zu entnehmen, in Konflikt gerät, da auf diese Weise zumindest das Anknüpfungsmoment von europäischer Seite ausgesprochen wird. Deutlich problematischer erscheint ein solches Vorgehen im Bereich der „schlicht materiellen Eingriffsnormen“, also derjenigen Bestimmungen, welche einer statutsunabhängigen Anknüpfung bedürfen, denen jedoch kein ausdrücklicher nationaler Anwendungsbefehl beigeordnet worden ist, so dass dieser auch nicht in ihnen „versteckt“ sein kann24. Begreift man die Öffnungsklauseln für Eingriffsnormen nur als „Option“ für den nationalen Gesetzgeber, so bestünde natürlich die Möglichkeit, diese Bestimmungen mangels ausdrücklichen Anwendungsbefehls eben nicht zur Anwendung zu bringen. Ein solches Vorgehen wäre aber im Hinblick auf eine kohärente Behandlung der Eingriffsnormenproblematik völlig sachwidrig: Denn es ist oft Zufall, ob der nationale Gesetzgeber einer Norm einen eigenen (rechtssatzbezogenen) kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl beigeordnet hat oder nicht, da er sich zumindest in den eindeutigen Fällen einer Rechtsfortbildung innerhalb des (nationalen) IPR gewiss sein konnte, welche die internationale Durchsetzung ermöglicht; auf ein neuartiges „Andockverfahren“ sind die nationalen Vorschriften eben (noch?)

22 So etwa Bitterich, GPR 2006, 161 (165); bejahend auch Reithmann/MartinyFreitag Rn. 564; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 82-84; ders., IPRax 2010, 27 (41); implizit Hauser S. 26-28. 23 Vgl. sub Kapitel 1 B.II.2.c)cc) (S. 37). 24 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.a) (S. 18 ff.).

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gar nicht abgestimmt25. Es bedarf daher keiner Prophetie, dass nationale Gerichte solchen Normen auch unter Geltung des europäischen Rechts international zur Anwendung verhelfen – nur überzeugt es wenig, wenn hierfür einfach eine in einer Sachnorm angeblich „versteckte“ Kollisionsnorm aus dem Hut gezaubert wird. Es muss daher die Frage beantwortet werden, wie sich in einem solchen Falle der notwendige Anwendungsbefehl „methodenehrlich“ gewinnen lässt. Da vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen jede Sachnorm zur Durchsetzung – auch in einem reinen Inlandssachverhalt – eine Kollisionsnorm benötigt, muss der „kollisionsnormlosen“ Sachnorm eine solche im Wege der Rechtsfortbildung zur Verfügung gestellt werden – und dies müsste im nationalen Recht erfolgen, will man jedem Staat die kollisionsrechtliche Durchsetzung seiner eigenen Eingriffsnormen überlassen. Im Bereich des nationalen Rechts ist die Eingriffsnormenproblematik – wie dargelegt – originär innerhalb des IPR zu verorten – und eben nicht im IÖR –, so dass unser nationales IPR die Frage nach der Anwendbarkeit solcher Normen zu beantworten hätte26. Weil es – wie ebenfalls bereits aufgezeigt – nicht gelingt, überzeugende materielle Kriterien aufzustellen, von denen sich unmittelbar und abschließend auf den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl schließen lässt (Eingriffsnormen sind eben sachrechtlich nicht definierbar)27, scheidet der von der überwiegenden Ansicht eingeschlagene Weg, der zur Errichtung eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems führt28, zur Bestimmung des Anwendungsbefehls modo legislatoris aus. Will man den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl dem nationalen Recht entnehmen, so schließt dies freilich a priori auch aus, zu dessen Bestimmung – entsprechend der geschilderten Ansicht – auf die in Art. 9 I Rom I genannten materiellen Kriterien abzustellen und anhand dieser den nicht explizit geäußerten Anwendungsbefehl herzuleiten. Denn diese Kriterien entstammen dem europäischen Recht, so dass – ganz abgesehen von der grundsätzlichen Unangemessenheit eines solchen Ansatzes – schwerlich anhand dieser eine nationale Kollisionsnorm gewonnen werden kann.

Betrachtet man demgegenüber mit der hier zugrunde gelegten Auffassung die Eingriffsnormenproblematik (im materiellen Sinne) als Lücke im herkömmlichen kollisionsrechtlichen System, welche aufgrund der System25 Hinzu kommt, dass nach der vom europäischen Gesetzgeber zugrunde gelegten Konzeption der unmittelbar anwendbaren Sachnormen gerade kein kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl benötigt wird. Insoweit sollen ja im Ergebnis auch Normen, die eben keinen eigenen kollisionsrechtlichen Gehalt aufweisen, dennoch zur Anwendung gebracht werden können. 26 Ein extrinsischer Systemdualismus scheidet aus den sub Kapitel 1 B.III.1 (S. 40 ff.) genannten Gründen aus. 27 Vgl. hierzu insbesondere sub Kapitel 1 B.II.2.c) (S. 22 ff.). 28 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.b) (S. 20 f.), zur Unangemessenheit eines solchen ausführlich sub Kapitel 1 B.III (S. 39 ff.).

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

bindung durch systemkonforme Rechtsfortbildung anhand der gewöhnlichen IPR-Methodik zu schließen ist29, so wird diese zumindest im Hinblick auf Verträge invalidierende Eingriffsnormen deutlich erschwert, da uns das nationale vertragliche Kollisionsrecht durch die Aufhebung der Art. 27 ff. EGBGB a.F. abhanden gekommen ist; insoweit fehlt es an einem kodifizierten kollisionsrechtlichen System, das zum einen die Frage nach dem „Ob“ der statutsunabhängigen Anknüpfung (also die Frage nach der „Disqualifikation“) und die Frage nach dem „Wie“ (also die Frage nach dem angemessenen Anknüpfungsmoment) beantworten kann, so dass jedenfalls eine systeminterne und damit kohärente Rechtsfortbildung nicht möglich ist. Fehlt uns ein kollisionsrechtliches Bezugssystem, so können wir insoweit – da uns vom Gesetzgeber typisierte Wertungen fehlen – die „legitimen“ kollisionsrechtlichen Interessen, anhand derer wir das maßgebliche Anknüpfungsmoment bestimmen können, nicht „herausdestillieren“; Folge wäre dann eine Rechtsfortbildung ohne Systembindung mit entsprechender Konsequenz für deren Kohärenz 30, die insbesondere auch im Verhältnis zum höherrangigen europäischen IPR beeinträchtigt wäre, weil gerade der „unfertige Teil“ des IPR trotz Rechtsvereinheitlichung in nationaler Kompetenz verbliebe und seine das IPR konkretisierende, ausdifferenzierende Funktion damit nicht mehr erfüllen könnte. Festzuhalten bleibt, dass die Entwicklung eines nationalen eingriffsrechtlichen Anwendungsbefehls modo legislatoris natürlich (irgendwie) möglich ist – die entscheidende Frage ist jedoch, ob ein dahingehender Ansatz vor dem geschilderten Hintergrund auch sinnvoll ist.

Ein solches kollisionsrechtliches Bezugssystem, das diese Aufgabe bewältigen könnte, finden wir nun im europäischen Recht – allerdings erscheint es bei Zugrundelegung der Ausgangsprämisse, der Anwendungsbefehl der Eingriffsnormen müsse dem nationalen Recht entstammen, methodisch nur schwer erklärbar, warum wir im Hinblick auf die Rechtsfortbildung im nationalen Recht auf vereinheitlichtes europäisches IPR zurückgreifen müssen31. 29

Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.IV (S. 88 ff.). Näher hierzu sub Kapitel 2 A.III.2.b) (S. 122). 31 Freilich ließe sich auch hierfür eine Begründung konstruieren, etwa indem man dem deutschen Gesetzgeber unterstellt, dass sich dieser den Regelungsgehalt der Rom IVerordnung durch die Aufhebung der Art. 27 ff. EGBGB a.F. (und gleichzeitiger Anerkennung der Rom I-Verordnung als nunmehr geltendes „deutsches“ IPR für vertragliche Schuldverhältnisse, Art. 3 Nr. 1 lit. b EGBGB) zu eigen machen wollte und mögliche Regelungslücken im nationalen Recht daher auch i.S. dieser Verordnung geschlossen werden müssten. Dies stellte zudem einen möglichen Begründungsansatz dafür dar, etwa die vom Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung ausgenommene Frage nach dem anwendbaren Recht für Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 1 II e), für die es durch die Aufhebung der Art. 27 ff. EGBGB a.F. nun keine kodifizierte nationale Kollisionsnorm mehr gibt, dennoch dem rationalen Gehalt der Rom I-Verordnung (und damit einem einheitlichen Regelungsregime) zu unterstellen, wenngleich der (durch 30

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2. Probleme hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe zur Durchsetzung nationaler Vorschriften Auch wenn wir einen nationalen Anwendungsbefehl für Eingriffsnormen bestimmen könnten, so werfen ebenfalls die kumulativ zu prüfenden materiellen Voraussetzungen als Rechtfertigung der nationalen Durchsetzung weitere Probleme auf. Zum einen sind die von Art. 9 I Rom I vorgesehenen materiellen Kriterien alles andere als eindeutig. Wenn dieser von einer entscheidenden Bedeutung solcher Normen spricht, so drängt sich die Frage auf, wie entscheidend diese nun sein soll; denn ausgerechnet der Erwägungsgrund 37 (S. 2) Rom I relativiert den restriktiv anmutenden Wortlaut des Art. 9 Rom I, indem er schlicht die Empfehlung ausspricht, dass der Begriff der Eingriffsnormen enger als einfach zwingende Normen ausgelegt werden sollten. Natürlich ist bei einem solchen Verständnis als Öffnungsklausel für nationales Recht wichtig, dass die Kompetenz der nationalen Gesetzgeber restriktiv gehandhabt wird, will man nicht das kodifizierte europäische System ad absurdum führen und den nationalen Gesetzgebern ermöglichen, jede Norm, die in irgendeiner Weise öffentlichen Interessen dient, auf diesem Wege zur Anwendung zu bringen. Deswegen müsste man sich wohl einem oben beschriebenen Verständnis verschreiben, dass etwa nur Normen im überwiegend öffentlichen Interesse auf diesem Wege durchsetzungsfähig wären32. Ein solcher Weg hat aber entscheidende Nachteile: Wir beschränkten in einem solchen Falle die Durchsetzungsfähigkeit alleine auf äußerst „wichtige“ Normen, wenngleich möglicherweise auch andere Normen hinsichtlich ihrer materiellen Struktur einer vom Vertragsstatut abweichenden Anknüpfung bedürfen33. Insoweit ist es verständlich, dass der europäische Gesetzgeber mit dem Rechtsfortbildung zu gewinnende) Anwendungsbefehl bei Lichte betrachtet dann aus dem nationalen Recht stammt und insoweit keinesfalls vom EuGH überprüft werden könnte. Ob ein solcher Begründungsansatz zumindest für die Eingriffsnormenproblematik überzeugt, sei an dieser Stelle dahingestellt – er steht und fällt mit den Vorgaben des Art. 9 Rom I, so dass diese zunächst zu klären sind (hierzu sub Kapitel 2 A.III (S. 113 ff.)). 32 Wohlgemerkt nur im Hinblick auf eine Rechtfertigung der Durchsetzung nationaler „anwendungswilliger“ Normen unter Geltung der Rom-Verordnungen, nicht jedoch im Hinblick auf die Bestimmung der „Anwendungswilligkeit“ selbst (also der Herleitung des ungeschriebenen Anwendungsbefehls ausschließlich anhand materieller Kriterien, wie dies im Bereich des nationalen Rechts von der überwiegende Ansicht vertreten wird; vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2 (S. 17 ff.)). 33 So geht etwa auch Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 514 davon aus, dass „in extremen Ausnahmefällen“ Vorschriften des Privatrechts, die „fundamentale öffentliche Interessen verfolgen“, als Eingriffsnormen durchzusetzen sein können; hierzu zählt er u.a. die Vorschriften des sozialen Mietrechts (vgl. Rn. 568), also Normen, die sicher nicht im überwiegend öffentlichen Interessen erlassen wurden; näher hierzu sub Kapitel 2 B.II.1 (S. 135 ff.).

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

relativierenden Satz 2 des Erwägungsgrundes 37 ein „Hintertürchen“ einbauen wollte34; nur zeigt dies wiederum, dass man der Eingriffsnormenproblematik eben nicht mit materiellen Kriterien Herr werden kann, dienen sie auch der „Rechtfertigung“ einer statutsunabhängigen Durchsetzung und nicht der Bestimmung des Anwendungswillens solcher Normen. Besonders deutlich wird dies, wenn man mit der überwiegenden Ansicht35 die materiellen Voraussetzungen des Art. 9 I Rom I hinsichtlich einer einheitlichen Auslegung der europäischen Rechtsakte auf den insoweit „schweigsamen“ Art. 16 Rom II übertragen will. Geht man davon aus, dass den nationalen Gesetzgebern im Deliktsrecht die Möglichkeit offensteht, für Normen im überwiegenden öffentlichen Interesse einseitige Kollisionsnormen möglicherweise mit universeller Anwendung zu erlassen, so bestünde die Möglichkeit, eigenes Lauterkeits- und Kartellrecht entgegen dem allseitig formulierten Art. 6 Rom II zur Anwendung zu bringen und diesen zumindest hinsichtlich der Durchsetzung eigenen Rechts bedeutungslos werden zu lassen – ein Ergebnis, das der europäische Gesetzgeber sicher nicht beabsichtigt haben kann. Will man die in den Rom-Verordnungen kodifizierten Kollisionsnormen nicht ad absurdum führen, so kann der nationale Anwendungsbefehl zumindest dann nicht befolgt werden, wenn dieser bereits von Seiten des europäischen IPR ausgesprochen worden ist. Den europäischen Kollisionsnormen muss demnach eine „Sperrwirkung“ zukommen – sofern sie einschlägig sind, kann sich der nationale Anwendungsbefehl nicht durchsetzen. Zur Voraussetzung der Anwendung von Eingriffsnormen der lex fori wird damit die „Disqualifikation“ dieser Norm hinsichtlich der kodifizierten europäischen Kollisionsnormen. Technisch wäre dies freilich möglich, indem man nicht nur das angemessene Anknüpfungsmoment, sondern auch die „Disqualifikation“ als ungeschriebene Voraussetzung der Öffnungsklausel betrachtet – nur muss man sich dann im Klaren darüber sein, dass ein solches Vorgehen mit der Ausgangsprämisse, den einseitigen Anwendungsbefehl dem nationalen Recht zu entnehmen, nichts mehr zu tun hat. Denn wenn wir sowohl die Frage nach dem „Ob“ einer gesonderten kollisionsrechtlichen Behandlung als auch das „Wie“ sinnvollerweise den europäischen „Öffnungsklauseln“ entnehmen wollen, so entstammt der maßgebliche Anwendungsbefehl für solche Normen bei Lichte betrachtet nicht dem nationalen Recht, sondern dem europäischen IPR. Demnach stellt sich die entscheidende Frage: Können wir Art. 9 Rom I/ Art. 16 Rom II als europäische Rechtsgrundlage zur kollisionsrechtlichen Durchsetzung öffentlichen Zwecken dienender Sachnormen begreifen, so 34

Dies ist wohl auch die Ansicht der Kommission, vgl. Freitag, Einfach und international zwingende Normen, 167 (178); vgl. hierzu die Ausführungen des Grünbuchs zur Rom I-Verordnung, KOM (2002) 654 endg., S. 40 f. 35 Vgl. Fn. 18.

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dass deren kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl nicht – wie die herkömmliche Auffassung annimmt – dem nationalen Recht zu entnehmen ist, sondern dem europäischen IPR? III. Anwendungsbefehl aus dem europäischen Recht Ein solches Verständnis setzt zunächst voraus, dass der Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen für Eingriffsnormen überhaupt eröffnet ist. 1. Eröffnung des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen gem. Art. 1 Rom I /II Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereiches ist dies der Fall, wenn das streitige Rechtsverhältnis gem. Art. 1 I Rom I/II eine Zivil- oder Handelssache darstellt. Wann eine solche vorliegt, kann nicht nach nationalen Kriterien beantwortet werden, sondern ergibt sich aus einer europarechtlich autonomen Auslegung36. Der EuGH hatte bislang nur Gelegenheit, sich im Hinblick auf das EuGVÜ bzw. die EuGVVO zu äußern37: Nach der nicht aufgegebenen LTU/Eurocontrol-Entscheidung liegt das maßgebliche Abgrenzungskriterium hinsichtlich einer – vom Anwendungsbereich ausgeschlossenen – öffentlich-rechtlichen Streitigkeit in der „Ausübung hoheitlicher Befugnisse“38, so dass ebenfalls ein funktionales, den modernen deutschen Abgrenzungstheorien 39 entsprechendes 40 Verständnis zugrunde gelegt wird. Da keine Gründe ersichtlich sind, die zu einer abweichenden Auslegung im Hinblick auf die kollisionsrechtlichen Rom-Verordnungen führen könnten, ist dieses Kriterium auch hier zu verwenden41. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass es sich bei der hier interessierenden Eingriffsnormenproblematik stets um solche Bestimmungen handelt, die zivilrechtliche Rechtsfolgen setzen (und nicht um möglicherweise kumulativ bestehende hoheitliche Eingriffsbefugnisse), so müssen wir auch nach der Definition des EuGH die in Frage stehende Streitigkeit als ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis qualifizieren, für welches der sachliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Weiterhin wird die Eingriffsnormenproblematik als spezielle zivilrechtliche Problematik ebenfalls nicht von den kasuistisch auf36 Für Art. 1 EuGVÜ grundlegend EuGH 14.10.1976 – C-29/76 (LTU/Eurocontrol), 1. Leitsatz. 37 Einen Überblick über die bereits ergangene Rspr. geben etwa Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (530 Fn. 28); ebenso Thomas/Putzo-Hüßtege Art. 1 EuGVVO Rn. 2. 38 EuGH 14.10.1976 – C-29/76 (LTU/Eurocontrol), 2. Leitsatz. 39 Hierzu sub Kapitel 1 B.III.1.b) (S. 46). 40 Vgl. etwa Thomas/Putzo-Hüßtege Art. 1 EuGVVO Rn. 2. 41 Ebenso MüKo-Martiny Art. 1 Rom I Rn. 6; Reithmann/Martiny-Martiny Rn. 44; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (530); vgl. allgemein zum Auslegungszusammenhang Erwägungsgrund 7 Rom I/II.

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

gelisteten Ausnahmetatbeständen des Art. 1 II Rom I/II ausgeschlossen, sie wird vielmehr mit Art. 9/16 Rom I/II, die zumindest gewisse Anforderungen an diese stellen, ausdrücklich als Regelungsmaterie innerhalb der Verordnungen verortet42. Für Eingriffsnormen, die vertragliche Schuldverhältnisse regeln, ist damit grundsätzlich der Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung eröffnet, für Eingriffsnormen, die außervertragliche Schuldverhältnisse regeln, derjenige der Rom II-Verordnung. 2. Art. 9/16 Rom I/II als kodifikationsinterne Beschränkung des Anwendungsbereiches? Ist der Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen demnach grundsätzlich eröffnet, kann eine nationale Kompetenz für ein nationales eingriffsrechtliches Kollisionsrecht nur dann bestehen, wenn diese von Art. 9/16 Rom I/II als „Öffnungsklauseln“ gewährt wird. Insoweit müsste diesen Vorschriften die Funktion einer kodifikationsinternen Beschränkung des Anwendungsbereiches der Verordnungen zukommen, welche die regulative Reichweite der Rom-Verordnungen – quasi im Nachhinein – wieder beschränken. Da der nationale eingriffsrechtliche Anwendungsbefehl in diesem Falle nicht durch das vorrangige Unionsrecht verdrängt wird, könnte sich dieser trotz vereinheitlichtem europäischen IPR weiterhin originär durchsetzen. a) Vorgaben des Wortlauts von Art. 9/16 Rom I/II Dass der maßgebliche Anwendungsbefehl für Eingriffsnormen auch unter Geltung des europäischen IPR weiterhin dem jeweiligen nationalen Kollisionsrecht zu entnehmen sei, lässt sich auf drei Hinweise im Wortlaut des Art. 9 I, II Rom I bzw. Art. 16 Rom II stützen, die im Folgenden näher zu untersuchen sind. aa) Art. 9 I Rom I: „Anwendungsbereich“ Betrachten wir den Wortlaut des Art. 9 I Rom I, so legt zunächst die Formulierung, dass eine Norm „auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“, in der Tat ein Verständnis nahe, nach welchem sich der benötigte kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl aus der fraglichen nationalen Sachnorm zu ergeben hat; die kollisionsrechtliche Entscheidung über die Anwendbarkeit der Norm scheint damit dem nationalen Gesetzgeber überlassen. Bedenkt man jedoch, dass der europäische 42 Für die Rom II-Verordnung kann zudem auf Art. 6 verwiesen werden, der jedenfalls auch typische Eingriffsnormen zum Gegenstand hat und damit deren kollisionsrechtliche Behandlung regelt.

A. Verortung im europäischen IPR

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Gesetzgeber in Art. 9 Rom I die Theorie der lois d’application immédiate zugrunde gelegt hat43, nach welcher bestimmte Sachnormen ohne Zwischenschaltung einer kollisionsrechtlichen Entscheidung alleine aufgrund ihrer „Wichtigkeit“ zur Anwendung zu bringen sind, so kann er dem Wortlaut nicht diese kollisionsrechtliche Bedeutung beigemessen haben, da eben jene Normen nach dieser Vorstellung für ihre Durchsetzung keiner Kollisionsnorm bedürfen. Insoweit handelt es sich also bei diesem Tatbestandsmerkmal um den sachrechtlichen Anwendungsbereich, dessen Eröffnung zur Durchsetzung der unmittelbar anzuwendenden Sachnorm aufgrund ihrer „Wichtigkeit“ führt. Wenngleich diese Vorstellung zu verwerfen ist, lässt sich auch nach hier zugrunde gelegtem Verständnis an einer solchen Deutung des Anwendungsbereiches i.S.d. Art. 9 I Rom I festhalten: Denn Ausgangspunkt einer jeden kollisionsrechtlichen Prüfung kann ebenso die von ihrem Tatbestand her einschlägige Norm sein, da die kollisionsrechtliche Fragestellung vom Gesetz oder vom Sachverhalt „zwei Seiten ein und derselben Frage“ darstellen44. Die sachrechtliche „Regelungswilligkeit“ einer Sachnorm gibt uns gerade den Anlass, ihre Anwendbarkeit im Rahmen eines Sachverhaltes mit Auslandsbezug zu klären, was entweder mit Hilfe der kodifizierten Kollisionsnormen oder im Wege der – dann notwendig durchzuführenden – Rechtsfortbildung zu bewältigen ist. Insoweit muss diese Formulierung keinesfalls als internationaler Anwendungsbereich, der von der Sachnorm selbst festlegt wird und daher von einem nationalen Gesetzgeber stammt, verstanden werden45. Auch wenn man dem nicht folgen will und in diesem Tatbestandsmerkmal den internationalen Anwendungsbereich vorausgesetzt sieht, so lässt dies nicht zwingend den Schluss zu, dass sich der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl aus dem nationalen Recht ergeben müsse – denn dieser könnte, von einem so verstandenen Wortlaut ebenfalls gedeckt, auch von Seiten des europäischen Rechts ausgesprochen werden.

bb) Art. 9 I Rom I: finale Verknüpfung von materiellen Normzwecken und kollisionsrechtlicher Behandlung Für die nationale Herkunft des Anwendungsbefehls könnte weiter ins Felde geführt werden, dass Art. 9 I Rom I für das Vorliegen einer Eingriffsnorm vordergründig auf die „subjektive“ Sichtweise eines Staates

43

Vgl. hierzu Fn. 7. Schurig S. 89; vgl. oben Kapitel 1 B.III.2.a)dd) (S. 61). 45 Wie noch sub Kapitel 2 B.I.1 (S. 128 ff.) näher auszuführen sein wird, ist eine dahingehende Deutung auch keinesfalls nötig, da mit einer kollisionsrechtlichen Limitierung einer Eingriffsnorm regelmäßig zugleich eine sachrechtliche Limitierung einhergeht, die unzweifelhaft weiterhin beachtlich ist. 44

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

abstellt46; denn eine Eingriffsnorm wird „von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses [...] angesehen [...], dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts [...] anzuwenden ist“. Hier ist indes zunächst zu differenzieren zwischen der materiellrechtlichen Frage nach der „Wichtigkeit“ einer Norm und der mit dieser final verknüpften kollisionsrechtlichen Behandlung. Denn dass ein Staat völlig frei47 ist, Sachnormen im Rahmen seiner Kompetenz mit den unterschiedlichsten Sachnormzwecken zu erlassen (also etwa auch Normen zur Wahrung seiner politischen, sozialen und wirtschaftlichen Organisation), ist eine „bare Selbstverständlichkeit“48, die durch die Rom-Verordnungen als kollisionsrechtliche Materien keinerlei Einschränkung erfährt. Nun meint man jedoch, dass aus dieser Selbstverständlichkeit auch „selbstverständlich“ folge, dass der jeweilige Staat über das kollisionsrechtliche Schicksal solcher Normen auch unter Geltung der Rom-Verordnungen zu entscheiden habe 49 . Vor dem Hintergrund der Theorie der unmittelbar anwendbaren Sachnormen ist das sicher konsequent, da ja gerade kein zwischengeschalteter kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl anerkannt wird und somit jeder Staat allein aufgrund der von ihm bestimmten materiellen Struktur solche Normen zur Anwendung bringen kann. Da diesem Ansatz jedoch nicht zu folgen ist, kann jene Schlussfolgerung nur zwingend sein, wenn die materiellen Zwecke gleichzeitig den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl enthielten – weil sich aber, wie bereits ausgeführt wurde50, Kollisions- und Sachrecht „rechtspolitisch [als] aliud“51 gegenüberstehen, kann dies nicht der Fall sein: Eine Sachnorm ist gerade Sachnorm, weil der ihr zugeordnete kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl nicht von ihrem sachlichen Regelungsgegenstand erfasst ist, so dass dieser auch nicht in den (nationalen) Sachnormzwecken „versteckt“ sein kann. Damit entfällt jedoch zugleich die Notwendigkeit, den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl dem nationalen Recht zu entnehmen: Da eine Eingriffsnorm kein „Tertium“ zwischen Kollisions- und Sachrecht bildet und der auf diese bezogene kollisionsrecht46 Darauf dürfte wohl Thorn, Eingriffsnormen, 129 (136) abstellen, wenngleich er dies unter dem Gesichtspunkt der Prüfungskompetenz des EuGH erwähnt. Deutlicher nun Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 20; Remien, FS von Hoffmann, 334 (335). 47 Natürlich in den Grenzen höherrangigen Rechts. 48 In anderem Zusammenhang Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (233). 49 Plender/Wilderspin 12-011; wohl auch Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (628), der zwischen der „positivistischen“ Definition des öffentlichen Interesses durch den jeweiligen Erlassstaat, welche auf der Ebene des Sachrechts erfolgt, und derjenigen des Eingriffsrechts, die eine kollisionsrechtliche Aussage beinhaltet, nicht differenziert. 50 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.a) (S. 18 ff.). 51 Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (78).

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liche Anwendungsbefehl analytisch von der zugrunde liegenden Sachnorm getrennt werden kann, stellt dieser gerade kein „wesensmäßiges“ Korrelat einer Eingriffsnorm dar, das man bei deren Anwendung zwangsläufig mitberücksichtigen müsste.

Nun lässt sich der – hinsichtlich der Lehre der unmittelbar anwendbaren Sachnormen in Art. 9 I Rom I formulierten – finalen Verknüpfung zwischen materiellen Normzwecken und kollisionsrechtlicher Behandlung auch eine andere Bedeutung beimessen. Wie ebenfalls bereits ausgeführt wurde52, hat der Sachnormzweck richtigerweise nicht unmittelbare, sondern mittelbare Bedeutung für die kollisionsrechtliche Anknüpfung. Erkennt man die oben beschriebene „Sachrechtsabhängigkeit“ des IPR an, so kann die finale Verknüpfung auch dahingehend verstanden werden, dass Normen aufgrund ihrer von einem nationalen Staat bestimmten besonderen materiellen Sachnormzwecke (die kollisionsrechtliche Anwendungsinteressen implizieren) eben nicht unter die herkömmlichen Vorschriften der Verordnung fallen („Disqualifikation“) und daher nicht aufgrund ihrer Wichtigkeit, sondern vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen eines Anwendungsbefehls bedürfen, der von Seiten des europäischen IPR im Wege der Rechtsfortbildung zu entwickeln ist53. Das bedeutet: Auch wenn wir die Eingriffsnormenproblematik originär innerhalb des europäischen IPR verorteten, könnte der nationale Gesetzgeber – da den von diesem zugrunde gelegten Sachnormzwecken im Hinblick auf die kollisionsrechtliche Interessenlage präjudizierende Wirkung zukommt – die kollisionsrechtliche Behandlung „seiner“ Eingriffsnorm zumindest mittelbar bestimmen; denn als nationaler „Rohstoff“, der in den Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen fällt, müsste sie vom europäischen IPR „verarbeitet“ und – sofern keine passende europäische Kollisionsnorm existiert – eine auf diese Norm bezogene, ihren materiellen Normzwecken angemessene Kollisionsnorm (europäischer Herkunft) modo legislatoris ausgebildet werden. Damit ist es aufgrund der der materiellen Gerechtigkeit dienenden Funktion des IPR hinsichtlich der kollisionsrechtlichen Umsetzung materieller Rechtszwecke überhaupt nicht erforderlich, den nationalen Gesetzgebern zur Durchsetzung ihrer „wichtigen“ Sachnormen eine Rahmenkompetenz zur Schaffung eigener Kollisionsnormen zuzugestehen. Die vom Wortlaut des Art. 9 I Rom I vorgesehene finale Ver52

Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc) (S. 70 ff.). Gegen eine solche Sichtweise lässt sich auch nicht überzeugend anbringen, dass Art. 9 II Rom I wiederum den Anwendungsbefehl voraussetzt (zu dessen möglichen Verständnis sogleich sub Kapitel 2 A.III.2.a)cc) (S. 118 ff.)). Denn erstens müsste sich dieser – wenn man Art. 9 Rom I als „Öffnungsklausel“ begreifen will – bereits aus Art. 9 I Rom I ergeben, der sich um eine auch in Abs. 2 vorausgesetzte eingriffsrechtliche Legaldefinition bemüht (vgl. hierzu jedoch sub Kapitel 2 A.III.2.a)aa) (S. 114)), zweitens wäre damit auch nicht ausgeschlossen, dass der vorausgesetzte Anwendungsbefehl europäischer Herkunft sein könnte. 53

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

knüpfung von materiellen Normzwecken und kollisionsrechtlicher Behandlung muss deswegen keinesfalls zwingend in letzterem Sinne verstanden werden. cc) Art. 9 II Rom I bzw. Art. 16 Rom II Gegen ein solches Verständnis scheint jedoch wiederum Art. 9 II Rom I und die entsprechende Formulierung in Art. 16 Rom II zu sprechen. Nach diesen „berühren“ die jeweiligen Verordnungen nicht die Anwendung von forumeigenen Eingriffsnormen, so dass man hierin in der Tat eine kodifikationsinterne Beschränkung des Anwendungsbereiches sehen könnte, was wiederum das geschilderte Vorgehen verhinderte. Aber auch dieses Verständnis ist nicht zwingend: Denn die von Art. 9 II/16 Rom I/II gewählte Formulierung könnte auch so zu verstehen sein, dass nicht die Verordnungen als solche, sondern die in den Verordnungen enthaltenen Kollisionsnormen die Anwendung bestimmter nationaler Sachnormen nicht berühren54. Dann beschränken Art. 9 II/16 Rom I/II jedoch nicht die regulative Reichweite der Verordnungen, sondern ausschließlich die Reichweite der in diesen Verordnungen kodifizierten herkömmlichen Kollisionsnormen – die regulative Reichweite der Rom-Verordnungen ergäbe sich insoweit alleine aus den auch hierfür vorgesehenen Art. 1 Rom I/II, die jedoch den Anwendungsbereich für die Eingriffsnormenproblematik grundsätzlich eröffnen. Ein solches Verständnis ließe sich insbesondere auf andere Sprachfassungen der Rom-Verordnungen stützen: So geht etwa der englische Normtext davon aus, dass „nothing in this Regulation“ die Anwendung foruminterner Eingriffsnormen beeinträchtigen soll55 – insoweit wird also nicht auf die Verordnungen als solche, sondern konkret auf deren Regelungsinhalt abgestellt. Weit deutlicher erfolgt dies in den romanischen Sprachfassungen. So bestimmt beispielsweise der französische Normtext: „Les dispositions du présent règlement ne pourront porter atteinte à l’application des lois de police du juge saisi“, so dass hier sogar expressis verbis auf die einzelnen, positiv kodifizierten Kollisionsnormen abgestellt wird56. Dass Art. 9 II/16 Rom I/II keinesfalls eine Aussage über die regulative Reichweite der Rom-Verordnungen treffen müssen, wird ebenfalls vor dem Hintergrund der von dem europäischen Gesetzgeber 54

Ein Verständnis, das auch Art. 34 EGBGB a.F. zugrunde lag. Dieser bestimmte in Anschluss an die Formulierung des Art. 7 II EVÜ, dass der erste Unterabschnitt des Schuldrechts nicht die Anwendung der Bestimmungen des deutschen Rechts berührt, „die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln“. 55 Ebenso die niederländische Sprachfassung („Niets in deze verordening [...]“). 56 Dem entspricht die italienische („Le disposizioni del presente regolamento [...]“) und spanische („As disposições do presente regulamento [...]“) Sprachfassung.

A. Verortung im europäischen IPR

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zugrunde gelegten Theorie der unmittelbar anwendbaren Sachnormen deutlich: Denn will man eine eigene kollisionsrechtliche Normkategorie schaffen, was mit Art. 9 I versucht wurde, muss deren Verhältnis zu den herkömmlichen Kollisionsnormen geklärt werden – dies geschah mit Art. 9 II, der eben bestimmt, dass diese europäische Normkategorie von den herkömmlichen Kollisionsnormen unberührt bleibt. Eine nachträgliche Herausnahme der Eingriffsnormenproblematik aus dem grundsätzlich eröffneten Anwendungsbereich kann dem europäischen Gesetzgeber vor diesem Hintergrund damit nicht unterstellt werden. dd) Zwischenergebnis Der Wortlaut des Art. 9 I, II Rom I (und insbesondere des Art. 16 Rom II, der noch geringere Anforderungen stellt) verlangt keinesfalls, dass der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl von Seiten des nationalen Rechts ausgesprochen werden muss. Vom Wortlaut ebenfalls gedeckt ist ein Verständnis, nach welchem der Anwendungsbefehl für Eingriffsnormen dem europäischen Recht entstammt. b) Abschließende Stellungnahme Weil der europäische Gesetzgeber mit der Theorie der unmittelbar anwendbaren Sachnormen schlichtweg von einer nicht zutreffenden rechtstheoretischen Grundannahme ausgegangen ist57, besteht für uns die Aufgabe, unter Zugrundelegung der zutreffenden rechtstheoretischen Ausgangssituation dem insoweit hypothetischen gesetzgeberischen Willen bei der Auslegung der Art. 9/16 Rom I/II so weit wie möglich Rechnung zu tragen. Verlangen wir demnach richtigerweise für die Durchsetzung einer Eingriffsnorm einen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl, so erscheint die Annahme, dieser müsse von Seiten des nationalen Rechts ausgesprochen werden, höchst fraglich. Sie ließe sich im Hinblick auf den Wortlaut allenfalls darauf stützen, dass der europäische Gesetzgeber von der unmittelbar „durchschlagenden“ kollisionsrechtlichen Wirkung nationaler materieller Normzwecke ausgegangen ist und es insoweit dem Belieben des nationalen Gesetzgebers überlassen bleiben müsste, diesen eine – notwendige – Kollisionsnorm beiseite zu stellen. Nun ist diese Deutung 57 Wie bereits sub Kapitel 2 A.I (S. 104 ff.) ausgeführt, wäre eine solche Annahme rechtstheoretisch nur haltbar, wenn wir die Rechtsqualität fremden Eingriffsrechts leugneten. Da Art. 9 III Rom I jedoch ausdrücklich auch einem partiellen „juristischen Solipsismus“ eine Absage erteilt, findet folglich jede Anwendung eines eingriffsrechtlichen Rechtssatzes vor dem Hintergrund anderer inhaltlich konkurrierender Rechtssätze anderer Rechtsordnungen statt, so dass es hierfür – rechtstheoretisch zwingend – stets eines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls bedarf.

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

vom Wortlaut keinesfalls antizipiert und die unmittelbar „durchschlagende“ Wirkung zwangsläufige Folge der vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Ausgangsprämisse unmittelbar anwendbarer Sachnormen, so dass aus diesem Faktum schwerlich Schlussfolgerungen für die Angemessenheit eines nationalen Anwendungsbefehls im Rahmen einer anderen kollisionsrechtlichen Konzeption zu ziehen sind. Vor dem Hintergrund der lois d’application immédiate macht zumindest Art. 9 Rom I deutlich, dass sich der europäische Gesetzgeber – jedenfalls soweit es seine Ausgangsprämisse zulässt – einer Regelung der Eingriffsnormenproblematik durchaus annehmen wollte: Art. 9 I Rom I sieht europäische restriktive Kriterien vor, die gerade verhindern sollen, dass die nationalen Gesetzgeber nach nationalem Belieben in das europäische Regelungsregime hineinwirken können, und Art. 9 III 2 Rom I sieht hinsichtlich der Anwendungsentscheidung (mehr oder weniger) konkrete europäische Kriterien vor, die ein nationales Gericht bei der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen binden und insoweit die „Nationalität“ dieses Anwendungsbefehls bereits prima facie höchst zweifelhaft erscheinen lassen. Berücksichtigt man weiter, dass dem europäischen Gesetzgeber gem. Art. 61 lit. c, 65 lit. b EGV a.F. eine umfassende Kompetenz58 zum Erlass kollisionsrechtlicher Rechtsakte übertragen wurde und dass der Anwendungsbereich der RomVerordnungen – wie festgestellt – für die Eingriffsnormenproblematik grundsätzlich eröffnet ist, so liegt es doch deutlich näher, bei Zugrundelegung der „richtigen“ rechtstheoretischen Grundannahme von einem europäischen Anwendungsbefehl auszugehen. Diese Einschätzung wird gestützt durch die bereits dargestellten Bedenken, die hinsichtlich eines nationalen Anwendungsbefehls bestehen. Eine Durchsetzung von nationalen Sachnormen muss, will man die europäischen kollisionsrechtlichen Rechtsakte nicht ad absurdum führen, davon abhängig gemacht werden, dass diese Normen nicht bereits von einer eu58 Kompetenzrechtliche Probleme werden im Folgenden nicht weiter verfolgt. Freilich ließe sich bezweifeln, ob dem europäischen Gesetzgeber überhaupt die Kompetenz zur Festlegung des internationalen Anwendungsbereiches von Normen zustehen kann, die den öffentlichen Interessen des jeweiligen Mitgliedstaats Rechnung tragen. Abgesehen davon, dass es sich jedoch hierbei um zivilrechtsrelevantes Recht handelt (und eine Beeinträchtigung staatlicher Interessen damit a priori geringer ist, da der jeweilige Staat diese im Sinne der Subsidiarität mit geringerer Intensität verfolgt), kann insoweit auf die EuVTVO, EuBagatellVO und EuMahnVO verwiesen werden: Hier hielt sich die EU für kompetent, öffentliche Interessen der Mitgliedstaaten gänzlich abzublocken, indem sie auf einen nationalen ordre public-Vorbehalt verzichtete. Wenn ein solches Vorgehen indes von den Kompetenznormen des Art. 61 lit. c, 65 EGV a.F. gedeckt ist, so dürfte eine Festlegung der Voraussetzungen, unter welchen ein Mitgliedstaat in einem Sachverhalt mit Auslandsbezug seine nationalen Interessen (noch) durchsetzen kann, als geringerer „Eingriff“ ebenso gedeckt sein.

A. Verortung im europäischen IPR

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ropäischen Kollisionsnorm erfasst sind. So wird dies besonders deutlich im europäischen Internationalen Deliktsrecht: Verlangte man ausschließlich materielle Kriterien für die Durchsetzung nationaler Sachnormen (so restriktiv diese auch sein mögen), könnte ein nationaler Gesetzgeber entgegen Art. 6 Rom II deutsches Lauterkeits- und Kartellrecht zur Anwendung bringen, wenngleich das in Art. 6 Rom II vorausgesetzte Anknüpfungsmoment gar nicht erfüllt ist. Dass der EuGH Art. 16 Rom II eine solche Bedeutung beimessen wird, erscheint im Hinblick auf den von diesem sehr betonten Auslegungsgrundsatz des effet utile, nach dem unionsrechtlichen Vorschriften bei Auslegungszweifeln die größtmögliche Wirkung zukommen soll59, kaum vorstellbar. Ein stimmiges System kann nur entwickelt werden, wenn den in den Rom-Verordnungen vorgesehenen Kollisionsnormen insoweit auch „effektiver“ Anwendungsvorrang eingeräumt wird – Voraussetzung der kollisionsrechtlichen Durchsetzung einer Eingriffsnorm muss dann die „Disqualifikation“ im Hinblick auf eine europäische Kollisionsnorm darstellen, so dass jene „ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung [...] anzuwendenden Rechts [...] anzuwenden ist“. Damit wird zumindest die Frage nach dem „Ob“ der kollisionsrechtlichen Durchsetzung zu einer impliziten Anwendungsvoraussetzung von Eingriffsnormen, die jedoch notwendigerweise das europäische Recht beantworten muss. Ebenfalls bestehen Bedenken gegen eine nationale Bestimmung des Anknüpfungsmomentes als zweites Element der kollisionsrechtlichen Anwendungsentscheidung. Aus der Tatsache, dass Art. 9/16 Rom I/II keinen Inlandsbezug vorsehen, lässt sich nicht folgern, dass ein solcher nicht vorzuliegen habe. Denn zum einen ist dieser „Verzicht“ eine Folge der rechtstheoretischen Ausgangsprämisse, Normen nur aufgrund ihres Normzwecks ohne Zwischenschaltung einer Kollisionsnorm unmittelbar zur Anwendung zu bringen, und kann insoweit für das hier zugrunde gelegte Verständnis nicht präjudizierend sein. Zum anderen verstieße ein solches Ergebnis nicht nur gegen die Erkenntnis der Relativität jeglichen Rechts, die freilich auch dem europäischen IPR als Grund für ein mehrseitiges IPR zugrunde liegt, zum anderen auch gegen das Ziel des europäischen IPR, einen Beitrag zur Vereinfachung der gegenseitigen Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen leisten zu wollen (jeweils Erwägungsgrund 4 Rom I/II). Denn es ist wohl kaum anzunehmen, dass die einzelnen Mitgliedstaaten einen universellen Geltungsanspruch von Normen anderer Staaten, die in deren öffentlichem Interesse erlassen wurden, anerkennen – die Berufung des Anerkennungsstaates auf den prozessrechtlichen ordre public-Vorbehalt erscheint hier vorprogrammiert. Verwehrt man somit richtigerweise 59 Vgl. hierzu etwa Gebauer/Wiedmann-Gebauer Kapitel 4 Rn. 7: „Dieser Effektivitätsgrundsatz verlangt also ein Normverständnis, das eine Umgehung oder Aufweichung der Norm verhindert und ihr zur praktischen Durchsetzung verhilft“.

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

den nationalen Gesetzgebern vollständige Dispositionsfreiheit über das erforderliche Anknüpfungsmoment, rückt die Frage in den Mittelpunkt, warum dieses überhaupt national bestimmt werden sollte. Da der notwendige Inlandsbezug nicht für jede Sachnorm gleich sein kann, sondern – wie bereits dargestellt – das Ergebnis einer differenzierten kollisionsrechtlichen Interessenbewertung für die jeweilige Sachnorm darstellt, muss diese – sofern der Gesetzgeber schweigt – hinsichtlich der Bestimmung des erforderlichen Anknüpfungsmomentes auch für jede einzelne Sachnorm durchgeführt werden. Dass die hierfür maßgeblichen Abwägungstopoi allerdings dem nationalen Recht zu entnehmen seien, weckt richtigerweise nicht nur im Hinblick auf die drohende Divergenz einzelner nationaler Regelungen Bedenken, sondern auch hinsichtlich der Durchführbarkeit einer nationalen Rechtsfortbildung, da bei fortschreitender Europäisierung des IPR nationale Kodifikationen ein Auslaufmodell darstellen dürften und diese somit als System, innerhalb dessen die Rechtsfortbildung zu erfolgen hat, nicht mehr zur Verfügung stehen. Nicht nur die Bestimmung der „legitimen“ Anwendungsinteressen wird mangels Systembindung erschwert, sondern ebenfalls die konkrete Umsetzung der kollisionsrechtlichen Interessen in ein angemessenes Anknüpfungsmoment. Insoweit besteht bereits auch bei der Rechtsfortbildung innerhalb eines kodifizierten Systems ein großer rechtspolitischer Spielraum, doch wird dieser noch erweitert, wenn wir keine vom (nationalen) Gesetzgeber kodifizierten Anknüpfungsmomente vorfinden, die für uns „Vorbildcharakter“ haben und uns somit Orientierung bieten können.

Macht man mit einem wertungsmäßig stimmigen europäischen IPR Ernst, so kann die Bestimmung des maßgeblichen Anknüpfungsmomentes nur von Seiten des europäischen Rechts erfolgen, da dieses das insoweit maßgebliche Bezugssystem zur Gewinnung der „legitimen“ Abwägungstopoi bildet. Wenn wir dies anerkennen, erscheint es jedoch als „Etikettenschwindel“, wenn wir die maßgeblichen Wertungen dem europäischen IPR entnehmen, andererseits aber behaupten, wir bestimmten national das maßgebliche Anknüpfungsmoment. Richtigerweise ist daher davon auszugehen, dass sich auch das maßgebliche Anknüpfungsmoment aus dem europäischen IPR ergeben muss60. Entnehmen wir jedoch die Frage nach dem „Ob“ und dem „Wie“ einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen sinnvollerweise dem europäischen IPR, ergibt sich der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl vollständig aus dem europäischen und nicht aus dem nationalen IPR. Ein Verständnis des Art. 9/16 Rom I/II als Öffnungsklausel zugunsten einseitiger Kollisionsnormen des nationalen Rechts, also als kodifikationsinterne Beschränkung des Anwendungsbereiches, ist damit abzulehnen. 60

So auch die in Fn. 22 Genannten, wenngleich diese von der Prämisse eines nationalen Anwendungsbefehls ausgehen (vgl. Fn. 14).

A. Verortung im europäischen IPR

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3. Art. 9/16 Rom I/II als Grundlage der europäischen Rechtsfortbildung Verorten wir demnach die Eingriffsnormenproblematik innerhalb des europäischen IPR als originäre Materie, so wird der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl für vertragliche und deliktische Eingriffsnormen im materiellen Sinne von Seiten des europäischen Privatrechts ausgesprochen – wenn dieses keine ausdrückliche Kollisionsnorm vorsieht, muss eine solche im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt werden, da es sich dann um eine „interne Lücke“ der Rom-Verordnungen handelt. Wie bereits festgestellt wurde61, weisen Art. 9/16 Rom I/II gerade keinen anwendungsrechtlichen Gehalt auf, sondern setzen diesen voraus, so dass die Eingriffsnormenproblematik62 als Problem der Rechtsfortbildung nunmehr im europäischen IPR zu begreifen ist. Wenngleich es insoweit durchaus vorstellbar erscheint, den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl europäischen Ursprungs63 anhand der in Art. 9 I Rom I genannten materiellen Kriterien – entsprechend der zur alten Rechtslage überwiegend vertretenen Ansicht – unmittelbar herzuleiten 64 , wäre ein solcher Ansatz, der zur Errichtung eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems für Eingriffsnormen nunmehr auf europäischer Ebene führte, aus bereits genannten Gründen65 abzulehnen: Wie insbesondere Art. 6 Rom II, der als herkömmliche Kollisionsnorm zumindest auch typische Eingriffsnormen zum Gegenstand hat, für das europäische IPR verdeutlicht, fehlt für einen extrinsischen66 oder intrinsischen Systemdualismus jegliche Grundlage, so dass die mit 61

Siehe sub Kapitel 1 B.II (S. 8, insbesondere Kapitel 1 Fn. 13). Mit Ausnahme der „selbstgerechten Sachnorm“ europäischer Herkunft, vgl. hierzu sub Kapitel 2 B.I.2 (S. 133 f.). 63 Und nicht eines nationalen, vgl. hierzu sub Kapitel 2 A.II.1 (S. 109). 64 Siehe hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.b) (S. 20). Diese Möglichkeit dürften Plender/ Wilderspin 12-011 f. diskutieren, lehnen sie jedoch mit der Begründung ab, dass die Festlegung einheitlicher europäischer Kriterien für das Vorliegen einer Eingriffsnorm „would have the paradoxical effect of requiring a country such as Germany to treat its own rules as overriding even where a domestic characterisation would not attribute this effect. Such a result simply cannot be right“. Dieser Argumentation ist indes zu widersprechen: Denn wenn die Eingriffsnormenproblematik in die regulative Reichweite der Rom-Verordnungen fällt, stellt der beschriebene „paradoxical effect“ schlicht eine zwangsläufige Folge der Kompetenzverlagerung im IPR dar. Er tritt zudem dann nicht auf, wenn die nationale Eingriffsnorm eine sachrechtliche Limitierung vorsieht, näher hierzu sub Kapitel 2 B.I.1 (S. 127 ff.). 65 Vgl. hierzu insbesondere sub Kapitel 1 B.III (S. 39 ff.). 66 Ein extrinsischer Systemdualismus scheidet zur Begründung eines europäischen kollisionsrechtlichen Zweitsystems bereits deswegen aus, weil die diesem zugrunde liegenden Begründungsmuster – Trennung von Staat und Gesellschaft oder formale Zugehörigkeit zum Öffentlichen Recht – auf das engste mit dem deutschen Recht verbunden sind und daher keine überzeugenden rechtsanwendungsrechtlichen Schlüsse für das europäische IPR zulassen, vgl. hierzu bereits Kapitel 1 Fn. 230. 62

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

der Eingriffsnormenproblematik notwendig verbundene Rechtsfortbildung system- und methodenimmanent erfolgen muss67. Dementsprechend handelt es sich bei einer Eingriffsnorm um eine Bestimmung, die aufgrund ihrer – grundsätzlich68 von einem nationalen Gesetzgeber zugrunde gelegten – öffentlichen Zwecke nicht unter eine allgemeine europäische Kollisionsnorm qualifiziert werden kann, da sie durch ihre besonderen materiellen Sachnormzwecke andere kollisionsrechtliche Interessen69 impliziert als diejenigen, welche der vom Wortlaut her einschlägigen Kollisionsnorm zugrunde liegen70. Die Eingriffsnorm fällt deswegen aus der „Bündelung“ einer europäischen Kollisionsnorm heraus, wird „disqualifiziert“ und bedarf vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen einer ihr angemessenen, ihren Zweck verwirklichenden Kollisionsnorm, die im Wege der Rechtsfortbildung zu entwickeln ist. Die hierfür maßgeblichen Abwägungstopoi müssen dem europäischen Recht als autonom auszulegende, autonom zu handhabende Rechtsmaterie entnommen werden, so dass das Problem der Eingriffsnormen EU-weit einheitlich, systemintern und damit kohärent gehandhabt werden kann; dass dies auch in praxi geschieht, darüber wacht – wie noch näher auszuführen ist71 – der EuGH. Damit bilden Eingriffsnormen – im Sinne Kahns – den noch unfertigen Teil des europäischen Internationalen Privatrechts. Den Art. 9/16 Rom I/II kommt bei einem solchen Verständnis hauptsächlich eine Klarstellungsfunktion72 zu, und dies auf zweifache Weise: Zum einen verorten Art. 9/16 Rom I/II Normen, die öffentlichen Zwecken Rechnung tragen, im europäischen IPR als „interne Lücke“73, so dass diese Frage aufgrund dessen Anwendungsvorrangs nicht mehr nationalem IPR unterliegen kann. Zum anderen machen sie deutlich, dass solche Normen (möglicherweise) nicht unter die herkömmlichen Kollisionsnormen zu fassen sind und folglich im Wege einer systemkonformen und kohärenten europäischen Rechtsfortbildung zur Anwendung gebracht werden müssen. Letztere Klarstellung ist – wie Schurig hinsichtlich Art. 34 EGBGB a.F. zu bedenken gibt – „normalerweise überflüssig, da es sich um systemimma67

Hierzu sub Kapitel 1 B (S. 5 ff.). Auch die EU hat verschiedene Kompetenzen zum Erlass materiellen Rechts; zu den Besonderheiten sub Kapitel 2 B.II.2 (S. 148 ff.). 69 Namentlich Gemeininteressen. 70 Dass der Wortlaut ein solches Verständnis deckt, siehe sub Kapitel 2 A.III.2.a) (S. 114 ff.). 71 Vgl. hierzu Kapitel 4 (S. 321 ff., insbesondere S. 325 ff.). 72 So Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (234) bezogen auf Art. 34 EGBGB a.F. hinsichtlich der zweiten Bedeutung. 73 Vergegenwärtigen wir uns die im nationalen IPR bestehenden Schwierigkeiten, Eingriffsnormen den ihnen zustehenden Platz innerhalb des IPR zu gewähren, ist diese Klarstellung überaus bedeutsam. 68

A. Verortung im europäischen IPR

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nente Strukturen handelt“ 74. Dennoch ist sie sinnvoll. Das IPR ist ein „offenes System“ 75 und stets von den jeweiligen – veränderbaren – nationalen Sachnormen als „Rohstoff“ abhängig, so dass eine kollisionsrechtliche Kodifikation keinesfalls einen abschließenden Charakter zum Ausdruck bringen sollte; denn ein solcher kann ihr nicht zukommen. Bereits die Festlegung des internationalen Anwendungsbereichs der lex fori, die von manchen als „erste Aufgabe des IPR“76 bezeichnet wurde, stellt eine Kodifikation vor unlösbare praktische Probleme – und insbesondere das europäische IPR, das diese Aufgabe nunmehr für alle mitgliedstaatlichen Sachnormen, die in den Anwendungsbereich der Verordnungen fallen, zu bewältigen hat, kann dies keinesfalls leisten. Da sich das IPR nicht „in ein halbes Dutzend Sätze destillieren“77 lässt, sofern man es nicht vom materiellen Recht abkoppeln und in höhere „Gerechtigkeitssphären“ verlagern will, gehört die Differenzierung und Verfeinerung des IPR, die kollisionsrechtliche „Reaktion“ auf möglicherweise neu geschaffene nationale Sachnormen gerade auch im Wege der Rechtsfortbildung zu den stets wiederkehrenden kollisionsrechtlichen „Alltagsproblemen“78 – man kann daher mit Schurig „geradezu zwei Teile des Kollisionsrechts unterscheiden: den ‚artikulierten’ Teil positiver Kollisionsnormen und den ‚unartikulierten’ Teil der noch zu findenden, nach systemimmanenten Rechtsfindungssätzen herauszubildenden Kollisionsnormen“ 79 . Insoweit ist eine Feststellung an prominenter Stelle, „daß derlei zulässig ist“80, sicher nicht von Nachteil81. Konstitutive Bedeutung über die Verortung der Eingriffsnormen als interne Lücke des europäischen IPR hinaus kann Art. 9/16 Rom I/II allerdings nicht zugesprochen werden. Aus diesem Grunde ist Vorsicht geboten, wenn man diese als Generalklauseln82 oder Ausweichklauseln83, inner74

Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (234); diese Einschätzung teilt auch Mäsch S. 160. Hierzu insbesondere Schurig S. 170 ff.; Mäsch S. 153 ff. 76 Jahr, RabelsZ 54 (1990), 481 (493). 77 Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 293. 78 Kegel/Schurig § 6 III (S. 317). 79 Kegel/Schurig § 6 III (S. 317); ausführlich Schurig S. 176-184, 197-204. 80 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (234). 81 Nach Mäsch S. 160 „mag es immerhin der Rechtssicherheit dienen, wenn der Gesetzgeber dem Rechtsanwender eine offene Ermächtigung zur Berichtigung von Kollisionsnormen in besonders gelagerten Fällen erteilt“. 82 In diese Richtung geht man, wenn sowohl die „Disqualifikation“ als auch die Bestimmung des Anknüpfungsmomentes als ungeschriebene, implizite Voraussetzung des Art. 9/16 Rom I/II, betrachtet wird. So bezeichnet etwa Heldrich Art. 34 EGBGB a.F. ausdrücklich als Generalklausel (Palandt-Heldrich (61. Auflage) Art. 34 EGBGB Rn. 3; wenngleich er wohl von dem zusätzlichen Erfordernis eines durch Auslegung der Eingriffsnorm zu gewinnenden Geltungswillen ausgeht, vgl. insbesondere die Ausführungen zu § 130 II GWB). 75

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

halb derer eine so verstandene Rechtsfortbildung aufgrund öffentlicher Sachnormzwecke möglich ist, bezeichnen will. Zumindest Art. 9 Rom I knüpft ausschließlich an öffentliche Sachnormzwecke an, so dass die Gefahr besteht, diese als einzigen Grund der „Disqualifikation“ und damit notwendig verbundenen Rechtsfortbildung anzusehen. Wie jedoch bereits festgestellt wurde, stellen öffentliche Zwecke zumindest im Vertragsrecht regelmäßig, jedoch keinesfalls ausschließlich einen Grund für eine mögliche „Disqualifikation“ dar, so dass auch andere materielle Zwecke durchaus eine vom jeweils „regulären“ Statut unabhängige Anknüpfung erforderlich machen können84. Da öffentliche Sachnormzwecke im Internationalen Vertragsrecht zumeist diejenigen Normen beschreiben, die einer vom Vertragsstatut abweichenden Anknüpfung bedürfen, sind die materiellen Kriterien im Sinne einer heuristischen Beschreibung solcher Normen zumindest hier geeignet. Hinzu kommt, dass die Rom I-Verordnung Fragen des Gesellschaftsrechts und der Stellvertretung aus dem Anwendungsbereich herausnimmt (Art. 1 II lit. f, g Rom I) und damit andere wichtige „Lücken“ des deutschen vertragsrechtlichen IPR weiterhin nationalem IPR überlassen werden, so dass in der Tat diese materiellen Kriterien wohl die meisten Fälle einer „Disqualifikation“ abdecken – nur eben nicht notwendigerweise (wie insbesondere die Materie des Sonderprivatrechts zeigt, auf die noch einzugehen sein wird85), so dass eine konstitutive und damit abschließende Definition hinsichtlich aller statutsunabhängig anzuknüpfenden Bestimmungen nicht angenommen werden kann. Da die materiellen Kriterien – wie ebenfalls bereits festgestellt wurde – insbesondere im Internationalen Deliktsrecht nicht dieselbe hohe „Trefferquote“ aufweisen, sollte eine Übertragung der Kriterien des Art. 9 I Rom I auf Art. 16 Rom II – wenngleich diesen kein konstitutiver Charakter zukommen kann – zumindest mit besonderer Vorsicht erfolgen.

Berücksichtigt man dies und gesteht damit Art. 9/16 Rom I/II keine abschließende „Ermächtigung“ zur Rechtsfortbildung zu, ist eine Bezeichnung als General- oder Ausweichklausel jedoch unschädlich. IV. Zwischenergebnis Die Eingriffsnormenproblematik ist innerhalb des europäischen IPR als originäre Materie zu verorten: Bestimmungen, „deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen 83 Mäsch S. 159 spricht hinsichtlich Art. 34 EGBGB a.F. von einer „allgemeinen Ausweichklausel im internationalem Vertragsrecht“. Ähnlich wohl Weller, NJW 2006, 1247 (1248), der in Art. 7 II EVÜ die Funktion sieht, wertungssystematische „Spannungen zwischen vereinheitlichtem Kollisionsrecht und Vertragsstaatenrechtsordnungen“ zu verringern; „Art. 7 II EVÜ erlaubt damit auch, ähnlich dem – entwicklungsgeschichtlich und funktional Art. 7 EVÜ nahe stehenden – ordre public, die Herausbildung noch unfertigeinseitiger Teile des Kollisionsrechts [...]“. 84 Hierzu sub Kapitel 1 B.IV.3 (S. 94 f.). 85 Vgl. hierzu sub Kapitel 2 B.II.1 (S. 135 ff.).

B. Bedeutung im Einzelnen

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Organisation, angesehen wird“, bilden einen materiellen, meist nationalen „Rohstoff“, der von Seiten des europäischen IPR zu „verarbeiten“ ist. Sofern es an einer kodifizierten europäischen Kollisionsnorm fehlt, sind solche vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen von Seiten des europäischen IPR im Wege der Rechtsfortbildung auszubilden. Auf diese potentielle „interne Lücke“ weisen Art. 9/16 Rom I/II hin, denen über die Verortung der Materie innerhalb der Rom-Verordnungen hinaus keine konstitutive Bedeutung zugesprochen werden kann.

B. Die Bedeutung des dargestellten Ansatzes im Einzelnen B. Bedeutung im Einzelnen Geht man mit der hier vertretenen Ansicht davon aus, dass der Anwendungsbefehl für (vertragliche und deliktische) Eingriffsnormen von Seiten des europäischen IPR ausgesprochen wird, so ergeben sich aufgrund des Anwendungsvorrangs europäischen Rechts gewisse Besonderheiten, die nunmehr im Einzelnen bezüglich der beiden herkömmlichen „Erscheinungsformen“ von Eingriffsnormen – Eingriffsnormen im formalen und materiellen Sinne – näher dargestellt werden sollen. I. „Selbstgerechte Sachnormen“ (Eingriffsnormen im formalen Sinne) Wie bereits festgestellt wurde86, handelt es sich bei einer Eingriffsnorm im formalen Sinne um eine Sachnorm, welcher von dem jeweiligen Gesetzgeber ein spezieller rechtssatzbezogener, kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl beigeordnet wurde. Im Folgenden muss für deren kollisionsrechtliche Behandlung unterschieden werden, ob dieser Anwendungsbefehl von einem nationalen oder von dem europäischen Gesetzgeber stammt. 1. „Selbstgerechte Sachnorm“ nationaler Herkunft Entstammt die der Sachnorm beigeordnete – und möglicherweise mit ihr „verschmolzene“ – spezielle einseitige Kollisionsnorm dem nationalen Recht, so wird dieser kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl nach hier vertretener Auffassung derogiert87, weil der maßgebliche kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl nunmehr dem europäischen Recht zu entnehmen ist und dieser daher dem nationalen Anwendungsbefehl kraft seines An86

Hierzu sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 10 ff.). Voraussetzung ist freilich, dass der Anwendungsbereich eröffnet ist. Nach hier vertretener Ansicht ist dies der Fall, wenn der materielle Teil der „selbstgerechten Sachnorm“ einen Regelungsgehalt bezüglich eines streitigen vertraglichen oder deliktischen Rechtsverhältnisses aufweist, dieses also sachrechtlich regeln „will“; vgl. sub Kapitel 2 A.III.1 (S. 113). 87

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

wendungsvorrangs vorgeht. Da der kollisionsrechtliche Teil der „selbstgerechten Sachnorm“ analytisch von dem sachrechtlichen Teil getrennt werden kann, ist letzterer freilich nicht von der Derogation betroffen, so dass wir im Ausgangspunkt schlicht eine nationale Sachnorm vorfinden, deren internationaler Anwendungsbereich nunmehr von Seiten des europäischen Rechts festgelegt wird. Für die kollisionsrechtliche Behandlung einer solchen Norm ist zunächst entscheidend, ob diese erfolgreich unter eine bereits kodifizierte europäische Kollisionsnorm qualifiziert werden kann – ist das der Fall, entscheidet diese Kollisionsnorm abschließend über die internationale Anwendbarkeit der fraglichen Sachnorm. Ein prominentes Beispiel hierfür findet sich im Bereich des internationalen Kartellprivatrechts: Die nationale Kollisionsnorm des § 130 II GWB wird für den Bereich der außervertraglichen Ansprüche aus Kartellverletzungen nunmehr von Art. 6 III Rom II aufgrund seines Anwendungsvorrangs verdrängt, der maßgebliche kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl für diese von § 130 II GWB erfassten Sachnormen also ausschließlich von Art. 6 Rom II festgelegt 88 . Eine Rechtsfortbildung im europäischen Kollisionsrecht wird demgegenüber erst dann notwendig, wenn der Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen zwar eröffnet ist, jedoch keine einschlägige Kollisionsnorm vorliegt – dann liegt eine „interne Regelungslücke“ vor, welche im Wege einer systemimmanenten und damit kohärenten Rechtsfortbildung geschlossen werden muss. Auch hierfür kann wiederum das privatrechtliche Kartellrecht als Beispiel angeführt werden: Kartellrechtliche Verbotsnormen, die zur Vertragsnichtigkeit führen (und daher nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung erfasst sind), fallen zwar nach hier vertretener Ansicht in den Anwendungsbereich der Rom IVerordnung (so dass § 130 II GWB ebenfalls verdrängt wird), es existiert jedoch bislang keine geschriebene Kollisionsnorm in dieser Verordnung, die den durch diese Bestimmungen implizierten Gemeininteressen Rechnung tragen könnte. Kartellrechtliche Verbotsnormen lassen sich daher nicht unter Art. 3 ff. Rom I qualifizieren, sie bedürfen jedoch vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen einer Kollisionsnorm, die den implizierten Anwendungsinteressen Rechnung tragen kann. Die konkrete Rechtsfortbildung, die – wie bereits ausgeführt89 – regelmäßig 88

Vgl. etwa MüKo-Immenga IntWettbR/IntKartellR Rn. 1, 67. Zumindest im Ergebnis wohl auch Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 8 (jedoch mit der nicht nachvollziehbaren Begründung, § 130 II GWB sei im Falle der Beeinträchtigung ausländischer Märkte „kein hinreichender Eingriffswille zu entnehmen, um eine Anwendung zu rechtfertigen“; zudem fehle es dann am Inlandsbezug. Letzteres mag zwar zutreffen, doch liegt der Grund für die Unanwendbarkeit von § 130 II GWB an dem Anwendungsvorrang von Art. 6 Rom II). 89 Vgl. hierzu ausführlich sub Kapitel 1 B.IV.4 (S. 97 ff.).

B. Bedeutung im Einzelnen

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eine komplexe Interessenanalyse erfordert, ist im Falle kartellrechtlicher Bestimmungen relativ unproblematisch, da im Bereich des Internationalen Deliktsrechts mit Art. 6 III Rom I bereits eine kodifizierte europäische Kollisionsnorm existiert, die solche Normen zum Gegenstand hat – insoweit bedarf es zur Schließung der internen Regelungslücke alleine eines Analogieschlusses90, so dass unsere kartellrechtlichen Verbotsnormen dann zur Anwendung gebracht werden können, wenn der deutsche Markt beeinträchtigt wird. Diese Anknüpfung entspricht freilich auch der von § 130 II GWB vorgesehenen, so dass zumindest insoweit keine Änderung eintritt. Entscheidend ist jedoch, dass die konkrete Frage, wann eine solche Beeinträchtigung gegeben ist, nunmehr von Seiten des EuGH letztverbindlich entschieden werden kann.

Damit lässt sich festhalten: Der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl für das nationale Kartellprivatrecht wird nunmehr vollständig von Seiten des europäischen IPR ausgesprochen: für Normen, die einen außervertraglichen Anspruch gewähren, von Art. 6 III Rom II, für kartellrechtliche Bestimmungen, die zivilrechtliche Verträge invalidieren, von einer (im Rahmen der Rom I-Verordnung) entsprechend Art. 6 III Rom II modo legislatoris auszubildenden Kollisionsnorm. Damit beschränkt sich der kollisionsrechtliche Regelungsgehalt des § 130 II GWB nunmehr auf die öffentlich-rechtlichen Materien, so dass dieser alleine in verwaltungsrechtlichen Verfahren, die vom Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen ausgenommen sind (vgl. Art. 1 I), weiterhin beachtlich ist. Ein weiteres Beispiel für eine (partielle) Derogation einer „selbstgerechten Sachnorm“ nationaler Herkunft findet sich im Bereich des Internationalen Urheberrechts, wenngleich insoweit gewisse Besonderheiten bestehen. § 32 b UrhG sieht eine spezielle einseitige Kollisionsnorm vor, die unter Geltung der Art. 27 ff. EGBGB eine von den herkömmlichen vertraglichen Kollisionsnormen unabhängige Anknüpfung der urheberschützenden Bestimmungen der §§ 32, 32 a UrhG ermöglichte. Da das Internationale Urheberrecht in den Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung fällt, wird der spezielle kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl des § 32 b UrhG jedoch verdrängt, so dass zu klären bleibt, ob §§ 32, 32 a UrhG unter die allgemeinen, nach ihrem Wortlaut her grundsätzlich einschlägigen Kollisionsnormen der Art. 3 f. Rom I erfolgreich qualifiziert werden können. Dies erscheint indes nicht ohne Weiteres möglich: Zwar dienen diese Normen überwiegend 90 Die Vergleichbarkeit der (kollisionsrechtlichen) Interessenlage als Voraussetzung für eine Analogie ist zu bejahen, weil die konkrete Rechtsfolge (Nichtigkeit, außervertraglicher Anspruch) kartellrechtlicher Verbotsnormen – wie bereits sub Kapitel 1 B.II.2.c)bb) (S. 31) ausgeführt – keine Auswirkung auf die mit diesen Verbotsnormen verfolgten materiellen Zwecke entfaltet. Solche Normen implizieren daher nicht nur vergleichbare, sondern sogar identische kollisionsrechtliche Interessen, deren „Legitimität“ aufgrund von Art. 6 Rom II feststeht und deren konkrete Umsetzung in ein angemessenes Anknüpfungsmoment aufgrund der Systembindung auch anhand der seitens des Gesetzgebers bereits vorgesehenen Anknüpfungsmomente erfolgen muss. Demgemäß liegen die Voraussetzungen für eine vollumfängliche Analogie mit Art. 6 III Rom II vor.

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

der Gerechtigkeit inter partes, implizieren insoweit also überwiegend Parteiinteressen, die eine Qualifikation unter Art. 3 f. Rom I grundsätzlich ermöglichen, sie können jedoch dem Sonderprivatrecht zugerechnet werden, da diese Bestimmungen den Ausgleich der gestörten Vertragsparität zwischen Urheber und Verwerter bezwecken 91 . Demgemäß implizieren sie – wie noch an anderer Stelle darzustellen ist 92 – andere, spezifischere kollisionsrechtliche Anwendungsinteressen, welche eine dieser materiellen Zwecksetzung angemessenere Anknüpfung (insbesondere Einschränkung der Parteiautonomie) erfordern. Demgegenüber sind „selbstgerechte Sachnormen“, die zudem noch die materiellen Anforderungen für die Einordnung als Eingriffsnormen im materiellen Sinne erfüllen, im deutschen Recht neben § 130 II GWB schwer zu finden 93, wenngleich solche theoretisch unproblematisch vorstellbar sind. Bei ihnen ist zu beachten, dass Art. 9 I Rom I von Sachnormen eines Staates spricht, die „für die Wahrung seines öffentlichen Interesses“ entscheidend sind. Damit wird klargestellt, dass nationale Normen nur dann durch das europäische IPR zur Anwendung gebracht werden können, wenn der jeweilige Staat sich sachrechtlich auf die Wahrung seines öffentlichen Interesses beschränkt hat 94. „Bevor91 Wandtke/Bullinger-Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn. 2; vgl. auch Bt-Ds. 14/6433, S. 1 f. 92 Vgl. zur Problematik des Sonderprivatrechts sub Kapitel 2 B.II.1.a) (S. 135 ff.). 93 Möglicherweise kämen indes Bestimmungen des Transportvertragsrechts in Betracht, da der Gesetzgeber insbesondere § 449 III HGB aus Wettbewerbsgründen für erforderlich hielt, vgl. Bt-Ds. 13/8445, S. 88 (zur Durchsetzung als materielle Eingriffsnorm aufgrund dieser Erwägung gelangt etwa Staudinger, IPRax 2001, 183 (184); wohl auch Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 617). Ob die implizierten kollisionsrechtlichen Gemeininteressen der über § 449 III berufenen Normen jedoch wirklich zu einer „Disqualifikation“ hinsichtlich Art. 5 Rom I (die Anwendung von Art. 6 scheidet wegen Abs. 4 lit. b aus) führen, erscheint mehr als fraglich (vgl. auch Reithmann/MartinyMankowski Rn. 2728). Näher liegen dürfte eine solche aufgrund spezifischer Parteiinteressen und damit verbundener „sachnormzweckgerechter“ Rechtsfortbildung (insbesondere wiederum Einschränkung der Parteiautonomie), da §§ 449 III, 451 h III, 466 IV HGB jeweils an das Vorliegen eines Verbrauchervertrags anknüpfen und insoweit eine besondere Ausprägung des Verbraucherschutzrechts darstellen (Art. 6 IV lit. b Rom I stünde dann nicht entgegen, wenn man diesen alleine als Ausdruck der Unangemessenheit der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt im Transportvertragsrecht trotz Beteiligung eines Verbrauchers begreift, nicht jedoch als grundsätzlicher Ausschluss des – kollisionsrechtlichen – Schutzes des Schwächeren – Erwägungsgrund 23 Rom I – im Transportvertragsrecht; vgl. hierzu die Ausführungen sub Kapitel 2 B.II.1.b) (S. 141 ff.) zum sozialen Mietrecht). Dieser Weg muss jedoch gar nicht beschritten werden: Wie Mankowski zu Recht anmerkt, kann § 449 III HGB als Fall einer „überlagernden Anknüpfung“ begriffen werden, weil diese Bestimmung über den gegenüber der allgemeinen Rom I-Verordnung spezielleren Art. 6 I lit. a Kabotage-Verordnung (EWG) Nr. 3118/93 weiterhin zur Anwendung gebracht werden kann (deklaratorisch Art. 23 Rom I); hierzu Reithmann/Martiny-Mankowski Rn. 2728; MüKo-Martiny Art. 5 Rom I Rn. 49; zur Behandlung „selbstgerechter Sachnormen“ europäischer Herkunft vgl. Kapitel 2 B.I.2 (S. 133 f.). 94 Dies wird auch meistens der Fall sein, da die Ausbildung materiellen Sonderrechts nicht nur unpraktikabel, sondern insbesondere in diesem Bereich schlicht sinnlos ist; siehe hierzu sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 14) und Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 67).

B. Bedeutung im Einzelnen

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mundet“ ein Staat einen anderen, indem er sich anschickt, materiell dessen öffentliches Interesse zu definieren und auch durchzusetzen, handelt es sich bei Lichte betrachtet um materielles Sonderrecht für einen Sachverhalt mit Auslandsbezug95 und damit eben auch um eine (nationale) kollisionsrechtliche Entscheidung zugunsten des materiellen Sonderrechts96, die jedoch von der Derogation durch das europäische Kollisionsrecht betroffen ist.

Wird somit der kollisionsrechtliche Anwendungsbereich des von der Derogation durch europäisches IPR nicht betroffenen materiellen Teils der „selbstgerechten Sachnorm“ von Seiten des europäischen Rechts festgelegt, so entfaltet der Anwendungsvorrang der Verordnungen „kassatorische Wirkung“ hinsichtlich eines nationalen „überschießenden“ 97 Geltungswillens. Zumindest theoretisch vorstellbar98 ist aber der Fall, dass der vom europäischen IPR zugewiesene Anwendungsbereich weiter ist als derjenige, den das nationale Kollisionsrecht für diese Sachnorm vorsieht. Es stellt sich dann die Frage, ob eine nationale Limitierung des Anwendungsbereiches auch auf europäischer Ebene Beachtung finden kann. Möglich erscheint dies, wenn man den „Anwendungsbereich“ i.S.d. Art. 9 I Rom I entgegen dem europäischen Gesetzgeber auch als den von einem nationalen Gesetzgeber zugewiesenen kollisionsrechtlichen Anwendungsbereich begreift. Dann ließe sich – entsprechend der von Schurig vorgeschlagenen Behandlung ausländischer Eingriffsnormen 99 und ohne die europäische Herkunft des Anwendungsbefehls in Frage zu stellen – die von Seiten des europäischen Rechts ausgebildete Kollisionsnorm als durch die nationale kollisionsrechtliche Anwendungswilligkeit bedingte Verweisung betrachten, wie wir sie etwa im nationalen Recht im Rahmen des Art. 3 a II EGBGB kennen. Allerdings weckt eine solche Berücksichtigung des nationalen kollisionsrechtlichen Anwendungswillens Zweifel. Relevanz kann diese bedingte Verweisung nur haben, wenn der nationale kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl hinter dem von Seiten des europäischen Rechts gewährten Anwendungsbereich zurückbleibt. Welches Bedürfnis jedoch besteht, eine solche nationale kollisionsrechtliche Limitierung zu beachten, ist nicht ersichtlich. Während eine Berücksichtigung des nationalen Anwendungswillens bei der Anwendung ausländischer Ein95

Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 14) und Kapitel 3 B.I.2 (S. 182 f.). Vgl. hierzu Kapitel 1 Fn. 327. 97 Hiervon kann man insbesondere dann sprechen, wenn der nationale Gesetzgeber der fraglichen Bestimmung einen über den von den zugrunde liegenden Sachnormzwecken indizierten räumlich-territorialen Anwendungsbereich zukommen lässt. 98 Da die nationalen Gesetzgeber bei der Schaffung einseitiger Kollisionsnormen wohl stets bemüht sind, den sachrechtlichen Zweck weitmöglichst kollisionsrechtlich zur Geltung zu bringen, erscheint diese Fallgruppe indes in praxi schwer vorstellbar. 99 Schurig S. 329; ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (238); vgl. hierzu auch sub Kapitel 3 C.II.4.b) (S. 260 f.). 96

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

griffsnormen im materiellen Sinne durchaus Sinn macht, da in der Tat Normen, die dem öffentlichen Interesse eines ausländischen Staates dienen, nicht zur Anwendung gebracht werden sollten, sofern der Erlassstaat selbst diese in casu gar nicht anwenden würde100, hat nach hier vertretener Auffassung der nationale Mitgliedstaat seine Kompetenz zur Festlegung des internationalen Anwendungsbereiches seiner (vertraglichen und deliktischen) Eingriffsnormen gerade verloren, so dass die Nichtberücksichtigung eines solchen schlichte Folge der Kompetenzverlagerung im Bereich des IPR darstellt. Stützen lässt sich dies auch auf Art. 6 Rom II: Wenngleich dessen Anknüpfungsgegenstand Eingriffsnormen im formalen Sinne bilden (§ 130 II GWB), kennt diese Kollisionsnorm – zumindest nach ihrem Wortlaut und dem bislang veröffentlichten Schrifttum – keine (bedingte) Verweisung auf § 130 II GWB, sondern beruft die entsprechenden Sachnormen des deutschen Rechts ohne Berücksichtigung dieses (nationalen, daher von Art. 6 Rom II verdrängten) kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls101.

Sind demgegenüber materielle öffentliche Interessen eines Mitgliedstaates überhaupt nicht tangiert, kann eine Bestimmung, die diesen Rechnung tragen will, bereits sachrechtlich nicht einschlägig sein – deren Nichtanwendung ergibt sich daher schon aus dem Sachrecht, nicht erst aus dem Kollisionsrecht, so dass die kollisionsrechtliche Stellungnahme des Erlassstaates insoweit unerheblich ist. Einer Berücksichtigung des nationalen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls im Wege eines bedingten europäischen Anwendungsbefehls bedarf es demgemäß nicht und ist folglich abzulehnen. Allerdings sollen die vorstehenden Ausführungen nicht den Eindruck vermitteln, dass die nationale Festlegung des Anwendungsbereiches vollständig bedeutungslos wird. Denn eine solche kann – wie bereits ausgeführt102 – sowohl kollisionsrechtliche als auch sachrechtliche Bedeutung haben. Da beide Arten der Beschränkung auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen, können sich beide überlagern103 und folglich auch kumulativ vorliegen. Trifft ein Gesetzgeber mit der Festlegung des Anwendungsbereichs eine kollisionsrechtliche Entscheidung, so dürfte darin sogar regelmäßig zugleich eine sachrechtliche Limitierung des Anwendungsbereiches zu

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Näher hierzu Kapitel 3 C.II.4.b) (S. 258 ff.). Sofern Art. 6 Rom II drittstaatliches Recht beruft, könnte jedoch eine bedingte Verweisung dann angenommen werden, wenn die zu berufenden Sachnormen überwiegend öffentlichen Interessen des ausländischen Staates Rechnung tragen – vgl. hierzu sub Kapitel 3 C.II.4.b) (S. 261 f.). 102 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 10 ff.). 103 Schurig S. 62-64; Kegel/Schurig § 1 VIII 1 (S. 57); Kuckein S. 21; Voser S. 108; vgl. auch Schubert, RIW 1987, 729 (733). 101

B. Bedeutung im Einzelnen

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sehen sein104, die als solche von der Derogation nicht betroffen ist und daher weiterhin beachtlich bleibt. Damit hat es folgende Bewandtnis: Limitiert der Gesetzgeber den Anwendungsbereich eines Gesetzes, so orientiert er sich hierfür regelmäßig unmittelbar an dem durch das jeweilige Gesetz geschützten Rechtsgut. Wenn etwa die Anwendung deutschen Kartellrechts von der Auswirkung auf den deutschen Markt (§ 130 II GWB) abhängig gemacht wird, so liegt dem die Erwägung zugrunde, dass nur bei einer Auswirkung auf den deutschen Markt das Schutzgut „deutscher Markt“ auch sachrechtlich („materiell“) beeinträchtigt sein kann. Insoweit kommt der Festsetzung des Anwendungsbereiches zweifache Bedeutung zu: zum einen eine sachrechtliche, da die Limitierung des Anwendungsbereiches die materielle Beeinträchtigung des Schutzgutes näher konkretisiert, zum anderen eine kollisionsrechtliche, da sie ebenfalls Ausdruck einer „sachnormzweckgerechten“ kollisionsrechtlichen Behandlung des durch die sachrechtliche Limitierung „abgesteckten“ Rechtsgutschutzes darstellt. Da allein der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl von der Derogation betroffen ist, bleibt die sachrechtliche Limitierung bei Berufung durch eine europäische Kollisionsnorm beachtlich und führt ggf. zur (sachrechtlichen) Nichtanwendung der fraglichen Bestimmungen. Eine Berücksichtigung des nationalen Anwendungswillens ist daher zumindest auf sachrechtlicher Ebene möglich. 2. „Selbstgerechte Sachnorm“ europäischer Herkunft Wird der rechtssatzbezogene kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl von Seiten des europäischen Gesetzgebers erlassen, haben wir eine andere Ausgangssituation. Sofern der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl durch das Instrument der Verordnung ausgesprochen wird, steht dieser normhierarchisch auf einer Stufe mit den Rom-Verordnungen, so dass sich eine solche spezielle Kollisionsnorm unproblematisch im Wege des allgemeinen Grundsatzes lex specialis derogat lege generali gegenüber Bestimmungen der Rom-Verordnungen durchsetzen kann (deklaratorisch Art. 23/27 Rom I/II). Etwas zweifelhafter erscheint dies prima facie bei speziellen Kollisionsnormen, die europäischen Richtlinien entstammen. Richtlinien entfalten – anders als Verordnungen – keine unmittelbare Wirkung, sondern bedürfen hierfür der nationalen Umsetzung, so dass solche Kollisionsnormen von ihrer Rechtsqualität (im europäischen „Auftrag“ 104

Treffend Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (238): „Denn wenn eine ‚Eingriffsnorm’ einen bestimmten Sachverhalt nicht erfassen ‚will’, dann ist dies in aller Regel nicht, jedenfalls nicht allein, eine kollisionsrechtliche Begrenzung [...], sondern auch eine sachrechtliche“; ders., Lois d’application immédiate, 55 (71); allgemeiner Schurig S. 62 f.; Kegel/Schurig § 1 VIII 1 (S. 57). Ebenso Roth, FS Kühne, 859 (873 Fn. 82); wohl auch MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 60; ders., FS Rebmann, 819 (832).

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

erlassenes) nationales Recht darstellen und daher ebenfalls von der Derogation bedroht zu sein scheinen. Art. 23/27 Rom I/II, die allgemein von „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ sprechen und zu denen damit auch Richtlinien als sekundäres Gemeinschaftsrecht zu zählen sind, stellen jedoch sicher, dass die nationale Rechtsqualität von Richtlinienkollisionsrecht – sofern sie von dieser „gedeckt“ sind und folglich keine „überschießende“ Umsetzung erfolgte105 – nicht zu diesem Ergebnis führt106. Demgegenüber sah der Kommissionsvorschlag zur Rom I-Verordnung eine Auflistung einzelner Sekundärrechtsakte vor (Art. 22 lit. a Rom I-VO Entwurf i.V.m. Anhang I), die besondere Kollisionsnormen enthalten und sich als leges speciales durchsetzen können. Da die Verbraucherschutzrichtlinien in der Auflistung fehlten, wurde allgemein angenommen, dass diese als abschließend zu verstehen sei und die in jener enthaltenen besonderen Kollisionsnormen nicht mehr beachtlich sein können107. In der endgültigen Textfassung wurde auf eine solche Einschränkung verzichtet, so dass die seitens des deutschen Gesetzgebers in Art. 46 b EGBGB zusammengefassten einseitigen Kollisionsnormen als Umsetzungen verschiedener europäischer Richtlinien auch weiterhin als vorrangige leges speciales (i.V.m. Art. 23 Rom I) zu beachten sind108.

II. „Schlicht disqualifizierte Normen“ (Eingriffsnorm im materiellen Sinne) Wurde der fraglichen Norm kein ausdrücklicher Anwendungsbefehl zugewiesen, so besteht die Aufgabe, der fraglichen Norm bei Eröffnung des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen einen europäischen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl beiseite zu stellen. Hier können wir nun danach differenzieren, ob die fragliche Sachnorm nationalen oder europäischen Ursprungs ist. 1. Sachnorm nationaler Herkunft (insbesondere Sonderprivatrecht) Entstammt die Sachnorm – wie zumeist – nationalem Recht, bestehen keine Besonderheiten. Da den nationalen Gesetzgebern weiterhin grundsätz105

Darauf weist zu Recht Roth, FS Spellenberg, 309 (315) hin. Etwa MüKo-Martiny Art. 23 Rom I Rn. 10; Mankowski, IHR 2008, 133 (135). Richtigerweise erscheint dieses Ergebnis bereits von dem Wortlaut des Art. 23 Rom I gedeckt; man mag den Vorrang nationaler Umsetzungsakte jedoch auch mit Leible/ Lehmann, RIW 2008, 528 (531) in diese Vorschrift „hineinlesen“ oder mit Roth, FS Spellenberg, 309 (315) anhand einer „korrigierenden Auslegung“ dahingehend erreichen, „dass das der Umsetzung dienende (und sich in diesem Rahmen haltende) mitgliedstaatliche Recht an der Vorrangregel des Art. 23 Rom I-VO partizipiert“. 107 Solomon, Verbraucherverträge, 89 (107), (weist auf die Möglichkeit hin, diese über Art. 3 V geltend zu machen); Thorn, Eingriffsnormen, 129 (141); Bitterich, RIW 2006, 262 (264 f.). 108 Ebenso Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 527; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 33. 106

B. Bedeutung im Einzelnen

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lich die Kompetenz für materielles Sachrecht zukommt, können diese nach Belieben Sachnormen erlassen, deren internationaler Anwendungsbereich jedoch von europäischer Seite festgelegt wird; insoweit besteht eine unterschiedliche Wahrnehmungskompetenz von materieller und kollisionsrechtlicher Gerechtigkeit. Da jedoch die kollisionsrechtliche Gerechtigkeit eine der materiellen Gerechtigkeit dienende Funktion aufweist, sie also nicht in „höhere Gerechtigkeitssphären“ zu verlegen ist, präjudizieren die nationalen Sachnormzwecke die (europäische) kollisionsrechtliche Interessenlage, anhand derer von europäischer Seite eine der nationalen Sachnorm angemessene kollisionsrechtliche Anknüpfung zur Verfügung gestellt werden muss. Die hierfür maßgeblichen Abwägungstopoi ergeben sich jedoch alleine aus dem europäischen IPR, so dass das europäische IPR diesen nationalen „Rohstoff“ ggf. nach „systemimmanenten Rechtsfindungssätzen“109 im Wege der Rechtsfortbildung zu „verarbeiten“ und eine den jeweiligen nationalen Normzwecken angemessene Anknüpfung zur Verfügung zu stellen hat. Dies soll im Folgenden verdeutlicht werden anhand des Sonderprivatrechts, das traditionell in die drei Felder des Verbraucherschutzrechts110, Arbeitnehmerschutzrechts und des sozialen Mietrechts unterteilt wird111 und deren statutsunabhängige kollisionsrechtliche Durchsetzung als Eingriffsnormen seit langem umstritten ist112. Zur Veranschaulichung des hier vertretenen Ansatzes soll jedoch zunächst auf die Behandlung des Sonderprivatrechts im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems (und auf die damit einhergehenden Schwierigkeiten) eingegangen werden. a) Durchsetzung von Sonderprivatrecht im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems Geht man mit der bereits abgelehnten, jedoch überwiegend vertretenen Ansicht davon aus, dass eine eingriffsrechtliche Sonderanknüpfung bestimmter Normen im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems erfolgt und schlicht das Vorhandensein öffentlicher Sachnormzwecke voraussetzt, hängt die Beantwortung der Frage nach einer von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängigen Anknüpfung des Sonder109

Kegel/Schurig § 6 III (S. 317). Wenngleich zu berücksichtigen ist, dass das in Deutschland geltende Verbraucherschutzrecht größtenteils europäischen Ursprungs ist; zu den europarechtlichen Implikationen sub Kapitel 2 B.II.2 (S. 148 ff.). 111 Etwa von Hoffmann/Thorn § 10 Rn. 95 (mit Verweis auf weitere Bereiche, bspw. Anleger- und Urheberschutz). 112 Vgl. hierzu bereits die Arbeiten von von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396 (396420) und Kropholler, RabelsZ 42 (1978), 634 (634-661); Freitag, IPRax 2009, 109 (112) spricht insofern von einer „ewigen“ Streitfrage. 110

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

privatrechts – also unabhängig von Art. 6 Rom I (Verbraucherschutzrecht), Art. 8 Rom I (Arbeitnehmerschutzrecht) und – in Ermangelung einer besonderen Bestimmung – Art. 3, 4 Rom I (soziales Mietrecht) – von der zugrunde gelegten materiellen Definition einer Eingriffsnorm ab. Verlangt man hierfür das Vorhandensein überwiegend öffentlicher Zwecke, scheidet eine Sonderanknüpfung – zumindest bei konsequenter Befolgung dieser Prämisse113 – a priori aus. Wenngleich der Schutz des Schwächeren, dem diese Normen Rechnung tragen, sozial- und sogar wirtschaftspolitisch motiviert ist und insoweit durchaus auch öffentlichen Zwecken Rechnung trägt, handelt es sich hierbei um Vorschriften, die zumindest im Schwerpunkt den gerechten Ausgleich inter partes verwirklichen wollen und somit nicht die von der h.M. aufgestellten Kriterien für eine Sonderanknüpfung erfüllen. Die Kriterien der h.M. sind, wie bereits festgestellt wurde 114, darauf gerichtet, das „allgemeine“ öffentliche Interesse an einem gerechten Interessenausgleich inter partes auszublenden – ließe man jeden öffentlichen Zweck, dem eine Norm zumindest auch Rechnung trägt, für eine Sonderanknüpfung im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems ausreichen, so führte dies das kodifizierte kollisionsrechtliche System ad absurdum 115. Bereits der gerechte Ausgleich inter partes stellt als solcher stets das Ergebnis der Abwägung zweier Grundrechtspositionen dar, da die zivilrechtliche Handlungsmacht jedes Einzelnen eine Ausprägung der durch Art. 2 I GG verbürgten allgemeinen Handlungsfreiheit bildet. Dem Gesetzgeber stellt sich daher, wie das BVerfG ausführt, „mit der Pflicht zur Ausgestaltung der Privatrechtsordnung [...] ein Problem praktischer Konkordanz. Am Zivilrechtsverkehr nehmen gleichrangige Grundrechtsträger teil, die unterschiedliche Interessen und vielfach gegenläufige Ziele verfolgen. Da alle Beteiligten des Zivilrechtsverkehrs den Schutz des Art. 2 I GG genießen und sich gleichermaßen auf die grundrechtliche Gewährleistung ihrer Privatautonomie berufen können, darf nicht nur das Recht des Stärkeren gelten. Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden“116. Lässt man das Sozialstaatsprinzip einmal außer Betracht, auf das sich das Sonderprivatrecht ebenfalls stützen lässt 117, stellt auch dieses das Ergebnis einer Abwägung dieser beiden geschützten Grundrechtspositionen dar und unterscheidet sich insoweit nicht von „normalem“ Zivilrecht. Denn bei Vorliegen einer gestörten Vertragsparität ist es dem schwächeren Vertragspartner regelmäßig nicht mög113 Vgl. jedoch die sub Kapitel 1 B.II.2.c)cc) (S. 35 f.) dargestellten Ansätze; konsequent etwa Reithmann/Martiny-Mankowski Rn. 1743. 114 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.c)bb) (S. 26 ff.). 115 Hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.c)aa) (S. 23 ff.). Zu den spezifischen Abgrenzungsproblemen von Art. 29/34 EGBGB a.F., wenn ein schlicht auch vorhandenes öffentliches Interesse als Grund für die Sonderanknüpfung angenommen wird, überzeugend Mäsch S. 151 ff. 116 BVerfG NJW 1994, 36 (38) – die Ausführungen des BVerfG beziehen sich unmittelbar auf die Bürgenhaftung naher Angehöriger, können jedoch für das herkömmliche Sonderprivatrecht, das den Ausgleich einer (sozialen oder wirtschaftlichen) Ungleichgewichtslage bezweckt, entsprechend herangezogen werden. 117 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.c)aa) (S. 23 f., Nachweis Kapitel 1 Fn. 94).

B. Bedeutung im Einzelnen

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lich, seine ihm zukommende zivilrechtliche Handlungsmacht auch faktisch zur Geltung zu bringen – die soziale oder wirtschaftliche Überlegenheit des anderen Vertragspartners hindert ihn, selbstbestimmt und selbstverantwortlich seine Interessen wahrzunehmen, wie es dem idealisierten liberalen Zivilrechtsverständnis entspricht. Für die größtmögliche Verwirklichung der allgemeinen Handlungsfreiheit beider Vertragspartner reicht es im Falle einer strukturellen Ungleichgewichtslage daher nicht aus, den Individuen schlicht einen umfassenden Freiraum zur Wahrnehmung ihrer Interessen zu gewähren („Privatautonomie“), so dass der Gesetzgeber zumindest bei „typisierbaren Fallgestaltungen“118 struktureller Unterlegenheit einer Partei korrigierend einzugreifen hat. Sonderprivatrecht weist damit als Ausprägung der Gerechtigkeit inter partes a priori kein gesteigertes öffentliches Durchsetzungsinteresse im Vergleich zu „normalem“ Zivilrecht auf. Dieses kann sich folglich allenfalls aus sozial- und wirtschaftspolitischen Zwecken ergeben, denen das Sonderprivatrecht zumindest auch Rechnung trägt. Diese öffentlichen Zwecke sind jedoch darauf gerichtet, den gerechten Ausgleich inter partes zu verwirklichen, so dass sie diesen „stützen“ und nicht exogen gegen diesen gerichtet sind. Nach den herrschenden Definitionsversuchen können diese zumindest auch zugrunde liegenden öffentlichen Zwecke keine Sonderanknüpfung rechtfertigen, da sie insoweit als „reflexartiger Schutz“ öffentlicher Gemeinwohlinteressen erscheinen.

Legt man demnach die herrschende eingriffsrechtliche Definition für eine Sonderanknüpfung zu Grunde, überschneiden sich – zumindest für den Bereich des Sonderprivatrechts119 – die Anwendungsbereiche der beiden postulierten kollisionsrechtlichen Teilsysteme nicht, so dass insoweit das herkömmliche kollisionsrechtliche Anknüpfungssystem keiner Beeinträchtigung unterliegt. Ein dahingehendes Ergebnis mag zwar hinsichtlich verbraucher- und arbeitnehmerschützender Vorschriften durchaus angemessen sein, weil mit Art. 6, 8 Rom I gerade spezielle Kollisionsnormen existieren, die eben diese Vorschriften zum Gegenstand haben – deren An- oder Nichtanwendung ist folglich das Ergebnis einer bereits seitens des europäischen Gesetzgebers vollzogenen kollisionsrechtlichen Interessenbewertung für diese Bestimmungen, die schwerlich durch eine Sonderanknüpfung – möglicherweise sogar aufgrund einer nationalen Kollisionsnorm – zunichte gemacht werden kann. Jedoch führt diese eingriffsrechtliche Definition – wie bereits ausgeführt wurde120 – zugleich dazu, dass eine Sonderanknüpfung von Bestimmungen des sozialen Mietrechts – wie sie von der 118

Hierzu das BVerfG NJW 1994, 36 (38): „Allerdings kann die Rechtsordnung nicht für alle Situationen Vorsorge treffen, in denen das Verhandlungsgleichgewicht mehr oder weniger beeinträchtigt ist. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit darf ein Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden. Handelt es sich jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt, und sind die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend, so muß die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen.“ 119 Jedoch durchaus im Bereich von Normen, die überwiegend öffentlichen Interessen dienen (etwa Art. 6 Rom II), vgl. hierzu ausführlich sub Kapitel 1 B.II.2.c)bb) (S. 29 ff.). 120 Vgl. sub Kapitel 1 B.II.2.c)cc) (S. 35 f.).

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

ganz überwiegenden Ansicht vertreten wird121 – nicht konsistent begründet werden kann, da sich diese Vorschriften zumindest hinsichtlich ihrer materiellen Struktur nicht von anderen Normen des Sonderprivatrechts unterscheiden und sich deswegen anhand materieller Kriterien keine unterschiedliche kollisionsrechtliche Behandlung begründen lässt122. Will man eine eingriffsrechtliche Durchsetzung solcher Bestimmungen im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems ohne Bruch mit der eigenen Prämisse erreichen, müsste man demnach konsequent das Vorliegen von zumindest auch vorhandenen öffentlichen Zwecken für eine Sonderanknüpfung ausreichen lassen, was allerdings gleichzeitig zu einer weiten Überschneidung der Anwendungsbereiche von „klassischem“ IPR und eingriffsrechtlichem kollisionsrechtlichen Zweitsystem 123 und damit zu Abgrenzungsproblemen insbesondere im Bereich des verbraucher- und arbeitnehmerschützenden Sonderprivatrechts führt. Da eine insoweit „doppelzuqualifizierende“ Regelung entweder an- oder nichtangewandt werden kann, müsste in diesem Falle notwendigerweise die Frage geklärt werden, welchem System im Konfliktfall der Vorrang einzuräumen ist. Und auch diese – unter den Vertretern eines solchen Ansatzes umstrittene124 – Frage lässt sich nicht konsistent beantworten. Geht man etwa davon aus, dass dem kollisionsrechtlichen Zweitsystem absoluter Vorrang zukommt125, würde dies – zumindest wenn man zur Begründung einer Sonderanknüpfung des sozialen Mietrechts unter konsequenter Beachtung der eigenen Ausgangsprämisse das Vorhandensein 121

Nachweise vgl. Kapitel 1 Fn. 152. Wie ebenfalls bereits ausgeführt, überzeugt es im Hinblick auf die Ausgangsprämisse einer materiellen eingriffsrechtlichen Definition ebenso wenig, unterschiedliche materielle Kriterien für einzelne Rechtsgebiete anzulegen – denn wenn Grund und Legitimation der kollisionsrechtlichen Sonderbehandlung der besondere materielle Zweck sein soll, muss dies für alle Bestimmungen gelten, gleichgültig ob sie dem sozialen Mietrecht oder dem Verbraucherschutzrecht entstammen. 123 Zu der damit verbundenen Problematik sub Kapitel 1 B.II.2.c)aa) (S. 23 f.). Freilich könnte man – um eine Durchsetzung jeglicher Sachnorm gegenüber den herkömmlichen Kollisionsnormen zu verhindern – die materiellen Anforderungen an eine Sonderanknüpfung insoweit spezifizieren, dass nur Normen des Sonderprivatrechts (und eben nicht Normen des „herkömmlichen“ Zivilrechts) sonderanzuknüpfen sind. 124 Allgemein zum Meinungsstand Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 2227; zum alten Recht: Roth, Zum Verhältnis von Art. 7 Abs. 2 und Art. 5 der Römer Schuldvertragskonvention, 35 (37 f.); Mäsch S. 126-130, überzeugende Lösung S. 151153, 159 ff. 125 Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 21; ders., JR 2006, 515 (516); Junker, IPRax 2000, 65 (71); dieses Ergebnis stellt die konsequenteste Umsetzung der eigenen Ausgangsprämisse dar, dass die als Eingriffsnormen erkannten Bestimmungen einem besonderen kollisionsrechtlichen Zweitsystem unterfallen und sich daher den herkömmlichen Kollisionsnormen entziehen; ebenso Mäsch S. 152. 122

B. Bedeutung im Einzelnen

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„auch-öffentlicher“ Normzwecke ausreichen lässt – dazu führen, dass jede nationale Bestimmung des Sonderprivatrechts gegenüber den herkömmlichen Kollisionsnormen durchgesetzt werden könnte, also auch nationale verbraucher- und arbeitnehmerschützende Bestimmungen gegenüber Art. 6, 8 Rom I, so dass der Regelungsgehalt dieser Kollisionsnormen völlig bedeutungslos würde126 – ein absurdes Ergebnis, dem man sich nur mit dem Bruch der eigenen Ausgangsprämisse entziehen kann. Nimmt man demgegenüber nur einen relativen Vorrang des kollisionsrechtlichen Zweitsystems an und lässt dieses zurücktreten, sofern die von Art. 6, 8 Rom I berufenen Schutzvorschriften günstiger sind127, kommt es ebenfalls zu einer – wenngleich geringeren – Beeinträchtigung des Regelungsgehalts von Art. 6, 8 Rom I, weil man diese der Sache nach um eine kumulative Anknüpfung (unter Auflösung anhand eines Günstigkeitsvergleichs) ergänzt. Einem solchen Ansatz begegnen bereits deswegen Bedenken, weil eine Mehrfachanknüpfung – zumindest im Rahmen der herkömmlichen kollisionsrechtlichen Methodik – nur dann indiziert ist, wenn die kollisionsrechtliche Interessenbewertung zu mehreren gleichwertigen Anknüpfungsmomenten führt128, die Voraussetzungen hierfür jedoch im Bereich des Sonderprivatrechts gerade nicht vorliegen, weil die durch die auch vorhandenen öffentlichen Normzwecke implizierten kollisionsrechtlichen Gemeininteressen alleine eine untergeordnete Bedeutung einnehmen und daher kein weiteres Anknüpfungsmoment tragen können. Insbesondere führt man jedoch mit diesem Vorgehen – wie Mäsch bezüglich der alten Rechtslage hervorhebt – wiederum „seinen eigenen Ansatzpunkt ad absurdum“129: Denn wenn sich Eingriffsnormen gerade den kodifizierten Kollisionsnormen entziehen sollen, weil sie nicht Gegenstand des herkömmlichen kollisionsrechtlichen Systems sind und aus diesem Grunde „ungeachtet der Maßgabe dieser Verordnung“ zur Anwendung gebracht werden müssen, können sie schwerlich zugleich auch dem herkömmlichen IPR unterfallen130. Und wenn dies dennoch der Fall sein soll, bleibt zudem 126

Bzgl. der alten Rechtslage ebenso Mäsch S. 152: Kollisionsrechtliches Zweitsystem würde der Kollisionsnorm des Art. 29 I EGBGB a.F. „fast ihren gesamten Anwendungsbereich rauben!“. 127 So Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 25; Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 7; Bamberger/Roth-Spickhoff Art. 9 Rom I Rn. 4; zur alten Rechtslage etwa Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 34; Bamberger/Roth-Spickhoff (2008) Art. 34 EGBGB Rn. 4; ders., IPRax 2005, 125 (128); Lorenz, RIW 1987, 569 (580). 128 Vgl. Kegel/Schurig § 6 IV (S. 319); Schurig S. 204; hierzu auch sub Kapitel 3 C.II.4.a)bb) (S. 240 f.). 129 Mäsch S. 152, Aussage bezogen auf die Ausführungen von Lorenz, RIW 1987, 569 (578, 579 f.). 130 Anders jedoch (zur alten Rechtslage) Pfeiffer, FS Geimer, 821 (833 f.), der Eingriffsnormen als „voluntativen Akt politischer Setzung“ (836) – und damit wohl stets als

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

kaum erklärbar, warum insbesondere verbraucher- und arbeitnehmerschützende Sachnormen trotz kodifizierter und sachlich einschlägiger Kollisionsnorm im Wege eines ungeschriebenen und damit durch Rechtsfortbildung zu gewinnenden 131 kollisionsrechtlichen Zweitsystems – und sei es auch nur kumulativ – zur Anwendung gebracht werden können. Jedenfalls vom Ergebnis überzeugend scheint indes – als dritter und letzter Ansatz – die Annahme, dass Art. 6, 8 Rom I in ihrem sachlichen Anwendungsbereich eine Sperrwirkung gegenüber einer eingriffsrechtlichen Sonderanknüpfung entfaltet132. Warum sich jedoch eine allgemeine Kollisionsnorm des herkömmlichen IPR nunmehr gegen eine spezielle Kollisionsnorm eines besonderen eingriffsrechtlichen kollisionsrechtlichen Zweitsystems durchsetzen soll, bleibt unerfindlich und mit den Kategorien eines zweipoligen IPR ebenfalls nicht begründbar133.

Eingriffsnormen im formalen Sinne – betrachtet und kein Problem darin sieht, „dass dieselbe sachrechtliche Vorschrift aufgrund zweier nebeneinander anwendbarer Kollisionsregeln berufen ist“ (834); vgl. auch ders., IPRax 2006, 238 (240). Abgesehen davon, dass dieser Ansatz deswegen nicht überzeugen kann, da einer als Eingriffsnorm erkannten Bestimmung des Öfteren kein expliziter Anwendungsbefehl vom Gesetzgeber beiseite gestellt wurde und man daher das Phänomen der Eingriffsnormen keinesfalls dahingehend reduzieren kann, stieß dieser Ansatz bereits unter Geltung der Art. 27 ff. EGBGB a.F. wegen Art. 36 EGBGB a.F. auf Bedenken und ist unter Geltung der RomVerordnungen nicht mehr haltbar: Da die kollisionsrechtlichen Verordnungen nationalen Kollisionsnormen vorgehen, kann der nationale Gesetzgeber keinesfalls durch einen voluntativen Rechtssetzungsakt eine in Art. 6, 8 Rom I gebündelte Individualkollisionsnorm zugunsten nationalen Rechts verdrängen oder auch nur um eine kumulative Anknüpfung ergänzen. 131 Vgl. sub Kapitel 1 B.II.2.b) (S. 20 ff.). 132 So etwa Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 8; ders., Eingriffsnormen, 129 (140); Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 525; ders., IPRax 2009, 109 (115 f.); zur alten Rechtslage etwa: Palandt-Heldrich (67. Auflage) Art. 34 EGBGB Rn. 3 a; Kropholler § 52 IX 3 a (S. 501); von Hoffmann/Thorn § 10 Rn. 96; vgl. auch Roth, Zum Verhältnis von Art. 7 Abs. 2 und Art. 5 der Römer Schuldvertragskonvention, 35 (48 f.); Bt-Ds. 10/504, S. 83: Art. 29 und 30 sind leges speciales zu Art. 34; wohl skeptischer, aber nicht ablehnend BGH NJW 1997, 1697 (1699); BGH NJW 2006, 762 (763). 133 Zu Recht betrachtet es Mäsch S. 152 als „Etikettenschwindel“, wenn die besonderen verbraucher- und arbeitnehmerschützenden Kollisionsnormen einfach als besondere Ausprägung dieses kollisionsrechtlichen Zweitsystems betrachtet werden, denen als leges speciales Vorrang zukäme. Denn sowohl die subjektive als auch die objektive Anknüpfung bestimmt jeweils ein umfassendes Vertragsstatut, erfasst also neben den besonderen sozialpolitisch motivierten Schutzbestimmungen auch herkömmliche vertragliche Bestimmungen. Dass zwingende Normen des objektiv bestimmten Statuts sich gegen eine Rechtswahl durchsetzen können (Art. 6 II 2, 8 I 2 Rom I), ist insoweit alleine Ausdruck einer den Günstigkeitsvergleich auslösenden kumulativen Anknüpfung, nicht jedoch einer eingriffsrechtlichen Sonderanknüpfung im Wege eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems; vgl. hierzu überzeugend zur alten Rechtslage Mäsch S. 152.

B. Bedeutung im Einzelnen

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Diese Ausführungen machen deutlich: Eine kohärente und methodisch konsistente kollisionsrechtliche Behandlung des Sonderprivatrechts kann der Ansatz der h.M. nicht leisten. Verlangt man qualifizierte materielle Kriterien als Voraussetzung für eine eingriffsrechtliche Sonderanknüpfung, lässt sich zwar dem Regelungsgehalt von Art. 6, 8 Rom I Rechnung tragen, nicht jedoch eine – von der überwiegenden Ansicht für notwendig erachtete – Sonderanknüpfung von sozialem Mietrecht konsistent begründen. Verzichtet man hingegen auf qualifizierte Kriterien und lässt für eine Sonderanknüpfung das Vorhandensein auch öffentlicher Sachnormzwecke genügen, ließe sich zwar eine von Art. 3, 4 Rom I unabhängige Anknüpfung des sozialen Mietrechts begründen, jedoch führt diese Annahme zugleich zu einer Überschneidung der Anwendungsbereiche der beiden postulierten kollisionsrechtlichen Systeme und damit zu Abgrenzungsschwierigkeiten mit Art. 6, 8 Rom I, die ebenfalls nicht ohne Widerspruch mit der eigenen Ausgangsprämisse gelöst werden können. Eine überzeugende kollisionsrechtliche Behandlung auch des Sonderprivatrechts lässt sich nur erreichen, wenn man einem kollisionsrechtlichen Zweitsystem eine Absage erteilt und materiellen öffentlichen Zwecken als solchen a priori keine besondere kollisionsrechtliche Bedeutung zukommen lässt. Dies soll im Folgenden verdeutlicht werden. b) Durchsetzung von Sonderprivatrecht im Rahmen des herkömmlichen kollisionsrechtlichen Systems Nach hier vertretener Ansicht ist eine hinsichtlich der kodifizierten Kollisionsnormen abweichende Anknüpfung zivilrechtlicher Normen nur möglich, wenn die fraglichen Normen kollisionsrechtliche Anwendungsinteressen implizieren, denen die kodifizierten Kollisionsnormen nicht Rechnung tragen, so dass die nunmehr aufgrund der „Disqualifikation“ hinsichtlich der kodifizierten Kollisionsnormen erkannte Lücke im kollisionsrechtlichen System durch Rechtsfortbildung zu schließen ist. Da die kollisionsrechtliche Interessenlage durch die sachrechtliche Struktur einer Norm präjudiziert wird, muss diese zunächst festgestellt werden. Lassen wir die untergeordneten sozial- und wirtschaftspolitischen Zwecke einmal außer Betracht, die allenfalls einen kleinen kollisionsrechtlichen „Schatten“ werfen können, so dienen die Normen des Sonderprivatrechts überwiegend dem – wenn auch in beschriebener Weise öffentlich determinierten134 – gerechten Interessenausgleich inter partes, implizieren damit also überwiegend kolli134 Diese zumindest auch vorhandenen öffentlichen Zwecke können im Hinblick auf eine mögliche „Disqualifikation“ keine Rolle spielen, da sie jeglicher vertraglichen Sachnorm als Ausprägung der in Art. 2 I GG garantierten Handlungsfreiheit zugrunde liegen, so dass insoweit zumindest keine anderen kollisionsrechtlichen Interessen impliziert werden.

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

sionsrechtliche Parteiinteressen. Dennoch unterscheiden sich Sonderprivatrecht und „normales“ Zivilrecht deutlich voneinander. Letzteres setzt ein soziales und wirtschaftliches Gleichgewicht inter partes voraus, das es diesen erst ermöglicht, ihre Interessen privatautonom wahrzunehmen und somit selbstbestimmt einen nach ihren Maßstäben gerechten Interessenausgleich durchzuführen. Der von gewissen Normen (etwa Verjährungsvorschriften) vorgesehene Schutz einer Vertragspartei bezieht sich insoweit alleine auf die gesetzliche (und zumeist subsidiäre, da dispositive) Ausgestaltung dieses von den Parteien zuvörderst wahrzunehmenden gerechten Interessenausgleichs auf Grundlage einer a priori bestehenden Vertragsparität. Demgegenüber bezweckt der Schutz des Schwächeren im Bereich des Sonderprivatrechts alleine die Herstellung der gestörten Vertragsparität, schafft also erst die Voraussetzungen für einen gerechten Interessenausgleich inter partes. Die einseitigen Schutzerwägungen hinsichtlich des schwächeren Teils sind insoweit nicht darauf gerichtet, den Interessenausgleich inter partes durch gesetzliche Normen – praktisch endogen – auszugestalten, sondern erst exogen zu gewährleisten. Diese funktionale Unterscheidung hat Auswirkungen auf die kollisionsrechtliche Interessenlage. Tragen Sachnormen unmittelbar der Privatautonomie Rechnung, so liegt diesen die Erwägung zugrunde, dass die Parteien selbst im Rahmen des ihnen zugewiesenen zivilrechtlichen Handlungsfreiraums ihre Interessen wahrnehmen können – insoweit stellt die Parteiautonomie als „verlängerter Arm der Privatautonomie“ eine angemessene kollisionsrechtliche Umsetzung dieser sachrechtlichen Zwecke dar. Anders ist dies, wenn es um die Gewährleistung der Voraussetzungen der Privatautonomie geht. Gesteht man den Parteien hierfür ebenfalls die Möglichkeit der vollumfänglichen Rechtswahl zu, kann dem sachrechtlichen Schutzzweck des Sonderprivatrechts kollisionsrechtlich nicht Rechnung getragen werden: Auch bei der Rechtswahl wirkt sich das strukturelle Ungleichgewicht inter partes aus, so dass die stärkere Partei aufgrund ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Überlegenheit einseitig eine Rechtswahl diktieren und der schwächeren Partei auf diese Weise den dieser zustehenden Schutz entziehen könnte135. Verlangt man eine „sachnormzweckgerechte“ kollisionsrechtliche Anknüpfung von Sachnormen, impliziert der materielle Schutz des Schwächeren folglich andere, spezifischere kollisionsrechtliche Rechtsanwendungsinteressen als „normale“ zivilrechtliche Normen136, die 135

Roth, FS Kühne, 859 (864) weist treffend darauf hin, dass der Schutzzweck des Verbraucherschutzrechts nicht nur durch das subjektiv, sondern auch „durch das objektiv bestimmte, an anderen (und durchaus diffusen) Interessen ausgerichtete Vertragsstatut negiert“ wird. 136 Wenngleich dieses spezifische Interesse durchaus zu den Parteiinteressen zu zählen ist, handelt es sich insoweit um eine „sachnormzweckgerechte“ Konkretisierung

B. Bedeutung im Einzelnen

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von einer a priori bestehenden Vertragsparität ausgehen und daher nicht diesen materiellen Schutzzweck aufweisen137. Hierbei handelt es sich, wie insbesondere Erwägungsgrund 23 Rom I138 deutlich macht, um ein „legitimes“ kollisionsrechtliches Anwendungsinteresse im europäischen IPR, so dass dieses von vornherein beachtlich ist. Eine Sonderanknüpfung setzt jedoch nach hier vertretener Ansicht weiter voraus, dass das kodifizierte kollisionsrechtliche System eine Regelungslücke vorweist, welche im Wege der Rechtsfortbildung zu schließen ist139. Die Rom I-Verordnung sieht im Anschluss an das EVÜ mit Art. 6 und Art. 8 spezielle, von den herkömmlichen vertraglichen Kollisionsnormen des Art. 3, 4 abweichende Anknüpfungen vor, die den durch verbraucher- und arbeitnehmerschützendes Sonderprivatrecht implizierten kollisionsrechtlichen Interessen vollumfänglich Rechnung tragen. Zwar gewährleisten diese – im Gegensatz zum Vorentwurf – die kollisionsrechtliche Rechtswahl, doch verhindert die in diesem Falle eingreifende kumulative Anknüpfung der jeweils gem. Abs. 1 objektiv bestimmten Schutznormen, dass die strukturelle Ungleichgewichtslage des schwächeren Vertragspartners zu einem Entzug der diesen schützenden Bestimmungen führen kann. Mangels Regelungslücke scheidet somit eine über Art. 6, 8 Rom I hinausgehende Anknüpfung von Sonderprivatrecht – mit Ausnahme von Art. 46 b EGBGB140 – aus141. Deutlich problematischer war die Rechtslage vor Inkrafttreten der Rom I-Verordnung. Art. 29 EGBGB a.F. sah – entgegen Art. 30 EGBGB a.F. – eine Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Verträge über die Lieferung beweglicher Sachen, über die Erbringung von Dienstleistungen und Verträge zur Finanzierung eines solchen Geschäftes vor. Demnach waren nach überwiegender Ansicht 142 etwa Verbraucherdarle-

dieses Anwendungsinteresses; vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 79 ff.) und Kapitel 1 Fn. 474. 137 Ähnlich Roth, FS Kühne, 859 (864 f.). 138 Erwägungsgrund 23 Rom I: „Bei Verträgen, bei denen die eine Partei als schwächer angesehen wird, sollte die schwächere Partei durch Kollisionsnormen geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeinen Regeln“. 139 Treffend Mäsch S. 163, vgl. Kapitel 1 Fn. 455. 140 Wie bereits sub Kapitel 2 B.I.2 (S. 134) erwähnt, können sich die in Art. 46 b EGBGB zusammengefassten einseitigen Kollisionsnormen als Umsetzung verschiedener europäischer Verbraucherschutzrichtlinien, die eben diese kollisionsrechtlichen Vorgaben enthielten, als leges speciales (trotz nationaler Herkunft) gem. Art. 23 Rom I weiterhin gegenüber Art. 6 Rom I durchsetzen – sie stellen insoweit „selbstgerechte Sachnormen“ europäischer Herkunft dar. 141 Ebenso Mäsch S. 163 (bzgl. Art. 29 EGBGB); im Ergebnis auch Roth, FS Kühne, 859 (865). 142 Nachweise bei Looschelders, JR 2006, 515 (515 Fn. 5); zutreffend kritisch Mankowski, RIW 2006, 321 ff., der auf ein weites Verständnis des Dienstleistungsbegriffes abstellte.

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

hensverträge, die nicht unmittelbar der Finanzierung eines Kauf- oder Dienstleistungsvertrags dienten, nach dem Wortlaut der Vorschrift ausgenommen. Der BGH verneinte – wenig überzeugend 143 – sowohl eine analoge Anwendung des Art. 29 EGBGB a.F. aufgrund einer angeblich abschließenden Funktion des Art. 29 EGBGB a.F. als auch eine Durchsetzung der entsprechenden Vorschriften der lex fori als Eingriffsnormen 144.

Eine Regelungslücke im kodifizierten kollisionsrechtlichen System könnte jedoch hinsichtlich des sozialen Mietrechts145 vorliegen. Da die Rom IVerordnung diesbezüglich keine speziellen Kollisionsnormen vorsieht, käme alleine in Betracht, die nach ihrem Wortlaut einschlägigen allgemeinen vertraglichen Kollisionsnormen zur Anwendung zu bringen – und dies wegen Art. 6 IV lit. c Rom I sogar ebenfalls bei Vorliegen einer Unternehmer-Verbraucher-Situation. Wenngleich die objektive Anknüpfung des Art. 4 I lit. c Rom I zum Belegenheitsrecht und damit regelmäßig zu dem zukünftigen gewöhnlichen Aufenthalt des Mieters führt146, das eine ausreichende kollisionsrechtliche Verwirklichung des Schutzes des schwächeren Mieters gewährleisten dürfte, besteht indes nach Art. 3 I Rom I die Möglichkeit der freien Rechtswahl, die es der überlegenen Partei ermöglichte, das strukturelle Vertragsungleichgewicht auch im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anknüpfung zu nutzen. Ob eine Qualifikation bestimmter Normen unter eine bestehende – und dem Wortlaut nach einschlägige – Kollisionsnorm erfolgreich ist, bestimmt sich nach hier vertretener Ansicht nach den der jeweiligen Kollisionsnorm zugrunde liegenden kollisionsrechtlichen Interessen. Insoweit gilt zu berücksichtigen, dass die allgemeinen vertraglichen Kollisionsnormen regelmäßig das „klassische“ Zivilrecht zum Gegenstand haben, das von einer grundsätzlich bestehenden 143

Sofern man die Wortlautgrenze als überschritten betrachtet, hätte der BGH richtigerweise hinsichtlich einer kohärenten Behandlung des Verbraucherschutzrechts zu einer Analogie gelangen müssen; treffend Mäsch S. 167 f.; Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 65; wohl auch Roth, Zum Verhältnis von Art. 7 Abs. 2 und Art. 5 der Römer Schuldvertragskonvention, 35 (47 f., 50); dagegen etwa Mankowski, RIW 2006, 321 (325), der eine Regelungslücke aufgrund Art. 27 f. EGBGB a.F. verneint (dies jedoch zu Unrecht, da die von Mäsch vorgenommene teleologische Reduktion von Art. 28 EGBGB a.F. aus den dieser Kollisionsnorm zugrunde liegenden kollisionsrechtlichen Interessen erfolgt; ist dieses Bündel somit teleologisch „geschnürt“, so kann die Ausweichklausel des Art. 28 V EGBGB a.F. nur zu einer abweichenden Anknüpfung des bereits geschnürten Bündels gelangen, nicht jedoch dazu, dass das geschnürte Bündel um Normen erweitert wird, die grundsätzlich einem anderen Bündel zugeordnet werden; insoweit liegt entgegen Mankowski durchaus eine Regelungslücke vor). Kritisch ebenso Weller, NJW 2006, 1247 (1247-1250). 144 BGH NJW 2006, 762; vorsichtiger noch BGH NJW 1997, 1697 (in dem Urteil verneint der BGH ausdrücklich alleine eine doppelte Analogie hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereiches und hinsichtlich des Anknüpfungsmomentes; eine Einordnung des deutschen Haustürwiderrufsgesetzes als Eingriffsnorm wird ausdrücklich offen gelassen). 145 Für das Urheberrecht vgl. bereits sub Kapitel 2 B.I.1 (S. 129). 146 Hierauf weist Solomon, Verbraucherverträge, 89 (99) hin.

B. Bedeutung im Einzelnen

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Vertragsparität als Grundlage für die gesetzliche Ausgestaltung der Privatautonomie ausgeht. Besteht Vertragsparität, sind die Voraussetzungen für einen gerechten Interessenausgleich inter partes gegeben, so dass dieser grundsätzlich den Parteien überlassen werden kann – insoweit entspricht, wie bereits festgestellt wurde, die uneingeschränkte Parteiautonomie der sachrechtlichen Gestaltungsfreiheit der Parteien und stellt damit eine angemessene, „zweckverwirklichende“ Anknüpfung dar. Geht es jedoch darum, dass bestimmte Normen überhaupt erst die Voraussetzungen für einen gerechten Ausgleich inter partes exogen herstellen, so kann die subjektive Bestimmung des Vertragsstatuts, wie geschildert, den implizierten – „europäisch legitimen“ – Anwendungsinteressen nicht Rechnung tragen. Eine kodifizierte Anerkennung dessen stellen gerade die besonderen Kollisionsnormen für verbraucher- und arbeitnehmerschützendes Sonderprivatrecht dar, die aufgrund des Schutzes der schwächeren Partei eine von der regulären vertraglichen Kollisionsnorm abweichende Anknüpfung vorsehen. Es handelt sich hierbei um eine bereits durch den Gesetzgeber vollzogene „Neubündelung“ bestimmter Normengruppen, die aufgrund ihrer implizierten kollisionsrechtlichen Interessenlage einer vom allgemeinen Vertragsstatut abweichenden kollisionsrechtlichen Behandlung bedürfen und somit in einer dieser kollisionsrechtlichen Interessenlage entsprechenden Kollisionsnorm zusammengefasst werden müssen. Dass diesen Kollisionsnormen jedoch ein abschließender Charakter zukommen soll, kann nach der hier zugrunde gelegten Auffassung eines die materielle Gerechtigkeit verwirklichenden IPR nicht angenommen werden, da das europäische IPR einer jeden vom Anwendungsbereich der RomVerordnungen erfassten Sachnorm eine sachnormzweckgerechte Anknüpfung zur Seite stellen muss – und nicht etwa nur verbraucher- und arbeitnehmerschützenden Bestimmungen147. Darüber hinaus macht Erwägungs147 Dass der europäische Gesetzgeber bislang alleine in diesen beiden Bereichen des Sonderprivatrechts besondere Kollisionsnormen erlassen hat, dürfte vielmehr schlicht der Tatsache geschuldet sein, dass dieser im Bereich des Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzes bereits selbst sachrechtlich tätig geworden ist. Eine Orientierung an den europäisch determinierten Bereichen des Sachrechts bei der Kodifikation europäischer Kollisionsnormen mag auch durchaus sinnvoll sein, weil solche Bestimmungen aufgrund rechtsvereinheitlichender Akte in allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vorhanden sind und eine europaweite „Bündelung“ der auf diese Sachnormen bezogenen Individualkollisionsnormen damit auch erfolgen kann, ohne dass man Gefahr läuft, bei einer mitgliedstaatlichen Rechtsordnung „ins Leere“ zu verweisen (was zwar unproblematisch, jedoch möglicherweise verwirrend wäre). Im nicht-harmonisierten Bereich wäre es zudem kaum möglich, für jegliche nationale Bestimmung des Sonderprivatrechts, die in den Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung fällt, eine eigene europäische Kollisionsnorm zu kodifizieren, da der europäische Gesetzgeber schwerlich absehen kann, wo überall die nationalen Gesetzgeber solche exogenen Schutzmechanismen vorgesehen haben bzw. insbesondere vorsehen werden. Die Orientierung an den Kategorien des „eigenen“

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

grund 23 Rom I deutlich, dass der Schutz des Schwächeren keinesfalls auf die kodifizierten Situationen des Verbraucher- und Arbeitnehmervertrages beschränkt ist, sondern ein allgemeines und damit auf gleichgelagerte Fälle übertragbares europäisches Rechtsanwendungsinteresse darstellt, so dass eine kohärente Behandlung des Sonderprivatrechts im Rahmen des europäischen IPR nicht nur möglich, sondern auch geboten erscheint. Folgt man dem, fallen Normen des sozialen Mietrechts, die den Ausgleich einer strukturellen Ungleichgewichtslage inter partes bezwecken, aufgrund besonderer legitimer kollisionsrechtlicher Anwendungsinteressen aus der herkömmlichen vertraglichen Bündelung und bedürfen folglich vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen einer besonderen, durch Rechtsfortbildung zu gewinnenden europäischen Kollisionsnorm148. Das Ergebnis entspricht damit zumindest hinsichtlich der kollisionsrechtlichen Durchsetzung149 dieser Normen der überwiegenden Ansicht, der jedoch – wie aufgezeigt – keine konsistente Begründung hierfür gelingt150. Für die Bestimmung des maßgeblichen Anknüpfungsmomentes bietet es sich an, entsprechend der von Art. 4 I lit. c Rom I vorgesehenen objektiven Anknüpfung an das Belegenheitsrecht der Wohnung anzuknüpfen151, da es sich im Rahmen des sozialen Wohnraummietrechts regelmäßig um den (zukünftigen) gewöhnlichen Aufenthalt der schwächeren Partei handelt und den Schutzinteressen der schwächeren Partei entsprechend den Wertungen der Art. 6, 8 Rom I Rechnung getragen werden kann. Hierfür sprechen – neben einem grundsätzlich wünschenswerten Gleichlauf mit der internationalen Zuständigkeit gem. Art. 22 Nr. 1 EuGVVO – ebenfalls vorhandene, jedoch untergeordnete öffentliche

Sachrechts bei der Kollisionsnormbildung ist im Übrigen kein europäisches Phänomen: So strich auch der deutsche Gesetzgeber mit der sachrechtlichen Entmündigung die dazugehörige Kollisionsnorm (Art. 8 EGBGB a.F.), wenngleich es dieses Rechtsinstitut in anderen Ländern freilich noch gibt und daher durchaus auch weiterhin Bedarf an einer solchen Kollisionsnorm bestünde; vgl. hierzu etwa von Bar/Mankowski § 1 Rn. 11. 148 Vgl. zur alten Rechtslage auch Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 63: „Die bereits im Regierungsentwurf getroffene Aussage, Vorschriften des Wohnungsmietrechts unterlägen der Sonderanknüpfung, rechtfertigt sich daraus, daß dieser Vertragstyp von einer Ungleichgewichtslage geprägt ist“; ebenso ders., IPRax 1989, 261 (266). 149 Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, dass nach hier vertretener Auffassung der Anwendungsbefehl dem europäischen Recht (mit den entsprechenden Folgen für die Prüfungskompetenz des EuGH, hierzu Kapitel 4 (S. 321 ff.)) entstammt, und nicht – wie von der Gegenauffassung vertreten – dem nationalen Recht. 150 Auch das Problem der „Doppelqualifikation“, das die h.M. nicht konsequent lösen kann (vgl. sub Kapitel 2 B.II.1.a) (S. 138 ff.)), stellt sich nach hier vertretener Ansicht nicht: Denn entweder kann die fragliche Sachnorm unter eine bestehende Kollisionsnorm qualifiziert werden – dann ist sie Teil des von dieser, und nur dieser Kollisionsnorm berufenen Statuts –, oder sie wird „disqualifiziert“ und bedarf daher eben einer statutsunabhängigen Anknüpfung. Die der fraglichen Sachnorm zugeordnete Individualkollisionsnorm kann somit nicht Bestandteil zweier verschiedener „Bündel“ sein. 151 Ebenso MüKo-Martiny Art. 4 Rom I Rn. 105, Art. 9 Rom I Rn. 128; vgl. auch Solomon, Verbraucherverträge, 89 (100).

B. Bedeutung im Einzelnen

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Zwecke, die das soziale Mietrecht ebenfalls berücksichtigt und die kollisionsrechtliche Gemeininteressen implizieren, denen durch eine territoriale Anknüpfung ebenfalls Rechnung getragen wird152. Entsprechend den kodifizierten europäischen Kollisionsnormen für Sonderprivatrecht erscheint es jedoch vorzugswürdig, eine Rechtswahl grundsätzlich zuzulassen und den Schutz des Schwächeren durch eine kumulative Anknüpfung der objektiv bestimmten Schutznormen zu gewährleisten. Demgemäß kommen die kumulativ berufenen Normen nur dann zur Anwendung, wenn sie im Sinne des Günstigkeitsprinzips entsprechend Art. 6 II, 8 II Rom I für die schwächere Partei günstigere Bestimmungen enthalten153.

Damit lässt sich festhalten: Normen des Sonderprivatrechts dienen überwiegend dem gerechten Ausgleich inter partes und damit privaten Interessen. Zwar liegen diesem auch öffentliche Zwecke zugrunde, doch nehmen solche nur eine untergeordnete Bedeutung ein, so dass den durch diese Sachnormzwecke implizierten kollisionsrechtlichen Anwendungsinteressen ebenfalls untergeordnete Bedeutung zukommt. Normprägend ist der privatrechtliche Zweck, die strukturelle Ungleichgewichtslage des schwächeren Vertragsteils auszugleichen und damit den gerechten Ausgleich inter partes überhaupt erst zu ermöglichen. Dieser privatrechtliche Zweck impliziert ebenfalls spezielle kollisionsrechtliche Anwendungsinteressen, so dass Normen, denen dieser Zweck im Schwerpunkt zugrunde liegt, grundsätzlich auch anders angeknüpft werden müssen als Normen, denen es alleine um die Ausgestaltung der Privatautonomie geht. Voraussetzung ist jedoch, dass das kollisionsrechtliche System insoweit zunächst eine Regelungslücke enthält, die eine durch Rechtsfortbildung gewonnene Anknüpfung ermöglicht. Während dies für verbraucher- und arbeitnehmerschützendes Sonderprivatrecht zu verneinen ist, liegt eine solche jedoch für das soziale Mietrecht vor, so dass diesbezüglich eine Kollisionsnorm entsprechend Art. 6, 8 Rom I im Wege der Rechtsfortbildung zu entwickeln ist, die zwar die Rechtswahl ermöglicht, jedoch anhand einer kumulativen objektiven Anknüpfung dem Schutzbedürfnis des Mieters kollisionsrechtlich Rechnung trägt. Da somit nicht Gemeininteressen, sondern spezifische Parteiinteressen zu einer „Disqualifikation“ und damit notwendig verbundenen Rechtsfortbildung führen, sollte das Problemfeld des Sonderprivatrechts aus dem – ohnehin sehr dürftigen – Regelungsbereich des Art. 9 Rom I herausgehalten werden. Denn zum einen spricht bereits der Wortlaut des Art. 9 I Rom I explizit nur von solchen Bestimmungen, deren Grund für die kollisions152

Wenngleich untergeordnete kollisionsrechtliche Interessen keine eigene (alternative oder kumulative) Anknüpfung rechtfertigen können, lassen sie sich – sofern sie mit dem dominierenden kollisionsrechtlichen Interesse nicht unvereinbar sind – durchaus bei der Ausbildung eines Anknüpfungsmomentes berücksichtigen, vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 81). 153 Dieser Gedanke geht auf Lurger, IPRax 2001, 52 (55 f.) zurück; ihr unter der neuen Rechtslage folgend etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 568; MüKo-Martiny Art. 4 Rom I Rn. 105.

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

rechtliche Sonderbehandlung öffentliche Sachnormzwecke bilden, zum anderen unterliegen – wie noch auszuführen sein wird154 – alleine solche Normen den sich aus Art. 9 III Rom I ergebenden, ebenfalls noch darzustellenden Anforderungen für eine gesonderte Anknüpfung ausländischer Eingriffsnormen, so dass es wenig sinnvoll erscheint, Bestimmungen, die aufgrund anderer als implizierter Gemeininteressen nicht unter die bereits kodifizierten Kollisionsnormen qualifiziert werden können, einerseits als Eingriffsnormen i.S.v. Art. 9 I Rom I zu qualifizieren, anderseits jedoch wiederum von der Regelung des Abs. 3 auszuschließen. Für ein derartiges Vorgehen besteht jedenfalls nach dem hier vertretenen Ansatz keinerlei Notwenigkeit: Denn weder geben die von Art. 9 I Rom I genannten Normzwecke den einzigen Anlass für eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung (so dass eine Anbindung des Sonderprivatrechts an die Regelung des Art. 9 Rom I überhaupt nicht erforderlich ist, will man dessen statutsunabhängige Anknüpfung begründen), noch muss die kollisionsrechtliche Problematik des Sonderprivatrechts erst konstitutiv als Regelungsmaterie innerhalb der Rom I-Verordnung verortet werden 155, da Art. 6, 8 Rom I bereits hinreichend deutlich machen, dass solche Bestimmungen (Anknüpfungs-) Gegenstand des europäischen IPR sind. Einen spezifischen Regelungsgehalt für die Problematik des Sonderprivatrechts sieht Art. 9 Rom I daher nicht vor, so dass solche Bestimmungen jedenfalls aus Klarstellungsgründen156 nicht als Eingriffsnormen im Sinne dieser Vorschrift begriffen werden sollten.

2. Sachnormen europäischer Herkunft a) Besondere kollisionsrechtliche Behandlung europäischer Sachnormen? Entstammen die fraglichen Sachnormen europäischem Recht (sei es unmittelbar einer Verordnung, sei es mittelbar einer Richtlinie), so soll diesen Sachnormen nach teilweise vertretener Ansicht kraft ihrer Herkunft eine gesteigerte kollisionsrechtliche Durchsetzung zuteil werden. Bei Krebber ist etwa zu lesen, dass es bei der Feststellung des räumlichen Anwendungsbereichs von Unionsprivatrecht „anders als im klassischen internationalen Privatrecht“ nicht darum gehe, „den Sitz eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses zu finden“; das Ziel sei „vielmehr allein die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts“. Die räumliche Reichweite von europäischem Privatrecht werde „daher nicht anhand der allseitigen Regeln des freien Spiels des internationalen Privatrechts, sondern nach den rigideren einseitigen Prinzipien des internationalen Verwaltungsrechts bestimmt: 154 Vgl. hierzu sub Kapitel 3 C.II.4 (S. 235 ff.) und insbesondere sub Kapitel 3 D.III (S. 290 f.). 155 Diese Funktion erfüllt Art. 9 Rom I für die nach seinem Wortlaut gekennzeichneten Bestimmungen, vgl. sub Kapitel 2 A.III.3 (S. 123 ff.). 156 Für die alte Rechtlage ebenso Kuckein S. 46 f.: Da die Rechtsfortbildung im Bereich des Sonderprivatrechts „durch an Privatinteressen (und nicht an Staatsinteressen) orientierte Kollisionsnormen erfolgt“, sollte „[a]us Gründen der Klarstellung [...] daher in diesem Zusammenhang nicht von ‚Eingriffsrecht’ gesprochen werden“ (Hervorhebung im Original). Vgl. auch Roth, FS Kühne, 859 (865): „ob man in diesem Zusammenhang von ‚Eingriffsnormen’ reden will, ist eine andere Frage“.

B. Bedeutung im Einzelnen

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maßgeblich ist der Bezug zur Europäischen Union“157. Eine solche Ansicht ist abzulehnen. Abgesehen davon, dass einem das herkömmliche IPR „ergänzende“ kollisionsrechtlichen Zweitsystem nunmehr für Normen europäischer Herkunft allgemeine, bereits ausgeführte Bedenken begegnen, führt ein solches Verständnis – von Kühne treffend bezeichnet – zu einem „kollisionsrechtlichen Euro-Chauvinismus“, der nicht gerechtfertigt werden kann158. Europäischen Normen kommt „keine per se höhere Wertigkeit“159 zu, sie stellen schlicht das in einem Mitgliedstaat geltende Recht dar, welches das IPR als „Rohstoff“ vorfindet und anhand der herkömmlichen Methode „verarbeiten“ muss 160 . Allenfalls mögen sich gewisse Besonderheiten des europäischen Rechts im Rahmen der herkömmlichen Methodik auswirken. So ist die richtige Erkenntnis der Vertreter einer bevorzugten kollisionsrechtlichen Behandlung von Normen europäischer Herkunft, dass der Unionsgesetzgeber durchaus andere materielle Zwecke als ein nationaler Gesetzgeber verfolgen kann, welche einen beachtlichen „kollisionsrechtlichen Schatten“ werfen und insoweit eine unterschiedliche kollisionsrechtliche Behandlung erforderlich machen können. Eine Besonderheit des vom europäischen Gesetzgeber erlassenen Rechts besteht darin, dass dieser kompetenzrechtlich nur tätig werden kann, sofern dies hinsichtlich der Errichtung oder des Funktionierens des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist, um etwa einen unverfälschten binneneuropäischen Wettbewerb zu gewährleisten (Art. 3 lit. g EGV a.F.). Hieraus folgt, dass jede von der EU erlassene Norm daher zumindest auch diesen – öffentlichen – Zwecken Rechnung trägt. So könnte man nun – wie dies wohl im Ansatz von Krebber getan wird – folgern, dass dieser „europäische“ öffentliche Zweck stets eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung erfordere. Hiergegen spricht jedoch zweierlei: Zum einen setzt eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung aufgrund öffentlicher Zwecke grundsätzlich voraus, dass dem materiellen Zweck eine dominierende Bedeutung zukommt – dies erst rechtfertigt nach h.M. eine Durchsetzung als Eingriffsnorm bzw. legt sie nach hier vertretener Ansicht zumindest in einem heuristischen 157

Krebber, ZVglRWiss 97 (1998), 124 (149 f.). Kühne, FS Heldrich, 815 (826); ebenso ablehnend von Bar/Mankowski § 4 Rn. 102; Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (58); Michaels/Kamann, JZ 1997, 601 (601); Kuckein S. 61; MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 30; BGH NJW 2006, 762 (764) Rn. 29: „Dass der Gesetzgeber eine europäische Richtlinie in nationales Recht umsetzt, bedeutet nicht, dass diese Normen international grundlegende Bedeutung haben und unabhängig von den allgemeinen Kollisionsregeln auf Fälle mit Auslandsbezug anwendbar sein sollen“. 159 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 102; Mankowski, RIW 2006, 321 (329): „Ihnen kommt nicht per se eine höhere Dignität oder eine kategoriell andere Qualität zu“; ebenso Solomon, Verbraucherverträge, 89 (109). 160 Ebenso Michaels/Kamann, JZ 1997, 601 (601); Kuckein S. 61. 158

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

Sinne161 nahe. Eine solche dominierende Bedeutung nimmt dieser jeder europäischen Sachnorm zumindest auch zugrunde liegende öffentliche Zweck jedoch nicht ein162. Dass eine Norm im Hinblick auf die Schaffung eines einheitlichen europäischen Marktes erforderlich ist und aus diesem Grunde der europäische Gesetzgeber „die Klinke der Gesetzgebung“ 163 kompetenzrechtlich überhaupt erst in die Hand nehmen kann, präjudiziert keinesfalls den Normcharakter dieser europäischen Sachnorm etwa in dem Sinne, dass die Norm damit automatisch zu einer Bestimmung im möglicherweise sogar überwiegenden öffentlichen Interesse wird. Ausgangspunkt jeder Sachnormzweckanalyse bildet die fragliche Norm als solche, nicht die für diese maßgeblichen kompetenzrechtlichen Bestimmungen, die insoweit nur mittelbar einen bestimmten Normzweck antizipieren. Entscheidend sind die unmittelbar mit einer Norm verfolgten Sachnormzwecke, die konkret in einer Norm „verarbeiteten“ und somit gewichteten Sachnorminteressen, die den speziellen Normcharakter prägen. Damit tritt jedoch der latent vorhandene öffentliche Zweck europäischer Normen in den Hintergrund und kann auf kollisionsrechtlicher Ebene nach hier vertretener Ansicht allenfalls untergeordnete Bedeutung entfalten. Aber auch dies ist – zum anderen – zweifelhaft. Wollen wir dem fraglichen Sachnormzweck auf kollisionsrechtlicher Ebene Rechnung tragen, so setzt dies voraus, dass jener überhaupt beachtliche kollisionsrechtliche Anwendungsinteressen impliziert. Der spezielle „europäische“ Normzweck resultiert jedoch alleine aus kompetenzrechtlichen Bestimmungen, die eine Rechtsvereinheitlichung bzw. Rechtsangleichung ermöglichen. Der Zweck, einen gemeinsamen europäischen Binnenmarkt zu schaffen, erschöpft sich demgemäß in der sachrechtlichen Angleichung der Rechtslage innerhalb der EU164. Diese ist jedoch in keiner Weise beeinträchtigt, wenn das Kollisionsrecht bei einem Sachverhalt mit Drittstaatenbezug zur Anwendung einer drittstaatlichen lex causae gelangt 165, so dass insoweit überhaupt keine kollisionsrechtlichen Anwendungsinteressen impliziert werden. Anders mag dies bei einem reinen europäischen Binnensachverhalt sein, da durch die Wahl einer drittstaatlichen Rechtsordnung die bezweckte Anglei-

161 Zumindest hinsichtlich des Internationalen Vertragsrechts; vgl. sub Kapitel 1 B.IV.3 (S. 94 ff.). 162 Ebenso ablehnend Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (109). 163 In anderem Zusammenhang Kahn, vgl. Kapitel 1 Fn. 88. 164 Ebenso Freitag, EWiR 2000, 1061 (1062); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (58, 60-62); Michaels/Kamann, EWS 2001, 301 (305). 165 Ebenso Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (62): „Die Erforderlichkeit einer Rechtsangleichung für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes hat gerade nicht notwendig zur Folge, dass das harmonisierte Recht gegenüber Drittstaaten durchzusetzen wäre“.

B. Bedeutung im Einzelnen

151

chung innerhalb der EU gefährdet ist 166 – diesen implizierten Anwendungsinteressen trägt jedoch nunmehr vollumfänglich Art. 3 IV Rom I Rechnung, so dass eine durch Rechtsfortbildung gewonnene Sonderanknüpfung ausscheidet. Eine über diese Norm hinausgehende Durchsetzung von Normen europäischer Herkunft aufgrund des beschriebenen, latent vorhandenen „europäischen“ Zwecks ist damit auch mangels beachtlicher kollisionsrechtlicher Anwendungsinteressen a priori abzulehnen167. Somit lässt sich festhalten: Sachnormen europäischen Ursprungs genießen per se keine besondere kollisionsrechtliche Behandlung kraft ihrer Herkunft; sie sind schlicht in einem Staat „geltendes“ Recht, so dass die anwendungsrechtliche Frage anhand der regulären kollisionsrechtlichen Methode zu beantworten ist. Dennoch bestehen gewisse Besonderheiten, die dem allgemeinen Problemfeld des Zusammenwirkens von supranationalem und nationalem Recht zuzurechnen sind und im Folgenden dargestellt werden sollen. b) Sachnormen aus Verordnungen Dass der Eindruck eines „höherwertigen“ europäischen Rechts entsteht, mag ebenfalls an dem Anwendungsvorrang verordnungsrechtlicher Sachnormen liegen, die aus diesem Grunde den mit ihnen inhaltlich konkurrierenden nationalen Sachnormen vorgehen. Dieses Vorrangverhältnis wirkt sich freilich auch in einem internationalen Sachverhalt aus, wenngleich es schlicht sachrechtlicher Natur ist168. Zweifelsfrei ersichtlich ist dies in denjenigen Fällen, in denen sich die Rechtsanwendungsfrage „vom Sachverhalt her“ stellen lässt, weil wir eine kodifizierte Kollisionsnorm vorfinden: Verweist diese auf ein mitgliedstaatliches Recht, werden zwar grundsätzlich sowohl Sachnormen aus einer Verordnung als auch – mit diesen inhaltlich konkurrierende – Sachnormen nationaler Herkunft kollisionsrechtlich berufen, jedoch verdrängen die verordnungsrechtlichen Bestimmungen kraft ihres Anwendungsvorrangs letztere, weil die in dem jeweiligen Mitgliedstaat geltenden sachrechtlichen Kollisionsregeln im Rahmen

166 Ebenso wohl Michaels/Kamann, EWS 2001, 301 (308), die die „Rechtswahlfestigkeit“ von zwingenden europäischen Bestimmungen in einem reinen Binnenmarktsachverhalt (bereits vor Inkrafttreten der Rom I-Verordnung) als „eine vom Gemeinschaftsrecht gebotene Folge“ betrachten, die sich daraus ergebe, „dass es sich beim Gebiet der Europäischen Union um einen partiell einheitlichen Rechtsraum handelt“; ebenso Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (68), vgl. bereits Lando, CMLRev. 24 (1987), 159 (181 f.). 167 Zur Bedeutung der Ingmar-Entscheidung siehe sub Kapitel 2 B.II.2.c) (S. 154 ff.). 168 Siehe etwa MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 126.

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

der Anwendung der lex causae ebenfalls zu beachten sind169. Gleiches gilt, wenn wir die Rechtsanwendungsfrage im Rahmen der Rechtsfortbildung allein „vom Gesetz her“ stellen können. Existieren zwei – einmal aus einer Verordnung, einmal aus nationalem Recht stammende – Rechtssätze, die den gleichen Regelungsgegenstand haben, so fallen beide aus der Bündelung und müssen im Wege der Rechtsfortbildung zur Anwendung gebracht werden – da sich jedoch auf sachrechtlicher Ebene die europäische Bestimmung durchsetzt, ist im Ergebnis diese allein anwendbar. c) Sachnormen aus Richtlinien (insbesondere Ingmar-Entscheidung) aa) Allgemeines Besteht durch den Erlass einer Richtlinie ein unionsrechtlicher „Rechtssetzungsauftrag“ für den nationalen Gesetzgeber, so obliegt es diesem, die Richtlinie durch einen nationalen Umsetzungsakt unmittelbar zur Geltung zu bringen. Da nach der Faccini Dori-Entscheidung des EuGH nicht umgesetzte Richtlinien keine unmittelbare Drittwirkung zwischen Privaten entfalten können170, ist Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Prüfung stets die umgesetzte nationale Sachnorm, die ihren „kollisionsrechtlichen Schatten“ wirft und diesem entsprechend zu behandeln ist. Hieraus folgt zunächst, dass die Norm überhaupt vorhanden, also in nationales Recht umgesetzt sein muss, will man sie kollisionsrechtlich zur Geltung bringen171. Des Weiteren folgt jedoch auch, dass bei bewusster richtlinienwidriger Umsetzung172 – sei es, dass die Umsetzung unvollständig erfolgt, sei es, dass der nationale Gesetzgeber einen anderen als den von der Richtlinie vorgesehenen Regelungsgehalt vorsieht – diese richtlinienwidrige Norm zum Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Prüfung genommen werden muss. Das IPR hat zur Aufgabe, das angemessene geltende Recht eines Staates zur Anwendung zu bringen, nicht jedoch dasjenige, das 169 Insoweit besteht kein Unterschied zu anderen, rein „nationalen“ Kollisionsregeln, etwa der lex-specialis-Grundsatz. Wir wenden die lex causae stets so an, wie dies auch die Gerichte des jeweiligen Staates tun würden. 170 Grundlegend EuGH 14.07.1994 – Rs. C-91/92 (Faccini Dori) Rn. 20, 24 f.; bereits EuGH 26.02.1986 – Rs. 152/84 (Marshall) Rn. 48; allgemein Gebauer/WiedmannWiedmann Kapitel 2 Rn. 34-37. 171 Anders (und nicht überzeugend) Küstner/v. Manteuffel, BB 1990, 291 (299), die eine nicht umgesetzte Richtlinie unmittelbar zur Anwendung bringen wollen – dies folge allgemein aus dem Grundsatz „Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht“; zu Recht aufgrund des Verbots der unmittelbaren horizontalen Drittwirkung von Richtlinien ablehnend Freitag/Leible, RIW 2001, 287 (293). 172 Bei bewusster richtlinienwidriger Umsetzung scheitert auch eine richtlinienkonforme Auslegung, da insoweit der erklärte Wille des jeweiligen Gesetzgebers entgegensteht.

B. Bedeutung im Einzelnen

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dieser Staat aufgrund einer völkerrechtlichen oder europarechtlichen Verpflichtung hätte erlassen müssen. Denn Letzteres bedeutete, die faktisch nicht vorhandene Richtlinienkonformität einer mitgliedstaatlichen Rechtsordnung durch Ausbildung von (in diesem Staate nicht geltendem) materiellem Sonderrecht zu fingieren und dem IPR damit die Aufgabe zuteil werden zu lassen, immanente Mängel des gewählten Vereinheitlichungsinstruments auszugleichen – dies wäre aber weder von den Kompetenznormen der Art. 61 lit. c, 65 lit. b EGV a.F bzw. Art. 81 I, II lit. c AEUV gedeckt, die allein zur Vereinheitlichung des Kollisionsrechts ermächtigten, noch vereinbar mit dem vom EuGH postulierten Grundsatz, dass Richtlinien nur gegenüber Staaten Rechtsverbindlichkeit zukommt173. Private sind insoweit auch in einem internationalen Sachverhalt auf sekundäre Kompensation durch Schadensersatzansprüche gegen den richtlinienwidrig handelnden Staat angewiesen174. Anhand dieser Feststellungen kann auch die etwa von Freitag aufgeworfene Frage175, ob einzelne Mitgliedstaaten gegenüber einer berufenen mitgliedstaatlichen lex causae im Falle einer Mindestharmonisierung ihre strengere Umsetzung entgegenhalten können, beantwortet werden. Eine Sonderanknüpfung der lex fori kommt nach hier vertretener Ansicht nur dann in Betracht, wenn die fragliche Norm aufgrund besonderer Sachnormzwecke kollisionsrechtliche Interessen impliziert, die jene aus der „Bündelung“ einer allseitigen Kollisionsnorm fallen lassen. Voraussetzung für eine Sonderanknüpfung ist damit, dass die „überschießend“ umgesetzte Norm andere kollisionsrechtliche Interessen impliziert als die „mindestharmonisierten“ Bestimmungen. Dies wird grundsätzlich nicht der Fall sein, da die sachrechtliche Interessenstruktur der überschießend umgesetzten Normen meist nicht von derjenigen der „mindestharmonisierten“ Normen abweichen wird; vorstellbar ist dies jedoch (insbesondere, wenn solche Normen mit nationalen öffentlichen Interessen „aufgeladen“ werden), so dass es in einem solchen Falle durchaus zu einer Sonderanknüpfung kommen und die fragliche Norm – sofern das ihr angemessene Anknüpfungsmoment erfüllt ist – auch gegen eine mitgliedstaatliche lex causae zur Anwendung gebracht werden kann.

Auch wenn die umgesetzte nationale Sachnorm somit zum Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Prüfung genommen werden muss, kann die vom EuGH auszulegende Richtlinie zumindest mittelbar Bedeutung für die kollisionsrechtliche Behandlung von umgesetztem Richtlinienrecht entfalten. Dies soll im Folgenden an der bekannten Ingmar-Entscheidung176 des EuGH verdeutlicht werden.

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EuGH 14.07.1994 – Rs. C-91/92 (Faccini Dori) Rn. 22; bereits EuGH 26.02.1986 – Rs. 152/84 (Marshall) Rn. 48 f. 174 Allgemein EuGH 14.07.1994 – Rs. C-91/92 (Faccini Dori) Rn. 27; bereits EuGH 19.11.1991 – Rs. C-6/90, C-9/90 (Francovich) Rn. 39. 175 Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 548 f. 176 EuGH 09.11.2000 – Rs. C-381/98 (Ingmar).

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

bb) Ingmar-Entscheidung In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um eine britische Klägerin, der Ingmar GB Ltd., die für die beklagte, in Kalifornien ansässige Eaton Leonard Technologies Inc. als selbstständige Handelsvertreterin im Vereinigten Königreich tätig war und nach Beendigung des Handelsvertretervertrages Zahlung einer Geldsumme forderte. Da das von den Parteien gewählte kalifornische Recht einen Anspruch aufgrund Beendigung eines Handelsvertretervertrags nicht kennt, legte der Court of Appeal dem EuGH die Frage vor, ob die Art. 17 ff. der Handelsvertreterrichtlinie und damit das umgesetzte nationale Recht177, das einen solchen Anspruch gewährt, auch neben dem Vertragsstatut zur Anwendung gebracht werden müssten. Der EuGH bejahte dies und führte hierbei aus, dass der Zweck dieser Bestimmungen der Handelsvertreterrichtlinie es erfordere, „dass sie unabhängig davon, welchem Recht der Vertrag nach dem Willen der Parteien unterliegen soll, anwendbar sind, wenn der Sachverhalt einen starken Gemeinschaftsbezug aufweist, etwa weil der Handelsvertreter seine Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausübt“178. Lösen wir den Fall unter Zugrundelegung der aktuellen Rechtslage, so ergibt sich nach hier vertretener Auffassung Folgendes: Aufgrund der Rechtswahl der Parteien findet für die Beurteilung dieses Falls gem. Art. 3 I Rom I kalifornisches Sachrecht Anwendung, so dass der geltend gemachte Anspruch grundsätzlich nicht besteht. Die vom EuGH verlangte Sonderanknüpfung kann in casu nicht über Art. 3 IV Rom I erfolgen, da dieser zwingende Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts allein bei Vorliegen eines rein europäischen Binnensachverhaltes absichert, der aufgrund des in den USA befindlichen Sitzes der Beklagten nicht angenommen werden kann179. Eine kumulative Berufung zwingenden (britischen) Rechts neben dem subjektiv bestimmten Vertragsstatut gewähren darüber hinaus Art. 6 II 1, Art. 8 I 1 Rom I, jedoch sind diese zum einen mangels Verbrauchereigenschaft der Klägerin, zum anderen mangels unselbstständiger Tätigkeit180 derselben vorliegend nicht einschlägig. 177

Umgesetzte einschlägige Vorschriften der Handelsvertreterrichtlinie (Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter) im Vereinigten Königreich: Regulation 17 der Commercial Agents (Council Directive) Regulations 1993; in Deutschland §§ 89 b, 92 c HGB. 178 EuGH 09.11.2000 – Rs. C-381/98 (Ingmar) Rn. 25; bestätigt durch EuGH 23.03.2006 – Rs. C-465/04 (Honyvem Informazioni Commerciali) Rn. 23. 179 Ebenso Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 546. 180 Art. 8 Rom I setzt nach wohl allgemeiner Meinung eine abhängige und weisungsgebundene Tätigkeit voraus, die bei einem selbstständigen Handelsvertreter nicht vorliegt; vgl. hierzu etwa MüKo-Martiny Art. 8 Rom I Rn. 18 f., Art. 4 Rom I Rn. 121.

B. Bedeutung im Einzelnen

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Möglich erscheint indes, dass es sich bei der fraglichen Bestimmung um eine „selbstgerechte Sachnorm“ handelt, deren kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl sich als lex specialis gegenüber der allgemeinen vertraglichen Kollisionsnorm durchsetzen kann. Unter Geltung der Rom I-Verordnung kann aufgrund des Anwendungsvorrangs europäischen Rechts jedoch ein nationaler Anwendungsbefehl nur noch dann beachtlich sein, wenn er auf einer europäischen Richtlinie basiert und aufgrund dieser Herkunft die Öffnungsklausel des Art. 23 Rom I „passieren“ kann. Nun sieht die Handelsvertreterrichtlinie ausdrücklich keine Kollisionsnormen vor181. Roth weist darauf hin, dass solche zwar durchaus von der Kommission erwogen wurden, jedoch in der endgültigen Fassung keinerlei Niederschlag gefunden haben182, da diese – so ausdrücklich die der Richtlinie vorangestellten Erwägungsgründe – insbesondere das gute „Funktionieren des Gemeinsamen Marktes“ nicht gewährleisten können und daher eine materiellrechtliche Angleichung erforderlich sei183. Ebenso wenig können wir in der Richtlinie eine Norm finden, die die zwingende Eigenschaft des Ausgleichsanspruches an ein räumliches oder persönliches Tatbestandsmerkmal knüpft, das ebenfalls ein kollisionsrechtliches Anknüpfungsmoment darstellen könnte und uns somit Anlass gäbe, durch Auslegung zu ermitteln, ob in der Richtlinie nicht doch eine „versteckte“ Kollisionsnorm enthalten ist. Eine Durchsetzung der umgesetzten Sachnorm auf diesem Wege scheidet damit aus184. In der Tat enthält auch das englische Recht keine solche einseitige Kollisionsnorm185, die sich zumindest unter Geltung des EVÜ hätte durchsetzen können. Anders ist dies 181

Vgl. hierzu etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 545; Freitag/Leible, RIW 2001, 287 (288); Roth, FS Spellenberg, 309 (318); Schurig, FS Jayme, 837 (839); Reich, NJW 1994, 2128 (2130). 182 Roth, FS Spellenberg, 309 (318), der für Einzelheiten auf Lando, RabelsZ 44 (1980), 1 (15) verweist. Nach diesem sah der Art. 35 II des Vorschlages vor, „that the parties may derogate from the compulsory provisions ... (of the Directive) in relation to those activities which the commercial agents carries on outside the Community“. 183 Vgl. hierzu die Handelsvertreterrichtlinie Erwägungsgrund (4). 184 Auch wenn man davon ausgehen mag, dass der EuGH eine in der Richtlinie „versteckte“ Kollisionsnorm „aufgedeckt“ hat, so müsste diese tatsächlich in nationales Recht umgesetzt worden sein, soll sie unmittelbare Geltung inter partes entfalten. Dies setzt jedoch – wie Schurig, FS Jayme, 837 (843) zu bedenken gibt – voraus, dass die nationalen Gesetzgeber sich eines solchen Umsetzungsauftrages bewusst waren, denn eine „unausgesprochene, gänzlich unbewusste Umsetzung solcher unausgesprochenen Normen [kommt nicht] in Betracht“. Da jeglicher Hinweis für einen solchen Umsetzungsauftrag in der Richtlinie fehlt, kann hiervon allerdings nicht ausgegangen werden. 185 Vgl. hierzu die Commercial Agents (Council Directive) Regulations 1993. Zwar bestimmt Regulation 1 III, dass die fraglichen Bestimmungen „do not apply where the parties have agreed that the agency contract is to be governed by the law of another member State“; der mögliche Umkehrschluss, dass bei der Wahl eines nicht-mitglied-

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

möglicherweise im deutschen Recht. § 92 c HGB sieht vor, dass § 89 b HGB dann als (international?) zwingend angesehen werden muss, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit für den Unternehmer nach dem Vertrag innerhalb des Gebietes der europäischen Gemeinschaft auszuüben hat. Dieses räumliche Tatbestandsmerkmal könnte a priori nicht nur als sachrechtliche Voraussetzung, sondern ebenfalls als kollisionsrechtliches Anknüpfungsmoment verstanden werden. Der BGH hat hinsichtlich der Vorgängernorm, die an eine Niederlassung im Inland anknüpfte, jedoch entschieden, dass diese kraft kollisionsrechtlicher Rechtswahl abbedungen werden konnte, maß also dem örtlichen Tatbestandsmerkmal nur sachrechtliche Bedeutung zu186. Aber auch wenn man entgegen dem BGH und der h.M.187 in § 92 c HGB eine „selbstgerechte Sachnorm“ sehen will, kann sich diese nach dem Gesagten als von der Derogation betroffener und nicht von der Richtlinie gedeckter Anwendungsbefehl (Art. 23 Rom I)188 nun nicht mehr gegen das durch Rom I bestimmte Vertragsstatut durchsetzen.

Liegt demnach keine „selbstgerechte Sachnorm“ vor, die sich unter Geltung der Rom I-Verordnung als lex specialis durchsetzen könnte, so kann eine statutsunabhängige Anknüpfung nach hier vertretener Ansicht189 nur dann erfolgen, wenn die fragliche Norm aufgrund ihrer materiellrechtlichen Struktur kollisionsrechtliche Interessen impliziert, die sie aus der vertraglichen „Bündelung“ herausfallen und eine separate Anknüpfung erforderlich werden lassen. Die entscheidende Frage ist damit, ob die Regelung betreffend den Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters nach Beendigung des Vertragsverhältnisses andere kollisionsrechtliche Interessen impliziert als diejenigen, welche der vertraglichen Kollisionsnorm des Art. 3 Rom I zugrunde liegen. Bei dem Ausgleichsanspruch handelt es sich nach herkömmlicher Ansicht um eine „Gegenleistung für die durch die Provision noch nicht voll abgegoltene Leistung des Handelsvertreters, staatlichen Rechts diese Normen anzuwenden sind, wurde von den englischen Gerichten jedoch offensichtlich nicht gezogen – der High Court of Justice entschied, dass im Ingmar-Fall die fraglichen Bestimmungen nicht anzuwenden sind, der Court of Appeal war der Auffassung, dass kein nationaler Anwendungsbefehl vorlag, sondern diese Frage alleine von der Auslegung der Richtlinie abhänge, vgl. hierzu die Schlussanträge des Generalanwaltes Léger vom 11.5.2000 zur Ingmar-Entscheidung Rn. 14 f. 186 BGH NJW 1961, 1061 (1062) bzgl. des damaligen § 89 b HGB; vgl. auch Cour de cassation – chambre commerciale, Urteil vom 28.11.2000 (in: JDI (128) 2001, 511 (512 f.)), welche den „international zwingenden“ Charakter des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters nicht einmal drei Wochen nach der Ingmar-Entscheidung ablehnte; zu anderen mitgliedstaatlichen Entscheidungen siehe etwa Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (52 f.). 187 Vgl. etwa Baumbach/Hopt-Hopt § 92 c HGB Rn. 1; Reithmann/MartinyHäuslschmid Rn. 2182; ebenso Freitag/Leible, RIW 2001, 287 (288), die dies als „allgemeine Meinung“ bezeichnen (a.a.O. Fn. 7 m.w.N.). 188 Da die Richtlinie gerade keine Kollisionsnormen vorsieht, könnte eine solche nationale Kollisionsnorm auch nicht als Umsetzungsakt erscheinen, so dass der Weg über Art. 23 Rom I versperrt wäre. 189 Die Annahme einer unmittelbar geltenden Sachnorm ist aus sub Kapitel 1 B.I (S. 6 ff.) genannten Gründen ebenfalls abzulehnen.

B. Bedeutung im Einzelnen

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nämlich für den Kundenstamm, den der Handelsvertreter geschaffen und der Unternehmer nunmehr allein nutzen kann“, und damit um eine „kapitalisierte, synallagmatische Restvergütung für den Aufbau des Kundenstamms“190. Legen wir diese Bedeutung zugrunde, so ist die Regelung als Ausprägung des gerechten vertraglichen Ausgleichs inter partes anzusehen191; in diesem Falle werden jedoch kollisionsrechtliche Parteiinteressen impliziert, welchen die reguläre Anknüpfung von Art. 3 Rom I Rechnung trägt und die damit eine Zuordnung zum Vertragsstatut grundsätzlich ermöglichen192. Wie bereits ausgeführt wurde193, kommt Normen europäischer Herkunft per se keine „höhere Wertigkeit“ zu, so dass a priori eine gesteigerte kollisionsrechtliche Durchsetzung ausscheidet. Auch der latent vorhandene, allen europäischen Normen zugrunde liegende Zweck, den Gemeinsamen Markt zu gewährleisten, führt als solcher nicht zu einer besonderen kollisionsrechtlichen Behandlung, da dieser zum einen für die sachrechtliche Struktur einer europäischen Norm eine untergeordnete Bedeutung einnimmt, zum anderen auch keine über Art. 3 IV Rom I hinausgehenden kollisionsrechtlichen Anwendungsinteressen impliziert.

Nun liegt die Besonderheit von national umgesetztem Richtlinienrecht gerade darin, dass dieses der Umsetzung eines europäischen Rechtsaktes dient und insoweit auch diesem – sofern keine bewusste richtlinienwidrige Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber erfolgte – soweit wie möglich im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung Rechnung zu tragen ist194. Wie eine europäische Richtlinie auszulegen ist, welche Sach190

So etwa Baumbach/Hopt-Hopt § 89 b HGB Rn. 2 (Hervorhebung im Original); vgl. auch MüKo-von Hoyningen-Huene, HGB, § 89 b HGB Rn. 2 f. m.w.N. 191 Ebenso von Bar/Mankowski § 4 Rn. 102; Schurig, FS Jayme, 837 (844). 192 Zu demselben (vorläufigen) Ergebnis müssen ebenfalls diejenigen Vertreter eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems gelangen, die für das Vorliegen einer sonderanzuknüpfenden Eingriffsnorm überwiegend öffentliche Sachnormzwecke verlangen. So scheidet etwa für Mankowski, der von dieser Prämisse ausgeht, eine eingriffsrechtliche Durchsetzung der fraglichen Normen über Art. 34 EGBGB a.F. aus, er begründet jedoch eine Sonderanknüpfung mit einer Analogie zu Art. 29 a EGBGB a.F. (vgl. von Bar/Mankowski § 4 Rn. 103; ebenso Beulker S. 41; Pfeiffer, FS Geimer, 821 (832)) – ein Weg, der jedoch nunmehr aufgrund der Derogationswirkung der Rom I-Verordnung versperrt ist; a.A. Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 547, der die Öffnungsklausel des Art. 23 Rom I insoweit für „passierbar“ hält; ebenso Roth, FS Spellenberg, 309 (321). Da die Richtlinie jedoch keinen „Rechtssetzungsauftrag“ für den Erlass einer nationalen Kollisionsnorm enthält, wäre auch eine – mangels ausdrücklich beigefügten nationalen Anwendungsbefehls – nunmehr durch nationale Rechtsfortbildung zu entwickelnde Kollisionsnorm ebenso wenig von der Richtlinie „gedeckt“ und könnte die Öffnungsklausel des Art. 23 Rom I daher ebenfalls nicht „passieren“ – dem Ansatz von Freitag und Roth kann daher nicht gefolgt werden. 193 Siehe sub Kapitel 2 B.II.2.a) (S. 148). 194 So fordert der EuGH 05.05.1994 – Rs. C-421/92 (Habermann-Beltermann), dass die nationalen Gerichte die Auslegung von umgesetztem Richtlinienrecht „so weit wie

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

interessen in ihr „verarbeitet“ wurden und welchen Zwecken sie somit dient, darüber entscheidet verbindlich der EuGH195. In der Ingmar-Entscheidung stellt dieser zunächst fest, dass Art. 17 und 19 der Richtlinie den Schutz des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung bezwecken. Weiter führt er aus, dass „zweitens [...] die von der Richtlinie vorgeschriebenen Harmonisierungsmaßnahmen nach deren zweiter Begründungserwägung u.a. der Aufhebung der Beschränkungen der Ausübung des Handelsvertreterberufs, der Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Gemeinschaft und der Stärkung der Sicherheit im Handelsverkehr“ dienen. Der EuGH kommt daraufhin zu dem verhängnisvollen Schluss, dass „die Regelung der Artikel 17 bis 19 der Richtlinie“ somit bezwecke, „über die Gruppe der Handelsvertreter die Niederlassungsfreiheit und einen unverfälschten Wettbewerb im Binnenmarkt zu schützen“, so dass „die Einhaltung dieser Bestimmungen im Gemeinschaftsgebiet [...] daher für die Verwirklichung dieser Ziele des EG-Vertrags unerlässlich“ erscheint196. Der EuGH begründet damit die Schutzbedürftigkeit des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung nicht mit dem gerechten Ausgleich inter partes, sondern misst diesem im Anschluss an den Generalanwalt Léger 197 eine unmittelbare wettbewerbsrechtliche Bedeutung bei, „lädt“ also die Schutzbedürftigkeit mit öffentlichen Zwecken „auf“. Diese Argumentation kann indes nicht überzeugen 198. Der EuGH rekurriert zur Begründung seiner Schlussfolgerungen ausschließlich auf die kompetenzrechtlichen Rechtferti-

möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten“ haben. Dies soll „unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen ihr Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts“ erfolgen, EuGH 10.4.1984 – Rs. 14/83 (Von Colson und Kamann); vgl. hierzu Gebauer/WiedmannGebauer Kapitel 4 Rn. 17. 195 Dieser Gedanke wird von Schurig in die Ingmar-Diskussion gebracht, vgl. Schurig, FS Jayme, 837 (837-847); ebenso Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (109 f.). 196 EuGH 09.11.2000 – Rs. C-381/98 (Ingmar) Rn. 21, 23 f. (Hervorhebung hinzugefügt); ersteres wird auch von Generalanwalt Bot 03.06.2010 – Rs. C-203/09 (Schlussanträge zum Fall Volvo Car Germany) Rn. 62 im Anschluss an die Ingmar-Entscheidung betont. 197 So führt Generalanwalt Léger besonders deutlich aus, dass der durch die Möglichkeit einer umfassenden Rechtswahl verringerte Schutz des Handelsvertreters diesen „gegenüber seinen Konkurrenten benachteiligen und gleichzeitig den Unternehmer gegenüber den anderen Unternehmern begünstigen“ würde. „Die Störung der harmonisierten Bedingungen der anzuwendenden Regelung würde damit zu einem wettbewerbsrechtlichen Ungleichgewicht zwischen den Wirtschaftsteilnehmern, die ihre Tätigkeit in der Gemeinschaft ausüben, führen, was den Zielen der Richtlinie zuwiderliefe“; vgl. Generalanwalt Léger 11.05.2000 – Rs. C-381/98 (Schlussanträge zum Fall Ingmar) Rn. 68. 198 Ausführliche Kritik bei Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (60-65); Schurig, FS Jayme, 837 (844); Michaels/Kamann, EWS 2001, 301 (305); kritisch ebenfalls MüKoSonnenberger Einl. IPR Rn. 190 (insbesondere in Fn. 652); ders., IPRax 2003, 104

B. Bedeutung im Einzelnen

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gungsgründe für den Erlass der Richtlinie, die die Richtlinie auch ausdrücklich199 als solche bezeichnet und die sich nach obigen Ausführungen in der sachrechtlichen Rechtsangleichung zum Ausgleich mittelbarer Beeinträchtigungen der Wettbewerbsbedingungen, hervorgerufen eben durch die in den Mitgliedstaaten bestehende Rechtsungleichheit, erschöpfen200. Die vom EuGH genannten Gründe können daher nicht herangezogen werden, will man der Norm eine unmittelbar wettbewerbsrechtliche Bedeutung beimessen, die der EuGH im Anschluss an Generalanwalt Léger201 annimmt. Da die Richtlinie – jenseits der kompetenzrechtlichen Erwägungen – nicht das geringste Indiz für eine spezifisch wettbewerbsrechtliche Funktion des Ausgleichsanspruchs enthält, hätte der EuGH richtigerweise mit der herkömmlichen Ansicht davon ausgehen müssen, dass diese Norm eine Ausprägung der Gerechtigkeit inter partes darstellt.

Wenngleich die Ausführungen des EuGH somit „an erheblichen Mängeln“202 leiden, sind wir – worauf Schurig und Sonnenberger zutreffend hinweisen – dennoch an diese Entscheidung gebunden: der EuGH hat in der Ingmar-Entscheidung abschließend und verbindlich die unmittelbare materielle Interessenstruktur der fraglichen Richtlinienbestimmungen präjudiziert, so dass im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts diese sachrechtliche Interessenstruktur zugrunde zu legen ist 203. Die Schutzbedürftigkeit des Handelsvertreters ist demnach keine Ausprägung der Gerechtigkeit inter partes, sie dient nicht einmal der (109 f.. 112); Beulker S. 37-40; Freitag, EWiR 2000, 1061 (1062); Freitag/Leible, RIW 2001, 287 (292 f.); Kuckein S. 34 Fn. 138. 199 Unter Erwägungsgrund (4) der Handelsvertreterrichtlinie werden diese Gründe angeführt und anschließend der Schluss gezogen, dass „die Recht[s]ordnungen der Mitgliedstaaten in dem zum guten Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Umfang angeglichen werden müssen“. 200 Der EuGH „verquickt“ – wie Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (60, Ausführungen 60-65) bezüglich der Ausführungen des Generalanwaltes anmerkt – eben jene in Art. 116 AEUV (Art. 96 EGV a.F.) vorausgesetzte mittelbare Verfälschung des Wettbewerbs durch „vorhandene Unterschiede in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten“, die eine Verzerrung des Wettbewerbs hervorrufen und insoweit Rechtsangleichung erfordern, mit der in Art. 101 AEUV (Art. 81 EGV a.F.) bezeichneten unmittelbaren Verzerrung des Wettbewerbs, welche das Eingreifen europäischen Wettbewerbsrechts zur Folge hat. 201 Dies wird besonders deutlich in den Ausführungen des Generalanwaltes Léger, der hinsichtlich der Ingmar-Konstellation eine Parallele zu der Ahlström-Entscheidung des EuGH zieht, welche die kollisionsrechtliche Reichweite rein wettbewerbsrechtlicher Normen zum Gegenstand hatte; vgl. Generalanwalt Léger 11.5.2000 – Rs. C-381/98 (Schlussanträge zum Fall Ingmar) Rn. 27 ff.; 33, insbesondere 68 f. 202 Zu dieser Einschätzung gelangt Schurig, FS Jayme, 837 (844); Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (110): „Anlass zu Zweifeln besteht reichlich“. 203 Schurig, FS Jayme, 837 (844): „Der EuGH kann indessen, auch wenn er keine Kollisionsnormen hervorzaubern kann, verbindlich über die materielle Interessenstruktur des Richtlinienrechtes entscheiden; insoweit handelt es sich um Fragen der richtlinienkonformen Auslegung tatsächlich umgesetzten Rechts“; Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (109); zustimmend auch Kuckein S. 61.

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

Herstellung der Voraussetzungen eines gerechten Interessenausgleichs inter partes im Sinne des Sonderprivatrechts204, sondern wird als Mittel zur Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher – also „öffentlicher“ – Zwecke betrachtet. Stehen diese somit im Vordergrund, so implizieren die fraglichen Bestimmungen überwiegend kollisionsrechtliche Gemeininteressen, die nunmehr beachtlich sind, da sich der vom EuGH zugestandene spezifisch wettbewerbsrechtliche Zweck gerade nicht in der materiellen Rechtsangleichung erschöpft. Der durch den wettbewerbsrechtlichen Sachnormzweck implizierten kollisionsrechtlichen Interessenlage trägt Art. 3 Rom I indes keine Rechnung, so dass die fraglichen Regelungen aus der herkömmlichen vertraglichen Bündelung fallen205; mangels anderer einschlägiger geschriebener Kollisionsnorm müssen wir daher vor dem Hinter-

204

Freitag/Leible, RIW 2001, 287 (291 f.) und Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (56 f.) können völlig zu Recht keine strukturelle Ungleichgewichtslage bei einem selbstständigen Handelsvertreter erkennen (Schwarz a.a.O.: Art. 17 HV-RL sei keine „Sozialschutznorm in Form eines Versorgungsanspruchs, sondern [...] ein echter Gegenleistungsanspruch in Form eines Billigkeitsanspruchs“); Schurig, FS Jayme, 837 (845) weist zudem darauf hin, dass der Schutz des Handelsvertreters vom EuGH „nur am Rande erwähnt“ wird und „die soziale Dimension überhaupt nicht angesprochen“ wird. 205 So die konsequente Folgerung von Schurig, FS Jayme, 837 (844). Trotz der insoweit deutlichen Ausführungen des EuGH meinen manche – etwa Jayme, IPRax 2001, 190 (191); Freitag, EWiR 2000, 1061 (1062) –, dass dem Schutz des Handelsvertreters eine eigenständige Bedeutung neben der wettbewerbsrechtlichen Funktion beizumessen ist. Folgte man dem, so wäre indes zunächst zu klären, wie prägend dieser Normzweck denn sein soll. Ginge man – entgegen den Ausführungen des EuGH, jedoch richtigerweise – davon aus, dass dieser Normzweck allen anderen möglicherweise auch verfolgten Zwecken vorrangig ist, implizierten die fraglichen Bestimmungen – wie erwähnt – überwiegend Parteiinteressen, die jedoch – da es im Falle eines selbstständigen Handelsvertreters an einer für das Sonderprivatrecht typischen Ungleichgewichtslage inter partes fehlt (vgl. Fn. 204) und der Ausgleichsanspruch daher ausschließlich dem gerechten Interessenausgleich inter partes bei bestehender Vertragsparität diente – eine erfolgreiche Qualifikation unter Art. 3 f. Rom I ermöglichten. Mangels „Disqualifikation“ (und damit mangels Regelungslücke) könnte dann keine vom herkömmlichen Vertragsstatut abweichende kollisionsrechtliche Behandlung erfolgen. Ginge man demgegenüber davon aus, dass der Schutz des Handelsvertreters nicht überwiegt, jedoch einen gleichbedeutenden Normzweck neben der wettbewerbsrechtlichen Funktion darstellte, implizierten die fraglichen Bestimmungen indes nicht nur Parteiinteressen, sondern auch gleichrangige Gemeininteressen, was eine Mehrfachanknüpfung erforderlich werden lassen würde: Neben die herkömmliche, von Art. 3 f. Rom I vorgesehene vertragliche Anknüpfung träte dann eine den implizierten Gemeininteressen Rechnung tragende, ebenfalls modo legislatoris auszubildende Anknüpfung, so dass man die herkömmlichen Kollisionsnormen um eine dahingehende kumulative Anknüpfung (entsprechend Art. 6 I, 8 II Rom I) ergänzen müsste. In Anbetracht der eindeutigen Ausführungen des EuGH erscheinen diese beiden denkbaren Möglichkeiten jedoch keinesfalls von der IngmarRechtsprechung gedeckt.

B. Bedeutung im Einzelnen

161

grund konkurrierender Rechtsordnungen spezielle Kollisionsnormen von Seiten des europäischen IPR im Wege der Rechtsfortbildung entwickeln206. Hinsichtlich der Bestimmung des Anknüpfungsmomentes kommt in Betracht, zum einen an den Sitz des Handelsvertreters, zum anderen – wie vom EuGH vorgesehen – an den Ort der ausgeübten Tätigkeit anzuknüpfen207. Diente die Norm im Sinne des Sonderprivatrechts dem Schutz des Schwächeren, so ließe sich die erste Alternative mit einer entsprechenden Heranziehung des in Art. 6 I Rom I vorgesehenen Anknüpfungsmomentes begründen208, letztere – wohl überzeugender – mit einer entsprechenden Heranziehung des in Art. 8 II Rom I vorgesehenen Anknüpfungsmomentes209. Da der Handelsvertreterausgleich nach den Ausführungen des EuGH jedoch nicht dem Ausgleich einer strukturellen Ungleichgewichtslage dient, könnte man eine den Vertreter begünstigende Anknüpfung allenfalls damit rechtfertigen, dass nach Ansicht des EuGH die wettbewerbsrechtliche Funktion dieser Vorschriften durch den Schutz des Handelsvertreters verwirklicht werden soll, so dass man den wettbewerbsrechtlichen Sachnormzwecken kollisionsrechtlich ebenfalls durch die Begünstigung des Handelsvertreters Rechnung tragen könnte. Folgerichtiger erscheint es indes, zur Herleitung des Anknüpfungsmomentes unmittelbar auf die angeblich wettbewerbsrechtliche Funktion dieser Bestimmungen abzustellen und dieser mit einer marktortbezogenen Anknüpfung Rechnung zu tragen, wie sie nun in Art. 6 Rom II vorgesehen ist210. Entsprechend dem Auswirkungsprinzip sollte man daher auf das jeweilige Recht desjenigen Staates abstellen, in welchem der Handelsvertreter seine konkrete Tätigkeit ausübt und damit als Marktteilnehmer auch auftritt211. Demnach ist mit dem EuGH an den Ort der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit anzuknüpfen212.

206

Schurig, FS Jayme, 837 (844), der im Untertitel seines Beitrags dementsprechend von der „Urzeugung einer Kollisionsnorm“ (im Rahmen des nationalen Rechts) spricht. Auch die Vertreter eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems müssten vor dem Hintergrund der herrschenden Definition einer Eingriffsnorm nunmehr aufgrund der vom EuGH präjudizierten Normzwecke zu einer eingriffsrechtlichen Qualifikation gelangen; so auch etwa Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (109); Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 164; Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 17. 207 Vgl. hierzu Schurig, FS Jayme, 837 (845 f.). 208 Michaels/Kamann, EWS 2001, 301 (310) begründen eine dahingehende Anknüpfung wohl mit einer Parallele zu Art. 28 II EGBGB a.F.; diese Anknüpfung wäre angemessen, wenn die fraglichen Normen dem gerechten Interessenausgleich inter partes bei bestehender Vertragsparität diente. Ginge man entgegen dem EuGH davon aus, so läge jedoch bereits überhaupt keine Lücke vor, weil diese Vorschriften erfolgreich unter Art. 3 f. Rom I qualifiziert werden könnten (vgl. Fn. 205) – eine solche Sichtweise ist daher abzulehnen. 209 Anders Schurig, FS Jayme, 837 (845), der – sofern die fraglichen Normen im Schwerpunkt dem Schutz des Handelsvertreters dienten – entsprechend § 91 c HGB a.F. an den Ort der Niederlassung des Handelsvertreters anknüpfen würde. 210 So wohl der Sache nach auch Schurig, FS Jayme, 837 (846). 211 Eine solche Anknüpfung trägt ebenfalls dem Schutz des Handelsvertreters Rechnung, da der Ort der faktischen Ausübung seiner Tätigkeit für diesen beeinflussbar ist (vgl. insoweit auch die mit Art. 8 II Rom I zum Ausdruck kommende Wertung). 212 Ebenso Schurig, FS Jayme, 837 (846); Fetsch S. 316; vgl. auch Bamberger/RothSpickhoff Art. 9 Rom I Rn. 15.

162

2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

Damit lässt sich festhalten: Aufgrund der vom EuGH präjudizierten sachrechtlichen Struktur der richtlinienkonform auszulegenden nationalen Umsetzungsnormen des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters implizieren diese Bestimmungen kollisionsrechtliche Gemeininteressen, die sie aus der „Bündelung“ der vertraglichen Kollisionsnorm herausfallen lassen und eine Anknüpfung an den Ort der ausgeübten Tätigkeit erforderlich werden lassen. Für die konkrete Falllösung bedeutet dies, dass trotz Maßgeblichkeit kalifornischen Sachrechts eine Sonderanknüpfung der englischen Umsetzungsvorschriften der Handelsvertreterrichtlinie zu erfolgen hat, da das maßgebliche Anknüpfungsmoment der auf diese bezogenen, neu zu bildenden europäischen Kollisionsnorm in casu erfüllt ist. Anzumerken ist, dass mit der Ingmar-Rechtsprechung weitere Probleme einhergehen können, weil der EuGH alleine über die Normstruktur europäischer Umsetzungsnormen letztverbindlich zu entscheiden vermag, nicht jedoch zugleich über die Normstruktur von Sachnormen, die nicht-mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen entstammen. Dies führt bei konsequenter Betrachtung dazu, dass zwar die europäischen Vorschriften über den Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters aus der vertraglichen Bündelung fallen, nicht jedoch zugleich die diesen entsprechenden Bestimmungen aus nicht-mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, da letztere wohl regelmäßig nicht die vom EuGH postulierten Sachnormzwecke aufweisen und daher erfolgreich unter die herkömmlichen vertraglichen Kollisionsnormen (Art. 3, 4 Rom I) qualifiziert werden können. Ergibt sich – anders als im Ingmar-Fall – ein solcher Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters sowohl aus der herkömmlichen lex causae als auch aus den sonderanzuknüpfenden europäischen Umsetzungsvorschriften, kommt es zu einem Normwiderspruch in Form einer Normhäufung, weil die unterschiedlich zu qualifizierenden Bestimmungen denselben sachlichen Regelungsgegenstand vorsehen und eine gleichzeitige Anwendung beider Rechtsordnungen dem Handelsvertreter daher „zu viel“ gewährt. Dieses aus der verfehlten Rspr. des EuGH resultierende Ergebnis muss – sofern man an der Ingmar-Entscheidung festhalten will – im Wege der Anpassung korrigiert werden.

d) Zwischenergebnis Wenngleich Sachnormen aufgrund ihrer europäischen Herkunft keine „höhere Wertigkeit“213 zukommt, die a priori eine besondere kollisionsrechtliche Behandlung erforderlich werden lässt, so ergeben sich doch aus dem allgemeinen Spannungsverhältnis von nationalem und supranationalem Recht Besonderheiten, die sich im Rahmen der herkömmlichen Methodik auswirken. Hinsichtlich Sachnormen aus Verordnungen ist der sachrechtliche Anwendungsvorrang zu berücksichtigen, insbesondere wenn wir die Rechtsanwendungsfrage mangels kodifizierter Kollisionsnorm „vom Gesetz her“ stellen müssen. Bei umgesetztem Richtlinienrecht muss – sofern spezielle Kollisionsnormen, die weiterhin über Art. 23 Rom I durchsetzbar sind, fehlen – die nationale Norm zum Ausgangspunkt 213

Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 102.

C. Primärrechtliche Grenzen

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der kollisionsrechtlichen Anwendungsfrage genommen werden. Besonderheiten bestehen insoweit, dass im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung diejenigen Zwecke zugrunde zu legen sind, die der EuGH im Rahmen seiner Auslegungskompetenz für uns verbindlich festgelegt hat.

C. Primärrechtliche Grenzen für die Anwendung von Eingriffsnormen C. Primärrechtliche Grenzen Sachnormen (nationaler oder europäischer Herkunft) können vor mitgliedstaatlichen Gerichten dann nicht zur Anwendung gebracht werden, wenn sie im Ergebnis gegen Primärrecht – insbesondere gegen Grundfreiheiten – verstoßen. Da der Auslandssachverhalt als solcher von deren Geltung keinen Dispens erteilt, lassen sich auch Eingriffsnormen, die aufgrund ihrer „politischen“ Zielsetzung besonders häufig in den Schutzbereich der Grundfreiheiten eingreifen, nur dann kollisionsrechtlich zur Anwendung berufen, wenn sie primärrechtskonform sind, wenn sie sich also in das von Seiten des europäischen Rechts vorgegebene „rechtliche[] Korsett“214 einfügen. Wann dies im Einzelnen der Fall ist, soll hier nicht weiter interessieren, da insoweit etwa auf die ausführliche Untersuchung von Fetsch verwiesen werden kann215. Hervorzuheben ist jedoch, dass das Erfordernis der „Primärrechtskonformität“ mitgliedstaatlichen Rechts keineswegs bedeutet, dass eine Durchsetzung von Eingriffsnormen stets an den herkömmlichen, bei einem reinen Inlandssachverhalt geltenden primärrechtlichen Anforderungen (insbesondere Wahrung überragender Interessen des Allgemeinwohls, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) zu messen wäre216. Denn auch das Primärrecht fordert keineswegs universelle Anwendung, sondern wird – entsprechend seinem sachrechtlichen Zweck – nur dann auf den Plan gerufen, wenn eine Beeinträchtigung des Binnenmarktes erfolgt. Hieraus ergibt sich, dass ein und dieselbe Sachnorm der lex fori einerseits primärrechtswidrig sein kann, wenn ein reiner Binnenmarktsachverhalt vorliegt, andererseits jedoch auch primärrechtskonform, wenn etwa ein Sachverhalt mit überwiegendem Bezug zu Drittstaaten von europäischen Gerichten zu beurteilen ist. So könnte man sich – blenden wir einmal mögliche Anforderungen des europäischen Außenwirtschaftsrechts aus – ein nationales Ausfuhrverbot bestimmter Güter vorstellen, das zwar gegenüber einer Ausfuhr nach Frankreich aufgrund der Warenverkehrsfreiheit

214

So anschaulich Fetsch S. 87. Fetsch (insbesondere S. 89-117, S. 126-143, S. 146-197). 216 In diesem Sinne aber Freitag, Einfach und international zwingende Normen, 167 (176, 177). 215

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

gegen Primärrecht verstoßen würde, andererseits jedoch gegenüber Drittstaaten weiterhin durchsetzbar wäre, weil insoweit der Binnenmarkt nicht tangiert ist.

Aus diesem Grunde ist die Frage nach einer statutsunabhängigen Anknüpfung bestimmter Normen der lex fori (seien sie nationaler oder europäischer Herkunft) von der Frage nach deren Primärrechtskonformität streng zu trennen, so dass – entgegen Freitag – letztere nicht stets zu prüfendes, also konstitutives Erfordernis für eine eingriffsrechtliche Durchsetzung über Art. 9 II Rom I bilden kann217. Es handelt sich hierbei um zwei verschiedene Fragenkreise, die sich zwar überlagern können, aber nicht müssen. Wie im Rahmen dieser Arbeit nur angedeutet werden kann, geht die Unterscheidung sogar tiefer: Denn dass die Grundfreiheiten bestimmte Sachverhaltskonstellationen nicht erfassen, ist (nicht nur) eine Frage ihrer sachrechtlichen Nichtanwendbarkeit, sondern auch ihrer kollisionsrechtlichen, weil ebenso das Primärrecht vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen keinen universellen Geltungsanspruch erheben kann. Da die Grundfreiheiten auch einen zivilrechtlichen Regelungsgehalt vorsehen 218, den man sich als eigenständige zivilrechtliche Norm denken kann, stellt sich insoweit ebenfalls die Frage, ob diese „gedachte“ zivilrechtliche Regelung von den herkömmlichen Kollisionsnormen erfasst wird. Regelmäßig ist dies jedoch zu verneinen, weil deren dominierender Zweck nicht in der Verwirklichung der Gerechtigkeit inter partes liegt, sondern in der Verwirklichung des Binnenmarktes, der andere kollisionsrechtliche Interessen impliziert und aus diesem Grunde nicht unter die herkömmlichen Kollisionsnormen qualifiziert werden kann. Folglich ist wiederum für die „disqualifizierte“ Norm eine ihren materiellen Sachnormzwecken entsprechende, „sachnormzweckgerechte“ Anknüpfung zu entwickeln, die dieser einen angemessenen, regelmäßig dem Schutz des Binnenmarktes Rechnung tragenden Anwendungsbereich zuschreibt. Bei Lichte betrachtet entspricht daher die Frage nach der Primärrechtskonformität bestimmter Normen im Rahmen eines Sachverhaltes mit Auslandsbezug der – seit der Kodifikation des Art. 6 S. 2 EGBGB – herkömmlich im Rahmen des ordre public geführten Diskussion um die kollisionsrechtliche Reichweite der Grundrechte. Entsprechend den Äußerungen des BVerfG hinsichtlich dieser Problematik lässt sich daher (abgewandelt) formulieren, dass sich der Anwendungsbereich des Primärrechts (hinsichtlich seiner zivilrechtlichen Reflexwirkung) „nicht allgemein bestimmen“ lässt. „Vielmehr ist jeweils durch Auslegung219 der entsprechenden [Primärrechts]norm festzustellen, ob sie nach Wortlaut, Sinn und Zweck für jede denkbare Anwendung hoheitlicher Gewalt innerhalb der Bundesrepublik gelten will oder

217 So zu Recht Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 22; ders., Eingriffsnormen, 129 (136-138); ausführlich nun auch Hauser S. 17-21. 218 Man kann hier von zivilrechtlicher Reflexwirkung der Grundfreiheiten sprechen, wenn sie hinsichtlich einer privatrechtlichen Streitigkeit bestimmte rechtliche Anforderungen stellen und insoweit Wirkung inter partes entfalten. 219 Wenngleich es hierbei freilich nicht um Auslegung, sondern um die Entwicklung spezieller, auf die fragliche Norm bezogener einseitiger Kollisionsnormen, also um Rechtsfortbildung geht. Vgl. hierzu allgemein sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 13) und Kapitel 1 B.II.2.a) (S. 18 f.).

D. Ergebnis

165

ob sie bei Sachverhalten mit mehr oder weniger intensiver Auslandsbeziehung eine Differenzierung zuläßt oder verlangt“ 220.

Damit lässt sich festhalten: Eine Bestimmung der lex fori kann auch in einem Sachverhalt mit Auslandsbezug nur zur Anwendung gebracht werden, wenn sie primärrechtskonform ist. Ob dies jedoch der Fall ist, muss im Einzelfall unter Berücksichtigung des maßgeblichen Zwecks des Primärrechts bestimmt werden, so dass sich diesbezügliche generalisierende Kriterien, die man bei der Frage nach dem „Ob“ der statutsunabhängigen Anknüpfung bestimmter Normen der lex fori bereits berücksichtigen könnte, verbieten.

D. Ergebnis D. Ergebnis Die Eingriffsnormenproblematik ist innerhalb des Regelungsbereichs der Rom-Verordnungen zu verorten, so dass sich der für diese Bestimmungen maßgebliche (und vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen auch notwendige) kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl nunmehr aus dem europäischen IPR ergibt: Kann eine Sachnorm erfolgreich unter eine bestehende europäische Kollisionsnorm qualifiziert werden, spricht diese den Anwendungsbefehl abschließend aus, kommt es zu einer „Disqualifikation“, muss der fraglichen Sachnorm eine ihren Sachnormzwecken entsprechende kollisionsrechtliche Anknüpfung anhand system- und methodenimmanenter Rechtsfortbildung im europäischen IPR beiseite gestellt werden. Im letzteren Falle bilden Eingriffsnormen den „noch unfertigen Teil“ des europäischen IPR. Da dem europäischen Recht Anwendungsvorrang vor nationalen mitgliedstaatlichen Bestimmungen zukommt, folgt aus dem hier vertretenen Ansatz, dass die – bestimmten Sachnormen explizit von Seiten der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber beigefügten – kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehle keinerlei Bedeutung mehr entfalten können, weil diese aufgrund ihrer nationalen Herkunft nunmehr verdrängt werden: Existiert eine bereits kodifizierte europäische Kollisionsnorm, unter welche der materielle Teil einer „selbstgerechten Sachnorm“ erfolgreich qualifiziert werden kann, spricht diese Kollisionsnorm den maßgeblichen Anwendungsbefehl für die von ihrem Anknüpfungsgegenstand erfassten Sachnormen abschließend aus (so etwa Art. 6 III, der die nationale Kollisionsnorm des § 130 II GWB verdrängt), besteht keine den implizierten kollisionsrechtlichen Inte220

So hinsichtlich des kollisionsrechtlichen Anwendungsbereichs deutscher Grundrechte BVerfG NJW 1971, 1509 (1512), „Spanierentscheidung“, die im Original selbstverständlich von „der entsprechenden Verfassungsnorm“ und nicht von einer Primärrechtsnorm sprach.

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2. Kapitel: Inländische Eingriffsnormen

ressen Rechnung tragende Kollisionsnorm, muss eine solche im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt werden (so etwa im Falle von Verträge invalidierenden kartellrechtlichen Verbotsnormen). Dient die fragliche Sachnorm dem öffentlichen Interesse des Erlassstaates, besteht indes die Besonderheit, dass mit der Festlegung des räumlichen Anwendungsbereichs regelmäßig nicht nur eine kollisionsrechtliche Entscheidung, sondern zugleich auch eine sachrechtliche Entscheidung des nationalen Gesetzgebers einhergeht, die unter Geltung des europäischen IPR auch weiterhin beachtlich ist. Entstammt der auf eine Sachnorm bezogene kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl demgegenüber europäischem Recht, so kann sich dieser – unabhängig davon, ob er einer Verordnung oder einer Richtlinie entstammt, als lex specialis gegenüber den Rom-Verordnungen durchsetzen (Art. 23/27 Rom I/II). Steht die kollisionsrechtliche Behandlung einer schlichten Sachnorm nationaler Herkunft in Frage, so bestehen grundsätzlich keine Besonderheiten: Kann diese erfolgreich unter eine europäische Kollisionsnorm qualifiziert werden, wird der Anwendungsbefehl abschließend von dieser Norm ausgesprochen, wird sie indes „disqualifiziert“, bedarf es einer ihren implizierten Interessen gerecht werdenden Anknüpfung, die modo legislatoris im Rahmen des europäischen IPR zu entwickeln ist. Zu beachten ist indes, dass nicht nur Gemeininteressen zu einer Disqualifikation und damit notwendig verbundenen Rechtsfortbildung führen können, sondern durchaus auch spezifische Parteiinteressen, wie die Problematik des Sonderprivatrechts zeigt. Fehlen kodifizierte Kollisionsnormen, die den durch solche Bestimmungen implizierten speziellen kollisionsrechtlichen Anwendungsinteressen Rechnung tragen können (wie insbesondere im Bereich des sozialen Mietrechts, aber etwa auch im Bereich des Urheberrechts), müssen diese Normen ebenfalls im Wege der Rechtsfortbildung entsprechend ihren implizierten kollisionsrechtlichen Interessen gesondert angeknüpft werden. Aufgrund noch näher darzustellender Besonderheiten, die mit der kollisionsrechtlichen Behandlung von ausländischen Bestimmungen, die dem überwiegenden öffentlichen Interesse des jeweiligen Erlassstaates dienen, einhergehen, sollte das Problemfeld des Sonderprivatrechts indes nicht dem – ohnehin dürftigen – Regelungsbereich des Art. 9 Rom I zugerechnet werden. Entstammt die fragliche Bestimmung europäischem Recht (sei es einer Verordnung, sei es einer Richtlinie), so kommt dieser aufgrund ihrer Herkunft keine von den herkömmlichen Anknüpfungsgrundsätzen abweichende kollisionsrechtliche Behandlung zu. Allerdings können – wie insbesondere die Ingmar-Rechtsprechung zeigt – aufgrund des allgemeinen Spannungsverhältnisses von nationalem und supranationalem Recht

D. Ergebnis

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bestimmte Besonderheiten auftreten, die jedoch mit der herkömmlichen kollisionsrechtlichen Methode bewältigt werden können. Bei der konkreten kollisionsrechtlichen Frage, ob und wie eine nationale Sachnorm zur Anwendung gebracht werden kann, spielen die Grundfreiheiten unmittelbar keine Rolle, weil die Primärrechtskonformität mitgliedstaatlicher Sachnormen eine hiervon zu unterscheidende Fragestellung darstellt. Im Ergebnis können jedoch Eingriffsnormen, die gegen (kollisionsrechtlich anwendbare) Grundfreiheiten verstoßen, freilich nicht zur Anwendung gebracht werden.

Kapitel 3

Die kollisionsrechtliche Behandlung ausländischer Eingriffsnormen 3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

A. Einführung A. Einführung Wenngleich in der methodischen Behandlung umstritten, besteht doch rechtsvergleichend betrachtet nahezu Einigkeit darüber, dass sich bestimmte Normen der lex fori, die in besonderem Maße öffentlichen Interessen Rechnung tragen, auch gegenüber einer durch das jeweilige nationale Kollisionsrecht berufenen fremden lex causae durchsetzen können. Und dies ist in keiner Weise verwunderlich, da der internationale Sachverhalt als solcher a priori keinen Dispens von diesen Bestimmungen erteilt1 und der in der lex fori geschulte Richter daher zwangsläufig auf die kollisionsrechtliche Frage gestoßen wird, inwieweit sachrechtlich einschlägige zwingende Bestimmungen der lex fori auch in einem Sachverhalt mit Auslandsbezug zur Anwendung zu bringen sind. Demgegenüber bestehen seit jeher grundsätzliche Bedenken gegenüber der Anwendung ausländischer Normen, die dem öffentlichen Interesse des jeweiligen Erlassstaates dienen. Dies mag seinen Grund zum einen darin haben, dass diese Normen für die konkrete Falllösung des zivilrechtlichen Rechtsstreites inter partes regelmäßig entbehrlich zu sein scheinen. Rekapitulieren wir: Das Grundbedürfnis für ein IPR als allseitiges „Rechtsfindungssystem“ besteht nach obigen Ausführungen2 darin, dass der vor den Zivilrichter getragene Sachverhalt mit Auslandsbezug anhand einer „gerechten“ Rechtsordnung als Rechtsgrundlage entschieden werden muss, welche aufgrund der räumlichen Relativität des Gerechtigkeitsgehaltes jeder Rechtsordnung nicht stets die lex fori sein kann. Für die dem Zivilrichter gestellte Aufgabe, eine gerechte Entscheidung inter partes zur treffen, bedarf es jedoch nur 1

Dies machen nunmehr Art. 9 II Rom I und Art. 16 Rom II für den Bereich des internationalen Vertrags- und Deliktsrechts deutlich. Würde man zwingende Bestimmungen der lex fori, die öffentlichen Interessen Rechnung tragen, alleine in einem reinen Inlandssachverhalt zur Anwendung bringen, so führte dies automatisch zu einer nicht zu rechtfertigenden Wertungsdiskrepanz: Denn warum sollte das schlichte Faktum eines Auslandssachverhaltes dem Rechtssubjekt a priori mehr Rechtsmacht verleihen als bei einem reinen Inlandssachverhalt? 2 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 65 f.).

A. Einführung

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solcher Normen, die auch der Gerechtigkeit inter partes dienen, nicht jedoch typischer Eingriffsnormen, die jene aufgrund fremder öffentlicher Interessen regelmäßig einschränken. Insoweit besteht also a priori kein Bedürfnis, ausländisches Eingriffsrecht als (zumindest in einem faktischen Sinne notwendige3) Entscheidungsgrundlage zur Lösung des dem Richter vorgetragenen Interessenkonflikts inter partes zur Anwendung zu bringen. Hinzu kommt – zum anderen –, dass typische Eingriffsnormen, seien sie kartell-, devisen- oder ein- und ausfuhrrechtlicher Natur, typische Felder „egoistischer“4 Staatspolitik sind, die sich nicht nur kontradiktorisch zu der individualrechtlichen Freiheit, sondern auch zu den eigenen nationalen Staatsinteressen verhalten können. Vergegenwärtigt man sich dies, so liegt es in der Tat nahe, gemeinwohlorientierte Normen fremder Staaten nicht zur Anwendung zu bringen und sich auf die Durchsetzung der eigenen öffentlichen Interessen zu beschränken – ein Ansatz, dem der BGH bislang zumindest im theoretischen Ausgangspunkt folgte5. Ob jedoch die grundsätzliche Missachtung solcher ausländischer Normen der Behandlung eines Sachverhaltes mit Auslandsbezug gerecht wird, erscheint mehr als fraglich. So kam auch der BGH trotz seines postulierten Grundsatzes, ausländisches „öffentliches“ Recht aufgrund des Territorialitätsprinzips und der daraus anscheinend zwangsläufig folgenden strengen Einseitigkeit des IÖR nicht zur Anwendung zu bringen 6 , dennoch nicht umhin, gewisse ausländische Eingriffsnormen jedenfalls sachrechtlich im Rahmen des anwendbaren Rechts „zu berücksichtigen“7. Ein Grund hierfür liegt darin, dass sich auch die rechtliche Behandlung eines Sachverhaltes mit Auslandsbezug realen Gegebenheiten stellen muss: Es existieren nun einmal verschiedene Staaten, die nicht nur unterschiedliches Recht, sondern auch die „Macht“ haben, dieses im Rahmen ihrer Souveränität durchzusetzen. Muss etwa eine – nach unseren Vorschriften zivilrechtlich geschuldete – Leistung in dem „Machtbereich“ eines ausländischen Staates erbracht werden, so könnte eine Nichtberücksichtigung der dort geltenden Bestimmungen dazu führen, dass wir eine 3 Demgegenüber besteht jedoch durchaus eine anderweitige Notwendigkeit, vgl. hierzu sub Kapitel 3 D.I.1.b) (S. 271 f.). 4 Hierzu Kegel/Schurig § 2 IV 1 (S. 149): „Staatseingriffe in private Rechtsverhältnisse dienen dem Leben und Gedeih oder, anders ausgedrückt, dem Wohl des Staates. Staaten sind egoistisch. Sie haben kein primäres Interesse daran, das Wohl anderer Staaten zu fördern“ (Hervorhebung im Original); ebenso MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 53; Kuckein S. 87. 5 Vgl. hierzu die Grundsatzentscheidung BGHZ 31, 367 (370-372); zu dieser näher etwa Kuckein S. 29 f. 6 BGHZ 31, 367 (370-372); zum Nichtanwendungsgrundsatz ausländischen Öffentlichen Rechts etwa Kuckein S. 99-109; ausführlich auch Schurig S. 142-166. 7 Näher hierzu sub Kapitel 3 B.I (S. 174 ff.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Partei zu einer Leistung verurteilen, zu der sie vor Ort rein faktisch etwa aufgrund drohender Zwangsmaßnahmen gar nicht in der Lage ist. Will man daher ein Urteil erlassen, welches den mit einem Auslandssachverhalt möglicherweise einhergehenden Umständen vollständig gerecht werden kann, lässt es sich nicht vermeiden, zumindest gewisse faktische Wirkungen, die von ausländischen Bestimmungen ausgehen können, bei der Beurteilung des Sachverhaltes – auf welche Weise auch immer – zu berücksichtigen8. Aber auch ein solcher Weg, der die Berücksichtigung von ausländischen Eingriffsnormen von einer „faktischen Notwendigkeit“ anhängig macht, vermag alleine nicht durchweg zu vollständig befriedigenden Ergebnissen gelangen. Man stelle sich etwa vor, ein von unseren Gerichten zu beurteilender Vertrag hätte eine Verpflichtung zu einer – grundsätzlich nach unserem Recht und nach demjenigen der lex causae – strafbaren Handlung zum Gegenstand. Sollten wir – sofern der Anwendungsbereich der Normen unseres StGB nicht eröffnet ist – die Berücksichtigung einer zivilrechtlichen Folgen setzenden ausländischen Norm, die dem Gemeinwohl dieses Staates verpflichtet ist, ablehnen bzw. alleine von der tatsächlichen Durchsetzbarkeit der fremden Norm abhängig machen und den Schuldner damit ggf. zu einer solchen Leistung verurteilen, nur weil wir „egoistisch“ sind und kein Interesse an der Wahrung fremder Gemeininteressen haben? Wohl nicht9, und so entschied auch der BGH in der sog. „Schmiergeld“-Entscheidung vom 08.05.198510, dass ein die vertragliche Nichtigkeitsfolge auslösender Verstoß gegen die guten Sitten auch dann vorliege, wenn dieser auf der „Verletzung ausländischer Rechtsnormen, die nach den in Deutschland herrschenden rechtlichen und sittlichen Anschauungen anzuerkennen sind“11, beruhen könne. Insoweit mag es also möglicherweise auch ein Gebot der materiellen Gerechtigkeit sein, Privatrechtssubjekten im internationalen Verkehr nicht mehr Rechtsmacht zukommen zu lassen, als dies nach übereinstimmenden Wertungen bestimmter (der beteiligten? aller?) Rechtsordnungen der Fall ist. Schurig führt daher zu Recht aus: „Dem Wohl des Staats dient auch, was dem Wohl seiner Bürger dient. Wenn aber die Interessen einzelner Bürger international beachtlich sind, warum dann nicht auch die Interessen aller? Ein Interesse der internationalen Ordnung macht daher die Anerkennung aus8

So auch Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (394): etwas anderes „widerspräche auch dem Gerechtigkeitsempfinden“; näher hierzu sub Kapitel 3 B.I.1 (S. 175 ff.). 9 So betont auch Heini, ZSchweizR 100 (1981), 65 (81): „[K]eine Rechtsordnung, die diesen Namen verdient, kann es sich leisten, Rechtsgeschäfte zu schützen, welche die Verletzung eines ausländischen Gesetzes bezwecken bzw. von einer Partei eine Handlung verlangen, die gerade in dem Staate vorzunehmen ist, gegen dessen Gesetze sie verstößt“. 10 BGH NJW 1985, 2405. 11 BGH NJW 1985, 2405 (2406).

A. Einführung

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ländischer Staatseingriffe in private Rechtsverhältnisse grundsätzlich wünschenswert“12. Vor diese Grundsatzfragen sah sich auch der europäische Gesetzgeber gestellt, als er sich entschied, die Problematik der ausländischen Eingriffsnormen im neuen europäischen Kollisionsrecht einer Regelung zuzuführen. Da das EVÜ mit Art. 7 I13 bereits eine diesbezügliche Bestimmung vorsah und auch diejenigen Staaten, die von der Vorbehaltsmöglichkeit14 gegen diese Regelung Gebrauch machten (insbesondere England und Deutschland), ausländische Eingriffsnormen zumindest doch in bestimmten Fällen berücksichtigten, ging man wohl anfangs davon aus, dass eine solche Bestimmung auf keinen nennenswerten Widerstand stoßen würde – das Gegenteil war jedoch der Fall, wie die jeweiligen Gesetzgebungsverfahren zur Rom I- und Rom II-Verordnung deutlich machten15. Denn offenbar führte politischer Druck, insbesondere von britischer Seite16, dazu, dass die in den jeweiligen Vorentwürfen der Kommission zur Rom I- bzw. Rom II-Verordnung in Anlehnung an Art. 7 I EVÜ ursprünglich vorgesehenen Regelungen (Art. 8 III Rom I KOM (2005) 650 endg.17 und Art. 12 I Rom II KOM (2003) 427 endg.18) in den endgültigen Fassungen keinen 12

Kegel/Schurig § 2 IV 1 (S. 149). Art. 7 I EVÜ bestimmte: „Bei Anwendung des Rechts eines bestimmten Staates aufgrund dieses Übereinkommens kann den zwingenden Bestimmungen des Rechts eines anderen Staates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, Wirkung verliehen werden, soweit diese Bestimmungen nach dem Recht des letztgenannten Staates ohne Rücksicht darauf anzuwenden sind, welchem Recht der Vertrag unterliegt. Bei der Entscheidung, ob diesen zwingenden Bestimmungen Wirkung zu verleihen ist, sind ihre Natur und ihr Gegenstand sowie die Folgen zu berücksichtigen, die sich aus ihrer Anwendung oder ihrer Nichtanwendung ergeben würden“. 14 Art. 22 I lit. a EVÜ. 15 Ausführlich zur Normgenese des Art. 9 Rom I Freitag, IPRax 2009, 109 (110 f.); Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 498-503; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 2, 4 f.; zu Art. 16 Rom II etwa MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 5; vgl. auch sub Kapitel 3 D.I.1 (S. 265 ff.). 16 Zur Bedeutung des britischen Einflusses, insbesondere der „regulierungsunwilligen“ City of London, auf das Gesetzgebungsverfahren der Rom I-Verordnung vgl. etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 502; ders., IPRax 2009, 109 (110); Plender/Wilderspin 12-022; zur Rom II-Verordnung etwa MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 5. 17 In Anlehnung an Art. 7 I EVÜ bestimmte Art. 8 III Rom I KOM (2005) 650 endg.: „Weist der Sachverhalt eine enge Verbindung zu einem anderen Staat auf, kann den Eingriffsnormen dieses Staates ebenfalls Wirkung verliehen werden. Bei der Entscheidung, ob diesen Normen Wirkung zu verleihen ist, berücksichtigt das Gericht Art und Zweck dieser Normen nach Maßgabe der Begriffsbestimmung in Absatz 1 sowie die Folgen, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung für das mit der betreffenden Eingriffsnorm verfolgte Ziel sowie für die Parteien ergeben würden“. 18 Art. 12 I Rom II KOM (2003) 427 endg. bestimmte: „Bei Anwendung des Rechts eines bestimmten Staates aufgrund dieser Verordnung kann den zwingenden Bestimmun13

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Niederschlag mehr fanden. So wurde in der endgültigen Textversion der Rom II-Verordnung sogar auf eine Regelung gänzlich verzichtet und in Kauf genommen, dass nunmehr – auch in den Erwägungsgründen – jeglicher Hinweis, wie mit der Problematik ausländischer Eingriffsnormen im Internationalen Deliktsrecht zu verfahren ist, fehlt. Demgegenüber enthält die später erlassene Rom I-Verordnung mit Art. 9 III immerhin eine wenn auch im Vergleich zu dem von der Kommission vorgelegten Vorentwurf deutlich verkürzte und wohl an die Entscheidung des englischen Court of Appeal im Fall Ralli Brothers v. Compañia Naviera Sota y Aznar 19 angelehnte Regelung: Der zufolge kann „den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, [...] Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Bei der Entscheidung, ob diesen Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden.“ Dass diese politischen Kompromissen geschuldete Regelung den durch die Eingriffsnormenproblematik aufgeworfenen Grundproblemen nicht ganz gerecht wird, darf vorweggenommen werden20. Gleichwohl stellt sie nunmehr geltendes Recht dar, so dass Art. 9 III Rom I „Dreh- und Angelpunkt“ der zukünftigen Diskussion um die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen sein wird. Wie diese unter der Geltung des europäischen Kollisionsrechts zu erfolgen hat, ist Gegenstand dieses Kapitels.

gen des Rechts eines anderen Staates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, Wirkung verliehen werden, soweit diese Bestimmungen nach dem Recht des letztgenannten Staates ohne Rücksicht darauf anzuwenden sind, welchem Recht das außervertragliche Schuldverhältnis unterliegt. Bei der Entscheidung, ob diesen zwingenden Bestimmungen Wirkung zu verleihen ist, sind ihre Natur und ihr Gegenstand sowie die Folgen zu berücksichtigen, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden“. 19 Ralli Brothers v. Compañia Naviera Sota y Aznar [1920] 2 K.B. 287 (291, 295, 300). In dieser Entscheidung machen sich die Richter Sterndale, Warrington und Scrutton folgende Auffassung von Dicey, Conflict of Laws (2. Auflage), S. 553 zu eigen, die sie in ihren Stellungnahmen jeweils wörtlich (a.a.O.) zitieren: „A contract [...] is, in general, invalid in so far as [...] the performance of it is unlawful by the law of the country where the contract is to be performed (lex loci solutionis)“, (Hervorhebung im Original). 20 Kritisch ebenso Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 5; Freitag, IPRax 2009, 109 (109 f.).

B. Wirkungsverleihung de lege lata: Art. 9 III Rom I

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B. Die Wirkungsverleihung ausländischer Eingriffsnormen de lege lata: Art. 9 III Rom I B. Wirkungsverleihung de lege lata: Art. 9 III Rom I Betrachten wir Art. 9 III Rom I näher, so lässt sich zunächst konstatieren, dass diese Norm dem Rechtsanwender expressis verbis keine Auskunft darüber geben kann, ob man nun bestimmte ausländische Eingriffsnormen auf irgendeine Weise berücksichtigen soll oder nicht. Zwar mögen sich anhand der materiellen Kriterien des Art. 9 I Rom I und der weiteren, in Abs. 3 vorgesehenen Beschränkungen hinsichtlich des Erfüllungsortes und einer bestimmten Rechtsfolge potentiell zu berücksichtigende Eingriffsnormen identifizieren lassen21, doch scheint die konkrete Rechtsfolge, die Wirkungsverleihung einer als Eingriffsnorm erkannten ausländischen Bestimmung, wie schon bei der aus diesem Grund nicht in das deutsche Recht übernommenen Vorgängerregelung des Art. 7 I EVÜ22 in das Ermessen des einzelnen Richters gestellt. Wenngleich Art. 9 III 2 Rom I diese Entscheidung weiter zu konkretisieren versucht, dürften auch die dort genannten Kriterien (Berücksichtigung von „Art und Zweck dieser Normen“ und der Folgen, „die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden“) wenig hilfreich sein, da es sich hierbei zum einen um Gemeinplätze handelt, die keinesfalls nur der Eingriffsnormenproblematik vorbehalten sind23, zum anderen keinerlei Hinweis dahingehend gegeben wird, welche Schlussfolgerungen aus diesen Kriterien zu ziehen sind. Prima facie erscheint Art. 9 III Rom I somit als „Leerformel“, deren Bedeutungsgehalt im Folgenden zu erschließen sein wird. Insoweit bedarf es vorab der Beantwortung zweier grundlegender Fragen: Zum einen ist zunächst (sub I) zu klären, ob eine Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen auf der Ebene des Sach- oder des Kollisionsrechts erfolgt. Wie eingangs erwähnt, weigerte sich bislang insbeson21

Hierzu sub Kapitel 3 C.II.2 (S. 210 ff.). Vgl. hierzu die Stellungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerung der Bundesregierung, abgedruckt in Bt-Ds. 10/503, S. 83 f.; ebenso Bt-Ds. 10/504, S. 100 und S. 106; Stellungnahme des sich anschließenden Rechtsausschusses des Bundestages abgedruckt in Bt-Ds. 10/5632, S. 45; kritisch zu Art. 7 I EVÜ auch Erman-Hohloch (2008) Art. 34 EGBGB Rn. 24; Palandt-Heldrich (67. Auflage) Art. 34 EGBGB Rn. 1; ausführlich Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (1-30). 23 So beeinflussen, wie sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc) (S. 70 ff.), insbesondere sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 79 ff.) ausgeführt, „Art und Zweck“ einer Sachnorm maßgeblich die kollisionsrechtliche Interessenlage und damit deren kollisionsrechtliche Behandlung (ähnlich, jedoch vom Standpunkt eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems gesehen, auch Sonnenberger, FS Kropholler, 227 (243)), ebenso erfolgt eine Berücksichtigung der Folgen der kollisionsrechtlichen Anwendung einer Sachnorm etwa im Rahmen des methodischen Instruments der Anpassung oder im Rahmen der ordre publicKontrolle. 22

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

dere die deutsche Rechtsprechung stets, ausländische Eingriffsnormen kollisionsrechtlich zur Anwendung zu berufen, und berücksichtigte solche Bestimmungen allenfalls im Rahmen des anzuwendenden Sachrechts. Sollte die Problematik ausländischer Eingriffsnormen tatsächlich im Sachrecht zu verorten sein, entzöge sie sich a priori dem Anwendungsbereich des europäischen Kollisionsrechts, so dass Art. 9 III Rom I allenfalls deklaratorische Bedeutung zugesprochen werden könnte. Ist diese jedoch originär im Kollisionsrecht zu lokalisieren, so muss – zum anderen (sub II) – die Frage beantwortet werden, welchen konkreten Regelungsgehalt Art. 9 III Rom I vorsieht, insbesondere, ob sich der dann notwendige24 kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl (bezogen auf den ausländischen Rechtssatz) aus dem nationalen oder dem europäischen IPR ergibt. Erst im Anschluss daran lassen sich konkrete Aussagen darüber treffen, wie eine mögliche kollisionsrechtliche Anwendungsentscheidung bezüglich bestimmter ausländischer Eingriffsnormen unter Geltung des europäischen Kollisionsrechts zu treffen ist (sub C). I. Sachrechtliche Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen Einer der bislang eingeschlagenen Wege zur Lösung der Problematik ausländischer Eingriffsnormen stellt die sach- oder materiellrechtliche Berücksichtigung solcher Bestimmungen im Rahmen bestimmter sachrechtlicher Vorschriften der regulär berufenen lex causae25 dar. Ausländische Eingriffsnormen werden nach diesem in Deutschland26 insbesondere von der Rechtsprechung, aber auch von Teilen des Schrifttums27 vertretenen Ansatz zwar nicht kollisionsrechtlich berufen, „gelten“ also nicht kraft eines autonomen imperativen Anwendungsbefehls, sondern sind bei 24

Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.I (S. 6 f.). Zwar lag den bislang von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen stets deutsches Recht als lex causae zugrunde, doch kann bei der Anwendung ausländischen Sachrechts zumindest dann nichts anderes gelten, wenn das ausländische Recht eine sachrechtliche Berücksichtigung ebenfalls verlangt – sofern wir einen ausländischen Rechtssatz berufen haben, wenden wir ihn so an, wie das der jeweilige Erlassstaat ebenfalls tun würde; näher hierzu Fn. 47 m.N. 26 Auch die englische Rechtsprechung nimmt wohl eine sachrechtliche Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen vor, vgl. Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 651, der sich (a.a.O. Fn. 5) auf Chong, JPIL 2 (2006), 27 (41, 70) beruft. 27 Etwa von Bar/Mankowski § 4 Rn. 122-129; ders., RIW 1994, 688 (690 f.); ders., RIW 1996, 8 (9 f.); Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (416-418); Mülbert, IPRax 1986, 140 (141); Piehl, RIW 1988, 841 (842 f.); Schäfer, FS Sandrock, 37 (50-53). Daneben erkennen auch manche Vertreter der traditionellen Schuldstatutstheorie (ausschließliche Anwendung von Eingriffsnormen der lex causae, nicht jedoch von Drittstaaten) eine sachrechtliche Berücksichtigung drittstaatlicher Eingriffsnormen an; vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 490. 25

B. Wirkungsverleihung de lege lata: Art. 9 III Rom I

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der Anwendung bestimmter, nunmehr kollisionsrechtlich berufener Sachnormen zu „berücksichtigen“. Ein solches Vorgehen hielt die deutsche Rechtsprechung bislang insbesondere im Rahmen der Generalklauseln des § 138 BGB28 und des § 826 BGB29, aber auch im Bereich des Leistungsstörungsrechts (§§ 27530, 313 BGB31) für möglich32. Im Folgenden ist nunmehr zu klären, ob und – wenn ja – inwieweit die Problematik der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen tatsächlich der Ebene des Sachrechts zuzurechnen und damit a priori dem europäischen IPR entzogen ist oder ob bei diesem Lösungsansatz nicht vielmehr doch eine herkömmliche kollisionsrechtliche Anwendungsentscheidung zugunsten eines ausländischen Rechtssatzes „hinter einer sachrechtlichen Nebelwand“ 33 getroffen wird, für die nunmehr der Anwendungsbereich der Rom-Verordnung grundsätzlich eröffnet ist. Zur Beantwortung dieser Frage soll zunächst die Überlegung dienen, dass bei der Anwendung einer Norm nur das berücksichtigungsfähig ist, was von deren Tatbestand vorausgesetzt wird und daher unter diesen subsumiert werden kann – sofern die Subsumtion erfolgreich ist, tritt die konkrete Rechtsfolge ein34. Während der Tatbestand einer Kollisionsnorm sowohl einen Rechtssatz als auch einen tatsächlichen Lebenssachverhalt voraussetzt, im Rahmen der Normanwendung also beides zu berücksichtigen ist35, setzt der Tatbestand einer Sachnorm ausschließlich tatsächliche Sachumstände voraus. Will man somit ausländische Eingriffsnormen im Rahmen der Anwendung einer Sachnorm in geschildertem Sinne berücksichtigen, so kann es von vornherein nur um deren tatsächliche, also faktische Auswirkungen gehen. 1. Berücksichtigung faktischer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen Rechtsnormen entfalten ihre rechtliche Verbindlichkeit gegenüber dem Normadressaten dann, wenn sie „gelten“, also von der gesetzgebenden 28

Hierzu insbesondere die sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 ff.) genannten Fälle. BGH NJW 1991, 634 (thailändisches Südafrikaembargo). 30 Vgl. etwa RGZ 91, 46 (47); 91, 260 (261-263); 93, 182 (184), dargestellt sub Kapitel 3 B.I.1 (S. 177); 161, 296 (300 f.) bzgl. § 306 BGB a.F.; BGH NJW 1973, 318 (320) bzgl. § 645 I S. 1 BGB. 31 BGH NJW 1984, 1746 („Iranischer Bierlieferungsfall”) mit Anm. Baum, RabelsZ 53 (1989), 152 (152-164). 32 Einen ausführlichen Überblick über die bisherige Rechtsprechung geben etwa Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 13-54; Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (402-409); einordnend Kuckein S. 75-83 jeweils m.N. 33 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (241). 34 Vgl. zu dieser Überlegung Schurigs „empirische“ Untersuchung zur Funktion einer kollisionsrechtlichen Verweisung, die auf grundlegenden Gedanken von Kegel aufbaut; hierzu Kapitel 1 B.III.2.a)cc) (S. 59) m.N. 35 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 1 B.III.2.a) (S. 53 ff., Stellungnahme S. 59 f.). 29

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Instanz mit einem imperativen Anwendungsbefehl ausgestattet sind. Diesen Anwendungsbefehl kann der jeweilige Staat nur im Rahmen seiner Souveränität treffen, so dass dessen rechtlicher „Wirkungskreis“ a priori limitiert ist und folglich für andere Staaten keine Verbindlichkeit entfalten kann36. Rechtlich verbindlich wird ein ausländischer Rechtssatz in einem anderen Staat somit erst dann, wenn dieser andere Staat den ausländischen Rechtssatz – oder genauer: dessen rationales Element – mit einem eigenen imperativen Element, dem Anwendungsbefehl, ausstattet und jenem auf diese Weise Rechtsverbindlichkeit im Rahmen seiner Souveränität zukommen lässt 37. Ist dies der Fall, entfaltet der ausländische Rechtssatz im Inland die gleiche rechtliche Wirkung wie ein vergleichbarer inländischer Rechtssatz38, anderenfalls bleibt es bei seiner „primären“ Unverbindlichkeit für das Forum. Dennoch lässt sich die Wirkung von Normen nicht auf diesen formalen Aspekt der Geltung reduzieren. Recht wird gelebt – es ist nicht nur Postulat, sondern wird im Idealfall auch eingehalten39. Wenngleich das Postulat, also das rationale Element eines fremden Rechtssatzes nach dem soeben Gesagten für uns mangels kollisionsrechtlicher Berufung keine Verbindlichkeit entfaltet, kann dennoch die konkrete Befolgung des Rechtssatzes durch den Adressaten als tatsächlicher Sachumstand im Rahmen des anwendbaren materiellen Rechts berücksichtigungsfähig sein. Zwar mag hierbei dem Umstand, dass der Rechtsadressat sein Handeln an diesem Rechtssatz aufgrund autonomer Überzeugung von dessen allgemeiner Verbindlichkeit ausrichtet40, bei der rechtlichen Beurteilung regelmäßig keine besondere Bedeutung zugesprochen werden, da wir den rationalen Gehalt eines ausländischen Rechtssatzes mangels Anwendung desselben eben nicht als verbindlich betrachten und das vermeintlich rechtstreue Verhalten der Partei folglich auch nicht an diesem Rechtssatz messen können. Recht wird jedoch nicht nur aus autonomer Überzeugung als Handlungsmaxime befolgt, sondern auch und möglicherweise sogar gerade 36

Hierzu und zum Folgenden Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 62 ff.). Deutlich Schurig S. 70-72; Kropholler § 31 I 1 (S. 212); Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 78; Kuckein S. 73 f. (m.w.N. in Fn. 57); Sonnenberger, FS Rebmann, 819 (827 f.); Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41 (84). 38 Vgl. etwa Kuckein S. 74. Wenngleich alleine dem rationalen Gehalt einer ausländischen Norm im Inland „zur Wirkung verholfen wird“, handelt es sich dennoch um die Anwendung ausländischen (und nicht etwa inländischen) Rechts, vgl. hierzu etwa Kropholler § 31 I 1 (S. 212); Schurig S. 72 Fn. 107. 39 Vgl. sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 66). 40 Kuckein S. 73 spricht in einem solchen Falle im Anschluss an Max Weber (Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 181-187) von „normativer“ oder „ideeller“ Geltung, wenngleich Geltung für Kuckein (a.a.O.) – abweichend von dem hier zugrunde gelegten positivistischen Verständnis – die Anerkennung einer Norm als verbindlichen Rechtssatz durch dessen Adressaten bedeutet. 37

B. Wirkungsverleihung de lege lata: Art. 9 III Rom I

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deswegen, weil der Erlassstaat die Macht hat, dieses etwa mit Hilfe von sanktionierenden Zwangsmaßnahmen (Beschlagnahme des Leistungsgegenstandes, strafrechtliche Verfolgung etc.) ebenfalls durchzusetzen41. In diesem Falle geht von dem nicht zur Anwendung berufenen Rechtssatz eine besondere tatsächliche Zwangswirkung auf den Rechtsadressaten aus, die über die herkömmliche Wirkung eines Rechtssatzes als verbindlich gewusste Handlungsmaxime hinausgeht und die einer eigenen rechtlichen Würdigung im Rahmen des anwendbaren Sachrechts zugänglich ist. Hierum geht es, wenn von der Berücksichtigung einer faktischen Wirkung eines ausländischen Rechtssatzes gesprochen wird42. Das Musterbeispiel43 für eine Berücksichtigung solcher faktischen Wirkungen bildet eine Entscheidung des RG aus der Zeit des 1. Weltkrieges, der folgender Sachverhalt zugrunde lag: Vor Kriegsbeginn schloss ein Deutscher mit einer englischen Gesellschaft aus Buenos Aires einen Vertrag über die Lieferung von Quebrachoextrakt, den zu erfüllen sich die englische Gesellschaft nach Ausbruch des Krieges aufgrund des englischen Handelsverbotes mit dem Feind außerstande sah. Auch wenn das RG eine Anwendung des englischen Trading with the Enemy Act 1914 zumindest aufgrund eines Verstoßes gegen den deutschen ordre public scheitern ließ 44, stellte dieses fest, dass es in casu nicht allein um die Frage nach einer kollisionsrechtlichen Anwendung dieses Gesetzes gehe, sondern auch um die faktischen Zwänge, welchen die Beklagte aufgrund des sanktionierten Verbotes unterliege und vor denen man bei der Anwendung deutschen Leistungsstörungsrechtes nicht „die Augen [...] verschließen“45 dürfe: „Und wenn [das Berufungsgericht] zu dem Ergebnis gelangt, daß das englische Gesetz mit seinen schweren Strafandrohungen, in Verbindung mit der strengen Zensur und den scharfen Kontrollmaßregeln der englischen Regierung, einen so starken Hinderungsgrund für die Erfüllung der Kontrakte seitens der Beklagten dargestellt hat, daß ihr diese billigerweise nicht zugemutet werden konnte, daß also Unmöglichkeit der Erfüllung vorlag, so hat es das englische Gesetz nicht angewendet sondern nur entschieden, ob dieses im Sinne des deutschen Rechtes ein Hindernis für die Vertragserfüllung gebildet, eine tatsächliche Unmöglichkeit für sie geschaffen hat“46. 41 Ausführlich Kuckein S. 73-75; ebenso von Bar/Mankowski § 4 Rn. 122; Baum, RabelsZ 53 (1989), 152 (158); Zimmer, IPRax 1993, 65 (67 f.). 42 Vgl. etwa Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 111; von Bar/Mankowski § 4 Rn. 122; Kuckein S. 72; Stoll S. 285, 287 f.; Zimmer, IPRax 1993, 65 (67 f.): bloße Beachtung der tatsächlichen Folgen einer fremden Eingriffsnorm; Baum, RabelsZ 53 (1989), 152 (157); Junker, JZ 1991, 699 (702); Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (285, 301-304): „aus einem Rechtssatz folgende[r] tatsächliche[r] Störungssachverhalt[]“ (S. 302); Vischer, FS Gerwig, 167 (183): „‚Realien’ des internationalen Rechtsverkehrs“. 43 Weitere Beispiele aus der deutschen Rechtsprechung für eine Berücksichtigung faktischer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen findet sich etwa bei Zimmer, IPRax 1993, 65 (67 f.); Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (402-409); Kuckein S. 76-79. 44 Bis zur Entwicklung des Nichtanwendungsgrundsatzes ausländischen Öffentlichen Rechts (Nachweis Fn. 6) folgte die Rechtsprechung der Schuldstatutstheorie, vgl. Fn. 515. 45 RGZ 93, 182 (184). 46 RGZ 93, 182 (184).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Ob und inwieweit solche faktischen Wirkungen eines in einem anderen Staat geltenden Rechtssatzes zu berücksichtigen sind, ist – da keine kollisionsrechtlichen Interessen bezüglich der Anwendung eines Rechtssatzes auf den Plan gerufen werden – alleine auf Ebene des kollisionsrechtlich berufenen Sachrechts47 zu entscheiden48. Aus diesem muss sich ergeben, ob die durch den fraglichen Rechtssatz und insbesondere durch die drohende Durchsetzung eventueller Sanktionen entstehende Zwangslage des Schuldners als tatsächlich zu berücksichtigender Sachumstand rechtliche Relevanz entfaltet, weil dieses Faktum unter den Tatbestand einer anzuwendenden Sachnorm subsumiert werden kann 49 und daher eine bestimmte sachrechtliche Rechtsfolge auslöst50. Die faktischen Wirkungen einer ausländischen Norm bilden hierbei einen auslandsbezogenen Sachumstand, der in einem reinen Inlandssachverhalt regelmäßig nicht vorliegt und insoweit eine hinsichtlich eines herkömmlichen Inlandssachverhaltes modifizierte Normanwendung erforderlich werden lässt, so dass die Berücksichtigung faktischer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen 47 Eine solche Berücksichtigung faktischer Wirkungen kann nicht nur im Rahmen des deutschen Rechts erfolgen, sondern auch bei der Anwendung einer ausländischen lex causae, sofern diese es gebietet. Dass in den von der deutschen Rechtsprechung entschiedenen Fällen die lex causae stets deutsches Recht war, wird von Kuckein S. 111 zu Recht als „zufällig“ beschrieben und trägt keinesfalls den Schluss, dass die beschriebene faktische Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen alleine im Rahmen der lex fori erfolgen könnte; treffend MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 608; Kuckein S. 111; Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (410); implizit auch Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325 (346 f.); (hinsichtlich Sittenwidrigkeit) Mankowski, RIW 1994, 688 (691). 48 Da im Rahmen des anwendbaren Sachrechts alleine Tatsachen berücksichtigt werden können – vgl. sub Kapitel 3 B.I (S. 175) –, müssen für eine sachrechtliche Würdigung faktischer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen jegliche weitergehenden normativen Kriterien unbeachtet bleiben. Daher kommt es – wie Zimmer, IPRax 1993, 65 (68) zutreffend ausführt – hierfür „nicht darauf an, ob der Verbotsstaat und der Gerichtsstaat übereinstimmende Interessen verfolgen; auch ist unerheblich, ob die Wertentscheidungen der lex fori mit jenen des Eingriffsstaates übereinstimmen. Wichtig ist demgegenüber, ob der fremde Staat die Macht hat, sein Verbot durchzusetzen; ferner, welche Folgen dies für die Leistungsbeziehungen der Parteien hat. Schließlich ist auch der Anwendungswille der fremden Norm von daher beachtlich, als von einer nicht anwendungswilligen Norm regelmäßig kein Leistungshindernis ausgehen wird“ (Hervorhebung im Original). 49 Anderegg S. 140 (und sich anschließend Kuckein S. 97) hält die Berücksichtigung faktischer Auswirkungen ausländischer Eingriffsnormen zutreffend für ein „Gebot der [sachrechtlichen] Gerechtigkeit [ebenso] wie die jedes anderen, denselben Effekt hervorrufenden, tatsächlichen Umstands“; ebenso Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (394). 50 So führten in den von der Rechtsprechung bislang zu entscheidenden Fällen faktische Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen einer deutschen lex causae zu der Annahme rechtlicher Unmöglichkeit, dem Wegfall der Geschäftsgrundlage oder auch einer sittenwidrigen Schädigung; vgl. hierzu die Nachweise sub Kapitel 3 B.I (S. 175).

B. Wirkungsverleihung de lege lata: Art. 9 III Rom I

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dem sachrechtlichen Problemfeld des Auslandssachverhaltes zuzuordnen ist51. Demgegenüber sehen manche52 das theoretische Fundament für die Unterscheidung von kollisionsrechtlicher Rechtsanwendung und faktischer Berücksichtigung auf sachrechtlicher Ebene in der von Ehrenzweig begründeten „Datum-Theorie“ 53. Nach diesem in Deutschland insbesondere von Ehrenzweigs langjährigem akademischen Weggefährten Jayme vertretenen Ansatz ist ausländisches Recht nicht nur kraft eines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls anwendbar, sondern auch als local oder moral data zur Konkretisierung einer kollisionsrechtlich berufenen Sachnorm, die ebenfalls die Rechtsfolgen aussprechen soll, zu berücksichtigen54. Wenngleich das Verhältnis dieses Ansatzes zur klassischen kollisionsrechtlichen Verweisungstechnik von Jayme offen gelassen wird55, handelt es sich bei der Berücksichtigung eines local oder moral data im Rahmen des anwendbaren Sachrechts bei Lichte betrachtet um eine herkömmliche Auslegung und Konkretisierung der anwendbaren Sachvorschriften aufgrund auslandsbezogener Besonderheiten, mithin um das bereits beschriebene Problemfeld des Auslandssachverhaltes 56, so dass die „Datum-Theorie“ allenfalls in terminologischer Hinsicht eine Besonderheit darstellt 57.

Demnach lässt sich festhalten: Die Berücksichtigung faktischer Wirkungen von ausländischen Eingriffsnormen erfolgt ausschließlich auf der Ebene des kollisionsrechtlich berufenen Sachrechts. Es ist keine Frage der Anwendung gerechten Rechts als Entscheidungsgrundlage, sondern alleine eine Frage der gerechten Lösung eines dem Richter vorgetragenen Sachverhalts, dessen Aufgabe es darstellt, faktische Wirkungen bestimmter Rechtsnormen als tatsächlichen Sachumstand anhand der für ihn verbind51 Ebenso Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (241 f.); MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 608 f.; allgemein von Hoffmann/Thorn § 1 Rn. 129. 52 Etwa Jayme, GS Ehrenzweig, 35 (37-49); von Bar/Mankowski § 4 Rn. 124; Baum, RabelsZ 53 (1989), 152 (160); Mülbert, IPRax 1986, 140 (141). 53 Hierzu etwa Ehrenzweig, Buffalo Law Review 16 (1966), 55 (55-60); ders., Private International Law, S. 75 ff. 54 Jayme, GS Ehrenzweig, 35 (37-49). 55 Vgl. etwa MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 608; von Hoffmann/Thorn § 1 Rn. 129. 56 Ausführlich hierzu MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 608 f.; von Hoffmann/Thorn § 1 Rn. 129; Schurig S. 312 f.; ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (241 f.); Kuckein S. 116 f.; Leifeld S. 158-160. 57 Diese Terminologie ist jedoch nicht glücklich gewählt, da sie – wie Zimmer, IPRax 1993, 65 (68) treffend herausstellt – „suggeriert, daß die fremden Normen als Tatsachen Berücksichtigung finden. [D]as hier widergegebene Verfahren [ist] jedoch besser beschrieben, wenn nicht die Rechtsnormen als Tatsachen bezeichnet werden, sondern wenn deutlich gemacht wird, daß die tatsächlichen Folgen des Bestehens dieser Rechtsnormen bei der materiellrechtlichen Beurteilung eines Falles beachtet werden“ (Hervorhebung im Original). Kritisch zur Terminologie auch Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (241): „esoterische Geheimniskrämerei“; MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 7: „irreführend“.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

lichen sachrechtlichen Entscheidungsgrundlage zu bewerten. Methodisch handelt es sich um ein Problem des Auslandssachverhaltes. 2. Berücksichtigung normativer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen Schwierigkeiten bereitet ein sachrechtlicher Lösungsansatz jedoch dann, wenn über die geschilderte Berücksichtigung tatsächlicher Sachumstände hinaus auch auf den rationalen Gehalt bestimmter ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen des anzuwendenden Sachrechts rekurriert und jenem zumindest zu „mittelbarer“ normativer Wirkung verholfen wird. So entschied der BGH mehrmals, dass ein deutschem Recht unterliegender Vertrag auch dann nach § 138 BGB sittenwidrig und damit nichtig sein kann, wenn die geschuldete Leistung gegen eine ausländische Embargobestimmung („Borax“-Entscheidung58, „Borsäure“-Entscheidung 59), gegen ein ausländisches Kulturgüterschutzgesetz („Nigerianische Masken“Entscheidung60) oder gegen ein ausländisches Strafgesetz („Schmiergeld“Entscheidung61) verstößt. In diesen Fällen beruhte der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht (alleine) auf tatsächlichen Sachumständen, sondern darauf, dass ausländische Verbotsgesetze verletzt wurden – denn diese konnten in den genannten Fällen, wie zuletzt Kuckein ausführlich herausgearbeitet hat, nicht hinweggedacht werden, ohne dass der konkrete Vorwurf der Sittenwidrigkeit entfiele62. Ausländische Eingriffsnormen wurden demnach nicht faktisch, sondern normativ „berücksichtigt“, und zwar insoweit, dass die Auslegung und Konkretisierung des Tatbestandes einer deutschen Generalklausel anhand ausländischer Rechtssätze erfolgte. Auch wenn ein solcher Ansatz unzweifelhaft über die faktische Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen im bereits geschilderten Sinne hinausgeht, eben weil auf den normativen Gehalt solcher Normen bei der Anwendung deutschen Rechts abgestellt wird, soll es sich nach Ansicht derer Vertreter63 dennoch um eine sachrechtliche, nicht jedoch um eine kollisi-

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BGH NJW 1961, 822. BGH NJW 1962, 1436. 60 BGH NJW 1972, 1575. 61 BGH NJW 1985, 2405. 62 Ausführlich hierzu Kuckein S. 79-83; zu der „Testfrage“ nach der Zugehörigkeit zur Fallgruppe der normativen Berücksichtigung Kuckein S. 75; bereits Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (301 Fn. 2). Letztlich handelt es sich hierbei um eine Spezifikation der von Kegel und Schurig herausgearbeiteten „Untersuchung zur Funktion einer kollisionsrechtlichen Verweisung“, da die Fragestellung darauf abzielt, die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Eintritt der konkreten Rechtsfolgen zu bestimmen; näher hierzu Kapitel 1 B.III.2.a)cc) (S. 59). 63 Nachweise vgl. Fn. 27. 59

B. Wirkungsverleihung de lege lata: Art. 9 III Rom I

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onsrechtliche Lösung handeln64, da die normative Berücksichtigung nur „mittelbar“65 erfolge. So führt etwa Mankowski aus, dass einem solchen Ansatz das ausländische Recht „nicht als normativ angewendetes Recht, sondern allein als Ausdruck bestimmter Interessen“ diene; relevant sei „nicht die ausländische Rechtsnorm als solche, sondern, ob das mit ihren Wertungen und Zwecken geschützte Rechtsgut auch Schutzgut des deutschen Rechts ist. Das deutsche Recht fragt sich selber, ob es jene Schutzzwecke aufnimmt und mit diesen übereinstimmend Schutz gewähren will. Damit schützt man nicht ein öffentliches Interesse in Bezug auf fremde Staaten, sondern eben ein eigenes deutsches Interesse“ 66. Eine solche Begründung vermag indes nicht zu überzeugen. Abgesehen davon, dass methodisch nicht zu erklären ist, wie ein (zumal gar nicht kollisionsrechtlich berufener) ausländischer Rechtssatz eine Generalklausel des deutschen Sachrechts konkretisieren soll67, liegt diesem Ansatz offenbar die Vorstellung zugrunde, dass gewissen Rechtsgütern eine voroder besser überstaatliche Bedeutung zukommt68 und allenfalls deren konkrete Ausgestaltung von den nationalen Rechtsordnungen bestimmt wird – denn nur auf dieser Ebene lässt sich begründen, warum ein Rechtsgut einer ausländischen Rechtsordnung zugleich auch Schutzgut unserer Rechtsordnung sein kann. Eine solche Ansicht, die – zumindest im Bereich des „klassischen“ Zivilrechts – stets mit dem Namen Savigny verbunden

64 Deutlich von Bar/Mankowski § 4 Rn. 127-129; ders., RIW 1994, 688 (690 f.); ders., RIW 1996, 8 (9 f.); Palandt-Heldrich (67. Auflage) Art. 34 EGBGB Rn. 5 (hält jedoch jegliche Berücksichtigung einer ausländischen Eingriffsnorm auf sachrechtlicher Ebene – auch wenn hierbei auf ihren normativen Gehalt abgestellt wird, vgl. die Beispiele in Rn. 5 – für eine „faktische Berücksichtigung“ und verortet diese somit ausschließlich auf der Ebene des Sachrechts); Baum, RabelsZ 53 (1989), 152 (155); Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41 (78 f.); Schäfer, FS Sandrock, 37 (52); Sonnenberger, FS Rebmann, 819 (836 f.); Heini, ZSchweizR 100 (1981), 65 (80 f., 83); Mann, FS Beitzke, 607 (608 f.): „Wenn [...] eine Vereinbarung nichtig ist, die auf die beabsichtigte Verletzung des Rechts eines Kulturstaates gerichtet ist, so beruht dies auf dem maßgeblichen materiellen deutschen Recht, nicht auf Kollisionsrecht, insbesondere nicht auf dem deutschen ordre public“; ebenso Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 33, 38. 65 BGH NJW 1972, 1575 (1576); ebenso von Bar/Mankowski § 4 Rn. 129; Baum, RabelsZ 53 (1989), 152 (155): Das ausländische Gesetz werde „lediglich mittelbar, quasi durch den Filter des deutschen Sachrechts, [...] herangezogen“. 66 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 129; vgl. auch ders., RIW 1994, 688 (690); ders., RIW 1996, 8 (9 f.). 67 So auch Schiffer S. 98 f.; ders., ZVglRWiss 90 (1991), 390 (396) – freilich geht Schiffer zu weit, weil er auch eine Berücksichtigung faktischer Wirkungen einer ausländischen Eingriffsnorm – hierzu sub Kapitel 3 B.I.1 (S. 175 ff.) – ausschließen will (vgl. hierzu die insoweit berechtigte Kritik von Stoll S. 288 f.). 68 Von dieser Vorstellung geht zumindest von Bar (in: von Bar/Mankowski § 3 Rn. 6) aus, hierzu ausführlich Kapitel 1 B.III.1.a) (S. 41 ff.) m.w.N.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

wird69, geht jedoch fehl, und dies insbesondere im Bereich von gemeinwohlbezogenen Schutzgütern: Ein Schutzgut existiert zum einen nicht a priori losgelöst von einer Rechtsordnung, sondern ergibt sich erst aus den jeweils anwendbaren Vorschriften, also erst ex lege. Wenn wir jedoch nicht bereit sind, die das Schutzgut konstituierenden Normen zur Anwendung zu bringen, so ist auch dieses für uns a priori rechtlich bedeutungslos und kann daher schwerlich zur Begründung eines eigenen deutschen Interesses herangezogen werden, wie es etwa Mankowski vorschlägt. Zum anderen scheitert ein solcher Ansatz bereits daran, dass Normen, die öffentliche Interessen wahrnehmen (wie dies bei den hier relevanten Verbotsnormen der Fall ist), einer „Universalisierung“ – wie möglicherweise bereits Savigny erkannte70 – auch theoretisch gar nicht zugänglich sein können71. Denn diese verwirklichen öffentliche Interessen des jeweiligen Erlassstaates, so dass das durch diese Normen konstituierte Schutzgut auch stets auf das jeweilige Gemeinwesen bezogen sind – vergleichbare Schutzgüter verschiedener Rechtsordnungen mögen sich daher vielleicht ähneln, keinesfalls sind sie jedoch identisch, so dass sie sich, wie zumindest insoweit zu Recht bemerkt wurde72, der „internationalen Fungibilität“ entziehen. So haben beispielsweise die einzelnen nationalen Kartellrechte nicht den Markt als solchen zum Schutzgut, sondern aufgrund ihrer Gemeinwohlbezogenheit stets den nationalen. Damit „definieren“ die einzelnen Staaten jedoch – entgegen Mankowski – unterschiedliche Rechtsgüter, die im Regelfall nicht zugleich Schutzgut eines anderen Staates sind (es sei denn, ein Staat nimmt explizit öffentliche Interessen eines anderen Staates wahr, schützt also etwa auch einen ausländischen Markt durch Ausbildung materiellen Sonderrechts, hierzu sogleich). Möglich erscheint indes, dass es sich bei dem fraglichen Schutzgut um ein aus unserer Sicht universell zu schützendes Rechtsgut handelt73. In diese Richtung tendiert auch Mankowski, wenn er zur Begründung eines deutschen Interesses etwa bei den vom RG entschiedenen Schmuggelfällen auf den „Schutz der allgemeinen Rechtstreuepflicht“ oder auf eine „Sanktion gegen Rechtsauflehnung“ abstellt74. Wenngleich dies zunächst plausibel klingen mag, weil wir das Recht eines anderen Staates auch dann als „Recht“ anerkennen, wenn wir nicht bereit sind, es anzuwenden, gilt indes zu bedenken, dass die Rechtsprechung keinesfalls jede 69 Ob zu Recht, sei dahingestellt; vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.1.a)aa) (S. 42 f.) und Kapitel 1 B.III.2.a)bb) (S. 57). 70 Unterstellt man Savigny, dass dieser von einem konkreten Rechtsverhältnis als Gegenstand des IPR ausgegangen ist (vgl. sub Kapitel 1 B.III.2.a)bb) (S. 57)), so wäre die Herausnahme der „Gesetze von streng positiver, zwingender Natur“ aus dem IPR konsequent, da diese in der Tat keine „allgemein gültigen“, „internationalen“ und möglicherweise vorstaatlichen Rechtsgüter konstituieren. 71 So auch Großfeld/Junker, CoCom, S. 132, 152: „Staatsinteressen [sind] nicht [internationalisierbar]“. 72 Hierzu Kapitel 1 B.III.1.a) (S. 41 ff., vgl. die Nachweise in Kapitel 1 Fn. 187). 73 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (242). 74 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 129; vgl. auch ders., RIW 1994, 688 (690).

B. Wirkungsverleihung de lege lata: Art. 9 III Rom I

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denkbare Rechtsauflehnung als solche sanktionierte 75, sondern nur dann, wenn in concreto ein bestimmtes ausländisches Gesetz verletzt wurde76. Dann greift man jedoch gerade auf diejenigen normativen Kriterien zurück, anhand derer der jeweilige Erlassstaat seine konkreten Interessen definiert, und trägt damit bei der Berücksichtigung im nationalen Recht auch diesen Rechnung.

Berücksichtigen wir demnach den rationalen Gehalt einer ausländischen gemeinwohlbezogenen Norm, so tragen wir den materiellen Interessen eines fremden Staates Rechnung, nicht unseren eigenen77. Zwar schließt diese Feststellung nicht die Möglichkeit einer sachrechtlichen Lösung aus, doch bedeutete ein solcher Weg dann nach dem bisher Gesagten denknotwendig die Ausbildung materiellen Sonderrechts für einen Sachverhalt mit Auslandsbezug, welches öffentlichen Interessen anderer Staaten Rechnung tragen müsste. Abgesehen davon, dass einem solchen Ansatz zahlreiche Bedenken entgegenstünden78, hat die Rechtsprechung diesen Weg indes überhaupt nicht eingeschlagen79: Die Ausbildung materiellen Sonderrechts 75

Ansonsten könnte man wohl keinen Vertrag mehr für wirksam erachten, da auch ein nach unserer Sicht sozialadäquates Verhalten irgendwo auf der Welt verboten sein mag. 76 Dies verkennt Mankowski, vgl. von Bar/Mankowski § 4 Rn. 29; ders., RIW 1994, 688 (691). 77 Treffend führt Chr. von Bar, IPR (Band 1), § 4 Rn. 265 aus: „Von ‚Schmuggel’ oder ‚Bestechung’ reden die deutschen Gerichte schließlich, weil ausländische Verbotsgesetze umgangen werden. Oder: Hat in dem Masken-Beispiel das Herkunftsland nichts gegen den Export solcher Kulturgüter einzuwenden, ist es im Gegenteil froh über die Devisen, die auf diese Weise ins Land kommen, dann haben auch wir keinen Anlaß, den im Übrigen identischen Vorgang der ‚Kulturgutausplünderung’ für sittenwidrig anzusehen. Maßgeblich bleibt also die Stellungnahme des Verbotslandes“ und folglich dessen Interessen, die der jeweilige Staat anhand eines solchen Gesetzes definiert. 78 Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, wäre ein solcher Ansatz zum einen insbesondere im Bereich gemeinwohlorientierter Normen wenig sinnvoll (sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 14 f.)), zum anderen auch praktisch undurchführbar (sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 67 f.)). Zudem weckte ein solches Vorgehen im nationalen Recht schon deswegen Bedenken, weil es in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen offensichtlich keine ausformulierten deutschen Normen gab, die in diesem Sinne ausländischen öffentlichen Interessen Rechnung trugen (und die dann i.V.m. § 134 BGB zur Nichtigkeit des Vertrages geführt hätten) und solche schwerlich im Rahmen von § 138 BGB als Generalklausel für außerrechtliche Wertungen entwickelt werden könnten (ganz abgesehen davon, dass eine hierfür notwendige sachrechtliche Regelungslücke auch gar nicht begründet werden könnte). 79 Ein solcher Weg wäre seit Inkrafttreten der Rom-Verordnungen auch gar nicht mehr gangbar. Hätten wir Sonderrecht für einen Auslandssachverhalt, das öffentliche Interessen anderer Staaten wahrnehmen würde, könnten solche Rechtssätze aufgrund der von ihnen implizierten kollisionsrechtlichen Gemeininteressen nicht unter das Vertragsstatut qualifiziert werden, so dass allenfalls eine statutsunabhängige Sonderanknüpfung in Betracht käme. Eine solche kann aber nach obigen Ausführungen nur noch für Normen erfolgen, die dem Interesse des jeweiligen Erlassstaates Rechnung tragen; vgl. hierzu Kapitel 2 B.I.1 (S. 130 f.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

müsste anhand autonomer materiellrechtlicher Wertungen für den speziellen Auslandssachverhalt erfolgen, was in den durch die Rechtsprechung entschiedenen Fällen bereits deswegen nicht geschah, weil bei deren Lösung stets auf einen existenten ausländischen Rechtssatz als Entscheidungsgrundlage abgestellt wurde, also gerade nicht auf (ad hoc zu bildende) nationale Gerechtigkeitserwägungen. Entfällt somit auch diese Möglichkeit als Erklärungsversuch für den Ansatz der Rechtsprechung, so kann die sachrechtliche „Berücksichtigung“ normativer Wirkungen bestimmter ausländischer Rechtssätze funktional gar nicht auf der Ebene des Sachrechts verortet werden. Scheidet eine (rein) sachrechtliche Lösung aus, so muss die „Berücksichtigung“ normativer Wirkungen bestimmter ausländischer Normen eine kollisionsrechtliche Entscheidung zugunsten eines bestimmten Rechtssatzes darstellen 80 , denn tertium non datur. Darauf weist bereits eine formale Betrachtung des Tatbestandes der von der deutschen Rechtsprechung de facto geschaffenen Norm hin, bei dessen Anwendung nicht nur tatsächliche Elemente, sondern eben auch ein fremder Rechtssatz zu berücksichtigen sind – damit liegt formal der Tatbestand einer Kollisionsnorm vor, der im Unterschied zu einer Sachnorm zusätzlich zu tatsächlichen Sachumständen eben auch einen Rechtssatz voraussetzt. Zudem wandte die Rechtsprechung nicht irgendwelche Rechtssätze an, sondern diejenigen, die sie zur konkreten Falllösung – nach welchen Kriterien auch immer – für angemessen hielt81. Solche Erwägungen sind jedoch auf das 80 So treffend bereits Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (203) und Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (301): Der materiellrechtliche Ansatz verkennt, „daß gesetzeswidrig nur ein Rechtsgeschäft sein kann, das gegen ein vom Richter anzuwendendes Gesetz verstößt, und daß der bloße Verstoß gegen ein vom Richter gerade nicht anzuwendendes Gesetz als solcher auch nicht sittenwidrig ist“; ebenso Schurig, Lois d’application immédiate, 55 (74); ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (242 f.); Chr. von Bar, IPR (Band 1), § 4 Rn. 265-267; Schulte S. 37-48; Schwander S. 93; Brüning S. 149 f.; Zeppenfeld S. 52-56; Stoll S. 285 f.; Beulker S. 73 f.; Kuckein S. 120; Lorenz, RIW 1987, 569 (581); Schubert, RIW 1987, 729 (737); Hentzen, RIW 1988, 508 (509); Junker, JZ 1991, 699 (701). 81 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (242) führt hierzu treffend aus: „Es muß überdies eine von uns anerkannte Verknüpfung gegeben sein: Verböte zum Beispiel ein afrikanischer Staat den Export von Kulturgut aus allen afrikanischen Staaten, so kämen wir sicher nicht auf die Idee, nur deswegen einen die Ausfuhr aus einem anderen Staat voraussetzenden Vertrag als sittenwidrig und nichtig zu behandeln“ (Hervorhebung im Original); ebenso Brüning S. 150. Besonders deutlich wird eine kollisionsrechtliche Auswahl bestimmter, im Rahmen von § 138 BGB sachrechtlich zu „berücksichtigender“ Verbotsgesetze bei Piehl, RIW 1988, 841 (842 f.), der hierfür schlicht auf die kollisionsrechtlichen Anwendungskriterien (enge Verbindung, inhaltliche Überprüfung) abstellt (und hierbei auf die Ansätze von von Bar und Lorenz als jeweilige Vertreter einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung verweist, vgl. a.a.O. Fn. 22).

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Für und Wider der Anwendung eines Rechtssatzes gerichtet, nicht auf die konkrete materielle Lösung eines Lebenssachverhaltes, so dass auch der Sache nach eine kollisionsrechtliche Entscheidung getroffen wurde, mag diese auch „versteckt“ im Rahmen einer Generalklausel erfolgt sein82. Die materiellrechtliche Berücksichtigung normativer Wirkungen ausländischer Normen im Rahmen von Generalklauseln des Sachrechts stellt damit einen kollisionsrechtlichen Lösungsansatz dar, welcher „dogmatisch unsauber unter falscher Etikette läuft“83. Freilich handelt es sich hierbei nicht um eine Kollisionsnorm im klassischen Sinne: Sie ist „eingebaut“ in den materiellrechtlichen Kontext des § 138 BGB, und zwar genauer auf Ebene des Tatbestandes dieser Norm 84. Dieser wurde um eine kollisionsrechtliche Komponente erweitert, die alleine auf den Tatbestand (und nicht auf die Rechtsfolgen) eines ausländischen Rechts verweist, die Rechtsfolge ergibt sich aus § 138 BGB (und ist damit auf die Nichtigkeit beschränkt85). Der BGH hat somit eine sachrechtlich-kollisionsrechtliche „Hybridnorm“ 86 geschaffen, deren Rechtsfolge „Nichtigkeit“ dann eintritt, wenn „gegen eine im konkreten Fall wegen ihrer Verknüpfung für uns beachtliche ausländische zwingende Norm verstoßen“87 wird.

Demnach lässt sich festhalten: Einer normativen „Berücksichtigung“ ausländischer Eingriffsnormen liegt eine – zumindest implizit getroffene – originäre kollisionsrechtliche Entscheidung zugrunde und erfolgt damit nicht ausschließlich auf der funktionalen Ebene des Sachrechts. 3. Zwischenergebnis Sachrechtlich verorten lässt sich die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen ausschließlich dann, wenn es um die Berücksichtigung faktischer 82

Lorenz, RIW 1987, 569 (581) sieht in diesem Vorgehen des BGH zu Recht eine Entscheidung, die „auf (nicht näher ausgeformten) kollisionsrechtlichen Grundsätzen über die Anwendung drittstaatlicher Eingriffsnormen“ beruht; ebenso bereits Wiethölter, BerGesVR 7 (1967), 133 (166, 168): „Kollisionsrecht in statu nascendi“. Daher lässt sich mit Zeppenfeld S. 55 von einer in § 138 BGB „versteckten Kollisionsnorm“ sprechen; ebenso bereits Schulte S. 39: „In Wirklichkeit [...] ist hier eine unentdeckte Kollisionsnorm im Gewande von § 138 BGB versteckt“; ders. S. 41: BGH hat „kollisionsrechtliche Überlegungen in § 138 BGB versteckt“. 83 Hentzen, RIW 1988, 508 (509). 84 Ausführlich hierzu Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (242 f.); Brüning S. 149-152; Kuckein S. 117-123. 85 Kritisch hierzu etwa Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 87; Lorenz, RIW 1987, 569 (581); Kuckein S. 122; allgemein zu der Beachtlichkeit der Rechtsfolgen ausländischer Eingriffsnormen sub Kapitel 3 C.II.5 (S. 261 ff.). 86 Kuckein S. 117 spricht von einer „gemischt kollisionsrechtlich-sachrechtliche[n] Lösung“, Schurig, Lois d’application immédiate, 55 (74); ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (243) von einer „gemischten Norm“. 87 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (243). Inwieweit ein solches Vorgehen unter Geltung der Rom-Verordnung überzeugen kann, siehe sub Kapitel 3 C.II.5 (S. 262).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Wirkungen ausländischer Normen geht. Die hierbei auf den Plan gerufenen Interessen sind alleine materiellrechtlicher Natur, da zu klären ist, auf welche Weise tatsächliche Sachumstände rechtlich zu bewerten sind. Dies ist Aufgabe des kollisionsrechtlich berufenen Sachrechts, so dass sich die Berücksichtigung faktischer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen dem Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen als kollisionsrechtliche Materien a priori entzieht. Demgegenüber setzt die normative „Berücksichtigung“ ausländischer Eingriffsnormen eine originäre kollisionsrechtliche Anwendungsentscheidung zugunsten eines bestimmten ausländischen Rechtssatzes voraus, so dass eine solche grundsätzlich in den Anwendungsbereich des europäischen Kollisionsrechts fällt. Welche Bedeutung Art. 9 III Rom I hierfür entfaltet, ist im Folgenden zu klären. II. Regelungsgehalt des Art. 9 III Rom I bezüglich der kollisionsrechtlichen Berufung ausländischer Eingriffsnormen 1. Bedeutung der Wirkungsverleihung Wenngleich die von Art. 9 III Rom I verwendete Terminologie der Wirkungsverleihung bestimmter Normen missverständlich ist, da Wirkungen von Rechtssätzen faktischer und normativer Natur sein können, bezieht sich Art. 9 III Rom I alleine auf die geschilderte normative „Berücksichtigung“ bestimmter Normen. Abgesehen davon, dass eine andere Sichtweise Art. 9 III Rom I vollständig seiner Bedeutung berauben würde, da die Rom I-Verordnung als kollisionsrechtliche Materie keine verbindlichen Aussagen über die konkrete Anwendung des Sachrechts treffen könnte88, geht die von Art. 9 III Rom I gewählte Formulierung der Wirkungsverleihung bereits nach ihrem Wortlaut über eine schlichte faktische Berücksichtigung bestimmter Normen hinaus, wie ein Vergleich mit Art. 17 Rom II – der expressis verbis die faktische Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln zum Gegenstand hat – zeigt. Auch macht ein „Verleihen“89 bestimmter Wirkungen als aktiver Vorgang nur Sinn, wenn die Wirkungen nicht von vornherein etwa als tatsächliche Sachumstände bestehen, sondern erst „geschaffen“ werden, wie dies bei normativen Wirkungen ausländischer Rechtssätze, die nicht aus eigener Kraft in andere Staaten „hineinwirken“ können, geschehen muss. Dass Art. 9 III Rom I dennoch nicht die herkömmliche Formulierung der Normanwendung (vgl. etwa Art. 2 Rom I) gebraucht, dürfte seinen Grund in dem vom europäischen Gesetzgeber für die Eingriffsnormenproblematik zugrunde gelegten rechtstheoretischen Konzept der unmittelbar anwend88

Insoweit wäre Art. 9 III Rom I als rein deklaratorische Vorschrift zu verstehen. Die englische Sprachfassung spricht von: „effect may be given“, die französische von: „il pourra également être donné effet“. 89

B. Wirkungsverleihung de lege lata: Art. 9 III Rom I

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baren Sachnormen haben90: Will man dem rationalen Gehalt von Normen, die in ihrem Erlassstaat ohne zwischengeschalteten kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl anwendbar sind, bei der Beurteilung eines Sachverhaltes zur Wirkung verhelfen, so kann man diese Norm nach einem solchen Konzept freilich nicht einfach mit einem eigenen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl berufen, also im herkömmlichen Sinne anwenden, sondern muss diejenigen Wirkungen, welche diese Normen in dem jeweiligen Erlassstaat entfalten, auf das Inland erstrecken, also solche Wirkungen mit einem eigenen Hoheitsbefehl für das Inland „verleihen“. Lehnt man jedoch das rechtstheoretische Konzept der unmittelbar anwendbaren Sachnormen ab, so bestehen keine Schwierigkeiten, den von Art. 9 III Rom I etwas umständlich umschriebenen Vorgang als herkömmliche kollisionsrechtliche Anwendung bestimmter als Eingriffsnormen erkannter Bestimmungen zu begreifen91. Damit wird jedoch wiederum die Frage aufgeworfen, welches Rechtsregime diesen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl nunmehr für ausländische Eingriffsnormen ausspricht: das nationale oder das europäische Kollisionsrecht? 2. Herkunft des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls Möglich erscheint, entsprechend der hinsichtlich der Eingriffsnormen der lex fori vertretenen Ansicht, davon auszugehen, dass der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl zugunsten ausländischer Eingriffsnormen von Seiten des nationalen Rechts des Forums ausgesprochen wird. Insoweit nähme Art. 9 III Rom I wiederum die Funktion einer Öffnungsklausel wahr: nationale Kollisionsnormen könnten diese „passieren“, sofern sie die von Art. 9 III Rom I vorausgesetzten Kriterien erfüllten92. Eine solche Ansicht ist jedoch mehr als fraglich. Tragendes Argument der Befürworter eines nationalen Anwendungsbefehls für Eingriffsnormen der lex fori stellt die (zudem fehlerhafte) Annahme dar, Art. 9 I Rom I überließe den nationalen Staaten nicht nur die Definition ihrer öffentlichen Sachinteressen, sondern darüber hinaus auch die kollisionsrechtliche 90

Vgl. hierzu Kapitel 2 A.I (S. 104 ff., insbesondere Kapitel 2 Fn. 7). Im Ergebnis ebenso MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 54. 92 So etwa ausdrücklich Sonnenberger, FS Kropholler, 227 (243): Eingriffsnormen „‚können’, müssen aber nicht angewendet werden. Der Forumstaat entscheidet folglich selbst, er legt selbst die Anwendungskriterien [im Rahmen der Öffnungsklausel] fest [...]“; MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 47, 57; ebenso Freitag, Einfach und international zwingende Normen, 167 (189); wohl auch Roth, FS Kühne, 859 (876 f.): Art. 9 III Rom I begrenze „die Kompetenz des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts, drittstaatliche Eingriffsnormen iSv Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO abweichend von den durch die Verordnung vorgegebenen Kollisionsnormen zur Anwendung zu bringen, stellt es aber in das Ermessen des mitgliedstaatlichen Rechts, ob im Rahmen der gesetzten Schranken drittstaatliche Eingriffsnormen überhaupt angewendet werden sollen“ (Hervorhebung im Original). 91

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Behandlung ihrer „wichtigen“ Bestimmungen, so dass Art. 9 I, II eine kodifikationsinterne Beschränkung des Anwendungsbereichs der Rom IVerordnung verkörpere93. Wenngleich Art. 9 I Rom I als Legaldefinition des auch von Art. 9 III gebrauchten Begriffs der Eingriffsnorm ebenfalls im Rahmen dieses Absatzes Beachtung findet94, kann jene Argumentation indes keinesfalls auf Kollisionsnormen zugunsten ausländischer Eingriffsnormen übertragen werden, da der angeblich von Abs. 1 bezeichnete kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl des Erlassstaates als Akt eines fremden Souveräns für den Forumrichter a priori keine Verbindlichkeit entfalten kann. Einen für diesen verbindlichen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl könnte bei Zugrundelegung der Prämisse eines nationalen Anwendungsbefehls ausschließlich das jeweilige mitgliedstaatliche Forum aussprechen, für dessen Zulässigkeit der Wortlaut des Art. 9 I Rom I jedoch keinerlei Hinweise enthält, da dieser allenfalls den von Seiten des jeweiligen Erlassstaates beigefügten kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl der Eingriffsnorm, keinesfalls jedoch einen nationalen Anwendungsbefehl des Forums zugunsten dieses ausländischen Rechtssatzes bezeichnet. Eine mitgliedstaatliche Kompetenz zum Erlass solcher Kollisionsnormen könnte sich folglich alleine aus Art. 9 III Rom I ergeben. Einen diesbezüglichen Hinweis enthält möglicherweise Satz 1, der in der Tat keinen verbindlichen Anwendungsbefehl konstituiert, sondern schlicht bestimmt, dass bestimmten Eingriffsnormen Wirkung verliehen werden kann. Hieraus ließe sich folgern, Art. 9 III 1 Rom I stelle den einzelnen Mitgliedstaaten frei, einen solchen – dann nationalen – kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl auszusprechen. Diese Sichtweise ist jedoch nicht zutreffend: Satz 2, der die Kriterien der Anwendungsentscheidung konkretisiert, macht deutlich, dass diese Entscheidung keinesfalls den nationalen Legislativinstanzen überlassen sein soll, sondern dass diese der Rechtsanwender, also insbesondere der jeweils zuständige Richter zu treffen hat. Art. 9 III 2 Rom I sieht Kriterien vor, anhand derer eine Anwendungsentscheidung ad hoc für den konkreten Einzelfall entwickelt werden kann, so dass Art. 9 III Rom I der Charakter einer ausfüllungsbedürftigen – und von Seiten der Judikative auch auszufüllenden – Generalklausel zukommt. Dass der anhand dieser von der Rom I-Verordnung selbst festgesetzten Kriterien gewonnene kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl jedoch nationalen Ursprungs sein soll, ist kaum vorstellbar, zumal sich nicht nur die Kriterien für die konkrete Anwendungsentscheidung aus Art. 9 III ergeben, sondern auch die Frage, welche Bestimmungen auf diese Weise berufen werden können (Art. 9 III i.V.m. Abs. 1). Berücksichtigt man 93 94

Ausführlich hierzu Kapitel 2 A.III.2 (S. 114 ff.). MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 112.

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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weiter, dass der Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung ebenso für ausländische Eingriffsnormen eröffnet ist95, dass eine umfassende Kompetenz auch zur Regelung dieser Materie besteht96 und dass sich – nach hier vertretener Ansicht – ferner der Anwendungsbefehl für Eingriffsnormen der lex fori aus dem europäischen Kollisionsrecht ergibt97, so kann sich der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl zugunsten ausländischer Eingriffsnormen ebenfalls nur aus dem europäischen IPR ergeben. 3. Zwischenergebnis Art. 9 III Rom I hat die kollisionsrechtliche Anwendung bestimmter ausländischer Eingriffsnormen zum Gegenstand. Es handelt sich hierbei um eine ausfüllungsbedürftige Generalklausel des europäischen Kollisionsrechts, deren Konkretisierung durch den jeweils zuständigen Richter zu einem originär „europäischen“ kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl führt.

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I Auch wenn Art. 9 III Rom I die kollisionsrechtliche Anwendungsentscheidung zugunsten ausländischer Eingriffsnormen in das Belieben des Richters zu stellen scheint, gewährt jene Vorschrift diesem kein echtes diskretionäres Ermessen98. Die Judikative ist an Recht und Gesetz gebunden und hat dieses zur Beurteilung des ihr vorgetragenen Lebenssachverhaltes zugrunde zu legen. Findet sie keine geeignete Entscheidungsgrundlage vor, so ist eine solche im Wege einer systemkonformen – und damit keinesfalls „willkürlichen“ – Rechtsfortbildung zu entwickeln. Hierfür bedarf es jedoch wiederum der Klärung, ob nunmehr ausländische Eingriffsnormen einem besonderen kollisionsrechtlichen Zweitsystem zu unterstellen sind, das eigenen Anknüpfungsgrundsätzen unterworfen ist, oder ob auch diese im „klassischen“ IPR-System verortet werden können, so dass der benötigte kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl anhand der herkömmlichen Methodik zu entwickeln wäre.

95

Hierzu allgemein Kapitel 2 A.III.1 (S. 113 f.); speziell für ausländische Eingriffsnormen kann neben dem weiten Wortlaut des Art. 1 I Rom I insoweit auch auf Art. 9 III Rom I abgestellt werden, der die Problematik ausländischer Eingriffsnormen ausdrücklich als Regelungsmaterie innerhalb der Rom I-Verordnung verortet. 96 Hierzu bereits Kapitel 2 A.III.2.b) (S. 120, vgl. auch Kapitel 2 Fn. 58). 97 Ausführlich hierzu sub Kapitel 2 A.III (S. 113 ff., abschließende Stellungnahme S. 119 ff.). 98 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (628).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

I. Kollisionsrechtliches Zweitsystem für ausländische Eingriffsnormen Die in Kapitel 1 dargestellte Schwierigkeit, die Eingriffsnormenproblematik innerhalb des herkömmlichen IPR zu verorten, findet ihre Fortsetzung bei der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen. Geht man davon aus, dass sich Eingriffsnormen dem herkömmlichen IPR entziehen und einem besonderen kollisionsrechtlichen Zweitsystem zu unterstellen sind, so bestehen im Grunde zwei Möglichkeiten: Entweder behält man dieses Zweitsystem im Anschluss an Savigny alleine Normen der lex fori vor99 – ein Ansatz, den zumindest im theoretischen Ausgangspunkt bislang der BGH mit seiner Weigerung, ausländisches „Öffentliches Recht“ zur Anwendung zu bringen, verfolgt100 –, oder man überträgt die für die lex fori entwickelten Anknüpfungsgrundsätze ebenfalls auf ausländische Eingriffsnormen. Letzterer Weg wurde erstmals von Wengler beschritten und firmiert spätestens seit einer kurze Zeit später erschienenen Arbeit von Zweigert unter dem Begriff der „Sonderanknüpfung“101 ausländischer Eingriffsnormen. Dieser Ansatz, der nach verbreiteter Ansicht auch Art. 9 III Rom I zugrunde liegen soll 102, ist zunächst näher darzustellen, bevor im Anschluss daran die Frage zu beantworten bleibt, ob die Lehre der Sonderanknüpfung ebenfalls Bedeutung bei der Konkretisierung des Art. 9 III Rom I entfalten kann. 1. Die Lehre von der Sonderanknüpfung a) „Anwendungswilligkeit“ als Anknüpfungspunkt der kollisionsrechtlichen Berufung Theoretischer Ausgangspunkt der bislang in Deutschland wohl überwiegend vertretenen Lehre von der Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen103 bildet die bereits geschilderte Annahme, Eingriffsnormen 99

Savigny, System (Band 8), S. 32-37, 275 f. Nachweis vgl. Fn. 5; ebenso etwa von Bar/Mankowski § 4 Rn. 122-129. 101 Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (289); Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (173) selbst sprach noch von „gesondert anzuknüpfen[den]“ Rechtsfragen, also von einer gesonderten Anknüpfung, die jedoch nichts mit der von Schurig vorgeschlagenen Anknüpfungsmethode zu tun hat (Nachweis vgl. Fn. 183), da sich letztere innerhalb des herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen Systems bewegt. 102 Etwa MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 115; Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 652; ders., IPRax 2009, 109 (114 f.); Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 80; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 56, 99, 121 f.; Erman-Hohloch Anh II Art. 26 EGBGB Art. 9 Rom I Rn. 26; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (542); Kienle Rn. 189; Hauser S. 111. 103 Zur alten Rechtslage etwa: Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 141144; Erman-Hohloch (2008) Art. 34 EGBGB Rn. 24; Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 89-92; ders., RabelsZ 38 (1974), 396 (413-419); Hk-BGB/Staudinger 100

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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entzögen sich dem herkömmlichen Anknüpfungssystem des IPR und müssten daher als besondere Normkategorie im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems anhand deren – notfalls mittels materieller Kriterien zu ermittelnden – „Anwendungswillens“ zur Anwendung gebracht werden104. Obgleich dieser bereits auf Savigny zurückgehende Ansatz105 ursprünglich dazu diente, eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung von Normen der lex fori zu begründen, machte zuerst Wengler darauf aufmerksam, dass die alleinige Berücksichtigung inländischer Eingriffsnormen insbesondere dem äußeren Entscheidungseinklang als Ideal des IPR abträglich sei106, und forderte, die hinsichtlich der Behandlung von inländischem Eingriffsrecht entwickelten Grundsätze auf die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen zu übertragen107. Zum Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Berufung ausländischer Eingriffsnormen wurde damit – wie Wengler selbst erkannte – ein eigentlich „in der logischen Reihenfolge zuletzt stehende[r]108, aber dafür um so leichter verständliche[r] Satz“, dass

(6. Auflage) Art. 34 EGBGB Rn. 18; Kropholler § 3 II (S. 18-24); § 52 X 3 (S. 506-510); Neuhaus § 4 II, IV (S. 32-37, 40 f.); Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 81-96; Stoll S. 206, 299-303, 362; Neumayer, BerGesVR 2 (1958), 35 (50 f., 53 f.); ders., RabelsZ 25 (1960), 649 (653 f.); Lorenz, RIW 1987, 569 (578 f., 581); Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 286 (299 f.); Berger, ZVglRWiss 96 (1997), 316 (331); Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (9 f., 23, 38); ebenso die Vertreter der „politischen Schule“, vgl. etwa Joerges, RabelsZ 36 (1972), 421 (468); ders., RabelsZ 43 (1979), 6 (34-39, 57); Rehbinder, JZ 1973, 151 (155, 156 f.); Wiethölter, BerGesVR 7 (1967), 133 (160-162). Für das schweizerische Recht etwa Vischer, RabelsZ 53 (1989), 438 (445, 450). 104 Näher hierzu Kapitel 1 B.II (S. 8 ff.). 105 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.1.a)aa) (S. 42 f.). 106 Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (171, 181); ebenso Zweigert, FS Kiel, 124 (128); beide stützen den Grund für eine Anwendung ausländischer Eingriffsnormen zudem auf den „Gedanken der internationalen Rechtshilfe“ (Wengler a.a.O. (181 f.)) bzw. der comitas (Zweigert a.a.O.), den die Vertreter der „politischen Schule des IPR“ aufgriffen und weiter ausbauten, indem sie forderten, jedem ausländischen Gesetzgeber müsse es zustehen, den räumlichen Anwendungsbereich seines „politischen“ Rechts, seiner policy, zu bestimmen; hierzu näher sub Kapitel 1 B.III.2 (S. 51 f.) und Kapitel 3 C.I.2.b)aa) (S. 201 f.). 107 Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (171, 181 f.). Sich kurze Zeit später anschließend Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (283-307). Zur Entstehung der Sonderanknüpfung Kuckein S. 132-134, der zutreffend auf deren „zwei unterschiedliche Wurzeln“ hinweist: zum einen der auf Savigny zurückgehende Ansatz, zum anderen derjenige der „politischen Schule des IPR“ (zu letzterem vgl. Fn. 106). 108 Da der fremde „Geltungswille“ als ausländische Kollisionsnorm regelmäßig bei einer Gesamtverweisung im Rahmen des renvoi – also im Anschluss an die autonome kollisionsrechtliche Anwendungsentscheidung – zu prüfen ist.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Eingriffsrecht „stets im Rahmen seines eigenen örtlichen Geltungswillens anzuwenden“ sei109. Wenngleich diese Aussage bei der Behandlung inländischer Eingriffsnormen leicht verständlich sein mag, da es sich bei dem von Wengler bezeichneten (internationalen) Anwendungs- oder Geltungswillen einer Norm schlicht um eine spezielle einseitige Kollisionsnorm der lex fori handelt, die der Richter, gebunden an Recht und Gesetz, ggf. als lex specialis vorrangig zur Anwendung zu bringen hat 110 , bereitet dessen Übertragung auf die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen doch gewisse Schwierigkeiten, da der Richter an den imperativen Anwendungsbefehl eines fremden Staates a priori nicht gebunden sein kann111. Soll dieser für das Forum Verbindlichkeit entfalten, so bedarf es folglich eines eigenen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls des Forumstaates, welcher die Anwendung dieser – für den Forumrichter a priori nicht verbindlichen – ausländischen Kollisionsnorm anordnet und die fragliche Sachnorm somit mittelbar – nämlich „vermittelt“ durch eine ausländische Kollisionsnorm – beruft. Ein solches Vorgehen bedeutet indes einen Bruch mit dem herkömmlichen kollisionsrechtlichen Anknüpfungssystem 112: Wie sich besonders anschaulich anhand Schurigs Bündelungsmodells zeigen lässt, ist jenes autonomistisch-multilateralistisch aufgebaut, da unsere Kollisionsnormen in- und ausländische Normen anhand einer autonomen kollisionsrechtlichen Interessenabwägung für die jeweilige Norm zur Anwendung bringen113. Wird – wie erstmals von Wengler postuliert – der Anwendungswille, also eine einseitige Kollisionsnorm eines ausländischen Staates, zum maßgeblichen Anknüpfungspunkt unseres kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls erhoben, so treffen – zumindest im Ausgangspunkt – nicht wir eine autonome kollisionsrechtliche Abwägungs- und damit Gerechtigkeitsentscheidung für die fragliche ausländische Sachnorm, sondern überlassen diese einem fremden Staat, dessen kollisionsrechtlicher Gerechtigkeitsvorstellung wir anhand eines eigenen imperativen Anwendungsbefehls zur Geltung verhelfen; damit wenden wir m.a.W. die fragliche ausländische Sachnorm nicht mehr deswegen an, weil wir 109

Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (183), (Hervorhebung im Original); Wengler selbst verwendet den Terminus Eingriffsrecht noch nicht, er spricht schlicht von zwingendem (Schuld-) Recht. 110 Siehe hierzu Kapitel 1 B.II.1 (S. 10 ff.). 111 Hierzu bereits sub Kapitel 3 B.I.1 (S. 175). Vgl. auch schon Gamillscheg, RabelsZ 23 (1958), 819 (834). 112 Ausführlich hierzu insbesondere Schurig S. 323-328; ders., Lois d’application immédiate, 55 (66-72); ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (236 f.); Kegel/Schurig § 6 V 2 (S. 324); ebenso Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (8 f.); Mäsch S. 134 Fn. 26; Brüning S. 171; Wördemann S. 332; Kuckein S. 137; Schubert, RIW 1987, 729 (734). 113 Siehe Kapitel 1 B.III.3.a) (S. 84 ff.).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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dies anhand einer eigenen kollisionsrechtlichen Interessenbewertung für „gerecht“ befinden, sondern deshalb, weil dies ein ausländischer Staat für „gerecht“ befindet und wir uns dessen kollisionsrechtliche Entscheidung zu eigen machen. Einem solchen Ansatz mögen sogar gewisse universalistische Tendenzen zugrunde liegen114, in erster Linie stellt er jedoch einen (partiellen, da nur auf den Bereich der Eingriffsnormen beschränkten) Übergang zu einem unilateralistischen und damit normativ anders strukturierten System dar115, weil wir die inhaltlich maßgebliche kollisionsrechtliche Anwendungsentscheidung nicht einer eigenen, sondern einer ausländischen Kollisionsnorm entnehmen. Den strukturellen Unterschied zwischen multilateralistischen und unilateralistischen Kollisionsnormsystemen hat insbesondere Schurig eingehend untersucht116. Er stellt heraus, dass die entscheidende Divergenz in der Ausrichtung der von ihm sogenannten „Kollisionsgrundnormen“ liegt, deren Existenz daraus folgt, dass wir auch fremdes Kollisionsrecht als Recht anerkennen und insoweit einer kollisionsrechtlichen „Grundentscheidung“ seitens des Forumstaates bedürfen, welches der ebenfalls „konkurrierenden“ nationalen Kollisionsrechte inhaltlich zur Anwendung zu bringen ist117. Hierbei handelt es sich um eine notwendige Entscheidung eines jeden rechtsetzenden souveränen Staates, der (ausdrücklich oder konkludent) bestimmen muss, welches Recht in seinem Souveränitätsbereich „gilt“. In einem herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen kollisionsrechtlichen System verweisen diese „Kollisionsgrundnormen“ stets auf die eigenen Kollisionsnormen, die wiederum eine autonome kollisionsrechtliche Entscheidung zugunsten in- und ausländischer Normen treffen 118. Anders im Rahmen eines reinen unilateralistischen Systems: Hier verweisen die „Kollisionsgrundnormen“ im Regelfall alleine „gezielt“ auf diejenigen Kollisionsnormen der lex fori, welche den internationalen Anwendungsbereich von inländischen Sachnormen festlegen, hinsichtlich ausländischer Normen jedoch grundsätzlich „ungezielt“ auf alle „anwendungswilligen“ ausländischen Kollisionsnormen119, die sich somit trotz ihrer durch die Souveränität der einzelnen Staaten beschränkten „Wirkungsreichweite“ zur Anwendung bringen kön-

114 Vgl. Schurig S. 189, 324; Schubert, RIW 1987, 729 (734): Der „Lehre von der Sonderanknüpfung, gleich welcher Schattierung, [liegt] zunächst ein universalistischunilateralistisches Konzept zugrunde“, sie „basiert auf einer völkerrechtlichen bzw. supranationalen Konzeption“, a.a.O. (735). Besonders deutlich wird eine solche Tendenz bei Kreuzer, Stoll und Neumayer (vgl. Fn. 129), die dem fremden Anwendungswillen am weitesten entgegenkommen, indem sie die autonomen Einschränkungen (hinsichtlich des räumlichen Anwendungsbereiches) praktisch auf eine völkerrechtliche „Kompetenzprüfung“ reduzieren. 115 Deutlich Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 92; vgl. zu dem mit der Sonderanknüpfungslehre verbundenen methodischen Bruch insbesondere die in Fn. 112 Genannten. 116 Schurig S. 73-77; ders., Lois d’application immédiate, 55 (67 f.). 117 Schurig S. 73. 118 Näher hierzu Schurig S. 75 f. 119 Dieser Grundsatz wird freilich regelmäßig anhand weiterer autonomer Kriterien eingeschränkt, siehe sub Kapitel 3 C.I.1.c) (S. 195 f.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

nen 120. Gesteht man Art. 9 III Rom I eine Abschlussfunktion zu121, so wäre ein mögliches unilateralistisches Teilsystem freilich auf den jeweiligen Erfüllungsort begrenzt und insoweit a priori stark eingeschränkt.

b) Konstitutiver Charakter materiellrechtlicher Kriterien Will man ausländische Eingriffsnormen im Rahmen eines so verstandenen kollisionsrechtlichen Zweitsystems zur Anwendung bringen, bedarf es einer genauen Kennzeichnung derjenigen ausländischen Bestimmungen, deren Anwendungswille uns Anlass zur kollisionsrechtlichen Berufung ist. Diese erfolgt nach den Vertretern der Sonderanknüpfungslehre anhand bestimmter, in vielfältigen Facetten vertretener materiellrechtlicher Kriterien, welche die Grenze zwischen beiden Systemen markieren. Wenngleich diese Kriterien den bereits dargestellten entsprechen 122 , kommt diesen jedoch eine andere Bedeutung zu, als ihnen bei der Behandlung inländischer Eingriffsnormen zugeschrieben wird: Dienen materiellrechtliche Kriterien hier alleine123 dazu, einen vom Gesetzgeber nicht explizit geäußerten kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl herzuleiten 124 , also einen solchen (systemwidrig) durch Rechtsfortbildung zu gewinnen, so können jene keinerlei Bedeutung entfalten, wenn der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl – wie im Falle der „selbstgerechten Sachnorm“ – bereits explizit geäußert ist; dann setzt sich dieser verbindliche Anwendungsbefehl des Forums unabhängig davon durch, ob die Norm zusätzlich noch eine gewisse materiellrechtliche Normstruktur vorweist oder eben nicht. Eine andere, darüber hinausgehende Bedeutung entfalten materiellrechtliche Kriterien für die kollisionsrechtliche Berufung ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems: Da dessen Vertreter nur einen partiellen Wechsel zu einem unilateralistischen System propagieren, andererseits jedoch jeder ausländischen Sachnorm vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen ein kollisionsrecht120

Schurig S. 76. Näher hierzu sub Kapitel 3 D.I.1 (S. 265 ff.). 122 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.2.c) (S. 22 ff.). 123 Vgl. aber den (abzulehnenden) Ansatz von Beulker (Nachweis vgl. Kapitel 1 Fn. 61), die auch bei inländischen Eingriffsnormen im formalen Sinne zusätzlich materielle Kriterien fordert. Zur – ebenfalls abzulehnenden – Bedeutung materieller Kriterien als Rechtfertigungsgrund zur Durchsetzung nationaler Kollisionsnormen (im Rahmen von Art. 9/16 Rom I/II als eingriffsrechtliche „Öffnungsklauseln“) vgl. Kapitel 2 A.II (S. 106 f.); zu den damit einhergehenden Problemen Kapitel 2 A.II.2 (S. 111 ff.). 124 Regelmäßig verkürzt wird dies, wenn die materiellen Kriterien schlicht zur Begründung einer statutsunabhängigen Anknüpfung herangezogen werden – eine solche kann nur anhand eines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls erfolgen und dieser muss bestimmt werden. Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 1 B.II.2.b) (S. 20 f.; vgl. auch Kapitel 1 Fn. 77). 121

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licher Anwendungsbefehl des Erlassstaates zugeordnet ist (mag diese auch im Rahmen einer „gebündelten“ allseitigen Kollisionsnorm „versteckt“ sein), kann ein explizit geäußerter Anwendungswille alleine keinesfalls ausreichen, eine ausländische Norm auf diesem Wege zur Anwendung zu bringen – sie muss daher darüber hinaus auch dem kollisionsrechtlichen Zweitsystem zuzuordnen sein, so dass die materiellen Kriterien insoweit konstitutive Bedeutung für die Durchsetzung ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen eines solchen Systems entfalten. Notwendige Voraussetzung für die Anwendung einer ausländischen Eingriffsnorm im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems ist damit nicht nur deren „Anwendungswilligkeit“, sondern ebenfalls die nach den Vertretern dieser Ansicht anhand materieller Kriterien zu bestimmende Zugehörigkeit zu diesem besonderen System125. c) Autonome Einschränkungen Wenngleich die Lehre der Sonderanknüpfung den Anwendungswillen einer ausländischen Eingriffsnorm zum maßgeblichen Anknüpfungspunkt nimmt, so gehen doch nahezu alle Vertreter bezüglich der bisherigen Rechtslage davon aus, dass man sich keinesfalls dem fremden Anwendungsanspruch vollständig „ausliefern“ könne, und ziehen – quasi auf zweiter Stufe – dem fremden Anwendungsanspruch autonome Grenzen126. Die hierzu vertretenen Ansichten sind zahlreich, lassen sich aber unter zwei Gesichtspunkten gruppieren: Zum einen wird verlangt, dass eine bestimmte „enge Verbindung“ des Sachverhaltes zu dem Erlassstaat besteht, zum anderen wird eine gewisse Inhaltskontrolle des sonderanzuknüpfenden Rechtssatzes vorgenommen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit soll im Folgenden ein kurzer Überblick über die im Rahmen des nationalen Rechts vertretenen autonomen Einschränkungen gegeben werden127. aa) Ausreichend enge Verbindung zum Erlassstaat Zur Abwehr exorbitanter Geltungsansprüche ausländischer Staaten wird regelmäßig eine gewisse Kontrolle des von einem ausländischen Staat gezogenen kollisionsrechtlichen Anwendungsbereichs durchgeführt. 125 Deutlich etwa Berger, ZVglRWiss 96 (1997), 316 (331), der die Zugehörigkeit der fraglichen Norm „zu den Eingriffsnormen“ als erstes Kriterium einer Sonderanknüpfung betrachtet; vgl. auch Lorenz, RIW 1987, 569 (581); (darstellend) Kreuzer, Parteiautonomie und fremdes Außenwirtschaftsrecht, 89 (98 f.). 126 Hierzu etwa Kropholler § 3 II 2 (S. 19-21); Mäsch S. 164 spricht insoweit anschaulich von einer „Notbremse“. 127 Für eine weitergehende Darstellung sei verwiesen auf: von Bar/Mankowski § 4 Rn. 106-109; Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 62-65; Fetsch S. 29-33; Brüning S. 166 f.; Kuckein S. 135 f.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Welcher Gestalt diese jedoch sein muss, darüber herrschte bislang keine Einigkeit 128 . Die geringsten Anforderungen hierfür werden etwa von Kreuzer aufgestellt, der in einer Art „Evidenzkontrolle“ alleine prüfen will, ob die durch das Völkerrecht gezogenen Grenzen gewahrt wurden129. Demgegenüber betont bereits Wengler das vielfach verlangte Erfordernis einer „genügend enge[n] Beziehung“ zwischen Sachverhalt und Erlassstaat130, die etwa Zweigert für die von ihm untersuchte Sonderanknüpfung von Leistungsverboten dahingehend konkretisiert, dass „die den Leistungsvorgang vermittelnde Wertbewegung sich ganz oder zum Teil im Gebiet des Verbotslandes abspielt“131. Stellt man auf eine „enge Verbindung“ ab, so ist das Tor zu einer autonomen Bewertung der kollisionsrechtlichen Interessen seitens des Forums aufgestoßen. Eine solche wird besonders deutlich von denjenigen Vertretern vorgenommen, die auf eine entsprechende Anwendung des Auswirkungsprinzips132 rekurrieren und damit de facto zu einer originären kollisionsrechtlichen Anwendungsentscheidung gelangen – womit andererseits die strengsten Anforderungen beschrieben wären.

128 Vgl. hierzu (jeweils m.w.N.) etwa von Bar/Mankowski § 4 Rn. 106; Zeppenfeld S. 95 f.; Stoll S. 276-278, 315-320; Fetsch S. 30 f.; Beulker S. 95 f. Geht man mit der hier vertretenen Ansicht – vgl. sub Kapitel 3 C.I.2 (S. 198 ff.) und Kapitel 3 C.II (S. 210 ff.) – davon aus, dass eine Anwendungsentscheidung ausschließlich auf einer autonomen Interessenbewertung beruht, so ist die Prüfung der „kollisionsrechtlichen Legitimität“ (so Kuckein S. 93 bezüglich der Prüfung einer „engen Verbindung“ im Rahmen der Sonderanknüpfung) freilich entbehrlich, weil diese bereits Bestandteil der Anwendungsentscheidung ist; näher hierzu sub Kapitel 3 C.II.3 (S. 231 ff.). 129 Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 91 f.; (sich berufend auf) Stoll, RabelsZ 24 (1959), 601 (635 f.), der davon ausgeht, dass es „bei der Bestimmung des internationalen Anwendungsbereichs öffentlich-rechtlicher Normen mit Privatrechtswirkung um eine Abgrenzung der staatlichen Machtsphären“ geht. Ähnlich auch Neumayer, RabelsZ 25 (1960), 649 (655), der auf einen materiellen Territorialitätsbegriff abstellt und „fremde zwingende Rechtsnormen außerhalb der Grenzen des Erlaßstaates“ dann zur Anwendung bringen will, „wenn der vom Normzweck angeschaute Tatbestand sich in der vom Gesetzgeber des Erlaßstaates innerhalb der durch Völkerrecht abgesteckten Grenzen seiner Gesetzgebungsmacht zu ordnenden Sozialsphäre in wesentlichen Teilen verwirklicht hat“. Ob dem Völkerrecht jedoch wirklich „Grenzen der extraterritorialen Rechtssetzung“ (Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 91) zu entnehmen sind, darf bezweifelt werden; hierzu näher Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 62 ff.) und Kapitel 3 C.I.2.b)aa) (S. 201 ff.), skeptisch auch Basedow, JZ 1986, 1053 (1054). 130 Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (185 f.); ebenso auf eine „enge Verbindung“ abstellend Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 143; Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 95; Erman-Hohloch (2008) Art. 34 EGBGB Rn. 24; Kropholler § 52 X 3 (S. 506); Berger, ZVglRWiss 96 (1997), 316 (331). 131 Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (295); ders., FS Kiel, 124 (127 f.). 132 Etwa Lorenz, RIW 1987, 569 (582); Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (24-27, 38).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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Geht man davon aus, dass eine Sonderanknüpfung nur dann erfolgen kann, wenn dies nach unseren eigenen kollisionsrechtlichen Kriterien angemessen ist, so bleibt von dem unilateralistischen Ausgangspunkt, dass die kollisionsrechtliche Entscheidung einem fremden Staat zu überlassen sei, allerdings nur die „äußere Hülse“ 133 übrig. Dennoch bewegen wir uns weiterhin in einem normativ anders strukturierten System: Denn unsere autonome Interessenbewertung bildet nicht den Grund für die Anwendung dieser Norm, sondern ausschließlich den Grund für ihre Nichtanwendung, wohingegen es sich mit dem ausländischen Anwendungswillen umgekehrt verhält 134.

bb) Inhaltskontrolle Regelmäßig wird für eine Sonderanknüpfung darüber hinaus verlangt, dass der zu berufende Rechtssatz gewisse inhaltliche Kriterien erfüllt. Auch hier divergieren die Ansichten135: Dem ausländischen Anwendungsbefehl am weitesten entgegen kommen diejenigen, die eine Sonderanknüpfung alleine am ordre public scheitern lassen wollen136, mehrheitlich wird jedoch verlangt, dass das Forum die Wertungen des ausländischen Gesetzes teilt (sog. shared values approach)137, wobei hierzu nicht nur auf nationale Wertungen abgestellt wird, sondern teilweise auch auf „internationalisierbare“ oder „international typische“138. Die strengsten Anforderungen werden von denjenigen aufgestellt, die ausländische Eingriffsnormen nur dann anwenden wollen, wenn diese die Interessen des Forumstaates fördern139. Da die Inhaltskontrolle ausländischer Eingriffsnormen indes kein Spezifikum der Sonderanknüpfungslehre darstellt, sondern „quer“ durch nahezu alle methodischen Ansätze vertreten wird, ist diese an späterer Stelle darzustellen und näher einzuordnen – auf die dortigen Ausführungen sei daher verwiesen140.

133 Schurig S. 326; Schubert, RIW 1987, 729 (735) spricht insoweit von einem „nicht aufzulösenden inneren Widerspruch“. 134 In Anlehnung an Kuckein S. 141. 135 Folgende Übersicht orientiert sich an der systematisierenden Einteilung von Fetsch S. 31; weitergehende Darstellungen (jeweils m.w.N.) finden sich bei von Bar/Mankowski § 4 Rn. 107 f.; Wördemann S. 337-344; Zeppenfeld S. 97 f.; Stoll S. 278-281, Stellungnahme S. 320-325; Fetsch S. 31, 70-74; Beulker S. 96-98; Kuckein S. 88-96, 143-145; vgl. hierzu auch sub Kapitel 3 C.II.4.a) (S. 235 ff.). 136 So zunächst Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (197, 211); anders aber später RGRK-Wengler (Band VI 1) S. 530 f.; ders., RabelsZ 47 (1983), 215 (250 f.). 137 Nachweise vgl. sub Kapitel 3 C.II.4.a)aa) (S. 236 ff.). 138 Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (291) – näher hierzu Fn. 299; ähnlich auch Drobnig, FS Neumayer, 159 (174, 178): „Übereinstimmung mit einem allgemein beachteten Interesse aller Völker“. 139 Nachweise vgl. Fn. 315. 140 Näher hierzu sub Kapitel 3 C.II.4.a) (S. 235 ff.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

d) Zusammenfassung Die Sonderanknüpfungslehre zeichnet sich dadurch aus, dass sie Eingriffsnormen einem kollisionsrechtlichen Zweitsystem unterstellt, welches – zumindest im Ausgangspunkt – aufgrund der primären Anknüpfung an einen ausländischen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl als maßgebliches Kriterium der Anwendungsentscheidung einen unilateralistischen Ansatz verfolgt. Auf zweiter Ebene werden autonome Einschränkungen gezogen, die jedoch teilweise einer autonomen kollisionsrechtlichen Abwägungsentscheidung entsprechen und dem grundsätzlichen unilateralistischen Ansatz ein – eigentlich systemfremdes – autonomistisches Element hinzufügen141. 2. Übertragbarkeit der Sonderanknüpfungslehre auf Art. 9 III Rom I Im Folgenden ist nunmehr zu untersuchen, ob die soeben beschriebenen Anknüpfungsgrundsätze ebenfalls im Rahmen des Art. 9 III Rom I heranzuziehen und ggf. anhand unionsrechtlicher Vorgaben weiter zu konkretisieren sind. Dies weckt freilich von vornherein Bedenken: Wenn wir Eingriffsnormen der lex fori innerhalb des herkömmlichen IPR verorten können, warum bedarf es dann eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems für die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen? a) Vorgaben des Wortlauts von Art. 9 Rom I Eine Durchsetzung ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen eines unilateralistischen Zweitsystems wäre zunächst dann erforderlich, wenn der europäische Gesetzgeber dies Art. 9 III Rom I zugrunde gelegt hätte. Art. 9 III Rom I enthält hierfür indes aufgrund seines offenen Wortlauts keine näheren Hinweise, setzt jedoch als Tatbestandsmerkmal den in Art. 9 I Rom I legaldefinierten Begriff der Eingriffsnormen voraus, der nach allgemeiner Ansicht keinesfalls nur Eingriffsnormen der lex fori, sondern auch ausländische Eingriffsnormen zu beschreiben versucht142. Da Abs. 1 nach seinem Wortlaut vordergründig für die Qualifikation als Eingriffsnorm auf die Sicht des jeweiligen Erlassstaates abzustellen scheint, wird hieraus wohl regelmäßig geschlossen, dass wir ausländische Eingriffsnormen anhand ihres „Anwendungswillens“ zur Anwendung bringen müssen 143. Wie jedoch bereits hinsichtlich der Behandlung inländischer Eingriffsnormen ausgeführt144, ist ein solches Verständnis des Wortlautes keineswegs 141

Zu Art. 7 I EVÜ ausführlich Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (8-10). Vgl. nur MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 112; Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 633. 143 So zumindest im Ergebnis die in Fn. 102 Genannten. 144 Vgl. ausführlich sub Kapitel 2 A.III.2.a) (S. 114 ff.). 142

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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zwingend. Dass der jeweilige Erlassstaat der als Eingriffsnorm erkannten Sachnorm auch deren kollisionsrechtliche Behandlung „bestimmen“ kann, lässt sich alleine auf zwei Hinweise im Wortlaut stützen: Zum einen darauf, dass die fragliche Norm selbst „ihren Anwendungsbereich“ regelt, zum anderen darauf, dass hinsichtlich der von Art. 9 I Rom I vorgesehenen materiellen Kriterien auf die subjektive Sichtweise des Erlassstaates abgestellt wird. Hieraus nun zu folgern, der jeweilige Erlassstaat könne (für uns verbindlich) die kollisionsrechtliche Behandlung seiner wichtigen Normen festlegen, wäre jedoch zu kurz gegriffen, da ersteres Tatbestandsmerkmal – wie bereits dargelegt145 – aufgrund der vom europäischen Gesetzgeber Art. 9 Rom I zugrunde gelegten Konzeption der unmittelbaren Sachnormen alleine den sachrechtlichen, nicht jedoch den internationalen Anwendungsbereich der fraglichen Norm beschreibt – eine Bedeutung, an der nach hier vertretener Ansicht auch im Rahmen eines anderen kollisionsrechtlichen Systems festgehalten werden kann. Aber auch wenn man dem nicht folgen und in diesem Tatbestandsmerkmal den internationalen Anwendungsbereich der fraglichen Norm beschrieben sehen will, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass es sich um denjenigen internationalen Anwendungsbereich handeln muss, den der Erlassstaat für diese Norm vorgesehen hat – es könnte sich ebenfalls um denjenigen internationalen Anwendungsbereich handeln, den wir dieser Norm aufgrund einer eigenen, also autonomen kollisionsrechtlichen Interessenabwägung zugestehen. Ebenso wenig kann aus dem zweiten Hinweis, Art. 9 I Rom I stelle hinsichtlich der materiellen Struktur einer Eingriffsnorm auf die jeweilige Sichtweise des Erlassstaates ab, zwingend der Schluss gezogen werden, dass dieser auch die kollisionsrechtliche Behandlung der fraglichen Norm für uns verbindlich anordnen könnte. Zweifellos unterliegt die sachrechtliche Festlegung, welche Bedeutung eine Sachnorm für die „Wahrung seines öffentlichen Interesses“ hat, jedem Erlassstaat, nur ist damit – da wir die sachrechtliche Bedeutung einer Norm von deren kollisionsrechtlicher Behandlung trennen müssen146 – keinesfalls eine Aussage über letztere getroffen, insbesondere nicht darüber, ob wir diese autonom treffen können oder uns diejenige des Erlassstaates zu eigen machen müssen. Dass wir den fremden „Anwendungswillen“ zum Anknüpfungspunkt unserer „Kollisionsgrundnorm“ zu nehmen haben, ließe sich allenfalls wieder darauf stützen, dass der europäische Gesetzgeber von einer kollisionsrechtlich unmittelbar „durchschlagenden“ Wirkung unmittelbar anwendbarer 145

Hierzu Kapitel 2 A.III.2.a)aa) (S. 114 ff.). Allgemein hierzu Kapitel 1 B.II.2.a) (S. 18 f.), speziell im Hinblick auf die vom Tatbestand des Art. 9 I Rom I vorgesehene finale Verknüpfung von materiellen Normzwecken und kollisionsrechtlicher Behandlung sub Kapitel 2 A.III.2.a)bb) (S. 115 ff.). 146

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Sachnormen ausgegangen ist, so dass auch dem jeweiligen Erlassstaat zwangsläufig die kollisionsrechtliche Behandlung „seiner“ Eingriffsnormen obliegen müsse. Dem stehen jedoch zwei Bedenken gegenüber: Zum einen wäre eine solche Sichtweise nicht zwingend, wenn wir – was noch zu klären sein wird 147 – anhand einer autonomen kollisionsrechtlichen Interessenbewertung für die fragliche ausländische Sachnorm eine ihr angemessene, also ihren materiellen Normzwecken Rechnung tragende Anknüpfung zur Verfügung stellen können, wie dies im Rahmen der Eingriffsnormen der lex fori möglich ist 148 . Zum anderen besteht die Besonderheit des Art. 9 I Rom I gerade darin, dass sich dieser erstmals um eine autonome Definition in- und ausländischer lois d’application immédiate bemüht, da sich die hierfür maßgeblichen Kriterien alleine aus dem europäischen Recht ergeben. Dies bedeutet indes eine deutliche Abkehr von dem Regelungsgehalt der Vorgängernorm, die hinsichtlich der Qualifikation als ausländische Eingriffsnorm auf die Sichtweise des jeweiligen Erlassstaates abstellte: Nach Art. 7 I EVÜ konnten „zwingenden Bestimmungen des Rechts eines anderen Staates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, Wirkung verliehen werden, soweit diese Bestimmungen nach dem Recht des letztgenannten Staates ohne Rücksicht darauf anzuwenden sind, welchem Recht der Vertrag unterliegt“. Art. 9 I Rom I definiert eine Eingriffsnorm demgegenüber nunmehr als zwingende Vorschrift, die bestimmte, von Art. 9 I selbst aufgestellte materielle Kriterien erfüllen muss, so „dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden“ sind. Damit ist jedoch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der europäische Gesetzgeber – zumindest soweit es seine Ausgangsprämisse zulässt – autonom die Kriterien für die Durchsetzung solcher ausländischer Normen aufstellen und damit auch auf deren kollisionsrechtliche Wirkungen – wiederum soweit es seine Ausgangsprämisse zulässt – Einfluss nehmen will. Vor diesem Hintergrund erscheint es daher näherliegend, dass der europäische Gesetzgeber bei Zugrundelegung der zutreffenden rechtstheoretischen Grundannahme die notwendige Entscheidung über die angemessene kollisionsrechtliche Anknüpfung nicht dem jeweiligen Erlassstaat überließe, sondern autonom träfe. Damit lässt sich festhalten: Der Wortlaut von Art. 9 III, I Rom I verlangt keinesfalls, dass ausländische Eingriffsnormen anhand ihres „selbstformulierten Anwendungswillens“ im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems zur Anwendung gebracht werden müssen. Da die Vorschrift – entgegen Art. 7 I EVÜ – für die Definition einer Eingriffs147

Siehe sub Kapitel 3 C.I.2.b)bb) (S. 203 ff.). Hierzu Kapitel 2 A.III.2.a)bb) (S. 115 ff.) und insbesondere Kapitel 2 A.III.3 (S. 123 ff.). 148

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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norm auf autonome Kriterien abstellt, erscheint sogar das Gegenteil indiziert. b) Notwendigkeit eines unilateralistischen kollisionsrechtlichen Zweitsystems? Die entscheidende Frage bei dieser Ausgangslage ist somit, ob eine zwingende Notwendigkeit besteht, ausländische Eingriffsnormen im Rahmen eines unilateralistischen Teilsystems zur Anwendung zu bringen. aa) Universalistische Erklärungsansätze Eine Ursache für die Annahme eines unilateralistischen IPR-Systems liegt in der Vorstellung begründet, dass dem IPR nicht – wie hier vertreten – die Aufgabe zukommt, einen eigenen – funktional abgrenzbaren – Beitrag zur Verwirklichung der (in einem weiteren Sinne verstandenen) zivilrechtlichen Gerechtigkeit zu leisten, sondern eine Kompetenzabgrenzung verschiedener Staaten vorzunehmen, so dass jeder Staat in seinem „Kompetenzbereich“ abschließend und auch für andere Staaten verbindlich über das anwendbare Recht entscheiden könne149. Insbesondere die internationalistische Schule stützte sich insoweit auf nicht existente völkerrechtliche Vorgaben, da sie – wie bereits dargelegt150 – fehlerhaft davon ausging, in der Anwendung fremden Rechts – möglicherweise sogar gegen den „Willen“ des Erlassstaates – könne eine Souveränitätsverletzung liegen. Wenngleich dieser völkerrechtliche Ansatz heute im Wesentlichen überwunden ist151, lebt doch die Vorstellung teilweise weiter, jeder Staat müsse mit seinem IPR autonom – möglicherweise auch nur für den Teil-

149

So insbesondere die Ansätze von Schnell, Zeitschrift für internationales Privatund Strafrecht 5 (1895), 337 (338 f., 341 f.) – hiergegen bereits Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 294-296 – und Niedner, Das Einführungsgesetz vom 18. August 1896, S. 13-15, die auf dieser Grundlage ein (nicht nur Eingriffsnormen, sondern jegliche Sachnormen betreffendes) einseitiges Kollisionsrechtssystem herleiteten; vgl. hierzu ausführlich Schurig S. 29-32, 288-296 und Wiethölter S. 4-6, 84-87; speziell zur Eingriffsnormenproblematik: Schurig S. 322-330 (S. 324: „Überhaupt sehen die Sympathisanten unilateralistischer Gedankengänge die Möglichkeit, [durch die Lehre der Sonderanknüpfung] ‚ein bißchen Unilateralismus’ zu verwirklichen“); Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41 (85 f.). 150 Hierzu Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 62 ff.). 151 Vgl. allgemein sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 62 ff.); eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Anwendung ausländischer Eingriffsnormen ausdrücklich ablehnend etwa MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 104, 400; Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 76 f.; Fetsch S. 320 f.; Schubert, RIW 1987, 729 (735): das Völkerrecht sei für die Frage nach einer Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen „relativ unergiebig“; Schurig, Völkerrecht und IPR, 55 (63); Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41 (85 f.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

bereich des „politischen“ Eingriffsrechts 152 – eine solche Kompetenzabgrenzung als „Schiedsrichter“153 vornehmen154. Ausprägung dessen stellt eventuell155 auch die von den Vertretern der „politischen Schule“ postulierte „neue“ Aufgabe des IPR dar, „die Kollision der Interessen zweier oder mehrerer Staaten an der Durchsetzung ihrer Sozialordnung gegenüber Sachverhalten mit Auslandsbeziehungen zu lösen“156, die sich konkret aus dem sich möglicherweise überschneidenden selbstformulierten Anwendungsbereich bestimmter „politischer“ Normen ergebe. Ein solcher Ansatz ist jedoch abzulehnen157. Wenn keine völkerrechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung des IPR bestehen, die wir möglicherweise mangels unmittelbarer Wirkung des Völkerrechts in nationales Recht zu transformieren hätten, so bedarf es auch keiner autonomen Verkürzung des internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeitsgehaltes auf die „Schlichtung“ staatlicher Anwendungsansprüche, da diese Konfliktebene gar nicht besteht: Jeder Staat kann allein im Rahmen seiner Souveränität seinen „Anwendungsanspruch“ hinsichtlich seines Sachrechts festlegen, so dass die einzelnen nationalen imperativen Anwendungsbefehle als solche, also die konkretisierten nationalen Rechtsanwendungsinteressen, gar nicht „kollidieren“ können, weil sie a priori für andere Staaten nicht beachtlich sind158. Ist die „Kollision“ verschiedener nationa152

Vgl. zu den universalistischen Wurzeln der Sonderanknüpfungslehre Fn. 114. Schurig S. 68, 189, 289; Schubert, RIW 1987, 729 (734) spricht von dem „Nationalstaat als ‚Ersatzvölkerrechts-Schöpfer’“. 154 Schurig S. 189, 289 bezeichnet eine solche Vorstellung anschaulich als „stellvertretenden Universalismus“. Ein Beispiel hierfür stellt etwa Scelles Theorie der „funktionellen Verdopplung“ dar (vgl. hierzu Kapitel 1 Fn. 343). 155 So die Einschätzung von Schurig S. 324 (vgl. auch a.a.O. Fn. 235 f.); siehe zudem Schubert, RIW 1987, 729 (742), der hinsichtlich des Ansatzes von Currie meint, „daß eine solche unilateralistische Struktur nur im Zusammenhang mit einer quasi-universalistischen Grundlegung denkbar ist“. Dennoch erscheint zumindest die folgende Aussage Rehbinders weniger als universalistisch geprägte Ausgangsprämisse, sondern vielmehr als Konsequenz der Annahme der „politischen Schule“, die „klassische“ kollisionsrechtliche Methode könne „politisiertem“ Zivilrecht nicht gerecht werden, so dass dieses notwendigerweise im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems anhand dessen „Anwendungswillens“ zur Anwendung gebracht werden müsse; näher hierzu Kapitel 1 B.III.2 (S. 51 f.). 156 Rehbinder, JZ 1973, 151 (151), (Hervorhebung im Original). 157 Besonders deutlich Schurig S. 288-296 (allgemein), 322-330 (speziell hinsichtlich der Lehre der Sonderanknüpfung); ebenso Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41 (85 f.); (vom Standpunkt des Gleichheitsgrundsatzes als Grundlage des IPR, vgl. hierzu Kapitel 1 Fn. 3) Schubert, RIW 1987, 729 (741 f.). 158 Die „Kollision“ verschiedener Rechtsordnungen, die das Kollisionsrecht auch seinem Namen nach zu lösen hat, betrifft alleine den inhaltlichen, also rationalen Regelungsgehalt der einzelnen Rechtssätze, die eben deswegen „kollidieren“, weil wir fremdes Recht als Recht anerkennen und sich daher inhaltlich konkurrierende Rechts153

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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ler Rechtsanwendungsbefehle damit denknotwendig ausgeschlossen, so bedarf es auch keines autonom gesetzten „Kollisionsrechts“ zur Vermeidung solcher gedachten Konflikte. Entfällt jedoch bereits die Prämisse eines solchen Ansatzes, so kann dieser schwerlich zur Begründung eines unilateralistischen (Teil-) Systems herangezogen werden. bb) Untauglichkeit des herkömmlichen IPR-Systems hinsichtlich der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen Gehen wir somit davon aus, dass auch im Bereich der Eingriffsnormen der zuständige Gesetzgeber autonom anhand einer eigenen Interessenbewertung eine ausländische Eingriffsnorm zur Anwendung bringen kann, ohne die Souveränität oder a priori beachtliche Rechtsanwendungsansprüche des jeweiligen Erlassstaates zu verletzen, so wiegt die Begründungslast dafür schwer, warum die maßgebliche kollisionsrechtliche Gerechtigkeitsentscheidung einem ausländischen Gesetzgeber überantwortet werden sollte. Betrachtet man die kollisionsrechtliche Gerechtigkeit als funktional abgrenzbaren Teil der zivilrechtlichen Gerechtigkeit, die zu konkretisieren jedem kompetenten Gesetzgeber in eigener rechtspolitischer Verantwortung obliegt, so versteht sich eigentlich – wie Coester anmerkt – die Entscheidung für ein multilateralistisches kollisionsrechtliches System von selbst159. Möglicherweise besteht jedoch eine rechtfertigende Notwendigkeit, bestimmte Normen anhand ihres jeweiligen nationalen „Anwendungswillens“ zur Anwendung zu bringen und insoweit die maßgebliche kollisionsrechtliche Gerechtigkeitsentscheidung auf einen fremden Gesetzgeber „auszulagern“. (1) „Untrennbarkeit“ von materieller Sachnorm und Kollisionsnorm des Erlassstaates Eine solche Notwendigkeit läge zumindest dann vor, wenn der „Anwendungswille“ einer Eingriffsnorm ein wesensmäßiges Korrelat einer solchen Norm darstellte und daher zwangsläufig zum Anknüpfungspunkt unseres kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls werden müsste160. Nun bilden sätze verschiedener Rechtsordnungen gegenüberstehen; daher kritisch zu dem Begriff der „Kollision“ Schurig S. 68 f. 159 Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (8). 160 Dieser Gedanke liegt insbesondere dann nahe, wenn man Eingriffsnormen ausschließlich formell – also anhand ihres konkreten „Anwendungswillens“, vgl. sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 10 ff.) – zu definieren versucht, da insoweit deren funktionale Bestandteile – Sachnorm und auf sie bezogener kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl – nicht hinreichend deutlich werden. Er findet sich aber auch in den unilateralistischen Ansätzen von Niboyet, Vivier, Sohn, Pilenko und Quadri (zu diesen Ansätzen Schurig S. 29 f., 290; ausführlich Wiethölter S. 17-42, 42-87 jeweils m.N.), die davon ausgehen,

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

„Eingriffsnormen“ als solche keine eigenständige Normkategorie, kein „Tertium“ zwischen Kollisions- und Sachrecht. Den Grund einer statutsunabhängigen Anknüpfung bestimmter Sachnormen haben wir schlicht in der Tatsache verortet, dass diese nicht unter ein „herkömmliches“ Statut gefasst werden können, und dies aus zwei Gründen 161: Entweder setzen sich solche Normen gegenüber einem „regulären“, die fragliche Norm also grundsätzlich erfassenden Statut durch, weil ihnen der Gesetzgeber explizit einen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl beigeordnet hat, welcher ggf. einer allgemeinen, nach ihrem Wortlaut grundsätzlich einschlägigen Kollisionsnorm im Wege der Spezialität vorgeht (Eingriffsnorm im formellen Sinne, „selbstgerechte Sachnorm“), oder deswegen, weil die fragliche Sachnorm – wenngleich vom Wortlaut der insoweit „regulär“ erscheinenden Kollisionsnorm grundsätzlich erfasst – bei Zugrundelegung einer teleologischen, interessenbezogenen Betrachtung entgegen dem ersten Anschein doch nicht unter diese Kollisionsnorm qualifiziert werden kann und daher eine neue Kollisionsnorm im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt werden muss (Eingriffsnorm im materiellen Sinne). Ein „wesensmäßiges“ Korrelat bildet der jeweilige – entweder explizit geäußerte oder durch Rechtsfortbildung zu gewinnende – kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl des Erlassstaates damit jedoch nicht, weil er stets analytisch anhand seiner Funktion von der zugrunde liegenden Sachnorm getrennt werden kann162 – und dies sogar dann, wenn etwa im Falle einer „selbstgerechten Sachnorm“ der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl mit der Sachnorm selbst gesetzestechnisch „verschmolzen“ sein sollte. Können wir damit den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl von der zugrunde liegenden Sachnorm scheiden, so sind wir zumindest im Ausgangspunkt in der Lage, die fragliche Sachnorm auch ohne den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl des Erlassstaates zur Anwendung zu bringen.

dass zu jeder erlassenen Sachnorm denknotwendig die Angabe ihrer „Destinatäre“ (Begriff von Kropholler § 3 I (S. 17)) gehöre, da jede Norm zwingend für einen bestimmten, in räumlicher, zeitlicher und sachlicher Weise eingrenzbaren Bereich erlassen werde; dieser von Seiten des jeweiligen Erlassstaates bestimmte Anwendungsbereich müsse hinsichtlich einer originalgetreuen Anwendung ausländischen Rechts berücksichtigt werden, so dass sich hieraus eine – in gewisser Weise – „logische“ Notwendigkeit eines (vollständigen, also nicht nur auf Eingriffsnormen beschränkten) unilateralistischen kollisionsrechtlichen Systems ergebe; so zusammenfassend Schurig a.a.O. 161 Vgl. sub Kapitel 1 B (S. 5 ff.), Ergebnis sub Kapitel 1 C (S. 101 f.). 162 Näher hierzu sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 10 ff.) und Kapitel 1 B.II.2.a) (S. 18 f.).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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(2) Unfähigkeit der herkömmlichen IPR-Methodik Wenngleich sich auch ausländische Eingriffsnormen als zivilrechtliche Materie dem IPR nicht a priori als Anknüpfungsgegenstand entziehen163, so könnte sich doch die Notwendigkeit eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems dann ergeben, wenn das herkömmliche System nicht in der Lage wäre, eine statutsunabhängige Anknüpfung ausländischer Normen anhand der herkömmlichen Methodik zu bewerkstelligen. Dieser insbesondere von den Vertretern der „politischen Schule“ erhobene Vorwurf stellte sich indes zumindest hinsichtlich der Eingriffsnormenproblematik der lex fori als unbegründet heraus, da sich das herkömmliche IPR durchaus in der Lage zeigte, ohne methodischen Bruch eine einzelne Sachnorm zum Ausgangspunkt kollisionsrechtlicher Überlegungen zu nehmen, die Rechtsanwendungsfrage also „vom Gesetz her“ zu stellen, und für diese eine ihren Sachnormzwecken entsprechende Anknüpfung zu entwickeln 164 . Ebenso sind wir jedoch in der Lage, „technisch“ bei einer ausländischen Sachnorm anzusetzen und für diese die Rechtsanwendungsfrage autonom zu stellen, ohne auf den selbstformulierten, analytisch zu scheidenden „Anwendungswillen“ dieser Norm abstellen zu müssen165. Etwas schwieriger zu beantworten mag die Frage sein, ob wir auch für ausländische Sachnormen, die öffentliche Interessen wahrnehmen, eine diesen angemes163

Für das europäische IPR machen dies nunmehr Art. 9 III Rom I und Art. 6 Rom II, der ebenfalls typische materielle Eingriffsnormen zum Gegenstand hat, hinlänglich deutlich. Demgegenüber wird für das deutsche IPR im Anschluss an Vogel S. 237 (und als rechtstheoretische Begründung des vom BGH aufgestellten Nichtanwendungsgrundsatzes ausländischen Öffentlichen Rechts) behauptet, Öffentliches Recht – zu welchem Eingriffsnormen nach den Vertretern eines extrinsischen Systemdualismus zu zählen seien (hierzu sub Kapitel 1 B.III.1 (S. 40 ff.) m.N.) – entzöge sich denknotwendig jeder Anknüpfung, da es die Staatsgewalt selbst sei bzw. als solche gedacht werden müsse (vgl. etwa Chr. von Bar, IPR (Band 1), § 4 Rn. 247; ders., JZ 1985, 961 (961)). Eine solche Sichtweise kann jedoch nicht überzeugen: Abgesehen davon, dass die Eingriffsnormenproblematik nach hier vertretener Ansicht einen integralen Bestandteil des IPR bildet und sich folglich eventuell abweichende Anknüpfungsgrundsätze des IÖR insoweit überhaupt nicht auswirken könnten (vgl. ausführlich Kapitel 1 B.III.1 (S. 40 ff.)), ist bereits die rechtstheoretische Ausgangsprämisse dieser Ansicht fehlerhaft, weil wir ebenfalls ausländischem Öffentlichem Recht Rechtsqualität zusprechen (vgl. Kapitel 1 Fn. 6) und eine Anwendung solcher Rechtssätze daher zumindest strukturell möglich ist. Wenn eine solche dennoch nicht in Betracht kommt, ist dies nicht Ausfluss einer rechtstheoretischen Notwendigkeit, sondern einer autonomen rechtspolitischen Entscheidung des jeweiligen Forumstaates, basiert also auf einer „sekundären Unanwendbarkeit“ (vgl. hierzu ausführlich Schurig S. 138-166; ebenso – und im Unterschied zur Vorauflage Chr. von Bar, IPR (Band 1), § 4 Rn. 250 – nunmehr von Bar/Mankowski § 4 Rn. 61). 164 Hierzu Kapitel 1 B.III.2 (S. 50 ff.). 165 Schurig S. 328; ders., Lois d’application immédiate, 55 (70); ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (237).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

sene Anknüpfung entwickeln können166. Dahingehende Bedenken grundsätzlicher Art bestehen zumindest dann nicht, wenn man – wie hier vertreten – kollisionsrechtliche Gemeininteressen, welche durch zivilrechtliche Normen mit öffentlichen Sachnormzwecken impliziert werden, als integralen Bestandteil der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit betrachtet und insoweit a priori als berücksichtigungsfähig ansieht167. Allerdings liegt die Besonderheit öffentlich geprägten Rechts gerade darin, dass dieses regelmäßig den Belangen eines bestimmten Gemeinwesens Rechnung trägt, die öffentlichen Interessen also auf die jeweilige Rechtsgemeinschaft ausgerichtet sind168. Damit unterscheiden sich die in solchen Normen verarbeiteten „öffentlichen“ Sachinteressen stets von denjenigen, die andere Staaten bei der Schaffung solcher – zumindest funktional vergleichbarer – Normen zugrunde legen, und sind deren Sachrecht somit a priori „unbekannt“. Aber auch dies stellt kein Hindernis dar, welches einer autonomen Bestimmung des kollisionsrechtlichen Anwendungsbereiches im Weg stünde: Wenngleich noch Savigny die Berufung von „Rechtsinstituten eines fremden Staates, deren Dasein in dem unsrigen überhaupt nicht anerkannt ist“, ausschließen wollte, machten bereits Kahn169 und später insbesondere Rabel darauf aufmerksam, dass unsere Kollisionsnormen keinesfalls nur uns bekannte, da im eigenen Sachrecht ebenfalls „vorkommende“ Sachnormen zum Gegenstand haben können, sondern dass vielmehr unsere Kollisionsnormen darauf angelegt sind, „die Rechtserscheinungen der Welt zu umspannen, gleiche und ungleiche“ 170 . Dass eine „Rechtserscheinung“ keine Entsprechung in unserem eigenen Sachrecht findet, weil sie sich stets auf das jeweilige Gemeinwesen bezieht, ist damit kein Hinderungsgrund, die diese konstituierenden ausländischen Normen anhand einer eigenen kollisionsrechtlichen Interessenbewertung zur Anwendung zu berufen171, da unser IPR solche Normen „in den Kreis seiner Fürsorge einbeziehen“ 172 muss. Für unseren Bereich besonders deutlich 166

Dies zu Recht bejahend Schurig S. 326-330; ders., Lois d’application immédiate, 55 (70); ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (237); sich anschließend Mäsch S. 163 f.; Brüning S. 174-181; Wördemann S. 333; Kuckein S. 138-141; ebenso Schubert, RIW 1987, 729 (744). 167 Siehe sub Kapitel 1 B.III.2.b)bb) (S. 69 f.) und Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 80). 168 Siehe oben sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 182 f.). 169 Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 311315, der nur anfangs die gegenteilige Auffassung Savignys vertrat (vgl. Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 114-117). Hierauf ausdrücklich hinweisend (und das insbesondere von Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 (243 f., 255) vermittelte „falsche[] Bild“ der Auffassung Kahns richtigstellend) Schurig S. 128 (insbesondere Fn. 358), 130-132. 170 Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 (258). 171 So ausdrücklich auch Schurig, Lois d’application immédiate, 55 (70); Schubert, RIW 1987, 729 (744); im Ergebnis zudem Zeppenfeld S. 146 f. 172 Formulierung von Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 (282).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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macht dies nun Art. 6 Rom II, der eine allseitige Kollisionsnorm für Normen vorsieht, die hinsichtlich ihrer materiellen Normzwecke typischerweise zu den Eingriffsnormen gezählt werden: Auch hier wird, wenngleich diese Sachnormen stets den nationalen Markt schützen, eine autonome kollisionsrechtliche Interessenbewertung für diese Normen vorgenommen und ihnen damit ein nach unseren autonomen Kriterien angemessener räumlicher Anwendungsbereich zugeschrieben. Eines unilateralistischen Ansatzes bedarf es zur Bewältigung dieser Aufgabe folglich nicht173. Damit lässt sich festhalten: Eine Notwendigkeit resultierend aus der Unzulänglichkeit der herkömmlichen kollisionsrechtlichen Methode, eine statutsunabhängige Anknüpfung bestimmter ausländischer Normen im Rahmen eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems durchzuführen, kann damit – ebenso wie für Eingriffsnormen der lex fori – nicht angenommen werden. (3) Abschließende Stellungnahme Haben wir somit festgestellt, dass ein unilateralistisches Zweitsystem für ausländische Eingriffsnormen weder vom Wortlaut des Art. 9 III, I Rom I indiziert ist noch eine anderweitige Notwendigkeit hierfür besteht, so muss diesem eine Absage erteilt werden. Die Konkretisierung einer Generalklausel hat vor dem Hintergrund wertmäßiger und wertverwirklichender Systematik des Rechts zumindest dann systemkonform zu erfolgen, wenn das herkömmliche autonomistisch-multilateralistische System zur Bewältigung der gestellten Aufgabe in der Lage ist – und dies ist der Fall: Eingriffsnormen bilden kein Tertium zwischen Kollisionsrecht und Sachrecht, sie sind schlicht Sachnormen mit einer auf sie bezogenen Kollisionsnorm, so dass wir den u.U. gesetzestechnisch nicht „sauber“ getrennten materiellen Teil einer solchen Norm isolieren und diesem im Wege der herkömmlichen kollisionsrechtlichen Methodik einen nach unseren Kriterien angemessenen Anwendungsbereich zuordnen können. Ein solches Vorgehen ist dem europäischen Kollisionsrecht keineswegs fremd, wie Art. 6 Rom II zeigt: Hier hat der europäische Gesetzgeber eine allseitige Kollisionsnorm geschaffen, welche innerhalb des herkömmlichen multilateralistischen Systems ausländischen Normen, die typischerweise aufgrund ihrer materiellen Normzwecke als Eingriffsnormen bezeichnet werden, anhand einer autonomen Interessenbewertung ihren damit aus unserer Sicht angemessenen Anwendungsbereich zuschreibt, ohne dass hierfür auf deren Anwendungswilligkeit abgestellt werden müsste174. Und dies auch 173

Einen System- und Methodendualismus daher zu Recht ablehnend die in Fn. 166 Genannten. 174 Wenngleich der ausländische Anwendungswille durchaus auch im Rahmen des herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen Systems Beachtung finden kann,

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

völlig zu Recht: Einem fremden Staat die kollisionsrechtliche Entscheidung über die Anwendbarkeit seiner Sachnormen zu überlassen, die wir allenfalls in einem zweiten Schritt anhand bestimmter autonomer Kriterien abwehren könnten, wäre nicht überzeugend, da die kollisionsrechtliche Gerechtigkeit integraler, alleine funktional abgrenzbarer Bestandteil der Gerechtigkeitsidee als solche ist175, die der jeweils kompetente Gesetzgeber als ureigene Aufgabe in eigener Verantwortung zu konkretisieren hat. Vor diesem Hintergrund kann nicht einfach unterstellt werden, Art. 9 III Rom I würde diese Entscheidung ohne Not auf einen ausländischen Gesetzgeber „auslagern“176. Ein partieller Übergang zu einem unilateralistischen System würde indes auch ganz praktische Probleme aufwerfen. Etabliert man ein kollisionsrechtliches Zweitsystem für ausländische Eingriffsnormen, so muss notwendigerweise die Frage beantwortet werden, welchem System eine bestimmte ausländische Norm unterfällt177. Diese Grenzziehung ist jedoch anhand der hierfür vorgeschlagenen materiellen Kriterien nicht möglich, da auch die strengsten materiellen Anforderungen – wie Art. 6 Rom II für das europäische IPR besonders deutlich macht – keinesfalls die Normen beschreiben können, die sich stets jeder kodifizierten Kollisionsnorm entziehen178. Damit überschneiden sich wiederum die Anwendungsbereiche von „klassischem IPR“ und eingriffsrechtlichem Zweitsystem, so

nämlich als Kriterium der „Nichtanwendung“; näher hierzu sub Kapitel 3 C.II.4.b) (S. 258 ff.). 175 Vgl. auch Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1 (8); zur internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit sub Kapitel 1 B.III.2.b)bb) (S. 68 ff.). 176 Freilich entzieht sich der Gesetzgeber durch die Kodifikation eines allseitigen IPR ebenfalls seiner rechtspolitischen Verantwortung zur Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee, indem er in bestimmten Fällen eine ausländische materielle Gerechtigkeitsentscheidung zur Anwendung bringt. Nur besteht hierfür, wie bereits sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 65 ff.) ausgeführt wurde, eine rechtfertigende Notwendigkeit: Sofern Gerichte über einen Sachverhalt mit Auslandsbezug zu entscheiden haben, kann die jeweilige lex fori aufgrund ihrer räumlichen Relativität nicht stets eine gerechte Entscheidungsgrundlage darstellen, so dass das auftretende „Gerechtigkeitsdefizit“ ausgeglichen werden muss. Wenngleich nicht theoretisch, so ist doch zumindest praktisch ausgeschlossen, dass dies anhand einer eigenen materiellen Interessenbewertung seitens des Forumstaates durch Ausbildung materiellen Sonderrechts erfolgt, da dies die Grenze des Machbaren überschreitet (vgl. sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 67)). Für die „Auslagerung“ der materiellen Gerechtigkeitsentscheidung in Fällen eines Auslandssachverhaltes besteht folglich eine rechtfertigende praktische Notwendigkeit – nicht jedoch für die kollisionsrechtliche Gerechtigkeitsentscheidung, die zu treffen wir sowohl theoretisch als auch praktisch in der Lage sind. 177 Hierzu sub Kapitel 3 C.I.1.b) (S. 194 ff.). 178 Hierzu ausführlich Kapitel 1 B.II.2.c) (S. 22 ff.). Eingriffsnormen sind – das darf wiederholt werden – schlicht sachrechtlich nicht definierbar.

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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dass Unstimmigkeiten notwendig auftreten179. Um diese zu entschärfen, bedürfte es ebenso der Klärung, welchem System im Konfliktfall Vorrang zukommt180. Stimmig zu begründen wäre insoweit alleine der Vorrang des besonderen kollisionsrechtlichen Zweitsystems: Doch wie kann man rechtfertigen, dass eine einem besonderen Zweitsystem unterfallende Norm sich anhand ihres nationalen Anwendungsbefehls Geltung verschaffen kann, wenngleich sie gleichzeitig von einer herkömmlichen europäischen Kollisionsnorm erfasst ist und ihre Nichtanwendung daher auf einer autonomen kollisionsrechtlichen Interessenabwägung seitens des europäischen Gesetzgebers beruht? Dies wäre doch mehr als absurd und nur zu verhindern, wenn – mit welcher Begründung auch immer – die Frage nach dem „Ob“ der kollisionsrechtlichen Durchsetzung im Rahmen eines Zweitsystems von der „Disqualifikation“ hinsichtlich der herkömmlichen Kollisionsnormen abhängig gemacht wird. Hinzu kommt, dass wir keineswegs stets davon ausgehen können, den jeweiligen ausländischen Anwendungsbefehl für eine bestimmte als Eingriffsnorm erkannte Bestimmung auch vorzufinden. Da ein unilateralistisches Teilsystem diesen jedoch zum Anknüpfungspunkt unserer „Kollisionsgrundnorm“ erhebt, müssten wir in einem solchen, sicher nicht selten vorkommenden Fall stets diesen benötigten Anwendungsbefehl im Wege der Rechtsfortbildung entwickeln, um ihn dann – nunmehr anhand eigener autonomer Kriterien – auf seine Legitimität zu überprüfen – ein Vorgehen, das man sich nach den obigen Ausführungen nicht nur ersparen sollte, sondern auch muss. Mit Kahn lässt sich daher betonen: „Nicht ob die fremden Rechtsregeln herrschen wollen, haben wir zu untersuchen, sondern ob sie herrschen sollen“181. Damit lässt sich festhalten: Die Konkretisierung des Art. 9 III hat systemkonform im Rahmen des herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen IPR-Systems zu erfolgen. Eine Übertragbarkeit der mit diesem System brechenden Sonderanknüpfungslehre ist für das europäische IPR abzulehnen.

179 So insbesondere das Problem einer „Doppelqualifikation“, vgl. für das Sonderprivatrecht bereits Kapitel 2 B.II.1.a) (S. 138). 180 Hierzu Kapitel 2 B.II.1.a) (S. 138 ff.). Die dort geschilderten Lösungsansätze betreffen zwar unmittelbar das Sonderprivatrecht, sie könnten jedoch entsprechend übertragen werden, da sich dasselbe Abgrenzungsproblem zwischen zwei postulierten kollisionsrechtlichen Systemen stellt. 181 Kahn, Gesetzeskollisionen, S. 111 (Hervorhebung im Original).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

II. Ausländische Eingriffsnormen im herkömmlichen autonomistischmultilateralistischen kollisionsrechtlichen System 1. Vorbemerkung Gehen wir demnach davon aus, dass auch ausländische Eingriffsnormen Gegenstand des herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen kollisionsrechtlichen Systems sind, so ist die „unfertige“ Generalklausel des Art. 9 III Rom I hinsichtlich einer kohärenten Rechtsfortbildung anhand der konventionellen IPR-Methodik zu konkretisieren. Insoweit müssen wir – da es an einer geschriebenen Kollisionsnorm fehlt182, die als „Relaisstation der Rechtsfindung“ dienen könnte – die Rechtsanwendungsfrage für diese Normen „vom Gesetz“ her stellen, so dass zunächst diejenigen ausländischen Normen zu identifizieren sind, die nach dem Wortlaut des Art. 9 III, I Rom I einer von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängigen, nach Schurig – in terminologischer Abgrenzung zu der unilateralistischen Sonderanknüpfung – „besonderen“ oder „gesonderten“ Anknüpfung183 zugänglich sein sollen. Auch hierfür kann jedoch der Wortlaut nur den „äußeren Rahmen“ bilden184 und folglich alleine eine „heuristische Vorauswahl“ potentiell berufbarer Eingriffsnormen ermöglichen – ob diese dann in concreto gesondert anzuknüpfen sind, kann alleine anhand einer – sich an diese Ausführungen anschließenden – autonomen kollisionsrechtlichen Interessenbewertung für diese Normen beantwortet werden. 2. Identifikation der gesondert anzuknüpfenden Eingriffsnormen In Anbetracht dessen, dass Art. 9 III Rom I auf den in Abs. 1 legaldefinierten Begriff der Eingriffsnormen zurückgreift, können die im Rahmen von Art. 9 III Rom I potentiell gesondert anzuknüpfenden ausländischen Eingriffsnormen zunächst anhand der bislang herausgearbeiteten Kriterien eingegrenzt werden: Als erste Voraussetzung lässt sich insoweit festhalten, dass die ausländische Sachnorm in casu überhaupt sachrechtlich einschlägig sein muss – ansonsten erübrigt sich die Frage nach der kollisionsrecht-

182 Auf den ausländischen Anwendungsbefehl kann nach den bisherigen Ausführungen nicht abgestellt werden, da dieser für uns a priori – auch nicht im Rahmen eines unilateralistischen Zweitsystems – Verbindlichkeit entfalten kann. 183 Schurig S. 322-330 (zur Bedeutung der Terminologie S. 323); ders., Lois d’application immédiate, 55 (66-74, Begriff S. 70 f., 73); ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (236 Fn. 80); Kegel/Schurig § 6 V 2 (S. 324); ihm folgend Schubert, RIW 1987, 729 (743 Fn. 176); Brüning S. 174-181; Mäsch S. 160 f., 163 f.; Fetsch S. 36-50, Abgrenzung zur Sonderanknüpfungslehre S. 44; Kuckein S. 138-150, Abgrenzung zur Sonderanknüpfungslehre S. 147. 184 Vgl. hierzu bereits Kapitel 1 B.III.3.b) (S. 85 f.).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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lichen Anwendbarkeit dieser Norm185. Da es sich bei einer Eingriffsnorm im materiellen Sinne zudem um eine Sachnorm handelt, die aufgrund ihrer zugrunde liegenden öffentlichen Sachnormzwecke kollisionsrechtliche Gemeininteressen implizieren, die wiederum eine von den herkömmlichen Kollisionsnormen abweichende kollisionsrechtliche Behandlung erforderlich machen können (Art. 9 I Rom I), muss die fragliche Sachnorm im Sinne einer heuristischen Vorauswahl überwiegend öffentlichen Sachinteressen des Erlassstaates dienen, so dass Normen, die alleine untergeordneten öffentlichen Interessen dienen, a priori ausgesondert werden können. Eingriffsnormen im formalen Sinne, welche diese materiellen Kriterien nicht erfüllen, scheiden insoweit aus, da der ausländische Anwendungsbefehl für uns keine Verbindlichkeit entfaltet186 und folglich alleine auf die materielle Struktur der Sachnorm abgestellt werden kann. Diese Feststellung bedeutet indes nicht, dass ausländische Normen, welche überwiegend privaten Interessen Rechnung tragen, nicht unabhängig von den herkömmlichen Kollisionsnormen angeknüpft werden können. Ebenso wie bestimmte Normen der lex fori (vgl. hierzu insbesondere das Problemfeld des Sonderprivatrechts) können auch ausländische Sachnormen (von Gemeininteressen verschiedene) kollisionsrechtliche Interessen implizieren, die eine Qualifikation unter eine nach dem Wortlaut einschlägige (allgemeine) Kollisionsnorm verhindern und die folglich eine statutsunabhängige Anknüpfung erforderlich machen 187. Dient eine Norm jedoch öffentlichen Interessen eines ausländischen Staates, so bedarf es aus diesem Grunde zusätzlicher Anwendungsvoraussetzungen, denen noch nachzugehen sein wird 188. Die materiellen Kriterien sind demnach nicht als konstitutive Voraussetzung für eine statutsunabhängige Anknüpfung, sondern zunächst einmal als heuristische Bezeichnung einer (ggf. – auch im Rahmen des herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen Systems – kollisionsrechtlich besonders zu behandelnden) Normengruppe zu verstehen.

Darüber hinaus enthält der Normtext des Art. 9 III Rom I zusätzliche Hinweise, die eine weitergehende Eingrenzung potentiell gesondert anzuknüpfender Sachnormen ermöglichen. a) Unrechtmäßigkeit der Erfüllung Art. 9 III Rom I beschränkt die in Betracht kommenden Bestimmungen zunächst – wohl in Anlehnung an die englische „Ralli“-Rechtsprechung189 – in sachlicher Hinsicht: Anzuwendende Eingriffsnormen müssen „die Erfül-

185 Nach hier vertretener Ansicht lässt sich dies am Normtext des Art. 9 I Rom I daran festmachen, dass die fragliche Norm „auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“; vgl. sub Kapitel 2 A.III.2.a)aa) (S. 114 f.). 186 Vgl. Fn. 182. 187 Näher hierzu sub Kapitel 3 D.III (S. 290 f.). 188 Näher hierzu sub Kapitel 3 C.II.4 (S. 235 ff.) 189 Vgl. etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 634; ders., IPRax 2009, 109 (112).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

lung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen“190, müssen also eine bestimmte Rechtsfolge vorsehen. Wenngleich die Formulierung alles andere als eindeutig ist, dürften zumindest diejenigen Bestimmungen unproblematisch vom Wortlaut dieser Vorschrift erfasst sein, welche die tatsächliche Erfüllung als solche, also die Erbringung der nach dem Vertragsstatut geschuldeten Leistung unterbinden wollen („Leistungsverbote“ im Sinne Zweigerts191) und die deswegen die Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit des Vertrages anordnen192. Demnach sind insbesondere die Normen des „klassischen Eingriffsrechts“ einer statutsunabhängigen Anknüpfung zugänglich, also diejenigen Bestimmungen, welche die Erbringung der konkret geschuldeten Leistung – etwa die Ausfuhr bestimmter Waren aus einem Staat als tatsächlicher Vorgang – verbieten und dieses Verbot auch zivilrechtlich mit einer Nichtigkeitsfolge sanktionieren. Schwieriger zu beantworten erscheint indes die Frage, ob Bestimmungen, die lediglich die Leistungspflicht als solche modifizieren, ohne sie jedoch gänzlich zu untersagen, ebenfalls vom Wortlaut des Art. 9 III 1 Rom I erfasst sind193. Soweit die fraglichen Vorschriften die Leistungspflicht auf ein für den jeweiligen Gesetzgeber tolerables Maß reduzieren, indem sie etwa ein zeitlich befristetes Beschäftigungsverbot für Mütter, Höchstarbeitszeitregelungen oder gesetzliche Höchstpreise bzw. -vergütungen durchsetzen194, ohne jedoch die vertragliche Beziehung als solche für nichtig zu erklären, untersagen diese Bestimmungen die Erfüllung zumindest insoweit, als dass über den von diesen vorgesehenen Rahmen hinaus geleistet wird – folglich ist mit Freitag eine Erfüllung der ursprünglich vereinbarten Leistung in dem Maße unrechtmäßig, in welchem „zu viel geleistet wird“195. Art. 9 III 1 Rom I sieht gerade keine Differenzierung zwischen Normen vor, welche die Erfüllung ganz oder teilweise rechtswidrig werden lassen, so dass auch letztere Normen einer statutsunabhängigen Anknüpfung zugänglich sein müssen196. Größere Probleme 190

Die englische Sprachfassung spricht von: overriding mandatory provisions, which „render the performance of the contract unlawful“ (dies entspricht der Ralli-Entscheidung, vgl. Fn. 19), die französische Sprachfassung von: lois de police, qui „rendent l’exécution du contrat illégale“. 191 Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (283 f.). 192 Siehe etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 634; ders., IPRax 2009, 109 (112); MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 117; Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 12; Rauscher/ Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 66; Roth, FS Kühne, 859 (876). 193 Diese Frage aufwerfend (und diskutierend) Freitag, IPRax 2009, 109 (112 f.). 194 Beispiele von Freitag, IPRax 2009, 109 (112); weitere Beispiele aus dem Arbeitsrecht bei Deinert, RdA 2009, 144 (152). 195 Freitag, IPRax 2009, 109 (112); ebenso Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 67. 196 So auch Freitag, IPRax 2009, 109 (112); Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 67. Freitag weist (a.a.O. Fn. 37) zudem darauf hin, dass die englische

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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bereitet jedoch offensichtlich die Frage, ob Bestimmungen, welche gerade keine Höchst-, sondern Mindeststandards (etwa gesetzliche Mindestvergütungen im Sinne der HOAI, AEntG) festschreiben wollen, vom Wortlaut des Art. 9 III 1 Rom I erfasst sind197. So meint Freitag, dass in diesen Fällen eine Unterschreitung des gesetzlich fixierten Mindeststandards „insoweit keineswegs rechtswidrig“ sei, da diese eine geschuldete Teilleistung darstelle und „der Vorwurf der Unrechtmäßigkeit [...] sich hier demnach gegen das Unterlassen der Erbringung der gesetzlich geschuldeten Leistung“ richte, also „den Inhalt des Vertrages [betreffe], nicht die Erfüllung selbst“198. Diese Annahme ist jedoch in mehrerlei Hinsicht zweifelhaft. Zum einen ist nicht recht einzusehen, warum die Unrechtmäßigkeit der Erfüllung nicht auch anhand des Vertragsinhalts bestimmt werden kann: Denn zu erfüllen ist das, was nach dem Vertrag geschuldet ist. Modifizieren bestimmte Vorschriften die ursprüngliche individualvertragliche Vereinbarung, so lassen auch jene eine dieser ursprünglichen Vereinbarung entsprechende Erfüllung unrechtmäßig werden. Ein solches Verständnis erscheint ebenfalls nicht vom Wortlaut ausgeschlossen, da zum einen die maßgeblichen Bestimmungen, anhand derer sich die „Unrechtmäßigkeit“ der Erfüllung beurteilen soll, nicht näher bezeichnet sind – und daher durchaus auch Normen, welche den vertraglichen Inhalt modifizieren, erfasst sein können –, und da zum anderen auch das „schwammige“ Tatbestandsmerkmal der „Unrechtmäßigkeit“ keinesfalls auf reine Nichtigkeitsfolgen beschränkt ist, also durchaus auch Normen erfassen kann, welche die vertragliche Leistungspflicht modifizieren und die deswegen die Erfüllung der ursprünglich vereinbarten Leistung unrechtmäßig werden lassen. Für eine solche weite Auffassung kann ebenfalls angebracht werden, dass der EuGH in der Ingmar-Entscheidung – freilich vor Inkrafttreten der Rom I-Verordnung – Normen, die überhaupt erst einen Anspruch begründen (in casu: Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters)199, als Eingriffsnorm qualifiziert hat, so dass ein zu enges – und vom Wortlaut auch nicht indiziertes – Normverständnis unangebracht erscheint, will man sich nicht in Widerspruch zu dieser Entscheidung begeben200. Darüber

Ralli-Entscheidung, welche möglicherweise Vorbildfunktion für die gewählte Formulierung in Art. 9 III 1 Rom I entfaltete, gerade eine spanische Vorschrift über den Höchstpreis von importierter Jute zum Gegenstand hatte. Ebenso Hauser S. 77. 197 Vgl. hierzu Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 636; ders., IPRax 2009, 109 (112 f.). 198 Freitag, IPRax 2009, 109 (112); ebenso die den Vertragsinhalt prägenden Normen ausschließend Roth, FS Kühne, 859 (876). 199 Näher hierzu sub Kapitel 2 B.II.2.c)bb) (S. 154 ff.). 200 Auf die Ingmar-Rechtsprechung abstellend Freitag, IPRax 2009, 109 (113); ebenso Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 12.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

hinaus wäre es in der Tat „ein unerträglicher Wertungswiderspruch“201, zwischen Mindest- und Höchststandards zu differenzieren und nur letztere für potentiell „gesondert-anknüpfungsfähig“ zu halten, da dies – wie Freitag zu Recht zu bedenken gibt – zu dem „willkürliche[n] und sinnwidrige[n]“ Ergebnis führte, dass ausgerechnet Bestimmungen, die „der besonders schutzwürdigen Partei“ Rechte und Ansprüche gewähren, nicht zur Anwendung gebracht werden könnten, so dass eine solche Differenzierung abzulehnen ist202. Demnach stellen ebenfalls Normen, welche Mindeststandards festlegen und den Vertragsinhalt dementsprechend modifizieren, potentiell statutsunabhängig anzuknüpfende Bestimmungen dar203. Geht man mit der hier vertretenen Auffassung davon aus, dass sich die Unrechtmäßigkeit der Erfüllung (auch) aus dem Inhalt des Vertrages ergeben kann, so fallen jegliche Normen in den Anwendungsbereich des Art. 9 III 1 Rom I, welche die ursprünglich vereinbarte Leistungspflicht modifizieren und eine Erfüllung derselben somit unrechtmäßig werden lassen. Demnach stellen Bestimmungen der Unmöglichkeit, aber auch Gestaltungsrechte wie Anfechtung, Widerruf oder Rücktritt potentiell berufbare Eingriffsnormen dar, weil sie die ursprünglich vereinbarte Leistung entfallen lassen bzw. inhaltlich modifizieren und eine der anfänglichen Vereinbarung entsprechende Erfüllung folglich unrechtmäßig wäre. Zweifeln könnte man an der Beachtlichkeit von Gestaltungsrechten unter dem Gesichtspunkt, dass diese erst ausgeübt werden müssen, bevor die fragliche Rechtsfolge eintritt. Dennoch erscheint auch dies kein Hinderungsgrund, da kein Grund ersichtlich ist, warum ausschließlich Normen, deren Rechtsfolge unmittelbar ex lege eintreten, als potentiell gesondert anzuknüpfende Eingriffsnormen angesehen werden sollten. Der Wortlaut der Vorschrift enthält insoweit keinerlei Anhaltspunkte, so dass wiederum ein weites Verständnis angebracht erscheint204. Auch wenn folglich Normen aus dem Bereich der Unmöglichkeit, der Anfechtung, des Widerrufs und des Rücktritts in den Anwendungsbereich des Art. 9 III 1 Rom I fallen, bedeutet ein solch weites Verständnis keineswegs, dass diese auch im Ergebnis statutsunabhängig anzuknüpfen wären. Entscheidend hierfür ist – wie noch auszuführen sein 201

Freitag, IPRax 2009, 109 (113); ebenso Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 67; Hauser S. 77. 202 So letztlich auch Freitag, IPRax 2009, 109 (112 f.); Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 637, der dieses Ergebnis jedoch im Wege einer „teleologischen Ausweitung“ erreichen will. 203 Im Ergebnis ebenso Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 637; ders., IPRax 2009, 109 (113); Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 12; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 67; Hauser S. 77f.; wohl auch Roth, FS Kühne, 859 (876). 204 Im Ergebnis ebenso PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 8; ablehnend jedoch Freitag, IPRax 2009, 109 (113); Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 635; wohl auch Mauer/Sadtler, RIW 2008, 544 (548); Hauser S. 78 f.

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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wird 205 – wiederum die „Disqualifikation“ hinsichtlich der herkömmlichen kodifizierten Kollisionsnormen, so dass letztlich Normen, welche allein einen gerechten Ausgleich inter partes bezwecken – wie regelmäßig bei den genannten Bestimmungen –, nicht statutsunabhängig durchgesetzt werden können, sofern sie von einer kodifizierten Kollisionsnorm erfasst werden. Eine statutsunabhängige Anknüpfung kommt alleine dann in Betracht, wenn die entsprechenden Normen zusätzlich etwa und insbesondere aufgrund implizierter kollisionsrechtlicher Gemeininteressen aus der vertraglichen Bündelung fallen, so dass dieser Prüfungsschritt entscheidend ist.

Demnach lässt sich festhalten: Die in Art. 9 III 1 Rom I vorgesehene Beschränkung auf Eingriffsnormen, welche „die Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lassen“, kann weit ausgelegt werden und umfasst somit auch Regelungen, die (nur) den Vertragsinhalt modifizieren. Eine weitere Eingrenzung potentiell berufbarer Eingriffsnormen bleibt einer spezifischen kollisionsrechtlichen Interessenanalyse der betreffenden Sachnormen vorbehalten. b) Eingriffsnormen des Erfüllungsortes Art. 9 III Rom I beschränkt206 diese – im Gegensatz zu der entsprechenden Norm in den Vorentwürfen und wohl ebenfalls in Anlehnung an die englische „Ralli“-Rechtsprechung207 – darüber hinaus auf „Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind“208. Da somit auf den Erfüllungsort abgestellt wird, fragt sich, wie dieser zu verstehen ist. Kommt es hierfür auf den rechtlichen Erfüllungsort an oder muss dieser autonom bestimmt werden? aa) Rechtlicher Erfüllungsort Geht man von Ersterem aus209, so kann die Konkretisierung dieses von Art. 9 III Rom I vorausgesetzten Tatbestandsmerkmals – in Ermangelung 205

Hierzu sub Kapitel 3 C.II.3 (S. 231 ff.). Inwieweit diese Beschränkung als abschließend anzusehen und ihr insoweit konstitutive Bedeutung beizumessen ist, sei an dieser Stelle offen gelassen; vgl. hierzu sub Kapitel 3 D.I.1.b) (S. 267 ff.). 207 Vgl. etwa Mankowski, IHR 2008, 133 (148); ders., Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 56; Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 638; ders., IPRax 2009, 109 (113); zu den mit der Bestimmung des Erfüllungsortes verbundenen Schwierigkeiten bzgl. der Ralli-Rechtsprechung insbesondere Kuckein S. 240-244. 208 Englische Sprachfassung: „overriding mandatory provisions of the law of the country where the obligations arising out of the contract have to be or have been performed“; französische Sprachfassung: „lois de police du pays dans lequel les obligations découlant du contrat doivent être ou ont été exécutées“. 209 In diese Richtung tendierend Pauknerová, ERA Forum 11 (2010), 29 (40); wohl auch Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (628): grundsätzlich rechtlicher Erfüllungsort, „es sei 206

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

einer europarechtlich-einheitlichen materiellen Regelung – alleine anhand derjenigen materiellen Rechtsordnung erfolgen, welche für die Bestimmung des rechtlichen Erfüllungsortes maßgeblich ist. Hierbei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die von Seiten des Vertragsstatuts (Art. 12 I lit. b Rom I) beantwortet wird, so dass zur Bestimmung des Erfüllungsortes – wie im Rahmen von Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO210, der Art. 9 III Rom I zumindest nach seinem Wortlaut nahe steht211 – das nach Art. 3 ff. Rom I bestimmte Recht maßgeblich wäre212. Inwieweit ein solches Vorgehen jedoch sinnvoll ist, erscheint fraglich. Zum einen ist nicht ersichtlich, welche Bedeutung der rechtliche Erfüllungsort, der eine Risikoabgrenzung inter partes bezüglich der Leistungsgefahr zum Gegenstand hat, für die kollisionsrechtliche Frage nach der statutsunabhängigen Anknüpfung von denn, es ist tatsächlich an einem anderen Ort erfüllt worden“; ebenso Kindler S. 69; ähnlich Magnus, IPRax 2010, 27 (41). Auch die englische Ralli-Rechtsprechung, an die sich Art. 9 III Rom I anzulehnen scheint, geht wohl – wenn auch gewisse Unklarheit herrscht – von dem rechtlichen Erfüllungsort aus, vgl. Kuckein S. 241 (Fn. 472). Wenngleich die englische Rechtslage möglicherweise „Vorbildcharakter“ für Art. 9 III Rom I hatte, kann diese jedoch keine präjudizierende Wirkung für die europarechtlich-autonom vorzunehmende Auslegung eines unionsrechtlichen Rechtsaktes entfalten, treffend Freitag, IPRax 2009, 109 (111). 210 Vgl. EuGH 06.10.1976 – Rs. C-12/76 (Tessili) Rn. 15; bestätigt mit EuGH 23.04.2009 – Rs. C-533/07 (Falco Privatstiftung und Rabitsch). 211 MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 116; Freitag, IPRax 2009, 109 (113). So sind nach dem Wortlaut des Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO die Gerichte des Ortes zuständig, „an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“. Die Nähe des Wortlauts des Art. 9 III Rom I zu Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO könnte aufgrund des Auslegungszusammenhangs von Rom I und EuGVVO eine einheitliche Auslegung indizieren, sie ist aber keinesfalls zwingend; näher hierzu die Ausführungen sub Kapitel 3 C.II.2.b)(1) (S. 218 f.), die insoweit entsprechend gelten. 212 Vgl. etwa MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 116. Abzulehnen wäre eine Bestimmung des rechtlichen Erfüllungsortes nach der jeweiligen materiellen lex fori (so möglicherweise die englische Ralli-Rechtsprechung, hierzu Kuckein S. 242, vgl. aber a.a.O. Fn. 474), da ein solches Vorgehen gerade nicht zu dem in casu maßgeblichen rechtlichen Erfüllungsort der zu erbringenden Leistung führt (dieser bestimmt sich alleine nach dem Vertragsstatut, Art. 12 I lit. b Rom I) und daher sinnwidrig wäre; zudem ginge mit einer solchen Begriffsbestimmung eine Absage an eine – grundsätzlich gebotene – einheitliche europäische Auslegung und damit eine Beeinträchtigung des innereuropäischen Entscheidungseinklangs einher, die nicht zu rechtfertigen ist, weil ein divergierender materieller Rechtsbegriff der jeweiligen lex fori keinesfalls spezifisch kollisionsrechtliche Wertungen des europäischen IPR verkörpern kann und damit völlig willkürlich wäre (ablehnend nun auch Hauser S. 89 f.). Ebenso muss ausscheiden, den rechtlichen Erfüllungsort anhand derjenigen Rechtsordnung zu bestimmen, welcher die potentiell anzuwendende Eingriffsnorm entstammt – denn abgesehen davon, dass insoweit ebenfalls nicht auf den in casu maßgeblichen rechtlichen Erfüllungsort abgestellt werden würde, führte dies dazu, dass „einem interventionistischen Recht Tür und Tor geöffnet“ wird (so treffend MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 116).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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Normen, welche die Gerechtigkeit inter partes zugunsten öffentlicher Gemeinwohlbelange einschränkt, entfalten kann213. Normen, die eine Regelung bezüglich des rechtlichen Erfüllungsortes treffen, implizieren ausschließlich (kollisionsrechtliche) Parteiinteressen, welche jedoch bei der Frage nach der kollisionsrechtlichen Behandlung von Normen, die öffentlichen Zwecken dienen und daher (kollisionsrechtliche) Gemeininteressen auf den Plan rufen, völlig bedeutungslos sind. Zum anderen führt ein solches Vorgehen insbesondere dazu, dass den Parteien vollständige Dispositionsfreiheit über die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen gewährt wird: Denn einerseits können sie auf materiellrechtlicher Ebene im Rahmen ihrer Privatautonomie den maßgeblichen Erfüllungsort vereinbaren – der dann für die Anwendung von Art. 9 III Rom I nach dieser Ansicht präjudizierende Wirkung hätte –, andererseits können sie auf kollisionsrechtlicher Ebene mittelbar den Erfüllungsort beeinflussen, indem sie – möglicherweise im Rahmen einer von Art. 3 I Rom I gestatteten Teilrechtswahl – eine ihnen genehme Rechtsordnung wählen. Eine solche Wahlmöglichkeit der a priori berücksichtigungsfähigen Eingriffsnormen wäre jedoch nicht von der durch diese Normen implizierten kollisionsrechtlichen Interessenlage gedeckt, da alleine Parteiinteressen eine Rechtswahl (und sei sie auch nur mittelbar) rechtfertigen können. Die Anwendung von Eingriffsnormen – auch solche ausländischer Staaten – kann folglich nicht der Disposition der Parteien überlassen werden, denn jene sind – wie Mankowski zu Recht ausführt – „ihrem Selbstverständnis nach Grenze, nicht Objekt der Parteiautonomie“214. Der rechtliche Erfüllungsort ist Art. 9 III Rom I demnach nicht zugrunde zu legen215. bb) Autonome Bestimmung des Erfüllungsortes Scheidet dieser Weg aus, muss eine Bestimmung des Erfüllungsortes unabhängig von einer materiellen Rechtsordnung anhand europarechtlichautonomer Kriterien erfolgen. Insoweit kommen zwei Möglichkeiten in 213

Das Abstellen auf den rechtlichen Erfüllungsort macht nach MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 116 „dann Sinn, wenn man die Vertragserfüllung in den Vordergrund stellt und mögliche Eingriffe auf ein Minimum beschränken will“. Letzteres könnte aber durchaus auch mit der – jedoch ebenfalls abzulehnenden, hierzu sub Kapitel 3 C.II.2.b)bb)(1) (S. 218 f.) – Konzentration auf einen einheitlichen, autonom bestimmten Erfüllungsort erfolgen. 214 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 120 (Aussage bezogen auf die „Schuldstatutstheorie“, zu dieser näher sub Kapitel 3 D.II.1 (S. 279 ff.)); ausführlich auch Kreuzer, Parteiautonomie und fremdes Außenwirtschaftsrecht, 89 (106-111, insbesondere 108). 215 Ablehnend ebenfalls Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 643; ders., IPRax 2009, 109 (114); Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 63; wohl auch MüKoMartiny Art. 9 Rom I Rn. 116; kritisch im Hinblick auf die Ralli-Rechtsprechung Kuckein S. 255.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Betracht: Da Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO bereits eine autonome Bestimmung des Erfüllungsortes von Kauf- und Dienstleistungsverträgen für das Prozessrecht kennt, könnte entweder diese verordnungsautonome Definition im Wege einer einheitlichen Auslegung auf Art. 9 III Rom I übertragen (bzw. für andere Vertragstypen weiterentwickelt) werden oder ein spezifisch kollisionsrechtlicher Erfüllungsortbegriff zu entwickeln sein. (1) Einheitlicher Erfüllungsort i.S.d. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO Schlägt man ersteren Weg ein, führt dies zur Festlegung eines einheitlichen Erfüllungsortes für alle vertraglichen Verpflichtungen, so dass bei einem synallagmatischen Vertrag zur Bestimmung des Erfüllungsortes nur auf eine Leistung abzustellen und zudem – sofern insoweit dennoch mehrere Erfüllungsorte in Betracht kommen – noch auf einen einzigen Erfüllungsort zu begrenzen wäre216. In entsprechender Anwendung des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO bildete demnach der einheitliche Erfüllungsort eines Vertrages über den Verkauf beweglicher Sachen den Ort, „an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätte geliefert werden müssen“, und eines Vertrages über die Erbringung von Dienstleistungen denjenigen Ort, „an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen“. Für ein solches Vorgehen spräche zunächst der – auch in dem Erwägungsgrund 7 Rom I zum Ausdruck kommende – Auslegungszusammenhang zwischen Rom I und EuGVVO, welcher eine einheitliche Auslegung gleichlautender Rechtsbegriffe erfordern könnte217. Darüber hinaus ließe sich die Konzentration auf einen einheitlichen Erfüllungsort ebenfalls zum einen auf den Wortlaut des Art. 9 III Rom I stützen, der aufgrund des verwendeten Singulars von einem einzigen Erfüllungsort auszugehen scheint218, zum anderen auf den mit Art. 9 III Rom I angeblich verfolgte Begrenzungszweck219, der eine restriktive Auslegung notwendig werden lassen könnte220.

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So jedenfalls für Kauf- und Dienstleistungsverträge Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 10 (noch ohne diese Einschränkung Hk-BGB/Staudinger (6. Auflage) Art. 34 EGBGB Rn. 34); vgl. auch Ferrari/Staudinger Int. VertragsR Art. 9 Rom I Rn. 39; dies ebenfalls erwägend, jedoch im Ergebnis ablehnend Freitag, IPRax 2009, 109 (113 f.). 217 Hierauf auch abstellend Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 10. 218 So spricht Art. 9 III 1 allein von „Eingriffsnormen des Staates“; hierauf hinweisend Freitag, IPRax 2009, 109 (113). 219 Allgemein hierzu etwa MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 113; Reithmann/MartinyFreitag Rn. 631; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 94; Mankowski, IHR 2008, 133 (148); ders., Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 56; vgl. auch die Nachweise in Fn. 228. 220 Darauf hinweisend Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 640; ders., IPRax 2009, 109 (113).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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Dennoch bereitet eine Beschränkung auf einen einzigen Erfüllungsort Bedenken. Abgesehen davon, dass die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung von kollisionsrechtlichem Erfüllungsort i.S.d. Art. 9 III Rom I und prozessualem Erfüllungsort i.S.d. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO bereits prima facie zweifelhaft erscheint, weil Art. 9 III Rom I sich von seinem Wortlaut wohl eher an Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO anlehnt221 und daher schon unklar ist, ob beide Normen überhaupt denselben Rechtsbegriff voraussetzen, stößt eine einheitliche Auslegung hier bereits grundsätzlich an ihre Grenzen, da beide Regelungen völlig unterschiedliche Zwecke verfolgen: Während der Gerichtsstand des Erfüllungsortes neben bestimmten prozessualen Erwägungen (insbesondere Sach- und Beweisnähe)222 maßgeblich an den Interessen der Parteien ausgerichtet ist und daher allem voran dem gerechten Ausgleich der widerstreitenden Zuständigkeitsinteressen beider Parteien dient223, geht es bei Art. 9 III Rom I um die hiervon grundverschiedene Frage, in welchen Fällen ausländische Bestimmungen, die öffentlichen Interessen des jeweiligen Erlassstaates dienen, gegen die Interessen der Parteien zur Anwendung gebracht werden können224. Eine einheitliche Auslegung des prozessualen und des kollisionsrechtlichen Erfüllungsortes kann daher nicht überzeugen, insbesondere weil das wesentliche Merkmal von Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO – die Konzentration auf einen einheitlichen Erfüllungsort – besonderen prozessualen Erwägungen (insbesondere Verhinderung einer Zuständigkeitszersplitterung225, restriktive Gewährung besonderer Gerichtsstände aufgrund des Regel-AusnahmeVerhältnisses von allgemeinem und besonderem Gerichtsstand 226 ) ge221

Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 640; vgl. auch MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 116. Freitag a.a.O. führt aus diesem Grunde weiter gegen eine Konzentration auf einen einheitlichen Erfüllungsort an, dass nach der „de Bloos“-Entscheidung (EuGH 06.10.1976 – Rs. C-14/76 Rn. 13/14) zu Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO durchaus „für unterschiedliche vertragliche Pflichten auch unterschiedliche Erfüllungsorte (und damit auch Vertragsgerichtsstände)“ zugelassen werden. 222 So führt der EuGH (EuGH 06.10.1976 – C-12/76 (Tessili/Dunlop) Rn. 13) aus, dass der Gerichtsstand des Erfüllungsortes „unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in bestimmten Fällen zwischen der Klage und dem zur Entscheidung hierüber berufenen Gericht eine besonders enge Verknüpfung besteht, im Interesse einer sachgerechten Prozeßführung in das Übereinkommen aufgenommen worden“ ist. 223 Vgl. etwa Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 2, 8; MüKo-Gottwald, ZPO, Art. 5 EuGVVO Rn. 1; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVVO Rn. 1; Kropholler § 58 III 2 a (S. 616); allgemein hierzu Schack Rn. 286-289. 224 Ähnlich auch Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 640. 225 Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVVO Rn. 23, 27. 226 Dieses wird insbesondere vom EuGH stark betont, vgl. etwa EuGH 27.09.1988 – C-189/87 (Kalfelis) Rn. 8; allgemein (und kritisch) hierzu Rauscher/Leible, EuZPR/ EuIPR (2011) Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 3.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

schuldet ist, die sich nicht auf das Kollisionsrecht übertragen lassen227. Besteht demnach keine Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung aufgrund des grundsätzlich gebotenen Auslegungszusammenhangs zwischen der Rom I-Verordnung und der EuGVVO, so ließe sich eine Konzentration auf einen einheitlichen Erfüllungsort – sieht man einmal vom Wortlaut ab, den man aber auch als „unbedachte“ Äußerung des europäischen Gesetzgebers betrachten könnte – alleine auf die teleologische Erwägung stützen, dass Art. 9 III Rom I eine Begrenzungsfunktion hinsichtlich potentiell zu berufender Eingriffsnormen aus Gründen der Vorhersehbarkeit statutsunabhängig anzuknüpfender Eingriffsnormen und damit einhergehender Rechtssicherheit zukommen soll228. Wenngleich – wie noch an späterer Stelle auszuführen sein wird – weder den Erwägungsgründen229 noch den Gesetzesmaterialien ein eindeutiger Hinweis für eine restriktive Auslegung des Art. 9 III Rom I zu entnehmen ist, spräche eine dahingehende Argumentation allenfalls für eine „Sperrwirkung“ des Art. 9 III Rom I, der eine – über den Wortlaut von Art. 9 III Rom I hinausgehende – Berücksichtigung von Eingriffsnormen, die nicht dem Staate des Erfüllungsortes entstammen, ausschließt230, nicht jedoch zwingend für die Annahme eines einheitlichen Erfüllungsortes231. Denn mit der von Art. 9 III Rom I vorgesehenen Beschränkung auf Normen des Erfüllungsortes wurde diesen Bedenken – sofern sie überhaupt angebracht sind – Rechnung getragen, da insoweit bereits eine Absage an eine allgemeine Generalklausel etwa i.S.d. Art. 8 III des Kommissionsvorschlags von 2005232 erteilt wurde. 227

Im Ergebnis, jedoch mit anderer Begründung, ebenso Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 640; ders., IPRax 2009, 109 (113 f.); auch MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 116. Nunmehr auch Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 63; Hauser S. 91 f. 228 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (542 f.); Cheshire, North & Fawcett S. 740; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 62; zu den bezüglich Art. 8 III Rom I KOM (2005) 650 endg. bestehenden Bedenken ausführlich Dickinson, JPIL 3 (2007), 53 (61-73). 229 Auch wenn Erwägungsgrund 37 Rom I davon ausgeht, dass Eingriffsnormen „unter außergewöhnlichen Umständen“ angewandt werden können, und sich hierauf (jedoch aufgrund des relativierenden Folgesatzes keineswegs zwingend) eine restriktive Auslegung des Art. 9 Rom I stützen ließe, gilt zu bedenken, dass jener Erwägungsgrund nicht zwischen in- und ausländischen Eingriffsnormen unterscheidet. Daher könnte zwar eine restriktive Auslegung des Art. 9 I Rom I, der sowohl in- als auch ausländische Eingriffsnormen zu definieren versucht, begründet werden, nicht jedoch zwingend auch eine restriktive Auslegung des alleine ausländische Eingriffsnormen betreffenden Art. 9 III Rom I, weil Erwägungsgrund 37 Rom I keinerlei Hinweise für eine unterschiedliche Behandlung in- und ausländischer Eingriffsnormen enthält. 230 Vgl. hierzu sub Kapitel 3 D.I.1.b) (S. 267 f.). 231 Dies gilt freilich erst recht dann, wenn man mit der hier vertretenen Ansicht eine Sperrwirkung des Art. 9 III Rom I verneint; vgl. hierzu Kapitel 3 D.I.1 (S. 265 ff.). 232 KOM (2005) 650 endg.; vgl. Fn. 17.

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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Vor diesem Hintergrund kann der Annahme eines einheitlichen Erfüllungsortes nicht gefolgt werden: Zum einen ist das Abstellen auf nur eine vertragliche Verpflichtung im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages zur Bestimmung des maßgeblichen Erfüllungsortes nicht überzeugend, da zwangsweise die Frage geklärt werden müsste, welche Verpflichtung hierfür Maßgeblichkeit entfaltete. Diese Entscheidung lässt sich indes für die Zwecke des Kollisionsrechts nicht sinnvoll treffen, da nicht wirklich zu begründen ist, welche der beiden synallagmatischen (Haupt-) Pflichten insoweit entscheidend wäre: Geht man etwa in Anlehnung an Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO davon aus, dass hierfür die charakteristische Leistung des Vertrages maßgeblich sein soll, so mag diese Erwägung Relevanz für die Gewichtung der konkreten Parteiinteressen entfalten (und damit das objektive Vertragsstatut oder die in Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO vorgesehenen Gerichtsstände tragen), jedoch keinesfalls für die Frage, welche staatlichen Interessen wir bei der Beurteilung eines zivilrechtlichen Vertrages zu beachten haben233. Denn warum sollten die Interessen desjenigen Staates, in welchem die charakteristische Leistung erbracht wird, schützenswerter sein als diejenigen Interessen des Staates, in welchem „nur“ die im Synallagma stehende Geldleistung erbracht wird? Eine sachgerechte Begründung lässt sich hierfür nicht finden. Besonders deutlich wird die Sinnwidrigkeit eines „Stichentscheides“ zudem bei einem Tauschvertrag, bei welchem eine Entscheidung nun in der Tat völlig willkürlich wäre. Eine Differenzierung anhand des von den Parteien selbst festgelegten Vertragsinhalts stellt für die Frage nach der Anwendbarkeit ausländischer Eingriffsnormen, welche die Vertragsfreiheit der Parteien gerade beschränken, kein geeignetes Kriterium dar und ist folglich abzulehnen234. Doch nicht nur die Beschränkung auf eine Verpflichtung, anhand derer der maßgebliche Erfüllungsort zu bestimmen wäre, weckt Bedenken, sondern auch – zum anderen – die weitere Konzentration auf einen einheitlichen Erfüllungsort, wenn trotz des beschriebenen Vorgehens – etwa bei einer in mehreren Staaten zu erbringenden Dienstleistung – mehrere Erfüllungsorte in Betracht kommen. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO bedarf es in diesem Falle der Bestimmung 233 Daher zu Recht ablehnend Mankowski, IHR 2008, 133 (148); ders., Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 58. 234 Ebenso Plender/Wilderspin 12-027; Mankowski, IHR 2008, 133 (148). Abzulehnen wäre auch der Gedanke, dass – im Sinne der de Bloos-Rechtsprechung, vgl. Fn. 221 – eine Entscheidung anhand der konkret streitigen Verpflichtung getroffen wird. Ein solches Vorgehen würde die Anwendung der maßgeblichen Eingriffsnormen, die Auswirkungen auf den ganzen Vertrag haben, davon abhängig machen, welche Partei klagt – dies wäre jedoch völlig zufällig und würde zudem die Anwendbarkeit ausländischer Eingriffsnormen in das Belieben dieser Partei stellen, hiergegen bereits sub Kapitel 3 C.II.2.b)aa) (S. 215 ff.); auch dies ebenfalls ablehnend Plender/Wilderspin 12-027.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

eines „Haupterfüllungsortes“ anhand wirtschaftlicher Kriterien; kommen dennoch mehrere Orte in Betracht, obliege die Auswahl der klagenden Partei, da dieser insoweit ein Wahlrecht zustehe235. Abgesehen davon, dass die Ermittlung eines „Haupterfüllungsortes“ im Prozessrecht zahlreiche praktische Probleme verursacht und eine Übernahme dieses Erfordernisses für Art. 9 III Rom I bereits deswegen Skepsis bereiten sollte236, wäre ein solches Vorgehen für die Bestimmung des eingriffsrechtlichen Erfüllungsortes wiederum wenig sinnvoll, da zum einen schwerlich begründet werden könnte, warum alleine der wirtschaftliche Schwerpunkt der geschuldeten charakteristischen Leistung über die Beachtlichkeit ausländischer Allgemeininteressen entscheiden solle, zum anderen – bei wirtschaftlich „gleichwertigen“ Erfüllungsorten – es der Freiheit welcher Partei auch immer obliegen solle, über ausländische Gemeininteressen zu disponieren237. Nach alledem ist eine Bestimmung eines einheitlichen Erfüllungsortes entsprechend Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO im Rahmen von Art. 9 III Rom I ungeeignet und daher abzulehnen238. (2) Autonome kollisionsrechtliche Erfüllungsortbestimmung Gehen wir somit davon aus, dass die Konkretisierung des Erfüllungsortes in Art. 9 III Rom I anhand einer autonomen, jedoch von dem europäischen Prozessrecht unabhängigen und daher originär kollisionsrechtlichen Begriffsbestimmung zu erfolgen hat, fragt sich weiter, welcher Gestalt diese sein soll. Da der rechtliche Erfüllungsort aus bereits genannten Gründen ausscheidet, kann hierfür alleine ein faktisches Verständnis zugrunde gelegt werden, so dass auf den tatsächlichen Erfüllungsort abzustellen ist239. Zu dessen Bestimmung sind all diejenigen Orte in Betracht zu zie235 Vgl. hierzu EuGH 03.05.2007 – Rs. C-386/05 (Color Drack) und insbesondere EuGH 09.07.2009 – Rs. C-204/08 (Rehder); auch EuGH 11.03.2010 – Rs. C-19/09 (Wood Floor Solutions Andreas Domberger GmbH). 236 Hierauf hinweisend Freitag, IPRax 2009, 109 (113); dies auch eingestehend HkBGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 10. 237 Insoweit stellen sich wiederum die bereits sub Kapitel 3 C.II.2.b)aa) (S. 215 ff.) ausgeführten Bedenken. 238 Im Ergebnis ebenso Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 640; ders., IPRax 2009, 109 (113 f.); MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 116; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 63; PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 7; Mankowski, IHR 2008, 133 (148); wohl auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (543). 239 Ebenso Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 643; ders., IPRax 2009, 109 (114); Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 12; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 64; PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 7; KBB-Musger Art. 9 Rom I Rn. 4; Hauser S. 93; erwägend auch MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 116; Mankowski, IHR 2008, 133 (148). Ähnlich bereits Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (295); ders., FS Kiel, 124 (127 f.), der darauf abstellt, ob sich Wertbewegungen in dem betreffenden Staat vollziehen (vgl. sub Kapitel 3 C.I.1.c)aa) (S. 196)). Wohl entgegen Freitag, IPRax 2009, 109

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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hen, an denen die Parteien zum Zwecke der Erfüllung ihrer jeweiligen Verpflichtungen Erfüllungshandlungen vorgenommen haben bzw. – sofern diese noch nicht erfolgt sind – vornehmen müssen240. Legt man Art. 9 III Rom I weit aus241, so kann unter einer Erfüllungshandlung nicht nur die – jeweils faktisch zu verstehende – Leistungshandlung, sondern auch der Leistungserfolg verstanden werden242, so dass etwa bei einem Vertrag über die Lieferung einer Sache nicht nur auf den Ort des Abschickens, sondern auch auf den Zielort der Lieferung abzustellen ist243. Begreift man den Wortlaut in diesem Sinne, so führt dies zu einer Vielzahl zumindest potentiell berücksichtigungsfähiger Eingriffsnormen ausländischer Staaten, was jedoch nicht bedeutet, dass diese auch im Ergebnis zur Anwendung gebracht werden müssen. Wie noch auszuführen ist 244, entscheidet hierüber – entsprechend der Behandlung inländischer Eingriffsnormen – die durch die jeweilige Sachnorm implizierte kollisionsrechtliche Interessenlage, so dass in einem zweiten Schritt eine Einschränkung der statuts(113 f.) stellt ein faktisches Verständnis des Erfüllungsortes indes keinen Widerspruch zu einer einheitlichen europarechtlich-autonomen Begriffsbestimmung dar, sondern verkörpert eine solche; vgl. auch MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 116. 240 So zu Recht Freitag, IPRax 2009, 109 (114); ebenso PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 7: „Für Art. 9 III kommt es auf eine tatsächliche oder potentielle Berührung des Leistungsvorganges [...]“ an. Zur Beurteilung von Letzterem wird man auf die Abrede der Parteien abzustellen haben – jedoch nicht zur Bestimmung des rechtlichen Erfüllungsortes, sondern zur Bestimmung der potentiellen tatsächlichen Handlungsorte. 241 Eine weite Auslegung ist grundsätzlich geboten, weil der Wortlaut nach den bisherigen Ausführungen nur die „äußere Grenze“ bilden kann – ob die fraglichen Normen dann in concreto einer statutsunabhängigen Anknüpfung zugänglich sind, muss eine spezifisch kollisionsrechtliche Interessenbewertung für die Norm ergeben. Für eine weite Auslegung auch PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 7; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 64 (wenngleich wohl zu weitgehend, vgl. Fn. 436); ebenfalls Roth, FS Kühne, 859 (875): „Letztlich wird man den Begriff des Erfüllungsortes nicht zu eng sehen dürfen [...]“. 242 So nun auch Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 64; PWWRemien Art. 9 Rom I Rn. 7; anders wohl Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (628): begrifflich sei nur der Leistungserfolgsort erfasst; eine Ausdehnung auf den Ort der Leistungshandlung komme „allenfalls in Fällen in Betracht, in denen es dem Erwartungshorizont der Parteien nach dem Vertrag entspricht, dass bestimmte Leistungshandlungen in einem anderen Staat als dem Staat des Erfüllungsorts vorgenommen werden“; ebenso Kindler S. 69. 243 Da es bei der Bestimmung des Erfüllungsortes aus sub Kapitel 3 C.II.2.b)aa) (S. 215 ff.) genannten Gründen nicht auf die sachrechtliche Risikoverteilung inter partes ankommen kann, muss dies unabhängig davon gelten, ob die Lieferung der Sache in einen anderen Staat Bestandteil der geschuldeten Leistung ist oder nicht (wie etwa bei einem Versendungskauf i.S.d. § 447 BGB). Insoweit ist es folglich als ausreichend zu betrachten, dass die Versendung – unabhängig davon, ob diese konkret geschuldet ist – als tatsächlicher Erfüllungsakt von Seiten des Verkäufers veranlasst wurde, diese also bei faktischer Betrachtung als Handlung seitens des Verkäufers zum Zwecke der Erfüllung erscheint. 244 Hierzu sub Kapitel 3 C.II.3 (S. 231 ff.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

unabhängig anzuknüpfenden Normen anhand spezifisch kollisionsrechtlicher Erwägungen erfolgt.

Es fragt sich jedoch, ob die nach dem Wortlaut des Art. 9 III Rom I berücksichtigungsfähigen Eingriffsnormen bereits auf dieser Ebene anhand weiterer Kriterien einzuschränken sind – und die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, welchen Telos man Art. 9 III Rom I zugestehen will. Geht man davon aus, dass der Beschränkung des Art. 9 III Rom I auf Eingriffsnormen des Erfüllungsortes keine spezifische Bedeutung zukommt, sondern alleine der deklaratorischen Kennzeichnung einer Gruppe von Normen dient, die anhand der herkömmlichen Methodik zur Anwendung gebracht werden können245, bedarf es für eine heuristische Vorauswahl der potentiell gesondert anzuknüpfenden Bestimmungen keiner weiteren Einschränkung, da es insoweit ausschließlich der herkömmlichen, ggf. zu ergänzenden kollisionsrechtlichen Interessenbewertung obliegt, die Frage nach der An- oder Nichtanwendung der vom Wortlaut vorab gekennzeichneten Normen zu beantworten. Demgegenüber wird verbreitet davon ausgegangen, dass die Beschränkung auf Normen des Erfüllungsortes Ausdruck einer spezifischen gesetzgeberischen Wertung darstelle, die für eine gesonderte Anknüpfung in Betracht kommenden Eingriffsnormen etwa zugunsten einer weitgehenden Parteiautonomie oder der Vorhersehbarkeit der anzuknüpfenden Bestimmungen einzuschränken, also „klar einen Begrenzungszweck“ 246 verfolge 247 . Gesteht man Art. 9 III Rom I eine solche Begrenzungsfunktion zu, mag der Gedanke einer weiteren Restriktion der nach dem Wortlaut für eine gesonderte Anknüpfung in Betracht kommenden Sachnormen naheliegen; er ist jedoch – wie bereits ausgeführt wurde – keinesfalls zwingend, da sich der postulierte, im Übrigen sehr vage und durchaus fragwürdige248 Begrenzungszweck auch schlicht in der Beschränkung auf Normen des Erfüllungsortes (und der damit einhergehenden Absage an eine allgemeine Generalklausel im Sinne des Art. 7 I EVÜ und des Art. 8 III des Kommissionsvorschlags von 2005) erschöpfen könnte, ohne dass damit eine weitergehende Restriktion des Wortlauts verbunden sein müsste. Eine solche ist alleine dann überzeugend, wenn sie von spezifisch kollisionsrechtlichen Erwägungen getragen wird, und diese könnten sich aus der „Machttheorie“ ergeben,

245 Dies liegt insbesondere dann nahe, wenn man mit der hier vertretenen Meinung eine „Sperrwirkung“ von Art. 9 III Rom I verneint und diesen daher nur als ein bereits kodifiziertes Beispiel einer statutsunabhängigen Anknüpfung betrachtet (vgl. hierzu sub Kapitel 3 D.I.1 (S. 265 ff.) m.N.). 246 Mankowski, IHR 2008, 133 (148). 247 Vgl. die Nachweise in Fn. 219 und Fn. 228. 248 Hierzu näher sub Kapitel 3 D.I.1 (S. 265 ff.).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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welche nach verbreiteter Ansicht Art. 9 III Rom I zugrunde liegen soll249. Nach diesem von Kegel begründeten Ansatz sind „[a]usländische politische oder wirtschaftspolitische Vorschriften, die Schuldverträge verbieten oder nachträglich in Rechte aus Schuldverträgen eingreifen [...], [...] grundsätzlich dann und nur dann anzuwenden, wenn der ausländische Staat, der sie erlassen hat, die Macht besitzt, sie durchzusetzen“250. Die Machttheorie beschreibt damit nicht nur den rechtspolitischen Grund, warum wir ausländische Bestimmungen, die dem Interesse des jeweiligen Erlassstaates Rechnung tragen, überhaupt zur Anwendung bringen sollen, sondern präjudiziert zugleich auch die – auf diesen rechtspolitischen Grund ausgerichtete – Anknüpfungsmethode, indem unter Verzicht auf eine differenzierte kollisionsrechtliche Interessenprüfung diejenigen Normen, welche jene Anforderungen erfüllen, ohne weitere Voraussetzungen zur Anwendung gebracht (und nicht etwa nur faktisch berücksichtigt) werden251. Läge Art. 9 III Rom I dieser Telos zugrunde, so müssten die 249

So insbesondere Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 632, 643; ders., IPRax 2009, 109 (114); Mankowski, IHR 2008, 133 (148); Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 12; Rauscher/ Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 63 (wenngleich die Genannten hieraus keine weitergehende Restriktion der a priori in Betracht kommenden faktischen Erfüllungsorte annehmen). Zu der Machttheorie als kollisionsrechtlicher Ansatz ausführlich Wördemann S. 334-337; Zeppenfeld S. 84-89; Fetsch S. 33 f.; Kuckein S. 106-109. 250 Soergel-Kegel (11. Auflage) Vor Art. 7 EGBGB Rn. 396; bereits ders., FS Lewald, 259 (269); Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid, 233 (239, 242-244); ebenso Drobnig, FS Neumayer, 159 (172, 178); Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 85, 90; von Hoffmann/Thorn § 10 Rn. 99. Zudem folgte der BGH teilweise der Machttheorie, vgl. etwa BGHZ 31, 367 (372); BGHZ 64, 183 (190). Dieser Ansatz ist strikt von der Berücksichtigung tatsächlicher Auswirkungen von Eingriffsnormen als im Rahmen der lex causae zu bewertender tatsächlicher Sachumstand zu unterscheiden (hierzu Kapitel 3 B.I.1 (S. 175 ff.)), da die Machttheorie die Voraussetzungen für eine kollisionsrechtliche Berufung ausländischer Normen, also einer echten Normanwendung beschreibt („positives Territorialitätsprinzip“, vgl. Kuckein S. 106); näher zum Ansatz der Machttheorie etwa Wördemann S. 334-337; Zeppenfeld S. 84-89; Stoll S. 242-244; Fetsch S. 33 f.; Kuckein S. 106-109. 251 Kuckein S. 106 f. bezeichnet diese als eine „Form der kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung“; ebenso von Bar/Mankowski § 4 Rn. 106; Schubert, RIW 1987, 729 (734); hinsichtlich der Rechtsprechung des BGH zudem Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (397-399). Eine dahingehende Einordnung erscheint jedoch zweifelhaft, da nach der Machttheorie der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Anwendung einer ausländischen Norm das autonom gesetzte Kriterium der – wie auch immer zu bestimmenden – „Durchsetzungsmacht“ des Erlassstaates bildet, nicht aber die kollisionsrechtliche Gerechtigkeitsentscheidung des Erlassstaates (mag diese auch mittelbare Bedeutung entfalten, weil der Erlassstaat die fragliche Norm freilich erst bei Anwendungswilligkeit durchsetzt). Ein Übergang zu einem unilateralistischen System liegt hierin indes nicht, sondern „nur“ ein Bruch mit den herkömmlichen „legitimen“ Abwägungstopoi, die insoweit auf tatsächliche Umstände reduziert werden – demnach ändert sich alleine die Anknüpfungsmethode im herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen System, so

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

nach dem Wortlaut in Betracht kommenden Eingriffsnormen bereits auf dieser Ebene weiter eingeschränkt werden, und zwar anhand der Erwägung, in welchen Fällen eine ausreichende Einflussmöglichkeit des jeweiligen Erlassstaates anzunehmen ist, die eine Anwendung der fraglichen Bestimmung rechtfertigt. Kegel schlägt vor, „Macht“ als „überwiegende Wahrscheinlichkeit, den eigenen Willen durchzusetzen“252, zu verstehen, und sieht konsequent dann eine für die Normanwendung ausreichende Einflussposition des jeweiligen Staates gegeben, wenn Vermögenswerte in diesem Staat belegen sind253. Konkretisiert man den Erfüllungsort in diesem Sinne, so könnten bei einem Vertrag mit einem physisch „greifbaren“ Leistungsgegenstand (zumindest bei Annahme einer „Sperrwirkung“ von Art. 9 III Rom I 254) wohl alleine Eingriffsnormen desjenigen Staates zur Anwendung gebracht werden, in welchem sich die geschuldete Leistung aktuell (physisch) befindet255, weil nur in diesem Falle eine hinreichende Machtposition zu bejahen sein dürfte. Sofern der Vertragsgegenstand in einen anderen Staat zu liefern wäre, hinge die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen folglich von der „Zufälligkeit“ ab, ob bereits „über die Grenze“ geleistet wurde, der jeweilige Leistungsgegenstand also schon in den „Machtbereich“ eines anderen Staates gelangt ist oder nicht.

Ob Art. 9 III Rom I wirklich eine Ausprägung der „Machttheorie“ im beschriebenen Sinne darstellt, erscheint indes zweifelhaft. Weder die der Rom I-Verordnung vorangestellten Erwägungsgründe noch sonstige Dokumente des Gesetzgebungsverfahrens enthalten dahingehende Hinweise und bereits der Wortlaut spricht gegen diese Annahme, da nach diesem ausdrücklich auch Eingriffsnormen desjenigen Staates berücksichtigungsfähig sein sollen, in dem „erfüllt werden soll[]“, folglich also eine aktuelle dass mit der Machttheorie zumindest ein intrinsischer Methodendualismus einhergeht (da Kegel selbst Eingriffsnormen dem IÖR zurechnet – Nachweise vgl. Fn. 258 –, ist mit diesem Ansatz sogar ein extrinsischer Systemdualismus verbunden). 252 Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid, 233 (239, 242); kritisch zu der praktischen Durchführbarkeit der Feststellung einer solchen Machtposition aufgrund mangelnder Bestimmtheit Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 133, Wördemann S. 336; Zeppenfeld S. 87; Fetsch S. 34. 253 Soergel-Kegel (11. Auflage) Vor Art. 7 EGBGB Rn. 396; Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid, 233 (242 f., 246). Die Konkretisierung einer hinreichenden Machtposition des Erlassstaates war bislang jedoch umstritten; vgl. hierzu etwa Kuckein S. 107 f. Eine weitere Möglichkeit läge etwa darin, auf den Wohnsitz des Schuldners abzustellen (dies aber verwerfend Soergel-Kegel (11. Auflage) Vor Art. 7 EGBGB Rn. 396). 254 Hierzu sub Kapitel 3 D.I.1 (S. 265 ff.). 255 Für diese Konsequenz aus der Machttheorie (unter der alten Rechtslage) auch Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 62; Zeppenfeld S. 88; Beulker S. 68 Fn. 50; Kuckein S. 145 f. Ein solcher Ansatz zöge freilich zahlreiche Folgeprobleme nach sich, etwa die Frage nach der „Belegenheit“ der im Synallagma stehenden Forderung; diese Schwierigkeit einräumend Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid, 233 (242); die grundsätzliche Geeignetheit von „Macht“ als Anknüpfungspunkt für die kollisionsrechtliche Entscheidung daher zu Recht bezweifelnd die in Fn. 252 Genannten.

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

227

Machtposition dieses Staates (noch) gar nicht gegeben sein muss. Zudem macht ein Vergleich mit Art. 6 Rom II, der zumindest auch typische Eingriffsnormen zum Gegenstand hat und diese völlig unabhängig von einer konkreten oder auch nur abstrakten Machtposition des Erlassstaates zur Anwendung bringt, deutlich, dass jedenfalls im Bereich des internationalen Deliktsrechts keineswegs die Machttheorie als kollisionsrechtlicher Ansatz zur Berufung ausländischer Eingriffsnormen zugrunde gelegt wurde, sondern deren Anwendung anhand einer herkömmlichen (und differenzierten) kollisionsrechtlichen Interessenabwägung erfolgt. Warum jedoch nun ausgerechnet im Bereich des internationalen Vertragsrechts fremde Machtansprüche eine besondere Bedeutung einnehmen sollen, lässt sich nicht konsistent begründen. Insbesondere vermag jedoch die „Machttheorie“ als kollisionsrechtlicher Ansatz zur Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnomen nicht zu überzeugen 256 . Abgesehen davon, dass deren theoretisches Fundament wiederum die – nach hier zugrunde gelegter Ansicht abzulehnende257 – Dichotomie von herkömmlichem Zivilrecht und zivilrechtsrelevantem Eingriffsrecht, das dem Öffentlichen Recht zuzurechnen sei, bildet258, bereitet die Berücksichtigung von „Macht“ als alleiniger Grund für die Berufung ausländischer Eingriffsnormen insbesondere deswegen Bedenken, weil damit die autonome kollisionsrechtliche Gerechtigkeitsentscheidung auf die Wiedergabe rein tatsächlicher Umstände reduziert wird – Macht würde auf diese Weise zu Recht gemacht259, und es lässt sich mit Mann durchaus die Frage stellen, ob dies nicht bereits gegen die Rechtsidee als solche verstößt260.

256 Daher zu Recht (hinsichtlich der alten Rechtslage) ablehnend die überwiegende Ansicht – mit ausführlicher, über die folgenden Ausführungen hinausgehender Kritik etwa Wördemann S. 335-337; Zeppenfeld S. 86-89; Kuckein S. 106-109; ablehnend auch Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 88; Fetsch S. 33 f.; Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 132 f. 257 Hierzu Kapitel 1 B.III.1 (S. 40 ff.). 258 Vgl. zu Kegels Ansatz bereits Kapitel 1 B.III (S. 39); deutlich etwa Soergel-Kegel (11. Auflage) Vor Art. 7 EGBGB Rn. 395; ders., FS Lewald, 259 (269); ders., FS SeidlHohenveldern, 243 (250-252); Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid, 233 (236, 239-244). 259 So ausdrücklich auch Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid, 233 (242); dies zu Recht ablehnend Mann, FS Wahl, 139 (155): Der Anknüpfungspunkt Macht „verleugnet den für Juristen allein wegweisenden Gerechtigkeitsmaßstab“; Heini, ZSchweizR 100 (1981), 65 (71 f.); Wördemann S. 336 f. 260 Mann, RabelsZ 28 (1964), 757 (758); sich auf Mann ebenfalls berufend Fetsch S. 34. Kritisch ebenso Kuckein S. 109: „Im Rahmen der ‚Machttheorie’ findet insoweit ein unzulässiger Schluss vom tatsächlichen ‚Sein’ (Macht) zum auf das normative ‚Sollen’ statt“ (Kuckein beruft sich hierfür auf Larenz/Canaris S. 23, vgl. a.a.O. S. 109 Fn. 280); ebenso Zeppenfeld S. 86 f. („Zirkelschluß“).

228

3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Wenngleich die Berücksichtigung von faktischen Gegebenheiten – etwa die Durchsetzungsfähigkeit von Urteilen – durchaus als legitimer Topos der kollisionsrechtlichen Interessenbewertung – nämlich als Teilaspekt von Ordnungsinteressen – anzusehen ist 261, so liegt doch die Besonderheit der „Machttheorie“ darin begründet, dass tatsächliche Aspekte nicht eines unter mehreren, gegeneinander abzuwägenden Topoi, sondern das ausschließliche Anwendungskriterium bilden. Damit fragt sich, ob überhaupt noch von einer autonomen Gerechtigkeitsentscheidung des Forums gesprochen werden kann, weil dieses sich letztlich nur bestehenden Machtverhältnissen ohne eigene Gerechtigkeitserwägungen beugt 262. Ein solcher Ansatz führte – um eine Formulierung von Kegel aufzugreifen 263 – nun doch zu einem – wenngleich autonom gesetzten – „internationalen Faustrecht“, das ein „Vordrängeln“ selbstgerechter – oder wohl passender: „potenter“ – Sachnormen ermöglichte.

Auch lässt sich schwerlich erklären, weshalb wir solchen „potenten“ Sachnormen überhaupt zur Anwendung verhelfen sollten. Denn dem Umstand, dass ein Staat in seinem Machtbereich bestimmte Eingriffsnormen auch tatsächlich durchzusetzen vermag, lässt sich nach obigen Ausführungen264 angemessen im Rahmen der anzuwendenden lex causae – also materiellrechtlich – berücksichtigen, ohne dass man hierfür zugleich auch auf den rationalen Gehalt dieser Vorschrift abstellen und damit den öffentlichen Interessen des „durchsetzungsmächtigen“ Erlassstaates Rechnung tragen müsste. Die Anwendung solcher Bestimmungen ist daher für eine umfassende und „gerechte“ Würdigung des Sachverhaltes nicht erforderlich, sie entspringt also mitnichten einer faktischen Notwendigkeit, wie die Machttheorie suggeriert, sondern stellte eine darüber hinausgehende normative und damit autonome Grundsatzentscheidung des kompetenten Gesetzgebers dar, die dieser jedoch – zumindest ausdrücklich – überhaupt nicht getroffen hat. Den Ansatz der Machttheorie dennoch in Art. 9 III Rom I „hineinzulesen“, kann nicht überzeugen, weil sich dieser weder in das herkömmliche kollisionsrechtliche System noch in die herkömmliche Methodik einfügt, sondern wiederum einen extrinsischen265 System- und Methodendualismus begründete, welcher abermals nicht nur die Inkohärenz des kollisionsrechtlichen (Gesamt-) Systems, sondern auch die

261

Siehe hierzu sub Kapitel 3 C.II.3 (S. 231). So auch Sonnenberger, FS Rebmann, 819 (831). 263 Vgl. Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (82), der dies dem unilateralistischen Ansatz der Sonderanknüpfungslehre entgegenhält. 264 Vgl. hierzu sub Kapitel 3 B.I.1 (S. 175 ff.). 265 Nachweise vgl. Fn. 258; freilich ließe sich ebenso – entgegen Kegel – „nur“ ein intrinsischer Methodendualismus begründen, indem man Eingriffsnormen zwar dem IPR unterfallen lässt, jedoch einer anderen Anknüpfungsmethode unterstellt – aber auch dies wäre vor dem Hintergrund der Notwendigkeit eines kohärenten kollisionsrechtlichen Systems nicht zu rechtfertigen, vgl. hierzu ausführlich Kapitel 1 B.III.2 (S. 50 ff.). 262

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

229

(hieraus resultierenden) bekannten praktischen Abgrenzungsprobleme 266 zur Folge hätte. Hierfür gibt es nach obigen Ausführungen keine (überzeugende) Rechtfertigung267, der Ansatz der Machttheorie widerspricht sogar der hier zugrunde gelegten Vorstellung eines sachrechtliche Wertungen verwirklichenden Kollisionsrechts, weil wir den kollisionsrechtlichen Anwendungsbereich ausländischer Eingriffsnormen – völlig unabhängig von deren materiellen Besonderheiten – „blind“ bestimmen müssten. Zudem ist der Ansatz der Machttheorie auch rechtspolitisch fragwürdig. Denn die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen von der Durchsetzungsmacht jedes einzelnen Staates abhängig zu machen, erscheint zum einen zu weitgehend, weil wir ausländische Normen, die den öffentlichen Interessen eines fremden Staates dienen, unabhängig von ihrem – möglicherweise von uns nicht geteilten – inhaltlichen Regelungsgehalt zur Anwendung bringen müssten (und diese allenfalls am ordre public scheitern lassen könnten), zum anderen dagegen auch zu eng, weil mit der vorgeschlagenen Konkretisierung des Art. 9 III Rom I i.S.d. Machttheorie eine starke Beschränkung der potentiell berücksichtigungsfähigen ausländischen Eingriffsnormen einherginge, welche jedenfalls dann unangemessen ist, wenn wir mit jenen aufgrund vergleichbarer Interessen sympathisieren, der Erlassstaat jedoch nicht die konkrete Macht hat, diese durchzusetzen 268 . Letztere Normen nur deswegen nicht anzuwenden, weil wir „egoistisch“ sind und grundsätzlich öffentliche Interessen anderer Staaten nicht wahrnehmen wollen, erscheint in der Tat ein „Rückschritt gleichsam in die Steinzeit des IPR“269, weil wir den Individuen im internationalen Verkehr in diesem Falle mehr Rechtsmacht zugestehen würden, als dies nach übereinstimmenden Wertungen der beteiligten Rechtsordnungen der Fall wäre und wir damit den Parteien ermöglichten, ihre – von uns – zugestandene privatrechtliche Handlungsmacht auch gegen – von uns – geteilte und daher auch grundsätzlich für schutzwürdig befundene Gemeinwohlinteressen anderer Staaten einzusetzen, so dass wir uns letztlich zum „Handlanger“ einer solchen Verletzung machten, würden wir jene Normen vor unseren Gerichten nicht berücksichtigen. 266

Vgl. hierzu etwa Kapitel 2 B.II.1.a) (S. 138 f.) und Kapitel 3 C.I.2.b)bb)(3) (S. 208 f.). 267 Vgl. hierzu insbesondere Kapitel 1 (S. 5 ff.). 268 Ähnlich Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 14; zur alten Rechtslage etwa StaudingerMagnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 133. Auch Soergel-Kegel (11. Auflage) Vor Art. 7 EGBGB Rn. 396 sieht hierin einen Grund für die Berufung solcher Normen, nimmt also insoweit eine Ausnahme von der Machttheorie an; ebenso Drobnig, FS Neumayer, 159 (174, 178), Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 85, 90 f., von Hoffmann/Thorn § 10 Rn. 99 und letztlich auch der BGH (vgl. sub Kapitel 3 C.II.4.a)aa) (S. 239)). 269 So Mankowski, IHR 2008, 133 (148) bezüglich des von Art. 9 III Rom I verwendeten Anknüpfungskriteriums des Erfüllungsortes.

230

3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Nehmen wir in Anlehnung 270 an den vom BGH entschiedenen „nigerianischen Maskenfall“ folgendes Beispiel: Verkäufer V aus Nigeria liefert dem Käufer K aus Deutschland nigerianische Masken, deren Ausfuhr nach dem nigerianischen Kulturgüterschutzgesetz verboten ist, nach deutschem Recht jedoch nicht, da dieses nur deutsche Kulturgüter schützt271. Legt man nach vorzugswürdiger Ansicht Art. 9 III Rom I weit aus, so könnte das nigerianische Verbotsgesetz im Rahmen von Art. 9 III Rom I grundsätzlich zur Anwendung gebracht werden, weil V Erfüllungshandlungen in Nigeria vorgenommen hat. Konkretisiert man allerdings den Erfüllungsort i.S.d. Machttheorie, so wäre der Erfolg einer etwaigen Klage des V auf Zahlung des Kaufpreises davon abhängig, ob dieser bereits die Sache aus Nigeria verbracht hat oder nicht – nur in letzterem Falle wäre eine tatsächliche Machtposition Nigerias gegeben, welche eine Durchsetzung des nigerianischen Ausfuhrverbotes rechtfertigte 272. Dieses Ergebnis könnte nach hier vertretener Ansicht auch nicht über eine materiellrechtliche Berücksichtigung des nigerianischen Verbotes etwa im Rahmen von § 138 BGB (bzw. einer vergleichbaren Norm der lex causae) korrigiert werden, da dieser von der Rechtsprechung eingeschlagene Weg nunmehr aufgrund des Anwendungsvorrangs der Rom I-Verordnung nicht mehr gangbar ist273. Die Vermeidung dieser „inakzeptable[n] Folge“274 kann – sofern man Art. 9 III eine Sperrwirkung zubilligen will – folglich alleine dadurch erreicht werden, dass man den Erfüllungsort weit auslegt und einer Konkretisierung i.S.d. Machttheorie eine Absage erteilt.

Damit lässt sich festhalten: Eine Notwendigkeit, bei der Konkretisierung des Erfüllungsortes i.S.d. Art. 9 III Rom I die Machttheorie zugrunde zu legen, besteht nicht. Ein solcher Weg würde zu unangemessenen Ergebnissen führen und ist damit abzulehnen275. Der anhand faktischer Kriterien zu bestimmende, spezifisch kollisionsrechtliche Erfüllungsort kann folglich weit ausgelegt werden und beschreibt daher alle Orte, an welchen zum Zwecke der Erfüllung gehandelt wird oder werden soll, unabhängig davon, ob der jeweilige Erlassstaat die Macht hat, diese auch durchzusetzen. Eine darüber hinausgehende Eingrenzung ist alleine einer spezifisch kollisionsrechtlichen Interessenprüfung vorbehalten.

270

In dem Originalfall (BGH NJW 1972, 1575) ging es konkret um Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag, welcher der Absicherung eines Transportvertrages zum Zwecke der – nach nigerianischem Recht verbotenen – Ausfuhr nigerianischer Kulturgüter diente. Wenngleich der Erfüllungsort des Versicherungsvertrages in Deutschland lag – vgl. Freitag, IPRax 2009, 109 (116) –, so dass insoweit eine Berücksichtigung des nigerianischen Ausfuhrverbotes ausscheiden müsste, kann – worauf Freitag a.a.O. zu Recht hinweist – „die Vorfrage der Sittenwidrigkeit des versicherten Risikos, d.h. des Transportvertrages, selbstständig gem. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO beurteilt“ werden, so dass sich auch im Originalfall die gleiche Problematik stellt. 271 Ausgeblendet sei insoweit das Ende Februar 2008 in Kraft getretene UNESCOÜbereinkommen zum Schutz von Kulturgut, vgl. Fn. 376. 272 So auch hinsichtlich der alten Rechtslage die in Fn. 255 Genannten. 273 Näher hierzu sub Kapitel 3 D.I.1.b) (S. 269). 274 So Freitag, IPRax 2009, 109 (116) hinsichtlich des Originalfalls. 275 Im Ergebnis ebenso MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 39.

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

231

3. Kollisionsrechtliche Interessenbewertung der identifizierten Bestimmungen Sind diejenigen ausländischen Sachnormen identifiziert, die nach dem Wortlaut des Art. 9 III Rom I zumindest potentiell für eine von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängige Anknüpfung in Betracht zu ziehen sind, so muss die konkrete Entscheidung über ihre Anwendbarkeit anhand spezifisch kollisionsrechtlicher Erwägungen getroffen werden. Hierfür ist zunächst eine Prüfung der durch die fragliche Norm implizierten kollisionsrechtlichen Interessenlage anhand der europäisch „legitimen“ Abwägungstopoi 276 erforderlich, wobei in bereits geschilderter Weise 277 die kollisionsrechtliche Interessenlage maßgeblich von den der fraglichen Sachnorm zugrunde liegenden Sachnormzwecken bestimmt wird; stützen lässt sich dieses Vorgehen auch auf den Wortlaut von Art. 9 III 1 Rom I, der für die Frage nach der kollisionsrechtlichen Berücksichtigung solcher Normen auf „Art und Zweck dieser Normen“, also auf den „Rohstoff“ für die kollisionsrechtliche Interessenprüfung, abstellt. Hierbei mögen durchaus auch faktische Gegebenheiten („Durchsetzungsmacht“ des Erlassstaates) mit zu berücksichtigen sein, weil diese ggf. auch materiellrechtlich implizierte Interessen zurückdrängende Ordnungsinteressen auf den Plan rufen. Da Ordnungsinteressen jedoch nach obigen Ausführungen278 auf die rechtstechnische Durchführbarkeit des inhaltlichen Gerechtigkeitsideals gerichtet sind und ihnen kein Selbstzweck zuzustehen ist, kann diesen indes nicht bereits dann eine die materiellrechtlich implizierten Interessen zurückdrängende Wirkung zugesprochen werden, wenn – im Sinne der Machttheorie – ein Staat die Macht hat, Erfüllungshandlungen zu unterbinden: Denn bestehen faktische Zwänge durch ausländische Eingriffsnormen, lassen sich diese Wirkungen im Rahmen der materiellen lex causae angemessen berücksichtigen279, so dass für eine „gerechte“ Entscheidung des zivilrechtlichen Lebenssachverhaltes keine Notwendigkeit besteht, auch den rationalen Gehalt dieser Bestimmungen zur Anwendung zu bringen. Angemerkt sei, dass auch die in Art. 3 a II EGBGB vorgesehene gesonderte Anknüpfung „besonderer Bestimmungen“ – die mit Art. 30 ErbRVO eine Entsprechung im europäischen IPR finden wird – ebenfalls nicht – wenngleich vielfach angenommen280 – primär von Ordnungsinteressen (Interesse am äußeren Entscheidungseinklang, Interesse an realer und damit durchsetzbarer Entscheidung) getragen wird. Denn bei den von Art. 3 a II EGBGB genannten „besonderen Bestimmungen“ handelt es sich nach vorzugswürdiger, freilich umstrittener Ansicht (nur) um solche wirtschaftspolitischer Natur, die aufgrund ihrer materiellen Sachnormzwecke besondere kollisionsrechtliche 276 Diese sind hinsichtlich der systemgebundenen Rechtsfortbildung grundsätzlich anhand des bereits kodifizierten europäischen Kollisionsrechts zu gewinnen; vgl. hierzu Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)ii (S. 76 ff.). 277 Hierzu insbesondere Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 79 ff.). 278 Hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 83) und Kapitel 1 B.IV.2 (S. 90 f.). 279 Hierzu sub Kapitel 3 B.I.1 (S. 175 ff.). 280 Vgl. etwa Looschelders, IPR, Art. 3 EGBGB Rn. 22; Palandt-Thorn Art. 3 a EGBGB Rn. 3; Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 85; von Hoffmann/Thorn § 9 Rn. 61; BGHZ 131, 22 (29).

232

3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Interessen implizieren, die eine Qualifikation unter die herkömmlichen familien- und erbrechtlichen Kollisionsnormen verhindern und eine gesonderte Anknüpfung entsprechend ihrer materiellrechtlich implizierten kollisionsrechtlichen Interessenlage erforderlich werden lassen 281, mithin also um Eingriffsnormen im materiellen Sinne, die nach der herkömmlichen Methodik zur Anwendung gebracht werden können. Dass diese gesonderte Anknüpfung durchaus zusätzlich von den genannten Ordnungsinteressen getragen wird, ändert an der vorrangigen Bedeutung der materiellrechtlich implizierten Interessen nichts.

Da Eingriffsnormen nach hier vertretener Ansicht keinem kollisionsrechtlichen Zweitsystem unterfallen282, ist im Anschluss an die kollisionsrechtliche Interessenprüfung zu klären, ob die fragliche Bestimmung von einer herkömmlichen, also bereits kodifizierten Kollisionsnorm erfasst ist. Sofern dies der Fall ist, entscheidet die einschlägige kollisionsrechtliche Bestimmung abschließend über die Anwendbarkeit der in Frage stehenden Sachnorm, da auch die Konkretisierung des Art. 9 III als rechtsfortbildender Vorgang wiederum von einer Regelungslücke im herkömmlichen IPR abhängig ist: Denn erst wenn die Bestimmung hinsichtlich der kodifizierten Kollisionsnormen „disqualifiziert“ und damit eine mögliche „Lücke“ im kollisionsrechtlichen System ersichtlich wird, kann sie „ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts“ (so Art. 9 I Rom I) zur Anwendung gebracht werden. Wie bereits angeschnitten 283, führt das Erfordernis der „Disqualifikation“ dazu, dass Normen, die dem herkömmlichen Interessenausgleich inter partes dienen, regelmäßig keiner statutsunabhängigen Anknüpfung zugänglich sind, weil (und freilich soweit) diese von den allgemeinen Kollisionsnormen erfasst werden. So implizieren Normen, welche Unmöglichkeit, Anfechtung, Widerruf oder Rücktritt regeln, zumeist überwiegend Parteiinteressen und sind folglich dem herkömmlichen Vertragsstatut zuzuordnen, so dass diese Normen – wenngleich von einer weiten Auslegung des Art. 9 III Rom I erfasst – in diesem Falle auch nicht unabhängig von den vertraglichen Kollisionsnormen zur Anwendung gebracht werden können. Eine gesonderte Anknüpfung ist jedoch dann in Betracht zu ziehen, wenn die fraglichen Bestimmungen andere kollisionsrechtliche Interessen auf den Plan rufen, etwa weil sie überwiegend öffentlichen Interessen dienen und daher Gemeininteressen implizieren, denen die herkömmlichen Kollisionsnormen nicht Rechnung tragen.

Werden die von Art. 9 III bezeichneten Normen nicht von den herkömmlichen Kollisionsnormen erfasst, so ist anhand der durch die fragliche Bestimmung implizierten kollisionsrechtlichen Interessenlage nach der herkömmlichen, bereits für Eingriffsnormen der lex fori geschilderten 281

Vgl. hierzu ausführlich Kegel/Schurig § 12 II (S. 423-435); Solomon, IPRax 1997, 81 (84-86, 87). 282 Hierzu ausführlich hinsichtlich Eingriffsnormen der lex fori Kapitel 1 B.III (S. 39 ff.) und Kapitel 2 A.III.3 (S. 123 f.), hinsichtlich ausländischer Eingriffsnormen sub Kapitel 3 C.I (S. 190). 283 Vgl. sub Kapitel 3 C.II.2.a) (S. 214 f.).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

233

Methode284 ein der fraglichen Sachnorm nach unseren autonomen Maßstäben angemessenes Anknüpfungsmoment zu entwickeln, welches dieser Norm einen für uns angemessenen räumlichen Anwendungsbereich zuschreibt – und dies unabhängig davon, was die fragliche ausländische Sachnorm „will“285. Nun besteht jedoch die Besonderheit von Art. 9 III Rom I gerade darin, dass nach dessen Wortlaut nur Eingriffsnormen des Staates anzuwenden sind, „in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind“. Mit dieser Formulierung werden indes nicht nur diejenigen Bestimmungen gekennzeichnet, die einer statutsunabhängigen Anknüpfung zugänglich sind, sondern es erfolgt zugleich auch eine Festlegung, unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen jene Normen zur Anwendung gebracht werden können – nämlich dann, wenn die Erfüllungshandlung in jenem Staat erfolgt. Hierbei handelt es sich um eine Anforderung tatsächlicher Art, welche eine räumliche Beziehung zu einem geltenden (nämlich den in Art. 9 III, I Rom I beschriebenen) Rechtssatz herstellt, so dass dieses Tatbestandsmerkmal bei Lichte betrachtet das tatsächliche Element des maßgeblichen Anknüpfungsmomentes für jene Normen darstellt286. Da dieses durch Art. 9 III Rom I präjudiziert ist, können nach dem Wortlaut dieser Vorschrift folglich alleine diejenigen Normen zur Anwendung gebracht werden, für welche die tatsächliche Erfüllungshandlung, die nach obigen Ausführungen287 sowohl die – jeweils faktisch zu verstehende – Leistungshandlung als auch den Leistungserfolg umfasst, ein angemessenes, d.h. den implizierten kollisionsrechtlichen Interessen entsprechendes Anknüpfungsmoment darstellt, so dass sich die im Rahmen von Art. 9 III Rom I zu klärende Frage hierauf beschränkt. Handelt es sich bei der fraglichen Norm etwa um ein ausländisches Ausfuhrverbot, so dürfte das dieser Norm angemessene Anknüpfungsmoment in der konkreten Ausfuhr bestimmter Güter aus dem Erlassstaat jener Norm liegen 288. Demnach wäre ein solches Verbot nach Art. 9 III Rom I dann zur Anwendung zu bringen, wenn die nach dem Vertrag zu erbringende (oder bereits erbrachte) Erfüllungshandlung eine Ausfuhr aus dem fraglichen Staat zum Gegenstand hat, so dass in obigem 289, an den NigerianischenMaskenfall angelehntem Beispiel eine Anwendung des nigerianischen Kulturgüterschutzgesetzes erfolgen müsste, weil die Erfüllungshandlung auch die Ausfuhr des Kulturguts aus Nigeria (= angemessenes Anknüpfungsmoment für das nigerianische Kulturgüter284

Hierzu insbesondere Kapitel 1 B.IV.4 (S. 97 ff.). Entgegen dem unilateralistischen Ansatz der Sonderanknüpfungslehre, nach welchem die Frage nach dem angemessenen Anknüpfungsmoment grundsätzlich von Seiten des Erlassstaates entschieden werden soll; vgl. sub Kapitel 3 C.I.1 (S. 190 ff.). 286 Zum Aufbau einer Kollisionsnorm vgl. sub Kapitel 1 B.III.2.a)cc) (S. 60). 287 Vgl. sub Kapitel 3 C.II.2.b)bb)(2) (S. 222 ff.). 288 So der Sache nach BGH NJW 1972, 1575 („nigerianischer Maskenfall“); vgl. auch Schurig, Lois d’application immédiate, 55 (74); Brüning S. 180. 289 Siehe sub Kapitel 3 C.II.2.b)bb)(2) (S. 230). 285

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

schutzgesetz) umfasst. Zudem besteht ebenfalls die Möglichkeit, dass bestimmte Teilakte der Erfüllungshandlung für sich genommen jeweils ein ausreichendes Anknüpfungsmoment für die Anwendung verschiedener Eingriffsgesetze darstellen. So wäre es beispielsweise möglich, dass ein in dem Staat A ansässiger Verkäufer V dem in dem Staat B ansässigen Käufer K eine Ware zu liefern hat, deren Ausfuhr im Staat A und deren Einfuhr im Staat B verboten ist. Da die Erfüllungshandlung des V sowohl die Aus- als auch die Einfuhr umfasst und beide Teilakte jeweils ein angemessenes Anknüpfungsmoment für die jeweiligen Verbotsgesetze darstellen 290, wären insoweit beide – jeweils unterschiedliche Regelungsgegenstände betreffende – Normen zur Anwendung zu bringen. Bestehen indes inhaltlich vergleichbare Regeln in mehreren durch die Erfüllungshandlung tangierten Staaten (so könnte in unserem Beispiel nicht nur Staat A, sondern auch Staat B die Ausfuhr bestimmter Güter aus Staat A verbieten, so dass derselbe Sachverhalt von verschiedenen nationalen Gesetzen erfasst wird), erfolgt durch das entwickelte Anknüpfungsmoment zugleich auch eine Auswahl zwischen den insoweit inhaltlich konkurrierenden Rechtssätzen, weil im Ergebnis alleine dasjenige Gesetz zur Anwendung gebracht werden kann, zu dem auch die tatsächliche Verknüpfung besteht (in unserem Beispiel die konkrete Ausfuhr, die nur in Staat A erfolgt). Insoweit muss jedoch bereits bei der Ausbildung des Anknüpfungsmomentes beachtet werden, dass sich die Anwendungsbereiche funktional vergleichbarer Normen nicht überschneiden – denn dies führt ggf. zu Normhäufungen, an deren Verhinderung auch ein materielle Interessen zurückdrängendes Ordnungsinteresse besteht. Erreichen lässt sich dies, indem konsequent für funktional vergleichbare Normen dasselbe Anknüpfungsmoment entwickelt wird, so dass stets nur eine Sachnorm zur Anwendung berufen sein kann291.

Damit lässt sich festhalten: Ob die vom Wortlaut des Art. 9 III, I Rom I gekennzeichneten ausländischen Bestimmungen einer gesonderten Anknüpfung zugänglich sind, kann – hinsichtlich einer kohärenten, systemimmanenten Rechtsfortbildung im Rahmen der „unfertigen“ Generalklausel des Art. 9 III Rom I – alleine anhand der herkömmlichen, bereits für Eingriffsnormen der lex fori entwickelten Methode der autonomen kollisionsrechtlichen Interessenbewertung beantwortet werden. Anhand der implizierten kollisionsrechtlichen Interessen lässt sich klären, ob die fragliche Sachnorm einer von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängigen Anknüpfung bedarf (also die Frage nach dem „Ob“) und welcher Gestalt diese sein soll (also die Frage nach dem „Wie“). Da das tatsächliche Element des Anknüpfungsmomentes durch Art. 9 III Rom I präjudiziert ist, können nach dessen Wortlaut jedoch nur solche Normen zur Anwendung gebracht werden, für welche die tatsächliche (erbrachte oder zu erbringende) Erfüllungshandlung ein solches angemessenes, also durch die

290

So dürfte auch – entsprechend der Ausfuhrverbote – die tatsächliche Einfuhr in einen Staat ein angemessenes kollisionsrechtliches Anknüpfungsmoment für die Anwendung von dessen Einfuhrverboten darstellen. 291 Vgl. hierzu auch Kapitel 3 E.III.3 (S. 319 f.).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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kollisionsrechtliche Interessenlage indiziertes Anknüpfungsmoment verkörpert292. 4. Einschränkungen des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls Im Folgenden ist nunmehr zu klären, ob von der – bis zu diesem Schritt – grundsätzlichen methodischen „Gleichbehandlung“ in- und ausländischer Eingriffsnormen abgewichen werden muss, indem – neben einer nach unseren Kriterien angemessenen räumlichen Verknüpfung – weitere Anwendungsvoraussetzungen für die Berufung ausländischer Eingriffsnormen aufzustellen sind. Dies betrifft zwei Bereiche: Zum einen wird von der weit überwiegenden Ansicht eine materiellrechtliche Inhaltskontrolle ausländischer Eingriffsnormen verlangt (sub a), zum anderen – nach wohl einhelliger Auffassung – eine Berücksichtigung des fremden Anwendungswillens (sub b). a) Inhaltskontrolle einer ausländischen Eingriffsnorm als Anwendungsvoraussetzung Regelmäßig – und quer durch nahezu alle methodischen Ansätze hinsichtlich der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen293 – wurde bislang im nationalen IPR 294 und wird nunmehr auch im Rahmen des Art. 9 III Rom I295 gefordert, dass die auf welche Weise auch immer zu berücksichtigende ausländische Eingriffsnorm von Seiten des Forumstaates inhaltlich 292

Zur Frage, ob eine über den Wortlaut von Art. 9 III Rom I hinausgehende Anwendung ausländischer Eingriffsnormen möglich ist, deren angemessenes Anknüpfungsmoment nicht der Erfüllungsort darstellt, vgl. sub Kapitel 3 D (S. 264 ff.). 293 So wird eine materiellrechtliche Legitimitätskontrolle von Vertretern einer unilateralistischen Sonderanknüpfung (vgl. hierzu bereits die Übersicht sub Kapitel 3 C.I.1.c)bb) (S. 197 f.)), einer „gesonderten Anknüpfung“ (so Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (239 f.); Fetsch S. 72-74; Kuckein S. 141) und einer normativen Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen von sachrechtlichen Generalklauseln der lex causae angenommen (so der BGH, vgl. hierzu sogleich sub Kapitel 3 C.II.4.a)aa) (S. 239) m.N.); ebenso von Bar/Mankowski § 4 Rn. 129) – alleine die Vertreter der „Schuldstatuts“- und Machttheorie verzichten auf eine solche, vgl. Fn. 302. 294 So etwa Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 144; Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 90 f.; Hk-BGB/Staudinger (6. Auflage) Art. 34 EGBGB Rn. 18; Erman-Hohloch (2008) Art. 34 EGBGB Rn. 24; PWW-Remien ex Art. 34 EGBGB Rn. 18; Kropholler § 52 X 3 (S. 507); von Hoffmann/Thorn § 10 Rn. 99; Hentzen, RIW 1988, 508 (510 f.); Lorenz, RIW 1987, 569 (582). 295 So etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 648 f.; ders., IPRax 2009, 109 (111 f.); MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 119, 141-143; PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 10; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 71; Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 117; Erman-Hohloch Anh II Art. 26 EGBGB Art. 9 Rom I Rn. 26; HkBGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 14; Kindler S. 69; Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (628); Roth, FS Kühne, 859 (877).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

gebilligt werden muss, der ausländische Rechtssatz also einer sachrechtlichen „Legitimitätskontrolle“296 zu unterziehen ist. Wie diese Inhaltskontrolle jedoch auszugestalten ist, auf welcher Ebene oder in welchem Grade sie erfolgen soll, ist streitig. Im Folgenden soll daher zunächst ein kurzer einordnender Überblick zu den hierzu vertretenen Ansichten gegeben werden297, bevor im Anschluss daran die Frage zu diskutieren bleibt, inwieweit eine solche Inhaltskontrolle auch im Rahmen der Konkretisierung des Art. 9 III Rom I zugrunde zu legen ist. aa) Bisherige Ansätze Bislang vereinzelt geblieben298 ist die Ansicht, ausländische Eingriffsnormen müssten alleine an den herkömmlichen, jedoch strengen materiellen Anforderungen des ordre public gemessen werden. Dies wurde hinsichtlich der Lehre von der Sonderanknüpfung zumindest anfangs von Wengler299 angenommen, aber auch die Vertreter der „Schuldstatutstheorie“300 und der Machttheorie301 dürften von dieser minimalen Anforderung an die materi296 So Fetsch S. 71, 72-74; Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 144 spricht von einer „wertende[n] Schranke“, MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 141 von einer „inhaltlichen Überprüfung“ und Kuckein S. 89 von einer „Inhaltskontrolle“; vgl. für die Sonderanknüpfungslehre bereits sub Kapitel 3 C.I.1.c)bb) (S. 197). 297 Folgende Ausführungen orientieren sich an der systematisierenden Einteilung von Kuckein S. 90-93. Für eine weitergehende Darstellung sei verwiesen auf von Bar/ Mankowski § 4 Rn. 107 f.; Wördemann S. 337-344; Stoll S. 278-281, Stellungnahme S. 320-325; Fetsch S. 31, 70-74; Beulker S. 96-98; Kuckein S. 88-96, 143-145. 298 So auch die Einschätzung von Stoll S. 279. 299 Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (197, 211); anders aber später RGRKWengler (Band VI 1) S. 530 f.; ders., RabelsZ 47 (1983), 215 (250 f.). Demgegenüber geht bereits Zweigert über eine reine ordre public-Kontrolle hinaus, wenn er fordert, dass der selbstgesteckte Anwendungswille ausländischer Eingriffsnormen dann unbeachtlich sei, wenn die Anwendung dieser Rechtssätze ein „international-typisches Interesse aller Staaten“ beeinträchtigt. Ein beachtliches „international-typisches Interesse alle Staaten“ stellt für Zweigert demnach ein Kriterium der Nichtanwendung für eine – im Wege der Sonderanknüpfung grundsätzlich aufgrund ihres „Anwendungswillens“ a priori anwendbare – Eingriffsnorm dar, vgl. Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (291); ebenso später ders., FS Kiel, 124 (132). 300 Näher hierzu sub Kapitel 3 D.II.1 (S. 279 ff.). 301 Wenngleich Kegel selbst von der Machttheorie eine Ausnahme annimmt, „wenn die ausländischen politischen oder wirtschaftlichen Ziele mit den deutschen übereinstimmen“, vgl. Soergel-Kegel (11. Auflage) Vor Art. 7 EGBGB Rn. 396 – in diesem Falle besteht für ihn ein alternativer Grund für die Berufung ausländischer Eingriffsnormen aufgrund „Interessengleichheit“; vgl. Kegel, FS Seidl-Hohenveldern, 243 (250-252); Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid, 233 (243 f.); ebenso Drobnig, FS Neumayer, 159 (174, 178); Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 85, 90; von Hoffmann/Thorn § 10 Rn. 99 und letztlich ebenfalls der BGH (auch wenn dieser freilich insoweit nur zu einer materiellrechtlichen Berücksichtigung gelangt, vgl. hierzu sogleich sub Kapitel 3

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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elle Legitimitätsprüfung der ausländischen Eingriffsnorm ausgehen302. Ein solcher Ansatz bewegt sich ausschließlich im tradierten System: Das anzuwendende Eingriffsrecht wird – ebenso wie jeder andere anzuwendende Rechtssatz – alleine im Rahmen der herkömmlichen Ergebniskontrolle dahingehend geprüft, ob dieses gegen Grundprinzipien der lex fori verstößt – ist dies der Fall, verhindert die „negative“ Funktion des ordre public in einem „zweiten Schritt“ die Anwendung des Rechtssatzes, nicht jedoch dessen „primäre“ positive Berufung, so dass insoweit keine Unterschiede zu der kollisionsrechtlichen Behandlung von „Nichteingriffsnormen“ bestehen. Demgegenüber wird jedoch überwiegend verlangt, dass an die materielle Legitimitätsprüfung strengere Maßstäbe anzulegen seien303, die materiellen Kriterien also über die herkömmlichen Anforderungen des ordre public hinausgehen müssen304 und deren Prüfung zudem bereits bei der konkreten Anwendungsentscheidung bezüglich des fraglichen Rechtssatzes C.II.4.a)aa) (S. 239) m.N.). Näher zum Ansatz der – ebenfalls abzulehnenden – Machttheorie sub Kapitel 3 C.II.2.b)bb)(2) (S. 224 ff.). 302 So die Einschätzung von Kuckein S. 90. Dies entspricht jedenfalls einer konsequenten Umsetzung des jeweiligen theoretischen Ausgangspunktes: So nimmt die – wie noch sub Kapitel 3 D.II.1 (S. 279 ff.) auszuführen sein wird: abzulehnende – Schuldstatutstheorie keinerlei Differenzierung zwischen der kollisionsrechtlichen Behandlung von Eingriffsnormen und Nichteingriffsnormen der lex causae vor und bringt folglich alle sachrechtlich einschlägigen Bestimmungen dieser Rechtsordnung zur Anwendung („Einheitsanknüpfung“), dies jedoch in den herkömmlichen Grenzen des ordre public; in diesem Sinne etwa Mann, FS Wahl, 139 (151, 160); Vischer, FS Gerwig, 167 (171); anders jedoch (aus dem französischen Rechtskreis) wohl Audit Nr. 121 (S. 115 f.), der als Vertreter der Schuldstatutstheorie die Anwendung von Eingriffsnormen der lex causae nicht nur von deren Verträglichkeit mit dem nationalen ordre public, sondern auch von einer „policy-Prüfung“ abhängig machen will. Dagegen verzichtet die Machttheorie bereits auf eine differenzierte kollisionsrechtliche Interessenbewertung, weil nach dieser der Grund für die Berufung ausländischer Eingriffsnormen alleine in der – wie auch immer zu bestimmenden – tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit des Erlassstaates liegt und spezifische Gerechtigkeitserwägungen (und damit auch eine materielle „Legitimitätsprüfung“) bei der Anwendungsentscheidung keine Rolle spielen (so dann auch Kegel/ Seidl-Hohenveldern, FS Ferid, 233 (244); freilich wäre es zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen, trotz dieses grundsätzlichen Ansatzes kumulativ – und nicht nur alternativ, wie es Kegel – vgl. Fn. 301 – vorschlägt – „Interessengleichheit“ zu fordern) – die Grenze bildet aber auch bei der Machttheorie zumindest für Kegel der ordre public; vgl. Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid, 233 (244); anders jedoch Drobnig, FS Neumayer, 159 (172, 178), der auf eine ordre-public-Kontrolle verzichtet („sinnlos“). 303 Nachweise in Fn. 294 und 295 (und im Folgenden). Wie erwähnt, wird dies mit Ausnahme der Schuldstatuts- und Machttheorie unabhängig von dem jeweiligen methodischen Ansatz gefordert, vgl. hierzu Fn. 293. 304 Deutlich etwa Zweigert, FS Kiel, 124 (132); diese Einschätzung teilend Wördemann S. 340; Stoll S. 279; Beulker S. 97; Kuckein S. 90 f.; Ehrike, IPRax 1994, 382 (386); Hentzen, RIW 1988, 508 (510).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

im Sinne einer „Vorabkontrolle“305 zu erfolgen habe306. Den Ausgangspunkt der Bestimmung dieser insoweit „qualifizierten“ Kriterien bilden stets die Interessen und materiellen Wertungen des Forumstaates, wenngleich im Einzelnen wiederum umstritten ist, in welchem Grade diese Maßgeblichkeit entfalten307. So lassen es manche für eine Anwendung ausreichen, dass der Inhalt des möglicherweise anzuwendenden Rechtssatzes „ganz oder teilweise mit der Rechtsordnung des Forumstaates vereinbar“ ist (insoweit überwiegt eine – hinsichtlich der herkömmlichen Anforderungen des ordre public jedoch verschärfte – negative Abwehrfunktion der materiellen Kriterien)308, die wohl überwiegende Ansicht verlangt weitergehend, dass die von der ausländischen Norm geschützten Interessen und Wertungen von unserer Rechtsordnung positiv geteilt werden, also eine Interessen- und Werteparallelität festzustellen ist (Gedanke des „shared value“)309. In diesem Sinn fordern etwa Kropholler und Hohloch einen 305

Kuckein S. 94. In diesem Sinne bereits Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (288, 290 f.); ders., FS Kiel, 124 (132); ebenso etwa Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 71; MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 418; ders., FS Rebmann, 819 (833); Hentzen, RIW 1988, 508 (510); Kuckein S. 95. Teilweise wird jedoch auch davon ausgegangen, dass eine qualifizierte, also über die herkömmlichen materiellen Anforderungen des ordre public hinausgehende Legitimitätsprüfung dennoch dogmatisch auf der Ebene des – insoweit jedoch inhaltlich erweiterten – ordre public erfolge (in diesem Sinne Lorenz, RIW 1987, 569 (582): „ordre-public-Kriterium“; unentschieden MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 141: es sei eine „offene Frage“, ob qualifizierte Legitimitätsprüfung bereits bei der Anwendungsentscheidung oder erst nachträglich – also nach erfolgter Anknüpfung – im Rahmen einer „erweiterten“ ordre public-Kontrolle zu prüfen sind; vgl. hierzu ausführlich Kuckein S. 93-96). Dieser Streit hat jedoch – sofern man freilich dieselben materiellen Anforderungen aufstellt – keinerlei praktische Relevanz: Denn ob die postulierten materiellen Kriterien schon bei der Normbildung modo legislatoris als unmittelbare Anwendungsvoraussetzungen beachtet werden, so dass ggf. a priori gar kein kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl ausgebildet werden kann, oder ob man einen solchen zunächst entwickelt, um die Berufung der ausländischen Norm im Anschluss daran an einer erweiterten ordre public-Kontrolle scheitern zu lassen, macht im Ergebnis keinen Unterschied. Zur vorzugswürdigen dogmatischen Einordnung sub Kapitel 3 C.II.4.a)bb) (S. 240 ff., insbesondere Fn. 342). 307 Vgl. auch die Darstellungen der in Fn. 297 Genannten; näher hierzu sub Kapitel 3 C.II.4.a)cc)(4) (S. 256 ff.). 308 In diesem Sinne Lorenz, RIW 1987, 569 (582), von dem auch vorheriges Zitat stammt; vom Ausgangspunkt her wohl auch Stoll S. 324 f., der nur verlangt, dass die Eingriffsnorm in Anlehnung an den ordre public mit der deutschen Rechtsordnung nicht „offensichtlich unvereinbar ist“, also keine „eklatante[] Diskrepanz zu der lex fori“ bestehe, wenngleich jedoch für ihn „wohl keine Unterschiede“ zu der Forderung nach Interessensympathie und Wertegleichklang bestehen. 309 Vgl. neben den Folgenden etwa: Chr. von Bar, IPR (Band 1), § 4 Rn. 267 (spricht von dem „Prinzip[] der Gegenseitigkeit“); Martinek S. 52 (spricht im Anschluss an Fickel, RIW 1974, 69 (70) von einer „Sympathieprüfung“); vgl. (für den Bereich des 306

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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„gewissen Interessen- oder Wertegleichklang“310, Remien „Interessenidentität“311 und Schurig im Anschluss an Kegel312 „Interessengleichheit“ und „internationale Interessensympathie“ 313. Teilweise wird – wohl darüber hinausgehend 314 – verlangt, dass durch die Anwendung des fremden Rechtssatzes die Interessen des Forumstaates gefördert werden müssen315. Wie zuletzt Kuckein herausgearbeitet hat 316, schwankt die bisherige deutsche Rechtsprechung diesbezüglich: Teilweise postuliert sie für die normative Berücksichtigung einer ausländischen Eingriffsnorm 317 ebenso eine Förderung der Forumsinteressen 318, teilweise lässt sie es jedoch auch ausreichen, wenn die fragliche Norm Ausdruck eines von der deutschen Rechtsordnung geteilten Wertes darstellt319. Letzteres verdeutlicht besonders anschaulich eine Entscheidung des RG 320, welche die Lieferung von Kokain nach Kalkutta zum Gegenstand hatte: Der Kaufvertrag unterlag deutschem Recht, es bestand jedoch ein indisches Einfuhrverbot, so dass die Frage relevant wurde, ob dieses im Rahmen von § 138 BGB normativ zu berücksichtigen sei. Hierfür prüfte das RG die Gründe des indischen Einfuhrverbotes: Wäre dieses handelspolitisch einzuordnen, so könnte das fragliche Verbot mangels Interessensympathie nicht berücksichtigt werden (insoweit käme alleine eine Sittenwidrigkeit aufgrund tatsächlicher Umstände in Betracht, also

internationalen Arbeitsrechts) bereits Gamillscheg, RabelsZ 23 (1958), 819 (837): Man müsse „eigene Regeln finden, die vom Zweck der Norm ausgehen und auch davon beeinflußt werden, ob man diesem Zweck freundlich gegenübersteht“. Zum „shared values approach“ insbesondere Großfeld/Rogers, Int.Comp.L.Q. 32 (1983), 931 (939, 943 f.); Großfeld/Junker, CoCom, S. 131-134, S. 152 f. 310 Kropholler § 52 X 3 (S. 506 f.); ebenso Erman-Hohloch Anh II Art. 26 EGBGB Art. 9 Rom I Rn. 26; ebenso Berger, ZVglRWiss 96 (1997), 316 (331). 311 PWW-Remien ex Art. 34 EGBGB Rn. 18, Art. 9 Rom I Rn. 10; ders., RabelsZ 54 (1990), 431 (466). 312 Kegel/Schurig § 23 I 3 (S. 1096 f.). 313 So Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (239 f.). 314 So die Einschätzung von Stoll S. 321; Kuckein S. 91; vgl. hierzu sub Kapitel 3 C.II.4.a)cc)(4) (S. 256 ff.), insbesondere Fn. 387. 315 RGRK-Wengler (Band VI 1) S. 530; ders., RabelsZ 47 (1983), 215 (251); auch Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 92 f. (wenngleich Kreuzer diese Förderung im Sinne einer „Interessenidentität“ versteht); ebenso Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 286 (300); vgl. auch den Ansatz der Rechtsprechung in Fn. 318, der jedoch – wie sogleich zu zeigen sein wird – nicht einheitlich ist. 316 Kuckein S. 91-93. 317 Vgl. hierzu sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 ff.). 318 So in den Entscheidungen „Borax“ und „Borsäure“, in denen es um die normative Berücksichtigung von US-Embargobestimmungen ging, welche „der Aufrechterhaltung des Friedens und der freiheitlichen Ordnung des Westens dienen“ und die „daher nicht nur im amerikanischen Interesse, sondern im Interesse des gesamten freiheitlichen Westens und damit auch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland“ lägen; vgl. BGH NJW 1961, 822 (823); BGH NJW 1962, 1436 (1437). 319 So in der „Nigerianischen Masken“- und der „Schmiergeld“-Entscheidung; vgl. BGH NJW 1972, 1575 (1576 f.); BGH NJW 1985, 2405 (2406). 320 RG JW 1927, 2288 f.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

keine normative Berücksichtigung), anders jedoch, wenn es gesundheitspolitisch oder zollpolitisch motiviert wäre 321.

bb) Rechtfertigung zusätzlicher materieller Kriterien bei der Berufung bestimmter ausländischer Normen Will man materielle Kriterien, die über die herkömmlichen Anforderungen des ordre public hinausgehen, bereits bei der Anwendungsentscheidung zugunsten einer ausländischen Eingriffsnorm berücksichtigen, so muss zunächst hinsichtlich der Notwendigkeit einer kohärenten, nicht nur system- sondern auch methodenimmanenten Rechtsfortbildung geklärt werden, ob ein solches Vorgehen überhaupt möglich ist. Hieran dürften freilich zunächst diejenigen zweifeln, die dem IPR die Funktion eines „sachrechtsneutralen Überrechts“ zugestehen, das „blind“ im Sinne einer „Elfenbeinturmbetrachtung“ das jeweilige Sachrecht beruft, ohne auf den materiellen Inhalt des jeweiligen Rechts zu achten. Wenngleich das IPR das „räumlich beste“, nicht das „sachlich beste“ Recht im Sinne des better law approach auszuwählen hat, bedeutet die funktionale Abgrenzung der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit – wie obige Ausführungen zeigen322 – jedoch keineswegs, dass das IPR vollständig von den Wertungen des Sachrechts gelöst wird: Das IPR hat zur Aufgabe, das Gerechtigkeitsdefizit resultierend aus der räumlichen Relativität der lex fori bezüglich Sachverhalten mit Auslandsbezug zu beseitigen, und nimmt insoweit eine der materiellen Gerechtigkeit dienende Funktion ein, welche sich bei der „sachnormzweckgerechten“ Anknüpfung auswirkt323. Demgegenüber können auch – wie Schurig eingehend herausgearbeitet hat324 – materielle Interessen unmittelbar auf die Art und Weise der kollisionsrechtlichen Anknüpfung durchschlagen: Führt die kollisionsrechtliche Interessenbewertung zu völlig gleichwertigen Anknüpfungen und kann auch das Ordnungsinteresse an einer einheitlichen Anknüpfung keinen Ausschlag zugunsten der einen oder anderen Anknüpfung geben, so besteht die Möglichkeit einer Mehrfachanknüpfung. Da jedoch mehrere Rechtsordnungen im Regelfall aufgrund inhaltlicher Diskrepanzen nicht gleichzeitig ohne Widerspruch angewandt werden können, ist ein Stichentscheid, eine „gewisse Parteinahme“325 zur Lösung des kollisionsrechtlichen „Patts“326 erforder321

Hierzu etwa Kegel/Schurig § 23 IX (S. 1143 f.); Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 16; Kuckein S. 92. 322 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 1 B.III.2.b) (S. 62 ff., insbesondere S. 70 ff.). 323 Auf diesen Punkt zur Rechtfertigung einer materiellen Legitimitätsprüfung innerhalb des „klassischen Verweisungssystem“ abstellend Kuckein S. 143 f. 324 Schurig S. 204-209; hierzu auch Coester, ZvglRWiss 82 (1983), 1 (6). 325 Schurig S. 207. 326 Schurig S. 207.

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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lich, welche unmittelbar anhand der Bewertung materieller Sachinteressen selbst erfolgt327: So knüpft etwa Art. 11 I EGBGB alternativ an, um ein bestimmtes materielles Ergebnis – die Formwirksamkeit eines Rechtsgeschäftes – zu begünstigen, so knüpft etwa Art. 22 I, 23 EGBGB kumulativ an, um dem materiellen Schutz des Kindes auch mit kollisionsrechtlichen Mitteln Rechnung zu tragen328. Wenngleich somit die Berücksichtigung materieller Kriterien bei der Anknüpfungsentscheidung dem „klassischen“ IPR keinesfalls fremd und insoweit „systemverträglich“ ist329, geht es jedoch bei der Überprüfung einer ausländischen Eingriffsnorm auf ihre „Legitimität“ anhand materieller Kriterien um etwas anderes. Denn diese zielt nicht auf die konkrete Auswahlentscheidung zwischen (inhaltlich) konkurrierenden Rechtssätzen verschiedener Rechtsordnungen ab – welche nach hier vertretener Auffassung system- und methodenimmanent erfolgen kann –, sondern betrifft allein die der Auswahlentscheidung vorgelagerte Frage, ob eine Berufung eines bestimmten Rechtssatzes überhaupt erfolgen soll330. Damit ist jedoch die Frage nach der Reichweite des kollisionsrechtlichen Systems als solches aufgeworfen331, so dass die Berechtigung eines solchen Vorgehens nicht anhand systemimmanenter, durch das System erst konstituierter Kriterien beurteilt werden kann – die Frage nach der Systemverträglichkeit materieller Kriterien für die Anknüpfungsentscheidung führt damit, wenngleich sie zu bejahen ist, alleine nicht weiter. Für die Berechtigung einer sachrechtlichen Legitimitätsprüfung ist entscheidend, ob der damit verbundene grundsätzliche Ausschluss der Berufung „unsympathischer“ 332 Normen aufgrund bestimmter materieller Anforderungen und die daraus resultierende Ungleichbehandlung von ausländischem Eingriffsrecht und 327

Schurig S. 207. Beispiele von Schurig S. 206. Hinzuweisen ist etwa auch auf Art. 23 S. 2 EGBGB, der unmittelbar aufgrund materieller Belange (Wohl des Kindes) die Anwendung deutschen Rechts anordnet, oder – wie Kuckein S. 144 zu bedenken gibt – auf Art. 29 I EGBGB a.F., nunmehr Art. 6 II 2 Rom I, bei dem zur Auswahl der konkret anwendbaren Bestimmungen ein materiellrechtlicher Günstigkeitsvergleich durchzuführen ist (näher hierzu etwa MüKo-Martiny Art. 6 Rom I Rn. 46-48). 329 Dies ebenfalls bejahend Kuckein S. 144; Erne S. 187 (mit Hinweis auf den ordre public); Stoll S. 321 f. (mit Hinweis auf den ordre public und Art. 40 III EGBGB). 330 Erst wenn dies bejaht wird, kann sich überhaupt die Frage nach einer angemessenen räumlichen Anknüpfung stellen; vgl. hierzu Fn. 343. 331 Diese Frage hat nichts mit dem bereits behandelten „Ob“ einer statutsunabhängigen Anknüpfung von Eingriffsnormen der lex fori zu tun, da es hierbei ausschließlich darum geht, ob diese Normen unter eine allgemeine Kollisionsnorm qualifiziert werden können oder nicht – dass diese Normen aber grundsätzlich berufen werden können, darüber besteht bei aller Streitigkeit über die Verortung dieser Problematik Einigkeit; vgl. auch Kapitel 3 C.II.4.a)bb) (S. 245). 332 In Anlehnung an Zweigert, FS Kiel, 124 (132). 328

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Nichteingriffsrecht innerhalb desselben Systems gerechtfertigt werden kann – und dies ist dem Grunde nach zu bejahen. Wie bereits ausgeführt wurde, lassen sich – da der jeweilige Staat bei der Ausgestaltung seines Kollisionsrechts an keine heteronomen Vorgaben gebunden ist – der Grund und auch die Legitimation333 für die Anwendung fremden Rechts stets auf ein eigenes Interesse des Forumstaates zurückführen334. Dieses können wir für das IPR dahingehend konkretisieren, dass die lex fori aufgrund ihres räumlich beschränkten Gerechtigkeitsgehalts zur Beurteilung des dem zuständigen Richter vorgetragenen Sachverhaltes mit Auslandsbezug schlicht nicht in der Lage ist, diesen sozialen Konflikt inter partes einer „gerechten“ Lösung zuzuführen, so dass ein „Rechtsfindungssystem“ benötigt wird, welches das für die Lösung jenes sozialen Konflikts „gerechte“ Recht als Entscheidungsgrundlage bestimmen kann. Für die Lösung der zivilrechtlichen Streitigkeit bedarf es indes „klassischen“ Eingriffsrechts nicht, da dieses nicht die gerechte Lösung eines Streits inter partes zum Gegenstand hat, sondern den öffentlichen Interessen des jeweiligen Erlassstaates Rechnung trägt – um eine notwendige Entscheidungsgrundlage, die das IPR zur Lösung des Konflikts inter partes bereitstellen muss, handelt es sich daher nicht, so dass hinsichtlich der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen a priori ein vermindertes Anwendungsinteresse seitens des Forumstaates besteht335. Wendet ein Staat den333

Wie ebenfalls bereits ausgeführt, bedarf es für die Anwendung fremden Rechts stets eines rechtfertigenden Grundes, weil mit dieser der Verzicht des Gesetzgebers auf eine autonome Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee einhergeht, vgl. hierzu Fn. 176. 334 Hierzu allgemein Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 62 ff.); besonders deutlich für den Bereich der Eingriffsnormen: Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 92-94; Kuckein S. 87 („Eine normative Anwendung fremden Eingriffsrechtes lässt sich [...] nur dann rechtfertigen, wenn und soweit der Forumstaat im Einzelfall tatsächlich ein irgendwie geartetes eigenes Interesse an einer solchen Anwendung hat“ (Hervorhebung im Original); hierbei handelt es „sich um den einzigen Legitimationsgrund für die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen und um eine durchgängige Grundbedingung, die jeder räumlichen Anknüpfung vorausgeht); MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 58 (Eigeninteresse des Forumstaates an der Anwendung einer ausländischen Eingriffsnorm ist „erforderlicher und ausreichender Legitimationsgrund“); ders., FS Rebmann, 819 (829 f.); ders., IPRax 2003, 104 (114); ebenso Beulker S. 112; Fetsch S. 75 f.; Voser S. 70; Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 286 (300). Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (114) weist zu Recht darauf hin, dass das Erfordernis eines eigenen Anwendungsinteresses keinesfalls einen „Rückfall in überholte Vorstellungen staatlicher Autarkie“ bedeute, „denn das Eigeninteresse ist in der modernen Staatengemeinschaft vielfach auch altruistisch geprägt“. 335 Entgegen der Anwendung eigenen Eingriffsrechts, an dessen Durchsetzung der jeweilige Erlassstaat stets ein Interesse hat und es daher auch im Rahmen eines – vor dem Hintergrund der räumlichen Relativität – angemessenen Anwendungsbereichs zur Geltung bringt (dies verdeutlichen nunmehr Art. 9 II Rom I, Art. 16 Rom II); vgl. Kapitel 3 C.II.4.a)bb) (S. 245).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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noch ausländisches Eingriffsrecht an, nicht etwa weil er es als faktische Notwendigkeit i.S.d. Machttheorie begreift, sondern weil er darüber hinausgehend öffentlichen Interessen fremder Staaten – nach vorzugswürdiger Ansicht insbesondere zur Aufrechterhaltung einer internationalen Ordnung336 – Rechnung tragen will, so kann jedoch auch dieses grundsätzlich vorhandene Anwendungsinteresse gerade im Bereich des Eingriffsrechts aufgrund des inhaltlichen Regelungsgehalts337 der möglicherweise zu berufenden Vorschrift auf „Null“ reduziert werden – und dies aus zwei Gründen: Zum einen ist typisches Eingriffsrecht Domäne „egoistischer“ Staatspolitik. Handelsrechtliche, kartellrechtliche, waffenrechtliche Bestimmungen etc. dienen stets dem Wohl des Erlassstaates und diesem ist am besten gedient, wenn er seine Interessen auf Kosten anderer Staaten durchsetzt und möglicherweise auch – wie im Falle des oben338 erwähnten englischen Trading with the Enemy Act 1914 – gezielt gegen einen anderen Staat gerichtete Gesetze erlässt. Sofern ausländische Gesetze eigene politische Interessen konterkarieren, kann kein Staat an deren Anwendung ein Interesse haben, so dass damit auch der Grund und die Legitimation für deren Berufung entfallen339. Zum anderen schränken zivilrechtsrelevante Eingriffsnormen stets die Handlungsmacht Privater zugunsten gemeinwohlorientierter Ziele ein, konterkarieren also nicht nur Staats- sondern insbesondere auch Privatinteressen, so dass jede Anwendung einer ausländischen Eingriffsnorm eine Zurücksetzung der Interessen Privater zugunsten Interessen eines ausländischen Erlassstaates bedeutet. Da das IPR die Aufgabe wahrzunehmen hat, einen Beitrag für die Gerechtigkeit inter partes zu leisten, nicht jedoch anderen Staaten Gerechtigkeit zukommen

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Näher hierzu sub Kapitel 3 D.I.1.b) (S. 271 f.). Deutlich etwa Kuckein S. 95 („Inhalt der ausländischen Eingriffsnorm [stellt] einen Abwägungsgesichtspunkt im Rahmen des stets erforderlichen eigenen Anwendungsinteresses des Forumstaates“ dar), S. 144 (Anwendungsinteresse des Forumstaates hängt „insbesondere auch vom Inhalt des ausländischen Rechts“ ab); vgl. auch von Bar/Mankowski § 4 Rn. 110. 338 Siehe sub Kapitel 3 B.I.1 (S. 177). 339 Ähnlich wohl auch Fetsch S. 74, der „de[n] tiefere[n] Grund für die Notwendigkeit einer Legitimitätskontrolle“ darin sieht, „dass ausländisches Wirtschaftsrecht – zu denken ist hier an Währungs-, Devisen-, Zoll- und sonstiges Außenwirtschaftsrecht – traditionell von einer einseitigen Interessenwahrnehmung zugunsten des handelnden Staates geprägt ist. Diese einseitige Interessenwahrnehmung geht typischerweise zulasten der anderen Staaten und damit auch der lex fori, so dass es sinnvoll erscheint, diese Normen mit besonderer Vorsicht anzuwenden“ (Hervorhebung im Original); vgl. speziell zu den Feindhandelsverboten auch MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 143; Zweigert, FS Kiel, 124 (132); Soergel-von Hoffmann Art. 34 EGBGB Rn. 92 (der diese allerdings im Rahmen des ordre public abwehren will). 337

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

lassen muss340, reduziert sich das Anwendungsinteresse des Forumstaates hinsichtlich solcher Normen des Weiteren in dem Maße, in welchem die private Handlungsmacht in – aus Sicht des jeweiligen Forumstaates – unangemessener Weise beschränkt wird, was insbesondere dann anzunehmen sein wird, wenn dieser die von der ausländischen Norm verfolgten öffentlichen Zwecke, die zur Beschränkung der Privatautonomie führen, nicht teilt (und daher eine solche Regelung im Sinne des „kategorischen Imperativs“ auch nicht anderen Staaten zugestanden werden kann) – ein Gedanke, der maßgeblich der Forderung nach Interessen- oder Wertegleichklang bzw. -sympathie zugrunde liegt. Kann somit der materielle Regelungsgehalt einer ausländischen Eingriffsnorm auf das Anwendungsinteresse des Forums „unmittelbar“ durchschlagen und das grundsätzlich vorhandene, jedoch bereits a priori verminderte Anwendungsinteresse auf „Null“ reduzieren, so entfallen auch Grund und Legitimation für die Anwendung einer solchen Norm 341. Verlangt man, wie von der überwiegenden Meinung gefordert, eine materielle Legitimitätsprüfung als zusätzliche Voraussetzung für die Anwendung einer Eingriffsnorm, so müssen diese Kriterien – da anhand dieser bestimmte Normen a priori aus dem kollisionsrechtlichen System auszuschließen sind – darauf gerichtet sein, in abstrakter und generalisierender Weise diejenigen Normen zu kennzeichnen, für welche ein solches Anwendungsinteresse des Forumstaates als Grund und Legitimation für die Normanwendung a priori nicht oder – aufgrund des von vornherein verminderten Anwendungsinteresses besser positiv gewendet – überhaupt bestehen kann. Finden sich solche Kriterien, so lassen sich diese bei der Ausbildung eines Anwendungsbefehls bezüglich einer ausländischen Norm im Rahmen einer Generalklausel, wie sie Art. 9 III Rom I vorsieht, im Sinne einer antizipierten teleologischen Einschränkung, also bereits bei der Normbildung modo legislatoris342, berücksichtigen343. 340

Entgegen mancher Vertreter eines unilateralistischen Kollisionsrechtssystems sind Rechtsanwendungsansprüche anderer Staates a priori unbeachtlich (hierzu sub Kapitel 3 C.I.2.b)aa) (S. 201 f.)), so dass die Anwendung auch „politischen“ Rechts alleine auf einer autonomen Entscheidung des Forumstaates beruht. 341 Zum Anwendungsinteresse als Legitimation der Berufung ausländischen Rechts vgl. Fn. 334. 342 Und nicht erst nachträglich im Rahmen des ordre public, wie hinsichtlich der alten Rechtslage teilweise vertreten wurde, vgl. hierzu Fn. 306. Wenngleich im Ergebnis zwischen den Ansätzen kein Unterschied besteht (a.a.O.), lässt sich eine qualifizierte Legitimitätsprüfung alleine auf der Ebene der Anwendungsentscheidung verorten, da diese nach den vorherigen Ausführungen Ausfluss einer logisch vorrangigen Fragestellung darstellt: Denn wenn eine Sachnorm überhaupt nicht Gegenstand des kollisionsrechtlichen Systems sein kann, scheidet auch die Annahme einer Regelungslücke im kollisionsrechtlichen System denknotwendig aus, so dass die Voraussetzungen für eine Kollisionsnormbildung modo legislatoris gar nicht vorliegen und das durchaus umständ-

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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Bei inländischen Eingriffsnormen ist eine solche materielle Prüfung demgegenüber entbehrlich, da das grundsätzliche Anwendungsinteresse an diesen Normen – wie nunmehr auch Art. 9 II Rom I, Art. 16 Rom I für den Bereich des internationalen Vertrags- und Deliktsrechts zu entnehmen ist – a priori feststeht. Hieraus ergibt sich die häufig konstatierte 344 Ungleichbehandlung in- und ausländischer Eingriffsnormen, weil bei letzteren kumulativ zu der Frage nach der angemessenen Anknüpfung geprüft werden muss, ob für diese Norm überhaupt ein Anwendungsinteresse besteht. Eine „Disqualifikation“ einer ausländischen Bestimmung kann daher auch für sich alleine genommen noch keine Regelungslücke im kollisionsrechtlichen System begründen 345.

Damit lässt sich festhalten: Materielle Kriterien, die zur Einschränkung der Anwendbarkeit ausländischer Eingriffsnormen im materiellen Sinne führen, dienen nicht der Bestimmung eines angemessenen Anknüpfungsmomentes, sondern betreffen ausschließlich das „Ob überhaupt“ der kollisionsrechtlichen Berufung solcher Normen, bewegen sich also auf der Ebene der Ausgestaltung des Systems. Insoweit müssen die geforderten Kriterien diejenigen Normen beschreiben können, für die a priori ein grundsätzliches Anwendungsinteresse als Grund und Legitimation für die Anwendung ausländischen Rechts besteht und für die überhaupt erst die Frage nach einer angemessenen räumlichen Anknüpfung gestellt werden kann. Inwieweit ein solches Vorgehen im Rahmen von Art. 9 III Rom I möglich ist, soll im Folgenden geklärt werden.

liche Vorgehen der Gegenmeinung – Ausbildung eines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls modo legislatoris und nachträgliche Kontrolle anhand eines „erweiterten“ ordre public – folglich überhaupt nicht möglich ist. Abgesehen davon wäre eine Verortung der qualifizierten Legitimitätsprüfung im Rahmen des ordre public auch deshalb nicht überzeugend, weil die materiellen Kriterien zum einen über die herkömmlichen Anforderungen des ordre public hinausgehen (es sich also prima facie um „etwas anderes“ handelt) und zum anderen abstrakter und generalisierender Natur sind, die im Rahmen eines einzelfallbezogenen Korrekturmechanismus wesensfremd wären und daher „vor die Klammer“ gezogen werden müssen. Zudem ermöglicht gerade der weite Wortlaut des Art. 9 III 2 Rom I („Art und Zweck“ der fraglichen Norm) eine Berücksichtigung materieller Aspekte bereits bei der Anwendungsentscheidung, so dass eine solche auch auf dieser Ebene zu erfolgen hat. Eine Verortung der qualifizierten Legitimitätsprüfung im Rahmen des ordre public ist damit abzulehnen (im Ergebnis ebenso die in Fn. 306 Genannten). 343 Insbesondere MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 58 betont im Anschluss an Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 92-94, dass inländische Interessen an der Anwendung einer ausländischen Norm nicht „Anknüpfungsmomente neben anderen sind, sondern dass es sich um eine durchgängige Grundbedingung handelt, die jeder [e]inzelnen auch für Eingriffsrecht notwendigen räumlichen Anknüpfung vorausgeht“; ebenso Kuckein S. 87. Treffend stellt daher Kuckein a.a.O. heraus, dass „eine kollisionsrechtliche Anknüpfung nach ‚räumlichen’ Kriterien [...] nur dann in Betracht [kommt], wenn ein solches [Anwendungs-]Interesse besteht“. 344 Vgl. etwa Kropholler § 3 II 2 (S. 19-21); Stoll S. 205 f., 315. 345 Näher hierzu sub Kapitel 3 D.II.2 (S. 286 ff.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

cc) Einschränkende materielle Kriterien im Rahmen von Art. 9 III Rom I (1) Interesse an der Anwendung einer Norm Beschreiben die von der überwiegenden Ansicht geforderten materiellen Kriterien somit das grundsätzliche Anwendungsinteresse an ausländischen Normen, die den öffentlichen Interessen des jeweiligen Erlassstaates Rechnung tragen, so fragt sich mit Inkrafttreten der Rom-Verordnungen nunmehr, nach wessen Sicht sich dieses zu bestimmen hat: nach europäischer oder nationaler? Die Beantwortung dieser Frage hängt zunächst davon ab, welchem Gesetzgeber man die Kompetenz zum Erlass des maßgeblichen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls zuspricht. Geht man davon aus, dass diese auch unter Geltung der Rom-Verordnungen weiterhin bei den einzelnen Mitgliedstaaten liegt346, so bestimmt konsequenterweise deren nationales Anwendungsinteresse über Grund und Legitimation der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen. Geht man jedoch mit der hier vertretenen Meinung davon aus, dass die nationalen Gesetzgeber ihre Kompetenz hinsichtlich der kollisionsrechtlichen Behandlung von Eingriffsnormen mit Inkrafttreten der Rom-Verordnungen verloren haben347, so können sich nunmehr Grund und Legitimation für die Berufung solcher Normen alleine aus dem europarechtlich-autonom auszulegenden Unionsrecht ergeben. Will man daher materielle Kriterien entwickeln, die das Anwendungsinteresse an einer bestimmten Norm beschreiben, um diese anhand jener teleologischen Erwägungen aus dem nunmehr europäischen kollisionsrechtlichen System a priori auszusondern, so müssen diese Kriterien daher geeignet sein, ein europäisches Anwendungsinteresse zu beschreiben. (2) Bestimmung des europäischen Anwendungsinteresses Die entscheidende Frage ist jedoch, welche Konsequenzen wir aus dieser Feststellung für die sachrechtliche Legitimitätsprüfung bei der Ausbildung eines europäischen Anwendungsbefehls ziehen können. Bislang wird wohl einhellig davon ausgegangen, dass die hierfür maßgeblichen Kriterien anhand inländischer Wertungen des jeweiligen mitgliedstaatlichen Forumstaates zu entwickeln sind348. Zum Ausgangspunkt der materiellen Prüfung wird damit eine originäre nationale „policy-Wertung“349, wenngleich dies freilich nicht ausschließt, dass hierbei auch auf – allen Mitgliedstaaten ge346

In diesem Sinne die in Fn. 92 Genannten. Vgl. hierzu sub Kapitel 3 B.II.2 (S. 187 ff.). 348 Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 649; ders., IPRax 2009, 109 (111); MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 119, 141-143; Thorn, Eingriffsnormen, 129 (146 f.). 349 Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 649; ders., IPRax 2009, 109 (111); Thorn, Eingriffsnormen, 129 (146 f.). 347

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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meinsame – europäische Wertungen zu rekurrieren ist: Denn europäische Rechtssätze bilden als in einem Mitgliedstaat geltendes Recht einen integralen Bestandteil der nationalen Rechtsordnung und sind insoweit Ausdruck – wenngleich in gewisser Weise heteronom gesetzter – inländischer Wertungen350. Eine solches Vorgehen wäre dann konsequent, ginge man – wie wohl die meisten Vertreter dieser Ansicht351 – davon aus, dass auch unter Geltung der Rom-Verordnungen die Kompetenz zum Erlass eines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls bezüglich einer ausländischen Eingriffsnorm dem einzelnen Mitgliedstaat verbleibt und daher dessen Anwendungsinteresse Grund und Legitimation für die Berufung darstellt. Nun müssen die materiellen Kriterien jedoch nach den vorherigen Ausführungen geeignet sein, ein europäisches Anwendungsinteresse zu beschreiben, welches eine teleologische Einschränkung des europäischen IPR ermöglicht und welches damit über die Reichweite des europäischen kollisionsrechtlichen Systems entscheidet. Inwieweit hierfür auf divergierende nationale materielle Kriterien abgestellt werden kann, erscheint indes a priori zweifelhaft, da die Konkretisierung eines europäischen Rechtsaktes grundsätzlich europarechtlich-autonom zu erfolgen hat. Eine Berücksichtigung nationaler Wertungen ist vor diesem Hintergrund nur vorstellbar, wenn auch das maßgebliche europäische Anwendungsinteresse einem nationalen Anwendungsinteresse Rechnung zu tragen hätte. Dies ließe sich – in Anlehnung an Art. 9 I, II/Art. 16 Rom I/II und die jeweiligen Vorbehaltsklauseln Art. 21/26 Rom I/II – dann erwägen, wenn eine nach einheitlichen autonomen Kriterien getroffene kollisionsrechtliche Anwendungsentscheidung bezüglich einer ausländischen Eingriffsnorm schutzwürdige Belange des jeweiligen Forumstaates tangierte, denen auch das nunmehr vereinheitlichte europäische Kollisionsrecht gerecht werden müsste. Da eine solche kollisionsrechtliche Anwendungsentscheidung entweder zu dem – den Forumstaat unmittelbar bindenden – Ergebnis der Nichtanwendung oder der Anwendung einer ausländischen Eingriffsnorm führt, kommt eine Verletzung nationaler Belange in diesen beiden Konstellationen in Betracht. Führt eine europäische Anwendungsentscheidung in der ersten Konstellation zu dem Ergebnis der Nichtanwendung eines Rechtssatzes, so könnte eine Beeinträchtigung mitgliedstaatlicher Belange jedoch alleine in dem Umstand gesehen werden, dass der Forumstaat – wenngleich er möglicherweise in concreto aufgrund seiner politischen Ziele mit einer ausländischen Eingriffsnorm „sympathisiert“ – diese nicht mehr zur Anwendung bringen kann. Hierbei handelt es sich indes ausschließlich um ein positiv wirken350 Hierzu insbesondere Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 649; deutlicher ders., IPRax 2009, 109 (111). 351 Vgl. die in Fn. 92 Genannten.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

des, nationales kollisionsrechtliches Anwendungsinteresse, das für sich genommen unter Geltung des europäischen IPR nicht mehr für schutzwürdig befunden werden kann, weil die Ausgestaltung der kollisionsrechtlichen Gerechtigkeit der autonomen Entscheidung des jeweils kompetenten Gesetzgebers obliegt und in der – von Seiten der Mitgliedstaaten erfolgten – Kompetenzübertragung auf die EU schwerlich eine Verletzung schutzwürdiger Belange gesehen werden kann. Materielle Belange der einzelnen Mitgliedstaaten werden demgegenüber in dieser Konstellation a priori nicht tangiert, da eine ausländische Eingriffsnorm regelmäßig nur den materiellen Interessen des jeweiligen Erlassstaates dient 352 und deren – unionsrechtlich angeordnete – Nichtanwendung demnach auch keine Verletzung materieller Belange des Forumstaates zur Folge haben kann. Die Berücksichtigung eines nationalen Anwendungsinteresses lässt sich in dieser Konstellation folglich nicht rechtfertigen. Etwas anderes gilt hingegen für die zweite Konstellation. Bestimmten wir einen europäischen Anwendungsbefehl ohne Berücksichtigung nationaler Wertungen, so führt dies dazu, dass der mitgliedstaatliche Forumstaat unionsrechtlich auch zur Anwendung solcher ausländischer Eingriffsnormen verpflichtet wird, die seinen eigenen öffentlichen Interessen zuwiderlaufen. Obwohl Gesetze, die gezielt gegen den Mitgliedstaat gerichtet sind, zumindest auf der Ebene des ordre public abgewehrt werden könnten353 (so dass jedenfalls im Ergebnis die materiellen Interessen des Mitgliedstaates gewahrt bleiben), lässt sich durchaus ein – auch unter Geltung des europäischen IPR – schutzwürdiges Interesse des Forumstaates begründen, dass dieser zur Anwendung einer ausländischen Bestimmung bereits dann nicht verpflichtet ist, wenn diese zwar nicht (nach herkömmlichen Maßstäben) ordre public-widrig ist, jedoch nationalen Interessen und Wertungen widerspricht bzw. von diesen nicht geteilt wird (also eine qualifizierte Legitimitätsprüfung nicht erfüllt). Denn auch das europäische Anwendungsinteresse ist nach den obigen Ausführungen auf die materielle Vereinbarkeit des potentiell anzuwendenden Rechtssatzes mit der jeweiligen lex fori gerichtet, so dass es jedenfalls nationalen „Nichtanwendungsinteressen“354 Rechnung tragen muss, soll es die Wertungskohärenz innerhalb einer mitgliedstaatlichen Rechtsordnung gewährleisten. 352

Vgl. hierzu sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 182 f.). So Lorenz, RIW 1987, 569 (582), der jedoch die qualifizierte Legitimitätsprüfung auf der Ebene des – insoweit erweiterten – ordre public verortet; vgl. hierzu Fn. 306 und 342. 354 Also diejenigen kollisionsrechtlichen Interessen, die auf die Nichtanwendung einer Eingriffsnorm gerichtet sind und die als gegenläufige „Kraft“ zusammen mit dem positiven Anwendungsinteresse das kollisionsrechtliche Anwendungsinteresse – also das „Ob überhaupt“ der Anwendung einer Norm – beschreiben. 353

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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Damit lässt sich festhalten: Auch eine autonome Bestimmung des europäischen Anwendungsinteresses muss unter Berücksichtigung materieller Wertungen der einzelnen Mitgliedstaaten erfolgen, wenn dieses darauf gerichtet sein soll, die materielle Vereinbarkeit mit der jeweiligen lex fori zu gewährleisten. Gesteht man dem europäischen Anwendungsinteresse diese Funktion zu – und dies wird nicht bestritten –, so können die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen – da sie mangels vollständig vereinheitlichten Sachrechts die hierfür maßgeblichen Bezugsrechtsordnungen darstellen – auch bei der Konkretisierung eines europäischen Anwendungsinteresses nicht unbeachtlich sein, sondern müssen den „Rohstoff“ zu dessen autonomer Bestimmung bilden. Es fragt sich jedoch, auf welche Weise dies geschehen soll. i. Nationale „policy-Prüfung“ Ginge man mit der bislang vertretenen Ansicht davon aus, dass auch im Rahmen von Art. 9 III Rom I eine den bisherigen Grundsätzen entsprechende nationale „policy-Prüfung“ erfolgen müsse 355 , so führte dies – sofern man die hier zugrunde gelegte Ausgangsprämisse eines europäischen Anwendungsbefehls teilt – dazu, dass sich das europäische Anwendungsinteresse vollständig anhand der materiellen Wertungen nur eines Mitgliedstaates bestimmte und es somit alleine der materiellen Rechtsordnung des Forumstaates obläge, Grund und Legitimation für die Berufung eines ausländischen Rechtssatzes im Rahmen des europäischen Kollisionsrechts zu beschreiben. Zwar wird auf diese Weise die materielle Vereinbarkeit mit der jeweiligen lex fori gewährleistet, weil a priori alleine diejenigen Rechtssätze berufen werden, welche mit jener kompatibel sind (negative Auswirkung einer nationalen „policy-Prüfung“), doch ermöglichte ein solches Vorgehen dem Forumstaat im Ergebnis zugleich, auch seine kollisionsrechtlichen Anwendungsinteressen positiv zur Geltung zu bringen, weil er – bei Kompatibilität mit forumeigenen „policy-Wertungen“ – Normen anwenden kann, mit denen er – und möglicherweise nur er – „sympathisiert“ (positive Auswirkung einer nationalen „policy-Prüfung“). Demnach weist eine nationale „policy-Prüfung“ im Sinne der bislang vertretenen Ansicht zwei Ausprägungen auf – zum einen eine negative, sofern diese die materielle Vereinbarkeit mit der lex fori sicherstellt, zum anderen eine positive, sofern sie der lex fori die Entscheidung über die An- oder Nichtanwendung ausländischer Rechtssätze überlässt –, die jedoch unter 355

„Technisch“ ließe sich dies bei Annahme eines Anwendungsbefehls europäischer Herkunft etwa dadurch verwirklichen, dass man die im Rahmen von Art. 9 III Rom I auszubildende Kollisionsnorm einer impliziten Bedingung zugunsten bestimmter nationaler „policy-Wertungen“ unterstellt.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Geltung des nunmehr vereinheitlichten europäischen IPR unterschiedlich bewertet werden müssen. Gegen die negative Ausprägung einer nationalen „policy-Prüfung“ bestehen auch bei der hier zugrunde gelegten Ausgangsprämisse einer europäischen Herkunft des maßgeblichen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls keine Einwände. Denn nach den einleitenden Bemerkungen ist auch das europäische Anwendungsinteresse von seiner Funktion her darauf gerichtet, die materielle Vereinbarkeit mit der jeweiligen lex fori zu gewährleisten, und hierfür bedarf es – mangels vollständig vereinheitlichten Sachrechts – auch bei einer europarechtlich-autonomen Bestimmung des europäischen Anwendungsinteresses nationaler „policy-Wertungen“, weil nur anhand dieser die Verträglichkeit mit der jeweiligen lex fori festgestellt werden kann. Würde man dem europäischen Anwendungsinteresse jene Funktion indes nicht zugestehen, könnte dieses zwar unabhängig von nationalen materiellen Wertungen konkretisiert werden, jedoch würde man dann den Forumstaat unionsrechtlich dazu verpflichten, ausländische Eingriffsnormen, die seinen materiellen Interessen zuwiderlaufen, zur Anwendung zu bringen – dieses Ergebnis wäre nicht nur rechtspolitisch verfehlt, sondern stünde auch im Widerspruch zu einem sachrechtliche (und damit zwangsläufig: mitgliedstaatliche) Wertungen verwirklichenden Kollisionsrecht, so dass ein solches Vorgehen zu Recht – soweit ersichtlich – nicht vertreten wird.

Demgegenüber begegnen der positiven Ausprägung einer nationalen „policy-Prüfung“ Zweifel, weil eine solche dem mitgliedstaatlichen Forumstaat zumindest im Ergebnis auch unter Geltung des europäischen Kollisionsrechts positiv ermöglicht, seine nationalen Anwendungsinteressen weiterhin zur Geltung zu bringen. Warum diese jedoch im Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen weiterhin beachtlich sein sollten, lässt sich nach den vorherigen Ausführungen nicht ohne weiteres erklären, weil die einzelnen Mitgliedstaaten mit Inkrafttreten der Rom-Verordnungen die Kompetenz zur legislativen Umsetzung ihrer kollisionsrechtlichen Anwendungsinteressen verloren haben und deren Nichtberücksichtigung im Rahmen des europäischen Kollisionsrechts eigentlich eine zwangsläufige Folge der Kompetenzverlagerung im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses darstellt. Zu rechtfertigen wäre die positive Ausprägung der nationalen „policy-Prüfung“ daher nur, wenn sie ein notwendiges Korrelat zu der – gerechtfertigten – negativen Ausprägung bildete. Dies ist jedoch – wie sogleich darzustellen sein wird356 – nicht der Fall, so dass diese Bedenken bestehen bleiben. Auch gehen mit einer nationalen „policy-Prüfung“ weitere Probleme einher. Zum einen führt die ausschließliche Berücksichtigung nationaler Wertungen des jeweiligen Forumstaates bei der Konkretisierung von Art. 9 356

Vgl. hierzu sub Kapitel 3 C.II.4.a)cc)(2)ii (S. 251 ff.).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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III Rom I – da diese von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat mit Ausnahme der vereinheitlichten europäischen Wertungen divergieren – notwendig dazu, dass die inhaltliche Ausgestaltung des im Rahmen von Art. 9 III Rom I zu entwickelnden europäischen Anwendungsbefehls bezüglich einer ausländischen Eingriffsnorm davon abhängig wäre, vor welchem mitgliedstaatlichen Forum der Fall verhandelt werden würde357. Damit gäbe man jedoch ein zentrales Ziel des vereinheitlichten europäischen Kollisionsrechts, innerhalb der EU Entscheidungseinklang herzustellen, für den Bereich der ausländischen Eingriffsnormen auf, was bei konkurrierenden Zuständigkeiten wiederum Anreize zum unerwünschten forum shopping gäbe358, da jede Partei denjenigen Gerichtsstand bevorzugen wird, der die für sie günstigeren Normen zur Anwendung bringt. Zum anderen kann eine nationale „policy-Wertung“ – deren Legitimation sich ja nach den vorherigen Ausführungen aus der Schutzwürdigkeit eines nationalen Nichtanwendungsinteresses ergäbe – zugleich dazu führen, dass die dann ebenso schutzwürdigen Nichtanwendungsinteressen anderer Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden: Denn erlässt ein Forumstaat, der geringe materielle Anforderungen an die sachrechtliche Legitimität einer Eingriffsnorm stellt, ein Urteil, so muss dieses aufgrund der in der EU bestehenden „Freizügigkeit von Urteilen“ von jedem anderen Mitgliedstaat im Grundsatz anerkannt und vollstreckt werden – wenngleich der Anerkennungsstaat möglicherweise einen strengeren Maßstab angelegt hätte, insoweit also keine „Sympathie“ mit der ausländischen Norm aufweisen würde. Da die geforderten materiellen Kriterien nach überwiegender Ansicht über die inhaltlichen Anforderungen der herkömmlichen ordre public-Kontrolle hinausgehen, wird eine Abwehr über den prozessrechtlichen ordre public regelmäßig scheitern – zumal dieser nach h.M. noch einen im Vergleich zum kollisionsrechtlichen ordre public verminderten Kontrollmaßstab (effet atténué de l’ordre public) 359 aufweist –, so dass den Nichtanwendungsinteressen der mitgliedstaatlichen Anerkennungs- und Vollstreckungsstaaten auch auf diesem Wege nicht Rechnung getragen werden könnte.

ii. Europäische „policy-Prüfung“ Vor diesem Hintergrund erscheint fraglich, ob der Weg der bislang vertretenen Ansicht bei hier zugrunde gelegter Ausgangsprämisse eingeschlagen werden sollte. Wenngleich das europäische Anwendungsinteresse aufgrund 357 Wir stießen insoweit auf das Phänomen europäischer Kollisionsnormen relativen Inhalts. 358 Vgl. etwa Kommissionsvorschlag zur Rom I-Verordnung, KOM (2005) 650 endg., S. 8, in welchem die Kommission die Zweckmäßigkeit einer einheitlichen Regelung bezüglich Eingriffsnormen u.a. mit der Möglichkeit konkurrierender Gerichtsstände begründete. 359 Hierzu etwa Kropholler § 60 IV 2 (S. 667).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

seiner Funktion eine „materiellrechtliche Rückkopplung“ zu den einzelnen mitgliedstaatlichen Sachrechten aufweist, erfordert diese Funktion alleine die Gewährleistung der materiellen Vereinbarkeit mit der jeweiligen lex fori, also ausschließlich eine Berücksichtigung nationaler Nichtanwendungsinteressen360, nicht jedoch zugleich auch eine Berücksichtigung positiver nationaler Anwendungsinteressen, deren Beachtlichkeit nach obigen Ausführungen im Rahmen des vereinheitlichten europäischen IPR nicht nur höchst zweifelhaft erscheint, sondern zugleich sowohl eine Beeinträchtigung des europäischen Entscheidungseinklangs als auch nationaler Nichtanwendungsinteressen anderer Mitgliedstaaten zur Folge hat. Da das Interesse an der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen aufgrund der Aufgabenstellung des IPR, Privaten, nicht Staaten, Gerechtigkeit zukommen zu lassen, a priori vermindert ist – und auch verbreitet eine restriktive Auslegung des Art. 9 III Rom I gefordert wird361 –, liegt der Gedanke daher nahe, nicht – wie von der bisherigen Ansicht vorgeschlagen – berechtigten nationalen Nichtanwendungsinteressen durch eine originäre nationale „policy-Prüfung“ Rechnung zu tragen (und damit auch deren fragwürdige positive Wirkung in Kauf zu nehmen), sondern a priori alleine dann ein europäisches Rechtsanwendungsinteresse an der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen zu bejahen, wenn die Anwendung einer solchen Norm von den materiellen Wertungen aller mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen getragen wird362. Dann konstituiert sich das europäische Anwendungsinteresse nicht unabhängig von den Wertungen der nationalen Rechtsordnungen – was möglicherweise eine nationale „Abwehrmöglichkeit“ erforderlich machen würde –, sondern aus einem „common sense“ aller Mitgliedstaaten, aus dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“, welcher zum Ausgangspunkt der Frage nach dem „Ob überhaupt“ der Anwendung einer ausländischen Eingriffsnorm wird. Anhand einer solchen genuin europäischen „policy-Wertung“ könnte den – nach wohl einhelliger Ansicht für schutzwürdig erachteten – Nichtanwendungsinteressen aller 360

Dies jedoch nicht originär, sondern alleine mittelbar, da auch das europäische Anwendungsinteresse von seiner Funktion darauf gerichtet ist, die materielle Vereinbarkeit mit der jeweiligen lex fori zu gewährleisten. Es erfüllt damit zumindest insoweit dieselbe Funktion wie ein nationales Nichtanwendungsinteresse (vgl. Fn. 354), so dass auch zu dessen europarechtlich-autonomer Konkretisierung originär – und nicht etwa vermittelt durch ein nationales Anwendungsinteresse – auf diejenigen nationalen materiellen Kriterien zurückgegriffen werden kann, anhand derer sich diese Funktion verwirklichen lässt. 361 Insbesondere von denjenigen, die Art. 9 III eine Abschlussfunktion zugestehen wollen; vgl. hierzu sub Kapitel 3 D.I.1 (S. 265 ff.). 362 Dies der Sache nach wohl aufgrund der europäischen Herkunft des Art. 9 III Rom I erwägend, jedoch ohne nähere Begründung ablehnend Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 649; ders., IPRax 2009, 109 (111).

C. Konkretisierung des Art. 9 III Rom I

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Mitgliedstaaten363 Rechnung getragen werden, ohne die Einheitlichkeit des im Rahmen von Art. 9 III Rom I auszubildenden Anwendungsbefehls und damit den europäischen Entscheidungseinklang als ein wesentliches Ziel der europäischen Rechtsvereinheitlichung aufzugeben. (3) Konkretisierung genuin europäischer Wertungen Entscheidend ist freilich, wie solche gemeinsamen, von allen Mitgliedstaaten geteilten Wertungen zu entwickeln sind, die ein gemeineuropäisches Anwendungsinteresse konstituieren können. Unproblematisch ist dies in den Bereichen möglich, die bereits europaweit durch europäische Rechtsakte vereinheitlicht sind. Freitag weist zu Recht darauf hin, dass insbesondere in den Bereichen des „klassischen“ Eingriffsrechts – aufgrund dessen Bedeutung für den Gemeinsamen Markt – mittlerweile zahlreiche europäische Rechtsakte erlassen wurden, anhand derer allen Mitgliedstaaten gemeinsame materiellrechtliche Wertungen entnommen werden können – hier sind „etwa das Währungs- und Devisenrecht (Schutz des Euro)364, große Teile des Außenwirtschaftsrechts 365 , Embargo-Bestimmungen 366 , europäisches Wettbewerbs- und Kartellrecht367 etc.“ zu nennen368. Mittels solcher, den genannten Rechtssätzen zugrundeliegenden materiellen Wertungen ließen sich nahezu alle oben genannten Fälle des BGH, in denen dieser sich zu einer normativen Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen von § 138 BGB durchringen konnte, im Ergebnis identisch lösen. In den bereits erwähnten Entscheidungen „Borax“ und „Borsäure“ wurde jeweils ein Vertrag für nichtig erachtet, weil er gegen eine US-amerikanische Embargobestimmung verstieß. Die maßgebliche Begründung dieser Entscheidungen lautete, dass die ausländischen Embargobestimmungen „der Aufrechterhaltung des Friedens und der freiheitlichen Ordnung des Westens dienen“, so dass deren Anwendung „nicht nur im amerikanischen Interesse, sondern im Interesse des gesamten freiheitlichen Westens und damit auch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland“ lag369 und – zusätzlich in der „Borsäure“-Entschei363 Und dies auf zweifache Weise: zum einen den Nichtanwendungsinteressen des jeweiligen Forumstaates bei der Ausbildung des genuin europäischen Anwendungsbefehls, zum anderen aber auch den Nichtanwendungsinteressen potentieller mitgliedstaatlicher Anerkennungsstaaten. 364 Vgl. hierzu Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 46 f. 365 Vgl. hierzu Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 35-38. 366 Vgl. hierzu Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 36. 367 Vgl. hierzu Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 40. 368 Freitag, Einfach und international zwingende Normen, 167 (190), (Fußnoten hinzugefügt). 369 BGH NJW 1961, 822 (823); ebenso (und die vorherige Rechtsprechung bestätigend) BGH NJW 1962, 1436 (1437).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

dung – sich Deutschland „inzwischen ausdrücklich die amerikanische Embargopolitik zu eigen gemacht und entsprechende Verbote erlassen hat“370. Wenngleich dieser Rechtsprechung grundsätzliche Zweifel begegnen, da die Frage nach einem Anschluss an ausländische Embargopolitiken wohl weniger von der judikativen Gewalt entschieden werden sollte371, kann die Frage, ob wir die politischen Ziele eines ausländischen Embargos teilen, gar nicht mehr anhand nationaler Kriterien entschieden werden, da diese Entscheidung nunmehr als Teil der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in europäische Kompetenz übergegangen ist (Titel V Kapitel 2 EUV i.V.m. Art. 215 AEUV) und insoweit jene Frage alleine anhand genuin europäischer, allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Wertungen beantwortet werden kann372. Gleiches gilt ebenso für die bekannte „Nigerianische Masken“-Entscheidung, in welcher der BGH zu einer normativen Berücksichtigung eines nigerianischen Ausfuhrverbotes maßgeblich deswegen gelangte, weil die Umgehung eines Gesetzes zum Schutz von Kulturgütern „dem nach heutiger Auffassung allgemein zu achtenden Interesse aller Völker an der Erhaltung von Kulturwerten an Ort und Stelle zuwiderhandelt“373. Das Interesse an dem Schutz von Kulturgütern wird nicht nur von der Bundesrepublik geteilt, sondern ebenfalls von Seiten der EU, was spätestens mit Erlass der in allen Mitgliedstaaten unmittelbar geltenden EWG-VO Nr. 3911/92 vom 9. Dezember 1992 über die Ausfuhr von Kulturgütern zum Ausdruck gebracht wurde. Vorstellbar ist jedoch ebenfalls, dass die für die Prüfung der sachrechtlichen Legitimität ausländischer Eingriffsnormen erforderlichen materiellen Kriterien aus Bereichen zu entnehmen sind, die nicht in den Kompetenzbereich der EU fallen. Dies beträfe etwa die „Schmiergeld“Entscheidung des BGH, in welcher eine ausländische strafrechtliche Norm, die Korruption sanktionierte, normativ berücksichtigt wurde, weil „nach der Auffassung des erkennenden Senats [...] das Fordern und Entgegennehmen von Bestechungsgeldern durch ausländische Amtsträger jedenfalls insoweit zu mißbilligen [ist], als diese dadurch gegen die Rechtsordnung 370

BGH NJW 1962, 1436 (1437). Kritisch daher zu Recht Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (239 f.); deutlich auch Mankowski, RabelsZ 59 (1995), 352 (357); vgl. näher Fn. 387. 372 Ein gutes Beispiel bildet insoweit das „blocking statute“ VO (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen; hierzu etwa von Bar/Mankowski § 4 Rn. 113 m.w.N. 373 BGH NJW 1972, 1575 (1576); weiter heißt es (1577): „Die Ausfuhr von Kulturgut entgegen einem Verbot des Ursprungslandes verdient daher im Interesse der Wahrung der Anständigkeit im internationalen Verkehr mit Kunstgegenständen keinen bürgerlichrechtlichen Schutz [...]“. 371

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ihres Heimatlandes verstoßen“ und die fragliche Norm daher „nach den in Deutschland herrschenden rechtlichen und sittlichen Anschauungen anzuerkennen“374 sei. Fehlen europäisch vereinheitlichte Rechtssätze, anhand derer wir die maßgeblichen materiellen Kriterien entwickeln können – wie etwa im Bereich strafrechtlicher Normen –, so besteht jedoch immer noch die Möglichkeit, anhand einer rechtsvergleichenden Umschau zu prüfen, ob es sich bei dem von der ausländischen Norm verfolgten Zweck um ein Anliegen handelt, das von allen Mitgliedstaaten geteilt wird – bei einem Korruptionsverbot dürfte dies wohl unproblematisch zu bejahen sein375. Sollte man diesem Ansatz gegenüber einwenden, er sei praktisch undurchführbar, so kann zunächst auf den „nigerianischen Maskenfall“ verwiesen werden: Auch hier entwickelte der BGH – ohne positive Gesetzesgrundlage 376 – ein „international-typisches Interesse“377, das von der deutschen Rechtsordnung aus diesem Grunde auch geteilt wird. Können wir jedoch ein „international-typisches Interesse“ herausdestillieren, so müsste es eigentlich deutlich einfacher sein, ein „typisch europäisches“ Interesse herauszuarbeiten, zumal es bei der sachrechtlichen Legitimitätsprüfung alleine darum geht, ob das konkrete öffentliche Interesse, welches als Beschränkung der Privatautonomie dient, als solches schutzwürdig ist – und nicht darum, ob die konkrete Regelung, also die normative Umsetzung des fraglichen Interesses den jeweiligen nationalen Regelungen entspricht378. Hinzu kommt insbesondere, dass nach hier vertretener Ansicht der jeweilige kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl bezüglich der einzelnen mitgliedstaatlichen Eingriffsnormen von Seiten des europäischen IPR festgelegt wird, dieser sachrechtliche „Rohstoff“ also durch das europäische IPR zu „verarbeiten“ ist379. Insoweit lässt sich – ggf. mit fortschreitender Rechtsentwicklung – feststellen, ob in allen Mitgliedstaaten 374

BGH NJW 1985, 2405 (2406). Für eine solche rechtsvergleichende Analyse kann alleine entscheidend sein, ob in den einzelnen Staaten sanktionierende Normen etwa gegen Korruption bestehen. Dass möglicherweise Unterschiede in der gesellschaftlichen Akzeptanz solcher Bestimmungen existieren, ist unerheblich, da es insoweit alleine auf die von der jeweiligen „Rechtsordnung ausdrücklich anerkannten sittlichen Grundsätze ankommt“ (so auch der BGH NJW 1985, 2405 (2406) in der „Schmiergeld“-Entscheidung), also ausschließlich auf das „Gesollte“ abzustellen ist. 376 Das KultGSchG trat erst 1975 in Kraft, das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz von Kulturgut, auf welches sich der BGH als „international typisches Interesse“ im Sinne von Zweigert berief, hatte zu dem damaligen Zeitpunkt für Deutschland „noch keine verbindliche Kraft“, vgl. BGH NJW 1972, 1575 (1576); das Übereinkommen trat in Deutschland erst Ende Februar 2008 in Kraft (hierzu Bt-Ds. 16/1371). 377 In Anlehnung an Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (291), der dieses jedoch als Kriterium der Nichtanwendung einer im Wege der Sonderanknüpfung anwendbaren Eingriffsnorm und somit alleine als Einschränkung des selbstformulierten, a priori beachtlichen Anwendungsanspruchs der ausländischen Eingriffsnorm begreift; hierzu bereits Fn. 299. 378 Siehe hierzu sogleich sub Kapitel 3 C.II.4.a)cc)(4) (S. 256 f.). 379 Vgl. hierzu ausführlich sub Kapitel 2 A.III (S. 113 ff.); zu der Bedeutung dieses Ansatzes für die Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen sub Kapitel 3 E.III (S. 309 ff.). 375

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vergleichbare Eingriffsnormen bestehen, denen gleichlaufende europäische Individualkollisionsnormen zugeordnet sind, was wiederum eine europäische „Bündelung“ dieser Kollisionsnormen ermöglicht380. Ist dies der Fall, verkörpert ein solches „europäisches“ Bündel ein gemeineuropäisches Anwendungsinteresse, das die Anwendung der konkret in Frage stehenden Norm, aber auch – bei Ablehnung einer „Sperrwirkung“ von Art. 9 III Rom I 381 – einen allseitigen Ausbau ebenfalls gegenüber drittstaatlichen Regelungen rechtfertigt382. Ein bereits kodifiziertes Beispiel hierfür bildet wiederum Art. 6 Rom II: Auch hier bestehen – allerdings teilweise durch Rechtsvereinheitlichung – ähnliche nationale Kartellrechte, was zum einen eine europäische Zusammenfassung der auf diese Sachnormen bezogenen einzelnen Individualkollisionsnormen in einer Kollisionsnorm rechtfertigt, zum anderen jedoch darüber hinaus auch eine Erstreckung dieser Kollisionsnormen auf drittstaatliche Kartellrechte, so dass im Ergebnis eine herkömmliche allseitige 383 Kollisionsnorm vorliegt: Nur weil wir – europäisch einheitlich – kartellrechtliche Bestimmungen als legitimen Grund für die Beschränkung der Privatautonomie betrachten, gestehen wir diese Beschränkung im Sinne des kategorischen Imperativs auch anderen gesetzgebenden Staaten zu.

(4) Prüfungsmaßstab Können wir somit einheitliche europäische Kriterien zur Prüfung der sachrechtlichen Legitimität entwickeln, so bleibt zuletzt die bereits angesprochene Frage384 zu klären, wie streng der Prüfungsmaßstab hierfür ausfallen muss. Eine Förderung des Forumsinteresses als Voraussetzung für die Berufung einer ausländischen Eingriffsnorm zu machen, wie es etwa Wengler vorschlägt, erscheint indes zu weitgehend385 und wirft insbesondere die Frage auf, wie eine solche Förderung des Forumsinteresses denn zu bestimmen wäre. Da jede ausländische Eingriffsnorm regelmäßig allein den materiellen Interessen des jeweiligen Erlassstaates Rechnung trägt386, kann deren Anwendung a priori keinen eigenen materiellen Interessen Rechnung tragen, diese also unmittelbar „fördern“, so dass die Anwendung solcher Bestimmungen aus diesem Grunde wohl stets abzulehnen wäre387. 380

Näher hierzu sub Kapitel 3 E.III.3 (S. 319 f.). Vgl. hierzu Kapitel 3 D.I.1 (S. 265 ff.). 382 Vgl. hierzu Kapitel 3 D.II.2 (S. 286 ff.). 383 Vgl. hierzu die Nachweise in Kapitel 1 Fn. 142. 384 Vgl. sub Kapitel 3 C.II.4.a)aa) (S. 236 ff.). 385 So auch Kuckein S. 95. 386 Vgl. hierzu sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 182 ff.). 387 Auch die US-Embargobestimmungen in den Fällen „Borax“ und „Borsäure“ dienten alleine US-amerikanischen Interessen und allenfalls als mittelbarer Reflex auch deutschen – stellte man jedoch auf eine solche Reflexwirkung ab, so bedeutete dies eine unmittelbare Bewertung originärer Sachinteressen seitens der Judikativen ohne positive Rechtsgrundlage. Abgesehen davon, dass ein solches Vorgehen der Rechtsunsicherheit Tür und Tor öffnete, führte dies dazu, dass die Judikative unmittelbar darüber entschiede, ob wir uns (zumindest für den konkret streitigen Fall) der in Frage stehenden ausländischen Embargopolitik anschließen oder nicht – diese Entscheidung kann jedoch – europarechtliche Implikationen einmal ausgeblendet – aufgrund der Gewaltenteilung 381

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Verlangt man jedoch schlicht ein forumeigenes, nunmehr nach einheitlichen europäischen Kriterien zu bestimmendes kollisionsrechtliches Interesse an der Anwendung dieser ausländischen Norm, so liegt ein solches Interesse nach den vorherigen Ausführungen bereits dann vor, wenn wir die fragliche Bestimmung anwenden, weil dieses stets Voraussetzung für die Anwendung fremden Rechts bildet – und wann ein solches Anwendungsinteresse als Grund und Legitimation für die Anwendung ausländischen Rechts vorliegt, ist gerade die Frage. Diese reduziert sich folglich darauf, ob ein Anwendungsinteresse bereits dann zu bejahen ist, wenn die fragliche Norm nicht im Widerspruch zu den gemeinsamen materiellen Wertungen steht, oder ob darüber hinausgehend ein Wertegleichklang, ein „European shared value“ zu fordern ist. Da jede Anwendung eines ausländischen Eingriffsgesetzes nicht nur Staatsinteressen konterkarieren kann, sondern stets auch Parteiinteressen zuwiderläuft, und dem IPR, wie bereits mehrfach erwähnt, die Aufgabe zukommt, der Gerechtigkeit inter partes und nicht den Interessen einzelner Staaten Rechnung zu tragen, scheint es überzeugender, grundsätzlich nur dann ein Anwendungsinteresse hinsichtlich einer ausländischen Eingriffsnorm zu bejahen, wenn diese Ausdruck eines von Seiten des Forumstaates geteilten gemeineuropäischen Wertes ist388. Dies soll freilich nicht bedeuten, dass die Ziele der fremden Eingriffsnorm mit unseren Zielen völlig identisch sein müssen389 – denn das ist, da jeder Staat im Bereich gemeinwohlbezogener Normen niemals identische Schutzgüter schaffen kann390, a priori nicht möglich. Ausreichend erscheint, wenn der Grundgedanke, welcher der Beschneidung der Privatautonomie zugunsten gemeinwohlorientierter Normen zugrunde liegt, von der Rechts–überzeugung aller Mitgliedstaaten getragen wird, weil wir in vergleichbaren Fällen unsere öffentlichen Interessen ebenfalls zulasten der Privatautonomie durchsetzen; alleine von Seiten der exekutiven oder legislativen Gewalt getroffen werden, da es sich hierbei um die Gestaltung deutscher Außenpolitik handelt (diese Kompetenz liegt im Wesentlichen bei der Exekutiven (vgl. etwa Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 1097) und erst in zweiter Linie bei der Legislativen, keinesfalls jedoch bei der Judikativen, treffend Mankowski, RabelsZ 59 (1995), 352 (357)). Erst wenn diese politischen Entscheidungen von den zuständigen Gewalten getroffen wurden, also positive und von der Rechtsprechung nachzuvollziehende Wertungen bestehen, kann die Judikative diese zum Ausgangspunkt einer notwendigen Rechtsfortbildung nehmen und auf diesen Wertungen aufbauen. Dem Vorgehen des BGH in den genannten Entscheidungen kann demnach nicht gefolgt werden; kritisch ebenso Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (240); Mankowski a.a.O. 388 Im Ergebnis ebenfalls auf einen „shared value“ abstellend Reithmann/MartinyFreitag Rn. 648; ders., IPRax 2009, 109 (111); zur alten Rechtslage vgl. die Nachweise in Fn. 309. 389 Ähnlich wohl MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 143: „Doch wird keine Übereinstimmung des ausländischen mit dem inländischen Recht verlangt; es wird erst dann ausgeschlossen, wenn ein gewisser ‚Entrüstungsgrad’ (Zweigert) erreicht ist“. 390 Hierzu sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 182 f.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

ob die fragliche Norm dann in concreto wesentliche Grundsätze verletzt und sie im Ergebnis daher nicht anzuwenden ist, ist eine Frage des einzelfallbezogenen ordre public. Eine Ausnahme muss jedoch dann gemacht werden, wenn unsere materielle Regelung, anhand derer wir den Grundgedanken entnehmen, Ausdruck unserer eigenen egoistischen Staatspolitik ist, welche wir anderen Staaten nicht in gleicher Weise zugestehen würden 391. Ist der Gedanke aus diesem Grunde nicht „allseitig“ ausbaubar, weil wir uns nicht an den „kategorischen Imperativ“ halten, verstieße es freilich wiederum gegen unsere auf diese Weise zum Ausdruck gebrachten Interessen, wenn wir einem fremden Staat in gleicher Weise eine Interessendurchsetzung vor unseren Gerichten ermöglichten.

(5) Zwischenergebnis Materielle Kriterien zur Prüfung der sachrechtlichen Legitimität einer ausländischen Eingriffsnorm sind darauf gerichtet, das – nunmehr europäische – Anwendungsinteresse als Grund und Legitimation für die Berufung solcher Normen zu beschreiben, und sind im Sinne einer antizipierten teleologischen Einschränkung bereits bei der Kollisionsnormbildung im Rahmen von Art. 9 III Rom I zu berücksichtigen. Die hierfür maßgeblichen materiellen Kriterien sind insbesondere hinsichtlich des europäischen Entscheidungseinklangs aufgrund gemeinsamer europäischer Vorstellungen zu entwickeln. Sofern der europäische Gesetzgeber – wie im Bereich des „klassischen“ Eingriffsrechts – materielle Rechtssätze erlassen hat, bilden die diesen Rechtssätzen zugrunde liegenden materiellen Wertungen den Ausgangspunkt der sachrechtlichen Legitimationsprüfung. Fehlen solche vereinheitlichten Rechtssätze, muss rechtsvergleichend ermittelt werden, ob ein gemeineuropäisches Interesse an der Anwendung einer solchen Norm besteht. Dieses ist dann zu bejahen, wenn der Grundgedanke, welcher der Beschränkung der Privatautonomie zugrunde liegt, von gemeineuropäischen materiellen Wertungen geteilt wird. b) Berücksichtigung des ausländischen „Anwendungswillens“ als Kriterium der Nichtanwendung Nach wohl einhelliger Ansicht ist eine ausländische Eingriffsnorm darüber hinaus auch dann nicht anzuwenden, wenn diese nicht angewandt werden „will“, wenn also der dieser Norm von Seiten des Erlassstaates beigefügte kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl tatbestandlich nicht erfüllt ist392. Für die Vertreter der Sonderanknüpfungslehre393 ergibt sich diese Konse391 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn wir gezielt Gesetze gegen andere Staaten erlassen (Paradebeispiel wiederum: Trading with the Enemy Act 1914) – vergleichbare Gesetze anderer Staaten können wir nicht zur Anwendung bringen, es fehlt insoweit an einem Anwendungsinteresse. 392 Vgl. nur MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 60; MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 115. 393 Nachweise Fn. 102 und 103.

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quenz bereits daraus, dass die rechtssatzbezogene ausländische Kollisionsnorm als Anknüpfungspunkt des postulierten unilateralistischen Teilsystems – aufgrund einer autonom gesetzten „Kollisionsgrundnorm“ – unmittelbare Verbindlichkeit für den Forumstaat entfaltet und diese daher nicht nur über die Anwendung, sondern auch über die Nichtanwendung derjenigen Sachnormen befinden kann, welche ihren Gegenstand bilden. Aber auch wenn man diesem Ansatz richtigerweise nicht folgt und die kollisionsrechtliche Anwendungsentscheidung autonom anhand der herkömmlichen Methode trifft, kann das Ergebnis nicht anders ausfallen, weil überhaupt kein Grund besteht, eine „nichtanwendungswillige“ ausländische Eingriffsnorm entgegen dem „Willen“ des Erlassstaates anzuwenden394. Denn der Erlassstaat bringt mit einer Beschränkung der kollisionsrechtlichen Reichweite einer Sachnorm, die seinen eigenen öffentlichen Interessen dient, zugleich zum Ausdruck, dass er seine materiellen Interessen in diesem konkreten Fall mit Auslandsbezug nicht tangiert sieht, so dass auch der Forumstaat diesen Interessen keinesfalls Rechnung tragen kann, will er den Erlassstaat nicht entgegen seinen erklärten Willen „bevormunden“. Letzteres wäre insbesondere395 deswegen verfehlt, weil mit der Anwendung einer Eingriffsnorm stets eine Zurücksetzung von Privatinteressen zugunsten öffentlicher Interessen des Erlassstaates einhergeht, die zumindest dann nicht gerechtfertigt werden kann, wenn diese überhaupt nicht auf den Plan gerufen werden und deren Durchsetzung folglich einen reinen Selbstzweck auf Kosten der Individualgerechtigkeit erfüllten. Dass es zu diesem Ergebnis nicht kommen kann, ergibt sich – auch ohne unmittelbare Berücksichtigung des fremden Anwendungswillens – bereits regelmäßig aus der sachrechtlichen Unanwendbarkeit der „nichtanwendungswilligen“ Bestimmung, weil eine kollisionsrechtliche Limitierung des Anwendungsbereiches – wie bereits dargestellt wurde 396 – zumeist auch eine sachrechtliche Limitierung gleichen Inhalts zur Folge hat. Dann entfällt jedoch schon – mangels einschlägiger Sachnorm – die Notwendigkeit für die kollisionsrechtliche Fragestellung „vom Gesetz her“, so dass aus diesem Grunde die ausländische Eingriffsnorm keine Bedeutung für die zivilrechtliche Streitentscheidung entfalten kann. Gleichwohl ist – da eine Limitierung des räumlichen bzw. persönlichen 394 Schurig S. 329 bezeichnet die Anwendung einer Eingriffsnorm gegen ihren Anwendungswillen „im allgemeinen [als] unsinnig“; ebenso Kuckein S. 128; Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325 (343); Zimmer, IPRax 1993, 65 (68 f.); Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (115). 395 Darüber hinaus stellte sich die gleiche Kritik, die mit der Ausbildung materiellen Sonderrechts für den Sachverhalt mit Auslandsbezug verbunden wäre, weil wir in diesem Falle bei Lichte betrachtet ein solches Recht ausbildeten; vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.II.1 (S. 14 f.). 396 Hierzu sub Kapitel 2 B.I.1 (S. 132 f.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Anwendungsbereiches funktional auf zwei Ebenen erfolgen kann – zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen, dass es sich bei einer solchen ausschließlich um eine kollisionsrechtliche Entscheidung des Erlassstaates handelt, die fragliche Norm also aus Sicht des Erlassstaates zwar sachrechtlich, jedoch nicht kollisionsrechtlich anwendbar wäre. Auch in diesem Falle kann es jedoch aus den genannten Gründen zu keiner Normanwendung kommen, so dass die (kollisionsrechtliche) Anwendungswilligkeit einer ausländischen Bestimmung ebenfalls bei der Anwendungsentscheidung berücksichtigt werden muss. Hierfür bedarf es indes keines Übergangs zu einem unilateralistischen Teilsystems im Sinne der Sonderanknüpfungslehre, sondern ausschließlich einer autonomen Interessenbewertung für die in Frage stehende Norm: Da in diesen Fällen kein Grund für die Anwendung einer „nichtanwendungswilligen“ Norm besteht, entfällt wiederum das grundsätzliche Anwendungsinteresse an einer solchen Norm, so dass diese auch nicht zur Anwendung gebracht werden kann. Auch hier wirkt sich abermals das unterschiedliche Anwendungsbedürfnis an herkömmlichen zivilrechtlichen Normen und Eingriffsnormen ausländischer Staaten aus: Während die Anwendung von Normen, welche der Gerechtigkeit inter partes Rechnung tragen, aus der Notwendigkeit resultiert, überhaupt eine gerechte Entscheidungsgrundlage zur Streitlösung inter partes aufzufinden (was eine Durchsetzung solcher Normen im Rahmen einer Sachnormverweisung auch unabhängig von dem Willen des jeweiligen Erlassstaates rechtfertigen kann), besteht diese Notwendigkeit für Normen, die dem öffentlichen Interesse des jeweiligen Erlassstaates Rechnung tragen, gerade nicht – dies rechtfertigt als zusätzliche Anwendungsvoraussetzungen nicht nur eine „qualifizierte Legitimationsprüfung“, sondern eben auch die Berücksichtigung des ausländischen (kollisionsrechtlichen) „Anwendungswillens“.

„Technisch“ lässt sich dies (auch ohne Methodenwechsel im Rahmen des herkömmlichen autonomistisch-multilateralistischen Systems) mit Schurig dahingehend verwirklichen, dass der im Rahmen von Art. 9 III Rom I modo legislatoris zu gewinnende Anwendungsbefehl – wiederum im Sinne einer antizipierten teleologischen Einschränkung – bedingt ausgesprochen wird, „bedingt nämlich dadurch, dass der betreffende Staat die Durchsetzung selbst (kollisionsrechtlich) will“397. Der Anwendungswille ist dann – wie Kuckein im Anschluss an Sonnenberger prägnant formuliert – „richtigerweise nicht Grundlage für die Anwendbarkeit einer fremden Eingriffsnorm, sondern lediglich Kriterium ihrer Unanwendbarkeit“398.

397 Ausführlich hierzu Schurig S. 329 f.; ders., Lois d’application immédiate, 55 (71); ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (238); ihm folgend Brüning S. 179; Kuckein S. 140 f.; ebenso MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 60; ders., FS, Rebmann, 819 (832 f.); ders., IPRax 2003, 104 (115). 398 Kuckein S. 141; MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 60.

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Ein solches Vorgehen, welches seinen Niederschlag im nationalen Recht bereits in Art. 3 a II EGBGB gefunden hat 399 und im europäischen Recht mit Art. 30 ErbRVO (ebenfalls bei Ausschluss des renvoi, vgl. Art. 34 II ErbRVO) finden wird, widerspräche auch nicht dem von Art. 20 Rom I geforderten Ausschluss der Gesamtverweisung: Denn die Bedingung führt nicht zu einem renvoi, dem wir auf Grund des internationalen Entscheidungseinklangs zu folgen hätten 400, sondern berücksichtigt alleine eine Abweisung („désistement“401) als Kriterium der Unanwendbarkeit402; eine solche teleologische Einschränkung des im Rahmen von Art. 9 III Rom I auszubildenden Anwendungsbefehls ist daher nicht von dem renvoi-Verbot des Art. 20 Rom I erfasst403. Angemerkt sei zudem, dass sich dieses Problem nicht alleine im Bereich der durch Rechtsfortbildung zu gewinnenden Kollisionsnormen stellen kann. Auch bereits kodifizierte europäische Kollisionsnormen haben teilweise klassische Eingriffsnormen zum Gegenstand, so dass auch in diesen Fällen – etwa bei Art. 6 Rom II – hinsichtlich einer kohärenten kollisionsrechtlichen Behandlung von Normen, die öffentlichen Interessen des jeweiligen Erlassstaates dienen und aus diesem Grunde besondere (Nicht-) Anwendungsinteressen auf den Plan rufen, eine Berücksichtigung der ausländischen „Anwendungswilligkeit“ in Betracht zu ziehen ist 404.

5. Reichweite der Kollisionsnorm Zuletzt bleibt die Frage zu klären, welche Reichweite der im Rahmen von Art. 9 III Rom I auszubildenden Kollisionsnorm zuzusprechen ist: Bringt diese alleine den Tatbestand der fraglichen Eingriffsnorm zur Anwendung, so dass die Rechtsfolgen weiterhin der lex causae zu entnehmen sind405, oder die „vollständige“ Norm mitsamt ihrer vom Erlassstaat zugestandenen Rechtsfolge? Geht man davon aus, dass – wie hier vertreten – die „Berücksichtigung“ einer ausländischen Eingriffsnorm anhand eines herkömmlichen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls erfolgt, so erscheint nur

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Hierauf verweist Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (238); ebenso MüKoSonnenberger Einl. IPR Rn. 60. 400 Dies möglicherweise dadurch, dass wir eine einseitige ausländische Kollisionsnorm allseitig erweitern müssten. 401 Kegel, GS Ehrenzweig, 51 (79). 402 Vgl. Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (238); MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 60. 403 Zur alten Rechtslage ebenso Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (238). 404 So auch jurisPK-BGB/Wurmnest Art. 6 Rom II Rn. 15. 405 In diesem Sinne bereits Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (300 f.); Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 95; differenzierend MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 121. Im Ergebnis wird dieser Weg auch von denjenigen beschritten, die eine normative Berücksichtigung der ausländischen Eingriffsnorm im Rahmen der lex causae befürworten und insoweit eine „sachrechtlich-kollisionsrechtliche Mischnorm“ schaffen, weil die Rechtsfolge (bei § 138 BGB: Nichtigkeit) stets der lex causae entnommen und alleine den tatbestandlichen Voraussetzungen der ausländischen Norm normative Wirkung zugesprochen wird; näher hierzu sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 ff.) m.N.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

letzterer Weg konsequent406: Wenn wir in anderen Fällen eine ausländische Norm zur Anwendung bringen, erfolgt dies stets mit der dazugehörigen Rechtsfolge, da alleine ein solches Vorgehen eine realistische Rechtsanwendung fremden Rechts darstellt. Wie Mankowski zu Recht ausführt, gehören Tatbestand und Rechtsfolge zusammen, „Sanktionswillen und Sanktionsinstrument lassen sich kaum trennen“407. Warum man im Bereich der Eingriffsnormenproblematik anders verfahren sollte, kann – zumindest wenn man Eingriffsnormen einer „echten“ Anknüpfung unterzieht – nicht schlüssig begründet werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn man – wie wohl überwiegend vertreten – im Rahmen von Art. 9 III Rom I nicht nur Verbotsnormen berücksichtigen will, die den Vertrag als Ganzen für nichtig erklären, sondern auch solche Bestimmungen, die bestimmte Höchst- und Mindeststandards vorsehen408. Auf deren spezifische Rechtsfolge nicht abzustellen, hieße, die Bedeutung des rationalen Gehalts einer fremden Norm – die wir ja aufgrund unserer autonomen kollisionsrechtlichen Interessenwertung zur Anwendung bringen wollen – willkürlich umzugestalten. Würde man jedoch eine entsprechende, also übereinstimmende Rechtsfolge der lex causae heraussuchen, so ist kein Grund ersichtlich, warum die fragliche Norm nicht gleich „originalgetreu“ anzuwenden sein sollte. Fürchtete man Normwidersprüche aufgrund einer durch die schuldstatutsunabhängige Anknüpfung hervorgerufene dépeçage, so ist dies eine Folge jeder differenzierten kollisionsrechtlichen Betrachtung, die jedoch mit dem herkömmlichen methodischen Instrument der Anpassung gelöst werden kann. Eine generalisierte „Nichtmitberufung“ der Rechtsfolgen einer nach unseren Maßstäben angemessenen Norm tragen diese Bedenken jedoch nicht, so dass – herkömmlichem Vorgehen entsprechend – nicht nur der Tatbestand, sondern auch die Rechtsfolge dem als angemessen erachteten ausländischen Recht zu entnehmen ist409. Ebenfalls ist der insbesondere von der Rechtsprechung eingeschlagene Weg, eine „sachrechtlich-kollisionsrechtliche Mischnorm“ im Rahmen der lex causae auszubilden 410, abzulehnen: Wenngleich dieser Ansatz auch bei Annahme eines europäischen Anwendungsbefehls theoretisch nicht ausgeschlossen wäre, da sich die kollisionsrechtliche Bestimmung derjenigen Normen, deren Tatbestand im Rahmen einer – durch eine europäische Kollisionsnorm berufene – Generalklausel normativ Wirkung zu verleihen ist, durchaus auch anhand der im Rahmen von Art. 9 III Rom I auszubildenden europä406

So (hinsichtlich der Sonderanknüpfungslehre) von Bar/Mankowski § 4 Rn. 111; vgl. etwa Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 87. 407 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 111 (wenngleich dieser im Ergebnis von einer sachrechtlichen Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen ausgeht, vgl. sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 f.)). 408 Hierzu sub Kapitel 3 C.II.2.a) (S. 211 ff.). 409 Ebenso Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 87. 410 Hierzu sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 185).

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ischen Kollisionsnorm bestimmen ließe411, macht ein solcher Ansatz nur dann Sinn, wenn man alleine zu einer Berücksichtigung tatbestandsbegründender Wirkungen, nicht jedoch zu einer vollständigen Anwendung der ausländischen Norm gelangen möchte. Lehnt man dies richtigerweise ab, so kann ein solcher Lösungsansatz, der eine kollisionsrechtliche Entscheidung „hinter einer sachrechtlichen Nebelwand“ verbirgt 412 , darüber hinaus insbesondere methodisch nicht überzeugen, weil der „Einbau“ einer Kollisionsnorm in den Kontext einer Sachnorm der lex causae zum einen wenig mit deren originalgetreuer Anwendung zu tun hat und ein solcher Ansatz zum anderen zwei funktional unterschiedliche Ebenen der zivilrechtlichen Gerechtigkeitsentscheidung – kollisionsrechtliche und sachrechtliche Gerechtigkeit – ohne Not miteinander vermischt413. Von einem solchen Weg, der einen „dogmatischen Rückschritt zu einem pseudo-materiellrechtlichen ‚Krypto-IPR’“414 darstellt, ist daher im europäischen Kollisionsrecht Abstand zu nehmen415.

6. Ergebnis Da auch ausländische Eingriffsnormen dem herkömmlichen kollisionsrechtlichen System unterfallen, muss die Konkretisierung der Generalklausel des Art. 9 III Rom I anhand der herkömmlichen kollisionsrechtlichen Methodik erfolgen. In Ermangelung einer vollständig kodifizierten, also „fertigen“ Kollisionsnorm, die uns die Fragestellung „vom Sachverhalt her“ erlaubt, muss die kollisionsrechtliche Frage für ausländische Eingriffsnormen zwangsläufig „vom Gesetz her“ gestellt werden. Hierfür bedarf es zunächst einer Identifikation der potentiell sonderanzuknüpfenden Normen, die anhand der in Art. 9 III, I Rom I genannten Hinweise erfolgen kann: Es muss sich insoweit um sachrechtlich einschlägige Normen des Erfüllungsortes handeln, die neben einer bestimmten Rechtsfolge („Unrechtmäßigkeit“) zudem den öffentlichen Interessen des Erlassstaates dienen. Haben wir die a priori in Betracht kommenden Sachnormen aufgefunden, bedarf es einer Prüfung der durch die spezifisch sachrecht411 Zutreffend halten daher etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 651; ders., IPRax 2009, 109 (114 f.) und Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 81 eine „materiellrechtliche“ Berücksichtigung normativer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen als einen alternativen Weg der im Rahmen von Art. 9 III Rom I zu erfolgenden Wirkungsverleihung für möglich (freilich müssten in diesem Falle ebenso die Voraussetzungen von Art. 9 III Rom I vorliegen, vgl. sub Kapitel 3 D.I.1.b) (S. 269)), ziehen aber jeweils eine „Sonderanknüpfung“ vor, vgl. Fn. 415. 412 So Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (241); ebenso Junker, JZ 1991, 699 (701). 413 Völlig zu Recht wirft Schubert, RIW 1987, 729 (737) einem solchen Ansatz „Inkonsistenz“ vor, weil dieser ein kollisionsrechtliches Ergebnis sachrechtlich zu begründen versucht. 414 So von Hein, ZEuP 2009, 6 (24 f.). Vgl. auch Hentzen, RIW 1988, 508 (509): „dogmatisch unsauber“. 415 Ebenso etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 652; ders., IPRax 2009, 109 (114 f.) und Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 80. Weitergehende Kritik an dem „materiellrechtlichen“ Ansatz etwa bei Zeppenfeld S. 52-63.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

liche Struktur dieser Normen implizierten kollisionsrechtlichen Interessen. Besteht eine kodifizierte Kollisionsnorm, welche dieser spezifischen kollisionsrechtlichen Interessenlage Rechnung trägt, kann die fragliche Bestimmung unter eine kodifizierte Kollisionsnorm qualifiziert werden und diese entscheidet abschließend über deren kollisionsrechtliche Anwendbarkeit. Ist dies nicht der Fall, wird die fragliche Sachnorm also „disqualifiziert“, so muss im Rahmen von Art. 9 III ein kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl europäischer Herkunft entwickelt werden. Hierbei ist zu beachten, dass für ausländische Eingriffsnormen im materiellen Sinne ein a priori vermindertes Anwendungsinteresse als Grund und Legitimation für die Anwendung fremden Rechts besteht, da solche Normen stets den öffentlichen Interessen des jeweiligen Erlassstaates dienen, nicht jedoch der Individualgerechtigkeit. Dieses Anwendungsinteresse reduziert sich insbesondere dann weiter auf „Null“, wenn die potentiell zu berufende Norm mit – nunmehr nach einheitlich europäischen Kriterien zu bestimmenden – materiellen Wertungen nicht vereinbar ist, so dass der Grund und die Legitimation für die Anwendung dieser Norm entfallen. Insoweit bedarf es einer sachrechtlichen Legitimitätsprüfung ausländischer Eingriffsnormen, deren materielle Kriterien das Anwendungsinteresse an dieser Norm beschreiben können und im Sinne einer teleologischen Einschränkung bei der Ausbildung des europäischen Anwendungsbefehls zu berücksichtigen sind. Ebenfalls entfällt das Anwendungsinteresse an einer ausländischen Norm, wenn diese von Seiten des Erlassstaates in casu nicht durchgesetzt werden würde. Daher muss der „Anwendungswille“ der fraglichen Norm, sofern sie überhaupt sachrechtlich anwendbar ist, ferner im Sinne einer teleologischen Einschränkung als Anwendungsvoraussetzung Berücksichtigung finden – dies aber nicht als Kriterium der Anwendbarkeit, wie die Vertreter einer unilateralistischen Sonderanknüpfung meinen, sondern ausschließlich als Kriterium der „Unanwendbarkeit“416.

D. Anwendung von ausländischen Eingriffsnormen über Art. 9 III Rom I hinaus D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus I. „Sperrwirkung“ von Art. 9 III Rom I, Art. 16 Rom II Art. 9 III Rom I gestattet nach seinem Wortlaut alleine eine statutsunabhängige Anknüpfung von Eingriffsnormen des Erfüllungsortes, die zudem noch eine bestimmte Rechtsfolge (Unrechtmäßigkeit der Erfüllung) vorsehen müssen, Art. 16 Rom II sieht nach seinem Wortlaut ausschließ416

So die in Fn. 398 Genannten.

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

265

lich eine Durchsetzung von inländischen Eingriffsnormen vor. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit über den jeweiligen Wortlaut der Vorschriften hinaus eine Anwendung ausländischer Eingriffsnormen möglich ist oder ob diesen ein abschließender Charakter zugesprochen werden muss, diese Vorschriften also „Sperrwirkung“ entfalten. 1. Abschließender Charakter des Art. 9 III Rom I Betrachtet man die Entstehungsgeschichte des Art. 9 III Rom I 417 , so spricht diese in der Tat für die Annahme eines abschließenden Charakters dieser Bestimmung: Während Art. 8 III des Kommissionsvorschlags von 2005418 im Anschluss an Art. 7 I EVÜ keinerlei Einschränkung hinsichtlich potentiell statutsunabhängig anzuknüpfender Eingriffsnormen vorsah und schlicht eine enge Verbindung zu dem Erlassstaat für die Anknüpfung ausreichen ließ, regte sich gegen diese wohl als zu weitgehend empfundene Regelung insbesondere von britischer Seite heftiger Widerstand419, der ein „opt in“ Großbritanniens lange Zeit höchst fraglich erscheinen ließ. Zeitweise wurde während des Gesetzgebungsverfahrens möglicherweise aus diesem Grunde sogar erwogen, auf eine Regelung bezüglich ausländischer Eingriffsnormen – entsprechend der Rom II-Verordnung – gänzlich zu verzichten420. Wenngleich die Gründe für die restriktiv erscheinende endgültige Fassung des Art. 9 III Rom I vollständig im Dunkeln liegen, weil weder in den der Rom I-Verordnung vorangestellten Erwägungsgründen noch in den offiziellen Materialien des Gesetzgebungsverfahrens diesbezügliche Hinweise zu finden sind421, fällt dennoch auf, dass die gewählte Formulierung der englischen „Ralli“-Rechtsprechung stark ähnelt422. Dies mag den Schluss nahelegen, Großbritannien habe sich mit seiner restriktiven Haltung gegenüber der Anwendung ausländischer Ein-

417

Hierzu ausführlich Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 498-503; ders., IPRax 2009, 109 (110 f.); vgl. bereits sub Kapitel 3 A (S. 171 f.). 418 KOM (2005) 650 endg.; vgl. Fn. 17. 419 Hierzu Roth, FS Kühne, 859 (877 f.); Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 502; ders., IPRax 2009, 109 (110); Lando/Nielsen, CMLRev. 45 (2008), 1687 (1721); vgl. zur englischen Haltung Ministry of Justice, Consultation Paper CP05/08 (vom 02.04.2008), Rome I – Should the UK opt in?, S. 31-33 (insbesondere Rn. 77). 420 Vgl. etwa Ratsdokument 8022/07 ADD 1 REV 1 (30.03.2007), S. 9 (Fn. 2); Plenarsitzungsdokument A6-0450/2007 (21.11.2007), S. 36. 421 Vgl. auch Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 503; ders., IPRax 2009, 109 (110 f.); MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 113. 422 Vgl. Fn. 19; hierauf hinweisend Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 503; ders., IPRax 2009, 109 (110 f.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

griffsnormen durchsetzen können 423 und dieses limitierende Verständnis müsse nunmehr auch Art. 9 III Rom I zugrunde gelegt werden424. Nun ist diese Folgerung nicht zwingend. Einen auf eine „Sperrwirkung“ gerichteten Willen hat der europäische Gesetzgeber nicht explizit geäußert425, er könnte alleine aus den äußeren Umständen des Gesetzgebungsverfahrens hergeleitet werden, die jedoch für sich genommen für die Normauslegung keinerlei Verbindlichkeit entfalten426. Auch kann für die Annahme einer Sperrwirkung nicht auf die englische Rechtsprechung, an die sich Art. 9 III Rom I offensichtlich anlehnt, rekurriert werden: Abgesehen davon, dass es sich bei der Rom-Verordnung um einen europarechtlich-autonom auszulegenden Rechtsakt handelt und demnach das englische Verständnis im Rahmen von Art. 9 III Rom I keinesfalls präjudizierend sein kann427, wäre dies zu kurz gegriffen, da auch nach der bisherigen englischen Rechtslage durchaus über die „Ralli“-Rechtsprechung hinaus ausländische Eingriffsnormen (möglicherweise) im Rahmen des positiven ordre public428 und insbesondere als Bestandteil des herkömmlich berufenen Statuts zur Anwendung gebracht werden429 – und dies unabhängig davon, ob die fragliche Norm die Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lässt oder der Rechtsordnung des Erfüllungsortes entstammt. Es erscheint daher a priori offen, ob Art. 9 III Sperrwirkung zukommt oder ob „die Beschränkungen des Art. 9 III S. 1 so zu deuten [sind], dass der europäische Gesetzgeber für Schuldverträge einen Vorhang soweit geöffnet hat, dass der

423

Hierzu insbesondere Roth, FS Kühne, 859 (877): Art. 9 III Rom I „stellt sich als das Ergebnis eines Verhandlungskompromisses mit England dar, mit dem der Beitritt Englands zur Rom I-Verordnung ‚erkauft’ werden sollte“. 424 So insbesondere Freitag, IPRax 2009, 109 (115). 425 So weist MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 50 zu Recht darauf hin, dass der maßgebliche Erwägungsgrund 37 hierfür keinerlei Hinweis enthält; anders jedoch Mankowski, IHR 2008, 133 (148), der aus dem „Schweigen“ des Erwägungsgrundes den gegenteiligen Schluss zieht („hält nichts offen“). 426 Ebenso MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 50: „Aus Vorberatungen in Ausschüssen kann man eine Sperrwirkung nicht herleiten“. 427 So Freitag, IPRax 2009, 109 (111), welcher der Ralli-Rechtsprechung jedoch „herausragende[] Bedeutung“ für Art. 9 III Rom I zugesteht. 428 So etwa die Einordnung der englischen Foster v. Driscoll/Regazzoni-Rechtsprechung bei Plender/Wilderspin 12-024; zur Bedeutung und – umstrittenen – dogmatischen Einordnung dieser Rechtsprechung insbesondere Kuckein S. 259-274. 429 Die englische Rechtsprechung und Literatur folgen insoweit der noch näher sub Kapitel 3 D.II.1 (S. 279 ff.) darzustellenden „Schuldstatutstheorie“; vgl. hierzu insbesondere Kuckein S. 217-228 m.N.; deutlich etwa Dicey, Morris & Collins (Volume 2), 32139; Plender, The European Contracts Convention, Rn. 10.01; Jaffey, Int.Comp.L.Q. 23 (1974), 1 (3).

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

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Blick auf eine breitere Bühne freigegeben wurde, die von der Lehre und Rechtsprechung zu füllen sind“430. a) Beschränkung in sachlicher Hinsicht: Unrechtmäßigkeit der Erfüllung Ob über den Wortlaut des Art. 9 III hinaus auch andere Normen zu berücksichtigen sind, welche die Erfüllung als solche nicht tangieren, erscheint indes zweifelhaft. Nach obigen Ausführungen431 kann dieser weit ausgelegt werden, da auch Bestimmungen, die den Vertrag schlicht hinsichtlich seiner Leistungspflichten modifizieren, unter den Wortlaut gefasst werden können. Insbesondere dürften die Anforderungen, die zu einer Disqualifikation und damit verbundenen statutsunabhängigen Anknüpfung von Eingriffsnormen im materiellen Sinne führen, regelmäßig die in Betracht kommenden Rechtsfolgen auf die bereits genannten Fälle (Nichtigkeit des ganzen Vertrages; Modifikation der Leistungen im Sinne von Höchst- und Mindeststandards) beschränken, da Bestimmungen, die den Parteien Gestaltungsrechte einräumen, regelmäßig alleine der Gerechtigkeit inter partes dienen, also überwiegend Parteiinteressen implizieren und damit dem Vertragsstatut zugeordnet werden können432 – eine „Disqualifikation“ als weitere Voraussetzung einer statutsunabhängigen Anknüpfung scheidet dann aus. Vor diesem Hintergrund erscheint fraglich, ob überhaupt eine Notwendigkeit besteht, bestimmte Normen über den (weit zu verstehenden) Wortlaut der Vorschrift zur Anwendung zu bringen – angesichts der unüberschaubaren Anzahl an möglichen Fallgestaltungen sollte jedoch die grundsätzliche Möglichkeit hierzu nicht verneint werden433. b) Beschränkung in räumlicher Hinsicht: Eingriffsnormen des Erfüllungsortes Demgegenüber bereitet eine Beschränkung auf Eingriffsnormen des Erfüllungsortes größere Bedenken, da auch bei – hier vertretener – weiter Auslegung des Art. 9 III Rom I dennoch ein Bedürfnis bestehen kann, ebenfalls andere als vom Wortlaut umfasste Eingriffsnormen zur Anwendung zu bringen. Freitag führt hierfür als Beispiel eine Abwandlung des nigerianischen Maskenfalls an, in welcher das geschützte nigerianische Kulturgut von England nach Frankreich zu liefern ist434. Wenngleich in diesem Fall das nigerianische Ausfuhrverbot möglicherweise mangels für 430

So MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 50. Vgl. hierzu Kapitel 3 C.II.2.a) (S. 211 ff.). 432 Vgl. hierzu sub Kapitel 3 C.II.3 (S. 231 ff.). 433 Wohl auch PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 8 („Einschränkung scheint nicht gerechtfertigt“); ablehnend jedoch die in Fn. 204 Genannten. 434 Freitag, IPRax 2009, 109 (116). 431

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

den Fall erheblicher Ausfuhr tatbestandlich gar nicht einschlägig wäre, so kann man sich doch ein nigerianisches Verbot zum Handel mit Kulturgütern vorstellen, welches bei Anwendung zur Nichtigkeit des Vertrages führt. Auch wenn wir mit einer solchen Vorschrift „sympathisierten“, wäre es uns bei Annahme einer „Sperrwirkung von Art. 9 III Rom I trotz einer weiten Auslegung des Wortlautes nicht möglich, diese Verbotsnorm zur Anwendung zu bringen, weil es an einer faktischen Erfüllungshandlung in Nigeria fehlt. Gleiches gilt in einem Beispielsfall von Leible und Lehmann: Verpflichtet sich ein Unternehmen des Staates X einem anderen Unternehmen aus dem Staate Y zur Übertragung von Aktien an seinem Tochterunternehmen im Staate Z, so könnten „den Fusionskontrollvorschriften des Staates Z, der von der Transaktion betroffen ist, [...] über Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO keine Wirkung“ verliehen werden435, wenn keine tatsächliche Erfüllungshandlung im Staat Z erfolgt436. Zu besonderen Wertungsdiskrepanzen führte die Annahme einer „Sperrwirkung“ des Art. 9 III Rom I jedoch im Bereich des internationalen Kartelldeliktsrechts 437 . Während Art. 6 III Rom II eine herkömmliche allseitige Kollisionsnorm vorsieht, welche die Berufung ausländischer kartellrechtlicher Bestimmungen ermöglicht, könnten im Bereich des Internationalen Vertragsrechts dieselben Normen, die neben einem Schadensersatzanspruch regelmäßig auch die Nichtigkeit einer kartellrechtswidrigen Abrede zur Rechtsfolge haben, aufgrund der restriktiven Fassung des Art. 9 III Rom I nicht zur An435

Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (543). Möglicherweise könnte man mit PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 7 (nunmehr auch Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 64) den Erfüllungsort insofern „erfolgsbezogen weit“ verstehen, dass auch diejenigen Orte, auf die sich die Erfüllung auswirkt, ohne jedoch in einem tatsächlichen Sinne von der Erfüllungshandlung betroffen zu sein, erfasst sind. Auf diese Weise ließen sich nicht nur die Fusionskontrollvorschriften in dem genannten Beispielsfall von Leible und Lehmann berücksichtigen (so ausdrücklich PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 7; sich anschließend Rauscher/Thorn, EuZPR/ EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 64), sondern etwa auch nationale Handelsverbote mit Kulturgütern (der Handel mit solchen ließe sich durchaus als Auswirkung auf den Herkunftsstaat betrachten, ohne dass es insoweit einer tatsächlichen Erfüllungshandlung in dem Staatsgebiet bedürfte) und kartellrechtlichen Bestimmungen (zu letzterem vgl. Remien a.a.O.). Ob jedoch ein so verstandenes Auswirkungsprinzip wirklich noch vom Wortlaut des Art. 9 III Rom I gedeckt ist, erscheint mehr als fraglich, da dieser eine konkrete Handlung, also einen tatsächlichen Kontakt mit der fraglichen Rechtsordnung, vorauszusetzen scheint, so dass das – durchaus wünschenswerte – Ergebnis einer Berücksichtigung solcher Bestimmungen methodisch wohl nur im Wege der Rechtsfortbildung erreicht werden kann. 437 Hierauf hinweisend Roth, FS Kropholler, 623 (648 f.); ders., FS Kühne, 859 (874 f.); ebenfalls PWW-Remien Art. 9 Rom I Rn. 7, der diese Wertungsdiskrepanzen dadurch umgehen will, dass er den betroffenen Markt als Erfüllungsort i.S.d. Art. 9 III Rom I betrachtet – insoweit scheint jedoch der Wortlaut überschritten; vgl. Fn. 436. Vgl. nunmehr auch Ferrari/Staudinger Int. VertragsR Art. 9 Rom I Rn. 51. 436

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

269

wendung gebracht werden. Dies ist insbesondere deswegen misslich, weil sich – wie Roth anmerkt – durchaus Sachverhalte denken lassen, „in denen ein Nichtigkeitseinwand und Schadensersatz wegen verbotenen wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens zusammentreffen mögen“ 438 . Nähme man eine „Sperrwirkung“ von Art. 9 III Rom I an, so führte dies zu dem wenig überzeugenden Ergebnis, dass die das Kartellverbot verletzende Partei einem außervertraglichen Anspruch aufgrund der Kartellverletzung ausgesetzt wäre, anderseits aber aus einem gegen dasselbe Kartellverbot verstoßenden Vertrag klagen könnte. Dies erscheint in der Tat „grob widersprüchlich und unbedacht“439 und man müsste dem europäischen Gesetzgeber bei Annahme eines abschließenden Charakters des Art. 9 III Rom I unterstellen, dass „hier [...] die linke Hand nicht [weiß], was die rechte tut“440. Auch lässt sich die Enge des Wortlauts von Art. 9 III Rom I nicht dergestalt umgehen, dass Eingriffsnormen, die nicht von Art. 9 III Rom I erfasst sind, im Wege eines materiellrechtlichen Lösungsansatzes normativ im Rahmen von Generalklauseln – etwa § 138 BGB – der lex causae berücksichtigt werden 441. Denn bei einem solchen, methodisch durchaus fragwürdigen442 Ansatz handelt es sich nach obigen Ausführungen 443 um eine – wenn auch in einer materiellen Norm „versteckte“ – kollisionsrechtliche Entscheidung, welche jedoch nunmehr von Seiten der Rom I-Verordnung aufgrund deren Anwendungsvorrangs getroffen werden muss. Folglich wäre auch eine materiellrechtliche Berücksichtigung normativer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen an die Voraussetzungen des Art. 9 III Rom I – und damit an eine etwaige „Sperrwirkung“ – gebunden, so dass möglicherweise unbillige Ergebnisse einer solchen auch nicht „sachrechtlich“ korrigiert werden könnten 444.

438

Roth, FS Kropholler, 623 (648 f.). Roth, FS Kropholler, 623 (649). 440 Roth, FS Kühne, 859 (875). 441 So aber Erman-Hohloch Anh II Art. 26 EGBGB Art. 9 Rom I Rn. 27; (trotz Zweifel) ebenso Günther S. 176 f., 177 f.; wohl auch MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 54, 63, 425, der Fälle einer Berücksichtigung normativer Wirkungen miteinbezieht, andererseits aber zu bedenken gibt, „dass die Anwendung von § 138 nicht Ersatz für eine unterbliebene Anwendung der ausländischen Norm kraft Sonderanknüpfung ist“ (zur alten Rechtslage aber deutlich ders., FS Rebmann, 819 (836 f.)); ebenso MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 114, insbesondere Rn. 117 (wenngleich nicht ganz deutlich wird, ob er eine Berücksichtigung normativer Wirkungen oder – richtigerweise – nur eine Berücksichtigung faktischer Wirkungen vornehmen will; der dortige Verweis auf die Ausführungen Sonnenbergers legt jedoch Gegenteiliges nahe). 442 Siehe sub Kapitel 3 C.II.5 (S. 262). 443 Siehe sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 ff., insbesondere S. 185). 444 So treffend Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 653; ders., IPRax 2009, 109 (115, vgl. aber 116); Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 81; Hauser S. 116; anders jedoch (bzgl. Art. 16 Rom II) von Hein, ZEuP 2009, 6 (24 f.). 439

270

3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme einer „Sperrwirkung“ von Art. 9 III Rom I höchst fragwürdig445. Sie kann nach vorherigen Ausführungen – auch wenn teilweise angenommen 446 – gerade nicht auf die Normgenese gestützt werden. Zwar mag es durchaus zutreffen, dass mit der endgültigen Formulierung der Vorhersehbarkeit der anwendbaren Eingriffsnormen und der damit verbundenen Rechtssicherheit Rechnung getragen werden sollte447, doch lässt sich auch aus diesem – zumal unterstellten – Normzweck keinesfalls zwingend eine „Sperrwirkung“ herleiten, weil mit einem solchen pauschalen Argument ansonsten wohl jegliche Rechtsfortbildung unterbunden werden könnte. Der entscheidende Gesichtspunkt liegt vielmehr in der Beantwortung der durchaus rechtspolitischen – und bereits durch vorangegangene Ausführungen teilweise antizipierten – Frage, welche grundsätzliche Bedeutung der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen bei der Beurteilung eines zivilrechtlichen Sachverhaltes zugestanden wird. Geht man davon aus, dass eine Anwendung ausländischen Eingriffsrechts hinsichtlich einer weiten Privatautonomie so weit wie möglich einzuschränken ist, so wird man eine Anwendung solcher Normen wohl nur dann erwägen, wenn dies aufgrund tatsächlicher Gegebenheiten notwendig erscheint – ein Ansatz, der grundsätzlich auch von der (abzulehnenden) Machttheorie verfolgt wird448. In diesem Falle dürfte man prinzipiell von einer „Sperrwirkung“ des Art. 9 III Rom I ausgehen449 und eine über den Wortlaut hinausgehende Berücksichtigung 445 Gegen eine „Sperrwirkung“ des Art. 9 III Rom I sprechen sich aus: MüKoSonnenberger Einl. IPR Rn. 50; Rühl, FS Kropholler, 187 (206 f.); Kienle Rn. 188; wohl sympathisierend, aber unentschieden Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 14. Für eine „Sperrwirkung“: Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 653; ders., IPRax 2009, 109 (115); MüKo-Martiny Art. 9 Rom I Rn. 113; ders., RIW 2009, 737 (746); Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 61 (vgl. aber Rn. 65, wo eine Rechtsfortbildung für möglich gehalten wird – entfaltete Art. 9 III Rom I jedoch „Sperrwirkung“, ginge dies mangels „Regelungslücke“ freilich nicht); Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 123; ders., IPRax 2010, 27 (42); Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 12; Einsele, WM 2009, 289 (296); Mankowski, IHR 2008, 133 (148); ders., Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 56; Niboyet/de Geouffre de La Pradelle Nr. 200 (S. 172); Günther S. 175; Hauser S. 114-117. 446 So insbesondere Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 631, 653; ders., IPRax 2009, 109 (115); Mankowski, IHR 2008, 133 (148 f.); ders., Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 56-59; Magnus, IPRax 2010, 27 (42). 447 Nachweise in Fn. 228; vgl. auch Ministry of Justice, Consultation Paper CP05/08 (vom 02.04.2008), Rome I – Should the UK opt in?, S. 32 (Rn. 77: „significant legal uncertainty“); kritisch aber Roth, FS Kühne, 859 (877). 448 Näher hierzu sub Kapitel 3 C.II.2.b)bb)(2) (S. 224 ff.). 449 So legen Mankowski und insbesondere Freitag Art. 9 III die „Machttheorie“ zugrunde und gelangen zu einer „Sperrwirkung“; vgl. etwa Mankowski, IHR 2008, 133 (148); Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 632, 643 und 653; nunmehr auch Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 61, 63.

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

271

ausländischer Eingriffsnormen allenfalls dann erwägen, wenn der geschilderte Telos ebenso in anderen, vergleichbaren Fällen auf den Plan gerufen wird450. Ein solcher restriktiver Ansatz zur Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen kann indes – unabhängig davon, ob man den konkreten Anknüpfungsgrundsätzen der Machttheorie folgt oder von einer systemkonformen Variante ausgehen will – nicht überzeugen. Er stünde im Widerspruch zu der hier zugrunde gelegten Vorstellung eines sachrechtliche Wertungen verwirklichenden Kollisionsrechts, weil mit diesem ein Vorrang von Parteiinteressen vor Gemeininteressen postuliert wird, der im materiellen Recht keine Entsprechung findet. So wird die Privatautonomie von keinem Staat der Welt grenzenlos gewährleistet, sondern stets von verfassten Gemeinwohlinteressen als „Ordnungsrahmen[], innerhalb dessen sich die Kräfte des Marktes einerseits entfalten können, an den sie aber andererseits auch rückgebunden sind“451, begrenzt. Auch das Kollisionsrecht hat einen solchen Ordnungsrahmen zu gewährleisten, will man nicht jene sachrechtlichen Grundwertungen durchkreuzen452, und hierfür bedarf es einer Anwendung derjenigen ausländischen Bestimmungen, die eine solche Ordnungsfunktion erfüllen, weil unsere – von ihrem Regelungsgehalt vergleichbaren – Vorschriften aufgrund ihrer Bezogenheit auf unser Gemeinwesen kein universeller Anwendungsbereich zugestanden werden kann (diese folglich auch nicht die erforderliche Ordnungsfunktion in jedem Sachverhalt mit Auslandsbezug gewährleisten können) und die Nichtanwendung vergleichbarer ausländischer Bestimmungen daher einer Nichtregelung (und damit einhergehendem Verzicht auf einen Ordnungsrahmen) gleichkommt453. Aus diesem inneren Grund heraus – und nicht 450

Dies nunmehr für „potente“ Eingriffsnormen des Aufenthalts- bzw. Heimatstaates ausdrücklich (trotz Annahme einer „Sperrwirkung“) erwägend Rauscher/Thorn, EuZPR/ EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 65. 451 Roth, FS Kühne, 859 (878), (Hervorhebung im Original). 452 So überzeugend Roth, FS Kühne, 859 (878), der jedoch hieraus keine Konsequenzen für die Normanwendung des Art. 9 III Rom I zieht. 453 Im deutschen Kollisionsrecht wird der beschriebenen Ordnungsfunktion der Sache nach überwiegend Rechnung getragen (so am deutlichsten von denjenigen, die eine ausdrückliche Anwendung ausländischer Eingriffsnormen annehmen, also von den Vertretern einer Sonderanknüpfung – vgl. Fn. 103 – und den Vertretern einer gesonderten Anknüpfung – vgl. Fn. 183), wenngleich dies durch die unterschiedlichen methodischen Ansätze zur Berücksichtigung solcher Normen oftmals auch verschleiert wird: So gelangen ebenfalls diejenigen, die eine grundsätzliche Nichtanwendung ausländischer Eingriffsnormen postulieren (etwa BGH, Mankowski – vgl. die Nachweise in Fn. 27 und sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 ff.)), zu einer verdeckten Anwendung solcher Normen (näher hierzu sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 ff.)) und tragen auf diese Weise der genannten Ordnungsfunktion Rechnung, ebenso wie die Vertreter der prima facie restriktiv anmutenden Machttheorie (Kegel, Drobnig, von Hoffmann, BGH – vgl. die Nachweise in Fn. 253), die von ihrem Postulat – nur dann ausländische Eingriffsnormen anzuwenden,

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

etwa deswegen, weil man sich fremden Machtansprüchen beugen müsste – resultiert nach vorzugswürdiger Ansicht das grundsätzliche Anwendungsinteresse an solchen ausländischen Eingriffsnormen, mit denen wir aufgrund vergleichbarer Wertungen „sympathisieren“. Man kann dieses Anwendungsinteresse – in Anlehnung an Kegel454 – daher auch als Interesse an einer internationalen Ordnung bezeichnen, das im Sinne des kategorischen Imperativs darauf gerichtet ist, diejenigen ausländischen Bestimmungen, mit denen wir aufgrund eigener vergleichbarer Vorschriften „sympathisieren“, zur Anwendung zu bringen, weil wir der mit unseren Vorschriften einhergehenden Ordnungsfunktion auch dann Rechnung tragen wollen, wenn diese Bestimmungen der lex fori mangels Inlandsbezug nicht zur Anwendung gebracht werden können. Für die Anwendung solcher Bestimmungen sprechen sicher auch weitere, regelmäßig für eine Anwendung ausländischer Eingriffsnormen genannten Erwägungen wie äußerer Entscheidungseinklang455, comitasGedanke 456 , Interesse an friedlicher Koexistenz der einzelnen Staaten oder – ganz pragmatisch – die Erwartung einer reziproken Anwendung auch unserer Eingriffsnormen vor fremden Gerichten, wenn wir mit „gutem Beispiel“ vorangehen 457, doch treffen diese wenn der Erlassstaat auch die Macht hat, diese durchzusetzen (näher hierzu sub Kapitel 3 C.II.2.b)bb)(2) (S. 224 ff.)) – eine Ausnahme machen wollen, wenn wir mit einer ausländischen Norm aufgrund unserer materiellen Wertungen „sympathisieren“ (vgl. Fn. 268 und 301) – auf diese Weise wird der Machttheorie de facto ein zweites Standbein zugestanden, welches den limitierenden Charakter dieses Ansatzes höchst zweifelhaft erscheinen lässt. Auch die Schuldstatutstheorie, die etwa in Ländern wie England, Frankreich und Belgien überwiegend vertreten wird (näher hierzu sub Kapitel 3 D.II.1 (S. 279 ff.) m.N.), erkennt einen Ordnungsrahmen an, weil sie zumindest Eingriffsnormen der lex causae – also solche Bestimmungen, die funktional einen Kontrapunkt zur individuellen Freiheit setzen – aufgrund einer Einheitsanknüpfung zur Anwendung bringt. Aus diesem Grunde lässt sich auch kaum überzeugend argumentieren, dass in all diesen Ländern die privatrechtliche Freiheit zugunsten verfasster Staatsinteressen Vorrang eingeräumt wird und sich ein solches Verständnis – insbesondere das englische – im Rahmen von Art. 9 III Rom I durchzusetzen vermochte. Wäre eine möglichst unlimitierte Parteiautonomie tatsächlich europäisches Konzept – eine Annahme, die nach den bisherigen Ausführungen keinerlei Stütze in den Gesetzesmaterialien findet –, hätte dies – wie Roth, FS Kühne, 859 (878) (jedoch ohne weitere Folgerungen) zu Recht bemerkt – einer grundsätzlichen „Diskussion über die wirtschaftspolitischen Grundlagen und -wertungen der Gemeinschaft erfordert“, da dem IPR auf diese Weise eine rechtspolitische Richtung gegeben worden wäre, die in den materiellen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten keinerlei Entsprechung findet. 454 Kegel (7. Auflage) § 2 IV (S. 119); wenngleich Kegel von einem extrinsischen System- und Methodendualismus ausgeht (Nachweise vgl. Fn. 258). Der Begriff wird von Schurig in: Kegel/Schurig § 2 IV 1 (S. 149) weitergeführt. 455 So bereits Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (171, 181); Zweigert, FS Kiel, 124 (128); von Hoffmann/Thorn § 10 Rn. 99; Kropholler § 52 X 3 c (S. 509). 456 Zweigert, FS Kiel, 124 (128), Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 (181 f.): „internationale[] Rechtshilfe“; Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (9, 34, 38); regelmäßig auch die Vertreter der „politischen Schule“, vgl. etwa Rehbinder, JZ 1973, 151 (156). 457 Bzgl. der letzten beiden Punkte Kegel/Schurig § 2 IV 1 (S. 149); ebenso Kuckein S. 86; Anderegg S. 147 f.

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

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nicht den entscheidenden Punkt, der nach den vorherigen Ausführungen in der Wertungskohärenz zwischen materieller und kollisionsrechtlicher Gerechtigkeit liegt.

Legt man diese Vorstellung auch dem nunmehr vereinheitlichten europäischen Kollisionsrecht zugrunde458, so kann Art. 9 III Rom I kein abschließender Charakter zugesprochen werden, weil dieser nach seinem restriktiven Wortlaut jener Ordnungsfunktion allenfalls partiell Rechnung tragen kann. Denn es bestehen, wie einleitende Fälle demonstrieren, durchaus auch andere als die von Art. 9 III Rom I bezeichneten ausländische Bestimmungen, mit denen wir aufgrund gemeineuropäischer Wertungen „sympathisieren“ und deren angemessenes, nach herkömmlicher Methodik zu entwickelndes Anknüpfungsmoment eben nicht die tatsächliche Erfüllungshandlung darstellt. Auch lässt sich diese Ordnungsfunktion nicht, wie von Freitag der Sache nach vorgeschlagen, dahingehend verwirklichen, dass man die nicht vom Wortlaut erfassten Eingriffsnormen normativ im Rahmen der lex causae berücksichtigt und den EuGH dazu auffordert, „eine derartige Praxis mit der an sich unhaltbaren Begründung zu tolerieren, die konkrete Anwendung der lex causae fiele nicht in seine Zuständigkeit“ 459. Erkennt man richtigerweise ein über den Wortlaut von Art. 9 III Rom I hinausgehendes Regelungsbedürfnis aus genannten Erwägungen an, so liegt der methodisch einzig überzeugende Weg darin, eine nach obigen Ausführungen nicht zwingend vorgegebene „Sperrwirkung“ des Art. 9 III Rom I zu verneinen460 und eine Regelungslücke im Bereich der Rom I-Verordnung anzunehmen, um eine über den Wortlaut von Art. 9 III Rom I hinausgehende Normanwendung ohne eine der Rechtssicherheit abträglichen Verschleierung zu ermöglichen. Art. 9 III Rom I stellt nach alledem daher nur eine Teilkodifizierung des allgemeinen Problemfelds der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen dar, ohne einen abschließenden Charakter zu entfalten. 458 Positive Hinweise für diese Sichtweise lassen sich der Rom I-Verordnung freilich ebenso wenig entnehmen – das Entscheidende ist jedoch, dass aufgrund des „Schweigens“ des europäischen Gesetzgebers eine solche auch nicht ausgeschlossen ist. Zudem bringt zumindest der allseitige Art. 6 Rom II zum Ausdruck, dass eine Anwendung ausländischer Eingriffsnormen keinesfalls dann auf das „erforderliche“ Maß i.S.d. Gegenmeinung beschränkt ist, wenn wir mit einer ausländischen Eingriffsnorm aufgrund (gemeineuropäisch) übereinstimmender Wertungen „sympathisieren“ und ein auf sie bezogenes, nach europäischen Kriterien zu entwickelndes Anknüpfungsmoment erfüllt ist. Da kein Grund ersichtlich ist, warum diese Anknüpfungsgrundsätze nur für das Kartelldeliktsrecht gelten sollen, kann man nach vorzugswürdiger Ansicht auch in dieser Bestimmung eine Ausprägung eines allgemeinen Anknüpfungsprinzips für ausländische Eingriffsnormen sehen. 459 Freitag, IPRax 2009, 109 (116); unhaltbar deswegen, weil eine sachrechtliche Lösung mit Inkrafttreten der Rom-Verordnungen ausscheidet; vgl. hierzu Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 ff.). 460 So auch die in Fn. 445 Genannten.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

2. Abschließender Charakter von Art. 16 Rom II Entgegen der später erlassenen Rom I-Verordnung enthält die nunmehr in Kraft getretene Fassung der Rom II-Verordnung keinerlei Regelung hinsichtlich der Wirkungsverleihung ausländischer Eingriffsnormen. Während die Kommissionsvorschläge mit Art. 12 I KOM (2003) 427 endg. bzw. Art. 13 II KOM (2006) 83 endg. noch eine diesbezügliche Bestimmung vorsahen, die im Wesentlichen Art. 7 I EVÜ entsprach, fand eine solche im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens offensichtlich keine Mehrheit und scheiterte461. Welche Schlussfolgerungen nunmehr aus dem Schweigen des europäischen Gesetzgebers für die Problematik ausländischer Eingriffsnormen zu ziehen sind, ist ebenfalls streitig462. Teilweise wird aus der Genese des Art. 16 Rom II eine „Sperrwirkung“ hinsichtlich der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen im Bereich des Internationalen Deliktsrechts gefolgert 463 : Wenngleich diese Entscheidung des europäischen Gesetzgebers zu bedauern sei, scheide eine Anwendung ausländischer Eingriffsnormen aus, da eine Korrektur dieser gesetzgeberischen Entscheidung mit interpretatorischen Mitteln nicht zugänglich sei464. Eine solche Ansicht träfe zu, ließe sich tatsächlich ein auf die „Sperrwirkung“ gerichteter Wille des europäischen Gesetzgebers feststellen. Dieser ergibt sich jedoch wiederum explizit weder aus dem maßgeblichen Erwägungsgrund 32 der Rom II-Verordnung, der zu dieser Problematik gänzlich schweigt465, noch aus den zugänglichen Gesetzgebungsmaterialien. Ein solcher Wille des europäischen Gesetzgebers könnte damit alleine aus der schlichten Tatsache abgeleitet werden, dass eine Regelung für ausländische Eingriffsnormen erwogen, jedoch nicht umgesetzt wurde. Ob dies jedoch für die Annahme einer „Sperrwirkung“ wirklich als ausreichend betrachtet werden kann, erscheint höchst zweifelhaft. Welche konkreten Erwägungen zu der Nichtregelung dieser Problematik geführt haben, liegt ebenfalls vollständig im Dunkeln, und eine solche muss keinesfalls zwangsläufig Ausdruck der rechtspolitischen Grundentscheidung sein, ausländische Eingriffsnormen im Bereich des Internationalen Deliktsrechts überhaupt nicht zur Anwen461 Zur „wechselvolle[n] Entstehungsgeschichte“ von Art. 16 MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 3-6. 462 Vgl. hierzu MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 24, an dessen systematisierender Einteilung sich die folgenden Ausführungen orientieren. 463 In diesem Sinne Wagner, IPRax 2008, 1 (15); Ofner, ZfRV 2008, 13 (23); de Lima Pinheiro, Riv. dir. int. priv. proc. 44 (2008), 5 (32); wohl auch Junker, NJW 2007, 3675 (3680 f.): „Weichenstellung“ (a.A. jedoch MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 25); Staudinger, AnwBl 2008, 8 (12). 464 So insbesondere Wagner, IPRax 2008, 1 (15); ihm folgend Ofner, ZfRV 2008, 13 (23). 465 Vgl. auch MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 49; MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 6.

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

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dung zu bringen. Vorstellbar erscheint auch die dem deutschen und englischen Recht im Bereich des Internationalen Vertragsrechts vertraute Situation, dass aufgrund inhaltlicher Defizite der Art. 7 I EVÜ entsprechenden Norm auf eine Kodifikation verzichtet wurde, ohne dass damit ein grundsätzlicher Ausschluss ausländischer Eingriffsnormen von der Anwendung verbunden ist466. Dass der Grund für das Scheitern einer Regelung bzgl. ausländischer Eingriffsnormen eher an der inhaltlichen Qualität dieser Vorschrift als an einem generellen Vorbehalt gegenüber der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen liegen könnte, ist keinesfalls fernliegend. Der Kommissionsvorschlag bezüglich dieser Regelung entsprach im Wesentlichen Art. 7 I EVÜ, den insbesondere Deutschland und Großbritannien deswegen nicht in das jeweilige nationale Recht übernahmen, weil diese Vorschrift (Kegel: „Schweigen wäre besser“467) aus Sicht der beiden Staaten keine überzeugende Lösung des Problemfeldes darstellte468, nicht jedoch, weil beide Staaten die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen dem Grunde nach ablehnten469. Insoweit ist es durchaus naheliegend, dass der europäische Gesetzgeber – entsprechend der alten deutschen und englischen Rechtslage im Internationalen Vertragsrecht – die Frage nach der Anwendbarkeit ausländischer Eingriffsnormen bewusst offengelassen und kein grundsätzliches Verbot hinsichtlich der Anwendung solcher Bestimmungen vorgesehen hat.

Ergibt sich demnach aus der Normgenese des Art. 16 Rom II keine zwingende Notwendigkeit, die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen im Bereich des Internationalen Deliktsrechts a priori auszuschließen, so ist ein solcher Weg auch nicht zu beschreiten470. Wenngleich deliktischen Ein466

Ebenso MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 49. Kegel, Zum heutigen Stand des internationalen Privatrechts, 1 (10); zur Kritik an Art. 7 I EVÜ insbesondere Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1-30. 468 Für Deutschland: vgl. Bt-Ds. 10/504, S. 100 („Bestimmung hätte eine nicht vertretbare Rechtsunsicherheit zur Folge [...]“), 106; für Großbritannien: Gründe referierend Dicey, Morris & Collins (Volume 2), 32-143; ebenfalls Kuckein S. 157-160; vgl. auch Ministry of Justice, Consultation Paper CP05/08 (vom 02.04.2008), Rome I – Should the UK opt in?, S. 32 (Rn. 76: „unacceptable degree of legal uncertainty“). 469 So ist auch die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen in Großbritannien im Bereich des Internationalen Vertragsrechts – ungeachtet der genauen methodischen Einordnung – der Sache nach anerkannt; vgl. hierzu Fn. 428 und 429. Undeutlich ist die Rechtslage jedoch im Bereich des Internationalen Deliktsrechts: Zwar erkennt die hierfür maßgebliche Bestimmung – Section 14 (4) of the Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 – eine eingriffsrechtliche Sonderanknüpfung an, ohne diese dem Wortlaut nach auf Eingriffsnormen der lex fori zu beschränken, doch ist eine solche umstritten, vgl. hierzu Plender/Wilderspin 27-005; Dicey, Morris & Collins (Volume 2), 35-120. 470 Eine „Sperrwirkung“ von Art. 16 Rom II ebenso ablehnend MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 49; MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 25; ders., RIW 2010, 257 (268); Palandt-Thorn Art. 16 Rom II Rn. 3; PWW-Remien Art. 16 Rom II Rn. 5; von Hein, VersR 2007, 440 (446); ders., ZEuP 2009, 6 (24); ders., RabelsZ 73 (2009), 461 (506); Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (644); Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (726); Leible, RIW 467

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

griffsnormen regelmäßig eine geringe praktische Relevanz attestiert wird471, wäre es doch – unabhängig davon, ob man vorherigen Ausführungen folgt oder nicht – ein Wertungswiderspruch, wenn man im Bereich des Internationalen Vertragsrechts zumindest in dem von Art. 9 III Rom I gewährten Rahmen ausländische Eingriffsnormen zur Anwendung bringt, im Bereich des Internationalen Deliktsrechts jedoch grundsätzlich ausschließt. Eine sachgerechte Begründung ließe sich für ein solches Vorgehen nicht finden, da es sich bei der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen um ein Problemfeld handelt, das keinesfalls auf den Bereich des Internationalen Vertragsrechts beschränkt ist, und es daher wenig Sinn macht, „ein gleichartiges Rechtsphänomen je nach Rechtsbereich unterschiedlich zu behandeln“472. Hinzu kommt, dass die Rom II-Verordnung mit Art. 6 selbst eine allseitige Kollisionsnorm kennt, die zumindest auch typische Eingriffsnormen zum Gegenstand hat und daher zum Ausdruck bringt, dass ebenfalls im Internationalen Deliktsrechts Normen, die überwiegend öffentlichen Interessen eines fremden Staates dienen, durchaus zur Anwendung gebracht werden können. Einem grundsätzlichen Ausschluss der Berufung ausländischer Eingriffsnormen kann daher nicht gefolgt werden. Es stellt sich allerdings die Frage, welche Schlussfolgerungen hieraus zu ziehen sind. Wohl überwiegend wird von denjenigen, die eine abschließende Funktion des Art. 16 Rom II zutreffend ablehnen, gefolgert, der europäische Gesetzgeber wollte mit dem Verzicht auf eine Regelung alleine Zurückhaltung üben, die Mitgliedstaaten zur Anwendung ausländischer Eingriffsnormen zu verpflichten473 – die Rom II-Verordnung hindere die Mitgliedstaaten jedoch keinesfalls daran, (weiterhin) ausländische Eingriffsnormen im Bereich des Internationalen Deliktsrechts zur Anwendung zu bringen474. Wenngleich dies von den Vertretern dieser Ansicht nicht ausdrücklich gesagt wird, läuft eine solche Annahme auf eine (kodifikationsinterne) Beschränkung des Anwendungsbereiches hinaus: Weil die Rom II-Verordnung diese Problematik nicht regeln wolle, verbleibe sie weiterhin in nationaler Kompetenz, so dass der maßgebliche An2008, 257 (263); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (72); ders., Rev. crit. d.i.p. 97 (2008), 445 (508); Günther S. 200. 471 Vgl. etwa MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 28; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (72); zu den Gründen Wagner, IPRax 2008, 1 (15); Kühne, FS Deutsch, 817 (828). 472 So treffend MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 50. 473 Ausdrücklich Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (644); vgl. der Sache nach etwa MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 25 (deutlich Rn. 27: „Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten“ bzgl. der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen); Leible, RIW 2008, 257 (263). 474 So die in Fn. 470 Genannten.

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

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wendungsbefehl bezüglich der ausländischen Eingriffsnorm nationalem Recht entstamme475. Diese Annahme erscheint – im Gegensatz zur Rom IVerordnung – grundsätzlich möglich, da die Rom II-Verordnung gerade keine Regelung für ausländische Eingriffsnormen vorsieht und diese Problematik daher nicht ausdrücklich als Regelungsgegenstand bezeichnet – ob sie jedoch auch überzeugend ist, steht auf einem anderen Blatt. Den Mitgliedstaaten die Kompetenz zum Erlass spezieller ausländischer Kollisionsnormen zugunsten ausländischer Eingriffsnormen unter Geltung der Rom II-Verordnung zu gewähren, bedeutete wiederum, den von der Rom II-Verordnung erstrebten europäischen Entscheidungseinklang weiter einzuschränken – und dies mit den bekannten Folgen für das Verhalten der Parteien (forum shopping) und die Anerkennung mitgliedstaatlicher Urteile. Ob diese wirklich in Kauf genommen werden müssen, darf bezweifelt werden. Auch wenn einer „Sperrwirkung“ des Art. 16 Rom I richtigerweise eine Absage zu erteilen ist, so besteht ebenfalls die Möglichkeit, einen dritten Weg ohne Beeinträchtigung des europäischen Entscheidungseinklangs einzuschlagen: Da die Intention des europäischen Gesetzgebers nicht feststellbar ist, könnte aus der Nichtregelung dieser Problematik ebenfalls geschlossen werden, dass eine interne Regelungslücke auf Ebene der Rom II-Verordnung vorliegt, welche durch eine (einheitliche, für alle Mitgliedstaaten verbindliche und durch den EuGH zu überprüfende) Rechtsfortbildung auf europäischer Ebene zu schließen ist476. Im Ergebnis hätten wir somit eine der alten deutschen und englischen Rechtslage im Internationalen Vertragsrecht entsprechende Situation, dass alleine die Anwendung inländischer Eingriffsnormen ausdrücklich geregelt ist, die Problematik der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen indes als interne Regelungslücke der Rom II-Verordnung durch Rechtsprechung und Lehre geschlossen werden muss. Sieht man einmal von der – durchaus gewichtigen – teleologischen Erwägung bezüglich der Verwirklichung des europäischen Entscheidungseinklangs ab, so erscheint dieser Weg auch methodisch überzeugender: Für die Annahme einer Beschränkung des Anwendungsbereiches haben wir in den Materialien keinerlei Anhaltspunkte und könnten eine solche allenfalls auf die Erwägung stützen, dass sich die Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Regelung nicht einigen konnten. Nun führt ein Dissens keinesfalls 475 Letzteres ausdrücklich Leible, RIW 2008, 257 (263); ebenso MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 25. 476 Möglicherweise ebenso PWW-Remien Art. 16 Rom II Rn. 5, wenngleich nicht deutlich wird, ob es sich um eine „externe“ oder „interne“ Regelungslücke handeln soll; ähnlich Palandt-Thorn Art. 16 Rom II Rn. 3; von Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (506); Hauser S. 135 f.; aufgrund des Verlaufes des Gesetzgebungsverfahrens explizit ablehnend jedoch MüKo-Junker Art. 16 Rom II Rn. 23; ebenso Günther S. 201 f., 203.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

automatisch zu einer Beschränkung des Anwendungsbereiches, sondern es bedarf hierfür eines Niederschlags im Normtext, wie dies etwa im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen mit Art. 1 II lit. g Rom II erfolgte477. Da eine solche Ausnahme für ausländische Eingriffsnormen nicht vorgesehen ist, bestimmt sich die regulative Reichweite der Verordnung alleine nach Art. 1 I Rom II, nach dessen weitem Wortlaut jedoch auch ausländische Eingriffsnormen erfasst sind478. Stützen lässt sich diese Überlegung zum einen damit, dass insbesondere der allseitig gefasste Art. 6 Rom II durchaus auch typische Eingriffsnormen zur Anwendung bringt, die Frage nach der Anwendbarkeit ausländischer Eingriffsnormen als Ganzes also gar nicht aus dem Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung ausgenommen sein kann, zum anderen damit, dass die Rom I-Verordnung bei gleicher Ausgangssituation explizit eine diesbezügliche Regelung vorsieht, so dass eine Verortung dieser Problematik innerhalb der regulativen Reichweite der Rom II-Verordnung ebenfalls anzunehmen ist – ein Ergebnis, welches die Vertreter einer „Sperrwirkung“ von Art. 16 Rom II ohne Begründung regelmäßig unterstellen479. Die Annahme einer Beschränkung des Anwendungsbereiches hinsichtlich ausländischer Eingriffsnormen ist daher abzulehnen. Verneint man demnach zutreffend eine „Sperrwirkung“ von Art. 16 Rom II hinsichtlich der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen, so wird der maßgebliche Anwendungsbefehl ebenfalls von Seiten der Rom II-Verordnung ausgesprochen – und ist im Wege einer europäischen Rechtsfortbildung zu entwickeln. II. Anknüpfungsmöglichkeiten Geht man mit der hier vertretenen Meinung davon aus, dass weder Art. 9 III Rom I noch Art. 16 Rom II eine Sperrwirkung hinsichtlich einer über den Wortlaut dieser Vorschriften hinausgehenden Anwendung ausländischer Eingriffsnormen zukommt, so bedarf es der Beantwortung der Frage, auf welche Weise diese Normen zur Anwendung gebracht werden können. Da nach obigen Ausführungen480 der Sonderanknüpfungslehre eine Absage zu erteilen ist, kommen hierfür zwei Möglichkeiten in Betracht: eine 477 Vgl. hierzu etwa auch die ausführliche Begründung des geänderten Kommissionsvorschlages zur Rom II-Verordnung, KOM (2006) 83 endg., S. 7 zur Herausnahme dieses Bereiches aus dem Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung. 478 Vgl. hinsichtlich Eingriffsnormen der lex fori sub Kapitel 2 A.III.1 (S. 113 f.). 479 Die Annahme einer Sperrwirkung hinsichtlich der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen bedeutet denknotwendig, dass diese Problematik innerhalb der regulativen Reichweite der Rom II-Verordnung zu verorten ist. Wäre sie es nicht, so könnte die Rom II-Verordnung auch keinerlei Entscheidung darüber treffen, wie mit ausländischen Eingriffsnormen zu verfahren sei, also eben keine „Sperrwirkung“ entfalten. 480 Vgl. hierzu sub Kapitel 3 C.I (S. 190 ff.).

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

279

Anwendung ausländischer Eingriffsnormen der jeweiligen lex causae und/oder die Entwicklung besonderer Kollisionsnormen, die eine statutsunabhängige Anknüpfung ermöglichen. 1. „Schuldstatutstheorie“ Eine Möglichkeit 481 , Eingriffsnormen über den Wortlaut des Art. 9 III Rom I bzw. im Bereich des Internationalen Deliktsrechts überhaupt zur Anwendung zu bringen, stellt die wohl bislang überwiegend etwa482 in England483, Frankreich484 und Belgien485, aber auch in Deutschland teilweise vertretene „Schuldstatutstheorie“, oder besser – da grundsätzlich alle Rechtsbereiche betreffend – „Einheitsanknüpfung“ 486 oder „lex causaeTheorie“487 dar488. Nach diesem Ansatz berufen die herkömmlichen allseitigen Kollisionsnormen nicht nur die „normalen“ zivilrechtlichen Normen, welche der Gerechtigkeit inter partes dienen, sondern gerade auch Eingriffsnormen im materiellen Sinne, die öffentlichen Interessen desjenigen Staates Rechnung tragen, welcher die lex causae stellt489. Die traditionelle 481 Diese scheidet freilich aus, wenn man Art. 9 III Rom I/Art. 16 Rom II entgegen der hier vertretenen Ansicht eine „Sperrwirkung“ zukommen lässt – wenn ausländische Eingriffsnormen alleine im Rahmen des Wortlautes des Art. 9 III zur Anwendung gebracht werden können, gilt dies auch für Eingriffsnormen der lex causae; so zu Recht Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 646; Mankowski, IHR 2008, 133 (148); ders., Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 56; inkonsequent Magnus, IPRax 2010, 27 (42). 482 Folgende Beispiele stammen von Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 646; ders., Einfach und international zwingende Normen, 167 (182 Fn. 65). 483 Vgl. hierzu Fn. 429. 484 Audit Nr. 121 (S. 115 f.); Mayer/Heuzé Rn. 127 (S. 96); Batiffol/Lagarde (Band 1) Nr. 254 (S. 429); Monéger Nr. 186 (S. 72). 485 Rigaux/Fallon Rn. 14.75: „Autrefois problématique, l’application de lois de police contractuelle étrangères est désormais admise dans son principe“. 486 So die Terminologie von von Bar/Mankowski § 4 Rn. 119; ebenso Kropholler § 52 X 1 (S. 503); Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 55; Sonnenberger, FS Rebmann, 819 (826). 487 So ebenfalls die Terminologie von von Bar/Mankowski § 4 Rn. 119; ebenso Basedow, NJW 1989, 627 (631). 488 Einen solchen Ansatz unter der alten Rechtslage vertretend insbesondere Mann, RabelsZ 21 (1956), 1 (3); ders., FS Wahl, 139 (146, 151, 160); Serick, RabelsZ 18 (1953), 633 (646-649); aus neuerer Zeit Bamberger/Roth-Spickhoff (2008) Art. 34 EGBGB Rn. 28; Palandt-Heldrich (67. Auflage) Art. 34 EGBGB Rn. 6; Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (416). Aus dem schweizerischen Schrifttum etwa Vischer, FS Gerwig, 167 (170 f.); jedoch unter Geltung des neuen schweizerischen IPRG differenzierend ders., RabelsZ 53 (1989), 438 (439-441, 443-445); Heini, ZSchweizR 100 (1981), 65 (66, 77 f.). 489 Einem Systemdualismus von herkömmlichen und eingriffsrechtlichen Normen wird – zumindest hinsichtlich ausländischer Eingriffsnormen – eine Absage erteilt, da

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Einheitsanknüpfung enthält zudem ein negatives Element, da ausländische Eingriffsnormen alleine der lex causae (und der lex fori), nicht jedoch einer dritten Rechtsordnung zur Anwendung gebracht werden können490. Während diese Form der Einheitsanknüpfung noch für das Internationale Deliktsrecht erwogen werden kann, scheidet eine solche indes für das Internationale Vertragsrecht aus, da Art. 9 III Rom I gerade eine Möglichkeit vorsieht, drittstaatliche Eingriffsnormen unabhängig vom Vertragsstatut zur Anwendung zu bringen491. Im Rahmen der Rom I-Verordnung kommt damit a priori alleine die „Kumulations“- oder „Kombinationstheorie“ in Betracht, die auf eine solche Einschränkung verzichtet492. Ob im nunmehr geltenden europäischen IPR die Einheitsanknüpfung zugrunde gelegt werden muss, ist streitig493. Während sich die Vertreter beide „Normgruppen“ insoweit dem „klassischen“ IPR unterfallen und ausländischen Eingriffsnormen somit keine Sonderbehandlung zukommt. Für eine weitergehende Darstellung und Bewertung der Schuldstatutstheorie sei verwiesen auf die Ausführungen von Brüning S. 157-162; Zeppenfeld S. 67-83; Fetsch S. 11-16; Beulker S. 90-92; Kuckein S. 123-131; von Bar/Mankowski § 4 Rn. 119 f.; Schubert, RIW 1987, 729 (732 f.). 490 Hierzu insbesondere Mann, RabelsZ 21 (1956), 1 (3); deutlich auch ders., FS Wahl, 139 (160); ebenso Vischer, FS Gerwig, 167 (171); Heini, ZSchweizR 100 (1981), 65 (77); Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (417 f.); Bamberger/Roth-Spickhoff (2008) Art. 34 EGBGB Rn. 27. Trotz dieser Ausgangsprämisse wird jedoch regelmäßig wiederum eine sachrechtliche Berücksichtigung nicht nur faktischer, sondern auch normativer Wirkungen drittstaatlicher Eingriffsnormen für möglich gehalten (ausführlich hierzu sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 ff.)), so dass die postulierte „Sperrwirkung“ gegenüber solchen Normen nur formal besteht. In diesem Sinne etwa Mann, FS Beitzke, 607 (608-611; vgl. insbesondere die in Fn. 6-9 genannten Beispiele normativer Berücksichtigung); PalandtHeldrich (67. Auflage) Art. 34 EGBGB Rn. 6 (wenngleich er alleine eine „faktische Berücksichtigung“ drittstaatlicher Eingriffsnormen für möglich hält, bezieht er Fälle normativer Berücksichtigung mit ein, vgl. die in Rn. 5 genannten Beispiele aus der Rechtsprechung); Heini, ZSchweizR 100 (1981), 65 (79); Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (417 f.); Bamberger/Roth-Spickhoff (2008) Art. 34 EGBGB Rn. 29 (vgl. Beispiele in Fn. 124). 491 Deutlich nun auch Hauser S. 105 f. 492 So die Terminologie von von Bar/Mankowski § 4 Rn. 121 (m.w.N. in Fn. 651), vertreten etwa von Erne S. 207-209; Schulte S. 127; Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41 (96 f.); zur spezifischen – und zutreffenden – Kritik an diesem Ansatz vgl. von Bar/Mankowski § 4 Rn. 121: „Die Kumulationstheorie [...] kumuliert die Schwächen der Sonderanknüpfungslehren mit jenen der Schuldstatutstheorie“; auch Schubert, RIW 1987, 729 (736). 493 Für eine Einheitsanknüpfung im europäischen Kollisionsrecht sprechen sich aus: Lando/Nielsen, CMLRev. 45 (2008), 1687 (1719); Staudinger-Magnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 133-137; ders., IPRax 2010, 27 (42); Hk-BGB/Staudinger Art. 9 Rom I Rn. 13; Bamberger/Roth-Spickhoff Art. 9 Rom I Rn. 35; kritisch, jedoch im Ergebnis ebenso Roth, FS Kühne, 859 (872 f.); ders., EWS 2011, 314 (314). Gegen eine Einheitsanknüpfung: Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 15; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 78; Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 646; MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 47; Mankowski, IHR 2008, 133 (148); ders., Interessenpolitik und europäisches

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

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einer solchen Ansicht im Rahmen des EVÜ noch darauf berufen konnten, dass Art. 7 zwar die Anwendung von Eingriffsnormen von Drittstaaten und der lex fori regelt, nicht jedoch von Eingriffsnormen des Vertragsstatuts, so dass diese anscheinend zwangsläufig dem Vertragsstatut unterfallen mussten, wollte man sie denn überhaupt berücksichtigen494, entfällt diese – sicherlich nicht restlos überzeugende 495 – Argumentation im geltenden Recht. Art. 9 III Rom I spricht nunmehr ausschließlich – im Gegensatz zu Art. 7 I EVÜ – von Eingriffsnormen eines anderen Staates, so dass keine Differenzierung zwischen Eingriffsnormen der lex causae oder sonstiger Staaten vorgenommen wird und eine besondere Behandlung von Eingriffsnormen der lex causae zumindest nach dem Wortlaut nicht indiziert ist496. Demgegenüber spricht Art. 9 I Rom I, welcher auch ausländische Eingriffsnormen zu definieren versucht, sogar ausdrücklich gegen eine Einheitsanknüpfung: Eingriffsnormen sind nach dessen Wortlaut Bestimmungen, welche „ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts“ zur Anwendung zu bringen sind, also gerade nicht den herkömmlichen Kollisionsnormen unterfallen497. Hiervon muss auch der europäische Gesetzgeber ausgegangen sein, da dieser für die Eingriffsnormenproblematik das rechtstheoretische Konzept der lois d’application immédiate zugrunde legte 498. Stellten Eingriffsnormen eine eigene Normkategorie zwischen Sach- und Kollisionsnormen dar, so können diese freilich nicht von den herkömmlichen Kollisionsnormen erfasst werden, „entziehen“ sich also den herkömmlichen Bestimmungen.

Dennoch wollen etwa Lando und Nielsen (letzterer war als Mitglied der dänischen Delegation an den Verhandlungen über die Rom I-Verordnung beteiligt499) aus der Tatsache, dass Eingriffsnormen der lex causae weder im EVÜ noch in den Rom I-Verordnung explizit erwähnt werden, andere Schlüsse ziehen: „However, it seems obvious that such a provision is superfluous, as a reference to a national law under the ordinary choice of Kollisionsrecht, S. 56; Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 60 (96); Hauser S. 124-128. Unentschieden Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (543). 494 So etwa Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325 (350); Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 (416); Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 73; Schubert, RIW 1987, 729 (736); referierend Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (244 f.). 495 Zur Kritik bereits Kegel, Diskussionsbeitrag zu Kreuzer, Parteiautonomie und fremdes Außenwirtschaftsrecht, 89 (111) – hiergegen wiederum Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 72 f.; ausführlich Fetsch S. 63-68; Kuckein S. 67-69. 496 Vgl. auch (zu Art. 8 III 1 des Vorentwurfs) Mankowski, IPRax 2006, 101 (110): Verzicht auf Differenzierung legt „sehr nahe, dass die richtige Lösung gewollt ist und dass die Kumulationstheorie verworfen wird“ 497 Näher hierzu Kapitel 2 A.III.2.a)cc) (S. 118 f.). 498 Vgl. sub Kapitel 2 A.I (S. 104 ff., insbesondere Kapitel 2 Fn. 7) 499 Hierauf hinweisend Roth, FS Kühne, 859 (872).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

law rules refers to all rules of the lex causae, including the internationally mandatory provisions [...]. This follows logically from the nature of the ordinary choice of law rules, and the fact that neither Article 9 nor 12 Rome I excludes the application of the internationally mandatory provisions of the lex causae“500. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden501. Wenngleich die Einheitsanknüpfung für sich in Anspruch nehmen kann, der oben beschriebenen Ordnungsfunktion des Kollisionsrechts grundsätzlich Rechnung zu tragen, weil sie immerhin (zumindest irgendwelche) Normen zur Anwendung beruft, die jene Funktion erfüllen, handelt es sich bei diesen Bestimmungen regelmäßig nicht um diejenigen Sachnormen, zu denen in casu eine nach herkömmlicher Methodik „sachnormzweckgerechte“ räumliche Verknüpfung besteht. Denn die in den allgemeinen Kollisionsnormen, insbesondere in denjenigen des Internationalen Vertragsrechts vorgesehenen Anknüpfungsmomente tragen in aller Regel alleine solchen Bestimmungen, die überwiegend der Gerechtigkeit inter partes dienen, kollisionsrechtlich Rechnung, nicht jedoch typischen Eingriffsnormen, die aufgrund ihrer öffentlichen Normzwecke eine ganz andere – meist territoriale – Anknüpfung indizieren502. Verdeutlichen lässt sich dies an einem vielzitierten Beispiel503: Folgte man der Einheitsanknüpfung, so müssten wir bei der – von Art. 3 I Rom I gestatteten – Wahl eines „neutralen“ Rechts auch ausländische Eingriffsnormen der lex causae zur Anwendung bringen, selbst wenn zu diesem Staat überhaupt keine räumliche Beziehung besteht.

500 Lando/Nielsen, CMLRev. 45 (2008), 1687 (1719), (Hervorhebung im Original); sich anschließend Magnus, IPRax 2010, 27 (42); kritisch, jedoch im Ergebnis ebenso Roth, FS Kühne, 859 (872 f.). 501 Ablehnend ebenfalls die in Fn. 493 Genannten. Zur alten Rechtslage etwa: Kegel/Schurig § 2 IV 2 (S. 155); Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (236; 244-246); Kropholler § 52 X 1 (S. 503 f.); von Bar/Mankowski § 4 Rn. 120; Staudinger-Magnus (2002) Art. 34 EGBGB Rn. 131; Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 81-86 (insbesondere S. 86; vgl. aber die Ausführungen zu Art. 7 EVÜ S. 72 f.); ders., Parteiautonomie und fremdes Außenwirtschaftsrecht, 89 (110); Brüning S. 157-162; Zeppenfeld S. 67-83; Fetsch S. 14-16; Beulker S. 90 f.; Kuckein S. 123-131; Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (21-23); Remien, RabelsZ 54 (1990), 431 (461-463); Schäfer, FS Sandrock, 37 (41-43); Sonnenberger, FS Rebmann, 819 (827); Schubert, RIW 1987, 729 (733); aufgrund des postulierten Nichtanwendungsgrundsatzes ausländischen Öffentlichen Rechts ebenfalls ablehnend der BGH, vgl. etwa BGHZ 31, 367 (370 f.); 64, 183 (189 f.). 502 Vgl. Sonnenberger, FS Rebmann, 819 (827): Anwendung ausländischer Eingriffsnormen im Sinne der Einheitsanknüpfung überzeuge „vor allem deshalb nicht, weil sie [...] auf Kollisionsnormen beruht, die für sie nicht gemünzt sind“; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (244): „pauschale Verweisung auf das Vertragsstatut tut dem System Gewalt an“. 503 Vgl. etwa Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (245); Zeppenfeld S. 75 f.; Kuckein S. 130; Schubert, RIW 1987, 729 (732).

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

283

Ein solches Vorgehen widerspräche indes der hier zugrunde gelegten Auffassung eines materielle Wertungen verwirklichenden IPR, weil dieses den „genuine link“ zwischen kollisionsrechtlicher und materiellrechtlicher Gerechtigkeit vollständig ignoriert. So wird die Reichweite einer allgemeinen Kollisionsnorm nach obigen Ausführungen504 nicht durch deren Wortlaut festgelegt, sondern ausschließlich durch die der jeweiligen kollisionsrechtlichen Bestimmung zugrunde liegenden Interessen – diese bilden den „Kitt“, welcher das allseitig geschnürte „Bündel“ von Individualkollisionsnormen zusammenhält und damit zugleich über dessen Umfang entscheidet. Auch wenn folglich typische Eingriffsnormen regelmäßig von dem weiten Wortlaut einer herkömmlichen Kollisionsnorm erfasst werden, bedeutet dies keineswegs, dass solche Sachnormen denknotwendig – oder in der Terminologie von Lando und Nielsen: „logisch“ – unter diese qualifiziert werden können. Maßgeblich hierfür ist alleine die durch die der fraglichen Sachnorm zugrundeliegenden Sachnormzwecke implizierte kollisionsrechtliche Interessenlage, aus der sich ergibt, ob die dieser Norm gedanklich zugeordnete Elementkollisionsnorm in das allseitige „Bündel“ der herkömmlichen Kollisionsnorm eingestellt werden kann oder nicht. Eingriffsnormen der lex causae kommt insoweit keine besondere Bedeutung zu, sie rufen insbesondere keine anderen kollisionsrechtlichen Interessen auf den Plan als Eingriffsnormen anderer Rechtsordnungen, so dass eine besondere Behandlung dieser nicht begründet werden kann505. Auch kann eine mechanische „Blockverweisung“ im Sinne der Einheitsanknüpfung nicht überzeugend auf Ordnungsinteressen als begrenzende kollisionsrechtliche „Kräfte“ im Sinne Kahns gestützt werden506, weil solche nach obigen Ausführungen aufgrund der beschriebenen Aufgabe des IPR, der materiellen Gerechtigkeit zu dienen, keinen Selbstzweck erfüllen und daher keinesfalls eine eindeutig materiellrechtlich implizierte kollisionsrechtliche Interessenlage zurückdrängen können507. Dies gilt zunächst für das Interesse an innerem Entscheidungseinklang, dem möglicherweise eine – bei Ablehnung der Einheitsanknüpfung aufgrund der hier angenommenen Ordnungsfunktion des Kollisionsrechts dann erforderliche – statutsunabhängige Anknüpfung bestimmter Normen entgegenstünde. Denn die mit einer dépeçage verbundenen Gefahren eines Normwiderspruches sind – wie bereits ausgeführt508 – allenfalls abstrakter Natur, denen bei Realisierung mit Hilfe des methodischen Instruments der Anpassung angemessen entgegengetreten werden kann, ohne dass hierfür eine Einheitsanknüpfung und damit einhergehender Verzicht auf eine sachnormzweckgerechte Anknüpfung erforderlich wäre. Ebenfalls trägt auch das Interesse an äußerem Entscheidungseinklang keine Einheitsanknüpfung, da wir 504 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 1 B.III.3.b) (S. 85 f.) und Kapitel 1 B.IV.2 (S. 88 ff.). 505 Vgl. etwa Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (246); Zeppenfeld S. 73. 506 In diesem Sinne aber wohl Vischer, FS Gerwig, 167 (177 f.). 507 Hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 83) und insbesondere Kapitel 1 B.IV.2 (S. 90 f.). 508 Vgl. Kapitel 1 B.IV.2 (S. 90 f.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

mit einer solchen Vorgehensweise allenfalls Entscheidungseinklang mit dem Staat der lex causae herstellen können509, jedoch gerade nicht – zumindest bei Annahme eines abschließenden Charakters der Einheitsanknüpfung – mit demjenigen Staat, zu dem eine nach unseren Maßstäben angemessene Verbindung besteht. Hierfür fehlt indes eine substantielle Rechtfertigung, weil gerade letzterer Staat regelmäßig seine Eingriffsnormen – aufgrund hinreichender, auch von unserer Seite „gebilligter“ Anknüpfung – bei eigener Zuständigkeit zur Anwendung bringen wird, so dass die Einheitsanknüpfung letztlich sogar dem Interesse an äußerem Entscheidungseinklang widerspricht510. Folglich kann weder das Interesse am inneren noch am äußeren Entscheidungseinklang eine Einheitsanknüpfung von Normen, welche aufgrund ihrer materiellrechlich implizierten kollisionsrechtlichen Interessenlage nicht in das von einer allseitigen Kollisionsnorm geschnürte „Bündel“ passen, rechtfertigen.

Ob eine Sachnorm der lex causae von einer – von ihrem Wortlaut her grundsätzlich einschlägigen – Kollisionsnorm berufen wird, kann nach alledem alleine anhand eines herkömmlichen interessenbezogenen Qualifikationsvorgangs beantwortet werden: Trägt die fragliche Kollisionsnorm der durch die Sachnorm implizierten kollisionsrechtlichen Interessenlage Rechnung, so ist sie Teil des durch jene Kollisionsnorm berufenen Statuts, ist dies nicht der Fall, muss eine statutsunabhängige Anknüpfung in Erwägung gezogen werden. Demnach lässt sich die Frage nach der Anwendbarkeit ausländischer Eingriffsnormen der lex causae keinesfalls pauschal von vornherein beantworten, wie die Vertreter einer „Einheitsanknüpfung“ postulieren, sondern diese muss für jede Kollisionsnorm einzeln im Rahmen eines teleologischen Qualifikationsvorgangs geprüft werden511. So fallen, wie bereits ausgeführt512, typische Eingriffsnormen im materiellen Sinne nicht unter die herkömmlichen Kollisionsnormen des Internationalen Vertragsrechts, weil diese insbesondere Partei-, jedoch nicht Gemeininteressen Rechnung tragen. Demgemäß sind diese regelmäßig nicht Teil des

509 Und dies auch nur dann, wenn es sich bei der Limitierung des Anwendungsbereiches (zugleich) um eine sachrechtliche Beschränkung handelte. Läge hingegen nur eine kollisionsrechtliche Limitierung vor, könnte eine Einheitsanknüpfung nicht ohne Bruch mit der eigenen Ausgangsprämisse begründen, weshalb denn Eingriffsnormen, die keiner abweichenden kollisionsrechtlichen Behandlung unterliegen sollen, alleine im Rahmen ihres kollisionsrechtlichen Anwendungswillens berufen werden könnten; vgl. hierzu etwa Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (246); Schubert, RIW 1987, 729 (732 f.); Fetsch S. 15 f.; ausführlich Kuckein S. 128 f. Daher müsste eine konsequente Einheitsanknüpfung „nichtanwendungswillige“ Eingriffsnormen der lex causae zur Anwendung bringen, so dass der Entscheidungseinklang mit dem Erlassstaat nicht gewährleistet werden könnte – freilich überzeugt dies auch vom Ergebnis nicht, vgl. hierzu sub Kapitel 3 C.II.4.b) (S. 258 ff.). 510 Ähnlich auch Zeppenfeld S. 80. 511 Vgl. auch Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (244): „pauschale Verweisung auf das Vertragsstatut tut dem System Gewalt an“. 512 Vgl. hierzu Kapitel 1 B.IV.2 (S. 88 ff.).

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

285

Vertragsstatuts513. Anders mag dies im Internationalen Deliktsrecht sein: Wie insbesondere Wagner ausführt, „sind im Bereich der außervertraglichen Haftung die Kollisionsnormen von vornherein so gefasst, dass sie die Steuerungsinteressen des betroffenen Staates berücksichtigen und umsetzen“, so dass auch typische Eingriffsnormen – wie insbesondere Art. 6 Rom II zeigt – des Öfteren unter diese Kollisionsnormen erfolgreich qualifiziert werden können, da diese somit auch den durch solche Normen implizierten Gemeininteressen Rechnung tragen können514. Damit lässt sich festhalten: Ein Automatismus, dass pauschal alle tatsächlich einschlägigen Eingriffsnormen der über die herkömmlichen Kollisionsnormen bestimmten lex causae zur Anwendung zu bringen wären, besteht nicht – er wäre nach hier zugrunde gelegter Ansicht schlicht „unrichtig“515. Abzulehnen ist zudem auch die negative Aussage der traditionellen Einheitsanknüpfung, dass alleine ausländische Eingriffsnormen der lex causae zur Anwendung zu bringen sind. Da diese aufgrund von Art. 9 III Rom I alleine für das Internationale Deliktsrecht erwogen werden kann, bereitet sie schon hinsichtlich einer einheitlichen Auslegung von Rom I und II Bedenken. Hinzu kommt, dass diese Annahme – da einer pauschalen Einheitsanknüpfung nicht gefolgt werden kann – im Bereich der Rom II auf eine „Sperrwirkung“ bezüglich der Berufung ausländischer Eingriffsnormen hinauslaufen würde, welche jedoch ebenfalls bereits abgelehnt wurde 516.

513 So dass im Falle einer Rechtswahl eines neutralen Rechts kein unbilliges Ergebnis im bereits dargestellten Sinne eintreten kann, unabhängig davon, ob die Limitierung des Anwendungsbereiches (nur) kollisionsrechtlicher oder (zugleich auch) sachrechtlicher Natur ist. 514 Hierin liegt ebenfalls der Grund für das attestierte geringe praktische Bedürfnis (vgl. die Nachweise in Fn. 471) an einer statutsunabhängigen Anknüpfung im Bereich des Internationalen Deliktsrechts. 515 Kegel/Schurig § 2 IV 2 (S. 155); vgl. auch von Bar/Mankowski § 4 Rn. 120 (freilich aus der Perspektive eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems): Einheitsanknüpfung „krankt daran, daß sie Grundfragen des IPR mißachtet“; Palandt-Thorn Art. 9 Rom I Rn. 15: „weit verbreitete[] Fehlvorstellung“; bereits Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283 (287) mit Verweis darauf, dass die Rechtsprechung – bis zur Entwicklung des Nichtanwendungsgrundsatzes ausländischen Öffentlichen Rechts durch BGHZ 31, 367 (370372), vgl. Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 51; Kuckein S. 99 Fn. 215 – als Vertreter einer Einheitsanknüpfung „immer wieder [...] die grundsätzliche Anwendbarkeit des ausländischen Verbotsgesetzes wegen seiner Zugehörigkeit zum Schuldstatut feststellte und dann, um aus einem häufig richtigen Instinkt heraus dennoch die Anwendung des Gesetzes auf den konkreten Fall zu verneinen, zu dem Notventil des ordre public griff. Die gehäufte Berufung auf den ordre public muss – hier wie stets – Zweifel gegen die Richtigkeit der angewandten Kollisionsnorm erwecken“; hierzu auch Neumayer, RabelsZ 25 (1960), 649 (650): Die Einheitsanknüpfung (als aufgegebener Ansatz der Rechtsprechung) „paßte weder hinten noch vorne“. 516 Hierzu sub Kapitel 3 D.I.2 (S. 274 ff.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

2. „Gesonderte Anknüpfung“ im Rahmen eines potentiell allseitigen Systems Scheidet eine Einheitsanknüpfung zur Verwirklichung der beschriebenen Ordnungsfunktion demnach aus, so kann eine über Art. 9 III Rom I hinausgehende Anwendung ausländischer Eingriffsnormen alleine anhand einer systemimmanenten Weiterentwicklung des herkömmlichen kollisionsrechtlichen Systems erfolgen. Die hierfür wesentlichen Kriterien wurden bereits im Rahmen dieser Arbeit entwickelt, bedürfen aber noch weiterer Erläuterung. Ausgangspunkt für eine weitergehende „gesonderte“ Anknüpfung 517 ausländischer (vertraglicher und deliktischer) Eingriffsnormen im materiellen Sinne muss zunächst die Erkenntnis sein, dass der hierfür benötigte kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl mangels geschriebener Kollisionsnormen im Wege der Rechtsfortbildung seitens des europäischen IPR zu entwickeln ist. Voraussetzung ist folglich wiederum eine Regelungslücke, welche eine solche erst ermöglicht. Da nach hier vertretener Ansicht Art. 9 III/16 Rom I/II keine „Sperrwirkung“ entfalten, kommt eine solche a priori in Betracht. Dass überhaupt eine Regelungslücke im kollisionsrechtlichen System hinsichtlich der Anwendung ausländischen Rechts bestehen kann, ergibt sich theoretisch wiederum aus der Anerkennung fremden Rechts als „Recht“ 518 : Weil wir jeglichen ausländischen Rechtssatz als Recht anerkennen, muss unser rechtssatzbezogenes kollisionsrechtliches System zumindest theoretisch jede auf der Welt existierende, in casu einschlägige Sachnorm zur Kenntnis nehmen und über ihre An- oder (im Regelfall) Nichtanwendung entscheiden – es ist also zumindest potentiell auf jeden existierenden Rechtssatz bezogen 519 . Regelmäßig erfolgt diese Anwendungsentscheidung indirekt im Rahmen des kodifizierten Systems: Bestimmen wir anhand unserer Kollisionsnormen das angemessene Recht, so liegt hierin zugleich die (negative) Entscheidung, andere inhaltlich konkurrierende Rechtssätze, die unter diese Kollisionsnorm zu qualifizieren sind, eben nicht zur Anwendung zu bringen. Fehlt jedoch eine geschriebene Kollisionsnorm, welche die Frage nach der An- oder Nichtanwendung beantworten kann, so muss – zumindest im theoretischen Ausgangspunkt – für jede inhaltlich einschlägige520 Sachnorm ad hoc eine Entscheidung über ihre Anwendbarkeit getroffen werden. Diese kann freilich nicht 517

Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 183. Hierzu Kapitel 1 B.I (S. 6 f.). 519 Deutlich Schurig S. 174 f.; ders., RabelsZ 54 (1990), 217 (231-233); vgl. bereits Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 (258, 282). 520 Freilich kann dem den konkreten Sachverhalt beurteilenden Richter nicht zugemutet werden, jeglichen Rechtssatz der Welt auf seine sachrechtliche Einschlägigkeit zu überprüfen. Dies ist jedoch auch gar nicht erforderlich, da für die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen bestimmte, generalisierbare Anwendungskriterien bestehen – nach hier vertretener Ansicht: „Disqualifikation“, europäisches Anwendungsinteresse und angemessenes Anknüpfungsmoment –, die a priori eine Eingrenzung der potentiell anzuwendenden Eingriffsnormen ermöglichen; vgl. hierzu am Ende dieses Abschnitts. 518

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

287

willkürlich getroffen werden, sondern muss – da nach hier vertretener Ansicht eine pauschale Nichtanwendung einer bestimmten Normengruppe mangels „Sperrwirkung“ der Art. 9 III/16 Rom I/II ausscheidet – anhand der sich aus dem kollisionsrechtlichen System ergebenden Kriterien erfolgen. Sind diese Kriterien erfüllt, muss die fragliche Norm hinsichtlich einer kohärenten kollisionsrechtlichen Behandlung auch zur Anwendung gebracht werden können, so dass insoweit eine Regelungslücke zu bejahen ist.

Dennoch besteht ein Unterschied gegenüber der Behandlung inländischer Eingriffsnormen: Können wir bei diesen bereits dann auf eine Regelungslücke schließen, wenn die fragliche Bestimmung aufgrund überwiegend implizierter Gemeininteressen aus der Bündelung einer herkömmlichen Kollisionsnorm fällt, also „disqualifiziert“ wird, weil ein grundsätzliches Anwendungsinteresse für diese in einem reinen Inlandssachverhalt stets geltende Norm a priori feststeht (Art. 9 II/16 Rom I/II)521 und sich daher zwangsläufig die Frage nach deren internationalem Anwendungsbereich stellt, so gilt dies nicht in gleicher Weise für ausländische Eingriffsnormen. Für diese folgt aus einer „Disqualifikation“ – und ggf. verwirklichten angemessenen Anknüpfung – keinesfalls die Notwendigkeit, solche Normen überhaupt zur Anwendung zu bringen – sie sind für die Lösung des in Frage stehenden Sachverhaltes nach obigen Ausführungen522 schlicht nicht notwendig, so dass auf ihre Anwendung ebenso verzichtet werden und eine Regelungslücke als Voraussetzung der durch Rechtsfortbildung zu gewinnenden statutsunabhängigen Anknüpfung damit auch ausscheiden könnte. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach obigen Ausführungen alleine danach, ob überhaupt ein – nunmehr gemeineuropäisch zu bestimmendes – Anwendungsinteresse an der fraglichen ausländischen Eingriffsnorm als Grund und Legitimation für die Anwendung ausländischen Rechts besteht und diese damit überhaupt Gegenstand des kollisionsrechtlichen Systems bilden kann. Voraussetzung für die über Art. 9 III Rom I hinausgehende statutsunabhängige Prüfung wird demgemäß neben der „Disqualifikation“ der fraglichen Bestimmungen kumulativ die positive Feststellung, ob diese Norm überhaupt berufen werden kann. Aufgrund dieser Einschränkung lässt sich mit Schurig von vornherein nur von einem „potentiell allseitig[en]“523 kollisionsrechtlichen System sprechen. Wann ein solches gemeineuropäisches Anwendungsinteresse zu bejahen ist, bedarf – da es sich hierbei in gewisser Weise auch um eine rechtspolitische Entscheidung handelt, zu welcher der europäische Gesetzgeber keine Stellung bezogen hat – der weiteren Diskussion und insbesondere der weiteren Rechtsentwicklung. Vorstellbar sind jedoch – wie bereits ausge521

Vgl. hierzu sub Kapitel 3 C.II.4.a)bb) (S. 245). Vgl. sub Kapitel 3 C.II.4.a)bb) (S. 242 f.). 523 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (237); sich anschließend MüKo-Sonnenberger Einl IPR Rn. 59; ders., IPRax 2003, 104 (114); Mäsch S. 147 f.; Brüning S. 176; Fetsch S. 39, 50; Kuckein S. 147. 522

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

führt – zwei Grundpositionen: Entweder beschränkt man die Beachtlichkeit ausländischer Eingriffsnormen zugunsten einer weitgehenden Gerechtigkeit inter partes auf das „Notwendige“ und bejaht ein Anwendungsinteresse an Normen, welche den öffentlichen Interessen des jeweiligen Erlassstaates zulasten der Privatautonomie Rechnung tragen, alleine dann, wenn dies in einem faktischen Sinne notwendig erscheint, so dass eine Regelungslücke erst dann anzunehmen wäre, wenn solche Interessen auch in anderen als den von Art. 9 III Rom I beschriebenen Fällen auf den Plan gerufen werden524. Oder man erkennt mit der hier vertretenen Meinung darüber hinaus auch ein Interesse an internationaler Ordnung an, das dann zu einer Regelungslücke führen kann, wenn die fragliche ausländische Bestimmung Ausdruck einer von allen europäischen Mitgliedstaaten geteilten Wertung ist, so dass wir im Sinne des kategorischen Imperativs eine solche Regelung auch Drittstaaten zugestehen, indem wir diese – bei entsprechend verwirklichtem Anknüpfungsmoment – vor europäischen Gerichten zur Anwendung bringen. Folgt man der hier vertretenen Meinung, so kommt eine Anwendung ausländischer Eingriffsnormen in den von Freitag525 und Leible/Lehmann526 genannten Fällen in Betracht: Sowohl für kulturgüterschutz- als auch fusionsrechtliche Bestimmungen besteht eine „gemeineuropäische Interessensympathie“ (vgl. hinsichtlich des Kulturgüterschutzes die EWG-VO Nr. 3911/92 vom 9. Dezember 1992 über die Ausfuhr von Kulturgütern, hinsichtlich der Fusionskontrolle die „EG-Fusionskontrollverordnung“ Nr. 139/2004 vom 20. Januar 2004), so dass die fraglichen Bestimmungen a priori einer statutsunabhängigen Anknüpfung zugänglich sind. Gleiches gilt für kartellrechtliche Regelungen, mit denen wir – aufgrund rechtsvereinheitlichender Akte – europaweit „sympathisieren“ und bei denen daher ein grundsätzliches europäisches Anwendungsinteresse zu bejahen ist, wie auch Art. 6 Rom II zum Ausdruck bringt.

Demnach stellt sich die kollisionsrechtliche Prüfung hinsichtlich der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen folgendermaßen dar: Zunächst ist in Ermangelung einer kodifizierten Kollisionsnorm die in Frage stehende527, sachlich einschlägige und daher bezüglich des in Frage stehenden Lebenssachverhaltes „regelungswillige“ Sachnorm zum Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Prüfung zu nehmen – da eine Sperrwirkung von 524

So etwa Thorn, vgl. Fn. 450. Vgl. sub Kapitel 3 D.I.1.b) (S. 267, Nachweis in Fn. 434) 526 Vgl. sub Kapitel 3 D.I.1.b) (S. 268, Nachweis in Fn. 435) 527 Welche Normen für die Beurteilung des vor den Richter getragenen Sachverhaltes konkret in Betracht zu ziehen sind (eine Frage, die sich im Übrigen ebenfalls im Rahmen einer sachrechtlichen Berücksichtigung normativer Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen, wie sie u.a. der BGH vertritt (vgl. Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 ff.)), stellt), kann sich zum einen aus dem Parteivortrag ergeben (so etwa, wenn sich eine Partei auf eine Vertragsnichtigkeit herbeiführende ausländische Bestimmung beruft), lässt sich jedoch zum anderen ebenfalls anhand eines allseitigen Ausbaus der für inländische Eingriffsnormen entwickelten Anknüpfungsgrundsätze ermitteln, vgl. hierzu sogleich. 525

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

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Art. 9 III/16 Rom I/II abzulehnen ist, unabhängig davon, ob die fragliche Norm dem Erfüllungsort entstammt oder nicht. Insoweit bedarf es zunächst der Prüfung, ob diese Norm bereits erfolgreich unter die bestehenden Kollisionsnormen qualifiziert werden kann. Ist dies nicht der Fall, so bedarf es zur Feststellung einer Regelungslücke im kollisionsrechtlichen System darüber hinaus der weiteren Prüfung, ob ein gemeineuropäisches Interesse an der Anwendung dieser ausländischen Norm besteht. Ist dies zu bejahen, so liegt eine Regelungslücke vor, welche im Wege systemimmanenter und damit kohärenter Rechtsfortbildung geschlossen werden muss. Hierfür maßgeblich sind nach obigen Ausführungen die durch die Sachnormzwecke implizierten kollisionsrechtlichen Interessen, anhand derer ein angemessenes Anknüpfungsmoment zu entwickeln ist. Dient die Norm öffentlichen Interessen des jeweiligen Erlassstaates, so ist – falls die Sachnorm nicht schon aufgrund einer sachrechtlichen Limitierung in casu unanwendbar ist – darüber hinaus deren internationaler Anwendungswille als teleologische Einschränkung des Anwendungsbefehls im Wege einer bedingten Verweisung zu prüfen. Angemerkt sei, dass die Rechtsanwendungsfrage für Eingriffsnormen nach hier vertretener Ansicht nicht nur „vom Gesetz her“, sondern auch „vom Sachverhalt her“ gestellt werden kann, was bereits im Voraus eine Einschränkung der für eine gesonderte Anknüpfung potentiell in Betracht kommenden ausländischen Eingriffsnormen ermöglicht und insoweit die konkrete „Rechtsauffindung“ erleichtert. Denn funktional vergleichbare Vorschriften gleich welcher Rechtsordnung implizieren dieselben kollisionsrechtlichen Interessen und erfordern damit stets dasselbe Anknüpfungsmoment, so dass sich die einzelnen, auf diese Bestimmungen bezogenen Individualkollisionsnormen horizontal „bündeln“ und damit in einer allseitig formulierten Kollisionsnorm zusammenfassen lassen. Verkörpert eine statutsunabhängig anzuknüpfende inländische Eingriffsnorm ein gemeineuropäisches Anwendungsinteresse, steht eine kollisionsrechtliche Regelungslücke hinsichtlich funktional vergleichbarer Normen anderer Rechtsordnungen a priori fest, so dass der dieser Bestimmung zugeordnete kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl allseitig erweitert werden kann. Das gemeineuropäische Anwendungsinteresse bildet folglich den „Kondensationskern“ für einen allseitigen Ausbau der für inländische Eingriffsnormen entwickelten Anknüpfungsgrundsätze. Demgemäß lassen sich etwa für (zivilrechtliche Verträge invalidierende) kulturgüterschutz-, fusions- und kartellrechtliche Bestimmungen, die aufgrund ihrer materiellrechtlich implizierten kollisionsrechtlichen Gemeininteressen nicht unter die regulären vertraglichen Kollisionsnormen qualifiziert werden können, vorab allseitige Kollisionsnormen formulieren, da sie Ausprägung eines gemeineuropäischen Anwendungsinteresses darstellen. Diese müssen jedoch nach dem Gesagten eine bedingte Verweisung auf den diesen Normen seitens des Erlassstaates beigefügten kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl als Kriterium der „Nichtanwendung“ vorsehen528.

528 Diese Bedingung hätte indes nur für drittstaatliche Eingriffsnormen Bedeutung, da der Anwendungsbefehl für mitgliedstaatliche Eingriffsnormen seitens des europäischen Rechts ausgesprochen und ein ggf. vorhandener nationaler Anwendungsbefehl verdrängt

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

III. Die Behandlung ausländischer Normen des Sonderprivatrechts Anhand der bisher gewonnenen Erkenntnisse kann ebenfalls die Frage nach der kollisionsrechtlichen Behandlung ausländischer Normen des Sonderprivatrechts beantwortet werden. Wie bereits ausgeführt wurde529, sind auch solche Bestimmungen möglicherweise einer von den herkömmlichen kodifizierten Kollisionsnormen unabhängigen Anknüpfung zugänglich, weil sie aufgrund ihrer spezifischen Sachnormzwecke besondere kollisionsrechtliche Interessen implizieren, denen die kodifizierten Kollisionsnormen möglicherweise nicht Rechnung tragen können. Die Besonderheit liegt jedoch darin, dass Normen des Sonderprivatrechts – wenngleich ihnen durchaus auch öffentliche Zwecke zugrunde liegen – überwiegend privaten Interessen dienen, da sie auf die Verwirklichung der Gerechtigkeit inter partes bei gestörter Vertragsparität gerichtet sind530. Die den Normen auch zugrunde liegenden öffentlichen Sachnormzwecke spielen alleine eine untergeordnete Rolle, so dass solche Vorschriften für die gerechte Lösung einer Streitigkeit inter partes notwendig sind und das Anwendungsinteresse an diesen daher nicht – entgegen dem „klassischen“ Eingriffsrecht – a priori vermindert ist. Folglich können solche Normen zur Anwendung gebracht werden, ohne dass die für die Problematik ausländischer Eingriffsnormen typischen besonderen teleologischen Einschränkungen des zu entwickelnden Anwendungsbefehls erforderlich werden531. Man kann dies auch dahingehend formulieren, dass für „normales“ Zivilrecht eine „Legitimitätsvermutung“ besteht, die eine positive Prüfung des grundsätzlichen Anwendungsinteresses entbehrlich macht und die sich alleine am einzelfallorientierten ordre public brechen kann532, oder dahingehend, dass die Grundlage des allseitigen IPR in der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen bzw. in einer „praesumptio similitudinis“ liegt, die bei Eingriffsnormen aufgrund ihrer „politischen“ Normzwecke nicht gegeben sei – bei alledem handelt es sich um eine (unpräzise) phänologische Beschreibung desselben Problems, ohne jedoch eine Erklärung hierfür liefern zu können.

Steht demnach die Anwendbarkeit solcher ausländischen Normen – etwa Bestimmungen des sozialen Mietrechts – in Frage, so sind diese im Falle einer „Disqualifikation“ dann zur Anwendung zu bringen, wenn das im Wege der Rechtsfortbildung zu entwickelnde und auf diese Normen bezogene Anknüpfungsmoment erfüllt ist. Insoweit können die speziellen Indiwird, so dass nur der europäische Anwendungsbefehl Maßgeblichkeit entfalten kann; näher hierzu sub Kapitel 3 E.III (S. 309 ff.). 529 Siehe hierzu Kapitel 2 B.II.1.b) (S. 141 ff.) hinsichtlich Bestimmungen der lex fori. 530 Ausführlich hierzu insbesondere Kapitel 2 B.II.1.a) (S. 136 f.). 531 Wohl auch Kuckein S. 47; (aus der Perspektive eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems) auch Sonneberger, IPRax 2003, 104 (105). 532 So etwa Fetsch S. 72 f.

D. Anwendung über Art. 9 III Rom I hinaus

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vidualkollisionsnormen europäischer Herkunft ohne Schwierigkeit mit denjenigen, die auf die lex fori bezogen sind, gebündelt und demnach in einer allseitigen Kollisionsnorm zusammengefasst werden, ohne dass die Frage nach dem grundsätzlichen „Ob“ der Anwendung solcher Vorschriften im Voraus positiv geklärt werden müsste. Geht man mit der hier vertretenen Meinung533 beispielsweise davon aus, dass eine „sachnormzweckgerechte“ Anknüpfung der Bestimmungen des sozialen Mietrechts anhand des Belegenheitsortes der Wohnung zu erfolgen hat, lässt sich eine dementsprechende allseitige Kollisionsnorm bereits a priori als eine durch Rechtsfortbildung gewonnene „Relaisstation der Rechtsfindung“ formulieren. Insoweit erscheint – wie bereits ausgeführt wurde – eine Anlehnung an die bereits kodifizierten Fälle des Art. 6, 8 Rom I vorzugswürdig, so dass diese neu zu bildende „Kollisionsnorm für Wohnraummietrecht“ primär an die Rechtswahl der Parteien, verbunden mit einer kumulativen allseitigen Anknüpfung an das objektiv zu bestimmende Belegenheitsrecht, anknüpfen müsste. Liegt keine Rechtswahl vor, so trägt der allseitige Art. 4 I lit. c Rom I nach obigen Ausführungen den implizierten kollisionsrechtlichen Interessen Rechnung, so dass diese Kollisionsnorm das gesamte Vertragsstatut bestimmt. IV. Ergebnis Art. 9 III Rom I und 16 Rom II kommen nach vorzugswürdiger Ansicht keine „Sperrwirkung“ zu, so dass eine über den Wortlaut dieser Vorschriften hinausgehende Anwendung ausländischer Eingriffsnormen möglich ist. Sofern solche Normen nicht unter eine herkömmliche, bereits kodifizierte Kollisionsnorm qualifiziert werden können, sind diese im Wege kohärenter Rechtsfortbildung im Rahmen eines potentiell allseitigen Systems zur Anwendung zu bringen, sofern ein gemeineuropäisches Anwendungsinteresse und ein der fraglichen Bestimmung nach unseren autonomen Grundsätzen angemessener Inlandsbezug besteht. Für Normen des Sonderprivatrechts entfällt die positive Prüfung eines Anwendungsinteresses, weil diese Bestimmungen nach ihrer materiellen Struktur überwiegend der Gerechtigkeit inter partes dienen und das grundsätzliche Anwendungsinteresse an diesen Normen aus diesem Grunde durch den materiellen Regelungsgehalt nicht beeinflusst wird.

533

Vgl. hierzu Kapitel 2 B.II.1.b) (S. 146).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

E. Die Behandlung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen In den letzten Jahren wurde vermehrt darüber diskutiert, ob Eingriffsnormen anderer Mitgliedstaaten einer besonderen kollisionsrechtlichen Behandlung unterliegen müssen534. Hintergrund dieser Diskussion bildet vornehmlich die Beeinträchtigung des innereuropäischen Entscheidungseinklangs, welche mit unterschiedlichen Anwendungsvoraussetzungen für forumeigene und forumfremde Eingriffsnormen einhergehen. Geht man davon aus, dass jedes mitgliedstaatliche Forum einerseits seine eigenen Eingriffsnormen über Art. 9 II/16 Rom I/II durchsetzen kann, andererseits jedoch nicht verpflichtet ist, Eingriffsnormen anderer Mitgliedstaaten unter denjenigen Voraussetzungen zur Anwendung zu bringen, welche den jeweiligen mitgliedstaatlichen Erlassstaaten bei eigener Zuständigkeit zur Durchsetzung jener eingriffsrechtlichen Bestimmungen über Art. 9/16 Rom I/II berechtigten, so ist der Ausgang der Rechtsstreitigkeit trotz vereinheitlichten europäischen Kollisionsrechts weiterhin davon abhängig, welches Forum für die Beurteilung des Sachverhaltes zuständig ist. Da die EuGVVO konkurrierende Zuständigkeiten kennt und den Parteien insbesondere eine Vereinbarung des Gerichtsstands gestattet, wären zudem Anreize zum forum shopping gegeben, denen eigentlich mit der Vereinheitlichung des europäischen Kollisionsrechts der Boden entzogen werden sollte. Diesen Problemen lässt sich auf zwei Wegen begegnen: Entweder man beschränkt die Durchsetzung nationaler Eingriffsnormen auf ein Minimum, indem man auf Kosten der materiellen Gerechtigkeit allein übermäßig „wichtige“ Bestimmungen der lex fori im Wege einer statutsunabhängigen Anknüpfung zur Anwendung bringen lässt535, oder man postuliert – freilich auch kumulativ vorstellbar – eine Anwendungspflicht bezüglich solcher Bestimmungen, um auf diesem Wege den europäischen 534

Vgl. insbesondere: Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 94, 100; Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 205 (236-238), Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (662664); ders., FS Immenga, 331 (346 f.); von Wilmowsky S. 66-75; inhaltsgleich ders., RabelsZ 62 (1998), 1 (25-36); MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 203; ders., IPRax 2003, 104 (114); bereits ders., ZVglRWiss 95 (1996), 3 (39 f.); Wördemann S. 356-365; Fetsch S. 319-378; sympathisierend (ohne weitere Ausführungen) wohl auch Kropholler § 52 X (S. 503), der sich in Fn. 205 auf Roth, von Wilmowsky und Fetsch beruft; diskutierend und ablehnend: Stoll S. 347-355; Beulker S. 135-143; Kuckein S. 62 f., von Bar/Mankowski § 4 Rn. 117 f.; wohl auch Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 73 (Anwendungspflicht sei „zu weit gegriffen“; Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen sei aber „rechtspolitisch geboten“, so dass (wohl im Rahmen von Art. 9 III Rom I) eine „weitgehende Ermessensreduzierung“ stattfinde); ders., Eingriffsnormen, 129 (147 Fn. 74); Günther S. 108-119; Hauser S. 140-145. 535 Deutlich etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 508; ders., Einfach und international zwingende Normen, 167 (171 f.).

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

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Entscheidungseinklang zu maximieren. Letzteres bedarf im Folgenden einer näheren Untersuchung. I. Ausgangssituation Wenngleich die Kommission im Rahmen ihres Vorschlages zur Rom IVerordnung eine Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen „für einen echten europäischen Rechtsraum“ zumindest in denjenigen Fällen „als wesentlich“ erachtete, in welchen eine enge Verbindung zu dem mitgliedstaatlichen Erlassstaat besteht und dessen Gerichte aufgrund alternativer Zuständigkeit die fraglichen Eingriffsnormen über Art. 9 II/16 Rom I/II ebenfalls hätten durchsetzen können536, haben solche Erwägungen weder in diesem Vorentwurf noch in den endgültigen Fassungen des Art. 9 Rom I und des Art. 16 Rom II einen Niederschlag im jeweiligen Normtext gefunden: Art. 9 Rom I differenziert alleine zwischen Eingriffsnormen der lex fori und derjenigen ausländischer Rechtsordnungen, Art. 16 Rom II erkennt seinem Wortlaut nach nur die Durchsetzung inländischer Eingriffsnormen an. Eine kollisionsrechtliche Sonderstellung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen gegenüber drittstaatlichen ist folglich vom Wortlaut der genannten Vorschriften nicht indiziert, was wiederum den Schluss nahelegt, die kollisionsrechtliche Behandlung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen unterliege keinen Besonderheiten. Ginge man hiervon aus, so unterfielen mitgliedstaatliche Eingriffsnormen den herkömmlichen Anknüpfungsgrundsätzen bezüglich der Anwendung forumfremder Eingriffsnormen. Dies zeitigt besonders dann missliche Folgen, wenn man mit beachtlichen Stimmen in der Literatur537 eine Sperrwirkung von Art. 9 III/16 Rom I/II annimmt: Wenngleich jedes zuständige mitgliedstaatliche Gericht Eingriffsnormen der lex fori durchsetzen könnte, wäre es insoweit anderen Mitgliedstaaten verwehrt, diese Bestimmungen ebenfalls zur Anwendung zu bringen – im Bereich des Internationalen Deliktsrechts stets, im Bereich des Internationalen Vertragsrechts zumindest dann, wenn die engen Voraussetzungen des Art. 9 III Rom I nicht erfüllt wären. Lehnt man mit der hier vertretenen Ansicht richtigerweise eine solche „Sperrwirkung“ ab538, so entschärft sich die Situation deutlich, da mitgliedstaatliche Eingriffsnormen zumindest dann zur Anwendung gebracht werden müssten, wenn das auf sie bezogene (und von Seiten des europäischen Kollisionsrechts zu entwickelnde) Anknüpfungsmoment erfüllt wäre und diese Norm Ausdruck eines europäischen „shared value“ darstellte. Demzufolge könnten unproblematisch 536

Hierzu der Kommissionsvorschlag zur Rom I-Verordnung, KOM (2005) 650 endg., S. 8. 537 Nachweise in Fn. 445 (bzgl. Art. 9 III Rom I) und Fn. 463 (bzgl. Art. 16 Rom II). 538 Hierzu sub Kapitel 3 D.I.1 (S. 265).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

diejenigen mitgliedstaatlichen Eingriffsnormen zur Anwendung gebracht werden, welche auf einer europäischen Rechtsgrundlage – sei es einer Verordnung, sei es einer Richtlinie – basieren, da insoweit ein gemeineuropäisches Anwendungsinteresse als Grund und Legitimation für die Anwendung „fremden“ Rechts bestünde539. Ein Beispiel hierfür bildete die kollisionsrechtliche Durchsetzung des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters. Da es sich bei den fraglichen nationalen Umsetzungsvorschriften aufgrund der Rechtsprechung des EuGH um Eingriffsnormen im materiellen Sinne handelt540, könnten entsprechende Umsetzungsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates zur Anwendung gebracht werden, wenn zu diesem ein ausreichender Inlandsbezug besteht (was nach obigen Ausführungen dann der Fall ist, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat ausübt), eine Durchsetzung der forumeigenen Bestimmungen aber mangels ausreichenden Inlandsbezugs nicht gegeben ist 541.

Doch auch wenn man mit der hier vertretenen Meinung eine „Sperrwirkung“ von Art. 9 III/16 Rom I/II ablehnt, wäre keinesfalls vollständiger europäischer Entscheidungseinklang gewährleistet, da mitgliedstaatliche Eingriffsnormen rein nationalen Ursprungs ggf. nicht von einem gemeineuropäischen Anwendungsinteresse getragen werden: Dann kann der Fall eintreten, dass eine bestimmte Eingriffsnorm zwar von Seiten des mitgliedstaatlichen Erlassstaates über Art. 9 II/16 Rom I/II durchgesetzt werden könnte, jedoch nicht von anderen mitgliedstaatlichen Gerichten, weil es eben an jenem europäischen Anwendungsinteresse als „kleinstem gemeinsamen Nenner“ fehlt, mag das zuständige Gericht mit dieser Norm auch konkret sympathisieren, weil die lex fori ebenfalls eine entsprechende Regelung kennt. Demgemäß entfaltet die Frage nach einer besonderen Behandlung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen auch dann Relevanz, wenn man einer Sperrwirkung von Art. 9 III/16 Rom I/II eine Absage erteilt. Dieser soll im Folgenden nachgegangen werden. II. Primärrechtliche Anwendungspflicht für mitgliedstaatliche Eingriffsnormen Eine besondere kollisionsrechtliche Behandlung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen wurde bislang ausschließlich unter dem Gesichtspunkt zwingender primärrechtlicher Vorgaben diskutiert542. Dies ist auch nicht 539

Mit anderer Begründung im Ergebnis ebenso Remien, FS von Hoffmann, 334 (339 f.). 540 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 2 B.II.2.c)bb) (S. 154 ff.). 541 So auch bereits der Vorschlag von Schurig, FS Jayme, 837 (846 f.) unter der alten Rechtslage. 542 Außen vorbleiben können die Fälle, in denen bereits eine positivrechtliche Anwendungspflicht hinsichtlich mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen kodifiziert ist. Bestehen solche ausdrücklichen Kollisionsnormen – etwa in Sekundärrechtsakten, vgl. die

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

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weiter verwunderlich, da der maßgebliche kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl für ausländische Eingriffsnormen zumindest bis zum Inkrafttreten der Rom-Verordnungen unzweifelhaft dem jeweiligen nationalen Kollisionsrecht entstammte543 und sich eine für alle Mitgliedstaaten verbindliche Anwendungspflicht mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen mangels verbindlichen Einheitsrechts544 überhaupt nur aus dem Primärrecht ergeben konnte. Entnimmt man mit der wohl bislang einhellig vertretenen Ansicht545 auch nach Inkrafttreten der rechtsvereinheitlichenden europäischen Kollisionsrechtsakte den maßgeblichen Anwendungsbefehl für Eingriffsnormen weiterhin dem jeweiligen nationalen Recht, hat sich an dieser Ausgangssituation grundsätzlich nichts geändert, so dass bei Zugrundelegung einer solchen Prämisse auch künftig das Augenmerk auf der Begründung einer primärrechtlichen Anwendungspflicht liegen dürfte546. Die entscheidende Schwierigkeit eines solchen Begründungsansatzes liegt darin, aus dem Primärrecht eine die einzelnen Mitgliedstaaten unmittelbar bindende Anwendungspflicht bezüglich mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen herzuleiten. Als einer der ersten stellte hierfür Kreuzer – Beispiele sub Kapitel 3 E.II.2 (S. 301 f.) –, so sind diese als leges speciales (auch unter Geltung der Rom-Verordnungen, vgl. Art. 23 Rom I, Art. 27 Rom II) vorrangig anzuwenden. 543 Auch diejenigen Staaten, die Art. 7 I EVÜ in nationales Recht übernommen haben, bedurften – zumindest nach dem dualistischen Völkerrechtsverständnis – eines nationalen Transformationsgesetzes, so dass die einzelnen nationalen Umsetzungsnormen bzgl. Art. 7 I EVÜ zwar staatsvertraglichen Ursprungs waren, jedoch gerade aufgrund dieses Umsetzungserfordernisses – bezogen auf ihre Rechtsqualität – nationales Recht darstellten. Folglich beriefen verschiedene nationale Anwendungsbefehle die fraglichen Eingriffsnormen. Anders ist dies nunmehr seit Inkrafttreten der Rom-Verordnungen, da diese in allen Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht darstellen; zu den Konsequenzen siehe sub Kapitel 3 E.III.1 (S. 309 ff.). 544 Wenngleich das EVÜ durchaus im Hinblick auf seinen rechtsvereinheitlichenden Charakter einheitlich auszulegen war (Art. 18 EVÜ), enthielt dieses – jedenfalls nach h.M. – keine verbindlichen Vorgaben für die Eingriffsnormenproblematik: Art. 7 II EVÜ stellte nach dieser (vgl. hierzu die Nachweise in Kapitel 1 Fn. 13) schlicht eine Öffnungsklausel zugunsten nationalen Eingriffsrechts dar, ebenso wie Art. 7 I EVÜ, der die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen zwar erlaubte, jedoch nicht erzwang (und im Übrigen in Deutschland, England und Luxemburg aufgrund der von diesen Staaten wahrgenommenen Vorbehaltsmöglichkeit des Art. 22 I lit. a EVÜ nicht galt). 545 Nachweise Fn. 92. 546 Zwingend erscheint dies freilich nicht. Auch wenn man von der Ausgangsprämisse eines nationalen Anwendungsbefehls ausgeht, so kann doch nicht übersehen werden, dass der in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltende Art. 9 III Rom I zumindest gewisse normative Vorgaben macht, die sich ggf. nicht nur zu einer primärrechtlichen, sondern auch zu einer sekundärrechtlichen Anwendungspflicht verdichten könnten; insoweit könnten die sub Kapitel 3 E.III.2 (S. 313 ff.) ausgeführten teleologischen Erwägungen zur Begründung einer sekundärrechtlichen Anwendungspflicht auch unter der Ausgangsprämisse eines nationalen Anwendungsbefehls angebracht werden.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

wenn auch noch ohne nähere Begründung – auf den Grundsatz der „Gemeinschaftstreue“ ab, der eine „grundsätzliche[] Berücksichtigungspflicht“ solcher Normen gebiete547. Dieser Grundsatz, der früher in Art. 10 EGV a.F., nunmehr in Art. 4 III 2 EUV positivrechtlichen Niederschlag gefunden hat, vermag indes alleine keine unmittelbaren Pflichten der Mitgliedstaaten begründen 548 . Es ist bereits streitig, ob Art. 4 III 2 EUV horizontal wirkende, also die einzelnen Mitgliedstaaten untereinander bindende Pflichten konstituieren und somit überhaupt als Grundlage für eine gegenseitige Anwendungspflicht herangezogen werden kann 549 . Auch wenn dies mit der überwiegenden Ansicht zu bejahen sein dürfte550, so stellt Art. 4 III 2 EUV dennoch keine „unerschöpfliche Fundgrube für Rechtspflichten der Mitgliedstaaten“551 dar, mit welcher sich neue Stufen der Integration erreichen ließen 552 , sondern dient ausschließlich der „pflichtenakzessorischen Absicherung“ des Unionsrechts553: Art. 4 III 2 EUV trägt einer möglichst wirkungsvollen Durchsetzung bereits erlassener Unionsrechtsakte Rechnung und begründet folglich alleine auf diese bezogene („Hilfs“-) Pflichten, jedoch keine davon unabhängigen, quasi ex nihilo zu entwickelnden eigenständigen („Haupt“-) Pflichten ohne Anbindung an ein bereits primär- oder sekundärrechtlich kodifiziertes Regelungsziel554. Voraussetzung einer auf Art. 4 III 2 EUV gestützten mitgliedstaatlichen Anwendungspflicht ist demnach ein durch das Primär- oder

547

Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 94, 100; ähnlich wohl Drobnig, RabelsZ 52 (1988), 1 (3), der die Frage nach einer allgemeinen Solidaritätspflicht zwischen den Mitgliedstaaten aufwirft, die eine gegenseitige Anwendung von Eingriffsnormen gebieten könne. Neuerdings möglicherweise auch Roth, EWS 2011, 314 (326), wenngleich der Verweis auf seine früheren Arbeiten (vgl. a.a.O. Fn. 178) die Vermutung nahelegt, dass mit diesen (kurzen) Ausführungen kein Abrücken von seinem bislang vertretenen Begründungsansatz – hierzu sub Kapitel 3 E.II.3 (S. 303 ff.) – einhergeht. 548 So die überwiegende Ansicht, vgl. etwa MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 203; ders., IPRax 2003, 104 (114); Wördemann S. 360; Fetsch S. 321-328 (Art. 10 EGV a.F. ist nur „Basisnorm“); Beulker S. 137 f.; von Bar/Mankowski § 4 Rn. 117. 549 Dies grundsätzlich bezweifelnd von Bar/Mankowski § 4 Rn.117. 550 Vgl. etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 539; Fetsch S. 325; Wördemann S. 360 (jeweils m.N. aus der Rechtsprechung des EuGH); von Wilmowsky S. 70; ders., RabelsZ 62 (1998), 1 (30); aus der europarechtlichen Literatur: Calliess/Ruffert-Kahl Art. 4 EUV Rn. 45; von der Groeben/Schwarze-Zuleeg Art. 10 EGV Rn. 12. 551 Fetsch S. 322. 552 Von Wilmowsky S. 71; ders., RabelsZ 62 (1998), 1 (30); Fetsch S. 322. 553 Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 117; ebenso Fetsch S. 324 (spricht von „akzessorische[r] Funktionssicherung der Gemeinschaft“); Calliess/Ruffert-Kahl Art. 4 EUV Rn. 46; Grabitz/Hilf/Nettesheim-von Bogdandy/Schill Art. 4 EUV Rn. 57 (deutlicher jedoch die Vorauflage Grabitz/Hilf/Nettesheim-von Bogdandy (2009) Art. 10 EGV Rn. 14). 554 Deutlich insbesondere Wördemann S. 360 f.; Fetsch S. 324.

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

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Sekundärrecht bereits vorgegebenes, hinreichend bestimmtes 555 Regelungsziel, das erst im Zusammenspiel mit dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue eine solche horizontal wirkende Anwendungspflicht bezüglich mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen erforderlich werden lässt556. Die Frage, woraus sich ein solches unionsrechtliches Regelungsziel ergeben soll, wird von den Vertretern einer primärrechtlichen Anwendungspflicht jedoch nicht einheitlich beantwortet557. 1. Sogenanntes „Herkunftslandprinzip“ Der – soweit ersichtlich – überhaupt erste Begründungsversuch für eine primärrechtlich verankerte, wenngleich partielle Anwendungspflicht bezüglich mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen wurde von Mestmäcker unternommen: Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Grundfreiheiten den einzelnen Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen untersagen, eigene Regelungen hinsichtlich der Verkehrsfähigkeit bestimmter Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat in den Verkehr gebracht wurden, durchzusetzen558, folgert Mestmäcker, dass „die Verkehrsfähigkeit von Waren im Gemeinsamen Markt grundsätzlich nach dem Recht des Landes zu beurteilen ist, in dem diese Waren zuerst in den Verkehr gebracht wurden (Herkunftsland)“559. In den Fällen, in welchen aufgrund des Primärrechts „die Normen des Herkunftslandes über die Verkehrsfähigkeit einer Ware entscheiden, müssen diese Normen im Streitfall von den Gerichten im Bestimmungsland angewendet werden“560. Demnach korreliert für Mestmäcker das sich aus den Grundfreiheiten ergebende Verbot, nationale Bestimmungen in bestimmten Konstellationen zur Anwendung zu bringen, unmittelbar mit einer Anwendungspflicht bezüglich derjenigen Vorschriften, nach denen sich die Verkehrsfähigkeit im Binnenmarkt zumindest faktisch bestimmt; eine Anwendungspflicht mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen ist damit a priori alleine auf diese Konstellationen beschränkt. Dieser Begründungsansatz vermag indes nicht zu überzeugen. Unterbinden die Grundfreiheiten die Anwendung von Bestimmungen nationaler Herkunft, so erfolgt dies funktional ausschließlich auf sachrechtlicher 555 Zu diesem Erfordernis Fetsch S. 324 f.; Grabitz/Hilf/Nettesheim-von Bogdandy (2009) Art. 10 EGV Rn. 15-21. 556 Näher hierzu Wördemann S. 360 f.; Fetsch S. 321-328. 557 Vgl. hierzu auch die ausführlichen Darstellungen bei Fetsch S. 328-375; Beulker S. 135-143; von Wilmowsky S. 66-75; ders., RabelsZ 62 (1998), 1 (25-36); Wördemann S. 356-365. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an der systematisierenden Einteilung der Genannten. 558 Grundlegend EuGH 20.02.1979 – Rs. 120/78 (Cassis de Dijon). 559 Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 205 (236). 560 Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 205 (237).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Ebene: Die (kollisionsrechtlich anwendbaren) materiellen Grundfreiheiten, die in jedem Mitgliedstaat unmittelbar gelten und vorrangig zu beachten sind, verdrängen aufgrund ihres Anwendungsvorrangs (kollisionsrechtlich anwendbare) nationale Sachnormen, wenn letztere gegen jene verstoßen561. Folglich modifizieren die Grundfreiheiten alleine die sachrechtliche Rechtslage eines Mitgliedstaates, treffen jedoch keinesfalls eine Aussage über die kollisionsrechtliche An- oder Nichtanwendbarkeit inhaltlich konkurrierender Rechtssätze des Herkunftsstaates562. Wenngleich der EuGH in der Cassis de Dijon-Entscheidung, auf welche sich Mestmäcker beruft, zur Begründung eines Verstoßes gegen die Warenverkehrsfreiheit durch nationale Bestimmungen über die Verkehrsfähigkeit von Waren maßgeblich darauf abstellte, dass die Ware in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurde563, liegt hierin indes keine kollisionsrechtliche Normanwendung (im Sinne eines Abstellens auf den konkreten normativen Gehalt der betroffenen Vorschriften564), sondern alleine die Berücksichtigung einer Tatsache (Existenz bestimmter Normen und Kontrollen im Herkunftsland als Garant für ein bestimmtes Schutzniveau) im Rahmen der materiellrechtlichen Erforderlichkeitsprüfung des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 565. Da dieser in casu verletzt war, folgte hieraus schlicht die Nichtanwendung nationaler Bestimmungen, nicht jedoch die kollisionsrechtliche Anwendung der Bestimmungen des Herkunftsstaates.

Auch wenn dem Herkunftslandprinzip als solchem demnach keine unmittelbaren kollisionsrechtlichen Vorgaben entnommen werden können, so könnte dieses möglicherweise i.V.m. Art. 4 III 2 EUV eine Anwendungspflicht bezüglich der Normen des Herkunftslandes begründen. Hierfür bedürfte es nach obigen Ausführungen eines unionsrechtlichen Regelungsziels, welches ohne eine ungeschriebene akzessorische „Hilfspflicht“ der Mitgliedstaaten nicht zu verwirklichen wäre. Wenngleich bereits zweifelhaft erscheint, ob das Herkunftslandprinzip überhaupt ein solches unionsrechtliches Regelungsziel darstellen kann566, scheitert ein dahingehender Begründungsansatz jedoch zumindest an der fehlenden Erforderlichkeit einer „akzessorischen Funktionssicherung“ dieses Ziels durch eigene Maß561

Vgl. hierzu bereits sub Kapitel 2 C (S. 163 ff.). Hinsichtlich Letzterem treffend Engel, RabelsZ 52 (1988), 271 (295); Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (663); von Wilmowsky S. 69; ders., RabelsZ 62 (1998), 1 (28 f.); Wördemann S. 358; Fetsch S. 114, 332; Stoll S. 353; Beulker S. 136. 563 Nachweis in Fn. 558. 564 Vgl. hierzu sub Kapitel 3 B.I.2 (S. 180 ff.). 565 So zutreffend Fetsch S. 114, 332; Beulker S. 138 (bezüglich der Arblade-Entscheidung, EuGH 23.11.1999 – Rs. C-369/96): „Herkunftslandprinzip fungiert [...] als zusätzlicher Maßstab der Verhältnismäßigkeit“. 566 Zweifeln lässt sich daran deswegen, weil das Herkunftslandprinzip als solches im Primärrecht keine ausdrückliche Regelung gefunden hat und alleine eine Konkretisierung der materiellen Anforderungen der Grundfreiheiten darstellt – das Herkunftslandprinzip lässt sich somit schwerlich als eigenständige primärrechtliche Zielvorgabe begreifen. 562

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

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nahmen der Mitgliedstaaten, weil die in jedem Mitgliedstaat bereits unmittelbar geltenden Grundfreiheiten das (sich aus deren materiellen Anforderungen ergebende) Herkunftslandprinzip auch ohne eine zusätzliche Anwendungspflicht der Mitgliedstaaten bezüglich der Bestimmungen des Herkunftslandes verwirklichen können. Eine Herleitung einer (partiellen) Anwendungspflicht mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen anhand des sich aus den Grundfreiheiten ergebenden Herkunftslandprinzips ist folglich abzulehnen567. 2. Unionsrechtliche Zuweisung von Regelungszuständigkeiten an die einzelnen Mitgliedstaaten Einen weiteren, auf den Gedanken von Mestmäcker aufbauenden Ansatz zur Begründung einer – ebenfalls partiellen – Anwendungspflicht mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen wird von Sonnenberger vertreten. Sein theoretischer Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass das primär- und sekundärrechtliche Unionsrecht in bestimmten Bereichen einzelnen Mitgliedstaaten „Regelungskompetenzen“ 568 zuweise, deren legitime Wahrnehmung auch andere Mitgliedstaaten – vermittelt über den Grundsatz der Gemeinschaftstreue – durch die Anwendung der nach dieser Kompetenzverteilung „zuständigen“ Rechtsordnungen unterstützen müssten, da es „widersprüchlich [wäre], die Mitgliedstaaten infolge der vom Gemeinschaftsrecht angeordneten Zuständigkeitskonzentration zur Unterlassung eigener Regelungen zu verpflichten, ohne gleichzeitig zwecks Verwirklichung der Gemeinschaftspolitik eine Pflicht zur Anwendung der vom zuständigen Mitgliedstaat erlassenen Vorschriften zu begründen“569. Daher stelle die „Festlegung vergemeinschaftlichter Politikfelder, EG-rechtliche Zuweisung von Regelungskompetenzen an die Mitgliedstaaten und in Verbindung damit das aus dem Subsidiaritätsprinzip resultierende Verbot der Gemeinschaft, selbst tätig zu werden“, die Grundlage für eine aus Art. 4 III 2 EUV folgende gegenseitige Pflicht zur Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen in den betroffenen Materien dar570. Den eher kryptischen Ausführungen571 Sonnenbergers lässt sich entnehmen, dass die postulierte primärrechtliche Zuweisung von Regelungskompetenzen an einzelne Mitgliedstaaten insbesondere durch die Grundfreiheiten erfolge. 567

Ablehnend auch die in Fn. 562 Genannten. Deutlich insbesondere Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (114). 569 Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (114). 570 Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (114); MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 203; die Frage bereits aufwerfend ders., ZVglRWiss 95 (1996), 3 (40). 571 So sei die primärrechtliche Zuweisung von Regelungszuständigkeiten (und damit verbundene Anwendungspflicht mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen) „im Arblade-Urteil des EuGH [...] evident“; vgl. Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (114). 568

300

3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Der Verweis auf Mestmäcker572 legt darüber hinaus nahe, dass eine solche dann anzunehmen sei, wenn die Grundfreiheiten einerseits bestimmten Mitgliedstaaten im Sinne des „Herkunftslandprinzips“ die Durchsetzung ihrer eigenen Vorschriften gestatten, anderen Mitgliedstaaten jedoch zugleich die Durchsetzung ihrer eigenen (inhaltlich konkurrierenden) Regelungen verbieten, so dass dem Ansatz von Mestmäcker im Ergebnis ein anderes theoretisches Fundament gegeben wird. Demgegenüber nimmt Sonnenberger eine sekundärrechtliche Zuweisung von Regelungskompetenzen an einzelne Mitgliedstaaten insbesondere dann an, wenn einzelne Verordnungen oder Richtlinien anordnen, dass alle Mitgliedstaaten die in einem bestimmten Mitgliedstaat geltende Rechtslage anzuerkennen oder hinzunehmen haben573. Der Ausgangsprämisse Sonnenbergers, das Unionsrecht weise den einzelnen Mitgliedstaaten Regelungskompetenzen zu, die zugleich auch Bedeutung für die Frage nach der kollisionsrechtlichen Anwendung bestimmter Vorschriften in den betroffenen Rechtsmaterien entfaltet, begegnen indes auf mehreren Ebenen Bedenken. Wenngleich das Primärrecht und hier allen voran die Grundfreiheiten durchaus in bestimmten Konstellationen574 zu dem Ergebnis führen können, dass alleine ein Mitgliedstaat seine nationalen sachrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung bringen darf, weil die Durchsetzung inhaltlich konkurrierender Bestimmungen anderer Mitgliedstaaten gegen die Grundfreiheiten verstieße, so lässt sich in diesem phänologischen Faktum schwerlich eine bewusste Kompetenzzuweisung seitens des Primärrechts an einen „zuständigen“ Staat erblicken. Die materiellen Grundfreiheiten wirken, wie bereits ausgeführt575, alleine sachrechtlich, indem sie den jeweiligen rationalen Gehalt einer (kollisionsrechtlich berufenen) nationalen Sachnorm kraft ihres Anwendungsvorrangs als Teil der jeweiligen nationalen Rechtsordnung eines Mitgliedstaates „überlagern“ und ggf. grundfreiheitskonform modifizieren – sie beschränken daher allenfalls negativ, wenn man so will, die Kompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten zur Regelung bestimmter materieller Fallkonstellationen, sie begründen jedoch keinesfalls konstitutiv eine positive Gesetzgebungskompetenz bei einem bestimmten Mitgliedstaat. Denn Letzteres setzte voraus, dass der EU die fragliche Rechtsmaterie, die sie einem Mitgliedstaat konstitutiv zuweisen will, kompetenzrechtlich überhaupt zusteht. „Gewährt“ das Primärrecht positiv die Durchsetzung eigener nationaler Regelungen, nimmt der jeweilige Mitgliedstaat indes alleine 572

MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 203 Fn. 701. Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (114); vgl. hierzu die sogleich (S. 301 f.) folgenden Beispiele. 574 So etwa in der genannten Cassis de Dijon-Entscheidung, vgl. Fn. 558. 575 Vgl. sub Kapitel 3 E.II.1 (S. 297 ff.). 573

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

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seine ihm originär zustehende und nicht auf die EU übertragene Kompetenz wahr. Da der EU als Staatenverbund aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 4 EUV) die sogenannte „KompetenzKompetenz“ fehlt, kann die Wahrnehmung der nationalen Gesetzgebungskompetenz in dem von den Grundfreiheiten gewährten Rahmen folglich nicht als derivative primärrechtliche Zuweisung von grundsätzlich „europäischen“ Regelungskompetenzen verstanden werden, sondern ausschließlich als originäre Wahrnehmung nationaler Legislativkompetenzen. Damit entfällt jedoch bereits die Prämisse einer konstitutiven horizontalen Kompetenzverteilung durch das Primärrecht. Zuzugeben ist, dass eine solche als rein phänologisches Faktum besteht576, das man als „Kennzeichen des augenblicklichen Integrationszustandes“ 577 ansehen kann. Nur lässt sich hieraus kein verbindliches unionsrechtliches Regelungsziel herleiten, das i.V.m. dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue eine akzessorische Anwendungspflicht für die einzelnen Mitgliedstaaten hinsichtlich der „zuständigen“ Rechtsordnung begründen könnte578. Demgegenüber mag eine Zuweisung von Regelungszuständigkeiten im Bereich des Sekundärrechts zumindest im Ausgangspunkt möglich sein579, da in diesen Bereichen (von allen Mitgliedstaaten abgeleitete) Kompetenzen der EU bestehen, welche diese wiederum einzelnen Mitgliedstaaten zuweisen könnte. Jedoch begegnen einer solchen Vorstellung auch im Bereich des Sekundärrechts Bedenken. Die von Sonnenberger angeführten Bespiele für eine sekundärrechtliche Zuweisung von Regelungskompetenzen verlangen nach ihrem Wortlaut etwa, dass eine cessio legis/ein Schadensersatzanspruch nach dem Recht eines bestimmten Mitgliedstaates von allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist (so Art. 93 I, II VO/EWG Nr. 1408/71), dass die Durchführung einer Kabotage den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaates unterliege (Art. 3 I EG-VO Nr. 3921/91 und Art. 6 I EG-VO Nr. 3118/93580, Art. 4 I EG-VO Nr. 12/98) oder dass sich die Unrechtmäßigkeit einer Verbringung eines Kulturgutes aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates nach dessen Recht bestimmt (Art. 1 Nr. 2 1. Spiegelstrich Kulturgüterschutzrichtlinie581). In diesen Beispielen eine Zuweisung von Regelungskompetenzen an die einzelnen Mitgliedstaaten zu sehen, die i.V.m. dem primärrechtlichen Grundsatz der Gemeinschaftstreue zu einer 576

Heinemann, JZ 2002, 988 (989) spricht (hinsichtlich der diesbezüglichen Ausführungen von Fetsch) von einer „Metapher“. 577 So Fetsch S. 329. 578 Ebenso Fetsch S. 329; mit anderer Begründung ablehnend auch Beulker S. 138 f. 579 Dies wohl annehmend Beulker S. 133 f. 580 Zur Kabotage-Verordnung vgl. bereits Kapitel 2 Fn. 93. 581 Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15. März 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Anwendungspflicht hinsichtlich solcher Bestimmungen führte, geht indes fehl, da es sich hierbei lediglich um Verweisungen auf das Recht eines Mitgliedstaates handelt, also um reguläre Kollisionsnormen, die für jeden Mitgliedstaat – im Falle einer Verordnung – als unmittelbar geltendes Recht bzw. – im Falle einer Richtlinie – nach einem entsprechenden Umsetzungsakt verbindlich sind und sich auch als lex specialis ggf. gegen die Rom I/II-Verordnungen durchsetzen können 582 . Einer primärrechtlichen Herleitung einer Anwendungspflicht bedarf es hierfür folglich nicht, da sich eine solche bereits aus dem für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Sekundärrecht ergibt583. Das Abstellen auf eine unionsrechtliche Zuweisung von Regelungskompetenzen an einen einzelnen Mitgliedstaat zur Begründung einer sekundärrechtlichen Anwendungspflicht vermag insoweit ebenso wenig zu überzeugen. Abgesehen davon ist ein solcher Begründungsansatz, der Assoziationen zu der internationalistischen Schule584 – nunmehr jedoch auf unionsrechtlicher Grundlage – weckt, auch grundsätzlicher Kritik ausgesetzt, da die Ableitung des Kollisionsrechts aus existierenden oder schlicht postulierten „Kompetenzabgrenzungsnormen“ ungeeignet ist, die kollisionsrechtliche Frage angemessen zu beantworten. Insoweit lassen sich diesem Ansatz diejenigen Kritikpunkte entgegenhalten, die mit der Verkürzung der IPRGerechtigkeit auf einen reinen formalen Zuordnungsgehalt unter vollständiger Ausblendung spezifischer materieller Erwägungen einhergehen 585. Auch wenn die von Sonnenberger betonte unionsrechtliche Kompetenzzuweisung – etwa mit zunehmenden föderalen Elementen – existierte, so folgte hieraus keinesfalls zwangsläufig, dass jene auch die kollisionsrechtliche Behandlung der betreffenden Sachmaterien präjudizierte, da sich das rationale Element einer Sachnorm von dem imperativen Anwendungsbefehl, der im Übrigen im Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen sowieso von europäischer Seite ausgesprochen wird, trennen lässt und kompetenz- und kollisionsrechtliche Fragen folglich voneinander unabhängig beantwortet werden können. Zudem wurde mit dem Erlass der 582 So spricht auch Sonnenberger – MüKo-Sonnenberger Einl. IPR Rn. 203, jedoch anders ders., IPRax 2003, 104 (114) – in diesen Fällen treffend von positivrechtlicher Normierung einer Pflicht zur Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen; ebenso Stoll S. 348. 583 So wohl auch Beulker S. 133 f., die in diesen Fällen eine Anwendungspflicht alleine „aus dem Sinn und Zweck sekundärrechtlicher Zuweisung der Regelungskompetenz an einen Mitgliedstaat“ herleiten will, also nicht auf Art. 4 III 2 EUV rekurriert (vgl. auch die distanzierte Wiedergabe der Auffassung Sonnenbergers in Fn. 53). 584 Hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)aa) (S. 62 ff.). 585 Dies betrifft insbesondere den von der „politischen Schule“ erhobenen Vorwurf, das IPR stelle ein „wertneutrales Überrecht“ dar; vgl. hierzu ausführlich sub Kapitel 1 B.III.2.b) (S. 62 ff.).

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

303

Rom-Verordnungen deutlich, dass sich das europäische IPR keineswegs auf ein bloßes Kompetenzzuordnungsrecht verkürzen lässt, sondern dass jenem ein eigener, spezifisch kollisionsrechtlicher Gerechtigkeitsgehalt zukommt, der ohne Rücksicht auf irgendwelche Gesetzgebungskompetenzen der klassischen Suche nach der engsten Verbindung unter maßgeblicher Berücksichtigung der materiellen Gerechtigkeit verpflichtet ist. Auch mit Zunahme föderaler Elemente innerhalb der EU, die eine explizite Kompetenzabgrenzung ermöglichten, wäre eine Reduktion des kollisionsrechtlichen Gerechtigkeitsgehalts auf eine bloße Wiedergabe dieser föderalen Ordnung folglich abzulehnen. 3. Binnenmarktprinzip i.V.m. Art. 4 III 2 EUV Demgegenüber stehen in der Literatur weitere Ansätze, die eine Anwendungspflicht auch auf solche mitgliedstaatlichen Eingriffsnormen ausdehnen, die nicht in irgendeiner Weise primär- oder sekundärrechtlich „vergemeinschafteten Politikfeldern“ zuzuordnen sind. So leitet Roth eine potentiell jegliche mitgliedstaatliche Eingriffsnorm betreffende Anwendungspflicht ganz allgemein aus dem nunmehr in Art. 26 AEUV festgelegten primärrechtlichen Ziel her, den Binnenmarkt zu verwirklichen, da dieses die Verpflichtung der Mitgliedstaaten impliziere, „ihr Recht so auszugestalten, daß für die EG-Bürger trotz der Existenz nationaler Rechtsordnungen die daraus entstehenden Nachteile und Friktionen möglichst gering gehalten werden“586. Denn nur dann, „wenn die EG-Bürger im konkreten Fall unabhängig vom jeweils angegangenen Gericht mit der Anwendung derselben Rechtsordnung rechnen können, bestehen für sie – trotz des Fortbestehens unterschiedlicher Rechtsordnungen – binnenmarktähnliche Verhältnisse“587. Das Entscheidungsharmonie fordernde Binnenmarktprinzip verlange daher i.V.m. Art. 4 III 2 EUV „jedenfalls im Grundsatz“ die Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen588. Wenngleich Roth durchaus zuzugestehen ist, dass der durch die Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen gewonnene innereuropäische Entscheidungseinklang der Verwirklichung des Binnenmarktes Rechnung

586 Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (664); ders., Dienstleistungsfreiheit und Allgemeininteresse, 1 (40 f.); ebenfalls auf den Binnenmarkt zur Begründung einer Anwendungspflicht mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen abstellend Graf von Westphalen, NJW 1994, 2113 (2118). 587 Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (664); ebenso ders., Dienstleistungsfreiheit und Allgemeininteresse, 1 (40); zustimmend auch Wördemann S. 362. 588 Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (662-664); weniger zurückhaltend ders., Dienstleistungsfreiheit und Allgemeininteresse, 1 (40); sympathisierend, jedoch im Ergebnis offenlassend Wördemann S. 362-364.

304

3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

trägt589, erscheint doch zweifelhaft, ob anhand dieser allgemeinen Erwägungen eine primärrechtliche Anwendungspflicht für die einzelnen Mitgliedstaaten hergeleitet werden kann. Art. 26 AEUV berechtigt nach seinem Wortlaut ausschließlich die Union (und nicht die einzelnen Mitgliedstaaten)590 zum Erlass von erforderlichen Maßnahmen, die den Binnenmarkt verwirklichen bzw. sein Funktionieren gewährleisten. Dem Binnenmarktprinzip als solchem können folglich keine konkreten Vorgaben zur Art und Weise seiner Verwirklichung entnommen werden591, sondern es bedarf hierzu konkretisierender Rechtsakte, welche die Union in eigener rechtspolitischer Verantwortung erlassen kann. Ließe man die einzelnen Mitgliedstaaten entgegen dem Wortlaut von Art. 26 AEUV an dessen primärrechtlicher Zielvorgabe partizipieren und verpflichtete jene i.V.m. Art. 4 III 2 EUV damit zu eigenen originären binnenmarktverwirklichenden Maßnahmen, so griffe man in den der EU zugewiesenen legislativen Gestaltungsspielraum ein und führte letztlich das Verbot, im Rahmen von Art. 4 III EUV eigenständigen Hauptpflichten für die einzelnen Mitgliedstaaten ex nihilo zu entwickeln, ad absurdum 592. Die Herleitung einer primärrechtlichen Pflicht zur Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen aus Art. 26 AEUV i.V.m. Art. 4 III 2 EUV erscheint daher ebenfalls nicht überzeugend593. 4. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz i.V.m. Art. 4 III 2 EUV Einen anderen Ansatz bringt von Wilmowsky in die Diskussion, der zur Begründung einer primärrechtlichen Anwendungspflicht aus Art. 4 III 2 EUV auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abstellen will594: Da jede mitgliedstaatliche Norm der Grundfreiheiten- und damit der Verhältnismäßigkeitskontrolle unterliege, müsse jede Bestimmung – als erster Prüfungspunkt der unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeit – geeignet sein, ihr legitimes Regelungsziel auch in Fällen mit Auslandsberührung zu verfolgen. Hieraus ergäben sich gewisse Anforderungen an den Anwendungsbereich 589

Näher hierzu sub Kapitel 3 E.III.2.a) (S. 314 f.). Hierauf insbesondere abstellend Fetsch S. 330; Beulker S. 141, Stoll S. 354; Höpping S. 256. 591 Ebenso von Wilmowsky S. 70; ders., RabelsZ 62 (1998), 1 (29); Stoll S. 354; in diese Richtung tendierend auch Wördemann S. 364. 592 Aus diesem Grunde lässt Fetsch S. 330 diesen Ansatz an dem Bestimmtheitserfordernis des Art. 4 III 2 EUV (Nachweis Fn. 555) scheitern; ebenso Beulker S. 141. 593 Ablehnend von Wilmowsky S. 70; ders., RabelsZ 62 (1998), 1 (29); Höpping S. 256 f.; Fetsch S. 330 f.; Stoll S. 354; Beulker S. 141 f.; zweifelnd auch Wördemann S. 364. 594 Von Wilmowsky S. 70-75 (insbesondere S. 73 f.); ders., RabelsZ 62 (1998), 1 (2936, insbesondere 33). 590

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

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eingriffsrechtlicher Bestimmungen595, die einzuhalten der Verhältnismäßigkeitssatz nicht nur von dem Erlassstaat, sondern auch von anderen Mitgliedstaaten vermittelt durch den Grundsatz der Gemeinschaftstreue verlange: Denn indem die Mitgliedstaaten die fragliche Norm „auf grundfreiheitlich geschützte Transaktionen anwenden, dienen sie insofern dem Gemeinschaftsrecht, als sie dem Rechtssatz des Europarechts, wonach die Grundfreiheiten allein durch geeignete Eingriffsregelungen eingeschränkt werden dürfen, zur Umsetzung verhelfen“, und trügen auf diese Weise dazu bei, „daß Gemeinschaftsrecht größere Wirksamkeit entfalten kann“596. Auch dieser – etwas umständlich begründete – Ansatz ist indes Zweifeln ausgesetzt. Zunächst ist nicht recht ersichtlich, warum gerade der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Begründung einer Anwendungspflicht eine besondere Bedeutung einnehmen soll. Dieser bildet schlicht einen – primärrechtlich geforderten – Prüfungspunkt im Rahmen der regulären Grundfreiheitenkontrolle und dient – wie Fetsch zu Recht betont – in diesem Rahmen alleine der „Feinabwägung, welche dem groben Filter der Allgemeininteressen nachgeschaltet ist“ 597 . Demnach führt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allenfalls zur sachrechtlichen Nichtanwendung bestimmter nationaler Bestimmungen, enthält jedoch keinerlei (primärrechtliche und damit für alle Mitgliedstaaten verbindliche) Aussage über den kollisionsrechtlichen Anwendungsbereich verhältnismäßiger nationaler Bestimmungen598. Zudem überzeugt die Ausgangsprämisse nicht, dass die Verhältnismäßigkeit einer nationalen Bestimmung quasi zu deren „Vergemeinschaftung“ führe und als Ausdruck eines europarechtlich legitim wahrgenommenen Regelungsinteresses von allen anderen Mitgliedstaaten beachtet werden müsse. Ist eine nationale Bestimmung verhältnismäßig – oder besser: grundfreiheitenkonform –, so wird das nationale Regelungsinteresse von Seiten des Unionsrechts alleine anerkannt, nicht jedoch zu eigen gemacht599, so dass in der Durchsetzung einer nationalen Bestimmung entgegen von Wilmowsky a priori keine Verwirklichung des Europarechts gesehen werden kann600, sondern ausschließlich eine Verwirklichung des von Seiten des nationalen Gesetzgebers bezweckten Regelungsziels. Dann fehlt es jedoch an einer unionsrechtlichen Zielvorgabe, die Art. 4 III 2 EUV zur Begründung einer mitglied595

Beispiele hierzu: von Wilmowsky S. 74 f.; ders., RabelsZ 62 (1998), 1 (34-36). Von Wilmowsky S. 74; ders., RabelsZ 62 (1998), 1 (33). 597 Fetsch S. 342. 598 Näher hierzu bereits sub Kapitel 3 E.II.1 (S. 297 ff.). 599 So zu Recht Beulker S. 137; auch Wördemann S. 363 (deutlich Fn. 127). 600 Zumal die Grundfreiheiten keine positiven Kompetenzzuweisungen an die einzelnen Mitgliedstaaten vornehmen, vgl. hierzu sub Kapitel 3 E.II.2 (S. 299 ff.). 596

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

staatlichen Anwendungspflicht voraussetzt, so dass dieser Ansatz letztlich eine vom Grundsatz der Gemeinschaftstreue nicht gedeckte allgemeine Solidaritätspflicht postuliert601. 5. Zuständigkeits- und Verfahrenskonzentration i.V.m. Art. 4 III 2 EUV Den wohl umfangreichsten Begründungsversuch einer primärrechtlichen Anwendungspflicht unternahm bislang Fetsch 602. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist zunächst die Annahme, dass durch das vorrangig zu beachtende Europarecht ein „komplizierte[s] Kompetenzgefüge“ innerhalb der EU geschaffen wurde603, welches zu einem Auseinanderfallen der legislativen Wahrnehmung von Allgemeininteressen einerseits und ihrer gerichtlichen oder behördlichen Durchsetzung andererseits führen kann. Während es den Mitgliedstaaten mangels umfangreicher Kompetenzzuweisungen an die EU und aufgrund des in Art. 4 EUV verankerten Subsidiaritätsprinzips grundsätzlich freisteht, ihre Allgemeininteressen in dem von den Grundfreiheiten gewährten Rahmen durch Legislativakte umzusetzen – und diese mit dem Erlass grundfreiheitskonformer Rechtssätze folglich ein, wenngleich nicht vergemeinschaftetes, so doch von den Grundfreiheiten „legitimiertes“ und daher vom Gemeinschaftsrecht anerkanntes Allgemeininteresse wahrnehmen604 –, verhindern ggf. sekundärrechtliche Vorgaben die eigenverantwortliche Durchsetzung der europarechtlich legitim wahrgenommenen Allgemeininteressen. So verwehrt insbesondere die vorrangig zu beachtende EuGVVO605 den einzelnen Mitgliedstaaten zum einen die Schaffung eigener nationaler Zuständigkeiten, welche eine Durchsetzung eigenen Eingriffsrechts über Art. 9 II/16 Rom I/III ermöglichen könnten, und erschwert zum anderen im Rahmen des Anerkennungs- und speziell des Exequaturverfahrens zugunsten einer möglichst weitgehenden „Freizügigkeit von Urteilen“ die Durchsetzungsmöglichkeiten nationaler, legitim wahrgenommener Allgemeininteres-

601

So treffend Wördemann S. 360 f.; Fetsch S. 342; ablehnend ebenso Stoll S. 353 f. Fetsch S. 321-378, insbesondere S. 342-373; ihm folgend Armbrüster, VersR 2006, 1 (4 f.); bis vor kurzem auch Reithmann/Martiny-Freitag (6. Auflage) Rn. 469; ders., Einfach und international zwingende Normen, 167 (184 f.); anders jedoch nunmehr „jedenfalls unter der Geltung der Rom I-VO“ Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 538-541. Sympathisierend auch Roth, FS Immenga, 331 (346 f.); einschränkend Remien, FS von Hoffmann, 334 (340 f.). 603 Hierzu näher Fetsch S. 325 f.; kritisch Heinemann, JZ 2002, 988 (989). 604 Hierauf bereits abstellend Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (663); ders., Dienstleistungsfreiheit und Allgemeininteresse, 1 (40). 605 Gleiches gelte etwa nach Reithmann/Martiny-Freitag (6. Auflage) Rn. 469 auch für die EuEheVO. 602

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

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sen606. Zudem kann die von der EuGVVO vorgesehene Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung dazu führen, dass auch die regulär zuständigen Gerichte kraft Parteivereinbarung derogiert werden und es folglich dem Parteiverhalten überlassen bliebe, ob ein regulär zuständiger Staat seine legitim wahrgenommenen Allgemeininteressen durchsetzen kann607. Die mit der sekundärrechtlichen Vereinheitlichung verbundene Souveränitätsbeschränkung der einzelnen Mitgliedstaaten dürfe jedoch nicht zu Lasten dieser legitim wahrgenommenen nationalen Allgemeininteressen gehen, so dass die Souveränitätsbeschränkung mit einer sich aus Art. 4 III 2 EUV ergebenden Anwendungspflicht mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen zu kompensieren sei608. Dies folge insbesondere auch aus der mit der Vereinheitlichung des Prozessrechts bezweckten Verfahrenskonzentration609 bei einem einzigen Mitgliedstaat, der eine möglichst gemeinschaftsweit akzeptierte Entscheidung erlassen müsse610. Zur effektiven Verwirklichung dieses sekundärrechtlichen Gemeinschaftsziels sei es daher i.V.m. Art. 4 III 2 EUV erforderlich, Eingriffsnormen anderer Mitgliedstaaten anzuwenden, um auf diese Weise bereits im Vorfeld die Anerkennung und Vollstreckung auch in demjenigen Staat, der die fragliche Eingriffsnorm erlassen und insoweit europarechtlich „legitime“ Interessen wahrgenommen hat, sicherzustellen611. Wenngleich dieser Begründungsansatz von den bislang vorgeschlagenen noch am ehesten zu überzeugen vermag, begegnen auch diesem Bedenken. So ist die Annahme, die mit der fehlenden Durchsetzungsmöglichkeit legitim wahrgenommener Allgemeininteressen einhergehende Souveränitätsbeschränkung der einzelnen Mitgliedstaaten müsse durch eine primärrechtliche Anwendungspflicht kompensiert werden, durchaus rechtspolitisch wünschenswert, jedoch erscheint fraglich, ob diese Erwägung zur Begründung einer verbindlichen primärrechtlichen Anwendungspflicht wirklich genügt: Denn die konstatierte Souveränitätsbeschränkung der Mitgliedstaaten ist zunächst eine schlichte Folge der freiwilligen Über606

Fetsch 369-371; insbesondere auch Reithmann/Martiny-Freitag (6. Auflage) Rn. 469; ders., Einfach und international zwingende Normen, 167 (184 f.); ähnlich auch Roth, FS Immenga, 331 (346 f.). 607 Fetsch S. 349; auf diesen Punkt auch abstellend Roth, FS Immenga, 331 (346); ders., FS Kühne, 859 (878). 608 Fetsch S. 368 f.; hierauf insbesondere abstellend Reithmann/Martiny-Freitag (6. Auflage) Rn. 469; ders., Einfach und international zwingende Normen, 167 (184 f.: Anwendungspflicht sei „das kollisionsrechtliche Korrelat“ zu den rechtsvereinheitlichenden Maßnahmen im Bereich des Verfahrensrechts); ebenso Armbrüster, VersR 2006, 1 (4); sympathisierend auch Roth, FS Immenga, 331 (346 f.). 609 Hierzu näher Fetsch S. 361-364. 610 Fetsch S. 371. 611 Fetsch S. 371-373.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

tragung nationaler Kompetenzen auf die EU, so dass aus dieser alleine schwerlich eine Kompensationspflicht hergeleitet werden kann. Unangemessen erscheint die Souveränitätsbeschränkung nur deswegen, weil sie zu dem durchaus widersprüchlichen Ergebnis führt, dass die einzelnen Mitgliedstaaten ihre legitimen Interessen weiterhin originär durch Legislativakte wahrnehmen und bei eigener Zuständigkeit auch durchsetzen können, diese bei fehlender Zuständigkeit jedoch unbeachtlich werden sollen, wenngleich die „europarechtlich-legitimen“ nationalen Allgemeininteressen auch in einem solchen Falle tangiert sind. Hieraus eine kompensatorische „Solidaritätspflicht“ aus dem Primärrecht abzuleiten, erscheint jedoch zu weitgehend, da es wiederum an einem unionsrechtlichen Regelungsziel fehlt, zu dessen akzessorischer Durchsetzung Art. 4 III 2 EUV die einzelnen Mitgliedstaaten verpflichten könnte 612 . Überzeugender dürfte es demgegenüber sein, zur Begründung einer mitgliedstaatlichen Anwendungspflicht auf die von der EuGVVO bezweckte Verfahrenskonzentration und die damit verbundene Notwendigkeit, ein möglichst in allen Mitgliedstaaten anerkennungsfähiges Urteil zu erlassen, abzustellen. Denn insoweit existiert zumindest ein unionsrechtliches Regelungsziel, dessen effektive Durchsetzung über Art. 4 III 2 EUV eine primärrechtliche Anwendungspflicht begründen könnte. Ob aus diesem jedoch eine so weitreichende „funktionssichernde Pflicht“ abzuleiten ist, wie es Fetsch fordert, erscheint zumindest zweifelhaft, denn gerade der Erlass der rechtsvereinheitlichenden Rom I/II-Verordnungen verdeutlicht, dass es zur vollen „Funktionssicherung“ der EuGVVO eben weiterer legislativer Unionsrechtsakte bedarf, die das einheitliche europäische Zuständigkeits-, Anerkennungs- und Vollstreckungssystem ergänzen und ihm erst zu voller Wirksamkeit verhelfen. Dann ist es jedoch Aufgabe des Unionsgesetzgebers, die Funktionssicherung der EuGVVO durch Sekundärrechtsakte zu gewährleisten, und nicht der einzelnen Mitgliedstaaten. Der mit der postulierten primärrechtlichen Anwendungspflicht verbundene Vorgriff auf rechtsvereinheitlichende Kollisionsrechtsakte ließe sich zwar mit der Erwägung stützen, Eingriffsnormen stellten im Hinblick auf die ihnen zugrunde liegenden öffentlichen Normzwecke eine besondere Gefahr für die Anerkennungsfähigkeit und daraus resultierende „Freizügigkeit“ von mitgliedstaatlichen Urteilen dar, dennoch vermag auch diese Argumentation nicht restlos zu überzeugen. Denn einem solchen Einwand ließe sich entgegenhalten, dass es dem europäischen Gesetzgeber aufgrund der von Eingriffsnormen ausgehenden Gefahr für die gegenseitige Anerkennung gerade obliegen müsse, den Bereich kollisionsrechtlich zu regeln – denn wenn schon die Vereinheitlichung herkömmlicher Kollisionsnormen, die überwiegend Normen des privaten Interessenaus612

Die Durchsetzung legitim wahrgenommener nationaler Interessen stellt als solche kein unionsrechtliches Regelungsziel dar, da diese zwar vom Gemeinschaftsrecht anerkannt, jedoch nicht zu eigen gemacht werden; näher hierzu sub Kapitel 3 E.II.4 (S. 304 ff.).

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

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gleichs zum Gegenstand haben, zur Förderung der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung notwendig ist (so der Erwägungsgrund 4 Rom I/II), dann besteht erst recht eine solche Notwendigkeit für mitgliedstaatliche Eingriffsnormen. Folglich bleiben auch bei diesem Begründungsansatz Zweifel613.

6. Abschließende Stellungnahme Eine aus Art. 4 III 2 EUV abgeleitete primärrechtliche Anwendungspflicht hinsichtlich mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen ist nach alledem höchst fragwürdig. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein gewünschtes – und durchaus auch wünschenswertes – rechtspolitisches Ziel in Ermangelung einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage anhand des übergeordneten Primärrechts entwickelt werden soll, um auf diese Weise eine positivrechtliche Legitimation für die eigene rechtspolitische Vorstellung zu gewinnen. Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue dürfte letztlich jedoch zu „schwammig“ sein, um dies eindeutig bewerkstelligen zu können, so dass eine zweifelsfreie Klärung dieser Frage alleine dem EuGH obläge. Dieser Frage nachzugehen ist indes dann müßig, wenn sich bereits eine – ggf. von Seiten des Primärrechts zusätzlich geforderte – Anwendungspflicht bezüglich mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen aus den sekundärrechtlichen Rom-Verordnungen ergibt. Wäre dies der Fall, so entfiele die Notwendigkeit (und die Schwierigkeit), eine etwaige Anwendungspflicht mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen auf den die einzelnen Mitgliedstaaten unmittelbar und horizontal bindenden Art. 4 III 2 EUV zu stützen, da eine solche Bindung bereits aus den in den einzelnen Mitgliedstaaten unmittelbar geltenden kollisionsrechtlichen Verordnungen resultierte. Dem soll im Folgenden nachgegangen werden. III. Eigener Begründungsansatz: sekundärrechtliche Anwendungspflicht Geht man mit der hier vertretenen Ansicht davon aus, dass die Eingriffsnormenproblematik originär im europäischen IPR zu verorten ist und der notwendige kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl folglich von europäischer Seite ausgesprochen wird, so lässt sich – wenngleich vom Wortlaut der Art. 9/16 Rom I/II nicht indiziert – anhand der im Rahmen dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse ein neuer Begründungsansatz hinsichtlich der Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen herleiten. Hierzu bedarf es zunächst einer Vorüberlegung. 1. Strukturelle Erwägungen Entgegen früheren staatsvertraglichen Abkommen, die eines jeweils nationalen Transformationsaktes bedurften (also im Hinblick auf ihre Rechts613

Skeptisch ebenso Heinemann, JZ 2002, 988 (989); Beulker S. 140 f.

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

qualität nationales Recht darstellten)614, gelten die vorrangig zu beachtenden Rom I/II-Verordnungen unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, sind also als einheitliche Rechtsakte für die Gerichte jedes Mitgliedstaates verbindlich. Wendet ein mitgliedstaatliches Gericht auf einen Sachverhalt aufgrund entsprechender Verknüpfung sein Sachrecht an, so erfolgt dies im Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen anhand eines genuin europäischen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls, der sich analytisch betrachtet als sachliche oder vertikale Bündelung einzelner Individualkollisionsnormen zugunsten der lex fori darstellt615. Wäre ein anderes mitgliedstaatliches Gericht zur Beurteilung desselben Sachverhalts zuständig, so wäre dieses Gericht aufgrund der unmittelbaren Geltung der Rom-Verordnungen ebenfalls an diese Individualkollisionsnormen zugunsten bestimmter mitgliedstaatlicher Sachnormen gebunden, brächte also dieselben Sachnormen anhand desselben kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls zur Anwendung. Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Ist deutsches Recht etwa kraft objektiver Anknüpfung Vertragsstatut, werden die einzelnen vertraglichen Sachnormen des deutschen Rechts anhand der diesen Bestimmungen zugeordneten, (bei der Beurteilung eines Kaufvertrages) in Art. 4 I lit. a Rom I gebündelten Individualkollisionsnormen berufen. An diese einzelnen Kollisionsnormen sind nicht nur die deutschen, sondern zugleich auch alle anderen mitgliedstaatlichen Gerichte gebunden, so dass die in Rede stehenden deutschen Sachnormen vor jeglichem mitgliedstaatlichen Gericht stets anhand derselben Individualkollisionsnormen zur Anwendung gebracht werden.

Aus der unmittelbaren Geltung der kollisionsrechtlichen Verordnungen in den einzelnen Mitgliedstaaten folgt somit, dass ein und derselbe europäische Anwendungsbefehl zum einen – aus Sicht des mitgliedstaatlichen Erlassstaates der in den Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen fallenden Sachnormen – die Reichweite der lex fori bestimmt, zugleich jedoch auch für alle anderen Mitgliedstaaten einen unmittelbar verbindlichen Anwendungsbefehl zugunsten der fraglichen Sachrechtssätze des betreffenden Staates darstellt, so dass die Festlegung des Anwendungsbereiches der jeweiligen lex fori von Seiten des europäischen IPR zugleich präjudizierende Wirkung für alle anderen Mitgliedstaaten entfaltet. Überträgt man diese Erkenntnis auf mitgliedstaatliche Eingriffsnormen, so ist zunächst festzustellen, dass nach hier vertretener Ansicht616 auch Bestimmungen, „deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen“ werden, in den jeweiligen Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen fallen und 614

Vgl. hierzu Fn. 543. Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.3.a) (S. 84 f.). 616 Hierzu ausführlich sub Kapitel 2 A.III (S. 113 ff.). 615

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

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folglich das europäische IPR den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl für diese Sachnormen ausspricht. Kann eine solche Vorschrift erfolgreich unter eine bereits kodifizierte Kollisionsnorm qualifiziert werden, geht also die dieser Bestimmung gedanklich zugeordnete Individualkollisionsnorm in der allseitigen Bündelung auf, so ist die diese Sachnorm berufende Individualkollisionsnorm nach den bisherigen Ausführungen nicht nur für den mitgliedstaatlichen Erlassstaat, sondern auch für alle anderen Mitgliedstaaten verbindlich, eben weil sie in allen Mitgliedstaaten unmittelbar gilt – auf die besonderen Voraussetzungen für die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen kommt es insoweit überhaupt nicht an. Beispiele hierfür finden sich insbesondere im Kartelldeliktsrecht: Da sich etwa §§ 1, 33 GWB unter Art. 6 III Rom II qualifizieren lassen, wird der maßgebliche kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl für diese Sachnormen von einer bereits kodifizierten Kollisionsnorm ausgesprochen. Analytisch betrachtet stellt dieser Anwendungsbefehl wiederum eine (§§ 1, 33 GWB berufende, in Art. 6 III Rom II gebündelte) Individualkollisionsnorm dar, an die jedes mitgliedstaatliche Gericht – ohne weitere Voraussetzungen – unmittelbar gebunden ist. Folglich sind die unter Art. 6 III Rom II zu qualifizierenden mitgliedstaatlichen Sachnormen in jedem Mitgliedstaat unter denselben Voraussetzungen anzuwenden.

Gleiches muss dann jedoch ebenfalls für solche europäischen Individualkollisionsnormen zugunsten mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen gelten, die erst – mangels erfolgreicher Qualifikation der fraglichen Sachnormen (etwa § 1 GWB i.V.m. § 134 BGB) unter eine kodifizierte Kollisionsnorm – im Wege der Rechtsfortbildung zu entwickeln sind, da es sich hierbei ebenso um Kollisionsnormen europäischer Herkunft handelt, die wiederum a priori für alle Mitgliedstaaten Verbindlichkeit entfalten. Eine unterschiedliche Behandlung von bereits kodifizierten und erst modo legislatoris gewonnenen Kollisionsnormen dahingehend, dass alleine erstere für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind, letztere hingegen nur für den konkreten Forumstaat, ließe sich nicht überzeugend begründen, weil kein qualitativer Unterschied zwischen geschriebenem und ungeschriebenem Recht besteht. Demzufolge ergibt sich der für die Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen im materiellen Sinne erforderliche kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl bei Lichte betrachtet nicht erst aus Art. 9 III Rom I, sondern bereits aus Art. 9 II Rom I bzw. Art. 16 Rom II, weil der im Rahmen dieser Vorschriften zu entwickelnde kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl als unmittelbar geltendes Recht in allen Mitgliedstaaten verbindliches, vorrangig zu beachtendes Recht darstellt. So gesehen ist Art. 9 II Rom I gegenüber Art. 9 III Rom II die speziellere Bestimmung. Aus dieser Feststellung folgt, dass die Anwendungsvoraussetzungen für mitgliedstaatliche Eingriffsnormen im materiellen Sinne alleine nach denjenigen Kriterien bestimmt werden können, welche für Eingriffsnormen

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

der lex fori, nicht aber für drittstaatliche Eingriffsnormen gelten. Da für inländische Eingriffsnormen die Frage nach dem grundsätzlichen „Ob“ der Anwendung – entgegen drittstaatlichen Eingriffsnormen – stets mit einem „Ja“ zu beantwortet ist, also gerade keine positive „Legitimitätskontrolle“ notwendig ist617, sind mitgliedstaatliche Eingriffsnormen folglich immer dann anzuwenden, wenn das speziell auf diese bezogene, regelmäßig durch Rechtsfortbildung zu entwickelnde und insbesondere durch den EuGH zu überprüfende kollisionsrechtliche Anknüpfungsmoment in casu verwirklicht ist – und dies unabhängig davon, welches mitgliedstaatliche Gericht den konkret streitigen Sachverhalt zu entscheiden hat. Mit der verordnungsrechtlichen europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung wurde folglich ein – wenn man so will – autonomistisch-unilateralistisches europäisches „Binnenkollisionsrechtssystem“ geschaffen, weil der von Seiten des europäischen Gesetzgebers autonom festgelegte kollisionsrechtliche Anwendungsbereich nationaler Sachnormen zugleich für jeden anderen Mitgliedstaat Verbindlichkeit entfaltet, diese also an den – jedoch von Seiten des europäischen Gesetzgebers bestimmten – „Anwendungswillen“ der einzelnen nationalen Sachnormen gebunden sind. Anders als bei den bisher postulierten unilateralistischen Kollisionsrechtssystemen liegt hierin indes kein Bruch mit dem herkömmlichen kollisionsrechtlichen System 618 , da die kollisionsrechtliche Gerechtigkeitsentscheidung vollständig von Seiten des kompetenten Gesetzgebers getroffen wird (wir uns insoweit also nicht eine kollisionsrechtliche Gerechtigkeitsentscheidung eines ausländischen Souveräns zu eigen machen, sondern auf unsere eigene, nunmehr eben von Seiten des insoweit kompetenten europäischen Gesetzgebers getroffene autonome Gerechtigkeitsentscheidung abstellen) und die maßgeblichen Kollisionsgrundnormen 619, die nunmehr ebenfalls in europäische Kompetenz übergegangen sind, stets auf eigene (europäische) Kollisionsnormen verweisen, die wiederum eine autonome kollisionsrechtliche Entscheidung zugunsten eines mitgliedstaatlichen Rechtssatzes treffen. Das konstatierte europäische „Binnenkollisionsrechtssystem“ ist demnach eine schlichte Folge der Kompetenzübertragung auf die EU im Bereich des Internationalen Privatrechts und der unmittelbaren Geltung einer Verordnung als gewähltes Vereinheitlichungsinstrument in allen Mitgliedstaaten.

Damit lässt sich festhalten: Aus der unmittelbaren und einheitlichen Geltung der kollisionsrechtlichen Verordnungen in allen Mitgliedstaaten folgt, dass die in den jeweiligen Anwendungsbereich fallenden Sachnormen stets anhand derselben, von Seiten des europäischen Kollisionsrechts ausgesprochenen und für alle mitgliedstaatlichen Gerichte verbindlichen Individualkollisionsnorm berufen werden. Da der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl für Eingriffsnormen im materiellen Sinne ebenfalls von Seiten des europäischen IPR ausgesprochen wird, ist auch dieser Anwendungsbefehl für alle Mitgliedstaaten verbindlich und die Durchsetzung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen folglich alleine von denjenigen 617

Vgl. hierzu bereits sub Kapitel 3 C.II.4.a)bb) (S. 245). Hierzu ausführlich sub Kapitel 3 C.I.1.a) (S. 190 ff.). 619 Vgl. hierzu sub Kapitel 3 C.I.1.a) (S. 193 f.). 618

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

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Voraussetzungen abhängig, die an die Durchsetzung für Eingriffsnormen der lex fori zu stellen sind. 2. Teleologische Erwägungen im Rahmen des Sekundärrechtsaktes Diesem Ansatz ließe sich entgegenhalten, dass Art. 9 II/16 Rom I/II nach ihrem jeweiligen Wortlaut alleine dem Forumstaat die Durchsetzung seiner Eingriffsnormen erlaubten, nicht jedoch die Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen. Durchgreifen könnte dieser Einwand indes nur, wenn der Wortlaut dieser sog. „Öffnungsklauseln“ Ausdruck einer spezifischen gesetzgeberischen Wertung dahingehend darstellte, dass die im Rahmen dieser Vorschriften zu entwickelnden Kollisionsnormen nicht an der Vorrangwirkung der Rom-Verordnungen partizipieren und daher alleine für den Forumstaat Verbindlichkeit entfalten. Eine solche Wertung kann der europäische Gesetzgeber jedoch gar nicht getroffen haben: Denn dieser legte – wie bereits dargestellt620 – Art. 9 II/16 Rom I/II das Konzept der lois d’application immédiate zugrunde, verkannte somit bereits die Notwendigkeit besonderer Kollisionsnormen für eine statutsunabhängige Anknüpfung und konnte damit auch keine Entscheidung darüber treffen, welche Folgen mit solchen europäischen Kollisionsnormen einhergehen sollen. Der Regelungsgehalt von Art. 9 II/16 Rom I/II steht dem hier entwickelten Ansatz folglich nicht entgegen, er beschränkt sich nach den obigen Ausführungen621 ausschließlich auf die Verortung der Eingriffsnormenproblematik als „interne Lücke“ des europäischen IPR, und dies eben mit all den sich hieraus ergebenden Konsequenzen. Darüber hinaus lässt sich dieses bislang alleine auf strukturelle Erwägungen gestützte Ergebnis zusätzlich auf Erwägungen stützen, die bereits hinsichtlich der Begründung einer primärrechtlichen Anwendungspflicht erörtert wurden (folglich also die von Art. 4 III 2 EUV aufgestellten Voraussetzungen erfüllen mussten) und die nunmehr im Rahmen einer teleologischen Anwendung eines Sekundärrechtsaktes Bedeutung entfalten können622.

620

Hierzu sub Kapitel 2 A.I (S. 104 ff.). Vgl. hierzu sub Kapitel 2 A.III.3 (S. 124 ff.). 622 Sollte sich eine Pflicht zur Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen bereits aus dem Primärrecht ergeben, so wären diese Anforderungen freilich im Wege einer primärrechtskonformen Anwendung des Sekundärrechtsaktes zur Geltung zu bringen und hätten somit „zwingenden“ Charakter. Da sich die kollisionsrechtliche Durchsetzung von Eingriffsnormen überwiegend im ungeschriebenen Bereich bewegt, konkrete gesetzliche Vorgaben also fehlen, kann dem europäischen Gesetzgeber auch kein dem Primärrecht entgegenstehender Wille unterstellt werden, so dass eine primärrechtskonforme Rechtsfortbildung im Rahmen der Rom-Verordnungen möglich wäre. 621

314

3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

a) Verwirklichung des Binnenmarktes Dies betrifft zunächst das von Roth vorgebrachte Argument, der Binnenmarkt strebe nach innereuropäischem Entscheidungseinklang und begründe daher eine Anwendungspflicht bezüglich mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen. Wenngleich dieser Argumentation hinsichtlich der Herleitung einer primärrechtlichen Anwendungspflicht Zweifel begegnen623, so kann diese im Rahmen einer autonomen teleologischen Auslegung eines Sekundärrechtsaktes aufgegriffen werden: Da die Union kompetenzrechtlich nur tätig werden kann, wenn die sekundärrechtlichen Maßnahmen den Binnenmarkt verwirklichen bzw. sein Funktionieren gewährleisten, liegt jedem Sekundärrechtsakt – unabhängig davon, ob sich aus dem primärrechtlichen Binnenmarktprinzip konkrete verbindliche Vorgaben ergeben – dieser Normzweck originär zugrunde und kann folglich auch Ausgangspunkt einer teleologischen Auslegung der Rom-Verordnungen bilden. Dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes ist, wie auch die jeweiligen Erwägungsgründe 6 der Rom I- und Rom II-Verordnungen deutlich machen, indes am wirkungsvollsten gedient, wenn jedes mitgliedstaatliche Gericht denselben Sachverhalt exakt nach dem gleichen Recht beurteilt, wenn also vollständiger europäischer Entscheidungseinklang hergestellt ist624. Hierzu bedarf es jedoch der kollisionsrechtlichen Berufung derjenigen Eingriffsnormen, die jeder Mitgliedstaat bei eigener Zuständigkeit auch durchsetzen könnte625, so dass die unmittelbare Bindung jeden Mitgliedstaates an den europäischen Anwendungsbefehl für Eingriffsnormen im materiellen Sinne von Sinn und Zweck der rechtsvereinheitlichenden Rom I/II getragen wird626. Demgegenüber bestreitet insbesondere Mankowski grundsätzlich, dass aus dem Binnenmarktprinzip eine Anwendungspflicht für mitgliedstaatliche Eingriffsnormen hergeleitet werden könne: Eingriffsrecht sei Interventionsrecht und stehe „schon seiner Anlage nach

623

Vgl. hierzu sub Kapitel 3 E.II.3 (S. 303 f.). So treffend Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (664); ders., Dienstleistungsfreiheit und Allgemeininteresse, 1 (40); Wördemann S. 362. 625 Es ließe sich insoweit überlegen, ob die Durchsetzung von mitgliedstaatlichen Eingriffsnormen kumulativ an eine potentiell bestehende Zuständigkeit zu knüpfen wäre. Dagegen sprechen jedoch die sogleich sub Kapitel 3 E.III.2.b) (S. 315 ff.) zu erörternden weiteren teleologischen Erwägungen, so dass eine solche Beschränkung nicht überzeugen könnte. 626 Der europäische Entscheidungseinklang als kollisionsrechtliches Ordnungsinteresse kollidiert in diesem Falle auch nicht mit materiellrechtlich implizierten kollisionsrechtlichen Interessen, weil dieser gerade auf die Durchsetzung letzterer gerichtet ist und insoweit keine „begrenzende Kraft“ i.S. Kahns darstellt. Folglich ist dieses kollisionsrechtliche Ordnungsinteresse auch nach hier zugrunde gelegter Auffassung (näher hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 83) und Kapitel 1 B.IV.2 (S. 90 f.)) beachtlich. 624

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

315

in einem latenten Konflikt mit den Grundfreiheiten“627. Da im Binnenmarkt nationale Beschränkungen abzubauen seien, würde eine Anerkennungspflicht „dem Binnenmarktansatz also zuwiderlaufen“ und „den perversen Anreiz setzen, möglichst viel Eingriffsrecht zu erlassen und so die eigene Rechtsdurchsetzungsmacht auszudehnen“628. Diese Argumentation vermag indes nicht zu überzeugen. Der Binnenmarkt strebt zwar nach einem Abbau von Handelshemmnissen, keinesfalls jedoch nach völliger Deregulierung. Die Grundfreiheiten gewähren den einzelnen Mitgliedstaaten durchaus eine Durchsetzung nationaler Allgemeininteressen zulasten einer weitreichenden Privatautonomie und „legitimieren“ auf diese Weise primärrechtskonformes Interventionsrecht, weil dieses ein von Seiten des Unionsrechts schützenswertes Regelungsziel verfolgt; solche Normen stehen dem Binnenmarkt folglich auch nicht entgegen, sondern begrenzen in legitimer Weise die privatrechtliche Freiheit. Die kollisionsrechtliche Berufung dieser Bestimmungen durch einen anderen Mitgliedstaat, die nach hier vertretener Ansicht zudem von Seiten primärrechtskonformen europäischen Rechts erfolgt, kann folglich keine Beeinträchtigung des Binnenmarktes darstellen 629, sondern alleine der fehlende europäische Entscheidungseinklang, der mit ihrer Nichtanwendung einherginge. Ob mit einer Anwendungspflicht zudem wirklich Anreize zum Erlass möglichst weitgehender interventionistischer Regelungen geschaffen werden, erscheint zweifelhaft, wäre jedoch nicht zu beanstanden, wenn diese primärrechtskonform ausgestaltet sind und folglich ein „europäisch-legitimes Regelungsinteresse“ wahrnehmen630.

b) Funktionaler Zusammenhang zwischen den RomI/II-Verordnungen und der EuGVVO Wenngleich der insbesondere von Fetsch vertretene Ansatz, aus dem Sinn und Zweck der EuGVVO i.V.m. Art. 4 III 2 EUV eine primärrechtliche Anwendungspflicht herzuleiten, Schwierigkeiten bereitet631, können auch diese Erwägungen im Rahmen einer teleologischen Auslegung der sekundärrechtlichen Rom I/II-Verordnungen aufgegriffen werden, da insbesondere diese drei Rechtsakte nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers in gewisser Weise ein legislatorisches „Gesamtpaket“ bilden, das nicht nur im Hinblick auf eine einheitliche Auslegung (Erwägungsgrund 7 Rom I/II), sondern auch im Hinblick auf ihre jeweilige Funktion (Erwägungsgrund 6 Rom I/II) in engem Zusammenhang stehen. So ergibt sich aus den zuletzt genannten Erwägungsgründen, dass durch das anhand der jeweiligen Rechtsakte vereinheitlichte Kollisionsrecht insbesondere der „freie[] Verkehr gerichtlicher Entscheidungen“ gefördert werden soll, das vereinheitlichte Kollisionsrecht folglich auch einen Beitrag zur Vereinfachung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen leisten soll (so ausdrücklich Erwägungsgrund 4 Rom I/II). 627

Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 118. Von Bar/Mankowski § 4 Rn. 118. 629 Ebenso Roth, RabelsZ 55 (1991) 623 (663); von Wilmowsky S. 72 f.; ders., RabelsZ 62 (1998), 1 (31 f.). 630 Vgl. auch Fetsch S. 371. 631 Hierzu sub Kapitel 3 E.II.5 (S. 307 ff.). 628

316

3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

Soll auch dieser Normzweck – im Hinblick auf die Auslegungsmethode des effet utile – effektiv zur Geltung gebracht werden, bedarf es einer Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen, da nur auf diese Weise gewährleistet werden kann, dass die in einem Mitgliedstaat erlassene Entscheidung auch in dem Erlassstaat der fraglichen Eingriffsnorm anerkannt wird632. Zudem wäre es paradox, den Mitgliedstaaten einerseits die Durchsetzung ihrer legitim wahrgenommenen Allgemeininteressen kollisionsrechtlich über Art. 9 II/16 Rom I/II und verfahrensrechtlich über Art. 34 Nr. 1 EuGVVO (und dies auch sinnvollerweise) zu gestatten, andererseits jedoch in Kauf zu nehmen, dass das fragliche Urteil nicht in jedem Staat anerkannt wird, und somit auf ein zentrales Anliegen der europäischen Rechtsvereinheitlichung im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit im Zivilrecht zu verzichten. Will man auf diesem Rechtsgebiet ein stimmiges System errichten, das einerseits berechtigte Belange der einzelnen Mitgliedstaaten berücksichtigt, anderseits aber auch die größtmögliche Anerkennungsfähigkeit mitgliedstaatlicher Urteile erreicht, bedarf es zur maximalen Verwirklichung der jeweiligen Ziele einer sekundärrechtlichen Anwendungspflicht bezüglich Eingriffsnormen anderer Mitgliedstaaten, so dass eine solche wenngleich nicht vom Wortlaut, so doch vom jeweiligen Telos der kollisions- und verfahrensrechtlichen vereinheitlichenden Rechtsakte gefordert wird. Auch der Gedanke, dass durch das vereinheitlichte Internationale Zivilverfahrensrecht berechtigte, „europäisch-legitime“ Interessen der Mitgliedstaaten verletzt werden, mag eine – wenngleich nicht primärrechtliche, so doch sekundärrechtliche – Anwendungspflicht tragen. So wird völlig zu Recht betont, dass durch die sekundärrechtliche Vereinheitlichung des Internationalen Zivilverfahrensrechts den Mitgliedstaaten die Möglichkeit genommen wird, ihre legitim wahrgenommenen Allgemeininteressen stets durchzusetzen, wenn diese tangiert sind633. Insbesondere im Rahmen des von der EuGVVO de lege lata vorgesehenen Exequaturverfahrens 634 ist die Durchsetzung öffentlicher Interessen des Vollstreckungsstaates stark eingeschränkt, da dieser gem. Art. 41 S. 1 EuGVVO ein formgerecht erlassenes (Art. 53 EuGVVO) mitgliedstaatliches Urteil unverzüglich für vollstreckbar erklären muss, ohne dass etwaige Anerkennungshindernisse geprüft und berechtigte Allgemeininteressen auf diesem Wege durchgesetzt werden könnten. Eine solche Durchsetzung ist alleine im Rechtsbehelfsverfahren (Art. 45 EuGVVO) möglich, welches jedoch 632 Auf diesen Punkt zur Begründung einer primärrechtlichen Anwendungspflicht abstellend Fetsch S. 371 f. 633 Näher hierzu sub Kapitel 3 E.II.5 (S. 306 f.). 634 Darauf hinweisend insbesondere Reithmann/Martiny-Freitag (6. Auflage) Rn. 469; ders., Einfach und international zwingende Normen, 167 (185).

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

317

von einer der Parteien eingeleitet werden muss – aus eigener Initiative heraus kann der Vollstreckungsstaat seine öffentlichen Interessen folglich nicht wahrnehmen. Diese Situation verschärft sich zudem, wenn die Pläne zur Revision der EuGVVO Wirklichkeit werden sollten, in denen das Exequaturverfahren – wie bereits im Rahmen der EuVTVO, EuBagatellVO und EuMahnVO – gänzlich abgeschafft werden soll und folglich auch diese letzte Durchsetzungsmöglichkeit nicht mehr bestünde635. Eine solche Beschneidung der Durchsetzungsfähigkeit mitgliedstaatlicher Allgemeininteressen erscheint in der Tat alleine dann gerechtfertigt, wenn zugleich eine Kompensation für die nicht mehr vorhandene Durchsetzungsmöglichkeit des Erlassstaates in Form einer Anwendungspflicht des das Urteil erlassenden Mitgliedstaates bezüglich dieser Normen besteht636. Denn es wäre widersprüchlich, würde man einerseits den einzelnen Mitgliedstaaten zwar im Bereich des Kollisions- und Anerkennungsrechts die Wahrung ihrer legitimen Allgemeininteressen gestatten, andererseits jedoch nicht zugleich sicherstellen, dass diese legitimen Allgemeininteressen der einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen des Exequaturverfahrens auch beachtet werden. Grundlage der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung mitgliedstaatlicher Entscheidungen ist das „gegenseitige Vertrauen in die Justiz“637 der einzelnen Mitgliedstaaten, und dieses kann – soll es nicht nur ein formales Lippenbekenntnis sein – allein dann entstehen, wenn jedes einzelne mitgliedstaatliche Forum Eingriffsnormen anderer Mitgliedstaaten anhand eines verbindlichen Anwendungsbefehls zur Anwendung bringen muss. Eine Verletzung mitgliedstaatlicher Nichtanwendungsinteressen, die nach obigen Ausführungen im Bereich drittstaatlicher Eingriffsnormen auf das europäische Anwendungsinteresse als Grund und Legitimation für die Anwendung ausländischen Rechts durchschlagen können638, kann in dieser „erzwungenen“ Normanwendung ferner nicht gesehen werden, weil das europäische Anwendungsinteresse an mitgliedstaatlichen Eingriffsnormen aufgrund von Art. 9 II/16 Rom I/II a priori feststeht und diese Bestimmungen zudem eine zweifache „Legitimität“ genießen: zum einen eine materiellrechtliche, da sie stets grundfreiheitenkonform sein müssen, also alleine „europarechtlich-legitime“ Regelungsinteressen wahrnehmen können, zum anderen – nach hier vertretener Ansicht – eine kollisionsrechtliche, da der internationale Anwendungsbereich dieser Bestimmungen von Seiten des europäischen IPR festgelegt wird und diese folg635

Vgl. hierzu den Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der EuGVVO, KOM (2010) 748 endg., S. 6-8. 636 So im Hinblick auf eine primärrechtliche Anwendungspflicht die in Fn. 608 Genannten. 637 Erwägungsgründe 16, 17 EuGVVO. 638 Vgl. hierzu insbesondere sub Kapitel 3 C.II.4.a)cc)(2) (S. 246 ff.).

318

3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

lich stets anhand eines nach europäischen Maßstäben angemessenen Anknüpfungsmoments zur Anwendung zu bringen sind639. Wenn demgegenüber nunmehr von Freitag eingewendet wird, dass die fehlende Durchsetzungsmöglichkeit mitgliedstaatlicher Allgemeininteressen insbesondere im Rahmen des Exequaturverfahrens den europarechtlich gewünschten Zustand darstelle640, kann aus dieser treffenden Feststellung keineswegs abgeleitet werden, dass damit auch eine Unbeachtlichkeit mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen einhergehen muss641. Denn die Abschaffung des Exequaturverfahrens dient ausschließlich dem Zweck, die „Freizügigkeit“ von Urteilen zu maximieren, indem auf ein zusätzliches Kontrollverfahren in dem Vollstreckungsstaat verzichtet wird. Sie ist damit Ausdruck der insbesondere von Fetsch betonten Verfahrenskonzentration bei einem zuständigen Gericht, das ein für alle Mitgliedstaaten verbindliches Urteil zu treffen hat, und dient folglich dem Abbau von Mehrfachzuständigkeiten innerhalb der EU. Hiermit geht jedoch keinerlei gesetzgeberische Entscheidung über die Beachtlichkeit oder Unbeachtlichkeit legitim wahrgenommener nationaler Allgemeininteressen bei der Urteilsfindung einher642, so dass diese Frage mit der gesetzlich angeordneten Verfahrenskonzentration keinesfalls antizipiert ist. Erst wenn eine Anwendungspflicht bezüglich mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen und – damit einhergehend – innereuropäischer Entscheidungseinklang besteht, sind überhaupt die Grundlagen für eine solch weitgehende Verfahrenskonzentration, wie sie insbesondere im Bereich des Exequaturverfahrens bereits de lege lata erfolgt, geschaffen. Dann ist auch das „gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten so weit gereift“643, dass die de lege ferenda geplante Abschaffung des Exequaturverfahrens im Rahmen der EuGVVO gerechtfertigt erscheint und der „europarechtlich gewünschte Zustand“ eintreten kann. Damit lässt sich festhalten: Eine sekundärrechtliche Anwendungspflicht mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen anhand des unmittelbar für jeden Mitgliedstaat verbindlichen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls europäischer Herkunft ergibt sich nicht nur aus strukturellen Erwägungen,

639

Zudem besteht für jedes mitgliedstaatliche Forum die Möglichkeit, in Ausnahmesituationen die Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen über den ordre public abzuwehren. 640 Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 540; vgl. auch Hauser S. 144. 641 So jedoch Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 540. 642 Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese grundsätzlich unbeachtlich sein sollen – dem stehen Art. 9 II/16 Rom I/II und Art. 34 Nr. 1 EuGVVO entgegen. 643 Dies wird von der Kommission als Rechtfertigung für die Abschaffung des Exequaturverfahrens angefügt, vgl. hierzu den Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der EuGVVO, KOM (2010) 748 endg., S. 6.

E. Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen

319

sondern wird auch von Sinn und Zweck der rechtsvereinheitlichenden Sekundärrechtsakte gefordert. 3. Gefahr einer Überschneidung der kollisionsrechtlichen Anwendungsbereiche mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen Geht man mit der hier vertretenen Meinung demnach davon aus, dass der im Rahmen von Art. 9 II/16 Rom I/II durch Rechtsfortbildung zu entwickelnde kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl bezüglich Eingriffsnormen im materiellen Sinne für alle Mitgliedstaaten beachtlich ist, so mag man vordergründig eine Gefahr in einer möglichen Überschneidung der Anwendungsbereiche mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen sehen, die – wenngleich sie inhaltlich konkurrieren – kumulativ zur Anwendung gebracht werden müssten. Hierzu darf es freilich nicht kommen und ein solches Ergebnis wäre ggf. im Wege der Anpassung zu korrigieren. Ob überhaupt eine solche Situation eintreten kann, erscheint indes fraglich: Denn sich überschneidende Anwendungsbereiche einzelner mitgliedstaatlicher Normen sind nur dann zu befürchten, wenn die auf diese Normen bezogenen Anknüpfungsmomente divergieren. Mit der bereits beschriebenen Methode der kollisionsrechtlichen Interessenbewertung anhand nunmehr einheitlich europäischer Abwägungstopoi ist jedoch gewährleistet, dass für funktional vergleichbare Sachnormen auch dasselbe Anknüpfungsmoment entwickelt werden und eine präzise und kohärente Abgrenzung der einzelnen Anwendungsbereiche erfolgen kann 644 . Hierfür streitet nicht zuletzt auch ein starkes (und nach obigen Ausführungen645 auch materiellrechtlich implizierte kollisionsrechtliche Interessen zurückdrängendes) Ordnungsinteresse an der Verhinderung von Normwidersprüchen. Zudem gilt zu berücksichtigen, dass dem EuGH die Auslegungskompetenz bezüglich der sekundärrechtlichen Rom-Verordnungen zusteht, so dass auch faktisch sichergestellt ist, dass funktional vergleichbare Normen von den einzelnen Mitgliedstaaten unter denselben Voraussetzungen, also anhand desselben Anknüpfungsmomentes zur Anwendung gebracht werden und eine „saubere“ Abgrenzung der kollisionsrechtlichen Anwendungsbereiche inhaltlich konkurrierender Normen gelingt. Mit fortschreitender Rechtsentwicklung lassen sich die auf diese Weise gewonnenen einzelnen Individualkollisionsnormen bezüglich funktional vergleichbarer mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen „europäisch bündeln“ und in einer europäischen „Binnenkollisi644

Dies gilt auch, wenn man mit der hier vertretenen Ansicht (zunächst) von einem weiten Verständnis des Erfüllungsortes im Sinne von Art. 9 III Rom I ausgeht (hierzu Kapitel 3 C.II.2.b)bb)(2) (S. 222 ff.)) – denn die maßgebliche kollisionsrechtliche Auswahlentscheidung erfolgt auch hier – quasi auf zweiter Stufe – anhand der implizierten kollisionsrechtlichen Interessen; vgl. hierzu sub Kapitel 3 C.II.3 (S. 233 f.). 645 Vgl. hierzu sub Kapitel 1 B.III.2.b)cc)(2)iii (S. 82 f.).

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3. Kapitel:Ausländische Eingriffsnormen

onsnorm“ zusammenfassen. Führt diese zu dem Sachrecht jedes einzelnen Mitgliedstaates, existieren also in allen Mitgliedstaaten funktional vergleichbare Eingriffsnormen, so ist eine solche Kollisionsnorm Ausdruck eines gemeineuropäischen Anwendungsinteresses, so dass wir solche Regelungen nach obigen Ausführungen im Sinne des kategorischen Imperativs auch Drittstaaten zugestehen und folglich eine „vollständige europäische Binnenkollisionsnorm“ allseitig erweitern können – ein bereits kodifiziertes Beispiel hierfür bildet Art. 6 Rom II646.

4. Ergebnis Aus der im Rahmen dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnis, dass sich der Anwendungsbefehl für mitgliedstaatliche Eingriffsnormen nunmehr aus dem europäischen IPR ergibt, folgt, dass dieser ggf. im Wege der Rechtsfortbildung zu gewinnende Anwendungsbefehl zugleich für jeden anderen Mitgliedstaat verbindlich ist, weil dieser auf einem in allen Mitgliedstaaten unmittelbar geltenden Rechtsakt beruht. Wenngleich diese strukturelle Schlussfolgerung keinen Niederschlag im Wortlaut des Art. 9/16 Rom I/II gefunden hat, wird sie vom Sinn und Zweck der rechtsvereinheitlichenden Kollisionsrechtsakte getragen. Folglich kann – entgegen mancher Stimmen in der Literatur647 – ein sachnormbezogenes und der materiellen Gerechtigkeit dienendes europäisches IPR unproblematisch der sich aus dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts ergebenden Notwendigkeit Rechnung tragen, einen maximalen europäischen Entscheidungseinklang zu gewährleisten, um insbesondere die Freizügigkeit von Urteilen ohne Verletzung berechtigter („legitimer“) mitgliedstaatlicher Interessen zu verwirklichen. Eine „Durchbrechung“ der einheitlichen Anwendung der RomVerordnungen durch eine statutsunabhängige Anknüpfung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen, die etwa nach Freitag mit „unbedingter Zurückhaltung“ bei der Anwendung eigener Eingriffsnormen zu verhindern sei648, ist daher nicht zu fürchten, sondern als Chance für ein materielle Wertvorstellungen verwirklichendes europäisches IPR zu begreifen.

646

Hierzu bereits sub Kapitel 3 C.II.4.a)cc)(3) (S. 256). Ausdrücklich etwa Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 508. 648 Reithmann/Martiny-Freitag Rn. 508. 647

Kapitel 4

Prüfungskompetenz des EuGH 4. Kapitel: Prüfungskompetenz des EuGH

Eine einheitliche Rechtslage kann nur dann entstehen, wenn vereinheitlichtes Recht auch einheitlich angewandt wird. Hierfür bedarf es einer judikativen Instanz, die letztverbindlich über strittige Auslegungsfragen entscheidet und auf diese Weise eine Rechtszersplitterung aufgrund divergierender Anwendung der gemeinsamen Rechtsgrundlage verhindert. Für das vereinheitlichte europäische Unionsrecht nimmt diese Aufgabe der EuGH wahr, dem gem. Art. 267 AEUV (234 I EGV a.F.) nicht nur Fragen zur Auslegung der europäischen Verträge (insbesondere Grundfreiheiten), sondern auch zur Gültigkeit und Auslegung von Sekundärrechtsakten vorgelegt werden können bzw. – bei einem letztinstanzlichen Urteil eines Mitgliedstaates – sogar vorgelegt werden müssen. Entscheidend ist jedoch, dass sich die Prüfungskompetenz des EuGH ausschließlich auf (primäres oder sekundäres) Unionsrecht erstreckt, nicht zugleich auch auf nationales mitgliedstaatliches Recht, das insoweit in der Prüfungskompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten verbleibt. Hieraus folgt, dass dem EuGH hinsichtlich der bislang erlassenen Rom-Verordnungen als Sekundärrechtsakte eine originäre Auslegungskompetenz zusteht1, anhand derer er für alle mitgliedstaatlichen Gerichte verbindlich über alle kollisionsrechtlichen Fragen zu entscheiden hat, die von dem Anwendungsbereich jener Verordnungen erfasst sind. Ob – und in welchem Umfang – dem EuGH eine Prüfungskompetenz bezüglich der Eingriffsnormenproblematik zusteht, hängt damit von der Frage ab, welchen diesbezüglichen Regelungsgehalt man dem europäischen IPR entnehmen will.

1 Entgegen dem staatsvertraglich vereinbarten EVÜ, für das erst eine Auslegungskompetenz des EuGH kraft staatsvertraglich vereinbarter Spezialzuweisung (Erstes Brüsseler Protokoll betreffend die Auslegung/Zweites Brüsseler Protokoll zur Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für die Auslegung des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft; abgedruckt in Jayme/Hausmann Nr. 70 a/b EVÜ) geschaffen werden musste.

322

4. Kapitel: Prüfungskompetenz des EuGH

A. Eingriffsnormenproblematik außerhalb des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen A. Verortung außerhalb der Rom-Verordnungen Geht man mit der im Rahmen dieser Arbeit abgelehnten, jedoch bislang wohl einhellig vertretenen Ansicht davon aus, dass die Eingriffsnormenproblematik außerhalb der regulativen Reichweite der Rom-Verordnungen zu verorten ist2, weil es sich bei Art. 9/16 Rom I/II jeweils um kodifikationsinterne Beschränkungen des grundsätzlich eröffneten Anwendungsbereiches handelt, die als Öffnungsklauseln alleine die Durchsetzung bestimmter nationaler Kollisionsnormen gewähren, so kann eine Prüfungskompetenz des EuGH alleine darauf gerichtet sein, die unionsrechtlichen Voraussetzungen näher zu konkretisieren, unter denen eine solche Durchsetzung nationalen Kollisionsrechts – und die damit einhergehende Durchbrechung des einheitlichen Anknüpfungssystems der Rom-Verordnungen – möglich wäre. Dem EuGH käme folglich die Aufgabe zu, „den Rahmen abzustecken, innerhalb dessen die nationalen Gesetzgeber [weiterhin beachtliche] Eingriffsnormen schaffen können“3. Insbesondere Thorn zieht – im Anschluss an Ausführungen von Freitag 4 – hierfür eine Parallele zu der Krombach-Rechtsprechung des EuGH bzgl. Art. 27 EuGVÜ a.F. (Art. 34 Nr. 1 EuGVVO), nach welcher die Mitgliedstaaten zwar die Anforderungen, die „sich nach ihren innerstaatlichen Anschauungen aus ihrer öffentlichen Ordnung ergeben“, selbst festlegen können, der Gerichtshof jedoch „über die Grenzen zu wachen [hat], innerhalb deren sich das Gericht eines Vertragsstaats auf diesen Begriff stützen darf, um der Entscheidung eines Gerichts eines anderen Vertragsstaats die Anerkennung zu versagen“5. Diese Parallele vermag indes nicht zu überzeugen: Während die Konkretisierung des nationalen ordre public in der Tat zumindest auch eine Frage des nationalen Sachrechts darstellt, welche dem EuGH entzogen ist, und eine – wie auch immer verstandene – Missbrauchskontrolle daher indiziert sein mag, geht es bei der Durchsetzung nationaler Eingriffsnormen der lex fori zunächst einmal darum, die Voraussetzung festzulegen, unter denen nationalen Kollisionsnormen ein „Passieren“ der Öffnungsklauseln möglich ist. Dies ist indes keine Frage des nationalen materiellen Rechts – mögen die hierfür maßgeblichen Kriterien auch materiellrechtlicher Natur (Art. 9 I Rom I) sein –, sondern ausschließlich eine Frage des unionsrechtlichen Kollisionsrechts, 2 Vgl. hierzu ausführlich für Eingriffsnormen der lex fori Kapitel 2 A.II (S. 106 ff.), für ausländische Eingriffsnormen Kapitel 3 B.II.2 (S. 187 ff.). 3 So Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 21 (Hervorhebung im Original). 4 Freitag, Einfach und international zwingende Normen, 167 (175); ihm folgend Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 9 Rom I Rn. 21; nun auch StaudingerMagnus (2011) Art. 9 Rom I Rn. 66; Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 60 (93); Günther S. 134 f. Einen „erste[n] Versuch“ zur Konkretisierung dieses Ansatzes unternimmt nunmehr Hauser S. 21-29. 5 EuGH 28.03.2000 – Rs. C-7/98 (Krombach) Rn. 22 f.; bestätigt mit EuGH 11.05.2000 – Rs. C-38/98 (Renault SA/Maxicar SpA) Rn. 27 f.; für die EuInsVO EuGH 02.05.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood IFSC Ltd.) Rn. 63 f.

A. Verortung außerhalb der Rom-Verordnungen

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welche der EuGH vollständig und letztverbindlich zu klären hat. Erst die sich hieran anschließende, im Rahmen der (den zuständigen mitgliedstaatlichen Fachgerichten obliegenden) Normanwendung zu beantwortende Frage, ob eine bestimmte Sachnorm nationaler Herkunft6 auch die vom EuGH festzulegenden Voraussetzungen für deren von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängige kollisionsrechtliche Anknüpfung erfüllt, stellt eine dem EuGH verwehrte Auslegung nationalen Rechts dar7.

Betrachtet man Art. 9 II Rom I demnach als Öffnungsklausel für nationale Kollisionsnormen der lex fori, so müssen seitens des EuGH diejenigen unionsrechtlichen Vorgaben konkretisiert werden, welche für deren Durchsetzung unter Geltung des vereinheitlichten europäischen IPR bestehen. Bezüglich Eingriffsnormen der lex fori ergeben sich diese Vorgaben – mangels spezifischen Regelungsgehalts des Art. 9 II Rom I – alleine aus Art. 9 I Rom I, welcher Eingriffsnormen materiellrechtlich zu definieren versucht. Demnach können nur diejenigen nationalen Kollisionsnormen die vermeintliche Öffnungsklausel des Art. 9 II Rom I „passieren“, deren Anknüpfungsgegenstand – also die von ihr zu berufende Sachnorm – die in Art. 9 I Rom I genannten materiellen Kriterien erfüllt, so dass nach dieser Auffassung die vorrangige Aufgabe des EuGH darin bestehen wird, eben diese materiellrechtlichen Kriterien näher zu bestimmen, also insbesondere zu klären, ob für das „Passieren“ der Öffnungsklausel der in Frage stehenden Sachnorm auch, überwiegend oder sogar ausschließlich öffentliche Normzwecke zugrunde liegen müssen. Wie bereits erwähnt, führt eine eingriffsrechtliche Definition anhand rein materieller Kriterien – dienen sie auch nur der Rechtfertigung für die Durchsetzung nationaler Kollisionsnormen – dazu, dass ein kohärentes europäisches Kollisionsrecht nicht geschaffen werden kann: Denn lässt man – als minimale Anforderung – ausreichen, dass eine Eingriffsnorm alleine auch öffentlichen Interessen zu dienen hat, führt man das kodifizierte vereinheitlichte Kollisionsrecht ad absurdum, weil auf diese Weise nahezu jede nationale Sachnorm auch gegen bereits kodifizierte Kollisionsnormen (etwa Art. 6, 8 Rom I) weiterhin durchgesetzt werden könnte. Verlangt man jedoch demgegenüber strengere Kriterien – etwa überwiegend oder gar ausschließlich öffentliche Interessen, die der fraglichen Norm zugrunde liegen müssen –, führt dies zum Ausschluss einer statutsunabhängigen Berufung bestimmter Normen (etwa soziales Mietrecht), der im Rahmen eines sachrechtliche Wertungen verwirklichenden IPR nicht gerechtfertigt werden kann. Folglich liegt es nahe, weitere ungeschriebene Voraussetzungen der Öffnungsklauseln – namentlich das Kriterium der „Disqualifikation“ und des angemessenen kollisionsrechtlichen Anknüpfungsmomentes – zur Verwirklichung eines kohärenten kollisionsrechtlichen Systems zu verlangen, so dass möglicherweise auch eine diesbezügliche Prüfungskompetenz des EuGH angenommen werden könnte – wie bereits ausgeführt8, stellte ein solches Vorgehen jedoch einen „Etikettenschwindel“ dar, da insoweit – entgegen der 6 Für Sachnormen europäischer Herkunft ist auch diese Frage von Seiten des EuGH zu beantworten, weil eine diesbezügliche Auslegungskompetenz (Art. 267 Nr. 2 AEUV) besteht. 7 Vgl. hierzu sub Kapitel 4 B (S. 325 ff.). 8 Vgl. hierzu insbesondere sub Kapitel 2 A.III.2.b) (S. 119 ff.).

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4. Kapitel: Prüfungskompetenz des EuGH

Ausgangsprämisse dieser Ansicht – der maßgebliche Anwendungsbefehl bei Lichte betrachtet doch dem europäischen Recht zu entnehmen, die Eingriffsnormenproblematik also nicht außerhalb des Anwendungsbereiches der Verordnungen zu verorten wäre.

Aus der Ausgangsprämisse der hier referierten Ansicht, dass der (vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen) notwendige und maßgebliche kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl bezüglich einer Eingriffsnorm nationalem Recht entstammt, folgt zudem, dass dieser selbst nicht Gegenstand einer Prüfung des EuGH sein kann. Demnach obläge es weiterhin den jeweiligen nationalen Gerichten, den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl, der die unionsrechtlichen Öffnungsklauseln „passieren“ könnte, letztverbindlich zu bestimmen: bei Eingriffsnormen im formalen Sinne methodisch durch Auslegung, bei Eingriffsnormen im materiellen Sinne durch Rechtsfortbildung. Wie ebenfalls bereits erwähnt, könnte bezüglich Letzteren – auch wenn man den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl entgegen der hier vertretenen Ansicht durch „Auslegung“ unmittelbar aus (auch/überwiegend/ausschließlich) zugrundeliegenden öffentlichen Sachnormzwecken herleiten will – die vom EuGH im Rahmen von Art. 9 I Rom I zu konkretisierenden materiellen Kriterien keinerlei präjudizierende Wirkung für die Kollisionsnormbildung modo legislatoris entfalten, weil diese zum einen nur die unionsrechtliche Rechtfertigungsebene der statutsunabhängigen Anknüpfung bestimmter Normen betreffen, zum anderen unionsrechtliche Kriterien für die Entwicklung eines nationalen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls gar nicht herangezogen werden könnten, da eine Rechtsfortbildung insoweit autonom – also anhand nationaler Kriterien – erfolgen müsste. Demnach könnte eine nationale Sachnorm durchaus zwar eine – nach europäischen materiellen Kriterien – „durchsetzungsfähige“ Eingriffsnorm darstellen, jedoch – nach nationalen materiellen Kriterien – keine „durchsetzungswillige“.

Demgegenüber sieht Art. 9 III Rom I – auch für die Vertreter eines nationalen Anwendungsbefehls unleugbar – darüber hinausgehende unionsrechtliche Vorgaben vor, so dass im Bereich der ausländischen Eingriffsnormen zugleich auch eine weitergehende Prüfungskompetenz des EuGH trotz der geschilderten Ausgangsprämisse bestünde. Dies betrifft zunächst die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Unrechtmäßigkeit der Erfüllung und des Erfüllungsortes, aber auch die Frage, inwieweit Art. 9 III Rom I (ebenso wie Art. 16 Rom II) eine „Sperrwirkung“ bezüglich der Anwendung (weiterer) ausländischer Eingriffsnormen entfaltet. Zudem ergeben sich aus Art. 9 III 2 Rom I zumindest gewisse unionsrechtliche Vorgaben, welche das dem mitgliedstaatlichen Richter angeblich von Art. 9 III 1 Rom I eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Entscheidung, ob einer ausländischen Eingriffsnorm Wirkung zu verleihen ist, begrenzen und die somit – eigentlich methodenwidrig – die Entwicklung eines nationalen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls modo legislatoris europarechtlich determinieren – jedenfalls die Konkretisierung dieser unionsrechtlichen Vorgaben wird dem EuGH obliegen. Möglicherweise ließe sich darüber

B. Verortung innerhalb der Rom-Verordnungen

325

hinausgehend auch der dem Richter eingeräumte Ermessensspielraum anhand einer eigenen „Ermessensfehler-Lehre“ 9 überprüfen, die dahingehend gestaltet werden könnte, dass nicht nur die unionsrechtlichen Kriterien, anhand derer eine solche Anwendungsentscheidung zu treffen wäre (nach dem Wortlaut des Art. 9 III 2 Rom I: „Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen [], die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden“), – also die Abwägungstopoi für die kollisionsrechtliche Entscheidung – seitens des EuGH bestimmt werden könnten, sondern auch die konkreten Schlussfolgerungen, die aus den „europäisch legitimen“ Abwägungstopoi zu ziehen wären – freilich wäre ein solches Vorgehen wiederum kaum vereinbar mit der Ausgangsprämisse, dass der maßgebliche Anwendungsbefehl nationalem Recht entstammt. Jenseits der von Art. 9/16 Rom I aufgestellten unionsrechtlichen Vorgaben könnte sich eine Prüfungskompetenz bezüglich der Anwendung in- und ausländischer Eingriffsnormen natürlich auch darauf erstrecken, ob durch die konkrete Anwendungsentscheidung Primärrecht, also insbesondere Grundfreiheiten verletzt werden – eine dahingehende Prüfungskompetenz ergibt sich jedoch nicht (nur) aus Art. 267 I lit. b AEUV, sondern bereits aus lit. a.

Damit lässt sich festhalten: Die unionsrechtlichen Anforderungen, welche man (bei Zugrundelegung der Ausgangsprämisse eines nationalen Anwendungsbefehls bezüglich in- und ausländischer Eingriffsnormen) den Öffnungsklauseln entnehmen will, präjudizieren jeweils zugleich die Prüfungskompetenz des EuGH – freilich hat dieser aber zunächst einmal darüber zu entscheiden, welche diese überhaupt sein sollen.

B. Eingriffsnormenproblematik innerhalb des Anwendungsbereiches der Rom-Verordnungen B. Verortung innerhalb der Rom-Verordnungen Geht man demgegenüber mit der hier vertretenen Ansicht davon aus, dass die Eingriffsnormenproblematik originär innerhalb des jeweiligen regulativen Anwendungsbereichs der Rom-Verordnungen zu verorten ist10, besteht eine ungleich größere Prüfungskompetenz seitens des EuGH: Denn dann hat dieser nicht nur den Rahmen zu bestimmen, innerhalb dessen Mitgliedstaaten (eigene oder ausländische) Eingriffsnormen durchsetzen können, sondern muss über die hierfür maßgeblichen kollisionsrechtlichen Anwendungskriterien letztverbindlich entscheiden, weil sich diese vollständig aus dem Unionsrecht ergeben. Dem EuGH steht damit die im Rahmen dieser 9

Dies erwägend Freitag, IPRax 2009, 109 (111). Hierzu bezüglich Art. 9 Rom I sub Kapitel 2 A.III (S. 113 ff.) für inländische Eingriffsnormen, sub Kapitel 3 B.II.2 (S. 187 ff.) für ausländische Eingriffsnormen. Hinsichtlich Art. 16 Rom II vgl. sub Kapitel 3 D.I.2 (S. 274 ff.). 10

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4. Kapitel: Prüfungskompetenz des EuGH

Arbeit beschriebene rechtsschöpferische Aufgabe zu, den „unfertigen Teil“ des europäischen IPR für alle mitgliedstaatlichen Gerichte verbindlich zu konkretisieren. Für Eingriffsnormen der lex fori bedeutet dies im Einzelnen, dass der EuGH zunächst einmal die Reichweite der herkömmlichen, also bislang kodifizierten europäischen Kollisionsnormen bestimmen muss, so dass die Frage beantwortet werden kann, ob bestimmte Sachnormen erfolgreich unter diese qualifiziert werden können oder nicht (Frage nach dem „Ob“ einer statutsunabhängigen Anknüpfung) – hierfür bedarf es der konsequenten Sichtbarmachung derjenigen kollisionsrechtlichen Interessen, welche der jeweiligen unionsrechtlichen Kollisionsnorm zugrunde liegen und deren Anknüpfungsgegenstand zugleich begrenzen. Fällt eine Sachnorm aus der konkreten Bündelung (was als Frage der konkreten Normanwendung von Seiten der mitgliedstaatlichen Fachgerichtsbarkeit anhand der vom EuGH zu konkretisierenden Kriterien zu entscheiden sein wird), so obliegt es dem EuGH ferner, zum einen über die „Legitimität“ – möglicherweise innerhalb des bereits kodifizierten unionsrechtlichen IPR noch gar nicht berücksichtigter – kollisionsrechtlicher Interessen (also über die Systemkonformität kollisionsrechtlicher Erwägungen) zu entscheiden, zum anderen aber auch über die „Umsetzung“ dieser europäisch-legitimen Abwägungstopoi in ein angemessenes Anknüpfungsmoment, also über die konkrete Rechtsfortbildung innerhalb des europäischen IPR (Frage nach dem „Wie“ einer statutsunabhängigen Anknüpfung). Im Bereich der ausländischen Eingriffsnormen wird dem EuGH ferner zunächst die Aufgabe zukommen, die konkreten Anforderungen der „unfertigen“ Generalklausel näher zu bestimmen. Dies betrifft sowohl die Auslegung der von Art. 9 III Rom I vorgesehenen Tatbestandsmerkmale (insbesondere Unrechtmäßigkeit der Erfüllung und Erfüllungsort) als auch die Klärung der Frage, ob Art. 9 III Rom I und Art. 16 Rom II „Sperrwirkung“ hinsichtlich anderer als die nach dem Wortlaut bezeichneten Bestimmungen entfalten und die Entwicklung eines – im Rahmen dieser Arbeit vorgeschlagenen – potentiell allseitigen kollisionsrechtlichen Systems möglich ist. Insbesondere obliegt es jedoch dem EuGH, der von Seiten des Gesetzgebers nicht geklärten Frage nachzugehen, wann überhaupt ein grundsätzliches Interesse an der Anwendung ausländischer Bestimmungen, die dem öffentlichen Interesse des jeweiligen Erlassstaates Rechnung tragen, besteht. Geht man mit der hier vertretenen Ansicht davon aus, dass ein solches dann anzunehmen ist, wenn eine „gemeineuropäische Interessensympathie“ festzustellen ist, so wird eine der wichtigsten Aufgaben des EuGH darin liegen, die allen Mitgliedstaaten gemeinsamen materiellen Wertungen herauszuarbeiten, die eine Anwendung ausländischen Eingriffsrechts rechtfertigen.

B. Verortung innerhalb der Rom-Verordnungen

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Da die gemeineuropäischen materiellen Wertungen, welche anhand der einzelnen mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen gewonnen werden müssen, unmittelbar ein kollisionsrechtliches (Nicht-) Anwendungsinteresse beschreiben – die nationalen Rechtsordnungen also alleine den „Rohstoff“ zu dessen Bestimmung liefern –, ist die Konkretisierung gemeineuropäischer materieller Wertungen nicht auf sach-, sondern auf kollisionsrechtlicher Ebene zu verorten. Damit handelt es sich hierbei nicht etwa um eine – dem EuGH verwehrte – Auslegung nationalen Rechts (denn dieses hat der EuGH so hinzunehmen, wie es – ggf. in der von der nationalen Rechtsprechung geschaffenen Form – in den einzelnen Mitgliedstaaten gilt), sondern um die Bestimmung kollisionsrechtlicher Anwendungskriterien, die sich jedoch aus dem Unionsrecht ergeben – folglich besteht auch eine vollständige Prüfungskompetenz des EuGH dahingehend, aus dem „Rohstoff“ der einzelnen mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen kollisionsrechtliche (Nicht-) Anwendungsinteressen „herauszudestillieren“ 11.

Demgegenüber kommt dem EuGH ausdrücklich keine Auslegungskompetenz bezüglich Normen nationaler Herkunft zu, so dass insbesondere die Bestimmung der Normzwecke, welche nationalen Sachnormen zugrunde liegen, abschließend von Seiten der mitgliedstaatlichen Gerichte erfolgt12. Da der materiellen Struktur einer Sachnorm nach hier vertretener Ansicht jedoch präjudizierende Bedeutung für die kollisionsrechtliche Interessenlage zukommt, entscheidet somit auch die konkrete Auslegung einer nationalen Sachnorm durch nationale Gerichte zumindest mittelbar über deren kollisionsrechtliche Behandlung, weil das europäische IPR nur den sachrechtlichen „Rohstoff“ verarbeiten kann, den es in der durch die Mitgliedstaaten geschaffenen Form vorfindet. Damit tritt – im Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen – eine der bereits behandelten Ingmar-Konstellation13 vergleichbare, jedoch umgekehrte Situation auf: Die materielle Struktur einer Sachnorm nationaler Herkunft, die von Seiten der nationalen Gerichte letztverbindlich festzustellen ist, impliziert bestimmte, nunmehr von Seiten des europäischen IPR zu entwickelnde und vom EuGH auf ihre Legitimität zu überprüfende kollisionsrechtliche Anwendungsinteressen, die wiederum die Grundlage ihrer kollisionsrechtlichen Behandlung im Rahmen des europäischen IPR bilden. Auch insoweit findet also ein aus dem inneren Zusammenhang von (grundsätzlich in der Kompetenz der nationalen Mitgliedstaaten verbliebener) materieller und (im Anwendungs11 Gleiches gälte im Übrigen auch dann, wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht das europäische Anwendungsinteresse nur „relativ“ anhand der materiellen Wertungen des jeweiligen Forumstaates bestimmte – denn dann handelt es sich – sofern man die hier vertretene Ausgangsprämisse eines europäischen Anwendungsbefehls teilt – um ein kollisionsrechtliches Anwendungskriterium unionsrechtlicher Herkunft, welches nur anhand der materiellen Wertungen eines Mitgliedstaates bestimmt werden würde. 12 Eine – für alle Mitgliedstaaten verbindliche – Auslegungskompetenz besteht jedoch hinsichtlich Sachnormen europäischer Herkunft, vgl. hierzu etwa die Ingmar-Konstellation sub Kapitel 2 B.II.2.c)bb) (S. 154 ff.). 13 Vgl. hierzu sub Kapitel 2 B.II.2.c)bb) (S. 154 ff.).

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4. Kapitel: Prüfungskompetenz des EuGH

bereich der Rom-Verordnungen in europäischer Kompetenz liegender) kollisionsrechtlicher Gerechtigkeit resultierender mehrstufiger Prozess der Rechtsfindung statt, der durch unterschiedliche Wahrnehmungskompetenzen nur eine besondere Ausprägung erfährt, ohne dass insoweit auf eine kohärente kollisionsrechtliche Methode verzichtet werden müsste. Damit lässt sich festhalten: Verortet man mit der hier vertretenen Ansicht die Eingriffsnormenproblematik innerhalb des regulativen Anwendungsbereichs der bislang in Kraft getretenen Rom-Verordnungen, so obliegt die letztverbindliche Entscheidung über deren kollisionsrechtliche Behandlung dem EuGH. Damit ist gewährleistet, dass die Behandlung von in- und ausländischen Eingriffsnormen vor mitgliedstaatlichen Gerichten auch in praxi einheitlich erfolgt, der europäische Entscheidungseinklang also auch de facto verwirklicht werden kann.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Schlussbetrachtung Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

(1) Phänologisches Charakteristikum der Eingriffsnormenproblematik stellt die von den herkömmlichen Kollisionsnormen unabhängige Anknüpfung bestimmter Normen dar. Zwingende Voraussetzung hierfür bildet ein auf die fragliche Sachnorm bezogener kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl, der im Falle einer Eingriffsnorm im formalen Sinne („selbstgerechten Sachnorm“) explizit seitens des Gesetzgebers beigeordnet wurde (und der ggf. im Wege der Spezialität den allgemeinen Kollisionsnormen vorgeht), im Falle einer Eingriffsnorm im materiellen Sinne im Wege der Rechtsfortbildung ausgebildet werden muss, da eine solche nicht unter die herkömmlichen Kollisionsnormen qualifiziert werden kann und deswegen eine (vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen notwendig zu schließende) Regelungslücke im kollisionsrechtlichen System besteht. Da Eingriffsnormen einen integralen Bestandteil des „klassischen“ IPR – und nicht etwa eines kollisionsrechtlichen Zweitsystems – bilden und die herkömmliche kollisionsrechtliche Methode der Problematik gerecht werden kann, muss die Rechtsfortbildung aufgrund deren Systembindung auch system- und methodenimmanent innerhalb des herkömmlichen IPR erfolgen. (2) Mit der Kodifikation des Art. 9 Rom I und 16 Rom II wurde die Eingriffsnormenproblematik innerhalb der regulativen Reichweite der Rom I/II-Verordnungen verortet, so dass der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl für Bestimmungen, „deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird“, nunmehr von Seiten des europäischen IPR ausgesprochen und ein ggf. existierender nationaler Anwendungsbefehl (im Falle einer „selbstgerechten Sachnorm“) aufgrund des Anwendungsvorrangs europäischen Rechts verdrängt wird. Existiert eine bereits kodifizierte europäische Kollisionsnorm, welche den durch diese Sachnormen implizierten kollisionsrechtlichen Interessen Rechnung tragen kann, spricht diese den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl abschließend aus, existiert eine solche nicht, besteht nunmehr eine Regelungslücke innerhalb des europäischen

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Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

IPR, welche modo legislatoris geschlossen werden muss. Damit handelt es sich bei einer Eingriffsnorm (im materiellen Sinne) um eine Bestimmung, die aufgrund ihrer – grundsätzlich von einem nationalen Gesetzgeber zugrunde gelegten – öffentlichen Zwecke nicht unter eine allgemeine europäische Kollisionsnorm qualifiziert werden kann, da sie durch ihre besonderen materiellen Sachnormzwecke andere kollisionsrechtliche Interessen impliziert als diejenigen, welche der vom Wortlaut her einschlägigen Kollisionsnorm zugrunde liegen. Die Eingriffsnorm fällt daher aus der „Bündelung“ einer europäischen Kollisionsnorm heraus, wird „disqualifiziert“ und bedarf vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen einer ihr angemessenen, ihren Zweck verwirklichenden Kollisionsnorm, die im Wege der Rechtsfortbildung zu entwickeln ist. Die hierfür maßgeblichen Abwägungstopoi müssen dem europäischen Recht als autonom auszulegende, autonom zu handhabende Rechtsmaterie entnommen werden, so dass das Problem der Eingriffsnormen EU-weit einheitlich, systemintern und damit kohärent gehandhabt werden kann. Damit bilden Eingriffsnormen (im materiellen Sinne) den „unfertigen Teil“ des europäischen IPR. (3) Gleiches gilt für ausländische Eingriffsnormen. Art. 9 III Rom I ist als „unfertige“ Generalklausel anhand der herkömmlichen kollisionsrechtlichen Methodik zu konkretisieren, wenngleich insoweit die (systemkonforme) Besonderheit hinzutritt, dass ein – nunmehr anhand einheitlicheuropäischer Kriterien zu ermittelndes – Interesse an der Anwendung einer ausländischen Bestimmung Voraussetzung für deren Anwendung bildet. Ein solches Interesse lässt sich dann bejahen, wenn die ausländische Eingriffsnorm Ausdruck eines „European shared value“ ist, bezüglich dieser also gemeineuropäische „Interessensympathie“ besteht, und der ausländische Erlassstaat selbst diese in casu kollisionsrechtlich anwenden würde. Zudem stellt Art. 9 III Rom I alleine ein kodifiziertes Regelbeispiel für die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen dar, da diesem – ebenso wie Art. 16 Rom II – aufgrund der dem IPR zuzugestehenden Ordnungsfunktion kein abschließender Charakter zugesprochen werden kann und der Weg für ein potentiell allseitiges kollisionsrechtliches System für Eingriffsnormen daher nicht verschlossen ist. Eine Besonderheit ergibt sich nach dem im Rahmen dieser Arbeit entwickelten Ansatz für (in den Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen fallende) mitgliedstaatliche Eingriffsnormen: Da deren – ggf. modo legislatoris im Rahmen von Art. 9 II Rom I bzw. Art. 16 Rom II auszubildender – kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl dem in allen Mitgliedstaaten unmittelbar geltenden europäischen Recht entstammt, ist jedes mitgliedstaatliche Gericht bereits an diesen konkreten Anwendungsbefehl gebunden, so dass es für die Anwendung solcher Bestimmungen nicht auf die herkömmlichen, für ausländische Eingriffsnormen entwickelten Anwendungsvoraussetzungen ankommt.

Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

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Damit besteht eine – alle mitgliedstaatlichen Gerichte unmittelbar bindende – sekundärrechtliche Anwendungspflicht im Hinblick auf mitgliedstaatliche Eingriffsnormen, wenn das auf diese Norm bezogene, „sachnormzweckgerechte“ Anknüpfungsmoment (europäischer Herkunft) erfüllt ist. (4) Dem EuGH steht eine vollständige Prüfungskompetenz bezüglich der auf in- und ausländische Eingriffsnormen bezogenen kollisionsrechtlichen Individualkollisionsnormen zu, so dass eine einheitliche Behandlung inund ausländischer Eingriffsnormen vor allen mitgliedstaatlichen Gerichten auch in praxi gewährleistet ist und der von dem europäischen Kollisionsrecht bezweckte europäische Entscheidungseinklang auch de facto verwirklicht werden kann. Einleitend wurde die Frage aufgeworfen, ob der europäische Gesetzgeber mit der Regelung der Eingriffsnormenproblematik einem „trojanischen Pferd“ den Weg ins europäische Kollisionsrecht geebnet hat. Bei Zugrundelegung des hier vertretenen Ansatzes lässt sich die Frage mit einem klaren Nein beantworten: Die Eingriffsnormenproblematik kann auch im Rahmen des europäischen IPR kohärent, system- und methodenimmanent aufgelöst werden, wenn man den von Kegel eingeschlagenen Weg konsequent zu Ende geht: „Programm muß [auch hier] sein: Weiterentwicklung [des kollisionsrechtlichen Systems] durch Differenzierung, d.h. durch Aufspüren und Bewerten der [...] Interessen im Einzelfall“1. Da das europäische Kollisionsrecht für alle Mitgliedstaaten unmittelbar verbindlich ist, kann eine kohärente Weiterentwicklung des europäischen IPR modo legislatoris den europäischen Entscheidungseinklang als Hauptziel der europäischen IPR-Rechtsvereinheitlichung nicht beeinträchtigen, so dass ein (auch nationale) materielle Wertungen verwirklichendes IPR diesem nicht entgegenwirkt. Die Eingriffsnormenproblematik als „unfertigen Teil“ des europäischen IPR zu begreifen, trägt folglich dazu bei, einen gemeinsamen europäischen Raum des Rechts unter Beibehaltung der nationalen Rechtsvielfalt zu gewährleisten, ohne dass es hierfür eines Bruchs mit der „klassischen“ kollisionsrechtlichen Methode bedürfte.

1

Kegel, FS Lewald, 259 (279), (Hervorhebung im Original).

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Register Abgrenzung – kollisionsrechtliche Systeme 20-22 – Öffentliches Recht und Privatrecht 46-49 Abwägungstopoi 68, 76 ff. Allseitiges System für Eingriffsnormen 286-289 Alternativentest 13-15 Anwendungsbefehl einer Eingriffsnorm – europäischer Herkunft 113-122, 187189, 325-328 – nationaler Herkunft 106-113, 187189, 322-325 – Notwendigkeit 6-8 – Prüfungskompetenz des EuGH 322328 Anwendungsbereich Rom I/II-VO – Eröffnung 113 f. – kodifikationsinterne Beschränkung 114-122 Anwendungsinteresse 235 ff., 270-272, 272 f. Anwendungspflicht mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen – allgemein 292-294 – primärrechtliche 294-309 – sekundärrechtliche (eigener Begründungsansatz) 309-319 Anwendungswille 10 ff. Arbeitnehmerschutzrecht (siehe Sonderprivatrecht) Arblade-Entscheidung 104 Ausländischer Anwendungswille 190 ff., 258 ff. Auslegung 13-15, 18-20 Auslegungskompetenz des EuGH 322328 Bedeutung der Sachnormzwecke 70 ff. Bedingte Verweisung 131 f., 260

Besondere Anknüpfung 210, 286 ff. Binnenmarktprinzip 303 f., 314 f. Borax-Entscheidung 180, 253, 256 Fn. 387 Borsäure-Entscheidung 180, 253 f., 256 Fn. 387 Bündelungsmodell Schurigs 84-87 Cassis de Dijon-Entscheidung 298 Comitas-Gedanke 63 Fn. 309, 191 Fn. 106 Datumtheorie 179 Definition anhand öffentlicher Normzwecke 22 ff. Definition einer Eingriffsnorm 8 ff. Derogation nationaler Anwendungsbefehle 127-133 Disqualifikation 92 f. Eingriffsnormen – allseitiges System 286-289 – als Definitionsproblem 8-39, 94-97 – als Regelungslücke 88 ff., 92 f. – als „unfertiger Teil des IPR“ 93, 124, 326 – ausländische 168 ff. – im formalen Sinne 10-17, 127-134 – im materiellen Sinne 17-39, 134-163 – inländische 4 ff. – materiellrechtliche/sachrechtliche Berücksichtigung 174 ff. – mitgliedstaatliche 292 ff. – Phänomen 5, 101 f. – primärrechtliche Grenzen 163-165 – Rechtsfolgen 261-263 – Verortung im europäischen Kollisionsrecht 103-126 – Verortung im kollisionsrechtlichen System 5-102, 103-127

354 Einschränkungen des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls 235 ff. Erfüllungsort 215 ff., 267-273 – autonome kollisionsrechtliche Bestimmung 222-230 – einheitlicher Erfüllungsort i.S.d. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO 218-222 – rechtlicher 215-217 Europäisches Anwendungsinteresse 246 ff. – ausländischer Anwendungswille 258261 – Bestimmung 246-258 – europäische „policy-Prüfung“ 251253, 253 ff. – Konkretisierung 253-258 – nationale „policy-Prüfung“ 249-251 – Prüfungsmaßstab 256-258 European shared value 253-256 Extrinsischer Systemdualismus 40-49 Faccini Dori-Entscheidung 152 Faktische Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen 175-180 Funktionsunterscheidung zwischen Kollisions- und Sachrecht 18-20 Fusionsrecht 268, 288, 289 Gegenstand des IPR 53-62 Gemeineuropäische Interessensympathie 253-256 Gemeininteresse (kollisionsrechtliches) 77, 80, 81, 88 ff., 97, 271 Gemeinschaftstreue 294 ff. Gesonderte Anknüpfung 210, 286 ff. Grund für ein mehrseitiges IPR 62-70, 242 f.

Register Internationales Kartellrecht (siehe Kartellrecht) Intrinsischer Systemdualismus 50-84 IPR – autonomistisch-multilateralistisches System 192-194, 210 ff. – autonomistisch-unilateralistisches europäisches Binnenkollisionsrechtssystem 312 – Bedeutung der Sachnormzwecke 7283 – Gegenstand 53-62 – Grund für ein mehrseitiges IPR 6270, 242 f. – Regelungslücke 92 ff., 123 f., 127 ff., 286-291, 325-328 – Sachrechtsabhängigkeit 79-83 – wertneutrales Zuordnungsrecht 62-84 Kartellrecht 14 f., 27, 30-34, 47 f., 91, 95, 112, 128 f., 133, 182 f., 256, 268 f., 288, 289 Kollisionsnorm – Aufbau 59-61 – Kollisionsnormbildung modo legislatoris 97-100, 123-126 – Notwendigkeit 6-8 Kollisionsrechtliche Ansätze – Bar 74 f. – Kahn 75 f. – Savigny 42 f., 56 f., 61, 68, 73 f., 98, 191, 206 – Wächter 73 f. Kollisionsrechtliches Zweitsystem 2022, 39 ff. Krombach-Entscheidung 322 f. Kulturgüterschutzrecht 230, 233 f., 254, 267 f., 288, 289, 301

Herkunftslandprinzip 297-299 Ingmar-Entscheidung 154-162 Inhaltskontrolle ausländischer Eingriffsnormen 235-258 Interesse an der Anwendung einer Norm (siehe Anwendungsinteresse) Interesse an einer internationalen Ordnung 272 f. Interessen (kollisionsrechtliche) 76 ff. Interessenlehre Kegels 76-79 Interessensympathie 235 ff.

Machttheorie 224-230, 231, 236, 243, 270 f. Mietrecht (siehe Sonderprivatrecht) Missbrauchskontrolle (des EuGH) 322 f. Nigerianische Masken-Entscheidung 180, 230, 233 f., 254, 267 f., Normative Wirkungen ausländischer Eingriffsnormen 180-185 Notwendigkeit kollisionsrechtlicher Entscheidung 6-8

Register Öffnungsklausel 106 ff., 187 ff., 322 ff. Ordre public 4, 93 Fn. 454, 164 f., 197, 236 ff., 238 Fn. 306, 244 Fn. 342, 251, 322 f. Politische Schule des IPR 51 f., 202, 205 Potente Sachnormen 228 Prüfungskompetenz des EuGH 322-328 Qualifikation 85 f. Ralli-Entscheidung 172, 211, 215, 265 f. Rechtsfortbildung 88-101, 123-126, 286-291, 325-328 Regelungslücke 92 ff., 123 f., 127 ff., 286-291, 325-328 Sachnormen – aus Richtlinien 152 ff. – aus Verordnungen 151 f. – Bedeutung für kollisionsrechtliche Anknüpfungsentscheidung 70 ff. – europäischer Herkunft 148 ff. – Gegenstand des IPR 56-58 – nationaler Herkunft 134 ff. – unmittelbar anwendbare 6-8, 104 f. Sachnormzweckgerechte Anknüpfung 79-83, 97-100 Sachrechtsabhängigkeit 70 ff. Schmiergeld-Entscheidung 170, 180, 254 f. Schuldstatutstheorie 90 f., 236, 279-285 Selbstgerechte Sachnormen 10-17, 127134 Shared Values Approach 197 Sonderanknüpfungslehre – allgemein 190-198

355 – Übertragbarkeit auf Art. 9 III Rom I 198-209 Sonderprivatrecht – ausländische Bestimmungen 290 f. – inländische Bestimmungen 23-25, 26 f., 35-37, 134-148 Soziales Mietrecht (siehe Sonderprivatrecht) Sperrwirkung – von Art. 9 III Rom I 265-273 – von Art. 16 Rom II 274-278 Struktur und Reichweite einer allseitigen Kollisionsnorm 84-87 Trennung von Staat und Gesellschaft 41-46 Universalismus 70, 201-203 Unrechtmäßigkeit der Erfüllung 211215, 267 Urheberrecht 129 f. (siehe auch Sonderprivatrecht) Verbraucherschutzrecht (siehe Sonderprivatrecht) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 304-306 Wertneutrales Zuordnungsrecht 62-84 Wirkungsverleihung 173-189 Zusammenhang zwischen internationalprivatrechtlicher und materiellrechtlicher Gerechtigkeit 62-84 Zuständigkeits- und Verfahrenskonzentration 306-309, 315-319 Zuweisung von Regelungszuständigkeiten 299-303 Zweitsystem (siehe kollisionsrechtliches Zweitsystem)